Location via proxy:   [ UP ]  
[Report a bug]   [Manage cookies]                
© Klaus Rüschhoff, Springer Medizin Nervenarzt 2012 · 83:389–402 DOI 10.1007/s00115-011-3454-9 Online publiziert: 29. Februar 2012 © Springer-Verlag 2012 Punkte sammeln auf... CME.springer.de Teilnahmemöglichkeiten - kostenfrei im Rahmen des jeweiligen Zeitschriftenabonnements - individuelle Teilnahme durch den Erwerb von CME.Tickets auf CME.springer.de Zertifizierung Diese Fortbildungseinheit ist mit 3 CME-Punkten zertifiziert von der Landesärztekammer Hessen und der Nordrheinischen Akademie für Ärztliche Fort- und Weiterbildung und damit auch für andere Ärztekammern anerkennungsfähig. Hinweis für Leser aus Österreich Gemäß dem Diplom-FortbildungsProgramm (DFP) der Österreichischen Ärztekammer werden die auf CME. springer.de erworbenen CME-Punkte hierfür 1:1 als fachspezifische Fortbildung anerkannt. Kontakt und weitere Informationen Springer-Verlag GmbH Fachzeitschriften Medizin / Psychologie CME-Helpdesk, Tiergartenstraße 17 69121 Heidelberg E-Mail: cme@springer.com CME Weiterbildung Zertifizierte Fortbildung M. Jäger · W. Rössler Klinik für Soziale Psychiatrie und Allgemeinpsychiatrie, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich Psychiatrische Versorgungsepidemiologie Zusammenfassung Psychiatrische Versorgungsepidemiologie untersucht die Situation der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen unter Alltagsbedingungen. Psychiatrische Versorgungsstrukturen in Deutschland haben sich in den letzten Jahrzehnten weg von stationärer Behandlung mit teilweise mehrmonatiger Aufenthaltsdauer hin zu dezentralen teilstationären und ambulanten Angeboten entwickelt. Derzeit hat sich die Verschiebung von Behandlungskapazitäten zwischen den Settings stabilisiert und der Schwerpunkt der Versorgungsplanung liegt mehr auf der Entwicklung von möglichst flächendeckenden Strukturen zur Vernetzung der oftmals noch fragmentierten und streng an den Sektorgrenzen orientierten Versorgungslandschaft. Der Versorgungsbedarf hängt mit einer Vielzahl Faktoren wie den epidemiologischen Daten der Bevölkerung, der Inanspruchnahme und den gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen zusammen. Ob die derzeitigen Versorgungsstrukturen den aktuellen Bedarf abdecken und den Qualitätsansprüchen genügen, ist aufgrund der spärlichen Datenlage und dem Mangel an Referenzmaßstäben nur schwer zu beurteilen. Ein substanzieller Ausbau psychiatrischer Versorgungsforschung in den kommenden Jahren ist hierfür grundlegend erforderlich. Schlüsselwörter Psychiatrie · Versorgungsforschung · Epidemiologie · Inanspruchnahme · Versorgungsstruktur Der Nervenarzt 3 · 2012 | 389 CME Nach Lektüre dieses Beitrages… F kennen Sie Aufbau und Vernetzung der psychiatrischen Versorgung. F wissen Sie, wie das Inanspruchnahmeverhalten der Bevölkerung den Versorgungsbedarf beeinflusst. F können Sie die derzeitige psychiatrische Versorgungssituation unter Berücksichtigung gesundheitsökonomischer Aspekte darlegen. Unter Gesundheits- bzw. Krankenversorgung wird im Allgemeinen die Behandlung, Pflege, Diagnostik und Nachsorge von Menschen mit somatischen und psychischen Leiden sowie Gesundheitsförderung und Prävention durch medizinische und nichtmedizinische Einrichtungen verstanden. Unterschieden werden drei Ebenen der Versorgung: F die Makroebene der Gesundheitssysteme, F die Mesoebene der Institutionen und F die Mikroebene der Behandlung der einzelnen Person im engeren Sinne. Versorgungsepidemiologie analysiert die Auswirkungen des Versorgungssystems auf definierte gesundheitsbezogene Parameter Gegenstand der Versorgungsepidemiologie ist die Analyse der Auswirkungen des Versorgungssystems bzw. dessen Komponenten auf definierte gesundheitsbezogene Outcomeparameter wie Gesundheit, Lebenserwartung und Lebensqualität auf der Bevölkerungsebene. Versorgungsepidemiologie in einer weiter gefassten Definition untersucht die tatsächliche Situation der Gesundheits- und Krankenversorgung unter Alltagsbedingungen anhand von Primärdaten, d. h. bevölkerungsbezogenen Surveys im Sinne quantitativer Quer- und Längsschnittstudien sowie Sekundärdaten, z. B. Routinedaten der Kostenträger und bevölkerungsbezogenen Krankheitsregister. Aufgaben der versorgungsepidemiologischen Forschung umfassen Beschreibung und Analyse der Versorgungssituation, Erforschung des Versorgungsbedarfs und der Versorgungsqualität, Entwicklung von Versorgungskonzepten, wissenschaftliche Begleitung der Implementierung neuer und Evaluierung bestehender Versorgungskonzepte sowie gesundheitsökonomische Analysen [9]. Im folgenden Artikel werden grundlegende Aspekte psychiatrischer Versorgung in Deutschland anhand epidemiologischer Daten und weiterer versorgungsrelevanter Grundlagen dargestellt. Jüngere Entwicklung psychiatrischer Versorgungsstrukturen Die Rahmenbedingungen psychiatrischer Versorgung unterliegen einem stetigen Wandel und werden von vielfältigen übergeordneten Faktoren wie gesellschaftliche Normen, Gesundheitspolitik, zivil- und strafrechtliche Grundlagen, diagnostische und therapeutische Entwicklungen sowie den In- Epidemiology of mental health care Summary Mental health care epidemiology seeks to investigate the practical situation of the health care system and services for individuals with mental disorders. In the past decades, mental health care structures in Germany were successively transformed from long-term inpatient treatment capacities to decentralized outpatient and day clinic services. Currently, the proportional relation between treatment facilities in different settings has been stabilized and the strategy of mental health care development focuses on innovative and integrative models of care provision. The aim is to integrate fragmented services by the introduction of network structures to overcome rigid sector boundaries. The need for health care services is associated with multiple factors such as population-based epidemiological data, usage behavior, and health politics. Due to scarce data and poor standards of care it is difficult to determine if current structures of mental health services cover the actual needs. Therefore, a substantial increase of mental health service research is needed. Keywords Psychiatry · Mental health service research · Epidemiology · Service use · Community mental health care 390 | Der Nervenarzt 3 · 2012 CME teressen von Leistungs- und Kostenträgern und Nutzerorganisationen beeinflusst. Seit der Veröffentlichung des Enqueteberichtes zur Lage der psychiatrisch-psychotherapeutischen und psychosomatischen Versorgung in Deutschland 1975 wurde die Notwendigkeit von Versorgungsreformen mehr als deutlich [4]. Der damals initiierte Veränderungsprozess der psychiatrischen Versorgung gestaltete sich in verschiedenen Bundesländern unterschiedlich und dauert bis heute an. Vor dem Hintergrund eines gesamtgesellschaftlichen Wertewandels haben sich seither auch das Selbstverständnis und die Rolle des Arztes wie auch anderer medizinisch Tätiger geändert. Anstelle eines fürsorgenden Paternalismus ist die Maxime einer autonomiefördernden, selbstbefähigenden professionellen Haltung („empowerment“) von zunehmender Bedeutung in der medizinischen Versorgung allgemein und speziell in der Psychiatrie. Behandlungsangebote sollen mit möglichst wenigen Einschränkungen für die Betroffenen verbunden sein und die Behandlung soll bevorzugt am Alltag orientiert stattfinden. In diesem Wertprinzip gründet der Vorrang der ambulanten vor der stationären Versorgung. Mit dem Ziel der Förderung der Selbstbestimmung psychisch Kranker, deren Integration in ein gemeindenahes soziales Umfeld sowie der Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen begann ein Abbau stationärer Kapazitäten mit konsekutiver Verkürzung der Aufenthaltsdauer (Deinstitutionalisierung) und ein Ausbau ambulanter dezentraler Behandlungseinrichtungen. Es herrscht Konsens darüber, dass Versorgungsangebote leicht zugänglich, die Anreisewege kurz und die Institutionen nicht stigmatisierend sein sollten, z. B. durch Einbindung in die allgemein-medizinischen Versorgungsstrukturen. Die Versorgungsangebote entwickeln sich weg von der Institutionszentrierung hin zur Patientenzentrierung, d. h. dass die Bedürfnisse der Patienten institutionsübergreifend betrachtet werden. Aktuelle Entwicklungen in der Versorgungsgestaltung haben nicht mehr so sehr die Verlagerung der Ressourcen von stationären in gemeindenahe Angebote zum Gegenstand, sondern fokussieren mehr unter fachlichen und ökonomischen Gesichtspunkten auf die Vernetzung und Koordination der bestehenden Versorgungsangebote untereinander im Sinne regionaler Verbundstrukturen. Große Hoffnungen liegen auf verschiedenen Modellversuchen zur integrierten Versorgung. Hier liegt auch eins der Hauptaufgabenfelder für die Versorgungsgestaltung und -forschung in den nächsten Jahren. Behandlungsangebote sollen mit möglichst wenigen Einschränkungen für die Betroffenen verbunden sein Aktuelle Entwicklungen fokussieren auf die Vernetzung und Koordination der bestehenden Versorgungsangebote Versorgungsbedarf Der Versorgungsbedarf einer bestimmten Region hängt mit einer Vielzahl subjektiver und objektiver Faktoren auf unterschiedlichen Ebenen zusammen. Gesundheitspolitische Entscheidungen, gesellschaftliche Diskurse und Erwartungen sowie medizinische Optionen und Grenzen für die Behandlung wirken sich auf die Umschreibung des Versorgungsbedarfs ebenso aus wie verfügbare Ressourcen, kosteneffiziente Interventionen, vorhandene Versorgungsstrukturen und bevölkerungsbezogene Basisdaten zu Morbidität und Risikostruktur. Im Idealfall entspricht das psychiatrische Versorgungsangebot genau dem Bedarf der Bevölkerung. Bedarfsgerechte medizinische Maßnahmen sollen gemäß den Vorgaben des Gesetzgebers notwendig, ausreichend und zweckmäßig sein. In der klinischen Praxis ist das Ausmaß der Bedarfsdeckung jedoch kaum objektivierbar, sondern abhängig von der jeweiligen Perspektive und Zielsetzung. Zweifellos ist das übergeordnete Ziel der Gesundheitsversorgung, den Gesundheitszustand der Bevölkerung zu verbessern [20]. Zur Bedarfsdeckung sieht der Gesetzgeber aber nur eine mittlere Ausstattung vor, d. h. dass gewisse Versorgungslücken bewusst in Kauf genommen werden, weil der Aufwand und die Kosten bei einer vollständigen Bedarfsdeckung exponentiell steigen. Die Ermittlung des psychiatrischen Versorgungsbedarfs beginnt mit der epidemiologischen Erfassung der Häufigkeit psychischer Störungen in der Bevölkerung (Morbidität). Aus diesen Zahlen alleine lässt sich jedoch nicht der Bedarf an psychiatrischer Versorgung unmittelbar ableiten. Die klinische Epidemiologie kann allenfalls den hypothetischen Versorgungsbedarf aufgrund von Prävalenzen, Inzidenzen, Risikofaktoren, Verlaufsformen und prognostischen Kriterien in Verbindung mit den daraus resultierenden Funktionseinschränkungen für den Alltag der Betroffenen beschreiben [3]. Ein Versorgungsbedarf kann sich in jedem Fall nur dort ergeben, wo auch wirksame Interventionen zur Verfügung stehen. Die potenziellen Versorgungsoptionen müssen aber nicht nur klinisch wirksam, sondern auch kosteneffizient sein, da die Versorgungsplanung immer mit limitierten Ressourcen umgehen und diese sinnvoll und im Idealfall gerecht verteilen muss. Dies bedeutet, Versorgungslücken werden in Kauf genommen, da Aufwand und Kosten bei vollständiger Bedarfsdeckung exponentiell steigen Die potenziellen Versorgungsoptionen müssen klinisch wirksam und kosteneffizient sein Der Nervenarzt 3 · 2012 | 391 CME Essstörungen Zwangsstörungen Drogenabhängigkeit Bipolare Störungen Panikstörungen Generalisierte Angststörung Psychotische Störungen Dysthymie Alkoholabhängigkeit Depressive Störungen Somatoforme Störungen Phobien 0 5 10 15 Abb. 1 8 12-Monats-Prävalenzen (%) ausgewählter psychischer Störungen (n = 4181 [18- bis 65-Jährige im Bundesgebiet]). Daten des Bundesgesundheitssurveys 1998, Zusatzsurvey „Psychische Störungen“. (Nach [23]) dass von zwei gleich wirksamen Interventionen immer die kostengünstigere Intervention Vorrang hat. Dies gebieten die Ethik des Gesundheitswesens und der sparsame Umgang mit den Ressourcen. Morbidität Die 12-Monats-Prävalenz psychischer Erkrankungen bei Personen zwischen 18 und 65 Jahren liegt in Deutschland bei 32% 392 | Der Nervenarzt 3 · 2012 Die Bedeutung psychiatrischer Erkrankungen für die Gesundheit der Allgemeinbevölkerung wurde lange Zeit unterschätzt. Zuverlässige Daten zur Häufigkeit in der Allgemeinbevölkerung liegen in Deutschland erst seit den 1990er Jahren vor. Die 12-Monats-Prävalenz psychischer Erkrankungen bei Personen zwischen 18 und 65 Jahren liegt in Deutschland bei 32%, in Europa im Durchschnitt bei 27% [24]. Frauen sind etwa 1,5-mal so oft betroffen wie Männer. Die häufigsten psychiatrischen Störungen sind gemäß den Daten des letzten Bundesgesundheitssurveys von 1998/99 Angsterkrankungen, gefolgt von affektiven und somatoformen Störungen sowie Abhängigkeitserkrankungen (. Abb. 1). Eine Besonderheit psychischer Störungen liegt auch in dem frühen Beginn im Jugendalter und jungen Erwachsenenalter mit einem beträchtlichen Chronizitätsrisiko. Komorbidität von zwei oder mehr psychiatrischen Erkrankungen liegt bei 48% der Betroffenen vor [23]. Die hier aufgeführten Diagnosegruppen umfassen nach Schätzungen der American Psychiatric Association jedoch nur rund 75% der behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankungen in der Bevölkerung. Morbiditätsdaten einer Bevölkerungsgruppe sind jedoch keineswegs rein objektiv und frei von äußeren Einflüssen, da psychische Störungen keine natürlichen Entitäten darstellen. Die Definition psychischer Erkrankungen ist ein dynamischer Prozess und unterliegt Konsensusentscheidungen psychiatrisch-medizinischer Fachgesellschaften wie der American Psychiatric Association (APA) und der World Health Organization (WHO), welche die beiden gebräuchlichsten Diagnosemanuale DSM und ICD herausgeben. Veränderungen der aktuell kategorial organisierten diagnostisch-nosologischen Manuale und Krankheitskriterien können dadurch unmittelbar eine Verschiebung epidemiologischer Kennzahlen zur Folge haben. Hierdurch werden Individuen als krank definiert und ein Versorgungsbedarf generiert, der auf einer individuellen Ebene, etwa bei fehlenden Beschwerden oder Leidensdruck, nicht vorhanden ist. Andererseits werden „subklinische“ Störungsbilder, die mit erheblichem subjektivem Leid verbunden sein können, in die Kategorie des Gesunden eingeordnet und damit Menschen mit einem konkreten Behandlungsbedürfnis aus der Versorgungsplanung ausgeschlossen [8]. Infolge dessen berücksichtigen die aktuellen Versionen der diagnostischen Manuale ICD-10 und DSM-IV wie auch ihre Nachfolgeversionen, die in den nächsten Jahren eingeführt wer- CME Abhängigkeitserkrankungen Irgendeine Diagnose Somatoforme Störungen Phobische Störungen Abb. 2 7 Behandlungsquoten (%) nach Störungsgruppen (n = 4181 [18- bis 65-Jährige im Bundesgebiet]). * Mögliche psychotische Störungen, Essstörungen. Daten des Bundesgesundheitssurvey 1998, Zusatzsurvey „Psychische Störungen“. (Nach [23]) Affektive Störungen Andere Störungen* Panikstörung/ Gen. Angststörung 0 20 40 60 80 den, zunehmend psychosoziale Konsequenzen im Sinne funktioneller Beeinträchtigungen in der sozialen Teilhabe und der Arbeitsfähigkeit sowie den subjektiven Leidensdruck in der Diagnosestellung und nähern sich damit Kriterien der Inanspruchnahme an. Inanspruchnahme Die Alltagspraxis der Bedarfsplanung in einer Versorgungsregion hängt neben morbiditätsbezogenen, objektivierbaren Daten wesentlich von subjektiven Faktoren auf Seite der Nutzer psychiatrischer Versorgung ab. Das Inanspruchnahmeverhalten der Betroffenen unterliegt neben der individuell-subjektiven Einschätzung der eigenen Behandlungsbedürftigkeit sowie Empfehlungen aus dem privaten Umfeld und den professionellen medizinischen Bezugspersonen weiterhin Einflussfaktoren ihrer sozialen und ökonomischen Lebensbedingungen. Der Anteil von einer psychiatrischen Erkrankung betroffenen Personen, die eine psychiatrische Behandlung aufsuchen, variiert in Abhängigkeit von der Grunderkrankung und liegt im Durchschnitt bei 30%. Diese sog. epidemiologische Behandlungsdifferenz weist noch erhebliches Steigerungspotenzial auf. In Deutschland ergab die Erhebung des Bundesgesundheitssurveys von 1998/99 eine Behandlungsquote von 36,4% aller psychischen Störungen unabhängig von der Behandlungseinrichtung [23]. Die niedrigste Quote wiesen Substanzstörungen auf (29%), die höchste Behandlungsquote lag bei affektiven, psychotischen und Essstörungen vor (> 50%; . Abb. 2). Einweisungen in psychiatrische Kliniken erfolgen am häufigsten durch die Patienten selbst (26% der stationären Aufnahmen), gefolgt von somatischen Kliniken (19%), Allgemeinärzten (18%), niedergelassene Psychiater (10%) sowie Notärzten, Angehörigen und Polizei (je 5%; [10]). Die Inanspruchnahme psychiatrischer Behandlungen nimmt seit Jahren stetig zu, was zum Teil mit dem Ausbau von Behandlungsangeboten, der besseren Zugänglichkeit und der Abnahme gesellschaftlicher Stigmatisierung einiger psychiatrischer Erkrankungen erklärbar ist, wogegen ein (häufig vermuteter) Anstieg deren Inzidenz eher unwahrscheinlich ist [19]. Die Zahl der Behandlungsfälle wegen psychischer Erkrankungen stieg zwischen 1994 und 2005 um 35% an und liegt damit deutlich über dem Anstieg der stationären Behandlungsfälle insgesamt, der im selben Zeitraum um rund 13% zunahm und seit 2002 sogar wieder rückläufig ist ([1], nach Daten des Statistischen Bundesamts). Auch die Zusammensetzung der stationär behandelten Patienten hat sich in den letzten Jahrzehnten dramatisch geändert. Während früher Personen mit einer schizophrenen Erkrankung die Krankenhauspopulation dominierten, sind schizophrene Erkrankungen nur noch ein Krankheitsbild unter vielen [15]. Gesamthaft sind die Art, der Schweregrad und der Verlauf einer Erkrankung, eventuell in Komorbidität mit anderen Erkrankungen, entscheidend für das Inanspruchnahmeverhalten. Grundsätzlich steigt die Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme somatischer Versorgungsangebote, wenn eine psychische Störung vorliegt. Insbesondere depressive, somatoforme und Angststörungen sowie Alkohol- und Drogenabhängigkeit führen zu erhöhter Inanspruchnahme allgemeinmedizinischer Behandlungsangebote, sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich. Der Anteil Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen in Hausarztpraxen wird auf 25–30% geschätzt [16]. Bei der Inanspruchnahme psychiatrischer Institutsambulanzen und sozialpsychiatrischer Dienste machen Patienten mit Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis einen Anteil von über 40% Der Anteil psychiatrisch erkrankter Personen, die eine psychiatrische Behandlung aufsuchen, liegt im Durchschnitt bei 30% Die Inanspruchnahme psychiatrischer Behandlungen nimmt seit Jahren stetig zu Art, Schweregrad und Verlauf einer Erkrankung sind entscheidend für das Inanspruchnahmeverhalten Der Nervenarzt 3 · 2012 | 393 CME Tab. 1 Einflussfaktoren auf eine höhere Inanspruchnahme psychiatrischer Versorgungsstrukturen. (Nach [6]) Soziodemographische Faktoren Alleine lebend Niedriger sozioökonomischer Status (Bildungsstand, Einkommen) Inkonsistente Befunde für Alter und Geschlecht Krankheitsbezogene Faktoren Höherer Schweregrad Chronischer Verlauf Komorbidität Störungsbild, je nach Art des Versorgungsangebots Ungünstigeres Gesundheitsverhalten Geringeres Kohärenzgefühl Externale Kontrollüberzeugungen Frühere psychiatrische Hospitalisierungen Regionale Faktoren Höhere Arbeitslosenquote Soziale Deprivation Höherer Urbanitätsgrad Geringerer sozialer Zusammenhalt Versorgungssystembezogene Faktoren Hohe Dichte an Versorgungsangeboten Gute Erreichbarkeit Niedrige Aufnahmeschwelle Gute hausärztliche Versorgung (aber geringere Inanspruchnahme spezialisierter somatischer Versorgungsangebote) Gute Entlassungs- und Nachsorgeplanung der psychiatrischen Kliniken aus. Patientinnen und Patienten mit Alkoholabhängigkeit sind in der spezialisierten psychiatrischen Behandlung eher unterrepräsentiert; sie nutzen häufiger somatische Versorgungsstrukturen und weisen eine geringe Behandlungskontinuität auf. Drogenabhängige befinden sich dagegen häufiger in allgemeinpsychiatrischer Behandlung. Einflussfaktoren auf die Inanspruchnahme bei psychiatrischen Patienten sind in . Tab. 1 aufgeführt [6]. „Heavy user“ Ein Risikofaktor für hohe Behandlungsfrequenz ist ein Alter unter 30 und über 70 Jahren bei Ersthospitalisierung 394 | Der Nervenarzt 3 · 2012 Eine Auswertung von Daten der Schweizer Gesundheitsstatistik zeigt, dass in den Jahren von 2002 bis 2006 die Anzahl der stationären Behandlungsfälle um fast 10% zugenommen hat, die Anzahl der behandelten Patienten jedoch konstant geblieben ist. Die Anzahl der Wiedereintritte ist dementsprechend mit 30% deutlich angestiegen [12]. Im Zuge des Abbaus stationärer Kapazitäten und des Transfers der Behandlung chronisch beeinträchtigter Patienten in die ambulanten und teilstationären Versorgungsstrukturen wurden Langzeithospitalisierungen eine Rarität. Häufigere kürzere Aufenthalte dieser Patientengruppe, die wegen ihrer intensiven Inanspruchnahme psychiatrischer Versorgungsstrukturen oft als „heavy user“ bezeichnet werden, sind die Folge dieser Entwicklung. Das Problem der „Drehtürpsychiatrie“ beinhaltet die Befürchtung, dass Patienten wegen der angestrebten Verkürzung der Aufenthaltsdauern zu früh und instabil aus den Kliniken entlassen und nach kurzer Zeit in dekompensiertem psychischem Zustand wieder aufgenommen werden müssen. Analysen von Daten der Schweizerischen Medizinstatistik zeigen, dass fast 90% aller Psychiatriepatientinnen und -patienten einen niedrigen Ressourcenverbrauch durch Krankenhausaufenthalte aufweisen. Risikofaktoren von Patienten mit hoher Behandlungsfrequenz und relativ kurzer Zeit außerhalb der Klinik sind organische psychische Störungen, Schizophrenien und Persönlichkeitsstörungen, Alter unter 30 und über 70 Jahren bei Ersthospitalisierung [7]. In der Gruppe der Patienten mit schizophrener Psychose werden 60% in 5 Jahren nach einer ersten Krankenhausbehandlung nur einmal stationär behandelt, während 10% dieser Patienten für 50% der gesamten kumulierten sta- CME tionären Behandlungstage dieser Diagnosegruppe verantwortlich zeichnen. Auch in dieser Patientengruppe ist ein jüngeres Alter bei Ersterkrankung als Risikofaktor zu werten, ebenso komorbider Substanzabusus und desintegrierte Lebensumstände [14]. Versorgungssituation Die Versorgung psychiatrischer Patienten besteht derzeit im Wesentlichen aus (teil-)stationären, ambulanten und komplementären Angeboten verschiedener Einrichtungen und Institutionen sowie spezialisierten Einzelpersonen. Die stationäre Versorgung wird getragen durch Fachkrankenhäuser für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Psychosomatik, Rehabilitationskliniken, Fachabteilungen für Psychiatrie und Psychotherapie bzw. Psychosomatik in Allgemeinkrankenhäusern und Kriseninterventionszentren. Im ambulanten Bereich bestehen Behandlungsangebote von Hausärzten, Nervenärzten, Ärzten für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie, ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten, psychiatrischen und psychotherapeutischen Instituts- und Hochschulambulanzen, sozialpsychiatrischen Diensten sowie Kriseninterventionszentren und Beratungsstellen. Im komplementären Bereich ergänzen Angebote psychosozialer Einrichtungen die Versorgung psychiatrischer Patientinnen und Patienten. Diese Art Therapien sind stärker als biologische und psychotherapeutische Behandlungen in ihrer Wirksamkeit von organisatorischen Aspekten und ihrer Implementierung abhängig [18]. Sie dienen als Bindeglied zwischen der medizinisch-psychiatrischen Behandlung und dem psychosozialen Umfeld der Patienten. Zu den komplementären Angeboten gehören insbesondere Wohnheime, betreute Wohngruppen und betreutes Einzelwohnen, Tageszentren, geschützte Werkstätten, subventionierte Arbeitsplätze, Ergotherapie, Soziotherapie, Sozialarbeit und ambulante psychiatrische Pflege. In ausgebauten Versorgungssystemen können die Kosten der komplementären Versorgung die Kosten der direkten medizinisch-psychiatrischen Versorgung überschreiten [21]. Darüber hinaus sind Selbsthilfegruppen von und für Angehörigen und Betroffenen verbreitet. Behandlungskonzepte und -programme sind häufig komplex und erfordern die enge Vernetzung von verschiedenen professionellen Anbietern unterschiedlicher Disziplinen. Der Koordination der Angebote und des Behandlungsprozesses durch Case-Manager kommt dabei zunehmend eine zentrale Bedeutung zu. Im komplementären Bereich ergänzen Angebote psychosozialer Einrichtungen die Versorgung Die Koordination der Angebote und des Behandlungsprozesses durch Case-Manager hat eine zentrale Bedeutung Stationäre und teilstationäre Versorgung Die Entwicklung stationärer Versorgungskapazitäten seit Beginn der Psychiatriereform zeigt sich insbesondere im Abbau von Betten insbesondere aus den ehemaligen Langzeitbereichen der großen Fachkliniken. Die Etablierung dezentralisierter psychiatrischer Fachabteilungen an Allgemeinkrankenhäusern fand vornehmlich in den größeren Städten und in den neuen Bundesländern statt. Die klinischen Kapazitäten der einzelnen Bundesländer haben sich über die Jahre zwar deutlich angeglichen, jedoch bestehen weiterhin markante regionale Unterschiede, wobei v. a. in den großen Städten mehr Betten als im Durchschnitt vorgehalten werden. Gleiches gilt für die teilstationären Plätze, die in den letzten Jahren weiterhin – jedoch in geringerem Ausmaß als in den 1980er und 1990er Jahren – ausgebaut wurden und in den urbanen Regionen in höherer Dichte vorhanden sind. Der Abbau stationärer zugunsten teilstationärer Kapazitäten ist zwar nicht abgeschlossen, die Zahlen der Standorte und Kapazitäten hat sich in den letzten 10 Jahren jedoch weitestgehend auf dem erreichten Niveau stabilisiert. In Deutschland gab es im Jahr 2005 217 Fachkrankenhäuser für Psychiatrie und Psychotherapie, 217 Fachabteilungen für Psychiatrie und Psychotherapie an Allgemeinkrankenhäusern sowie 187 Fachkrankenhäuser und Fachabteilungen für Psychosomatik. Letztere übernehmen traditionellerweise eher rehabilitative Aufgabenbereiche für ein selektives Klientel (da meist keine Aufnahmepflicht besteht), was in der Fachwelt zu dezidierter Kritik und der Forderung der Integration psychosomatisch ausgewiesener Behandlungsangebote in die psychiatrischen Versorgungsstrukturen führte [22]. Die Gesamtkapazität für die Behandlung in diesen Einrichtungen betrug 54.581 vollstationäre und 10.507 teilstationäre Plätze ohne forensische Psychiatrie, wobei 62% der Betten von den Fachkrankenhäusern vorgehalten werden. Dies entspricht durchschnittlich einem Behandlungsplatz pro 1269 Einwohner [13]. Die Zahl der stationären Behandlungsfälle nahm von 1994 bis 2008 von 770.514 auf 1.127.971 Fälle um 46,4% zu. Die Verweildauer sank zwischen 1990 und 2008 von 51 auf Stationäre und teilstationäre Kapazitäten haben sich auf dem erreichten Niveau stabilisiert Im Jahr 2005 betrug die Gesamtkapazität 54.581 vollstationäre und 10.507 teilstationäre Plätze Der Nervenarzt 3 · 2012 | 395 CME 23 Tage, was jedoch einen Anstieg der individuellen Wiederaufnahmeraten zur Folge hatte (Daten des Statistischen Bundesamtes, nach [22]). Die Bettenkapazität in psychiatrischen Fachkrankenhäusern ist seit einigen Jahren rückläufig, teilstationäre Kapazitäten werden dagegen langsam ausgebaut. Der Anteil teilstationärer Plätze an den gesamten stationären und teilstationären Kapazitäten machte im Jahr 2007 je nach Region zwischen 11 und 26% aus. Eine interessante Entwicklung stellen die sog. Akuttageskliniken dar. Sie ergänzen nicht nur das Angebot der stationären Einheiten, sondern sind eine echte Alternative für stationäre Behandlung insbesondere für nicht erheblich selbst- oder fremdgefährliche Personen. Experten gehen davon aus, dass ein Viertel bisher stationär behandelter Patienten mit gleicher Qualität akuttagesklinisch behandelt werden könnte [11]. Ambulante Versorgung Die ambulante psychiatrische Versorgung ist auf Institutsambulanzen, sozialpsychiatrische Dienste und Vertragsärzte verteilt Die Arzt- und Psychotherapeutendichte ist regional unterschiedlich zu ungunsten der ostdeutschen Bundesländer Zwischen 1994 und 2005 hat sich die Anzahl ärztlicher Psychotherapeuten verdoppelt Die ambulante psychiatrische Versorgung ist auf verschiedene Angebote wie Institutsambulanzen, sozialpsychiatrische Dienste und Vertragsärzte verteilt, die bislang von wenigen Koordinationsstrukturen gesteuert werden. Integrierte Versorgungskonzepte folgen aktuell zunehmend dem Anliegen, dieses Defizit zu kompensieren (s. unten). Außerdem wird beklagt, dass in der ambulanten Versorgung psychotherapeutische Angebote weitaus besser als die Behandlung chronisch kranker Menschen finanziert sind [17]. Die Anzahl der psychiatrischen Institutsambulanzen (PIAs) betrug 434 im Jahr 2005 mit 459.302 abgerechneten Fällen, variierend zwischen 884 und 3335 Fälle pro PIA. Die Zahl der Einwohner pro Institutsambulanz ist bundesweit mit 180.000 relativ stabil. Die Anzahl der niedergelassenen Fachärzte für Psychiatrie, Psychiatrie und Psychotherapie, Psychiatrie und Neurologie sowie Nervenheilkunde betrug 4689, entsprechend einem Facharzt für 17.590 Einwohner, wobei diese Zahl jedoch einer erheblichen regionalen Variabilität unterliegt (zwischen einem Facharzt pro 7000 Einwohner in Bremen und mehr als 26.000 in Brandenburg). Hinzu kamen 6775 ärztliche und 12.508 psychologische Psychotherapeuten [13]. In Bezug auf die Arzt- und Psychotherapeutendichte bestehen erhebliche regionale Unterschiede zu ungunsten der ostdeutschen Bundesländer mit Ausnahme Berlins. Die gesamte jährliche Fallzahl der genannten Fachgruppen (inkl. Kinder- und Jugendpsychiater) hat sich zwischen 1994 und 2004 von 8,7 Mio. auf 16 Mio. beinahe verdoppelt. 78% der Fälle im Jahr 2004 wurden von den Nervenärzte, Psychiatern, Neurologen und Kinder- und Jugendpsychiatern versorgt, der Anteil der Psychotherapeuten betrug 22%. Die Fallzahl der Ärzte nahm dabei seit 1994 um 50% zu, während sich die Fallzahl der ärztlichen Psychotherapeuten um 225% erhöhte [1]. Zwischen 1994 und 2005 stiegen die Zahlen der Ärzte und Psychotherapeuten kontinuierlich an. Den größten Zuwachs zeigten die ärztlichen Psychotherapeuten, deren Anzahl sich mehr als verdoppelte, wogegen die Zahl der Nervenärzte, Neurologen und Psychiater nur gering zunahm und sich im Vergleich zu der Gesamtzahl der Vertragsärzte leicht unterproportional entwickelte. Die Zahl der psychologischen Psychotherapeuten nahm um knapp 50% zu. Die Hausärzte deckten einen substanziellen Anteil von 20% des neurologisch-psychiatrischen Leistungsvolumens ab, 28% wurden von neurologischen und psychiatrischen Fachärzten abgerechnet, 50% entfielen auf den Bereich der Psychotherapie (Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, nach [1]). Eine Übersicht der Kennzahlen der vertragsärztlichen neurologisch-psychiatrischen ambulanten Versorgung 2004 ist in . Tab. 2 dargestellt. Komplementärer Bereich Komplementäre Angebote verfolgen in besonderem Ausmaß rehabilitative Anliegen für psychisch erkrankte Menschen in den Bereichen Alltagsgestaltung und soziale Wiedereingliederung unter den Paradigmen „Teilhabe verwirklichen“, „Gleichstellung durchsetzen“ und „Selbstbestimmung ermöglichen“. Auch in den Bereichen Wohnen, Arbeiten und Alltagsgestaltung ist die Ausgangslage der Versorgungsangebote eher vom Fürsorge- und Versorgungsgedanken geprägt anstelle von Normalität und sozialer Integration. Eine Verlagerung von Sondereinrichtungen wie Wohnheimen und geschützten Werkstätten hin zu gemeindenahen integrativen und wenn möglich ambulanten Angeboten kennzeichnet jüngere Entwicklungen der komplementären Versorgungsangebote. Ambulant begleitete Wohnformen, dezentralisierte integrierte Tagesstrukturen und früh platzierende Angebo- 396 | Der Nervenarzt 3 · 2012 CME Tab. 2 Kennzahlen der vertragsärztlichen neurologisch-psychiatrischen Versorgung (2004)a Anzahl Fallzahl Leistungsmenge (Punkte) Honorar der Fachgruppe (EUR) Fälle pro Arzt/Therapeut Leistungen pro Arzt/Therapeut (Punkte) Honorar pro Arzt/Therapeut (EUR) Leistungen pro Fall (Punkte) Honorar pro Fall (EUR) Nervenärzte, Neurologen, Psychiater, Kinder- und Jugendpsychiater 4.717 12.442.748 18.584.040.166 695.684.402 2.638 3.939.801 Ärztliche und psychologische Psychotherapeuten 18.104 3.584.862 22.901.997.768 1.008.669.902 198 1.268.024 147.484 1.494 56 55.715 6.389 281 a Daten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, nach [1]. te in der Arbeitsrehabilitation gelten als erstrebenswerte Angebote und zeigen sich in der Evaluation den traditionellen Angeboten überlegen. Arbeit Gerade bei der Arbeitsrehabilitation zeigte sich, dass traditionelle Ansätze wenig effektiv waren, da die Diskrepanz zwischen medizinisch-beruflicher Rehabilitation und allgemeinem Arbeitsmarkt immer größer wurde und die Teilnehmer trotz umfangreicher Vorbereitung in geschütztem Rahmen anschließend im praktischen Arbeitsleben rasch überlastet waren. Für neuere Ansätze wie „supported employment“, d. h. Platzierung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit individueller Unterstützung durch Jobcoaches, konnte gezeigt werden, dass der langfristige Erfolg in Bezug auf den Erhalt des Arbeitsplatzes auf dem freien Markt deutlich höher war als bei traditionellen Modellen [5]. Ein Anteil von weniger als 10% der Menschen mit seelischer Behinderung, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt integriert sind, spricht für einen hohen Bedarf an unterstützenden Maßnahmen, um den Übergang vom therapeutisch-beschützenden Rahmen auf den freien Markt zu erleichtern. Weitere Maßnahmen sind diesbezüglich das Schaffen von Arbeitsplätzen mit reduziertem Pensum, Möglichkeiten für Teilrenten und mehr Flexibilität bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen. Beim Übergang vom therapeutischbeschützenden Rahmen auf den freien Arbeitsmarkt besteht ein hoher Unterstützungsbedarf Wohnen Im Jahr 2005 gab es in Deutschland 1513 Heime für Menschen mit einer seelischen Behinderung mit insgesamt 47.803 Plätzen, entsprechend 1725 Einwohner pro Platz. Im ambulant betreuten Wohnen waren 27.483 Plätze registriert. 541 Tagesstätten hielten 9278 Plätze zur Tagesstrukturierung bereit. Hinzu kamen 797 Kontakt- und Beratungsstellen ohne verbindliches Angebot [13]. Die meisten Wohnangebote sind wenig flexibel, um auf veränderte Versorgungsbedürfnisse ihrer Bewohner einzugehen. Einmal zugewiesen, verbleiben die meisten Inanspruchnehmer in der zuerst gewählten Wohnform. Betreute Wohnformen, die sich flexibel der erforderlichen Betreuung anpassen, sind noch selten. Selbsthilfe Im Bereich der komplementären Angebote haben Selbsthilfegruppen einen wesentlichen Stellenwert. Sie erzielen bei der gesundheitlichen Versorgung positive Effekte, indem sie das professionelle Versorgungssystem ergänzen und die Eigenverantwortung der Betroffenen stärken. Jenseits der institutionalisierten professionellen Hilfeleistung tragen Selbsthilfeangebote wie auch trialogisch organisierte Gruppen (z. B. Psychoseseminare) dabei einen wesentlichen Beitrag zur Erhöhung der Selbstbestimmung und Autonomie Betroffener durch Austausch von Information und Wissen. Aufgabe der psychiatrischen Fachpersonen und Institutionen ist die Förderung dieser Angebote in Hinblick auf öffentliche Wertschätzung und Akzeptanz sowie den flächendeckenden Ausbau des Ange- Selbsthilfegruppen stärken die Eigenverantwortung der Betroffenen Der Nervenarzt 3 · 2012 | 397 CME Der Beitrag Betroffener und Angehöriger wird von professioneller Seite oftmals unterschätzt botes. Die deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e. V. schätzte deren Zahl im Jahr 2005 auf etwa 5000 bundesweit. Seit den 1990er Jahren haben sich psychiatrieerfahrene Menschen auf Bundes- und Länderebene in Betroffenenverbänden auch im Sinne einer Standesvertretung organisiert und erlangen in der Versorgungsplanung und Ausgestaltung des Angebotes zunehmend eine eigene Stimme. Sie werden auf verschiedenen Ebenen zunehmend als Gesprächspartner und Interessensvertreter akzeptiert und in Beiräten und Projektgruppen integriert. Dennoch ist in diesem Bereich landesweit wie auch international ein hohes Maß an Weiterentwicklung und Förderung seitens der Leistungsträger notwendig. In ähnlicher Weise besteht bei Angehörigen von psychisch kranken Menschen bezüglich Akzeptanz als wichtige Interessensvertreter und deren Integration in die Gestaltung von Versorgungsstrukturen Nachholbedarf. Gerade für Initiativen und Programme gegen Stigmatisierung und Diskriminierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen leisten Betroffene und Angehörige einen wertvollen Beitrag, der von professioneller Seite oftmals unterschätzt wird. Ein vielversprechender Ansatz zur Reduktion von Stigmatisierung und Diskriminierung psychisch Kranker und deren Familien ist das Antistigmaprogramm der World Psychiatric Association, welches in rund 20 Ländern, so auch in Deutschland durch den Verein „open the doors“ e. V. unter Einbezug einiger universitärer Einrichtungen umgesetzt wird. Auf Initiative dieses Vereins sowie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) und der Stiftung Seelische Gesundheit wurde im Jahr 2004 ein Aktionsbündnis für Seelische Gesundheit ins Leben gerufen, welches sich auf verschiedenen Ebenen für Öffentlichkeitsarbeit und gesellschaftliche Integration psychisch Kranker einsetzt. Versorgungskoordination Integrierte Versorgung Zielsetzungen sind Qualitätssteigerung und -sicherung sowie Kostenoptimierung durch Vernetzung In den letzten Jahren gewann der Anspruch der engen Vernetzung von bisher fraktionierten Versorgungsangeboten in unterschiedlichen Behandlungssettings verschiedener Anbieter unter dem Begriff „integrierte Versorgung“ zunehmende Bedeutung. Zielsetzungen sind Qualitätssteigerung und -sicherung der Diagnostik und Behandlung auf evidenzbasiertem Niveau sowie Kostenoptimierung durch Vernetzung der an der Versorgung beteiligten Gruppen. Ein integriertes Behandlungsangebot strebt an, die rigide sektorielle Trennung von ambulanten, teilstationären und stationären Angeboten durch organisatorische Integration und Koordination mit fließenden Übergängen zwischen den einzelnen Behandlungsangeboten entsprechend dem aktuellen Bedarf des jeweiligen Patienten aufzuheben. Zentrale Triagierung und Koordination der jeweils notwendigen Hilfeleistung durch CaseManager sollen unnötige und unangebrachte Über- oder Unterbehandlung insbesondere chronisch unterstützungsbedürftiger Patienten vermindern. Das Gesundheitsmodernisierungsgesetz 2004 ermöglicht durch eine Neuordnung der Finanzierung (versicherten- statt fallbezogen) und strukturelle Reform der gesetzlichen Krankenversicherung den Abschluss von Verträgen über Finanzierungsmodelle (z. B. Kopfpauschale, Regionalbudget) zwischen Krankenkassen und Anbietern von Versorgungsleistungen einer bestimmten Region. Seit der Einführung des Gesetzes wurden zahlreiche regionale Projekte der integrierten Versorgung entwickelt, jedoch ist es bislang noch zu keiner flächendeckenden Versorgung gekommen. Im Mai 2011 waren bei der zentralen Arbeitsgruppe zur integrierten Versorgung in der Psychiatrie 61 Projekte registriert. Case-Management Ziel des Case-Managements ist die Unterstützung der Patienten hin zu einem möglichst autonomen Leben 398 | Der Nervenarzt 3 · 2012 Die Aufgabe eines Case-Managers ist die Koordination der indizierten medizinisch-psychiatrischen und psychosozialen Versorgungs- und Behandlungsangebote sowie das Aufrechterhalten einer Kontinuität und des persönlichen Bezugs des Patienten zum Versorgungssystem. Ziel ist die Unterstützung der Patienten zu einem möglichst autonomen Leben in der Gemeinde, trotz eventuell vorhandener Einschränkungen, Kontaktstiftung, Unterstützung bei der Durchsetzung persönlicher Rechte sowie beim Zugang zu Hilfsangeboten und fortlaufende Evaluation der Angemessenheit des aktuellen Hilfepaketes. Nachgehende und aufsuchende Dienste bzw. Krisenteams, aus dem englischen Sprachraum als „assertive communty treatment“ bekannt, vollziehen den Wechsel von der Institutionen- zur CME Patientenzentrierung besonders konsequent, da eine kontinuierliche, 24-stündig erreichbare und persönliche Betreuung möglich ist, die situationsangemessen intervenieren und wenn nötig weiter triagieren kann. Auf der Basis dieser Modelle werden gegenwärtig in Niedersachsen diverse Modelle erprobt, die der Verzahnung niedergelassener Psychiater mit ambulanten psychiatrischen Pflegediensten dienen. Diese Pflegedienste ermöglichen es den Psychiatern, auch schwerer psychisch Kranke zu betreuen, mit der Zielsetzung unnötige stationäre Behandlungen zu vermeiden. Die Ergebnisse der gegenwärtig laufenden Evaluationen stehen noch aus. Versorgungsqualität Der Anteil von Betroffenen, die eine im weitesten Sinne adäquate Therapie nach modernen wissenschaftlichen Kriterien erhalten, wurde konservativ auf ca. 10% geschätzt [23]. Das Wissen über die Effizienz der Versorgungsstrukturen und -angebote auf der Makro- und Mesoebene ist gerade im Vergleich zur Effizienz spezifischer therapeutischer Interventionen auf der Mirkoebene der Versorgung sehr spärlich. Es fehlt insbesondere an aktuellen und validen Prävalenzdaten und Referenzmaßstäben, anhand derer sich die Versorgungsqualität beurteilen ließe [13]. Anforderungen an eine fachlich hochstehende Behandlungs- und Versorgungsqualität beinhalten eine möglichst spezifische leitlinienorientierte Behandlung, einen abgestimmten Behandlungsprozess mit koordinierten und bedarfsgerechten ambulanten, teilstationären, stationären und rehabilitativen Behandlungsangeboten, kurze Wartezeiten, optimierte Behandlungsdauern (so kurz wie möglich, so lange wie nötig), einen aktiven Einbezug der betroffenen Personen in den Behandlungsprozess mit Stärkung der Patientenrechte und Eigenverantwortung, Vermeidung unnötiger Doppeldiagnostik, einen effektiven und gezielten Einsatz von Ressourcen, Kosteneffizienz und -transparenz. Gesundheitsökonomische Aspekte Die Kosten psychiatrischer und somatischer Erkrankungen setzen sich aus einer Reihe Komponenten zusammen, die den drei Bereichen direkte medizinische Kosten (Klinikaufenthalte, ambulante Behandlungen, Medikamente), direkte nichtmedizinische Kosten (soziale Dienste, betreutes Wohnen, ambulante Pflege) und indirekte Kosten (Arbeitsunfähigkeit, Invalidenrente, vorzeitiger Tod) zugeordnet werden können. Daten zu Kosten psychischer Erkrankungen sind oftmals schwer vergleichbar, da unterschiedliche Komponenten auf verschiedener Datengrundlage verwendet werden. Die gesamten Kosten psychiatrischer Erkrankungen in Deutschland wurden in einer europäischen Studie (unter Berücksichtigung direkter Daten, ergänzt durch Hochrechnungen) auf 93 Mrd. EUR in 2004, entsprechend rund 1120 EUR pro Einwohner geschätzt. Damit hätte Deutschland im europäischen Vergleich die höchsten Pro-Kopf-Ausgaben für psychische Erkrankungen. Die direkten medizinischen Kosten waren für 40%, die indirekten Krankheitskosten für knapp 50% der Gesamtkosten verantwortlich. Da größere Kostenkomponenten wie etwa die indirekten Kosten psychotischer Erkrankungen fehlten und nur die 5 größten Krankheitsgruppen (affektive, psychotische und Angststörungen, Abhängigkeit und Demenzen) berücksichtigt wurden, handelt es sich bei dieser Kalkulation wahrscheinlich um eine erhebliche Unterschätzung der tatsächlichen Krankheitskosten [2]. Der Befund, dass Deutschland vergleichsweise hohe Ausgaben für psychiatrische Erkrankungen aufweist, wurde von anderen gesundheitsökonomischen Studien untermauert [17, 21]. Einige Autoren äußerten in diesem Zusammenhang starke Zweifel, dass die Ressourcenverteilung dabei dem Bedarf in der Basisversorgung gerecht wird. Gemäß Krankheitskostenberechnung des Statistischen Bundesamtes betrugen die durchschnittlichen direkten medizinischen Krankheitskosten im Jahr 2004 in Deutschland je Einwohner 2730 EUR, davon 11% für psychische und Verhaltensstörungen. An den volkswirtschaftlichen bzw. indirekten Kosten aller Krankheiten von insgesamt rund 4,2 Mio. verlorenen Erwerbstätigenjahren durch Arbeitsunfähigkeit, Invalidität und Mortalität hatten die psychischen und Verhaltensstörungen einen Anteil von 16%. Die Bedeutung der Invalidität als Ursache für indirekte Kosten liegt bei den psychiatrischen Erkrankungsbildern mit einem Anteil von 70% dabei deutlich über dem Anteil der Invalidität von 40% bei allen Diagnosen [1]. Deutschland hat im europäischen Vergleich die höchsten Pro-Kopf-Ausgaben für psychische Erkrankungen 2004 betrug der Anteil psychischer und Verhaltensstörungen an den direkten medizinischen Krankheitskosten 11% Der Nervenarzt 3 · 2012 | 399 CME Infobox 1 Strategien der Weiterentwicklung des psychiatrischen Versorgungssystemsa F Verbesserung der Datenlage und Versorgungsforschung F Weiterentwicklung des Einbezugs von Angehörigen, Psychiatrieerfahrenen und Selbsthilfe F Permanente Aktivitäten zur Bekämpfung von Stigmatisierung und Diskriminierung psychisch kranker Menschen F Ausbau geschlechtssensibler Leistungsangebote F Verbesserung von Versorgungsstrukturen und Angeboten für Migranten mit psychischen Erkrankungen F Berücksichtigung der Unterschiede im Versorgungsbedarf zwischen Ballungsräumen und ländlichen Regionen F Förderung der Entwicklung integrierter Versorgungsprojekte F Definition und Abstimmung des Verhältnisses von psychiatrischer und psychotherapeutisch/psychosomatischer Versorgung und entsprechenden Strukturen F Ausbau von Hilfsstrukturen zur Gestaltung des Alltags und zur sozialen Wiedereingliederung F Intensivierung von Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben F Verbesserung der Kooperation und Koordination von Hilfsangeboten für Kinder und Jugendliche mit psychischen Erkrankungen F Optimierung des Leistungsangebots für gerontopsychiatrische Patienten a Nach Empfehlungen der Arbeitsgruppe Psychiatrie der Obersten Landesgesundheitsbehörden, im Auftrag der Gesundheitsministerkonferenz der Länder, 2007 [13] Fazit und Ausblick F Das psychiatrische Versorgungsangebot ist seit der Psychiatrie-Enquete in weiten Teilen wesentlich verbessert worden, wobei jedoch in verschiedenen Bereich deutliche regionale Differenzen bestehen. Die Weiterentwicklung der personenzentrierten Versorgungsstrukturen und Optimierung von Leistungsparametern ist weiterhin geboten. Die gesundheitspolitische Relevanz psychischer Gesundheit wird auch in Zukunft noch steigen. F Um wissenschaftlich und bedarfsorientiert fundierte versorgungspolitische Entscheidungen treffen zu können, muss eine gute Datengrundlage vorhanden sein. Hierzu ist ein substanzieller Ausbau der psychiatrischen Versorgungsforschung notwendig, da dieser Forschungsbereich bis dato im deutschsprachigen Raum in vielen Bereichen stark vernachlässigt wurde. F Gemäß Empfehlungen der Landesgesundheitsbehörden [13] sind weitere dringende Notwendigkeiten für die weitere Entwicklung der Versorgungsstrukturen und -angebote in . Infobox 1 aufgeführt. Korrespondenzadresse Dr. M. Jäger Klinik für Soziale Psychiatrie und Allgemeinpsychiatrie, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich Lenggstr. 31, 8032 Zürich matthias.jaeger@puk.zh.ch Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. 400 | Der Nervenarzt 3 · 2012 CME Literatur 1. Albrecht M, Fürstenberg T, Gottberg A (2007) Strukturen und Finanzierung der neurologischen und psychiatrischen Versorgung. IGES Institut für Gesundheits- und Sozialforschung GmbH, Berlin 2. Andlin-Sobocki P, Jonsson B, Wittchen HU et al (2005) Cost of disorders of the brain in Europe. Eur J Neurol 12(Suppl 1):1–27 3. Baune BT, Arolt V (2005) Psychiatrische Epidemiologie und Bevölkerungsmedizin. Prinzipien der Versorgungsforschung. Nervenarzt 76:433–476 4. Deutscher Bundestag (1975) Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland – zur psychiatrischen und psychotherapeutisch/psychosomatischen Versorgung der Bevölkerung. Bundesdrucksache 7/4200, Bonn 5. Burns T, Catty J, Becker T et al (2007) The effectiveness of supported employment for people with severe mental illness: a randomised controlled trial. Lancet 370:1146–1152 6. Fasel T, Baer N, Frick U (2010) Dynamik der Inanspruchnahme bei psychischen Problemen. Soziodemographische, regionale, krankheitsund systembezogene Indikatoren (Obsan Dossier 13). Schweizerisches Gesundheitsobservatorium, Neuchatel 7. Frick U, Frick H (2010) „Heavy Use“ in der stationären Psychiatrie in der Schweiz? Ergebnisse aus der Medizinischen Statistik der Krankenhäuser (Obsan Dossier 11). Schweizerisches Gesundheitsobservatorium, Neuchatel 8. Helmchen H (2001) Unterschwellige psychische Störungen. Nervenarzt 72:181–189 9. Hoffmann W, Bobrowski C, Fendrich K (2008) Sekundärdatenanalyse in der Versorgungsepidemiologie. Potential und Limitationen. Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz 51:1193–1201 10. Hübner-Liebermann B, Spiessl H, Cording C (2005) Wer kommt woher, wer geht wohin? Behandlungswege stationärpsychiatrischer Patienten. Nervenarzt 76:856–864 11. Kallert TW, Priebe S, McCabe R et al (2007) Are day hospitals effective for acutely ill psychiatric patients? A European multicenter randomized controlled trial. J Clin Psychiatry 68:278–287 12. Kuhl HC (2008) Stationäre Psychiatrie in der Schweiz 2000–2006. Arbeitsdokument 31. Schweizerisches Gesundheitsobservatorium, Neuchatel 13. Landesgesundheitsbehörden, Arbeitsgruppe Psychiatrie (2007) Psychiatrie in Deutschland. Strukturen, Leistungen, Perspektiven. Gesundheitsministerkonferenz der Länder (Hrsg) 14. Lay B, Lauber C, Rössler W (2006) Prediction of in-patient use in firstadmitted patients with psychosis. Eur Psychiatry 21:401–409 15. Lay B, Nordt C, Rössler W (2007) Trends in psychiatric hospitalisation of people with schizophrenia: a register-based investigation over the last three decades. Schizophr Res 97:68–78 16. Linden M, Maier W, Achberger M et al (1996) Psychische Erkrankungen und ihre Behandlung in Allgemeinarztpraxen in Deutschland: Ergebnisse aus einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Nervenarzt 67:205–215 17. Melchinger H, Rössler W, Machleidt W (2006) Ausgaben in der psychiatrischen Versorgung. Ist die Verteilung der Ressourcen am Bedarf orientiert? Nervenarzt 77:73–80 18. Muschalla B, Linden M (2011) Sozialmedizinische Aspekte bei psychischen Erkrankungen. Teil 2: Psychische Erkrankungen im medizinischen Versorgungssystem und therapeutische Maßnahmen. Nervenarzt 82:1187–1200 19. Richter D, Berger K, Reker T (2008) Nehmen psychische Störungen zu? Eine systematische Literaturübersicht. Psychiatr Prax 35:321–330 20. Rössler W (2003) Wie definiert sich Qualität in der psychiatrischen Versorgung? Nervenarzt 74:552–560 21. Salize HJ, McCabe R, Bullenkamp J et al (2009) Cost of treatment of schizophrenia in six European countries. Schizophr Res 111:70–77 22. Schneider F, Falkai P, Maier W (2011) Psychiatrie 2020. Perspektiven, Chancen und Herausforderungen. Springer, Berlin 23. Wittchen HU, Jacobi F (2001) Die Versorgungssituation psychischer Störungen in Deutschland. Eine klinisch epidemiologische Abschätzung anhand des Bundesgesundheitssurveys 1998. Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz 44:993–1000 24. Wittchen HU, Jacobi F (2005) Size and burden of mental disorders in Europe – a critical review and appraisal of 27 studies. Eur Neuropsychopharmacol 15:357–376 Der Nervenarzt 3 · 2012 | 401 CME-Fragebogen Bitte beachten Sie: F Antwortmöglichkeit nur online unter: CME.springer.de F Die Frage-Antwort-Kombinationen werden online individuell zusammengestellt. F Es ist immer nur eine Antwort möglich. kostenfreie Teilnahme für Abonnenten ? Welcher der folgenden Aspekte ist für o o o o o o die psychiatrische Versorgungsplanung am wenigsten relevant? Zivilrechtliche Gesetzgebung Gesellschaftliche Normen Interessen der Betroffenenorganisationen Diagnostische Optionen Aufnahmekapazitäten der Gefängnisse o ? Welcher der folgenden Einflussfaktoren o o ? Welche der folgenden Zielsetzungen o o o o o ist für zeitgemäße psychiatrische Versorgungsangebote am wichtigsten? Selbstbefähigung Restriktion Institutionszentrierung Zentralisierung Entmedikalisierung ? Welche der folgenden Aussagen zum o o o o o psychiatrischen Versorgungsbedarf ist richtig? Der Versorgungsbedarf richtet sich nach dem Versorgungsangebot. Der Versorgungsbedarf hängt wesentlich mit dem Inanspruchnahmeverhalten der Zielgruppe zusammen. Der Versorgungsbedarf ist identisch mit der Prävalenz psychiatrischer Erkrankungen. Das psychiatrische Versorgungsangebot muss ausreichende Kapazitäten für die Behandlung von allen psychisch kranken Menschen vorhalten. Der Versorgungsbedarf ist eine weitestgehend stabile Größe in der Versorgungsplanung. ? Wie hoch ist in etwa der Anteil der von einer psychiatrischen Erkrankung betroffenen Personen, die eine psychiatrische Behandlung aufsuchen? o 3% o 13% o 30% 60% 90% o o o trägt am ehesten zu einer höheren Inanspruchnahme psychiatrischer Versorgungsstrukturen bei? Ländliche Wohngegend Hohe soziale Kontrolle Optimales Gesundheitsverhalten Komorbidität Lange Anfahrtswege ? Integrierte Versorgung… o o o o o widerspricht dem Konzept der Personenzentrierung. hat u. a. Kostenoptimierung zum Ziel. ist ein Konkurrenzkonzept zum Case-Management. basiert auf eindeutiger organisatorischer Trennung verschiedener Leistungsanbieter. ist für desintegrierte chronisch kranke Menschen ungeeignet. ? Welche Aussage trifft am wenigsten zu? ? Welche der folgenden Entwicklungen o o o o o kennzeichnet am ehesten die aktuelle psychiatrische Versorgungssituation? Ausbau der stationären Behandlungskapazitäten Schließen psychiatrischer Abteilungen in Allgemeinkrankenhäusern Zentralisieren ambulanter Behandlungsangebote Erhöhung der Behandlungskapazitäten in Tageskliniken Privatisierung psychiatrischer Institutsambulanzen ? Welche Aussage zur ambulanten o o o o o Versorgung psychiatrischer Patienten ist zutreffend? Die Hausärzte tragen einen substanziellen Teil der ambulanten psychiatrischen Versorgung. Die höchste Psychotherapeutendichte ist in den neuen Bundesländern zu finden. Die Zahl der ärztlichen Psychotherapeuten nimmt kontinuierlich ab. Die jährlichen Fallzahlen niedergelassener Fachärzte und ärztlicher Psychotherapeuten sind in den letzten Jahren zurückgegangen. Psychiatrische Institutsambulanzen werden im Zuge der Deinstitutionalisierung nach und nach geschlossen. o o o o o Anforderungen an eine hochstehende Versorgungsqualität beinhalten folgende Aspekte: Die Behandlung orientiert sich an Leitlinien der Fachgesellschaften. Kontinuierliche Behandlung der meisten psychiatrischen Erkrankungen über mehrere Jahre. Koordinierte bedarfsgerechte Kombination verschiedener Behandlungsangebote. Aktiver Einbezug der betroffenen Personen in die Behandlungsplanung. Vermeidung unnötiger Doppeldiagnostik. ? Welche Strategie zur Weiterentwicklung o o o o o des psychiatrischen Versorgungssystems wird am ehesten empfohlen? Standardisierung der Versorgungsstrukturen im gesamten Bundesgebiet. Eröffnung von Institutionen zur stationären Arbeitsrehabilitation. Ausbau von Wohnheimen mit Vollversorgung. Förderung von integrierten Versorgungsprojekten. Versorgung gerontopsychiatrischer Patienten durch die Geriatrie und Palliativmedizin. Diese Fortbildungseinheit ist 12 Monate auf CME.springer.de verfügbar. Den genauen Einsendeschluss erfahren Sie unter CME.springer.de D Mitmachen, weiterbilden und CME-Punkte sichern durch die Beantwortung der Fragen im Internet unter CME.springer.de 402 | Der Nervenarzt 3 · 2012