Joachim H. Spangenberg/Sylvia Lorek
Sozio-ækonomische Aspekte nachhaltigkeitsorientierten Konsumwandels
I. Einleitung
Ein fçr die Entwicklung nachhaltiger Produktionsund Konsummuster zentraler gesellschaftlicher
Akteur sind die privaten Haushalte. Sie sind die
wirtschaftlichen Einheiten, in denen der Lebensalltag einschlieûlich Beruf und gesellschaftlichem
Leben fçr eine Person allein oder fçr mehrere
gemeinsam organisiert wird. Hierzu sind Entscheidungen çber die Ausstattung und Græûe der Haushalte nætig, die sich in wirtschaftlichem Handeln
genauso niederschlagen wie die Entscheidungen
çber die Aufteilung von Arbeits-, Sozial- und Freizeit oder den Einsatz der Ausstattung zur Erfçllung
bestimmter Bedçrfnisse. Dabei treffen diese Haushaltsentscheidungen eine Wahl zwischen unterschiedlichen Varianten der Bedçrfniserfçllung, die
zum Teil auch auf den gewçnschten Nebenfunktionen von Produkten wie Statussymbol, Selbstdefinition oder Abgrenzung gegençber anderen beruht1.
Das Streben der Menschen bei der Organisation
des Alltags wie der Freizeit geht dahin, ein ¹gutes
Lebenª2 zu haben; was jedoch darunter verstanden
wird, ist individuell verschieden.
Es gibt folglich nicht das Leitbild eines zukunftsfåhigen Konsums. Die Individualitåt der Konsumentenentscheidungen ist ein konstitutives Element
der modernen demokratischen und pluralistischen
Gesellschaft, das von Szenarien nachhaltiger
Lebensweisen nicht in Frage gestellt wird3.
Allerdings werden Konsumenten-Entscheidungen
heute wie zukçnftig stark von den Rahmenbedingungen beeinflusst. Dazu zåhlen politische Rahmensetzungen, Preise, verfçgbare Technologien,
Einkommensniveau und Einkommensverteilung,
gesellschaftliche Normen und gruppenspezifische
Leitbilder sowie nicht zuletzt die Einflçsse von
Werbung und Marketing.
Ein Teil dieser Faktoren wird im Folgenden in seinem Bezug zur Nachhaltigkeit (mit Schwerpunkt
1 Vgl. die Unterscheidung von ¹needsª und ¹satisfyersª bei
Manfred Max-Neef, Human Scale Development, New York ±
London 1991.
2 Vgl. Inge Roepke, The dynamics of willingness to consume, in: Ecological Economics, 28 (1997) 2, S. 399 ± 420.
3 Vgl. Friedrich Hinterberger / Fred Luks / Marcus Stewen,
Zwischen Úkodiktatur und Umweltkatastrophe, Basel u. a.
1996.
23
Umweltrelevanz) des privaten Konsums diskutiert;
zur Abschåtzung ihrer Wirkungen sind jedoch
zuvor einige methodische Festlegungen erforderlich.
II. Nachhaltiger Konsum ±
Was ist das?
Nachhaltigkeit ist mehr als Umweltvertråglichkeit:
Sie beinhaltet neben der aus gutem Grund viel
zitierten ækologischen Dimension auch eine soziale
(die Sicherung des Zusammenhalts der Gesellschaft im weitesten Sinne), eine ækonomische (die
Sicherung der wirtschaftlichen Funktionsfåhigkeit
als Grundlage der Bedçrfnisbefriedigung) sowie
eine institutionelle Dimension (nicht nur die
Gestaltung der gesellschaftlichen Organisationen,
sondern auch die nicht formaler Institutionen wie
Gewohnheiten, Wertvorstellungen etc.)4. In allen
vier Dimensionen lassen sich Oberziele formulieren, die zwar keine detaillierten Handlungsanweisungen bieten kænnen und sollen, wohl aber Richtungsangaben hin zu mehr Nachhaltigkeit. Es
handelt sich also um ein normatives Konzept, d. h.
eines, in dem von gesellschaftlich zu definierenden
Zielen auf die anzuwendenden Maûnahmen
geschlossen wird. Mit anderen Worten: Es gibt
nicht das Nachhaltigkeitsmodell, aber eine gemeinsame Richtung fçr viele verschiedene Kulturen und
Lebensstile hin zu einer nachhaltigen Entwicklung.
Gerade diese Diversitåt der strategischen Ansåtze
wie der Umsetzungsformen erfordert einerseits
Prioritåtensetzungen und andererseits die Fåhigkeit, mit Widersprçchen leben zu kænnen ± auch
das gehært zu nachhaltigen Lebensstilen.
Konsum, hier verstanden als Konsum der Haushalte5, ist zunåchst dann nachhaltig, wenn er dazu
4 Vgl. die Erklårung von Rio und die Agendia 21, in: Bundesminister fçr Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
(Hrsg.), Konferenz der Vereinten Nationen fçr Umwelt und
Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro ± Dokumente,
Reihe Umweltpolitik, Bonn 1992.
5 Wåhrend im englischen Sprachraum ¹consumptionª in
der Regel den gesamten Verbrauch der Volkswirtschaft bezeichnet/und ¹household consumptionª davon abgegrenzt
wird, folgen wir hier dem deutschen (und analog dem skandinavischen) Sprachgebrauch, der unter Konsum den Konsum der Haushalte versteht. Zum internationalen Sprach-
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beitrågt, die oben genannten komplexen Ziele
umzusetzen, so weit dies in der Macht der Haushalte und ihrer Entscheidungen steht. Nachhaltiger Konsum ist also umweltbewusst, sozialvertråglich, wirtschaftlich und partizipativ.
Diese sehr breit gefasste, eher ungewæhnliche
Definition von nachhaltigem Konsum mag
zunåchst verwirren ± sie entspricht aber der Nachhaltigkeitsdefinition, wie sie von den Vereinten
Nationen verwandt wird. Nachhaltiger Konsum ist
ein ståndiger Optimierungsprozess, der auf individueller Abwågung beruht und unterschiedliche
Pråferenzen und Konsummuster beinhaltet.
Fçr eine derartige Optimierung sind die Konsumentinnen und Konsumenten jedoch auf
umfassende, produktbezogene Informationen
angewiesen, die ihnen erlauben, ihre nachhaltigkeitsrelevanten Prioritåten in Konsumentscheidungen umzusetzen. Dabei ergeben sich drei
Grundsatzprobleme:
1. Die verfçgbaren relevanten Informationen sind
im Umweltbereich recht ausfçhrlich, fçr die
soziale Dimension sporadisch und darçber hinaus fast nicht vorhanden. Der weitere Schwerpunkt dieses Beitrags liegt demgemåss auf der
Umweltrelevanz des Konsums.
2. Konsumentscheidungen werden produktspezifisch getroffen, sodass viele der verfçgbaren,
aber nicht produkt- oder verhaltensspezifischen
Umweltinformationen nicht anwendbar sind.
Úkologische Konsumindikatoren kænnen diese
Lçcke zumindest teilweise schlieûen.
3. Die Entscheidungskompetenz der Haushalte ist
beschrånkt. Sie kænnen zwar durch ihre Nachfrage nach umwelt- und sozialvertråglich hergestellten Produkten und Dienstleistungen deren
Marktposition stårken, sind jedoch immer nur
einer von mehreren beteiligten Entscheidungstrågern. Akteursmatrizen fçr die einzelnen
Schlçsselindikatoren verdeutlichen dies.
III. Úkologischer Konsum ± Was
kænnen Haushalte tun?
Nahezu alles, was Menschen in ihrem Alltagsablauf an Gçtern oder Dienstleistungen kaufen, hat
Auswirkungen auf die Umwelt. Diese Auswirkungen beginnen bei der Herstellung von Produkten,
gebrauch vgl. United Nations Department of Economic and
Social Affairs (UNDESA), Measuring Changes in Consumption and Production Patterns. A Set of Indicators, New York
1998.
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fallen wåhrend des Gebrauchs an und wirken mitunter noch lange Zeit, nachdem ein Produkt seinen Nutzen verloren hat. Wie aber ist die Umweltrelevanz des Konsums zu fassen, jenseits von
Einzelbeispielen? Welche Umweltfolgen sind den
Konsumenten zuzurechnen, welche den çbrigen
wirtschaftlichen Akteuren?
Die volkswirtschaftliche Statistik folgt dem Postulat, dass die Herstellung von Produkten und
Dienstleistungen der Befriedigung der Endnachfrage in einer Volkswirtschaft dient. Dieser wird
zugerechnet, was von der Volkswirtschaft an Ressourcen verbraucht und an Schadstoffen freigesetzt wird. Lediglich der Export låsst sich nicht auf
die inlåndische Bevælkerung umrechnen. Die
Wirtschaft taucht in dieser Sichtweise nicht als
eigenståndiger Verursacher auf. Als Konsequenz
werden in dieser spezifischen Form der Input-Output-Analyse weit çber 80 Prozent des gesamten
Umweltverbrauchs den privaten Haushalten zugerechnet. Dabei handelt es sich jedoch um ein statistisches Maû, das nichts çber die tatsåchlichen
Einflussmæglichkeiten des Akteurs Haushalte aussagt und dies auch nicht reklamiert. Da aber
gerade die mæglichen Handlungspotentiale Gegenstand des æffentlichen Interesses sind, kænnen
Zahlen von 80 Prozent und mehr zu politisch relevanten Missverståndnissen fçhren und bedçrfen
der Relativierung durch eine akteursbezogene
Betrachtung.
Alternativ zum volkswirtschaftlichen wird håufig
ein hauswirtschaftlicher Referenzrahmen genutzt,
der das Alltagsverhalten privater Haushalte in den
Vordergrund der Betrachtungen stellt und in etwa
das Feld der Haushaltsumweltberatung widerspiegelt. Fçr einen solchen Bemessungsrahmen spricht
das Interesse der Haushalte an erfahrbaren und
mæglichst direkt im Haushalt quantitativ erfassbaren Græûen von Umweltverbrauch, die ihnen eine
konkrete Handlungsorientierung geben kænnen.
Zu dem bewusst wahrnehmbaren Umwelteinfluss,
den Haushalte çber ihren Energie-, Strom- und
Wasserverbrauch in ihrem Haushalt nehmen kænnen, kommt der finanzielle Vorteil, den eine Verbrauchsreduktion in diesen Bereichen mit sich
bringt: Die wirtschaftlich attraktiven Einsparmæglichkeiten sind in der Regel ækologisch sinnvoll,
wenn auch mangels der Erfassung indirekter
Effekte die Umweltentlastung nicht quantifizierbar ist. Im Vergleich zum volkswirtschaftlichen
bietet der hauswirtschaftliche Erfassungsrahmen
also eher handlungsorientierende Hinweise, ohne
dass diese jedoch quantitativ unterlegt sind und so
Prioritåten begrçnden kænnten.
Weder der volks- noch der hauswirtschaftliche
Rahmen sind in der Lage, ækologische Handlungs24
prioritåten fçr den Akteur Haushalte quantitativ
darzustellen. Notwendig ist statt dessen eine Methodik, deren Nutzung es den Haushalten ermæglicht, ihren hauswirtschaftlichen Handlungsspielraum zur Reduzierung des volkswirtschaftlichen
Umweltverbrauchs optimal auszuschæpfen.
Umweltverbrauch setzt sich fçr jedes Konsumgut
aus verschiedensten Nutzungen und Beeinflussungen der Umwelt durch den Menschen zusammen.
Da die ækologischen Probleme vielfåltig sind, und
da Problemsubstanzen unterschiedliche Wirkungen haben kænnen, da ferner die unterschiedlichen
umweltbelastenden Substanzen miteinander interagieren kænnen, ist eine vollståndige Beschreibung
extrem aufwåndig. Alle diese Belastungen zu
einem Belastungsindex zu aggregieren ist zwar
mæglich6, bedarf aber der Definition von Gewichtungsfaktoren, die als Relevanzkriterien wertgebunden sind und nur aufgrund subjektiver Einschåtzung, nicht aber auf Basis wissenschaftlicher
Tatsachen definiert werden kænnen. Angaben çber
Flåchenverbrauch im Wohnungsbau und Schwermetallbelastung im Abwasser haben kein gemeinsames Maû und lassen sich deshalb nicht aggregieren. Úkonomen haben als gemeinsames Maû die
geldliche Bewertung vorgeschlagen, messen damit
aber eher die politisch durchaus relevante gesellschaftliche Reaktion auf ækologische Sachverhalte
denn diese selbst.
Úkologisierung des Konsums bezieht sich auf die
objektive Belastung der Umwelt, integriert çber
alle Belastungskategorien. Geht man davon aus,
dass auch zukçnftig die Nutzung gesundheits- und
umweltschådlicher Einzelstoffe kurzfristig rechtlich geregelt werden muss, so ist die Verringerung
der Grundbelastung die Langfristaufgabe nachhaltigen Konsums. Um potentielle Schåden der
Umwelt ± und damit auch Belastungen des Menschen ± mæglichst gering zu halten, bietet es sich
an, bereits durch die Verringerung des Umweltverbrauchs auf der Input-Seite die Gesamtbelastungen, und so auch die Gefåhrdungen auf der Output-Seite, zu verringern. Dementsprechend wird
zur Bewertung und Messung von Umweltbelastung zunehmend der Ressourcenverbrauch herangezogen7.
6 Vgl. European Statistical Office, The Environmental
Pressure Index Programme, Luxemburg 1999.
7 Es ist unbestritten, dass Gefahrstoffe auch weiterhin der
rechtlichen Regulierung bedçrfen, also eher durch staatliches
Handeln denn durch das der Haushalte adåquat erfasst werden. Trotzdem trågt eine Reduzierung des Ressourcenverbrauchs auch in diesen Fållen zur Problementschårfung bei,
denn eine geringere Quantitåt eines bedenklichen Stoffes
birgt ein geringeres Schadpotential. Im besten Fall kann eine
in Folge der Verringerung des Durchsatzes der Wirtschaft
ebenfalls verringerte Freisetzungsmenge eines Schadstoffes
sogar unter die Wirksamkeitsschwelle fallen.
25
Jede menschliche Aktivitåt benætigt Materialien
zu ihrer Konkretisierung, Energie zu ihrer Durchfçhrung sowie einen Ort, an dem sie stattfinden
kann, als so genannte Schlçsselressourcen. Dabei
ist unçbersehbar, dass eine spezifische Belastung
der Umwelt sich nicht notwendigerweise proportional zum Ressourcenverbrauch ± ausgedrçckt als
Energie- und Materialverbrauch sowie Flåchennutzungsintensitåt ± entwickelt. Trotzdem gilt,
dass Umweltbelastung und Ressourcenverbrauch
gleichsinnig erfolgt, d.h., ein hæherer Energieverbrauch, mehr Flåchenbelastung oder græûere
Stoffstræme fçhren zu hæheren Umweltschåden.
Diese lassen sich durch Ressourcenverbrauchserfassung nicht messen, wohl aber in ihrer Dynamik
charakterisieren8. Im Umkehrschluss heiût das,
dass eine systematische Reduktion des Ressourcenverbrauchs sich auf eine Vielzahl von konkreten Umweltproblemen entlastend auswirken
wçrde9.
Fçr die Erfassung der Umweltwirkungen des Konsums stellen sich nun zwei Hauptfragen:
1. Welche Lebensbereiche haben in der gesamtgesellschaftlichen Betrachtung einen signifikanten Anteil am Umweltverbrauch?
2. Welches sind die Lebensbereiche (Bedarfsfelder), in denen die Haushalte çberhaupt einen
nennenswerten Einfluss auf den Umweltverbrauch haben?
Der mægliche Einfluss der Haushalte auf den
Umweltverbrauch ist in unterschiedlichen Konsumbereichen verschieden groû, sodass es fçr eine
Analyse des Umweltverbrauchs privater Haushalte geboten erscheint, diese getrennt zu betrachten. Folgende Bedarfsfelder decken dabei den
umweltrelevanten Konsum der Haushalte ab10:
8 Zur Methodik vgl. Sylvia Lorek / Joachim H. Spangenberg / Christoph Felten, Prioritåten, Tendenzen und Indikatoren umweltrelevanten Konsumverhaltens / Endbericht
des Teilprojekts 3 des Demonstrationsvorhabens zur Fundierung und Evaluierung nachhaltiger Konsummuster und Verhaltensstile, Forschungs- und Entwicklungsvorhaben des
Umweltbundesamtes (UBA FE Vorhaben) 209 01 216/03,
Wuppertal 1999.
9 Vgl. Friedrich Schmidt-Bleek / Stefan Bringezu / Friedrich
Hinterberger / Christa Liedtke / Joachim H. Spangenberg /
Hartmut Stiller / Jolanta M. Welfens, Einfçhrung in die Materialintensitåtsanalyse nach dem MIPS-Konzept, Basel u.a
1998. Joachim H. Spangenberg / Aldo Femia / Friedrich Hinterberger / Helmut Schçtz, Material Flow-based Indicators in
Environmental Reporting, European Environment Agency
(EEA), Environmental Issues Series, Nr. 14, Luxemburg 1999;
Deutsches Institut fçr Wirtschaftsforschung / Wuppertal Institut fçr Klima, Umwelt, Energie / Wissenschaftszentrum
Berlin fçr Sozialforschung, Arbeit und Úkologie, Projektabschlussbericht, Dçsseldorf 2000.
10 Vgl. BUND/Misereor (Hrsg.), Zukunftsfåhiges Deutschland, Basel ± Berlin 1996.
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Indikatoren- und Akteursmatrix Bauen und Wohnen
private Haushalte
Nutzer der
Wohnung
Eigentçmer
Kommunen
Wohnungsbaugesellschaften
Politik
Planer
Dienstleister
Heizenergieverbrauch
+
+
*
+
+
+
+
Ressourcenintensitåt
*
+
*
+
+
+
+
Wohnflåche
++
+
+
+
+
+
*
pr. Wohnungsinvestitionen
Alt-/Neubau
*
++
+
*
+
*
*
Siedlungsflåche
*
+
++
+
++
*
+
++ = dominant; + = signifikant; * = relevant
Bauen und Wohnen, Ernåhrung, Freizeit, Gesundheit, Bekleidung, Waschen und Reinigen, Hygiene,
Bildung, Mobilitåt sowie gesellschaftliches Zusammenleben.
Die Bereiche Bildung, Gesundheit, Sicherheit im
gesellschaftlichen Zusammenleben etc. stellen
zwar relevante Konsumbereiche dar, sind aber in
der Regel Staatskonsum und nicht Haushaltskonsum. Textilien, Waschen und Reinigen machen
zusammen unter zehn Prozent der gesamten Stoffund drei Prozent der Energieverbråuche aus,
Gesundheit (fçnf Prozent), Hygiene und Kærperpflege (zwei Prozent) liegen noch niedriger ± die
resultierenden Einsparpotentiale liegen also im
Bereich von wenigen Prozenten. In dieser Hinsicht
kænnen die letztgenannten Konsumbereiche als
ækologisch und politisch weniger zentral betrachtet werden, auch wenn Bereiche wie Kleidung
wegen ihres lebensqualitåts- und statusprågenden
Charakters eine wichtige symbolische Bedeutung
aufweisen. So ist z.B. die unter Umweltfreunden/
innen verbreitete Haltung, Mode abzulehnen und
auf Second-Hand-Textilien zu setzen, eine durchaus legitime und wichtige Frage von Lebensstilpråferenzen, aber kaum eine ækologisch ausschlaggebende Entscheidung.
Soweit der direkte und indirekte Umweltverbrauch durch die privaten Haushalte beeinflussbar
ist11, geschieht dies also zu çberwiegenden Teilen
durch nur drei Konsumbereiche:
1. Bauen und Wohnen, einschlieûlich Renovieren,
Umbauen, Heizen;
2. Mobilitåt, einschlieûlich Freizeit und Reisen;
3. Ernåhrung (einschlieûlich Produktion und Verarbeitung von Lebensmitteln, ohne Kochen/
Kçhlen).
11 Zu Daten fçr Deutschland vgl. S. Lorek, / J. H. Spangenberg / C. Felten (Anm. 8), Anhånge.
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Um hauswirtschaftliche Handlungsmæglichkeiten
in diesen aus volkswirtschaftlicher Sicht dominanten Bedarfsfeldern aufzuzeigen, sind die quantitativ wichtigsten Verursachungsdynamiken in jedem
dieser Felder und darauf bezogen wenige zentrale
Handlungsoptionen zu identifizieren. Zugespitzt
kænnen diese mittels Indikatoren kommuniziert
und die Umsetzungserfolge mit denselben Indikatoren çberwacht werden12. So wurden fçr das
græûte Bedarfsfeld Bauen und Wohnen die in der
Ûbersicht genannten Indikatoren entwickelt, die
jeweils ein Handlungsfeld charakterisieren13.
Damit ist konkretisiert worden, an welchen Handlungsfeldern Haushalte als relevante Akteure teilhaben, jedoch bleibt zu verdeutlichen, in welches
Akteursgeflecht sie eingebunden sind. Dies kann
auf der Basis von Ad-hoc-Bewertungen in Form
von Akteursmatrizen fçr jedes der drei prioritåren
Bedarfsfelder spezifiziert werden, wie fçr das Beispiel Bauen und Wohnen veranschaulicht wird14.
Mit Hilfe einer derartigen Darstellung werden die
wichtigsten Handlungsfelder ebenso direkt offensichtlich wie die in jede Politikformulierung einzubeziehenden Akteure. So kann eine Indikatorenund Akteursmatrix zur Integration der Bedingungen nachhaltigen Konsums in eine gesamtgesellschaftliche Transformationsstrategie zu einer
dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung genutzt
werden.
12 Vgl. ebd.
13 Vgl. Sylvia Lorek / Joachim H. Spangenberg, Indicators
for environmentally sustainable household consumption, in:
International Journal of Sustainable Development, 4 (2001)
1, S. 1 ± 23. Vgl. auch die Nachhaltigkeitsindikatoren der britischen Regierung fçr den Bausektor: KPI = Key Performance Indicators Working Group, KPI Report for The Minister for Construction, Department of the Environment,
Transport and the Regions, London 2000.
14 Quelle: S. Lorek/J. H. Spangenberg/C. Felten (Anm. 8),
S. 35.
26
IV. Konsumwandel als Beitrag zu
einer integrierten nachhaltigen
Entwicklung
Mæglichkeiten eines nachhaltigkeitsorientierten
Konsumwandels werden håufig diskutiert, ohne
die parallelen Verånderungen in anderen Lebenssphåren ± insbesondere im Produktionsbereich ±
ins Auge zu fassen. Eine derartige Sichtweise, welche die græûeren Zusammenhånge nicht ausreichend berçcksichtigt, kann jedoch nicht çberzeugen ± Konsumnormen bilden sich nicht nur in
Haushalten, sondern sie stellen gesellschaftliche
Phånomene dar. Erstmalig fçr Deutschland hat die
Studie ¹Arbeit und Úkologieª in einem transdisziplinåren Forschungsprojekt Szenarien nachhaltiger Entwicklung entworfen und auf dieser Basis
Handlungsfelder ermittelt, die sowohl aus sozialwie wirtschafts- und umweltwissenschaftlicher
Sicht von besonderer Bedeutung sind15. Der private Konsum ist eines dieser Handlungsfelder.
Die ækonomisch wirksamen Maûnahmen und die
Ergebnisse ihrer Umsetzung wurden durch eine
Modellierung mit dem ækonometrischen Modell
Panta Rhei16 veranschaulicht: Die in den Szenarien entwickelten Politikansåtze wurden zu Strategiebçndeln zusammengefasst, die ± bei unterschiedlicher Ausgestaltung im Einzelnen ± sowohl
aus ækologischer wie aus ækonomischer und
arbeitswissenschaftlich-soziologischer Sicht strategische Handlungsfelder darstellen. Diese Priorisierung beruht also auf einem wesentlich weiteren
Kriterienraster als die des ækologischen Konsums;
es entspricht weitgehend der eingangs ausgefçhrten Definition nachhaltiger Entwicklung.
Fçnf solcher strategischen Handlungsfelder konnten identifiziert werden. Zu jedem dieser Felder
gehæren eine Anzahl von Schlçsselstrategien, die
fçr eine umfassende sozial-ækologische Reform
unverzichtbar sind, bei denen jedoch erhebliche
Freiheitsgrade in der konkreten politischen Ausgestaltung bestehen. Die zentralen Handlungsfelder
sind
± die ækologische Gestaltung des Strukturwandels
durch fiskalische Instrumente und Information;
± die soziale Gestaltung des Strukturwandels
durch Stårkung der sozialen Sicherheit (soziale
15 Vgl. Deutsches Institut fçr Wirtschaftsforschung u. a.
(Anm. 10); Hans-Bæckler-Stiftung (Hrsg.), Wege in eine
nachhaltige Zukunft. Ergebnisse aus dem Verbundprojekt
Arbeit und Úkologie, Dçsseldorf 2000.
16 Vgl. Bernd Meyer / Andreas Bockermann / Gerd Ewerhard / Carsten Lutz, Marktkonforme Umweltpolitik, Heidelberg 1999.
27
Grundsicherung), Abbau von Geschlechterdiskriminierungen, Qualifikationsmaûnahmen
und eine Aufwertung der Nichterwerbsarbeit;
± Innovationsfærderung durch Bildung, Forschung und Entwicklung, inner- und auûerbetriebliche Partizipation, lernende Organisationen;
± Verkçrzte Arbeitszeiten, die nicht nur Teilzeitstellen (auch fçr Månner) bietet, sondern auch
eine Verkçrzung der Regelarbeitszeit in Verbindung mit besseren Wahlmæglichkeiten und
besserer Verbindbarkeit von Erwerbs- und
Nichterwerbsarbeiten;
± Konsumwandel, der vor allem durch eine die
ækologischen und sozialen Folgekosten mit ausdrçckende Preisgestaltung sowie durch Kennzeichnung und Angebot von Alternativen
zustande kommt.
Fçr eine derartige integrierte Nachhaltigkeitsstrategie reicht es nicht, sich auf ein Politikfeld (sei es
Konsum oder ein anderes) oder sich auf einen eingeschrånkten Instrumentensatz (z.B. Úkosteuern)
allein zu verlassen. Statt dessen ist ein politischer
und methodischer Pluralismus notwendig (aber
auch mæglich und lohnend), der die differenzierten
Gruppen der Gesellschaft in geeigneter Weise
anspricht.
Um Fortschritte im Sinne eines nachhaltigen
Konsums zu erreichen, mçssen die spezifischen
Probleme der verschiedenen Adressatengruppen
gezielt angegangen werden:
1. Fçr die ¹Handlungsbereitenª ist es notwendig,
das gut erreichbare Angebot ækologisch (und
soweit darstellbar sozial) optimierter Gçter
und Dienstleistungen zu ækonomisch adåquaten Preisen auszubauen, z.B. aktuell Lebensmittel aus ækologischem Landbau.
2. Fçr die ¹Zweifelndenª sind vor allem verlåssliche Informationen wichtig, die als Grundlage
fçr Konsumentscheidungen dienen kænnen,
wie z.B. durch standardisierte, nachhaltigkeitsbezogene und unabhångig kontrollierte Kennzeichnungen. Ein anderes Beispiel ist die Konsumentenberatung, die auf die Mæglichkeit des
Ersatzes von Gçtern durch Dienstleistungen
hinweist.
3. Die ¹Zægerndenª kænnen nicht rein argumentativ gewonnen werden (auch wenn Verbraucherbildung eine wichtige Rolle spielt). Hier
mçssen die Ergebnisse einer entsprechend ausgestalteten ækologischen Finanzreform dafçr
sorgen, dass sich das ækologisch Sinnvolle auch
ækonomisch gçnstig darstellt.
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Sind diese drei Bedingungen erfçllt, so kann schon
kurz- bis mittelfristig mit einer stårkeren Úkologisierung des Konsums gerechnet werden.
Eine weitere Voraussetzung eines solchen Konsumwandels ist nicht nur das Vorhandensein von
Informationen, sondern auch der Zugang zu ihnen
(hier sind die Mæglichkeiten der neuen Medien
noch långst nicht ausgeschæpft) sowie die Zeit, sie
zu verarbeiten und umzusetzen. Entspannung und
Muûe statt Freizeitstress sind Voraussetzung nicht
nur fçr mehr Lebensqualitåt, sondern auch fçr
nachhaltigen Konsum.
V. Wohlstand, Konsum und Umwelt
Wenn jeder Kaufakt mit Umweltfolgen verbunden
ist, dann erscheint es plausibel, dass je mehr Geld
ein Individuum oder auch ein Land zur Verfçgung
hat und fçr seinen Konsum ausgeben kann, es
desto mehr die Umwelt belastet (¹Grenzen des
Wachtumsª-Hypothese).
Es kann aber auch der entgegengesetzte Standpunkt eingenommen werden: Je mehr Reichtum
vorhanden ist, desto eher kann in umweltschonende Technologien investiert werden bzw. desto
eher besteht die Mæglichkeit, ækologisch vertrågliche Produkte zu kaufen, die heute in der Regel
teurer sind (¹Grenzen durch Wachstumª-Hypothese). Das Verhåltnis von Konsumniveau und
Úkoeffizienz bestimmt das Wechselspiel von
Reichtum und Úkologie. Welche Pråferenzen
haben aber die Reichen konkret, fçr welche Art
von Konsum entscheiden sie sich, wie viel davon
verbrauchen sie und mit welchen Wirkungen auf
die Umwelt17? Ist ihr Lebensstil schon dadurch in
seinem Wesen nachhaltig, weil die Besitzstruktur
der Reichen auf Dauerhaftigkeit, auf Erhalten und
Vererben angelegt ist? Wie wirkt die Polarisierung
der Einkommens- und Vermægensverhåltnisse18
auf Konsumstrukturen und Umweltbelastung? Mit
Hilfe der oben genannten Indikatoren kann die
einkommensspezifische Ausprågung des Konsums
in den prioritåren Handlungsfeldern analysiert
und so die Umweltwirkung wachsenden Wohlstandes identifiziert werden19.
17 Dieser Beitrag behandelt Reiche lediglich in ihrer Rolle
als Konsumenten, nicht als Besitzer von Produktionsvermægen und auf diesem Wege Beeinflusser von Produktionsmustern. Die Untersuchung orientiert sich am Umweltverbrauch durch den Menschen, folgt also der beschriebenen
Methodik.
18 Vgl. Bundesregierung, Armuts- und Reichtumsbericht,
in: Frankfurter Rundschau vom 25. April 2001, S. 7.
19 Vgl. Sylvia Lorek / Joachim H. Spangenberg, Reichtum
und Úkologie, in: Jærg Stadlinger (Hrsg.), Reichtum in
Deutschland, Mçnster 2001.
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Die Antwort auf die Frage, ob der zunehmende
Wohlstand zu einem abnehmenden Umweltverbrauch fçhrt, lautet: Dies ist nicht der Fall. In zwei
der drei fçr den Umweltverbrauch entscheidenden
Bedarfsfeldern (Bauen und Wohnen sowie Mobilitåt) ist eine gleichgerichtete Entwicklung von
Umweltverbrauch und dem Grad des materiellen
Wohlstandes festzustellen. Wohlstand in Deutschland geht also mit erhæhtem Umweltverbrauch
einher, ist eher mehr Normal-Konsum als anderer,
ækologischer Konsum. Dies ist insbesondere deshalb bedenklich, weil die reichen Bevælkerungsgruppen nach wie vor eine Orientierungsfunktion
fçr die Bevælkerungsmehrheit haben und so einem
qualitativen Wandel der Konsummuster hin zu
mehr Zukunftsfåhigkeit diametral entgegenstehen.
Wenn also Reichtum unter den gegenwårtigen Konsummustern die Umweltbelastung erhæht, fçhrt
dann umgekehrt nachhaltiger Konsum zu Wohlstandsverlusten? Auch gegen diese in der politischen Debatte zum Teil offen vertretene Ansicht
sprechen die vorliegenden Untersuchungen. So zeigt
eine Studie des Rheinisch-Westfålischen Instituts fçr
Wirtschaftsforschung (RWI), dass zwei zentrale
Strategien nachhaltigen Konsums ± ækologische
Produktwahl und gemeinsame Produktnutzung ±
sich durch positive gesamtwirtschaftliche Effekte
auszeichnen20. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP)
stieg in den Modellrechnungen um jeweils rund 20
Milliarden DM und die Beschåftigtenzahl um ca.
130 000, wåhrend der Reststoffanfall sank. Die Wirkung auf die Einkommensverteilung war neutral
bzw. positiv. Untersuchungen zum Effekt der Einfçhrung langlebiger Konsumgçter21 beståtigen diesen Trend: Der Umweltverbrauch sinkt, wåhrend
der Lebensstandard steigt. Allerdings muss angemerkt werden, dass die Verflechtungen von Produktions- und Konsumsphåre sich nicht auf das Einkommen reduzieren lassen, sondern von vielfåltigen
sozialen Faktoren geprågt sind.
VI. Fazit und Ausblick: Fçr einen
Genuss ohne Reue
Der Umweltverbrauch unterschiedlichster Konsumakte ist den Haushalten nicht nach einheit20 Vgl. Bernhard Hillebrand/Klaus Læbbe u. a., Handlungsfelder und Optionen zur Nachhaltigkeit. Ergebnisse aus
dem RWI-Projekt Arbeit und Úkologie, Dçsseldorf 2000,
S. 25 ± 28.
21 Vgl. Sonja Klingert, A Sustainable Consumption Scenario in a System Dynamics Model, Wien 2000 (www.seri.at);
2000. Joachim H. Spangenberg / Ines Omann / Andreas Bokkermann / Bernd Meyer, Modelling Sustainability ± European
and German Approaches, in: Matthies / Malchow / Kriz
(Hrsg.), Integrative Systems Approaches to Natural and Social Dynamics, Berlin-New York 2001.
28
lichen Kriterien zuzurechnen. Der Einfluss der privaten Haushalte auf den Umweltverbrauch låsst
sich aus wissenschaftlicher Sicht nicht pauschal
beziffern. Haushalte sind ein Akteur unter vielen,
nachhaltiger Haushaltskonsum bedarf zu seiner
Realisierung der externen, auch politischen Unterstçtzung: Ein nachhaltiger Lebensstil darf nicht
ståndig finanziell bestraft werden. Also mçssen
Úkosteuern eingefçhrt werden, ebenso wie Abgaben auf kurzlebige und ineffiziente Gçter (das
kænnte fçr Kommunen eine neue, umweltentlastende Einnahmequelle sein), sodass fçr die Verbraucher das ækologisch Richtige auch das ækonomisch Attraktive wird, dass also der ækologischethische Imperativ mit dem ækonomischen zur
Deckung gebracht wird.
Kosten sind jedoch nicht die einzige Verbindung
von Produktion und Konsum. So wurde aufgezeigt, wie sich durch die wechselseitige Entwicklung von Mårkten und Technologien pfadabhångige Entwicklungen verfestigen kænnen, die zu
ståndig steigendem Ressourcenverbrauch fçhren,
wenn die politischen Rahmenbedingungen dies
nicht verhindern22.
Solche Rahmensetzungen werden politisch leichter durchsetzbar, je mehr Leitbilder der nachhaltigen Entwicklung gegençber den herrschenden
neo-klassischen Normen an Boden gewinnen. Leitbilder sind Zielprojektionen, gemeinsamer Fluchtpunkt von Wunsch und Machbarkeitsvorstellungen sozialer Gruppen23. Nachhaltigkeit in der
Breite der genannten vier Dimensionen kann aufgrund ihrer Komplexitåt kein Leitbild sein (und ist
weit davon entfernt, als Norm zu gelten), sie enthålt aber in ihrer Konkretisierung eine Vielzahl
von Leitbildern24. Beispiele hierfçr sind eine
sozial- und umweltfreundliche Mobilitåt, soziales/
ethisches Einkaufsverhalten oder soziale/ethische
Formen der Geldanlage. Nachhaltigkeit als ein
22 Vgl. Viki Sonntag, Sustainability in the light of competitiveness, in: Ecological Economics, 34 (2000) 1, S. 101 ± 113.
23 Vgl. Meinolf Dierkes, Leitbild und Technik, Berlin 1992.
24 Vgl. Joachim H. Spangenberg, Zukunftsfåhigkeit als
Leitbild? Leitbilder, Zukunftsfåhigkeit und die reflexive Moderne, in: Eckart Hildebrandt / Gudrun Linne (Hrsg.), Reflexive Lebensfçhrung, Berlin 2000.
29
gemeinsamer Nenner solcher Leitbilder kann
die unterschiedlichen (Teil-)Ansåtze eines sozialækologischen Zusammenlebens zusammenfçhren.
Insofern stellt Nachhaltigkeit eine (zu konkretisierende) Utopie dar, die eine Alternative zum herrschenden Fortschrittsverståndnis bietet, wie es sich
im Wohlstandskonsum manifestiert.
Neue Leitbilder sind erforderlich, die sich nicht
am Lebensstil der heute Wohlhabenden orientieren ± gleichzeitig bilden diese (und die statistisch
nicht so gut erfassbaren ¹Lifestyle-Gruppenª) eine
wichtige Zielgruppe fçr neue Wohlstandsmodelle,
die dann auch Vorbildfunktion gewinnen kænnten.
Dieser Herausforderung stehen Politik, Umweltund Verbrauchergruppen bisher weitgehend hilflos
gegençber ± dies zum Teil auch deshalb, weil sie
den von anderen hoch geschåtzten Symbolkonsum
(Mode, Kosmetik) ohne ækologische Signifikanz
bekåmpfen, dafçr aber Felder potentieller Ûbereinstimmung (gesunde Ernåhrung) weniger in den
Vordergrund der æffentlichen Diskussion gerçckt
haben. Die BSE-Krise kænnte eine Mæglichkeit
bieten, diese Fronten aufzubrechen und das offensichtliche Bedçrfnis nach Neuorientierungen im
Konsumverhalten durch konkrete Maûnahmen zu
unterstçtzen. Insbesondere im Bereich der
Freizeitmobilitåt wird der Widerspruch von Konsumnachfrage und Umweltfolgen nicht ohne Pråferenzånderungen und Politikrestriktionen aufhebbar sein.
Nachhaltig leben heiût, gut, gesund, partnerschaftlich und tolerant zu leben, den Dingen ihren Wert
gewåhren, bewusst genieûen, auch genussvoll konsumieren. Das heiût auch, auf Qualitåt zu achten,
nicht jeder Mode nachzulaufen, aber auch nicht
jede zu verachten ± das gehært zur Lebensqualitåt.
Nachhaltig konsumieren heiût, sich zu erinnern,
dass das Bessere der Feind des Guten sein sollte,
nicht das Billigere; dass ferner Gemeinschaftlichkeit und Individualismus zusammengehæren wie
Partnerschaftlichkeit und Selbstståndigkeit.
Nachhaltige Lebensstile sind die Kunst des richtigen Verhaltens in falschen Strukturen. Deshalb
braucht es beides ± Politik von oben und Handeln
von unten. Nur zusammen entstehen nachhaltige
Produktions-, Konsum- und Wirtschaftsstrukturen.
Aus Politik und Zeitgeschichte
B 24 / 2001