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Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum Wissenschaftliche Begleitung und Evaluation eines Modellprojekts Thomas Görgen Arthur Kreuzer Barbara Nägele Sabine Krause Band 217 Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Verlag W. Kohlhammer Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Görgen, Thomas: Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum: Wissenschaftliche Begleitung und Evaluation eines Modellprojekts / Thomas Görgen, Arthur Kreuzer, Barbara Nägele. [Hrsg.: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend]. Stuttgart; Berlin; Köln: Kohlhammer, 2002 (Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; Bd. 217) ISBN 3-17-017675-7 In der Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend werden Forschungsergebnisse, Untersuchungen, Umfragen usw. als Diskussionsgrundlage veröffentlicht. Die Verantwortung für den Inhalt obliegt der jeweiligen Autorin bzw. dem jeweiligen Autor. Alle Rechte vorbehalten. Auch fotomechanische Vervielfältigung des Werkes (Fotokopie/Mikrokopie) oder von Teilen daraus bedarf der vorherigen Zustimmung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Herausgeber: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 10118 Berlin Titelgestaltung: 4 D Design Agentur, 51427 Bergisch-Gladbach Gesamtherstellung: DCM • Druckcenter Meckenheim, 53340 Meckenheim Verlag: W. Kohlhammer GmbH 2002 Verlagsort: Stuttgart Printed in Germany Gedruckt auf chlorfrei holzfrei weiß Offset Vorbemerkung Es war für uns eine freudig angenommene Herausforderung, ein innovatives Projekt drei Jahre lang begleiten zu dürfen. Als das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ende 1997 diese Studie in Auftrag gab und das Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ im März 1998 an den Start ging, waren Misshandlung und Vernachlässigung älterer Menschen insgesamt noch wenig beachtete Problemfelder. Seither hat sich viel verändert. Das Bewusstsein von den unaufhaltsamen Veränderungen in der Altersstruktur der Bevölkerung und der damit zunehmenden Bedeutung des Verhältnisses der Generationen einerseits, der Gestaltung von Lebensformen im Alter anderseits, ist deutlich gewachsen. In den letzten drei Jahren sind vor allem – oftmals unter den Begriff der Gewalt subsumierte – Probleme und Missstände im Bereich der Versorgung pflegebedürftiger alter Menschen in den Medien, auf der politischen Ebene, im Rahmen von Fachtagungen etc. thematisiert worden. Interessenvertretungen wie die Aktion gegen Gewalt in der Pflege wurden gegründet, programmatische Schriften veröffentlicht (vgl. AKTION GEGEN GEWALT IN DER PFLEGE, 1999; VERBRAUCHER-ZENTRALE DES LANDES BREMEN, 2000). Zugleich sind vor allem in einigen deutschen Großstädten Einrichtungen und Initiativen entstanden, die Beratung und Hilfe in Fällen der Gewalt gegen Ältere sowie bei Pflegeproblemen anbieten und sich inzwischen zu einer Arbeitsgemeinschaft auf Bundesebene zusammengeschlossen haben (HIRSCH & ERKENS, 1999). Das Internationale Jahr der Senioren 1999 hat diesen Diskussionen zusätzlichen Schub verliehen. Die Einrichtung des Bundesmodellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ war zugleich Ausdruck und weiterer Katalysator solcher Veränderungen. Die Untersuchungsbedingungen bei solchen Feldevaluationen sind nicht so, wie WissenschaftlerInnen sie sich idealerweise wünschen. Nichts ist so planbar wie im Labor, und die aktuellen Entwicklungen und Veränderungen des Untersuchungsgegenstands geben immer wieder Anlass zu Veränderungen des Forschungsplans. Wettgemacht wird dies zum Teil durch die Unmittelbarkeit der Eindrücke und Erfahrungen, die in direktem Kontakt mit dem beforschten Projekt gesammelt werden. Umfang, Themen- und Methodenvielfalt der vorliegenden Arbeit spiegeln zugleich die vielfältigen Aktivitäten des Modellprojekts wider. Einige kurze Erläuterungen zum Aufbau der Arbeit mögen die Orientierung erleichtern. 5 Dem Bericht ist eine Kurzfassung vorangestellt. In Kapitel 1 umreißen wir zunächst den Forschungsstand zur Nahraumgewalt gegen ältere Menschen, stellen den Prozess der Thematisierung dieses gesellschaftlichen Problemfeldes kurz dar und geben einen ersten Überblick über Präventions- und Interventionsansätze in Deutschland und im internationalen Bereich, vor allem in den Vereinigten Staaten. Die Kapitel 2 bis 4 stellen das Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ und seine wissenschaftliche Begleitung in Grundzügen und in ihrer Entwicklung dar. Kapitel 4.5. vermittelt in tabellarischer Form eine Chronologie wesentlicher Entwicklungsschritte des dreijährigen Modellprojekts. In den Kapiteln 5 und 6 werden im Detail die Ergebnisse der Begleitforschung präsentiert. Projekt wie Begleitforschung gliederten sich in eine sog. präevaluative Phase, in der die Konzeption und planerische Ausgestaltung des Modellprojekts im Vordergrund standen (Kap. 5), und die evaluative Phase, in welcher der Schwerpunkt der praktischen Tätigkeit des Projekts lag (Kap. 6.). Zu den Teilstudien, deren Befunde wir darstellen, gehören u.a. eine vor allem via Interview vorgenommene Bestandsaufnahme in Hannover vorhandener Einrichtungen, Programme und Initiativen (Kap. 5.3), die intensive, vor allem auf Interviews und der Analyse von Akten, schriftlichen Falldokumentationen und Fallbewertungen beruhende Evaluation der Beratungsarbeit des Modellprojekts (Kap. 6.2.2 und 6.2.3), eine auf Interviews mit einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe basierende Untersuchung zur Öffentlichkeitswirksamkeit des Projekts (Kap. 6.2.4.), ferner Analysen der Vernetzungsaktivitäten des Modellprojekts und der von ihm initiierten Fortbildungen und sonstigen Veranstaltungen (Kap. 6.2.4.5) sowie die Dokumentation und Evaluation der Arbeit des Modellprojekts in drei Stadtbezirken Hannovers, in denen in enger Kooperation mit örtlichen Einrichtungen jeweils spezifische Angebote realisiert wurden (Kap. 6.2.6). In Kapitel 6.3. erweitern wir den Blick auf andere gewaltpräventive Projekte im In- und Ausland; unter anderem werden Ergebnisse aus Interviews und Dokumentenanalysen zu Einrichtungen in Deutschland, den Vereinigten Staaten, Australien und einer Reihe europäischer Länder präsentiert. Die abschließenden Kapitel 7 und 8 fassen die Befunde zusammen und diskutieren sie hinsichtlich der zu ziehenden Schlussfolgerungen. Während Kapitel 7 als Zusammenfassung und Bilanz des Modellprojekts wie der wissenschaftlichen Begleitung zu lesen ist, formulieren und begründen wir im abschließenden Kapitel 8 einige Empfehlungen zum weiteren Umgang mit dem gesellschaftlichen Problemfeld der Nahraumgewalt gegen Ältere. Im Anhang werden u.a. die wesentlichen Ergebnisse 6 einer im Februar 2002 in Hannover zu diesem Thema vertiefend durchgeführten Expertentagung dokumentiert. Wir möchten uns bei all denen bedanken, die diese Studie ermöglicht, unterstützt und begleitet haben. Ausdrücklich erwähnt seien an dieser Stelle das BMFSFJ und hier insbesondere Frau Dorothee Al-Khannak, die MitarbeiterInnen des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“, die Stadt Hannover, insbesondere das Referat für Gleichstellungsfragen und das Sozialdezernat, die MitarbeiterInnen des Runden Tisches „Gewalt gegen Ältere“, die Mitglieder der Bundesarbeitsgemeinschaft der Krisentelefone, Beratungs- und Beschwerdestellen für alte Menschen in Deutschland, all diejenigen, die uns am Telefon und persönlich als InterviewpartnerInnen zur Verfügung standen oder uns im Rahmen teilnehmender Beobachtung Einblicke gewährten sowie die studentischen und wissenschaftlichen Hilfskräfte, die im Verlaufe der Begleitforschung zum Gelingen des Werks beigetragen haben – insbesondere danken wir Adriane Borger, Sandra Kotlenga, Ines Hentschel, Juliane Schmidt, Giacomo-Marco Sbriglione, Karsten FischerLange, Peggy Zander, Susanne Kranz, Erwin Flohr, Nanna Heidenreich, Matthias Lippmann, Maria Hegerkamp und Ilona Heimes. Herrn Mau möchten wir unseren herzlichen Dank aussprechen für die Gastfreundschaft, die er als Vermieter der zeitweiligen niedersächsischen Dependance des Gießener Instituts für Kriminologie entgegengebracht hat. Gießen und Hannover im Juni 2001 Prof. Dr. Arthur Kreuzer Dr. Thomas Görgen Dipl. Soz.wiss. Barbara Nägele Dipl.-Psych. Sabine Krause 7 Wissenschaftliche Begleitung und Evaluation des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ – Kurzfassung – Das aus Mitteln des BMFSFJ geförderte, bei der Stadt Hannover angesiedelte Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ wurde während seiner gesamten Laufzeit (März 1998 bis Februar 2001) von einem interdisziplinär besetzten Team der Universität Gießen wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Zentrale Aufgabe des Projekts war es, im Hinblick auf Gewalterfahrungen älterer Menschen im häuslichen und familiären Bereich Präventions- und Interventionsansätze zu erproben. Dabei wurde ein weites Verständnis von Gewalt zugrunde gelegt, welches neben unmittelbarer körperlicher Zwangseinwirkung auch verbale Aggression, Einschränkungen der Willensfreiheit, finanzielle Ausbeutung sowie intentionale und nicht intentionale Formen der Vernachlässigung einschließt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Projekts verfügten vor allem über sozialarbeiterische und sozialpädagogische Qualifikationen. Ihre Arbeitsschwerpunkte lagen in den Bereichen der Beratung und aufsuchenden Sozialarbeit, der Konzeption und des Aufbaus spezifischer Angebote in drei ausgewählten Stadtbezirken, der Vernetzung des Projekts mit für die Bearbeitung des Problemfeldes hilfreichen Institutionen auf lokaler wie nationaler Ebene, der Öffentlichkeitsarbeit sowie der Organisation und Durchführung von Tagungen, Fortbildungen und anderen Veranstaltungen. Beratung wurde u.a. im Rahmen eines „Krisenund Beratungstelefons im Alter“ angeboten. Zu den wesentlichen Produkten der stadtteilbezogenen Arbeit gehörten ein „Häuslicher Unterstützungsdienst“ für pflegende Angehörige, eine Veranstaltungsreihe zu altersbezogenen Themen und ein Beratungsführer. Im Bereich der Vernetzungsaktivitäten wurde u.a. eine lokale Arbeitsgemeinschaft telefonischer Beratungsanbieter gegründet. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Modellprojekts haben in insgesamt rund 340 Fällen Beratung geleistet. Dabei wurde eine sehr große Bandbreite von Themen und Problemlagen an das Team herangetragen; viele Beratungsanliegen ließen sich auch unter den oben skizzierten weiten Gewaltbegriff nicht subsumieren. KlientInnen des Modellprojekts in Gewaltfällen waren in vielen Fällen Personen, die aufgrund einer beruflichen oder privaten Beziehung zu den unmittelbar in das Problem involvierten Personen von dem Fall Kenntnis genommen hat8 ten. Insbesondere Vernachlässigungsopfer waren durch die Beratungsangebote kaum zu erreichen, eine Erfahrung, die andere Einrichtungen in ähnlicher Weise machten. Das Krisen- und Beratungstelefon im Alter, der Häusliche Unterstützungsdienst und die Arbeitsgemeinschaft telefonischer Beratungsanbieter für ältere Menschen werden auch nach dem Ende des Modellprojekts in Hannover weiterbetrieben. Die wissenschaftliche Begleitung war in der Anfangsphase des Modellprojekts aktiv an Gestaltungs- und Entscheidungsprozessen beteiligt. In der eigentlichen Evaluationsphase bediente sie sich zur Dokumentation und Evaluation der verschiedenen Module des Modellprojekts einer Kombination quantitativer und qualitativer Verfahren (schriftliche und mündliche Befragungen, teilnehmende Beobachtung, Dokumentenanalyse, Gruppendiskussion). Andere mit der Thematik „Gewalt gegen Ältere“ befasste Institutionen in Deutschland, den USA und anderen Ländern wurden – auf der Grundlage von Interviews und publizierten Materialien – vergleichend herangezogen. Im Ergebnis betrachtet die wissenschaftliche Begleitung den inhaltlichen Zuständigkeitsbereich des Modellprojekts – Fälle der Gewalt gegen ältere Menschen, die in der häuslichen Umgebung und von Personen aus dem sozialen Umfeld der Opfer begangen werden – für eine eigenständige Beratungs- und Hilfeeinrichtung auf lokaler Ebene als zu eng gewählt. Sie weist darauf hin, dass das Modellprojekt den im Titel vorgegebenen Themenbereich in seiner praktischen Arbeit vielfach erweitert hat und dass die Hilfebedürfnisse der KlientInnen nur zum Teil aus Fällen der Nahraumgewalt erwachsen. Angesichts des u.a. im Fallaufkommen des Modellprojekts sichtbar werdenden Beratungsbedarfs befürwortet die wissenschaftliche Begleitung die Einrichtung von thematisch weit gefassten Beratungsdiensten für ältere Menschen und hält zugleich die aktive Integration der Thematik „Nahraumgewalt gegen Ältere“ in das Angebot bestehender Institutionen, insbesondere von Einrichtungen, die der Familienberatung und dem Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt dienen, für geboten. Der Vernetzungsansatz des Modellprojekts, die dezentrale Vorgehensweise auf Stadtteilebene, das Aufsuchen der KlientInnen in der alltäglichen Lebensumwelt und die Ausrichtung von Fortbildungen und Veranstaltungen auf Personen mit Multiplikatorfunktion werden als bedeutsam und auf andere Städte oder Regionen sinnvoll übertragbar eingeschätzt. 9 Inhaltsübersicht 1 2 3 Zur Problematik der Nahraumgewalt gegen ältere Menschen .............................................................................. 27 Entstehung und Ausgangsbedingungen des Modellprojekts und seiner wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation .................................................. 77 Grundzüge der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation des Modellprojekts ............................................ 86 4 Struktur und Entwicklung des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ im Überblick .... 102 5 Die präevaluative Phase der Begleitforschung ................. 114 6 6.1 Die evaluative Phase der Begleitforschung ....................... 164 Überblick................................................................................. 164 6.2 Untersuchungen zu Arbeitsbereichen des Modellprojekts und zu Effekten der Tätigkeit des Modellprojekts .................. 165 6.2.1 Beratungskonzepte des Modellprojekts.................................. 165 6.2.2 Beratungsdokumentation und -auswertung ............................ 177 6.2.3 Beratungsevaluation ............................................................... 303 6.2.4 Untersuchungen zur Öffentlichkeitswirksamkeit des Modellprojekts......................................................................... 351 6.2.5 Vernetzungs-, Fortbildungs- und Veranstaltungsdokumentation und -evaluation....................... 412 6.2.6 Dokumentation und Evaluation der Arbeit des Modellprojekts in ausgewählten Stadtbezirken............................................... 435 6.3 Das Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ im Vergleich ........................................................... 489 6.3.1 Überblick................................................................................. 489 6.3.2 Gewalt gegen ältere Menschen und Probleme in der Pflege – Präventions- und Interventionsansätze auf nationaler Ebene .. 489 6.3.3 Nahraumgewalt gegen ältere Menschen – ausgewählte Präventions- und Interventionsansätze auf internationaler Ebene ..................................................................................... 531 11 7 Zusammenfassung und Diskussion der Befunde der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ .............................................................................. 559 8 Empfehlungen zur Gestaltung von Hilfeangeboten für von Nahraumgewalt bedrohte und betroffene ältere Menschen .............................................................................. 592 Literatur ............................................................................................ 638 Anhänge ........................................................................................... 686 12 Ausführliches Inhaltsverzeichnis Inhaltsübersicht............................................................................... 1 1.1 11 Zur Problematik der Nahraumgewalt gegen ältere Menschen ................................................... 27 Problementdeckung und Problemdefinition............ 27 1.2 Forschungsstand: Erscheinungsformen, Verbreitung und Entstehung von Nahraumgewalt gegen Ältere ...................................................................... 37 1.2.1 Zum internationalen Forschungsstand ................... 41 1.2.2 Zum Forschungsstand in Deutschland ................... 57 1.2.3 Erklärungsansätze zur Genese von Nahraumgewalt gegen Ältere................................................ 60 1.2.4 Risikofaktoren der Misshandlung und Vernachlässigung Älterer..................................................... 63 1.2.5 Ursachen und Risikofaktoren der Misshandlung und Vernachlässigung älterer Menschen im sozialen Nahraum – Zusammenfassende Betrachtung .. 66 1.3 Präventions- und Interventionsansätze und -projekte ........................................................................ 68 1.3.1 Präventions- und Interventionsansätze und -projekte im internationalen Bereich ............................. 68 1.3.2 Präventions- und Interventionsansätze und -projekte in Deutschland ............................................... 73 1.4 Erprobung und Evaluation von Präventions- und Interventionsansätzen ............................................ 74 2 Entstehung und Ausgangsbedingungen des Modellprojekts und seiner wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation .................................. 77 2.1 Entstehung und Ausgangsbedingungen des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“................................................................ 77 2.1.1 Zur Vorgeschichte auf Bundesebene ..................... 77 13 2.1.2 Zur Vorgeschichte in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover ........................................ 79 2.2 Entstehung und Ausgangsbedingungen der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ ..................................................... 83 3 Grundzüge der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation des Modellprojekts .................... 86 Die Forschungsaufträge seitens des BMFSFJ ....... 86 3.1 3.2 Antizipierte Probleme und Begrenzungen bei der Evaluation des Modellprojekts................................ 87 3.3 Der methodische Ansatz der Begleitforschung als Versuch einer Minimierung der zu erwartenden Probleme ................................................................ 91 3.4 Wesentliche Arbeitsschritte der wissenschaftlichen Begleitung des Modellprojekts....................... 96 3.4.1 Arbeitsschritte der Begleitforschung in der präevaluativen Phase ........................................................ 96 3.4.2 Arbeitsschritte der Begleitforschung in der evaluativen Phase............................................................. 99 4 Struktur und Entwicklung des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ im Überblick .............................................. 102 4.1 Zeitliche und räumliche Bedingungen .................... 102 4.2 Personelle und materielle Ressourcen................... 102 4.3 Organisatorische Rahmenbedingungen – Vorgaben im Projektantrag .............................................. 103 4.4 Die Entwicklung einer Projektstruktur und -organisation ................................................................... 104 4.5 Aktivitäten und Angebote: Chronologie des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“................................................................ 107 5 Die präevaluative Phase der Begleitforschung . 114 5.1 Überblick................................................................. 114 14 5.2 Entwicklung und Klärung von Konzepten und Projektzielen................................................................. 114 5.2.1 Ziele, Methoden und Durchführung der Ziel- und Konzeptklärung....................................................... 114 5.2.2 Verlauf und Ergebnisse der Workshops ................. 117 5.2.2.1 Begriffsklärung........................................................ 117 5.2.2.2 Zielklärung .............................................................. 122 5.2.2.3 Werteklärung .......................................................... 123 5.2.2.4 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen ......... 125 5.3 Bestandsaufnahme lokal vorhandener Einrichtungen, Programme und Initiativen.............................. 126 5.3.1 Überblick................................................................. 126 5.3.2 Untersuchungsziele ................................................ 127 5.3.3 Entwicklung der Untersuchungsinstrumente .......... 128 5.3.4 Stichprobenbildung und Interviewdurchführung ..... 129 5.3.5 Auswertung............................................................. 131 5.3.6 Ergebnisse.............................................................. 132 5.3.6.1 Befragung der SeniorInnen .................................... 132 5.3.6.2 Befragung der pflegenden Angehörigen................. 137 5.3.6.3 Befragung der ExpertInnen .................................... 146 5.3.7 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen ......... 160 6 Die evaluative Phase der Begleitforschung....... 164 6.1 Überblick................................................................. 164 6.2 Untersuchungen zu Arbeitsbereichen des Modellprojekts und zu Effekten der Tätigkeit des Modellprojekts ................................................................... 165 6.2.1 Beratungskonzepte des Modellprojekts.................. 165 6.2.1.1 Allgemeine Beratungsgrundsätze........................... 165 6.2.1.2 Beratung im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons ................................................................... 170 15 6.2.1.3 Rückblick: Erfahrungen mit der Beratungsarbeit – Besonderheiten der Beratungsarbeit...................... 173 6.2.2 Beratungsdokumentation und -auswertung............ 177 6.2.2.1 Ziele........................................................................ 177 6.2.2.2 Methoden und Verlauf ............................................ 179 6.2.2.2.1 Erhebungsmethoden .............................................. 179 6.2.2.2.2 Verlauf der Datenerhebung .................................... 181 6.2.2.2.3 Auswertung der Falldokumentationen .................... 181 6.2.2.2.3.1 Auswertung der Falldokumentation im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons ........................ 182 6.2.2.2.3.2 Auswertung der Falldokumentation im Rahmen der allgemeinen Beratung: die Aktenanalyse ......... 182 6.2.2.2.4 Klärung grundlegender Begriffe.............................. 186 6.2.2.3 Fallaufkommen im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons im Alter (Helpline) ......................... 194 6.2.2.3.1 Ergebnisse zur Grundmenge aller eingegangenen Anrufe (N=361) ....................................................... 195 6.2.2.3.2 Analyse der Beratungsfälle im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons im Alter anhand der Erstanrufe (N = 214)......................................... 201 6.2.2.3.3 Beratungsfälle mit Gewaltproblematik im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons (N=107) ......... 210 6.2.2.3.4 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen ......... 222 6.2.2.4 Allgemeine Beratung des Modellprojekts: Analyse von Fallaufkommen und Arbeitsweise.................... 224 6.2.2.4.1 Kontakte im Rahmen der Beratungsarbeit ............. 225 6.2.2.4.1.1 Gesamtheit der Kontakte........................................ 225 6.2.2.4.1.2 Erstkontakte............................................................ 232 6.2.2.4.2 Analyse der Gesamtheit der Beratungsfälle des Modellprojekts ........................................................ 238 6.2.2.4.2.1 Rahmen der Beratung: Anzahl der Kontakte, Dauer der Beratung, Art und Anzahl der GesprächspartnerInnen............................................... 238 16 6.2.2.4.2.2 KlientInnen und Interventionen............................... 244 6.2.2.4.3 Problemkonstellationen und Gewaltproblematiken: Alle Beratungsfälle und Beratungsfälle mit Gewaltkonstellation im Vergleich ................................ 246 6.2.2.4.3.1 Problemkonstellationen .......................................... 246 6.2.2.4.3.2 Gewalteinschätzungen ........................................... 247 6.2.2.4.3.3 Hauptproblematik bei Gewaltfällen......................... 250 6.2.2.4.3.4 Problemcharakteristika und Belastungsfaktoren .... 250 6.2.2.4.3.5 Veränderungen im Beratungsverlauf...................... 254 6.2.2.4.3.6 Beratung in Gewaltfällen ........................................ 255 6.2.2.4.4 Gewaltfälle: Gewaltformen, Täter- und Opfermerkmale und Beziehungskonstellationen ..................... 259 6.2.2.4.5 Zusammenfassung der quantifizierenden Aktenanalyse ................................................................... 270 6.2.2.4.6 Qualitative Fallbeschreibungen .............................. 274 Exkurs: Betrachtungen zu Erscheinungsformen von Nahraumgewalt gegen ältere Menschen anhand von Presseberichten.................................. 294 6.2.3 Beratungsevaluation............................................... 303 6.2.3.1 Ziele........................................................................ 303 6.2.3.2 Methoden und Durchführung der Beratungsevaluation ..................................................................... 305 6.2.3.3 Ergebnisse der Beratungsevaluation...................... 310 6.2.3.3.1 Teilstandardisierte Beratungsevaluationsbögen für Berater- Innen und KlientInnen (BFB und KFB) ..... 310 6.2.3.3.1.1 Beratungsfälle, zu denen nur Einschätzungen der BeraterInnen vorliegen (N=118) ............................. 311 6.2.3.3.1.2 Beratungsfälle, in denen Einschätzungen der BeraterInnen und KlientInnen vorliegen (N=22).......... 323 6.2.3.3.2 Vertiefende qualitative Interviews mit Fallbeteiligten........................................................................... 333 17 6.2.3.3.3 Teilnehmende Beobachtungen der MitarbeiterInnen der Begleitforschung an face-to-face Beratungen ................................................................. 344 6.2.3.4 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen ......... 347 6.2.4 Untersuchungen zur Öffentlichkeitswirksamkeit des Modellprojekts ........................................................ 351 6.2.4.1 Analyse von Veröffentlichungen über das Modellprojekt in allgemein zugänglichen Printmedien ...... 351 6.2.4.1.1 Ziele der Untersuchung .......................................... 351 6.2.4.1.2 Methoden und Durchführung der Untersuchung .... 352 6.2.4.1.3 Ergebnisse.............................................................. 354 6.2.4.1.3.1 Beschreibung des Materials, Anlässe der Berichterstattung................................................................ 354 6.2.4.1.3.2 Aussagen zu Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum ........................................... 357 6.2.4.1.3.2.1 Ergebnisse der inhaltsanalytischen Auswertung der Presseberichte ................................................. 358 6.2.4.1.3.2.1.1 Zu Umriss und Einordnung des Themas „Gewalt gegen Ältere“ .......................................................... 358 6.2.4.1.3.2.1.2 Formen von Gewalt gegen Ältere........................... 359 6.2.4.1.3.2.1.3 Ursachen von Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum ...................................................... 360 6.2.4.1.3.2.1.4 Konzepte für den Umgang mit Gewalt gegen Ältere ...................................................................... 361 6.2.4.1.3.2.1.5 Prävention .............................................................. 362 6.2.4.1.3.3 Ergebnisse der Auswertung der Fallbeispiele ........ 363 6.2.4.1.4 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen ......... 364 6.2.4.2 Telefonische Befragung zur Öffentlichkeitswirksamkeit ................................................................... 365 6.2.4.2.1 Einführung .............................................................. 365 6.2.4.2.2 Ziele, Methoden und Durchführung der Untersuchung .................................................................. 366 6.2.4.2.3 Die Stichprobe ........................................................ 369 18 6.2.4.2.4 Vorbemerkungen zur Aussagefähigkeit der Befragungsbefunde......................................................... 373 6.2.4.2.5 Die Befragungspersonen........................................ 375 6.2.4.2.5.1 Schulabschluss....................................................... 375 6.2.4.2.5.2 Derzeitige Tätigkeit/Erwerbsstatus ......................... 375 6.2.4.2.5.3 Familienstand ......................................................... 376 6.2.4.2.5.4 Haushaltsgröße ...................................................... 376 6.2.4.2.5.5 Einkommen der befragten Personen...................... 377 6.2.4.2.5.6 Pflegebedürftigkeit im Lebensumfeld der Befragten .. 378 6.2.4.2.6 Ergebnisse der Befragung...................................... 379 6.2.4.2.6.1 Gewalt gegen Ältere: Problemkenntnisnahme, Assoziationen und Bedeutsamkeitseinschätzungen... 379 6.2.4.2.6.1.1 Problemkenntnisnahme.......................................... 379 6.2.4.2.6.1.2 Assoziationen zum Problem ................................... 380 6.2.4.2.6.1.3 Bedeutsamkeitseinschätzung: Das Problem und die Problembearbeitung ......................................... 391 6.2.4.2.6.2 Einrichtungen und Initiativen zum Thema Gewalt gegen Ältere: Kenntnis und potentielle Nutzung .... 393 6.2.4.2.6.3 Das Modellprojekt und seine Angebote: Bekanntheitsgrad und Informationsquellen ......................... 397 6.2.4.2.6.3.1 Die Bekanntheit des Modellprojekts im Vergleich mit anderen lokalen Angeboten.............................. 398 6.2.4.2.6.3.2 Bekanntheit der einzelnen Angebote des Modellprojekts ................................................................... 399 6.2.4.2.6.3.3 Informationsquellen bei Kenntnis der zentralen Angebote ................................................................ 404 6.2.4.2.6.3.4 Bekanntheit von Stadtteilaktivitäten und dabei genutzte Informationsquellen ................................. 405 6.2.4.2.7 Zusammenfassung der Befunde und Schlussfolgerungen .................................................................... 408 6.2.5 Vernetzungs-, Fortbildungs- und Veranstaltungsdokumentation und -evaluation .............................. 412 19 6.2.5.1 Vernetzung ............................................................. 412 6.2.5.1.1 Ziele, Methoden und Durchführung der Untersuchungen .............................................................. 415 6.2.5.1.2 Darstellung der Vernetzungsaktivitäten des Modellprojekts ................................................................... 415 6.2.5.2 Fortbildungen und Veranstaltungen des Modellprojekts ................................................................... 424 6.2.5.2.1 Ziele, Methoden und Durchführung der Untersuchungen .............................................................. 425 6.2.5.2.2 Darstellung der Fortbildungs- und Veranstaltungsaktivitäten ............................................................... 426 6.2.5.2.3 Ergebnisse der Befragung von Fortbildungs- und VeranstaltungsteilnehmerInnen.............................. 429 6.2.5.3 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen ......... 431 6.2.6 Dokumentation und Evaluation der Arbeit des Modellprojekts in ausgewählten Stadtbezirken ...... 435 6.2.6.1 Ziele, Methoden und Durchführung der Untersuchungen .............................................................. 435 6.2.6.2 Die Entwicklung der Stadtteilarbeit......................... 437 6.2.6.3 Die Produkte der Stadtteilarbeit.............................. 445 6.2.6.3.1 Die Veranstaltungsreihe Älter werden in Herrenhausen-Stöcken...................................................... 445 6.2.6.3.2 Beratungsführer, Veranstaltungen und Gesprächskreis pflegender Angehöriger im Sahlkamp und in Bothfeld .................................................................. 446 6.2.6.3.3 Der Häusliche Unterstützungsdienst (HUD) in Ricklingen-Mühlenberg........................................... 448 6.2.6.3.3.1 Planung und Umsetzung des Häuslichen Unterstützungsdienstes (HUD)........................................ 449 6.2.6.3.3.2 Evaluation des Häuslichen Unterstützungsdienstes (HUD): Der HUD aus Sicht von Nutzerinnen und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen ..................... 453 6.2.6.4 Die Stadtteilarbeit aus Sicht der TeilnehmerInnen der Arbeitsgemeinschaften „Gewalt im Alter“ ......... 465 20 6.2.6.4.1 Überblick................................................................. 465 6.2.6.4.2 Ziele, Methode, Durchführung und Auswertung der Untersuchung .................................................. 465 6.2.6.4.3 Ergebnisse.............................................................. 466 6.2.6.4.4 Zusammenfassung und abschließende Bemerkungen.......................................................................... 472 6.2.6.5 Die Stadtteilarbeit aus Sicht der MitarbeiterInnen des Modellprojekts................................................. 473 6.2.6.5.1 Aufbau und Bestand der Arbeitsgemeinschaften „Gewalt im Alter“..................................................... 473 6.2.6.5.2 Beratung im Stadtteil .............................................. 481 6.2.6.5.3 Fortbildungen und Veranstaltungen im Stadtteil..... 483 6.2.6.5.4 Öffentlichkeitsarbeit ................................................ 483 6.2.6.5.5 Stadtteilarbeit: Bewertung und Ausblick aus der Perspektive der ModellprojektmitarbeiterInnen ...... 484 6.2.6.6 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen ......... 486 6.3 Das Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ im Vergleich ................................ 489 6.3.1 Überblick................................................................. 489 6.3.2 Gewalt gegen ältere Menschen und Probleme in der Pflege – Präventions- und Interventionsansätze auf nationaler Ebene..................................... 489 6.3.2.1 Ziele, Methoden und Durchführung der Untersuchung .................................................................. 489 6.3.2.2 Problemfelder ......................................................... 493 6.3.2.3 Entwicklung der Angebote...................................... 497 6.3.2.4 Trägerschaft, Anbindung und Finanzierung ........... 501 6.3.2.5 Rechtliche Grundlagen ........................................... 504 6.3.2.6 Personalstruktur und Qualifikation des Personals.. 506 6.3.2.7 Ziele........................................................................ 509 6.3.2.8 Zielgruppen............................................................. 511 6.3.2.9 (Beratungs-)Grundsätze ......................................... 512 21 6.3.2.10 Art der angebotenen Hilfen..................................... 513 6.3.2.11 Kurzdarstellung der Angebote ................................ 515 6.3.2.12 Öffentlichkeitsarbeit ................................................ 519 6.3.2.13 Dokumentation und Auswertung ............................ 520 6.3.2.14 Bisherige Erfahrungen............................................ 521 6.3.2.15 Weitere Initiativen ................................................... 527 6.3.2.16 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen ......... 530 6.3.3 Nahraumgewalt gegen ältere Menschen – ausgewählte Präventions- und Interventionsansätze auf internationaler Ebene ....................................... 531 6.3.3.1 Überblick................................................................. 531 6.3.3.2 Prävention und Intervention bei Gewalt im Alter: USA ........................................................................ 532 6.3.3.2.1 Zur Geschichte der Aktivitäten zu Gewalt gegen ältere Menschen in den USA: Vom Fürsorgemodell über das Pflegestressmodell zu Gewalt gegen Ältere als eine Form von Gewalt in der Familie .................................................................... 532 6.3.3.2.2 Ausgewählte Projekte............................................. 535 6.3.3.3 Prävention und Intervention bei Gewalt im Alter: Australien................................................................ 540 6.3.3.4 Prävention und Intervention bei Gewalt im Alter: Praxisprojekte in Europa ........................................ 543 6.3.3.5 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen ......... 557 7 Zusammenfassung und Diskussion der Befunde der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ ...................... 559 7.1 Zusammenfassende Darstellung des Modellprojekts und der Befunde der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation...................................... 559 7.1.1 Genese des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ ..................................... 559 22 7.1.2 Zustandekommen der wissenschaftlichen Begleitung des Modellprojekts durch die Universität Gießen.................................................................... 561 7.1.3 Grundentscheidungen des Modellprojekts in der präevaluativen Phase ............................................. 561 7.1.4 Arbeitsschwerpunkte des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ ................ 562 7.1.4.1 Stadtteilübergreifende Arbeitsschwerpunkte des Modellprojekts ........................................................ 562 7.1.4.2 Arbeitsschwerpunkte des Modellprojekts in den ausgewählten Stadtbezirken .................................. 565 7.1.5 Grundzüge der Aufgaben und der methodischen Vorgehensweise der Begleitforschung ................... 566 7.1.5.1 Arbeitsschwerpunkte der Begleitforschung in der präevaluativen Phase ............................................. 566 7.1.5.2 Arbeitsschwerpunkte der Begleitforschung in der evaluativen Phase .................................................. 567 7.2 Bilanz der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation des Modellprojekts ...................................... 568 7.2.1 Zielerreichung und Zielabweichung........................ 568 7.2.2 Kritische Aspekte im Verlauf der Begleitforschung. 572 7.2.2.1 Vielfalt, Konflikthaftigkeit und tendenzielle Unvereinbarkeit der Aufgaben der wissenschaftlichen Begleitung............................................................... 572 7.2.2.2 Unmöglichkeit echter Effektmessungen und andere in der Struktur des Evaluandums begründete methodische Einschränkungen .............................. 574 7.2.2.3 Divergierende Perspektiven und Interessen der wissenschaftlichen Begleitung und des Modellprojektteams ................................................................ 575 7.2.2.4 Abhängigkeit der Datenerhebung von den MitarbeiterInnen des Modellprojekts............................... 578 7.2.2.5 Mangel an Theorien und empirisch abgesicherten Befunden zum Gegenstandsbereich der Nahraumgewalt gegen ältere Menschen............................... 579 23 7.2.3 Schlussfolgerungen und Empfehlungen für die künftige Gestaltung der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation öffentlich geförderter Modellprojekte ........................................................ 580 7.3 Bilanz des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ .......................................... 581 7.3.1 Arbeitsergebnisse des Modellprojekts.................... 582 7.3.2 Zielerreichung und Zielabweichung........................ 583 7.3.3 Kritische Aspekte im Verlauf der Durchführung des Modellprojekts.................................................. 587 7.3.4 Schlussfolgerungen und Empfehlungen für die Planung und Ausgestaltung öffentlich geförderter Modellprojekte ........................................................ 591 8 Empfehlungen zur Gestaltung von Hilfeangeboten für von Nahraumgewalt bedrohte und betroffene ältere Menschen................................. 592 8.1 Die Frage der thematischen Spezifität von Hilfeangeboten................................................................... 593 8.2 Integration der Thematik „Nahraumgewalt gegen Ältere“ in bereits bestehende Hilfe- und Beratungsangebote........................................................ 597 8.3 Hilfegrundsätze und bewährte Hilfeansätze im Bereich der Nahraumgewalt gegen Ältere.............. 601 8.3.1 Handlungsgrundsätze der Prävention und der helfenden Intervention im Handlungsfeld „Nahraumgewalt gegen Ältere“............................................... 602 8.3.2 Aufgrund der Erfahrungen im Rahmen des Modellprojekts bewährte und übertragbare Handlungsund Hilfeansätze..................................................... 606 8.4 Zu erprobende Hilfeansätze ................................... 610 8.4.1 Überblick................................................................. 611 8.4.2 Ausgewählte Ansätze ............................................. 614 8.5 Zur Organisationsform und institutionellen Einbindung von Hilfeangeboten........................................ 627 24 8.6 Anmerkungen zur möglichen Finanzierung von Hilfeangeboten ....................................................... 629 8.7 Zum Qualifikationsprofil von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einschlägiger Einrichtungen und Projekte ........................................................................ 630 8.8 Gewaltverständnis und Umgang mit dem Gewaltbegriff in Hilfeangeboten für von Nahraumgewalt bedrohte und betroffene ältere Menschen.............. 632 8.9 Mögliche dysfunktionale Entwicklungen ................. 633 Literatur ................................................................................ 638 Anhang 1: Adressenliste Einrichtungen und Initiativen in der Bundesrepublik Deutschland zum Thema Gewalt im Alter bzw. Missstände und Probleme in der Altenpflege (Stand: 22. Dezember 2000) ...................................................................... 686 Anhang 2: Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum – Empfehlungen auf der Basis einer Expertentagung – ................................................. 689 25 1 Zur Problematik der Nahraumgewalt gegen ältere Menschen 1.1 Problementdeckung und Problemdefinition Zur Problementdeckung „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ – noch vor wenigen Jahrzehnten hätten derartige Formulierungen des Aufgabenschwerpunkts eines wesentlich aus Bundesmitteln geförderten Modellprojekts und eines Forschungsthemas wohl weithin Verwunderung und Befremden ausgelöst. Erst seit Mitte der Siebzigerjahre – und dann zunächst, beginnend mit den kurzen Arbeiten von BAKER (1975; vgl. auch BAKER, 1977) und BURSTON (1975), vor allem in der englischen Fachpresse – sind Phänomene der Gewaltanwendung gegenüber älteren Menschen in nennenswertem Ausmaß Gegenstand öffentlichen Interesses geworden. Nicht zuletzt im Gefolge der Einführung der Pflegeversicherung hat im vergangenen Jahrzehnt die Diskussion um das Wohlergehen älterer Menschen in ihrer alltäglichen Lebensumwelt – sei dies nun die private Häuslichkeit oder eine der sich zunehmend ausdifferenzierenden Sonderwohnformen (vom Betreuten Wohnen bis zum Heim für Schwerstpflegebedürftige) – in Deutschland an Intensität und Dynamik gewonnen. Diese in ihrem Kern vielfach auf die Minderheit pflegebedürftiger älterer Menschen konzentrierte oder gar beschränkte Diskussion verwendet regelmäßig auch den zur Skandalisierung gesellschaftlicher Sachverhalte wie kaum ein anderer geeigneten Begriff der Gewalt. Unabhängig hiervon haben Öffentlichkeit, Medien und Wissenschaft sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten der Erkenntnis geöffnet, dass Gewalt keineswegs etwas ist, was nur fremde Personen einander antun. Es werden nunmehr auch Gewalthandlungen thematisiert, die sich – den Blicken der Öffentlichkeit weitgehend entzogen – im pri1 vaten Wohnbereich und im Kontext enger sozialer – meist familiärer – Beziehungen ereignen. Die Problematisierung innerfamiliärer Gewalt 1 Der Dritte Altenbericht (vgl. BUNDESMINISTERIUM FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN UND JUGEND, 2001) stellt fest, dass „von den mehr als 11,6 Millionen älteren Menschen (65 Jahre und älter) (...) mehr als 93 Prozent in „normalen“ Wohnungen“ leben und lediglich 6,9 Prozent in Heimen und anderen „Sonderwohnformen“ (S.124). 27 vollzog sich – in den Sozialwissenschaften wie in der psychosozialen 2 Praxis – im Wesentlichen in den Schritten : →´elterliche Gewalt gegen Kinder´, →´Gewalt von Männern gegen ihre Ehefrauen und Partnerinnen´, →´sexueller Missbrauch an Kindern´ und schließlich →´Misshandlung und Vernachlässigung Älterer´. Eine systematische wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema der familiären Misshandlung alter Menschen ist seit den Siebzigerjahren festzustellen (FATTAH & SACCO, 1989, S.229). Es gibt wenig gute Gründe zu der Annahme, dass Misshandlung und Vernachlässigung älterer Menschen ausschließlich oder im Wesentlichen Phänomene der Ge3 genwart sind . Die Sozialwissenschaften haben Fragen der gewaltförmigen Viktimisierung älterer Menschen im sozialen Nahraum erst spät thematisiert; der private und häusliche Bereich blieben als Orte von Gewalterfahrungen lange außerhalb ihres Blickwinkels. WETZELS et al. (1995, S.120ff.) haben Viktimisierungen in der Familie und im privaten Raum als „blinden Fleck kriminologischer Opferbefragungen“ bezeichnet. Sie konstatieren eine Zurückhaltung der Kriminologie im Forschungsgebiet der innerfamiliären Gewalt, die auch in einer Zurückhaltung vieler Wissenschaftler begründet sein mag, soziale Probleme zu kriminalisieren. Wie ist die lange Zurückhaltung der Forschung gegenüber Fragen der gewaltförmigen Viktimisierung älterer Menschen zu erklären? • Sozialwissenschaftliche Forschung und Theoriebildung haben sich überwiegend an den im Kriminalitätsbild dominierenden Bevölkerungsgruppen, d.h. vor allem an jüngeren Männern orientiert (vgl. für die Kriminologie HANNON & DUFOUR, 1998). 2 Zur Thematisierungsgeschichte innerfamiliärer Gewalt vgl. u.a. DIECK (1987), UTECH & GARRETT (1992); zur sozialen und wissenschaftlichen Konstruktion des Themas der familiären Gewalt gegen Ältere auch BAUMANN (1989), CRYSTAL (1987), LEROUX & PETRUNIK (1990). Manche Autoren sehen gleichwohl die Moderne als eine für Ältere besonders bedrohliche Epoche. GRONEMEYER (1991) spricht vom „Bruch des Generationenbündnisses“ (S.7), vom Zerfall der Familie. An die Stelle der früheren Wirtschaftseinheit Familie sei eine auf (instabile) Emotionen gegründete Gesellungsform getreten; ehemals familiäre Aufgaben würden (unzureichend) von der Gesellschaft übernommen. Die Familie sei heute „kein Schutzbündnis der Generationen mehr, sondern eine Brutstätte von Gewalt und Krankheiten“ (S.29); das „Prinzip des größtmöglichen Konsums“ sei das „letzte Bindeglied zwischen den Generationen.“ (S.31). Mit dem Ende der Familie prognostiziert Gronemeyer auch ein nahendes Ende der familiären Pflege. „Die Familienpflege, die heute der Normalfall ist, wird es in der Zukunft kaum noch geben“ (S.39). An ihre Stelle treten Pflegeheime, die er als „getarnte Sterbekliniken“ (S.39) bezeichnet und deren Zukunft ´Rationalisierung´ heiße. 3 28 Das Risiko, Opfer einer polizeilich registrierten Gewalttat zu werden, ist in der Altersgruppe ab 60 Jahren deutlich niedriger als bei Jüngeren. Die Polizeiliche Kriminalstatistik (BUNDESKRIMINALAMT, 2000) weist für das Jahr 1999 bei Körperverletzungsdelikten 103,6 ältere Opfer auf 100.000 Personen dieser Altersgruppe aus, bei den 21-59Jährigen sind es 571,2 und bei den Heranwachsenden 1742,1. Ähnlich deutliche Unterschiede finden sich auch für Tötungs- und Sexualdelikte sowie für Straftaten gegen die persönliche Freiheit. Bei Raubdelikten ist der Unterschied zur Gruppe der 21-59-jährigen mit 44,5:79,3 weniger stark ausgeprägt; hier macht sich die relativ starke Opferbelastung älterer Frauen im Bereich des Handtaschenraubes bemerkbar. Während der Anteil alter Menschen an den polizeilich registrierten Kriminalitäts- und Gewaltopfern gering ist, beschäftigt das mutmaßlich hohe Niveau von Kriminalitätsängsten und kriminalitätsbezogenen Befürchtungen in dieser Altersgruppe die Forschung seit einer Reihe von Jahren (vgl. u.a. BILSKY & WETZELS, 1997; GREVE, 1998; GREVE, HOSSER & WETZELS, 1996; KURY, 1997; KURY & OBERGFELLFUCHS, 1998; MCCOY et al., 1996; PAIN, 1995; REUBAND, 1999). Hier gilt ein beträchtlicher Teil der Forschungsaktivitäten dem sog. Viktimisierungs-Furcht-Paradox. Wird zum Teil bereits die Existenz einer gegenläufigen Beziehung von Viktimisierungserfahrung und Furcht im Alter in Zweifel gezogen, plausibilisieren andere Ansätze ein relativ hohes Furchtniveau im Alter. Sie stellen u.a. darauf ab, dass Kriminalitätsfurcht wesentlich mehr sei als die subjektive Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer strafrechtlich relevanten Viktimisierung, alte Menschen sich vielfach durch eine erhöhte Vulnerabilität auszeichneten – man denke z.B. an einen Oberschenkelhalsbruch und daraus erwachsende Pflegebedürftigkeit als Folgen eines Sturzes, der sich im Verlauf eines Handtaschenraubes ereignet – und die niedrigen Viktimisierungsraten nicht nur als Ausgangspunkt, sondern auch als Folge erhöhter Furcht und daraus erwachsender Vorsicht und entsprechenden Schutz- und Vermeideverhaltens zu verstehen seien. Starke Kriminalitätsfurcht führe – so FATTAH (1993, S.22) – zu „Verhaltens- und Einstellungsänderungen, die dazu beitragen, dass ältere Menschen sich viktimogenen Situationen und Umgebungen in erheblich geringerem Maße aussetzen“. Zudem wird angeführt, dass das polizeiliche und strafjustizielle Hellfeld tatsächliche Opfer- und Gewalterfahrungen alters- und geschlechtsbezogen selektiv abbilde und Viktimisierungen älterer Menschen sich in starkem Maße im häuslichen Bereich ereigneten und damit oft im Dunkelfeld verblieben. Auch als Straftäter sind ältere Menschen im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen unterrepräsentiert. 119.252 Tatverdächtige ab 29 60 Jahren traten im Jahre 1999 polizeilich in Erscheinung. Aus dieser Altersgruppe rekrutierten sich damit lediglich 5,3% aller Tatverdächtigen. 34,3% der älteren Tatverdächtigen waren weiblichen Geschlechts gegenüber 25,9% bei den 50-59-Jährigen und 18,5% bei den Heranwachsenden (BUNDESKRIMINALAMT, 2000). Wenn Ältere strafrechtlich auffällig werden, so ganz überwiegend in Fällen des einfachen Diebstahls (bei älteren Frauen nahezu 2/3 aller Tatverdächtigen); daneben spielen Betrug und Beleidigung eine Rolle, bei 4 den Männern ferner einfache Körperverletzungsdelikte. • KAWELOWSKI (1992, S.559) weist darauf hin, dass misshandelte und vernachlässigte Senioren weder große Beschwerdemacht haben noch – wie etwa misshandelte Kinder – über eine starke Lobby verfügen, dass also weder die Betroffenen noch eine Interessengruppe das Thema auf die Agenda von Forschung und Politik gesetzt haben. • Stereotype und vereinfachende Vorstellungen über Merkmale und Lebensstile älterer Menschen auf der einen, Entstehungsbedingungen und Beweggründe gewaltförmigen Handelns auf der anderen Seite mögen zu der Vorstellung beigetragen haben, dass Ältere nur in geringem Maße der Gefahr gewaltsamer Viktimisierung ausgesetzt sind. Greift man etwa auf die Begrifflichkeiten des von Larry COHEN und Marcus FELSON formulierten Routine Activities-Ansatzes (COHEN & FELSON, 1979; vgl. auch CLARKE & FELSON, 1993; FELSON, 1987; 1994) zurück, dem zufolge die Wahrscheinlichkeit eines Delikts vom Vorhandensein von motivierten Tätern (motivated offenders) und geeigneten Zielen (suitable targets) und dem Fehlen wirksamer Schutzvorrichtungen (capable guardians) abhängt, so mag es auf den ersten Blick scheinen, als seien ältere Menschen ökonomisch eher unattraktive Ziele, als mache ihr auf die häusliche Umgebung konzentrierter Lebensstil sie für Straftäter schwer erreichbar, als seien sie ferner durch kulturelle Normen und Tabus und entsprechende höhere subjektive Straferwartungen der Täter in besonderem Maße geschützt. • Ein zweiter Blick zeigt jedoch, dass diese Sichtweise die Realität in mehrfacher Hinsicht vereinfacht und den Betrachter in die Irre führt. Zunächst setzt sich die heutige ältere Generation nicht aus in besonderem Maße durch ökonomische Ressourcenknappheit gekenn5 zeichneten Kohorten zusammen . Gewalthandlungen müssen nicht ökonomisch motiviert sein; sie können aus der Sicht des Täters auch 4 5 30 Hinzu kommen in der Polizeilichen Kriminalstatistik nicht erfasste, vor allem fahrlässig begangene Körperverletzungsdelikte (vgl. KREUZER, 1992, S.32ff.). So führt SCHMÄHL (2001) aus, dass der nicht in stationären Einrichtungen lebende Teil der älteren Generation – bei großer Heterogenität der Einkommenslagen – in geringerem Maße als alle anderen Altersgruppen unter den Beziehern von Hilfe zum Lebensunterhalt vertreten ist. Reaktionen auf vorangegangenes aggressives Verhalten des Opfers darstellen, können in komplexe familiäre Beziehungsdynamiken eingebettet sein, in akuten Krisen- und Belastungssituationen – etwa im Kontext familiärer Pflegebeziehungen – entstehen oder in Störungen in der Person des Gewaltausübenden wurzeln (etwa in Alkoholmissbrauch, der mit gesteigerter Aggressivität einhergeht). Existenz und Verhaltenswirksamkeit spezifischer Normen, welche Ältere vor Gewalterfahrungen schützen, bedürften erst erfahrungswissenschaftlicher Belege. Die Beschränkung auf die Häuslichkeit kann nur dann als gewaltpräventiv gelten, wenn man von der Vorstellung fremder, nicht aus dem familiären Umfeld stammender Täter ausgeht. Der familiäre Raum hingegen zeichnet sich gerade durch ein geringes Maß an externer Kontrolle aus. Es gibt somit in Bezug auf das Problem familiärer Gewalt gegen Ältere gute Gründe für die Annahme, dass die von COHEN und FELSON benannten Grundkomponenten „motivierte Täter“, „geeignete Ziele“ und „fehlende Schutzvorrichtungen“ in vielfacher Weise zusammentreffen können (auf der Seite der gewaltausübenden Personen, die sich bereichern, ihre Macht demonstrieren, aufgestaute Aggressionen abbauen, „alte Rechnungen begleichen“, seit langem „erfolgreich“ praktizierte Gewaltmuster fortsetzen wollen; auf der Seite der Opfer Personen, die über materielle Ressourcen verfügen, sich schlecht zur Wehr setzen können, die Beziehung zu dem Gewaltausübenden nicht aufs Spiel setzen wollen, die Viktimisierung aus Scham und aus Furcht vor der im Falle einer Offenbarung für möglich gehaltenen unabwendbaren Übersiedlung in eine stationäre Pflegeeinrichtung geheim halten; schließlich ein Tatumfeld, das den Blicken der Öffentlichkeit weitgehend entzogen ist, in dem informelle, erst recht strafrechtliche Mechanismen der sozialen Kontrolle nur schwach wirksam sind). Es bleibt festzuhalten: Gewalterfahrungen älterer Menschen in der Familie und in anderen engen sozialen Beziehungen finden erst seit etwas mehr als zwei Jahrzehnten in nennenswertem Umfang Beachtung. Seniorinnen und Senioren waren nach Kindern und Frauen die dritte und vorerst letzte Opfergruppe, der sich Forschung, Politik und psychoso6 ziale Praxis zugewandt haben . Während Ältere im Bereich der polizeilich registrierten Delikte als Opfer wie als Täter im Vergleich zu anderen Altersgruppen schwach vertreten sind, gibt es plausible Gründe für eine 6 Fragen der Viktimisierung von Männern (im mittleren Lebensalter) in engen sozialen Beziehungen stehen erst am Anfang einer wissenschaftlichen Befassung. Vorerst bleibt offen, ob sich hier ein neuer Forschungszweig etablieren wird (vgl. die Arbeiten von BATES, 1981; BROWNE, 1987; GEMÜNDEN, 1996; LENZ, 1996; 1999; MERCY & SALTZMAN, 1989; MÖLLER, 1994; PAGELOW, 1985; POLZ, 1998; SAUNDERS, 1986; STEINMETZ & LUCCA, 1988; STRAUS & GELLES, 1995). 31 Beschäftigung von Forschung und Praxis mit dem Problem innerfamiliärer Gewalt gegen Ältere und für die Annahme, dass dieser Deliktsbereich in den offiziellen Kriminalstatistiken wie auch im sozialbehördlichen Fallaufkommen stark unterrepräsentiert ist. Hinzu kommt – und darauf gründet sich im Wesentlichen die von NIEDERFRANKE & GREVE (1996) erhobene Forderung nach einer Geronto-Viktimologie –, dass Antizipation, Erleben und Verarbeitung von Gewalterfahrungen bei älteren Menschen spezifische Ausprägungen annehmen, die sowohl eigene sozialwissenschaftliche, insbesondere viktimologische Analysen erfordern als auch die Implementation altersgruppenspezifischer Hilfeangebote angeraten erscheinen lassen. Zur Erhellung des Dunkelfeldes hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend durch Vergabe eines Forschungsauftrages an das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen im Jahre 1992 Wegweisendes beigetragen. Grundlegende Erkenntnisse zu Erscheinungsformen und Verbreitung innerfamiliärer Gewalt gegen alte Menschen entstammen – für die Bundesrepublik Deutschland – im Wesentlichen dieser Studie (vgl. WETZELS, GREVE, MECKLENBURG, BILSKY & PFEIFFER, 1995). Das BMFSFJ hat ferner im März 1996 in Bonn eine internationale Fachtagung zum Thema ‚Gewalt gegen Ältere zu Hause’ initiiert, organisiert und durchgeführt (BUNDESMINISTERIUM FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN UND JUGEND, 1997b); diese Fachtagung hat dazu beigetragen, die Erkenntnisse aus der Studie des KFN zu vertiefen und Grundlinien politischen Handelns in Bezug auf die Thematik der Nahraumgewalt gegen Ältere zu erarbeiten. Zur Problemdefinition Bis heute wird im Forschungsfeld „Gewalt gegen Ältere“ weder eine einheitliche Terminologie verwandt, noch sind die Definitionen der verwendeten Begriffe allgemein akzeptiert. Diese Vielfalt und Uneinheitlichkeit hängt auch und nicht zuletzt damit zusammen, dass „Gewalt gegen Ältere“ in Praxis wie Wissenschaft ein Feld ist, dem sich sehr unterschiedliche Disziplinen und Professionen zuwenden (Sozialarbeiter, Mediziner, Juristen und andere Professionen in der Praxis, Kriminologie, Gerontologie, Psychologie, Soziologie, Pflegewissenschaft und weitere Disziplinen in der Forschung; vgl. auch UTECH & GARRETT, 1992; GLENDENNING, 1997b), die je ihre eigenen konzeptuellen und theoretischen Traditionen einbringen und pflegen. 32 Dennoch lassen sich bestimmte Tendenzen herausarbeiten. Kennzeichnend für die Diskussion um Gewalt gegen Ältere ist vor allem ein Gewaltkonzept, welches weit über das Alltagsverständnis von Gewalt hinaus geht, sich nicht auf die physische Ebene der Zwangsausübung beschränkt und auch Formen der Gewaltausübung durch Unterlassen (insbesondere im pflegerischen Bereich) einschließt. Die gebräuchlichsten Definitions- und Klassifikationsversuche sind denen aus dem Bereich der Thematisierung von Kindesmisshandlung und Kindesmissbrauch recht ähnlich. Im deutschen Sprachraum weithin zitiert und gebraucht und – wie im weiteren Verlauf der Darstellung deutlich werden wird – auch für die Arbeit des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ von Bedeutung ist eine Taxonomie von Margret Dieck. DIECK (1987, S.311) stellt zunächst klar, dass Gewalt sowohl in aktivem Tun als auch im Unterlassen einer gebotenen Handlung bestehen und somit die Grundformen der Misshandlung und der Vernachlässigung annehmen kann. Sie greift damit die in der englischsprachigen Literatur übliche Unterscheidung zwischen elder abuse und elder neglect auf. Misshandlung definiert DIECK als „ein aktives Tun, das den Adressaten dieser Handlung in seiner Befindlichkeit in spürbarer Weise negativ berührt bzw. seinem expliziten Wunsch deutlich widerspricht“. Sie unterscheidet die Unterformen der körperlichen Misshandlung, d.h. des aktiven Beibringens körperlicher Beeinträchtigungen, inklusive der Immobilisierung, des sexuellen Missbrauchs und der Übermedikamentierung, der psychischen Misshandlung – vor allem in Form von Beschimpfung, Einschüchterung, Drohung und Isolierung, der finanziellen Ausbeutung alter Menschen und der Einschränkung ihres freien Willens, welche u.a. in „Behinderungen in der Ausübung der Zivilrechte“ – etwa bei der Wahl des Wohnortes oder der Abfassung eines Testaments – bestehen kann. Demgegenüber beschreibt das Konzept der Vernachlässigung in den Worten von DIECK „die Unterlassung von Handlungen, die situationsadäquat wären im Sinne des erkennbaren Bedarfs oder expliziten Wunsches des Adressaten dieser Nicht-Handlung“. Vernachlässigung gibt es in aktiver Form im Sinne des bewussten Verweigerns bestimmter Handlungen und in passiver Form im Sinne des „Nichterkennens von 7 Bedarfssituationen“ . 7 Da Vernachlässigung per definitionem eine Unterlassung, ein Nicht-Handeln darstellt, wäre zu überlegen, ob terminologisch zwischen passiven und aktiven Formen differenziert werden sollte. Die von DIECK vorgenommene Unterscheidung ließe sich mindestens ebenso gut mit den Begriffspaaren „intentional – nicht intentional“ oder „zielgerichtet – nicht zielgerichtet“ belegen. 33 Die sehr ähnliche und vielen Definitions- und Abgrenzungsversuchen in den USA zu Grunde gelegte Klassifikation von WOLF & PILLEMER (1989) umfasst die Kategorien physical abuse, psychological abuse, material abuse, active neglect und passive neglect. Das National Center on Elder Abuse (vgl. z.B. TATARA & KUZMESKUS, 1999) subsumiert aktuell sieben Verhaltens- und Deliktsmuster unter den Oberbegriff elder abuse: körperliche Misshandlung (physical abuse), sexueller Missbrauch (sexual abuse), emotionale Misshandlung (emotional abuse), finanzielle bzw. materielle Ausbeutung (financial / material exploitation), Vernachlässigung (neglect), Aussetzen bzw. Verlassen in hilfloser Lage (abandonment) und schließlich auch Selbstvernachlässigung älterer Menschen (self-neglect: „behaviors of an elderly person that threaten the elder´s health or safety“; TATARA & KUZMESKUS, 1999, S.2). In dieser sehr breit angelegten Definition spiegelt sich zugleich der Aufgabenund Zuständigkeitsbereich amerikanischer Adult Protective Services wider. Zu beachten ist, dass die Oberbegriffe, die im deutschen und im englischen Sprachraum gebräuchlich sind, weder wechselseitig wörtliche Übersetzungen sind noch sich in ihrem manifesten Bedeutungsgehalt und in ihren Konnotationen restlos decken. Ist in Deutschland meist von „Gewalt gegen ältere Menschen“ die Rede, so hat sich im Englischen 8 vor allem das Begriffspaar „elder abuse and neglect“ eingebürgert. Dessen wörtliche Übersetzung („Missbrauch und Vernachlässigung Älterer“) konnte sich im deutschsprachigen Raum wohl vor allem deshalb nicht durchsetzen, weil der Begriff des Missbrauchs hier so stark sexuell konnotiert ist, dass er auf den Gegenstandsbereich nicht anwendbar erschien. Der Terminus „Gewalt“, den man stattdessen meist verwendet, ist insofern problematisch, als er nicht nur über das Alltagsverständnis von Gewalt (im Sinne von Individuen ausgehender, von ihren Auswirkungen her schwerwiegender und nicht – etwa durch Notwehr oder die berufliche Rolle – gerechtfertigter körperlicher Zwangseinwirkung auf andere Individuen), sondern auch über strafrechtliche Gewaltkonzepte weit hinausgeht, Delikte wie Beleidigung und Unterlassen von Hilfeleistungen 8 34 Andere im englischsprachigen Raum verwendete englische Begrifflichkeiten sind elder maltreatment (vgl. z.B. FLEISHMAN & RONEN, 1989; HALL, 1989; MENDONCA, VELAMOOR & SAUVE, 1996; PILLEMER, 1988b; PILLEMER & BACHMAN-PREHN, 1991; VALENTINE & CASH, 1986), elder mistreatment (vgl. z.B. BAUMHOVER. & BEALL, 1996; BEAULIEU & BÉLANGER, 1995; BENDIK, 1992; BLAKELY & DOLON, 1991; BRECKMAN & ADELMAN, 1988; DECALMER & GLENDENNING, 1993; FULMER, 1994; JOHNSON, 1991; RAMSEY-KLAWSNIK, 1995); violence against the elderly (oft mit dem Zusatz domestic violence oder family violence, vgl. z.B. HUDSON, 1995; PAGELOW, 1992; Paris, 1996; PAVEZA et al., 1992; PILLEMER, 1985; PILLEMER & SUITOR, 1992; VINTON, ALTHOLZ & LOBELL-BOESCH, 1997). umschließt und im Widerspruch und in Konkurrenz zu Gewaltkonzepten steht, wie sie in Teilen der Sozialwissenschaften verwandt werden (erinnert sei etwa an die enge Definition von POPITZ, 1992, S.4: „Gewalt meint eine Machtaktion, die zur absichtlichen körperlichen Verletzung anderer führt“). In den USA umfasst das Konzept elder abuse meist auch bestimmte Formen von Eigentumsdelikten – insbesondere solche, die den Bruch eines Vertrauensverhältnisses oder das Ausnutzen von Abhängigkeiten implizieren – und belegt sie mit Begrifflichkeiten wie financial abuse (MEANS & LANGAN, 1996; WEILER, 1989) oder financial exploitation (BLUNT, 1993; PRICE & FOX, 1997; SANCHEZ, 1996). Weicht dies bereits beträchtlich von dem ab, was der im Deutschen primär verwandte Gewaltbegriff nahe legt, so wird die Diskrepanz noch deutlicher, wenn berücksichtigt wird, dass – in der Forschung wie in der Praxis – in den USA auch Fälle der Selbst-Vernachlässigung älterer Menschen vielfach unter das Konzept elder abuse and neglect subsumiert werden (vgl. z.B. LAUDER, 1999; LONGRES, 1994; 1995; OTINIANO & HERRERA, 1999). Dies ist insofern von größter Bedeutung für die Interpretation von Prävalenz- und Inzidenzdaten, als self-neglect-Fälle – insbesondere wenn die Erhebung sich auf Daten von Adult Protective Services stützt – in amerikanischen Studien oft den größten Teil des Fallaufkommens ausmachen. So wurden etwa in der „Abuse of Hispanic elders“ überschriebenen Untersuchung von OTINIANO & HERRERA (1999) 63,2% der bei texanischen Adult Protective Services bekannt gewordenen Fälle der Kategorie self-neglect zugeordnet. Diese große quantitative Bedeutung von Fällen der Selbstvernachlässigung innerhalb des Gesamtkomplexes „elder abuse and neglect“ kann zu Missverständnissen führen. So überschreiben z.B. DYER, PAVLIK, MURPHY & HYMAN (2000) ihre Arbeit mit „The high prevalence of depression and dementia in elder abuse or neglect“; die berichteten signifikanten Unterschiede in der Verbreitung von Demenz- und Depressivitätssymptomen zwischen zwei Patientengruppen einer geriatrischen Klinik sind jedoch im Wesentlichen Unterschiede zwischen Personen, die wegen Selbstvernachlässigung eingewiesen wurden und Patienten mit anderen Diagnosen. Gewalteinwirkung durch Dritte (und sei es auch in Form pflegerischer oder psychosozialer Vernachlässigung) spielt quantitativ eine untergeordnete Rolle und eignet sich daher alleine nicht zur Kontrastierung mit ´nicht misshandelten oder vernachlässigten Älteren´. Im deutschen wie im englischen Sprachraum wird „Gewalt“ bzw. „abuse / neglect“ im Wesentlichen im Sinne einer Verletzung von (positiven wie natürlichen) Rechten älterer Menschen und der vermeidbaren Zufügung von Übeln konzipiert; der Verstoß gegen jeweilige nationale Straf35 rechtsnormen ist kein definitorischer Bestandteil der Konzepte. Im Unterschied zum Gewaltkonzept enthalten die Begriffe Missbrauch, Misshandlung und Vernachlässigung die Vorstellung des Bruchs einer Vertrauensbeziehung und der Missachtung von Verantwortlichkeiten und 9 Verpflichtungen . Ein sehr weiter Gewaltbegriff, wie er in der deutschen Diskussion derzeit dominiert, bietet mannigfaltige Skandalisierungspotenziale (vgl. dazu NEIDHARDT, 1986) und umfasst per definitionem einen sehr weiten und in sich heterogenen Phänomenbereich. Der Begriff bedarf daher in der Diskussion unbedingt der Erläuterung und Differenzierung. Sicherlich müssen begriffliche Fassungen eines gesellschaftlichen Problems relativ kurz sein, sollen sie sich in der Öffentlichkeit durchsetzen. Im vorliegenden Fall wäre jedoch an Klarheit gewonnen, wenn man den Begriff „Gewalt gegen ältere Menschen“ durch das Begriffspaar „Misshandlung und Vernachlässigung älterer Menschen“ ersetzte. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass in der Diskussion um „Gewalt gegen Ältere“ ein sehr weiter Gewaltbegriff vorherrscht, welcher in aller Regel körperliche und seelische Formen der Misshandlung sowie pflegerische Vernachlässigung, oft auch psychosoziale Formen der Vernachlässigung und schließlich Eigentums- und Vermögensdelikte gegenüber älteren Menschen einbezieht. In den Vereinigten Staaten umfasst das Begriffspaar „elder abuse and neglect“ darüber hinaus vielfach die Kategorie der Selbst-Vernachlässigung älterer Menschen, Schädigungen also, die ohne Einwirkung Dritter zu Stande kommen. Sowohl die Breite und Heterogenität des unter einen derartigen Gewaltbegriffs subsumierten Phänomenbereichs als auch die große Diskrepanz zu einem alltagssprachlichen Gewaltverständnis machen es unverzichtbar, die jeweils verwendeten Gewaltkonzepte offen zu legen und die verschiedenen Grundformen differenzierend zu betrachten. Dies gilt für die Forschung, die es sich nicht erlauben kann, mit einem summarischen Gewaltkonzept zu operieren, wie für die psychosoziale Praxis, welche für die verschiedenen Erscheinungsformen von „Gewalt gegen Ältere“ je spezifische Strategien der Prävention und Intervention zu entwickeln hat. 9 36 Dies wird z.B. deutlich in der abuse-Definition von STONES (1995, S.114): „A misdemeanor against acknowledged standards by someone a senior has reason to trust“. 1.2 Forschungsstand: Erscheinungsformen, Verbreitung und Entstehung von Nahraumgewalt gegen Ältere Insgesamt ist der Bereich der Misshandlung und Vernachlässigung älterer Menschen im sozialen Nahraum schwer zugänglich. Dies gilt für Forschung, Strafverfolgung und psychosoziale Praxis gleichermaßen. Faktoren, welche Forschungshindernisse darstellen, schaffen meist zugleich auch Entdeckungs- und Nachweisprobleme für die Strafverfolgung und Zugangshindernisse für Hilfeangebote. Es ist davon auszugehen, dass die Mehrzahl der Fälle der innerfamiliären Misshandlung und Vernachlässigung älterer Menschen weder den Strafverfolgungsbehörden noch einschlägigen Hilfeinstanzen zur Kenntnis gelangen und dass auch die Forschung – selbst dort, wo sie Methoden der Dunkelfeldanalyse anwendet – nur in begrenztem Umfang in der Lage ist, Quantität und Qualität entsprechender Vorkommnisse zu erfassen. Für eine solche Annahme sprechen u.a. folgende Überlegungen: Die einschlägigen Delikte werden per definitionem im privaten Raum und „hinter verschlossenen Türen“ begangen. Sie sind damit zum einen den Blicken der Öffentlichkeit entzogen, zum anderen unterliegen Gewalthandlungen in der Familie zum Teil immer noch anderen Wertungen als solche im öffentlichen Raum und untereinander fremden Personen. • Während misshandelte und vernachlässigte Kinder und Jugendliche meist über Kindergarten, Schule, Clique etc. regelmäßige Außenkontakte haben, leben ältere Menschen bisweilen relativ zurückgezogen in ihrer privaten Häuslichkeit; damit sinkt die Chance der Entdeckung und rechtzeitigen Intervention. • Scham- und Schuldgefühle können auf Seiten der Gewaltbetroffenen wie der Gewaltausübenden dazu führen, dass keine Hilfe gesucht wird und die den Gewalthandlungen zu Grunde liegenden Probleme gegenüber Dritten (auch gegenüber Forschern) möglichst verdeckt werden. • Opfer von Misshandlung und Vernachlässigung fürchten die „Nebenfolgen“ einer Offenbarung der ihnen widerfahrenen Viktimisierung bisweilen mehr als den Fortbestand der Beziehung zu der gewaltausübenden Person. Zu diesen Nebenfolgen gehören vor allem der Verlust sozialer Unterstützung und sozialer Beziehungen (oftmals inklusive der Beziehung zu der gewaltausübenden Person), der Verlust des privaten Wohnumfeldes und die Übersiedlung in eine Einrichtung der stationären Altenhilfe, schließlich auch befürchtete Repressalien seitens des Gewaltausübenden oder seines Umfeldes. • 37 • • • • • • • Gesundheitliche Beeinträchtigungen, insbesondere dementielle Erkrankungen und Einschränkungen der Kommunikationsfähigkeit und der Mobilität, machen es für Gewaltbetroffene schwer, wenn nicht gar unmöglich, selbstständig Hilfe zu suchen und ihre Gewalterfahrungen zu schildern. Die gleichen Einschränkungen beeinträchtigen auch die Forschung und die polizeilichen bzw. staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen. Gerade die mutmaßlich stark gefährdete Gruppe der dementen Hochbetagten steht für sozialwissenschaftliche Opferbefragungen wie für polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Vernehmungen nur sehr eingeschränkt zur Verfügung. Dementiell erkrankte Personen und solche, die an starken Einschränkungen ihrer kommunikativen Fähigkeiten (z.B. Taubheit, Beeinträchtigungen der Sprache nach Schlaganfall) leiden, sind für Strafverfolgungsinstanzen wie für Sozialbehörden insofern „schwierige Zeugen“, als sowohl die kommunizierten Inhalte als auch deren Verlässlichkeit oftmals nur schwer zu erschließen bzw. zu beurteilen sind. Krankheitsfolgen und Erscheinungsformen von Alterungsprozessen sind vielfach nicht eindeutig von Misshandlungs- und Vernachlässigungssymptomen zu unterscheiden; Gewalteinwirkungen werden bei multimorbiden Personen nicht bemerkt, da sie quasi im Gesamtbild der Krankheitssymptomatik „untergehen“. Folgen von Selbst-Vernachlässigung sind vielfach schwer von Fremdeinwirkungen zu unterscheiden. Insbesondere im Bereich der emotionalen und verbalen Aggression und der psychosozialen Vernachlässigung fehlt es an körperlichen oder Verhaltensindikatoren, welche sichere Schlüsse auf das Vorliegen von Gewalterfahrungen zuließen. Es fehlt Gewaltbetroffenen an Wissen über verfügbare Hilferessourcen. Strafverfolger, Mitarbeiter von Sozialbehörden und anderen Hilfeeinrichtungen, Ärzte, Pflegende und andere Gesundheitsdienstleister sind bisher meist nicht dafür ausgebildet, Misshandlung und Vernachlässigung bei älteren Menschen zu erkennen und entsprechend darauf zu reagieren. Über reine Informations- und Kompetenzdefizite hinaus ist bei diesen Berufsgruppen mit motivationalen Hemmungen zu rechnen, entsprechende Vorfälle zu erkennen und anzusprechen. Ob es – wie in Diskussionen um „Gewalt gegen Ältere“ immer wieder betont (vgl. DIECK, 1993; DAVIES, 1995) – darüber hinaus ein wirksames kollektives Thematisierungstabu gibt, muss angesichts der wachsenden Zahl von spezifischen Hilfeangeboten, Fachpublikationen, Fachtagungen, Publikationen in der Tagespresse und anderen an die allgemeine 38 Öffentlichkeit gerichteten Medien inzwischen bezweifelt werden. Derartige Tabubehauptungen sind typisch für die frühen Phasen der Entdeckung sozialer Probleme (vgl. BAUMANN, 1989); sie sind in hohem Maße geeignet, das öffentliche Interesse an dem zum Tabuthema erklärten Problem zu wecken bzw. zu verstärken. Es scheint, dass im vorliegenden Fall in solche Behauptungen mehrere Wahrnehmungen und Annahmen einfließen, die dann unter dem Tabubegriff zusammengefasst werden, gleichwohl aber klar unterscheidbare Inhalte haben. Zu diesen Wahrnehmungen und Annahmen gehören die folgenden: Es gibt eine starke und seit langem bestehende, auch in der christlichen Tradition begründete gesellschaftliche Norm, ältere Familienmitglieder in besonderem Maße zu respektieren und zu achten, ihnen jedenfalls keine Gewalt anzutun. • Nach dem Grundsatz, dass nicht sein könne, was nicht sein dürfe, hat ´die Gesellschaft´ ein Verbot der Thematisierung familiärer Gewalt gegen Ältere verhängt. • Gewaltausübende versuchen, ihre vorsätzlichen, fahrlässigen oder impulsgesteuerten gewaltförmigen Handlungen und Unterlassungen zu verschweigen und zu verschleiern. • Von Gewalt Betroffene sprechen aus Angst und aus Scham nicht über das, was ihnen widerfahren ist. • Tabu-Diskurse waren über viele Jahre besonders dominant in der Diskussion um innerfamiliären sexuellen Missbrauch und Misshandlung von Kindern (vgl. z.B. BANGE, 1989; ELLIOTT, 1994; MOORE, 1981; NEUMANN, 1993), werden aber dort inzwischen im Hinblick auf ihre Realitätsadäquatheit wie ihre Folgen auch kritisch betrachtet (vgl. u.a. RUTSCHKY, 1990; SCHMAUCH, 1996). Zusammenfassend kann zunächst festgestellt werden, dass Forschung und Praxis hinsichtlich des Problems der Nahraum-Viktimisierung älterer Menschen vor beträchtlichen Zugangsproblemen stehen, die sich im Wesentlichen aus Merkmalen der an der Misshandlung oder Vernachlässigung beteiligten Personen, der Begehungsweise und des Tatkontexts ableiten lassen. Jenseits der Frage eines Zugangs zum Forschungsfeld sind Befunde zur familiären Gewalt gegen alte Menschen in starkem Maße stichproben-, methoden- und definitionsabhängig. Forschungsergebnisse werden vor allem determiniert • durch die jeweils zugrundegelegte Definition von Gewalt gegen Ältere bzw. elder abuse and neglect (Was wird unter das Konzept gefasst? Werden bestimmte Formen von Eigentums- und Vermögens39 delikten einbezogen? Wird gar Selbstvernachlässigung ohne erkennbare Einwirkung Dritter unter den Begriff subsumiert?), • durch die Definition anderer Kernbegriffe, z.B. des Begriffs der Familie bzw. des Nahraums (Werden nur Viktimisierungen durch Haushaltsmitglieder in Betracht gezogen? Welche Rolle spielt die Zugehörigkeit zur Familie des Gewaltbetroffenen? Ist der persönliche Nahraum gleichbedeutend mit der privaten Häuslichkeit? Erstreckt er sich darüber hinaus? Meint der Begriff vielleicht überhaupt keinen physikalischen Raum, sondern ein soziales Beziehungsgeflecht?), • durch die Festlegung der Bezugspopulation (Ab welcher Altersgrenze wird eine Person der Gruppe der Älteren zugerechnet? Sollte sogar ein individuell-beurteilendes Kriterium für Alter zugrunde gelegt werden? Werden nur diejenigen Älteren in Betracht gezogen, die in Privatwohnungen leben? Werden bestimmte Sonderwohnformen einbezogen? Gibt es Kriterien, die zum Ausschluss aus der Grundgesamtheit führen – z.B. fehlende Deutschkenntnisse, dementielle Erkrankungen, schwere Formen von Pflegebedürftigkeit? Auf welchen geographischen Raum erstreckt sich die Untersuchung? Auf welcher Informations- und Datenbasis erfolgt der Zugang zu der angestrebten Stichprobe?) und • durch die verwendeten Erhebungsmethoden, die Art des Datenmaterials und die gewählten Operationalisierungen (Handelt es sich um eine Hellfeld- oder eine Dunkelfelduntersuchung? Auf welche Daten stützt sich gegebenenfalls eine Hellfeldstudie? Welche Selektionsfaktoren sind dabei hinsichtlich des Fallaufkommens und der Falldarstellung in Rechnung zu stellen? Welcher Verfahren – schriftliche Befragung, mündliche Befragung, evtl. auch Beobachtung – bedient sich eine Dunkelfelduntersuchung? Wie wird z.B. im Rahmen eines Interviews oder einer schriftlichen Befragung das Konzept „Gewalt gegen Ältere“ operationalisiert? Werden Personen als Täter, als Opfer oder als Informanten befragt? Auf welche Referenzperioden beziehen sich die Fragen? In welchen Kontext sind Fragen nach Gewalterfahrungen eingebettet?) Die Vielzahl zu treffender Entscheidungen und die sich daraus ergebende mögliche Vielfalt methodischer Vorgehensweisen legen bereits den Schluss nahe, dass Prävalenz- und Inzidenzraten aus unterschiedlichen Studien nur in sehr eingeschränktem Maße miteinander vergleichbar sind. FATTAH (1993) kritisiert die konzeptuellen Uneindeutigkeiten im Forschungsfeld elder abuse: Der Begriff bezeichne „weder eine gesetzlich eindeutig definierte Kategorie noch eine homogene Klasse von Verhalten“ (S.6f.); es mangele an einer einheitlichen Definition. „Obwohl zahlreiche Studien durchgeführt wurden, um die Häufigkeit des Missbrauchs älterer Menschen zu analysieren, fehlen daher bis 40 heute in allen Ländern reliable Schätzungen seiner Inzidenz und Prävalenz. (...) Die Dehnbarkeit des Begriffs ‚Missbrauch’ macht es möglich, dass jeder Wissenschaftler die Häufigkeit von Missbrauchshandlungen herunterspielen oder übertreiben kann, indem er entweder eine enge oder eine weite Definition des Konzepts zugrunde legt“ (FATTAH, 1993, S.7). Forschungsbefunde zur gewaltförmigen Viktimisierung älterer Menschen sind also – darauf weist FATTAH nachdrücklich hin – in gewissem Umfang offen für politische Einflussnahmen. Zugleich können Daten immer nur vor dem Hintergrund all der oben angesprochenen Aspekte interpretiert werden. Wenn etwa SENGSTOCK & BARRETT (1986) elder abuse-Fälle untersuchen, die Rechtsanwälten zur Kenntnis gelangten, verwundert es nicht, dass in diesem Sample die finanzielle Ausbeutung alter Menschen quantitativ eine große Rolle spielt. Weder die Abhängigkeit der Ergebnisse vom methodischen Vorgehen noch die grundsätzliche Instrumentalisierbarkeit von Forschungsbefunden sind spezifisch für das Forschungsfeld „Gewalt gegen Ältere“. Sie erlangen jedoch besondere Bedeutung in relativ neuen Forschungsbereichen, in denen sich noch keine Standardverfahren etabliert haben und deren Untersuchungsgegenstände in nicht unbeträchtlichem Ausmaß Gegenstand politischer Auseinandersetzungen sind. Im Folgenden werden wesentliche Forschungsbefunde aus dem nationalen wie internationalen Bereich dargestellt. Es kann nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein, den Forschungsstand in toto wiederzugeben. Die Darstellung beschränkt sich im Wesentlichen darauf, die aktuelle Befundlage in Grundzügen und anhand ausgewählter Studien zu skizzieren. 1.2.1 Zum internationalen Forschungsstand Die Thematik „Gewalt gegen Ältere“ in ihrer Gesamtheit wie auch in ihrer Konzentration auf den häuslichen Bereich wurde von den Sozialwissenschaften in Nordamerika und Großbritannien deutlich früher aufgegriffen als im deutschsprachigen Raum. Auch einschlägige Formen psychosozialer Praxis sowie auf das Problemfeld Bezug nehmende Gesetzgebung entwickelten sich vor allem in den Vereinigten Staaten früher. Die folgende Darstellung gibt in erster Linie den amerikanischen Forschungsstand wieder. 41 Prävalenz- und Inzidenzdaten Beginnen wir mit einem Blick auf das strafjustizielle Hellfeld von Tötungs- und Gewaltdelikten an älteren Menschen in den USA. Im Jahr 1999 wurden in den Vereinigten Staaten 428 Männer und 313 Frauen in der Altersgruppe ab 65 Jahren Opfer eines Tötungsdelikts, das entspricht etwa 5% aller in diesem Zeitraum in den USA verübten einschlägigen Delikte. Die Täter gehörten überwiegend den Altersgruppen unter 50 an; ältere Frauen hatten ein höheres Risiko als Männer, von älteren Tätern getötet zu werden (BUREAU OF JUSTICE STATISTICS, 2001). In den Jahren 1992 bis 1997 wurden – wiederum Daten des Bureau of Justice Statistics (KLAUS, 2000) zufolge – pro Jahr durchschnittlich 500 ältere Menschen Opfer eines Tötungsdeliktes durch Personen aus dem sozialen Nahraum (Verwandte, Partner, Bekannte); etwa 36.000 Personen pro Jahr wurden Opfer von Körperverletzungsdelikten durch Täter aus dem sozialen Umfeld. Geschiedene und getrennt lebende ältere Menschen hatten ein höheres Risiko, Opfer nicht tödlicher Gewaltdelikte zu werden als verheiratete und verwitwete Personen (14 gegenüber 4 Taten pro 1.000 Personen). DAWSON & LANGAN (1994) berichten auf der Basis einer Analyse staatsanwaltschaftlicher Akten zu rund 2.500 Mordfällen, dass über 25% aller Tötungsdelikte an Personen ab 60 Jahren in der Familie stattfanden; dabei waren in 42% der Fälle Söhne und Töchter der Opfer die Täter, in 24% der Fälle Ehe- und Lebenspartner. Von Hell- und Dunkelfeld kann nicht nur im Hinblick auf polizeiliche und strafjustizielle Auffälligkeit gesprochen werden. Mit den meist Adult Protective Services genannten Einrichtungen entstanden in allen Bundesstaaten der USA seit den Sechzigerjahren für den Schutz älterer Menschen und anderer hilfebedürftiger Erwachsener zuständige Behörden (zu Adult Protective Services vgl. u.a. BYERS & HENDRICKS, 1993; CASH & VALENTINE, 1987; DUKE, 1997; FREDRIKSEN, 1989; HWALEK, GOODRICH & QUINN, 1996; KAPP, 1992; MIXSON, 1995; NEALE, HWALEK, GOODRICH & QUINN, 1997). Auch über die bei solchen Einrichtungen vorliegenden oder in Zusammenarbeit mit ihnen im Rahmen eines Projekts erhobenen Daten sind Forschungszugänge möglich. LACHS, WILLIAMS, O’BRIEN, HURST & HORWITZ (1996; 1997; vgl. auch LACHS, BERKMAN, FULMER & HORWITZ, 1994) berichten über prospektivlängsschnittliche Untersuchungen an einer Stichprobe von 2.812 nicht in Heimen lebenden älteren (> 65 J. im Jahr 1982) Menschen in New Haven Connecticut (einem Teil der sog. „New Haven Established Population for Epidemiologic Studies“). Analysiert wurden über einen Zeitraum von neun Jahren die Daten der zuständigen Adult Protective Services. LACHS et al. (1997) fanden für diese Zeitspanne eine Prävalenzrate von 1,6% für bestätigte Fälle der Vernachlässigung, 42 rate von 1,6% für bestätigte Fälle der Vernachlässigung, Misshandlung und finanziellen Ausbeutung. Insgesamt hatten 184 Personen (6,5%) in diesem Zeitraum Kontakte zu APS, bei denen zumindest zeitweise der Verdacht eines solchen Delikts bestand. 64% der bestätigten Fälle wurden der Kategorie Vernachlässigung zugeordnet, 19% wurden als 10 Misshandlung und 17% als finanzielle Ausbeutung klassifiziert . Im Vorfeld der unten ausführlich dargestellten National Elder Abuse Incidence Study unternahmen TATARA & KUZMESKUS (1997) den Versuch, auf der Grundlage des Fallaufkommens bei Adult Protective Services und State Units on Aging die Verbreitung von Fällen der häuslichen Misshandlung und Vernachlässigung älterer Menschen abzuschätzen. Sie stellten im Zeitraum von 1986 bis 1996 einen Zuwachs um rund 150% (von 117.000 auf 293.000 Fälle) fest und schätzten die Zahl der Betroffenen im Jahre 1996 auf rund eine Million. Die Arbeit von TATARA & KUZMESKUS (1997) ist vor allem insofern von Interesse, als sie über gewisse Zeiträume (1986-1996 bzw. 1990–1996) hinweg Veränderungen im Fallaufkommen der für den Schutz älterer Menschen zuständigen Behörden erkennen lässt – Veränderungen, die allerdings im Hinblick auf die Frage, ob sich das deliktische Geschehen oder die behördliche Praxis verändert hat, nur schwer zu interpretieren sind. Für den Zeitraum 1990 – 1996 werden u.a. folgende Befunde berichtet: Der relative Anteil von Vernachlässigungen am gesamten Fallaufkommen steigt von 47% auf 55%, die Anteile körperlicher Misshandlung (von 20% auf 15%), emotionaler Misshandlung (von 12% auf 8%) und finanzieller Ausbeutung (von 17% auf 12%) gehen zurück. • Mit der Zunahme der Vernachlässigungsfälle ist auch der Anteil der Frauen an den Gewaltausübenden gestiegen (von 42,1% im Jahr 1990 auf 48,9% im Jahr 1996). Zugleich stieg der Anteil der erwachsenen Kinder (von 30% auf 37%), während der der Ehepartner von 16% auf 13% zurückging. • 10 Derartige Daten sind stets vor dem Hintergrund der Selektivität von Gewalt-Feststellungen aufgrund des Zugangs über die jeweiligen Behörden zu interpretieren; das Vorkommen bestimmter Formen von Misshandlung und Vernachlässigung und eine etwaige selektive Ausrichtung der einschlägigen Behörden auf bestimmte Deliktsmuster lassen sich analytisch nicht klar trennen. 43 Die National Elder Abuse Incidence Study Die zentrale Forschungsfrage der National Elder Abuse Incidence Study 11 (NATIONAL CENTER ON ELDER ABUSE, 1998) war die nach der Inzidenz von Fällen der Misshandlung, Vernachlässigung und Selbst-Vernachlässigung in der Altersgruppe ab 60 Jahren im Jahr 1996. Die Studie beschränkte sich auf die Gruppe der außerhalb von stationären Einrichtungen lebenden Älteren. Erfasst wurden die sieben bereits unter 1.1 genannten Verhaltensmuster, welche der elder abuse-Definition des National Center on Elder Abuse entsprechen. Die Erhebung fand in einem Sample von 20 Counties in 15 US-Bundesstaaten statt und bezog zwei einander ergänzende Datenquellen ein: Berichte der örtlich zuständigen Adult Protective Services über bestätigte Verdachtsfälle, • Berichte von 1100 sogenannten sentinels („Wächtern“), d.h. speziell geschulten Personen in örtlichen Behörden und anderen Institutionen, die regelmäßig Kontakt mit älteren Menschen haben (Polizei und Sheriff´s Departments, Krankenhäuser, ambulante und teilstati12 onäre Dienste im Altenhilfebereich, Banken) . • Bezugszeitraum war das Kalenderjahr 1996. Um Doppelzählungen von Opfern zu vermeiden, wurden alle Berichte auf Identität der betroffenen Personen überprüft. Opfer wurden auch dann nur einfach gezählt, wenn Berichte aus beiden Quellen vorlagen, sie im Verlaufe des Jahres 1996 mehrfach viktimisiert wurden oder die Viktimisierung mehrere Deliktskategorien umfasste. Nach dieser – in der Untersuchung von TATARA & KUZMESKUS (1997) nicht vorgenommenen – Bereinigung von Doppelund Mehrfachnennungen blieben 1.466 Berichte von Adult Protective Services übrig, jedoch nur 140 Berichte von sentinels. Die Daten aus den 20 Counties wurden hochgerechnet auf die Vereinigten Staaten. Auf der Basis der sentinel-Daten wurde zudem der Anteil an einschlägigen Fällen geschätzt, in denen keine Mitteilung an Adult Protective Services erfolgte. Nach Schätzungen des National Center on Elder Abuse erlebten rund 450.000 Personen ab 60 Jahren im Verlauf des Jahres 1996 Misshandlung oder Vernachlässigung; werden Fälle der Selbst-Vernachlässigung hinzugezählt, steigt die geschätzte Zahl der Opfer auf rund 550.000. 11 Der vollständige Text der National Elder Abuse Incidence Study ist auf der Homepage der Administration on Aging unter http://www.aoa.dhhs.gov/abuse/report/main-pdf.htm im PDFFormat zugänglich. 12 Die Gruppen, aus denen sich die Sentinels rekrutierten, überschneiden sich nach Angaben des National Center on Elder Abuse weitgehend mit denen, für die auf der Ebene der Bundesstaaten Meldeverpflichtungen im Hinblick auf elder abuse-Verdachtsfälle gelten. 44 Der Anteil der Fälle, die von Adult Protective Services bearbeitet wurden, beträgt in der ersten Fallgruppe (Fremdeinwirkung) 16%, in der Gesamtgruppe (Fremdeinwirkung oder Selbstvernachlässigung) 21%; die Mehrzahl der Opfer erfuhr also keine Unterstützung durch die zuständigen Behörden. Unter den 70.942 Fällen der Misshandlung und Vernachlässigung mit Fremdeinwirkung waren die Deliktskategorien Vernachlässigung (34.525), emotionale und psychische Misshandlung (25.142), finanzielle Ausbeutung (21.427) und körperliche Misshandlung (18.144) am stärks13 ten vertreten . Im Folgenden werden einige wesentliche Befunde der National Elder Abuse Incidence Study in kurzer Form wiedergegeben. Die Zahlenangaben beziehen sich auf die Daten der Adult Protective Services, die jedoch von den sentinel-Daten in Tendenz und Größenordnung im Wesentlichen bestätigt werden. • • • • • Informanten der Adult Protective Services waren in 20% der Fälle mit Fremdeinwirkung Familienmitglieder des Opfers; quantitativ be14 deutsam waren ferner Meldungen durch Krankenhäuser (17%) , Polizei und Sheriffs (11%) sowie durch Freunde bzw. Nachbarn, Dienstleister im häuslichen Bereich, Ärzte und Pflegepersonal (je 8 bis 10%). Der Anteil von weiblichen Opfern ist in nahezu allen Deliktsgruppen höher als ihr Anteil an der älteren Bevölkerung; dies gilt vor allem für emotionale und psychische Misshandlung (76,3% Frauenanteil) und körperliche Misshandlung (71,4%). Der Anteil der über 80jährigen an den Opfern ist zwei- bis dreimal höher als der Anteil dieser Altersgruppe an der Population der Älteren; besonders deutlich ist die Überrepräsentation in den Kategorien Vernachlässigung (51,8%), finanzielle Ausbeutung (48,0%), körperliche (43,7%) und emotionale / psychische Misshandlung (41,3%). Rund 60% der Opfer wurden als vorübergehend oder dauerhaft verwirrt eingestuft, während die Prävalenz dementieller Erkrankungen in der älteren Population auf 10% geschätzt wird. Etwas mehr als die Hälfte (52,5%) der Gewaltausübenden waren Männer. Die Männeranteile waren besonders hoch in Fällen des Zu- 13 Da bei einer Person gleichzeitig oder sukzessiv mehrere Formen auftreten können, ist die Summe der Feststellungen in den Kategorien größer als die Gesamtzahl der Fälle (= Personen). 14 FULMER (2000, S.16) weist darauf hin, dass sogar 20% aller bestätigten Fälle von Selbstvernachlässigung den zuständigen Behörden durch Mitarbeiter von Krankenhäusern bekannt wurden und interpretiert dies als Indiz für große Fortschritte im Problembewusstsein der einschlägigen Berufsgruppen. 45 rücklassens in hilfloser Lage (83,4%) und der körperlichen Misshandlung (62,6%). Frauen waren lediglich bei Vernachlässigungsde15 likten mit 52,4% stärker vertreten . • Rund ein Drittel der Gewaltausübenden gehörte selbst zu der Alterskategorie der über 60-Jährigen, 27% waren jünger als 40 Jahre. Jüngere Täter waren vor allem in der Deliktskategorie finanzielle / materielle Ausbeutung vertreten. • Fast 90% der bekannten Täter waren Familienmitglieder. Darunter waren erwachsene Kinder mit 47,3% am stärksten vertreten, gefolgt von Ehepartnern der Opfer (19,3%) und Enkeln (8,6%). Bei den nicht mit dem Opfer verwandten Tätern handelte es sich vor allem um Freunde und Nachbarn. Das National Center on Elder Abuse folgert aus der groß angelegten Studie u.a., dass häusliche Misshandlung und Vernachlässigung älterer Menschen bedeutsame gesellschaftliche Probleme darstellen, die bislang in der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle unentdeckt bleiben. Da man auch mit den hier verwendeten Methoden an die Gruppe der in starkem Maße sozial isoliert lebenden älteren Menschen kaum herankommt, stellen die ermittelten Werte mutmaßlich Unterschätzungen des tatsächlichen Deliktsaufkommens dar. Dunkelfelduntersuchungen Geht die National Elder Abuse Incidence Study mit dem sentinel-Ansatz bereits über eine Hellfeldanalyse hinaus, so wurde in einer Reihe von Befragungsstudien versucht, die Verbreitung verschiedener Formen der Misshandlung und Vernachlässigung älterer Menschen mit Methoden der Dunkelfeldforschung (vgl. KREUZER, 1976; 1994) auszuloten. In der Untersuchung von PILLEMER & FINKELHOR (1988) wurde eine Zufallsstichprobe von 2.020 älteren Bürgerinnen und Bürgern (ab 65 Jahren) im Großraum Boston befragt; die Stichprobe war beschränkt auf Personen, die außerhalb von Heimen und Kliniken lebten. Für die Verhaltensbereiche körperliche Misshandlung, Vernachlässigung und chronische verbale Aggression (d.h. unter Ausklammerung der sonst oft unter elder abuse and neglect subsumierten Bereiche der Selbstvernachlässigung und der finanziellen Ausnutzung und Ausbeutung alter Menschen) ermittelten PILLEMER und FINKELHOR eine Prävalenzrate von 3,2% und schätzten die Zahl jährlich in den USA betroffener alter Menschen auf rund 700.000 bis 1.1 Millionen. Rund 2% der befragten Personen hatten seit Vollendung des 65. Lebensjahres Formen der körper15 Letzteres ist insofern plausibel als Vernachlässigung eine Verpflichtung voraussetzt, die vielfach durch das Eingehen einer Pflegebeziehung konstituiert wird. 46 lichen Misshandlung erlebt, 1,1% chronische verbale Aggression und 0,4% Vernachlässigung. Misshandlungen wurden in 58% aller Fälle von Ehepartnern begangen (bei körperlicher Misshandlung in 60% der Fälle), in 24% von erwachsenen Kindern. Die Opfer waren etwa je zur Hälfte männlichen und weiblichen Geschlechts; weder sozialer Status noch Alter eigneten sich als Viktimisierungsprädiktoren. Befragungen zur Verbreitung von Gewalt gegen Ältere im häuslichen und familiären Bereich wurden in den 90er Jahren auch außerhalb der USA durchgeführt. PODNIEKS (1992a, 1992b; PODNIEKS & PILLEMER, 1989) fand in einer kanadischen Telefonbefragung bei 2.000 zufällig ausgewählten älteren Menschen, die in Privatwohnungen bzw. -Häusern lebten für den Zeitraum seit dem 65. Geburtstag eine Prävalenzrate von 4%. Sie schloss Fragen nach finanzieller Ausbeutung Älterer ein und ermittelte für diesen Deliktsbereich die höchste Verbreitungsrate (2,5%). Chronische verbale Aggression wurde von 1,4% der Befragten berichtet, physische Gewalt in der Familie von 0,5% und Vernachlässigung von 0,4%. Bei materieller Ausbeutung waren die Viktimisierungswahrscheinlichkeiten von Männern und Frauen gleich; die Opfer lebten meist alleine; die Täter waren überwiegend entfernte Verwandte oder nicht mit dem Opfer verwandte Personen. Chronische verbale Aggression fand vor allem zwischen Ehepartnern statt; auch hier waren Frauen und Männer gleichermaßen betroffen. Auch physische Gewalt ereignete sich vorwiegend in Paarbeziehungen; während Männer quantitativ etwas häufiger betroffen waren als Frauen, waren die von ihnen begangenen Gewalthandlungen zugleich schwerer wiegend. In einer finnischen Untersuchung von KIVELÄ (1995; vgl. KIVELÄ, KÖNGÄS-SAVIARO, KESTI, PAHKALA & IJÄS, 1992) gaben 5,4% der befragten älteren Bürgerinnen und Bürger einer Stadt an, seit dem Erreichen des Rentenalters durch Misshandlung, Vernachlässigung oder finanzielle Ausbeutung viktimisiert worden zu sein. Die Studie von OGG & BENNETT (1992; vgl. auch BENNETT & KINGSTON, 1993) wurde in eine in Großbritannien in regelmäßigen Abständen durchgeführte Bevölkerungsbefragung (Office of Population Census Survey) integriert. Die Stichprobe umfasste insgesamt 2.130 Personen, davon 593 ältere Bürgerinnen und Bürger. Von diesen gaben 5,6% an, sie seien von einem Familienmitglied verbal angegriffen worden. Je knapp zwei Prozent der Befragten nannten körperliche Misshandlung und materielle Ausbeutung. Frauen berichteten häufiger als Männer von 47 erlittener verbaler Aggression, während Männer geringfügig häufiger von den beiden anderen Deliktsmustern betroffen waren. Zusammenfassend lässt sich Folgendes feststellen: Die seit Ende der 80er Jahre vor allem in den Vereinigten Staaten durchgeführten Prävalenz- und Inzidenzstudien kommen bei aller Unterschiedlichkeit des methodischen Vorgehens, der herangezogenen Datenquellen und der in Betracht gezogenen deliktischen Verhaltensmuster zu dem Schluss, dass eine beträchtliche Minderheit der nicht in stationären Einrichtungen lebenden älteren Menschen mindestens einmal Misshandlungsoder Vernachlässigungserfahrungen machten. Die vorliegenden Daten lassen vermuten, dass die Opfergruppe in westlichen industriellen bzw. postindustriellen Gesellschaften bis zu 5% der älteren Generation umfasst. Derartige Werte können jedoch nur vor dem Hintergrund einer Vielzahl von Einflussgrößen sinnvoll interpretiert werden. Zu diesen Variablen gehören vor allem die jeweils gewählte untere Altersgrenze, die als einschlägig betrachteten Formen der Handlung und Unterlassung sowie Art und Herkunft der verwendeten Daten, insbesondere die Frage, ob es sich um Hell- oder Dunkelfelddaten handelt. Ursachen, Entstehungsbedingungen und Risikofaktoren häuslicher Gewalt gegen Ältere Hatten die bisher dargestellten Untersuchungen vor allem die Frage der Verbreitung von Misshandlung und Vernachlässigung im Blick, so gehen andere Studien der Frage nach dem Zustandekommen von Nahraumgewalt gegen Ältere nach. Eine Vielzahl von Faktoren wurden dabei in Betracht gezogen. Die Befunde fügen sich – was angesichts der Weite, Heterogenität und geringen Zugänglichkeit des Untersuchungsgegenstandes nicht verwundert – bislang nur unvollständig zu einem Bild zusammen. Kontrovers diskutiert wurde die Frage, welcher Stellenwert pflegerischer Be- und Überlastung als gewaltinduzierendem Faktor zukommt. Intuitiv zunächst unmittelbar plausibel erscheint die Vorstellung, dass die mit innerfamiliärer Pflege verbundenen körperlichen wie psychischen Belastungen zu instrumentellen, reaktiven oder auch kathartisch motivierten Formen der Misshandlung oder Vernachlässigung älterer Menschen führen können. Pflege verursacht – wenn sie sich über längere Zeiträume erstreckt – hohe direkte und indirekte, materielle und immaterielle Kosten. Pflegepersonen geben vielfach ihren Beruf auf, leiden unter Schlafentzug, verzichten auf Freizeit- und kulturelle Aktivitäten, vernachlässigen ihre 48 Gesundheit, beklagen einen Mangel an Privatheit. Schlafentzug und physische Erschöpfung sind besonders stark, wenn die Pflegenden gleichzeitig für die eigenen Kinder sorgen müssen. Pflege ist nicht nur körperlich, sondern auch seelisch belastend – dies insbesondere bei dementen und depressiven Pflegebedürftigen. Als den Pflegestress vergrößernde Faktoren wirken u.a. unzureichendes pflegerisches Wissen und fehlende Pflegekompetenzen, finanzielle Abhängigkeit von der Pflegebeziehung und Schuldgefühle bei der Pflegeperson, die aus dem Konflikt zwischen der Sorge um den Pflegebedürftigen und dem Gefühl, selbst in dieser Beziehung zu kurz zu kommen, erwachsen (vgl. GEORGE, 1986). Zu den in der Literatur immer wieder zitierten längerfristigen Folgen von Pflegestress gehören u.a. Depressivität, ein allgemein schlechter Gesundheitszustand, Schlafstörungen, Müdigkeit, ungeplante Gewichtsveränderungen, Kopfschmerzen, Nervosität, erhöhter Psychopharmakagebrauch und vermehrte Fehlzeiten am Arbeitsplatz (vgl. u.a. BATT-LEIBA, HILLS, JOHNSON & BLOCH, 1998; QUAYHAGEN et al., 1997; LEE, 1997; ROGERS, 1997). Nach der von STEINMETZ (1983, 1988a, 1988b, 1993) vertretenen caregiver overload-These nimmt die Wahrscheinlichkeit der Misshandlung pflegebedürftiger alter Menschen mit der erlebten Belastung der Pfle16 genden zu . Das grundlegende Argumentationsmuster dieses Erklärungsansatzes lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Pflegebeziehungen bringen eine Vielzahl an Belastungen und Frustrationen mit sich; das Machtgefälle zwischen den beteiligten Personen erlaubt es den Pflegenden, derartige Frustrationen relativ gefahrlos in Aggressionen auszuleben. Je größer der von den Pflegepersonen erlebte Stress, desto eher wird Gewalt gegenüber dem Pflegebedürftigen angewandt (STEINMETZ, 1988a, 1988b). Die Misshandlung von Pflegebedürftigen ist aus der Perspektive dieses Erklärungsansatzes vielfach eine Reaktion auf eine Situation, die gleichzeitig als unfair und unentrinnbar wahrgenommen wird. PILLEMER neigt als Vertreter der konkurrierenden problem relative-Hypothese zu der Ansicht, ohnehin gestörte und deviante, zudem oftmals von dem alten Menschen finanziell oder in sonstiger Weise abhängige Pflegepersonen lebten ihre aggressiven Handlungstendenzen auch in der Pflegebeziehung aus (vgl. PILLEMER, 1985, 1993; PILLEMER & FINKELHOR, 1988, 1989; PILLEMER & SUITOR, 1992). Die beiden Thesen werden anschaulich zusammengefasst in den Titeln zweier 16 Zum in diesem Zusammenhang vielfach gebrauchten Leitkonzept des burnout vgl. MASLACH (1982); zu Burnout-Erfahrungen bei familiär Pflegenden vgl. u.a. die Untersuchungen von ALMBERG, GRAFSTROM, KRICHBAUM & WINBLAD (2000), ALMBERG, GRAFSTROM & WINBLAD (1997a; 1997b). 49 Arbeiten der Protagonisten: „The abusive offspring are dependent17. Abuse is caused by the deviance and dependence of abusive caregivers“ (PILLEMER, 1993) und „The abused elderly are dependent. Abuse is caused by the perception of stress associated with providing care“ (STEINMETZ, 1993). Nachfolgend seien einige der diesen Thesen zu Grunde liegenden Studien kurz dargestellt. STEINMETZ (1988a, 1988b) führte Tiefeninterviews mit 104 (nach einem Schneeballsystem rekrutierten) Personen, die insgesamt 119 ältere Familienangehörige (ab 55 Jahren) pflegten. Die Pflegepersonen waren mehrheitlich älter als 50, zu rund einem Fünftel älter als 60 Jahre; rund zwei Drittel der Pflegebedürftigen waren älter als 80 Jahre. Die Pflegenden berichteten über multiple Belastungen in der Pflegebeziehung; dazu gehörte u.a. der durch die Pflege bedingte Mangel an Privatheit, von den Pflegebedürftigen an sie gestellte Forderungen sowie Bedürfnisse, die sich aus körperlichen Behinderungen des alten Menschen ergaben. Die Interviewpartner beklagten den Mangel an unterstützenden sozialen Einrichtungen, viele litten unter ständiger Kritik seitens der Pflegebedürftigen, fühlten sich benutzt und empfanden die gesamte Situation als unfair. Während die Pflegepersonen angaben, Probleme vor allem im Dialog mit dem Pflegebedürftigen und Dritten lösen zu wollen, berichtet STEINMETZ (1988b, S.264ff.) zugleich folgende, auf den Angaben der Befragten beruhenden Misshandlungsprävalenzen: schwerwiegende körperliche Misshandlung 9% (der Pflegepersonen), körperliche Misshandlung 12%, psychische Misshandlung 13%, Medikations-missbrauch 17% und verbale Misshandlung 41%. Je größer der Stress, unter dem die Pflegepersonen standen, desto eher wurde Gewalt gegenüber dem Pflegebedürftigen angewandt; Gewaltprädiktoren waren vor allem finanzielle Schwierigkeiten und emotionale Probleme eines dritten Familienmitgliedes. STEINMETZ betont, dass nicht so sehr die tatsächlich verrichteten Tätigkeiten oder die Zeit, die für Pflege aufgewandt wurde, sondern die von den Pflegenden wahrgenommenen Belastungen mit Gewaltausübung einher gingen. Sie skizziert ferner einen „cycle of abuse that continues from child abuse to elder abuse“ (STEINMETZ, 1988b, S.267f.). Pflegepersonen, die Gewalt gegen ihre pflegebedürftigen Eltern anwenden, waren in signifikant stärkerem Maße als nicht gewalttätige Pfleger früher selbst Opfer elterlicher Gewaltanwendung. Die Stichprobe der ersten seiner Untersuchungen zur Verbreitung und Entstehung von Gewalt gegen Ältere rekrutierte PILLEMER (1985) aus der Klientel dreier Modellprojekte zur Gewalt gegen Ältere. Die Unter17 In der Druckfassung von PILLEMER (1993) heißt die Überschrift „The abused offspring are dependent....“, doch kann es sich hierbei dem Inhalt der Arbeit nach wohl nur um einen Fehler handeln. 50 suchung beschränkte sich auf den Aspekt der körperlichen Misshandlung; die Daten wurden via Interviews mit den älteren Menschen gewonnen. PILLEMER verwendete eine parallelisierte Kontrollgruppe (seines Wissens) nicht physisch misshandelter alter Menschen. Die Gesamtstichprobe umfasste 84 Personen, davon 78 Frauen. Während die Interviews mit den Opfern physischer Misshandlung sich auf die Täter-Opfer-Beziehung konzentrierten, wurde in der Kontrollgruppe nach Möglichkeit eine vom Verwandtschaftsgrad her entsprechende Person gewählt. PILLEMER fand keinen positiven Zusammenhang zwischen Hilfebedürftigkeit und Abhängigkeit der älteren Menschen einerseits und ihrem Viktimisierungsrisiko andererseits. Misshandelte und nicht misshandelte Personen unterschieden sich weder in ihrem (selbstberichteten) Gesundheitszustand noch bezüglich Einschränkungen und Behinderungen bei alltäglichen Aktivitäten signifikant; tendenziell erwies sich die Opfergruppe sogar als weniger auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen. In der von PILLEMER untersuchten Stichprobe waren hingegen 64% der Täter von ihren Opfern finanziell abhängig, 55% hinsichtlich der Wohnung; viele waren zudem körperbehindert, intellektuell minderbegabt oder psychisch krank. Die Arbeit von WOLF & PILLEMER (1989) setzt u.a. die von PILLEMER (1985) begonnene Analyse der bei drei Modellprojekten bearbeiteten Fälle mit einer größeren Fallzahl (n=328), aber vergleichbaren Ergebnissen fort. Individuelle Faktoren und Abhängigkeiten in der TäterOpfer-Beziehung werden als die wesentlichen Entstehungsbedingungen von Gewalt gegen Ältere herausgearbeitet. Die im Durchschnitt 76 Jahre alten Opfer – vier Fünftel von ihnen Frauen – wiesen meist gewisse funktionelle Einschränkungen auf, waren überwiegend in schlechter emotionaler Verfassung und zeigten etwa zur Hälfte kognitive Einschränkungen. Während die meisten Opfer somit zur Bewältigung ihres Alltagslebens fremde Hilfe benötigten, waren sie zugleich finanziell weitgehend unabhängig. Die Lebenssituation der Opfer war durch soziale Isolation und eine damit einhergehende große Bedeutung der Beziehung zu der gewaltausübenden Person gekennzeichnet. 60% der Täter waren jünger als 60 Jahre. In 28% der Fälle handelte es sich um Söhne der Opfer, in je 18% um Töchter und Ehemänner, in nur 7% der Fälle um die Ehefrau. Die Gewaltausübenden waren in vielen Fällen von den Opfern finanziell abhängig. Ihr Alltagsleben zeichnete sich durch multiple Belastungsfaktoren aus; neben finanziellen Mangellagen gehörten dazu gesundheitliche und psychische Probleme, psychiatrische Erkrankungen und Alkoholmissbrauch. Die These, dass physische Gewalt gegen Ältere vorwiegend aus pflegerischer Überlastung resultiert, sehen WOLF & PILLEMER (1989) durch die von den drei Modellprojekten bearbeiteten Fälle nicht gestützt. „Instead, we are left with the 51 image of an impaired, dependent perpetrator, who uses physical violence to obtain money or goods, or to compensate for a lack of power in his or her relationship with the victim.“ (S.145). WOLF & PILLEMER (1989) erarbeiten eine Typologie der familiären Gewalt gegen Ältere, deren primäres Klassifikationsmerkmal die Art des Delikts ist. Danach sind Fälle der körperlichen und psychischen Misshandlung vor allem durch eine Vorgeschichte psychopathologisch relevanter Symptome auf Seiten des Täters sowie durch seine ökonomische Abhängigkeit von dem Opfer gekennzeichnet. Charakteristisch für Vernachlässigungsfälle sind einerseits ein in starkem Maße abhängiges Opfer, andererseits eine gewaltausübende Person, welche die Pflege, die sie dem Opfer zuteil werden lässt, als sehr belastend empfindet, darüber hinaus jedoch keine psychischen Auffälligkeiten aufweist und von dem Opfer auch nicht finanziell abhängig ist. Eigentums- und Vermögensdelikte gegenüber älteren Menschen schließlich sind eine von den übrigen Erscheinungsformen von elder abuse deutlich abweichende Kategorie. Diese Delikte werden von Tätern verübt, die – dies oft in Verbindung mit Alkoholabhängigkeit – schwerwiegende finanzielle Probleme haben; sie werden eher selten von engen Familienmitgliedern begangen und sind – wie entsprechende Delikte außerhalb des Begehungskontexts „Familie“ – 18 primär durch das Ziel der Bereicherung motiviert . WOLF & PILLEMER (1989) interpretieren die verschiedenen Erscheinungsformen familiärer Gewalt gegen Ältere vor allem als je spezifische Reaktionen auf familiäre Dynamiken, in geringerem Umfang auch als Reaktionen auf makrosoziale Bedingungen. In einer Folgestudie zu der Untersuchung von PILLEMER & FINKELHOR (1988) konnten PILLEMER & FINKELHOR (1989) 46 der dort identifizierten 61 Gewaltopfer in follow-up-Interviews befragen; diese Gruppe wurde mit einer Stichprobe von 215 Nicht-Opfern verglichen. Wie in der Studie von PILLEMER (1985) wurden die Opfer über den Täter und die Beziehung zu ihm befragt, die Nicht-Opfer über einen (vergleichbaren) nahen Verwandten. Opfer- und Kontrollgruppe unterschieden sich vor allem hinsichtlich einiger von den Opfern beschriebener Tätermerkmale. „The abusers were much more likely than comparison relatives to have some 18 Vgl. dazu auch die Aktenuntersuchung von CHOI, KULICK & MAYER (1999). Die Autoren analysierten 386 Fälle des Verdachts der finanziellen Ausbeutung aus den Jahren 1989 bis 1996 anhand von Unterlagen der Protective Services for Older Adults in Erie County, New York. In 158 Fällen hatte die Behörde Interventionsbedarf konstatiert, in 228 Fällen hingegen nicht. Die Älteren, die von Dritten finanziell geschädigt worden waren, berichteten vom Verschwinden von Wertgegenständen aus ihren Wohnungen und von unerklärlichen Abbuchungen von ihren Bankkonten. Die Täter waren in 40% der Fälle Söhne oder Töchter, in 20% der Fälle andere Verwandte, und in weiteren 40% der Fälle waren sie mit dem Opfer nicht verwandt; hierzu gehören Nachbarn, Wohnungsverwalter, Mieter, Betreuer bzw. Vormünder und von den Opfern Bevollmächtigte. 52 manifestation of socioemotional maladjustment“ (PILLEMER & FINKELHOR, 1989, S.183). Täter zeichneten sich – jeweils in der Beschreibung der Älteren – gegenüber Nicht-Tätern durch Merkmale wie Polizeiauffälligkeit, stationäre Psychiatrieaufenthalte, gesundheitliche Probleme, belastende Lebensereignisse und (materielle) Abhängigkeit aus. Die misshandelten oder vernachlässigten Älteren unterschieden sich hingegen kaum von den nicht viktimisierten; insbesondere waren sie nicht in stärkerem Maße von Pflegepersonen abhängig. Zusammenfassend stellen PILLEMER & FINKELHOR (1989, S.186) fest, dass die Befunde einer ‚caregiver stress’-Hypothese zuwider laufen. „The picture of maltreatment (..) is quite the opposite: of relatively well-functioning elderly who have responsibility for, or are at least required to interact with, ill and socioemotionally unstable relatives. The abuse appears to be a reflection of the abuser’s problems and dependency rather than of the elderly victim’s characteristics“. PILLEMER & SUITOR (1992) untersuchten an einer Stichprobe von 236 familiären Pflegepersonen dementer Patienten Verbreitung und Korrelate gewaltsamer Handlungen und der Befürchtung, man werde in einer Pflegesituation gewaltsam reagieren (von den Autoren als violent feelings bezeichnet). Die Daten wurden in face-to-face-Interviews erhoben. In der untersuchten Stichprobe waren die Pflegepersonen durchschnittlich 55 Jahre alt, zu 82% weiblichen Geschlechts, zur Hälfte Kinder und zu etwa einem Drittel Ehepartner der Pflegebedürftigen. Diese waren durchschnittlich 76 Jahre alt und ebenfalls überwiegend (71%) weiblich. Rund 20% der Pflegepersonen gaben an, schon einmal violent feelings gehabt zu haben; 6% (n=14) berichteten manifestes gewalttätiges Verhalten. In einer logistischen Regression erwiesen sich die vom Pflegebedürftigen ausgehende Gewalt, disruptive behaviours des Pflegebedürftigen (wie Umherirren, Nicht-Erkennen von Bezugspersonen, optische oder akustische Halluzinationen, Depression, fehlende Kontrolle über die Ausscheidungsorgane), geringes Selbstbewusstsein der Pflegeperson sowie das permanente Zusammenleben der pflegenden und der gepflegten Person in einem gemeinsamen Haushalt als signifikante Prädiktoren der Befürchtung, gewalttätig gegenüber dem Pflegebedürftigen zu werden. Zwar waren die Pflegeanforderungen in der Gruppe mit Gewaltbefürchtungen höher, der Einfluss dieser Variablen verschwand jedoch, wenn der der anderen Prädiktoren kontrolliert wurde. Hypothesenkonträr erwies sich soziale Isolation des Pflegenden nicht als bedeutsamer Prädiktor. In einem zweiten Auswertungsschritt wurden die tatsächlich Gewalttätigen (n=14) mit denen verglichen, die eigenes gewaltsames Handeln bislang nur befürchtet hatten (n=32). Es zeigte sich, dass gewalttätige Personen in stärkerem Maße über vom 53 Pflegebedürftigen ausgehende Gewalt berichteten und dass Ehepartner häufiger gewalttätig wurden als Kinder oder sonstige Pflegepersonen. Die in den Titeln der Arbeiten von PILLEMER (1993) und STEINMETZ (1993) zugespitzte Kontroverse um den Stellenwert von Abhängigkeit und Stress für das Entstehen familiärer Gewalt gegen Ältere kann und sollte in mehrfacher Hinsicht entschärft und differenziert werden: (a) Die Arbeiten von PILLEMER (1985) und PILLEMER & FINKELHOR (1988; 1989) beziehen sich nicht auf Pflegekonstellationen. Sie können somit die These, dass Gewalt in Pflegebeziehungen in erster Linie aus der Überlastung der Pflegenden resultiert, nicht widerlegen. Sie zeigen aber sehr wohl auf, dass familiäre Gewalt gegen Ältere sich nicht auf familiäre Pflegekontexte beschränkt, dass es familiäre Konstellationen gibt, die aus ganz anderen Gründen als pflegerischer Überlastung ein hohes Gewaltpotenzial bergen – etwa, weil die erwachsenen Kinder die Ablösung vom elterlichen Haushalt nicht vollzogen haben, beruflich erfolglos, sozial isoliert und alkoholabhängig sind. Die im Exkurs nach Kapitel 6.2.2.4.6 exemplarisch vorgestellten, auf Presserecherchen beruhenden Fälle schwerwiegender innerfamiliärer Gewalt belegen, dass Gewaltund Tötungsdelikte nicht nur aus pflegerischer Überlastung erwachsen. (b) Belastung ist – darauf hat auch Steinmetz hingewiesen – ein subjektives Erleben, das sich nicht ohne Weiteres aus objektivierbaren Faktoren wie dem Grad der körperlichen Beeinträchtigung einer Person oder der für die Pflege erforderlichen Zeit ableiten lässt. Gerade das transaktionale Stressmodell von LAZARUS (LAZARUS, 1966, 1995) betont die Bedeutung der Bewertung eines Reizes und der Einschätzung der vorhandenen Bewältigungsstrategien. Zahlreiche Untersuchungen weisen auf die Relevanz subjektiver Faktoren und insbesondere der Wahrnehmung der Beziehung für erlebte Belastungen und für aggressives Verhalten in Pflegebeziehungen hin. So kam NOLAN (1997) auf der Basis einer Befragung von 200 familiär Pflegenden zu dem Schluss, dass Faktoren wie der Grad der Pflegebedürftigkeit und der für die Pflege erforderliche Zeitaufwand für die erlebte pflegerische Belastung weniger wichtig sind als die emotionalen Reaktionen des Pflegenden auf die Pflegesituation (Schuldgefühle, Gefühle der Überforderung und des Kontrollverlustes) und die Wahrnehmung der Beziehung zum Pflegebedürftigen. Die Beziehung wurde als belastend und belastet erlebt, wenn die Pflegebedürftigen aus Sicht der Pflegenden unangemessene Forderungen stellten, die ihnen entgegengebrachte Pflegetätigkeit nicht wertschätzten und sich manipulativ gegenüber den Pflegenden ver- 54 hielten. Von Bedeutung waren ferner die familiäre Unterstützung der Pflegeperson und ihre finanzielle Situation. Eine positive Beziehung zwischen Pflegenden und Pflegebedürftigen konnte selbst schwerste pflegerische Belastungen wettmachen. HAMEL et al. (1990) interviewten 213 familiäre Pflegepersonen von Demenzkranken. Etwa jede neunte Pflegeperson berichtete, sich aggressiv gegenüber dem Pflegeempfänger verhalten zu haben. Mehr als die Hälfte der Pflegebedürftigen hatten aggressives Verhalten – meist in verbaler Form – gezeigt. HAMEL et al. (1990) fanden, dass Aggressivität der Pflegebedürftigen entsprechendes Verhalten auf Seiten der Pflegenden wahrscheinlicher machte und dass die Qualität der Beziehung vor Eintritt der Pflegebedürftigkeit entscheidend für das Ausmaß von Aggressivität in der Pflegebeziehung war. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die caregiver stress- und die problem relative-These einander nicht ausschließen, dass sie vielmehr unterschiedliche Fallkonstellationen und Erscheinungsformen von familiärer Gewalt gegen Ältere zum Bezugspunkt haben, dass ferner Pflegebelastung sich immer erst im subjektiven Erleben konstituiert, welches durch eine Vielzahl von Faktoren, insbesondere durch die Wahrnehmung der Beziehung zum Pflegebedürftigen geprägt wird; die aktuelle Beziehung in der Pflegedyade wiederum ist nicht zuletzt durch die Qualität der Beziehung vor Eintritt der Pflegebedürftigkeit bestimmt. Mindestens ebenso bedeutsam wie die Frage, ob Pflegestress zu innerfamiliärer Gewalt gegen Ältere beiträgt, erscheint die Frage, wie Zusammenhänge zwischen erlebter pflegerischer Belastung und Gewalt (als Misshandlung oder Vernachlässigung) beschaffen sein könnten. Hier sind mehrere Wege denkbar: Die Bedürfnisse von Pflegebedürftigen und Pflegenden sind nur schwer miteinander vereinbar. Diese Inkongruenz, aus der die Pflegenden keinen Ausweg sehen, kann Frustration und Wut erzeugen, die gegenüber einer über wenig Macht und über eingeschränkte Verteidigungsfähigkeit verfügenden Person mit geringem Risiko der Vergeltung bzw. der Entdeckung und Bestrafung oder Ächtung ausgelebt werden können. • Pflegestress führt zur Reduktion der Pflege auf ein Minimalprogramm und damit zunächst zur Vernachlässigung des Pflegebedürftigen. Aus der Vernachlässigung resultierende Schuldgefühle werden durch Abwertung der pflegebedürftigen Person reduziert. Ein solches Modell hat PETZOLD (1990) für den Bereich der stationären Pflege beschrieben; es scheint auf die häusliche Pflege wenigstens teilweise übertragbar. • 55 Gewalt gegenüber Pflegebedürftigen kann eine unmittelbare Reaktion auf von den Pflegebedürftigen ausgehende physische und verbale Aggression sein. • Gewalt gegenüber familiär Gepflegten kann instrumentell eingesetzt werden, um den Gesundheitszustand des Pflegebedürftigen so zu beeinträchtigen, dass ein Heim- oder Krankenhausaufenthalt erforderlich wird bzw. fortgesetzt werden muss. BEN-CHETRIT & MELMED (1998) berichten über einen Fall, in dem einer älteren Krankenhauspatientin von ihrer pflegerisch ausgebildeten Tochter mehrfach heimlich Insulin gespritzt wurde, um so die Entlassung der Mutter aus dem Krankenhaus zu verhindern. • Gewalt in Form von Misshandlung wie Vernachlässigung kann schließlich auch zielgerichtet eingesetzt werden, um eine bisher in der Familie gepflegte Person dazu zu bringen, der Übersiedlung in eine stationäre Einrichtung zuzustimmen. • Wenn somit über Gewalt als Belastungsfolge gesprochen wird, sollte deutlich werden, dass sich dahinter recht unterschiedliche Fallkonstellationen verbergen können; keinesfalls ist nur an einen kurzfristigen stress19 bedingten Verlust der Kontrolle über das eigene Verhalten zu denken. Abschließend sei auf eine Untersuchung von LACHS, WILLIAMS, O’BRIEN, PILLEMER & CHARLSON (1998) hingewiesen, die – wiederum anhand der New Haven-Stichprobe – die Sterblichkeit von 48 Personen, die wegen bestätigter Gewaltfälle (Misshandlung: n=10; Vernachlässigung: n=30; finanzielle Ausbeutung: n=8) während eines 9-Jahres-Zeitraums Kontakt mit den einschlägig zuständigen Behörden hatten, mit der Sterblichkeit von 128 Personen verglichen, die im gleichen Zeitraum Behördenkontakte wegen Selbstvernachlässigung hatten sowie mit der Mortalität von Personen ohne Behördenkontakte. Dreizehn Jahre nach Untersuchungsbeginn lebten noch 9% der Gewaltopfer, 13% derjenigen, bei denen Selbstvernachlässigung festgestellt worden war und 40% der Kohortenmitglieder ohne behördliche Auffälligkeiten (p<.001). Auch nach Kontrolle des Alters und einer Reihe weiterer demographischer Variablen, chronischer Erkrankungen, funktionaler und kognitiver Fähigkeiten, der Einbindung in soziale Netzwerke und depressiver Symptome blieb die Sterblichkeit der viktimisierten und sich selbst vernachlässigenden Personen signifikant höher als die der nicht auffälligen Gruppe. LACHS et al. (1998) thematisieren damit die wichtige und von der Forschung noch wenig durchdrungene Frage der mittel- und lang19 Am Rande sei bemerkt, dass die Annahme einer besonderen Gefährdung stark pflegebedürftiger Personen die Gültigkeit der caregiver-stress-Hypothese nicht zwingend voraussetzt. Höhere Viktimisierungsrisiken Schwerstpflegebedürftiger können auch in ihrer physischen Wehrlosigkeit und fehlenden Artikulationsfähigkeit begründet sein. 56 fristigen Effekte von Misshandlungs- und Vernachlässigungserfahrungen im Alter. 1.2.2 Zum Forschungsstand in Deutschland Verstärkt seit den Achtzigerjahren werden Aspekte der innerfamiliären Gewalt gegen ältere Menschen auch in Deutschland zum Gegenstand wissenschaftlicher Publikationen gemacht (vgl. z.B. DIECK, 1987; SCHREIBER & SCHREIBER, 1993). SCHREIBER hatte schon 1971 eine empirische Untersuchung zu dieser Thematik vorgelegt. Er wertete alle verfügbaren Strafakten der Bundesrepublik und West-Berlins zu einschlägigen Fällen der Misshandlung älterer Menschen (Delikte: Vergewaltigung, Tötung, Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Nötigung und Bedrohung) für den Zeitraum von 1960 bis zum 1. Quartal 1969 aus. Von insgesamt 69 bekannt gewordenen Fällen gingen 46 Akten in seine Analyse ein. SCHREIBER stellte u.a. fest, dass die familiäre Misshandlung alter Menschen sich hinsichtlich von Täter- und Milieumerkmalen von sonstigen Kriminalitätsformen deutlich unterschied: Der Frauenanteil bei den Beschuldigten war mit nahezu 30% höher als in der allgemeinen Kriminalität, zudem war dabei die Gruppe der älteren Frauen (ab 55 Jahren) relativ stark vertreten. Familiäre Gewaltdelikte gegenüber Älteren ließen sich – auch dies wiederum ein Unterschied zur Kriminalität im Allgemeinen – nicht einem bestimmten Milieu zuordnen, sondern waren in allen Schichten zu fin20 den . Als grundlegend können im deutschen Sprachraum die Arbeiten des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (BILSKY, PFEIFFER & WETZELS, 1992; GREVE, 1997; WETZELS, GREVE, MECKLENBURG, BILSKY & PFEIFFER, 1995; WETZELS & BILSKY, 1994; WETZELS & GREVE, 1996) gelten. Im Auftrag des Bundesfamilienministeriums führte das Institut eine repräsentative Opferstudie durch, die sich insbesondere Viktimisierungen älterer Menschen zuwandte und hier wiederum einen Schwerpunkt auf innerfamiliäre Opfererfahrungen legte (vgl. eingehend WETZELS et al., 1995). Auf der Basis einer in die umfassende Opferbefragung integrierten schriftlichen Befragung zur Thematik innerfamiliärer 20 In Bezug auf Tötungsdelikte an alten Menschen in Heimen und Kliniken hat MAISCH (1996a, 1996b, 1997) bereits darauf verwiesen, dass traditionelle kriminologische Ansätze auf diese Deliktskategorie nur begrenzt anwendbar sind; Motive wie der Zugewinn an Reichtum, Macht, sexueller Befriedigung, Prestige oder auch Nervenkitzel scheinen hier keine zentrale Rolle zu spielen. 57 Gewalt (5.711 Probanden, davon 2.456 aus der Altersgruppe ab 60 Jahren) erfasste die Studie die Deliktsbereiche Körperverletzung, chronische verbale Aggression, wirtschaftliche Ausnutzung, Vernachlässigung und Medikamentenmissbrauch sowie sexuelle Gewalt. Es wurden nur in Einzelfällen pflegebedürftige Personen befragt, so dass Prävalenzraten für die Misshandlung oder Vernachlässigung dieser Personengruppe in Deutschland nach wie vor fehlen; ferner sind Personen über 75 Jahren in der Stichprobe unterrepräsentiert. Die KFN-Untersuchung verwendete eine adaptierte Version der Conflict Tactics Scales (CTS) von STRAUS (1990). Anhand dieser Skala ermittelten WETZELS et al. (1995) für Körperverletzungsdelikte innerhalb enger sozialer Beziehungen bei Menschen ab 60 Jahren Jahresprävalenzraten zwischen 2,3% (Frauen in den neuen Bundesländern) und 3,9% 21 (Frauen in den alten Bundesländern) . Für schwere physische Gewalthandlungen berichten WETZELS et al. (1995) in der Gruppe der 6075jährigen eine Jahresprävalenzrate von 1,9%, bei den über 75jährigen von 1,7%. 22 Eine summarische Einzelfrage nach Körperverletzungsdelikten erfasste im Vergleich zu der CTS-Skala eher schwerwiegende Fälle. Sowohl unter den jüngeren als auch unter den älteren Befragungsteilnehmern lag der Anteil derjenigen, die diese Frage bejahten, bei Frauen höher als bei Männern. Fast zwei Drittel der über 60jährigen, die angaben, Opfer einer Körperverletzung geworden zu sein, berichteten von wiederholten Viktimisierungen. Die älteren Befragten nannten zu rund 80% den Partner als Täter des letzten Körperverletzungsdelikts (unter 60 J.: 63%). Nur 2 von 27 Opfern in der Gruppe ab 60 Jahren benachrichtigten die Polizei; der Anteil war in der jüngeren Altersgruppe ähnlich gering. Eine Analyse der Motive für Anzeige oder Nichtanzeige weist darauf hin, dass viele Opfer befürchteten, mit der Inanspruchnahme institutioneller Hilfe zugleich die für ihren Lebensalltag oftmals zentrale Beziehung zu der Gewalt ausübenden Person zu gefährden. Berichtete Sexualdelikte spielen in der Altersgruppe ab 60 Jahren quantitativ kaum eine Rolle (neun berichtete Fälle, davon allerdings sieben Mehrfachviktimisierungen). Im Bereich der aktiven Vernachlässigung und sozialen Ausgrenzung alter Menschen war die Drohung mit Unter21 Die Werte für Männer in den alten (2.6%) und neuen Bundesländern (3.7%) lagen dazwischen. In den genannten Werten sind die gesondert erfassten Sexualdelikte und Misshandlungen durch Zwangsmedikation und Vorenthalten von Nahrung nicht enthalten. 22 „Hat Sie schon einmal jemand, mit dem Sie verwandt sind oder mit dem Sie zusammengelebt haben, geschlagen, getreten, verprügelt, gestoßen, gewürgt oder mit einer Waffe oder einem Gegenstand, wie z.B. Messer, Werkzeug, Stock absichtlich verletzt oder dies ernsthaft versucht?“ (BILSKY, PFEIFFER & WETZELS, 1992, Modul K, S.6) 58 bringung in einem Heim (Jahresprävalenz Westdeutschland 4,4%) die am häufigsten genannte Verhaltensweise; relativ häufig berichtet wurde über absichtliches Beschränken von Kontakten, Einsperren im Zimmer oder in der Wohnung, vor allem in den neuen Bundesländern auch über das Ausüben von Zwang zur Übertragung von Eigentum. Chronische verbale Misshandlung (mindestens zehn Fälle der Bedrohung oder Beleidigung) berichteten für das Jahr 1991 nur 0,8% der älteren Menschen. Die KFN-Studie bestätigte den Befund, dass mit zunehmendem Alter Viktimisierungsrisiken insgesamt sinken. Zugleich stellte sie fest, dass die meisten Gewaltdelikte gegen Ältere von Familien- und Haushaltsmitgliedern begangen werden und dass „mit zunehmendem Alter der Anteil von Täter-Opfer-Beziehungen, die im Bereich von Privatheit und Familie angesiedelt sind, an der Gesamtzahl der Opfererfahrungen ansteigt“ (WETZELS et al., 1995, S.185). Diese mit dem Alter einhergehende Verschiebung der Viktimisierung in den Privatbereich ist vor allem 23 bei Männern zu beobachten . Zusammenfassend stellen sich die Opfererfahrungen der befragten alten Menschen in engen sozialen Beziehungen im Jahre 1991 folgendermaßen dar (WETZELS et al., S. 177): 3,4% waren im Verlaufe dieses Jahres Opfer physischer Gewalt, 2,7% wurden durch aktive Vernachlässigung oder Medikamentenmissbrauch viktimisiert, 1,3% materiell geschädigt, und 0,8% berichten über chronische verbale Aggression. Opfer mindestens eines dieser Delikte wurden 6,6% der Befragten über 60 Jahren. WETZELS et al. (1995, S.178) fassen ihre darauf beruhenden Schätzungen für die Gesamtheit der bundesdeutschen älteren Population und für das Jahr 1991 so zusammen: „Insgesamt wurden mindestens 340.000 ältere Menschen Opfer eines Gewaltdeliktes durch nahestehende Personen, ca. 230.000 wurden Opfer von Vernachlässigung oder Medikamentenmissbrauch, ca. 50.000 waren in diesem Jahr Opfer chronischer verbaler Aggressionen, und ca. 90.000 wurden durch materielle Ausnutzung in Form von Diebstahl, Unterschlagung oder erzwungener Eigentumsübertragung durch nahestehende Personen beeinträchtigt.“ Die Gesamtzahl der jährlichen Opfer schätzen die Autoren auf rund 600.000 Personen. Hinsichtlich ihres sozioökonomischen Status und ihrer Einkommenssituation unterschieden Opfer sich nicht von Nicht-Opfern. 23 Dies bedeutet nicht ein höheres Opferwerdungsrisiko älterer Männer im Vergleich zu älteren Frauen, sondern ist Ausdruck der Tatsache, dass Männer in den jüngeren Altersgruppen in deutlich stärkerem Maße als Frauen Viktimisierungserfahrungen im öffentlichen Raum und durch Fremde machen. 59 Gewalt im sozialen Nahraum ist für die Opfer wenigstens ebenso belastend wie Delikte, die von Außenstehenden begangen werden (vgl. WETZELS & GREVE, 1996). Psychische Beeinträchtigungen dominieren hier gegenüber körperlichen Schäden. Das allgemeine Wohlbefinden von Körperverletzungsopfern leidet; vor allem ältere weibliche Opfer zeigen starke Einbußen des Allgemeinbefindens. Die KFN-Studie gelangt zu dem Schluss, dass zwar Männer und Frauen ähnliche Viktimisierungsraten haben, dass ältere Frauen jedoch tendenziell von den schwerer wiegenden Delikten betroffen und entsprechend stärker beeinträchtigt sind. BRENDEBACH & HIRSCH (1999) und HIRSCH & BRENDEBACH (1999) berichten über eine in Bonn durchgeführte postalische Befragung von 459 Personen über 60 Jahren, deren Aussagekraft allerdings durch die geringe Teilnahmequote von 13,6% eingeschränkt wird. Zehn Prozent der Befragten (n=46) hatten in den letzten fünf Jahren Gewalterfahrungen im weiteren Sinne in ihren Familien gemacht. In erster Linie wurden seelische Misshandlungen und finanzielle Viktimisierungen berichtet. Folgen der Gewaltereignisse wurden vorwiegend auf psychischer und emotionaler Ebene benannt. Unterstützung erhielten die Betroffenen vor allem durch Personen aus ihrem sozialen Nahraum. Personen, die sich selbst als Opfer beschrieben, waren im Vergleich zu Nicht-Opfern etwas jünger, stärker gesundheitlich eingeschränkt und weniger zufrieden mit ihrem Leben (BRENDEBACH & HIRSCH, 1999, S. 104). Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass mit der Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen erstmals für den deutschen Raum in großem Maßstab empirische Belege zur Nahraumgewalt gegen Ältere geschaffen wurden. Die Studie weist die innerfamiliäre Misshandlung und Vernachlässigung älterer Menschen als quantitativ wie qualitativ bedeutsames Problem aus. Ältere werden insgesamt relativ selten Opfer von Gewalt; wenn dies doch geschieht, dann zu beträchtlichen Teilen innerhalb der Familie. Die KFN-Studie erlaubt keine Aussagen über Viktimisierungsrisiken in den Gruppen der Pflegebedürftigen und der Hochbetagten. Über diese große Untersuchung hinaus existieren bisher nur vereinzelte empirische Studien. 1.2.3 Erklärungsansätze zur Genese von Nahraumgewalt gegen Ältere In den oben dargestellten Untersuchungen und über sie hinaus sind in der Literatur derzeit mindestens vier wesentliche Ansätze zur Erklärung 60 von Gewalt gegen ältere Menschen im häuslichen Bereich oder im Kontext enger sozialer Beziehungen erkennbar. Sie richten den Blick auf mit häuslicher Pflege einhergehende Belastungen, auf die Person des Gewaltausübenden und auf Verhältnisse zwischen den Generationen und den Geschlechtern. Ansatz „Pflegestress“: Dieser Ansatz führt Gewalt gegen Ältere auf mit häuslicher Pflege verbundene Belastungen der Pflegenden zurück. Er wurde oben bereits eingehend dargestellt und diskutiert. • Ansatz „Pathologische Täterpersönlichkeit“: Karl PILLEMER und andere Kritiker des Pflegestress-Ansatzes vertreten die Ansicht, das Ausmaß der Hilfs- und Pflegebedürftigkeit eines alten Menschen stehe nicht in einem ursächlichen Zusammenhang mit seinem Risiko, Opfer von Gewalt im persönlichen Nahraum zu werden. Wo Gewalt gegen Ältere (insbesondere in Form der Misshandlung) sich ereigne, sei meist festzustellen, dass gestörte und zugleich in anderen Handlungsfeldern deviante Personen ihre Aggressivität auch in die Beziehung zu dem älteren Angehörigen hinein trügen; charakteristisch für die Täter sei zudem eine – oftmals finanziell begründete – Abhängigkeit von dem älteren Familienmitglied. Gewaltausübende verfügen nach diesem Modell oft über dysfunktionale Strategien der Problem- und Konfliktbewältigung; sie reagieren auf interpersonale Konflikte entweder mit Aggressivität (Misshandlung) oder mit Flucht (Vernachlässigung; vgl. KANE, 1989). • Ansatz „Transgenerationale Gewalt“: Die vor allem im Kontext der Diskussion um Kindesmisshandlung erörterte These einer Weitergabe von gewaltförmigen Handlungsmustern über die Generationen hinweg (vgl. etwa EGELAND, 1993; KAUFMAN & ZIGLER, 1993; WIDOM, 1989) wurde auch auf die Thematik der Viktimisierung älterer Menschen angewandt. Das Konzept der transgenerationalen Gewalt wird dabei mindestens in einem zweifachen Sinne gebraucht. Misshandlung alter Menschen kann zum einen die Fortführung eines schon immer durch Gewalt gekennzeichneten Kommunikationsstiles sein. Zum anderen werden Gewalthandlungen gegenüber Älteren auch unter dem Aspekt der Vergeltung für früher erlittene Demütigungen angesichts der Umkehrung alter Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse betrachtet (vgl. EASTMAN, 1991). Insbesondere STEINMETZ (1983) hat darauf hingewiesen, dass Pflegebeziehungen die Familiendynamik verändern, es zu einer ´Generationenumkehr´ kommt, ehemals von den Eltern abhängige Kinder nun die Rolle des Verantwortlichen übernehmen. Dieser Ansicht zufolge gibt es ´Zyklen der Gewalt´, die von der Kindes- zur Altenmisshandlung führen; Pflegepersonen, die Gewalt gegen ihre pflegebedürftigen Eltern anwenden, waren in signifikant stärkerem Maße als nicht gewalttätige Pfleger • 61 früher selbst Opfer elterlicher Gewaltanwendung (STEINMETZ, 1988b, S.267f.). • Ansatz „Gewalt gegen Ältere als geschlechtsspezifische Gewalt“: Ein vierter Ansatz betrachtet Gewalt gegen Ältere unter einer Geschlechterperspektive. Gewalt gegen Ältere ist in der Mehrzahl der Fälle Gewalt gegen ältere Frauen. Dies – so wird argumentiert – nicht nur aufgrund der höheren durchschnittlichen Lebenserwartung von Frauen und ihrer daraus resultierenden statistischen Überrepräsentation in der älteren Bevölkerung. Gewalt gegen ältere Frauen wird u.a. begangen von Ehe- und Lebenspartnern; sie stellt in diesen Fällen vielfach eine Fortsetzung bereits früher aufgetretener Verhaltens- und Beziehungsmuster ins höhere Alter hinein dar, ist also in erster Linie nicht als „Gewalt gegen Ältere“ (zu denen auch ältere Frauen gehören) zu verstehen, sondern als Gewalt von Männern gegen Frauen in engen Beziehungen, die mit dem Älterwerden der Partner nicht einfach abreißt. Hinzu kommt, dass eine Form der Gewalt, die im Alter zu verzeichnen ist, die sexuelle Gewalt ist, über de24 ren Verbreitung und Erscheinungsformen noch wenig bekannt ist ; auch diese sexuelle Gewalt lässt sich sinnvoll nur unter Einbeziehung einer Geschlechterperspektive verstehen (DELOREY & WOLF, 1993). Insbesondere in den Vereinigten Staaten wird elder abuse zunehmend unter einer solchen Geschlechterperspektive thematisiert. VINTON (1999) charakterisiert etwa ältere Frauen als zugleich von Alters- und Geschlechterdiskriminierung (ageism und sexism) betroffene Personengruppe. PHILLIPS (2000) verweist darauf, dass die Problematik sich nicht auf ´altgewordene eheliche Gewalt´ beschränke, dass zum Beispiel ältere Frauen auch als familiär Pflegende in besonderem Maße durch Gewalt und Aggression seitens der Pflegebedürftigen betroffen seien (zur Thematik geschlechtsbezogener und insbesondere weiblicher Gewalterfahrungen im Alter vgl. u.a. AITKEN & GRIFFIN, 1996; ARONSON, THORNEWELL & WILLIAMS, 1995; BÖHMER, 2000; BRÖSCHER, 1999; DELOREY & WOLF, 1993; GRIFFIN & AITKEN, 1999; HARRIS 1996; JACK; 1994; LUPRI, 1993; MITCHELL & SMYTH, 1994; PENHALE, 1999; SEAVER, 1996; SPENCER, 1998; VINTON, 1992; 1999; VINTON, ALTHOLZ & LOBELL-BOESCH, 1997; WHITTAKER, 1995). Über diese Ansätze hinaus ist an Erklärungen zu denken, welche an allgemeinen sozialen, kulturellen, ökonomischen Bedingungen ansetzen und die Gewaltanwendung gegen Ältere u.a. vor dem Hintergrund von Veränderungen in Wohn- und Lebensformen, im Verhältnis der Ge24 Zu Sexualdelikten an alten Menschen vgl. u.a. BENBOW & HADDAD (1993), BURGESS, DOWDELL & PRENTKY (2000), BURGESS, PRENTKY & DOWDELL (2000), KAUL & DUFFY (1991). 62 nerationen sowie in den medizinischen Möglichkeiten der Heilung und Lebensverlängerung betrachten und z.B. die gesellschaftliche Geringschätzung von Pflegetätigkeiten ins Feld führen (vgl. STUHLMANN & KRETSCHMAR, 1995). Es wird darauf hingewiesen, dass der Zerfall größerer Familienstrukturen zu Isolation führe und dass isoliert lebende Personen – seien sie nun Gewaltopfer oder Gewaltausübende – geringere Chancen haben, formelle oder informelle Arten sozialer Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Zudem reduziert Isolation die Entde25 ckungswahrscheinlichkeit von Gewalthandlungen . Es wird auf die Machtlosigkeit und Verletzbarkeit (pflegebedürftiger) alter Menschen verwiesen, welche dazu führen, dass diese Personengruppe „zum Sündenbock für die unterschiedlichsten Fehlentwicklungen in der Familie“ (AHLF, 1994, S.297) gemacht wird. 1.2.4 Risikofaktoren der Misshandlung und Vernachlässigung Älterer In der Literatur wird neben derartigen mehr oder weniger komplexen Erklärungsmodellen eine Vielzahl von Risikofaktoren für Gewalt gegen ältere Menschen erörtert, Faktoren also, die in Zusammenhang mit Gewalt gegen Ältere gehäuft oder in stärkerem Maße auftreten, nicht aber zwingend kausal mit dem Auftreten von Gewalt verknüpft sein müssen. Derartige Variablen wurden z.T. bei der Darstellung wesentlicher Untersuchungen bereits erwähnt; im Folgenden sind in der Literatur als Risikofaktoren identifizierte Variablen aufgelistet. Risikofaktoren auf Seiten der von Gewalt betroffenen Person eingeschränkte kognitive und sprachliche Fähigkeiten, dementielle Erkrankungen (DYER, PAVLIK, MURPHY & HYMAN; 2000; KURRLE, SADLER & CAMERON, 1991; LACHS & PILLEMER, 1995; LACHS, WILLIAMS, O’BRIEN, HURST & HORWITZ, 1997; SADLER, KURRLE & CAMERON, 1995) • körperliche Behinderung (PIERCE & TROTTA, 1986; SAVEMAN & NORBERG, 1993; KURRLE, SADLER & CAMERON, 1991; LACHS, BERKMAN, FULMER & HORWITZ, 1994; LACHS, WILLIAMS, O’BRIEN, HURST & HORWITZ, 1997) • chronische Erkrankungen, schlechter Gesundheitszustand (CHOI & MAYER, 2000; SCHIAMBERG & GANS, 2000) • 25 Zu Zusammenhängen zwischen Gewalt im Nahraum und social support vgl. u.a. ARONSON, THORNEWELL & WILLIAMS (1995), BARON & WELTY (1996), BLASINSKY (1998), KURRLE, SADLER, LOCKWOOD & CAMERON (1997), GRUNFELD, LARSSON, MACKAY & HOTCH (1996). 63 • • • • • • • • • • • • • • • • schlechter körperlicher Pflegezustand (als Risikofaktor körperlicher Misshandlung; MENDONCA, VELAMOOR & SAUVE, 1996) hohes Alter (KOSBERG, 1988; LACHS, WILLIAMS, O’BRIEN, HURST & HORWITZ, 1996; 1997; SCHIAMBERG & GANS, 2000) weibliches Geschlecht (so KOSBERG, 1988; die Befundlage ist hier jedoch nicht eindeutig) nicht-weiße Hautfarbe; Zugehörigkeit zu ethnischen Minoritäten – so Befunde aus den Vereinigten Staaten (LACHS et al., 1994; 1996; 1997) Armut, geringes Einkommen (CASH & VALENTINE, 1987; LACHS et al., 1996; 1997) Analphabetismus (PIERCE & TROTTA, 1986) Alkoholmissbrauch durch das Opfer (KOSBERG, 1988; CHOI & MAYER, 2000) Depressivität (DYER, PAVLIK, MURPHY & HYMAN; 2000; SCHIAMBERG & GANS, 2000) mit Ehepartner zusammenlebend (SCHIAMBERG & GANS, 2000) soziale Isolation (WOLF, 1992; LACHS et al., 1994; SCHIAMBERG & GANS, 2000) vom Opfer ausgehendes aggressives Verhalten oder andere Formen von disruptive behaviour (COYNE, REICHMAN & BERBIG, 1993; SCHIAMBERG & GANS, 2000) frühere Misshandlung der nunmehr pflegenden Person durch die nun pflegebedürftige Person (PIERCE & TROTTA, 1986) negative Selbstwirksamkeitsüberzeugungen; externaler Locus of Control in Bezug auf Problemsituationen (COMIJS, JONKER, VAN TILBURG & SMIT, 1999) aggressives Verhalten bei Ärger- und Frustrationserleben (COMIJS, JONKER, VAN TILBURG & SMIT, 1999) passiver und vermeidender Problemlösestil (COMIJS, JONKER, VAN TILBURG & SMIT, 1999) unzureichendes Wissen über Hilferessourcen (MOON & EVANSCAMPBELL, 1999) Risikofaktoren auf Seiten der Gewalt ausübenden Person Alkohol- und Suchtmittelmissbrauch (ANETZBERGER, CORBIN & AUSTIN, 1994; HOMER & GILLEARD, 1990; HWALEK, NEALE, GOODRICH & QUINN, 1996) • psychische Erkrankungen (BENTON & MARSHALL, 1991; WOLF, 1992; FULMER, 1991; SCHIAMBERG & GANS, 2000) • unzureichende Selbstkontrollkompetenzen (JONES, HOLSTEGE & HOLSTEGE, 1997) • Depression (COYNE, REICHMAN & BERBIG, 1993; PAVEZA et al., 1992) • 64 • • • • • • • • • Reizbarkeit (MENDONCA, VELAMOOR & SAUVE, 1996) Lebenskrisen, insbesondere eheliche Konflikte (PIERCE & TROTTA, 1986; KOSBERG, 1988) fehlende soziale Unterstützung (SCHIAMBERG & GANS, 2000) Arbeitslosigkeit (SCHIAMBERG & GANS, 2000) übermäßige Belastung durch Pflegetätigkeit (BENTON & MARSHALL, 1991; COYNE, REICHMAN & BERBIG, 1993; STEINMETZ, 1988a, 1988b; RATHBONE-McCUAN, 1986; SCHIAMBERG & GANS, 2000) Mehrfachbelastung familiärer Pflegepersonen (STEINMETZ, 1988a, 1988b) Schlafentzug (bei familiär Pflegenden; STEINMETZ, 1988a, 1988b) Unerfahrenheit familiärer Pflegepersonen (KOSBERG, 1988; PIERCE & TROTTA, 1986; SCHIAMBERG & GANS, 2000) lange Pflegedauer (COONEY & MORTIMER, 1995; COYNE, REICHMAN & BERBIG, 1993) Risikofaktoren im mikrosozialen Bereich • • • • • • • • • • wechselseitige Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Opfer und Täter (WOLF, 1992; WOLF, GODKIN & PILLEMER, 1986) nicht konsensual zustande gekommene Pflegebeziehung (JONES, HOLSTEGE & HOLSTEGE, 1997) emotional konflikthafte Familienbeziehungen (BENTON & MARSHALL, 1991; GODKIN, WOLF & PILLEMER, 1989; MENDONCA, VELAMOOR & SAUVE, 1996) soziale Isolation der Familie, schlechte soziale Netzwerke, schlechte Einbindung in die Gemeinde (KOSBERG, 1988; JONES, HOLSTEGE & HOLSTEGE, 1997) ungelöste lebensgeschichtliche Konflikte zwischen Opfer und pflegendem Familienmitglied (WOLF, 1988) bereits vor Einsetzen von Pflegebedürftigkeit schlechte Beziehung zwischen Pflegendem und Pflegebedürftigem (COMPTON, FLANAGAN & GREGG, 1997; COONEY & MORTIMER, 1995; HOMER & GILLEARD, 1990) familiäre Gewalt-Vorgeschichte (HUGHES, 1997; SCHIAMBERG & GANS, 2000) unzureichende lokal vorhandene Hilferessourcen (JONES, HOLSTEGE & HOLSTEGE, 1997) Zahl der gemeldeten Fälle von Kindesmisshandlung und Kindesmissbrauch in einem US-County (JOGERST, DAWSON, HARTZ, ELY & SCHWEITZER, 2000) schlechte Wohnverhältnisse (JONES, HOLSTEGE & HOLSTEGE, 1997) 65 Risikofaktoren im makrosozialen Bereich alte Menschen benachteiligende soziokulturelle und ökonomische Rahmenbedingungen (GRIFFIN & WILLIAMS, 1992) • negative gesellschaftliche Einstellungen gegenüber alten Menschen (FERGUSON & BECK, 1983) • unzureichende Unterstützung und fachliche Kontrolle pflegender Familienangehöriger (HIRSCH, 2000b). • 1.2.5 Ursachen und Risikofaktoren der Misshandlung und Vernachlässigung älterer Menschen im sozialen Nahraum – Zusammenfassende Betrachtung Die bisherigen Ausführungen zu Ursachen, Entstehungsbedingungen und Risikofaktoren der Misshandlung und Vernachlässigung älterer Menschen haben deutlich gemacht, dass es eine einheitliche, allgemein akzeptierte Theorie nicht gibt und angesichts der Vielfalt und Heterogenität der Phänomene, die unter den Gewaltbegriff bzw. das Begriffspaar ´Misshandlung und Vernachlässigung alter Menschen´ subsumiert werden, wohl auch nicht geben wird. Die unterschiedlichen Erklärungsansätze für Gewalt gegen Ältere im häuslichen Bereich schließen einander nicht wirklich aus. Sie fokussieren unterschiedliche Aspekte des zu erklärenden Phänomens und haben – was angesichts der Weite der meist verwendeten Gewaltkonzepte nicht erstaunt – unterschiedliche Erscheinungsformen von Gewalt gegen Ältere im Blick, beziehen sich also de facto nicht auf das gleiche Explanandum. Anzustreben ist eine Integration von Erklärungsansätzen bei gleichzeitiger Differenzierung der Gegenstandsbereiche, auf die sie sinnvoll angewandt werden können (zu integrativen Erklärungsansätzen im kriminologischen Bereich vgl. VOLD, BERNARD & SNIPES, 1998, S.300ff.). So ist der Pflegestress-Ansatz per definitionem nur auf Pflegebeziehungen und mutmaßlich auch dort nicht auf alle sich ereignenden Gewaltdelikte sinnvoll anwendbar, sondern primär zur Erklärung von Vernachlässigung und reaktiven Formen der Aggression geeignet. Wenn gelegentlich – so insbesondere beim Konzept der transgenerationalen Gewalt – bei der Suche nach tragfähigen Erklärungsansätzen auf Arbeiten zu den Themen des Kindesmissbrauchs und der Kindesmisshandlung zurückgegriffen wird (vgl. dazu FATTAH & SACCO, 1989, S.237ff.), ist zu prüfen, inwieweit eine solche Übertragung von Erklärungsansätzen aus einem Gegenstandsbereich in den anderen sachangemessen ist oder inwieweit sie – so u.a. die Kritik von UTECH & GARRETT (1992) – simplifizierend und infantilisierend wirkt. Diejenigen 66 Ansätze, welche auf problematische Aspekte der Täterpersönlichkeit abstellen, erscheinen vor allem zur Erklärung von schweren innerfamiliären – und insbesondere intergenerationalen – Gewaltdelikten und Tötungshandlungen geeignet, darüber hinaus aber nur begrenzt anwendbar. Feministisch geprägte Ansätze lenken den Blick auf das Geschlechterverhältnis und die biographische Kontinuität von Gewalt vom jungen und mittleren ins höhere Erwachsenenalter und werfen die grundsätzliche Frage der Angemessenheit der Konstruktion eines Problems als Altersproblem auf. Neben den größeren Versuchen, das Zustandekommen von Gewalthandlungen gegenüber alten Menschen kausal zu erklären, hat sich die Forschung in den vergangenen Jahren vielfach darauf konzentriert, Risikofaktoren zu isolieren. Solche Risikofaktoren gehen statistisch mit einer erhöhten Viktimisierungswahrscheinlichkeit einher, stehen aber nicht notwendigerweise in einer kausalen Beziehung zum Untersuchungsgegenstand (vgl. WOLF, 1997). Eine Vielzahl in der aktuellen Literatur diskutierter Risikofaktoren wurde kurz vorgestellt (vgl. Kapitel 1.2.4); auch daran dürfte deutlich werden, dass das Problemfeld ´Nahraumgewalt gegen Ältere´ einer differenzierten Betrachtung bedarf. Präventions- und Interventionsmaßnahmen wie das Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ basieren explizit oder implizit stets auf Hypothesen und Theorien über das Zustandekommen von Gewalt gegen ältere Menschen. Diese Theorien mögen weder explizit gemacht noch besonders elaboriert sein – die Planung von Maßnahmen setzt Wissen oder Annahmen über Ursache-Wirkungs26 Zusammenhänge jedoch logisch voraus. Parallel zur stärker werdenden Thematisierung des Problemfeldes der innerfamiliären Gewaltanwendung gegenüber alten Menschen in der Forschung hat sich eine öffentliche, vielfach im Rahmen von Fachtagungen ausgetragene Diskussion um das Thema entwickelt. Diese konzentriert sich oftmals sehr stark auf die Konstellation ´pflegendes Familienmitglied und pflegebedürftiges Opfer´. Pflegebedürftige scheinen sich durch ein besonderes Maß an „Machtlosigkeit und Verwundbarkeit“ (AHLF, 1994, S.297) auszuzeichnen und daher mit höherer Wahrscheinlichkeit von Gewaltdelikten betroffen zu sein. Die prototypische Vorstellung von Gewalt gegenüber Älteren im Nahraum ist offenbar die von Gewalt innerhalb einer Dyade, die aus einem pflegebedürftigen alten Menschen und seiner – durch die Pflege belasteten – Pflegeperson besteht. Das öffentliche Sprechen über Gewalt gegen Äl26 Von BORTZ & DÖRING (1995, S.99) als implizite technologische Theorien bezeichnet. 67 tere ist bisher – verglichen mit den Diskursen über Gewalt gegen Frauen und Kinder – wenig politisiert, arbeitet sparsam mit der Zuweisung von Täter- und Opferrollen, ruft selten nach Strafe, erkennt die schwierige Lage des pflegenden Gewaltausübenden an und billigt ihm einen Anspruch auf Hilfe und Unterstützung zu. All dies ist grundsätzlich richtig, doch gilt es, die Vorstellung zu vermeiden, man habe es im Bereich der Misshandlung und Vernachlässigung alter Menschen ausschließlich mit grundsätzlich wohlwollenden, aber überforderten und deshalb die Selbstkontrolle vorübergehend einbüßenden, dann aber sofort reuigen und veränderungsbereiten Tätern und schwierigen, in ihrer Persönlichkeit veränderten, am Zustandekommen der Gewalt nicht ganz unbeteiligten Opfern zu tun. Im familiären wie auch im stationär-pflegerischen Bereich gibt es Formen der Gewalt gegen Ältere, bei denen eine solche Belastungshypothese versagt, bei denen folglich auch aus ihr abgeleitete Maßnahmen versagen müssen und bei denen es einer zweiten Viktimisierung der Opfer gleichkäme, an einer solchen Sichtweise festzuhalten. 1.3 Präventions- und Interventionsansätze und –projekte Im Folgenden werden im Überblick Präventions- und Interventionsansätze im deutschen und im internationalen Bereich dargestellt. Nicht zuletzt angesichts der thematischen Breite des Problembereichs und der daraus resultierenden fließenden Übergänge zu anderen Hilfeangeboten (wie etwa Einrichtungen, die Beratungsdienstleistungen im Bereich der häuslichen Pflege anbieten) muss ein solcher Überblick in hohem Maße selektiv bleiben. Der Vergleich des Hannoveraner Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ mit thematisch einschlägigen Institutionen und Initiativen im In- und Ausland war Bestandteil des Konzepts der hier vorgelegten Studie; die diesbezüglichen Ergebnisse werden in Kapitel 6.3 präsentiert. 1.3.1 Präventions- und Interventionsansätze und –projekte im internationalen Bereich WOLF & PILLEMER (1989) beschreiben und analysieren drei zu Beginn der 80er Jahre in Rhode Island, Worcester (Massachusetts) und Syracuse (New York) betriebene gewaltpräventive Modellprojekte. Alle drei Projekte konzentrierten sich auf den häuslichen Bereich als Tat- und Entstehungsort von Gewalt und betrachteten sich für Fälle der Selbst- 68 Vernachlässigung und Selbst-Misshandlung als nicht zuständig. Das Projekt in Worcester (von WOLF & PILLEMER als „service brokerage model“ bezeichnet) war innerhalb einer großen Altenhilfeeinrichtung angesiedelt, die im Staat Massachusetts nicht-ärztliche ambulante Dienstleistungen für Personen ab 60 Jahren bereithielt. Es konnte auf diese Weise den Klienten eine Vielzahl von Diensten und Hilfeangeboten vermitteln (z.B. Hilfen beim Kochen, Putzen, Einkaufen). Die Modellprojektmitarbeiter fungierten in Misshandlungs- und Vernachlässigungsfällen als case manager. Sie hatten über die ambulanten Dienstleister regelmäßige Einblicke in die Lebenssituation des Klienten; die Kontakte zu den Klienten waren insgesamt von langer Dauer. Das Projekt in Syracuse (von WOLF & PILLEMER „coordination model“ genannt) vermittelte vor allem Dienste, die von anderen Einrichtungen angeboten wurden. Es verfügte darüber hinaus über speziell ausgebildete Kräfte, die Hausbesuche bei Klienten machten und dort im Durchschnitt zwei bis vier Stunden pro Woche verbrachten. Das Projekt in Rhode Island schließlich („mandatory reporting model“) hatte in erster Linie die Funktion, die in Rhode Island bereits sehr früh für bestimmte Berufsgruppen vorgeschriebenen Meldungen von elder abuse-Verdachtsfällen entgegen zu nehmen und die weiteren Ermittlungen zu führen, welche binnen 24 Stunden einzuleiten waren. Im Vergleich zu den beiden zuerst genannten Modellen wurde das Rhode Island-Project von WOLF & PILLEMER (1989) eher skeptisch beurteilt; das Projekt konnte selbst keine unmittelbaren Dienstleistungen für die Klienten anbieten und wurde von anderen Institutionen vielfach nur kontaktiert, um den Meldeverpflichtungen des Gesetzes Genüge zu tun, nicht aber, weil man sich davon konkrete Hilfe bei der Bearbeitung des Falles versprochen hätte. Einige Jahre später haben WOLF & PILLEMER (1994) weitere Präventions- und Interventionsmodelle unter die Lupe genommen. Zwei der als beispielhaft bewerteten lokalen bzw. regionalen Modelle seien im Fol27 genden kurz vorgestellt . Modell Nr. 1, San Francisco: In San Francisco wurde ein neunköpfiges multidisziplinäres Team zusammengestellt, welches in der Regel in monatlichem Turnus zusammentrat und Fälle erörterte, die von Einrichtungen der Altenhilfe als besonders schwierig und einer interdisziplinären Betrachtung bedürftig betrachtet und deshalb an dieses Expertengremium überwiesen wurden. Dem Team gehörten Personen aus Disziplinen und Arbeitsfeldern wie der Sozialarbeit, der Geriatrie, der 27 Die beiden anderen Projekte existierten 1999 nicht mehr. 69 Familienberatung, dem Zivil- und Strafrecht an. Als besonders positiv wird u.a. hervorgehoben, dass das Team umfassende Interventionspläne für schwierige Fälle zu erstellen in der Lage war, dass dabei eine systemische Sichtweise familiärer Probleme und Konflikte dominierte und dass über dieses multidisziplinäre Team Einrichtungen der Altenhilfe in fruchtbare Arbeitskontakte zueinander gelangten. Modell Nr. 2, Hawaii: In Hawaii rief die University of Hawaii School of Social Work ein spezielles Ausbildungsprogramm für Studierende der Sozialarbeit ins Leben („Master’s Level Training Unit in Adult Protective Services“). Das Programm richtete sich an Studenten in den ersten beiden Studienjahren. Ihnen wurde die Möglichkeit geboten, über ein Jahr hinweg studienbegleitend bei den örtlich zuständigen Adult Protective Services praktisch zu arbeiten. Die Universität Hawaii hatte eine Vollzeitkraft abgestellt, die in den Räumen der Adult Protective Services den Studierenden als Anleiter, Ansprechpartner und Supervisor zur Verfügung stand. Die Studenten übernahmen im Verlaufe des Jahres schrittweise mehr Verantwortung und bearbeiteten schwierigere Fälle. Neben der praktischen Arbeit bildete die Wissensvermittlung einen Schwerpunkt; so wurde ein zweiwöchiges Seminar zur Arbeit solcher Adult Protective Services angeboten. Eines der Ziele dieses Modellprogramms war es, Studierende der Sozialarbeit schon früh an eine berufliche Laufbahn im Bereich der Altenhilfe heranzuführen. WOLF & PILLEMER (1994) stellen fest, dass in den beschriebenen Modellprojekten insofern gute Ausgangs- und Rahmenbedingungen bestanden, als sie in städtischen Regionen mit einer quantitativ hinreichenden Klientel angesiedelt waren, von den einschlägigen Behörden unterstützt wurden und erfolgreich mit einer Vielzahl von Einrichtungen der Altenhilfe kooperierten. Als wesentliches Problem erwies sich die Finanzierung, dies insbesondere, wenn die Frage der Überführung solcher Modellprojekte in dauerhafte Einrichtungen ansteht. Mit derartigen Initiativen und Programmen auf lokaler oder regionaler Ebene ist die Palette der in den Vereinigten Staaten ergriffenen Präventions- und Interventionsmaßnahmen längst nicht umfassend charakterisiert (zum Überblick vgl. KLEINSCHMIDT, 1997). • 70 Alle US-Staaten haben mittlerweile gesetzliche Bestimmungen hinsichtlich der Meldung von elder abuse-Fällen erlassen. Nach einer Übersicht aus dem Jahre 1997 (CAPEZUTI, BRUSH & LAWSON, 1997; vgl. auch MARSHALL, BENTON & BRAZIER, 2000, S.53) existieren in 42 US-Bundesstaaten und im District of Columbia Mandatory Reporting Laws, die von in Heil- und Pflegeberufen tätigen Personen die Mel- dung von elder abuse-Verdachtsfällen auch gegen den Willen des 28 tatsächlichen oder vermeintlichen Opfers verlangen . Hinsichtlich anderer Berufsgruppen (Sozialarbeiter, Geistliche, Lehrer, Polizeibeamte u.a.) unterscheiden sich die Gesetzgebungen der Einzelstaaten recht stark. In mehreren Staaten sind die Meldeverpflichtungen nicht auf bestimmte Berufsgruppen beschränkt, sondern richten sich an jedermann, der einen vernünftigen Grund zu der Annahme hat, dass ein alter Mensch misshandelt oder vernachlässigt wird. Die Mandatory Reporting Laws werden in der Fachöffentlichkeit teilweise sehr negativ beurteilt; kritisiert werden vor allem die tendenziell infantilisierende Grundannahme, ältere Menschen könnten nicht selbst ihre Interessen vertreten, die Beeinträchtigung von ArztPatient-Verhältnissen, das Ausbleiben von Sanktionen in der Praxis und die fehlenden institutionellen, personellen und finanziellen Kapazitäten, um mit gemeldeten Verdachtsfällen effektiv umzugehen. Wir werden die Diskussion um derartige Meldebestimmungen in den Kapiteln 6.3.3 und 8 wieder aufgreifen. Grundsätzlich sind die Bundesstaaten für den Schutz Älterer vor Misshandlung und Vernachlässigung verantwortlich. 1987 verabschiedete der Kongress Amendments zum Older Americans Act aus dem Jahr 1965, welche u.a. den von den Bundesstaaten betriebenen Area Agencies on Aging die Zuständigkeit für die Ermittlung des Bedarfs an gewaltpräventiven Einrichtungen übertrugen. Kritiker wenden ein, das Gesetz habe aufgrund mangelnder finanzieller Zuwendungen an die Bundesstaaten in der Praxis nicht die erwünschten gewaltpräventiven Effekte gezeigt (FROLIK & CAPLAN, 1999). • Die in den meisten US-Bundesstaaten eingerichteten Adult Protective Services (APS) sind in Fällen der Misshandlung alter Menschen mit polizeiähnlichen Ermittlungsbefugnissen ausgestattet, verbinden diese Ermittlungstätigkeit zugleich mit pflegerischen und psychosozialen Hilfeangeboten bzw. mit deren Koordination (zum Überblick vgl. BYERS & HENDRICKS, 1993; eingehender zu derartigen Einrichtungen auch Kapitel 6.3.3). • Nach aktuellen Angaben des National Center on Elder Abuse (NATIONAL CENTER ON ELDER ABUSE, 2000a) haben alle Bundesstaa29 ten mit Ausnahme von Kalifornien und Ohio für den Bereich der häuslichen Gewalt gegenüber Älteren Notrufnummern eingerichtet, unter denen elder abuse-Verdachtsfälle gemeldet werden können. • 28 Freiwilligkeit hinsichtlich der Meldung von elder abuse-Fällen besteht in Colorado, Illinois, New Jersey, New York, North Dakota, Pennsylvania, South Dakota und Wisconsin (vgl. MOSKOWITZ, 1998, S.94). 29 Beide Bundesstaaten verfügen über entsprechende Notrufnummern für den Bereich der Misshandlung und Vernachlässigung in stationären Einrichtungen. 71 Diese Telefondienste sind in aller Regel rund um die Uhr erreichbar und für den Anrufer kostenlos. • Mit dem in Washington, D.C., angesiedelten National Center on Elder Abuse gibt es in den USA eine Forschungs- und Praxiseinrichtung auf Bundesebene, die sich ausschließlich mit dem Thema der Misshandlung und Vernachlässigung älterer Menschen befasst. Die Einrichtung hat einen starken Praxisbezug und vertreibt eine Vielzahl von Materialien, darunter einen regelmäßig erscheinenden newsletter, der über das Internet jedermann zur Verfügung steht (http://www.elderabusecenter.org/). • Zunächst nur für den Bereich der stationären Pflege wurden seit den Siebzigerjahren in allen US-Bundesstaaten sog. Long Term Care Ombudsman (LTCO) Programs eingerichtet. Die Ombudspersonen untersuchen und bearbeiten Beschwerden über Vorkommnisse und Missstände in stationären Pflegeeinrichtungen. In den vergangenen Jahren haben die Ombudsman Programs ihre Arbeit in manchen Bundesstaaten auch auf Altenwohnheime und ähnliche nicht primär der Pflege dienende stationäre Senioreneinrichtungen sowie auf den Bereich der häuslichen Pflegedienste ausgedehnt. Im Jahre 1998 waren nach Angaben der amerikanischen ADMINISTRATION ON AGING (2001) über 7.000 freiwillige und über 900 angestellte Ombudsleute im Rahmen von LTCO-Programmen tätig. Sie bearbeiteten innerhalb eines Jahres rund 200.000 Beschwerden von 121.000 Beschwerdeführern und beantworteten weitere 200.000 Anfragen. Häufigster Beschwerdegegenstand war die unzureichende personelle Besetzung 30 in Pflegeeinrichtungen . • Durch ein Gesetz aus dem Jahr 1977 wurden die Bundesstaaten zur Einrichtung von State Medicaid Fraud Control Units (SMFCUs) autorisiert. Die in den meisten Bundesstaaten beim Attorney General, der obersten staatsanwaltschaftlichen Behörde, angesiedelten Einrichtungen ermitteln in Fällen der betrügerischen Verwendung von Medicaid-Geldern sowie der Misshandlung und Vernachlässigung von Patienten und Bewohnern Medicaid-zertifizierter Einrichtungen. Die Tätigkeit der SMFCUs wird überwiegend, in der Startphase nahezu völlig, aus Bundesmitteln finanziert und durch eine Bundesbehörde, die State Medicaid Oversight and Policy Staff (SMOPS) überwacht (U.S. DEPARTMENT OF HEALTH AND HUMAN SERVICES, 2000). Die SMFCUs untersuchen und verfolgen auch Delikte im Bereich der 30 Nach von der ADMINISTRATION ON AGING (1999) verbreiteten Angaben wurde das Programm im Haushaltsjahr 1996 mit öffentlichen Mitteln in Höhe von 41,5 Mio. Dollar gefördert (zum Long-Term Care Ombudsman Program vgl. auch CHERRY, 1993; HARRIS-WEHLING, FEASLEY & ESTES, 1996; HUBER, BORDERS, NETTING & KAUTZ, 1997; MENIO, 1996; MONK, KAYE & LITWIN, 1984; NELSON, 1995; PATON, HUBER & NETTING, 1994; SKELLEY-WALLEY, 1995; WATSON, CESARIO, ZIEMBA & MCGOVERN, 1993). 72 ambulanten Pflege, soweit die entsprechenden Dienste MedicaidLeistungen beziehen. Die im aktuellen Bericht des DEPARTMENT OF HEALTH AND HUMAN SERVICES / OFFICE OF INSPECTOR GENERAL (2000, S.12f.) für den häuslichen Bereich genannten Fallbeispiele beziehen sich allerdings nur auf Abrechnungsbetrug, nicht auf Misshandlung oder Vernachlässigung von Pflegebedürftigen. • Ein landesweit erreichbares Hilfeangebot für ältere Menschen operiert unter der Bezeichnung The Eldercare Locator. Es handelt sich bei dieser nicht explizit gewaltpräventiv orientierten Einrichtung um einen telefonischen Beratungsdienst, der Anrufer an lokale Informations- und Vermittlungsdienste weiterleitet, die wiederum die Vermittlung an örtliche Hilfeangebote, Pflege- und Unterstützungsdienste übernehmen. • Spezialisiert auf den Problembereich der familiären und häuslichen Gewalt allgemein und für alle Altersgruppen ist die National Domestic Violence Hotline, ein Beratungstelefon, das – ebenfalls unter einer landesweit einheitlichen Rufnummer – Anrufer an geeignete Hilfeeinrichtungen (z.B. Frauenhäuser, Selbsthilfegruppen, andere Unterstützungsdienste, Rechtsbeistand) vermittelt. 1.3.2 Präventions- und Interventionsansätze und –projekte in Deutschland Insgesamt etwas später als die Forschung einsetzend, dann aber parallel sich entwickelnd, sind in den vergangenen Jahren in Deutschland psychosoziale Hilfeangebote entstanden, die sich der Thematik der Gewalt gegen Ältere zuwenden. Eine Übersicht vermittelt der von HIRSCH & ERKENS (1999) herausgegebene Band. Hinsichtlich Organisationsform, Finanzierung, Arbeitsweise, Zielsetzung und Zielgruppen, personeller Ausstattung etc. bietet sich derzeit ein sehr heterogenes Bild. Einige Angebote beschränken sich auf die Gruppe der pflegebedürftigen Älteren im Privathaushalt und in Institutionen (so etwa die Städtische Beschwerdestelle für Probleme in der Altenpflege in München, vgl. EMPEN, 1999, und das schleswig-holsteinische PflegeNotTelefon, vgl. BUHL, 1999), andere auf Gewalt in der häuslichen Sphäre oder im Kontext enger sozialer Beziehungen (so das Berliner Seniorenschutz-Telefon gegen häusliche Gewalt im Alter, vgl. KLEINSCHMIDT, 1999, und das in Hannover angesiedelte Modellprojekt des Bundesfamilienministeriums Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum, vgl. HAGEN, 1999), wieder andere haben die gesamte Gruppe der Älteren im Blick (so etwa die Bonner Initiative gegen Gewalt im Alter, vgl. HIRSCH, ERKENS & KRANICH, 1999). Die meisten der bestehen73 den Einrichtungen haben sich zu einer „Bundesarbeitsgemeinschaft der Krisentelefone, Beratungs- und Beschwerdestellen für alte Menschen“ zusammengeschlossen (vgl. HIRSCH, 2000, S.17; HIRSCH & ERKENS, 1999). Die bundesdeutschen Hilfeangebote für von Gewalt bedrohte und betroffene Menschen werden in Kapitel 6.3.2 eingehender dargestellt. Kenntnisse über ihre Entstehung, ihre Arbeitsweisen und Arbeitsergebnisse können bei der Ausgestaltung zukünftiger Angebote von Nutzen sein. Bisher sind die meisten Angebote lokaler Natur. Ein starker thematischer Fokus auf den Bereich ´Pflege und Pflegebedürftigkeit´ ist festzustellen; die Übergänge zu anderen, nicht in der o.g. Arbeitsgemeinschaft vertretenen und sich nicht primär als gewaltpräventive Institutionen verstehenden Pflegeberatungseinrichtungen erscheinen z.T. fließend. 1.4 Erprobung und Evaluation von Präventions- und Interventionsansätzen Wie oben ausgeführt ist das Problem der Nahraumgewalt gegen Ältere erst in jüngerer Zeit zu einem öffentlichen Thema geworden. Systematische Dokumentation und Evaluation einschlägiger Praxisprojekte fand und findet bislang kaum statt. Dieser Mangel hängt allerdings nicht nur mit der ´Neuheit´ des Themas zusammen. Die potenziellen und aktuellen Forschungshindernisse sind groß: Effekte und Treatments sind schwierig zu operationalisieren; Randomisierung und Bildung von Vergleichsgruppen sind nicht oder nur in sehr eingeschränktem Maße möglich. Zudem sind die existierenden Einrichtungen und Initiativen im Wesentlichen aus den Bedürfnissen der Praxis heraus entstanden. Sie werden zum Teil von Vereinen, Initiativen oder Verbänden getragen, die weder primär ein Interesse an Evaluation haben, noch die dafür erforderlichen Finanzmittel ohne weiteres aufbringen könnten. Bisher vorliegende Arbeiten haben einen deutlichen Schwerpunkt auf der Dokumentation der Aktivitäten der jeweiligen Einrichtung und des Fallaufkommens. Insgesamt haben sie eher den Charakter von Tätigkeitsberichten, sind zum Teil von Mitarbeitern der jeweiligen Einrichtungen verfasst. Fragen der Effekte und der Effektivität der Arbeit der jeweiligen Initiativen und Institutionen spielen eine eher untergeordnete Rolle. 74 Zu den genannten Arbeiten gehört z.B. die Darstellung der Aktivitäten der „Bonner Initiative gegen Gewalt im Alter“ von HIRSCH, ERKENS & KRANICH (1999). Die Autoren berichten über die Arbeit eines von der Initiative betriebenen Notruftelefons, geben Informationen zu Fallzahlen, 31 Ratsuchenden, Problemkonstellationen, Täter- und Opfermerkmalen . Ganz ähnlich berichtet YAMADA (1999) über eine erste Auswertung der bei einem Beratungstelefon für ältere Menschen in Tokio zwischen März 1996 und September 1997 eingegangenen Anrufe. Das vom Japan Elder Abuse Prevention Center initiierte Telefon stand Anrufenden wöchentlich lediglich drei Stunden zur Verfügung. 209 Anrufe gingen im Untersuchungszeitraum ein; rund drei Viertel davon wurden als thematisch einschlägig gewertet. In nahezu der Hälfte der einschlägigen Fälle wurden Eigentums- und Vermögensdelikte gegenüber älteren Menschen angesprochen (n=74); ähnlich häufig waren Berichte über psychische Misshandlung (n=69). Die bereits erwähnte Arbeit von WOLF & PILLEMER (1989) stellt drei Interventionsmodelle in Massachusetts, Syracuse und Rhode Island dar. Die Autoren nutzen zum einen Unterlagen über die in den Modellprojekten bearbeiteten Fälle zur Analyse von Täter-, Opfer- und Deliktsmerkmalen. Zum anderen arbeiten sie – vor allem in Interviews mit Projektbeteiligten – projekt-externe wie –interne Bedingungen heraus, welche sich für die Arbeit des Projekts als hinderlich oder förderlich erwiesen haben. Sie ziehen aus der Untersuchung der Modellprojekte u.a. den Schluss, dass ein spezifischer Bedarf nach elder abuse-Programmen besteht. Interventionsprogramme sollten dabei auf die verschiedenen Erscheinungsformen von Gewalt und die Merkmale der Täter und Opfer abgestimmt sein. Einschlägige Einrichtungen sollten am besten innerhalb einer in der Öffentlichkeit bekannten und angesehenen Institution angesiedelt oder zumindest mit dieser erkennbar verknüpft sein. Sie sollten selbst direkte Dienstleistungen anbieten und einen Schwerpunkt ihrer Bemühungen auf die Zusammenarbeit mit anderen lokalen Institutionen legen. Einrichtungen, die – wie das Rhode Island-Modellprojekt – in erster Linie gesetzlich vorgeschriebene Meldungen über elder abuseVerdachtsfälle entgegennehmen, beurteilen WOLF & PILLEMER eher skeptisch: Interinstitutionelle Kontakte finden in solchen Fällen statt, weil die meldende Einrichtung dem Gesetz genüge tun will, nicht weil sie in diesem spezifischen Fall an Kooperation interessiert ist; das Rhode Island-Modellprojekt investierte einen beträchtlichen Teil seiner Ressourcen in – wiederum gesetzlich vorgeschriebene – Ermittlungen, welche ohne Ansehen des Falles in jedem Fall zu erfolgen hatten. WOLF & PILLEMER stellen anhand ihrer Analyse der Modellprojekte und der dort 31 Zur Arbeit der Bonner Initiative vgl. im Detail Kapitel 6.3.2. 75 bearbeiteten Fälle die Verbindung zwischen Theorien über die Genese häuslicher Gewalt gegen Ältere und der Gestaltung von Präventionsund Interventionsmaßnahmen deutlich heraus: Wenn Gewalt vor allem auf pflegerischer Überlastung beruht, ist Entlastung der Pflegenden das primäre Ziel. Geht Gewalt jedoch auf eine Täter-Opfer-Konstellation zurück, die WOLF & PILLEMER (1989, S.155) mit dem Begriff „unhealthy dependence“ umschreiben, dann erscheinen ganz andere Maßnahmen als vordringlich; dazu gehören solche, die dem (potenziellen) Täter helfen sollen, sich aus der ´ungesunden Abhängigkeit´ zu befreien (Psychotherapie, Unterstützung bei der Arbeitsplatzsuche und bei der Gründung eines eigenen Haushalts) bzw. solche, die das (potenzielle) Opfer schützen und stützen (z.B. soziale Unterstützung durch Selbsthilfegruppen, Schaffung von Zufluchtsorten ähnlich den Frauenhäusern, auch Strafverfolgung). Derartige Schlussfolgerungen können nicht zwingend aus den von PILLEMER & WOLF (1989) vorgelegten Daten abgeleitet werden; sie setzen darüber hinaus gehende Interpretationsprozesse voraus. Experimentelle oder auch nur quasiexperimentelle Designs sind in einem Untersuchungsfeld wie dem der Maßnahmen zur Vorbeugung und Bekämpfung familiärer Gewalt gegen Ältere kaum zu realisieren – dies erst recht nicht, solange potenziell evaluierbare Praxisprojekte nur vereinzelt und vorwiegend auf lokaler Ebene existieren, unterschiedliche thematische Schwerpunkte haben, mit unterschiedlichen Methoden arbeiten, über je spezifische personelle, materielle und zeitliche Ressourcen verfügen. Zusammenfassend kann festgehalten werden: Untersuchungen zu gewaltpräventiven Ansätzen existieren bislang nur in geringer Zahl. Die vorhandenen Arbeiten haben oftmals den Charakter institutioneller Tätigkeitsberichte. Auch dort, wo Projekte extern untersucht werden, sind Designs, die eine klassische Wirkungsforschung erlauben würden, bislang nicht realisiert worden und erscheinen im strengen Sinne auch kaum umsetzbar. 76 2 Entstehung und Ausgangsbedingungen des Modellprojekts und seiner wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation 2.1 Entstehung und Ausgangsbedingungen des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ Ende Februar 1998 gab die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Hannover den „Startschuss“ (so die Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 26.02.98) für das Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ (vgl. auch die Pressemitteilung des BUNDESMINISTERIUMS FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN UND JUGEND, 1998). Da das Modellprojekt vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend initiiert und gefördert und in Hannover mit – auch finanzieller – Beteiligung der niedersächsischen Landeshauptstadt durchgeführt wurde, lassen sich zunächst zwei Vorgeschichten unterscheiden, die im Folgenden skizziert werden. Das Zustandekommen der wissenschaftlichen Begleitung des Modellprojekts durch die Universität Gießen wird in Kapitel 2.2. beschrieben. 2.1.1 Zur Vorgeschichte auf Bundesebene Das BMFSFJ gab 1991 die bereits in Kapitel 1.2.2 dargestellte, vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen durchgeführte Dunkelfeldstudie zur Gewalt gegen Ältere in Auftrag (WETZELS, GREVE, MECKLENBURG, BILSKY & PFEIFFER, 1995). Diese repräsentative Opferbefragung machte deutlich, dass verschiedene Erscheinungsformen der Misshandlung und Vernachlässigung Älterer in der Familie quantitativ wie auch in ihrer subjektiven Bedeutung für die Betroffenen gesellschaftliche Probleme darstellen, welche – nicht zuletzt im Hinblick auf die in Gang befindlichen demographischen Umbrüche – politischen Handlungsbedarf nach sich ziehen. Auf einige vor allem stichprobenbedingte Beschränkungen der KFN-Studie wurde bereits hingewiesen. Im Frühjahr 1996 führte das BMFSFJ in Bonn eine internationale Fachtagung zum Thema ‚Gewalt gegen Ältere zu Hause’ durch (BUNDESMINISTERIUM FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN UND JUGEND, 1997b). Referenten aus einer Vielzahl von Ländern berichteten über Aspekte des 77 Themas und tauschten ihre jeweiligen nationalen Erfahrungen aus. Als Ergebnis der Tagung wurde u.a. festgehalten (vgl. NIEDERFRANKE, 1997), dass Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum ein vielgestaltiges und multikausales Phänomen sei und sich nicht auf die Problematik pflegebedürftiger älterer Menschen reduzieren lasse. Helfende Interventionen sollten Vorrang vor strafrechtlicher Verfolgung haben. Das Problem der häuslichen Misshandlung alter Menschen sei primär eine soziale und nicht eine strafrechtliche Frage, und ein Bedarf für spezifische Gesetze zum Schutz Älterer vor Gewalt sei derzeit nicht er32 kennbar . Auf der Tagesordnung der 145. Sitzung des Deutschen Bundestages standen im Dezember 1996 Anträge der SPD „Gewalt gegen Ältere – 33 Prävention und Intervention“ und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Maßnahmen zum Schutz älterer Menschen gegen Gewalt in der Fami34 lie“ . Der SPD-Antrag forderte eine umfassende wissenschaftliche Untersuchung zur Gewalt gegen ältere Menschen; im Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wurde ein ganzes Maßnahmenbündel vorgeschlagen, vor allem wurden Schaffung und Ausbau von „anonymen und kostenlosen Beratungsmöglichkeiten für ältere Menschen in Krisensituationen“ gefordert. Beide Anträge wurden an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend überwiesen und dort im März 1997 verworfen. Im Juni 1998 wurden sie schließlich im Plenum des Deutschen Bundestages ohne Aussprache abgelehnt (DEUTSCHER BUNDESTAG, 1998). Die damalige Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesfamilienministerin, Gertrud DEMPWOLF, kündigte im Verlaufe der 145. Sitzung des Bundestages ein Modellprojekt „in Zusammenarbeit mit einer größeren Stadt“ an, welches „aller Voraussicht nach im Frühjahr 1997 seine Arbeit beginnen“ werde. Weiter führte die Parlamentarische Staatssekretärin seinerzeit aus (DEUTSCHER BUNDESTAG, 1996, S.13205): „Im Rahmen dieses Modellprojektes werden Sozialarbeiter eingesetzt und Expertenteams gebildet. Die Sozialarbeiter bilden eine Anlaufstelle für Opfer von Gewalt. Sie sollen Hilfenetze aufbauen und den Opfern mit Rat und Tat zur Seite stehen. Wenn sie bestimmte Aufgaben nicht selbst erledigen können oder dürfen, können sie die Ratsuchenden weitervermitteln. 32 Zu ähnlichen Positionen im internationalen Schrifttum vgl. z.B. FORMBY (1992), während etwa HEISLER (1991; HEISLER & QUINN, 1995) die generalpräventiven Effekte eigens zum Schutz alter Menschen geschaffener strafrechtlicher Bestimmungen hervorhebt. 33 BT-Drucksache 13/5627; Antrag vom 26.09.1996; verfügbar unter http://dip.bundestag.de/ btd/13/056/1305627.asc [23.5.2001]. 34 BT-Drucksache 13/5453; Antrag vom 26.08.1996; verfügbar unter http://dip.bundestag.de/ btd/13/054/1305453.asc [23.5.2001]. 78 Die Expertenteams bestehen aus Ärzten, Sozialarbeitern, Therapeuten und Pflegern. Sie haben die Aufgabe, die vor Ort arbeitenden Sozialarbeiter zu beraten. Um das Thema ,,Gewalt gegen Ältere“ aus der Tabuzone herauszuholen, versuchen sie, die Öffentlichkeit zu informieren und zu sensibilisieren. Sie sollen sich als Anlaufstelle für Betroffene in der Region bekannt machen. Die Möglichkeiten und Grenzen der Öffentlichkeitsarbeit zu untersuchen, ist ein ganz wichtiger Bereich in dem Modellprojekt. Ebenso spielt es auch eine große Rolle, den Fortbildungs- und Weiterbildungsbedarf der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu ermitteln. (...) (...) Es ist besonders wichtig, dass die Ergebnisse umsetzbar sind und auch auf andere Kommunen übertragen werden können. Deshalb ist das Projekt so geplant, dass einzelne Bausteine erprobt und bewertet werden können. Diese einzelnen Bausteine können dann in bereits bestehende Strukturen in einer Kommune eingebunden und vernetzt werden. Wir glauben, dass dies bei knappen Haushaltsmitteln der richtige Weg ist, damit die Ergebnisse eine möglichst breite Umsetzung erfahren.(...) „ Im August 1997 waren die Projektvorbereitungen soweit gediehen, dass das Ministerium eine Pressemitteilung veröffentlichte, in der es hieß: „Gewalt gegen ältere Menschen entschieden entgegentreten: Bundesseniorenministerium entwickelt Modellprojekt zum Schutz älterer Menschen vor Gewalt im persönlichen Lebensumfeld“ (BUNDESMINISTERIUM FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN UND JUGEND, 1997c). 2.1.2 Zur Vorgeschichte in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover Die Stadt Hannover beteiligte sich in den Jahren 1994 und 1995 an einem Projekt der Europäischen Union zum Thema „Ältere Menschen und urbane Sicherheit“. Die damalige Leiterin des Referats für Gleichstellungsfragen übernahm innerhalb dieses Projekts die Funktion der Kontaktperson. Sie hatte bereits 1992 in Hannover einen sog. Runden Tisch „Männergewalt in der Familie“ initiiert. Seit Januar 1995 beschäftigte sich ein weiterer Runder Tisch mit dem Thema der Gewalt gegen Ältere. Daran wirkten Vertreterinnen und Vertreter aus den Reihen der Polizei, der Justiz, der Sozialbehörde, der Wohlfahrtsverbände sowie von Opferhilfeorganisationen, Interessenvertretungen älterer Menschen und aus der Wissenschaft mit (vgl. MÜLLER, 1997; REFERAT FÜR GLEICHSTELLUNGSFRAGEN-FRAUENBÜRO DER LANDESHAUPTSTADT HANNOVER, 1995). Das Konzept des Modellprojekts wurde im Wesentlichen von diesem Runden Tisch erarbeitet (BITTNER-WOLFF, 1997). 79 Im Juni 1997 richtete die Stadt Hannover den Antrag auf Finanzierung eines Modellprojekts an das Familienministerium (LANDESHAUPTSTADT HANNOVER: DER OBERBÜRGERMEISTER, 1997). In der zweiten Jahreshälfte 1997 wurde zwischen dem Ministerium und der Stadt Hannover ein Vertrag über die Durchführung des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ geschlossen. Auf der Grundlage des eingereichten Antrags wurde das Modellprojekt an die Stadt Hannover in der Zuständigkeit des dortigen Referats für Gleichstellungsfragen-Frauenbüro und des Sozialdezernats vergeben. Es sollte sich über drei Jahre erstrecken und im Frühjahr 2001 abgeschlossen sein. Der Bund förderte den Modellversuch mit rund einer Million DM; die Stadt Hannover steuerte etwa DM 120.000 hinzu. Der weitaus größte Teil der Gesamtsumme wurde für Personalausgaben benötigt. Dem Antrag der Stadt Hannover (LANDESHAUPTSTADT HANNOVER: DER OBERBÜRGERMEISTER, 1997) und den lokalen Vorarbeiten zufolge diente das Projekt dem Ziel, „Präventions- und Interventionsmöglichkeiten bei Gewalt an älteren Menschen zu entwickeln, umzusetzen und in ihrer Wirkung zu erproben unter Einbeziehung der vorhandenen Strukturen vor Ort“ (BITTNER-WOLFF, 1997). Ihm lag – folgt man dem Antrag – ein weit gefasster Gewaltbegriff zugrunde. Unter „Gewalt bzw. Missbrauch“ verstand man „ein Verhalten oder Unterlassen (...), das andere in ihrer Würde verletzt, sie verunsichert oder ängstigt, sie in ihrer Freiheit einschränkt, sie in die Isolation treibt oder ihre leiblichen, seelischen oder geistigen Bedürfnisse unbeachtet lässt“. Dies könne – so der Antrag – „schon der Fall sein, wenn jemandem eine schwere Türe nicht aufgehalten bzw. ein Sitzplatz nicht überlassen wird (...). Gewalt und Misshandlung können (...) nicht nur körperlich, sondern auch emotional, aber auch in finanzieller Hinsicht ausgeübt werden.“ (LANDESHAUPTSTADT HANNOVER: DER OBERBÜRGERMEISTER, 1997, S.3). Zu den als grundlegend betrachteten Attributen des Projekts gehörten in der Planungs- und Antragsphase zum einen sein modularer Charakter, zum anderen der Rückgriff auf bereits vorhandene Strukturen. Es sollte aus Bausteinen bestehen, die einzeln hinsichtlich ihrer Effekte erprobt und gegebenenfalls an anderen Orten, in anderen Kontexten nutzbar gemacht werden sollten. Das Projekt wurde nicht als Konkurrenz zu oder Ersatz für in Hannover bereits bestehende und tätige Institutionen und Initiativen verstanden. Es sollte vielmehr vorhandene Strukturen in sinnvoller Weise miteinander und mit dem Projekt verbinden. 80 Der Förderungsantrag der Stadt Hannover an das BMFSFJ (LANDESHAUPTSTADT HANNOVER: DER OBERBÜRGERMEISTER, 1997) nannte sechs 35 einzurichtende Projektmodule : Modul 1: „Einrichtung einer Koordinationsstelle“: Zu den zentralen Aufgaben dieser Stelle gehörten dem Konzept zufolge „Kontaktaufnahme und Aufbau von Koordinationsstrukturen zwischen den vorhandenen Einrichtungen, Organisationen und Initiativen, die mit älteren Menschen arbeiten“, ferner der „Aufbau eines Informationsdienstes“, Kontakte zu „städtischen Gremien und Ämtern sowie zur wissenschaftlichen Begleitung“, Berichtsarbeiten, „Organisation von Fortbildungsmaßnahmen“, „Organisation und Koordination der Öffentlichkeitsarbeit“. Die Stelle sollte dem Antrag zufolge „organisatorisch beim Referat für GleichstellungsfragenFrauenbüro angebunden sein“. Modul 2: „Öffentlichkeitsarbeit“: Öffentlichkeitsarbeit im Rahmen des Modellprojekts sollte unter Einsatz von „Plakataktionen, Broschüren, Werbespots“ und anderen Medien zur Aufklärung über die Thematik beitragen und „adäquate Handlungs- und Reaktionsmuster“ vermitteln. Modul 3: „Vernetzung der vorhandenen Strukturen“: Die Verknüpfung von „Einrichtungen, Kontaktstellen und Initiativen (...), die mit ihrem Angebot einen positiven Beitrag zur Vermeidung, Verhinderung, Reduzierung oder Beseitigung von Ursachen und Bedingungen für die Entstehung von Gewalt leisten“, sollte „insbesondere unter dem Gesichtspunkt erfolgen, einen effektiven möglichst frühzeitigen Einsatz des jeweiligen Angebots zu erreichen.“ Im Sinne einer solchen Vernetzung sollten die Mitglieder des erwähnten Runden Tisches „Gewalt gegen ältere Menschen“ die Aufgabe eines Projektbeirats übernehmen. Weitgehend unabhängig von der Genese des Modellprojekts hatten sich zum Zeitpunkt der Antragstellung in Hannover auf Stadtteilebene bereits sogenannte Seniorenforen gebildet, die sich mit Problemen älterer Menschen in der jeweiligen Stadtregion befassten; die Verknüpfung mit dem Modellprojekt sollte u.a. durch die Bildung von Arbeitsgruppen zur Thematik der Gewalt gegen Ältere hergestellt werden. Modul 4: „Einrichtung von drei Spezialdiensten“: Diese dem Antrag zufolge mit Sozialpädagoginnen und -pädagogen zu besetzenden Dienste sollten „Hilfs- und Beratungsangebote für die Op35 Alle wörtlichen Zitate im folgenden Abschnitt sind diesem Papier (dort S. 6-8) entnommen. 81 fer von Gewalt, für deren Angehörige, nahestehende Personen und andere anbieten“. Sie waren als Ansprechpartner in akuten Krisensituationen konzipiert und sollten Kontakte zu Experten im psychosozialen Bereich vermitteln. Vor allem in der Anfangsphase des Projekts sollte die Arbeit der Spezialdienste einen starken Stadtteilbezug haben. Modul 5: „Bildung von Experten/innen/teams“: Auf Stadtteilebene sollten aus der Mitte der erwähnten Seniorenforen multidisziplinäre Expertenteams gebildet werden, in die nach Möglichkeit Ärzte, Sozialarbeiter, Pflegekräfte, Psychotherapeuten, Kontaktbeamte der Polizei und Senioren einzubinden waren. Zu den vorgesehenen Aufgaben dieser Teams gehörte neben (informierender und sensibilisierender) Öffentlichkeitsarbeit die Beratung der Spezialdienste. Modul 6: „Aufbau einer ‚help-line’„: Analog zu ähnlichen Einrichtungen im Bereich der Gewalt gegen Kinder und Frauen sollte ein auf die diesbezüglichen Nöte älterer Menschen spezialisierter Telefondienst eingerichtet werden. Vorbilder hierfür existierten zu Projektbeginn u.a. in den Niederlanden (vgl. JANSEN, 1997) und Großbritannien (DAVIES, 1995), den USA (MID-FLORIDA AREA AGENCY ON AGING, 1997), in Deutschland hatte der Seniorennotruf der Bonner Initiative gegen Gewalt im Alter seine Arbeit aufgenommen (vgl. VOLLHARDT & ERKENS, 1997, S.73). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in Hannover in beträchtlichem Maße lokale Strukturen existierten, an die das Modellprojekt anknüpfen konnte und nach der Vorstellung der Initiatoren auch sollte. Hierzu gehörten insbesondere der im Januar 1995 gegründete Runde Tisch „Gewalt gegen Ältere“ und die in einzelnen Stadtteilen gebildeten Seniorenforen; das Referat für Gleichstellungsfragen verfügte über weitreichende Erfahrungen mit der projektrelevanten Thematik innerfamiliärer Gewalt. Das Konzept des Modellprojekts war von den Initiatoren und Antragstellern in Grundzügen ausgearbeitet; darüber hinaus ermöglichte und erforderte es ein hohes Maß an konzeptueller und Planungsarbeit, die – wie die weitere Darstellung zeigen wird – im Verlauf der Projektdurchführung von den MitarbeiterInnen des Modellprojekts zu leisten war. 82 2.2 Entstehung und Ausgangsbedingungen der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ Das Institut für Kriminologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen hatte seit Beginn der Neunzigerjahre einen deutlichen Schwerpunkt auf kriminologisch relevante Fragen des Alters gelegt: Das vom Institutsdirektor ausgerichtete 22. Interdisziplinäre Symposium von Kriminologen, Psychiatern und Psychologen widmete sich im Sommer 1991 dem Thema ‚Kriminalität und Kriminalitätskontrolle bei alten Menschen’; der Beitrag von KREUZER (1992) in dem von KREUZER & HÜRLIMANN (1992) herausgegebenen Tagungsband thematisiert eingehend die Viktimisierung älterer Menschen. Bei der Planung und Durchführung der internationalen Fachtagung zum Thema ‚Gewalt gegen Ältere zu Hause’ (Bonn, März 1996) war der Institutsdirektor für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend beratend tätig, hielt das einführende Referat (KREUZER, 1997a) und bearbeitete den Tagungsband (BUNDESMINISTERIUM FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN UND JUGEND, 1997b, darin auch KREUZER, 1997b). Mit Förderung durch das Hessische Justizministerium wurden die spezifischen Lebensbedingungen und Probleme älterer Menschen im Strafvollzug empirisch untersucht (SCHRAMKE, 1996). Nahezu zeitgleich mit dem Beginn der Begleitforschung zum Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ wurde mit finanzieller Unterstützung der Volkswagen-Stiftung eine umfangreiche Studie zur Misshandlung und Vernachlässigung älterer Menschen in Einrichtungen der stationären Altenhilfe in Angriff genommen („Gewalt gegen alte Menschen in stationärer Pflege“; vgl. GÖRGEN, 1999a; 1999b; 2000; 2001; GÖRGEN, HÜSING & GRUNER, 2000; 2001). Die Vergabe der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ an die Universität Gießen erfolgte aufgrund einer begrenzten Ausschreibung im Juli 1997 und eines daraufhin im August 1997 eingereichten Angebots (KREUZER & GÖRGEN, 1997). Die Begleitforschung war – so die Vorgaben in der Ausschreibung des BMFSFJ – gleichfalls auf drei Jahre angelegt. Die Begleitforschung hatte ein Finanzvolumen von knapp 500.000 DM. Zwei wissenschaftliche Mitarbeiterinnen – eine DiplomSozialwirtin und eine Diplom-Psychologin – waren (mit je ½ Stelle BAT 83 IIa) während der gesamten Laufzeit hauptamtlich in der Begleitforschung tätig. Der kurze Ausschreibungstext des BMFSFJ (1997) sowie die Gegebenheiten des zu evaluierenden Gegenstandes legten eine Verbindung 36 von summativer und formativer Evaluation nahe – einer Begleitforschung also, die einerseits gestaltend auf das Projekt einwirkt, andererseits seine Arbeit und deren Ergebnisse dokumentiert und evaluiert. Auf der Grundlage des Ausschreibungstextes und unter Berücksichtigung anzunehmender Möglichkeiten und Grenzen einer Evaluation eines solchen Projekts unterbreiteten KREUZER & GÖRGEN (1997) ein Angebot. Zentrale Charakteristika dieses Konzepts lassen sich stichwortartig wie folgt zusammenfassen (vgl. im Detail hierzu Kapitel 3): • • • • • Verbindung von formativer und summativer Evaluation; Begleitung, Dokumentation und Evaluation des Modellprojekts; Kombination von methodischen Vorgehensweisen, die üblicherweise dem quantitativen und dem qualitativen Paradigma zugerechnet 37 werden ; zeitliche Strukturierung der Begleitforschung in eine präevaluative Phase und die Phase der Evaluation im engeren Sinne; personelle Trennung der Begleitungs- und Evaluationsaufgaben durch entsprechende Arbeitsteilung innerhalb der Forschungsgruppe; Konzentration der Projektevaluation auf zentrale und für eine Evaluation geeignete Bereiche; primär fallbezogene Evaluation, die sich an der Zufriedenheit von KlientInnen mit durchgeführten Präventionsund Interventionsmaßnahmen, der Übereinstimmung von KlientInnenbedürfnissen und Programmelementen und den kurz- und mittelfristigen Folgen von Maßnahmen orientiert. Der Versuch, ‚tatsächliche’ quantitative Veränderungen des Phänomens der Gewalt gegen Ältere in Hannover während der Durchführung des Modellprojekts zu erfassen, wurde von vornherein als zum Scheitern verurteilt verworfen. Das Evaluationskonzept konzentrierte sich auf die Wahrnehmung und Bewertung der Durchführung einzelner Maßnahmen, ihrer unmittelbaren Ergebnisse und längerfristigen Effekte durch Adressaten und Projektmitarbeiter. Als zentrale Evaluationskriterien wurden auf konkrete Einzelfälle bezogene Daten zur Zufriedenheit von 36 STANGEL-MESEKE & WOTTAWA (1993) verwenden das etwas anschaulichere Begriffspaar „ergebnisorientierte“ und „handlungsorientierte“ Evaluation. 37 Für die Kombination quantitativer und qualitativer Verfahren in diesem Forschungsbereich plädiert auch PILLEMER (1988a). 84 Klienten mit Präventions- und Interventionsmaßnahmen, zur Übereinstimmung von Klientenbedürfnissen und angebotenen Programmelementen und zu den kurz- und mittelfristigen Effekten einer Maßnahme betrachtet. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Durchführung der Begleitforschung zum Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ sich in den Schwerpunkt altersbezogener kriminologischer Arbeiten des Gießener Instituts einfügt. Das erarbeitete Begleitforschungskonzept verbindet formative und summative Elemente und versucht, pragmatische Lösungen für Schwierigkeiten und Begrenzungen zu entwickeln, die sich sowohl aus dem Untersuchungsgegenstand als auch aus der Aufgabenvielfalt der Begleitforschung ergeben. Das Untersuchungskonzept wird in detaillierter Form im folgenden Kapitel dargestellt. 85 3 Grundzüge der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation des Modellprojekts 3.1 Die Forschungsaufträge seitens des BMFSFJ Die wissenschaftliche Begleitung des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ wurde im Juli 1997 vom BMFSFJ beschränkt ausgeschrieben. Dazu wurde der Text des Antrags der Stadt Hannover (LANDESHAUPTSTADT HANNOVER: DER OBERBÜRGERMEISTER, 1997) zusammengefasst und um Ausführungen zu Aufgaben und Rahmenbedingungen der wissenschaftlichen Begleitung ergänzt. Der Ausschreibungstext des BMFSFJ (1997) sowie die Gegebenheiten des zu evaluierenden Gegenstandes legten eine Verbindung von summativer und formativer Evaluation nahe. Als übergeordnete Aufgaben der Begleitforschung nannte die Ausschreibung zunächst die Analyse von Handlungszusammenhängen, das Verfolgen der Effekte von Projektelementen und das Herausarbeiten von Wechselwirkungen. Im Sinne formativer Evaluation oder der Begleitforschung im Wortsinne sollte das Evaluationsteam „das Projekt in der Konzeptions- und Durchführungsphase beratend begleiten und ggf. auch eigene Ideen einbringen“; „Erkenntnisse und Beobachtungen“ der BegleitforscherInnen sollten „kontinuierlich in das Projekt zurückfließen“ (BUNDESMINISTERIUM FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN UND JUGEND, 1997a, S.4). Im Sinne summativer Evaluation sollte die Begleitforschung auf der Grundlage der Projektziele und angestrebten Effekte forschungsleitende Hypothesen entwickeln, diese Hypothesen einer Prüfung zuführen und Effektivität und Praktikabilität des Projekts abschließend beurteilen. Besonderes Augenmerk war nach den Vorgaben des BMFSFJ auch auf die Frage der Übertragbarkeit auf andere Kommunen oder Regionen zu richten; andere bundesdeutsche Initiativen sollten in die Untersuchung einbezogen werden. Als weitere Bewertungskriterien wurden „Umsetzbarkeit“ und „Integrierbarkeit in bestehende Strukturen“ genannt. In der Ausschreibung des BMFSFJ wurden die zu erbringenden Leistungen meist mit dem Begriff der wissenschaftlichen Begleitung charakterisiert; hierin deutet sich bereits eine grundlegende Beschränkung der vorliegenden Studie an: Evaluationsforschung im engen Wortsinne, d.h. im Sinne einer strengen Effektmessung, würde im Bereich von Präventions- und Interventionsmaßnahmen zur Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum allgemein und unter den spezifischen Rahmenbedingungen des Modellprojekts nur mit großen Einschränkungen möglich 86 sein. Diese Einschränkungen werden in Kapitel 3.2, die darauf Bezug nehmenden Lösungsansätze in Kapitel 3.3 dargestellt. 3.2 Antizipierte Probleme und Begrenzungen bei der Evaluation des Modellprojekts Üblicherweise wird unter Evaluationsforschung „die Ermittlung der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit praktisch-politischer oder sozialplanerischer Maßnahmen bezüglich eines oder mehrerer Erfolgskriterien“ unter besonderer Beachtung unbeabsichtigter Nebenwirkungen verstanden (so DIEKMANN, 1996, S.33f.). Idealerweise kann Evaluationsforschung sich experimenteller oder wenigstens quasi-experimenteller Designs bedienen, in denen bei randomisierten Stichproben und über PrePosttest-Messungen die zuvor klar definierten und operationalisierten Effekte einer oder mehrerer Maßnahmen erfasst und die so gemessenen Werte mit denen einer Kontrollgruppe verglichen werden, bei der 38 keine entsprechende Maßnahme vorgenommen wurde . Es dürfte unmittelbar einleuchten, dass derartige Untersuchungsbedingungen sich in dem hier vorliegenden Untersuchungsfeld nicht herstellen lassen. Hinsichtlich der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ waren mehrere Begrenzungen und Probleme aufgrund struktureller Gegebenheiten des Modellprojekts und der Begleitforschung bereits im Planungsstadium absehbar und sollen im Folgenden kurz dargestellt werden. Personelle und institutionelle Verbindung summativer und formativer Aufgaben und das dadurch entstehende Problem der Selbstevaluation Wissenschaftliche Begleitung und Evaluation des Modellprojekts wurden in Rahmen einer Ausschreibung und an einen Vertragspartner des BMFSFJ vergeben. Beide Aufgaben sind nicht problemlos miteinander vereinbar. Während die wissenschaftliche Begleitung eines Modellprojekts zu einem gewissen Grad auch eine Mitgestaltung bedeutet, setzt die Evaluation des Projekts eine distanziertere Haltung des Forschers gegenüber dem Evaluandum voraus. Insbesondere gerät das Forschungsteam mit wachsendem Einfluss auf die Ausgestaltung des Projekts in das Dilemma der Selbstevaluation, d.h. der – möglichst objekti38 Merkmale einer 'idealen' Evaluationsstudie werden beschrieben bei WOTTAWA & THIERAU (1990, S.69). 87 ven – Bewertung eines Objekts, welches seine konkrete Gestalt nicht ohne Zutun des Bewertenden erlangt hat. Fehlen echter Vergleichsgruppen Die Analyse der Arbeit und der Arbeitsergebnisse des Modellprojekts hat zunächst den typischen Charakter einer Einzelfallstudie. Sowohl in der Ausschreibung des BMFSFJ als auch im Angebot von KREUZER & GÖRGEN (1997) waren Vergleiche mit anderen Projekten und Initiativen vorgesehen. Die in den Kapiteln 6.3.2 und 6.3.3 präsentierten Ergebnisse belegen die Fruchtbarkeit einer solchen Perspektive und Vorgehensweise, doch stellen die in Betracht gezogenen Einrichtungen im Inund Ausland keine echten Vergleichsgruppen dar: Sie arbeiten unter anderen Rahmenbedingungen, mit anderen Zielen und Arbeitsschwerpunkten, anderen Arbeitsprinzipien und Vorgehensweisen und sind daher hinsichtlich ihrer Effekte nur sehr eingeschränkt und unter Berücksichtigung all dieser Rahmenbedingungen mit dem Modellprojekt vergleichbar. Auch innerhalb der Analyse des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ waren echte Vergleiche – etwa zwischen der Arbeit in verschiedenen Stadtteilen, zwischen den Arbeitsweisen verschiedener BeraterInnen oder zwischen der Vorgehensweise in unterschiedlichen Projektphasen – nicht möglich, da derartige Bedingungen sich im Feld nicht unabhängig von einer Vielzahl anderer Bedingungen variieren lassen bzw. sich einer Manipulation zu Untersuchungszwecken völlig entziehen. Die Begleitforschung zum Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ war ganz und gar Feldforschung und musste sich an den Gegebenheiten des Feldes orientieren. Unmöglichkeit der Randomisierung von Untersuchungsobjekten Eng verwandt mit der zuletzt erörterten Einschränkung ist das Problem der Unmöglichkeit der Randomisierung, d.h. der zufälligen Zuweisung von Untersuchungsobjekten an Untersuchungsbedingungen. Unter den Bedingungen eines gewaltpräventiven Projektes können Klientinnen und Klienten – die erst durch ihre Kontaktaufnahme mit dem Modellprojekt zu solchen werden – nicht zufällig und beliebig auf bestimmte Projektmerkmale verteilt werden. Wenn überhaupt, dann sind es die KlientInnen und die BeraterInnen, die solche Selektions- und Zuordnungsprozesse vornehmen (indem die KlientInnen sich für bestimmte Dienste des Modellprojekts und gegen andere entscheiden, indem die BeraterInnen sich entscheiden, einen Fall selbst zu bearbeiten oder ihn innerhalb des Teams oder nach außen delegieren). 88 Schwierigkeit der Definition, Operationalisierung und Messung von Effekten Selbst wenn ein Kontrollgruppendesign und eine Randomisierung der KlientInnen realisierbar wären, bliebe die Evaluation gewaltpräventiver Maßnahmen schwierig. Nicht zuletzt angesichts der Heterogenität der meist und so auch im Rahmen des Modellprojekts unter den Begriff „Gewalt gegen Ältere“ subsumierten Phänomene und der Komplexität der diese Phänomene auslösenden und aufrechterhaltenden Bedingungen ist bereits eine begriffliche Bestimmung der in Betracht zu ziehenden Variablen, erst recht ihre Operationalisierung und Messung, eine äußerst schwierige Aufgabe. Große Probleme bereitet auch die analytische Trennung von Effekten der im Rahmen des Modellprojekts vorgenommenen Intervention einerseits und den Auswirkungen anderer Maßnahmen und Prozesse andererseits. Die Erfassung von Effekten setzt Messungen vor und nach der in Frage stehenden Intervention voraus; im Rahmen eines Modellprojekts, in dem die KlientInnen von sich aus die angebotenen Dienste in Anspruch nehmen, kann es kaum jemals eine saubere Vorher-Nachher-Messung geben, da der erste – meist telefonische – Kontakt mit den BeraterInnen zugleich den ersten Interventionsschritt konstituiert. Geringer Grad der a priori-Planung des Modellprojekts Die bislang benannten Problemfelder sind nicht spezifisch für das Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“; sie verweisen vor allem auf die grundsätzlich mit Projektevaluation im Feld verbundenen Schwierigkeiten, die hier durch eine Reihe von Faktoren (Weite und Heterogenität des Interventionsgegenstandes ´Gewalt´, Selbstselektion der KlientInnen durch Inanspruchnahme von ProjektAngeboten) noch verstärkt werden. Ein nicht in gleicher Weise notwendig mit derartigen Projekten verbundenes Problem betrifft den Grad der Vorab-Strukturierung des Modellprojekts. Der Antrag der Stadt Hannover an das BMFSFJ (LANDESHAUPTSTADT HANNOVER: DER OBERBÜRGERMEISTER, 1997) ist als wesentliche Arbeitsgrundlage der unmittelbar Projektbeteiligten zu betrachten; Grundprinzipien, Ziele und wesentliche Bausteine des Modellprojekts werden dort benannt. Dabei umreißt er das zu schaffende Modellprojekt in eher groben Zügen. Insgesamt ist daher festzustellen, dass das Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ im Frühjahr 1998 auf einem allenfalls mittleren Niveau planerischer Durchdringung begonnen wurde. Einige wesentliche Planungs- und Regelungslücken seien kurz erwähnt: 89 Geplante Handlungsschritte wurden in dem Antrag vielfach lediglich angerissen, dabei teils möglicherweise einen geteilten Wissens- und Deutungshorizont implizit voraussetzend; welche konkreten Aktivitäten z.B. durch die Formulierung „Beginn der Schulungsmaßnahmen für die Expert/innen/teams“ (S.9) charakterisiert werden sollen, ist dem Antrag nicht zu entnehmen (ähnliche Beispiele ließen sich in großer Zahl benennen). • Gewichtungen von Aktivitäten des Modellprojekts werden kaum expliziert und können in der Regel allenfalls „zwischen den Zeilen gelesen“ werden; hier ist u.a. an die relative Gewichtung von Einzelfallbearbeitung einerseits, Multiplikatoren- und Katalysatorentätigkeit andererseits zu denken. • Der Antrag der Stadt Hannover enthält in weiten Teilen nicht einmal Ansätze einer operationalen Fassung von Projektzielen. Dabei ist den AutorInnen des Antrags zuzugestehen, dass die Zieloperationalisierung im Hinblick auf ein solches Modellprojekt ein äußerst komplexes Unterfangen darstellt. • Die so skizzierte Ausgangssituation hatte zur Folge, dass Konzeptentwicklung und Detailplanung in wesentlichen Teilen während der dreijährigen Projektlaufzeit von den MitarbeiterInnen des Modellprojekts zu leisten waren, die dabei von der wissenschaftlichen Begleitung unterstützt wurden. Durch dieses Erfordernis reduzierte sich die für die Durchführung und Erprobung von Projektmaßnahmen zur Verfügung stehende Zeit beträchtlich. Zugleich stellten diese strukturellen Voraussetzungen hohe Planungsanforderungen an das Modellprojektteam, eröffneten den MitarbeiterInnen allerdings auch größere Gestaltungsmöglichkeiten als dies bei vergleichbaren Projekten der Fall ist. Der Grad der Vorab-Planung des Modellprojekts hat Konsequenzen für die Begleitforschung. In inhaltlicher, methodischer wie zeitlicher Hinsicht war der Antrag der Stadt Hannover an das BMFSFJ keine hinreichende Grundlage für eine Detailplanung der Begleitforschung; KREUZER & GÖRGEN (1997) haben bereits in ihrem Angebot an das BMFSFJ darauf hingewiesen, dass diese Planung erst am Ende der präevaluativen Phase erfolgen könne. Ein Modellprojekt und seine wissenschaftliche Begleitung sind – insbesondere dann, wenn formative Elemente im Auftrag und im Selbstverständnis der WissenschaftlerInnen von Bedeutung sind – in vielfältiger Weise aufeinander angewiesen und voneinander abhängig. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit einer möglichst exakten Abstimmung; die Planungen beider sollten Hand in Hand gehen (vgl. auch BORTZ & DÖRING, 1995, S.121). Die wissenschaftliche Begleitung kann das Mo90 dellprojekt nur dann sinnvoll evaluieren, wenn ein detaillierter Arbeitsplan vorliegt. Diese Abhängigkeit besteht in einem doppelten Sinne: Ohne Planung des Projektverlaufs und ohne Explikation der Projektziele und der Kriterien der Zielerreichung kann das Evaluandum nicht an seinen internen Vorgaben gemessen werden. • Ebenso war im vorliegenden Fall, in dem die Aufgabe der inhaltlichen Ausgestaltung des Modellprojekts vor Projektbeginn nicht geleistet worden war, der Grad der Planbarkeit der Projektevaluation von dem Erarbeiten eines hinreichend detaillierten Projektplans abhängig. In Termini der Problemlösepsychologie musste die Evaluation des noch im Entstehen begriffenen, sich nur schrittweise in Richtung größerer konzeptueller Klarheit bewegenden Projekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ als ein schlecht definiertes Problem erscheinen. • Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass zum Zeitpunkt der Planung der Begleitforschung erkennbar war, dass die zu erwartenden Untersuchungsbedingungen in vielfacher Hinsicht von den vor allem für eine summative Evaluation wünschenswerten Bedingungen abwichen. Dies betraf erstens typische Probleme der Feldevaluation wie das Fehlen echter Vergleichs- und Kontrollgruppen, die Unmöglichkeit der Randomisierung, die Schwierigkeit der Unterscheidung von Programmeffekten von anders bedingten Veränderungen, zweitens Operationalisierungs- und Messprobleme, die mit der Weite und Heterogenität des Gegenstandsbereiches „Gewalt gegen Ältere“ zusammenhängen und schließlich Schwierigkeiten, die sich aus den nur groben Vorgaben ableiten ließen, mit denen das Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ im März 1998 in Hannover an den Start ging. 3.3 Der methodische Ansatz der Begleitforschung als Versuch einer Minimierung der zu erwartenden Probleme Da die unter 3.2 aufgezeigten Probleme und Beschränkungen sich nicht beseitigen ließen, galt es, Strategien zu entwickeln, welche die daraus resultierenden Einschränkungen der Qualität der Forschungsergebnisse möglichst gering halten. Die Unumgänglichkeit einer reinen Feldevaluation sowie die Unmöglichkeit von systematischer Bedingungsvariation oder Randomisierung der Projektadressaten legten ein Verständnis von Evaluation als ‚Kunst des Möglichen’ nahe (vgl. CRONBACH, 1982). Viele neuere Evaluationskonzepte rücken ohnehin von der Vorstellung einer quasi-naturwis91 senschaftlichen Messung von Programmeffekten unter kontrollierten Bedingungen ab. PAWSON & TILLEY (1994; 1996; 1997; zur Kritik u.a. BENNETT, 1996) sprechen von der Notwendigkeit „realistischer Evaluation“. OVRETVEIT (1998) hebt als wesentliches Ziel von Evaluation hervor, den Auftraggeber in die Lage zu versetzen, besser begründete Entscheidungen zu treffen; die Gestaltung eines Evaluationsdesigns solle an zentraler Stelle berücksichtigen, wer die Ergebnisse nutzen wird, welche Entscheidungen dadurch gestützt werden sollen, welche Kriterien Nutzer und Auftraggeber an den Evaluationsgegenstand anlegen. KRAUS (1995, S.412) umschreibt qualitative Evaluationsforschung als den „Versuch (...), Organisationen durch Information über ihr Tun zu Änderungsprozessen auf einer rationalen Basis anzuregen“. Evaluation kann mit CRONBACH (1982) als ein pragmatischer Akt in einem bestimmten gesellschaftlichen und politischen Kontext verstanden werden, als ein auf die jeweilige Problemstellung zugeschnittener Versuch, den Auftraggeber mit von diesem benötigter und als nützlich erachteter Information zu versorgen. In diesem Sinne geht Evaluationsforschung über die Anwendung sozialwissenschaftlicher Methoden hinaus. Sie wird Bestandteil komplexer Entscheidungsprozesse über die Ziele einer sozialen Maßnahme und die „zu ihrer Planung, Ausarbeitung, Durchführung und Fortsetzung notwendigen Mittel“ (ROSSI, FREEMAN & HOFMANN, 1988, S.8). Sie setzt das sozialwissenschaftliche Methodenrepertoire gezielt ein zur „Verbesserung der Planung und laufenden Überwachung sowie zur Bestimmung der Effektivität und Effizienz“ eines Programms (ROSSI et al., 1988, S.3). Evaluationsforschung sollte methodisch verlässlich, am Informationsbedarf und den Handlungsmöglichkeiten der Adressaten orientiert und forschungsökonomisch vertretbar sein. Im Sinne einer möglichst objektiven Beurteilung der Wirksamkeit einer Maßnahme ist eine externe Evaluation einer internen Begutachtung (Selbstevaluation) in jedem Falle vorzuziehen (vgl. etwa BORTZ & DÖRING, 1995, S.98). Evaluationsforschung beschränkt sich nicht auf die Abschätzung von Programmeffekten. In einem weiteren Sinne gehören auch Konzeptualisierung und Programmentwicklung – auch als ‚Interventionsforschung’ bezeichnet – und die laufende Kontrolle der Umsetzung eines Programms – die ‚Begleitforschung’ im engeren Sinne – zu ihren Aufgaben (vgl. ROSSI, FREEMAN & HOFMANN, 1988). Auf der Grundlage des Ausschreibungstextes und unter Berücksichtigung der Möglichkeiten und Grenzen einer Evaluation eines solchen Projekts unterbreiteten KREUZER & GÖRGEN (1997) ein Angebot, dessen zentrale Charakteristika sich stichwortartig wie folgt zusammenfassen lassen: 92 Verbindung von Handlungs- und Ergebnisevaluation: Begleitung, Dokumentation und Evaluation des Modellprojekts Die Begleitforschung verbindet Elemente der summativen und der formativen Evaluation. Sie ist „Optimierungsforschung“, indem sie zum einen während der Planungs- und Umsetzungsphase des Modellprojekts auf dieses einwirkt, zum anderen ex post Stärken und Schwächen des Projekts analysiert und Optimierungsvorschläge erarbeitet. Große Bedeutung kommt auch der – beschreibenden – Dokumentation der Arbeit des Modellprojekts zu. weitgehende personelle Trennung der Begleitungs- und Evaluationsaufgaben Die Kombination von unterstützender Begleitung und Ergebnisevaluation bedeutet, dass sich der Forscherin oder dem Forscher sehr unterschiedliche Aufgaben stellen; WOTTAWA & THIERAU (1990, S.40) sprechen von einer „Rollenvielfalt des Evaluators“. Die BegleitforscherInnen sind zugleich „summative Bewerter“, „Informationsbeschaffer“ und „formativ Helfende“. Diese Vielfalt birgt die Gefahr von Rollenkonflikten zwischen „Begleitung“ und „Evaluation“ in sich und führt dazu, dass die Evaluation nicht frei von Elementen der Selbstevaluation ist. Die Vorstellung von WissenschaftlerInnen, die Einrichtungen, Prozesse, Handlungen und Handlungsergebnisse evaluieren, an deren Zustandekommen bzw. Erscheinungsform sie selbst mitgewirkt haben, vermag wissenschafts- und erkenntnistheoretisch nicht zu befriedigen. Gleichwohl legen die Ausgangsbedingungen des Modellprojekts und die Anforderungen an die wissenschaftliche Begleitung eine derartige Aufgabenkumulation nahe. Um hier eine gewisse Entflechtung herbeizuführen, wurden die Aufgabenschwerpunkte der summativen und formativen Evaluation jeweils einer der beiden in der Begleitforschung vorgesehenen hauptamtlichen Mitarbeiterinnen zugewiesen. Insofern als beide natürlich voneinander Kenntnis nahmen und im Team kooperierten, ließ sich das Problem der Selbstevaluation auf diesem Wege zwar entschärfen, nicht aber beseitigen. Im Verlaufe der Begleitforschung zeigte sich zudem, dass zwar Schwerpunktsetzungen, aber keine strikte Trennung der formativen und summativen Aufgabenbereiche umsetzbar waren. zeitliche Strukturierung der Begleitforschung in eine präevaluative Phase und die Phase der Evaluation im engeren Sinne Angesichts des oben skizzierten unvollständigen Planungsstandes des Modellprojekts zu Beginn seiner Laufzeit, erwies sich die Zweiteilung der Begleitforschung in eine präevaluative Phase und die Phase der 93 Evaluation im engeren Sinne als erforderlich (vgl. zu derartigen Begrifflichkeiten u.a. ROSSI & FREEMAN, 1982; COOK & MATT, 1990). In der präevaluativen Phase wurden in enger Zusammenarbeit mit den Projektbeteiligten gezielte Schritte zur Klärung von Konzepten und zum Präzisieren von Projektzielen und Projektaktivitäten unternommen (u.a.: Was soll unter „Gewalt“ und unter „persönlichen Nahraum“ verstanden werden?). Ziel war es, auf der Basis dieser Klärungsprozesse einen Detailplan sowohl des Modellprojekts als auch – diesen Plan wiederum voraussetzend – der Untersuchungsschritte in der Evaluationsphase zu entwerfen. Das Konzept für die evaluative Phase sah eine Ausrichtung der Forschungstätigkeit auf die Erfassung der Effekte wesentlicher Projektmodule vor. In der evaluativen Phase wurde die Arbeit des Modellprojekts – insbesondere die Beratungstätigkeit, aber auch Öffentlichkeitsarbeit, Stadtteilaktivitäten, Vernetzungsbemühungen etc. – umfassend dokumentiert. Kombination von quantitativen und qualitativen Verfahren Die Begleitforschung kombiniert quantitative und qualitative Methoden (zu derartigen multimethodalen Vorgehensweisen vgl. u.a. BRANNEN, 1992; GREENE & CARACELLI, 1997). Der schwer zugängliche und komplexe Forschungsgegenstand legt eine multimethodale Vorgehensweise nahe. Zum Einsatz kommen vor allem persönliche und telefonische Interviews, Dokumentenanalysen, Elemente teilnehmender Beobachtung, Gruppendiskussionen sowie – in der präevaluativen Phasen – Methoden zur Optimierung der Entscheidungsfindung in Gruppen. Die Begrenztheit und Perspektivenabhängigkeit wissenschaftlicher Befunde kann durch Verwendung mehrerer methodischer Perspektiven tendenziell ausgeglichen werden. FLICK (1995a, S.153; vgl. auch FLICK, 1995b) verwendet den Begriff der Perspektiven-Triangulation für Designs, in denen „gezielt Forschungsperspektiven und Methoden miteinander kombiniert werden, die geeignet sind, möglichst unterschiedliche Aspekte eines Problems zu berücksichtigen“. Konzentration der Projektevaluation auf zentrale und für eine Evaluation besonders geeignet erscheinende Bereiche Die Evaluation konzentrierte sich auf Projektelemente, die für eine Effekt- und Ertragsabschätzung geeignet erschienen. Der Versuch, ‚tatsächliche’ quantitative Veränderungen des Phänomens der Gewalt gegen Ältere in Hannover während der Durchführung des Modellprojekts zu erfassen, wurde bereits vor Beginn der Begleitforschung als zum 94 Scheitern verurteilt verworfen. Weder ließen sich mit vertretbarem Aufwand Quantitäten und Qualitäten von Gewalt gegenüber alten Menschen in deren persönlichem Nahraum vor Beginn und zu Ende des Modellprojekts verlässlich bestimmen, noch ließen sich entsprechende Befunde – so sie denn erzielt worden wären – ohne erneuten immensen und die Dimensionen der Begleitforschung bei weitem sprengenden Aufwand verlässlich kausal aufeinander beziehen. Für eine Evaluation geeignet erschienen hingegen Wahrnehmung und Bewertung der Durchführung einzelner Maßnahmen, ihrer unmittelbaren Ergebnisse und längerfristigen Effekte durch AdressatInnen und ProjektmitarbeiterInnen. Als zentrale Evaluationskriterien waren auf konkrete Einzelfälle bezogene Daten zur Zufriedenheit von KlientInnen mit Präventions- und Interventionsmaßnahmen, zur Übereinstimmung von KlientInnenbedürfnissen und angebotenen Programmelementen und zu den kurz- und mittelfristigen Effekten einer Maßnahme vorgesehen. Wie im weiteren Verlauf der Darstellung zu zeigen sein wird, erwies sich der Zugang zu KlientInnen des Modellprojekts – insbesondere angesichts der indirekten, stets über die ProjektmitarbeiterInnen vermittelten Kontaktaufnahme – als äußerst schwierig, so dass die Sichtweisen der MitarbeiterInnen im Gesamt der Datenerhebung eine größere Bedeutung erlangten als zunächst vorgesehen. Vergleich des Modellprojekts mit in- und ausländischen Einrichtungen Wie bereits ausgeführt, sind die Möglichkeiten systematischer Vergleiche innerhalb des Modellprojekts bzw. zwischen Modellprojektklienten und einer Kontrollgruppe sehr beschränkt. Innerhalb des Untersuchungszeitraumes sind jedoch in einer Reihe deutscher Städte Einrichtungen entstanden, die – im engeren oder weiteren Sinne – als ihre Aufgabe ebenfalls die Vermeidung und Kontrolle von Gewalt gegen ältere Menschen betrachten und dabei – im Unterschied zu bereits länger bestehenden polizeilichen Initiativen (vgl. hierzu u.a. ANHÄUSER, 1999; ARONOWITZ, 1999; INNENMINISTERIUM NORDRHEIN-WESTFALEN, 1997; MINISTERIUM DES INNERN UND FÜR SPORT RHEINLAND PFALZ, 1999) – nicht Viktimisierungen durch Fremde und im öffentlichen Raum im Blickfeld haben. Da dort Erfahrungen gemacht wurden und werden, welche für das Modellprojekt wie für die weitere Ausgestaltung politischer Maßnahmen von Bedeutung sind, wurde ein Untersuchungsschwerpunkt auf die Einbeziehung dieser Institutionen gelegt – dies allerdings primär nicht im Sinne eines (quantitativen) Leistungsvergleichs sondern mit dem Ziel der Ausweitung des Blickwinkels über die Aktivitäten des Modellprojekts hinaus. 95 Gleiches gilt für Institutionen im Ausland. Insbesondere in den Vereinigten Staaten haben Präventions- und Interventionsaktivitäten zur elder abuse-Problematik eine lange Tradition. Einer empirischen Erschließung dort vorliegender Erfahrungen waren natürlich enge zeitliche, personelle und vor allem finanzielle Grenzen gesetzt; einige wesentliche ausländische Projekte konnten dennoch im Rahmen der vorliegenden Studie analysiert werden. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass das Konzept der wissenschaftlichen Begleitung darauf abzielte, die Problematik der Selbstevaluation durch eine wenigstens personelle Trennung von Begleitungs- und Evaluationsaufgaben zu entschärfen. Die fehlende Möglichkeit experimenteller oder quasi-experimenteller Effektmessung ließ sich nicht kompensieren, sondern nur konstatieren. Das Design der Untersuchung wurde so ausgelegt, dass die Aktivitäten des Modellprojekts umfassend dokumentiert und in einer Reihe von Fällen vor allem mittels Interviews intensiv analysiert wurden. Der Ausweitung der Perspektive auf Erfahrungen in thematisch verwandten bundesdeutschen und ausländischen Einrichtungen kommt große Bedeutung zu. 3.4 Wesentliche Arbeitsschritte der wissenschaftlichen Begleitung des Modellprojekts Die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ gliedert sich in eine präevaluative Phase, in welcher die begleitende Unterstützung und Mitgestaltung des Projekts im Vordergrund stehen und eine evaluative Phase, die der Erfassung und Analyse von Projektaktivitäten und ihren Auswirkungen gilt. Der Aufbau der gesamten Begleitforschung wie der beiden Phasen ist modular. Wesentliche Arbeitsschritte bzw. Untersuchungskomponenten werden im Folgenden kurz benannt. Die konkrete Durchführung sowie die Befunde werden in den Kapiteln 5 und 6 dargestellt. 3.4.1 Arbeitsschritte der Begleitforschung in der präevaluativen Phase Die zentrale Bedeutung der präevaluativen Phase liegt darin, notwendige Vorarbeiten sowohl für die Durchführung des Modellprojekts als auch für die weitere Begleitforschung und Evaluation zu leisten. In Zusammenarbeit mit den ProjektmitarbeiterInnen galt es, Konzepte, Ziele 96 und Maßnahmen festzulegen; den MitarbeiterInnen sollten dabei auf wissenschaftlicher Basis Klärungs-, Entscheidungs- und Planungshilfen gegeben werden. Diese generelle Anforderung (vgl. z.B. ROSSI & FREEMAN, 1982) erlangt im vorliegenden Fall besondere Bedeutung durch die bereits angesprochenen Probleme hinsichtlich des Planungsniveaus zum Startzeitpunkt des Modellprojekts sowie durch den Umstand, dass es um ein mit beträchtlichen öffentlichen Mitteln gefördertes Modellprojekt geht. An ein derartiges Projekt muss die Forderung gestellt werden, sich einer Prüfung der Effektivität der erprobten Maßnahmen und ihrer Übertragbarkeit auf andere Kontexte zu stellen; insbesondere Effektivitätsprüfungen setzen voraus, dass Maßnahmen und 39 angestrebte Effekte möglichst von Anfang an klargestellt werden . In der präevaluativen Phase der Begleitforschung waren die im Folgenden in aller Kürze charakterisierten Arbeits- und Untersuchungsschritte zu bewältigen; die Maßnahmen und Ergebnisse dieser Phase werden detailliert in Kapitel 5 dargestellt. Kontaktaufnahme der BegleitforscherInnen mit den Projektbeteiligten Die präevaluative Phase, in welcher die wissenschaftliche Begleitung auf das Modellprojekt auch gestaltend Einfluss nahm, erforderte intensive Kontakte der BegleitforscherInnen mit den Projektbeteiligten. In den ersten Tagen und Wochen der Begleitforschung stand die Kontakt40 aufnahme zu den Projektbeteiligten, insbesondere dem Koordinator , dem Runden Tisch „Gewalt gegen Ältere“ und den mit der Durchführung des Projekts befassten städtischen Stellen im Vordergrund; diese Kontaktaufnahme fand teils formell im Rahmen von Veranstaltungen, teils im Rahmen individueller und eher informeller Begegnungen statt. Maßnahmen zur Konzept-, Ziel- und Werteklärung Ein wesentlicher in der präevaluativen Phase zu bewältigender Aufgabenkomplex bestand in der Klärung und Explikation grundlegender Begrifflichkeiten und handlungsleitender Ziele und Wertorientierungen. In 39 Erst auf der Grundlage dieser planerischen Schritte kann dann auch die Begleitforschung im Detail konzipiert werden. Als Kennzeichen einer guten Projektplanung sind mit WHOLEY (1983) vor allem zu betrachten: 1. die Definition klarer und unumstrittener Ziele, 2. detaillierte Kenntnisse der dazu erforderlichen technischen, personellen und finanziellen Mittel sowie 3. Wissen um die Kräfte, die einer erfolgreichen Durchführung im Wege stehen können. Ähnlich sprechen COOK & MATT (1990, S.33ff.) von der Notwendigkeit einer kritischen Analyse und Prüfung des Programms, seiner Mittel und Ziele unter Praktikabilitätsgesichtspunkten. Zentrale Gütekriterien der Begleitforschung sind vor allem Präzision der Problemformulierung, Klarheit der Bewertungsmaßstäbe und empirische Untersuch- und Überprüfbarkeit (vgl. BORTZ & DÖRING, 1995, S.39; WITTMANN, 1990, S.10). 40 Die übrigen ProjektmitarbeiterInnen nahmen ihre Tätigkeit erst im Juni 1998 auf. 97 einer Reihe von Workshops wurden – unter Einsatz von Gruppendiskussionsverfahren und Moderationsmethoden – vor allem die Begriffe „Gewalt“ und „persönlicher Nahraum“ geklärt, Ziele und Zielgruppen des Modellprojekts erörtert und professionelle Grundhaltungen bei der Beratung von Gewalt bedrohter und betroffener älterer Menschen und ihrer Familienangehörigen diskutiert. Die Rolle der wissenschaftlichen Begleitung hierbei war im Wesentlichen die von ModeratorInnen, die Diskussions- und Entscheidungsprozesse innerhalb des Modellprojektteams initiieren und strukturieren und an geeigneter Stelle entscheidungsdienliche Informationen aus sozialwissenschaftlicher Perspektive einbringen. Bestandsaufnahme lokal vorhandener Einrichtungen und Programme und ihrer Nutzung durch Befragungen bei SeniorInnen, pflegenden Angehörigen und ExpertInnen Im Rahmen einer Interviewstudie wurde der Versuch unternommen, die bislang in Fällen der Gewalt gegen Ältere in Hannover zur Verfügung stehende psychosoziale Infrastruktur und ihre Nutzung sowie wahrgenommene, durch entsprechende Angebote des Modellprojekt möglicherweise zu behebende Versorgungsdefizite zu erfassen. Befragt wurden SeniorInnen, pflegende Familienmitglieder sowie eine Gruppe von ExpertInnen aus unterschiedlichen Institutionen und Arbeitsfeldern (Altenpflege, offene Altenhilfe, Opferhilfe, Strafverfolgung, Sozialarbeit, Einrichtungen zum Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt etc.). Vorrangiges Ziel dieser Bestandsaufnahme war es, für das noch in der Konzeptionsphase befindliche Modellprojekt relevante Informationen zu gewinnen, die vom Projektteam in die weitere Planung einbezogen werden konnten. Befragung der Projektbeteiligten Im Rahmen einer schriftlichen Befragung von Projektbeteiligten wurden Informationen zu Themen wie den für die jeweiligen Personen wichtigen Projektzielen, ihren Gewaltverständnissen, dem in Hinblick auf das Projekt vorrangig wahrgenommenen Handlungsbedarf, präferierten Handlungsmitteln und Vorgehensweisen, individuellen Fortbildungswünschen und angestrebten Kompetenzen erhoben und an das Team des Modellprojekts zurückgemeldet. 98 Erstellen eines detaillierten Arbeitsplans des Modellprojekts und eines detaillierten Forschungsplans der wissenschaftlichen Begleitung Die präevaluative Phase sollte in die Erstellung eines detaillierten Arbeitsplans des Modellprojekts für die restliche Projektlaufzeit münden, auf dessen Basis dann wiederum ein auch hinsichtlich der zeitlichen Vorgaben angepasster und präzisierter Plan der wissenschaftlichen Begleitung hätte erstellt werden können. Wie ausführlicher in Kapitel 5 dargelegt, konnten diese Arbeitsschritte (von denen der zweite den ersten voraussetzt) nicht vollständig durchgeführt werden. Die Faktoren, die dies verhinderten, sind vielfältig. Zu ihnen gehören die seit dem Start des Modellprojekts an das Projekt herangetragenen Interventionsersuchen von KlientInnen, die eine klare Trennung in Konzeptions- und Umsetzungsphase hinfällig machten, die große Bedeutung der Vernetzung im Rahmen der Arbeit des Modellprojekts, welche Planungen insofern erschwert, als sie die Zahl der handelnden Personen und Institutionen deutlich erhöht, schließlich auch Planungswiderstände seitens der ProjektmitarbeiterInnen, die vor allem mit dem Erfordernis der Offenheit gegenüber Klientenbedürfnissen begründet wurden. 3.4.2 Arbeitsschritte der Begleitforschung in der evaluativen Phase Auch die evaluative Phase lässt sich in – vielfach parallel in Angriff genommene – Arbeitsschritte gliedern; einige zentrale Module werden im Folgenden sehr kurz charakterisiert. In stärkerem Umfang als in der präevaluativen Phase erwiesen sich in dieser Phase Modifikationen des ursprünglich vorgesehenen Forschungskonzepts als erforderlich. Das methodische Vorgehen und die Ergebnisse der Untersuchungen in der evaluativen Phase sind ausführlich in Kapitel 6 dargestellt. Erfassung der Projektimplementation Die Wirksamkeit einer Maßnahme kann nur dann abgeschätzt werden, wenn Erkenntnisse darüber vorliegen, ob und in welchem Maße Programmelemente angemessen umgesetzt wurden (vgl. z.B. SHADISH, 1990, S.167). Es galt also festzustellen, ob die Projektmodule entsprechend der in der präevaluativen Phase komplettierten Planung eingerichtet wurden und in der vorgesehenen Weise arbeiteten. Dies betraf vor allem Projektinstanzen (Beratungsdienste, Stadtteilangebote, Expertenteams, d.h. Arbeitsgruppen ‚Gewalt im Alter’ in den Stadtteilen) und –aktivitäten (Beratung, Öffentlichkeitsarbeit, Schulung von Multipli99 katorInnen etc.), die Vernetzung der genannten Komponenten und die Einbettung des Modellprojekts in vorhandene Strukturen. Die Öffentlichkeitswirksamkeit des Modellprojekts wurde im Rahmen einer telefonischen Repräsentativbefragung bei Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Hannover ab 35 Jahren untersucht. Zur Analyse der Implementation der Projektinstanzen und zur Durchführung von Vernetzungsund sonstigen Aktivitäten bediente die Begleitforschung sich einer Kombination unterschiedlicher Methoden (Befragungen der Projektbeteiligten, teilnehmende Beobachtung an Projektaktivitäten, Analyse von Projektunterlagen und Pressematerialien). Allgemeine und fallbezogene Dokumentation und Evaluation der Beratungsarbeit des Modellprojekts Im Bereich der Evaluation der face-to-face- und der telefonischen Beratung sah das Untersuchungskonzept zum einen eine umfassende Dokumentation aller Beratungsfälle vor, zum anderen die vertiefende Analyse einer Fallauswahl mittels Interviews mit Fall- und Problembeteiligten. Hinsichtlich der Zahl der intensiv zu analysierenden Fälle und der Befragung von KlientInnen sowie von Personen aus deren sozialem Umfeld mussten gegenüber dem ursprünglichen Untersuchungskonzept Abstriche gemacht werden. Diese gehen zum einen auf Fallzahlen zurück, die geringer ausfielen als a priori veranschlagt, zum anderen kommen darin Probleme des Zugangs zu den KlientInnen des Modellprojekts zum Ausdruck – eines Zugangs, der stets nur durch Vermittlung der MitarbeiterInnen des Modellprojekts möglich war und zudem mit der Anonymität bzw. Vertraulichkeit der Beratungsangebote wenigstens potenziell in Konflikt stand. Diese Abstriche wurden partiell kompensiert durch eine – im ursprünglichen Konzept nicht vorgesehene – standardisierte schriftliche Evaluation sämtlicher Beratungsfälle durch die BeraterInnen sowie durch umfassende Analysen der jeweiligen Fallakten. Die von der wissenschaftlichen Begleitung in Abstimmung mit den ProjektmitarbeiterInnen konzipierten Dokumentations- und Evaluationsinstrumente wurden für helpline- und sonstige Beratungen weitestgehend parallelisiert. Die Ergebnisse der Beratungsevaluation sind ausführlich in den Kapiteln 6.2.2 und 6.2.3 dargestellt. Nationaler und internationaler Vergleich Im Rahmen der Begleitforschung wurden umfangreiche Aktivitäten unternommen, um in- und ausländische Erfahrungen für das Modellprojekt und für die weitere Ausgestaltung von Maßnahmen im Bereich der Prävention von Nahraumgewalt gegen Ältere sowie einschlägiger Interventionen nutzbar zu machen. Dazu gehören neben Dokumentenanalysen 100 und der Sichtung einschlägiger Literatur Interviews mit VertreterInnen der inzwischen in Deutschland auf dem Gebiet der Prävention von Gewalt gegen Ältere tätigen, in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Krisentelefone, Beratungs- und Beschwerdestellen für alte Menschen in Deutschland zusammengeschlossenen Einrichtungen, die Teilnahme an Fachtagungen dieser Arbeitsgemeinschaft, eine Forschungsreise in die USA und nach Kanada, in deren Rahmen mehrere einschlägige Einrichtungen besucht und Interviews mit ExpertInnen geführt wurden, die Einbindung in eine mailing-list der American Bar Association zu Gewalt gegen Ältere sowie Recherchen in Australien. Auf der Basis dieser Arbeitsschritte kann ein facettenreiches Bild der nationalen und – auf ausgewählte Länder beschränkt – internationalen ´Landschaft´ der Beratungs- und Hilfeangebote für von Gewalt bedrohte und betroffene ältere Menschen gezeichnet werden. Gerade in der Kontrastierung mit ausländischen Aktivitäten und Erfahrungen treten Grundlinien bisheriger deutscher Vorgehensweisen deutlich hervor. Die Ergebnisse der national wie international vergleichenden Analysen sind in den Kapiteln 6.3.2 und 6.3.3 dargestellt. Weitere Untersuchungskomponenten wie etwa die fragebogengestützte Evaluation von Veranstaltungen und Fortbildungen des Modellprojekts sind an entsprechender Stelle in Kapitel 6 dargestellt. Zur Arbeit der wissenschaftlichen Begleitung in der evaluativen Phase sind ferner Aktivitäten zu rechnen, welche sich nicht klar einzelnen Untersuchungskomponenten zurechnen lassen; hierzu gehören insbesondere solche, die der Abstimmung mit den MitarbeiterInnen des Modellprojekts und der wechselseitigen Information dienten. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die zentralen Untersuchungskomponenten der wissenschaftlichen Begleitung des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ realisiert werden konnten, wenngleich – relativ zum ursprünglichen Konzept – vielfach Anpassungen an den tatsächlichen Verlauf des Modellprojekts und das Fallaufkommen erforderlich waren. Großes Gewicht wurde auf eine umfassende Dokumentation und Evaluation der Beratungsarbeit des Modellprojekts sowie auf Vergleiche der Organisation, Arbeitsweise und Nutzung des Projekts mit anderen Angeboten im In- und Ausland gelegt. Die bereits in der Phase der Projekt-Antragstellung erkennbare, die Planung und Durchführung der Begleitforschung erschwerende eingeschränkte a priori-Explikation von Handlungsplänen setzte sich in der Phase der Durchführung des Modellprojekts tendenziell fort. 101 4 Struktur und Entwicklung des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ im Überblick Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die wichtigsten Rahmenbedingungen und Entwicklungen der Arbeit des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ gegeben werden. Die zeitlichen und räumlichen Bedingungen, die finanziellen und personellen Ressourcen sowie die organisatorischen Rahmenbedingungen und Entwicklungen sollen vorgestellt werden. Im letzten Abschnitt erfolgt eine tabellarische Übersicht über die wichtigsten Entscheidungen, Ereignisse und Entwicklungen in der Arbeit des Modellprojekts. 4.1 Zeitliche und räumliche Bedingungen Das Modellprojekt begann offiziell mit dem Arbeitsbeginn des Projektkoordinators am 01.03.1998. Die vier SozialarbeiterInnen für die Spezialdienste wurden zum 15.6.1998 eingestellt. Das Modellprojekt endete am 28.2.2001. Das Modellprojekt arbeitete zunächst in Büroräumen des Referats für Gleichstellungsfragen/Frauenbüro. Mit Besetzung der Stellen der SozialpädagogInnen/SozialarbeiterInnen bezog das Modellprojekt vorübergehend eine Büroetage und zog zum 21.12.98 in Büroräumlichkeiten, in denen das Projekt bis zum Ende des Bewilligungszeitraumes blieb. Im Rahmen der Stadtbezirksarbeit wurden in den jeweiligen Stadtbezirken für die Sprechzeiten der BeraterInnen Büroräume stundenweise angemietet. 4.2 Personelle und materielle Ressourcen Insgesamt wurde dem Modellprojekt eine Zuwendung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Höhe von DM 1.041.900 bewilligt. Dazu kam die Beteiligung durch die Stadt Hannover. Sie steuerte DM 132.000 zu, die in der Ausstattung der Arbeitsplätze (DM 65.000), der Finanzierung von Strom, Telefon und Miete (DM 42.000) sowie Stellenanteilen einer BAT III-Stelle – der stellvertretenden Gleichstellungsbeauftragten – (DM 25.000) bestanden. Der Zuwendungsbescheid des Ministeriums vom 24.3.1998 schlüsselt auf, 102 dass der größte Teil der bewilligten Kosten auf die Stellen des Projektkoordinators (DM 300.000) und die zwei vollen und zwei halben Stellen der SozialarbeiterInnen im Projekt (DM 660.000) entfielen. Für Fortbildungen waren insgesamt DM 30.000, für Supervision DM 11.900 und für Öffentlichkeitsarbeit DM 40.000 bewilligt. Als erste im Rahmen des Modellprojekts zu vergebende Stelle wurde die des Projektkoordinators mit einem Diplom-Pädagogen besetzt. Die Ausschreibung der Stelle erfolgte im August/September 1997 innerhalb der Stadtverwaltung Hannover und bundesweit in überregionalen Zeitungen. Der ausgewählte Bewerber war zuvor im Kommunalen Sozialdienst der Stadt Hannover tätig. Die Stellen der SozialarbeiterInnen für die Spezialdienste waren nur im Rahmen der Stadtverwaltung Hannover ausgeschrieben worden. Eingestellt wurden zwei Dipl.-Sozialpädagoginnen/Sozialarbeiterinnen, die zuvor im Kommunalen Sozialdienst der Stadt Hannover tätig waren, eine Dipl.-Sozialpädagogin/Sozialarbeiterin und Dipl. Sozialgerontologin, die zuvor in der offenen Altenhilfe der Stadt Hannover (jetzt Kommunaler Senioren-Service) beschäftigt war, und ein Dipl.-Sozialpädagoge/Sozialarbeiter, der als Stellenleiter im Krankenhaussozialdienst der Stadt Hannover tätig war. Zwei der MitarbeiterInnen waren ganztags, zwei halbtags beschäftigt. Neben den Genannten arbeitete seit März 1998 eine Verwaltungsangestellte für das Projekt. Diese Stelle wurde von der Stadtverwaltung Hannover zusätzlich finanziert. Seit dem 1.10.1999 verstärkte eine angehende Dipl.Sozialpädagogin/Sozialarbeiterin im Berufspraktikum das Team des Modellprojekts. Die Arbeit im Modellprojekt endete für alle Beschäftigten mit dem 28.2.2001. 4.3 Organisatorische Rahmenbedingungen – Vorgaben im Projektantrag Im Antrag der Landeshauptstadt Hannover waren als ausführende Stellen des Modellprojekts das Sozialdezernat (Sozialamt) und das Referat für Gleichstellungsfragen – Frauenbüro genannt (LANDESHAUPTSTADT HANNOVER: DER OBERBÜRGERMEISTER, 1997, S.2). Diese doppelte Zuständigkeit war im Projektantrag dahingehend konkretisiert, dass die Koordinationsstelle organisatorisch beim Referat für Gleichstellungsfragen – Frauenbüro angebunden sein sollte, und dass eine Eigenleistung der Stadt auch in anteiligen Personalkosten im Referat für Gleichstellungsfragen – Frauenbüro bestehen sollte, um sowohl das Modellprojekt als auch den Runden Tisch zu begleiten. Zur Zuständigkeit des Sozialamts wurden im Antrag keine näheren Angaben gemacht. Zu den 103 Aufgaben der Koordinationsstelle gehörten laut Antrag u.a. der Kontakt zu städtischen Gremien und Ämtern sowie zur wissenschaftlichen Begleitung und das Erstellen von Berichten. Strukturelle Bedeutung für das Projekt sollte lt. Antrag auch der Runde Tisch ‘Gewalt gegen ältere Menschen’ haben. „Planung und Durchführung der Maßnahmen [gemeint sind hier alle Projektmaßnahmen, Anmerkung der AutorInnen] erfolgt in enger Kooperation mit den Teilnehmer/innen des Runden Tisches zum Thema ‘Gewalt gegen ältere Menschen’“ (ebd. S.2.). Diese Aufgabe sollte der Runde Tisch in der Funktion eines Beirats erfüllen. Wie diese Beiratstätigkeit aussehen sollte, war im Antrag nicht präzisiert. Eine Konkretisierung der Aufgaben fand sich lediglich im Struktur- und Zeitplan (ebd. S.9), der für die ersten drei Monate der Projektlaufzeit vorsah: „In Zusammenarbeit mit dem Runden Tisch, Erarbeitung von Konzepten für Öffentlichkeitsarbeit“. 4.4 Die Entwicklung einer Projektstruktur und -organisation Im Folgenden wird die Herausbildung der Projektstruktur und Organisation nachgezeichnet. Die wichtigsten Gremien und ihre Funktion im Rahmen des Projektes werden kurz beschrieben. In der ersten Phase des Projekts kam es insbesondere zwischen der stellvertretenden Gleichstellungsbeauftragten und dem Projektkoordinator zu Unstimmigkeiten in Fragen von Zuständigkeiten und Entscheidungskompetenzen. Es erwies sich als notwendig, schnell eine klarere Organisationsstruktur des Projekts zu erarbeiten. Diese Klärung konnte Anfang April 1998 realisiert werden. Dabei wurde die Installierung einer Steuerungsgruppe beschlossen, in der alle laut Antrag für die Umsetzung des Projekts zuständigen Institutionen und Personen vertreten sein sollten. Diese sollte als zentrales Entscheidungsgremium fungieren und die Verantwortung für Ziele und grundsätzliche Ausrichtung des Modellprojekts tragen. Die Einsetzung des Gremiums wurde mit den Dezernaten A (Oberbürgermeister) und D (Sozialdezernat) abgestimmt. Die Kompetenzverteilungen zwischen den beteiligten Personen und Institutionen wurden modifiziert und expliziert. Wichtige Ergebnisse waren, dass das Sozialdezernat die Dienstaufsicht für die SozialpädagogInnen innehaben und mitzeichnende Stelle sein sollte, ferner Teile der Finanzierung tragen und für die Abrechnung der Gelder zuständig sein sollte. Dem Referat für Gleichstellungsfragen – Frauenbüro sollten die Dienstaufsicht und die organisatorische Verantwortung für den Projekt- 104 koordinator bzw. die Koordinationsstelle sowie die Leitung des Runden Tisches obliegen. Weiter sollte sich das Referat für Gleichstellungsfragen – Frauenbüro an der Finanzierung beteiligten und mitzeichnende Stelle sein. In Absprache mit dem Projektkoordinator sollte das Projekt vom Referat für Gleichstellungsfragen – Frauenbüro in politischen Gremien vertreten werden. Der Projektkoordinator sollte die Fachaufsicht für die SozialpädagogInnen haben, für das Erstellen der Berichte zuständig sein und im Kontakt mit den städtischen Gremien und Ämtern, mit der wissenschaftlichen Begleitung und mit dem BMFSFJ stehen. Weiter sollten ihm die Organisation und Koordination von Öffentlichkeitsarbeit und die konkrete Entwicklung des Projekts obliegen. Beim Dezernat A, also beim Oberbürgermeister, sollte die Fachaufsicht für den Projektkoordinator liegen. Der Runde Tisch sollte als Projektbeirat fungieren und eigenständig Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Gewalt gegen Ältere übernehmen. Die wichtigsten Merkmale der Steuerungsgruppe als dem zentralen Entscheidungsgremium des Projekts seien im Folgenden umrissen: • • • • • Entscheidungen sollten in der Steuerungsgruppe nur einstimmig gefällt werden. Im Konfliktfalle sollte die Klärung in den zuständigen Dezernaten (A und D) erfolgen (Oberbürgermeister, Sozialdezernat). Die Steuerungsgruppe sollte dezernatsübergreifend arbeiten. Das Referat 50.5 (Städtische Altenhilfe) in Vertretung von Dezernat D (Sozialdezernat) und das Referat für Gleichstellungsfragen (in Vertretung von Dezernat A) sollten im Rahmen der Steuerungsgruppe gleichberechtigte Entscheidungsträger sein. Die Institutionen sollten jeweils eine Person delegieren. Weiter sollte an der Steuerungsgruppe eine Vertreterin des Runden Tisches teilnehmen, um die Beteiligung des Projektbeirats an zentralen Entscheidungen des Projekts zu sichern. Der Projektkoordinator sollte als Projektleiter in der Steuerungsgruppe vertreten und entscheidungsbefugt sein. Ihm sollten die Geschäftsführung der Sitzungen (Termine, Einladungen, Protokolle) obliegen. Die Begleitforschung sollte ebenfalls eingebunden sein, allerdings in beratender und beforschender Funktion, d.h. nicht entscheidungsbefugt. Die Einrichtung der Steuerungsgruppe gelang in der vorgesehenen Weise. In Vertretung des Frauenbüros – Gleichstellungsstelle nahm zumeist die Gleichstellungsbeauftragte, in Vertretung von Dezernat D ein Sozialarbeiter des KSD teil, der im Herbst 1998 in den Vorruhestand ging. Hier bestand keine dienstliche Verbindung zum zuständigen De- 105 zernat. Die Vertretung des Runden Tisches übernahm jeweils eine von zwei Mitarbeiterinnen der offenen Altenhilfe freier Wohlfahrtsverbände. Seit Mitte 1998 nahm jeweils eine MitarbeiterIn des Modellprojektteams an der Steuerungsgruppe teil. Die erste Sitzung der Steuerungsgruppe fand Anfang Mai 1998 statt; bis zum 22. Februar 2001 traf sich die Gruppe im Abstand von 4-6 Wochen insgesamt 25 mal zu etwa zweistündigen Treffen. Während in der Konstituierungsphase der Steuerungsgruppe in erster Linie Fragen der Organisation und Kompetenzverteilung zu klären waren, standen ab der 3. Sitzung Berichte über die Aktivitäten des Modellprojekts im Vordergrund. Die Steuerungsgruppe nahm kaum Gestaltungsfunktionen wahr. Die Treffen waren geprägt durch ausführliche Berichterstattung des Modellprojekts und die Diskussion einzelner Fragestellungen. Im Rahmen der ersten Sitzung der Steuerungsgruppe Anfang Mai 1998 wurde die Kompetenzverteilung innerhalb der Projektstruktur detailliert geregelt. Demnach sollten Durchführungskompetenz und Durchführungsverantwortung für das Modellprojekt beim Projektkoordinator, die Controlling-Funktion für alle wesentlichen Aufgaben des Projekts bei der Steuerungsgruppe liegen. Ihre Zuständigkeit für die Entwicklung des Gesamtprojektplans, die Budgetverfügung und die Klärung von Konflikten wurden festgelegt. Entwicklung und Umsetzung der Finanzplanung, der Öffentlichkeitsarbeit, der Berichtstätigkeit und des Gesamtprojektplans sollten in der Kompetenz der Projektkoordination und der Spezialdienste (ModellprojektmitarbeiterInnen) liegen, wobei dem Projektkoordinator die Controlling-Funktion für die Tätigkeit der Spezialdienste zukommen sollte. Die SozialarbeiterInnen sollten in allen Bereichen, das Berichtswesen und die Konfliktklärung ausgeschlossen, Mitsprachemöglichkeiten haben. Das zweite wichtige Gremium für das Modellprojekt „Gewalt gegen ältere Menschen“ sollte der Runde Tisch ‘Gewalt gegen Ältere’ sein. Aufgrund der dort seit 1995 geleisteten Vorarbeiten zum Thema Gewalt gegen ältere Menschen war Hannover mit der Durchführung des Projekts betraut worden (vgl. Kapitel 2). Er sollte als Beirat des Projektes fungieren. Mit Arbeitsbeginn des Modellprojekts waren Aufgabenstellung und Funktion des Runden Tisches in Bezug auf das Modellprojekt neu zu klären. Die thematische Beschränkung des Modellprojekts auf Gewalt in nahen persönlichen Beziehungen (vgl. Kap. 3.4.1), die sich im März 1998 bereits abzeichnete, stand den Vorstellungen einiger TeilnehmerInnen des Runden Tisches entgegen. Das Modellprojekt lehnte es im Sommer 1998 ab, die Geschäftsführung für den Runden Tisch zu übernehmen. Eine enge Kooperation zwischen Modellprojekt und Rundem Tisch lässt sich für das erste halbe Jahr der Projektlaufzeit konsta106 tieren. An der Planung und Durchführung der Fachtagung „Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Lebensraum“ im Juli 1998 sowie an dem Workshop zur Stadtbezirksauswahl waren TeilnehmerInnen des Runden Tisches beteiligt. Einzelne VertreterInnen des Runden Tisches nahmen an den Workshops teil, die die wissenschaftliche Begleitung zur Klärung der Begriffe ‘persönlicher Nahraum’ und ‘Gewalt’ durchführte. In der Anfangsphase des Projekts konnte der Runde Tisch – bzw. einzelne Mitglieder des Runden Tisches – so Einfluss auf Gestaltung und thematische Schwerpunkte des Projekts nehmen. Weiter boten sich über die verschiedenen TeilnehmerInnen Kontakt- und Informationsmöglichkeiten für den Projektkoordinator, der so zu Beginn gute Anknüpfungspunkte für eine Vernetzung der in Hannover in den Arbeitsbereichen „Alter“ und „Gewalt“ tätigen Professionellen vorfand und nutzte. Über den Rahmen des Runden Tisches hinaus eröffneten sich Kooperationsmöglichkeiten für das Modellprojekt. Im weiteren Verlauf erschwerten personelle Diskontinuität sowohl in der Betreuung als auch in der Zusammensetzung des Runden Tisches eine effiziente eigene Tätigkeit des Runden Tisches sowie kontinuierliche Begleitung des Modellprojekts. Bis zum Ende der Projektlaufzeit war bei den Sitzungen des Runden Tisches stets eine VertreterIn des Modellprojekts anwesend und berichtete über die aktuelle Entwicklung im Projekt. Eine darüber hinaus gehende Begleitung der Arbeit durch den Runden Tisch fand nicht statt. Im September 2000 erweiterte der Runde Tisch sein Arbeitsfeld auf das Thema Gewalt und intergenerativer Dialog. Die Federführung für den Runden Tisch liegt inzwischen beim Kommunalen Senioren-Service. Als unterstützendes Gremium spielte der Runde Tisch für das Modellprojekt allenfalls in der Anfangsphase eine Rolle. Den Aufgaben, die im Projektantrag der Verantwortung des Runden Tisches zugeschrieben wurden, d.h. der Öffentlichkeitsarbeit und Beiratstätigkeit, entsprach er in der weiteren Projektlaufzeit nicht. Auf Wunsch des Sozialdezernenten der Stadt Hannover, Herrn Walter, fanden vierteljährliche Treffen mit dem Projektkoordinator und der Gleichstellungsbeauftragten statt. Dabei wurde der Dezernent über die Entwicklung des Modellprojekts informiert. 4.5 Aktivitäten und Angebote: Chronologie des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ Die Aktivitäten des Modellprojektes waren vielfältig, bezogen sich auf verschiedene Arbeitsbereiche und verliefen zeitlich weitgehend parallel. In den Kapiteln 6.2.1, 6.2.4, 6.2.5 und 6.2.6 finden sich detaillierte Aus- 107 sagen zu den zentralen Arbeitsbereichen des Modellprojekts (Beratung, Öffentlichkeitsarbeit, Veranstaltungen, Fortbildungen, Vernetzung und Stadtteilarbeit). Im Folgenden soll im Interesse einer besseren Orientierung eine kurze Übersicht über die wichtigsten Entscheidungen, Ereignisse und Entwicklungen im Verlauf des Modellprojekts gegeben werden. Dies ist angesichts der beschriebenen Vielfalt und Parallelität der Tätigkeiten schwierig. Die Übersicht muss folglich selektiv und unvollständig bleiben. Die in der Übersicht vorgenommene Zuordnung zu Arbeitsbereichen ist insbesondere bei den Vernetzungsaktivitäten problematisch. Auch in den Bereichen Fortbildungen, Veranstaltungen, sonstige Öffentlichkeitsarbeit, Beratung und Stadtteilarbeit sind die Aktivitäten häufig zugleich als Vernetzungsarbeit zu bezeichnen. In der folgenden Aufschlüsselung werden lediglich die stadtbezirksübergreifenden Vernetzungstätigkeiten ausdrücklich als Vernetzung bezeichnet. Zu einer detaillierten Beschreibung der einzelnen Aktivitäten sei ferner auf die Berichte des Modellprojekts verwiesen (LANDESHAUPTSTADT HANNOVER, 1998, 1999, 2000, 2001). Übersicht 4.5/1: Zentrale Entscheidungen, Entwicklungen und Ereignisse Jahr und Monat 1994 12 Arbeitsbereich zentrale Entscheidungen, Entwicklungen und Ereignisse Anfrage des Europäischen Forums für urbane Sicherheit an die Stadt Hannover bzgl. Teilnahme an dem Projekt „Ältere Menschen und urbane Sicherheit“ 1995 1 Struktur Gründung des Runden Tisches „Gewalt gegen Ältere“ Teilnahme an dem Projekt der Europäischen Union: Secu Cités; Befragung bei Polizeiinspektionen, Staatsanwaltschaften, BezirkssozialarbeiterInnen, Altenclubs, Einrichtungen des DRK; Auswertung von Polizeistatistiken zu Gewalt im Alter Bericht: Arbeitsweise und erste Ergebnisse des Runden Tisches; Vorstellung der Befragungsergeb41 nisse Konzeption Erarbeitung des Projektantrags durch den Runden Tisch 8 1997 41 REFERAT (1995). 108 FÜR GLEICHSTELLUNGSFRAGEN – FRAUENBÜRO DER LANDESHAUPTSTADT HANNOVER Jahr und Monat Arbeitsbereich 6 zentrale Entscheidungen, Entwicklungen und Ereignisse Antrag der Landeshauptstadt Hannover auf Finanzierung des Modellprojekts „Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum“ an das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und 42 Jugend beschränkte Ausschreibung des BMFSFJ für die wissenschaftliche Begleitung des Modellprojekts; Angebot von KREUZER & GÖRGEN unterbreitet 7/8 1998 2 Personal 3 Personal 3/4/5 4 5 6 6 6/7/8/9 Konzeption Struktur Personal Konzeption Konzeption 7 Helpline ab 7 Helpline 7 Tagung 8/9/10 Konzeption 9 9 Stadtteil Schulung seit 10 10 Schulung Arbeitsbeginn der ersten Mitarbeiterin der wissenschaftlichen Begleitung Arbeitsbeginn des Projektkoordinators Arbeitsbeginn der Verwaltungsangestellten Beginn der Vernetzungs- und Kooperationsgespräche Vorbereitung und Beginn der Öffentlichkeitsarbeit Klärung der Entscheidungsstruktur Erste Sitzung der Steuerungsgruppe Arbeitsbeginn der vier SozialarbeiterInnen Arbeitsbeginn der zweiten Mitarbeiterin der wissenschaftlichen Begleitung Workshops zur Begriffsbestimmung „persönlicher Nahraum“ und „Gewalt“ inhaltliche und organisatorische Vorbereitung der Stadtteilauswahl – Entscheidung für Stadtbezirke als Arbeitseinheiten Einarbeitung der MitarbeiterInnen, Vorbereitung der Beratungs- und Stadtteilarbeit schriftliche Befragung von Anbietern telefonischer Beratung in Hannover Entscheidung für kooperativen Betrieb der Helpline; Kooperationsgespräche Fachtagung „Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Lebensraum“ Verschiedene Workshops und Treffen: Beginn der Entwicklung eines Projektleitbildes und einer Konzeption Workshop: Stadtbezirksauswahl Fortbildung durch eine Mitarbeiterin von Handeln statt Misshandeln, Bonn Beginn regelmäßiger Supervisionsveranstaltungen Hospitationen der ProjektmitarbeiterInnen beim Medizinischen Dienst 42 LANDESHAUPTSTADT HANNOVER (1997). 109 Jahr und Monat 10 Arbeitsbereich zentrale Entscheidungen, Entwicklungen und Ereignisse Vernetzung Treffen mit PD Dr. Greve vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen; insgesamt vier Treffen im weiteren Projektverlauf Entscheidungen zum Vorgehen in der Stadtbezirksarbeit; erste Orientierung der MitarbeiterInnen im Stadtbezirk, erste Kontaktaufnahme, Vorstellung des Projekts bei relevanten Gremien im Stadtbezirk Diskussion der Auswertung der Befragung der telefonischen Beratungsanbieter, Berücksichtigung der Ergebnisse in der Konzeption der Helpline erste von insgesamt fünf Ausgaben der Projektnews (weitere Ausgaben 4/1999, 8/1999, 1/2000 und 9/2000); Auflage 2.000 „Ich halte es nicht mehr aus – Gewaltverhältnisse in der Pflege“; veranstaltet von der Akademie für Sozialmedizin Hannover e.V., Modellprojekt als Mitveranstalter Beginn der Fortbildungstätigkeit des Modellprojekts, erstes Angebot zur Schulung von KSDMitarbeiterInnen; Zusammenstellung wichtiger Informationen zu den Themen „Alterskrankheiten, Demenz, Alzheimer“, „Grundlagen zur Pflegeversicherung“ (6/1999), „Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung“ (8/1999) und „Pflegende Angehörige: Belastungen und Entlastungsmöglichkeiten“ (9/1999); die Unterlagen werden als „Projektinformationen“ auf Anfrage verschickt Fortbildung für ProjektmitarbeiterInnen: Umgang mit Gewaltsituationen Bezug der für die Restdauer des Projekts vorgesehenen Räumlichkeiten erstes gemeinsames Treffen von wissenschaftlicher Begleitung, Modellprojekt und Vertreterin des BMFSFJ; 5 Treffen insgesamt in der Projektlaufzeit Klärung der datenschutzrechtlichen Handlungsgrundlagen des Modellprojekts Klausurtagung: Reflexion der bisherigen Arbeit 10/11 Stadtteil 11 Helpline 11 Öffentlichkeitsarbeit 11 Tagung seit 11 Fortbildung 11 Öffentlichkeitsarbeit 12 Schulung 12 Umzug 12 Struktur 12 Konzeption Teamentwicklung 12 1999 1/2/3 1/2 110 Schulung Konzeption drei zweitägige Fortbildungen für ProjektmitarbeiterInnen (ursprünglich auch für StadtteilAGs vorgesehen, diese bestanden jedoch noch nicht) Workshops zur Konzeptentwicklung der Module „Helpline“, „ExpertInnenteams“, „Öffentlichkeitsarbeit“, „Sozialarbeit der Spezialdienste“ und „Vernetzung“ sowie zum Leitbild Jahr und Monat Arbeitsbereich zentrale Entscheidungen, Entwicklungen und Ereignisse 2 Stadtteil 2 Konzeption 3 Helpline 3 Öffentlichkeitsarbeit 3 Stadtteil 4 Schulung 4 Stadtteil 5 Konzeption Stadtteil erstes Treffen der AG Gewalt im Alter im Sahlkamp; Einrichtung der Stadtteilsprechstunde Verabschiedung von Vereinbarungen über die zukünftige Zusammenarbeit von Modellprojekt und wissenschaftlicher Begleitung Beginn der telefonischen Beratung am „Krisen- und Beratungstelefon im Alter“ ohne Kooperationspartner Verteilung von Flyern und Plakaten zur Helpline; Aufnahme des Angebots in die Notrufnummern in Zeitungen Einrichtung der Stadtteilsprechstunde in Herrenhausen-Stöcken Schulung der MitarbeiterInnen „Umgang mit Aggressionen und Gewalt“ erstes Treffen der AG Gewalt im Alter in Herrenhausen-Stöcken erstes Gespräch mit Kommunalem Sozialdienst bzgl. thematischer Zuständigkeit nach Projektende erstes Treffen der AG Gewalt im Alter in RicklingenMühlenberg erstes Treffen der Notruftelefone, Beschwerde- und Beratungsstellen für ältere Menschen in Bonn; insgesamt vier Treffen in der Projektlaufzeit erste Stadtteilveranstaltung in SahlkampVahrenheide: Erzählcafe Klausurtagung: Überarbeitung der Konzepte und Leitbilder, Reflexion der bisherigen Arbeit „Am Ende des Lebens: Sterben dürfen oder sterben müssen?“ Tagung der Akademie für Sozialmedizin Hannover; Modellprojekt als Mitveranstalter Einrichtung der Stadtteilsprechstunde in RicklingenMühlenberg Internetpräsentation als Angebot der Landeshauptstadt Hannover Gründung des Hannoveraner Arbeitskreises „Telefonische Beratung im Alter“; insgesamt 10 Treffen in der Projektlaufzeit Schulung von Ehrenamtlichen des Sozialverbands Deutschland e.V. für die telefonische Beratung Entwicklung eines Flyers für das Modellprojekt 5 5 Vernetzung 6 Stadtteil 6 7 Konzeption Tagung 7 Stadtteil ab 8 9 Öffentlichkeitsarbeit Vernetzung 9 Helpline 9 10 Öffentlichkeitsarbeit Tagung 10 Personal Tagung „Gewalt in der Familie. Gewalt gegen Kinder – Gewalt gegen Ältere“; veranstaltet durch das Modellprojekt, das Referat für Gleichstellungsfragen, Herbst-Rose e.V., AG Gewaltprävention und den Jugendpsychologischen Dienst der Stadt Hannover Arbeitsbeginn der Berufspraktikantin 111 Jahr und Monat 11 11 11 11 11 Arbeitsbereich zentrale Entscheidungen, Entwicklungen und Ereignisse Helpline Entscheidung gegen den Einsatz von Ehrenamtlichen bei der telefonischen Beratung Klausurtagung: Überarbeitung der Konzepte und Leitbilder, Reflexion der bisherigen Arbeit „Gewalt im Alter“, Tagung in Kooperation mit der Landesvereinigung für Gesundheit Niedersachsen e.V.; Wilhelmshaven Beginn des kooperativen Kunst-Projekts „Schattenseiten“ (bis 6/2000) Beginn der Entwicklung von Arbeitskonzepten für die Zeit nach Projektende Konzeption Tagung Vernetzung Konzeption 2000 1 2 Konzeption Konzeption Stadtteil ab 2 – 12 3/4/5/6 Stadtteil 4 Stadtteil 4 Stadtteil 4 Konzeption 6 Stadtteil 6/10/11 Stadtteil 7 Stadtteil ab 8 Stadtteil 10 Struktur 11 Vernetzung Struktur 11 112 Ausdifferenzierung des Beratungsangebotes in Begleitung – Beratung – Unterstützung Klausurtagung: Überarbeitung der Konzepte und Leitbilder, Reflexion der bisherigen Arbeit kooperatives Angebot eines Gesprächskreises für pflegende Angehörige in Bothfeld Durchführung der Veranstaltungsreihe „Älter werden in Herrenhausen-Stöcken“ Herausgabe des Beratungsführers für ältere Menschen in Sahlkamp-Vahrenheide Übersetzung des Beratungsführers ins Russische Gründung der AG „Alter und Migranten“ in Sahlkamp-Vahrenheide; insgesamt 4 Treffen in der Projektlaufzeit Vorlage der Konzeption für die Projektfortführung: Krisen- und Beratungsstelle im Alter beim Sozialdezernat; anschließend Gespräche über Perspektiven offizielle Eröffnung des „Häuslichen Unterstützungsdienstes“ in Ricklingen-Mühlenberg Fortbildung der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen des Häuslichen Unterstützungsdienstes in RicklingenMühlenberg Informationsveranstaltung im Sahlkamp: „Vielfalt im Alter – Älterwerden gestalten“ Diskussion in den Stadtteilen über die Fortführung der Arbeitsgemeinschaften „Gewalt im Alter“ und des Häuslichen Unterstützungsdienstes Runder Tisch wird erweitert auf Themenbereich Gewalt im Verhältnis „alt und jung“ gemeinsames Treffen der Arbeitsgemeinschaften Gewalt im Alter und anderer Interessierter Zusage der Abteilung Altenhilfe (Kommunaler Senioren-Service), den Häuslichen Unterstützungsdienst, das Krisen- und Beratungstelefon im Alter und den Arbeitskreis „Telefonberatung im Alter“ weiterzuführen Jahr und Monat 2001 2 2 2 7 Arbeitsbereich zentrale Entscheidungen, Entwicklungen und Ereignisse Öffentlichkeitsarbeit Teamentwicklung Fortbildung Tagung Abschlussveranstaltung des Modellprojekts Klausurtage; abschließende Reflexion der Arbeit Fortbildung der KontaktbeamtInnen der Polizei Hannover Abschlusstagung zum Modellprojekt; Präsentation der Ergebnisse des Modellprojekts und der wissenschaftlichen Begleitung 113 5 Die präevaluative Phase der Begleitforschung 5.1 Überblick Zentrale Aufgaben in der präevaluativen Phase lagen im Bereich formativer Evaluation. Die Arbeitsschritte sollten unmittelbar Einfluss auf die Arbeit des Modellprojekts nehmen und die MitarbeiterInnen bei Planung und Konzeptentwicklung inhaltlich wie methodisch unterstützen. Eine der zentralen diesbezüglichen Aktivitäten war die Durchführung einer Befragung von älteren Menschen, pflegenden Angehörigen sowie Fachleuten aus den Bereichen Altenhilfe, Pflege/Medizin und Gewaltprävention und -kontrolle in Hannover. Dabei wurden Bedürfnisse, Erwartungen und Wünsche von potenziellen KooperationspartnerInnen wie KlientInnen allgemein und zum Themenbereich Gewalt im Alter erfragt. Der zweite Arbeitsschwerpunkt lag in der Unterstützung der ProjektmitarbeiterInnen bei der Entwicklung eines Projektplanes und klaren Auf43 gabenprofils. Die zentralen Fragen diesbezüglich betrafen die Projektstruktur (Wie sind die Entscheidungskompetenzen im Projekt verteilt? vgl. dazu Kapitel 4.4), den Gegenstandsbereich des Projektes (Wofür ist das Modellprojekt zuständig?), die Zielklärung (Was soll mit der Arbeit im Modellprojekt erreicht werden?) sowie die Entwicklung eines Projektkonzepts (Wie sollen die gesetzten Ziele erreicht werden?). Aus der Perspektive der wissenschaftlichen Begleitung war eine Projektplanung, die über den Grad der Konkretisierung im Projektantrag hinaus ging, dringend geboten – sowohl hinsichtlich einer Nachvollziehbarkeit der Entwicklung der Arbeit als auch hinsichtlich einer Überprüfbarkeit der Erreichung selbstdefinierter Ziele. Zudem sollten die der Arbeit zugrunde liegenden Werthaltungen expliziert werden. Beide Arbeitsschwerpunkte werden im Folgenden dargestellt. 5.2 Entwicklung und Klärung von Konzepten und Projektzielen 5.2.1 Ziele, Methoden und Durchführung der Ziel- und Konzeptklärung Vordringlich war zunächst die Konkretisierung des Evaluationsobjektes. Erst wenn der genaue Gegenstand der Arbeit eines Modellprojekts feststeht, kann entschieden werden, welche Ziele diesbezüglich verfolgt 43 Vgl. dazu auch Kap. 7. 114 werden sollen und welche konkreten Maßnahmen zu ergreifen sind. Für die Arbeitsfähigkeit des Modellprojekts und seine empirische Untersuch- und Überprüfbarkeit war die Präzision der Problemformulierung (BORTZ & DÖRING 1995, S.39) zentrale Vorbedingung (KREUZER & GÖRGEN 1997, S. 30). Erforderlich war es vor allem, die Begriffe „Gewalt“, und „persönlicher Nahraum“ zu definieren. Wie im Angebot der wissenschaftlichen Begleitung vorgesehen, wurde im folgenden Schritt eine Klärung der Ziele des Modellprojekts angestrebt. KREUZER & GÖRGEN (1997, S.32) sahen das Präzisieren eines Gesamtzieles und die Festlegung von Zwischenzielen vor. Zu konkretisieren waren ferner die Zielgruppen des Projekts und die in den geplanten Projektmaßnahmen enthaltenen Annahmen über Ursache-Wirkungs-Zusammen44 hänge . Die Konzeptualisierungs- und Zielklärungsseminare sollten auch der Explikation der für die Projektbeteiligten mit den Modellzielen verbundenen Werte dienen. Werte, die in der jeweiligen soziokulturellen Umwelt als allgemeines Wissen erlernt, jedoch individuell und professionenspezifisch gefärbt sind, sind oft durch einen „geringen Grad der Bewusstheit, Verbalisierung, Reflexion und der Selbstbestimmung gekennzeichnet“, der „in einem krassen Gegensatz zur faktischen und folgenreichen Einflusskraft der Werte und Wertorientierungen“ steht (REINHOLD, 1992, S. 536f.). Im Rahmen des Modellprojekts nahmen Wertorientierungen u.a. auf die Entscheidung Einfluss, welche Verhaltensweisen – von KlientInnen wie von MitarbeiterInnen – als problematisch zu betrachten seien. Sie beeinflussten gleichfalls die Zielbestimmung und die Wahl der Maßnahmen zur Umsetzung der Ziele (vgl. MÜLLER-SCHÖLL & PRIEBKE, 1991; zu Werthaltungen und Wertkonflikten in der Sozialarbeit vgl. etwa JORDAN, 1991; KING, 1996; RESHEN, 1992). Im Sinne von GERBERT (1991) sah die wissenschaftliche Begleitung ein Beurteilungskriterium für Handeln in Organisationen darin, ob Entscheidungen über später praktiziertes Handeln zuvor diskursiv zwischen den Beteiligten herbeigeführt worden waren. Diskursiv oder diskursähnlich heißt, dass es sich um einen Aushandlungsprozess handelt, dessen Ergebnis zunächst noch offen ist und an dem alle beteiligt sind. Diese Aushandlungsprozesse zu initiieren und zu unterstützen, war das zentrale Ziel der Konzeptualisierungs- und Zielklärungsworkshops in der präevaluativen Phase. Methodisch wurde vor allem auf die ermittelnde Gruppendiskussion zurückgegriffen (LAMNEK, 1993), mittels derer Meinungen und Einstellungen der einzelnen TeilnehmerInnen einer Gruppendiskussion, eine Art Gesamtmeinung der Gruppe sowie gruppenspezifische Verhaltenswei44 Von BORTZ & DÖRING (1995, S.99) als implizite technologische Theorien bezeichnet. 115 sen und Gruppenprozesse erfragt und ermittelt werden können. Weiter wurden – unter Rückgriff auf Arbeiten von KNOLL (1995), MÜLLERSCHÖLL & PRIEBKE (1991) und DAUSCHER (1996) – verschiedene Seminar- und Moderationsmethoden zur Unterstützung gruppeninterner Entscheidungsprozesse angewandt. Auf der Grundlage dieser Methoden und der relevanten Fachliteratur wurden die Gruppendiskussionen als jeweils mehrstündige Workshops konzipiert und durchgeführt. Das Interesse der wissenschaftlichen Begleitung bestand einerseits darin, die notwendigen Begriffs-, Ziel- und Werteklärungen so früh wie möglich zu erreichen; andererseits sollten möglichst viele Projektbeteiligte – insbesondere die hauptamtlichen ProjektmitarbeiterInnen – an diesen Entscheidungsprozessen beteiligt werden. Kompromisse in beide Richtungen waren folglich nötig. Die Workshops zur Begriffsbestimmung fanden im Juni 1998 statt. Neben den MitarbeiterInnen des Projekts und der Begleitforschung (für Moderation und Dokumentation) nahmen VertreterInnen des BMFSFJ, des Runden Tisches, der Steuerungsgruppe (zu diesen Gremien vgl. Kap. 4.4) und des Referats für Gleichstellungsfragen-Frauenbüro teil. Der Workshop „Ziele und Zielgruppen – Mittel, Schritte und Wege“ fand Mitte September statt, d.h. über sechs Monate nach Arbeitsbeginn des Koordinators und 3 Monate nach Arbeitsbeginn der SozialarbeiterInnen. Dies hatte zur Folge, dass vorläufige Entscheidungen über Arbeitsschwerpunkte, Ziele und Maßnahmen bereits durch die alltägliche Arbeit gefällt worden waren. Es ging der wissenschaftlichen Begleitung nicht darum, diese Entscheidungen in Frage zu stellen und neu zu diskutieren, vielmehr sollten sie offengelegt und in eine Gesamtplanung eingebunden werden. Der Workshop zur Werteklärung „sozialpädagogische Grundhaltungen“ fand im Oktober 1998 unter Beteiligung des Projektteams statt. Auf Anregung und mit Unterstützung der wissenschaftlichen Begleitung wurden Anfang 1999 weitere wesentliche Schritte zur Projektplanung unternommen. In gemeinsamen Workshops wurden die Konzeptionen der verschiedenen Projektmodule modifiziert und konkretisiert. Die präevaluative Phase konnte somit im Februar/März 1999 als abgeschlossen gelten. Die Ergebnisse der Diskussionen wurden in gemeinsamen Workshops in der zweiten Novemberhälfte 1999 auf ihre Gültigkeit überprüft und modifiziert. 116 Übersicht 5.2/1: Workshops im Rahmen der Ziel- und Konzeptklärung in der präevaluativen Phase Laufende Nummer Workshop I: Datum Titel / Thema 02.06.1998 Workshop II: 26.06.1998 Workshop III: Workshop IV: 15.09.1998/ 13.10.1998 06.10.1998 Workshop V: 04.01.1999 Workshop VI: 05.01.1999 Workshop VII: 28.01.1999 Workshop VIII: 15.02.1999 Workshop IX: 11.02.1999 Ziele und Aufgaben des Modellprojekts: Begriffsbestimmung ‘Persönlicher Nahraum’ Ziele und Aufgaben des Modellprojekts: Begriffsbestimmung ‘Gewalt’ Ziele und Zielgruppen: Mittel, Schritte und Wege Sozialpädagogische Grundhaltungen – Der Weg zum Modellprojekt Planerische Gestaltung des Projektmoduls „Helpline“, Ergänzungen zum Teamleitbild Planerische Gestaltung des Projektmoduls „ExpertInnen-Teams“ Planerische Gestaltung des Projektmoduls „Öffentlichkeitsarbeit“ Planerische Gestaltung des Projektmoduls „Spezialdienste“ (Schwerpunkte: Konkretisierung des Hilfeansatzes, Arbeitsplatzbeschreibung der SozialarbeiterInnen – im Antrag der Stadt Hannover als Spezialdienste bezeichnet) Planerische Gestaltung des Projektmoduls „Vernetzung“ 5.2.2 Verlauf und Ergebnisse der Workshops Im Folgenden werden Verlauf und Ergebnisse der Workshops I – IV ausführlicher dargestellt. Auf die Ergebnisse der Einzelkonzeptionen der Projektmodule wird in den jeweiligen Abschnitten im Kapitel 6 eingegangen. 5.2.2.1 Begriffsklärung Begriffsbestimmung „Persönlicher Nahraum“ Im Rahmen dieses ersten Workshops sollte der Begriff ‘persönlicher Nahraum’ geklärt werden. Der Projektantrag der Stadt Hannover bot keine hinreichende Begriffsbestimmung. Die Formulierungen im Antrag umreißen nicht mehr als den unstrittigen Bedeutungskern des Konzepts, lösen aber keineswegs das Problem der ‚Bedeutungs-Außengrenzen’ des Begriffs ‚persönlicher Nahraum’. Die Frage etwa, ob Viktimisierungen durch ambulantes oder stationäres Pflegepersonal ebenfalls Gewalterfahrungen im persönlichen Nahraum sein können, 117 wird nicht beantwortet. Allerdings lässt sich dem Antrag entnehmen, dass der Prototyp dessen, woran die AutorInnen bei der Verwendung des Konzepts gedacht haben, familiäre oder familienähnliche Strukturen sind. Ziel des Workshops war es, den Beteiligten die Notwendigkeit einer Begriffsbestimmung zu verdeutlichen, ihnen die Vorgaben des Antrags zu vermitteln und auf der Grundlage eines gemeinsamen Reflexionsprozesses zu einer allseits akzeptierten Entscheidung zu kommen. Dazu sollte die Doppelbedeutung des Wortes Raum im physikalischen Sinne und im Sinne eines Interaktions- und Beziehungsgeflechts verdeutlicht und somit Verständnis dafür geweckt werden, dass sowohl der Begriff des Raumes als auch der der Nähe in einem wörtlichen und in einem metaphorischen, übertragenen Sinne gebraucht werden können. In einem ersten Schritt benannten die TeilnehmerInnen Phänomene, die für sie zum Bereich der Gewalt gegen Ältere gehören. Anhand des Projektantrags wurden die dem Antrag zugrunde liegenden Vorstellungen zum ‘persönlichen Nahraum’ herausgearbeitet und ein einheitlicher Wissensstand hergestellt. Im nächsten Schritt wurden die als Gewalt gegen Ältere benannten Phänomene daraufhin überprüft, ob sie dem persönlichen Nahraum zuzuordnen seien. Die TeilnehmerInnen sammelten anschließend die gemeinsamen Merkmale der Gewaltformen, die dem persönlichen Nahraum zugeordnet wurden. Sie loteten so die verschiedenen Dimensionen von ‘persönlichem Nahraum’ aus und einigten sich auf eine gemeinsame Definition, die auch pragmatisch und arbeitsökonomisch motiviert war. Der persönliche Nahraum wurde im Hinblick auf den räumlichen Aspekt als privater, selbst gestaltbarer, dauerhafter Wohnraum definiert. Die Beziehungen, in deren Rahmen ‘Gewalt im persönlichen Nahraum’ stattfindet, wurden als für die Person bedeutsam und auf Dauerhaftigkeit angelegt definiert. Damit schloss die Gruppe solche Gewaltsituationen aus, an denen fremde Personen beteiligt sind – sowohl im Rahmen der privaten Häuslichkeit (z.B. Trickbetrüger) als auch im öffentlichen Raum (z.B. Handtaschenraub). Ebenfalls nicht im Zuständigkeitsbereich des Modellprojekts sollten Gewaltphänomene in institutionellen Settings liegen (Gewalt in Krankenhäusern bzw. stationären Altenhilfeeinrichtungen). Begriffsbestimmung ‘Gewalt’ Im Unterschied zum Begriff des ‘persönlichen Nahraums’ enthielt der Projektantrag der Stadt Hannover eine explizite Definition des Begriffes ‘Gewalt’. Im Rahmen des Workshops ging es folglich nicht darum, eine projektbezogene Definition des Gewaltbegriffs von Grund auf zu erar- 118 beiten, sondern sich mit der vorhandenen Begriffsbestimmung und ihren Implikationen auseinander zusetzen und gegebenenfalls auf der Basis dieser Auseinandersetzung die Definition zu modifizieren. Die im Projektantrag der Stadt Hannover verwendete Definition von „Gewalt bzw. Missbrauch“ verstand darunter ein „Verhalten oder Unterlassen, (...) das andere in ihrer Würde verletzt, sie verunsichert oder ängstigt, sie in ihrer Freiheit einschränkt, sie in die Isolation treibt oder ihre leiblichen, seelischen oder geistigen Bedürfnisse unbeachtet lässt“. Dies könne „schon der Fall sein, wenn jemandem eine schwere Türe nicht aufgehalten bzw. ein Sitzplatz nicht überlassen wird (...). Gewalt und Misshandlung können (...) nicht nur körperlich, sondern auch emotional, aber auch in finanzieller Hinsicht ausgeübt werden.“ (LANDESHAUPTSTADT HANNOVER: DER OBERBÜRGERMEISTER, 1997, S. 3). Diese Definition weist einige problematische Aspekte auf: Sie ist – im Hinblick auf die verwendeten Fallbeispiele – nicht ohne weiteres kompatibel mit dem Prototyp des ‘persönlichen Nahraums’ wie er im Antrag der Landeshauptstadt Hannover vorgestellt wird. • Es wurde eine extrem weit gefasste Gewaltdefinition gewählt. • Nicht berücksichtigt wurden Fragen der Intentionalität, der Intensität der Zwangseinwirkung auf das Opfer und der Schwere der Handlungs- oder Unterlassungsfolgen als Kriterien für das Vorliegen von Gewalt. • Im Rahmen des Workshops sollten alle an dem Modellprojekt Beteiligten die Komplexität des Begriffes ‘Gewalt’ hinsichtlich seiner Verwen45 dung und Wirkung verstehen . Den TeilnehmerInnen sollten u.a. fol46 gende Inhalte vermittelt werden : Gewalt ist ein Konzept, zu dem es keine einheitliche Definition gibt. Je nach Disziplin, Aufgabengebieten und Interessen werden andere Definitionen gewählt. • Der Begriff der Gewalt kann mehr oder weniger eng oder weit definiert werden. Weite Gewaltbegriffe beziehen sich auf eine Vielzahl in ihrem Erscheinungsbild sehr unterschiedliche Phänomene. Aus diesem Grund ist eine Binnendifferenzierung des Begriffes geboten. • Die Verwendung des Begriffes Gewalt hat in den vergangenen Jahrzehnten vor allem zwei Erweiterungen erfahren; zum einen wurden • 45 Zur neueren sozialwissenschaftlichen Gewaltdiskussion vgl. ECKERT (1993), KRASMANN & SCHEERER (1997), MOORE (1994), MUTSCHKE & RENNER. (1995), NEDELMANN (1997), NEIDHARDT (1986), NEUMANN (1995), SOFSKY (1996) und VON TROTHA (1997). 46 Im Unterschied zum Workshop ‘persönlicher Nahraum’, bei dem eine Entscheidung angestrebt wurde, ging es bei diesem Workshop stärker um Wissensvermittlung und Reflexion. 119 • • • • • mit dem Begriff der strukturellen Gewalt gesellschaftliche Missstände unter das Gewaltkonzept subsumiert; zum anderen werden zunehmend auch nicht-physische Formen der Einwirkung als Gewalt aufgefasst („psychische Gewalt“, „emotionale Gewalt“, „verbale Gewalt“). Es gibt verschiedene Arten der Begriffsbildung, darunter die der Orientierung an sogenannten Prototypen. Alltagssprachlicher Prototyp des Gewaltkonzepts ist die von Individuen ausgehende und nicht gerechtfertigte (z.B. durch Notwehr, berufliche Rolle) physische Zwangseinwirkung auf andere Individuen. Gewalt ist ein mit Wertungen und Emotionen zumeist negativer Art assoziierter Begriff. Gewalt ist ein in der politischen Diskussion instrumentalisierbarer und vielfach instrumentalisierter Begriff. Wird Gewalt im familiären/persönlichen Rahmen als gesellschaftliches Problem thematisiert, so bezieht sich dies zumeist auf Gewalt 47 im Rahmen von Abhängigkeitsverhältnissen . Die Begründung einer staatlichen/sozialbürokratischen Intervention liegt in diesem Verständnis in der besonderen Schutzbedürftigkeit der Opfer und/oder ihrer gesellschaftlichen Diskriminierung. Es ist ein grundlegender Unterschied, ob von ‘Gewalt gegen Ältere’, ‘Gewalt zwischen Älteren und engen Bezugspersonen’ oder von ‘Gewalt im Alter’ gesprochen wird. Im ersten Fall wird eine Schuldzuschreibung nahegelegt, ein unidirektionales Opfer-Täter-Verhältnis begrifflich konstituiert, im zweiten Fall ist von interaktiver Gewalt die Rede, d.h. Fragen nach Verantwortlichkeiten für Gewalt werden konzeptuell offengelassen, und im dritten Falle lässt der Begriff beide Denkansätze zu. Aus den benannten zu vermittelnden Inhalten ergab sich die Gestaltung des Workshops: Anhand von Presseberichten über die Ergebnisse einer Untersuchung zu Gewalt gegen ältere Menschen konnte verdeutlicht werden, dass es eine deutliche Diskrepanz zwischen den spontanen Assoziationen der Anwesenden zum Begriff Gewalt und den tatsächlich in der Studie erforschten Delikten gibt. Ein kurzer Überblick über Begriffe aus psychologischer Sicht konnte deutlich machen, dass alltägliche Begriffsbildung in der Regel durch Orientierung an Prototypen erfolgt (ZIMBARDO, 1992). Die spontanen Assoziationen der Teilnehmenden zu den Presseüber- 47 Ein Hinweis darauf, dass dies im Antrag der Landeshauptstadt Hannover ebenfalls so konzipiert ist, liegt in der synonymen Verwendung von ‘Gewalt’ und ‘Missbrauch’. 120 schriften waren Rückbezüge auf Prototypen von Gewalt. Die Teilneh48 menden erarbeiteten die wesentlichen Inhalte des Prototyps . Die wissenschaftliche Begleitung stellte verschiedene Gewaltbegriffe 49 und -definitionen vor und informierte über die Entwicklung des Gewaltverständnisses in Strafrecht und Sozialwissenschaften. Die Teilnehmenden wurden sich über Motive und Ziele der Verwendung eines weiten Gewaltbegriffes bewusst, sie identifizierten erwünschte und unerwünschte Effekte der Verwendung des Begriffes Gewalt. Insbesondere wurde deutlich, dass eine gewünschte Skandalisierung eines Sachverhalts durch einen inflationären Gebrauch des Gewaltbegriffes in nicht erwünschte Bagatellisierung und Unschärfe umschlagen kann. Anhand dieser Überlegungen und in Auseinandersetzung mit der Systematik von DIECK (1987) erarbeiteten die Teilnehmenden die Notwendigkeit einer Binnendifferenzierung des Gewaltbegriffes im Projektantrag. Die verschiedenen Implikationen des sprachlichen Gebrauchs von „Gewalt gegen“ und „Gewalt zwischen“ wurden vorgestellt. In der Diskussion stellte sich heraus, dass die Teilnehmenden ein eher interaktives Verständnis von Gewalt vertreten. Gewalterfahrungen älterer Menschen sind – und dies wurde insbesondere für den Pflegebereich festgestellt – selten unidirektional. Auch ältere Menschen können Gewalt ausüben, so dass die eindeutige Zuordnung von Täter- und Opferrollen nicht im Sinne der Teilnehmenden war. Eine sprachliche Modifikation des Titels des Modellprojekts wurde jedoch abgelehnt. Im Rahmen von Kleingruppenarbeit und Diskussion im Plenum wurden Überlegungen zur Frage gesammelt, mit welchen Gewaltphänomenen sich das Modellprojekt befassen sollte. Letztlich konnte die Frage der Gewaltdefinition nicht abschließend geklärt werden, die Diskussion wurde an das Modellprojektteam delegiert, auch mit dem Auftrag, die Implikationen des Titels „Gewalt gegen Ältere“ für die konkrete Arbeit des Modellprojekts auszuloten. Diese Diskussion wurde unter Teilnahme der wissenschaftlichen Begleitung Ende Juni und im September 1998 fortgeführt mit dem Ergebnis, dass für die Arbeit des Modellprojekts die Gewalttaxonomie von Margret DIECK (1987) übernommen wurde (vgl. Kap.1.1). 48 Genannt war hier u.a.: physische Gewalt, von Individuen ausgehend/auf andere Individuen einwirkend, zwischen Personen, zwangsweise. 49 Exemplarisch genannt wurden hier Gewaltdefinitionen aus Brockhaus Wahrig Deutsches Wörterbuch (Gewalt, 1981) sowie von GALTUNG (1975), SCHNEIDER & SIGG (1990), MATZ (1986) und ZIMBARDO (1992). Um die Bedeutungselemente des Gewaltbegriffs zu identifizieren, wurde auf die Systematik von NEIDHARDT (1986) zurückgegriffen. 121 5.2.2.2 Zielklärung Bezüglich der Ziele des Modellprojekts war dem Antrag der Landeshauptstadt Hannover zu entnehmen, dass es darum ging, „Präventionsund Interventionsmöglichkeiten bei Gewalt an älteren Menschen zu entwickeln, umzusetzen und in ihrer Wirkung zu erproben unter Einbeziehung der vorhandenen Strukturen vor Ort“ (LANDESHAUPTSTADT HANNOVER: DER OBERBÜRGERMEISTER, 1997, S. 5). Subziele waren Informationssammlung, Analyse gewaltfördernder Bedingungen, Veränderung solcher Bedingungen und dadurch Verbesserung der Situation älterer Menschen, Vernetzung von Diensten und Initiativen, Kompetenzerweiterung von Projektbeteiligten, Aufklärung und Sensibilisierung der Öffentlichkeit, Einrichtung und Erprobung von Hilfs- und Beratungsdiensten sowie die Projekteinbettung in bestehende kriminalpräventive Maßnahmen und Initiativen. Als zentrales Ziel des Projekts kann die Installierung bzw. Umsetzung der fünf Module Helpline, Sozialarbeit der Spezialdienste, ExpertInnenteams, Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit gesehen werden. Für die Umsetzung des Modellprojekts und für seine Überprüfbarkeit war es notwendig, die Ziele soweit zu konkretisieren, dass daraus konkrete Handlungsschritte abgeleitet werden konnten; angestrebt wurde 50 somit eine operationale, d.h. handlungsbezogene Zielformulierung . Im Rahmen der Zielformulierung sollten für die einzelnen Ziele jeweils Kriterien gefunden werden, anhand derer später feststellbar wäre, ob das Ziel erreicht wurde oder ob Korrekturen der Projektarbeit notwendig sind. Diese Kriterien bzw. Indikatoren der Zielerreichung sollten ebenfalls auf der operationalen Ebene formuliert werden, also der Erfahrung zugänglich, wahrnehmbar sein. In der ersten Phase des Workshops benannten die ProjektmitarbeiterInnen die Zielgruppen der einzelnen Projektmodule und sammelten innerhalb von Kleingruppen für alle Module Ziele und Kriterien der Zieler- 50 Praktische Arbeit ist immer eine Arbeit, die auch auf Begriffen und Theorien fußt. Gleiches gilt für jedes alltägliche Handeln. Es geht nicht darum, ob die Praxis sich auf Begriffe und Zusammenhangsannahmen stützt, es geht nur darum, welche sie sich zunutze macht. So verhält es sich auch mit Zielen und Plänen. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten und Grade der Entwicklung und Explikation von Zielen und der Planung ihrer Umsetzung, es ist jedoch grundsätzlich undenkbar, dass Handeln und Entscheiden im Rahmen eines professionellen Zusammenhangs nicht zielorientiert sind. Aufgrund von Begriffen, Zusammenhangsannahmen und Einschätzungen von Rahmenbedingungen werden (nicht nur) im professionellen Handeln ständig Entscheidungen über durchzuführende oder zu unterlassende Maßnahmen getroffen. Die wissenschaftliche Begleitung sah es als ihre Aufgabe, implizite Ziele offen zu legen, sie der gemeinsamen Reflexion zugänglich zu machen und eine möglichst systematische detaillierte Planung mit den Projektbeteiligten zu entwickeln. 122 51 reichung . Im nächsten Schritt bewerteten die MitarbeiterInnen die Zielerreichungskriterien nach Vorrangigkeit. Anhand eines Moduls wurde exemplarisch eine handlungsbezogene Planung vorgenommen. Die verwandten Methoden waren so aufgebaut, dass sie vom Modellprojektteam auch eigenständig für die Planung der anderen Module eingesetzt werden konnten. Die MitarbeiterInnen bewerteten die Methoden als hilfreich und nahmen das Angebot der wissenschaftlichen Begleitung an, an einem weiteren Termin – Mitte Oktober 1998 – die Module ExpertInnenteams und Öffentlichkeitsarbeit im gleichen Verfahren zu planen. Im Rahmen dieser beiden Veranstaltungen wurde deutlich, dass für die einzelnen Module die Entwicklung von Einzelkonzepten noch ausstand. Die MitarbeiterInnen nahmen die Anregung der wissenschaftlichen Begleitung auf, dies in Kleingruppen vorzubereiten, um so anhand von Diskussionsvorlagen die Planung schneller und effektiver betreiben zu können. Diese Einzelkonzeptionen waren wichtige Grundlagen der weiteren Konzeptentwicklungsworkshops im Januar und Februar 1999. Im Rahmen dieser Workshops wurden unklare Fragen bzgl. der Projektmodule besprochen und ausgehend von den Zielgruppen die Angebote des Modellprojekts präzisiert. Dabei wurde ein Arbeitsplan für alle Module erstellt und ein grober zeitlicher Ablauf der Aufgaben festgelegt. Hinsichtlich der Konkretisierung der Projektplanung bestanden zum Teil divergierende Interessen. Während die Begleitforschung die Notwendigkeit der Vorabstrukturierung eines modellhaften und wissenschaftlich evaluierten Projekts hervorhob, betonten die MitarbeiterInnen des Modellprojekts die Notwendigkeit, ein Projekt in seinem Verlauf für Klientenbedürfnisse und aktuelle Entwicklungen offen zu halten. Diesem Verständnis folgend wurden die entwickelten Konzeptionen jeweils den Möglichkeiten und Grenzen der Arbeit angepasst. 5.2.2.3 Werteklärung Weitgehend gemeinsam war den MitarbeiterInnen des Modellprojekts ihr beruflicher Hintergrund – sie verfügten alle über eine Ausbildung als Dipl.-SozialarbeiterInnen/SozialpädagogInnen und entsprechende berufliche Erfahrungen. Es lag also nahe, die professionen- und berufsbiographiespezifischen Elemente der Wertorientierungen transparent zu machen, ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten und zu überprüfen, inwieweit diese Orientierungen in den aktuellen beruflichen Kontext transferiert werden können. Der Workshop ‘Sozialpä51 Hier wurde eine Art Projektion vorgenommen. Die MitarbeiterInnen wurden gebeten, sich vorzustellen, was das Projekt nach zwei Jahren Projektlaufzeit erreicht haben wird, wenn die Arbeit erfolgreich war und woran sie selbst und die Zielgruppen der einzelnen Module dies feststellen werden. 123 dagogische Grundhaltungen – der Weg zum Modellprojekt’ fand Anfang Oktober 1998 unter Beteiligung des gesamten Teams statt. Im ersten 52 Teil des Workshops wurden der individuelle berufliche Werdegang rekapituliert, der Zusammenhang zwischen der bisherigen Tätigkeit und 53 der aktuellen Arbeit im Modellprojekt reflektiert und das subjektive Verständnis von Sozialarbeit anhand von Grundbegriffen der Sozialen Arbeit herausgearbeitet. Im zweiten Teil wurde anhand eines fiktiven Fallbeispiels das berufliche Selbstverständnis diskutiert. Ziel dieser Arbeitseinheit war, professionelles Handeln zu reflektieren und diejenigen Arbeitsprinzipien und damit auch die professionellen Wertorientierungen zu explizieren, auf denen Entscheidungen in einem konkreten Fall basieren. Ohne unmittelbaren Handlungs- und Zeitdruck sollten verschiedene Handlungsmöglichkeiten, ihre Grundlagen und Konsequenzen durchgespielt werden – ein Vorgehen, das bei der praktischen Fallbearbeitung in der Regel nicht mehr in einer solchen Ausführlichkeit möglich ist. Deutlich werden sollte dabei, dass in der Praxis jede Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Handlungsmöglichkeit ihre Gründe hat; diese werden – nicht zuletzt unter dem akuten Zwang, handeln zu müssen – in der Praxis häufig nicht bewusst reflektiert. Konzeptuell können solche Beweggrün54 de oder Motive einer Handlung gefasst werden als antizipierte positive Konsequenzen (Zweck), als Wunsch, Interesse, Bedürfnis des Handelnden oder als von ihm verinnerlichte Verpflichtungen, Rollenvorschriften und Konventionen (vgl. WIMMER, 1983, S.307). Ausgehend von der subjektiven Sicht auf den vorgestellten Fall wurde von der Gruppe eine analytische Sicht auf die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten entwickelt, indem denkbare Handlungsmöglichkeiten anhand von Fragen nach Begründungen und Konsequenzen diskutiert 55 wurden . Im letzten Schritt wurden die in der vorangegangenen Diskussion genannten Grundhaltungen systematisch gesammelt und diskutiert. 52 Dabei interessierten Ausbildung, Arbeitsfelder und Funktionen, sowie außerberufliche Lebensbereiche. Die einzelnen Etappen der eigenen (Berufs-)Biographie sollten von den MitarbeiterInnen vorgestellt werden. 53 Leitfrage für die Diskussion war „Was bringe ich mit?“. Die eigenen Erfahrungen (beruflicher wie privater Art), die fachlichen und persönlichen Kompetenzen und eventuelle Befürchtungen, die einzelnen in die Arbeit mitbringen, wurden dargestellt. 54 Zur Abgrenzung von Ursachen (causes) und Gründen (reasons) einer Handlung vgl. BUSS (1978). 55 Dazu wurden folgende Leitfragen vorgegeben: 1. Welche Handlungsmöglichkeiten gibt es prinzipiell? 2. Wie lassen sich diese Handlungsmöglichkeiten begründen? 3. Welche positiven und auch negativen Konsequenzen haben diese für die Beteiligten? 124 In der Diskussion kristallisierte sich eine in besonderem Maße widersprüchliche und komplexe Fragestellung heraus: Die von den Teilnehmenden an zentraler Stelle genannten Werte ‘Selbstbestimmung’ und ‘Förderung von Selbsthilfekräften und Selbstbestimmung’ können mit der ebenfalls genannten ‘Kontrollfunktion der Sozialarbeit’ und der ‘Macht behördlicher Sozialarbeit (positiv wie negativ)’ konfligieren. Die Maxime, das Selbstbestimmungsrecht zu achten, tritt dort hinter den dringenden Interventionsbedarf zurück, wo Menschen akut gefährdet sind. Schwierig ist die Situation auch, wenn Betroffene nicht mehr zu einer Willensäußerung fähig sind, ihr Wille somit nicht ermittelt werden kann. Dies kann insbesondere bei schwerstpflegebedürftigen und dementen alten Menschen ein Problem darstellen. Pauschale Lösungen und Rezepte sind hinsichtlich der Komplexität der Fragen nicht denkbar. Offensichtlich wurde jedoch, dass viele Grundprobleme den Teilnehmenden bereits aus ihrer bisherigen Arbeit vertraut waren und sie über differenzierte Sichtweisen von Verantwortung, Möglichkeiten und Grenzen sozialarbeiterischen Handelns verfügten. 5.2.2.4 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Die Klärung der für das Modellprojekt zentralen Begriffe erfolgte vor allem im Rahmen von zwei Workshops, die von der wissenschaftlichen Begleitung organisiert und durchgeführt wurden und an denen die MitarbeiterInnen des Modellprojekts, Teile der Steuerungsgruppe und des Runden Tisches teilnahmen. Zunächst wurde der Begriff ‘persönlicher Nahraum’ für die Arbeit des Modellprojekts definiert. Die Anwesenden entschieden sich dafür, den persönlichen Nahraum als den privaten, auf Dauer angelegten Wohnraum einer Person zu verstehen. Gewalt im persönlichen Nahraum findet im Sinne des Modellprojekts im Rahmen von Beziehungen statt, die von Dauer und für die von Gewalt betroffenen Personen bedeutsam sind. Die zweite für das Modellprojekt zentrale Frage war die nach dem Verständnis des Gewaltbegriffes. Im Rahmen eines weiteren Workshops der wissenschaftlichen Begleitung wurde entschieden, an einem weiten Gewaltbegriff festzuhalten (vgl. auch die Vorgaben im Projektantrag; LANDESHAUPTSTADT HANNOVER: DER OBERBÜRGERMEISTER, 1997 S.3), jedoch eine Binnendifferenzierung dieses Konzepts vorzunehmen. Das Modellprojektteam entschied sich letztlich für die Übernahme der Gewaltdefinition und –taxonomie von Margret DIECK (1987). Für die Außendarstellung des Projekts wird in Anlehnung an DIECK folgende Gewaltdefinition verwendet: „Gewalt ist eine Misshandlung oder Vernachlässigung mit gravierenden, negativen Auswirkungen, die das Wohl und die Rechte eines Menschen beeinträchtigt oder bedroht.“ Im Rahmen eines Workshops der wissenschaft- 125 lichen Begleitung reflektierten die MitarbeiterInnen des Modellprojekts das eigene Verständnis von Sozialarbeit allgemein, bezogen auf ihre Berufsbiographien sowie anhand eines Fallbeispiels aus dem Bereich Gewalt gegen Ältere. Das Präzisieren der Projektziele und die Entwicklung einer Projektplanung wurde (unter anderem) im Rahmen weiterer Workshops der wissenschaftlichen Begleitung im Herbst 1998 vorangetrieben und im Januar/Februar 1999 abgeschlossen. In den Workshops wurden für die einzelnen Projektbausteine (Öffentlichkeitsarbeit, Vernetzung, Helpline, Sozialarbeit der Spezialdienste und ExpertInnenteams) Zielgruppen festgelegt, Ziele präzisiert sowie erste Kriterien der Zielerreichung definiert. Im zweiten Schritt wurde für die Module „Helpline“, „ExpertInnenteams“ und „Öffentlichkeitsarbeit“ im Sinne einer Bestandsaufnahme erörtert, welche Arbeitsschritte und Maßnahmen im Hinblick auf die formulierten Ziele bereits vollzogen und welche noch zu vollziehen waren. 5.3 Bestandsaufnahme lokal vorhandener Einrichtungen, Programme und Initiativen 5.3.1 Überblick Ein zentraler Arbeitsschritt der wissenschaftlichen Begleitung des Modellprojekts „Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum“ in der präevaluativen Phase der Begleitforschung war eine Bestandsaufnahme lokal vorhandener Einrichtungen, Programme und Initiativen. Ziel dieser Bestandsaufnahme war es, für das in der Konzeptionsphase befindliche Modellprojekt relevante Informationen zu gewinnen, die vom Projektteam in die weitere Planung einbezogen werden konnten. In den Monaten September und Oktober 1998 wurden insgesamt 85 Interviews in drei verschiedenen Teilstichproben durchgeführt. Es wurden 31 SeniorInnen, 24 pflegende Angehörige und 30 ExpertInnen aus Hannover bzw. aus dessen unmittelbarem Einzugsgebiet in face-toface-Interviews befragt. 126 5.3.2 Untersuchungsziele Die Bestandsaufnahme lokal vorhandener Einrichtungen, Programme und Initiativen hatte das Ziel, umfangreiche Informationen für das in der Planungs- und Konzeptionierungsphase befindliche Modellprojekt zu erheben und auszuwerten. Im Sinne formativer Evaluation sollte so der für das praktische Tätigkeitsfeld der SozialarbeiterInnen relevante Ausgangszustand der Versorgung mit und Nutzung von einschlägigen Beratungs- und Hilfsangeboten aus den Perspektiven der für die Arbeit des Projekts bedeutsamen (Ziel-) Gruppen erfasst werden. Es war geplant, eine Zufallsstichprobe (n=35) von SeniorInnen aus Hannover (über 60jährige BürgerInnen) zu ihnen bekannten und von ihnen genutzten Hilfs- und Beratungsdiensten sowie zu den von ihnen wahrgenommenen Defiziten zu befragen. Informationsstand und Informationsbeschaffung dieser Personengruppe über Angebote für ihre Altersgruppe sowie Voraussetzungen für deren Inanspruchnahme, tatsächliche Inanspruchnahme und Bewertung der Dienste bildeten die inhaltlichen Schwerpunkte der Befragung. Dabei sollten zunächst Informationen über Nutzung und Bewertung von allgemeinen Angeboten für ihre Altersgruppe im Vordergrund stehen, da auch diese Daten aufschlussreich für die Arbeit des Modellprojekts waren. Des Weiteren sollte der Bereich „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ in dieser Gruppe thematisiert werden; es sollte ermittelt werden, inwieweit in dieser Stichprobe von SeniorInnen eigene Erfahrungen mit dem Phänomen „Gewalt gegen Ältere“ vorliegen und welche Angebote in einem solchen Kontext als hilfreich erlebt würden. Neben der Teilstichprobe der SeniorInnen wurde eine Teilstichprobe von 35 pflegenden Familienangehörigen angestrebt. Aufgrund der vom Modellprojektteam vorgenommenen Definitionen von „Gewalt“ und „persönlicher Nahraum“ stellten pflegende Angehörige eine wichtige 56 Zielgruppe der Angebote des Projekts dar . Die Perspektive dieser Gruppe hinsichtlich der ihnen bekannten und von ihnen genutzten Dienste war bedeutsam, da das Modellprojekt im Rahmen von präventiven Angeboten auch Entlastungs- und Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige entwickeln und umsetzen wollte. Eine weitere für die Arbeit des Modellprojekts bedeutsame Gruppe war der Personenkreis der lokalen ExpertInnen. Dabei wurden unter ExpertInnen Personen verstanden, die im Rahmen ihrer (beruflichen) Arbeit in 56 Zur Entdeckung der Thematik der „pflegenden Angehörigen“ vgl. STEINER-HUMMEL (1998). 127 Institutionen, Einrichtungen und Programmen tätig sind, die den Arbeitsund Aufgabenbereich des Modellprojekts tangieren. Die ExpertInnen sollten als RepräsentantInnen von Organisationen oder Institutionen angesprochen werden, die ihren inhaltlichen Arbeitsschwerpunkt in der Arbeit mit älteren Menschen und/oder im Gewaltbereich haben. Die ExpertInnen bildeten eine den unmittelbaren Zielgruppen des Modellprojekts (SeniorInnen, die von Gewalt betroffen sind, und pflegende Angehörige) komplementäre Einheit, die wichtige Informationen über die Kontextbedingungen des Handelns der Zielgruppen geben konnte. Weiterhin dienten die Interviews dazu, Auskunft über das Handlungsfeld der ExpertInnen zu erhalten (vgl. hierzu z.B. MEUSER & NAGEL, 1991). Es sollte zum einen erfasst werden, wie sich Informationsstand, Nutzung und Bewertung von Angeboten durch SeniorInnen und pflegende Angehörige aus der Sicht von ExpertInnen darstellten. Zum anderen galt es zu ermitteln, inwiefern diese Gruppe bei ihrer täglichen Arbeit mit dem Phänomen „Gewalt gegen Ältere“ konfrontiert war, welche Maßnahmen ergriffen und in welchen Bereichen Defizite gesehen wurden. Des Weiteren ging es darum zu erfahren, welche konkreten Erwartungen und Vorstellungen die lokalen ExpertInnen hinsichtlich möglicher Angebote, der vorgesehenen Vernetzungsarbeit, der geplanten ExpertInnenteams in drei ausgewählten Stadtteilen und der potentiellen Kooperationen des Modellprojekts hatten. 5.3.3 Entwicklung der Untersuchungsinstrumente Zur Klärung der Fragestellungen wurde die Methode des teilstandardisierten face-to-face-Interviews gewählt. Die Festlegung der inhaltlichen Bereiche der Interviews erfolgte anhand der Leitfrage „Welche Informationen sind aus der Wahrnehmungsperspektive dieser Teilstichprobe für die Planung und Arbeit des Modellpro57 jekts aufschlussreich und bedeutsam?“ . In den drei Stichproben gab es je spezifische inhaltliche Schwerpunkte: • In der Gruppe der SeniorInnen wurden die Bereiche „bekannte und genutzte Unterstützungs- und Beratungsangebote“, „wahrgenommene Defizite im Bereich der Angebote für SeniorInnen in Hannover“, 57 Für jede der drei Teilstichproben wurde ein auf gruppenspezifische Wahrnehmungsperspektiven und Erfahrungshorizonte abgestimmter Interviewleitfaden entwickelt. In die Entwicklung der Interviewleitfäden wurden die MitarbeiterInnen des Modellprojekts einbezogen. 128 „Gewalterfahrungen im persönlichen Nahraum“ und „Planung der eigenen Pflegebedürftigkeit“ thematisiert. • Bei den pflegenden Angehörigen standen die Bereiche „Geschichte der Pflegeübernahme“, „Belastung durch die Pflege und Umgang mit Belastungserfahrungen“, „bekannte Unterstützungsangebote, deren Nutzung und Beurteilung“, „wahrgenommene Defizite im Angebot für pflegende Angehörige und diesbezügliche Erwartungen an das Modellprojekt“, „Gewalterfahrungen in der Pflege“ und „mögliche Hilfen bei Gewalterfahrungen“ im Vordergrund. • In der Gruppe der lokalen ExpertInnen, die sich aus MitarbeiterInnen einschlägiger Institutionen und Initiativen zusammensetzte, bildeten die Bereiche „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“, „aktuelle Ausgangssituation in Hannover“, „Erwartungen an das Modellprojekt“ und „Kooperationsmöglichkeiten mit dem Modellprojekt“ die inhaltlichen Schwerpunkte. 5.3.4 Stichprobenbildung und Interviewdurchführung Stichprobenbildung Für die Gruppe der SeniorInnen war die Befragung einer Zufallsstichprobe von 35 Personen ab dem Alter von 60 Jahren aus dem Raum Hannover geplant. Über das Einwohnermeldeamt der Stadt Hannover erfolgte eine Zufallsziehung von 100 Personen ab 60 Jahren aus der Stadt Hannover. In den lokalen Printmedien wurde in zwei Artikeln über die geplante Interviewstudie berichtet und für eine Teilnahme geworben. Die SeniorInnen wurden zunächst schriftlich und in einem zweiten Schritt dann telefonisch kontaktiert, trotzdem konnten insgesamt nur 11 Interviewtermine über die Zufallsstichprobe der 100 SeniorInnen vereinbart werden. Da sich eine hinreichend große Zufallsstichprobe nicht realisieren ließ, wurden 20 weitere InterviewpartnerInnen über persönliche Kontakte gewonnen, ein Großteil dabei über einen in Hannover ansässigen Verein, der diverse Angebote der Freizeitgestaltung für SeniorInnen bietet. Letztlich konnte so eine Stichprobe von 31 SeniorInnen für die Interviews rekrutiert werden. Eine repräsentative Zufallsstichprobe pflegender Angehöriger war mangels entsprechender zugänglicher Verzeichnisse mit vertretbarem Aufwand nicht zu realisieren. Daher wurden in Hannover vorhandene Institutionen und Dienste (Sozialstationen, Gesprächskreise für pflegende 129 Angehörige etc.) sowie die lokalen Printmedien um Hilfe bei der Anbahnung von Kontakten zu pflegenden Angehörigen gebeten. Es war ursprünglich geplant, eine Gruppe von 35 pflegenden Angehörigen aus Hannover, die sich in einer aktuellen Pflegesituation befinden, zu befragen. Aufgrund von Zugangsschwierigkeiten wurden auch ehemalig pflegende Angehörige in die Stichprobe aufgenommen. Insgesamt konnten auf diese Weise 24 pflegende Angehörige für die Interviews gewonnen werden. Die Gruppe der ExpertInnen sollte das für die Arbeit des Modellprojekts relevante Spektrum von Berufsfeldern und Institutionen möglichst erschöpfend erfassen. Es sollten VertreterInnen der Tätigkeitsbereiche „Kriminalitätskontrolle“, „Frauen und Gewalt“, „Pflege“ und „Altenarbeit“ gewonnen werden. Insgesamt konnte eine Gruppe von 30 lokalen ExpertInnen für die Teilnahme an den Interviews gewonnen werden. Interviewdurchführung Die Interviews wurden in den Monaten September und Oktober 1998 durchgeführt. Die Stichprobe der lokalen ExpertInnen wurde von den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen der Begleitforschung befragt. In den anderen Stichproben wurden die Interviews von drei speziell dafür 58 geschulten studentischen Hilfskräften durchgeführt . Bei den Interviewterminen stellten die InterviewerInnen zunächst sich selbst, das Begleitforschungsteam und das Modellprojekt vor. Sie erläuterten, was im Interview bzw. auch vom Projektteam unter „persönlichem Nahraum“ und „Gewalt“ verstanden wurde. Zur Erläuterung der verschiedenen Formen von Gewalt wurde die Binnendifferenzierung des Gewaltbegriffes von DIECK (1987) herangezogen. Die Interviews wurden bei entsprechendem Einverständnis der Befragten aufgezeichnet, zudem wurden während des Interviews Gesprächsnotizen von den InterviewerInnen angefertigt und nach dem Interview 59 ein Erfassungsbogen zum Gesprächsrahmen ausgefüllt . 58 Aufklärung über typische Interviewerfehler (vgl. hierzu z.B. BORTZ & DÖRING, 1995, S. 225 ff.) wie beispielsweise dominierender Kommunikationsstil (suggestive Fragen, bewertende und kommentierende Aussagen etc.), Schwierigkeiten und fehlende Geduld beim Zuhören (passiv-rezeptiver Anteil; vgl. hierzu z.B. HOPF, 1995, S. 177ff). 59 23 der befragten SeniorInnen stimmten einer Aufzeichnung zu. Die durchschnittliche Gesprächsdauer lag bei 94 Minuten, das Minimum bei 45 und das Maximum bei 150 Minuten. Von 16 der 24 durchgeführten Interviews mit pflegenden Angehörigen konnten Aufzeichnungen angefertigt werden. Die Hauptphase der Interviewdurchführung lag im September (07.09.-29.09.98). Die durchschnittliche Gesprächsdauer lag bei 93 Minuten, das Minimum bei 55 und das Maximum bei 125 Minuten. 130 5.3.5 Auswertung Für jede Teilstichprobe wurde ein Schema der zentralen inhaltlichen Auswertungsaspekte erstellt. Die inhaltsanalytische Auswertung der Interviews wurde zum einen durch die Struktur der jeweiligen Interviewleitfäden und zum anderen durch das vorliegende Interviewmaterial bestimmt. Um dem erhobenen Datenmaterial gerecht zu werden, musste die Auswertung sich an der gewählten Methode des qualitativen Interviews orientieren. Die Auswertung der Interviews fand unter dem Gesichtspunkt der Beantwortung folgender Fragen statt: Wahrnehmungsperspektive der SeniorInnen Welche Angebote sind bekannt? Welche Entlastungen und Hilfen werden/wurden benötigt/als sinnvoll erachtet (allgemein und auf Gewalt bezogen)? • Inwieweit wird/wurde der wahrgenommene Hilfe- und Entlastungsbedarf durch bestehende Dienste abgedeckt? Wo bestehen Defizite? (Erfahrungen mit Diensten, Kenntnisstand, Hindernisse der Inanspruchnahme) • Was ist über Gewalterfahrungen bekannt (eigene und fremde)? • Welche Hilfen würden im Falle eigener Gewalterfahrung als sinnvoll erachtet? • • Wahrnehmungsperspektive der pflegenden Angehörigen Welches sind wesentliche Belastungen, Konflikte, Probleme? Welche Entlastungen und Hilfen werden/wurden benötigt/als sinnvoll erachtet? • Inwieweit wird/wurde der wahrgenommene Hilfe- und Entlastungsbedarf durch bestehende Dienste abgedeckt? Wo bestehen Defizite? (Erfahrungen mit Diensten, Kenntnisstand, Hindernisse der Inanspruchnahme) • Welche Gewalterfahrungen wurden gemacht? • • Wahrnehmungsperspektive der ExpertInnen Welche Angebote sind bei SeniorInnen/pflegenden Angehörigen bekannt? • Welche Entlastungen und Hilfen werden/wurden benötigt/als sinnvoll erachtet (allgemein und auf Gewalt bezogen)? • In der Gruppe der ExpertInnen konnten alle Interviews aufgezeichnet werden. 131 Inwieweit wird/wurde der wahrgenommene Hilfe- und Entlastungsbedarf durch bestehende Dienste abgedeckt? Wo bestehen Defizite? (Erfahrungen mit Diensten, Kenntnisstand, Hindernisse der Inanspruchnahme) • Was ist über Gewalterfahrungen älterer Menschen bekannt? • Wie können die Ressourcen (personell, finanziell, zeitlich) des Modellprojekts unter der Maßgabe, häusliche Gewalt gegen alte Menschen in Hannover zu verhindern bzw. ihre negativen Folgen auf ein möglichst geringes Maß zu begrenzen, sinnvoll eingesetzt werden? • 5.3.6 Ergebnisse 5.3.6.1 Befragung der SeniorInnen Demographische Daten Es wurden Interviews mit 22 Seniorinnen sowie mit neun Senioren geführt. Das Durchschnittsalter der Befragten lag bei 74,3 Jahren (Minimum 61 Jahre, Maximum 91 Jahre). Zum Familienstand befragt, gab die Hälfte der SeniorInnen (15 von 31) an, verwitwet zu sein. 12 der befragten SeniorInnen waren zum Zeitpunkt der Interviews verheiratet, zwei ledig, und zwei gaben an, geschieden bzw. getrennt lebend zu sein. 21 der 31 SeniorInnen hatten Kinder. Zu ihrer jetzigen Wohnsituation befragt, gaben vier der 31 Befragten an, mit einem ihrer Kinder zusammenzuleben. Jeweils zwei Senioren wohnten mit Sohn bzw. Tochter in einem Haus und zwei mit Sohn bzw. Tochter in einer gemeinsamen Wohnung. Mehr als die Hälfte der befragten SeniorInnen lebte in Einpersonenhaushalten (18), 11 SeniorInnen lebten in Zweipersonenhaushalten mit PartnerInnen, und zwei Befragte lebten in Mehrpersonenhaushalten. Bekannte und genutzte Unterstützungs- und Beratungsangebote/ Informationswege und Angebotsdefizite Die den befragten SeniorInnen bekannten Angebote lassen sich in die Bereiche Freizeitgestaltung und soziale Dienste kategorisieren. An sozialen Diensten wurden häufig die großen Wohlfahrtsverbände, wie z.B. Arbeiterwohlfahrt, Caritas und Deutsches Rotes Kreuz, ge- 132 nannt. Weiterhin wurden folgende Angebote genannt: mobile Seniorenbetreuung, städtische Altenhilfe, Beratungsstelle Herbst Rose e.V., Hausarzt und Krankenhaus. Genutzt wurden und werden die Beratungsstelle Herbst Rose e.V., die mobile Seniorenbetreuung, der Hausnotruf der Johanniter, die Telefonseelsorge, Altenhilfeangebote der Wohlfahrtsträger, Diakoniestationen und Angebote zur Rentenbera60 tung . Viele Befragte gaben an, es seien in Hannover genügend Beratungsstellen vorhanden, an die sie sich in einer Notsituation wenden könnten. In Bezug auf die Angebote im Rahmen der Freizeitgestaltung gab es sehr große Unterschiede zwischen den Befragten. Die Mitglieder des in der Stichprobe vertretenen Vereins nahmen ein breites Spektrum der vorhandenen Angebote im Freizeitbereich wahr, z.B. SeniorInnentreffs, kirchliche Angebote sowie Angebote in den Bereichen Kultur, Bildung und Sport. Die anderen befragten SeniorInnen waren in der Wahrnehmung von Freizeitangeboten weniger aktiv, ihnen waren zwar einige der in Hannover vorhandenen Angebote bekannt, genutzt wurden aber nur wenige. Die aktiveren SeniorInnen erhielten Informationen über die vorhandenen Angebote vorwiegend aus der Tageszeitung und den kostenlosen Wochenblättern; letztere wurden auch von den weniger aktiven SeniorInnen gelesen. Nach den Gründen für die Nicht-Inanspruchnahme von Angeboten befragt, gaben circa ein Drittel der Befragten an, keinen Bedarf zu sehen, weil sie genügend andere Kontakte pflegten und zu jung seien, um Angebote für Ältere in Anspruch zu nehmen. Ebenso viele der SeniorInnen gaben an, aus gesundheitlichen Gründen nicht an solchen Angeboten teilnehmen zu können. Sechs Befragte kritisierten, die Angebote am Abend seien zu spät, weil insbesondere im Winter der Weg nach Hause in der Dunkelheit zurückgelegt werden müsse. Einige erwähnten, sie würden mehr Angebote in Anspruch nehmen, wenn diese kostengünstiger wären; drei SeniorInnen gaben konkrete finanzielle Hindernisse an. Nach fehlenden Angeboten und Defiziten befragt, wurden von den SeniorInnen häufig Gesprächskreise und Angebote am Nachmittag genannt. Circa ein Viertel der Befragten gab an, sich einen Besuchsdienst zu wünschen. 60 Zu den Faktoren, die die Nutzung von sozialen Diensten durch ältere Menschen beeinflussen, vgl. BRANDENBURG & ZIMPRICH (1995). 133 Viele Befragte wünschten sich zusätzliche Angebote im Freizeitbereich; diese sind zum Teil in Hannover bereits vorhanden, waren aber den SeniorInnen offenbar nicht ausreichend bekannt. Zusätzliche Angebote wünschten sich vor allem diejenigen SeniorInnen, die bereits sehr aktiv waren und viele Angebote wahrnahmen. Beratungs- und Unterstützungsangebote für ihre Altersgruppe wurden von den befragten SeniorInnen nicht vermisst. Gewalterfahrungen der SeniorInnen Es war deutlich, dass die meisten Befragten mit dem Begriff Gewalt dessen Prototyp, die körperliche Gewaltanwendung, assoziierten. Gewalt im persönlichen Nahraum Von den 31 Befragten berichteten acht über eigene Gewalterfahrungen im persönlichen Nahraum, zum Teil in mehreren Erscheinungsformen und Lebensbereichen. In den meisten Fällen handelte es sich dabei nicht um einmalige Vorfälle, sondern um längerfristig andauernde Konstellationen. Das Sprechen über diese Erlebnisse war für die Betroffenen emotional belastend und aufwühlend. Psychische Misshandlung Sieben mal gaben SeniorInnen an, seelischer Gewalt ausgesetzt worden zu sein. Sie erzählten, sie seien von nahestehenden Verwandten beschimpft, gedemütigt und erniedrigt worden. Finanzielle Ausnutzung Drei Befragte berichteten, dass sie sich finanziell durch nahestehende Verwandte ausgebeutet fühlten. Sie ließen ihren Verwandten (Sohn bzw. Enkelkind) immer wieder größere Geldsummen zukommen, obwohl sie sich dabei finanziell ausgenutzt fühlten. Eine dieser Seniorinnen schilderte, dass sie ihre Rente an ihren arbeitslosen Sohn und dessen Familie abgebe und selbst nur ein kleines Taschengeld behalte. Eine Seniorin berichtete, dass sie von ihrem Ehemann finanziell „extrem kurz“ gehalten werde und keinen Zugriff auf das vorhandene Geld (Bankkonto etc.) habe. 134 Vernachlässigung In zwei Fällen berichteten Seniorinnen davon, selbst Gewalt in Form der Vernachlässigung in Pflegesituationen ausgeübt zu haben, indem sie ihre Eltern früher nicht „gut“ gepflegt hätten. Inanspruchnahme von Unterstützungsangeboten Auf die Frage, ob sie in diesen Situationen bei Beratungsangeboten Hilfe und Unterstützung gesucht hätten, berichteten fast alle betroffenen SeniorInnen, sich diese bei Freunden und Bekannten hauptsächlich in Form von Gesprächen gesucht zu haben. In zwei Fällen wurden professionelle Beratungsangebote kirchlicher Träger in Anspruch genommen. In einem Fall, in dem die Seniorin davon berichtete, im Rahmen der Pflege selbst einmal Gewalt ausgeübt zu haben, habe eine Sozialstation Kenntnis von den Problemen bei der Pflege der Eltern gehabt; diese Sozialstation habe sich jedoch nicht eingeschaltet und geholfen. Andere Institutionen und städtische Einrichtungen wurden von den betroffenen SeniorInnen nicht eingeschaltet. Die Gewaltopfer haben die Viktimisierungen in den meisten Fällen eher passiv ertragen bzw. hingenommen. Gewalt im öffentlichen Raum Neben den berichteten Viktimisierungen im persönlichen Nahraum berichteten drei Seniorinnen von Gewalterfahrungen im öffentlichen Raum. Eine Seniorin war in der Straßenbahn von Jugendlichen belästigt und bedroht worden. Sie hätte nach diesem Ereignis eine psychologische Beratung gewünscht, sich aber an keine der vorhandenen Einrichtungen gewandt. Die zweite betroffene Seniorin schilderte, dass sie in der U-Bahn von einem Jugendlichen mit einer Schusswaffe bedroht worden sei, allerdings sei sie nicht sicher, ob dies eventuell eine Spielzeugwaffe gewesen sei. In dieser Situation habe ihr keiner der Anwesenden geholfen, wobei sie jedoch nicht wisse, ob die anderen Fahrgäste die Situation überhaupt mitbekommen hätten; der Täter sei an der nächsten Station einfach ausgestiegen und verschwunden. Sie sei nach diesem Vorfall sehr schockiert gewesen, habe sich aber nicht an die Polizei oder eine andere Institution gewandt, da sie bereits nach einem Überfall auf der Straße die Erfahrung gemacht habe, dass eine Anzeige „erfolglos“ verlaufe. Die dritte Seniorin, die von Gewalterfahrungen im öffentlichen Raum berichtete, erzählte, dass sie in der Dunkelheit auf der Straße überfallen worden sei; ihre Handtasche sei gestohlen, sie selbst geschlagen und auf den Boden gestoßen worden. Bei diesem Überfall habe sie eine Gehirnerschütterung erlitten und sei im Krankenhaus medizinisch versorgt worden. Sie habe nach diesem Überfall An- 135 zeige bei der Polizei erstattet. Es habe lange gedauert, bis sie diese schlechte Erfahrung verarbeitet habe. Von einigen anderen befragten SeniorInnen wurde insbesondere die Angst vor Gewalt im öffentlichen Raum thematisiert. Bei der relativ großen Zahl der von Gewalterfahrungen im persönlichen Nahraum betroffenen SeniorInnen in dieser Teilstichprobe (acht von 31 SeniorInnen) ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine kleine und nicht zufällig ausgewählte Stichprobe handelt. Insofern sind Rückschlüsse auf Umfang und Ausmaß von Gewalterfahrungen in der Grundgesamtheit nicht angemessen. Einige der Seniorinnen, die über den Seniorenclub in die Stichprobe aufgenommen wurden, hatten sich gerade aufgrund ihrer eigenen Gewalterfahrungen zu den Interviews bereit erklärt. Gewalterfahrungen vom Hörensagen Auf die Frage, ob sie schon einmal im engeren und/oder weiteren Bekannten- und Freundeskreis oder in der Nachbarschaft Gewalt gegen Ältere erlebt hätten, berichteten 13 Befragte von Gewalterfahrungen Dritter, von denen sie vom Hörensagen wussten. Dabei handelte es sich in sechs Fällen um finanzielle Ausnutzung, in fünf Fällen um Gewalt in Pflegesituationen, und in drei Fällen seien ältere Menschen so unter Druck gesetzt worden, dass sie etwas taten, was sie eigentlich nicht wollten. Die Ausführungen der Interviewten hierzu waren jedoch zum Teil ungenau und lückenhaft. Antizipierte/vorgestellte Reaktionen bei Gewalterfahrungen Senioren, die keine Gewalterfahrungen in einem bestimmten Bereich berichteten, wurden gebeten, sich derartige Situationen und ihr Verhalten vorzustellen. Die Antizipation war für die meisten der SeniorInnen sehr schwierig („Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen“). Die Mehrzahl der SeniorInnen gab an, sich in einer Gewaltsituation zur Wehr zu setzen und aktiv zu reagieren, wenn ihre geistige und körperliche Verfassung dies zulasse. Als mögliche Reaktion auf ein Gewalterleben durch nahestehende Personen wurde relativ häufig eine Trennung von bzw. ein Kontaktabbruch zu der gewaltausübenden Person erwogen. Als mögliche AnsprechpartnerInnen wurden meist Personen und Institutionen genannt, die im Interviewleitfaden (nach einer zuvor offen gestellten Frage) als Antwortmöglichkeiten angeboten wurden. Am häufigsten 136 wurden Freunde, Verwandte und Bekannte als Ansprechpartner und Unterstützer genannt. An zweiter Stelle wurden dann Institutionen bzw. Personen wie Polizei, Anwalt und Arzt als Ansprechpartner in Erwägung gezogen. Bemerkenswert sind die Unterschiede zwischen den Bewältigungsversuchen der tatsächlich Betroffenen und den vorgestellten Bewältigungsversuchen der Befragten ohne Gewalterfahrungen. Bei den tatsächlich Betroffenen wurde in der Regel keine außenstehende Instanz bzw. Institution eingeschaltet, sondern eher eine Aussprache im persönlichen Umfeld gesucht bzw. die Gewaltsituation sehr lange ertragen, ohne dass aktive Bewältigungsversuche unternommen wurden. Offenbar war es für die Betroffenen wenig naheliegend, eine Beratungsstelle aufzusuchen. In der Antizipation von Viktimisierungen wurden von den SeniorInnen hingegen neben Hilfen im persönlichen Umfeld auch Interventionsmöglichkeiten durch außenstehende Instanzen wie Polizei und Rechtsanwalt gesehen. Planung für den Fall eigener Pflegebedürftigkeit Nach ihrer Lebensplanung für den Fall eigener Pflegebedürftigkeit gefragt, gaben nahezu alle Befragten an, so lange wie möglich in der eigenen Wohnung leben zu wollen. Für einen kleinen Kreis ist Pflege durch Familienangehörige oder Nachbarschaftshilfe vorstellbar, „solange dies eben möglich ist“. Der größere Teil der Befragten wünscht eher professionelle Pflege in der eigenen Wohnung, vor allem in den Fällen, in denen keine Familienangehörigen vorhanden sind. Einige der Befragten lehnten familiäre Pflege ab, obwohl sie bei ihnen möglich wäre. 5.3.6.2 Befragung der pflegenden Angehörigen Demographische und pflegebezogene Daten 61 Bei 13 von insgesamt 24 befragten pflegenden Angehörigen bestand eine aktuelle Pflegesituation, bei 11 Personen war die gepflegte Person bereits verstorben oder lebte inzwischen in einem Heim. Die folgenden Tabellen geben eine Übersicht über das Verhältnis von Frauen und 61 Im Folgenden werden unter pflegerischen Tätigkeiten nicht nur die im Pflegeversicherungsgesetz unter §14 SGB XI genannten Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens (Körperpflege, Ernährung, Mobilität, hauswirtschaftliche Versorgung) gefasst, sondern ebenfalls Aufgaben im Bereich der alltäglichen Betreuung dementiell Erkrankter (vgl. zur öffentlichen Diskussion um die begriffliche Eingrenzung im Pflegeversicherungsgesetz z.B. SCHLÜNKES, 1998, S. 19). 137 Männern (Tabelle 5.3.6.2/1), die Altersverteilung (Tabelle 5.3.6.2/2), die Dauer der Pflege (Tabelle 5.3.6.2/3), die Art der familiären Beziehung zum Pflegebedürftigen (Tabelle 5.3.6.2/4), die Pflegebedürftigkeitseinstufungen (Tabelle 5.3.6.2/5) und die Lebensbereiche, in denen die Pflegebedürftigen der Unterstützung bedurften (Tabelle 5.3.6.2/6). Auch in dieser Stichprobe wurde häusliche Pflege in erster Linie von Frauen ausgeübt (über 75%). Die Dauer der Pflege erstreckte sich bei den meisten Befragten über mehrere Jahre. Getrennte Haushalte von Pflegeperson und pflegebedürftiger Person lagen in zehn Fällen vor, in 14 Fällen lebten beide im selben Haushalt. Tabelle 5.3.6.2/1: Geschlechterverteilun Anzahl Frauen Pflegende Pflegebedürftige 62 Anzahl Männer 19 5 14 13 Tabelle 5.3.6.2/2: Altersverteilung (aktuelle Pflegesituation) Minimum Maximum M SD Aktuell Pflegende 29 71 54,92 11,29 Aktuell Pflegebedürftige 59 91 79,42 11,41 Tabelle 5.3.6.2/3: Dauer der Pflege aktuelle Pflege frühere Pflege bis 6 Monate - 1 6 Monate bis 1 Jahr 1 - 1 Jahr bis 5 Jahre 7 7 mehr als 5 Jahre 5 4 62 Die befragten 24 pflegenden Angehörigen versorgten insgesamt 27 Pflegebedürftige, da in drei Fällen die Pflege jeweils zweier Personen übernommen worden war. 138 Tabelle 5.3.6.2/4: Pflegekonstellation (familiäre Beziehung der Pflegenden zu den Pflegebedürftigen) Kinder / Schwiegerkinder Enkelkinder EhepartnerIn Weiblich 11 1 7 Männlich 3 - 2 Tabelle 5.3.6.2/5: Pflegestufe63 (aktuelle Pflege) keine Einstufung 1 Stufe I Stufe II Stufe III 1 9 3 Tabelle 5.3.6.2/6: Lebensbereiche mit Hilfebedarf Bereich Anzahl der Nennungen Körper- und Gesundheitspflege 22 Kochen 19 Einnehmen der Mahlzeit 12 Hausarbeiten 22 Fortbewegung im Haus 11 Fortbewegung außerhalb des Hauses 15 Einnahme von Medikamenten 18 Umgang mit Geld 13 Bei der Frage nach gesundheitlichen Beeinträchtigungen bzw. vorliegenden Diagnosen der Pflegebedürftigen zeigte sich in der Mehrzahl der Fälle ein Bild der Multimorbidität. In vier Fällen war die Diagnose Alzheimersche Krankheit eindeutig, in einem Fall nicht zweifelsfrei, und in zwei weiteren Fällen wurde von Altersverwirrtheit mit einer ausgeprägten Desorientierung gesprochen. In vier Fällen entstand die Pflegebedürftigkeit aufgrund von Schlaganfällen und deren Folgeerscheinun- 63 Nach dem Pflegeversicherungsgesetz (§ 14 SGB XI) gilt als pflegebedürftig, wer bei gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens dauerhaft, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße auf Hilfe angewiesen ist. Die Feststellung der Pflegebedürftigkeit erstreckt sich auf vier Bereiche: Körperpflege, Ernährung, Mobilität und hauswirtschaftliche Versorgung. Personen in Pflegestufe I sind erheblich pflegebedürftig, Personen in Pflegestufe II schwer pflegebedürftig und Personen in Pflegestufe III schwerstpflegebedürftig. 139 64 gen wie u.a. Lähmungen . In fünf Fällen waren die pflegebedürftigen Personen bettlägerig, bei 13 Pflegebedürftigen lag eine Inkontinenz vor, in zwei Fällen bestanden Suchterkrankungen, und in 12 Fällen wurden psychische Auffälligkeiten der Pflegebedürftigen erwähnt. Übernahme der Pflege Bei 18 gepflegten Personen wurde eine chronische Krankheitsentwicklung hin zur Pflegebedürftigkeit angegeben, bei sechs Personen berichteten die pflegenden Angehörigen von einem akuten Geschehnis, welches die Pflegebedürftigkeit auslöste. Viele Befragte berichteten, sie seien langsam in die Pflegesituation „hineingerutscht“; es habe keine bewusste Entscheidung zur Pflegeübernahme gegeben. „Eigentlich gab es keine wirkliche Entscheidung, ich habe einfach immer mehr pflegerische Tätigkeiten übernommen, das war für mich keine Frage.“ Nach ihren Motiven zur Pflegeübernahme befragt, gaben viele an, dass dies für sie selbstverständlich gewesen sei. Einige fühlten sich moralisch verpflichtet, ihre Angehörigen zu pflegen. Auf das Fehlen von Alternativen und die diesbezügliche Nicht-Akzeptanz eines dauerhaften Heimaufenthalts wird verwiesen. „Das war für mich selbstverständlich, wir sind 45 Jahre verheiratet, da ist es doch selbstverständlich, dass man füreinander da ist.“ „Mein Mann ist der einzige Sohn, also es war weiter keiner da. Und für mich ist das eine Selbstverständlichkeit, dass ich das tue. Die einzige Alternative wäre das Heim gewesen.“ Keine/r der befragten pflegenden Angehörigen hatte vor Übernahme der Pflege Unterstützungsmaßnahmen oder Beratungsangebote in Anspruch genommen, um sich auf die Pflegesituation vorzubereiten. Veränderungen der Lebenssituation durch die Pflegeübernahme Die Übernahme der familiären Pflege führte zu vielfältigen Veränderungen in der Lebenssituation der Pflegenden. Ihr Freizeitverhalten war durchweg eingeschränkt; einige gaben an, keine Hobbys und Kontakte mehr pflegen zu können, andere mussten frühere Aktivitäten reduzieren. „Meine Kontakte zu Freunden und Bekannten haben sich extrem reduziert, viele haben leider wenig Verständnis dafür, dass ich meine Stiefmut64 An eindeutigen Diagnosen wurden weiterhin genannt: Krebs, apallisches Syndrom, Rheuma, Arteriosklerose, Multiple Sklerose, Leberzirrhose, Nierenschaden, Wirbelbruch, Diabetes und Morbus Parkinson. 140 ter pflege. (...) Für meine Hobbys, z.B. Handarbeiten und Musik, habe ich kaum noch Zeit.“ Für die Hälfte der Befragten waren vorwiegend negative Veränderungen im partnerschaftlichen und im familiären Bereich spürbar. Ebenso hatte die Übernahme der Pflege für ca. die Hälfte der Interviewten Veränderungen im beruflichen Alltag zur Folge. Aus diesen Veränderungen resultierten häufig finanzielle Einschränkungen – meist durch eine Verringerung des monatlichen Einkommens oder eine geringere Rente im Alter –, die durch Leistungen der Pflegeversicherung nur teilweise kompensiert werden können. Die Wohnsituation hat sich bei einem Viertel der Befragten verändert (Umzug, behindertengerechter Umbau der eigenen Wohnung, Aufnahme der Pflegebedürftigen in den eigenen Haushalt). Eine Befragte, die mit Ehemann, Sohn, Enkel und der pflegebedürftigen Schwiegermutter in einer Dreizimmerwohnung lebte, schildert die Enge: „Sie hat das Zimmer haben müssen, wo sonst die Kinder drin geschlafen haben. (...) Oma war den ganzen Tag hier im Wohnzimmer (...). Wenn Oma ins Bett ging, dann ging unser Sohn auf die Couch schlafen. Der Kleine schlief bei uns im Bett.“ Belastungen, Stresserleben und Konflikte 65 Moderne psychologische Stress- und Stressbewältigungskonzepte gehen von der Annahme aus, dass Stress nicht bereits dadurch entsteht, dass eine Situation oder ein äußerer Reiz auf eine Person einwirkt, dass vielmehr Menschen solche Situationen und Reize unterschiedlich wahrnehmen und bewerten und erst in dieser Wechselwirkung von Person und Umwelt Stress entsteht. Dennoch gibt es Situationen, die von den meisten Pflegenden überein66 stimmend als besonders belastend erlebt werden . Von den Befragten wurden insbesondere folgende Aspekte der Pflegebeziehung als belastend wahrgenommen und mit negativ getönten Emotionen besetzt: „Angebundensein an den Pflegehaushalt“, „Zwang zu ständiger Bereitschaft“, „sich ständig verschlechternder Gesundheitszustand der Pflegebedürftigen“ und „Unzufriedenheit der Pflegebedürftigen“. Als besonders starker Stressor wurde zumeist bei der Pflege der Eltern der Rollentausch zwischen Eltern und Kindern im Sinne einer Generatio65 Vgl. hierzu insbesondere das Transaktionale Stressmodell von LAZARUS (1966, 1995). 66 Zu Belastungen pflegender Angehöriger allgemein vgl. ZANK & SCHACKE (1998), REIS & NAHMIASH (1997) und im Bereich Demenz vgl. MATTER & SPÄTH (1998), QUAYHAGEN, QUAYHAGEN, PATTERSON, IRWIN, HAUGER & GRANT (1997), WILZ, GUNZELMANN, ADLER & BRÄHLER (1998) und WOLF (1998a). 141 nenumkehr (vgl. hierzu STEINMETZ 1983, 1988a, 1988b, 1993 und Kapitel 1.2) eingeschätzt. „Die Pflege hat mich vor allem dadurch beansprucht, dass ich nie richtig zur Ruhe kam, auch nachts nicht. Ich musste immer parat sein, man musste immer auf sie aufpassen, durfte nichts liegen lassen, womit sie sich verletzen konnte (...), das geht stark auf die Nerven.“ „Ja, seelisch ist das sehr belastend. Ich muss immer da sein. (...) Außerdem ist es schwierig, sich mit ihr zu unterhalten, manchmal hat sie klare Momente, manchmal ist sie völlig verwirrt. Sie erzählt auch immer wieder die gleichen Geschichten. Das alles ist sehr anstrengend. Mir bleibt auch viel zu wenig Zeit für mich selbst.“ Eine Befragte war neben Teilzeitberufstätigkeit und der Pflege der Schwiegermutter auch für die Hausarbeit und ihren im gemeinsamen 67 Haushalt lebenden Enkel zuständig . „Heute weiß ich manchmal nicht mehr, wie ich das gemacht habe. (...) Ich habe oftmals Frühdienst gemacht, d.h. also morgens um vier aufgestanden, um halb fünf Brötchen geholt, um halb sechs im Imbiss angefangen, (...), also Frühstück hab ich soweit auf den Tisch gestellt, und unser Sohn, der dann ja zu Hause war, hat Oma denn an den Tisch gesetzt zum Essen, (...). Und dann bin ich um zehn nach Hause gekommen und habe sie gewaschen und angezogen (...). Und wenn ich dann mal Mitteldienst oder Spätdienst hatte, dann hat mein Mann auch schon manchmal angerufen und hat gesagt ´Du musst nach Hause kommen, Oma hat das ganze Bad vollgemacht´.“ Mit diesen Stressoren verbundene kognitive Einschätzungen hinsichtlich der eigenen Ressourcen zur Bewältigung dieser Anforderungen führen bei vielen Angehörigen zu Erlebnissen der Überforderung und Gefühlen der Macht- und Hilflosigkeit. Belastungsfolgen wurden von den Angehörigen auf psychischer und physischer Ebene beschrieben, so wurden häufig eine allgemeine Abgespanntheit, Schlaflosigkeit, Rü68 ckenschmerzen und Verspannungen genannt . Umgang mit Belastungen Von den Befragten wurden unterschiedliche Bewältigungsstrategien im Umgang mit Belastungen genannt. Ein Viertel aller Befragten suchte das Gespräch mit nahestehenden Personen, ebenso viele suchten Ablenkung bei Garten- oder Handarbeit u.ä. 67 Vgl. DORESS-WORTERS (1994): Pflegestress trifft in der Regel Frauen und muss vor dem Hintergrund multipler Rollenverpflichtungen (Beruf, Ehefrau, Mutter etc.) gesehen werden. 68 Bei den von den InterviewpartnerInnen genannten körperlichen Beschwerden handelte es sich zum einen um Symptome, die unmittelbar durch Pflegetätigkeiten bedingt sein können, zum anderen um Symptome, die in engem Zusammenhang mit der seelischen Belastung stehen können. 142 „Durch die Pflege musste ich immer da sein. Von Zeit zu Zeit bin ich in den Garten geflüchtet. Im Garten habe ich mich abgelenkt und aufgetankt.“ Genutzte Unterstützungs- und Beratungsangebote69 / wahrgenommene Angebotsdefizite Eher sporadische Unterstützung und Beratung erfuhren Pflegende durch Familienangehörige und Freunde, in manchen Fällen auch durch NachbarInnen. Wichtig war für einige der Befragten der Austausch mit anderen Pflegenden – in begrenztem Umfang: „Ja, ich kenne einige andere Pflegepersonen (...). Wir telefonieren gelegentlich und tauschen uns aus. Allerdings will ich das auch gar nicht allzu oft, ich möchte mich nicht unbedingt noch mit den Problemen anderer belasten.“ Der größte Teil der Pflegenden wurde regelmäßig von Pflegediensten 70 unterstützt . Vielfach wurden diese als wenig hilfreich eingeschätzt, da die Pflegezeit zu gering sei und häufiger Personalwechsel die Gepflegten belaste. Dies wurde auch als Motiv der Nicht-Inanspruchnahme solcher Dienste genannt: „Was habe ich denn davon, wenn morgens jemand kommt, und abends und den ganzen Tag ist meine Stiefmutter allein? Bei diesen Diensten fehlt einfach jede Art von menschlicher Zuwendung.“ Einige Befragte sind auch zufrieden mit der Unterstützung durch ambulante Dienste. „Die Unterstützung war sehr hilfreich für mich, insgesamt war ich sehr zufrieden. Es hat natürlich eine ganze Weile gedauert, bis sich mein Mann an die fremden Pfleger gewöhnt hatte, er war ja meist sehr ängstlich und misstrauisch.“ Fünf pflegende Angehörige bemühten eine relativ preiswerte „SeniorInnenbetreuung“, wobei diese Möglichkeit jedoch nur in bestimmten Stadtteilen Hannovers sowie einigen Umlandgemeinden gegeben war. Drei Pflegende nahmen regelmäßig an Gruppen für Angehörige von 71 Alzheimer-Patienten teil . Diese Gruppen wurden von ihnen als sehr hilfreich und unterstützend bewertet. 69 Zur Beratung pflegender Angehöriger vgl. BUIJSSEN (1996), KOPP, (1994) und WILZ, SCHUMACHER, MACHOLD, GUNZELMANN & ADLER (1998). Zu spezifischen Trainingsprogrammen für Angehörige geriatrischer Patienten vgl. GROND (1996), KRYSPIN-EXNER, BARTH, GÜNTHER, KAUFMANN, GÖSSNER & MORITZ (1993) und ZSOLNAY-WILDGRUBER (1997). 70 Zur Kooperation von Angehörigen und ambulanten Diensten vgl. STEINER-HUMMEL (1993). 71 Vgl. STUHLMANN (1995). 143 „Der Austausch in der Gruppe war für mich sehr wichtig. In der Gruppe sind auch gelernte Pflegerinnen, die haben mir wichtige Hinweise in praktischen Fragen gegeben.“ Einige lokal vorhandene Angebote für pflegende Angehörige (Pflegedienste, Angebote der Alzheimer-Gesellschaft, Selbsthilfegruppen, kirchliche Angebote, usw.) waren bekannt, konnten aber aus Zeitgründen, wegen Ortsferne und insbesondere fehlender paralleler Betreuung der Pflegebedürftigen nicht in Anspruch genommen werden. Die Priorität in der pflegefreien Zeit lag allerdings für viele auch eher bei anderen Aktivitäten (Entspannung, Bummeln u.ä.). „...die wenige freie Zeit, die mir bleibt, möchte ich nicht gern damit verbringen, die Probleme der anderen zu hören. Es wäre mir viel wichtiger, mal etwas anderes tun zu können, was nichts mit Pflege zu tun hat.“ Ein anderes Motiv für die Nicht-Inanspruchnahme kann auch der Wunsch sein, die Pflegesituation alleine zu bewältigen. Dies sah ein pflegender Angehöriger durchaus selbstkritisch: „Ich habe mir immer gesagt, man muss selber damit fertig werden, wieso soll man andere Leute belästigen? (...) Vielleicht gibt es zu viele Menschen wie ich, die sagen sich, dass sie das alles alleine schaffen. Aber Angebote gibt es genug. Die müssen bloß mehr genutzt werden, die Leute müssen ja nicht alle so stur sein wie ich.“ Bei der Frage nach fehlenden Angeboten für pflegende Angehörige wurde deutlich, dass die meisten pflegenden Angehörigen Gesprächsbedarf haben. Viele wünschten sich auch kostengünstige Hilfe in praktischen Dingen und Vertretung bei der Pflege. Auch professionelle psychologische und medizinische Unterstützung zur Bewältigung der Pflegesituation hätten einige gern in Anspruch genommen. Von den HausärztInnen wurde eine bessere Aufklärung und Information erwartet und gefordert. „Wünschenswert wäre es, vom Arzt bei der Pflegeübernahme alle relevanten Informationen zu erhalten: Wo bekommt man welche Hilfe und Unterstützung, welche Situationen können bei Alzheimer auftreten, was kann man tun? Es wäre auch denkbar, dass jemand zur Beratung ins Haus kommt.“ Weiterhin wurde von acht der 24 Befragten das Fehlen von Angeboten für Pflegebedürftige bemängelt (z.B. Gesprächskreise, Entspannungsangebote). 144 Gewalterfahrungen und mögliche Hilfen 21 der 24 Befragten gaben an, in der Pflege Gewalterfahrungen gemacht zu haben; für die drei übrigen Pflegenden war es denkbar, in einer Belastungssituation so an die eigenen Grenzen zu kommen, dass sie zur Gewalt greifen. In zehn Fällen wurde von Gewalt berichtet, die von Pflegebedürftigen ausging. „Mein Mann hat mich immer wieder beschimpft und angeschrieen. Häufig war er sehr ungerecht zu mir.“ „Meine Mutter schreit mich nur noch an und hetzt ständig gegen meinen Mann. Sie tyrannisiert, unterdrückt mich und nutzt mich aus. Sie behandelt mich wie ein Dienstmädchen. Bei mir stellt sich aggressive Ungeduld ein. Wenn meine Tochter nicht dazu gekommen wäre, hätte ich sie wahrscheinlich geschlagen“. Gewalt, die von Pflegenden ausgeht, lässt sich konzeptuell in funktionale und nicht funktionale Gewalt einteilen. Unter funktionaler Gewalt können Handlungen verstanden werden, mit denen ein pflegerischer Zweck verfolgt wird, z.B. die Durchführung einer notwendigen Medikamenteneinnahme oder das Zuführen von Flüssigkeit. In zwei Fällen übten Pflegende funktionale, in 20 Fällen nicht funktionale Gewalt aus. Nicht funktionale Gewalt äußerte sich bei 19 Personen als verbale Aggression, eine Person berichtete von physischen, eine von physischen und verbalen Gewaltakten. „Wenn es gar nicht mehr anders ging und ich nervlich fertig war, habe ich geschrieen, meine Mutter gepackt und geschüttelt“. Gewaltreaktionen werden meist durch Gefühle der Überforderung, der Hilflosigkeit und des Kontrollverlusts ausgelöst. Diese Überforderungssituationen kennen auch diejenigen unter den pflegenden Angehörigen, die bislang noch keine Gewaltsituationen erlebt haben: „Ja, ich kenne schon Situationen, in denen ich Angst hab, die Grenze zu überschreiten, (...), z.B. wenn sie auf der Treppe zusammenbricht, ich ihr wieder aufhelfen muss, im nächsten Moment muss sie sich übergeben usw. Ich weiß dann manchmal nicht, was ich zuerst tun soll. Ich glaube nicht, dass ich irgendwann einmal wirklich Gewalt ausüben würde. (...). Aber ich kenne solche Verzweiflungssituationen sehr gut.“ Alle pflegenden Angehörigen bemühten sich, in problematischen Situationen ruhig zu bleiben, dennoch wurden sie häufig lauter, schrieen die Pflegebedürftigen an und griffen manchmal fester zu. Die eigenen Reaktionen wurden von den Pflegenden zumeist als normal angesehen. In keinem Fall wurde Beratung oder Unterstützung durch Institutionen gesucht. 145 Insbesondere im Zusammenhang mit Demenzen sind gewaltnahe Situationen keine Ausnahme: „Ja, ich bin öfter an dieser Grenze, vor allem am Anfang hatte ich große Schwierigkeiten, ich habe ihn öfter mal angeschrieen, habe ihn scharf zurechtgewiesen, obwohl ich eigentlich genau wusste, dass er nicht einsehen kann, was er tut.“ Die folgende Schilderung im Zusammenhang mit einer Alzheimererkrankung zeigt, wie wichtig die Diagnose der Krankheit und die Informationen über die Symptome für die Angehörigen sind: „Die war ja sowas von aggressiv, dass wir uns gehauen haben. (...) Ich habe gesagt, ´Gib mir den Rock, den muss ich waschen´, und sie hat gesagt, ´Den will ich heute Nachmittag anziehen´, mit so einem Fleck drin, und hin und her und hin und her, und sie knallt mir eine, und ich haue zurück. Ich sage ... Oh Gott.... da bin ich nicht mit fertig geworden. (...) Ich meine, da wusste ich noch nicht, wie krank sie war.“ In der Situation hätten sich die Pflegenden kompetente AnsprechpartnerInnen gewünscht. Über die unmittelbare Gewaltsituation hinaus würden es die Pflegenden als hilfreich empfinden, „einmal aus der Pflegesituation rauszukommen“ und wenigstens zeitweise abschalten zu können. Dazu wären eine pflegerische Vertretung und genügend gute Kurzzeitpflegeplätze notwendig. Es wurden von mehreren pflegenden Angehörigen massive Beschwerden über Qualität und Quantität der vorhandenen Kurzzeitpflegeplätze geäußert. Eine pflegende Angehörige wünschte sich: „Eine Vertretung, die für eine gewisse Zeit die volle Pflege übernimmt (...). Ich würde gern mal 1-2 Wochen wegfahren, aber ich möchte meine Mutter hinterher wiedersehen. Auch in der Kurzzeitpflege ist die Situation nicht besser.“ 5.3.6.3 Befragung der ExpertInnen Informationsgrad von SeniorInnen und pflegenden Angehörigen bzgl. Beratungs- und Unterstützungsangeboten aus der Perspektive der ExpertInnen Aus Sicht der ExpertInnen ist der Informationsstand von SeniorInnen über die für ihre Altersgruppe vorhandenen Angebote sehr differenziert zu betrachten. Es gebe einerseits die Gruppe der sehr aktiven SeniorInnen, die bestens über Angebote informiert sei und diese auch nutze, und andererseits eine Gruppe, die über wenig Informationen verfüge und wenig bis gar keine Angebote nutze (vgl. 5.3.6.1). 146 Ähnlich verhält es sich nach Einschätzung der ExpertInnen mit dem Informationsgrad von pflegenden Angehörigen: Ein befragter Amtsrichter äußerte sich dahingehend, dass pflegende Angehörige, bei denen eine Betreuung im Sinne des Betreuungsrechts durch den KSD (Kommunaler Sozialdienst der Stadt Hannover) angeregt werde, im allgemeinen gut informiert seien, diejenigen, welche die Betreuung selbst anregten, hingegen eher schlecht. Die beiden InterviewpartnerInnen des MDKN (Medizinischer Dienst der Krankenversicherungen Niedersachsen) und zwei KrankenhaussozialarbeiterInnen berichteten, dass sie in ihrer beruflichen Tätigkeit häufig auf wenig informierte Angehörige – insbesondere die Angebote der Pflegeversicherung betreffend – und eine Überforderung bei der Organisation der Pflege träfen. Dienste, die nach Einschätzung und Erfahrung der ExpertInnen von SeniorInnen/pflegenden Angehörigen in Anspruch genommen werden/Angebotsdefizite Es wurde von den befragten ExpertInnen recht einheitlich die Aussage getroffen, die Gruppe der aktiven SeniorInnen nutze besonders die vorhandenen Freizeitangebote; weitere spezifische Angebote, die besonders nachgefragt werden, seien Vorträge und Angebote zu Selbstschutz- bzw. Selbstverteidigungsmethoden (Gewalt im öffentlichen Raum), Dienste zur Unterstützung täglicher Bedürfnisse, Partnerbesuchsdienste und spezielle Beratungsangebote (z.B. in Mietangelegenheiten und Erbrechtsfragen). Die aus der Sicht der ExpertInnen vorhandenen Defizite bezogen sich schwerpunktmäßig auf den Bereich der Pflege; so wurden u.a. Defizite in den Bereichen betreutes Wohnen, Finanzierung von Tagespflege, Kurzzeitpflege, Vorbereitung auf Begutachtungen durch den MDK, Fortbildungen für Ärzte, Beratung im Vorfeld von Pflegesituationen und generell entlastende Angebote für pflegende Angehörige genannt. Weiterhin wurde ein Mangel an alternativen Wohnmöglichkeiten für ältere Frauen, die von Gewalt betroffen sind, beklagt. Wiederholt wurde betont, dass zwar eine Vielfalt von Angeboten nebeneinander bestehe, hier aber eine verbesserte Koordination und Zentralisierung notwendig sei. Gewaltkonstellationen und deren Kenntnisnahme Bei der Darstellung der Befunde zu diesen Fragenkomplexen wurde aus Gründen der Übersichtlichkeit und der inhaltlichen Bezüge eine Kategorisierung der Tätigkeitsbereiche in die Bereiche „Kriminalitätskon- 147 trolle“, „Frauen und Gewalt“, „Pflege“, „Offene Altenhilfe“ und „Sonstige“ vorgenommen. Tabelle 5.3.6.3/7: Kenntnisnahme von Gewaltkonstellationen in den Institutionen Tätigkeitsbereich/ Arbeitsfeld Opferhilfe /Kriminalitätskontrolle Bereich und Institution Kenntnisnahme von Einzelfällen Fallkonstellationen, Gewaltformen Weißer Ring72 über Polizei, PPS73, Violetta74 (bei Einverständnis der Betroffenen, Berücksichtigung von Datenschutzbelangen), Straftaten, Gewalt im öffentlichen Raum, ca. 30% der Betroffenen sind Ältere (ca. 30 Fälle pro Jahr), bisher kein einziger Fall von Gewalt in der Familie bei Älteren zur Kenntnis gelangt; im Rahmen von Vorträgen und Angeboten bei Veranstaltungen Hier steht das subjektive Angstgefühl vieler älterer Menschen im Vordergrund StaatsanwaltSchaft Strafantrag Ältere als Opfer von Körperverletzung (selten) Diebstähle, die sich häufig als Irrtümer herausstellen Insgesamt ca. ein Fall pro Monat, in den ältere Menschen involviert sind Waage e.V.75 durch Staatsanwaltschaft und Polizei, Selbstmelder Gebot der Freiwilligkeit der Teilnahme Ab und zu z.B. Telefonterror, Nachbarschaftsstreit; Ältere sowohl als Geschädigte als auch als Beschuldigte; Körperverletzung (Hunde springen alte Leute an) Gewalt im Alter im familiären Bereich (bisher 4 oder 5 Fälle in der mehrjährigen Tätigkeit); Annahme, dass Hemmungen zur Nichtan- 72 Gemeinnütziger Verein zur Unterstützung von Kriminalitätsopfern und zur Verhütung von Straftaten e.V. 73 Präventionsprogramm Polizei/Sozialarbeiter (PPS) Hannover; der Arbeitsauftrag für die SozialarbeiterInnen der Polizei geht auf das Nds. Gefahrenabwehrgesetz (NGefAG) sowie die entsprechende Zuständigkeitsverordnung (ZustVO) zurück, wonach Soforthilfe durch Sozialarbeit im polizeilichen Aufgabenbereich zu leisten sei. 74 Beratungsstelle für sexuell missbrauchte Mädchen, ihre Bezugspersonen und soziale Fachkräfte 75 Täter-Opfer-Ausgleich Waage e.V.; KonfliktberaterInnen bieten Mediationsarbeit im Sinne von Vermittlung zwischen den Parteien bzw. zwischen Täter und Opfer an. 148 Tätigkeitsbereich/ Arbeitsfeld Bereich und Institution Kenntnisnahme von Einzelfällen Fallkonstellationen, Gewaltformen zeige führen Frauen und Gewalt Pflege/ Betreuung Frauenhaus76 seltener Fälle älterer Frauen (führen keine Statistik); melden sich selbst; keine Beratung Dritter; Polizei schickt Frauen Betonung, dass gegen ältere Frauen alle Formen von Gewalt, auch sexualisierte, ausgeübt werden Frauenschutzhaus77 so gut wie keine älteren Frauen (2 Fälle in 15 Jahren) bei Beratung melden sich Dritte (4 Fälle in 15 Jahren) Problem, dass pflege- und hilfsbedürftige Frauen nicht aufgenommen werden können; Gewalt in Zusammenhang mit Hilfsbedürftigkeit MDKN78 nicht offen sichtbar, aber z.B. Beobachtung des Umgangstons weniger körperliche Gewalt, mehr psychische Gewalt; einige Fälle von Vernachlässigung in der Pflege (Unterlassung); Sedierung mit Psychopharmaka; Einschließen und Beschimpfen als Beispiele Sozialzentrum eigene Beobachtungen im Pflegealltag Gewalt durch Angehörige: Bevormundung, Essenszwang, Liebesentzug, verbale Gewalt, Ungeduld, Isolation (Einschließen); körperliche Gewalt (blaue Flecken) sehr selten Diakoniestation Beobachtungen, eigene Wahrnehmungen Gewalt durch pflegende Angehörige: liebloser Umgangston, Pflege wird nicht erweitert, obwohl finanziell möglich, sehr selten körperliche Misshandlung (1 Fall mit Einweisung) Altentreffpunkt Linden- durch MitarbeiterInnen von Sozialstationen, ferner eigene Beobach- alle Formen von Gewalt bis zu körperlicher Gewalt, Eskalation sehr selten (ca. 76 Autonomes Frauenhaus Hannover; Frauen helfen Frauen e.V. 77 Frauen- und Kinderschutzhaus; Verein zum Schutz misshandelter Frauen und Kinder Niedersachsen e.V. 78 Medizinischer Dienst der Krankenversicherungen Niedersachsen 149 Tätigkeitsbereich/ Arbeitsfeld Bereich und Institution Kenntnisnahme von Einzelfällen Fallkonstellationen, Gewaltformen baum79 & Gerontopsychiatrische Fachbegleitung80 tungen einmal pro Vierteljahr); Beispiele: Bevormundung, gepflegt wird nach den Ansichten des Angehörigen Medizinischgeriatrisches Zentrum Hagenhof durch medizinische Diagnostik/Beobachtung, der Nachweis sei allerdings schwer schwierig Druckgeschwüre, eventuell Zeichen nachlässiger Pflege, keine Absicht, Ursache: totale Überlastung von pflegenden Angehörigen, aber auch von Alten ausgehende Gewalt IBF81 über Fortbildungen und Seminare mit Pflegefachkräften „burschikos-autoritäres“ Verhalten von Pflegefachkräften alten Menschen gegenüber, bedingt durch strukturelle Überlastung, Überforderung und Stress Krankenhaussozialarbeit Nordstadt KH eigene Beobachtungen, Meldung durch Ärzte und Pflegepersonal zunehmende Konfrontation mit Gewalt; Gewalt durch pflegende Angehörige; finanzielle Motive führen dazu, dass Pflege nicht abgegeben wird; zunehmend Gewalt unter alten Ehepaaren; PatientInneninteressen werden von BetreuerInnen nicht gewahrt Krankenhaussozialarbeit MHH82 eigene Beobachtungen, Informationen durch andere Institutionen Häufigkeit: nicht regelmäßig, aber mehrfach im Jahr; finanzielle Motive zur Übernahme von Pflege, Gewalt in der Ehe, körperliche Misshandlung im Zusammenhang mit Sucht und Demenz; 79 Altentreffpunkt Lindenbaum für alte Menschen mit seelischen Nöten, Caritasverband Hannover e.V. 80 Gerontopsychiatrische Fachbegleitung für Sozialstationen, Caritasverband Hannover e.V. 81 Innerbetriebliche Fortbildung für Städtische Altenpflegeeinrichtungen der Landeshauptstadt Hannover 82 Medizinische Hochschule Hannover 150 Tätigkeitsbereich/ Arbeitsfeld Bereich und Institution Kenntnisnahme von Einzelfällen Fallkonstellationen, Gewaltformen BetreuerInnen wahren Interessen der PatientInnen nicht Alzheimer Gesellschaft Hannover e.V. Vermutungen im Zusammenhang mit der telefonischen Beratung aggressives Verhalten von Pflege-/Betreuungsbedürftigen Herbst Rose e.V.83 durch Pflegetelefon unzureichende pflegerische Versorgung, Belastungen durch häusliche Pflege, Familienstreitigkeiten mit evtl. Gewaltanteilen; Ängste vor Gewalt im öffentlichen Raum Pflegeheim über Verhaltensänderungen bei alten Menschen; Ausübende äußern sich fast nie Ursachen bei professionellen Pflegekräften wie bei pflegenden Angehörigen: Überforderung und mangelndes Wissen; Entzug von Aufmerksamkeit und Vernachlässigung; Gewalt von HeimbewohnerInnen untereinander; Beispiel: ein Fall von körperlicher Gewalt durch einen Pfleger Amtsgericht84 Betreuungsbegutachtungen, geht in Wohnungen und Einrichtungen Fixierung oder Einschließen im privaten Haushalt; Verdachtsmomente körperlicher Misshandlung, aber die Fälle seien nicht eindeutig (z.B. plausible Erklärungen für blaue Flecken, genaue Dokumentation); ebenso sei finanzielle Ausbeutung aus richterlicher Perspektive schwer zu erkennen 83 Cultur & Concepte für das Alter e.V. Herbst Rose bietet über „Das Pflegetelefon“ eine unabhängige Beratung für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen an. 84 Koordinationsstelle für Vormundschafts- und Familienrecht einschließlich Betreuungen 151 Tätigkeitsbereich/ Arbeitsfeld Offene Altenhilfe Sozialarbeit/ Beratung Bereich und Institution Kenntnisnahme von Einzelfällen Fallkonstellationen, Gewaltformen AWO über Clubleiterinnen85; KassiererInnen der AWO Gewalt im öffentlichen Raum in Altenclubs thematisiert, z.B. Handtaschenraub, Diebstahl; Beobachtung von Verwahrlosung älterer Menschen Kommunaler Seniorenservice86 über ehrenamtliche MitarbeiterInnen beim Partnerbesuchsdienst psychische Gewalt, Generationskonflikte; Schwierigkeiten von Ehepaaren, bei denen ein Partner psychisch verändert ist LAB87 von Arbeitsgruppenleiterinnen Gewalt im öffentlichen Raum thematisiert DRK SeniorInnen nehmen Kontakt auf; z.T. Information über Dritte Beschwerden über Situation im stationären Bereich; Probleme in der Familie; Beschwerden über schlechte Betreuung durch professionell und privat Pflegende Sorgentelefon der städtischen Altenhilfe Vermutungen in Beratungsgesprächen massive Probleme unter Eheleuten, paranoide Beschwerden, Beschwerden von Hausgemeinschaften und über Hausgemeinschaften, Beschwerden über Heime; keine direkte Gewalt thematisiert KSD88 „geschulter Blick“, Beobachtungen im Arbeitsalltag gesellschaftliche Isolation von alten Menschen als Form der Gewalt; direkte Gewalt bei dementiellen Erkrankungen, kein Verständnis für Verhaltensänderungen z.B. bei Ehepaaren; finanzielle Ausbeutung kommt häufig 85 Die Arbeiterwohlfahrt KV Hannover-Stadt e.V. bietet im Rahmen der offenen Altenhilfe in insgesamt 31 Altenclubs vielfältige Angebote an; diese Altenclubs werden jeweils von Clubleiterinnen betreut. 86 ehem. Städtische Altenhilfe der Landeshauptstadt Hannover 87 LANGE AKTIV BLEIBEN- LAB- Lebensabend Gemeinschaft Landesverband Niedersachsen u. Sachsen-Anhalt e.V. Sitz Hannover 88 Kommunaler Sozialdienst der Stadt Hannover (ehemalige Familienhilfe) 152 Tätigkeitsbereich/ Arbeitsfeld Bereich und Institution Kenntnisnahme von Einzelfällen Fallkonstellationen, Gewaltformen vor 89 Sonstige PPS 70% der Klientel durch Polizei, Rest durch Beratungsstellen und Selbstmelder (allgemein) im letzten Jahr zwei Fälle; ältere Menschen wenden sich bei Vereinsamung an PPS, bei Wahnvorstellungen; ferner nach Handtaschenraub Mobile Seniorenbetreuung90 keine Hinweise auf Gewalt Beschwerden über Vernachlässigung durch die Angehörigen, aber keine Benennung als Gewalt SeniorenSchutzBund Graue Panther e.V. Dritte melden sich; häufig Gewalt durch professionelle Pflegekräfte in Heimen, Gewalt durch pflegende Angehörige (finanzielle Motive), Betreuungseinrichtung aufgrund finanzieller Motive Seniorenbeirat der LH Hannover durch Anrufe/Beratung von Betroffenen und Dritten; durch Besuche in Heimen Überforderung von pflegenden Angehörigen, Vernachlässigung, Gewalt von SeniorInnen gegen Angehörige; Angst in der Öffentlichkeit ÄMMA e.V.91 Bericht von Betroffenen; Gesprächsthema Angst in der Öffentlichkeit; schlechte Beziehungen zu Kindern Notfunkdienst Niedersachsen e.V. Anrufe von Betroffenen in 3 Jahren etwa 1-3 Mal Einzelfall: Streit in der Familie, Notfunkdienst sollte Polizei rufen; manchmal: Angst vor Einbrüchen 89 Präventionsprogramm Polizei/Sozialarbeiter (PPS) Hannover 90 Ein Angebot des DPWV (DER PARITÄTISCHE WOHLFAHRTSVERBAND). 91 Älterwerden und Mitmachen. Ein Verein, der Angebote im Bereich Freizeit-Bildung-Kultur für Ältere anbietet. 153 Reaktionen der Institution/Person in Fällen von Gewalt gegen Ältere Auch bei den Antworten zu dieser Frage und der folgenden wurde aus Gründen der Übersichtlichkeit und der inhaltlichen Bezüge eine Zusammenfassung der zentralen Aussagen nach relevanten Bereichen vorgenommen. Hier erschien eine Gliederung in die Bereiche „Betreuung“, „Pflege“ und „Gewalt im öffentlichen Raum/Straftaten“ am sinnvollsten. Tabelle 5.3.6.3/8: Interventionsstrategien bei Gewalt im Alter Bereich Institutionelles Vorgehen Betreuung - Empfehlung an Betreuungsstelle (Einrichtung, Modifikation oder Beendigung der entsprechenden Betreuungsverhältnisse) - Überprüfung von Betreuung anregen - Klärung der Situation, Ursachensuche - Gespräche mit pflegenden Angehörigen suchen - Suche nach Entlastungsmöglichkeiten, z.B. weitere professionelle Unterstützung - Vermittlung von alternativen Verhaltensweisen - Bewusstsein über Gewaltförmigkeit eigenen Handelns vermitteln - Behandlung der Folgen (medizinisch) - in Extremfällen: Arzt einschalten, Krankenhauseinweisung, Information an Pflegekassen, Vormundschaftsgericht, Auflösung der Pflegebeziehung durch Ablösung des gewalttätigen Pflegers - Aufklärungsarbeit - Begleitung und Unterstützung von Opfern - bei Anzeige von Älteren wird Strafantrag gestellt - Ermessensspielräume, Einzelfallbezug Pflege Gewalt im öffentlichen Raum/ Straftaten Gewalt gegen Frauen 154 - Vermittlungsangebote machen - Beratung - Aufnahme ins Frauenhaus - Weitervermittlung Kooperationen/Zusammenarbeit in Fällen von Gewalt gegen Ältere Tabelle 5.3.6.3./9: Kooperationspartner der Institutionen bei Gewaltkonstellationen Bereich Kooperationspartner Betreuung - Vormundschaftsgericht, Betreuungsstelle Pflege - ÄrztInnen - Pflegedienste/Pflegedienstleitungen - PastorInnen/Kirchengemeinden - Polizei - Altentreffpunkt Lindenbaum e.V. - Heimaufsicht Gewalt im öffentlichen Raum/ Straftaten - Polizei - Waage e.V. - PPS - Weißer Ring e.V. - HaIP92 - Staatsanwaltschaft - RechtsanwältInnen Zugangsmöglichkeiten aus ExpertInnensicht zu Betroffenen von Gewalt Die Schwierigkeit des Zugangs zu älteren von Gewalt betroffenen Menschen und deren Hemmschwelle, über Gewalterlebnisse im persönlichen Nahraum zu sprechen, wurde allgemein von den ExpertInnen betont. Insbesondere wurden diese Zugangsschwierigkeiten in den Fällen gesehen, in denen die Betroffenen pflegebedürftig und eventuell gar nicht in der Lage sind, aus Eigeninitiative aktiv Kontakt aufzunehmen. Der Titel des Modellprojekts könnte nach Einschätzung der ExpertInnen den Zugang zu Betroffenen noch zusätzlich erschweren, da dieser „abschreckend“ auf die entsprechenden Zielgruppen wirke. Das Projekt müsse diesen in der Arbeit bzw. in seinen Angeboten dann zunächst relativieren, erklären und „entschärfen“, damit die Zielgruppen die Angebote in Anspruch nehmen. 92 Hannoversches Interventionsprojekt gegen Männergewalt in der Familie (HaIP); dieses Projekt wurde vom Runden Tisch „Männergewalt in der Familie“ unter der Leitung vom Referat für Gleichstellungsfragen – Frauenbüro der Landeshauptstadt Hannover im März 1996 konzipiert und begründet. 155 Als fundamentale Voraussetzung für den Zugang zu den verschiedenen Zielgruppen wurde die Erarbeitung einer Vertrauensbasis genannt. Der Zugang zu Pflegebedürftigen ist ihrer Wahrnehmung nach am besten über Dritte, die wiederum Zugang zu diesem Personenkreis haben, zu realisieren (z.B. ÄrztInnen, PastorInnen, Gemeindeschwester, Pflegedienst, NachbarInnen, Bekannte, FreundInnen). Bei den pflegenden Angehörigen und professionellen Pflegekräften sei es hilfreich, Reflexionsmöglichkeiten anzubieten, ohne gleichzeitig Schuldzuweisungen vorzunehmen. Bei den betroffenen SeniorInnen sei es notwendig, diese direkt vor Ort anzusprechen und die Arbeit und Angebote des Projekts vorzustellen (z.B. Stadtteilveranstaltungen, Vorträge, Altenclubs) sowie die schon existierenden Zugangsmöglichkeiten aufzugreifen und die lokalen Medien zu nutzen (Wochenblätter, Broschüren, Gemeindebriefe). Hindernisse, die dazu führen, dass Hilfen nicht in Anspruch genommen werden Aus Sicht der ExpertInnen führen eine Vielzahl von Gründen dazu, dass die Betroffenen bei Gewalterleben keine Hilfen in Anspruch nehmen. Hindernisse bei SeniorInnen seien häufig Unkenntnis über Möglichkeiten und Angebote, Hemmschwellen Ämtern und Behörden gegenüber und Artikulationsschwierigkeiten. Weiterhin führten ein fehlendes Bewusstsein für die Gewaltförmigkeit des Erlebten, Ängste, nicht ernst genommen zu werden, und Isolation/Zurückgezogenheit der Betroffenen dazu, dass keine Hilfen aufgesucht werden. Es komme aber auch vor, dass die Betroffenen selbst keinen Änderungsbedarf sähen oder bereits resigniert hätten. Hinzu komme erschwerend, dass Gewalt im häuslichen Bereich noch immer ein Tabuthema sei und Schamgefühle und Hemmungen dazu führten, dass nicht darüber gesprochen werde. Häufig werde das Verhalten von Angehörigen von den Betroffenen entschuldigt, und Ängste vor negativen Konsequenzen (Abhängigkeitsverhältnisse, Zunahme von Gewalt) verhinderten die Einschaltung Dritter. Bei den pflegenden Angehörigen sei ein zentrales Grundproblem, dass es keine parallelen Betreuungsmöglichkeiten für Pflegebedürftige während der Teilnahme an Gesprächskreisen und anderen Veranstaltungen gebe. In Fällen von extremen Belastungssituationen, in denen es zu Grenzüberschreitungen komme, gerieten sie in einen Konflikt mit den eigenen karitativen Ansprüchen, und dieser verhindere häufig das Eingeständnis der Gewaltförmigkeit des eigenen Verhaltens. Weiterhin 156 würden pflegende Angehörige unter starken Schuld- und Versagensgefühlen leiden; ferner führten Ängste vor „Anklagen“ und Schuldzuweisungen von Dritten dazu, dass keine professionellen Hilfen aufgesucht würden. Bei professionellen Pflegekräften komme die Angst vor beruflichen Konsequenzen hinzu, wenn Dritte Kenntnis von gewalttätigen Handlungen erlangen. Präventionsmaßnahmen gegen Gewalt im Alter aus Sicht der Befragten Allgemein wurde von den ExpertInnen die Notwendigkeit von Öffentlichkeitsarbeit und Sensibilisierung der Öffentlichkeit zum Thema „Gewalt gegen Ältere“ betont. Es sei wichtig, ältere Menschen stärker in die Gesellschaft zu integrieren, ihre Selbständigkeit zu unterstützen, ihr Selbstwertgefühl und ihre sozialen Beziehungen zu stärken. Ein wichtiger Schritt sei es auch, die Auseinandersetzung mit Alter und möglicher Pflegebedürftigkeit zu fördern und die Konstellation der familiären Pflege nicht als Selbstverständlichkeit wahrzunehmen. Für pflegende Angehörige sei eine umfassende Beratung bereits vor Übernahme der Pflege und während dieser nötig. Sie sollten ausreichend über die entsprechenden Krankheitsbilder sowie über allgemeine Leistungen und Ansprüche (z.B. Pflegeversicherung) informiert werden. Von einigen ExpertInnen wurden Überlegungen formuliert, Pflegekurse für Angehörige verpflichtend zu machen und den Bereich der häuslichen Pflege stärker zu kontrollieren. Weiterhin wurde die Notwendigkeit von Entlastungsangeboten und praktischer Unterstützung (mehr Kurzzeitpflegemöglichkeiten, psychosoziale Unterstützung) für pflegende Angehörige betont. Einige ExpertInnen äußerten ferner, dass die Leistungen im Rahmen der Pflegeversicherung zur Entlastung von pflegenden Angehörigen erweitert werden müssten. Auch für professionelle Pflegekräfte seien Entlastungsangebote und eine stärkere Vernetzung der professionellen Anbieter notwendig. Ebenso sei eine Verbesserung der Qualifikationen (stationärer und ambulanter Bereich, BerufsbetreuerInnen) und eine bessere finanzielle Ausstattung im Rahmen der Gewaltprävention nötig. Im Rahmen der institutionellen Pflege wurde die derzeitige Begutachtungspraxis von Heimen in Frage gestellt und eine andere („neutrale“) Gestaltung der Heimaufsicht angesprochen. 157 Umgang mit akuten Gewaltsituationen aus Sicht der ExpertInnen Aus Sicht der ExpertInnen sollten den Betroffenen psychosoziale Beratungsangebote gemacht werden. Grundsätzlich könne man den Betroffenen Hilfen und Unterstützung nur anbieten; die Entscheidung, diese anzunehmen, müssten sie selbst treffen. In Extremfällen seien jedoch auch andere Schritte angemessen, wie zum Beispiel die räumliche Trennung der Betroffenen, Anzeigeerstattung und Einleitung von Strafverfolgungsmaßnahmen, Benachrichtigung der Heimaufsicht und Information der Öffentlichkeit. Aufgaben für das Modellprojekt und sinnvolle Schwerpunktsetzungen aus ExpertInnensicht Als eine besonders wichtige Aufgabe des Modellprojekts wurde von den ExpertInnen der Bereich der Öffentlichkeitsarbeit genannt. Zum einen sei die Aufklärung der Öffentlichkeit über die Problematik „Gewalt gegen Ältere bzw. im Alter“ notwendig, um eine gesellschaftliche Diskussion zu ermöglichen, und zum anderen sei gezielte Öffentlichkeitsarbeit erforderlich, um das Projekt selbst bekannt und transparent zu machen. Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit seien insbesondere gezielte „Aktionen“, z.B. in Form von Veranstaltungen im Stadtteil, nötig ferner die Schulung von MultiplikatorInnen zur Thematik „Gewalt gegen Ältere“. Von einigen Befragten wurde auch die Notwendigkeit von Politischer Arbeit/Lobbyarbeit des Modellprojekts betont; dabei wurde u.a. an Einwirkungen auf die Pflegekassen, die momentane Organisation der MDK-Begutachtungen und die Ausbildungsinhalte von Pflegekräften gedacht. Im Rahmen der konzeptionellen Aufgaben sollten übertragbare Konzepte (auf andere Stadtteile, auf andere Städte) mit klaren Zielvorgaben entwickelt werden. Gleichzeitig sollten die Konzepte ausreichend flexibel sein; hier wurde beispielsweise an eine Erweiterung des Zuständigkeitsbereiches durch Einbezug von Gewalt in Institutionen und im öffentlichen Raum gedacht. Wichtig sei es auch, eine theoretische und fachliche praxisbezogene Auseinandersetzung mit dem Phänomen Gewalt gegen Ältere und theoretische Analysen zum Thema zu erarbeiten. Im Rahmen der Beratungsarbeit sollte das Projekt die entsprechende Fachlichkeit bieten, Vertrauenswürdigkeit und Glaubwürdigkeit vermitteln und im Einzelfall in Kooperation mit allen Beteiligten stehen. Bei der Beratung solle aktiv auf Betroffene zugegangen, Beratung vor Ort (z.B. 158 auch Hausbesuche) angeboten werden und Erreichbarkeit sichergestellt sein. Ein wichtiger Bereich der Beratungsarbeit liege an der Schnittstelle von stationärer zu ambulanter Pflege. In der konkreten Beratungsarbeit seien als Grundsätze die Gewährleistung von Parteilichkeit und Anonymität und die Achtung des Selbstbestimmungsrechtes der Betroffenen zu nennen. An weiteren möglichen Angeboten wurden Kurse für pflegende Angehörige, Entlastungsangebote für Angehörige und professionelle Pflegekräfte und die Organisation ehrenamtlicher Unterstützung erwähnt. Eine mögliche Aufgabe des Modellprojekts wurde von den ExpertInnen in der Funktion einer „zentralen Vermittlungsstelle“ für Betroffene und Professionelle gesehen. In dieser Funktion sollte es die Übersicht über das in Hannover vorhandene Angebot für SeniorInnen, pflegende Angehörige und Professionelle haben, Kontakte zwischen den Anbietern herstellen und im Einzelfall eine kompetente Vermittlung ermöglichen. Berufsgruppen, die nach Ansicht der Befragten in den ExpertInnenteams vertreten sein sollten Es folgt eine Auflistung der am häufigsten genannten Berufs- und Personengruppen, die von den befragten ExpertInnen für die vom Modellprojekt geplanten ExpertInnengruppen in den Stadtteilen genannt wurden: Ältere, die Gewalt erlebt haben, Pflegefachkräfte, ÄrztInnen/MedizinerInnen, pflegende Angehörige, gerontopsychiatrische Stationen, SozialarbeiterInnen (z.B. KSD), Polizei/KontaktbeamtInnen, JuristInnen, Kirchengemeinden, SeelsorgerInnen, ApothekerInnen sowie PolitikerInnen. ExpertInnenratschläge für die Arbeit des Modellprojekts Bei der Frage, welche Tipps und Ratschläge sie dem Modellprojekt gerne geben würden, wurde von vielen ExpertInnen betont, dass ein sensibler Umgang mit der Thematik und eine vorsichtige Handhabung des Gewaltbegriffes wichtig seien. Von mehreren ExpertInnen wurde der Wunsch geäußert, dass die Definition des Begriffs „Persönlicher Nahraum“ noch einmal überdacht und eventuell zumindest auf den institutionellen Bereich ausgedehnt werden sollte. Des Weiteren wurde angeregt, dass sich die MitarbeiterInnen zunächst intensiv mit dem Bereich der Pflege auseinandersetzen, bevor sie in diesem Bereich Beratung anbieten. Sie sollten versuchen, sich in die 159 Rollen von Pflegenden und Pflegebedürftigen hineinzuversetzen und vielleicht selbst einmal Pflegetätigkeiten ausüben. Zudem solle eine Reduktion älterer Menschen auf eine Opferrolle sowohl in der konkreten Beratungs- als auch in der Öffentlichkeitsarbeit vermieden werden. Möglichkeiten der eigenen Zusammenarbeit mit dem Modellprojekt Grundsätzlich war für viele ExpertInnen eine Kooperation mit dem Modellprojekt vorstellbar, für die konkrete Gestaltung seien dann Gespräche und Absprachen nötig. Die für die befragten ExpertInnen vorstellbaren Formen der Zusammenarbeit mit dem Modellprojekt umfassten mehr oder weniger das gesamte Spektrum potentieller Kooperationen (z.B. Teilnahme an den in den Stadtteilen geplanten Expertenteams, fachlicher Austausch, Planung und Durchführung gemeinsamer Veranstaltungen, Falldelegation, Zusammenarbeit in Einzelfällen) und sollen an dieser Stelle nicht im Detail aufgelistet werden. Nach Meinung der ExpertInnen für das Modellprojekt bedeutsame Kooperationspartner Auf die Frage, welche Kooperationspartner ihrer Meinung nach für das Modellprojekt wichtig sind, wurde eine Vielzahl von Institutionen und Einrichtungen in Hannover genannt, so dass hier eine Auflistung nahezu sämtlicher Angebote im medizinisch-pflegerischen, psychosozialen und sozioökonomischen Bereich erfolgen könnte. Auffällig war vor allem die häufige Nennung von Altenheimen, obwohl von den Interviewerinnen zuvor der Zuständigkeitsbereich (Gewalt im persönlichen Nahraum) des Projekts erläutert worden war. 5.3.7 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Die für die Planung des Modellprojekts zentralen Ergebnisse wurden dem Team möglichst umgehend zur Verfügung gestellt. Die Auswertung und Ergebnisdarstellung der durchgeführten qualitativen Interviews erfolgte dabei nach der Relevanz der erhobenen Informationen für das Modellprojekt. Bei der Befragung der SeniorInnen zeigten sich in den in dieser Stichprobe vorhandenen Untergruppen insbesondere in Bezug auf „Gewalt 160 gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ deutliche Differenzen in der Wahrnehmung dieses Phänomens. Einerseits kristallisierte sich eine Untergruppe von SeniorInnen heraus, die keine Erfahrungen mit der Problematik gemacht hatte, sich eine eigene Betroffenheit nur schwer vorstellen konnte und dieser Problematik wenig aufgeschlossen gegenüber stand. In dieser Gruppe wurde vorwiegend geäußert, dass genügend Angebote für Krisensituationen in Hannover vorhanden seien. Es wurden in der Antizipation von Viktimisierungen andere Reaktionen beschrieben (Gegenwehr, Einschalten von Polizei, RechtsanwältIn, ÄrztIn etc.) als von den tatsächlich Betroffenen, die in der Regel keine Unterstützung bei vorhandenen Diensten und Institutionen gesucht hatten. Die tatsächlich Betroffenen berichteten in einer erstaunlichen Offenheit über die von ihnen erlittenen Viktimisierungen. Bei dieser Gruppe ist zu berücksichtigen, dass die Interviewbereitschaft auf persönlichen Kontakten einer Interviewerin beruhte. Diese Interviewerin hatte den Eindruck, dass gerade die Thematik „Gewalt gegen Ältere“ und die eigene Betroffenheit und das Bedürfnis, über diese Erlebnisse zu sprechen, die Motivation zur Teilnahme auslösten. Bei den Betroffenen wurde einerseits das Bedürfnis nach Unterstützungsangeboten deutlich, andererseits wurden vorhandene Angebote nicht in Anspruch genommen. Die Ursachen bzw. Gründe für diese „Einstellungs-Verhaltens-Diskrepanz“ konnten die Betroffenen nicht benennen. Der Zugang zu pflegenden Angehörigen gestaltete sich schwierig, obgleich dieser Gruppe gegenüber der Begriff der Gewalt sehr vorsichtig gehandhabt wurde. Bei den InterviewpartnerInnen waren jedoch die Bereitschaft, über „gewaltförmige Erlebnisse“ im Rahmen der Pflegesituation zu sprechen, sowie die Offenheit, mit der über diese Erlebnisse gesprochen wurde, groß. Auch hier spiegelte sich eine gewisse „Einstellungs-Verhaltens-Diskrepanz“ wider. Es wurden Gesprächs- und Angebotsbedarf geäußert, vorhandene Gesprächskreise jedoch eher spärlich in Anspruch genommen. Ein zentraler Gesichtspunkt bei Angeboten für pflegende Angehörige ist die fehlende Versorgung der Pflegebedürftigen während dieser Zeiträume, so dass parallele Angebote für Pflegende und Gepflegte eine wichtige Voraussetzung für die Inanspruchnahme darstellen können. Pflegende Angehörige äußerten häufig den Wunsch, „auch einmal aus der Pflege rauszukommen“ im Sinne von „Zeit für die eigenen Bedürfnisse haben“. Dieses Bedürfnis wird nicht unbedingt in den Gesprächskreisen für pflegende Angehörige befriedigt, da auch hier die 161 Pflege im Mittelpunkt steht. Weiterhin wurde deutlich, dass eine Vorbereitung auf die Übernahme der Pflege in Form von Beratungs- und Unterstützungsangeboten selten stattfindet. Bei den ExpertInnen zeigte sich insgesamt ein ausgeprägtes Interesse an dem Modellprojekt und eine Kooperationsbereitschaft, die im Einzelfall konkreter erarbeitet werden müsste. Nach Einschätzung der Interviewerinnen wurde das Projekt von den in der Befragung vertretenen ExpertInnen nicht als Konkurrenz zu eigenen Angeboten wahrgenommen. Bei den meisten zeigte sich das Bedürfnis, konkretere Informationen hinsichtlich der Aufgabenbereiche und geplanten Angebote des Projekts zu erhalten. Der von den ExpertInnen gesehene Bedarf an Angeboten und die damit verbundenen Vorstellungen über mögliche Aktivitäten des Projekts wurden vor dem Hintergrund der eigenen beruflichen Tätigkeit formuliert. Die im Bereich der Pflege tätigen ExpertInnen wünschten sich vor allem Entlastungsangebote für die eigene Tätigkeit und Entlastungs- bzw. Beratungsangebote für pflegende Angehörige. Die ExpertInnen aus dem Bereich der offenen Altenhilfe wünschten sich vom Modellprojekt eine Erweiterung des Zuständigkeitsbereiches auf den Bereich der „Gewalt gegen Ältere im öffentlichen Raum“, da dieser aus ihrer Perspektive nicht vernachlässigt werden sollte. Ebenso wurde von ExpertInnen aus verschiedenen Tätigkeitsfeldern der Einbezug der „Gewalt gegen Ältere in Institutionen“ als notwendige Erweiterung des Zuständigkeitsbereiches dargestellt. Diese unterschiedlichen Anforderungen an das Modellprojekt spiegeln nicht nur professionenspezifische Interessen wider. Sie verweisen auch auf die Vielzahl von Gewaltkonstellationen, die unter dem Begriff „Gewalt gegen Ältere“ zusammengefasst sind. Es ist notwendig, diese Konstellationen differenziert zu betrachten (vgl. Kapitel 1.2.3-1.2.5). Von den befragten ExpertInnen wurden auch Gewaltkonstellationen genannt, in denen Frauen Opfer familiärer Gewalt sind, insbesondere von 93 Gewalt in der Ehe . Es scheint jedoch, dass spezialisierte Hilfeangebote für Frauen, die Opfer von Gewalt in der Ehe werden, älteren Frauen kaum bekannt sind und von ihnen nicht oder nur unzureichend genutzt werden. Die in der offenen Altenarbeit tätigen ExpertInnen gingen in ihren Schilderungen weniger auf erlebte Gewalt als auf das subjektive Sicherheitsgefühl (Viktimisierungsfurcht) der SeniorInnen ein. Problematisch 93 Zu diesem Komplex vgl. AITKEN & GRIFFIN (1996), DELOREY & WOLF (1993), JACK (1994), LUPRI (1993), WHITTAKER (1995). 162 wurden diesbezüglich von SeniorInnen zum einen der öffentliche Raum, aber auch das direkte Wohnumfeld, z.B. die Nachbarschaft, gesehen. Die verschiedenen Gewaltkonstellationen erfordern je spezifische Ansätze zur Prävention und Intervention. So wenig, wie es eine Ursache von Gewalt gegen alte Menschen gibt, so wenig kann es eine Lösung für das Problem geben. Es bietet sich an, spezielle Programme in Zusammenarbeit mit den ExpertInnen zu den Themenbereichen zu entwickeln und umzusetzen. Die bereits erarbeiteten Interventions- und Präventionsansätze in den Bereichen Gewalt in der Familie (dabei insbesondere Gewalt gegen Frauen), Gewalt im öffentlichen Raum und Gewalt in der Pflege können eine wichtige Ausgangsbasis für Maßnahmen im Bereich Gewalt gegen Ältere sein. Aus der Sicht der ExpertInnen gestaltet sich der Zugang zu Betroffenen grundsätzlich äußerst schwierig; eher erschwerend wirke dabei der Titel des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“. Aus Sicht der ExpertInnen müsse der Begriff „Gewalt“ in der konkreten Arbeit von den MitarbeiterInnen äußerst vorsichtig und sensibel gehandhabt werden. In Bezug auf die geplante Vernetzung des Modellprojekts wurde von einigen ExpertInnen geäußert, dass in Hannover bereits eine recht weitgehende Vernetzung der Angebote vorliege und sich bei vielen ExpertInnen inzwischen eine gewisse „Vernetzungsmüdigkeit“ eingestellt habe, so dass eine zusätzliche Vernetzung und die Bildung weiterer Gremien nicht zweckdienlich wären; sinnvoller erscheine es unter diesen Bedingungen, die bereits vorhandenen Netzwerke zu nutzen (vgl. Kapitel 6.2.5.1.2). Die verschiedenen oben genannten Gewaltkonstellationen sollten auch im Rahmen der Kooperation und der geplanten Vernetzung des Modellprojekts Berücksichtigung finden. Dies bedeutete für das Modellprojekt eine aktive Einbindung von Institutionen aus den Bereichen Pflege, alte Menschen, Kriminalitätskontrolle, familiäre Gewalt und Gewalt gegen Frauen. 163 6 Die evaluative Phase der Begleitforschung 6.1 Überblick Mit dem Ende der präevaluativen Phase im Februar/März 1999 konnte die Planungsphase des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ abgeschlossen werden. Auf der Grundlage der Konzeptionen des Modellprojekts modifizierte die Begleitforschung ihr Forschungskonzept für die evaluative Phase. Auch in der evaluativen Phase gab es einen Rückfluss von Ergebnissen der Begleitforschung an das Modellprojektteam, wenngleich der Schwerpunkt sich auf die Evaluationsforschung im engeren Sinne, d.h. die Erfassung der Effekte und Effektivität ausgewählter Projektmodule, konzentrierte (s. Kapitel 3.4.2). Die Evaluation konzentrierte sich auf die Wahrnehmung und Bewertung einzelner Maßnahmen, ihrer unmittelbaren Ergebnisse und längerfristigen Effekte durch Adressaten und ProjektmitarbeiterInnen. Dies betraf vor allem die Projektbereiche Beratung, Öffentlichkeitsarbeit, Vernetzung des Modellprojekts und Integration in vorhandene Strukturen, Stadtteilarbeit (dezentrale Beratung, Gründung von Arbeitsgemeinschaften „Gewalt im Alter“) sowie Entwicklung und Durchführung von Fortbildungsangeboten, Veranstaltungen und MultiplikatorInnenschulungen. Im Folgenden werden die zentralen Arbeitsschritte in der evaluativen Phase kurz skizziert. Die Beratung des Modellprojekts im Rahmen der telefonischen Beratung am Krisen- und Beratungstelefon und der faceto-face-Beratung wurden einer umfassender Fallanalyse auf der Grundlage der in der präevaluativen Phase entwickelten Fallerfassungsinstrumente unterzogen, für alle Beratungen war eine teilstandarisierte Evaluation der Beratung durch parallelisierte Fragebögen für BeraterInnen und KlientInnen vorgesehen, in ausgewählten Fällen konnten vertiefende qualitative Interviews mit Fallbeteiligten geführt sowie teilnehmende Beobachtungen bei Beratungen durchgeführt werden. Die Öffentlichkeitswirksamkeit des Modellprojekts wurde mit einer Repräsentativbefragung von Hannoveraner BürgerInnen ab 35 Jahren untersucht. Der Bereich Fortbildung und Veranstaltungen sowie die Vernetzung des Modellprojekts in Hannover und insbesondere in den drei ausgewählten Stadtteilen, in denen das Modellprojekt tätig war, wurden durch teilnehmende Beobachtungen, Interviews mit ProjektmitarbeiterInnen sowie Befragungen von Netzwerkwerkmitgliedern, KooperationspartnerInnen und VeranstaltungsteilnehmerInnen erfasst. Im Stadtteil Ricklingen-Mühlenberg wurde in Interviews mit ehrenamtlichen 164 MitarbeiterInnen und NutzerInnen der von den ProjektmitarbeiterInnen konzipierte Häusliche Unterstützungsdienst für pflegende Angehörige (HUD) evaluiert. Des Weiteren wurden andere bundesweite Initiativen und ausländische Einrichtungen, die Vermeidung und Kontrolle von Gewalt gegen ältere Menschen als ihren Aufgabenbereich verstehen, untersucht. 6.2 Untersuchungen zu Arbeitsbereichen des Modellprojekts und zu Effekten der Tätigkeit des Modellprojekts 6.2.1 Beratungskonzepte des Modellprojekts 6.2.1.1 Allgemeine Beratungsgrundsätze In einer Reihe von Seminaren, Workshops und Gruppengesprächen wurden die Beratungsansätze des Modellprojekts diskutiert und entwickelt. Drei jeweils zweitägige Curricula wurden von allen MitarbeiterInnen besucht. Sie wurden in Absprache zwischen einem Bildungsträger und dem Modellprojekt entwickelt, auf die spezifischen Bedürfnisse des 94 Modellprojekts abgestimmt und vom Bildungsträger durchgeführt . Themen der Fortbildungen waren Kommunikation mit Menschen in Be95 96 lastungssituationen , gerontopsychiatrisches Fachwissen und Ag97 gression und Gewalt im Umgang mit Älteren . Speziell auf die Bedürfnisse der MitarbeiterInnen des Teams war eine Fortbildung zum Thema 98 Umgang mit Aggression und Gewalt zugeschnitten . Einzelne MitarbeiterInnen besuchten zudem im Projektverlauf Fortbildungen, Vorträge und Tagungen rund um das Thema Beratung und vermittelten ihre 99 Kenntnisse innerhalb des Beratungsteams weiter . Es erfolgten im Projektverlauf Begriffs- und Konzeptklärungen für den Hilfeansatz. Die Ausdifferenzierung des Hilfeansatzes in Beratung, Begleitung und Un- 94 Ursprünglich waren die Fortbildungen auch für die Mitglieder der zu gründenden ExpertInnenteams in den Stadtteilen (vgl. Kap. 6.2.6) geplant. Deren Aufbau dauerte jedoch länger als erwartet, so dass nur eine Person aus diesem Kreis teilnahm. 95 20.-21.1.1999. 96 11.-12.3.1999. 97 18.-19.2.1999. 98 7.12.1998; Themen waren Wahrnehmung und Benennung von Aggressionen, Umgang mit Aggressionen und mögliche Veränderungen, Kommunikation im Team, Gewalt gegen alte Menschen in den Medien und Beratungsethik. 99 Themen waren beispielsweise Gesprächsführung mit älteren Menschen (Besonderheiten, Standards, Möglichkeiten), Einführung in die gewaltfreie Kommunikation, Beratung in der Sozialen Arbeit, Suizidalität im Alter und Integrative Validation. 165 100 terstützung wurde entwickelt und Besonderheiten in der Beratung älterer Menschen erarbeitet. In den verschiedenen Berichten und Veröffentlichungen des Modellprojekts finden sich weitere Ausführungen dazu (LANDESHAUPTSTADT HANNOVER 1998, 1999, 2000, 2001), auf die hier verwiesen sei. Die BeraterInnen bezogen sich je nach individueller Hintergrundausbildung auf Beratungsansätze aus der systemischen Familientherapie und der nondirektiven Gesprächstherapie nach ROGERS (1972; 1973). Neben bei Bedarf durchgeführten Fallbesprechungen im Team gab es im Rahmen der Supervision die Möglichkeit, schwierige Fragen zu Beratungssituationen zu diskutieren. Für die Beratung im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons gelten die allgemeinen Beratungsgrundsätze. Die telefonische Beratung stellt allerdings spezifische Herausforderungen. Die Konzeption der telefonischen Beratungsarbeit ist im nächsten Kapitel dargestellt. Um eine konkretere Vorstellung vom Vorgehen der BeraterInnen des Modellprojekts zu bekommen, führte die wissenschaftliche Begleitung im Dezember 1999 eine schriftliche Befragung der Team-Mitglieder und ein Gruppengespräch zu Beratungsgrundsätzen durch. Wesentliche Befunde der schriftlichen Befragung werden im Folgenden, wesentliche Befunde der Gruppendiskussion dann in Kap. 6.2.1.3 vorgestellt. Ein Ergebnis war, dass jeder Fall grundsätzlich als individueller Fall betrachtet werde. Differentielle Interventionsansätze für verschiedene Fall101 typen seien nicht abzuleiten . Die Interventionen würden jeweils individuell auf der Grundlage der allgemeinen Beratungsgrundsätze des Projektes und des persönlichen professionellen Hintergrundes gestaltet. Somit ließen sich keine Heuristiken für die Beratung und Intervention entwickeln und beschreiben. Die Vorgehensweisen seien primär durch 100 Beratung ist in diesem Verständnis ein im Vergleich zu Begleitung stärker problemlösungsund zielorientierter Prozess; sie findet als Dialog zwischen BeraterIn und KlientIn statt und hat die Motivation von KlientIn und BeraterIn zur Voraussetzung. Begleitung wird dagegen verstanden als Hilfe beim Aushalten eines Problems (Halt geben) und als Bereitschaft, als langfristiger Gesprächspartner zur Verfügung zu stehen und emotionale Sicherheit zu vermitteln, ohne dass lösungsorientiertes Handeln im Hinblick auf das Problem stattfindet. Unter Unterstützung verstanden die BeraterInnen die konkrete Vermittlung von Informationen, die Hilfe bei der Umsetzung von Problemlösungen und praktische Unterstützung wie z.B. bei der Organisation von Hilfen und beim Verfassen von Briefen. Die Entscheidung, ob Beratung oder Begleitung stattfindet, hängt von Auftrag und Wünschen der KlientInnen sowie der wahrgenommenen grundsätzlichen Veränderbarkeit der Problemsituation ab. 101 Ansätze zu einer Typenbildung finden sich allenfalls in den Aussagen, dass bei Gewalt in der Pflege Ressourcen und Entlastungsmöglichkeiten wichtig, bei eingeschränktem Selbstbestimmungskapazitäten der KlientInnen möglicherweise eine direktivere Vorgehensart notwendig seien. 166 102 vorherige Ausbildungen und Berufserfahrungen sowie gemeinsame Fortbildungsveranstaltungen und Diskussionen bedingt. Die Beratung könne in Form von Einzelberatung, Paarberatung bzw. Familienberatung stattfinden; die Frage der Hinzuziehung von anderen Problembeteiligten sei primär von den Wünschen der KlientInnen abhängig. In einigen Fällen könne es im Rahmen einer Einzelberatung vorkommen, dass die BeraterIn der KlientIn den Vorschlag unterbreite, weitere betroffene Personen in die Beratung einzubeziehen. In der Beratung eines betroffenen „Systems“ (Paar, Familie) sei Neutralität gegenüber allen KlientInnen eine zentrale Voraussetzung für eine erfolgreiche Beratung; hier sei ein wichtiger Schritt, die Beteiligten für die Wahrnehmung und das Erleben der anderen Beteiligten zu sensibilisieren. Die Ergebnisse der schriftlichen Befragung sind geeignet, die formulierten Beratungsgrundsätze aus der Sicht der einzelnen BeraterInnen zu veranschaulichen. Sie vermögen einen Überblick über kritische Fragestellungen im Rahmen des Beratung des Modellprojekts zu geben. Es handelt sich um die zusammenfassende Darstellung von Einzelstatements. Aussagen über die Beratungsansätze aller BeraterInnen sind hier nicht möglich. Grenzen der Zuständigkeit Die Anforderung, Prävention und Intervention im Bereich Gewalt im Alter zu leisten, stellte die BeraterInnen in Einzelfällen immer wieder vor schwierige Entscheidungen. Wann liegt eine Gefährdung vor? Wann handelt es sich um gewalt-präventive Beratung? Welche Fälle gehören eindeutig nicht mehr in den Zuständigkeitsbereich des Modellprojekts? Die Ermessensspielräume sind groß. Von den BeraterInnen wurde zum einen darauf hingewiesen, dass bei der Kontaktaufnahme ein weit gefasstes Zuständigkeitsverständnis vorliegen müsse, um Hilfebedarf diagnostizieren und mögliche Hilfen einleiten zu können. Zudem eröffne eine zunächst breite Zuständigkeit den Blick für dahinterliegende Problematiken; es komme vor, dass KlientInnen sich zunächst mit Fragen an das Projekt wenden, die außerhalb des Zuständigkeitsbereichs zu liegen scheinen, tatsächlich die KlientInnen aber diese Fragestellungen nur als Anknüpfungspunkt der Beratung nutzten. Als außerhalb der Zuständigkeit liegend wurden benannt: rechtliche Beratung ohne Gewaltkonstellation, Beratung im Hinblick auf rein organisatorische Fragen bzgl. Versorgung oder Pflege, Beratung außerhalb des Lebenskontextes älterer Menschen, Beratung bei Konflikten mit Institutionen sowie Fälle, in denen über Beratung hinaus therapeutischer Bedarf erkennbar 102 Ein Berater hat eine Ausbildung in systemischer Beratung, Familientherapie und Supervision, und eine Beraterin hat eine Ausbildung in nondirektiver Gesprächsführung nach Rogers. 167 war oder geäußert wurde. Fälle, in denen Erbschaftsfragen, mietrechtliche Probleme, pflegerische, sozialpsychiatrische und medizinische Fragen zu klären waren, wurden den Aussagen der BeraterInnen zufolge delegiert. Ebenfalls werde bei bestehendem Kontakt der KlientIn zum Kommunalen Sozialdienst darauf geachtet, dass dieser Fall in der Zuständigkeit des Kommunalen Sozialdienstes verbleibe. Unklare Zuständigkeiten lagen für die BeraterInnen im Bereich der allgemeinen Lebensberatung für ältere Menschen, die zwar grundsätzlich als sinnvoll erachtet wurde, nur bedingt jedoch als gewaltpräventiv. Kritisch seien auch Fälle, in denen sich nach aufwändiger Kontaktaufnahme herausstelle, dass keine Gewaltproblematik vorliege, sondern andere Themen im Vordergrund stünden. Eine Zuständigkeitsverlagerung nach mehreren Kontakten und dem Aufbau einer Beratungsbeziehung sei schwierig. Auch bei Fällen, in denen KlientInnen sehr belastet seien und bisher keine konkrete Hilfe erfahren hätten, sei es schwierig, zu entscheiden, ob sie in den Zuständigkeitsbereich des Modellprojekts fielen. Als eher allgemeine Schwierigkeit wurde benannt, die Grenzen der eigenen Beratungskompetenz zu erkennen um gegebenenfalls auf andere Zuständigkeiten zu verweisen. Überprüfung von Gewaltvermutungen Bei der Beratung werde versucht, sich möglichst ein persönliches und realistisches Bild der Situation zu machen und die Sicht aller Beteiligten zu erfassen. Im Zweifelsfall werde mit Institutionen Rücksprache gehalten, die bereits Kontakt zu den KlientInnen hatten, bevor Interventionen erfolgten. Eine Klärung des Sachverhalts sei insbesondere angezeigt, wenn Verdacht auf Wahn oder Demenz vorliege. Strafverfolgung Die Einschaltung von Strafverfolgungsbehörden sei angezeigt auf Wunsch des Opfers, gegen den Willen des Opfers nur, wenn Gefahr im Verzug sei und die Betroffenen nicht in der Lage seien, ihre Situation selbst richtig einzuschätzen (d.h. bei Vorliegen von Bedingungen für die Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung). Eine BeraterIn nennt das Vorliegen von Straftatbeständen (körperliche Gewalt, finanzielle Ausbeutung in beträchtlichem Ausmaß) als Anlass zur Einschaltung von Strafverfolgungsbehörden. Tendenziell schwierig sei die Entscheidung, wenn Betroffene nicht damit einverstanden seien, wenn unklar sei, ob ein solcher Schritt tatsächlich eine Hilfe für die Betroffenen darstelle sowie bei anderen Gewaltformen wie psychischer Gewalt und finanzieller Ausbeutung. 168 Umgang mit Wahn, Psychosen Insbesondere in diesen Fällen seien Rücksprache und Kooperation mit sowie Verweisen an andere Professionelle (vor allem den sozialpsychiatrischen Dienst und den Kommunalen Sozialdienst) wichtig. Es gehe darum, das Anliegen der KlientInnen ernst zu nehmen, das Wahnsystem nicht zu unterstützen, keine Konfrontation zu suchen, Kontaktangebote zu formulieren und die KlientInnen für die Inanspruchnahme langfristiger Hilfen zu motivieren. Zudem sei zu klären, welche bisherigen Lösungsversuche es gegeben habe und ob die KlientInnen ihren Lebensalltag noch bewältigen könnten. Umgang mit starker zeitlicher Beanspruchung durch einzelne KlientInnen Abgestimmte Hilfsmöglichkeiten, Wissen über HauptansprechpartnerInnen, das Halten des Kontaktes mit dem Ziel der Motivation zu längerfristiger Beratung und Therapie sowie Austausch über wiederkehrende Verhaltensweisen seien notwendig im Umgang mit einer KlientInnengruppe, die von den BeraterInnen als „anspruchsvolle KlientInnen“ bezeichnet wurde. Sie zeichneten sich durch erhöhten zeitlichen Beratungsbedarf, das Einfordern von viel Aufmerksamkeit, ständige Wiederholung ihrer Geschichten und/oder massive psychische Beeinträchtigungen aus. Spezifische Beratungsgrundsätze Die Befragten wurden gebeten, ihre Beratungsgrundsätze zu nennen und zu erläutern. Zu vermeiden seien den Befragungsergebnissen zufolge Auseinandersetzungen, Überengagement, das Anstreben von Persönlichkeitsveränderungen und die Verurteilung von wahrgenommenen Handlungen. Wesentlich seien hingegen Empathie, Echtheit, positive Wertschätzung, Akzeptanz, kongruente Botschaften, Lebensweltbezug, Verständnis, Annahme, Einfühlen und Zuwendung. Es müsse versucht werden, die KlientInnen in ihrer Welt und in ihren Lebenswegen zu verstehen, und im Mittelpunkt stehe die Lösung situationsbedingter Probleme. Es gelte Zusammenhänge zu verdeutlichen, Ressourcen der Beteiligten zu klären, Unterstützung zu geben, Lösungswege zu erarbeiten und die KlientInnen bei der Entwicklung von Lösungen zu begleiten. Dabei sei darauf zu achten, dass die Verantwortung bei den Betroffenen belassen werde. Eigene Gedanken und Irritationen könnten mitgeteilt werden, wenn dies notwendig und sinnvoll sei. Aufgeschlüsselt nach den verschiedenen KlientInnen des Modellprojekts (Opfer, TäterInnen, Dritte), zeigten sich gewisse Unterschiede. Allgemeines Prinzip sei eine Akzeptanz der Handlungen und ihrer Ent- 169 stehung, die Beibehaltung der professionellen Distanz und die Entwicklung von Entlastungsmöglichkeiten. Bei Dritten sei gegebenenfalls die intensivere Klärung des Anliegens und der Motivation der Meldung, eine Relativierung der Beobachtungen und das Schaffen von Verständnis notwendig. In der Beratung von Opfern würden deren Schilderungen grundsätzlich ernst genommen. Es sei besonders wichtig, den Schutz der Opfer im Auge zu behalten. Dies gelte auch bei der Beratung von Gewaltausübenden. Ziel sei es darüber hinaus, die Wahrnehmung für das eigene Verhalten zu schärfen, alternative Handlungsmöglichkeiten zu erarbeiten und Gewalthandlungen vorsichtig (relativiert) anzusprechen, um Abwehrreaktionen zu vermeiden. Eine BeraterIn merkte an, dass bei massiver körperlicher Gewalt Empathie Grenzen finde. 6.2.1.2 Beratung im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons Das Krisen- und Beratungstelefon des Modellprojekts – im Projektantrag Helpline genannt – nahm im März 1999 seine Arbeit auf. Dem war eine längere Phase der Konzeptionierung vorangegangen. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die entscheidenden Arbeitskonzepte und Protokolle der Planungstreffen. Im Herbst 1998 hatten sich die BeraterInnen durch eine schriftliche Befragung anderer telefonischer Beratungsanbieter in Hannover einen Überblick über Verfahrensweisen, Erfahrungen, Nutzung und Beson103 derheiten in der telefonischen Beratung verschafft . Anregungen und Informationen wurden für die Planung des telefonischen Beratungsangebots genutzt. Informationen über andere Beratungstelefone wurden eingeholt und diskutiert. In mehreren Sitzungen und Workshops wurde von den BeraterInnen das Konzept der Helpline entwickelt und der Name Krisen- und Beratungstelefon im Alter gewählt. Bewusst wurde auf den Gewaltbegriff im Titel verzichtet, sollten doch potenzielle KlientInnen nicht abgeschreckt werden. In der Konzeptentwicklung und weiteren Ausgestaltung des Krisen- und Beratungstelefons kam es zu einigen Veränderungen. So wurde vom Modellprojekt zunächst geplant, das Telefon in Kooperation mit anderen Anbietern zu betreiben – vor allem im Hinblick auf eine dauerhafte Installation. Neben einer (nicht zustande gekommenen) Beteiligung des Stephansstifts in der Trägerschaft war vor allem die Beteiligung von Ehrenamtlichen des Sozialver103 Von 39 Anbietern von Notruf- und Beratungstelefonen sandten 22 ausgefüllte Bögen zurück. Themen der Befragung waren Beratungszeiten, Werbung, Beratungsteam, Hauptanliegen, Umgang mit weitergehendem Beratungs- und Informationsbedarf, Tipps und Tricks, Zielgruppen, Problembereiche, Leitlinien und Grundsätze, Kooperation/Vernetzung und Wünsche an das Projekt. (Auswertung der Fragebögen zu den „Notruf- und Beratungstelefonen“, vorgestellt im Team am 24.11.1998) 170 bands Deutschland bei der telefonischen Beratung geplant (wenngleich dies von den BeraterInnen stets skeptisch beurteilt wurde). Die Vorbereitungen waren hier schon weit fortgeschritten, die anvisierten Ehrenamtlichen hatten bereits eine Schulung durchlaufen, als angesichts der konkreten Beratungserfahrungen von der Einbindung Ehrenamtlicher abgesehen wurde. Die Beratungsarbeit erwies sich als zu komplex und schwierig. Als weiteres – eher nachrangiges – Argument gegen die Einbindung Ehrenamtlicher wurden die zum diesem Zeitpunkt niedrigen Anruferzahlen genannt. Für die Ehrenamtlichen sei es insbesondere frustrierend, für Sprechzeiten vor Ort zu sein und keine oder nur wenige 104 Anrufe entgegenzunehmen . Die Bemühungen, die unübersichtliche telefonische Beratungslandschaft für ältere Menschen in Hannover zusammenzuführen, führten zur Gründung der Arbeitsgemeinschaft der Anbieter von Telefonberatung (vgl. Kapitel 6.2.5.1.2). Das Krisen- und Beratungstelefon sollte, so sah es das Konzept vor, ein auf Wunsch anonymes, niedrigschwelliges Beratungsangebot für Betroffene in dem Bereich „Gewalt gegen ältere Menschen“ sein. Beraten werden sollte in (gewaltnahen) Krisen- und Belastungssituationen sowie in Gewaltsituationen. Dem Konzept zufolge unterschied sich das Krisen- und Beratungstelefon durch den Fokus auf die Gewaltproblematik von allgemeinen Pflege- und/oder Lebensberatungstelefonen. Das Telefon hatte im Wesentlichen zwei Zielgruppen: Personen, die in eine Gewalt- oder Krisensituation direkt involviert sind (bzw. sich als Opfer oder TäterIn involviert sehen) und Personen, die von solchen Krisenoder Gewaltsituationen erfahren und nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen (dies können Angehörige, Professionelle oder sonstige Dritte sein). In der Beratung Dritter sollte die Beratung Entlastung und Reflexionsmöglichkeiten bieten mit dem Ziel, die Motivation zur Eigeninitiative zu wecken und die Anrufenden in ihrem Engagement zu bestärken. Handlungsmöglichkeiten der Anrufenden sollten abgeklärt werden. Weiter wurden professionelle Begleitung und Fallübernahme durch das Modellprojekt als Möglichkeiten vorgesehen. Zentrale Ziele der Beratung waren Vermeidung von Gewaltsituationen und Entlastung. Als notwendige Grundhaltungen der Beratenden wurden genannt Offenheit für hinter den zunächst vorgebrachten Themen verborgene Gewaltkonstellationen und Bereitschaft des Beratenden, emotionale Konflikte anzusprechen. 104 Zur Problematik der Beratung durch Ehrenamtliche bei anderen Initiativen zu Gewalt gegen Ältere vgl. Kapitel 6.3.2.6. 171 105 Grundsätze der Telefonberatung wurden erarbeitet . Sie bezogen sich auf Beratungsverlauf, Zielsetzung, Grundeinstellungen (hier Orientierung an den Prinzipien klientenzentrierter Gesprächsführung nach Rogers) und Verhaltensweisen, die ein partnerzentriertes Gespräch fördern oder hemmen. Den BeraterInnen stand ein – regelmäßig ergänzter – Ordner mit Adressen und Informationen über alle relevanten Beratungseinrichtungen zur Verfügung. Eine klare Trennung zwischen Krisen- und Beratungstelefon und der weiteren Beratungsarbeit war vorgesehen. So enthielt der Anrufbeantwortertext keinen Verweis auf andere Telefonnummern des Modellprojekts. Für akute Krisensituationen wurde auf die Telefonseelsorge verwiesen. Umgekehrt war es möglich und vorgesehen, dass Beratungsfälle aus der telefonischen Beratung in die allgemeine Beratung übergingen. Die BeraterInnen 106 entschieden sich, spezielle Sprechzeiten einzurichten (die nur einen Teil der Anwesenheitszeiten im Büro abdeckten), bei denen jeweils ein Berater oder eine Beraterin für die Beantwortung der Anrufe speziell abgestellt war. Als wichtig wurde eine ruhige und ungestörte Arbeitsatmosphäre erachtet. Die Meldung am Telefon war einheitlich. Es gab keine Möglichkeit, auf dem Anrufbeantworter eine Botschaft zu hinterlassen. Anrufe außerhalb der Sprechzeit wurden unterschiedlich gehandhabt, z.T. wurden sie beantwortet. Sollte ein Fall aus der telefonischen Beratung weitere Intervention erfordern und die KlientInnen in einem der ausgewählten Stadtteile leben, so ging die Fallverantwortlichkeit auf die für die jeweiligen Stadtteile zuständigen MitarbeiterInnen über. In den anderen Fällen verblieb die Fallverantwortlichkeit meist bei der BeraterIn im Erstkontakt. Die BeraterInnen benannten im Rahmen der schriftlichen Befragung im Dezember 1999 einige Besonderheiten der telefonischen Beratung, die in erster Linie mit begrenzten zeitlichen Kapazitäten und der telefonischen Kontaktart zusammenhängen. Aufgrund der meist eher kurzen Beratung und der häufig nur einmaligen Kontakte sei es notwendig, das Anliegen der KlientInnen schneller und genauer herauszuarbeiten. Das Problem bzw. die Fragestellung müsse erkannt und eingegrenzt werden. Es sei nur wenig Zeit für die Herstellung einer Vertrauensbasis vorhanden, und das Vorgehen der BeraterInnen müsse entsprechend vorsichtig sein. Lösungen könnten nur angerissen werden, und eine Überprüfung der Lösungswege sei nicht möglich. Wichtig auf Seiten der BeraterInnen seien die Fähigkeiten zuzuhören und eigenes Schweigen 105 Grundsätze der Telefonberatung, 25.4.1999; teaminterner Leitfaden für die Beratung im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons. 106 Die Sprechzeiten waren Montags und Mittwochs zwischen 10 und 13 und Dienstags und Donnerstags zwischen 16 und 18 Uhr. 172 zu akzeptieren. Insgesamt sei ein starkes Eingehen auf die Person notwendig. 6.2.1.3 Rückblick: Erfahrungen mit der Beratungsarbeit – Besonderheiten der Beratungsarbeit 107 Gegen Ende der Projektlaufzeit wurde eine gemeinsame Gruppendiskussion des Teams des Modellprojekts und der wissenschaftlichen Be108 gleitung zur Reflexion der Beratungstätigkeit durchgeführt . Die Diskussion wurde eröffnet mit der Frage nach den Besonderheiten der Beratung im Rahmen des Modellprojekts und durch eine zuvor erstellte Stichwortsammlung zum Thema Beratung im Modellprojekt angeregt. Die zweite Frage war, inwiefern sich Einschätzungen und Erfahrungen der BeraterInnen hinsichtlich der Beratungsarbeit in der Laufzeit des Projektes verändert hatten. Die wichtigsten Ergebnisse der Diskussion werden im Folgenden vorgestellt. Eine Gruppenmeinung kann hier nicht dargestellt werden; es handelt sich im Wesentlichen um Einzelstatements. Systemischer Beratungsansatz Von allen BeraterInnen wurde als wesentliche Besonderheit und Grundlage der Beratungsarbeit im Modellprojekt der Blick auf das gesamte Familiensystem benannt. Zu diesem „ganzheitlichen Ansatz“ gehöre auch, sich zunächst umfassend zu informieren: über das Umfeld, die genaue Lebenssituation, das verfügbare soziale Netzwerk, die jeweilige Funktion der Fall- und Problembeteiligten hinsichtlich des Problems und die bereits beteiligten HelferInnen. „Ursachenforschung“ hinsichtlich des Problems sei notwendig. Ein wichtiger Aspekt der systemischen Perspektive sei es, möglichst alle Problembeteiligten an einen Tisch zu bekommen. Parteilichkeit In der Regel sehen die BeraterInnen ihre Position als nicht parteiisch. Parteilichkeit für die Opfer sei kein Beratungsprinzip. Es gehe vielmehr um Neutralität, den Blick von außen, die Einnahme einer Art Vermittlerposition. Dies werde auch von den KlientInnen selbst eingefordert. Die BeraterInnen dürften nicht Teil des Systems werden, und insbesondere bei Paarkonflikten sei es undenkbar, die Position einer Partei zu übernehmen. Durch Parteilichkeit werde Beratung und die angestrebte Ver107 15.2.2001 108 Die Gruppendiskussion war von einer Beraterin und dem Team der wissenschaftlichen Begleitung vorbereitet worden. Das Gespräch wurde aufgezeichnet und verschriftet. 173 änderung einer Lebenssituation verhindert. Allerdings sei auch dies situationsabhängig. Wenn eine Konstellation im Beratungsprozess nur aus einer Perspektive geschildert werde (z.B. weil nur Kontakt zu einer Person besteht), so sei diese Perspektive immer der Ausgangspunkt der Beratung. Generell sei jedoch das Ziel, möglichst verschiedene Blickwinkel auf die Konstellation zu kennen. Die BeraterInnen nähmen keine Bewertungen von Handlungen vor. Sie hätten aber ein besonderes Augenmerk auf die Situation des älteren Menschen, der Gewalt erleidet. Bei lebensbedrohlichen Situationen sei es unabdingbar, zunächst für die Sicherheit des Opfers zu sorgen. Verantwortung bestehe aber nicht nur für die Opfer, auch die Versorgung von Tätern – bedingt durch deren Alter, Versorgungs- und Unterstützungsbedarf – sei Aufgabe der BeraterInnen. Zum Beratungsprozess Als wichtiges Prinzip der Beratungsarbeit nennen die BeraterInnen das Einlassen auf und Respektieren der Wünsche und Bedürfnisse der KlientInnen; deren eigener Wille stehe stets im Vordergrund. Notwendig sei es, die Grenzen der eigenen Beratungsarbeit zu akzeptieren („Man kann nichts erzwingen“). Wollen KlientInnen in ihrer Lebenssituation – und sei dies eine massive Gewaltkonstellation – verbleiben, so sei dies zu akzeptieren, immer unter der Bedingung, dass sie die Verantwortung für eigenes Tun oder Unterlassen übernehmen können. Eine Besonderheit in der Beratungsarbeit des Modellprojekts sei es, dass sich ein Beratungsansatz zum Teil erst im Laufe der Zeit entwickle. Zunächst gehe es um Unterstützung, darum, Ansprechpartner zu sein, eine Vertrauensbeziehung aufzubauen, Zeit zu haben, sich ein Bild machen zu können, zuzuhören, einfach da zu sein ohne konkrete Veränderungsbemühungen. Häufig gebe es zunächst keinen klaren Beratungsauftrag. In der Beratung sei nicht immer die große Lösung erreichbar. Häufig seien kleine Schritte angebracht, mit dem Ziel, die Situation zu entspannen. Vorläufige Lösungen können entwickelt und in der Umsetzung begleitet werden. Im weiteren Verlauf der Beratung könne darauf aufgebaut werden. Veränderungen, so die BeraterInnen übereinstimmend, brauchten zumeist viel Zeit. Diese Zeit sei – außer bei lebensbedrohlichen Situationen – in der Regel auch verfügbar. Dies könne bedeuten, die Beratung über einen längeren Zeitraum zu führen bzw. größere Zeiträume zwischen einzelnen Terminen zu lassen. Ein bis zwei Kontakte führten, so die Erfahrung, in der Regel keine Klärung herbei. 174 Die Beratungsarbeit sei weniger erfolgs- und lösungsorientiert als in den vorherigen Arbeitsbereichen der BeraterInnen. Dies sei auch, aber nicht in erster Linie eine Frage der zeitlichen Ressourcen. Vor allem sei die Beratungshaltung im Rahmen des Projektes eine andere. Dabei sei jedoch zu berücksichtigen, dass bei der Beratungsarbeit im Kommunalen Sozialdienst (für drei BeraterInnen der vorherige Arbeitsplatz) in der Regel ein Auftrag, sich um eine Situation „zu kümmern“, von außen kam. Die betroffenen Personen hätten sich dort weit seltener selbst gemeldet als dies bei der Beratungsarbeit des Modellprojekts der Fall gewesen sei. Der geschilderte Zeitbedarf bedeute allerdings nicht, Beratungskonstellationen, bei denen klar sei, dass für eine Situationsveränderung bestimmte Veränderungen auf Seiten der KlientInnen erforderlich sind, jedoch von diesen nicht vollzogen werden, lange weiter zu führen. Wichtig sei, die Anforderungen an Verhalten und Einstellungen von KlientInnen klar zu formulieren. Konsequenzen von Handlungsweisen, so eine Anforderung, müssten klar ausgesprochen werden. Es sei zudem wichtig, Aufträge zügig zu klären und die Beratung klar zu strukturieren. Zentral sei auch, nachzufragen, um was es genau gehe. Die Gewaltvorwürfe seien häufig diffus. Datenschutz sei – für die BeraterInnen erstaunlicherweise – in der Kooperation mit anderen Professionellen kaum eine Frage gewesen. Eine Vermutung diesbezüglich war, dass Bekanntheit und Akzeptanz des Projekts dies bewirkt haben. Als Besonderheit der Beratung im Rahmen des Modellprojekts benannten die BeraterInnen die Notwendigkeit von stellvertretendem Handeln bei akuter Gefährdung von KlientInnen. In diesen Fällen sei eine gründliche Gefahrenabschätzung unabdingbar. Als Besonderheit wurde auch benannt, dass in einigen Fällen die BeraterInnen AnsprechpartnerInnen für alle Fall- und Problembeteiligten wurden. Die Fallverantwortlichkeit lag damit beim Modellprojekt, die BeraterInnen hielten „alle Fäden in der Hand“. Generell große Bedeutung wurde den Kontakten zu Problembeteiligten eingeräumt. Ein persönlicher Eindruck sei wesentlich; insbesondere Hausbesuche seien hierzu geeignet. Die Frage der Zuständigkeit, so eine Beraterin, sei bis zum Ende der Projektlaufzeit eine Gratwanderung geblieben; die Entscheidung, welche Fälle in den Aufgabenbereich des Modellprojekts gehörten, sei immer wieder mit Unsicherheit behaftet gewesen; maßgeblich bleibe, dass „man eine Brücke zu diesem Thema Gewalt hin konstruieren“ könne. Hinsichtlich ihrer Sichtweise auf Gewaltsituationen berichtet eine Beraterin über ihre mittlerweile größere diesbezügliche Sensibilität. Sie habe im Projektverlauf ein klareres Verständnis dafür entwickelt, was Gewalt für ältere Menschen bedeute. 175 Beratung im Alter Die BeraterInnen benannten einige Besonderheiten der Beratung älterer Menschen. Zunächst sei es wichtig, ein Verständnis von Altern zu entwickeln, sich als BeraterIn damit auseinander zu setzen. Die Beratung älterer Menschen habe die Lebensgeschichte der Problembeteiligten zu berücksichtigen. Es sei notwendig, Verständnis für die Entstehung von Gewaltsituationen zu entwickeln, und dies sei nur durch einen biographischen Arbeitsansatz möglich. Zu berücksichtigen sei die größere Verletzbarkeit und größere Empfindsamkeit älterer Menschen. Generell sei der Unterstützungsbedarf bei älteren Menschen größer. Sie seien stärker als andere auf soziale Netzwerke angewiesen. Die Vermittlung entsprechender (auch lebenspraktischer) Hilfen durch Außenstehende sei häufig notwendig. Alter kann der Erfahrung eines Beraters zufolge Fokussierung auf Weniges bedeuten. Es gebe weniger Anregungen von Außen, so dass kleine Ereignisse große Bedeutung bekommen können (so z.B. bei Nachbarschaftskonflikten). Diese größere Bedeutung von Kleinigkeiten böte aber auch einen spezifischen Arbeitsansatz: Die kleinen positiven Dinge, Erlebnisse und Aspekte gelte es zu stützen, zu fördern und parallel die Situation durch verschiedene Hilfen zu entspannen. Als wichtige Besonderheit im Alter nannten die BeraterInnen die größere Bezogenheit älterer Menschen auf die eigene Häuslichkeit. Dies bedeute, dass Hilfe ins Haus kommen müsse – ein Prinzip, das für die Beratung selbst (in Form von Hausbesuchen) wie auch für andere Unterstützungsleistungen gelte. Der Blick auf die Defizite und Einschränkungen durch das Alter dürfe allerdings nicht zu einer Schonhaltung führen. Der Blick sei vielmehr darauf zu richten, was noch möglich sei. So sei es durchaus möglich, auch hochbetagte Menschen zu fordern, ihre Handlungsspielräume seien 109 häufig größer, als erwartet . Es gebe natürlich Grenzen und Einschränkungen, aber im Vordergrund sollte eine die Potentiale anregende und damit ressourcenbezogene Beratung stehen. Kritisiert wird, dass älteren Menschen gegenüber häufig eine solche Schonhaltung eingenommen werde. Die BeraterInnen beschreiben diesbezüglich einen Lernprozess im Verlauf ihrer Beratungsarbeit. Erfahrungen mit professionellen Fallbeteiligten In der Beratungsarbeit des Modellprojekts seien häufiger Meldungen von Dritten eingegangen; die Zusammenarbeit mit ihnen sei ein wesentlicher Teil der Arbeit gewesen. In der Kooperation mit professionellen 109 Vgl. auch die Befunde neuerer gerontologischer Untersuchungen, so der Berliner Altersstudie (MAYER & BALTES, 1999) und der Basler Interdisziplinären Altersstudie (PERRIG-CHIELLO, 1999). 176 Fallbeteiligten machten die MitarbeiterInnen des Modellprojekts unterschiedliche Erfahrungen. So kamen Meldungen von Gewaltfällen (insbesondere Meldungen durch Pflegedienste) auch bei hinsichtlich des Vorliegens und der Schwere der Gewalthandlungen sehr unklaren Fällen, so z.B. bei Fällen, bei denen lediglich festgestanden habe „es muss sich was ändern“. Eine Beraterin zieht den Vergleich zu Kindesmisshandlung: Demnach seien beim Modellprojekt auch Anrufe erfolgt mit Vorwürfen, die bei einem Vergleich mit Kindesmisshandlung etwa auf einer Ebene mit ‚Anschreien des Kindes‘ gelegen hätten. Es gebe jedoch auch Professionelle, die für die Thematik nur wenig sensibel seien; diese (als Beispiel für diese Haltung wurden hier Ärzte genannt) sähen Pflege an sich als Wert und seien froh gewesen, wenn Angehörige die Pflege übernähmen. In einzelnen Fallkonstellationen seien auch beide Sichtweisen aufeinander geprallt. Hinsichtlich des Verhaltens anderer Professioneller konstatierte eine Mitarbeiterin, dass diese in ihrem Umgang mit langjährigen Paarkonflikten dazu neigten, eigene Untätigkeit mit angeblich fehlendem Veränderungspotenzial zu legitimieren. Dabei werde aber, so die Kritik, das Eintreten von Schutzbedürftigkeit nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt. 6.2.2 Beratungsdokumentation und –auswertung 6.2.2.1 Ziele Im Folgenden wird die Beratungsarbeit des Modellprojekts anhand der von den BeraterInnen verfassten Falldokumentationen untersucht. So analysiert werden die Beratungskontakte im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons im Alter auf der einen Seite, auf der anderen Seite die Mehrfachanrufe im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons und die Beratungskontakte im Rahmen der allgemeinen Beratung (d.h. jede Beratung außerhalb des Krisen- und Beratungstelefons). Die Fälle wurden von den BeraterInnen z.T. in Freitext, z.T. mittels teilstandardisierter Fallerfassungsbögen dokumentiert. Die Instrumente waren von der wissenschaftlichen Begleitung in Kooperation mit den MitarbeiterInnen des Modellprojekts konzipiert worden. Eine solche Analyse von Falldokumentationen hat den Nachteil, dass alle für die Auswertung zur Verfügung stehenden Informationen (ausgenommen Informationen aus Kopien von offiziellen Dokumenten sowie Briefe) lediglich aus der Perspektive der BeraterInnen vorliegen. Ergän- 177 zende oder kontrastierende Perspektiven können nicht einbezogen werden. Zudem hängt die Auswertung von Ausführlichkeit und Umfang der Dokumentation ab, d.h. von der Dokumentationstätigkeit der BeraterInnen und von ihrer Bereitschaft, die eigene Arbeit für Außenstehende transparent zu machen. Aufgrund dieser methodischen Schwächen wird bei alternativen Erhebungsmethoden die Auswertung einer Falldokumentation stets die zweite Wahl sein. Im vorliegenden Fall kann die Dokumentenanalyse zudem nicht die Vorteile nonreaktiver Verfahren für sich in Anspruch nehmen, in denen Forscher und Beforschte nicht in unmittelbaren Kontakt miteinander treten und daher davon ausgegangen werden kann, dass ein Einfluss der Messung auf den zu messenden Gegenstand nicht vorhanden oder jedenfalls sehr gering ist (zu nonreaktiven Verfahren in den Sozialwissenschaften vgl. u.a. ALBRECHT, 1972; 1975; BUNGARD & LÜCK, 1974; WEBB, CAMPBELL, SCHWARZ, SECHREST & GROVE, 1981). Dennoch nimmt die Analyse der Falldokumentationen eine zentrale Bedeutung in der Auswertung der Beratungsarbeit des Modellprojekts ein. Dies war zunächst nicht so geplant, war doch von einer umfangreicheren Möglichkeit der Befragung von KlientInnen und anderen fall- oder problembeteiligten Personen ausgegangen worden (vgl. Kap. 3.3). Insgesamt kamen jedoch nur wenige Interviews mit KlientInnen zustande, ergänzt durch einige teilnehmende Beobachtungen bei Beratungsgesprächen (vgl. Kap 6.2.3). Der durch Interviews und teilnehmende Beobachtungen gewonnene Einblick in die Beratungstätigkeit war somit selektiv; die einzige Möglichkeit, einen Überblick über die Gesamtheit der Fälle und Beratungskontakte zu gewinnen, war die Auswertung der vorliegenden Falldokumentationen. Das Ziel der Auswertung der Beratungsdokumentation ist es zum einen, Informationen über die Beratungsarbeit des Modellprojekts ganz allgemein zu gewinnen. Dabei interessiert insbesondere Umfang und Art der Beratungstätigkeit. Zum anderen können Informationen über die Problemfälle, aufgrund derer Kontakt mit dem Modellprojekt aufgenommen wurde, gewonnen werden. Dies ist im Falle der Thematik des Modellprojekts insofern relevant, als kaum empirische Befunde für Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum für die Bundesrepublik 110 Deutschland vorliegen . Die Auswertung von Falldokumentationen kann eine umfassende und unmittelbar auf den Gegenstand ´Gewalt´ ausgerichtete Erhebung nicht ersetzen; dennoch bietet sie die Möglichkeit, die verschiedenen auftretenden Problemkonstellationen zu explo110 Neben der KFN-Studie finden sich nur wenig empirische Befunde über Gewalt gegenüber älteren Menschen in ihrem persönlichen Lebensumfeld (vgl. Kap.1.2.2). 178 rieren und einen Überblick über die bei einer Beratungseinrichtung zum Thema „Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum“ auftretenden Fälle und Fallkonstellationen zu gewinnen. So lassen sich die Fälle hinsichtlich der zugrundeliegenden Hauptproblematiken, der Problemkonstellationen, verschiedener Problemcharakteristika und Belastungsfaktoren, der beteiligten TäterInnen und Opfer, ihrer Beziehungen zueinander und ihrer Risikomerkmale sowie der aufgetretenen Gewaltformen analysieren. Zudem lassen sich Informationen darüber gewinnen, welche NichtGewaltfälle in der Beratungsarbeit des Modellprojekts auftraten, wer sich in Gewaltfällen an das Modellprojekt wandte, wie die GesprächspartnerInnen von der Existenz des Projektes erfahren hatten, mit welchen Anliegen sich GesprächspartnerInnen an das Modellprojekt wandten und wie die Beratungen in Gewaltfällen und anderen Fällen im einzelnen verliefen (Kooperationen im Beratungsverlauf, Veränderungen der Lebenssituation der Problembeteiligten im Beratungsverlauf, Hindernisse, Beratungsabschluss). Einige dieser Aspekte wurden nur im Rahmen der ausführlichen Analyse des Fallaufkommens und der Beratungsarbeit im Rahmen der allgemeinen Beratung analysiert. 6.2.2.2 Methoden und Verlauf 6.2.2.2.1 Erhebungsmethoden Die Begleitforschung entwickelte in Abstimmung mit den MitarbeiterInnen des Projekts einen teilstandardisierten Fallerfassungsbogen für die Beratungsdokumentation mit einer Version für die Beratung im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons, einer Version für den ersten ausführlichen Kontakt im Rahmen der Beratung außerhalb des Krisen- und Beratungstelefons und jeweils einer Version für Folge- und Kurzkontakte. Die Fallerfassungsbögen für die telefonische und die sonstige Beratung unterschieden sich nur geringfügig voneinander. Dem Interesse der wissenschaftlichen Begleitung an einer möglichst detaillierten Aufschlüsselung stand das Interesse der MitarbeiterInnen nach einem flexiblen und wenig formalisierten Dokumentationsinstrument gegenüber – Kompromisse waren notwendig, sollte das Instrument möglichst viele untersuchungsrelevante Informationen erfassen und gleichzeitig von den PraktikerInnen als Arbeitswerkzeug akzeptiert werden. Der Fallerfassungsbogen sollte von den BeraterInnen nicht im Sinne eines den Beratungsprozess strukturierenden Fragen- und Kriterienkataloges „abgearbeitet werden“, sondern Rubriken für die Dokumentation im unmittelbaren Anschluss an die Beratung vorhalten. Die Fallerfassungsbögen 179 enthalten hinsichtlich einiger Merkmale vorgegebene Antwortkategorien, arbeiten überwiegend jedoch mit Rubriken, die von den BeraterInnen frei ausgefüllt werden konnten. Dies berücksichtigte die Vielgestaltigkeit und Unvorhersehbarkeit von Problemlagen und Beratungsverläufen und -ergebnissen. Der Fallerfassungsbogen für Erstkontakte/Gespräche für die Beratung außerhalb des Krisen- und Beratungstelefons und der Fallerfassungsbogen für die Beratung im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons sahen Kategorien für das Datum, die BeraterInnen, die Gesprächsdauer, den Gesprächsort und die Art des Kontaktes (telefonisch vs. persönlich) vor (bei der Beratung im Rahmen der Helpline zudem die Kategorie Erst- oder Folgeanruf). Weiterhin wurden Informationen über den/die GesprächspartnerInnen (Alter, Geschlecht, Verhältnis zum Fall: Betroffene/r, Institution, BeobachterIn, Andere) und über die von Gewalt bzw. einer anderen Problemkonstellation betroffenen Personen (Alter, Geschlecht, Wohnsituation) festgehalten. Die Art der vorliegenden Gewalt wurde in Rückgriff auf die konzeptuelle Differenzierung von DIECK (1987) erfasst. Die Rubriken „Aktives Tun“ (mit Differenzierung von psychischer Misshandlung, physischer Misshandlung, finanzieller Ausbeutung und Einschränkung des freien Willens), „Unterlassen von Handlungen“ (mit Differenzierung von passiver und aktiver Vernachlässigung) sowie „Andere Problematik“ wurden mittels freier Textfelder erfragt. Weiterhin wurden die Häufigkeit der Misshandlung, der Gesamtzeitraum der Problematik, die Orte der (Miss-) Handlungen, die Beziehung der Beteiligten zueinander, Hilfs- und Pflegebedürftigkeit und besondere Belastungen der Beteiligten (z.B. Armut, Suchterkrankungen etc.) erfragt. Der Gesprächsverlauf wurde durch die Unterpunkte „Problemdarstellung aus Sicht der/des Klientin/en (Gesprächspartnerin/s) und Ziele der/des Klientin/en (Auftrag)“, „Hypothesen (Vermutungen) der/des Beraterin/s über die aktuelle Situation“, „Kontrakt-Vereinbarungen (weitere Absprachen mit KlientIn, Weitervermittlung an) und von BeraterIn geplante weitere Interventionen „sowie durch eine von den BeraterInnen 111 angefertigte Situationsskizze erfasst. Die BeraterInnen konnten dabei ihre Antworten frei formulieren. Die zunächst vorgesehenen Rubriken „Vorgehen während des Gespräches“, „Interventionen“ und „Begrün111 Die Situationsskizze wurde auf Wunsch der SozialarbeiterInnen in den Fallerfassungsbogen eingefügt. Es handelt sich dabei um eine bildliche Darstellung beteiligter Personen/Institutionen bzw. des Beziehungsgefüges im Einzelfall. Sie entspricht in Bezug auf die Darstellung der familiären Konstellation in etwa dem in der systemischen Therapie verwendeten Genogramm (vgl. dazu MCGOLDRICK & GERSON, 1995; RIEHL-EMDE, 1996; ROEDEL, 1994). 180 dung der Vorgehensweise“ wurden von den BeraterInnen als zu speziell, ihre Bearbeitung als zu arbeitsintensiv abgelehnt und zugunsten freier Notizen über den Gesprächsverlauf wieder entfernt. 6.2.2.2.2 Verlauf der Datenerhebung Ab Oktober 1998 erfolgte die Falldokumentation zumeist mit Hilfe der entwickelten Instrumente. Für die Fälle, die bis Oktober 1998 beraten wurden, liegen nur unvollständige Informationen in Form von retrospektiv ausgefüllten Fallerfassungsbögen vor (18 Fälle von 195 Fällen wurden retrospektiv dokumentiert). In vielen Fällen kaum auswertbar waren aufgrund mangelnder Informationen die Rubriken „Ziele der/s Klientin/en (Auftrag)“ und „von BeraterIn geplante weitere Interventionen“. Zudem erwies es sich in einigen Fällen als schwierig, den Verlauf eines Beratungsgesprächs oder Falles anhand der Unterlagen nachzuvollziehen, da die Beratung sehr kurz und schematisch zusammengefasst wurde. Die Dokumentationsbereitschaft war bei den BeraterInnen interindividuell sehr unterschiedlich ausgeprägt, überwiegend jedoch hoch. Für die meisten Fälle liegen ausführliche und gut nachvollziehbare Falldokumentationen vor. 6.2.2.2.3 Auswertung der Falldokumentationen In der Auswertung wird grundsätzlich unterschieden zwischen der Beratung im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons und der allgemeinen Beratung. Während beim Krisen- und Beratungstelefon zumeist einmalige Kontakte zu verzeichnen sind, handelt es sich bei den Beratungen außerhalb des Krisen- und Beratungstelefons in der Regel um Beratungen mit mehrfachen Kontakten, z.T. mit mehreren GesprächspartnerInnen. Für die getrennte Auswertung sprechen die spezielle Konzeption des Beratungstelefons (Angebot einer anonymen telefonischen Beratung), das Interesse an Informationen über die Inanspruchnahme dieses Projektmoduls und die unterschiedlichen Auswertungsmöglichkeiten: Liegen bei einmaligen Anrufen nur Momentaufnahmen einer Situation aus einer Perspektive und eine wenig differenzierte Interventionsart (telefonische Beratung) vor, bieten Beratungen mit mehreren Kontakten die Möglichkeit, Veränderungen zu verfolgen (bezogen auf die Beratung wie auf die Lebenssituation der KlientInnen) und unterschiedliche Interventionsarten und Betrachtungsweisen der problematischen Situation zu berücksichtigen. Der Auswertung der Beratung im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons liegen alle dort eingegangenen Anrufe (und jeweilige Untergrup181 pen) zugrunde; bei der Auswertung der allgemeinen Beratung wurden alle Beratungen berücksichtigt, in denen Kontakte außerhalb des Krisen- und Beratungstelefons stattfanden sowie Fälle, in denen es zu mehrfachen Kontakten im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons gekommen war. 6.2.2.2.3.1 Auswertung der Falldokumentation im Rahmen des Krisenund Beratungstelefons Die BeraterInnen des Modellprojekts sollten jeden Anruf beim Krisenund Beratungstelefon im Alter mit Hilfe des Fallerfassungsbogens für telefonische Beratungen dokumentieren (vgl. Kap. 6.2.2.2.1-6.2.2.2.3). Bei der Mehrzahl der Anrufe handelt es sich um einmalige teilweise kurze Beratungskontakte, die einen Fall aus der Perspektive der/des AnruferIn schildern. Eine Validierung der Fallschilderung, dies insbesondere bei Fällen mit einer Gewaltproblematik, war für die BeraterInnen bei diesem anonymen Beratungsangebot nur in den Fällen möglich, in denen weitere Beratungskontakte entweder im Rahmen des Krisenund Beratungstelefons im Alter oder in der allgemeinen Beratung erfolgten. Diese Fälle mit wiederholten Beratungskontakten werden in der ausführlichen Fallauswertung der allgemeinen Beratung des Modellprojekts dargestellt. Die Grundlage für die Auswertung der Fälle, die die MitarbeiterInnen am Krisen- und Beratungstelefon beraten haben, bilden die teilstandardisierten Fallerfassungsbögen für das Krisen- und Beratungstelefon. Weitere Unterlagen zu den Fällen liegen lediglich in Form der Beratungsevaluationsbögen aus der Perspektive der BeraterInnnen und in Einzelfällen auch aus der der KlientInnen vor. Diese Unterlagen wurden in der folgenden Auswertung nicht berücksichtigt, sie sind für die Beratungsevaluation (vgl. Kap. 6.2.3) relevant. Die Auswertung konzentriert sich somit auf von den BeraterInnen dokumentierte Daten zu den Anrufen, den AnruferInnen und den von ihnen geschilderten Fällen. 6.2.2.2.3.2 Auswertung der Falldokumentation im Rahmen der allgemeinen Beratung: die Aktenanalyse Die BeraterInnen sammelten für alle Beratungsfälle die ausgefüllten Falldokumentationsbögen sowie alle aus ihrer Sicht relevanten formellen wie informellen Schriftstücke. Die Gesamtheit der schriftlichen Unterlagen bildet die Grundlage der Auswertung der Einzelfallberatung 182 des Modellprojekts. Die Unterlagen bestehen neben den ausgefüllten Erhebungsinstrumenten aus einer Vielzahl unterschiedlicher, nicht 112 durch die wissenschaftliche Begleitung vorstrukturierter Schriftstücke . Die Gesamtheit der Schriftstücke pro Fall lässt sich sinnvoll als „Akte“ 113 bezeichnen . Entsprechend bieten sich zur Auswertung des Materials Methoden der Aktenanalyse an. Die für die Analyse vorliegenden Akten bestehen neben den Erhebungsinstrumenten aus chronologisch geordneten fallbezogenen Schriftstücken, zumeist nur für die interne Verwendung bestimmten Gesprächsaufzeichnungen und Notizen, im Einzelnen jedoch auch aus Schriftwechseln sowie verwaltungsrechtlich relevanten Schriftstücken wie Anträgen, Bescheiden und Widersprüchen, Benachrichtigungen und Kopien von Schriftstücken aus Akten anderer Behörden (z.B. Strafverfolgungsbehörden) sowie anderen Dokumenten. Bei den Akten des Modellprojekts handelt es sich in erster Linie um Handakten bzw. lose Vorgänge, d.h. um Sammlungen von Schriftstücken, die außerhalb einer offiziellen Aktenführung (diesbezüglich gab es im Modellprojekt keine Vorgaben durch die Verwaltung) von einzelnen BearbeiterInnen geführt werden, zumeist aus Gesprächsaufzeichnungen und Notizen bestehen und deren Existenz, Ausführlichkeit und Inhalt je nach BearbeiterIn differieren (MÜLLER & MÜLLER, 1987, S. 31). Die Aktenanalyse ist eine wichtige Methode externer und interner Evaluation von Sozialarbeit und Sozialpädagogik (vgl. z.B. LUKAS, 1978; MÜLLER, 1980; MÜLLER & MÜLLER, 1987; BEITZEL & KILLER, o.J., WONDRAZEK, 1988). Sie kommt zum Einsatz insbesondere in Untersuchungsfeldern, in denen Methoden, welche den Kontakt mit den Probanden selbst voraussetzen (mündliche und schriftliche Befragung, teilnehmende Beobachtung etc.) nicht oder nicht umfassend angewandt werden (können). Aktenanalysen gestatten detaillierte Aussagen über Einzelfälle, aber auch über eine Teilmenge oder die Gesamtheit aller Fälle, die in einer Beratungsstelle bearbeitet wurden (Querschnittanalysen), auch ohne die KlientInnen selbst zu befragen. Die Aktenanalyse erbringt dabei Erkenntnisse über eine Vielzahl von Untersuchungsgegenständen: die primäre Bezugsgruppe sozialarbeiterischen Handelns, 112 Dennoch handelt es sich bei diesen Unterlagen nicht im klassischen Sinne um nonreaktiv entstandenes Material. Die Akten wurden in Kenntnis des Umstands angelegt und geführt, dass das Modellprojekt und seine Arbeit der Evaluation durch die wissenschaftliche Begleitung unterlagen. 113 Akten sind zunächst ein Instrument der Verwaltung, und deren „Gedächtnis“. Sie sind „unerlässliche Hilfsmittel der Sicherung kontinuierlicher Handlungsmuster und wichtige Medien der Kommunikation“ (MÜLLER & MÜLLER, 1987, S. 23). Akten sind „eine unter chronologischen und/oder sachlichen Gesichtspunkten angelegte Sammlung von zumeist sehr unterschiedlichen Einzelschriftstücken“ (ebd. S. 30). 183 die KlientInnen und ihre Problemlagen, das sozialarbeiterische Handeln und seine Effekte sowie die Aktenführung. Zugleich wirft die Aktenanalyse methodische Probleme auf. Sowohl Materialkritik am jeweiligen Untersuchungsgegenstand Akte als auch eine kritische Methodenreflexion der Aktenanalyse sind angezeigt. Das im Rahmen einer Aktenanalyse verfügbare Datenmaterial ist an das Erfordernis institutionellen Handelns und Dokumentierens geknüpft. Sie eignet sich daher in erster Linie zur Analyse institutionellen Handelns und nur hilfsweise zur Untersuchung der institutionell traktierten sozialen Probleme. Per definitionem ist in Akten ausschließlich das Hellfeld eines Problembereichs erfasst. So ist davon auszugehen, dass es während der Laufzeit des Modellprojekts in Hannover eine nicht unbedeutende Zahl von Fällen der Misshandlung und Vernachlässigung älterer Menschen gegeben hat, die dem Modellprojekt nicht zur Kenntnis gelangten und daher in den Akten nicht repräsentiert sind. Ferner ist zu bedenken, dass Akten Sachverhalte nur selektiv und zusammenfassend wiedergeben (können). Selektivität kann in ausschnitthaften Kenntnissen der aktenführenden Institution ebenso wie in Relevanzentscheidungen der BearbeiterInnen bzgl. der Dokumentationswürdigkeit begründet sein. Weitere Faktoren, die den Auswahlprozess und die Dokumentation allgemein beeinflussen, sind Vorwissen und schriftliche Ausdrucksfähigkeit der BearbeiterInnen, Zeitdruck, Ziel der Maßnahmen, Ausbildung und Wert- und Normvorstellungen der BearbeiterInnen (LUKAS, 1978, S. 270). In der vorliegenden Analyse ist darüber hinaus relevant, dass den BeraterInnen bei Anlage der Akten bekannt war, dass die Falldokumentation wissenschaftlich analysiert werden würde. Auch davon mögen Selektions- und Relevanzentscheidungen beeinflusst worden sein. Wenngleich in den vorliegenden Akten in aller Regel keine verwaltungsrechtlichen Entscheidungen, sondern der Verlauf einer psychosozialen Beratung nachgezeichnet wurden, sind auch hier „Schablonierungen“, sprachliche Typisierungen, zu verzeichnen. Die Verwendung eines professionsspezifischen Codes dient der Reduzierung der Informationsfülle auf handhabbare, bearbeitbare Zusammenfassungen. Im Falle des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ haben weniger die Anforderungen einer im Bedarfsfall störungsfreien Weiterbearbeitung eines Falles durch KollegInnen und Vorgesetzte (das Modellprojekt war befristet, und selten gab es Vertretungssituationen) die Aktenführung strukturiert; vielmehr diente sie als mittelbarer Arbeitsnachweis gegenüber Vorgesetzten und dem Ministerium als Hauptfinanzier des Projektes (vermittelt durch die wissenschaftliche Auswertung), sowie dem Ziel, als „Gedächtnis der Bera- 184 114 tung“ die eigene Fallbearbeitung zu unterstützen . Die Dokumentationsanforderungen der wissenschaftlichen Begleitung strukturierten teilweise die Aktenführung, nicht jedoch die Gesprächsverläufe; nur im Beratungsprozess ohnehin ausgetauschte Informationen wurden dokumentiert. Das dominante Verfahren in der Aktenanalyse ist die Einzelfallstudie. Neben solchen qualitativen Längsschnitt- bzw. Verlaufsuntersuchungen kommen auch quantifizierende Querschnitt- bzw. Strukturanalysen zur Anwendung (LUKAS, 1978, S. 279). Qualitative Verfahren sind zum einen zur Sondierung des Materials, zum anderen zur Explizierung der Ergebnisse quantifizierender Aktenanalysen sinnvoll. Die Auswertung der Einzelfallberatung des Modellprojekts vollzog sich in mehreren aufeinander aufbauenden Schritten. Zunächst dienten verschiedene Zwischenauswertungen neben der Rückmeldung an die BeraterInnen der Entwicklung und Überprüfung sinnvoller Auswertungskategorien. Insbesondere die quantifizierende Querschnittanalyse der im Rahmen der Helpline beratend bearbeiteten Gewaltfälle zeigte Möglichkeiten und Grenzen einer solchen Methode und wurde modifiziert zur quantifizierenden Analyse des gesamten Fallaufkommens. Für alle Gewaltfälle des Krisen- und Beratungstelefons und alle Beratungsfälle mit 115 Mehrfachkontakten wurden Kurzzusammenfassungen erstellt . In Vermittlung zwischen diesem vorliegenden Material und bekannten Forschungsergebnissen wurden die Auswertungskategorien entwickelt; es wurde somit ein Verfahren angewendet, welches induktive Elemente mit der Ableitung von Kategorien und Konzepten aus theoretischen Konzeptionen verbindet. Als theoretischer Rahmen, auf den Bezug genommen wurde, sind vor allem verschiedene Erklärungsansätze und Risikofaktoren für Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum zu nennen (vgl. Kapitel 1.1 sowie die Zusammenfassung in GÖRGEN & NÄGELE, 1999): • Care-giver-overload-These – übersetzt in pflegebezogene Kategorien (Pflegebedürftigkeit, Belastung der Hauptpflegeperson, Mehrfachbelastungen etc.), 114 Datendokumentation entspringt meist dem Bedürfnis der pragmatischen Bewältigung von Arbeitssituationen (MÜLLER & MÜLLER, 1987, S. 36). Das Führen einer Akte dient (neben der Funktion als Tätigkeitsnachweis und Grundlage für mögliche Vertretungen) dazu, „das jeweils Abgelaufene zu reflektieren, Fakten und Absprachen mit anderen Diensten festzuhalten, daraus Einschätzungen zu entwickeln und Schritte für Interventionen bzw. Inhalte des folgenden Gesprächs davon abzuleiten.“ (WONDRAZEK, 1988, S. 171). 115 Diese Zusammenfassungen enthalten Angaben über die Kontakte, Problemschilderungen, Skizzen der Problemgenese, die beteiligten Personen und die durchgeführten Interventionen. 185 Persönlichkeitsthese (Psychopathologie der Täter) – übersetzt in Tätermerkmale und Abhängigkeit des Täters vom Opfer, • Erklärungsansatz transgenerationale Gewalt – übersetzt in frühere Gewalterfahrungen der Täter durch das Opfer sowie • Erklärungsansatz Gewalt gegen Frauen übersetzt in Erfassung von geschlechtsspezifischen Gewaltkonstellationen und Abhängigkeiten, gesonderte Betrachtung von Gewalt in Partnerschaften und Ehen. • Sowohl im Hinblick auf Erklärungsansätze als auch hinsichtlich der innerhalb dieser Ansätze jeweils relevanten Variablen musste eine Auswahl getroffen werden. Das beschriebene Verfahren der gleichzeitig materialbezogenen und theoriegeleiteten Auswertungsstrategie bietet die Möglichkeit, das Material hinsichtlich bestimmter aus der Forschung bekannter Befunde zu überprüfen und dabei die Aussagefähigkeit und Dichte der vorliegenden Daten zu berücksichtigen. Mittels einer so entwickelten Fallanalyse kann schließlich die Komplexität des Einzelfalles „auf analyserelevante Dimensionen reduziert und in ihren prozessualen Verflechtungen untersucht und interpretiert“ werden (MÜLLER & MÜLLER, 1987, S. 34). Ein Aktenauswertungsbogen beinhaltete ein vorab entwickeltes umfangreiches Variablenset. Während der Auswertung wurde das Variablenset um weitere relevante Problemcharakteristika ergänzt. Die Reliabilität der Ergebnisse wird durch eindeutig und präzise definierte Kategorien und klare Zuordnungsregeln gesichert, dagegen ist die Validität der Aktenanalyse „forschungslogisch das größere Problem“ (LUKAS, 1978, S. 284) und angesichts des mehrfach vermittelten Charakters und der selektiven Präsentation der meisten Informationen nicht sicher zu gewährleisten. Problematisch ist ferner, dass die Aktenauswertung auf die Registrierung manifester Inhalte festgelegt ist. Fehlende Informationen können nicht nacherhoben werden; zudem steigt die Anzahl dieser fehlenden Informationen, je ausgefeilter und detaillierter das Analyseschema ist. 6.2.2.2.4 Klärung grundlegender Begriffe Was ist ein Fall? „What is a case?“ – Mit dieser 1992 von RAGIN & BECKER aufgeworfenen Frage soll die Bestimmung einiger im Rahmen der Beratungsanalyse grundlegender Begriffe begonnen werden. Die nachfolgenden Definitionen und Begriffserklärungen dienen der Operationalisierung von „Fällen“ für die Zwecke der Datenerhebung und Auswertung. Sie wurden 186 von der Forschungsgruppe entwickelt und orientieren sich an der Beratungspraxis, spiegeln aber nicht in jedem Fall das Verständnis der BeraterInnen und die Praxis einer psychosozialen Hilfeeinrichtung wider. Sie sind insbesondere für die Aktenanalyse der Beratungsfälle in der allgemeinen Beratung relevant. Ein Fall ist in erster Linie von der personellen Kontinuität der direkt am Problem Beteiligten – bzw. eines Teils der direkt am Problem Beteiligten, denn die BeraterInnen können innerhalb eines Falles wechseln – gekennzeichnet. In der Regel geht es in einem Fall um (mindestens) ein durchgehendes grundlegendes Problem. In einem Fall hat mindestens ein Kontakt zwischen BeraterIn und KlientIn stattgefunden. In einem Fall können unterschiedliche Arten der Beratung (z.B. Sprechstunde im Stadtteil, Krisen- und Beratungstelefon, Beratung außerhalb von Stadtteilsprechstunde und Beratungstelefon) erfolgen. Es können unterschiedliche BeraterInnen tätig sein, und es können längere Zeiträume zwischen einzelnen Kontakten liegen (z.B. kann ein Fall für den Berater oder die Beraterin bereits abgeschlossen sein, und dennoch können später weitere Kontakte erfolgen). Es kann teilweise auch um sich verändernde Problemlagen in einem Fall gehen. Innerhalb eines Falles kann auch ein Wechsel von GesprächspartnerInnen erfolgen – d.h. ganz verschiedene Personen können beraten werden. In Ausnahmefällen können in einem Beratungsfall mehrere BeraterInnen tätig 116 sein, ohne Kenntnis von den vorhergegangenen Kontakten zu haben . Die Begriffe „Problem“ und „Fall“ sind voneinander abzugrenzen. Alle Fälle gehen zwar auf vorhandene, wahrgenommene oder behauptete Probleme zurück, aber nicht jedes Problem wird zu einem Fall, da eine „Fallwerdung“ Kenntnisnahme durch eine für die Bearbeitung des Problems zuständige Instanz voraussetzt. Was ist ein Kontakt? 117 Als Kontakte werden alle Interaktionen (Kommunikationen) der BeraterInnen mit GesprächspartnerInnen (face-to-face, telefonisch) und alle einseitigen Mitteilungen (Nachrichten auf Anrufbeantworter, Briefe) der BeraterInnen und der GesprächspartnerInnen gewertet. Die Art der Kontakte wird gesondert erfasst. 116 Durch Sichtung des gesamten Fallaufkommens konnte die Begleitforschung einige Kontakte als Folgekontakte identifizieren, die für die BeraterInnen als solche nicht erkennbar gewesen und daher als Einzelfälle gewertet worden waren. 117 Zur Analyseeinheit „Kontakte“ für die Evaluation einer Beratungseinrichtung vgl. auch die Auswertung der Beratungsarbeit nordrhein-westfälischer Seniorenberatungsstellen (HEINEMANN-KNOCH & KORTE, 1999, S. 51). 187 Schema: Fall- und Problembeteiligte, GesprächspartnerInnen Abbildung 6.2.2.2/1 illustriert die verschiedenen in einer Beratungssituation relevanten Personen. Sie werden in den folgenden Kapiteln genauer erläutert. Die in einer Beratungssituation relevanten Personen lassen sich differenzieren nach Nähe bzw. Distanz zum Problem (konstituiert die Kategorien Problembeteiligte, Fallbeteiligte, Nicht-Fallbeteiligte), • Kontakt mit dem Modellprojekt (konstituiert die Kategorie GesprächspartnerIn), • Auftrag durch GesprächspartnerIn (konstituiert die Kategorie KlientIn). • 188 Abbildung 6.2.2.2/1: Fall- und Problembeteiligte (ohne MitarbeiterInnen des Modellprojekts), GesprächspartnerInnen und KlientInnen Problembeteiligte Täter in Gewaltfällen Opfer Problemsituation/Konfliktkonstellation Fallbeteiligte (BeobachterInnen oder sog. Dritte) im Rahmen der Berufstätigkeit involvierte Personen im Rahmen von Verwandtschaftsbeziehungen involvierte Personen sonstige involvierte Personen (z.B. im Rahmen von Freundschafts- oder Nachbarschaftsbeziehungen) Gesamtheit der potentiellen KlientInnen Nicht fallbeteiligte Personen (z.B. Auskunftgebende) Gesamtheit der potentiellen GesprächspartnerInnen Wer sind GesprächspartnerInnen? Ein Gesprächspartner, eine Gesprächspartnerin ist eine Person, mit der ein Berater oder eine Beraterin in direktem Kontakt steht. Gesprächs- 189 partnerInnen sind auch Personen, die von BeraterInnen Mitteilungen erhalten oder ihnen diese zukommen lassen. GesprächspartnerInnen können KlientInnen, am Problem beteiligte, am Fall beteiligte (Dritte, BeobachterInnen) sowie nicht am Fall beteiligte Personen sein. Wer sind Fallbeteiligte? Fallbeteiligte sind Personen, die privat oder im Rahmen ihrer Berufstätigkeit als sog. Dritte oder BeobachterInnen in eine Problemkonstellation involviert sind. Alle Fallbeteiligten – außer den ModellprojektmitarbeiterInnen selbst – können KlientInnen des Modellprojekts sein. Personen, die im Zusammenhang eines Falles lediglich um eine Auskunft gebeten werden, sind nicht allein dadurch Fallbeteiligte. Die Kategorie Fallbeteiligte umfasst nicht die Problembeteiligten. Wer sind Problembeteiligte? Die Beratung des Modellprojekts wurde zumeist in Fällen in Anspruch genommen, in denen eine persönliche Krise vorlag bzw. vermutet oder behauptet wurde. In den meisten Fällen handelte es sich um eine Krise im Kontext einer Beziehungskonstellation (auch einseitige Gewaltausübung im Kontext einer Beziehung kann als Krise beschrieben werden). Dies kann in einzelnen Konstellationen eine professionelle (z.B. bei professioneller ambulanter oder stationärer Pflege) oder andere vertraglich begründete Beziehung (z.B. ein Mietverhältnis) sein, zumeist handelt es sich jedoch – dem Zuständigkeitsbereich des Modellprojekts entsprechend – um private Beziehungen in und außerhalb von Familien (Familie, Freundes- oder Bekanntenkreis, Nachbarschaft). Die direkt – nicht als private oder professionelle Fallbeteiligte (BeobachterInnen oder Dritte) – an dieser problematischen Beziehungskonstellation beteiligten Personen werden als Problembeteiligte bezeichnet. Sofern sich dies sinnvoll differenzieren lässt, werden die Problembeteiligten als TäterIn bzw. Opfer eingeordnet. Wenn Krisen nicht im Kontext einer Beziehungskonstellation stehen, so ist u.U. eine Einzelperson die einzige Problembeteiligte. Wer sind KlientInnen? Der Begriff KlientIn bezeichnet ein spezifisches Verhältnis zwischen 118 BeraterIn und GesprächspartnerIn . KlientInnen stehen in direktem Kontakt mit dem Modellprojekt. Sie formulieren einen Auftrag an die BeraterInnen, erwarten Rat, Unterstützung oder Begleitung, und die BeraterInnen nehmen diesen Auftrag ausdrücklich an. KlientInnen können 118 Dieses Verhältnis ist konstitutiv für eine Beratung. Beratung ist u.a. definiert durch die Trennung zwischen Berater und Ratsuchenden bzw. Klienten (KÖNIG & VOLMER, 1996, S. 122). 190 direkt an einer Konflikt- bzw. Problemkonstellation beteiligte Personen sein (Problembeteiligte) oder privat oder professionell als BeobachterInnen bzw. Dritte von einem Fall Kenntnis haben (Fallbeteiligte). In einigen Fällen werden mehrere Fall- bzw. Problembeteiligte beraten, so dass es mehrere KlientInnen gleichzeitig oder auch nacheinander gibt. In vielen Fällen werden nicht nur Gespräche mit den Problembeteiligten geführt, sondern auch mit Personen, die im Rahmen ihrer Berufstätigkeit an einem Fall beteiligt sind. Diese Gespräche können kollegiale Beratung, Delegation und fallbezogene Kooperation zum Gegenstand haben. Bei kollegialer Beratung werden auch diese GesprächspartnerInnen als KlientInnen bezeichnet. Was wird unter „Gewalt“ verstanden, und wie wird der Gewaltbegriff operationalisiert? Da sich das Modellprojekt nicht auf einen am Strafrecht orientierten 119 kriminologischen Gewaltbegriff bezog, sondern sich in der Konzeptionsphase für einen relativ weiten Gewaltbegriff (DIECK, 1987; 1993) als Grundlage der eigenen Arbeit entschied, bezieht sich sinnvollerweise auch die Auswertung der wissenschaftlichen Begleitung auf dieses Gewaltkonzept. Damit gehen allerdings eine Vielzahl methodischer Schwierigkeiten einher. Im genannten Gewaltbegriff wird Gewalt als „systematische, nicht einmalige Handlung oder Unterlassung mit dem Ergebnis einer ausgeprägt negativen Einwirkung auf die Befindlichkeit des Adressaten“ (DIECK, 1993, S. 394) definiert. Gewalt wäre durch einen – wie auch immer gearteten – Wirkungs-Zusammenhang zwischen Handlung oder Unterlassung und einer Folge bestimmt. Dieses Verständnis von Gewalt geht über ein rein subjektives Gewaltverständnis (Gewalt liegt vor, wenn sich eine Person als Opfer von Gewalt fühlt) hinaus. Die in der Nomenklatur ausführlicher beschriebenen Gewaltformen Vernachlässigung (aktiv und passiv), körperliche und psychische Misshandlung, finanzielle Exploitation und Einschränkung des freien Willens beziehen sich ausdrücklich auf personale Gewalt (DIECK, 1993, S. 394). Strukturelle Gewaltformen im Sinne von GALTUNG 120 (1975 ; vgl. zum Begriff der strukturellen Gewalt im Bereich der Gewalt 119 Im Kontext eines kriminologischen Opferverständnisses werden Personen als Opfer bezeichnet, wenn sie eine „Verletzung strafrechtlich geschützter Rechtsgüter wie körperliche Unversehrtheit, Eigentum, persönliche Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung“ erleben. Der Erlebensbegriff erlaubt es, den Opferbegriff von strafrechtlich relevanten Fragen abzukoppeln und zu „subjektivieren“ (WETZELS, GREVE, MECKLENBURG, BILSKY & PFEIFFER, 1995, S. 135). 120 GALTUNGs Konzept der strukturellen Gewalt – „Gewalt liegt dann vor, wenn Menschen so beeinflusst werden, dass ihre aktuelle somatische und geistige Verwirklichung geringer ist als ihre potentielle Verwirklichung.“ (GALTUNG, 1975, S.52) – benötigt keinen personalen Täter und keine erkennbaren Verletzungen mehr; es reicht das gesellschaftlichen Bedingungen 191 gegen ältere Menschen vor allem HIRSCH, 2000) sind in der vorliegenden Analyse nicht berücksichtigt. Sachbeschädigung wurde nicht als Gewaltform codiert, jedoch in die Auswertung aufgenommen. Bei der quantifizierenden Auswertung der schriftlichen Dokumente zu Einzelfällen kommt der Kategorienbildung entscheidende Bedeutung zu. Grundsätzlich können die Kategorien einschlägigen Theorien, vorliegenden empirischen Befunden und bereits bewährten Erhebungsinstrumenten entlehnt oder induktiv aus dem vorliegenden Material entwickelt werden. Hinsichtlich einer Vergleichbarkeit der Ergebnisse mit anderen Untersuchungen ist es erstrebenswert, bewährte Instrumente zu verwenden. Die Fallerfassungsbögen hielten Kategorien für Gewaltformen entsprechend der Taxonomie von Margret DIECK vor, die von den BeraterInnen in Freitextfeldern näher erläutert werden sollten. Informationen zu gewaltförmigem Handeln bzw. Unterlassen finden sich jedoch nicht nur in den teilstandardisierten Elementen der Fallerfassungsbögen; auch die frei formulierten Gesprächsnotizen, -protokolle sowie andere Schriftstücke enthalten diesbezügliche Informationen. Diese Informationen wurden den fünf Gewaltformen nach Margret DIECK zugeordnet, wobei sich aufgrund unzureichender Informationen eine Differenzierung zwischen aktiver und passiver Vernachlässigung – bei insgesamt wenig Nennungen – nicht als sinnvoll erwies. Schwieriger gestaltete sich die detailliertere Operationalisierung von Gewaltformen innerhalb der fünf Grundmuster. Die Anwendung der in Viktimisierungsstudien und Studien zu häuslicher Gewalt häufig eingesetzten 121 Konflikt-Taktik-Skalen nach STRAUS (1979) hätte zur Folge gehabt, dass die dort ausdifferenzierten Formen schwerer physischer Gewalt kaum besetzt, die weniger massiven Formen physischer und psychischer Gewalt stärker vertreten, dabei aber zu grob kategorisiert gewesen wären. Um das explorative Potenzial des Materials ausschöpfen zu können, entschieden wir uns für eine differenzierte Erfassung der in dem für die Auswertung herangezogenen Material genannten Gewalt- zugeschriebene Zurückbleiben hinter den geistigen und körperlichen Entwicklungspotenzialen eines Menschen. Darin steckt die fundamentale Erkenntnis, dass die Definition dessen, was Gewalt ausmacht, auch von gesellschaftlichen Ressourcen und Potenzialen abhängig sein kann. „Eine Lebenserwartung von nur dreißig Jahren war in der Steinzeit kein Ausdruck von Gewalt, aber dieselbe Lebenserwartung heute (ob aufgrund von Kriegen, sozialer Ungerechtigkeit oder beidem) wäre nach unserer Definition als Gewalt zu bezeichnen.“ (GALTUNG, 1980, S.9f.). Für die empirische Forschung (und nicht nur für sie) bringt ein derart weitgefasster Gewaltbegriff hinsichtlich der Operationalisierung und Messung von Gewalt schwerwiegende Probleme mit sich; es ist FLITNER (1993, S.12) zuzustimmen, wenn er für einen „sparsamen und reduzierten Gebrauch“ des Gewaltbegriffs plädiert und davor warnt, eine zu große Zahl unterschiedlicher Ebenen und Handlungsmuster unter den gleichen Begriff zu subsumieren. 121 Zur Anwendung der Konflikt-Taktik-Skalen auf Gewalt gegen ältere Menschen in der BRD vgl. WETZELS, GREVE, MECKLENBURG, BILSKY & PFEIFFER (1995, S. 138). 192 handlungen bzw. –unterlassungen und übernahmen diese als Variablenausprägungen der verschiedenen Gewaltformen. Zusammenfassend wurden die Fälle entweder als Gewaltfälle, unklare 122 Fälle oder Nicht-Gewaltfälle zugeordnet . Bei der Zuordnung der Handlungen zu Gewaltformen hielten wir uns an die von den Fallbeteiligten geschilderten Handlungen bzw. Unterlassungen und die aus den Akten hervorgehenden Folgen dieser Handlungen bzw. Unterlassungen. Als Gewaltfälle wurden Fälle gewertet, die DIECKS Kriterien entsprechen und bei denen keine voneinander abweichenden Schilderungen der Gewalthandlungen bzw. -unterlassungen von Problem- oder Fallbeteiligten vorlagen. Fälle, bei denen nur eine Perspektive vorlag (zumeist weil Beratungsgespräche nur mit einem oder einer Problembeteiligten geführt wurden) und bei denen die geschilderten Handlungen/Unterlassungen DIECKS Kriterien erfüllten, wurden damit generell als Gewaltfälle codiert. Je mehr GesprächspartnerInnen die BeraterInnen hatten und je häufiger Kontakte mit Fall- und Problembeteiligten stattfanden, desto größer war der Einblick der BeraterInnen in die Situation und desto zuverlässiger wurden die Aussagen über Gewalthandlungen oder –unterlassungen. Als unklare Fälle wurden die Fälle gewertet, bei denen grundsätzlich divergierende Schilderungen des problematischen Verhaltens vorlagen, nicht jedoch, wenn nur Uneinigkeit hinsichtlich einzelner gewaltförmiger Handlungen oder Unterlassungen bestand. Welche Perspektive bei unterschiedlichen Darstellungen „richtig“ ist, lässt sich im Rahmen einer Aktenanalyse in der Regel nicht beurteilen. Als unklar gewertet wurden auch Fälle von nicht bizarrem Wahn sowie die Fälle, bei denen ein Verdacht auf Gewalthandlungen geäußert wurde, aber keine konkreten Hinweise diesen Verdacht bestätigten. • Fälle, die von den BeraterInnen als Fälle von primärer Gewaltprävention beschrieben wurden, wurden nicht als Gewaltfälle codiert, ebenso alle Fälle, in denen sich die Betroffenen zwar als Opfer von Gewalt verstanden, aber angesichts der geschilderten Handlungen bzw. Unterlassungen die Anwendung von DIECKS Gewaltbegriff unangemessen erschienen wäre. Fälle von bizarrem Wahn wurden ebenfalls nicht als Gewaltfälle gewertet. • Wie werden die Begriffe „TäterInnen“ und „Opfer“ verwandt? Da der Auswertung kein am Strafrecht orientierter Gewaltbegriff zugrunde liegt, kann dies auch für die Begriffe TäterIn und Opfer nicht 122 Eine erste Zuordnung, ob es sich um einen Fall mit Gewaltproblematik handelt, erfolgte bereits in den Fallerfassungsbögen, eine abschließende Zuordnung durch die BeraterInnen am Ende der Projektlaufzeit. 193 gelten. TäterIn und Opfer werden im Sinne von M. DIECK als Gewaltempfänger und Gewaltanwender verstanden. Gewalt ist häufig Teil eines schwierigen Interaktions- und Kommunikationsprozesses, „beide Interagierende können gleichzeitig Opfer und Täter sein“ (DIECK, 1993, S. 395). Die Zuordnung der Begriffe TäterIn und Opfer ist daher in einigen Fällen nicht eindeutig möglich; diese Fälle werden gesondert gekennzeichnet. Die Entscheidung, die Kategorien TäterInnen und Opfer zu verwenden, wurde nach einer vorläufigen Sichtung der Akten getroffen: In vielen Fällen lassen sich Täter und Opfer klar identifizieren; in anderen wird zwar von beiden Fallbeteiligten Gewalt ausgeübt, die Handlungen bzw. Unterlassungen und deren Folgen unterscheiden sich jedoch maßgeblich, so dass eine Zuordnung sinnvoll erscheint. Wie wird „persönlicher Nahraum“ operationalisiert? Die Operationalisierung des Begriffs „persönlicher Nahraum“ folgt weit123 gehend der Definition des Modellprojekts . Ausdrücklich mit einbezogen wurden alle Konflikte mit und Bedrohungen durch (möglicherweise auch nur weitläufig) bekannte Personen aus dem direkten Wohnumfeld der Betroffenen, wie z.B. Jugendliche aus der Nachbarschaft. Ebenfalls berücksichtigt wurden Fälle von Gewalt bzw. Bedrohung durch teilweise weit entfernt lebende Familienangehörige. In der Auswertung wird zwischen Gewalt im persönlichen Nahraum als persönlicher Beziehungs124 ebene , häuslichem Bereich und unmittelbarem häuslichem Umfeld (Täterkreis: Familie, Nachbarschaft, Bekannte, ambulante Pflegekräfte, andere ehrenamtliche oder professionelle Unterstützungspersonen, die den Haushalt aufsuchen) als dem primären Zuständigkeitsbereich des Modellprojekts einerseits und Gewalt durch den Opfern unbekannte Personen, Gewalt im öffentlichem Raum sowie Gewalt in und durch Institutionen (stationäre Pflegeeinrichtungen, Psychiatrie, Krankenhaus) andererseits differenziert. 6.2.2.3 Fallaufkommen im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons im Alter (Helpline) In die Auswertung sind alle von den BeraterInnen dokumentierten Anrufe beim „Krisen- und Beratungstelefon im Alter“ des Modellprojekts 123 „Gewalt im persönlichen Nahraum im Sinne des Projektes ist gegeben, wenn sie im privaten, auf Dauer angelegten Wohnraum im Rahmen von Beziehungen stattfindet, die von Dauer und für die von Gewalt betroffene Person bedeutsam sind. Nicht berücksichtigt werden damit Gewaltsituationen, die innerhalb von Institutionen wie Altenheim, Pflegeheim und Krankenhaus stattfinden.“ (Begriffsklärungsworkshop 1 am 2.6.1998) 124 In der KFN-Studie wurde als Charakteristikum von „engen sozialen Beziehungen“ ein „besonderes Maß an geteilter biographischer Erfahrung, emotionaler Bindung sowie Vertrautheit“ genannt (WETZELS, GREVE, MECKLENBURG, BILSKY & PFEIFFER, 1995, S. 132). 194 „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ im Zeitraum vom 01.03.1999 bis zum 14.02.2001 eingegangen. Lediglich die letzten zwei Wochen der Laufzeit des anonymen telefonischen Beratungsangebots sind nicht in die Auswertung einbezogen worden. Grundlage der Auswertungen sind die Dokumentationen der MitarbeiterInnen des Modellprojekts mittels des von der Begleitforschung entwickelten Fallerfassungsbogens für telefonische Beratungen am Krisen- und Beratungstelefon im Alter (vgl. Kapitel 6.2.2.2.). Die folgenden Ergebnisdarstellungen haben somit die Angaben der BeraterInnen des Modellprojekts „Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum“ zu den von ihnen bearbeiteten Fällen und den Schilderungen der AnruferInnen zum Gegenstand. Die Ergebnisdarstellung gliedert sich in drei Bereiche: Zunächst werden Ergebnisse zur Menge aller eingegangenen Anrufe des Krisen- und Beratungstelefons im Zeitraum vom 01.03.1999 bis zum 14.02.2001 (N=361), im zweiten Teil dann Ergebnisse zur Teilmenge der Beratungsfälle des Krisen- und Beratungstelefons (N=214) und schließlich Befunde zur Untergruppe der Beratungsfälle mit Gewaltproblematik dargestellt (N=107). 6.2.2.3.1 Ergebnisse zur Grundmenge aller eingegangenen Anrufe (N=361) Im Folgenden sind die Anrufzahlen über die Laufzeit des Krisen- und Beratungstelefons (Tabelle 6.2.2.3/1), die Verteilung der eingegangenen Anrufe über die Wochentage (Tabelle 6.2.2.3/2), die Verteilung der eingegangenen Anrufe über die Sprechstundenzeiten (Tabelle 6.2.2.3/3), die Dauer der Gespräche mit den KlientInnen (Tabelle 6.2.2.3/4 & 6.2.2.3/5), das Verhältnis von Erst- zu Folgeanrufen (Graphik 6.2.2.3/1), die Quelle, von der die AnruferInnen vor dem Erstkontakt Informationen über das Krisen- und Beratungstelefon bezogen hatten (Tabelle 6.2.2.3/6) und der von den BeraterInnen eingeschätzte Gesprächsanlass der Anrufe (Tabelle 6.2.2.3/7) dargestellt. Die durchschnittliche Anzahl der Anrufe über die Laufzeit des Krisenund Beratungstelefons im Alter lag bei ca. 15 Anrufen im Monat (SD=4,16). Es lässt sich in den ersten Monaten der Laufzeit (März bis Juni/Juli 1999) keine geringere Inanspruchnahme als im weiteren Verlauf feststellen, was bei einem neuen Beratungsangebot in der Etablierungsphase durchaus denkbar wäre. Hier werden wahrscheinlich Effekte der vorangegangenen Aktivitäten des Modellprojekts sichtbar. Das Modellprojekt hatte seine Tätigkeit im März 1998 bzw. in vollständiger 195 Besetzung dann im Juni 1998 aufgenommen und bereits in dieser Zeit für das anonyme Beratungstelefon Öffentlichkeitsarbeit betrieben. Ebenso lässt sich kein Rückgang der Anruferzahlen in den letzten Monaten der Projektlaufzeit beobachten. Die Schwankungen – Anruferspitzen waren in den Monaten August 1999, Januar/Februar und Juli 2000 mit jeweils mindestens 20 Anrufen, Einbrüche in den Monaten November 1999, September und Dezember 2000 mit jeweils weniger als 10 Anrufen zu verzeichnen – lassen sich nicht plausibel als Effekte der betriebenen Öffentlichkeitsarbeit für das Beratungstelefon des Modellpro125 jekts interpretieren . Die Grundstrategie der Öffentlichkeitsarbeit des Modellprojekts zielte darauf ab, regelmäßige Präsenz in den Medien, insbesondere den lokalen Printmedien, sicherzustellen, gezielte intensive Öffentlichkeitskampagnen wurden nicht durchgeführt. Ebenso wurden die vom Modellprojekt erstellten Faltblätter (Flyer) und Plakate für das Krisen- und Beratungstelefon in regelmäßigen Abständen in größeren Mengen sowie später dann auch auf Anfrage z.B. in Apotheken, Arztpraxen und öffentlichen Büchereien verteilt. Tabelle 6.2.2.3/1: Anzahl aller eingegangenen Anrufe beim Krisenund Beratungstelefon im Alter (01.03.1999 bis 14.02.2001) Häufigkeit Prozent 1999 März – Juni 1999 Juli – September1999 Oktober – Dezember 1999 gesamt 1999 Monatsdurchschnitt 1999 61 53 37 151 15,1 16,9 14,7 10,2 41,8 - 2000 Januar – März 2000 April – Juni 2000 Juli – September 2000 Oktober – Dezember 2000 gesamt 2000 Monatsdurchschnitt 2000 58 46 43 35 182 15,2 16,1 12,7 11,9 9,7 50,4 - 2001 Januar 2001 1.–14. Februar 2001 Monatsdurchschnitt 2001 gesamt 2001 17 11 18,7 28 4,7 3,0 7,8 Gesamt 01.03.1999 bis 14.02.2001 Monatsdurchschnitt 01.03.1999 bis 14.02.2001 361 100,0 15,4 125 Zur Bekanntheit des Krisen- und Beratungstelefons im Alter sowie weiterer Angebote des Modellprojekts bei einer repräsentativen Stichprobe Hannoveraner BürgerInnen ab 35 Jahren vgl. Kapitel 6.2.4. 196 Tabelle 6.2.2.3/2: Verteilung der eingegangenen Anrufe beim Krisen- und Beratungstelefon im Alter über die Wochentage (01.03.1999 bis 14.02.2001) Wochentag (Sprechzeit) Montag (10:00 – 13:00) Dienstag (16:00 – 18:00) Mittwoch (10:00 – 13:00) Donnerstag (16:00 – 18:00) außerhalb der Sprechstundentage (Freitag) Gesamt Fehlend Gesamt Häufigkeit Prozent Gültige Prozente 85 77 79 96 2 23,5 21,3 21,9 26,6 5,5 23,8 21,6 22,1 26,9 5,6 357 4 361 98,9 1,1 100,0 100,0 Tabelle 6.2.2.3/3: Verteilung der eingegangenen Anrufe beim Krisen- und Beratungstelefon im Alter über die Sprechstundenzeiten (01.03.1999 bis 14.02.2001) Sprechstundenzeit 10.00-10.59 11.00-11.59 12.00-13.00 16.00-16.59 17.00-18.00 Außerhalb der Sprechstunde Gesamt Fehlend Gesamt Häufigkeit Prozent Gültige Prozente 43 29 27 52 49 36 236 125 361 11,9 8,0 7,5 14,4 13,6 10,0 65,4 34,6 100,0 18,2 12,3 11,4 22,0 20,8 15,3 100,0 Das Krisen- und Beratungstelefon im Alter war pro Woche an zwei Vormittagen und zwei Nachmittagen mit insgesamt zehn Stunden besetzt (Montag & Mittwoch von 10:00 bis 13:00, Dienstag & Donnerstag von 16:00 bis 18:00); in der übrigen Zeit war ein Anrufbeantworter ge126 schaltet . Die Verteilung der Anrufe über die Sprechstundenzeiten weist, wenn die nicht zu unterschätzende Anzahl fehlender Angaben von fast 35% vernachlässigt wird, eine Häufung der Anrufe in der ersten Stunde der Vormittagssprechstunde (10:00-11:00) und in den angebotenen Sprechstunden am späten Nachmittag (16:00–17:00 und 17:00-18:00) auf. Die Betrachtung des Anrufaufkommens in Relation zu den Sprechstunden pro Wochentag zeigt, dass vor allem die zweistündige Sprech126 Der Text des Anrufbeantworters gab Auskunft über die Sprechstundenzeiten und verwies auf die Beratung der Telefonseelsorge in Krisensituationen. 197 zeit am Donnerstag stark frequentiert ist (48 Anrufe am Donnerstag gegenüber 26,3 Anrufen am Mittwoch pro Stunde), und insgesamt eine stärkere Inanspruchnahme der Abendsprechstunden. Ein Sprechstundenangebot am späten Nachmittag bzw. frühen Abend ist insbesondere 127 für Berufstätige ansprechender . Die starke Donnerstags-Nutzung kann zudem auf das herannahende Wochenende und die mit dieser Sprechzeit verbundene letzte Möglichkeit, vor Montag noch das telefonische Beratungsangebot des Modellprojekts in Anspruch zu nehmen und Hilfe zu erhalten, zurückgeführt werden. Tabelle 6.2.2.3/4: Gesprächsdauer (in Minuten) aller eingegangenen Anrufe beim Krisen- und Beratungstelefon im Alter (01.03.1999 bis 14.02.2001) Jahr 1999 2000 2001 Gesamt Fehlend Gesamt N Minimum Maximum M SD 121 130 17 268 93 361 3 1 1 1 60 90 105 105 21,4 20,4 22,7 21,0 11,5 12,3 25,2 13,0 Tabelle 6.2.2.3/5: Kategoriale Darstellung der Dauer der Gespräche (in Minuten) aller eingegangenen Anrufe beim Krisen- und Beratungstelefon im Alter (01.03.1999 bis 14.02.2001) ≤ 5 Minuten 6-15 Minuten 16-30 Minuten 31-45 Minuten 46-60 Minuten ≥ 61 Minuten Gesamt Fehlend Gesamt Häufigkeit Prozent gültige Prozente 23 94 118 23 8 2 268 93 361 6,4 26,0 32,7 6,4 2,2 0,6 74,2 25,8 100,0 8,6 35,1 44,0 8,6 3,0 0,7 100,0 Die durchschnittliche Dauer der Gespräche zwischen BeraterInnen und KlientInnen beim Krisen- und Beratungstelefon im Alter lag – mit einer recht großen Varianz und großem Range – bei 21 Minuten. Nur 12,3% der Gespräche nahmen mehr als 30 Minuten in Anspruch. Da es sich 127 Das Beratungsangebot des Modellprojekts richtete sich nicht nur an ältere Menschen, sondern auch an deren Angehörige sowie an Dritte, die von Gewaltfällen Kenntnis genommen hatten. 198 hier um die Gesamtheit aller eingegangenen Anrufe handelt, sind Fehlanrufe und das Abrufen von Projektinformationen, die in der Regel in kurzer Zeit bearbeitet werden konnten, in der Übersicht enthalten. In Graphik 6.2.2.3/1 ist das Verhältnis von Erstanrufen zu Folgekontakten beim Krisen- und Beratungstelefon dargestellt. Unter den 307 ErstanruferInnen sind sechs KlientInnen, die bereits über die allgemeine Beratung Kontakt zum Modellprojekt aufgenommen hatten, bevor sie bei der Helpline anriefen. In 83,3% aller Anrufe ist der Anruf beim Krisen- und Beratungstelefon der erste Kontakt der AnruferInnen mit Beratungsangeboten des Modellprojekts. Bei den Folgeanrufen handelt es sich in 42,2% um den zweiten Anruf und in 10,9% um den dritten Anruf der KlientInnen bei der Helpline. Die weiteren Folgeanrufe sind hauptsächlich Wiederholungsanrufe einer einzelnen Person. Die Helpline wurde primär für einmalige bzw. erste Kontakte mit den Beratungsangeboten des Modellprojekts von den AnruferInnen genutzt. Graphik 6.2.2.3/1: Verhältnis von Erst- zu Folgeanrufen bei den am Krisen- und Beratungstelefon im Alter eingegangenen Anrufen (01.03.1999 bis 14.02.2001) 307 Erstanruf Folgeanruf 5 Nicht erkennbar für BeraterIn 46 199 128 Tabelle 6.2.2.3/6: Informationsquellen der ErstanruferInnen über das Krisen- und Beratungstelefon im Alter (01.03.1999 bis 14.02.2001) Häufigkeit Prozent gültige Prozente 81 60 7 26,9 19,9 2,3 42,2 31,3 3,6 Öffentlichkeitsarbeit insgesamt 148 49,1 77,1 Verwandte/Bekannte 129 institutionelle Verweise Gesamt Fehlend Gesamt 10 34 192 109 301 3,3 11,3 63,8 36,2 100,0 5,2 17,7 100,0 Zeitung/Medien Flyer/Plakat Veranstaltungen/Vortrag des Modellprojekts Die Angaben zu den Informationsquellen der AnruferInnen über das Krisen- und Beratungstelefon weisen auf Bedeutsamkeit und Wirksamkeit der Öffentlichkeitsarbeit für die Beratungsangebote des Modellprojekts hin. 77% der AnruferInnen, die erstmalig über die Helpline Kontakt zum Modellprojekt aufnehmen, haben dieses Angebot über die Medien, d.h. insbesondere durch Zeitungen oder durch die vom Projekt erstellten Handzettel und Plakate (31,3%), zur Kenntnis genommen. Weiterhin sind auch die institutionellen Verweise mit fast 18% eine Folge der Bekanntheit innerhalb der psychosozial-medizinischen Fachwelt. Es zeigt sich, dass die wichtigste Informationsquelle zur Ansprache von potenziellen NutzerInnen des Krisen- und Beratungstelefons Zeitungen und konkrete Werbematerialien für das Angebot selbst sind. 128 Es wurden hier nur Erstkontakte mit dem Modellprojekt berücksichtigt, d.h. KlientInnen, die erstmalig bei der Helpline anriefen, aber zuvor bereits im Rahmen der allgemeinen Beratung Kontakte zum Projekt hatten, wurden nicht gezählt. 129 Die institutionellen Verweise setzen sich folgendermaßen zusammen: Krankenkasse (8), Arzt (3), Polizei (2), Kommunaler Sozialdienst der Stadt Hannover (2), Apotheke (1), Deutsches Sozialwerk (1), Krankenhaussozialdienst (1), Seniorenarbeit (2), Telefonseelsorge (1), Sorgentelefon der städtischen Altenhilfe Hannover (1), Handeln statt Misshandeln – Bonner Initiative gegen Gewalt im Alter e.V. (4), Notruftelefon für Probleme mit stationärer/ambulanter Pflege des Landesverbandes Niedersachsen des Sozialverbandes Reichsbund e.V. (2), Weißer Ring e.V. (1), HerbstRose e.V. (1), Referat für Gleichstellungsfragen-Frauenbüro der LH Hannover (1), Sozialstation (1), Kirchengemeinde (1) und IKEM, eine städtische Einrichtung zur Vermittlung ehrenamtlicher MitarbeiterInnen (1). 200 Tabelle 6.2.2.3/7: Gesprächsanlass, der den beim Krisen- und Beratungstelefon im Alter eingegangenen Anrufen nach Einschätzung der BeraterInnen zugrunde lag (01.03.1999 bis 14.02.2001) Gewaltproblematik andere Problematik Gewaltproblematik und andere Problematik Fehlanruf (von BeraterIn so gekennzeichnet) Ersuchen um Projektinformatio130 nen Gesamt 131 Fehlend Gesamt Häufigkeit Prozent Gültige Prozente 103 118 35 28,5 32,7 9,7 31,5 36,1 10,7 40 11,1 12,2 31 8,6 9,5 327 34 361 90,6 9,4 100,0 100,0 In 42,2% aller eingegangenen und von den BeraterInnen diesbezüglich klassifizierten Anrufe war der Gesprächsanlass nach Einschätzung der BeraterInnen das Vorliegen einer Gewaltproblematik, z.T. in Verbindung mit weiteren Problemfeldern. Einen nicht zu unterschätzenden Anteil von 36,1% macht die Anrufergruppe mit anderen (Alters-) Problematiken aus (vgl. dazu Kapitel 6.2.2.3.2). Bei den Fehlanrufen findet sich eine große Bandbreite von Konstellationen; diese umfasst u.a. AnruferInnen, die eine Wohnungstauschbörse suchen, Aufklärung über das klinische Bild der Depression wünschen oder Adressen von Selbsthilfegruppen für junge Transsexuelle möchten. Eine weitere Untergruppe bei den Fehlanrufen bilden AnruferInnen mit einem akuten Bedarf an psychosozialer Krisenintervention, die nicht genau wissen, an wen sie sich wenden sollen und daher eine Telefonnummer aus der Rubrik „Notrufnummern“ der Presse entnehmen; es handelte sich in diesen Fällen um Konstellationen, die weder Alters- noch Gewaltproblematiken zuzuordnen waren. 6.2.2.3.2 Analyse der Beratungsfälle im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons im Alter anhand der Erstanrufe (N = 214) Standen bislang Art und Anzahl der eingegangenen Anrufe im Vordergrund, sollen nun die im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons im 130 Z.B. Anforderung von Flyern, Nachfrage wegen eines Vortrages. 131 Eine nachträgliche Klassifikation des Gesprächsanlasses durch die Begleitforschung erfolgte in Fällen, in denen dies aufgrund der vorliegenden weiteren Falldokumentation eindeutig möglich war. Diese Fälle sind in der vorliegenden Tabelle den entsprechenden Kategorien zugeordnet. 201 Alter bearbeiteten Beratungsfälle anhand der jeweiligen Erstanrufe analysiert werden. Es muss dazu eine Reduktion auf Kontakte vorgenommen werden, in denen seitens der Helpline Beratung geleistet wurde; ferner können mehrere Anrufe einen Fall konstituieren. Im Terminus der Epidemiologie wird die „Inzidenzrate der Beratungsfälle“ des Krisenund Beratungstelefons im Alter betrachtet. Im Einzelnen wurden diejenigen Anrufe von den insgesamt N = 361 Anrufen ausgeschlossen, die mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllten: (a) Folgeanruf bei der Helpline, d.h. keine Doppelzählung von Wiederholungsanrufen eines Beratungsfalles; dies führt dazu, dass Veränderungen der Fallschilderung bzw. des Falles selbst hier nicht erfasst werden. Beratungsfälle, in denen es zu wiederholten Beratungsgesprächen im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons oder nach einem Erstkontakt am Krisen- und Beratungstelefon zu einem Übergang in die allgemeine Beratung des Modellprojekts kam, sind in die Auswertung der allgemeinen Beratung eingegangen (s. Kapitel 6.2.2.2.3.2); (b) Folgekontakt mit dem Modellprojekt, d.h. keine Doppelzählung zwischen Helpline und allgemeiner Beratung, also keine Doppelzählung eines Beratungsfalles im Rahmen der verschiedenen Beratungsangebote des Modellprojekts; es handelt sich hier zwar um einen Erstanruf bei der Helpline, aber zuvor gab es bereits Kontakte der KlientInnen zum Modellprojekt im Rahmen der allgemeinen Beratung. Diese Fälle gehören zu den Fällen der allgemeinen Beratung und sind somit auch dort in die Auswertung eingegangen (s. Kapitel 6.2.2.2.3.2); (c) Fehlanruf (entsprechend der Kennzeichnung auf dem Fallerfassungsbogen durch BeraterIn); (d) Abfrage von Projektinformationen (AnruferInnen, die z.B. Flyer anfordern, sich nach Diplomarbeiten erkundigen etc.); (e) keine Angabe über den Gesprächsanlass durch die/den BeraterIn auf dem Fallerfassungsbogen bzw. eine nachträgliche Klassifikation war aufgrund der Falldokumentationen nicht eindeutig vorzunehmen. 202 Tabelle 6.2.2.3/8: Anzahl der neu aufgenommenen Beratungsfälle beim Krisen- und Beratungstelefon im Alter (01.03.1999 bis 14.02.2001) Gesamtzahl der eingegangenen Anrufe Zahl der Beratungsfälle Prozent aller Beratungsfälle 1999 März 1999 April 1999 Mai 1999 Juni 1999 Juli 1999 August 1999 September 1999 Oktober 1999 November 1999 Dezember 1999 Gesamt 1999 14 15 17 15 18 20 15 13 8 16 151 8 8 13 9 13 9 5 5 3 9 82 3,7 3,7 6,1 4,2 6,1 4,2 2,3 2,3 1,4 4,2 38,3 2000 Januar 2000 Februar 2000 März 2000 April 2000 Mai 2000 Juni 2000 Juli 2000 August 2000 September 2000 Oktober 2000 November 2000 Dezember 2000 Gesamt 2000 23 20 15 15 16 15 20 18 5 14 14 7 182 13 14 10 13 12 10 13 13 4 8 7 3 120 6,1 6,5 4,7 6,1 5,6 4,7 6,1 6,1 1,9 3,7 3,3 1,4 56,1 2001 Januar 2001 132 Februar 2001 Gesamt 2001 17 11 28 9 3 12 4,2 1,4 5,6 361 214 100,0 Gesamt 01.03.99 bis 14.02.01 132 Der Auswertungszeitraum endet am 14.02.2001. 203 Tabelle 6.2.2.3/9: Gesprächsanlass bei den neu aufgenommenen Beratungsfällen des Krisen- und Beratungstelefons im Alter (01.03.1999 bis 14.02.2001) 1999 2000 2001 1999 – 2001 Gewaltproblematik Gewaltproblematik und andere Problematik andere Problematik Gesamt Gewaltproblematik Gewaltproblematik und andere Problematik andere Problematik Gesamt Häufigkeit 32 13 Prozent 39,0 15,9 37 82 45,1 100,0 43 15 35,8 12,5 62 120 51,7 100,0 Gewaltproblematik Gewaltproblematik und andere Problematik andere Problematik Gesamt 2 2 16,7 16,7 8 12 66,7 100,0 Gewaltproblematik 77 36,0 Gewaltproblematik und andere Problematik andere Problematik Gesamt 30 14,0 107 214 50,0 100,0 133 59,3% aller eingegangenen Anrufe (214 von 361 Anrufen) im Zeitraum von März 1999 bis Februar 2001 beim Krisen- und Beratungstelefon im Alter begründeten Beratungsfälle. Der Vergleich des Anteils von Beratungsfällen zur Gesamtmenge der eingegangenen Anrufen zeigt für das Jahr 2000 und ebenfalls für die letzten zwei Monate der Laufzeit 2001 eine Zunahme der Beratungsfälle im Vergleich zum ersten Jahr der Laufzeit des Krisen- und Beratungstelefons (s. Graphik 6.2.2.3/2). Diese Zunahme ist nicht auf eine Zunahme des Anteils von Beratungsfällen mit Gewaltproblematik, sondern auf eine Zunahme der Fälle mit anderer Problematik zurückzuführen (s. Tabelle 6.2.2.3/9). Bei den „anderen Problematiken“ handelte es sich beispielsweise um Anfragen im Rahmen von Unterstützungs- und Hilfsdiensten (z.B. Haushaltshilfe, betreutes Wohnen), Schwierigkeiten mit Ämtern und Behörden, Anfragen und Probleme im Rahmen von Pflege (Suche eines Pflegedienstes, Abfrage von Heimlisten, Schwierigkeiten mit Pflegekassen und -leistun133 Nach Ausschluss von Fehlanrufen, Projektinformationsabfragen, Wiederholungskontakten und fehlenden Informationen über den Gesprächsanlass. 204 gen, Pflegebedürftigkeit nahestehender Personen), Einsamkeit und Isolation. Es zeigt sich, dass in 41,1% der Beratungsfälle Pflegebedürftigkeit und in 27,1% weiterer Unterstützungsbedarf vorlag; in einer kleineren Untergruppe von 11,2% war eine gesetzliche Betreuung eingerichtet (s. Tabellen 6.2.2.3/10). Der hohe Anteil anderer Problematiken unter den Beratungsfällen ist eine Folge der gezielt für das Beratungstelefon betriebenen Öffentlichkeitsarbeit. Das Modellprojekt hat bereits im Namen des Telefons den Gewaltbegriff vermieden, um mögliche Zielgruppen, insbesondere auch im Sinne präventiver Beratungsangebote, nicht abzuschrecken. In der detaillierteren Öffentlichkeitsarbeit für das Krisen- und Beratungstelefon wurden jedoch auch Gewaltsituationen explizit als Beispiele geschildert. Graphik:6.2.2.3/2: Eingegangene Anrufe im Vergleich zu Beratungsfällen 200 eingegangene Anrufe 1999 182 Beratungsfälle 1999 151 150 eingegangene Anrufe 2000 120 82 Beratungsfälle 2000 100 eingegangene Anrufe 2001 50 28 12 Beratungsfälle 2001 0 205 Tabelle 6.2.2.3/10: Pflegebedürftigkeit, weiterer Unterstützungsbedarf und gesetzliche Betreuungen von Fall- oder Problembeteiligten bei Beratungsfällen des Krisen- und Beratungstelefons im Alter (01.03.1999 bis 14.02.2001) Einschränkungen Pflegebedürftigkeit Weiterer Unterstützungsbedarf134 gesetzliche Betreuung N 88 liegt vor in % 41,1 liegt nicht vor N in % 84 39,3 keine Angabe N in % 42 19,6 58 27,1 76 35,5 80 37,4 24 11,2 126 58,9 64 29,2 AnruferInnen Anrufende in Beratungsfällen des Krisen- und Beratungstelefons waren überwiegend Frauen (66,8%). Der Altersdurchschnitt der AnruferInnen liegt bei 67,9 Jahren, wobei der – bei einem anonymen und mit der Anonymität werbenden Angebot naheliegende – hohe Anteil von fehlenden Altersangaben zu berücksichtigen ist. Die jüngste AnruferIn war 28, die älteste 93 Jahre alt. Das Telefon wurde sowohl von der jungen Generation (bis 30 Jahre) als auch von über 80jährigen seltener in Anspruch genommen. Bei unter 30jährigen kann dies auf eine geringere (in-)direkte Betroffenheit, bei der Generation der über 80jährigen auf eine schwerere Erreichbarkeit sowie auf stärkere Einschränkungen bei der Inanspruchnahme derartiger Angebote zurückgeführt werden. Das anonyme telefonische Beratungsangebot wurde in rund 40% der Fälle von Opfern und nur in drei Fällen von TäterInnen in Anspruch genommen. Bei der Klassifikation von Opfern und TäterInnen ist zu berücksichtigen, dass diese Zuordnungen aufgrund der subjektiven Schilderungen der Anrufenden vorgenommen wurden und weitere Perspektiven auf diese Beratungsfälle zu diesem Zeitpunkt für die Beratenden nicht vorlagen. Zwei etwa gleich große NutzerInnengruppen stellen mit jeweils etwa 20% direkt von der Problematik betroffene Personen (Problembeteiligte), bei denen keine Täter-Opfer-Zuordnung möglich war sowie mit direkt Betroffenen verwandte BeobachterInnen (Fallbeteiligte) dar. Andere Fallbeteiligte (beispielsweise Bekannte, NachbarInnen, FreundInnen) und professionelle Fachkräfte aus relevanten Bereichen machen jeweils ca. 8% der Anrufenden aus. Insgesamt 63,5% der GesprächspartnerInnen sind von den Problematiken, wegen derer sie 134 Z.B. Angewiesensein auf Sozialhilfe; Hilfsbedürftigkeit bei alltäglichen Aktivitäten wie Einkaufen, Putzen etc. 206 die Helpline in Anspruch nehmen, direkt betroffen, und 36,6% der Anrufenden sind Dritte, d.h. Personen, die Gewaltsituationen älterer Menschen oder altersspezifische Problematiken beobachten. Graphik 6.2.2.3/3: Anruferinnen und Anrufer bei den Beratungsfällen des Krisen- und Beratungstelefons im Alter (01.03.1999 bis 14.02.2001) 61 weiblich männlich 143 10 nicht erkennbar aus Unterlagen Tabelle 6.2.2.3/11: Alter der Anrufenden in Beratungsfällen des Krisen- und Beratungstelefons im Alter (01.03.1999 bis 14.02.2001) bis 30 Jahre 31-50 Jahre 51-60 Jahre 61-65 Jahre 66-70 Jahre 71-75 Jahre 76-80 Jahre 81-85 Jahre 86-90 Jahre älter als 90 Jahre Gesamt 135 Fehlend Gesamt Häufigkeit Prozent Gültige Prozente 1 11 19 12 17 17 16 7 7 1 108 106 214 0,5 5,1 8,9 5,6 7,9 7,9 7,5 3,3 3,3 0,5 50,5 49,5 100,0 0,9 10,2 17,6 11,1 15,7 15,7 14,8 6,5 6,5 0,9 100,0 Mittelwert des Alters der AnruferInnen: 67,87 Jahre (SD = 12,68) 135 Der hohe Anteil von AnruferInnen, bei denen keine Angaben zum Alter vorliegen, hat zwei Gründe. Zum einen wird im Fallerfassungsbogen das Alter der direkt betroffenen Personen, jedoch nicht explizit das Alter der GesprächspartnerInnen erfragt. Lediglich in den Fällen, in denen die Anrufenden direkt betroffen sind, liegen Altersangaben der GesprächspartnerInnen vor. Zum anderen ist die Einschätzung des Alters bei telefonischen Beratungsangeboten ohnehin schwierig. 207 Tabelle 6.2.2.3/12: Status der Anrufenden in Beratungsfällen des Krisen- und Beratungstelefons im Alter (01.03.1999 bis 14.02.2001) Problembeteiligte 136 direkt Betroffene/r erlebt sich als Opfer direkt Betroffene/ erlebt sich als TäterIn direkt Betroffene/r ohne 137 Täter-Opfer-Zuordnung 138 direkt Betroffene: Opfer und TäterIn Fallbeteiligte mit direkt Betroffenen verwandte BeobachterIn AnruferIn arbeitet in Institution Andere BeobachterIn Andere Gesamt Fehlend Gesamt Häufigkeit Prozent Gültige Prozente 82 2 44 38,3 0,9 20,6 40,0 1,0 21,5 1 0,5 0,5 40 18,7 19,5 17 18 1 205 9 214 7,9 8,4 0,5 95,8 4,2 100,0 8,3 8,8 0,5 100,0 Zu den Gesprächen und Kontraktvereinbarungen Bei Erstkontakten in Beratungsfällen am Krisen- und Beratungstelefon lag die durchschnittliche Gesprächsdauer bei 21,9 Minuten mit einer Spannweite von 1 bis 105 Minuten. Die kategoriale Aufschlüsselung der Gesprächsdauer zeigt, dass die meisten Beratungsgespräche in einer Zeitspanne von sechs Minuten bis zu einer halben Stunde angesiedelt sind (s. Tabelle 6.2.2.3/13). Den kürzeren Gesprächen liegen häufig entweder Delegationen der KlientInnen an andere Institutionen oder konkrete Anfragen der KlientInnen wie z.B. nach dem Muster einer Patientenverfügung oder nach einer Heimliste zugrunde. Tabelle 6.2.2.3/14 stellt die im Rahmen des Erstgesprächs getroffenen Kontrakt-Vereinbarungen dar, d.h. die Absprachen zwischen BeraterInnen und KlientInnen hinsichtlich einer Fortführung der Beratung im 136 Die Einschätzung des Status von Anrufenden als „Opfer“ und / oder „TäterIn“ wurde von den BeraterInnen vorgenommen. In Fällen, in denen sich die Anrufenden als Opfer schilderten, wurde dies von den BeraterInnen so festgehalten, da für sie die subjektive Wahrnehmung der KlientInnen ausschlaggebend war. Unter den 81 Fällen sind also durchaus auch Fälle, in denen von anderen Beurteilenden abweichende Einschätzungen vorgenommen werden würden. 137 Nach Angabe der BeraterIn liegt eine direkte Betroffenheit vor, eine weitere Differenzierung des Status ist nicht angegeben. Diese Kategorie wurde in Fällen verwandt, in denen Anrufende direkt von einer Problemkonstellation betroffen sind, aber die Begrifflichkeiten „Opfer“ und „TäterIn“ nicht angemessen sind. Es handelt sich hier in der Mehrzahl der Fälle um Konstellationen mit Nicht-Gewaltproblemen. 138 In einem Fall wurde der Status der anrufenden Person sowohl mit „Opfer“ als auch mit „TäterIn“ angegeben. 208 Rahmen der Angebote des Modellprojekts oder einer Delegation an andere Institutionen, Einrichtungen und Initiativen. In 21,5% der Fälle wurden zwischen den Anrufenden und den Beratenden konkrete weitere Beratungsgespräche und in 3,7% wurde ein Hausbesuch bei der KlientIn vereinbart; in 36,5% der Erstberatungsgespräche wurde den KlientInnen angeboten, dass sie sich, wenn weiterer Beratungsbedarf bestehen sollte, wieder an das Modellprojekt wenden könnten, und in 24,3% der Fälle wurden die KlientInnen aufgrund ihrer Problemschilderungen an andere Institutionen weiterverwiesen. Aufgrund der vorliegenden Falldokumentationen der allgemeinen Beratung lassen sich die tatsächlich stattgefundenen weiteren Beratungen im Rahmen der allgemeinen Beratung mit den beim Erstgespräch getroffenen Kontraktvereinbarungen vergleichen. Ein Übergang in die allgemeine Beratung ist in 61 Beratungsfällen des Krisen- und Beratungstelefons zu verzeichnen. In sechs weiteren Fällen kommt es zu Wiederholungskontakten im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons im Alter. Diese Fälle sind in die Auswertung der allgemeinen Beratung des Modellprojekts eingegangen und dort weitergehend analysiert worden (s. Kap. 6.2.2.4). Tabelle 6.2.2.3/13: Gesprächsdauer (in Minuten) bei Beratungsfällen des Krisen- und Beratungstelefons im Alter (01.03.1999 bis 14.02.2001) ≤ 5 Minuten 6-15 Minuten 16-30 Minuten 31-45 Minuten 46-60 Minuten ≥ 61 Minuten Gesamt Fehlend Gesamt Häufigkeit Prozent 11 72 90 16 7 2 198 16 214 5,1 33,6 42,1 7,5 3,3 0,9 92,5 7,5 100,0 Kumulierte Prozente 5,6 41,9 87,4 95,5 99,0 100,0 mittlere Gesprächsdauer: 21,85 Minuten (SD = 13,50; Minimum 1 Minute, Maximum 105 Minuten) 209 Tabelle 6.2.2.3/14: Kontraktvereinbarungen in den Beratungsfällen des Krisen- und Beratungstelefons im Alter (01.03.1999 bis 14.02.2001) Hausbesuch Andere weitere Beratung durch Modellprojekt Bei Bedarf weitere Beratung durch Modellprojekt Weiterverwiesen Weiterverwiesen und gleichzeitig weitere Beratung durch Modellprojekt Weiterverwiesen und bei Bedarf weitere Beratung durch Modellprojekt Keine Absprachen 139 Sonstiges Gesamt Fehlend Gesamt Häufigkeit 8 46 Prozent 3,7 21,5 Gültige Prozente 4,0 23,2 56 26,2 28,3 52 2 24,3 0,9 26,3 1,0 22 10,3 11,1 6 6 198 16 214 2,8 2,8 92,5 7,5 100,0 3,0 3,0 100,0 6.2.2.3.3 Beratungsfälle mit Gewaltproblematik im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons (N=107) Grundlage der folgenden Aufschlüsselung sind 107 Beratungsfälle, in denen nach Angabe der BeraterInnen eine Gewaltproblematik vorlag (teils in Kombination mit anderen Problemkonstellationen). Die Charakterisierung dieser Fälle erfolgte auf der Grundlage des zuerst ausgefüllten Dokumentationsbogens und ausschließlich nach den Angaben der BeraterInnen bzw. der von ihnen berichteten KlientInnenangaben. In einigen Fällen war die Zuordnung aufgrund der vorliegenden Informationen schwierig, in einem Fall nicht möglich. Die Codierung folgte folgenden Maßgaben: Soweit aus den Unterlagen der BeraterInnen ersichtlich war, wie die Anrufenden die Situation schilderten, wurden deren Angaben übernommen, soweit dies nicht ersichtlich war, wurden die Angaben der BeraterIn übernommen. Bei Wahnvermutungen/Vermutung von psychotischen Störungen bei den Anrufenden seitens der BeraterInnen wurden deren Einschätzungen übernommen. Diese Fälle sind, wenn nicht explizit darauf hingewiesen wird, in die Auswertung einbezogen worden. 139 In diesen Fällen konnten die Anliegen der Anrufenden durch die Zusendung von Informationsmaterialien befriedigt werden (z.B. Patientenverfügung, Heimliste, Leitfaden Betreutes Wohnen, Adressenliste von Einrichtungen, Angeboten und Diensten für SeniorInnen). 210 Die Analyse der Beratungsfälle mit Gewaltkonstellationen erfolgte anhand einiger zentraler in der Literatur diskutierter Risikofaktoren für Gewalt gegen Ältere (vgl. die Zusammenfassung bekannter Risikofaktoren in GÖRGEN & NÄGELE, 1999, S.24). Vorliegende Gewaltformen Das Vorliegen bzw. Nicht-Vorliegen der einzelnen Gewaltformen wurde für jeden der 107 Beratungsfälle betrachtet; innerhalb eines Falles können selbstverständlich mehrere Gewaltformen auftreten. Graphik 6.2.2.3/4 stellt die Verteilung der Gewaltformen dar. In zehn der 107 Fälle wurde das Vorliegen einer Gewaltproblematik von den BeraterInnen bejaht, differenzierende Angaben hinsichtlich der Gewaltformen jedoch unterlassen. In 48,6% der Fälle wird das Vorliegen genau einer Gewaltform benannt, und in 42,1% der Fälle werden Mehrfachviktimisierungen von Opfern geschildert. Graphik:6.2.2.3/4: Gewaltformen in den Beratungsfällen mit Gewaltproblematik des Krisen- und Beratungstelefons im Alter im Zeitraum 01.03.1999 bis 14.02.2001 (N = 107) 80 Psychische Misshandlung Physische Misshandlung Finanzielle Ausbeutung Einschränkung des freien Willens Aktive Vernachlässigung Passive Vernachlässigung 71 60 40 34 24 20 22 9 4 0 211 Tabelle 6.2.2.3/15: Gewaltformen in den Beratungsfällen mit Gewaltproblematik des Krisen- und Beratungstelefons im Alter im Zeitraum 01.03.1999 bis 14.02.2001 (164 Nennungen in 107 Fällen) N Psychische Misshandlung Physische Misshandlung Finanzielle Ausbeutung Einschränkung des freien Willens Aktive Vernachlässigung Passive Vernachlässigung Gesamt % der Fälle 71 34 24 22 % der Nennungen 43,3 20,7 14,6 13,4 9 4 164 5,5 2,4 100,0 8,4 3,7 66,4 31,8 22,4 20,6 Einige Beispiele der häufiger geschilderten Gewalthandlungen der Anrufenden sollen zunächst einen Eindruck der vorgenommenen Klassifikation der Gewaltformen vermitteln, die sich weitgehend an der Nomenklatur von M. DIECK (1987) orientiert: Misshandlung Formen physischer Misshandlung: Schläge, Schubsen, mit Gegenständen bewerfen, Kratzen, Einschließen/Immobilisieren • Formen psychischer Misshandlung: Anschreien, Beschimpfungen, Demütigungen, unter Druck setzen, Drohungen • finanzielle Ausbeutung: Geldforderungen von nahestehenden Personen, die mit Besuchseinschränkungen drohen, Übertragung von Eigentum unter falschen Versprechungen • Einschränkung des freien Willens: Kontrolle des Verhaltens, Verhinderung von sozialen Kontakten, Behinderung bei der Wahl des Wohnortes. • Vernachlässigung • • • unzureichende Mobilisierung von Pflegebedürftigen, eher selten unzureichende Versorgung mit Flüssigkeit/Nahrung, allgemeine Beschreibungen wie „inadäquate“ Pflege sowie unzureichende Versorgung In 66,4% der 107 Fälle wurde von den Anrufenden psychische Gewalt geschildert, in 31,8% der Fälle physische Gewalt und in jeweils ca. 20% der Gewaltfälle wurden finanzielle Ausbeutung und Einschränkung des freien Willens berichtet. Die beiden Unterformen der Vernachlässigung, die in Versorgungs- bzw. Pflegekonstellationen von Relevanz sind, wurden seltener genannt. Bei Fällen von Vernachlässigung kommt zum 212 Tragen, dass Opfer in vielen Fällen nicht dazu in der Lage sind, selbst ein Hilfeangebot in Anspruch zu nehmen und Vernachlässigung für Dritte, insbesondere für Laien, oft schwer wahrnehmbar ist. Auffällig ist der recht hohe Anteil von physischer Gewalt, der von den Anrufenden geschildert wird. Bei einer Betrachtung des Status der Anrufenden und der von ihnen geschilderten Gewaltformen zeigt sich, dass finanzielle Ausnutzung und psychische Gewalt häufiger von Opfern als von Dritten beschrieben werden, während physische Gewalt, Einschränkung des freien Willens und Vernachlässigung häufiger von Beobachtenden als von Opfern geschildert werden. Situationsmerkmale Tabelle 6.2.2.3/16: Pflegebedürftigkeit, weiterer Unterstützungsbedarf und gesetzliche Betreuungen von Problembeteiligten bei Beratungsfällen mit Gewaltproblematik des Krisen- und Beratungstelefons im Alter (N = 107 Fälle) Einschränkungen Pflegebedürftigkeit weiterer Unter140 stützungsbedarf gesetzliche Betreuung liegt vor N in % 53 49,5 liegt nicht vor N in % 42 39,3 keine Angabe N in % 12 11,2 34 31,8 42 39,3 31 29,0 14 13,1 70 65,4 23 21,5 In dem hier untersuchten Fallaufkommen ereignen Gewalthandlungen im Alter sich nicht nur in Pflegebeziehungen und Abhängigkeitsverhältnissen im Bereich der Versorgung und richten sich etwa zur Hälfte gegen ältere pflegebedürftige, besonders hilfebedürftige Personen; dies verdeutlicht die Betrachtung der Pflegebedürftigkeit und des Hilfe- und Unterstützungsbedarfs von direkt Problembeteiligten. In rund 50% der Fälle wird das Vorliegen einer Pflegebedürftigkeit von Problembeteiligten berichtet, und in 14 dieser 53 Fälle liegt eine gesetzliche Betreuung von problembeteiligten Personen vor. Weiterer Unterstützungsbedarf von Problembeteiligten wird hauptsächlich in Fällen angegeben, an denen keine pflegebedürftigen Personen beteiligt sind. Nur in 12 Fällen, in denen Pflegebedürftigkeit nicht vorliegt bzw. keine Angaben hierzu vor- 140 Z.B. Angewiesensein auf Sozialhilfe, Hilfsbedürftigkeit bei alltäglichen Aktivitäten wie Einkaufen, Putzen etc. 213 handen sind, wird weiterer Unterstützungsbedarf wie beispielsweise Hilfen bei der Haushaltsführung beschrieben. Ort der Gewalterfahrungen In zwei Fällen handelt es sich um Gewalt im öffentlichen Raum, in 11 Fällen werden Beschwerden über Missstände in stationären Pflegeeinrichtungen vorgebracht, und in 90 Fällen werden Gewalthandlungen in der Häuslichkeit geschildert. In einem Fall häuslicher Gewalt werden gleichzeitig Beschwerden über ambulante professionelle Pflege vorgebracht. In vier Fällen wurde eine Zuordnung des Ortes der Gewalterfah141 rungen nicht vorgenommen . Bei Gewalt im öffentlichen Raum und Gewalt in Institutionen liegen die geschilderten Konstellationen außerhalb des von den MitarbeiterInnen definierten Zuständigkeitsbereiches des Modellprojekts, welcher sich auf den persönlichen Nahraum, d.h. Gewalt in der Häuslichkeit, beschränkte. Personenmerkmale Psychotische Symptomatik der Anrufenden In sieben der 107 Fälle mit Gewaltproblematiken vermuteten die BeraterInnen, dass bei den Anrufenden eine psychotische/wahnhafte Erkrankung vorliegt. In diesen Fällen wurden die berichteten Gewalterfahrungen von den BeraterInnen als zweifelhaft, unwahrscheinlich oder ausgeschlossen klassifiziert und als Ausdruck einer zugrundeliegenden wahnhaften (paranoiden) Symptomatik gewertet. In allen sieben Fällen beschreiben sich die Anrufenden als Opfer von Gewalthandlungen. Als TäterInnen benennen sie in drei Fällen konkrete Personen; dabei handelt es sich zweimal um nicht mit dem Opfer verwandte Personen aus dem sozialen Umfeld und einmal um den Neffen der Anruferin. In drei dieser Fälle haben im Rahmen der allgemeinen Beratung weitere Kontakte stattgefunden. Status der Anrufenden In 56 Fällen rief das Opfer an, in einem Fall die Täterin, und in 44 Fällen meldeten sich Fallbeteiligte. In einem Fall rief eine Täterin an, die gleichzeitig als Beobachterin von Missständen in einer Institution berichtete; in einem anderen Fall wandte sich eine Frau an die Helpline, die Gewalt zwischen einem älteren Ehepaar beobachtet hatte und sich selbst auch als Opfer des Ehemannes beschrieb. In vier Fällen war eine 141 Hier wurden z.B. Staat oder Krankenkasse als gewaltausübend beschrieben. Eine Zuordnung zu Fällen häuslicher Gewalt wäre in diesen Fällen nicht adäquat. 214 Einordnung des Status der Anrufenden aufgrund fehlender Angaben nicht möglich. Graphik 6.2.2.3/5: Status der Anrufenden in Beratungsfällen mit Gewaltproblematik des Krisen- und Beratungstelefons im Alter (01.03.1999 bis 14.02.2001) 1 44 Problembeteiligte, Opfer (56) Problembeteiligte, TäterIn (1) Fallbeteiligte (BeobachterIn) (44) 1 1 4 zugleich TäterIn und BeobachterIn (1) zugleich Opfer und BeobachterIn (1) unklar (4) 56 Personenmerkmale von Opfern und TäterInnen Geschlecht von Opfern und TäterInnen In 20 Fällen lässt sich das Geschlecht der TäterInnen nicht bestimmen bzw. ist die Kategorie nicht sinnvoll anwendbar (in einigen Fällen von Gewalt in stationären Einrichtungen, bei unklaren Situationen und bei ‚anonymen‘ TäterInnen wie Staat oder Krankenkasse). In den verbleibenden 87 Fällen werden 41 mal Frauen, 38 mal Männer und in acht Fällen ein Ehepaar bzw. ein Mann und eine Frau als gewaltausübend beschrieben. In drei sehr unklaren Fällen lässt sich das Geschlecht des Opfers nicht identifizieren. In 77 der verbliebenen 104 Fälle ist das Opfer weiblich, in 23 Fällen männlich, in vier Fällen ist ein (Ehe)Paar Opfer von Gewalt. Frauen und Männer werden ähnlich häufig als TäterInnen beschrieben; unter den Personen, die Opfer von Gewalthandlungen werden, hingegen zeigt sich mit insgesamt 72,0% eine deutlich Dominanz der Frauen. 215 Tabelle 6.2.2.3/17: Geschlecht der TäterInnen in Beratungsfällen mit Gewaltproblematik des Krisen- und Beratungstelefons im Alter (01.03.1999 bis 14.02.2001) Anzahl der Fälle 41 38 8 20 107 Frauen Männer Frau und Mann (Ehe-)Paar Nicht zuzuordnen/unklar Gesamt Prozent 38,3 35,5 7,5 18,7 100,0 Graphik 6.2.2.3/6: Anzahl der Opfer und TäterInnen in Beratungsfällen mit Gewaltproblematik des Krisen- und Beratungstelefons im Alter nach Geschlecht (N = 107 Fälle; 01.03.1999 bis 14.02.2001) 77 80 60 40 41 weibliche Täterin weibliches Opfer 38 23 männlicher Täter 20 männliches Opfer 0 Pflegestatus von Opfern und TäterInnen In insgesamt 53 der 107 Gewaltfälle wurde Pflegebedürftigkeit von Problembeteiligten angegeben. In 36 der 53 Gewaltfälle, in denen Pflegebedürftigkeit vorliegt, lässt sich eine Aussage über den Pflegesta142 tus der gewaltausübenden Person machen: In 25 Fällen ist dies die pflegeausübende Person und in zehn Fällen die pflegeempfangende Person; in einem Fall wurden beide Personen als TäterInnen und Opfer sowie gleichzeitig als pflegeausübend und pflegeempfangend beschrie143 ben . In 45 Fällen lässt sich den Opfern ein Pflegestatus zuordnen: In 32 Fällen sind die Opfer pflegeempfangend und in zehn Fällen sind die Opfer 142 Unter Pflegestatus wird die Rolle einer Person innerhalb einer Pflegebeziehung verstanden. 143 Es handelt sich um eine über 80jährige pflegebedürftige Frau, die von ihrer behinderten Tochter versorgt wird. 216 pflegeausübende Personen. In drei Fällen sind die Opfer sowohl pfle144 geausübend als auch pflegeempfangend . Graphik 6.2.2.3/7: Pflegestatus von Opfern und TäterInnen in Beratungsfällen mit Gewaltproblematik und vorliegender Pflegebedürftigkeit von Problembeteiligten des Krisen- und Beratungstelefons im Alter (01.03.1999 bis 14.02.2001) 40 32 Pflegeausübende TäterIn 25 Pflegeausübendes Opfer 20 10 10 Pflegeempfangende TäterIn Pflegeempfangendes Opfer 0 Vorliegen von Risikofaktoren auf Seiten der Opfer und TäterInnen In 28 der 107 Gewaltfälle sind besondere Merkmale des Opfers zu verzeichnen (26,6%). Es handelt sich dabei um folgende auch in der Literatur beschriebene Risikofaktoren: • • • • • • • 9 x Demenz, Verwirrung, Desorientiertheit 6 x Psychotische Störung/Wahnhafte (paranoide) Störung 5 x andere psychische Beeinträchtigungen (z.B. Affektive Störungen, Angststörungen) 3 x nicht näher spezifizierte psychische Beeinträchtigungen 2 x Substanzmissbrauch (Alkohol, Medikamente, andere Drogen) 2 x finanzielle Abhängigkeit von der Täterin (nur bei privaten Beziehungen) 1 x Suizidversuch in Verbindung mit anderen psychischen Beeinträchtigungen. Bei den TäterInnen wurden in 19 der 107 Gewaltfälle (17,8%) besondere Merkmale verzeichnet, die als Risikofaktoren gelten können: 144 In einem Fall wurden beide Personen als TäterInnen und Opfer sowie als pflegeausübend und pflegeempfangend beschrieben (s. Status gewaltausübender Personen). In einem weiteren Fall ging es um wechselseitige Gewalthandlungen zwischen pflegender und pflegebedürftiger Person. In einem Fall wurden pflegeausübende und pflegeempfangende Person zu Opfern einer dritten gewaltausübenden Person. 217 • • • • • 7 x Demenz, Verwirrung, Desorientiertheit 5 x Substanzmissbrauch (Alkohol, Medikamente, andere Drogen) 5 x finanzielle Abhängigkeit vom Opfer 1 x Suizidversuch/Suizidgefährdung 1 x nicht näher spezifizierte psychische Beeinträchtigungen. In insgesamt drei Fällen sind sowohl bei den gewaltausübenden Personen als auch bei den Opfern besondere Risikofaktoren zu verzeichnen. In zwei Fällen werden sowohl bei Opfer als auch bei TäterIn Alkoholmissbrauch bzw. –abhängigkeit geschildert: einmal innerhalb einer Partnerschaft und einmal zwischen pflegender Tochter und pflegebedürftiger Mutter. Im dritten Fall liegt beim pflegebedürftigen, aggressiven Ehemann eine dementielle Erkrankung vor und bei seiner Ehefrau wird eine reaktive depressive Symptomatik geschildert. Beziehungskonstellationen und -merkmale Verhältnis zwischen Opfern und TäterInnen Im Folgenden wird der Status der Gewaltausübenden im Verhältnis zum Opfer dargestellt („Opferbezogener Status von TäterInnen“). In insgesamt 21 Fällen lässt sich ein Status der Gewaltausübenden in Bezug auf die Opfer nicht sinnvoll bestimmen: In neun Fällen handelt es sich dabei um stationäre Pflegeeinrichtungen, in zehn weiteren Fällen werden eine Firma, der Staat, eine Krankenkasse oder Vermieter genannt, und zwei Fälle lassen sich aufgrund der Schilderungen nicht zuordnen. In 13 Fällen waren NachbarInnen, Bekannte oder Mieter die beschriebenen TäterInnen. Bei den familiären Konstellationen lag in einem Fall die Vermutung einer psychotischen Störung der Anrufenden von Seiten der Beratenden vor. In 73 Fällen werden mit dem Opfer verwandte Personen als gewaltausübend beschrieben: • • • • • • • • • • • 18 x der Ehemann/Partner 15 x die Tochter/Schwiegertochter 12 x der Sohn/Schwiegersohn 9 x die Mutter/Schwiegermutter 4 x die Ehefrau/Partnerin 3 x die Nichte 1 x der Neffe 1 x die Großmutter 1 x der Bruder 1 x Schwester 1 x Enkelin 218 • 7 x mehrere mit dem Opfer verwandte Personen (z.B. Sohn und Schwiegertochter). Auch der Status des Opfers im Verhältnis zu den Gewaltausübenden wurde nur bei den Personen aufgeschlüsselt, bei denen innerfamiliäre Gewalt eine Rolle spielte und der Opferstatus zuzuordnen war (N=73). Bei den familiären Gewaltkonstellationen waren Opfer: • • • • • • • • • • • • 22 x die Mutter / Schwiegermutter 18 x die Ehefrau 8 x der Vater / Schwiegervater 6 x die Tochter 4 x die Tante 4 x der Ehemann 2 x die Schwester 2 x die Eltern 2 x der Sohn 1 x der Großvater 1 x die Enkelin 3 x mehrere mit der/dem Täter/in verwandte Personen (z.B. Großeltern und Eltern). Beziehungsmerkmale in familiären Gewaltkonstellationen In 22 Fällen handelt es sich bei den familalen Konstellationen um Gewalt in Ehen bzw. Partnerschaften, in 42 Fällen wurden Gewalthandlungen zwischen Eltern und ihren Kindern beschrieben, und in neun Fällen ereigneten sich die Gewalthandlungen in anderen verwandtschaftlichen Verhältnissen. In insgesamt 33 Fällen wurden Gewalthandlungen zwischen pflegenden und pflegebedürftigen Verwandten berichtet: in 11 Fällen zwischen EhepartnerInnen, in 19 Fällen zwischen den erwachsenen Kindern und ihren Eltern, und in drei Fällen bestanden andere verwandtschaftliche Beziehungen. In 54,8% der familalen Gewaltkonstellationen ereigneten sich die Gewalthandlungen außerhalb von Pflegebeziehungen. 219 Graphik 6.2.2.3/8: Familiäre Gewaltkonstellationen in den Beratungsfällen mit Gewaltproblematik des Krisenund Beratungstelefons im Alter (01.03.1999 bis 14.02.2001) 60 Ehe/Partnerschaft 42 40 Eltern-Kind 22 20 9 0 anderes Verwandtschaftsverhältnis/ mehrere Generationen Gewalt in Ehe/Partnerschaften In den 22 vorliegenden Fällen von Gewalt in Ehe und Partnerschaften sind in 18 Fällen Frauen Opfer und Männer Täter von Gewalthandlungen und in vier Fällen Frauen die Täterinnen und Männer die Opfer. In drei der vier Fälle, in denen Frauen als Täterinnen genannt werden, handelt es sich um häusliche Pflegekonstellationen, in denen Frauen ihre pflegebedürftigen Männer versorgen. In acht der 18 Fälle, in denen Ehemänner gegen ihre Frauen Gewalt ausüben, liegt eine häusliche Pflegekonstellation vor; in vier dieser acht Fälle werden Frauen als Opfer ihrer gewaltausübenden pflegenden Männer und in vier Fällen als Opfer ihrer pflegebedürftigen Männer beschrieben. Insgesamt besteht in elf von 22 Fällen von Gewalt in Ehe und Partnerschaft eine Pflegebeziehung zwischen dem Opfer und der gewaltausübenden Person. In sieben Fällen werden Gewalthandlungen der pflegenden gegen die pflegebedürftige Person und in vier Fällen werden von den Pflegebedürftigen ausgehende Gewalthandlungen geschildert. In diesem nicht zufälligen und nicht repräsentativen Sample geht somit Gewalt in Ehen und Partnerschaften älterer Menschen häufiger von Männern aus und ist gegen Frauen gerichtet. Weiterhin wird deutlich, dass ein Unterschied zwischen weiblichen und männlichen TäterInnen bei Gewalt in Ehen älterer Menschen vorliegt. Während Gewalthandlungen von Frauen gegen ihre Männer sich primär in häuslichen Pflegesituationen ereignen, finden Gewalthandlungen von Männern gegen Frauen zu beträchtlichen Anteilen außerhalb von Pflegebeziehungen statt. 220 Tabelle 6.2.2.3/18: Geschlecht von TäterInnen und Opfern bei Beratungsfällen mit Gewaltkonstellationen in Partnerschaften des Krisen- und Beratungstelefons im Alter (01.03.1999 bis 14.02.2001) Weiblich Männlich Gesamt TäterInnen 4 18 22 Opfer 18 4 22 Intergenerationale Gewalt In 42 Fällen ereignet sich Gewalt zwischen Eltern oder Elternteilen und ihren erwachsenen Kindern, wobei in 32 Fällen die jüngere Generation Gewalt ausübt (vgl. Tab. 6.2.2.3/19). In sechs Fällen wird die (Schwieger)Tochter Opfer der Gewaltausübung durch die Mutter, in einem Fall Schwiegertochter und Sohn und in zwei Fällen der Sohn; in einem weiteren Fall werden die Gewalthandlungen als gegenseitig zwischen den Generationen beschrieben. In 19 der 42 Fälle von intergenerationaler Gewalt liegt aktuell eine häusliche Pflegesituation vor: In acht Fällen wird die jüngere pflegeausübende Generation als gewaltausübend beschrieben und in sieben Fällen die ältere pflegeempfangende Generation. In vier weiteren Fällen war eine Zuordnung des Pflegestatus der Gewaltausübenden nicht möglich. In 23 Fällen findet Gewalt zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern außerhalb von Pflegebeziehungen statt. In neun Fällen ereignet Gewalt sich innerhalb anderer verwandtschaftlicher Verhältnisse; in einem dieser Fälle sind drei Generationen involviert. In drei Fällen, in denen eine Pflegesituation innerhalb anderer verwandtschaftlicher Beziehungen vorliegt, wird die pflegende Person als gewaltausübend beschrieben. Tabelle 6.2.2.3/19: Generationenzugehörigkeit von TäterInnen und Opfern in Beratungsfällen intergenerationaler Gewaltkonstellationen des Krisen- und Beratungstelefons im Alter (01.03.1999 bis 14.02.2001) Jüngere Generation (Kinder) Ältere Generation (Eltern) Gesamt TäterInnen 32 9 41 Opfer 9 32 41 Ein Fall von wechselseitiger Gewalt zwischen den Generationen wurde hier nicht zugeordnet. 221 6.2.2.3.4 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Analysiert wurden die bei dem Krisen- und Beratungstelefon im Alter des Hannoveraner Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ eingegangenen Anrufe während des Zeitraums vom 01.03.1999 bis zum 14.02.2001. Es wurde damit – bis auf die letzten beiden Wochen – die gesamte Laufzeit des Krisen- und Beratungstelefons erfasst und ausgewertet. Auswertungsgrundlage waren die von der Begleitforschung entwickelten teilstandardisierten Fallerfassungsbögen für Beratungen am Krisen- und Beratungstelefon im Alter. Diese Bögen wurden von den Beratenden nach Möglichkeit unmittelbar im Anschluss an die jeweiligen Beratungen aufgrund der Schilderung der Anrufenden beantwortet. Insgesamt wurde das Beratungstelefon im Zeitraum vom 01.03.1999 bis zum 14.02.2001 361mal kontaktiert. In 214 Fällen wurde im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons Beratung geleistet. 107 dieser 214 Beratungsfälle wurden von den BeraterInnen als Gewaltfälle im weiteren Sinne klassifiziert; in den anderen Beratungen ging es meist um sonstige alters- bzw. pflegespezifische Fragestellungen. In 61 der 214 Beratungsfälle fand nach dem ersten Kontakt am Krisen- und Beratungstelefon im Alter eine weitere Beratung im Rahmen der allgemeinen Beratung des Modellprojekts statt . Die beim Krisen- und Beratungstelefon eingegangenen und beratenen Gewaltfälle wurden einer intensiveren Analyse unterzogen. In sieben Fällen vermuteten die Beratenden, dass den Situationsbeschreibungen eine wahnhafte (paranoide) Erkrankung der anrufenden und sich als Opfer beschreibenden Personen zugrunde lag. Es handelt sich bei diesen Fällen – bis auf eine Ausnahme – um personale Gewaltkonstellationen, die außerhalb verwandtschaftlicher Beziehungen liegen. In der intensiver analysierten Gruppe der verbleibenden 107 GewaltBeratungsfälle zeigte sich eine Heterogenität der Fallkonstellationen. Die an das Modellprojekt herangetragenen Gewaltfälle beschränken sich nicht auf ´Gewalt in der Pflege´; Pflegebedürftigkeit liegt in knapp 50% der Fälle bei Problembeteiligten vor. Es sind hohe Anteile von Gewalt in Partnerschaften und intergenerationaler Gewalt außerhalb von Pflegebeziehungen feststellbar. Vernachlässigungsfälle werden nur selten an das Modellprojekt herangetragen. Vernachlässigte Pflege- und Hilfebedürftige wenden sich nicht selbst an eine solche Einrichtung, sie sind dazu oft nicht in der Lage, sondern auf Fürsprecher angewiesen. Es mag auch eine Rolle spielen, dass Vernachlässigung im Alltagsverständnis nicht als Gewalt verstanden, damit von potenziellen InformantInnen nicht unter den Gewaltbegriff subsumiert und daher von einer 222 Zuständigkeit des Modellprojekts nicht ausgegangen wird. Berufsgruppen, die Vernachlässigung erkennen könnten und Zugang zur Häuslichkeit von Betroffenen haben, wie beispielsweise AllgemeinmedizinerInnen und Pflegefachkräfte, wandten sich insgesamt nur in seltenen Fällen an das Krisen- und Beratungstelefon des Modellprojekts. Selbstverständlich ist es nicht möglich, auf der Basis derartiger Auswertungen von Beratungsfällen Aussagen über Prävalenz und Inzidenz von Gewalt bzw. spezifischen Gewaltformen im Alter zu machen. Es handelt sich bei den der Auswertung zugrundeliegenden Fällen nicht um Elemente einer Zufallsstichprobe aus der Grundgesamtheit „Gewaltvorfälle im Alter“, sondern um eine relativ kleine und in starkem Maße selektive Untergruppe. Die wirksamen Filter- und Selektionsmechanismen, die zur Inanspruchnahme des Beratungsangebotes führen, sind unbekannt. Möglich ist es hingegen, Informationen über das NutzerInnenverhalten zu gewinnen, welche für die Ausgestaltung von Beratungsangeboten zum Thema Gewalt gegen ältere Menschen verwendet werden können. Dies sind z.B. Informationen über günstige Sprechzeiten und erfolgreiche Formen der Öffentlichkeitsarbeit. Aus den Daten zur Nutzung des Beratungsangebots lassen sich Schlüsse auf den in den Zielgruppen vorhandenen spezifischen Beratungsbedarf ziehen – mit einiger Vorsicht, da bei geringer Nachfrage nicht mit letzter Sicherheit zu klären ist, ob größerer Bedarf nicht vorhanden war oder ob er durch die geleistete Öffentlichkeitsarbeit nicht aktiviert wurde. Das Krisen- und Beratungstelefon im Alter traf in einem großstädtischen Raum mit ca. 520.000 EinwohnerInnen und einer Population der über 65-Jährigen von ca. 93.000 Personen in seiner Laufzeit auf eine Nachfrage von durchschnittlich 15 Anrufen im Monat. Entsprechend der durchgeführten Öffentlichkeitsarbeit und des unspezifischen Namens „Krisen- und Beratungstelefon im Alter“ ging es bei den Anrufen um sehr heterogene altersbezogene Problematiken. In 50% der durch diese Anrufe entstandenen Beratungsfälle, auf die Laufzeit hochgerechnet vier bis fünf monatlich, wandten sich Personen aus der im Kern anvisierten Zielgruppe an das Beratungstelefon des Projekts: Menschen, die von Gewalt im Alter betroffen sind oder Kenntnis davon erhalten haben. Diese Fälle wurden möglicherweise durch bestehende, weniger spezifische Angebote nicht erreicht, die entsprechenden Problematiken von bestehenden Einrichtungen nicht hinreichend aufgegriffen. Die aktuelle öffentliche und fachspezifische Diskussion zu Gewalt gegen Ältere verengt sich häufig auf den Themenbereich Gewalt durch 223 pflegende Angehörige aufgrund von Überlastung und Pflegestress. Die Auswertung der Beratungsfälle am Krisen- und Beratungstelefon, in denen Gewalt im Alter relevant wurde, spricht gegen eine solche thematische Fokussierung. In 68,2% der geschilderten Gewalthandlungen liegt zwischen Opfern und Gewaltausübenden eine familiäre bzw. intime Beziehung vor. Im vorliegenden Sample ist nur in etwa 25% der Fälle familiärer Gewalt eine Konstellation gegeben, in der pflegende Angehörige Gewalt gegen pflegebedürftige ältere Menschen ausübten. Neben Gewalt im intergenerationalen Verhältnis dominieren Fälle von Gewalt in Partnerschaft und Ehe. In den Fällen, in denen Pflege keine Rolle spielt, üben zumeist Männer Gewalt gegen Frauen aus. Auch ein Vergleich der Fallkonstellationen der verschiedenen Beratungsangebote in der Bundesrepublik, die sich (in-)direkt auf die Thematik „Gewalt im Alter“ bzw. den Problemkomplex Pflege spezialisiert haben, weist darauf hin, dass Gewaltkonstellation in der häuslichen Pflege durch pflegende Angehörige „nur“ eine Untergruppe in den Beratungsfällen darstellen (vgl. Kapitel 6.3.2). Es liegt auf der Hand, dass ein auf eine zentrale Variable (Belastung) ausgerichtetes Erklärungsmodell der Heterogenität der Fallkonstellationen nicht gerecht werden kann (vgl. hierzu Kapitel 1). 6.2.2.4 Allgemeine Beratung des Modellprojekts: Analyse von Fallaufkommen und Arbeitsweise Im Rahmen der Fallanalysen wurden Informationen zu folgenden Fragekomplexen erhoben und ausgewertet: • • • • • • • • • • • Erstkontakte und alle Einzelkontakte, KlientInnen, GesprächspartnerInnen, Fall- und Problembeteiligte, so identifizierbar TäterInnen und Opfer, Anliegen der GesprächspartnerInnen des Modellprojekts, Interventionsarten und Inhalte der Kontakte, Veränderungen der Lebenssituation der Problembeteiligten im Verlauf der Beratung, Problemkonstellationen, Problemcharakteristika und Belastungsfaktoren, Beziehungskonstellationen, Kontexte und Orte von Gewalt, Gewaltformen sowie Täter- bzw. Opfermerkmale. 224 In den folgenden Auswertungen werden Einzelkontakte im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons nicht berücksichtigt. Die Auswertungen beziehen sich auf (a) Mehrfachkontakte im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons im Alter (6 Fälle) und (b) alle Beratungskontakte, in denen (auch) außerhalb des Krisen- und Beratungstelefons im Alter (189 Fälle) beraten wurde. 6.2.2.4.1 Kontakte im Rahmen der Beratungsarbeit 6.2.2.4.1.1 Gesamtheit der Kontakte Im Zeitraum von März 1998 bis Februar 2001 wurde von den 6 Berate145 rInnen des Modellprojekts in 195 Fällen Einzelfallberatung geleistet. Insgesamt fanden in diesen 195 Fällen 1129 Kontakte statt. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die Gesamtzahl der Beratungskontakte. Jeder einzelne Kontakt wurde nach Datum, Art des Kontaktes, Status der GesprächspartnerIn, Inhalt des Kontaktes, bei institutionellen Kontakten Profession/Institution der GesprächspartnerInnen und Absprachen hinsichtlich des weiteren Vorgehens aufgeschlüsselt. Zusätzlich wurde erfasst, ob die BeraterInnen oder die GesprächspartnerInnen den Kontakt aufgenommen hatten. Aufgrund z.T. unvollständiger Angaben waren nicht für alle Kontakte Zuordnungen nach diesen Fragestel146 lungen möglich . Verteilung der Kontakte nach Kalendermonaten und Jahren Eine Analyse der Anzahl der Beratungskontakte im zeitlichen Verlauf des Modellprojekts vgl. Graphik 6.2.2.4/1 zeigt, dass in den ersten fünf Monaten der Projektarbeit jeweils weniger als 10 Kontakte monatlich, in den Monaten September bis Dezember 1998 dann weniger als 20 Kontakte monatlich stattfanden und anschließend die Anzahl der monatlichen Kontakte auf maximal 73 (November 1999) – allerdings nicht kontinuierlich – anstieg. Die Zahl der Kontakte ging ab September 2000 bis zum Ende des Projekts zurück. 145 Eine der BeraterInnen war als Sozialpädagogin im Anerkennungsjahr im Modellprojekt beschäftigt. Sie führte Beratungen zumeist mit anderen MitarbeiterInnen gemeinsam durch. 146 Die im folgenden genannten prozentualen Angaben über die Kontakte beziehen sich stets auf die gültigen Werte. 225 Graphik 6.2.2.4/1: Anzahl der monatlichen Kontakte im Rahmen der allgemeinen Beratung des Modellprojekts, März 1998 – Februar 2001 (N = 1064) 80 73 72 70 63 60 60 54 54 47 48 50 42 41 40 41 36 36 35 33 29 30 29 27 25 23 21 20 16 43 21 18 16 14 13 10 10 10 2 0 Mrz 98 2 3 5 2 Jun 98 Sep 98 Dez 98 Mrz 99 Jun 99 Sep 99 Dez 99 Mrz 00 Jun 00 Sep 00 Dez 00 Tabelle 6.2.2.4/1: Verteilung nach Jahren (N = 1074) 1998 1999 2000 2001 Gesamt Häufigkeiten Prozent 73 461 492 51 1074 6,8 42,8 45,7 4,7 100,0 Auch die Verteilung nach Jahren zeigt, dass im ersten Jahr die Beratungsarbeit erst langsam anlief: Während in den Jahren 1999 und 2000 461 bzw. 492 Kontakte stattfanden, sind für 1998 73 Kontakte verzeichnet. In der Endphase des Projekts (Januar und Februar 2001) fanden noch 51 Kontakte statt. Die Aufschlüsselung der Kontakte nach Kalendermonaten zeigt Schwankungen. Die geringeren Kontaktzahlen in den Monaten Februar bis Mai mögen damit zusammenhängen, dass Anfangs- und Endphase des Modellprojekts in diesen Monaten lagen. 226 Tabelle 6.2.2.4/2: Verteilung der Kontaktzahlen nach Monaten (N = 1066) Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Gesamt Häufigkeiten 106 71 69 44 69 104 111 137 91 85 107 72 1066 Prozent 9,9 6,7 6,5 4,1 6,5 9,8 10,4 12,9 8,5 8,0 10,0 6,8 100,0 Art der Kontakte Die Kontakte (vgl. Graphik 6.2.2.4/2) des Modellprojekts waren zumeist telefonische Kontakte außerhalb des Krisen- und Beratungstelefons im Alter. Etwa zehn Prozent der Kontakte fanden im Rahmen des Krisenund Beratungstelefons statt und knapp 20% der Kontakte waren faceto-face-Kontakte, in der Mehrzahl Hausbesuche. Nur wenige Kontakte waren Mitteilungen und fanden im Rahmen der Stadtteilsprechstunden statt (zur Beratung im Rahmen der Stadtteilarbeit vgl. Kap. 6.2.6). 227 Graphik 6.2.2.4/2: Art der Kontakte im Rahmen der allgemeinen Beratung des Modellprojekts (N = 1097) 70,0% 59,6% 60,0% Telefo nischer Ko ntakt (Helpline) Telefo nischer Ko ntakt (außerhalb der Helpline) 50,0% face-to -face Ko ntakt (o hne Hausbesuch) 40,0% Hausbesuch M itteilung (A nrufbeantwo rter, B rief) 30,0% Stadtteilsprechstunde So nstiges 20,0% 9,7% 10,0% 12,9% 6,8% 8,3% 2,6% 0,2% 0,0% Die Kontaktaufnahme erfolgte zu annähernd gleichen Teilen durch BeraterInnen des Modellprojekts (52,7%) und GesprächspartnerInnen (47,3%). GesprächspartnerInnen Tabelle 6.2.2.4/3: GesprächspartnerInnen (N = 1102) Problembeteiligte (Täter/Opferzuschreibung nicht möglich) Problembeteiligte: Opfer Problembeteiligte: TäterInnen Professionelle Problembeteiligte Verwandte Fallbeteiligte Andere Fallbeteiligte Professionelle Fallbeteiligte nicht fallbeteiligte Personen Mehrere Personen Gesamt Häufigkeiten 128 Prozent 11,6 291 21 7 90 52 368 65 80 1102 26,4 1,9 0,6 8,2 4,7 33,4 5,9 7,3 100,0 GesprächspartnerInnen des Modellprojekts waren bei etwa 40% der 147 Kontakte Problembeteiligte: zu etwa einem Viertel Opfer , zu knapp 12% Problembeteiligte, bei denen Täter-Opfer-Zuschreibungen nicht 148 möglich waren und nur zu etwa 2% TäterInnen. Gesondert aufgeschlüsselt wurden professionelle Problembeteiligte, d.h. Personen aus 147 An dieser Stelle werden die Bezeichnung Opfer und TäterIn dann verwendet, wenn BeraterInnen die Anrufenden oder die Anrufenden sich selbst als Opfer oder TäterIn identifizierten. Eine fundiertere Verwendung dieser Kategorien liegt den Beschreibungen von Gewaltfällen ab Kapitel 6.2.2.4.3 zugrunde. 148 Es handelt sich hier um Fälle, in denen keine oder wechselseitige Gewaltausübung vorlag. 228 Institutionen, die selbst als TäterIn oder Opfer in einen Gewaltfall involviert waren. Sie waren nur in 7 Kontakten, d.h. 0,6% der Kontakte, GesprächspartnerInnen. Die zweitgrößte Gruppe der GesprächspartnerInnen waren professionelle Fallbeteiligte: Sie waren in knapp einem Drittel der Kontakte GesprächspartnerInnen der BeraterInnen. In jeweils weniger als 10% der Kontakte waren verwandte und andere Fallbeteiligte sowie nicht fallbeteiligte Personen GesprächspartnerInnen. In etwa 7% der Kontakte wurden Gespräche mit mehreren Personen geführt. Es handelte sich bei diesen Kontakten zumeist um Hausbesuche, an denen mehrere Problembeteiligte und zum Teil auch professionelle Fallbeteiligte anwesend waren. Kontaktinhalte Tabelle 6.2.2.4/4: Inhalte von Kontakten der BeraterInnen im Rahmen der allgemeinen Beratung (N = 1075) Absprachen, Mitteilungen Beratung von Problem- bzw. Fallbeteiligten Rücksprache bei Professionellen Klärung v. Sachfragen, Informationsgesuche Vereinbarung von Terminen kollegiale Beratung Rücksprache bei Fall- oder Problembeteiligten Fallweitergabe bzw. Übernahme Externe Einzelfallbesprechung mit Professionellen Antrag Vermittlungsgespräch Gesamt Häufigkeiten 377 372 68 66 58 41 39 Prozent 35,1 34,6 6,3 6,1 5,4 3,8 3,6 38 10 3,5 0,9 3 3 1075 0,3 0,3 100,0 Die über die Einzelkontakte vorliegenden Informationen reichten nicht bei allen Kontakten zur Kategorisierung der Inhalte aus. Bei den Kontakten, über die ausreichend Informationen vorlagen, sind mit jeweils etwa einem Drittel Beratungsgespräche mit Problem- und Fallbeteiligten und (zumeist deutlich kürzere) Absprachen mit und Mitteilungen an bzw. von Fall- oder Problembeteiligten am häufigsten vertreten. Jeweils etwa 6% der Kontakte waren reine Informationsanfragen oder -weitergaben an KlientInnen (z.B. Informationen über Beratungsmöglichkeiten in anderen Regionen, über spezielle Fragestellungen rund um die Pflegeversicherung etc.) und Rücksprachen mit Professionellen – dies waren zumeist Anfragen der BeraterInnen bei verschiedenen Einrichtungen (insbesondere Kommunaler Sozialdienst und Sozialpsychiatrischer Dienst), ob dort ein an das Modellprojekt herangetragener Fall bekannt und der Dienst bereits involviert sei. Etwa 5% der Kontakte 229 dienten allein der Vereinbarung oder Absage von Terminen, ebenso viele Kontakte lassen sich jeweils als kollegiale Fallberatung, Fallweitergabe und Rücksprache bei Fall- oder Problembeteiligten klassifizieren. Nur wenige Kontakte wurden von den BeraterInnen ausdrücklich als Vermittlungsgespräche bezeichnet. Fallbezogene institutionelle Kontakte Tabelle 6.2.2.4/5: Anzahl der Kontakte mit professionellen Fallbeteiligten im Rahmen der Beratungsfälle (N = 433) Kommunaler Sozialdienst, Bezirkssozialarbeit Ambulanter Pflege- bzw. Unterstützungsdienst Arzt/Ärztin Betreuungsstelle, BetreuerIn, Betreuungsverein Polizei (nicht PPS) Pflegeheim, Anbieter von Tages- und Kurzzeitpflege Sozialamt, Amt für Wohnungswesen Krankenhaussozialdienst Sozialpsychiatrische Beratungsstelle Städtische Altenhilfe (KSS), Sorgentelefon Lindenbaum, gerontopsychiatrische Fachberatung Polizei Prävention Sozialarbeit (PPS) Amtsgericht, Vormundschaftsgericht, Gericht Rechtsanwalt/Rechtsanwältin Pastor/Pastorin, GemeindemitarbeiterInnen Jobst-Wagnersche Stiftung Wohnungsgenossenschaft, Baugenossenschaft Ergo-, KunsttherapeutIn, KrankengymnastIn Sozialverband Deutschland Sonstige Gesamt Häufigkeiten 90 65 Prozent 20,8 15,0 33 26 7,6 6,0 25 24 5,8 5,5 19 17 14 12 9 4,4 3,9 3,2 2,8 2,1 6 6 6 6 5 5 1,4 1,4 1,4 1,4 1,2 1,2 2 1 62 433 0,5 0,2 14,3 100,0 Um einen Überblick über die fallbezogenen institutionellen Kontakte der MitarbeiterInnen zu bekommen, wurde für jeden Kontakt mit MitarbeiterInnen von Einrichtungen und VertreterInnen freier Berufsgruppen die Institution bzw. Berufsgruppe der GesprächspartnerInnen festgehalten. In 99 von insgesamt 195 Fällen bestand mindestens ein fallbezogener institutioneller Kontakt. In der obenstehenden Tabelle sind die am häufigsten genannten Berufe und Einrichtungen aufgeschlüsselt. Insgesamt gab es 433 fallbezogene institutionelle Kontakte. Die häufigsten Kontakte – etwa jeder fünfte – fanden mit MitarbeiterInnen des Kommunalen 230 Sozialdienstes bzw. mit BezirkssozialarbeiterInnen statt. Hier spielt zum einen eine Rolle, dass die meisten BeraterInnen des Modellprojekts vor ihrer Projektarbeit im Kommunalen Sozialdienst beschäftigt waren – das Anknüpfen an bereits existierende professionelle Kontakte ist naheliegend –, zum anderen ist relevant, dass ein Teil der Fälle, in denen mehrere Beratungen stattfanden, auch im Kommunalen Sozialdienst bekannt war. Ebenfalls größere quantitative Bedeutung hatten Kontakte mit privat-gewerblich oder gemeinnützig betriebenen ambulanten Pflegediensten. GesprächspartnerInnen waren entweder Pflegekräfte oder in einigen Fällen dort beschäftigte SozialarbeiterInnen. Weitere GesprächspartnerInnen waren ÄrztInnen (im Krankenhaus wie niedergelassene), MitarbeiterInnen der Polizei (mit PPS), MitarbeiterInnen der Betreuungsstelle sowie haupt- und ehrenamtliche BetreuerInnen und MitarbeiterInnen von (teil-) stationären Pflegeeinrichtungen. Weiter bestanden Kontakte zu MitarbeiterInnen städtischer Sozialbehörden, zu Krankenhaussozialdiensten, dem Amtsgericht (zumeist in Betreuungsangelegenheiten), RechtsanwältInnen, verschiedenen Wohnungs- bzw. Baugenossenschaften in ihrer Eigenschaft als Vermieter sowie MitarbeiterInnen von Kirchengemeinden, einer gerontopsychiatrischen Fachbegleitung und einer privaten Stiftung. 15% der Kontakte fanden mit 149 VertreterInnen anderer Berufsgruppen und Institutionen statt . Absprachen Tabelle 6.2.2.4/6: Absprachen (N = 862) Absprache konkreter weiterer Schritte bei Bedarf weitere Beratung durch Modellprojekt Fallabschluss aus Sicht der BeraterInnen weiterverwiesen weiterverwiesen und bei Bedarf Beratung durch Modellprojekt Vereinbarung: Betroffene sollen sich selbst an das Modellprojekt wenden Fall- bzw. Kontaktabbruch durch KlientIn Gesamt Häufigkeiten 632 125 Prozent 73,3 14,5 42 33 16 4,9 3,8 1,9 10 1,2 4 862 0,5 100,0 In etwa 75% der Kontakte, zu denen Informationen über den Gesprächsabschluss und die weiteren Vereinbarungen vorlagen (vgl. Tab. 6.2.2.4/6), wurden konkrete weitere Schritte vereinbart, seien es weitere 149 In dieser Kategorie wurden alle Berufsgruppen und Institutionen zusammengefasst, mit denen weniger als vier Kontakte bestanden. Hier bestanden Kontakte zu so unterschiedlichen Einrichtungen bzw. Initiativen wie einem Fanprojekt, Frauenhäusern, einer Apotheke, der Gedächtnisambulanz, Hilfe für Gehörlose etc. 231 Beratungen durch das Modellprojekt, seien es Interventionen durch andere Dienste. Häufiger endeten Kontakte auch mit einem offenen Beratungsangebot durch die BeraterInnen des Modellprojekts, z.T. unter Hinweis auf andere geeignete Institutionen und Einrichtungen. Seltener wurden die GesprächspartnerInnen ausschließlich weiterverwiesen, und Fall- bzw. Kontaktabbrüche kamen kaum vor. In einigen Kontakten wurde mit den GesprächspartnerInnen vereinbart, dass die Problembeteiligten selbst sich an das Modellprojekt wenden sollten. 6.2.2.4.1.2 Erstkontakte Anhand der ersten Kontakte, die in den Beratungsfällen stattfanden, lassen sich Informationen darüber gewinnen, welche Personen den Kontakt zum Modellprojekt suchten, welche Art der Kontaktaufnahme sie wählten, woher sie Kenntnis über das Modellprojekt erhielten und welches Anliegen sie hatten. Von Interesse ist gleichfalls, wie sich die Erstkontakte auf die Monate, Jahre und die Projektlaufzeit verteilten. Verteilung der Erstkontakte nach Monaten und Jahren Der erste Kontakt mit verzeichnetem Datum fand am 3.6.1998, der letzte Erstkontakt am 7.2.2001 statt. Die Verteilung der Erstkontakte im Projektverlauf spiegelt Anlauf- und Endphase der Beratungstätigkeit (vgl. Graphik 6.2.2.4/3). Die maximale Zahl an Erstkontakten fand im Juni 1999 statt. Die Verteilung der Kontakte nach Kalendermonaten weist keine Besonderheiten auf. Art der Erstkontakte Die Aufschlüsselung der Erstkontakte nach Kontaktarten (vgl. Tab. 6.2.2.4/7) ergibt folgendes Bild: Ein Drittel der Erstkontakte waren Anrufe beim Krisen- und Beratungstelefon (34,4%); 42% der Erstkontakte waren andere telefonische Kontakte. 7,3% der Erstkontakte fanden im 150 Rahmen der Stadtteilsprechstunden statt. 150 Die Angaben hier sind unter Vorbehalt zu sehen. Von den als Erstkontakt verzeichneten 23 face-to-face-Kontakten wurden mit Sicherheit die neun Hausbesuche und möglicherweise auch ein Teil der sonstigen face-to-face-Kontakte vorher vereinbart. 232 Graphik 6.2.2.4/3: Verteilung der Erstkontakte (N = 185) über die Projektlaufzeit 12 11 10 10 10 9 8 8 8 8 7 7 6 6 6 6 6 7 7 6 6 5 5 4 4 4 4 3 3 3 2 3 2 3 3 3 2 2 2 0 Jun 98 Sep 98 Dez 98 Tabelle 6.2.2.4/7: Mrz 99 Jun 99 Sep 99 Dez 99 Mrz 00 Jun 00 Sep 00 Dez 00 Kontaktarten bei Erstkontakt (N = 193) Telefonischer Kontakt (außerhalb der Helpline) Telefonischer Kontakt (Helpline) face-to-face Kontakt (ohne Hausbesuch) Stadtteilsprechstunde Ricklingen Hausbesuch Mitteilung (Anrufbeantworter, Brief) Gesamt Häufigkeiten 81 Prozent 42,0 67 14 14 9 8 193 34,7 7,3 7,3 4,7 4,1 100,0 GesprächspartnerInnen bei Erstkontakten Die folgende Tabelle (6.2.2.4/8) zeigt die Verteilung der Erstkontakte nach GesprächspartnerInnen. Die größten Personengruppen sind professionelle Fallbeteiligte, Personen, die sich selbst als Opfer sahen oder die von den BeraterInnen als Opfer identifiziert wurden und Problembeteiligte, bei denen Täter-Opfer-Zuschreibungen nicht möglich waren. Verwandte und andere Fallbeteiligte wandten sich demgegenüber seltener an das Modellprojekt. Nur in 6 Fällen wandten sich NachbarInnen und PassantInnen an das Modellprojekt wg. beobachteter oder vermu- 233 teter Gewaltfälle. In lediglich drei Fällen wollten MelderInnen von Ge151 walt anonym bleiben . Tabelle 6.2.2.4/8: Status GesprächspartnerInnen bei Erstkontakt (N = 195) professionelle Fallbeteiligte Opfer Problembeteiligte (Täter/Opferzuschreibung nicht möglich) verwandte Fallbeteiligte andere Fallbeteiligte TäterIn mehrere Personen Gesamt Häufigkeiten 61 50 42 Prozent 31,3 25,6 21,5 27 13 1 1 195 13,8 6,7 0,5 0,5 100,0 Eine (hier nicht tabellarisch dargestellte) Aufschlüsselung der Art der Erstkontakte nach Status der GesprächspartnerInnen zeigt, dass Personen, die sich als Opfer fühlten oder von BeraterInnen als solche identifiziert wurden, zu fast 50% den ersten Kontakt über das Krisen- und Beratungstelefon knüpften. Die Erstkontakte der professionellen Fallbeteiligten fanden demgegenüber am häufigsten telefonisch außerhalb des Krisen- und Beratungstelefons statt. Problembeteiligte (keine oder gegenseitige Gewalt) nutzten vergleichsweise häufiger als die anderen Personengruppen die Stadtteilsprechstunden. Das Krisen- und Beratungstelefon erwies sich damit insbesondere für Personen, die sich als Opfer verstehen oder die von den BeraterInnen als solche identifiziert wurden, als wichtige Einstiegs- und Übergangsmöglichkeit in das längerfristige Beratungsangebot des Modellprojekts. Informationsquellen Für etwa zwei Drittel der Fälle lässt sich nachvollziehen, woher die ersten GesprächspartnerInnen Informationen über das Modellprojekt 152 erhalten hatten . Als bedeutendste Informationsquelle für (selbst- oder beraterInnenidentifizierte) Opfer erwiesen sich die Medien. Die professionellen Fallbeteiligten, die sich an das Modellprojekt wandten, kannten demgegenüber das Projekt in der Mehrzahl entweder aus Projektvorstellungen, Veranstaltungen, projektgebundenen Kooperationen (so mit PPS und der Polizei) oder im Projektverlauf ausgebauten, aber 151 Während bei den Beschwerdetelefonen zu Missständen in der professionellen Pflege eine größere Zahl anonymer Meldungen über Gewaltvorfälle vorliegt (vgl. Kap. 6.3.2), scheint dies in der Beratungsarbeit des Modellprojekts von untergeordneter Bedeutung zu sein. 152 Zur Frage der Bekanntheit des Modellprojekts und der Informationswege, über die Bekanntheit hergestellt wurde und werden konnte vgl. Kap. 6.2.4. 234 schon vorher bestehenden professionellen Kooperationen (dies trifft insbesondere für die Kooperation mit dem KSD zu). Insgesamt über ein Viertel der GesprächspartnerInnen nannten eine professionelle Empfehlung als Informationsquelle. Die weiterverweisenden Personen oder Institutionen waren beispielsweise ÄrztInnen, PolizistInnen, der Kommunale Sozialdienst, Pflegedienste bzw. Sozialstationen, MitarbeiterInnen von Kirchengemeinden und andere Notruftelefone (Handeln statt Misshandeln in Bonn und der Notruf des Sozialverbands Deutschland). Insgesamt hatte etwa jede zehnte GesprächspartnerIn durch Projektvorstellungen und Veranstaltungen vom Modellprojekt erfahren, darunter waren jedoch nur wenige Problembeteiligte und ein Opfer. Die Vielzahl von Vorstellungen des Beratungsangebots in Altenclubs (vgl. Kap. 6.2.5.1.2) führten somit nicht unmittelbar zu einer stärkeren Auslastung des Beratungsangebots des Modellprojekts. Ein engerer Zusammenhang zwischen Veranstaltungen und Inanspruchnahme von Beratungen lässt sich zum Teil in den Stadtteilsprechstunden nachvollziehen. In diesen Fällen ging es jedoch primär um Informationsfragen zu Vorsorgevollmachten, Betreuungsverfügungen und Wohnen im Alter. Tabelle 6.2.2.4/9: Informationsquellen über das Modellprojekt (N = 122) Zeitung/Medien Flyer/Plakat Andere Institutionen Projektvorstellung, Veranstaltung, professionelle Kooperation Arzt Polizei KSD Sonstiges Gesamt Häufigkeiten 35 24 24 14 Prozent 28,7 19,7 19,7 11,5 3 3 3 16 122 2,5 2,5 2,5 13,1 100,0 Wesentliche Inhalte bei Erstkontakten Über die Hälfte der Erstkontakte (vgl. Tab. 6.2.2.4/10) waren Beratungskontakte. Die ersten Kontakte mit den BeraterInnen dienten zu einem geringeren Teil der kollegialen Fallberatung, der Vereinbarung von Terminen, waren selten Informationsanfragen und kurze Absprachen bzw. Mitteilungen. In einem Teil der Erstkontakte ging es um eine Fallübernahme durch bzw. -weitergabe an die BeraterInnen des Modellprojekts. Hier waren die GesprächspartnerInnen zum Teil sog. MelderInnen (andere Fallbeteiligte), zumeist professionelle Fallbeteiligte, die aufgrund des Vorliegens einer Gewaltproblematik den Fall an das Modellprojekt weitergeben wollten. 235 Tabelle 6.2.2.4/10: Inhalte bei Erstkontakt (N = 180) Beratung von Problem- bzw. Fallbeteiligten Fallweitergabe bzw. Übernahme kollegiale Beratung Vereinbarung von Terminen Klärung von Sachfragen, Informationsbeschaffung und Weitergabe Absprachen, Mitteilungen Gesamt Häufigkeit 100 28 27 10 7 Prozent 55,6 15,6 15,0 5,6 3,9 8 180 4,5 100,0 Professionelle Fallbeteiligte als GesprächspartnerInnen bei Erstkontakten Tabelle 6.2.2.4/1: Anzahl der Fälle mit Erstkontakt zu professionellen Fallbeteiligten (N = 61) Kommunaler Sozialdienst, Bezirkssozialarbeit Ambulanter Pflegedienst Polizei (nicht PPS) Arzt/Ärztin Polizei Prävention Sozialarbeit (PPS) Krankenhaussozialdienst Pflegeheim, Anbieter von Tages- und Kurzzeitpflege Sonstige Gesamt Häufigkeiten 15 12 6 4 3 3 3 15 61 Prozent 24,6 19,7 9,8 6,6 4,9 4,9 4,9 24,6 100,0 In über 30% der Erstkontakte waren die GesprächspartnerInnen professionelle Fallbeteiligte. Die Aufschlüsselung nach Berufsgruppen bzw. Einrichtungen zeigt, dass die häufigsten Erstkontakte auf Polizei, KSD und ambulante Pflegedienste entfielen. Einige Kontakte gingen auch von ÄrztInnen, MitarbeiterInnen von (teil-) stationären Einrichtungen und MitarbeiterInnen von Krankenhaussozialdiensten aus. Anliegen der GesprächspartnerInnen beim Erstkontakt Die Anliegen der GesprächspartnerInnen und die Inhalte der Kontakte korrespondieren miteinander. So ging es den GesprächspartnerInnen zumeist um eigene psychosoziale Beratung. Am zweithäufigsten meldeten sich GesprächspartnerInnen mit Informationsbedarf. Weitere wichtige Anliegen waren die Fallübernahme durch das Modellprojekt, die Bitte an das Modellprojekt, als zusätzliche Beratungsinstanz in einem Fall aktiv zu werden und das Bedürfnis nach kollegialer Beratung. Seltener ging es dagegen um eine reine Meldung, d.h. die Bitte von Verwandten oder anderen Fallbeteiligten, in einem Fall aktiv zu werden oder um die 236 Bitte um Übernahme klar definierter Aufgaben oder Parteinahme für die KlientInnen gegenüber Dritten. Tabelle 6.2.2.4/12: Anliegen der GesprächspartnerInnen im Erstkontakt (N = 178 Fälle; Mehrfachnennungen) Nennungen Psychosoziale Beratung Informationsanfrage Professionelle: Modellprojekt als zusätzliche Beratungseinrichtung einbeziehen Professionelle: Fallübernahme durch Modellprojekt Professionelle: Kollegiale Beratung andere Fallbeteiligte: „Meldung“, Klare Aufträge: Aufgabenübernahme, Unterstützung durch Modellprojekt angefragt Parteinahme für KlientInnen gegenüber Dritten Gesamt 106 35 30 Prozent der Nennungen 41,9 13,8 11,9 28 11,1 23 20 9 9,1 7,9 3,6 2 253 0,8 100,0 Absprachen beim Erstkontakt Tabelle 6.2.2.4/13: Absprachen beim Erstkontakt (N = 175) Absprache weiterer Beratung oder anderer weiterer Schritte bei Bedarf weitere Beratung durch Modellprojekt weiterverwiesen weiterverwiesen und bei Bedarf Beratung durch Modellprojekt Vereinbarung – Betroffene sollten sich selbst an Modellprojekt wenden Fallabschluss aus Sicht der BeraterInnen Fall- bzw. Kontaktabbruch durch KlientInnen Gesamt Häufigkeiten 109 Prozent 62,3 34 19,4 15 8 8,6 4,6 7 4,0 1 1 175 0,6 0,6 100,0 Beim ersten Beratungskontakt wurden in zwei Drittel der Fälle konkrete Absprachen über das weitere Vorgehen in einem Fall getroffen. Zumeist handelte es sich um die Vereinbarung weiterer Beratung der KlientInnen, in anderen Fällen auch um die Vereinbarung konkreter weiterer In153 terventionsschritte mit professionellen Fallbeteiligten . Bei etwa jedem 153 Z.B. die Vereinbarung, dass die institutionellen GesprächspartnerInnen nach Rücksprache mit anderen Einrichtungen sich wieder an das Modellprojekt wenden oder die Vereinbarung, dass zunächst bestimmte Interventionsschritte ohne Einbeziehung des Modellprojekts versucht werden. 237 fünften Kontakt boten die BeraterInnen den GesprächspartnerInnen an, sich bei Bedarf wieder an das Modellprojekt zu wenden. Seltener wurde an andere Institutionen weiter verwiesen oder wurden die GesprächspartnerInnen gebeten, die Informationen über das Beratungsangebot des Modellprojekts an die Problembeteiligten weiterzugeben. 6.2.2.4.2 Analyse der Gesamtheit der Beratungsfälle des Modellprojekts 6.2.2.4.2.1 Rahmen der Beratung: Anzahl der Kontakte, Dauer der Beratung, Art und Anzahl der GesprächspartnerInnen In der Gesamtlaufzeit des Modellprojekts wurde in 195 Fällen Einzelfallberatung geleistet. Umgerechnet auf die Projektlaufzeit gab es pro Monat 5,41 Fälle, pro BeraterIn (Berechnungsgrundlage sind vier Planstellen) 48,75 Fälle in der gesamten Laufzeit. Pro Monat sind dies bei 154 24 Beratungsmonaten 2,03 Fälle pro voller Stelle. Verteilung der Kontakte auf Fälle Im Durchschnitt kam es pro Fall zu 5,79 Kontakten (SD=8,72). Die höchste Kontaktanzahl in einem Fall war 70. Tabelle 6.2.2.4/14: Anzahl der Kontakte pro Fall, kategorial (N = 195) 1 Kontakt 2 Kontakte 3 Kontakte 4 bis 6 Kontakte 7 bis 10 Kontakte 11 bis 15 Kontakte 16 bis 20 Kontakte 21 bis 30 Kontakte 31 bis 50 Kontakte 51 bis 70 Kontakte Gesamt Häufigkeiten 59 32 25 34 17 11 2 11 2 1 195 Prozent 30,3 16,4 12,8 17,4 8,7 5,6 1,0 5,6 1,5 0,5 100,0 Obenstehende Tabelle zeigt die Verteilung der Kontakte auf die Fälle. In der überwiegenden Zahl der Beratungsfälle erfolgten nur wenige, in 154 Hier sind der spätere Beginn der SozialarbeiterInnen und die Anlaufzeit für die Beratung berücksichtigt. 238 einigen Fällen dagegen sehr viele Kontakte. Bei über 30% der Fälle ist 155 nur ein Kontakt verzeichnet . Dauer der Kontakte pro Fall Für 593 Kontakte in 184 Fällen liegen Informationen über die Dauer der Gespräche vor. Bei kürzeren Kontakten wie reinen Informationsanfragen, Rücksprachen oder Absprachen unterblieb häufiger die Angabe 156 der Dauer des Kontaktes . Die durchschnittliche Gesamtdauer der Kontakte pro Fall liegt bei knapp zwei Stunden (M=115,88 min), wobei die Hälfte der Beratungskontakte insgesamt bis zu 60 Minuten dauerte. Die Mindestdauer aller Kontakte in einem Fall betrug 5 Minuten, die Höchstdauer über 30 Stunden. Tabelle 6.2.2.4/15: Gesamtdauer der Kontakte pro Fall, kategorial (N = 184) 5 – 15 Minuten 16 – 30 Minuten 31 – 60 Minuten 61 – 120 Minuten 121 – 180 Minuten 181 – 240 Minuten 241 – 300 Minuten 301 bis 600 Minuten > 601 Minuten (>10 Std.) Gesamt Häufigkeiten 18 38 46 40 14 9 5 10 4 184 Prozent 9,8 20,7 25,0 21,7 7,6 4,9 2,7 5,4 2,2 100,0 Zeitraum zwischen erstem und letztem Kontakt In 106 Beratungsfällen betrug der Zeitraum zwischen erstem und letz157 tem Kontakt mindestens vier Tage . Die durchschnittliche Beratungs158 dauer in diesen Fällen lag bei etwa 14 Wochen (M=13,97, SD=19,92), wobei in der Hälfte dieser Fälle die Beratungskontakte nach 5 Wochen 155 Die Zählung der Kontakte wurde ausschließlich auf der Grundlage der Angaben der BeraterInnen durchgeführt. Die Angaben sind allerdings nicht immer zuverlässig. Kurze Telefonate und Absprachen wurden nicht immer dokumentiert. So sind in den Fallerfassungsbögen einige Hausbesuche als Erstkontakte verzeichnet. Hier ist davon auszugehen, dass vorab mindestens ein Kontakt erfolgte, bei dem der Termin vereinbart wurde. Generell sind also wahrscheinlich mehr kürzere telefonische Kontakte erfolgt, als hier berücksichtigt werden können. In einem Teil der Fälle (18 Fälle, d.h. etwa 10% der Fälle) wurden die Dokumentationsinstrumente mehr als ein Jahr nach den Beratungskontakten ausgefüllt. Entsprechend sind Abstriche bei Ausführlichkeit und Zuverlässigkeit der Angaben zu machen. 156 Die Angabe der Kontaktdauer entfällt bei Mitteilungen. 157 In 59 Fällen kam es nur zu einem Kontakt, in 30 Fällen fanden die Kontakte an drei oder weniger aufeinanderfolgenden Tagen statt. 158 Lag weniger als eine halbe Woche zwischen erstem und letztem Kontakt, so wurden diese Fälle nicht berücksichtigt. 239 endeten. Im längsten Beratungsfall erstreckten sich die Kontakte über 95 Wochen. GesprächspartnerInnen und Kontakthäufigkeiten Für jeden Fall wurde festgehalten, mit wie vielen verschiedenen fallund problembeteiligten Personen Kontakte bestanden, d.h. wer GesprächspartnerIn des Projekts war und wie viele Kontakte mit ihm oder ihr stattfanden. Diese Angaben sind in der folgenden Tabelle (6.2.2.4/16) aufgeschlüsselt. Tabelle 6.2.2.4/16: GesprächspartnerInnen und Kontakthäufigkeiten in Beratungsfällen des Modellprojekts Anzahl GesprächspartnerInnen Anzahl GesprächspartnerInnenProblembeteiligte Anzahl der Kontakte mit Problembeteiligten Anzahl der Kontakte mit Opfern Anzahl der Kontakte mit TäterInnen Anzahl der Kontakte mit TäterInnen und Opfern Anzahl GesprächspartnerInnen professionelle Fallbeteiligte Anzahl Kontakte mit professionellen Fallbeteiligten Anzahl GesprächspartnerInnen verwandte Fallbeteiligte Anzahl der Kontakte mit verwandten Fallbeteiligten Anzahl GesprächspartnerInnen andere Fallbeteiligte Anzahl der Kontakte mit anderen Fallbeteiligten Anzahl GesprächspartnerInnen nicht Fallbeteiligte Anzahl der Kontakte mit nicht Fallbeteiligten Anzahl Anteil an Mittelder allen Fäl- wert Fälle159 len 195 100,0% 2,51 Median Standardabweichung 1,00 2,46 Maximum 17 133 68,2% 1,32 1,00 0,58 4 133 68,2% 3,83 3,00 4,67 28 71 36,4% 3,99 2,00 4,93 28 15 7,7% 1,67 1,00 1,35 6 25 12,8% 2,24 1,00 2,30 11 86 44,1% 2,37 2,00 2,06 12 86 44,1% 4,70 3,00 5,94 40 33 16,9% 1,33 1,00 0,65 4 33 16,9% 3,03 2,00 2,78 12 23 11,8% 1,33 1,00 0,65 4 23 11,8% 2,61 1,00 3,81 18 26 13,3% 1,50 1,00 0,91 5 26 13,3% 1,81 1,00 1,63 9 159 Die Fallzahlen in dieser Spalte beziehen sich auf die Fälle, in denen die genannten Merkmale relevant sind. 240 Im Durchschnitt gab es pro Fall 2,5 GesprächspartnerInnen. In der Hälfte der Fälle bestand im Beratungsverlauf mit einer Person, in etwa jedem fünften Fall mit zwei Personen Kontakt. In den verbliebenen 30% kam es zu Kontakten zu drei oder mehr Personen. In etwa 30% aller Fälle bestand kein Kontakt zu Problembeteiligten. In mehr als einem 160 Drittel der Fälle fanden Kontakte mit Opfer(n) statt , seltener waren Kontakte zu TäterIn(nen). In etwa jedem achten Fall fanden – meist einmalige – Kontakte mit TäterIn(nen) und Opfer(n) gemeinsam statt. In annähernd der Hälfte der Fälle hatten die BeraterInnen des Modellprojekts Kontakt zu professionellen Fallbeteiligten. Verwandte und andere Fallbeteiligte sowie nicht fallbeteiligte Personen waren in deutlich weniger Fällen GesprächspartnerInnen des Modellprojekts. Fallbeteiligte Professionelle ohne direkten Kontakt zum Modellprojekt Bei der Aktenanalyse wurden einerseits alle GesprächspartnerInnen des Projektes aufgeschlüsselt, andererseits alle Personen, die in einen Fall involviert sind. Eine detaillierte Auswertung dieser fall- und problembeteiligten Personen liegt für die Gewaltfälle vor, an dieser Stelle soll kurz auf die fallbeteiligten Professionellen ohne direkten Kontakt 161 zum Modellprojekt bei den Beratungsfällen eingegangen werden. In fast der Hälfte der Fälle standen VertreterInnen bestimmter Berufsgruppen bzw. Institutionen in Kontakt mit Problembeteiligten, nicht jedoch mit den BeraterInnen. Die wichtigste Berufsgruppe darunter waren ÄrztInnen. Etwa ein Viertel der Nennungen (mit der Möglichkeit von Mehrfachnennungen) entfiel auf einen Arzt oder eine Ärztin. Weitere relevante Einrichtungen waren ambulante Pflege- und Unterstützungs162 dienste und Anbieter (teil-) stationärer Pflege. Fast die Hälfte der professionellen Fallbeteiligten, zu denen kein Kontakt seitens des Modellprojekts bestand, sind damit im medizinisch-pflegerischen Bereich tätig. Aufschlussreich ist, dass nur in zwei Fällen der Kommunale Sozialdienst involviert war, ohne dabei in Kontakt mit dem Modellprojekt zu stehen. Hier wird die enge institutionelle Kooperation von Modellprojekt und Kommunalem Sozialdienst deutlich. 160 Die hier verwendeten Täter- und Opferzuschreibungen sind Zuordnungen der Problembeteiligten und/oder der BeraterInnen. Die Zuordnung der wissenschaftlichen Begleitung, ob es sich um Gewaltfälle handelt, fließt hier noch nicht ein. 161 Hier ist zu beachten, dass nur dann Informationen über diese Fallbeteiligten vorlagen, wenn sie den BeraterInnen selbst bekannt waren und ihnen ihre Erwähnung in den Akten relevant erschien. Bei vielen der kürzeren Fälle mit z.T. einmaligen – ebenfalls kurzen – Kontakten ist von beidem nicht auszugehen. 162 Es handelte sich hier in den meisten Fällen um Pflegedienste, vereinzelt um Dienste, die hauswirtschaftliche Hilfen anboten. 241 Tabelle 6.2.2.4/17: Anzahl der professionellen Fallbeteiligten ohne Kontakt zum Modellprojekt Profession / Institution Arzt/Ärztin Ambulanter Pflege- bzw. Unterstützungsdienst Pflegeheim, Anbieter von Tages- und Kurzzeitpflege Amtsgericht, Vormundschaftsgericht, Gericht Rechtsanwalt/Rechtsanwältin Krankenhaussozialdienst Sozialpsychiatrische Beratungsstelle Betreuungsstelle, BetreuerIn, Betreuungsverein Sozialamt, Amt für Wohnungswesen Polizei (nicht PPS) Pastor/Pastorin, GemeindemitarbeiterInnen Kommunaler Sozialdienst, Bezirkssozialarbeit Städtische Altenhilfe (KSS), Sorgentelefon Lindenbaum, gerontopsychiatrische Fachberatung Ergo- , KunsttherapeutIn, KrankengymnastIn Sozialverband Deutschland Sonstige Gesamt Fallbeteiligung ohne Kontakt zum Modellprojekt 41 25 16 12 11 9 6 5 4 3 3 2 2 1 1 1 35 177 BeraterInnen Mit den meisten Beratungsfällen war lediglich eine BeraterIn befasst. In 8,7% der Fälle waren zwei, in 3,1% drei und in jeweils 1% vier und fünf BeraterInnen involviert. Hier zeigt sich, dass ein großer Teil der Beratungsfälle, die von der Beratung im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons in die weitere Beratung übergingen, in der Verantwortung derselben Person blieben. Die BeraterInnen vereinbarten mit den GesprächspartnerInnen Termine oder gaben die eigene dienstliche Telefonnummer für die weitere Kontaktaufnahme an die GesprächspartnerInnen weiter. BeraterInnenwechsel waren insgesamt selten, sie hingen meist mit Urlaubsvertretungen oder Delegation zu163 sammen . Gelegentlich kam es vor, dass Problembeteiligte bereits in festem Beratungskontakt mit einer BeraterIn standen, sich dennoch immer wieder an das Krisen- und Beratungstelefon wandten und dort unter Umständen mit anderen BeraterInnen telefonierten. Insbesondere bei Personen, die häufiger Kontakt zu verschiedenen Beratungsstellen suchten und dort nicht darauf hinwiesen, wer bereits in einen Fall involviert war, führte dies dazu, dass mehrere BeraterInnen nacheinander mit einem Fall befasst waren, ohne voneinander zu wissen. Hier ergab 163 Die gemeinsame Beratung von zwei BeraterInnen hing mit der Beschäftigung der Sozialpädagogin im Anerkennungsjahr zusammen. 242 sich die Notwendigkeit, sich gegenseitig über Beratungsfälle zu informieren (vgl. dazu auch Kap. 6.2.1). Weitere Kontakte nach Fallabschluss 164 In 15 Fällen fanden nach dem vorläufigen Abschluss eines Falles weitere Kontakte statt, zumeist ein bis fünf weitere Kontakte, in fünf Fällen 165 mehr als sechs weitere Kontakte . In fünf dieser Fälle wurde mehr als 30 Wochen nach dem Fallabschluss wieder Kontakt aufgenommen (max: 78 Wochen). Beratungsabschluss Tabelle 6.2.2.4/18: Beratungsabschluss (N = 177) offenes Beratungsangebot klarer Fallabschluss, beidseitiges Einvernehmen Nichteinhaltung von Terminen/Vereinbarungen einseitiger Fallabschluss durch BeraterIn einseitiger Fallabschluss durch KlientIn Gesamt Häufigkeiten Prozent 90 54 50,8 30,5 22 8 3 177 12,4 4,5 1,7 100,0 In nur weniger als einem Drittel der Fälle, für die Informationen über den Beratungsabschluss vorlagen, lässt sich das Beratungsende als klarer Fallabschluss beschreiben. Weder BeraterIn noch Problem- oder Fallbeteiligte sahen in diesen Fällen weiteren Beratungsbedarf oder weitere Beratungsmöglichkeit durch das Modellprojekt; die Beratung wurde einvernehmlich beendet. In über der Hälfte der Fälle boten die BeraterInnen beim Ende des letzten Kontaktes an, dass sich die GesprächspartnerInnen bei Bedarf wieder an das Modellprojekt wenden könnten. Dies wurde jedoch nicht in Anspruch genommen. In einem Teil der Fälle kamen vereinbarte Termine oder Kontakte nicht zustande, die Fälle liefen aus. In einigen dieser Fälle kamen trotz erheblicher Bemühungen der BeraterInnen Kontakte nicht mehr zustande, da die KlientInnen immer wieder Termine verschoben, absagten oder nicht wahrnahmen. In nur wenigen Fällen wurde die Beratung nicht-einvernehmlich durch KlientInnen oder BeraterInnen beendet; letztere waren zumeist Fälle, bei denen die BeraterInnen die KlientInnen immer wieder erfolglos auf die Zuständigkeit anderer Institutionen hingewiesen hatten. 164 Markiert entweder durch die Evaluation des Falles durch die BeraterIn oder durch entsprechende Hinweise in den Fallunterlagen. 165 Vier mal erfolgten sogar nach mehr als einem Fallabschluss weitere Kontakte durch KlientInnen. 243 6.2.2.4.2.2 KlientInnen und Interventionen KlientInnen des Modellprojekts Tabelle 6.2.2.4/19: KlientInnen des Modellprojekts (N = 194) ein/e Problembeteiligte/r ist KlientIn mehrere Problembeteiligte sind KlientInnen professionelle Fallbeteiligte verwandte Fallbeteiligte sonstige Fallbeteiligte unklar (kein ausdrücklicher Beratungsauftrag) Gesamt Häufigkeiten Prozent 105 18 26 22 7 16 194 54,1 9,3 13,4 11,3 3,6 8,2 100,0 In über der Hälfte der Fälle war ein Problembeteiligter oder eine Problembeteiligte und in etwa jedem zehnten Fall waren mehrere Problembeteiligte KlientInnen des Modellprojekts. Seltener waren professionelle, verwandte oder sonstige Fallbeteiligte KlientInnen. In einem kleineren Teil der Fälle bestand kein ausdrücklicher Beratungsauftrag an das Modellprojekt und somit kein bzw. ein unklares KlientInnenverhältnis. Dabei handelt es sich um Fälle, die dem Modellprojekt gemeldet wurden, in denen jedoch kein Kontakt zu den unmittelbar Problembeteiligten aufgenommen werden konnte bzw. diese keinen Beratungsauftrag an die BeraterInnen formulierten. Zum Teil veränderte sich das KlientInnenverhältnis auch im Beratungsverlauf. So waren beispielsweise zunächst Fallbeteiligte KlientInnen, mit Kontaktaufnahme zu unmittelbar Problembeteiligten wurden diese dann zu KlientInnen des Modellprojekts. In anderen Fällen war zunächst ein Problembeteiligter oder eine Problembeteiligte KlientIn des Modellprojekts und später bestanden zu mehreren Problembeteiligten KlientInnenverhältnisse. Interventionen im Beratungsverlauf Für jeden Fall wurde aufgeschlüsselt, welche Interventionen im Verlauf der Beratungen durch die MitarbeiterInnen des Modellprojekts stattfanden (Mehrfachantworten). Die folgende Tabelle zeigt die Verteilung nach Fällen und bezogen auf alle Nennungen. 166 Die psychosoziale Beratung von Problem- oder Fallbeteiligten erwies sich als Kern der Beratungstätigkeit. In drei von vier Beratungsfällen wurde mindestens einmal psychosoziale Beratung geleistet. Weitere 166 Als psychosoziale Beratung wurde hier „eine zwischenmenschliche Beziehung“ verstanden, „in deren Verlauf eine Person (der Berater) bemüht ist, einer anderen (dem Klienten) zu helfen, deren Probleme zu verstehen und sie zu bewältigen” (ARNOLD, EYSENCK & MEILI, 1993, S. 253), wobei die angewandten Verfahrensweisen über reines Informieren (kann ebenfalls Bestandteil von Beratung sein) hinausgehen. 244 häufige Interventionen waren das Verweisen an andere Institutionen oder Einrichtungen, das Bereitstellen von Informationen, zum Teil auch Recherchen. Andere Interventionen in direkter Interaktion mit KlientInnen waren die Unterstützung bei Antragstellung und in wenigen Fällen 167 die Begleitung der KlientInnen; in diesen Fällen fanden häufig viele Kontakte statt. In etwa jedem fünften Fall kooperierten die BeraterInnen mit professionellen Fallbeteiligten und/oder berieten professionelle Fallbeteiligte. Ein weiterer Schwerpunkt der Beratungstätigkeit lag in der Kontaktaufnahme mit anderen Personen und/oder Institutionen als den ersten GesprächspartnerInnen. Die Kontaktaufnahme mit Fallbeteiligten und Problembeteiligten, das Einschalten anderer Institutionen und die Rücksprache mit Institutionen (hier insbesondere KSD und sozialpsychiatrische Beratungsstelle) dienten der kollegialen Zusammenarbeit, der Information über die Tätigkeit anderer Dienste in einem Fall sowie der Einbeziehung von bis zu dem Zeitpunkt nicht involvierten Problemoder Fallbeteiligten. Tabelle 6.2.2.4/20: Interventionen im Beratungsverlauf (N = 184 Fälle) Nennungen Psychosoziale Beratung Verweisen an andere Institutionen Informationsvermittlung, Aufklärung Rücksprache mit Institutionen Fallbezogene Kooperationen Kontaktaufnahme mit Fallbeteiligten Recherchen im KlientInnenauftrag Kollegiale Beratung Kontaktaufnahme mit Problembeteiligten Einschalten anderer Institutionen Unterstützung bei Antragstellung Begleitung Gesamt 139 54 48 43 39 37 36 35 28 Anteil an Nennungen in % 28,0 10,9 9,7 8,7 7,9 7,5 7,3 7,1 5,6 Anteil an Fällen in % 75,5 29,3 26,1 23,4 21,2 20,1 19,6 19,0 15,2 16 13 8 496 3,2 2,6 1,6 100,0 8,7 7,1 4,3 269,6 167 Zum Begriff der Begleitung vgl. Beratungskonzept (Kap. 6.2.1); unter Begleitung verstehen die BeraterInnen ein Beratungsverhältnis, das nicht auf konkrete Veränderungen und Situationsverbesserungen abzielt, da diese in der gegebenen Konstellation nicht realisierbar sind, sondern das die Personen und ihre aktuelle Lebenssituation durch regelmäßigen Kontakte stabilisiert. Die Codierung als Begleitung erfolgte nur, wenn die BeraterInnen ihre eigene Arbeit in den Akten so bezeichneten. 245 6.2.2.4.3 Problemkonstellationen und Gewaltproblematiken: Alle Beratungsfälle und Beratungsfälle mit Gewaltkonstellation im Vergleich 6.2.2.4.3.1 Problemkonstellationen Alle Fälle wurden von der wissenschaftlichen Begleitung hinsichtlich der im Fall im Vordergrund stehenden Problematik kategorisiert. An dieser Stelle wurde keine Entscheidung darüber getroffen, ob und aus welcher Perspektive in einem Fall tatsächlich Gewalt vorlag. Wurden Gewaltvorwürfe in einem Fall formuliert, so wurde er hier als Gewaltvorfall aufgenommen. Diese vereinfachende und die Komplexität von Fällen reduzierende Kategorisierung dient einer ersten Vorstrukturierung des Gegenstandes und soll einen Überblick über die wichtigsten Problem168 bereiche geben (vgl. Tabelle 6.2.2.4/21). Auf der Grundlage dieser Zuordnung erfolgten auch die Fallbeschreibungen (vgl. Kapitel 6.2.2.4.6). Tabelle 6.2.2.4/21: Hauptproblematik in Beratungsfällen der allgemeinen Beratung (N = 195) Beschwerden über/Gewalt in der (teil-) stationären Pflege Bedrohung/Gewalt durch Nachbarn bzw. Mieter Aggressionen/Gewalt durch Pflegebedürftige Gewalt durch Angehörige (nicht Ehe/Partnerschaft) Gewalt in der Ehe/Partnerschaft Wahn bzw. psychotische Störung der AnruferIn Informationsbedarf (Vorsorge Alter, Wohnformen, PVG) Pflegeproblematik: Überlastung, Sicherung adäquater Pflege Beschwerden über Ämter, Betreuer, Vermieter, Mieter Nachbarschaftskonflikte Familienkonflikte Einsamkeitsproblematiken finanzielle Probleme Unterstützungsbedarf bei komplexen Problemen Sonstiges, unklare Konstellationen Gesamt Häufigkeiten 17 Prozent 7 12 48 28 10 7 3,6 6,2 24,6 14,4 5,1 3,6 15 7,7 19 9,7 5 5 4 2 2 14 195 2,6 2,6 2,1 1,0 1,0 7,2 100,0 8,7 168 Die genannten Kategorien schließen sich nicht gegenseitig aus; mehrere Problemfelder können zugleich in einem Fall relevant sein; die Kategorien Gewalt in der Partnerschaft und Gewalt durch Angehörige umfassen in der Regel auch Fälle, in denen Familienkonflikte eine Rolle spielen. Die Gewaltkategorien sind – so die Problematik im Vordergrund steht – als umfassende Kategorien zu verstehen. 246 Demnach ist bei etwa der Hälfte der Fälle eine Gewaltproblematik im Lebenskontext älterer Menschen relevant. In den meisten dieser Fälle geht es um Gewalt gegenüber älteren Menschen. Dies ist zumeist Gewalt durch Angehörige oder Gewalt in der Ehe. In wenigen Fällen handelt es sich um Gewalt durch NachbarInnen bzw. Mieter. In allen benannten Fällen kann zusätzlich Pflegebedürftigkeit eines oder mehrerer Problembeteiligter relevant sein. In einem kleineren Teil der Fälle geht es primär um Gewalt, die von älteren Menschen als Pflegebedürftigen ausgeht. Bei etwa der Hälfte der Fälle steht keine Gewaltproblematik im Vordergrund. In dieser Fallgruppe tritt als häufiges Hauptproblem die Überlastung von pflegenden Angehörigen und/oder die Sicherung adäquater Pflege bzw. Versorgung von pflegebedürftigen älteren Menschen auf. In weiteren Fallkonstellationen ist das zentrale Problem eine psychotische Störung der AnruferInnen, Informationsbedarf der KlientInnen, Nachbarschaftskonflikte und Familienkonflikte und in seltenen Fällen geht es in der Hauptsache um Einsamkeitsproblematiken. Teils ging es um Beschwerden über bzw. Gewalt in stationären Pflegeeinrichtungen, und in einem Teil der Fälle lagen sonstige oder sehr unklare Problemkonstellationen vor. 6.2.2.4.3.2 Gewalteinschätzungen Bei weitem nicht alle Fälle, die an das Modellprojekt herangetragen wurden, waren tatsächlich Fälle, in denen es zu Gewalt im Verhältnis zu einem alten Menschen gekommen war oder zu kommen drohte. Sollen über eine allgemeine Beschreibung der Fälle und der Beratung hinaus Aussagen über die von dem Modellprojekt bearbeiteten Fälle von Gewalt gegen ältere Menschen gemacht werden, so sind Entscheidungen erforderlich, welche Fälle als Gewaltfälle und welche als andere Problematiken zu kennzeichnen sind. Probleme bei der Klassifikation hängen zum einen mit der Gewaltproblematik und dem Beratungsauftrag des Modellprojekts, zum anderen mit der Heterogenität der Beratungsfälle hinsichtlich Häufigkeit, Dauer der Kontakte und Anzahl der GesprächspartnerInnen zusammen: In vielen Fällen standen die MitarbeiterInnen nur mit einer Person in Kontakt; damit liegt die Schilderung einer Gewaltsituation – in die ja stets mindestens zwei Personen involviert sind – in vielen Fällen nur aus einer Perspektive vor. • In einigen Fällen finden sich (unter anderem aus den soeben genannten Gründen) nur fragmentarische Aussagen über die Gewaltvorwürfe. • 247 Wenngleich die BeraterInnen immer wieder versuchten, Gewaltvorwürfe aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten, sahen sie es nicht als ihren zentralen Auftrag, zu überprüfen, ob die Gewaltvorwürfe auch aus der Sicht anderer Fall- oder Problembeteiligter zutrafen. • Bei divergierenden Gewaltschilderungen innerhalb eines Beratungskontaktes war es häufig auch aus BeraterInnensicht schwierig, aus der Sicht der wissenschaftlichen Begleitung nahezu unmöglich, Aussagen darüber zu machen, welche Gewalthandlungen oder -unterlassungen tatsächlich vorgefallen, welche Gewaltvorwürfe berechtigt waren. • Gewalteinschätzungen wurden aus der Perspektive der BeraterInnen wie der wissenschaftlichen vorgenommen. Für die meisten Fälle liegen drei Einschätzungen darüber vor, ob es sich um eine Gewaltkonstellation, eine unklare Konstellation oder eine andere Problemkonstellation handelt. Diese Bewertungen nahmen die BeraterInnen beim ersten längeren Beratungskontakt bzw. bei Anrufen beim Krisen- und Beratungstelefon (für 79% der Fälle) und kurz vor dem Ende der Projektlaufzeit (für 91,8% der Fälle) vor. Die dritte Einschätzung wurde durch die wissenschaftliche Begleitung auf der Grundlage der genannten Kriterien (vgl. Kap. 6.2.2.2.4) für alle Beratungsfälle vorgenommen. In Tabelle 6.2.2.4/22 sind die Ergebnisse dieser Bewertungen aufgeführt. Tabelle 6.2.2.4/22: Gewalteinschätzungen des Modellprojekts und der wissenschaftlichen Begleitung Erste Einschätzung des Modellprojektes N Gewaltkonstellation keine Gewaltkonstellation Unklar Gesamt Fehlend Gesamt (N=155) In % Nachträgliche Be- Nachträgliche Bewertung wertung durch die des Modellprojektes wissen-schaftliche Begleitung (N=179) (N=195) N in % N in % 105 50 53,8 25,6 85 81 43,6 41,5 81 74 41,5 37,9 155 40 195 79,4 20,6 100,0 13 179 16 195 6,7 91,8 8,2 100,0 40 195 20,6 100,0 Nach der ersten Bewertung durch die BeraterInnen lag in über der Hälfte der Fälle eine Gewaltkonstellation und in den verbliebenen Fällen keine Gewaltkonstellation vor. Bei der zweiten Bewertung wurden deutlich weniger als die Hälfte der Fälle als Gewaltfälle und etwa 7% als unklare Fälle klassifiziert. In 40 der 142 Fälle, für die zwei BeraterInnen- 248 einschätzungen vorlagen, veränderte sich die Einschätzung der BeraterInnen. In wenigen Fällen waren die BeraterInnen zunächst von einer anderen Problemkonstellation ausgegangen, bewerteten jedoch später den Fall als Gewaltfall, in den meisten dieser Fälle waren die BeraterInnen bei der ersten Einschätzung von einem Gewaltfall ausgegangen, bewerteten den Fall jedoch rückwirkend – zumeist nach mehreren Beratungskontakten – anders . Die Klassifikation durch die wissenschaftliche Begleitung orientierte sich am Gewaltbegriff des Modellprojekts. Die Bewertung durch die wissenschaftliche Begleitung ergab etwa zwei Fünftel Gewaltkonstellationen, etwa ebenso viele andere Problemkonstellationen und etwa ein Fünftel unklare Fälle. Ein Vergleich der nachträglichen Bewertungen durch wissenschaftliche Begleitung und Modellprojekt zeigt für 49 Fälle Abweichungen, die zum größten Teil daher rühren, dass bei der Bewertung der wissenschaftlichen Begleitung die Kategorie ‚unklar‘ deutlich höher 169 besetzt ist . 17 von den BeraterInnen als Gewaltkonstellationen und 13 als andere Problemkonstellationen eingeschätzte Fälle wurden von der wissenschaftlichen Begleitung als unklare Fälle gewertet. Übereinstimmende Bewertungen liegen für zwei Drittel der Fälle, 64 Gewaltfälle, 60 andere Problemkonstellationen und 6 unklare Fälle vor. Wenn im Folgenden von Gewaltfällen die Rede ist, so sind die von Modellprojekt und wissenschaftlicher Begleitung übereinstimmend so bewerteten Fälle gemeint (N=64). Es wäre für die Analyse anzustreben gewesen, zwei Vergleichsgruppen „Gewaltfälle“ und „andere Fälle“ zu bilden und diese hinsichtlich verschiedener Merkmale zu vergleichen. Wie bereits geschildert lässt sich jedoch nicht mit Gewissheit von zwei hinsichtlich des Merkmals „Gewaltkonstellation“ trennscharf gebildeten Gruppen ausgehen. Ein Vergleich der Gewaltfälle und der verbliebenen Fälle hätte diesen Eindruck vermittelt. So werden im folgenden die Gewaltfälle und die Gesamtheit der Beratungsfälle miteinander verglichen; dabei ist zu beachten, dass die Gewaltfälle Teilmenge der Gesamtheit der Beratungsfälle sind, also stets in beiden Berechnungen berücksichtigt sind. 169 Hier spielt eine Rolle, dass in der Bewertung der wissenschaftlichen Begleitung ein Fall als unklar eingestuft wurde, wenn voneinander abweichende Berichte von Fall- oder Problembeteiligten hinsichtlich der Gewaltsituationen vorlagen und wenn nur der Verdacht auf eine Gewaltsituation bestand. Die BeraterInnen entschieden hier auf der Grundlage ihrer genaueren Fallkenntnis und konnten Urteile hinsichtlich der Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit dieser verschiedenen Versionen treffen, die auf der Wissensgrundlage der wissenschaftlichen Begleitung nicht möglich waren. 249 6.2.2.4.3.3 Hauptproblematik bei Gewaltfällen Tabelle 6.2.2.4/23: Hauptproblematik in Gewalt-Beratungsfällen mit Mehrfachkontakten Gewalt durch Angehörige (nicht Ehe/Partnerschaft) Gewalt in der Partnerschaft Aggressionen/Gewalt durch Pflegebedürftige Bedrohung/Gewalt durch Nachbarn bzw. Mieter Beschwerden über/Gewalt in der (teil-) stationären Pflege Nachbarschaftskonflikte Familienkonflikte Gesamt Häufigkeiten 29 19 7 5 2 Prozent 1 1 64 1,6 1,6 100,0 45,3 29,7 10,9 7,8 3,1 Die obenstehende Tabelle schlüsselt die Gewaltfälle des Modellprojekts nach der im Vordergrund stehenden Problematik auf. In nahezu allen Gewaltfällen handelte es sich bei der Hauptproblematik um Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum im Sinne der Definition des Modellprojekts: Gewalt durch Nachbarn bzw. Mieter, Gewalt in der Ehe bzw. Partnerschaft und Gewalt durch andere Angehörige. In etwa zehn Prozent der Gewaltfälle war die Hauptproblematik Gewalt durch Pflegebedürftige gegenüber Pflegenden. In vier der Gewaltfälle standen andere Problematiken im Vordergrund. In 61 der 64 Fälle, die sowohl von BeraterInnen als auch von der wissenschaftlichen Begleitung als Gewaltfälle kategorisiert wurden, ging es um Gewalt im persönlichen Nahraum, in zwei Fällen ging es um Gewalt in Institutionen, und in einem Fall ging es um Gewalt im persönlichen Nahraum und Gewalt in Institutionen. 6.2.2.4.3.4 Problemcharakteristika und Belastungsfaktoren Risikofaktoren und Problemcharakteristika Wie in Kapitel 6.2.2.2 geschildert, wurde bei der Aktenanalyse besonderes Augenmerk auf aus der Forschung bekannte Risikofaktoren und Problemcharakteristika gelegt. Hier wird eine grundsätzliche Problematik der Aktenanalyse deutlich: In die Auswertung gelangen nur Informationen, die a) den BeraterInnen bekannt sind und b) von diesen auch als für die Falldokumentation relevant erachtet werden. Insbesondere bei den einmaligen, kürzeren Kontakten dürften im Beratungsgespräch nicht alle relevanten Problemmerkmale thematisiert worden sein. Anga250 ben über die Verbreitung eines bestimmten Problemcharakteristikums lassen nicht den sicheren Schluss zu, dass dieses Merkmal in allen anderen Fällen nicht vorlag: Das Fehlen einer einschlägigen Information in den Akten lässt sich analytisch vom Nicht-Vorhandensein des jeweiligen Merkmals nicht unterscheiden. Es bestätigt sich die alte Weisheit „Quod non est in actis non est in mundo“. Tabelle 6.2.2.4/24: Problemcharakteristika in der Gesamtheit der Beratungsfälle des Modellprojekts (N = 195) und in der Untergruppe der Fälle mit Gewaltproblematik (N = 64) Beratungsfälle insges. Gewaltfälle (N=195) (N=64) Anzahl der Anteil an den Anzahl der Anteil an den Nennungen Beratungsfäll Nennungen Gewaltfällen en in % in % Unterstützungsbedarf 126 66,3 48 75,0 ambulante Pflege 70 36,8 34 45,3 familiäre Konflikte über mehrere 67 35,5 29 53,1 Generationen körperliche Behinderung, 61 32,1 23 35,9 Krankheit Arbeitslosigkeit, finanzielle 55 28,9 23 35,9 Schwierigkeiten soziale Isolation 54 28,4 20 31,3 Ehe- bzw. Partnerschafts45 23,7 28 43,8 konflikte Gesetzliche Betreuung 36 18,9 12 18,8 Einrichtung/Aufhebung einer 30 15,8 10 15,6 Betreuung Konflikte mit/ Beschwerden über 29 15,3 5 7,8 Pflegeinstitutionen (Verdacht auf) Wahn/Psychose 23 12,1 5 7,8 (Verdacht auf) Substanzmiss22 11,6 5 7,8 brauch Konflikte mit/Beschwerden über 22 11,6 6 9,4 NachbarInnen (Verdacht auf) andere psychi19 10,0 11 17,2 sche Beeinträchtigungen Geschwisterkonflikte 17 8,9 8 12,5 Suizid (Versuch, Verdacht, Dro16 8,4 8 12,5 hung) Konflikte mit/Beschwerden über 11 5,8 1 0,4 Vermieter Verwahrlosung 11 5,8 4 6,3 Konflikte mit/Beschwerden über 10 5,3 1 1,6 Ämter schlechte Wohnverhältnisse 2 1,1 1 1,6 Konflikte mit/Beschwerden über 1 0,5 0 0,0 Firmen 251 Die vorherstehende Tabelle schlüsselt wesentliche Problemcharakteristika für die Gesamtheit aller Beratungsfälle und für die Gewaltfälle getrennt auf. Für 190 Beratungsfälle ergab die Aktenanalyse Hinweise auf solche Problemcharakteristika. Als häufigstes Problemmerkmal erwies sich – unabhängig davon, ob es sich um einen Gewaltfall handelte oder nicht – der Unterstützungsbedarf von Problembeteiligten. In zwei Drittel aller Beratungsfälle und drei Viertel der Gewaltfälle liegt für einen oder mehrere Problembeteiligte Unterstützungsbedarf vor. Mit Unterstützungsbedarf ist nicht der Bedarf an pflegerischer Grundversorgung gemeint, sondern z.B. Hilfebedarf bei Essenszubereitung, im Haushalt, bei Einkäufen u.ä. Bei Vorliegen von Pflegebedürftigkeit wurde generell von weiterem Unterstützungsbedarf ausgegangen. Weitere wichtige Problemcharakteristika sind Pflegebedürftigkeit sowie chronische oder akute Krankheiten und körperliche Behinderungen, familiäre Konflikte über mehrere Generationen, soziale Isolation, Arbeitslosigkeit und finanzielle Probleme der Beteiligten sowie Ehe- und Partnerschaftskonflikte. In etwa jedem fünften Beratungsfall besteht eine gesetzliche Betreuung, in 16% der Fälle werden Überlegungen zur Einrichtung bzw. (seltener) zur Aufhebung einer Betreuung angestellt, entsprechende Anträge und Verfahren eingeleitet. In mehr als zehn Prozent der Fälle lag bei Problembeteiligten eine psychotische Erkrankung mit Wahnsymptomen vor bzw. wurde diese vermutet; ähnlich häufig ergaben sich Hinweise auf Substanzmissbrauch und andere psychische Beeinträchtigungen. Im Vergleich zu allen Beratungsfällen sind bei den Gewaltfällen die Anteile der Konflikt- bzw. Beschwerdeproblematiken etwas seltener vertreten; derartige Konflikte und Beschwerden beziehen sich vor allem auf Pflegeinstitutionen und NachbarInnen, seltener auf Ämter, VermieterInnen oder Firmen. Weitere Problemcharakteristika wurden nicht a priori definiert, sondern erwiesen sich bei der Sichtung der Fallunterlagen als relevant. Häufig auftretende Merkmale sind in der folgenden Tabelle dargestellt. In etwa einem Viertel aller Beratungsfälle und einem Drittel der Gewaltfälle sind Umzugswünsche bzw. –überlegungen von bzw. für Problembeteiligte relevant, in einem Achtel aller Beratungsfälle und etwa einem Viertel der Gewaltfälle äußerten Problembeteiligte Trennungswünsche 170 bzw. -überlegungen . Bei den Gewaltfällen war es im Zusammenhang der Problemkonstellation häufiger zu Polizeieinsätzen und zur Erstattung von Strafanzeigen gekommen. In etwa jedem zehnten Gewaltfall wollte das Opfer ausdrücklich keine Situationsveränderung. 170 Trennungsüberlegungen waren nur bei gemeinsamem Haushalt bzw. Wohnung der Problembeteiligten relevant. 252 Tabelle 6.2.2.4/25: Weitere Problemcharakteristika in der Gesamtheit der Beratungsfälle des Modellprojekts (N=195) und in der Untergruppe der Fälle mit Gewaltproblematik (N=64) Umzugswünsche bzw. -Überlegungen Trennungswünsche bzw. -Überlegungen Sozialhilfebezug, -berechtigung Polizeieinsatz Trauer um Angehörige Opfer will keine Situationsveränderung Anzeigeerstattung Entlassung aus stationärer Einrichtung in schwierige häusliche Situation ehemalige Pflege von Angehörigen Beratungsfälle insges. (N=195) Anzahl Anteil an der Nen- den Beranungen tungsfällen in % 51 26,2 Gewaltfälle (N=64) Anzahl Anteil an der Nenden Genungen waltfällen in % 21 32,8 24 12,3 15 23,4 16 8,2 4 6,3 13 10 9 6,7 5,1 4,6 9 0 7 14,1 0,0 10,9 8 8 4,1 4,1 6 5 9,2 7,8 8 4,1 3 4,7 Pflegebelastungsfaktoren Gesondert analysiert wurden die Fälle hinsichtlich Pflegebelastungsfaktoren. Sie liegen in 73 der Beratungsfälle (37,4%) und 24 der Gewaltfälle vor (37,5%). Die größte Bedeutung haben dabei Demenzen bzw. der Verdacht auf das Vorliegen solcher Erkrankungen: In etwa einem Viertel aller Beratungsfälle (24,1%) und einem Fünftel der Gewaltfälle (20,3%) sind dementielle Erkrankungen relevant. Übermäßige Belastung und Überforderung der Pflegepersonen wurden für 14,4% aller Beratungsfälle und für 18,7% der Gewaltfälle ausgewiesen. Andere Pflegebelastungsfaktoren wie Multimorbidität, Lebenskrisen der Pflegenden, Mehrfachbelastungen der Pflegeperson, Schlafentzug, lange Pflegedauer, erzwungene Pflegebeziehung, mangelnde Unterstützung bei der Pflege durch Familienmitglieder und vor Pflegeübernahme bereits schlechte Beziehung zwischen pflegebedürftiger Person und Pflegeperson sind insgesamt selten; sie sind in 0,5% bis 4,6% aller Beratungsfälle bekannt, ihr Anteil an den Gewaltfällen ist geringfügig höher und reicht von 1% bis 7,8% der Fälle. 253 Etwa in jedem achten Beratungsfall (11,8%) und jedem sechsten Gewaltfall (15,6%) lehnen Pflegebedürftige externe Pflegehilfe ab, seltener – bei 4,6% aller Beratungsfälle und 7,8% der Gewaltfälle – geht die Ab171 lehnung externer Pflegehilfen von Pflegepersonen aus . Die Ablehnung von anderer externer Unterstützung spielte in nur 4 Fällen eine Rolle. 6.2.2.4.3.5 Veränderungen im Beratungsverlauf Konkrete Veränderungen der Lebenssituation der Problembeteiligten im Beratungsverlauf waren nur in Fällen mit mehreren Kontakten, die über einen längeren Zeitraum stattfanden möglich und nachvollziehbar. In welchem Maße die Veränderungen mit den Interventionen der BeraterInnen in Zusammenhang standen, lässt sich nur für Einzelfälle nachvollziehen, in anderen vermuten. Insbesondere in Fällen, in die auch andere Institutionen involviert waren, lassen sich kaum UrsacheWirkungs-Zusammenhänge ausmachen. Solche Einschätzungen können die KlientInnen selbst oft am besten treffen. Aus ihrer Perspektive liegen jedoch nur wenig Informationen über die Auswirkungen der Beratung vor. Im Folgenden werden die im Beratungsverlauf eingetretenen konkreten Veränderungen in der Lebenssituation der Problembeteiligten dargestellt. Insgesamt lassen sich in 39 (20%) aller Beratungsfälle und 20 (31,3%) der Gewaltfälle Veränderungen im Beratungsverlauf identifizieren; sie sind in der folgenden Tabelle dargestellt. 171 Hier sind alle Fälle zusammengefasst, in denen Pflegende oder Pflegebedürftige ambulante, stationäre oder teilstationäre Versorgung ablehnen. 254 Tabelle 6.2.2.4/26: Veränderungen im Beratungsverlauf, für alle Beratungsfälle (N=195) und die Beratungsfälle mit Gewaltkonstellation (N=64) Krankenhausaufenthalt Trennung durch Wohnortwechsel Deutliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes Umzug in Privatwohnung/Haus Finanzielle Ausstattung Tod von Problembeteiligten Ein- bzw. Höherstufung Pflegeversicherung Umzug in Pflegeheim Umzug in andere Stadt Anzeige/Ermittlungsverfahren eingeleitet Umzug in betreutes Wohnen/Altenwohnanlage Psychiatrieaufenthalt Diagnostische Klärung von Krankheiten Beratungsfälle insges. (N=195) Anzahl Anteil an der Nenden nungen Beratungsfällen in % 15 22,1 9 13,2 7 10,3 Gewaltfälle (N=64) Anzahl der Nennungen Anteil an den Gewaltfällen in % 9 6 4 22,0 14,6 9,8 7 6 4 4 10,3 8,8 5,9 5,9 3 4 2 3 7,3 9,8 4,9 7,3 4 4 3 5,9 5,9 4,4 3 3 3 7,3 4,9 7,3 2 2,9 1 2,4 2 1 2,9 1,5 1 2,4 6.2.2.4.3.6 Beratung in Gewaltfällen Im Folgenden werden die Beratungsfälle mit Gewaltkonstellation, d.h. die 64 Fälle, bei denen sowohl wissenschaftliche Begleitung als auch BeraterInnen nachträglich die Einschätzung abgaben, dass es sich um Gewaltfälle handelte, nach Anzahl und Dauer der Kontakte, nach Zeitraum zwischen erstem und letztem Kontakt und nach Erstkontakten aufgeschlüsselt und mit der Gesamtmenge der Beratungskontakte (N=195) verglichen. Weiter werden die Gewaltfälle hinsichtlich geleisteter Interventionen, Anzahl der Fall- und Problembeteiligten, Problemcharakteristika, Täter- und Opfermerkmalen und Gewaltformen analysiert. Der Anteil der ein- und zweimaligen Kontakte ist bei den Gewaltfällen mit 28,1% bzw. 14,4% Prozent ähnlich hoch wie bei allen Fällen (30,3% bzw. 16,4%). Der Anteil der Fälle mit mehr als vier Kontakten liegt bei den Gewaltfällen bei 46,9%, bei allen Fällen bei 40,5%. Ein deutlicherer 255 Unterschied zeigt sich bei den Fällen mit mehr als zehn Kontakten: Ihr Anteil liegt bei den Gewaltfällen bei 23,4%, bei allen Fällen nur bei 14,4%. Die durchschnittliche Anzahl der Kontakte ist bei den Gewaltfällen (M=8,28, Md=3, SD=12,09) höher als bei allen Fällen (M=5,79, Md=3, SD=8,72). Höher ist auch bei den Gewaltfällen der Anteil der Fälle, bei denen der Zeitraum zwischen erstem und letztem Beratungskontakt mehr als drei Monate betrug; für mehr als ein Viertel der Gewaltfälle (26,6%) und 17,4% der gesamten Beratungsfälle trifft dies zu. Ein Vergleich der Gesamtdauer der Beratungskontakte zeigt geringe Abweichungen. Einen höheren Anteil haben bei den Gewaltfällen lediglich die Beratungsfälle, die länger als drei Stunden insgesamt dauerten (14,7% versus 7,6% bei allen Beratungsfällen). Die Anteile der sehr kurzen Kontakte (bis zu 30 Minuten) sind annähernd gleich (27,9% bei den Gewaltfällen versus 30,4% bei allen Fällen). Der geringe Unterschied hinsichtlich der Beratungsdauer ist erklärungsbedürftig – handelt es sich doch bei den Gewaltfällen um den zentralen Aufgabenbereich in der Beratung des Modellprojekts. Hier kann von Bedeutung sein, dass sich in den Gewaltfällen seltener Problembeteiligte selbst an das Modellprojekt wandten. Der Anteil von Problembeteiligten an den GesprächspartnerInnen im Erstkontakt liegt bei etwa einem Drittel (31,3%), bei allen Beratungsfällen waren dagegen fast 47,6% der ErstanruferInnen Problembeteiligte. Bei den Gewaltfällen ist der Anteil der verwandten, professionellen und sonstigen Fallbeteiligten an allen GesprächspartnerInnen beim Erstkontakt deutlich höher (68,8%) als bei 172 allen Beratungsfällen (51,8%) . In 28 Fällen (d.h. 43,8% der Gewaltfälle) waren die GesprächspartnerInnen im Erstkontakt professionelle Fallbeteiligte; in der Gesamtheit aller Beratungsfälle kamen 31,3% der Erstanrufe von professionellen Fallbeteiligten (61 Fälle). Die diesbezüglich bedeutendsten Berufsgruppen sind MitarbeiterInnen von ambulanten Pflegediensten, PolizistInnen und ÄrztInnen: Sie wandten sich aufgrund einer Gewaltkonstellation in neun bzw. jeweils drei Fällen an das Modellprojekt (bei allen Beratungsfällen meldeten sie sich in 12, sechs und vier Fällen). Von drei Fällen, in denen sich MitarbeiterInnen von PPS und Krankenhaussozialdienst beim Erstkontakt an das Modellprojekt wandten, waren jeweils zwei Gewaltfälle. Vergleichsweise weniger bedeutsam sind MitarbeiterInnen des KSD/Bezirkssozialarbeit als erste Kontaktpersonen in Gewaltfällen (zwei Fälle gegenüber 15 Fällen bei allen Beratungsfällen). Trotz insgesamt geringer Zahlen zeigt sich, dass Beschäftigte im medizinisch-pflegerischen Bereich und bei der Polizei 172 Dies führt dazu, dass der Anteil der Erstkontakte über das Krisen- und Beratungstelefon bei den Gewaltfällen geringer ist als bei allen Beratungsfällen. 256 wichtige Kontaktpersonen sind, wenn es um die Beratung in Gewaltfällen geht. professionelle Kontaktpersonen Ein Vergleich aller Kontakte in Gewaltfällen mit der Gesamtzahl der Kontakte zeigt, dass in den Gewaltfällen ebenfalls der Kommunale Sozialdienst/Bezirkssozialarbeit und ambulante Pflegedienste wichtige professionelle Kontaktpersonen des Modellprojekts waren. Vergleichsweise häufiger bestand in den Gewaltfällen Kontakt zu ÄrztInnen: Etwa jeder zehnte Kontakt mit professionellen Fallbeteiligten war in den Gewaltfällen ein Kontakt zu einem Arzt oder einer Ärztin (11,4% der Kontakte von insgesamt 236 Kontakten). Insgesamt bestanden bei den Gewaltfällen durchschnittlich mehr Kontakte zu professionellen Fallbeteiligten als bei allen Fällen (6,05 versus 4,37). problem- und fallbeteiligte Personen Im Folgenden werden für die Gewaltfälle die problem- und fallbeteiligten Personen (mit und ohne Kontakte zum Modellprojekt) genauer aufgeschlüsselt. In 57 Gewaltfällen war genau eine Person Opfer von Gewalt, in vier Fällen zwei Personen; insgesamt gab es 65 Opfer in 61 Fällen. In drei Fällen lag zwar Gewalt vor, eine Täter-Opfer-Zuschreibung war jedoch nicht möglich. In 52 Fällen gab es genau einen Täter oder eine Täterin, in fünf Fällen waren zwei Personen TäterInnen; insgesamt gab es 62 TäterInnen in 57 Fällen. In vier Fällen ließ sich die Zahl der TäterInnen nicht genau ermitteln, sei es, weil Gewalt von nicht zahlenmäßig be173 stimmbarem Personal im Pflegeheim ausging (zwei Fälle ), sei es, weil von gleichfalls zahlenmäßig nicht genau bestimmbaren NachbarInnen 174 Gewalt ausgeübt wurde (zwei weitere Fälle) . In einem Fall war eine 175 Person gleichzeitig Täterin und Opfer , in zwei Fällen waren zwei Per173 In einem Fall ging es um Ermittlungen in einem Pflegeheim wg. eines Todesfalles, in einem anderen Fall um Unterschlagung von Geld und das Stellen fingierter Rechnungen. 174 Gewalttätigkeiten gingen in einem Fall von Jugendlichen in der Nachbarschaft, im anderen Fall von Skinheads in der Nachbarwohnung aus. 175 In diesem Fall ging es um zwei korrespondierende Problemkonstellationen: einen Nachbarschaftskonflikt und eine Gewaltkonstellation zwischen pflegender Ehefrau und pflegebedürftigem Ehemann. Bei der Gewaltkonstellation in der Pflege war es möglich, Täterin und Opfer zuzuordnen, nicht so beim Konflikt zwischen Ehefrau und Nachbarn – obwohl auch dieser Konflikt gewaltsame Züge annahm. In diesem Fall wurde (vereinfachend) die Ehefrau als Täterin gewertet, der Ehemann als Opfer und der Nachbar, der Hauptklient des Modellprojekts war, sowohl als Täter als auch als Opfer. Dieser Fall macht deutlich, dass immer wieder Problemkonstellationen auftauchen, die einer schematisierten Erfassung nur schwer zugänglich sind. Wollte man alle denkbaren Konstellationen im Erhebungsinstrument berücksichtigen, hätte man keinen Zugewinn an Übersichtlichkeit erreicht. In den meisten Fällen allerdings sind die Problemkonstellationen klarer. 257 sonen gleichzeitig TäterInnen und Opfer, in einem Fall drei Personen. Insgesamt waren somit 135 identifizierbare Personen in 64 Fälle involviert. In 49 Fällen (76,6%) handelte es sich um Gewaltkonstellationen im Verhältnis zwischen zwei Personen. In 17.2% der Fälle waren drei Personen an der Gewaltkonstellation beteiligt, und in vier Fällen (6,3%) lässt sich die Zahl der Problembeteiligten nicht genau ermitteln. In über der Hälfte der Gewaltfälle (n=33) waren VertreterInnen bestimmter Berufsgruppen bzw. MitarbeiterInnen von Einrichtungen oder Initiativen involviert, ohne dass die BeraterInnen zu diesen Kontakt hatten. Interventionen Die durchschnittliche Zahl der Interventionen war in Gewaltfällen höher als in der Gesamtstichprobe (M=3,15 gegenüber M=2,69 in der Gesamtheit der Beratungsfälle). Hinsichtlich der Art und Häufigkeit der geleisteten Interventionen unterscheiden sich die Gewaltfälle nicht maßgeblich von allen Beratungsfällen. Tabelle 6.2.2.4/27: Interventionen der MitarbeiterInnen des Modellprojekts in Beratungsfällen des Modellprojekts (N=195) und Beratungsfällen mit Gewaltkonstellation (N=64) alle Beratungsfälle Gewaltfälle (N=195) (N=64) Anzahl Anteil an Anzahl Anteil an der Nen- allen Fäl- der Nen- Gewaltnungen len nungen fällen in % in % Psychosoziale Beratung 139 71,3 47 73,4 Verweisen an andere Institutionen 54 27,7 14 21,9 Informationsvermittlung/Aufklärung 48 24,6 15 23,4 Rücksprache mit Institutionen 42 21,5 20 31,3 Fallbezogene Kooperation 39 20,0 19 29,7 Kontaktaufnahme mit 37 19,0 15 23,4 Fallbeteiligten Recherchen im KlientInnenauftrag 36 18,5 13 20,3 Kollegiale Beratung 35 17,9 18 28,1 28 14,4 14 21,9 Kontaktaufnahme mit Problembeteiligten Einschalten anderer Institutionen 16 8,2 7 10,9 Unterstützung bei Antragstellung 13 6,7 3 4,7 Begleitung 8 4,1 4 6,3 258 6.2.2.4.4 Gewaltfälle: Gewaltformen, Täter- und Opfermerkmale und Beziehungskonstellationen Gewaltformen Dem Gewaltkonzept des Modellprojekts folgend, werden fünf Grundmuster gewaltförmigen Verhaltens in Betracht gezogen, nämlich körperliche und seelische Misshandlung, Vernachlässigung, finanzielle Ausbeutung und Einschränkung des freien Willens. Im Durchschnitt liegen in jedem der Gewaltfälle 2,12 dieser Gewaltformen vor. Am weitaus häufigsten tritt psychische Gewalt auf. Physische Misshandlung und finanzielle Ausbeutung liegen in etwa der Hälfte der Fälle vor. Deutlich seltener sind an das Modellprojekt herangetragene Fälle der Einschränkung des freien Willens und der Vernachlässigung. Sachbeschädigung – nicht als Gewalt bewertet, gleichwohl aufgeschlüsselt – war in 9,4% der Gewaltfälle relevant. Bei acht Fällen von finanzieller Ausbeutung war aufgrund der vorhandenen Informationen keine finanzielle Notlage der TäterInnen erkennbar. Tabelle 6.2.2.4/28: Grundformen der Gewalt in den vom Modellprojekt bearbeiteten Beratungsfällen mit Gewaltkonstellation (N=64) Nennungen (N=136) psychische Misshandlung physische Misshandlung finanzielle Ausbeutung Einschränkung des freien Willens Vernachlässigung 51 31 30 14 10 Anteil an allen Gewaltfällen in % (N=64) 79,7 48,4 46,9 21,9 15,6 Die im einzelnen genannten Formen physischer und psychischer Gewalt, finanzieller Ausbeutung, der Einschränkung des freien Willens und der Vernachlässigung sowie ihre Anteile an allen Fällen zeigt die folgende Tabelle. 259 Tabelle 6.2.2.4/29: Erscheinungsformen von Gewalt in den vom Modellprojekt bearbeiteten Beratungsfällen mit Gewaltkonstellation (N=64) (Detailanalyse) Nennungen Anteil an allen (N=227) Gewaltfällen in % (N=64) Formen psychischer Gewalt (Mehrfachnennungen) anschreien, beschimpfen, anbrüllen, beleidigen unter Druck setzen drohen, bedrohen ungerechtfertigt beschuldigen, verleumden demütigen, erniedrigen kontrollieren, überwachen, abschirmen bevormunden, kommandieren verunsichern, einschüchtern tyrannisieren, schikanieren verhöhnen, lächerlich machen jemanden schlecht machen Gesamt Formen physischer Gewalt (Mehrfachnennungen) schlagen, hauen, tätlich werden einschließen, aussperren, immobilisieren schubsen, stoßen hart anfassen würgen schütteln mit einem Gegenstand nach jemandem werfen falsche und inadäquate Medikation verabreichen treten verprügeln jemanden Hundebissen aussetzen Gesamt Formen finanzieller Ausbeutung (Mehrfachnennungen) vorenthalten von zustehendem Vermögen, Geld stehlen Berechnung überteuerter Miet- und Verpflegungskosten Abrechnungsbetrug Pflegedienst/Heim betrügen Gesamt Formen der Einschränkung des freien Willens (Mehrfachnennungen) behindern beim Kontakt zu anderen Menschen behindern bei der Wahl des Wohnortes behindern beim Zugang zu eigenem Vermögen behindern bei Heirat, Scheidung, Führen einer Beziehung Einrichtung einer Betreuung wider Willen Gesamt 260 31 20 18 11 8 7 5 4 4 2 1 111 48,4 31,3 28,1 17,2 12,5 10,9 7,8 6,3 6,3 3,1 1,6 19 9 7 6 4 2 1 1 1 1 1 52 29,7 14,1 10,9 9,4 6,3 3,1 1,6 1,6 1,6 1,6 1,6 15 7 4 2 1 29 23,4 10,9 6,3 3,1 1,6 10 7 3 1 15,6 10,9 4,7 1,6 1 22 1,6 Nennungen Anteil an allen (N=227) Gewaltfällen in % (N=64) Formen der Vernachlässigung (Mehrfachnennungen) ignorieren, nicht mit jemandem sprechen unzureichende Pflege unzureichende Versorgung mit Nahrung und Flüssigkeit unzureichende Hilfe im Notfall unzureichende Körperpflege keine Überwachung der Medikamenteneinnahme Gesamt 5 2 2 2 1 1 13 7,8 3,1 3,1 3,1 1,6 1,6 Die Auswertung zeigt, dass die häufigsten Formen psychischer Gewalt darin bestanden, dass Problembeteiligte angeschrieen, beschimpft, beleidigt, unter Druck gesetzt oder bedroht wurden. Körperliche Gewalt äußerte sich vor allem in Schlägen oder darin, jemanden zu schubsen oder zu stoßen; auch Fälle, in denen eine Person eingeschlossen, ausgesperrt oder immobilisiert wurde, wurden hier subsumiert. Vorenthalten von zustehendem Vermögen und Bestehlen wurden als häufigste Formen finanzieller Ausbeutung genannt. Einschränkungen des freien Willens fanden am häufigsten in Gestalt von Behinderungen bei der Wahl des Wohnortes und der Kontaktaufnahme zu anderen Menschen Eingang in die Beratung. Vernachlässigung wurde von den Ratsuchenden vor allem in Form von Kommunikationsverweigerung berichtet; daneben spielten verschiedene Formen pflegerischer Vernachlässigung eine Rolle. Im Folgenden wird die Verteilung der Gewaltformen hinsichtlich der in den Fällen im Vordergrund stehenden Problematik untersucht. Nicht weiter aufgeschlüsselt werden dabei Gewaltfälle, in denen Beschwerden über (teil-) stationäre Pflege (n=2), Nachbarschaftskonflikte (n=1) und Familienkonflikte (n=1) vorrangig waren. Dabei fallen insbesondere der hohe Anteil physischer Gewalt bei Fällen von Gewalt in der Partnerschaft und der vergleichsweise hohe Anteil finanzieller Ausbeutung und Einschränkung des freien Willens bei Gewalt durch Angehörige auf. 261 Tabelle 6.2.2.4/30: Erscheinungsformen von Gewalt in unterschiedlichen Täter-Opfer-Konstellationen in den vom Modellprojekt bearbeiteten Beratungsfällen mit Gewaltkonstellation (N=64) (Mehrfachnennungen) Gewalt durch NachbarInnen psychische Misshand5 (100%) lung physische Misshandlung 1 (20%) finanzielle Ausbeutung 1 (20%) Einschränkung des 2 (40%) freien Willens 176 Vernachlässigung 1 (20%) Anzahl der Fälle 5 (7,8%) (Anteil an allen Fällen) Gewalt Gewalt in Gewalt Sonstige Gesamt durch der Partner- durch AnPflegeschaft gehörige bedürftige 7 (100%) 16 (84,2%) 21(72,4%) 2 (50%) 51 (79,7%) 1 (14,3%) 13 (68,4%) 14 (48,3%) 2 (50%) 31 (48,4%) 1 (14,3%) 7 (36,8%) 20 (69,0%) 1 (25%) 30 (46,9%) 0 3 (15,8%) 9 (31,0%) 0 14 (21,9%) 1 (14,3%) 2 (10,5%) 5 (17,2%) 1 (25%) 10 (15,6%) 7 (10,9%) 19 (29,7%) 29 (45,3%) 4 (6,3%) 64 (100%) Merkmale von TäterInnen und Opfern Erfasst wurden als Merkmale von TäterInnen und Opfern das Geschlecht, das Alter, die Wohnsituation, der Familienstand, der Pflege177 status und das Verhältnis, in dem TäterIn und Opfer zueinander stehen. Weiter wurden die Fälle nach einigen der vorgenannten personenbezogenen Risikomerkmale analysiert. Von Interesse war dabei, ob bei TäterIn oder Opfer eine gesetzliche Betreuung und/oder weiterer Unterstützungsbedarf vorlagen, ob sie in einer schwierigen finanziellen Situation oder arbeitslos waren, ob bei den einzelnen Personen (Verdacht auf) Wahn bzw. Psychosen, Substanzmissbrauch, dementielle Erkrankung/Verwirrung und/oder andere psychische Beeinträchtigungen und/ oder eine Einsamkeitsproblematik vorlagen. Das Geschlecht des Opfers lässt sich in 61 Fällen und für 65 Personen bestimmen. In drei Fällen handelte es sich um gegenseitige Gewalt, d.h. es lässt sich nicht klären, wer von den Problembeteiligten Opfer 178 und wer TäterIn ist . Das Geschlecht des Täters oder der Täterin konnte in 57 Fällen und für 62 Personen bestimmt werden. Die fehlenden Werte ergeben sich zum einen wiederum aus den drei Fällen gegenseitiger Gewalt, zum anderen aus vier Fällen, in denen als TäterInnen Institutionen bzw. – ohne Spezifikation des Geschlechts – NachbarInnen benannt sind. Es zeigt sich, dass etwa drei von vier Opfern 176 Unter Vernachlässigung wurde auch „ignorieren, nicht mit jemandem sprechen“ gefasst; hier ist ein Fall aufgeführt, in dem ein pflegebedürftiger Ehemann seine Frau ignoriert. 177 Unter Pflegestatus wird die Rolle einer Person innerhalb einer Pflegebeziehung verstanden: Eine Person kann Pflegeausübende oder PflegeempfängerIn sein. 178 Diese Personen sind aufgrund der geringen Zahl im Folgenden nicht genauer beschrieben. 262 von Gewalt weiblich (74,2%) und fast 60% der Gewaltausübenden Männer waren (58,7%). Tabelle 6.2.2.4/31: Geschlecht von TäterInnen und Opfern in den vom Modellprojekt bearbeiteten Beratungsfällen mit Gewaltkonstellation (N=64 Fälle) Opfer weiblich männlich Gesamt 49 16 65 Anteil an allen TäterInnen Opfern in % 75,4 24,6 Anteil an allen TäterInnen in % 26 36 62 41,9 58,1 Die Aufschlüsselung der Gewaltformen (hier waren Mehrfachnennungen möglich) nach Geschlecht von TäterInnen und Opfern weist ebenfalls geschlechtsspezifische Unterschiede auf. Neun von zehn Opfern körperlicher Gewalt waren Frauen. Demgegenüber sind zwei Drittel der Ausübenden von körperlicher Gewalt Männer. Geschlechtsspezifische Unterschiede (bei insgesamt kleinen Fallzahlen) gibt es auch bei Vernachlässigung; hier sind alle Opfer und über die Hälfte der TäterInnen weiblich – ein Befund, der mit der stärkeren Einbindung von Frauen in Pflege und Betreuung zusammenhängt. Tabelle 6.2.2.4/32: Geschlecht von TäterInnen und Opfern bei verschiedenen Gewaltformen in den vom Modellprojekt bearbeiteten Beratungsfällen mit Gewaltkonstellation (N=64) Gewaltform Psychische Misshandlung Physische Misshandlung Finanzielle Ausbeutung Einschränkung des freien Willens Vernachlässigung alle Gewaltformen Gesamt Opfer; Anzahl und Anteil an allen Opfern179 weiblich männlich 39 (76,5%) 12 (23,5%) 27 (90,0%) 26 (78,8%) 11 (78,6%) TäterInnen; Anzahl und Anteil an allen TäterInnen weiblich männlich 23 (45,1%) 28 (54,9%) 3 (10,0%) 7 (21,2%) 3 (21,4%) 10 (34,5%) 14 (41,2%) 7 (41,2%) 19 (65,5%) 20 (58,8%) 10 (58,8%) 10 (100,0%) 0 (0,0%) 49 (75,4%) 16 (24,6%) 65 6 (54,5%) 26 (41,9%) 5 (45,5%) 36 (58,1%) 62 Durchschnittlich erleben weibliche Opfer von Gewalt mehr unterschiedliche Gewaltformen; auf 49 weibliche Opfer kommen 113 Nennungen, d.h. im Durchschnitt pro Opfer 2,31 Gewaltformen. Dagegen kommen 179 Die Diskrepanzen zur Tabelle Gewaltformen ergeben sich aus unterschiedlichen Bezugsgrößen: Bei der Aufschlüsselung der Gewaltformen war die Bezugsgröße die Anzahl aller Gewaltfälle, hier sind die Bezugsgrößen die Anzahl der TäterInnen und Opfer. 263 auf 16 männliche Opfer 25 Nennungen, d.h. jedes männliche Opfer erfährt im Durchschnitt 1,56 verschiedene Gewaltformen. 30 Opfer und 23 TäterInnen sind in Pflegebeziehungen involviert. Pflegebedürftigkeit des Opfers liegt in 26 Fällen, Pflegebedürftigkeit der TäterIn in sechs Fällen vor. TäterInnen sind in 15 Fällen Pflegeausübende (in zwei Fällen jeweils zwei TäterInnen), und in vier Fällen sind die Pflegeausübenden Opfer. Tabelle 6.2.2.4/33: Pflegestatus von TäterInnen und Opfern in den vom Modellprojekt bearbeiteten Beratungsfällen mit Gewaltkonstellation (N=64) Opfer Pflegeausübende Pflegeempfangend Gesamt Fehlende Werte Gesamt 4 26 30 35 65 Anteil an allen Opfern in % 6,2 40,0 46,2 53,8 100,0 TäterInnen 17 6 23 39 62 Anteil an allen TäterInnen in % 27,4 9,7 37,1 62,9 100,0 In acht Fällen liegt zwar Pflegebedürftigkeit des Opfers vor, die TäterInnen sind jedoch nicht oder nicht erkennbar mit der Pflege befasst. Die meisten dieser TäterInnen leben zumindest zeitweilig im gleichen Haushalt wie die Opfer; die Pflege wird in diesen Fällen zumeist durch ambulante Pflegedienste geleistet. Diejenigen, die Pflege ausüben und diejenigen, die sie empfangen, sind in diesem Sample von Gewaltfällen überwiegend weiblich. Tabelle 6.2.2.4/34 stellt die Geschlechtszugehörigkeit von TäterInnen und Opfern in Abhängigkeit von der Rolle als Pflegende oder Pflegebedürftige dar. Wichtig ist hier der vergleichsweise hohe Anteil pflegender Frauen an allen Täterinnen (46,2%). Der Anteil pflegender Männer ist insgesamt gering, ihr Anteil an allen Tätern ist gleichfalls gering und liegt bei 13,9%. Männliche Pflegepersonen werden in keinem Fall, weibliche Pflegepersonen in vier Fällen Opfer von Gewalt. Der Anteil der Pflegeausübenden beträgt bei den Täterinnen fast 50%, bei den Tätern etwa ein Achtel. 264 Tabelle 6.2.2.4/34: Pflegestatus und Geschlecht von TäterInnen und Opfern in den vom Modellprojekt bearbeiteten Beratungsfällen mit Gewaltkonstellation (N=64) Weiblich Männlich Gesamt Opfer mit Pflegestatus TäterInnen mit Pflegesta(N=30) tus (N=23) PflegePflegePflegePflegeausübende empfängerIn ausübende empfängerIn 4 21 12 2 0 5 5 4 4 26 17 6 Das Durchschnittsalter der Opfer (für 56 Opfer liegen Altersangaben vor) beträgt 77,7 Jahre (SD=8,16). Das jüngste Opfer ist 60, das älteste 91 Jahre alt. Das Durchschnittsalter der TäterInnen (für 47 TäterInnen liegen Altersangaben vor) liegt bei 60,49 Jahren (SD=18,82). Die Altersspanne der TäterInnen beträgt 9 bis 90 Jahre. Die Aufschlüsselung nach Alterskategorien zeigt, dass über die Hälfte der TäterInnen 60 Jahre oder jünger, etwa ein Drittel 50 Jahre oder jünger sind. Tabelle 6.2.2.4/35: Alter von Opfern und TäterInnen in den vom Modellprojekt bearbeiteten Beratungsfällen mit Gewaltkonstellation (N=64) bis 30 Jahre 31-50 Jahre 51-60 Jahre 61-65 Jahre 66-70 Jahre 71-75 Jahre 76-80 Jahre 81- 85 Jahre 86-90 Jahre älter als 90 Jahre Gesamt Opfer Nennungen Gültige Prozente 0 0,0 0 0,0 2 3,6 1 1,8 12 21,4 6 10,7 16 28,6 4 7,1 13 23,2 2 3,6 56 100,0 TäterInnen Nennungen Gültige Prozente 3 6,4 13 27,7 10 21,3 2 4,3 1 2,1 6 12,8 4 8,5 2 4,3 6 12,8 0 0,0 47 100,0 Risikomerkmale für TäterInnen und Opfer sind in der folgenden Tabelle aufgeführt. Für 33 Fälle liegen Risikomerkmale von TäterInnen, für 37 Fälle Risikomerkmale von Opfern vor. 265 Tabelle 6.2.2.4/36: Risikomerkmale von Opfern und TäterInnen in den vom Modellprojekt bearbeiteten Beratungsfällen mit Gewaltkonstellation (N=64) Opfer Gesetzliche Betreuung Finanzielle Schwierigkeiten, Arbeitslosigkeit (Verdacht auf) Wahn/Psychose (Verdacht auf) Substanzmissbrauch (Verdacht auf) dementielle Erkrankungen (Verdacht auf) andere psychische Beeinträchtigungen Einsamkeitsproblematik Gesamt Anteil an allen TäterInnen Anteil an allen Opfern TäterInnen (N=65) (N=62) 8 11 12,3 16,9 4 12 6,5 19,4 2 3,1 3 4,8 2 3,1 7 11,3 10 15,4 6 9,7 4 6,2 7 11,3 7 63 10,8 3 51 4,8 Das Risikomerkmal finanzielle Schwierigkeiten ist bei Opfern und TäterInnen am häufigsten. Als relevantes, wenngleich nicht sehr häufiges Risikomerkmal erweist sich auf Seiten der Opfer (Verdacht auf) dementielle Erkrankungen (15,4% der Opfer). Etwa bei jedem zehnten Opfer lässt sich eine Einsamkeitsproblematik feststellen. (Verdacht auf) Substanzmissbrauch, andere psychische Beeinträchtigungen und dementielle Erkrankungen sind etwa bei zehn Prozent der TäterInnen relevant, geringer besetzt sind bei TäterInnen die Risikofaktoren Einsamkeitsproblematik und (Verdacht auf) Wahn bzw. Psychosen mit jeweils 3 Nennungen (4,8%). Von geringer Bedeutung sind auf Seiten der Opfer die Risikofaktoren (Verdacht auf) Substanzmissbrauch, Wahn/Psychose und andere psychische Beeinträchtigungen. Gesetzliche Betreuung liegt bei 6,5% der TäterInnen, jedoch bei 12,3% der Opfer vor. In der folgenden Tabelle sind die Wohnsituationen von TäterInnen und Opfern aufgeschlüsselt. Dabei interessiert sowohl, mit wem die Personen zusammenleben als auch, wo sie leben. 266 Tabelle 6.2.2.4/37: Haushaltsstrukturen und Wohnformen von TäterInnen und Opfern in vom Modellprojekt bearbeiteten Gewaltfällen Opfer (N=65) Haushaltsstruktur Allein mit PartnerIn mit (Schwieger-) Kind(ern) mit PartnerIn und (Schwieger-)Kind(ern) mit (Schwieger-) Kind(ern) und Enkel(n) mit anderen Verwandten mit (Schwieger-) Eltern(teil) mit (Schwieger-) Eltern(teil) und anderen Gesamt Fehlend Wohnform Privatwohnung- oder Haus betreutes Wohnen, Altenwohnanlage Seniorenstift/Altenwohnheim Altenpflegeheim oder –Station andere Institution (Psychiatrie, Krankenhaus) Gesamt Fehlend Gesamt Anteil an TäterInnen Anteil an allen (N=62) allen Opfern TäterInnen 18 24 9 5 27,7 36,9 13,8 7,7 5 25 3 2 8,1 40,3 4,8 3,2 3 4,6 0 0,0 1 0 3 1,5 0,0 4,6 1 11 5 1,6 17,7 8,1 63 2 96,8 3,1 52 10 83,8 16,1 60 1 92,3 1,5 52 0 83,7 0,0 1 2 0 1,5 3,1 0,0 0 0 1 0.0 0,0 1,6 64 1 65 98,4 1,5 99,9 53 9 62 85,3 14,5 99,8 Die größte Gruppe der Opfer und TäterInnen lebt jeweils mit ihrem Partner bzw. ihrer Partnerin zusammen. Mehr als ein Viertel der Opfer, jedoch nur 8% der TäterInnen leben allein. Elf TäterInnen leben mit einem oder beiden (Schwieger-) Eltern(teilen). 13,8% der Opfer leben allein mit einem oder mehreren (Schwieger-) Kind(ern), weitere 7,7% mit PartnerIn mit einem oder mehreren (Schwieger-) Kind(ern). In weiteren 5% der Fälle leben auch EnkelInnen im Haushalt. Insgesamt leben damit über ein Viertel der Opfer in gemeinsamem Haushalt mit mindestens einem leiblichen Kind oder Schwiegerkind. Auf der Seite der TäterInnen sind es ebenfalls etwa 25%, die gemeinsam mit mindestens einem (Schwieger-) Elternteil zusammenleben. In den drei Fällen, in denen das Opfer gemeinsam mit einem (Schwieger )Elternteil in einem 267 Haushalt lebt, handelt es sich um Gewalt, die von pflegebedürftigem/r (Schwieger-) Vater oder Mutter ausgeht. Die meisten Opfer und die meisten TäterInnen leben in Privatwohnungen oder –häusern, nur vier Opfer wohnen in einer Einrichtung des Betreuten Wohnens, einer Altenwohnanlage, einem Seniorenstift und einem Altenpflegeheim. Ein Täter lebt in einer psychiatrischen Klinik. Tabelle 6.2.2.4/38: Familienstand von TäterInnen und Opfern in vom Modellprojekt bearbeiteten Gewaltfällen Opfer (N=65) verheiratet verwitwet ledig geschieden/getrennt lebend Gesamt Fehlend TäterInnen (N=62) 29 9 0 2 Anteil an allen Opfern 44,6 13,8 0,0 3,1 30 4 2 2 Anteil an allen TäterInnen 48,4 6,5 3,2 3,2 40 25 61,5 38,5 38 24 61,3 38,7 Angaben über den Familienstand liegen für etwa 60% der Opfer und TäterInnen vor. Während die Wohnformen in der Regel bekannt sind, lässt sich über den Familienstand der Problembeteiligten in vielen Fällen keine Aussage machen. So ist zwar beispielsweise bekannt, dass eine Person allein lebt, nicht jedoch, ob sie verheiratet und getrennt lebend, ledig oder geschieden ist. Die meisten TäterInnen und Opfer sind verheiratet, etwa 14% der Opfer und etwa 6% der TäterInnen sind verwitwet. Der Anteil der Ledigen und Geschiedenen bzw. getrennt Lebenden ist bei beiden Gruppen gering. Die folgende Tabelle zeigt das Verhältnis, in dem TäterInnen und Opfer zueinander standen. Da in einigen Fällen mehrere TäterInnen und Opfer verzeichnet und in einigen dieser Fälle verschiedene Beziehungskonstellationen relevant waren, stimmen die Zahlen nicht immer überein. Abweichungen sind in Fußnoten erläutert. In familiären Gewaltkonstellationen sind die größten Opfergruppen Mütter bzw. Schwiegermütter, Ehefrauen bzw. Partnerinnen und – mit deutlichem Abstand – Ehemänner bzw. Partner. Seltener wurden in den vom Modellprojekt bearbeiteten Fällen Väter bzw. Schwiegerväter, Großmütter und Töchter bzw. Schwiegertöchter viktimisiert. Außerhalb familiärer Gewaltkonstellationen sind 7,7% der Opfer NachbarInnen der TäterInnen und 3,1% der Opfer BewohnerInnen (teil-)stationärer Pflegeeinrichtungen. 268 Tabelle 6.2.2.4/39: TäterInnen- Opfer-Konstellationen in vom Modellprojekt bearbeiteten Gewaltfällen Mutter/Schwiegermutter Sohn/Schwiegersohn Vater/Schwiegervater Tochter/Schwiegertochter Tante Nichte Großmutter Enkel Ehemann/Partner Ehefrau/Partnerin NachbarIn MitarbeiterIn (teil-)stationärer Pflegeeinrichtung BewohnerIn (teil-)stationärer Pflegeeinrichtung komplexe Beziehungskonstellationen Gesamt Opfer Anteil an allen Opfern TäterInnen Anteil an allen TäterInnen 22 1 5 2 33,9 1,5 7,7 3,1 2 14 0 14 3,0 21,2 0,0 21,2 1 0 3 0 181 8 15 5 0 1,5 0,0 4,6 0,0 12,3 23,1 7,7 0,0 0 1 0 180 4 15 7 182 6 2 0,0 1,5 0,0 6,0 22,7 10,6 9,1 3,0 2 3,1 0 0,0 1 1,5 1 1,5 65 100,0 66 183 99,8 Am häufigsten sind in familiären Gewaltkonstellationen (Schwieger)Kinder der Opfer und Ehemänner bzw. Partner Ausübende von Gewalt. Etwa zehn Prozent der TäterInnen sind Ehefrauen bzw. Partnerinnen. Seltener üben Mütter bzw. Schwiegermütter und Enkel Gewalt aus. In nicht-familiären Gewaltkonstellationen sind 9,1% der TäterInnen NachbarInnen und 3% MitarbeiterInnen (teil-) stationärer Pflegeeinrichtungen. 180 In einem Fall sind Enkel und Tochter TäterInnen (als solche klassifiziert), das Opfer – Mutter und Großmutter zugleich von Täterin und Täter – wurde unter mehrere Beziehungskonstellationen aufgeführt. 181 In einem Fall ist der Ehemann Opfer von Gewalt, die Täterin – die Ehefrau – wird jedoch nicht als solche aufgeführt, sondern unter komplexe Beziehungskonstellationen, da es im Fall auch zentral um einen Konflikt zwischen ihr und ihrem Nachbarn geht. 182 In einem Fall übt ein Nachbarehepaar Gewalt aus. 183 Während bei Geschlecht, Alter und Wohnsituation der TäterInnen die Fälle ausgenommen wurden, in denen eine nicht genauer bestimmte Anzahl von Personen TäterInnen sind (Nachbarn, Pflegeheim), wurden diese hier berücksichtigt, da über das Verhältnis zwischen TäterInnen und Opfern in diesen Fällen sehr wohl Aussagen gemacht werden können. Nicht berücksichtigt werden konnte die Anzahl, die jeweiligen Täter(-gruppen) wurden pauschal als eine Person gewertet (2 x NachbarInnen, 2 x MitarbeiterInnen von Pflegeeinrichtungen). 269 6.2.2.4.5 Zusammenfassung der quantifizierenden Aktenanalyse In der Laufzeit des Projekts vom März 1998 bis zum Februar 2001 wurde von den BeraterInnen des Modellprojekts in 195 Fällen mit insgesamt 1129 dokumentierten Kontakten Einzelfallberatung geleistet. Die meisten der Kontakte waren telefonische Kontakte außerhalb des Krisen- und Beratungstelefons im Alter, etwa zehn Prozent der Kontakte waren Kontakte im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons und knapp 20% der Kontakte waren face-to-face-Kontakte, in der Mehrzahl Hausbesuche. GesprächspartnerInnen des Modellprojekts waren zumeist Problembeteiligte und professionelle Fallbeteiligte. Die beiden wichtigsten Inhalte von Einzelkontakten waren Beratungsgespräche sowie kurze Mitteilungen und Absprachen. In etwa einem Drittel der Fälle bestand kein Kontakt zu unmittelbar Problembeteiligten. Professionelle Fallbeteiligte waren in knapp der Hälfte aller Fälle GesprächspartnerInnen des Modellprojekts. Die häufigsten Kontakte fanden mit MitarbeiterInnen vom Kommunalen Sozialdienst (KSD) bzw. Bezirkssozialarbeit und MitarbeiterInnen von ambulanten Pflegediensten statt. Weitere Kontakte bestanden zu ÄrztInnen und PolizistInnen, BetreuerInnen bzw. MitarbeiterInnen der Betreuungsstelle und MitarbeiterInnen von (teil-)stationären Einrichtungen. In fast der Hälfte der Fälle gab es Kontakte von Professionellen zu den Problembeteiligten, nicht jedoch zu den BeraterInnen. Dies betraf zumeist MitarbeiterInnen aus dem medizinisch-pflegerischen Bereich (insbesondere ÄrztInnen). Wenn den MitarbeiterInnen bekannt war, dass MitarbeiterInnen des KSD in einen Fall involviert waren, so bestand in nahezu allen Fällen auch Kontakt zu ihnen. Professionelle und institutionelle Nähe erleichtern hier offensichtlich Kontaktaufnahme und Kooperation. Interdisziplinär besetzte Teams böten die Chance, auch mit weiteren Berufsgruppen oder Institutionen ähnlich intensive Kontakte zu pflegen. Die häufigsten Erstkontakte durch professionelle Fallbeteiligte fanden durch Polizei, KSD und ambulante Pflegedienste statt. Insgesamt wurde in etwa einem Drittel der Beratungsfälle der Erstkontakt über das Krisen- und Beratungstelefon im Alter geknüpft. Beim Übergang in die allgemeine Beratung erfolgte in der Regel kein BeraterInnenwechsel. Für Problembeteiligte, insbesondere Menschen, die sich als Opfer identifizierten oder von den BeraterInnen als solche gesehen wurden, war das Krisen- und Beratungstelefon ein wichtiger Anknüpfungspunkt. Professionelle Fallbeteiligte, die den Kontakt zum Modellprojekt suchten, riefen dagegen meistens bei den aus institutionellen Kontakten bekannten Projekttelefonnummern an. Für Problembeteiligte waren die wichtigsten Informationsquellen die Medien und die projekteigene Öffentlichkeitsar- 270 beit durch Flyer und Plakate sowie professionelle Empfehlungen; Professionelle kannten das Modellprojekt dagegen meist aus institutionellen Kooperationen und Projektvorstellungen. KlientInnen des Modellprojekts waren zumeist unmittelbar Problembeteiligte. In etwa einem Achtel der Fälle waren KlientInnen Personen, die beruflich, in etwa jedem zehnten Fall solche, die aufgrund eines Verwandtschaftsverhältnisses an einem Fall beteiligt waren. In der überwiegenden Mehrzahl der Beratungsfälle erfolgten nur wenige, in einigen Fällen dagegen sehr viele Kontakte. Die Zusammensetzung der Beratungsfälle ist heterogen. In etwa der Hälfte der Fälle gab es im Beratungsverlauf ein oder zwei Kontakte, in der Regel mit einer Person, wobei die Beratung insgesamt bis zu einer Stunde dauerte und innerhalb einer Woche stattfand. Auf der anderen Seite gab es einige Fälle mit sehr häufigen Kontakten, langem Beratungszeitraum und langer Gesamtdauer der Einzelkontakte. In diesen Fällen fanden in aller Regel sowohl institutionelle Kontakte als auch Kontakte mit häufig mehreren Problembeteiligten statt. Die psychosoziale Beratung von Problem- und Fallbeteiligten erwies sich als Kern der Beratungstätigkeit. Weitere wichtige Interventionsarten waren Recherchen, Informationsvermittlung und Kooperationen mit fallbeteiligten Professionellen. Das Ende der Beratung war nur in einem Drittel der Fälle ein klarer Abschluss. Zumeist boten die BeraterInnen bei Bedarf weitere Beratung an, zum Teil endeten die Fälle durch nicht zustande gekommene Termine und nicht eingehaltene Vereinbarungen. Eine grobe Kategorisierung nach den bei den Beratungsfällen im Vordergrund stehenden Problematiken zeigt, dass es in zwei von fünf Fällen um Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum, zumeist im Kontext von familiären oder ehelich/partnerschaftlichen Beziehungen geht. Weitere relevante Problembereiche sind nach der Reihenfolge ihrer Häufigkeit Probleme der Überlastung pflegender Angehöriger bzw. der Sicherung adäquater Pflege, Beschwerden über Ämter, Betreuer, Vermieter und Mieter, Probleme in der (teil-) stationären Pflege, Wahn bzw. psychotische Symptomatik bei AnruferInnen und Informationsbedarf (Altersvorsorge, Wohnformen, Pflegeversicherungsgesetz) sowie Gewalt bzw. Aggressionen durch Pflegebedürftige. Aussagen über die Gewaltfälle in der Beratungsarbeit des Modellprojekts setzen eine Fallkategorisierung voraus. Ein Vergleich der ersten und der nachträglichen Gewalteinschätzungen durch die BeraterInnen zeigt Veränderungen – und die Schwierigkeit, eine zuverlässige Ein271 schätzung zu treffen: Knapp ein Drittel der Fälle, die von den BeraterInnen zunächst als Gewaltfälle eingestuft worden waren, wurden bei der nachträglichen Bewertung als zumindest nicht eindeutige Problematiken klassifiziert. Aufgrund der mit dieser Einschätzung verbundenen Schwierigkeiten entschied sich die wissenschaftliche Begleitung für einen doppelten Auswahlmodus: Als Gewaltfälle wurden nur solche Fälle gewertet, die sowohl von der wissenschaftlichen Begleitung als auch von den MitarbeiterInnen des Modellprojekts nachträglich als Gewaltfälle eingestuft wurden. Dies waren 64 Fälle, etwa ein Drittel aller Beratungsfälle. Bei den Gewaltfällen lag die durchschnittliche Zahl der Kontakte bei 8,28 und ist damit höher als bei allen Beratungsfällen (5,79). Ebenfalls höher ist bei den Gewaltfällen der Anteil der Fälle, in denen über einen längeren Zeitraum beraten wurde. Es bestand in Gewaltfällen Kontakt zu mehr professionellen Fallbeteiligten, und es wurden mehr verschiedene Interventionen durch die BeraterInnen geleistet. Die Gesamtdauer der Beratungskontakte war in Gewaltfällen allerdings kaum höher als bei allen Fällen. Seltener als im Durchschnitt aller Beratungsfälle wandten sich in Gewaltfällen Problembeteiligte selbst (also Opfer und TäterInnen) an das Modellprojekt. Der Anteil der professionellen, verwandten und sonstigen Fallbeteiligten, die aufgrund einer Gewaltkonstellation Kontakt zum Modellprojekt suchten, ist höher als bei allen Beratungsfällen. Bei insgesamt geringen Zahlen erwiesen sich beim Erstkontakt in Gewaltfällen Beschäftigte im medizinisch-pflegerischen Bereich und PolizistInnen als wichtige Berufsgruppen. Hinsichtlich der Problemcharakteristika bei Beratungsfällen ist auf die große Bedeutung von Pflege- bzw. Unterstützungsbedarf, körperlichen Einschränkungen (Krankheit, Behinderung), finanziellen Problematiken, sozialer Isolation der Personen, Ehe- bzw. Partnerschaftskonflikten und Konflikten über mehrere Generationen hinzuweisen. Im Vergleich von Gewaltfällen und allen Beratungsfällen zeigen sich diesbezüglich keine großen Abweichungen. Ausgenommen (Verdacht auf) psychotische Erkrankungen bzw. Wahn und die Beschwerde- bzw. Konfliktkonstellationen sind alle aufgeführten Problemcharakteristika bei den Gewaltfällen geringfügig stärker besetzt. Von Bedeutung sind auch Trennungs- und Umzugsüberlegungen. Pflegebelastungsfaktoren spielen in mehr als einem Drittel der Fälle eine Rolle. Der Anteil der Fälle mit dementiellen Erkrankungen – häufig als wichtiger Risikofaktor für Gewalt gegen Ältere bezeichnet – spielt bei den Gewaltfällen eine geringere Rolle als bei allen Beratungsfällen; Überlastung und Überforderung in Pflegebeziehungen sind bei Gewaltfällen etwas häufiger als bei allen Beratungsfällen verzeichnet. Andere Pflegebelastungsfaktoren treten auf, sind je272 doch insgesamt von geringerer Bedeutung. War bei den Beratungsfällen die Ablehnung externer Hilfen von Bedeutung, so ging diese häufiger von pflege- bzw. unterstützungsbedürftigen Personen aus als von den Pflegenden bzw. anderen Unterstützungspersonen. Veränderungen im Beratungsverlauf lassen sich nur für etwa 20% der Beratungsfälle und etwa 30% der Gewaltfälle nachzeichnen. In einigen Fällen verschlechterte sich der Gesundheitszustand der Problembeteiligten, es kam zu Krankenhausaufenthalten, und in vier Fällen verstarben Problembeteiligte. Angesichts der Hochaltrigkeit und der häufigen Relevanz von Unterstützungsbedarf und deutlichen körperlichen Beeinträchtigungen vieler Problembeteiligter sind diese Veränderungen nicht ungewöhnlich. In einigen Fällen kam es im Beratungsverlauf zu einem Umzug, in einigen dieser Fälle dadurch zu einer Trennung von Problembeteiligten. Zum Teil waren diese Umzüge deutlich durch BeraterInnen unterstützt. In etwa jedem zehnten Beratungsfall kam es zu Veränderungen in der Versorgungssituation, zumeist wurden externe Pflegeund andere Unterstützungsleistungen verstärkt in Anspruch genommen. Veränderungen hinsichtlich der finanziellen Situation und sozialen Kontakte von Problembeteiligten vollzogen sich nur in wenigen Fällen. Im Durchschnitt lagen in jedem Gewaltfall mehr als zwei verschiedene Gewaltformen vor. Am häufigsten – in nahezu 80% der Gewaltfälle – kam psychische Gewalt vor. In je knapp der Hälfte der Gewaltfälle kam es zu physischer Gewalt und finanzieller Ausbeutung. Seltener – in einem Fünftel der Gewaltfälle – lagen Einschränkungen des freien Willens vor. Vernachlässigung war nur etwa in jedem sechsten Gewaltfall relevant. Die genannten Handlungen bzw. Unterlassungen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Schwere. Am häufigsten genannt wurden als Formen psychischer Gewalt verbale Aggressionen, unter Druck setzen, bedrohen, verleumden, demütigen und kontrollieren. Die häufigsten Formen physischer Gewalt waren „schlagen, hauen, tätlich werden“ und „schubsen, stoßen“. Finanzielle Ausbeutung bedeutete in der Regel das Vorenthalten von zustehendem Vermögen, Einschränkungen des freien Willens äußerten sich als Behindern beim Kontakt zu anderen Menschen und der freien Wahl des Wohnortes. Die häufigste Form der Vernachlässigung bestand darin, jemanden zu ignorieren, nicht mit ihr oder ihm zu sprechen. Insgesamt spielt bei den Gewaltformen die Vernachlässigung im Pflegekontext (unzureichende Pflege und Versorgung) eine geringe Rolle. Eine Aufschlüsselung der Gewaltformen nach Hauptproblematiken zeigt den hohen Anteil physischer Gewalt bei Fällen von Gewalt in der Ehe bzw. Partnerschaft und den hohen Anteil finanzieller Ausbeutung bei 273 Gewalt durch Angehörige. Etwa drei von vier Opfern sind weiblich, und fast 60% der Gewaltausübenden sind Männer. Männer wurden dabei deutlich seltener als Frauen Opfer körperlicher Gewalt. Neun von zehn Opfern körperlicher Gewalt waren Frauen. Demgegenüber sind zwei Drittel der Ausübenden von körperlicher Gewalt Männer. Geschlechtsspezifische Unterschiede (bei insgesamt kleinen Fallzahlen) gibt es auch bei Vernachlässigung; hier sind alle Opfer und über die Hälfte der TäterInnen weiblich. Pflege und Pflegebedürftigkeit spielten bei den Gewaltfällen eine wichtige Rolle. Etwa ein Viertel der TäterInnen und ein geringer Teil der Opfer sind Pflegende, 40% der Opfer und etwa zehn Prozent der TäterInnen sind pflegebedürftig. In einigen Fällen ist das Opfer zwar pflegebedürftig, der oder die TäterIn jedoch nicht mit der Pflege befasst. Auch hier zeigt sich eine geschlechtsspezifische Verteilung: Während ein großer Teil der gewaltausübenden Frauen Pflegende sind, ist nur ein kleiner Teil der Täter mit Pflege befasst. In drei Viertel der Gewaltfälle handelt es sich um Gewalt im Verhältnis zwischen zwei Personen. Die Opfer sind im Durchschnitt etwa 78 Jahre alt, die TäterInnen 60. Der größte Teil der Opfer und TäterInnen lebt jeweils mit ihren PartnerInnen zusammen. Jeweils ein Viertel der Opfer leben allein oder im gemeinsamen Haushalt mit (mindestens) einem leiblichen Kind oder Schwiegerkind; ebenfalls ein Viertel der TäterInnen lebt gemeinsam mit (mindestens) einem Eltern- oder Schwiegerelternteil. In familiären Gewaltkonstellationen sind die größten Opfergruppen Mütter bzw. Schwiegermütter und Ehefrauen. Weiter sind Ehemänner/Partner und seltener (Schwieger)-Väter, Großmütter und (Schwieger)-Töchter Opfer von Gewalt. Weitgehend analog sind TäterInnen vor allem (Schwieger)-Kinder und Ehemänner. Weitere TäterInnen sind Ehefrauen bzw. Partnerinnen, (Schwieger)-Mütter und Enkel. Die wichtigste Tätergruppe in nicht-familiären Gewaltkonstellationen sind NachbarInnen. 6.2.2.4.6 Qualitative Fallbeschreibungen Die quantitative Auswertung der Beratungsfälle vermag einen Eindruck von der Heterogenität der Fälle sowie der Vielzahl unterschiedlicher Belastungsfaktoren und Problemcharakteristika zu geben. Gleichwohl reduziert diese Art der Auswertung die Komplexität stets und vermag kaum, eine plastische Vorstellung einzelner Konstellationen zu vermitteln. Die Einzelfälle selbst bleiben abstrakt. Im Folgenden soll für die 274 einzelnen identifizierten zentralen Problemkonstellationen eine kurze qualitative Auswertung erfolgen. Dabei wird eine Darstellungsform zwischen Zusammenfassung, Verallgemeinerung und einzelfallbezogener Darstellung gewählt. Die Darstellung erfolgt für alle Fallkonstellationen, nicht nur für die Gewaltkonstellationen. Es interessieren sowohl die Fallkonstellationen und konkreten Problemstellungen als auch der Um184 gang der BeraterInnen mit diesen Problemstellungen . Weitere Einzelfalldarstellungen erfolgen in den Kapiteln 6.2.3.3.2 und 6.2.3.3.3. Als Gliederungsmerkmale dienen die identifizierten Hauptproblematiken (Kapitel 6.2.2.4.3.1, Tabelle 6.2.2.4/21). Einige Fallkonstellationen wurden zusammengefasst. In der Auswertung wurden Fälle und Verdachtsfälle zusammengenommen, es fand keine Bewertung statt, ob es sich im Einzelfall um Gewaltkonstellationen handelte. Vorangestellt sei, dass in den Fällen mit kürzeren, einmaligen Kontakten zumeist die Hintergründe und Details der Fallkonstellationen unbekannt blieben, diese Fälle werden hier nur am Rande einbezogen. Die Problemkonstellationen Gewalt durch Angehörige (außerhalb von Ehen und Partnerschaften) Die größte Fallgruppe in der Beratungsarbeit des Modellprojekts waren Fälle von Gewalt oder vermuteter Gewalt durch Angehörige außerhalb von Ehen und Partnerschaften. Dabei ging es um sehr unterschiedliche Fallkonstellationen mit einer Vielzahl von Problemcharakteristika (z.B. Pflegebedürftigkeit, Substanzabhängigkeit, Sozialhilfebezug, Arbeitslosigkeit, psychische Erkrankungen von Tätern, finanzielle Abhängigkeiten, Suizid etc.). In einigen Fällen ging es primär um finanzielle Ausbeutung, sei es durch finanziell abhängige Angehörige, sei es aufgrund von finanziellen Motiven, die nicht mit finanziellen Problemlagen zusammenhängen. In einem Teil dieser Fälle waren die Opfer aufgrund emotionaler Abhängigkeit und Einsamkeitsproblematik immer wieder bereit, ihren Angehörigen die geforderten finanziellen Zuwendungen zukommen zu lassen. In anderen Fällen drohten Angehörige offen mit Repressalien, sollten die Unterstützungen ausbleiben. Die finanzielle Ausbeutung führte in einigen Fällen zu finanziellen Notlagen der Opfer. In anderen Fallkonstellationen hatten die älteren Menschen bereits einen Teil ihres Vermögens an die Angehörigen überschrieben – in der Regel Wohneigentum 184 Wie bereits ausgeführt, lässt sich bei einem Teil der Fälle keine Aussage über die Intervention der BeraterInnen machen. Insofern bleiben die Ausführungen hier recht lückenhaft. 275 – in der Hoffnung, danach einvernehmlich zusammen zu leben, z.T. auch verknüpft mit Vereinbarungen über Pflege bzw. Unterstützung durch die Angehörigen, wurden jedoch in ihrem Wohnrecht zunehmend eingeschränkt und erlebten gravierende Repressalien. Zum Teil wurden die Opfer in diesen Beziehungskonstellationen auch Opfer von körperlicher Gewalt, in ihrem freien Willen eingeschränkt, ebenso in der Wahl ihres Wohnortes oder in der Kontaktaufnahme mit anderen Menschen. In diesen Fällen erwies es sich stets als gravierende zusätzliche Belastung, wenn die Opfer selbst unterstützungs- oder pflegebedürftig waren und sich nicht wehren konnten. In einem Fall deckten beispielsweise die Angehörigen die Kosten für ihr Eigenheim durch überhöhte Unterhalts- und Mietkosten, die sie der Mutter abverlangten. Trotz massiver Konflikte und einer untragbaren Lebenssituation für die Mutter waren sie auf den Verbleib der Mutter im gemeinsamen Haushalt angewiesen. Die Klientin hatte über ihren Hausarzt Kontakt zum Modellprojekt aufgenommen, sie berichtete, dass ihre Tochter sie häufig anschreie, nicht mit ihr spreche, sie einsperre, ihr das Telefonieren verweigere und Geld wegnehme. Nach mehreren Beratungen und der Organisation eines Heimplatzes mit Unterstützung der BeraterIn zog sie ihren Wünschen entsprechend in ein Pflegeheim in ihrer Heimatstadt um. Finanzielle Ausbeutung war auch in einem Fall relevant, in dem die Klientin in einem anteilig in ihrem Besitz stehenden Hauses überteuerte Mietzahlungen leisten musste und von der das Haus verwaltenden Nichte nur selten die ihr zustehenden Mieteinkünfte erhielt. Die Ermutigung zu einem Gespräch mit der Angehörigen führte zu neuen Vereinbarungen und einer für die Klientin akzeptablen Lösung. In anderen Fällen ging es um Gewalt innerhalb von Pflegebeziehungen aufgrund von Überlastung oder im Kontext ohnehin konflikthafter Beziehungen. Dabei spielten zum Teil auch Konflikte zwischen anderen Familienmitgliedern wie z.B. Konkurrenzen zwischen Geschwistern eine Rolle. In einigen dieser Fälle waren auch Substanzabhängigkeit und/oder psychische Erkrankungen der TäterInnen, finanzielle Abhängigkeit vom Opfer und/oder Ablehnung von externer Hilfe durch die Pflegebedürftigen von Bedeutung. Ein Beispiel für Überlastung in der Pflege im Kontext von Lebenskrisen der Pflegeperson ist der Fall einer an Krebs erkrankten Frau, die ihre Mutter im selben Haushalt größtenteils allein pflegte. Die Pflege war aufgrund der körperlichen Konstitution der Pflegebedürftigen sehr anstrengend. Die Tochter war manchmal ungeduldig und grob mit der 276 Mutter, fasste sie hart an. Sie wollte ihre Mutter keinesfalls in ein Heim geben. Die Klientin des Modellprojekts war als Pflegehilfe privat angestellt und wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Sie wagte es nicht, die Probleme der Tochter gegenüber anzusprechen. Im geschilderten Fall konnte der Hausarzt von der BeraterIn angesprochen und veranlasst werden, einen Hausbesuch zu machen, um eine verbesserte Versorgungssituation zu erreichen. Es kam dann ein halbes Jahr nach Abschluss der Beratung zur Krankenhauseinweisung durch den behandelnden Arzt wegen vermuteter Misshandlungen, die jedoch nicht bestätigt werden konnten. In einem anderen Fall führte die Verschränkung von alten familiären Konflikten, Überforderung der Pflegeperson und Verkennung des Grades der eigenen Hilfebedürftigkeit durch die Pflegebedürftige zu Gewalt in der häuslichen Pflege (vgl. Kapitel 6.2.3.3.3, Fall 3). In den beschriebenen Fällen ging es im Beratungsprozess vornehmlich um Entlastung der Pflegenden durch externe Unterstützung. Ein Teil der Beratungen des Modellprojekts hatte komplexe Problemkonstellationen zum Gegenstand, in denen die Beziehung zwischen Opfer und TäterIn geprägt war durch psychotische oder andere psychische Erkrankungen der Täter, Substanzabhängigkeit der Täter – in einem Fall auch der Täterin – und Arbeitslosigkeit bzw. finanzielle Abhängigkeit der TäterInnen. Als grundlegendes Problem erweist sich hier die vielfältige Unterstützungsbedürftigkeit der TäterInnen. In einigen Fällen berichteten die BeraterInnen auch von „symbiotischen Beziehungen“ zwischen TäterInnen und Opfern. Auch in dieser Fallgruppe eskalierte eine in der Regel schon lange bestehende Grundproblematik, wenn die Opfer selbst pflege- oder unterstützungsbedürftig wurden. So wohnte beispielsweise ein stationär untergebrachter psychisch kranker Enkel immer wieder in der Wohnung seiner Großmutter. Er zerstörte das Telefon, beschimpfte und bedrohte sie. Obgleich sie Angst vor ihm hatte, ließ sie ihn immer wieder in die Wohnung. In einigen Fällen war es der ausdrückliche Wille der Opfer, mit den phasenweise gewalttätigen Söhnen oder Enkeln zusammen zu bleiben. Dies stellte eine besondere Schwierigkeit für Interventionen dar. In anderen Fällen versuchten die Opfer die Situation zu verändern (riefen die Polizei in Notfällen, erstatteten Anzeige, wandten sich an verschiedene Institutionen), und zum Teil konnten für die Beteiligten tragbare Lösungen gefunden werden (Umzug der TäterInnen, Übersiedlung der Opfer in ein Pflegeheim). Häufig kam es in diesen Fällen zu Kontakten mit verwandten und anderen Fallbeteiligten. In viele der Fälle waren bereits andere Institutionen verwickelt (häufig KSD und sozialpsychiatrischer Dienst, Pflegedienste, 277 ÄrztInnen und BetreuerInnen). Die BeraterInnen des Modellprojekts kooperierten jeweils eng mit diesen Diensten oder entschieden in einigen Fällen, sich aus der Beratung zurückzuziehen, da klare Verantwortlichkeiten für den Fall bestanden und die notwendigen Schritte bereits von anderen eingeleitet wurden. Die Beratungsverläufe waren recht unterschiedlich. Die BeraterInnen versuchten meist, Kontakt zu allen Problembeteiligten aufzunehmen, Rücksprache mit professionellen Fallbeteiligten zu halten und den Vorgaben der KlientInnen gemäß für alle tragbare Lösungen zu erarbeiten. Die Komplexität einiger Fälle und die mangelnde Bereitschaft zu Veränderungen bei einigen Problembeteiligten führten gleichwohl dazu, dass in einigen Fällen die Grundproblematik unverändert blieb. In diesen Fallkonstellationen waren zudem häufig nicht die Opfer selbst, sondern professionelle, verwandte oder andere Fallbeteiligte die Kontaktpersonen zum Modellprojekt, so dass es in einem Teil der Fälle nicht zu einem Beratungsauftrag durch die Problembeteiligten kam. Was für Außenstehende als untragbare Lebenssituation erschien, wurde von den Beteiligten z.T. so nicht gesehen. Sie lehnten externe Hilfe und Intervention ab. Zum Teil war für sie ein aggressiver Umgang miteinander Bestandteil normaler Interaktion. In den Fällen, in denen die BeraterInnen Kontakt zu den Opfern hatten und diese auch die Beratung in Anspruch nahmen, wurde versucht, sie zu unterstützen; verschiedene Lösungsmöglichkeiten wurden gemeinsam durchgesprochen, und sie wurden ermutigt, klarere Grenzen gegenüber Forderungen der Angehörigen zu stecken, das Gespräch zu suchen und ihre Ansprüche zu formulieren. Zum Teil entschieden sich die Opfer in diesen Fällen jedoch bewusst dafür, die Situation nicht zu verändern. Veränderungen wären nur durch Gespräche bzw. Konfrontation mit den Angehörigen, von denen sie z.T. finanziell, emotional und/oder hinsichtlich Hilfe und Unterstützung abhängig waren, möglich gewesen. Sie entschieden sich für einen Verbleib in ihrer Situation und nahmen die Einschränkungen in Kauf. In wenigen Fällen kam es zu gemeinsamen klärenden Gesprächen mit Angehörigen, die z.T. wenig Veränderungen bewirkten, z.T. zu einer besseren Verständigung zwischen den Problembeteiligten führten. Zum Teil kam es jedoch auch nicht zu weiteren Beratungen, da die KlientInnen Termine nicht einhielten bzw. kurzfristig absagten. In einem Teil der Fälle scheint typisch zu sein, dass die Opfer selbst ihre Vorstellungen und Perspektiven im Beratungsverlauf verändern. Die z.T. in Krankenhäusern noch geäußerten Wünsche, nicht in bedrohliche Wohnsituationen zurückzukehren, wurden in einigen Fällen kurzfristig revidiert. 278 Gewalt in der Partnerschaft/Ehe Die zweitgrößte Gruppe von Beratungsfällen sind Fälle von Gewalt in der Ehe bzw. Partnerschaft. Ein Teil der eben skizzierten Problemkonstellationen ist auch in diesen Fällen anzutreffen: Pflege und Überlastungen in der Pflege können ebenso eine Rolle spielen wie die Abhängigkeit von Unterstützung. Im Unterschied zu den Fällen von Gewalt durch andere Angehörige, waren Fälle klarer finanzieller Ausbeutung bei Gewalt in Partnerschaften seltener. Wenn es um finanzielle Problemlagen ging, so zum einen insofern, als die Ehefrauen nur sporadisch oder unzureichend Geld für die eigenen Bedürfnisse und die Haushaltsführung von ihren Ehemännern bekamen bzw. sich aufgrund einer eigenen oft minimalen Rente und daraus resultierender finanzieller Abhängigkeit kaum vorstellen konnten, den Ehemann zu verlassen (vgl. Fall 6, Kapitel 6.2.3.3.3). Zum anderen traten ein Fall finanzieller Ausbeutung durch eine erheblich jüngere Ehefrau und ein Fall, in dem die Ehefrau erhebliche Geldsummen forderte, auf. Zunächst aus einer Sicht als einseitige Gewalthandlungen beschriebene Situationen erwiesen sich zum Teil bei längerer Beratung als Fälle gegenseitiger Gewalt. So im Fall eines Ehepaares, das sich gegenseitig unterdrückt fühlte und verstärkt durch die Krankheit der Ehefrau sehr isoliert lebte. Eine andere Ehe war zerrüttet, die Ehefrau fühlte sich unterdrückt; ein Hausbesuch zeigte jedoch das hohe Maß gegenseitiger Abhängigkeit und eine psychische Erkrankung der Ehefrau bei mangelnder Krankheitseinsicht. Eine Trennung kam für beide nicht in Frage. In einigen Fällen dieser gegenseitigen Gewalt übten Männer körperliche Gewalt aus, von Frauen ging eher psychische Gewalt aus. Gewalt in der Pflege von PartnerInnen hing in einigen Fällen mit der Überforderung der pflegenden Person zusammen. Dabei konnte die Ablehnung externer Hilfe durch die Pflegenden wie die Pflegebedürftigen eine Rolle spielen. Zum Teil erwies sich im Beratungsverlauf, dass die Versorgungssituation durchaus zufriedenstellend und die Pflegenden sehr bemüht waren, jedoch in einzelnen Situationen die Kontrolle verloren und die Pflegebedürftigen beispielsweise beschimpften. In einem Fall meldete sich der Sozialarbeiter einer Kurzzeitpflegeeinrichtung, da ein Ehemann seine Frau, eine Patientin der Kurzzeitpflegeeinrichtung, zuhause fixierte (dies war allerdings auch in der Kurzzeitpflege notwendig) und fest anfasste. Sie hatte Angst vor ihm und wollte zunächst nicht wieder nach Hause, änderte ihre Meinung jedoch wieder. In diesem Fall wurden im Rahmen kollegialer Beratung verschiedene Möglichkeiten durchgesprochen und eine Heimaufnahme in Erwägung gezogen. In einem weiteren Fall vermuteten Außenstehende finanzielle Ausbeutung 279 und Einschränkungen des freien Willens durch die pflegende Lebensgefährtin, bei genauer Kenntnis des Falles erwiesen sich die Vorwürfe jedoch als haltlos. Die Intervention hatte allerdings die Folge der verstärkten Inanspruchnahme externer Hilfe durch die überlastete pflegende Frau. Gewalt in der ehelichen Pflege trat jedoch auch ohne erkennbare Überlastung auf. In einem Teil der Fälle traten Gewaltsituationen erst im Alter auf, zum Teil handelte es sich jedoch um schon sehr lange bestehende, zum Teil gravierende Gewaltkonstellationen. Hier sei insbesondere auf die Fallbeschreibungen 1 und 6 im Rahmen der Beratungsevaluation in Kapitel 6.2.3.3.3 verwiesen. Bei den lange bestehenden Gewaltkonstellationen in der Ehe handelte es sich um Fälle von Gewalt gegen Frauen (und einen Fall von Gewalt gegen einen Mann). In der Regel kam es in diesen Fällen zu körperlicher Gewalt, in einem Fall mit lebensbedrohlichen Ausmaßen. In einigen Fällen spielte auch das Ausscheiden des Ehemannes aus dem Arbeitsleben eine Rolle. So begründete eine Frau ihre Trennungsabsichten damit, dass ihr Mann sie seit seiner Pensionierung unterdrücke, eine andere fühlte sich kontrolliert und eingeschränkt. Sie empfand es als erschwerend, dass der Mann völlig auf sie fixiert sei. In der Beratung beider Ehepartner wurden beide Perspektiven benannt und Vereinbarungen für die Zukunft getroffen. Die bereits oben beschriebenen sich verändernden Bedürfnislagen der Opfer von Gewalt sind auch für Fälle von Gewalt in der Partnerschaft typisch. Zu komplex und widersprüchlich sind die Bedürfnisse zwischen Angst vor Gewalt, Vertrautheit mit der Situation und dem Partner oder der Partnerin, finanzieller oder anderer Abhängigkeit und dem Bedürfnis, den Wohnort und die vertraute Umgebung nicht aufzugeben. So erstaunt es nicht, dass häufig anfänglich geäußerte Trennungsabsichten wieder zurückgenommen wurden, zum Teil trotz erheblicher körperlicher Gewalt durch den Partner. In einigen Fällen war die Trennungsabsicht der Ehefrauen dagegen klar, sie oder in ihrem Auftrag professionelle Fallbeteiligte baten die BeraterInnen um Unterstützung bei der Suche nach einer Wohnung oder beim Herausholen der persönlichen Gegenstände aus der gemeinsamen Wohnung. Gewalt gegenüber Ehemännern oder Partnern unabhängig von Pflegesituationen kommt seltener vor. In zwei Fällen beklagten sich Männer über die herablassende, demütigende Behandlung durch ihre PartnerInnen, in einem Fall ging es dabei auch um finanzielle Ausbeutung und körperliche Gewalt. Dabei spielte in einem Fall eine Rolle, dass der 280 Ehemann fürchtete, die Unterstützung im Haushalt zu verlieren, wenn er sich gegen seine Frau wehrte. Im zweiten Fall ging es in der Beratung neben Möglichkeiten der Trennung auch um Fragen hinsichtlich des psychischen Zustands der Ehefrau. Bei einigen Fällen von Gewalt gegen Frauen kam es zu Polizeieinsätzen. Anzeige wurde in einem Fall erstattet und unmittelbar danach zurückgezogen, in einem anderen Fall war die misshandelte Ehefrau hinsichtlich einer Anzeige ohnehin ambivalent, hatte sich dann dazu entschieden, worauf ihr mitgeteilt wurde, dass ihr Ehemann bei einer 185 Anzeige zwangsläufig erfahre, wo sie wohne . Sie entschied sich darauf hin gegen die Erstattung einer Anzeige. Auch in den Fällen von ehelicher Gewalt und bei zunächst klaren Trennungsabsichten versuchten die BeraterInnen gemeinsame Gespräche mit den beiden Problembeteiligten zu führen. Sie sahen sich für beide Ehepartner verantwortlich, suchten nach Lösungen, die für beide akzeptabel waren. Nur selten kam es dabei zu Kontakten mit Beratungsstellen, die auf Gewalt gegen Frauen spezialisiert sind. In einem Fall erkundigten sich die BeraterInnen bei Frauenhäusern wg. Möglichkeiten der Aufnahme einer Frau, dort war jedoch kein Einzelzimmer verfügbar. Beschwerden über bzw. Gewalt in der professionellen Pflege/Unterstützung Nur in zwei Fällen wurden Beschwerden über ambulante Pflegedienste vorgebracht, in einem Fall ging es dabei um mangelhafte Versorgung, in dem anderen um Einschließen durch Pflegedienste (vgl. Fall 4, Kapitel 6.2.3.3.3). In einem weiteren Fall war die Anruferin unzufrieden mit dem Zivildienstleistenden und wollte einen anderen Unterstützungsdienst beauftragen. In mehreren Beratungsfällen wurden von Angehörigen Beschwerden über stationäre Einrichtungen vorgebracht. Pflegeheime bezahlten demnach das Taschengeld nicht vorschriftgemäß, stellten fingierte Rechnungen und versorgten Patienten mangelhaft (keine Förderung, Fixierung von alzheimererkranktem Patienten). Es wurden Beschwerden über nicht zufriedenstellende Pflege und herablassende Behandlung in einer Pflegeeinrichtung (kurz nach dem Anruf der KlientIn verstarb die Mutter), fehlende Respektierung des Willens einer Bewohnerin und schlechte pflegerische Versorgung in einer Kurzzeitpflegeeinrichtung vorgebracht (vgl. Fall 1, Kapitel 6.2.3.3.2). In einem Fall ging es 185 Sie wurde von der Polizei nicht darüber informiert, dass es Möglichkeiten entsprechender Auskunftssperren gibt. 281 um staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wg. eines unklaren Todesfalls in einem Pflegeheim; der Kriminalpräventionsrat hatte zu einem gemeinsamen Treffen mit Angehörigen gebeten. In einem Fall erbat eine MitarbeiterIn des Kommunalen Sozialdienstes Beratung, ein Pflegeheim habe als Bedingung zur Aufnahme einer pflegebedürftigen Frau die Einrichtung einer Betreuung gemacht. In einigen Fällen wandten sich MitarbeiterInnen von stationären Einrichtungen direkt an das Modellprojekt. So meldete sich in einem Fall die Leiterin einer Pflegeeinrichtung, die einen anonymen Hinweis auf Gewalttätigkeit eines Mitarbeiters erhalten hatte und ihre Handlungsmöglichkeiten besprechen wollte. In einem anderen Gespräch ging es darum, dass den MitarbeiterInnen eines Heims von Angehörigen vorgeworfen wurde, eine Pflegebedürftige nicht ausreichend zu waschen, diese jedoch aggressiv reagiere und sich nicht waschen lassen wolle. In einem Heim war es zu Konflikten zwischen Pflegedienstleitung und MitarbeiterInnen wegen divergierender Vorstellungen über den Umgang mit BewohnerInnen gekommen. Grundsätzlich sah sich das Modellprojekt als nicht zuständig für Fälle von Gewalt in der stationären Pflege, und so wurde in einigen dieser Fälle an die zuständigen Behörden, wie z.B. Heimaufsicht, z.T. auch an Betreuungsstelle und Amtsgericht weiterverwiesen. In der Beratung wurden die KlientInnen bestärkt, selbst Beschwerden vorzubringen und das Gespräch mit Heim- und Pflegedienstleitung zu suchen. Die Bitte um Unterstützung bei Gesprächen mit den stationären Einrichtungen wurde z.T. abgelehnt mit der Begründung, es müsse zunächst die andere Seite gehört werden. In anderen Fällen wurde zum Teil ausführlich beraten, in einem Fall die Beschwerden der KlientIn durch die BeraterIn selbst an die Kurzzeitpflegeeinrichtung weitergegeben. Im Fall der KlientIn, deren Mutter verstorben war, diente ein abschließendes Gespräch dazu, Erfahrungen zu verarbeiten. In den Gesprächen mit der Leiterin der Pflegeeinrichtung, der Pflegedienstleitung bzw. den MitarbeiterInnen wurden verschiedene Handlungsmöglichkeiten erörtert. Im Konflikt zwischen MitarbeiterInnen und Pflegedienstleitung eines Heimes konnten die MitarbeiterInnen darin unterstützt werden, das Gespräch mit den Vorgesetzten zu suchen und dadurch die Finanzierung einer Fortbildung durch die Pflegedienstleitung erreicht werden. Pflegeproblematiken: Überlastung pflegender Angehöriger und Sicherung adäquater Pflege In einem Teil der Fälle in denen eine Pflegeproblematik vordringlich war, lehnten die Pflegebedürftigen notwendige Hilfen ab und brachten 282 damit die Angehörigen, die z.T. mit der Pflege oder sonstigen Unterstützung befasst waren, in schwierige Situationen. Diese wandten sich an das Modellprojekt mit der Bitte um Beratung. So schilderte beispielsweise eine Klientin, dass Pflege und Unterstützung ihrer Eltern, die in einer anderen Stadt lebten, nicht gesichert waren; sie lehnten trotz eindeutigen Bedarfs (Demenz der Mutter, stark eingeschränkte Mobilität des Vaters, eingeschränkte Fähigkeiten zur Alltagsbewältigung bei beiden) ausreichende Hilfe und Pflege ab, so z.B. eine Einstufung nach dem Pflegeversicherungsgesetz. Die Situation spitzte sich zu, und die Tochter hielt die eigene Hilflosigkeit kaum aus, hatte ihre Eltern einmal angeschrieen. In einem anderen Fall lehnten die in ihrer Mobilität stark eingeschränkten Eltern den Umzug in eine adäquate Wohnung ab. Die Weigerung der Pflegebedürftigen, Hilfen in Anspruch zu nehmen, führte in einigen Fällen zur Überforderung und Überlastung der Pflegenden, so z.B. im Fall eines bettlägerigen Ehemannes, der keinen Arzt ins Haus lassen wollte oder im Fall einer pflegedürftigen Frau, die den Tagespflegeplatz, von dem sich die pflegende Tochter Entlastung erhofft hatte, nicht in Anspruch nehmen wollte. Die KlientInnen waren in diesen Fällen ratlos, wie sie angesichts der Verweigerung ihrer Angehörigen eine ausreichende Versorgung sicherstellen konnten. Sie befanden sich im Dilemma, die Eigenständigkeit der Eltern und ihre Entscheidungen respektieren zu wollen, gleichzeitig jedoch zu sehen, dass diese nicht mehr in der Lage waren, verantwortlich für sich zu sorgen. Zum Teil führten die körperlichen Erkrankungen der Eltern dazu, dass Kinder sich auch gegen den ausdrücklichen Willen der Eltern für die Sicherstellung einer ausreichenden Versorgung einsetzen mussten. So formulierte eine Frau, deren alzheimererkrankte Mutter sich weigerte, einen Arzt aufzusuchen und ausreichend Nahrung zu sich zu nehmen, diesen Rollentausch als großes Problem. Sie konnte nicht damit umgehen, dass sie der Mutter Anweisungen geben muss186 te, wie sie sich verhalten sollte . In einem Teil der Fälle war Unterstützungsbedarf bei der Pflege ganz allgemein relevant, z.B. sucht ein Klient nach psychologischer Unterstützung bei der Entscheidung bzgl. anstehender Hilfe und Pflege der zunehmend hilfebedürftigen Mutter. In zwei Fällen war die bislang geleistete Pflege aufgrund zunehmender körperlicher Einschränkungen der pflegenden Ehefrauen nicht mehr fortführbar, neue Unterstützungs186 Das Phänomen der Rollenumkehr zwischen Eltern und Kindern wird in den Arbeiten von Suzanne STEINMETZ (1983; 1988a; 1988b; 1993) mit dem Begriff „generational inversion“ belegt. 283 formen mussten gefunden werden. In einem anderen Fall suchte ein Klient Entlastung in der Pflege der dementiell erkrankten, in ihrer Mobilität eingeschränkten Ehefrau, die stark auf ihn fixiert war. Bei der Beratung war dabei neben der konkreten Suche nach Unterstützung immer wieder auch die Überforderungssituation Thema. Nach der Pflege ihrer Eltern und Schwiegereltern pflegte z.B. eine Frau nun den Ehemann und war der Situation nicht mehr gewachsen, war vereinsamt und sprachlos. Beschwerden galten auch der fehlenden Entlastung durch andere Familienangehörige. Andere Problematiken, die im Zusammenhang mit der Sicherung adäquater Pflege an das Modellprojekt herangetragen wurden, waren eine Ablehnung bei der Einstufung nach Pflegeversicherungsgesetz und die unkooperative Haltung einer pflegenden Ehefrau, die Pflegegeld beantragt hatte, aber einen Hausbesuch ablehnte. In beiden Fällen wandte sich der KSD an das Modellprojekt mit der Bitte um Beratung und Unterstützung. In der Beratung des Modellprojekts ging es häufig um Beratung zu konkreten Unterstützungs- und Pflegeleistungen, sowohl für die Pflegebedürftigen als auch für die pflegenden Angehörigen (z.B. Gesprächskreise für pflegende Angehörige). Dazu gehörten auch die Weitergabe von Informationen über Möglichkeiten der Einrichtung einer Betreuung, Beratung über Widerspruchsmöglichkeiten bei Einstufung nach dem Pflegeversicherungsgesetz und die verschiedenen Entlastungsmöglichkeiten durch ambulante Pflege, Kurzzeit- oder Tagespflege. Die BeraterInnen gaben Adressen weiter und vermittelten an die zuständigen AnsprechpartnerInnen und Anbieter, beispielsweise an Sozialstationen, Pflegekassen und den Medizinischen Dienst. Neben der konkreten Pflegeplanung, die zum Teil auch in Kooperation mit anderen Diensten stattfand, ging es auch um Reflektion der Problematik und der eigenen Situation. Dabei wurden die KlientInnen ermutigt, eigene familiäre Ressourcen auszuschöpfen, z.B. das Gespräch mit anderen Familienangehörigen zu suchen und deren Unterstützung bei Antragstellungen u.ä. zu erfragen. In einem Fall, in dem vergleichsweise häufig und lange Beratung stattfand, wurde in Kooperation mit Pflegekasse und Sozialstation nach Möglichkeiten einer besseren Unterstützung des pflegenden Ehemannes gesucht. Nach einem gescheiterten Versuch, die dementiell erkrankte Ehefrau in einer Tagespflegeeinrichtung zu versorgen, konnte durch Veränderungen in der Organisation der Pflegeeinsätze die Entlastung des Ehemanns bewirkt werden. 284 Gewalt und Aggressionen durch Pflegebedürftige In einigen Fällen wandten sich pflegende Angehörige und zum Teil professionelle Fallbeteiligte aufgrund von Gewalt bzw. Aggressionen durch Pflegebedürftige an das Modellprojekt. Die Pflege wurde in diesen Fällen entweder durch EhepartnerInnen – zumeist den Ehefrauen – oder pflegende (Schwieger)-Kinder – zumeist Töchtern oder Schwiegertöchtern – geleistet. Die Aggressivität bzw. Gewalt der Pflegebedürftigen hing in einigen Fällen mit hirnorganischen Veränderungen, insbesondere dementiellen Erkrankungen, zusammen, z.T. wurden auch falsche Medikation oder Tablettenabhängigkeit vermutet. Pflegende waren in diesen Fällen Ehefrauen oder Angehörige, die z.T. selbst schon älter waren (z.B. 72-jähriger Neffe, 62-jährige Tochter). Als problematisches Verhalten wurde zunehmende Aggressivität, Anschreien, falsche Beschuldigungen gegen Pflegende (Diebstahl, Misshandlungen), massive Ablehnung sowie Beschimpfen der Pflegenden, nächtliche Anrufe, „Randalieren“ sowie Ablehnung von externer Hilfe genannt. In diesen Fällen wandten sich entweder die Pflegenden oder professionelle Fallbeteiligte an das Modellprojekt. Letztere sahen entweder die Versorgungssituation u.a. aufgrund der Überforderung der Angehörigen gefährdet oder befürchteten, dass es zu körperlicher Gewalt kommen könnte; dies traf in einem Fall zu, in dem der dementielle Ehemann zwar körperlich fit war aber zunehmend aggressiv gegenüber Ehefrau und pflegenden Töchtern wurde. In einem größeren Teil der Fälle standen die Aggressionen mutmaßlich im Zusammenhang mit der eigenen Pflegebedürftigkeit, der Abhängigkeit von den Pflegenden und der Hilflosigkeit gegenüber eigenen körperlichen Abbauprozessen. In den Fällen von Aggressionen gegenüber pflegenden Ehefrauen verhielten sich die pflegebedürftigen Ehemänner aggressiv, teilweise cholerisch, in einem Fall jedoch Außenstehenden gegenüber durchaus angemessen. Sie lehnten z.T. externe Hilfe ab, waren stark auf die Ehefrauen fixiert und ließen ihnen keine Freiräume. Die Pflege wurde von den Pflegenden insbesondere aufgrund der eigenen Isolation und des aggressiven und kontrollierenden Verhaltens der Pflegebedürftigen als sehr belastend erlebt. In einigen Fällen richtete sich die Aggressivität der nicht hirnorganisch beeinträchtigten Pflegebedürftigen gegen (Schwieger-)Kinder. Eine Pflegebedürftige wurde als beleidigend und überanspruchsvoll geschildert, wobei das unterstützende Ehepaar insbesondere unter Selbstmorddrohungen der (Schwieger-)Mutter litt; das Verhalten einer anderen pflegebedürftigen Frau wurde vom Kontakt aufnehmenden Krankenhaussozialdienst als „Tyrannisieren“ bezeichnet, wobei vom Krankenhaussozialdienst die Ablehnung jeglicher externen Hilfe durch die Pflegebedürftige als beson- 285 ders problematisch erachtet wurde. Dies und die mangelnde Unterstützung durch den Ehemann führten zur Prognose massiver Überforderung und möglicher zukünftiger Gewaltsituationen. In der Beratung des Modellprojekts ging es in den Fällen von Aggressivität durch Pflegebedürftige zum einen um eine diagnostische Klärung beim Verdacht auf organisch bedingte Aggressionen und zum anderen um die Verbesserung der Versorgungssituation mit dem Ziel der Entlastung der pflegenden Angehörigen. Sie verwiesen in diesem Zusammenhang an andere Institutionen bzw. Berufsgruppen (z.B. Arzt, Alzheimergesellschaft) und suchten gemeinsam mit den Pflegenden nach individuell tragbaren Lösungen. In den Fällen, in denen die Problematik nicht durch eine Veränderung der Pflegesituation zu lösen war (weil z.B. die Pflegebedürftigen andere externe Hilfe ablehnten oder ambulante Pflegedienste bereits einen wichtigen Teil der Pflege übernommen hatten), ging es in den Beratungen um verbesserte Abgrenzungsmöglichkeiten gegenüber der pflegebedürftigen Person. In einigen dieser Fälle kam es nicht zum Kontakt mit den Problembeteiligten, u.a. weil sich die Problembeteiligten auch nach angekündigtem (und vermutlich erfolgtem) Hinweis von professionellen Fallbeteiligten auf das Modellprojekt nicht dort meldeten. KlientInnen mit Wahnsymptomen bzw. psychotischen Erkrankungen In den Fällen, in denen Wahn oder eine psychotische Erkrankung von AnruferInnen vorlag oder vermutet wurde, empfanden sich die AnruferInnen stets als Opfer. Sie wünschten sich Unterstützung in für sie als bedrohlich empfundenen Situationen. Sie fühlten sich durch die Öffentlichkeitsarbeit des Modellprojekts angesprochen und meldeten sich häufig beim Krisen- und Beratungstelefon im Alter. In einigen Fällen handelte es sich offensichtlich um bizarre Wahnvorstellungen, in anderen Fällen war zunächst nicht offensichtlich, dass die Hauptproblematik eine psychotische Erkrankung des vermeintlichen Opfers war. Die geschilderten Vorfälle waren in diesen Fällen zumindest vorstellbar. Häufig sahen sich die AnruferInnen durch vermeintliche Aktivitäten von NachbarInnen bedroht, häufig waren Klagen über realistische wie unrealistische Quellen von Lärmbelästigungen (z.B. Geräusche aus dem Heizungskeller, Dröhnen in der Wohnung, Autoreparaturen in Wohnungen) oder Beeinträchtigungen durch Strahlen oder Schwingungen. In anderen Fällen ging es um vermeintliche Diebstähle und Wohnungseinbrüche. Drastische Gewaltvorwürfe bezogen sich in einem Fall auf eine stationäre Pflegesituation. Einige KlientInnen nahmen sich als Opfer 286 von Firmen, Ämtern und Institutionen wahr, dabei sahen sie sich als Opfer „mafiöser Verbindungen“ zwischen verschiedenen Institutionen und waren nach eigener Überzeugung Abhör- und anderen Überwachungsaktivitäten sowie verschiedenen Verleumdungen ausgesetzt. In einigen dieser Fälle entwickelten die KlientInnen im Kontext ihrer Wahnvorstellungen umfangreiche Aktivitäten, beauftragten Anwälte, strengten Verfahren an und bezogen verschiedene Beratungsinstitutionen ein, ohne diese jeweils voneinander in Kenntnis zu setzen. Die Lebenssituation der zumeist alleinlebenden psychotischen KlientInnen war geprägt von sozialer Isolation und Einsamkeit. In den meisten dieser Fälle sahen die BeraterInnen nach einer ersten ausführlichen Beratung keine Zuständigkeit des Modellprojekts. Sie nahmen Rücksprache mit sozialpsychiatrischem Dienst und Kommunalem Sozialdienst, um in Erfahrung zu bringen, ob die KlientInnen dort bekannt seien (dies war häufig der Fall) und verwiesen an die jeweils zuständigen Dienste bzw. zogen sich bei bestehender psychiatrischer Versorgung aus dem Fall zurück. In anderen Fällen berieten die MitarbeiterInnen die KlientInnen und versuchten Veränderungen in der Lebenssituation der KlientInnen zu ermöglichen, ohne dabei die Wahnsysteme zu unterstützen. Angezeigt erschien dies – so kann aufgrund der Unterlagen vermutet werden – insbesondere in Fällen, in denen keine anderen Institutionen involviert waren, eine Intervention von sozialpsychiatrischen Diensten gegen den Willen der KlientInnen nicht notwendig war und die KlientInnen selbst nicht bereit waren, psychiatrische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die BeraterInnen versuchten dabei beispielsweise Veränderungen in der Wohnsituation zu unterstützen, z.T. mit der konkreten Perspektive auf durch einen Umzug verbesserte Versorgungssituationen der KlientInnen. In einem Beratungsfall mit vielen Kontakten ging es darum, die Aktivitäten eines in einer gerontopsychiatrischen Einrichtung lebenden Klienten zu begleiten; es sollte versucht werden, durch Förderung von Aktivitäten, die außerhalb des Wahnsystems lagen, die Lebenssituation des Klienten zu stabilisieren (vgl. dazu die genauere Fallbeschreibung in Kapitel 6.2.3.3.2, Fall 3). Informationsbedarf zu Altersvorsorge, Wohnformen, Pflegeversicherungsgesetz Bei einigen längeren Beratungsgesprächen – einige davon fanden im Rahmen der Stadtteilsprechstunden statt – ging es um Informationsbedarf der KlientInnen. In der Regel wandten sich ältere Menschen an die Beratung, die entweder für den Fall zukünftiger Unterstützungs- und Pflegebedürftigkeit sich informieren und Vorsorge treffen wollten, oder die aufgrund bereits verschlechterten Gesundheitszustandes aktuell 287 Unterstützung brauchten. Sie fragten nach Informationen über Pflegeleistungen, Möglichkeiten der Finanzierung und Bereitstellung von Haushaltshilfen, Vorsorgemöglichkeiten für den Fall eigener Pflegebedürftigkeit, Wohnmöglichkeiten im Alter, Betreuungsangelegenheiten, Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen sowie Leistungen nach dem Pflegeversicherungsgesetz. Die BeraterInnen entsprachen dem Informationsbedürfnis und leisteten in der Regel auch weitergehende psychosoziale Beratung, so in einem Fall zum Verhältnis zu den eigenen Kindern und den Erwartungen, die an diese für den Fall der eigenen Pflegebedürftigkeit gestellt werden können. Nachbarschaftskonflikte – Gewalt durch NachbarInnen Neben Fällen von Nachbarschaftskonflikten und Beschwerden über NachbarInnen ging es in einigen Fällen um massive Bedrohungen bzw. Gewalt, die von NachbarInnen ausging. Einige der Beratungsfälle des Modellprojekts hatten Beschwerden über NachbarInnen bzw. massive Konflikte mit NachbarInnen zum Gegenstand. Dabei ging es um Beschwerden über Lärm- und Geruchsbelästigung, Alkoholkonsum, nicht ausgeführte Reinigungsdienste, Feuchtigkeitsschäden und Lärm durch zu häufiges Waschen, Abstellen von Müll und unfreundliches Verhalten. Aus einigen dieser Beschwerden hatten sich Konflikte entwickelt, deren Verlauf von den KlientInnen z.T. als bedrohlich empfunden wurde. In einigen dieser Fälle ist eine neurotische Grundproblematik zumindest nicht auszuschließen. In einigen Fällen nahmen Konflikte im Haus für die KlientInnen bedrohliche und gewalttätige Dimensionen an. So kam es zu Beleidigungen, Einschüchterungen, Sachbeschädigungen, massiven und z.T. demütigenden Anschuldigungen, die gegenüber Dritten geäußert wurden, langwierigen und psychisch schwer belastenden Gerichtsverfahren (vgl. hier insbesondere Fall 4, Kapitel 6.2.3.3.2) und – zum Teil gegenseitigen – gezielten Beeinträchtigungen durch Lärm u.ä. Zum Teil war eine Klärung der in diesen Konflikten erhobenen gegenseitigen Anschuldigungen weder für die BeraterInnen noch für andere Fallbeteiligte möglich. In einigen Fällen wurden die KlientInnen über einen langen Zeitraum beraten; dabei wurde z.T. versucht, die Emotionalität der Konflikte zu entschärfen und Bewältigungs- und Veränderungsmöglichkeiten der problematischen Situation gemeinsam mit den KlientInnen zu entwickeln (so z.B. einen Wohnungswechsel einzuleiten). In einem Beratungsfall war der Nachbarschaftskonflikt nur ein – al- 288 lerdings für den Kontakt zum Modellprojekt entscheidender – Aspekt in der Gesamtkonstellation (vgl. Fall 2, Kapitel 6.2.3.3.3). In zwei Fällen sahen sich Klientinnen durch Minderjährige in der Nachbarschaft bedroht, in einem Fall durch Beschimpfungen und Sachbeschädigungen einer Gruppe Jugendlicher, im anderen Fall durch auch körperliche Angriffe eines verhaltensauffälligen Kindes, wobei in letzterem Fall auch eine gerontopsychiatrische Erkrankung der Klientin relevant war. Vorwürfe der finanziellen Ausbeutung durch NachbarInnen waren in zwei Fällen relevant, sie hingen mit Pflege- bzw. Unterstützungsbedürftigkeit der Opfer und der zukünftigen oder bereits vollzogenen Überschreibung von Eigentum zusammen (vgl. dazu sowie zu Vorwürfen mangelhafter Versorgung in diesem Kontext auch Fall 5, Kapitel 6.2.3.3.3). Im Umgang der BeraterInnen mit diesen Konflikten und Beschwerden gab es verschiedene Varianten. So wurde eine Entschärfung der Konflikte angestrebt (z.B. wurden Vermittlungsgespräche angeboten), es wurde versucht, die negativen Auswirkungen für die KlientInnen zu reduzieren und die KlientInnen dabei zu unterstützen, ihre Rechte geltend zu machen (durch eigene Begleitung bei Gesprächen mit Vermietern oder durch Verweis auf andere rechtliche Unterstützungsmöglichkeiten). Zum anderen zielte die Beratung aber darauf, die subjektive Bedeutung des Konfliktes oder der Beschwerden für die KlientInnen zu reduzieren und (vermutete) andere Problematiken durch andere Formen der Unterstützung (z.B. Verweisen an Partnerbesuchsdienst bei Einsamkeitsproblematik) anzugehen. Beschwerden über Mieter, Vermieter, BetreuerInnen und Ämter Bei den Konflikten mit Mietern ging es um unterlassene Mietzahlungen und ein – z.T. durch das Verhalten des Mieters, z.T. durch Aussagen der Polizei begründetes – Bedrohungsgefühl der im gleichen Haus lebenden Vermieterinnen. Dabei kam es zu psychosomatischen Reaktionen der Vermieterinnen und in einem Fall zu einer finanziellen Notlage. Die BeraterInnen unterstützten die Vermieterinnen jeweils in ihrem Bemühen, das Mietverhältnis so schnell und unkompliziert wie möglich zu beenden und nahmen diesbezüglich Kontakt zum Mieter auf bzw. versuchten dies. Die Weitergabe personenbezogener Informationen über einen der beiden Mieter durch die Polizei erscheint datenschutzrechtlich problematisch (vgl. Fall 5, Kapitel 6.2.3.3.3). 289 Konflikte mit bzw. Beschwerden über VermieterInnen hatten unklärbare gegenseitige Anschuldigungen, die Ablehnung von Modernisierungen durch die Mieterinnen bzw. die Kompensation von Schäden durch Umbaumaßnahmen sowie Räumungsklagen zum Gegenstand. In zwei Fällen war es im Zusammenhang mit Konflikten mit Vermietern zu Räumungsklagen gekommen; die BeraterInnen unterstützten in einem dieser Fälle die Suche nach einer neuen Wohnung. In den beiden Fällen spielten parallel ein Konflikt mit einer Nachbarin und die Ablehnung einer Kostenübernahme durch das Sozialamt eine Rolle. In einem anderen Fall fühlte sich die Klientin von ihrem Vermieter (und ihrem Arzt) unter Druck gesetzt, in eine stationäre Einrichtung umzuziehen. Eine Frau wollte unbedingt in eine bestimmte Wohnanlage ziehen, wurde dort jedoch aufgrund ihres Unterstützungsbedarfs abgelehnt und konnte sich damit nicht abfinden. Zwei KlientInnen wollten vom Modellprojekt Unterstützung bei der Aufhebung ihrer gerichtlichen Betreuung. Sie fühlten sich von ihren Betreuern schlecht behandelt, einer der Betreuten erhob gravierende Vorwürfe (keine Abrechnungen vorgelegt, Kontaktverbot zur Freundin), und beide sahen sich in der Lage, ihre Angelegenheiten allein zu regeln. Nach Rücksprache mit Betreuern und/oder anderen involvierten Institutionen stellte sich die Situation anders dar, der tatsächliche Betreuungsbedarf im Einzelfall wurde deutlicher. In einem Fall führte die Unterstützung bei Antragstellung auf Aufhebung der Betreuung tatsächlich zum Erfolg. Im anderen Fall wurde der Betreute bei seinen Bemühungen durch die BeraterIn nicht weiter unterstützt. In den beiden sonstigen Fällen, in denen es um Betreuungsaufhebungen ging, war den Klientinnen die Betreuung für ihren Lebenspartner bzw. ihre Mutter entzogen worden (in einem Fall wurde zudem ein Besuchsverbot verfügt). Die KlientInnen fühlten sich ungerecht behandelt, hatten Widerspruch gegen den Betreuerwechsel bzw. Beschwerden gegen die Betreuer eingelegt und erwarteten vom Modellprojekt Unterstützung. In den einmaligen Beratungskontakten wurde klar, dass die BeraterInnen nicht den Erwartungen der Klientinnen entsprechend intervenieren wollten. Bei den Beschwerden über Ämter ging es jeweils um Probleme mit dem Sozialamt. So wollte eine KlientIn Wohngeld, jedoch keine Sozialhilfe beantragen, eine andere KlientIn war mit Sozialhilfebescheid und später Wohngeldbescheid nicht einverstanden. Die BeraterInnen verwiesen in diesen Fällen entweder weiter oder unterstützten die KlientInnen in ihren Belangen – zum Teil mit Erfolg. Zwei Beschwerden gegenüber Krankenkassen hatten zum Inhalt die verschleppte Bearbeitung und spätere Ablehnung eines Antrags auf Kostenerstattung bei Wohnungsanpassung und die Ablehnung eines Antrags auf Kostenerstattung ei290 nes Pflegehilfsmittels nach dem Pflegeversicherungsgesetz. Die BeraterInnen unterstützten die Belange der KlientInnen durch Recherchen, Rücksprache bei der Krankenkasse und Erörterung des weiteren Vorgehens. Familienkonflikte, finanzielle Probleme, Einsamkeitsproblematiken Bei zwei massiven Familienkonflikten ging es um seit einigen Jahren bei den Familien der Söhne lebende Mütter. Die Konflikte bestanden insbesondere zwischen Ehefrauen und Schwiegermüttern, die Konstellationen waren sehr komplex, und in einem Fall eskalierte der Konflikt: Es kam zu verbalen Aggressionen und gegenseitigem Hass. Im einen Fall wurde in mehreren langen Beratungsgesprächen mit allen Beteiligten versucht, gemeinsam Lösungen zu erarbeiten und Vereinbarungen zu treffen, an die sich alle halten konnten. Letztlich kam es zum Auszug der Schwiegermutter. Im anderen Fall kam es zu einer gemeinsamen Beratung des Ehepaars, bei der die Vielschichtigkeit der Konflikte deutlich wurde. In zwei Fällen beklagten sich Frauen über die seltenen (in einem Fall immer mit finanziellen Zuwendungen verbundenen) Besuche ihrer Söhne. Die Frauen erwarteten häufigere Besuche und fühlten sich im Stich gelassen, zum Teil auch ausgenutzt. Die BeraterInnen ermutigten sie, die Söhne direkt anzusprechen und versuchten, in der Beratung den Fokus stärker auf die Einsamkeitsproblematik als auf die Vorwürfe den Söhnen gegenüber zu lenken. In einem weiteren Fall beklagte sich eine Mutter über die Antriebslosigkeit der Tochter, mit der sie zusammen lebte. In den Fällen, in denen es um Einsamkeitsproblematiken ging, wandten sich ältere Menschen an das Modellprojekt, die aufgrund von körperlichen Einschränkungen die Wohnung nur noch schwer verlassen konnten. Sie benannten entweder schon konkrete Vorstellungen, wünschten sich z.B. Besuchsdienste oder wollten umziehen, oder äußerten sehr allgemein das Bedürfnis nach mehr Kontakt. Zum Teil spielten weitere Problematiken in diesen Fällen eine Rolle, so in einem Fall Depressionen der Klientin, in einem anderen Unterstützungsbedarf bei Verhandlungen mit Sozialamt und Krankenkasse. In einem Fall suchte ein Mann nach dem Tod seiner Frau neue Perspektiven, er wollte nicht weiter allein leben. In den genannten Fällen wurde an Besuchsdienste weiterverwiesen, Umzugspläne unterstützt und Wohnmöglichkeiten diskutiert. In zwei Fällen ging es zentral um finanzielle Problemlagen; dabei hatten die Klienten jeweils eine zu geringe Rente, um ihre Wohnungen bezah- 291 len zu können. Auch hier spielten in einem Fall Trauer und Depressionen eine Rolle, der Lebensgefährte des Klienten war verstorben, und er wollte keinesfalls die ehemals gemeinsame Wohnung aufgeben. Die Klienten wurden von den BeraterInnen entweder weiterverwiesen oder es wurde gemeinsam nach Lösungsmöglichkeiten gesucht. Unterstützungsbedarf in komplexen Problemlagen, unklare Fälle, sonstige Fälle Unklare Fallschilderungen waren insbesondere bei sehr kurzen Kontakten häufig. So schilderte ein wohl auch verwirrter Mann eine Vielzahl unterschiedlicher Probleme (Scheidung, finanzielle Schwierigkeiten, Beschwerde über die Situation im Heim seiner blinden, psychisch kranken Tochter). Er suchte Rechtsberatung und wollte sich aussprechen. Eine andere Klientin, über deren Fall nur wenig Informationen vorliegen, litt an Krebs, war verschuldet und hatte Konflikte mit ihrer Tochter. Im Folgenden werden einige Beispiele für andere Problemlagen aufgeführt: Eine Frau suchte eine Mitbewohnerin, eine andere war verunsichert, da im Nachbarhaus eingebrochen worden war. In einem Fall ging es um die Trauer einer Frau um ihren verstorbenen Ehemann. In einem Fall war die zentrale Problematik die Aufenthaltssicherung für die pflegebedürftige Mutter einer Anruferin, da die Schwester der Anruferin keine Unterhaltszahlungen mehr leisten wollte. Ein anderer Klient wollte Informationen über Notfunksysteme, er befürchtete, dass ihm etwas zustoßen könnte, ohne dass dies jemand bemerkt. Eine Klientin mit gravierendem Augenleiden fühlte sich bei der Regelung ihrer finanziellen Angelegenheiten überfordert; der Ehemann war verstorben, und der gemeinsame Sohn wollte schnell sein Erbe bekommen. Ein Anrufer wurde von der Großmutter aus der gemeinsamen Wohnung geworfen; er machte sich Sorgen, da sie Alkoholikerin sei und Hilfe brauche. In einem Fall meldete sich eine Diakonin, die häufiger im Falle eines Mannes angerufen wurde, der allein in seiner Wohnung randalierte und verwahrloste. Eine Anruferin fühlte sich den alltäglichen Anforderungen nicht mehr gewachsen und zeigte depressive Züge. Eine andere Klientin war sich nicht sicher, wie sie mit den Anforderungen des ehemaligen Mannes ihrer verstorbenen Freundin, den sie pflegte, umgehen sollte. Er verlangte von ihr, große Mengen Bargeld im Haus zu haben. Zudem wollte er sie heiraten, sie fürchtete jedoch, damit zum einen ihre Freiheit aufzugeben, zum anderen die Angehörigen gegen sich aufzubringen. In einem Fall äußerte die Tochter eines pflegebedürftigen Mannes, der beim Sohn lebte und sich über nicht ausreichende Versorgung beklagte, Bedenken hinsichtlich einer geplanten Finanztransaktion zwischen Vater und Sohn. 292 In den genannten Fällen wurde häufig an andere Institutionen weiterverwiesen (z.B. KSD, Lebensberatungsstellen). Wo möglich, wurden Informationen weitergegeben. In einigen Fällen erfolgte ausführliche psychosoziale Beratung. Komplexe Problemlagen und konkreter Unterstützungsbedarf ergaben sich im Fall eines Klienten, der – noch rekonvaleszent nach einer Gehirnoperation – durch Probleme bei Rentenantragstellung und Regelung des Widerspruchs gegen unberechtigte finanzielle Forderungen einer Firma überfordert war. In diesem Fall spielten zudem Familienkonflikte eine Rolle. Die BeraterIn unterstützte den Klienten bei der Regelung des Widerspruchs. Einer der Fälle des Modellprojekts, in denen sehr häufige und zum Teil lange Beratungskontakte (allein 16 Hausbesuche) mit den verschiedensten Fallbeteiligten stattfanden und der durch eine überaus komplexe Problemkonstellation geprägt war, soll im Folgenden abschließend kurz zusammengefasst werden: Die Klientin rief an, weil sie viele Fragen hatte bezüglich der Pflege ihres Ehemannes. Er lebte nach einem Schlaganfall in einem Pflegeheim, sie hatte Diabetes und war inkontinent. Zunächst konzentrierten sich die Kontakte darauf, die Pflegesituation des Ehemannes zu klären. Es ging dabei um die Regelung von Zahlungsforderungen eines Pflegeheimes, das der Ehemann aufgrund eines Brandes verlassen musste, und in das er (ohne die vertragliche Kündigungsfrist einzuhalten) nicht wieder zurückgekehrt war. Nachdem diese Fragen und die Betreuung des Ehemannes geregelt waren, begleitete der Berater die Klientin weiter mit regelmäßigen Hausbesuchen, unterstützte sie bei der Regelung von behördlichen Vorgängen und versuchte ihre Lebenssituation zu stabilisieren. Nach einer Phase, in der die Klientin Außenkontakte knüpfte, unternahm sie zum wiederholten Male einen Suizidversuch und war zunehmend weniger in der Lage, ihre Alltagsprobleme zu bewältigen. Die Beauftragung externer Pflege wurde notwendig. Der Gesundheitszustand der Klientin verschlechterte sich weiter, sie kam ins Krankenhaus und verstarb dort überraschend. 293 Exkurs: Betrachtungen zu Erscheinungsformen von Nahraumgewalt gegen ältere Menschen anhand von Presseberichten Das Fallaufkommen im Rahmen eines einzelnen Projekts vermittelt selektive Eindrücke von den Erscheinungsformen von Nahraumgewalt gegen ältere Menschen. Selektiv ist das so gewonnene Material u.a. im Hinblick auf Fälle, die generell keine oder nur geringe Chancen des Zugangs zu Beratungsinstitutionen haben (z.B. Gewalt gegen Demente und Pflegebedürftige, Gewaltfälle mit tödlichem Ausgang) oder bei denen die spezifischen Angebote und die Außendarstellung der Einrichtung die Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme gering halten (z.B. Gewalt gegen Ältere in Migrantenfamilien, wenn das Projekt keine spezifischen Angebote vorhält). Im Falle des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ sprechen u.a. das wiederholt betonte Bemühen, die Gewaltthematik nicht zu skandalisieren und die Öffnung des Modellprojekts auch für Nicht-Gewaltthemen dafür, dass schwere Gewaltvorkommnisse im Fallaufkommen eher gering vertreten sind. Im Folgenden sollen anhand einer ebenso selektiven Quelle, nämlich der Presseberichterstattung der letzten Jahre, aus einer anderen Perspektive einige Blicke auf Erscheinungsformen schwerwiegender Nahraumgewalt gegen Ältere geworfen werden. Im Folgenden werden vor allem Fälle von häuslichen Tötungsdelikten an Älteren durch mit ihnen im Haushalt lebende, verwandte oder zumindest bekannte Täterinnen und Täter dargestellt. Die Fallzusammenstellung erhebt keinerlei Anspruch auf Repräsentativität und Vollständigkeit. Sie demonstriert aber – in der Gruppe der schwersten Nahraumdelikte, nämlich derjenigen mit tödlichem Ausgang – die Vielfalt der Erscheinungsformen und Entstehungsbedingungen und die Unzulänglichkeit eines auf Pflegebedürftigkeit und Pflegeüberlastung zugeschnittenen Denkmodells. Die Fälle sind im Folgenden vor allem nach Täter-Opfer-Konstellationen (intergenerationale Gewalt, Gewalt in Partnerschaften, Gewalt durch ambulante Dienste) geordnet. Innerhalb der Gruppe der Tötungsdelikte in Partnerschaften sticht eine Fallgruppe besonders hervor, bei der wir es offenbar nicht mit aggressiv motivierten Handlungen zu tun haben, sondern mit Fällen, in denen ältere Männer ihre schwer kranken Ehefrauen auf Verlangen, aus Verzweiflung oder Mitleid töten und zum Teil anschließend Suizid begehen; diese Fälle werden in Tabelle Exkurs/2 gesondert ausgewiesen. Die Auflistung von Viktimisierungen durch ambulante Dienste – jenseits der 294 Problematik Abrechnungsbetrug bislang noch wenig beachtet – beschränkt sich nicht auf (tödliche) Gewaltdelikte. Fallgruppe I: Intergenerationale Nahraum-Tötungsdelikte an älteren Menschen Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass das deliktische Geschehen sich bei einigen der im Folgenden aufgeführten, gerichtlich noch nicht abschließend behandelten Fälle anders darstellen wird als nach den ersten polizeilichen Ermittlungen und den darauf basierenden Presseberichten, dürfte erkennbar werden, dass es eine Reihe schwerwiegender Gewaltakte jüngerer Familienmitglieder bzw. jüngerer Personen aus dem sozialen Umfeld des Opfers gibt, die mit dem in der Fachöffentlichkeit vielfach als Prototyp innerfamiliärer Gewalt gegen Ältere behandelten Falltypus „Misshandlung und Vernachlässigung aufgrund pflegerischer Überlastung“ nichts gemein haben. Nur zwei der 14 in Tabelle Exkurs/1 skizzierten Fälle ereigneten sich erkennbar im Kontext von Pflege und Unterstützung (Nr. 8 und Nr. 11). Drei Tötungsdelikte (Nr. 6, Nr. 9 und Nr. 13) wurden im Kontext von Eigentumsdelikten begangen und lassen dementsprechend eine Bereicherungsabsicht der TäterInnen erkennen. In mindestens zweien dieser Fälle war die Tötung des Opfers offenbar nicht geplant (Tod durch Herzversagen, Ersticken an Knebel), und die Delikte wurden von bzw. mit Beteiligung nicht zur Familie gehörender Täter begangen (Bekannter des Opfers, Komplizen der heroinabhängigen Enkelin). Soweit Ursachen, Entstehungsbedingungen und Motive der Taten den Presseberichten entnommen werden können, legen sie vor allem Schlüsse auf die Bedeutsamkeit von Suchterkrankungen und anderen psychischen Störungen sowie von lange andauernden innerfamiliären Konflikten nahe. 295 Tabelle Exkurs/1: Fallbeispiele intergenerationaler Tötungsdelikte an älteren Menschen (Quelle: Presseberichterstattung) Nr. 1 Datum Beschreibung Mai 2001 Ein 37jähriger Pharmazeut ist vor dem Landgericht Wiesbaden angeklagt, die 73jährige Tante seiner Ehefrau in deren Wohnung getötet zu haben; das Opfer war „schwer misshandelt und erwürgt in der Badewanne“ aufgefunden worden. Der Angeklagte räumt ein, den Tod der Frau herbeigeführt zu haben, schweigt sich aber über das Motiv aus. „Die Staatsanwaltschaft vermutet unter anderem, der Angeklagte habe geplant, die Schwiegereltern zu entführen, um sich dafür zu rächen, dass seine Frau sich von ihm trennte und dabei von ihren Eltern unterstützt wurde. Die Tante wäre demnach nur ein Zufallsopfer gewesen, das ihm in den Weg trat.“ Ein psychiatrischer Gutachter erklärt den Mann für voll verantwortlich (FLECKENSTEIN, 2001). 2 April 2001 Das Landgericht Frankfurt weist einen schuldunfähigen 37jährigen Mann in die Psychiatrie ein. Er hatte „mit einer Machete, einem Hammer und einem Küchenmesser (...) im Wahn seine Mutter umgebracht“ (IM WAHN DIE 63-JÄHRIGE MUTTER GETÖTET, 2001). 3 Februar 2001 Eine 89jährige schwerstpflegebedürftige Frau stirbt bei einem Brand in ihrer Wohnung in Hamburg-Winterhude. Die Polizei geht zunächst von einem Unfall aus, verhaftet dann aber den 53jährigen Sohn wegen Mordverdachts (Fall wird zitiert in: 91JÄHRIGE STARB BEI FEUER IN LURUPER ALTENHEIM: ES WAR MORD, 2001). 4 Januar 2001 „Ein 27-Jähriger hat im niederbayerischen Regen nach einem Streit wegen zu lauter Musik seine Großmutter (76) getötet. Der Mann war zunächst auf seinen 53-jährigen Vater und den Onkel (54) mit einem Messer losgegangen. Nachdem die Männer fliehen konnten, erschlug der danach festgenommene Täter die Seniorin.“ (BLUTTAT, 2001). 5 Novem- In Neuengamme gesteht ein 44jähriger Inhaber eines Blumenber 2000 zuchtbetriebs gegenüber der Polizei, seinen Vater „in der Nacht zuvor in dessen Bett erstickt zu haben. Motiv dürften lang andauernde Streitigkeiten sein, die Vater und Sohn hatten, nachdem der 73-Jährige sich auf sein Altenteil zurückgezogen und den Blumenzuchtbetrieb an den 44-Jährigen überschrieben hatte.“ (FAMILIENSTREIT – RENTNER VON SEINEM SOHN ERSTICKT, 2000). 6 Septem- Ein 37jähriger Mann gesteht vor dem LG Lübeck, im Juni 1997 ber 2000 zusammen mit einem Komplizen eine 73-jährige Bekannte getötet und beraubt zu haben. Die Frau hatte er bei einem Krankenhausaufenthalt kennen gelernt. „„Wir wollten sie fesseln, knebeln und ausrauben“, sagte er. Die Frau war an dem Knebel, einem mit einem Handtuch vor ihr Gesicht gebundenen Sofakissen, erstickt. Die Täter raubten 600 Mark und nahmen der Toten ihren Schmuck ab, den sie anschließend in einem Pfandhaus versetzten. „Das Geld haben wir vertrunken“, gestand der Angeklagte.“ (MORD AN RENTNERIN: DAS GESTÄNDNIS, 2000). 296 Nr. 7 Datum Beschreibung Juli 2000 „Ein 60-Jähriger hat nach Polizeiangaben in Düsseldorf seine 89 Jahre alte Mutter erdrosselt, sein Hotel im Schwarzwald angezündet und sich selbst und seinen Dackel mit einem Sprung vom Balkon der brennenden Herberge getötet. Als Motiv vermutete die Staatsanwaltschaft am Freitag hohe Schulden des Mannes.“ (HOHE SCHULDEN WAREN VERMUTLICH DAS MOTIV FÜR DIE TAT, 2000). 8 Mai 2000 Ein 44jähriger Mann gesteht vor dem Landgericht Stuttgart, eine 88jährige von ihm betreute bzw. gepflegte Frau, zu der er eine Art von Liebesbeziehung unterhalten habe, mit einem Handtuch erstickt zu haben (MAIER, 2000). 9 Februar 2000 Ein nach Presseberichten drogenkonsumierender neunzehnjähriger Mann ersticht – offenbar im Zuge einer Auseinandersetzung um Geld – in Berlin seine 64jährige Großmutter (BEHRENDT, 2000). 10 Februar 2000 Das Landgericht Berlin verurteilt einen 42jährigen Mann zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren und sechs Monaten; er hatte an Weihnachten 1999 seine Mutter getötet („Stephan F. nahm daraufhin einen Hammer und schlug zwei Dutzend Mal auf seine Mutter ein. Dann würgte er sie mit einem braunen Ledergürtel und stach 19mal mit einem Schraubenzieher in ihren Hals, bis sie tot war.“, ANKER, 2000); der Presseberichterstattung zufolge sagt der Sohn in der Hauptverhandlung u.a. «Sie erstickte mich förmlich» und «Sie sollte mich endlich ernst nehmen.». 11 Dezem- Eine 56jährige Frau erdrosselt in der Nähe von Hannover ihre ber 1999 85jährige pflegebedürftige Mutter (FRAU ERDROSSELT MUTTER, 1999). 12 Juli 1999 In der Nähe von Regensburg tötet ein 59jähriger Mann seine bei der Familie (in einem „Austragshäusl“) lebende 90jährige Mutter; nach Berichten der Angehörigen war die Mutter bereits zuvor wiederholt von dem Sohn misshandelt („´Gehaut´, grob gepackt, geschüttelt oder gegen Möbel gestoßen“) und bedroht worden („grabts´ es ein und derschlagt´ses, dann muaß i des net tun...“; BAUMGARTL, 2000). 13 Juni 1997 14 Juli 1993 Das Landgericht Berlin verurteilt einen 53jährigen Mann, der 13 Jahre zuvor bereits seine Tochter getötet hatte, wegen Totschlags an seiner 87jährigen Mutter zu 14 Jahren Haft. „Die Rentnerin war im Dezember 1992 von ihrem Sohn in der eigenen Wohnung brutal misshandelt und erwürgt worden.“ (MANN SCHLUG EIGENE MUTTER TOT, 1993). Das Landgericht Berlin verurteilt eine 31jährige Frau zu sieben Jahren Haft. Die heroinabhängige Frau hatte im Jahre 1991 mit drei Komplizen ihre Großmutter ausgeraubt, die im Verlaufe des Geschehens an Herzversagen starb. Da die Täter nicht erkannten, dass die Frau schon tot war, hatten sie versucht, sie zu töten, indem sie den Kopf der reglosen Frau in den Backofen hielten und das Gas aufdrehten (ENKELIN TÖTETE IHRE OMA: SIEBEN JAHRE HAFT, 1997). 297 Fallgruppe II: Tötungsdelikte an älteren Menschen in Ehen und Partnerschaften Bei den in Tabelle Exkurs/2 beschriebenen Tötungen in Partnerschaften kristallisiert sich deutlich eine Gruppe von Fällen heraus, in denen jeweils Männer ihre schwer kranken oder pflegebedürftigen Ehefrauen töten (Fall 1-7) und oft anschließend Suizid begehen oder einen Suizidversuch unternehmen (zum Phänomen des sog. erweiterten Suizids vgl. u.a. BOURGET, GAGNE & MOAMAI, 2000; MESZAROS & FISCHER-DANZINGER, 2000; ROSENBAUM, 1990). Ähnliche Problem- und Motivkonstellationen sind auch bei den Fällen 10 und 12 denkbar, lassen sich aber aus dem verfügbaren Material nicht mit hinreichender Sicherheit ableiten. In den übrigen Fällen geht es – so die in den Presseberichten wiedergegebenen Ermittlungen sich bestätigen sollten – zum einen um bereits seit langem ausgeübte Gewalt eines Mannes gegenüber seiner Ehefrau, die schließlich (Fall 8) auch zur Tötung der Frau bzw. zu einer reaktiven oder defensiven Tötung des Mannes (Fall 11) führt, zum anderen um einen Doppelmord, mit dem persönliche Vorteile angestrebt werden. Pflegebedürftigkeit spielt hier nur in den Fällen des erweiterten Suizids eine Rolle, sei es, dass Belastungen in der häuslichen Pflege nicht mehr ertragen werden (Fall 1), sei es, dass eine Übersiedlung in eine stationäre Pflegeeinrichtung unbedingt vermieden werden soll. 298 Tabelle Exkurs/2: Fallbeispiele von Tötungsdelikten an älteren Menschen in Ehe / Partnerschaft (Quelle: Presseberichterstattung) Nr. Datum Beschreibung A: Fälle der Tötung auf Verlangen, aus Mitleid oder Verzweiflung 1 Dezem- Im Landkreis Lüneburg erschießt ein 63 Jahre alter Mann zuber 2000 nächst seine 61-jährige Ehefrau und dann sich selbst. „Nach bisherigen Erkenntnissen der Polizei in Lüneburg hatte der Mann die seelischen Belastungen durch seine seit Jahren schwer kranke und pflegebedürftige Frau nicht mehr ertragen. Die Tat sei offenbar lange vorbereitet gewesen.“ (RENTNER TÖTETE SCHWER KRANKE EHEFRAU UND SICH SELBST, 2000). 2 Februar 2000 3 Mai 1999 Im Schweizer Ort Heimiswil erschießt ein 79jähriger Mann zuerst seine Frau und anschließend sich selbst. „Die Vermutungen, der Mann habe geschossen, um seiner Frau den Aufenthalt im Heim zu ersparen, haben sich dabei erhärtet: «Das Motiv stand im Zusammenhang mit der Tatsache, dass die Frau zur weiteren medizinischen Versorgung in ein Pflegeheim hätte eingewiesen werden müssen», teilte die Polizei gestern mit.“ (FAMILIENDRAMA IST GEKLÄRT, 1999). 4 April 1999 Im bayerischen Landkreis Neumarkt tötet ein 81jähriger Mann „erst seine 77jährige Ehefrau Barbara mit einem aufgesetzten Genickschuss (...), ehe er seinem Leben mit einem Schuss in den Mund ein Ende setzte. Das Motiv des 81jährigen war wahrscheinlich Mitleid mit seiner Frau. Die 77jährige war laut Kripo-Angaben schwer erkrankt. (...) Der Senior habe sich aufopfernd um seine nicht mehr gesunde Frau gekümmert, habe die Einkäufe erledigt und den Haushalt besorgt. Nur schwer habe er sich aber mit der Erkrankung seiner vier Jahre jüngeren Frau abfinden können.“ (FELLNER, 1999). 5 März 1999 „Im [Nürnberger] Stadtteil St. Peter hatte ein 87jähriger Mann seine 84jährige Frau getötet und dann selbst versucht, aus dem Leben zu scheiden. Hilfskräfte fanden den Mann aber noch rechtzeitig und konnten ihn retten. Auch in diesem Fall war die Frau schwerkrank. Der Senior hatte die Verzweiflungstat begannen, um eine Trennung von seiner Frau, die in ein Pflegeheim sollte, zu verhindern.“ (FELLNER, 1999). Das Landgericht Landau (Pfalz) verurteilt einen 65jährigen Mann wegen Tötung auf Verlangen zu einer Haftstrafe von drei Jahren; er hatte seine medikamentenabhängige Ehefrau auf deren Wunsch hin erdrosselt (EHEFRAU GETÖTET – DREI JAHRE HAFT FÜR CHEMNITZER, 2000). 299 Nr. Datum Beschreibung 6 Januar 1999 „In Hamburg erdrosselte (..) ein 81jähriger Rentner seine schwerkranke Frau. Anschließend erhängte er sich auf dem Dachboden. Der 81jährige hatte die Frau über Jahre hinweg gepflegt und fühlte sich der Polizei zufolge wegen einer eigenen Erkrankung nun damit überfordert. Ein Pflegeheim sei für ihn nicht akzeptabel gewesen.“ (ZWEI ALTE MÄNNER TÖTETEN IHRE SCHWERKRANKEN EHEFRAUEN, 1999). 7 Januar 1999 „Nach Angaben des saarländischen Landeskriminalamts schlich sich der 89jährige Ehemann am Dienstagabend mit einem Gewehr unbemerkt in das Krankenzimmer seiner 88jährigen Frau in einer Alters-Klinik in Mettlach. Dann tötete er sie mit einem Kopfschuss und schoss sich selbst in den Kopf. Dabei erlitt er lebensgefährliche Verletzungen.“ (ZWEI ALTE MÄNNER TÖTETEN IHRE SCHWERKRANKEN EHEFRAUEN, 1999). B: Tötungsfälle ohne erkennbaren ´ altruistischen´ Hintergrund 8 Februar 2001 Ein 69jähriger Mann aus Untereisesheim wird wegen Totschlagsverdachts in Untersuchungshaft genommen. Bei seiner einige Tage zuvor in der gemeinsamen Wohnung verstorbenen 65jährigen Ehefrau waren innere Verletzungen, Knochenbrüche und Blutergüsse festgestellt worden. „Das Paar war über 40 Jahre verheiratet. Seit Jahren soll der Mann, so die Erkenntnisse der Polizei, seine Frau immer wieder körperlich und seelisch misshandelt haben.“ (TOTSCHLAG IN UNTEREISESHEIM?, 2001). Rund zweieinhalb Monate später erhebt die Staatsanwaltschaft Heilbronn Anlage wegen Totschlags; der Mann, der die Tat bestreitet, wird beschuldigt, seine Frau so mit Faustschlägen traktiert zu haben, dass sie an den Verletzungen starb (TOD DER FRAU VERSCHULDET?, 2001). 9 Februar 2001: Vor dem LG Lübeck beginnt ein Strafprozess gegen einen 63jährigen Rentner. Er wird beschuldigt, im Juli 2000 in einer Ferienwohnung seine 71jährige Frau und seinen 25jährigen behinderten Sohn getötet haben, um eine rund 30 Jahre jüngere Frau heiraten zu können. Der Angeklagte bestreitet die Tat (SIERKSDORFER DOPPELMORD: ANGEKLAGTER BESTREITET TAT, 2001). 10 August 2000 In Düsseldorf tötet ein 79jähriger Mann sich durch eine selbst herbeigeführte Gasexplosion; er steht im Verdacht, im August 1999 seine damals 73-jährige krebskranke Ehefrau getötet zu haben (RENTNER JAGTE HAUS SELBST IN DIE LUFT, 2000). 11 Juli 2000 Vor dem Landgericht München ist eine 62-jährige Rentnerin angeklagt „nach 21-jährigem Ehemartyrium ihren trunksüchtigen und gewalttätigen [acht Jahre älteren] Mann mit einer langen Unterhose erdrosselt“ zu haben (MIT UNTERHOSE ERDROSSELT, 2000). 12 März 1995 300 Ein 97jähriger Mann tötet in Berlin-Spandau seine 84jährige Ehefrau mit einem Kopfschuss aus einer Pistole. Motiv und Tathergang bleiben zunächst unklar (HASSELMANN, 1995). Fallgruppe III: Häusliche Viktimisierung älterer Menschen durch MitarbeiterInnen ambulanter Dienste In Tabelle Exkurs/3 sind schließlich einige Fälle der Viktimisierung älterer, pflege- und unterstützungsbedürftiger älterer Menschen durch ambulante Pflege- und Hilfsdienste aufgeführt. In die Übersicht wurden 187 nicht nur Tötungsdelikte , sondern auch andere unter einen weiten Gewaltbegriff subsumierbare Verhaltensmuster, schließlich auch Eigentums- und Vermögensdelikte aufgenommen. Entsprechend breit ist die Palette der Tatbegehungsweisen und der Entstehungsbedingungen und Motive der Delikte. Handelt es sich bei den Fällen 1, 3, 7 und 8 um klassische Eigentumsdelikte, begangen an einer besonders wehr- und hilflosen Personengruppe und unter Ausnutzung eines Vertrauensverhältnisses und des mit der dienstlichen Aufgabe verbundenen Rechtes, die Wohnung des Opfers zu betreten, so deuten die Fälle 4, 5 und 6, mit einiger Wahrscheinlichkeit auch der Fall Nr. 2 vor allem auf mangelnde Professionalität in der Pflege alter Menschen bzw. in der Leitung und Organisation eines Pflegedienstes hin. Tabelle Exkurs/3: Nr. Datum Fallbeispiele der häuslichen Viktimisierung älterer Menschen durch MitarbeiterInnen ambulanter Dienste (Quelle: Presseberichterstattung) Beschreibung A: Tötungsdelikte 1 Juni 2001 Ein im Mai 2001 wegen Unterschlagung entlassener Mitarbeiter eines ambulanten Pflegedienstes in Bremerhaven gesteht, innerhalb kurzer Zeit fünf Frauen zwischen 80 und 90 Jahren, die er zuvor als Mitarbeiter des Pflegedienstes betreut hatte, in ihren Wohnungen ermordet und beraubt zu haben. Von dem Geld soll der Mann u.a. Kontakte zu einer Prostituierten finanziert haben. Außerdem sei er verschuldet. Die Polizei beziffert den Wert der bei den Raubmorden erzielten Beute auf weniger als 10.000 DM (vgl. u.a. DAS LETZTE OPFER BEWUSST GESCHONT?, 2001; MORDSERIE – WIE VIELE OPFER WAREN ES WIRKLICH?, 2001; SERIENTÄTER: NOCH MEHR MORDE?, 2001; TODESFÄLLE ALTER FRAUEN WERDEN ÜBERPRÜFT, 2001). Das Bekanntwerden der Serientötung löst eine Diskussion über unentdeckte Tötungsdelikte und über die Obduktionspraxis in Deutschland aus (vgl. u.a. HARBORT, 2001; TREICHEL, 2001). 187 Fälle der Tötung durch ambulante PflegerInnen sind auch beschrieben bei KÄFERSTEIN, MADEA & STICHT (1996) und RÜCKERT (2000). 301 Nr. Datum Beschreibung 2 Mai 1999 Die Polizei in Kassel ermittelt gegen zwei zum mutmaßlichen Tatzeitpunkt bei einem ambulanten Dienst beschäftigte Pflegekräfte wegen des Verdachtes der fahrlässigen Tötung. Sie sollen bei einem Wannenbad eine 87jährige Frau so verbrüht haben, dass sie an den Folgen der Verletzungen starb. Die StA Kassel erhebt später Anklage wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung (NACH TOD EINER 87JÄHRIGEN PFLEGE-AUFSICHT GEFORDERT, 1999; RIEDEL, 1999). 3 Juli 1998 Das Landgericht München II verurteilt eine 44jährige Frau wegen Raubmordes zu lebenslanger Haft. Die depressive und tablettenabhängige Täterin „hatte ihren Sozialhilfesatz mit dem Ausfahren von Essen an alte Menschen aufgebessert“. Zu ihren Kundinnen gehörte die 85jährige Frau, die sie mit einem Kissen erstickte (KRUG, 1998). B: Vernachlässigung, Misshandlung, Freiheitseinschränkung 4 Mai 2001 In Frankfurt a.M. lässt ein nur über eine „minimale Ausbildung“ verfügender Mitarbeiter eines ambulanten Pflegedienstes eine von ihm gepflegte 84jährige Frau in ihrer Wohnung an einem Freitag in hilfloser Lage zurück. Sie wird erst am Montag mit Austrocknungserscheinungen und frisch aufgebrochenen Druckgeschwüren gefunden. Im Mai 2001 verurteilt das Schöffengericht in Frankfurt den Mann wegen Aussetzens einer hilflosen Person und Körperverletzung zu einer – auf Bewährung ausgesetzten – Freiheitsstrafe von 18 Monaten (LEPPERT, 2001). 5 April 2001 6 Dezem- In Mecklenburg-Vorpommern wird eine 77jährige Frau nach eiber 2000 nem Umzug in eine neue Wohnung von einer Mitarbeiterin des sie betreuenden ambulanten Pflegedienstes in der Wohnung eingeschlossen. Der Pflegedienst begründet dies mit dem Schutzbedürfnis der Frau; sie verfüge zudem über einen Schlüssel. Ein Bekannter berichtet, sie sei unfähig gewesen, ihm die Tür von innen zu öffnen („ALTE FRAU WURDE EINGESPERRT“, 2000). Das Amtsgericht Frankfurt verwarnt eine 47jährige DiplomPsychologin und Leiterin eines ambulanten Pflegedienstes. Eine 22-jährige Pflegeschülerin hatte im Sommer 2000 beobachtet, wie die Angeklagte einer 95jährigen Frau mit der Hand auf den Kopf schlug. Die Psychologin wird zugleich wegen Betruges zu einer Geldstrafe von DM 2000 verurteilt, weil sie u.a. den Arbeitgeberbetrag für eine Beschäftigte nicht an die Krankenkasse abgeführt und Gehaltszahlungen nicht geleistet hatte (CHEFIN SCHLUG VERWIRRTE PATIENTIN, 2001). C: Eigentums- und Vermögensdelikte 7 302 Januar 2001 In der Rhön wird eine Mitarbeiterin eines ambulanten Pflegedienstes von der Polizei überführt, einen blinden 92-jährigen Rentner dreimal bestohlen und dabei DM 600 entwendet zu haben. Die Frau räumt zugleich ein, auch Kolleginnen in mehreren Fällen um insgesamt 800 DM bestohlen zu haben (BLINDEN RENTNER BESTOHLEN, 2001). Nr. 8 Datum Beschreibung Septem- In Haßfurt werden zwei Mitarbeiter eines ambulanten Pflegeber 1999 dienstes (eine Praktikantin, ein Zivildienstleistender) mit Hilfe von der Polizei gekennzeichneter Banknoten überführt, einem 90jährigen Mann, den sie mehrmals täglich im Rahmen häuslicher Pflegemaßnahmen aufsuchten, um mindestens 400 DM bestohlen zu haben. Die Tatverdächtigen sind geständig (VERTRAUENSVERHÄLTNIS WURDE ÜBEL AUSGENUTZT, 1999). Dieser kurze und nicht repräsentative Blick auf Fälle der Nahraumgewalt gegen Ältere, wie sie in der Presseberichterstattung vorzufinden sind, verdeutlicht u.a., dass es durchaus schwerwiegende, bis zur Tötung reichende Formen der Gewalt gegen Ältere gibt, dass selbst innerhalb der Gruppe der Tötungsdelikte die Tatursachen und die Beweggründe der TäterInnen heterogen und komplex sind, dass bei weitem nicht alle Gewalthandlungen sich innerhalb von Pflegebeziehungen oder im Kontext von Pflegebedürftigkeit ereignen, dass pflegerische Überlastung eine von vielen Tatursachen ist, dass schließlich sowohl Gewalt- als auch Eigentums- und Vermögensdelikte auch von Personen begangen werden, die im Haushalt der Opfer ambulante Pflege-, Hilfsund Betreuungsdienste verrichten. Dieses Bild stützt die in der vorliegenden Arbeit vertretene These, dass Hilfeangebote für von Gewalt bedrohte und betroffene ältere Menschen – wie auch immer diese Angebote organisiert und wo sie institutionell angebunden sind – sich auf eine Vielfalt von Erscheinungsformen und Ursachen einstellen und entsprechend differenzierte Angebote machen sollten. Hilfen zur Entlastung pflegender Angehöriger und Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen häuslicher Pflege können (auch) gewaltpräventiv wirken, umfassende Gewaltprävention kann sich aber nicht darin erschöpfen. 6.2.3 Beratungsevaluation 6.2.3.1 Ziele Schwerpunkte im Rahmen der summativen Evaluation des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ waren die Einzelfalldokumentation und –analyse und die Beratungsevaluation, die sich in ihren Zielsetzungen an der Zufriedenheit von KlientInnen und BeraterInnen mit durchgeführten Präventions- und Interventionsmaßnahmen, der Übereinstimmung von KlientInnenbedürfnissen und Programmele303 menten und den kurz- und mittelfristigen Folgen von Maßnahmen orientierte. Eine repräsentative Auswahl bearbeiteter Fälle sollte einer intensiveren Analyse unterzogen werden. Solche Fallstudien eignen sich, wenn – wie hier – die zu erwartenden Effekte einer Maßnahme komplex sind und mit ungeplanten Nebeneffekten gerechnet werden muss (zur Validität derartiger Studien vgl. BORTZ & DÖRING, 1995, S.107; zu Fallanalysen vgl. z.B. HAMEL, 1993; EISENHARDT, 1989; RAGIN & BECKER, 1992; STAKE, 1995; YIN, 1989; 1993). Die Analysen sollten vor allem zur Erhellung folgender Fragenkomplexe beitragen: Welches sind die kurz- und mittelfristigen Effekte der ergriffenen Präventions- und Interventionsmaßnahmen? Welche dieser Effekte waren geplant? Welche traten ungeplant auf? • Inwieweit erreichen die MitarbeiterInnen die Ziele, die sie mit ihren Aktivitäten verfolgen? Wie bewerten sie ihre Fallarbeit? • Inwieweit werden die Aktivitäten des Teams oder auch der Arbeitsstil einzelner MitarbeiterInnen den Interessen und Bedürfnissen der KlientInnen bzw. AdressatInnen gerecht? • Welche wesentlichen Probleme stehen einer erfolgreichen Fallbearbeitung entgegen? Welche Ressourcen werden zu ihrer Bewältigung genutzt? Welche Voraussetzungen auf der Ebene der Person, des Projekts, des lokalen oder gesellschaftlichen Handlungskontextes sind vorhanden; welche müssten geschaffen oder verändert werden? • Entsprechend sah das Angebot des Instituts für Kriminologie an der Universität Gießen neben der ausführlichen Dokumentation der Beratungsarbeit eine intensive Analyse einer repräsentativen Auswahl bearbeiteter Fälle vor. Der ursprünglichen Planung zufolge sollten pro Stadtteil in drei Erhebungsphasen jeweils fünf von den Teammitgliedern bearbeitete Fälle intensiv mittels face-to-face-Interviews und telephonischer Befragung analysiert werden. Befragt werden sollten jeweils die beratenden SozialarbeiterInnen, TeamkollegInnen, die KlientInnen sowie Personen aus dem sozialen Umfeld der KlientInnen, pro Fall etwa sechs Befragungspersonen. Nach ca. einem Monat sollte dann eine telefonische Nachbefragung der KlientInnen bzw. AdressatInnen erfolgen. Im Rahmen der Beratungsarbeit des Notruftelefons sah das Evaluationskonzept vor, in drei Wellen eine begrenzte Anzahl von KlientInnen zu ihren Erfahrungen mit der Beratung zu befragen. Zu diesem Zweck sollten die MitarbeiterInnen des Modellprojekts bei Einwilligung der KlientInnen diese vier Wochen nach der Beratung sowie bei den fol- 304 genden Wellen telefonisch mittels eines weitgehend standardisierten Instruments interviewen. Es wurde eine Stichprobengröße von 150 Fällen (d.h. pro Welle 50) angestrebt. Das beschriebene Forschungskonzept ging zum Teil von Annahmen aus, die sich in der Praxis der Projektimplementation und -durchführung als nicht zutreffend erwiesen. Diese Annahmen betrafen die 188 Organisation der Beratung und die Anzahl der Fälle . Das Konzept ging – unter anderem aufgrund der Vorinformationen durch die Ausschreibung – von einer stark dezentralisierten (rein stadtteilbezogenen) Beratung mehrköpfiger Beratungsteams aus – mit einem entsprechend umfangreichen Beratungsaufkommen. Tatsächlich war jedem der drei Stadtteile nur ein Teil der Arbeitskapazität einer vollen Stelle bzw. von zwei halben Stellen zugeordnet. Es zeigte sich, dass die Beratungsarbeit in erster Linie ein zentrales Angebot des Modellprojekts war. Die Sprechzeiten der MitarbeiterInnen im Stadtteil wurden wenig genutzt. Eine primär stadtteilbezogene – und damit mitarbeiterInnenbezogene – Beratungsevaluation sollte also vernünftigerweise durch eine zentrale Evaluation der Beratungsarbeit ersetzt werden. Auch wurde deutlich, dass die beiden Beratungsarten – das anonyme Beratungsangebot des Krisen- und Beratungstelefons und die allgemeine Beratung des Modellprojekts – eng miteinander verknüpft waren, da KlientInnen, die sich zunächst an das anonyme Krisen- und Beratungstelefon wandten, bei umfangreicherem Beratungsbedarf im Rahmen der allgemeinen Beratung unterstützt wurden. Es empfahl sich daher, die Evaluation der beiden Beratungsbereiche aufeinander zu beziehen (s.a. GÖRGEN, KREUZER, NÄGELE & KRAUSE, 1999b, Kap. 2.1, S. 7ff). 6.2.3.2 Methoden und Durchführung der Beratungsevaluation Im Rahmen der Evaluation der Beratungsarbeit des Modellprojekts wurden nach Modifikation des ursprünglichen Konzepts folgende Instrumente und Methoden eingesetzt: teilstandardisierte Beratungsevaluationsbögen für BeraterInnen (BFB) und KlientInnnen (KFB) • vertiefende qualitative Interviews mit Fallbeteiligten • teilnehmende Beobachtungen der MitarbeiterInnen der Begleitforschung an face-to-face-Beratungen. • 188 Die tatsächliche Nutzung eines neuen, modellhaften Beratungsangebots lässt sich kaum zuverlässig prognostizieren (vgl. SKELLY, 1997). 305 Auch die Entwicklung der Fallzahlen der Beratungsarbeit des Modellprojekts in den ersten 18 Monaten legte eine Modifikation des Evaluationskonzepts nahe. Im Zeitraum vom 01.03.1998 bis 30.09.1999 war in ca. 100 Fällen Beratungsarbeit (außerhalb des Krisen- und Beratungstelefons) durch das Projekt geleistet worden. In vielen dieser Fälle fanden nur einmalige kurze Beratungskontakte statt. Bei einmaligen kurzen, z.T. telefonischen Beratungskontakten erschien eine ausführliche persönliche Befragung der KlientInnen und des Umfelds im Verhältnis zu Dauer und Inhalt des Beratungskontakts unangemessen. Aufgrund des Umstandes, dass einerseits eine ausführliche fallbezogene Evaluation (mittels Interviews) in vielen Fällen nicht adäquat und die Bereitschaft der KlientInnen und insbesondere des Umfelds zur Teilnahme an Interviews in solchen Fällen eher fraglich gewesen wären, andererseits auch bei den zahlreichen kurzen Beratungskontakten eine Evaluation wichtig erschien, wurde das Untersuchungskonzept in einer Weise angepasst, die der Analyse ausgewählter Einzelfälle weniger Raum bot und die umfassende Dokumentation und Evaluation aller von dem Modellprojekt bearbeiteten Beratungsfälle in den Mittelpunkt rückte. Wichtige Kennzeichen des modifizierten Forschungskonzeptes seien im Folgenden kurz skizziert: • Weitgehend standardisierte Befragungsinstrumente, angelehnt an das Selbstbeurteilungsverfahren „Stundenbeurteilung (SB)“ von 189 SCHINDLER, HOHENBERGER-SIEBER und HAHLWEG (1990), wurden zur Erfassung von Beratungseffekten sowohl im Rahmen des Krisenund Beratungstelefons als auch im Rahmen der allgemeinen Beratung eingesetzt. Der Stundenbeurteilungsbogen enthält in seiner ursprünglichen Form 20 Items mit einer vierstufigen Skala, eine Prozentskala zur Erfassung einer „globalen Beratungszufriedenheit“ und drei offene Fragen. Den Testautoren zufolge kann eine Auswertung auf Itemebene erfolgen (vgl. SCHINDLER, HOHENBERGER-SIEBER & HAHLWEG, 1990, S.331). In der für die Beratung des Modellprojekts modifizierten Version enthält der Nachbefragungsbogen für BeraterInnen 19 Items mit einer vierstufigen Antwortskala („stimmt gar nicht“ bis „stimmt voll und ganz“) zu Aspekten des Erlebens und Verhaltens in der Beratung, zwei als Prozentskalen konzipierte summarische Zufriedenheitsratings (Selbst- und Fremdrating), drei weitere Items mit einer fünfstufigen Antwortskala zur persönlichen Situation der/des Klientin/en (vor und nach der Beratung) sowie zu Veränderungen durch die Beratung. Die KlientInnenversion enthält 189 Dieses Verfahren diente auch als Vorlage der Beratungsevaluation in der vom BMFSFJ in Auftrag gegebenen Untersuchung der Vorgehensweisen in der Ehe-, Familien- und Lebensberatung und ihrer Auswirkungen von KLANN und HAHLWEG (1994, S. 66f.). 306 190 • • • • • 17 Items zu Aspekten des Erlebens und Verhaltens in der Beratung, eine Prozentskala zur Zufriedenheit und ebenfalls drei Items 191 zur persönlichen Situation und deren Veränderungen . Ferner enthalten beide Nachbefragungsbögen offene Fragen zur Problemkonstellation, zu förderlichen und hinderlichen Ereignissen innerhalb und außerhalb der Beratung sowie zur aktuellen Situation der/des Klientin/en. Im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons sollten sämtliche Be192 ratungskontakte evaluiert werden ; im Rahmen der allgemeinen Beratung sollten zunächst alle Fälle evaluiert werden, bei denen eine Gewaltproblematik (im Sinne des an DIECK, 1987, angelehnten Gewaltverständnisses des Modellprojekts) vorlag. Nach kurzer Zeit wurden auch Fälle mit anderer Problematik in die Evaluation einbezogen, da deutlich wurde, dass diese eine quantitativ bedeutsame Untergruppe der KlientInnen der allgemeinen Beratung darstellten. Die Evaluation sollte jeweils unmittelbar nach Abschluss des Beratungsprozesses in Angriff genommen werden. Die teilstandardisierte Beratungsevaluationsbögen in parallelisierten Versionen für BeraterInnen (BFB) und KlientInnen (KFB) sollten eine Erfassung der Effekte der Beratung aus beiden Perspektiven und einen Profilvergleich ermöglichen. Die Befragungsinstrumente konnten schriftlich und telefonisch zum Einsatz kommen; den KlientInnen sollten immer beide Beantwortungsmodi zur Auswahl freigestellt werden. Die telefonische Erhebung sollte insbesondere KlientInnen, die aufgrund von Einschränkungen Schwierigkeiten mit einer schriftlichen Beantwortung haben, als Alternative zur Verfügung gestellt werden. 193 Jeder Beratungsfall sollte aus BeraterInnensicht evaluiert werden . Die MitarbeiterInnen sollten mit dem Hinweis auf die Bedeutung und die Anonymität der Befragung versuchen, möglichst viele KlientInnen zum Ausfüllen der Evaluationsbögen zu motivieren. Dieses Vorgehen eröffnete Vergleichsmöglichkeiten zwischen der allgemeinen Beratungsarbeit des Projekts und der Arbeit des Beratungstelefons sowie zwischen der Perspektive der KlientInnen und derjenigen der BeraterInnen. Die relative Homogenität des Vorgehens sowie die enge personelle Verknüpfung (auf Seiten der Beratenden wie der Klien- 190 Diese 17 Items werden analog zu den entsprechenden 19 Items des BeraterInnenfragebogens (BFB) auf einer vierstufigen Antwortskala erfasst. 191 Diese drei Items werden analog zum BFB auf einer fünfstufigen Skala von den KlientInnen beurteilt. 192 Lediglich sehr kurze Anfragen und eindeutige Fehlanrufe sollten nicht evaluiert, gleichwohl aber dokumentiert werden. 193 Auch hier waren wiederum sehr kurze Beratungskontakte und Fehlanrufe ausgenommen. 307 tInnen) der beiden Beratungsformen machten den Einsatz weitgehend parallelisierter Instrumente möglich und sinnvoll. In Fällen persönlicher Beratung sollten die BeraterInnen den KlientInnen am mutmaßlichen Ende eines Beratungskontakts den Bogen mit der Bitte um Beantwortung übergeben bzw. zuschicken. Bei telefonischer Beratung fragten die MitarbeiterInnen die Anrufenden nach ihrer Bereitschaft, an einer Evaluation teilzunehmen und sandten – je nach Präferenz der KlientInnen – entweder einen Evaluationsbogen postalisch zu, gaben die Telefonnummer der wissenschaftlichen Begleitung an oder boten an, dass die wissenschaftliche Begleitung die KlientInnen anruft und den Bogen telefonisch abfragt. Die – Akzeptanz und Inanspruchnahme sicherlich fördernde – Anonymität des Beratungsangebots erschwerte hier den Forschungszugang. Die Instrumente zur Evaluation der Beratungsarbeit des Modellprojekts waren ab Anfang Juni 1999 im Einsatz. Im Verlauf der Zeit wurde verschiedene Modifikationen vorgenommen, um Quantität und Qualität der Beratungsevaluation in Form der teilstandardisierten Bögen zu verbessern. Geringe Rücklaufquoten der KlientInnenbögen führten zu regelmäßigen Nachfassaktionen – diese waren natürlich primär bei den Fällen der allgemeinen Beratung möglich und auch hier nicht in allen Fällen – zur Erhöhung der Quote der Bögen der KlientInnen. Qualitative Interviews mit Fallbeteiligten Zusätzlich zur halbstandardisierten Befragung sollte eine ausführliche Fallevaluation der Beratungsarbeit außerhalb des Krisen- und Beratungstelefons mit qualitativen Interviews durchgeführt werden. Bis zur Erreichung eines Samples von 20 Fällen in insgesamt drei Erhebungszeiträumen sollten alle KlientInnen beim voraussichtlich letzten Beratungsgespräch (telefonisch und persönlich) von den BeraterInnen auf das Interesse der wissenschaftlichen Begleitung an einem Interview hingewiesen werden. Ein Fall sollte aus möglichst vielen Perspektiven erfasst und dokumentiert werden; dies konnte bedeuten, direkt von Gewalt Betroffene, beobachtende Dritte, die BeraterInnen, andere involvierte Professionelle aus dem psychosozialen oder medizinischen Sektor und/oder andere Personen aus dem sozialen Umfeld der Betroffenen zu befragen. Es bot sich in Gesprächen mit den KlientInnen – als direkt von Gewalt Betroffenen (Opfer wie TäterIn) – die Kombination von problemzentriertem (WITZEL, 1982) und narrativem Interview (SCHÜTZE, 1977) an, da die Beratungsevaluation die Relevanz der Beratung durch das Modellprojekt 308 im Gesamtzusammenhang einer problematischen biographischen Phase explorieren sollte. Demgegenüber war eine stärkere Fokussierung auf das Problem, seine Genese und den Beratungsprozess schon in der Anlage der Interviewleitfäden bei der Befragtengruppe der BeraterInnen und der Professionellen und anderen Dritten zu berücksichtigen – ein stärker strukturiertes Interview bot sich hier an. Teilnehmende Beobachtung bei Beratungsgesprächen Die geringen Rücklaufquoten der Beratungsevaluationsbögen der KlientInnen und die Schwierigkeit, qualitative Interviews durchzuführen, führten zu dem Entschluss, die Datenerhebung durch teilnehmende Beobachtung von Beratungsgesprächen durch Mitarbeiterinnen der Begleitforschung zu ergänzen. Für die teilnehmende Beobachtung der Begleitforschung an Beratungsgesprächen war selbstverständlich das Einverständnis der/des Klientin/en unabdingbare Voraussetzung. Für die Datenerhebung im Rahmen der Beratungsevaluation erwies es sich als problematisch, dass die wissenschaftliche Begleitung keine direkten Möglichkeiten der Ansprache von KlientInnen hatte und auf die Vermittlung und Mitarbeit der ProjektmitarbeiterInnen angewiesen war. Angesichts der strukturell vorgegebenen Trennung von Modellprojekt und wissenschaftlicher Begleitung sowie der grundsätzlichen Anonymität und Vertraulichkeit der Beratung waren daraus erwachsende Dateneinbußen kaum vermeidbar und mögliche Selektionen durch die BeraterInnen nicht auszuschließen und nicht kontrollierbar. Es wurde im Verlaufe des Modellprojekts immer wieder deutlich, dass die BeraterInnen der Evaluation mit einer gewissen Skepsis gegenüberstanden, wenn auch grundsätzlich die Einsicht in die Notwendigkeit und Unterstützung der Beratungsevaluation betont wurde. Es wurde der Einwand erhoben, dass die Erhebung die KlientInnen belaste und damit die Beratungsbeziehung beeinträchtigt werden könnte, dass es sich um vielschichtige Einzelfälle und individuelle Beratungsprozesse handele, die kaum zu standardisieren seien und dass Falldokumentation und Beratungsevaluation enorme zeitliche Belastungen innerhalb der Arbeitszeit darstellten. Ähnliche Vorbehalte finden sich auch in anderen beratungsbegleitenden Studien (vgl. z.B. KLANN & HAHLWEG, 1994). 309 6.2.3.3 Ergebnisse der Beratungsevaluation 6.2.3.3.1 Teilstandardisierte Beratungsevaluationsbögen für BeraterInnen und KlientInnen (BFB und KFB) Grundsätzliche Probleme bei der Auswertung der Nachbefragungsbögen bereiten die sehr geringe (Rücklauf-)quote von KlientInnenbögen und die teilweise unvollständigen Datensätze und stereotypen Antwortmuster der BeraterInnen. Die Auswertung und die Ergebnisdarstellung konnten somit primär auf einer deskriptiven Ebene erfolgen. Insgesamt liegen der Begleitforschung 175 Evaluationsbögen vor, 153 Bögen geben Einschätzungen der Beratung aus der Perspektive der BeraterInnen (BFB) und 22 aus jener der KlientInnen (KFB) ab. Die 153 194 Bögen der BeraterInnen beziehen sich auf 140 Fälle und wurden in der Mehrzahl nach Beendigung des Beratungsprozesses bearbeitet: Für insgesamt 118 Beratungsfälle liegen somit nur BeraterInnenbögen und für insgesamt 22 Beratungsfälle liegen retrospektive Einschätzungen der BeraterInnen wie der KlientInnen vor. Die BeraterInnen beantworteten in 40,9% der von ihnen durchgeführten Beratungen einen Bogen (in 140 von insgesamt 342 Beratungsfällen). Von den KlientInnen liegt lediglich in 15,7% der Fälle, in denen die BeraterInnen selbst einen Bogen beantworteten ein Evaluationsbogen vor (vgl. Tabelle 6.2.3.3.1). In der folgenden Ergebnisdarstellung wird pro Fall jeweils der aktuellste BeraterInnenbogen einbezogen (N=140). 81 BeraterInnenbögen beziehen sich auf rein telefonische Beratungen, davon enthalten 73 Bögen Angaben zu Beratungen im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons, zwei zu Beratungen im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons mit einer weiteren telefonischen Beratung außerhalb des Krisenund Beratungstelefons und sechs zu telefonischen Beratungen im Rahmen der allgemeinen Beratung. In 58 Fällen beziehen sich die Bö195 gen auf Beratungen, bei denen es zu persönlichen Kontakten zwi196 schen KlientIn und BeraterIn kam. Informationen der BeraterInnen über die Verteilung der KlientInnenbögen liegen in 104 der 140 Fälle vor (74,3%): In 48 Fällen haben die KlientInnen den Evaluationsbogen er194 In einigen Beratungsfällen liegen mehrere Bögen von BeraterInnen vor, da z.B. zunächst eine Beratung im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons im Alter, später dann ein Übergang in eine weitere persönliche Beratung mit oder ohne Wechsel der/des Beraterin/s erfolgte oder eine Wiederaufnahme der Beratung nach einem längeren Zeitraum stattfand. 195 Persönlich ist hier im Sinne von face-to-face-Kontakten zu verstehen, da telefonische Kontakte selbstverständlich auch persönliche sind. 196 In einem Beratungssetting gab es keine direkten Kontakte zwischen Beraterin und der in diesem Fall direkt betroffenen Person, da in dieser Konstellation Dritte, hier Professionelle, die bei der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeiten Kenntnis von einem Fall hatten, die Beratung in Anspruch genommen haben. 310 197 halten , in 12 Fällen wollten die KlientInnen telefonischen Kontakt zu den Mitarbeiterinnen der Begleitforschung aufnehmen (8,6%), eindeutige Ablehnungen von Seiten der KlientInnen gab es in 12 Fällen (8,6%), und in 32 Fällen (22,9%) war nach Einschätzung der BeraterInnen die Beantwortung eines Bogens nicht realisierbar (z.B. Kontaktabbruch, intellektuelle Überforderung, keine Anschrift) bzw. wurden die Klienten von den Beratenden nicht auf die Evaluationsthematik angesprochen. Bei der geringen Anzahl vorliegender KlientInnenbögen ist zu berücksichtigen, dass diese nicht primär durch eine hohe Ablehnungsquote bedingt ist, sondern in 22,9% der Fälle eine Beantwortung durch die/den Klientin/en nach Angabe der BeraterInnen nicht möglich war und in 25,7% der Fälle keine Angaben über den Verbleib der Bögen vorliegen. In Tabelle 6.2.3.3/1 sind die gemeinsamen Häufigkeiten zwischen „Information über den KlientInnenbogen“ und „Vorliegen des KlientInnenbogens“ dargestellt. Tabelle 6.2.3.3/1: Beratungsevaluation durch KlientInnen in Abhängigkeit von Rekrutierungsmodalitäten Information über Verbleib des KFB durch BeraterIn keine Angabe Bogen erhalten198 KlientIn will MA der Begleitforschung anrufen Beantwortung nicht möglich Ablehnung durch KlientIn Gesamt KlientInnenbogen (KFB) nicht vorliegend 34 (24,3%) 30 (21,4%) 10 (7,1%) vorliegend Gesamt 2 (1,4%) 18 (12,9%) 2 (1,4%) 36 (25,7%) 48 (34,3%) 12 (8,6%) 32 (22,9%) 12 (8,6%) 118 (84,3%) 22 (15,7%) 32 (22,9%) 12 (8,6%) 140 (100%) 6.2.3.3.1.1 Beratungsfälle, zu denen nur Einschätzungen der BeraterInnen vorliegen (N=118) Rahmendaten 66 dieser 118 BeraterInnenbögen beziehen sich auf telefonische Beratungen im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons (Helpline) und 52 auf Beratungen im Rahmen der allgemeinen Beratung. Die Beantwortung der Bögen erfolgte beim Krisen- und Beratungstelefon in der Regel nach einmaligen Beratungskontakten, lediglich in drei Fällen gab 197 In 11 Fällen wurde der Bogen persönlich durch die/den BeraterIn übergeben, in 26 Fällen durch die/den BeraterIn und in 11 Fällen durch die Mitarbeiterinnen der Begleitforschung zugeschickt. 198 Diese Kategorie setzt sich aus den Gruppen „übergeben durch BeraterIn“, „zugeschickt durch BeraterIn“ und „zugeschickt durch die Begleitforschung“ zusammen. 311 es einen weiteren telefonischen Kontakt zwischen BeraterIn und KlientIn am selben Tag. Die Beantwortung der Bögen erfolgte hier im Durchschnitt nach 8,68 Tagen (SD=32,26). Bei den Fällen der allgemeinen Beratung liegt die durchschnittliche Anzahl der Beratungskontakte bei 3,83 (SD=3,32): In 25% der Fälle gab es einen Kontakt, in 52,1% zwei bis fünf, in 18,8% sechs bis zehn und in 4,2% der Fälle mehr als 10 Kontakte zwischen BeraterIn und KlientIn. Die mittlere Dauer des Beratungszeitraumes liegt bei 90,46 Tagen (M=145,63). Der zeitliche Abstand zwischen letztem Kontakt und Beantwortung des Bogens beträgt bei der allgemeinen Beratung 66,29 Tage (SD=101,77). Die Beantwortung der Evaluationsbögen durch die BeraterInnen erfolgte bei den Beratungen am Krisen- und Beratungste199 lefon in wesentlich kürzeren Abständen . Bei der Interpretation der Daten ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Beratung im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons in der Regel um einmalige Kontakte handelt und dass im Rahmen der allgemeinen Beratung in vielen Fällen ein recht großer zeitlicher Abstand zwischen letztem Kontakt und retrospektiver Beurteilung der Beratung bei einer geringen durchschnittlichen Anzahl von Kontakten vorliegt. In vier der 118 Fälle, in denen nur ein BeraterInnenbogen vorliegt, konnte mit Fallbeteiligten ein Interview geführt und in zwei weiteren Fällen eine teilnehmende Beobachtung an einer Beratungssitzung durchgeführt werden. KlientInnen und Fallkonstellation 200 In 74 Fällen liegt nach Einschätzung der/des Beraterin/s eine Gewaltproblematik (z.T. in Verbindung mit anderen Problemlagen) vor, in 201 sechs weiteren Fällen ist eine eindeutige Aussage über das Vorliegen 202 einer Gewaltkonstellation nicht möglich, und in 38 Fällen handelt es sich nach Einschätzung der BeraterInnen eindeutig nicht um Gewaltkonstellationen. Die Bögen der BeraterInnen beziehen sich in 66,1% der Fälle auf Einzelklientinnen (n=78) und in 25,4% auf Einzelklienten (n=30). Das Alter 199 Die Mittelwerte des zeitlichen Abstandes zwischen letztem Beratungskontakt und Beantwortung des Bogens weisen bei den verschiedenen Beratungssettings eine signifikante Differenz auf (t=-3,814, df=55,650, p< .001). 200 In 41 Fällen im Rahmen der Beratung am Krisen- und Beratungstelefon im Alter und 33 Fällen im Rahmen der allgemeinen Beratung. 201 Drei Fälle im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons und drei Fälle im Rahmen der allgemeinen Beratung. 202 22 Fälle im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons und 16 Fälle im Rahmen der allgemeinen Beratung. 312 dieser KlientInnen beträgt bei der Helpline durchschnittlich 65,6 Jahre 203 (SD=12,69) und bei der allgemeinen Beratung 70,36 Jahre 204 (SD=16,16) . In 7,6% der Fälle bezieht sich der Bogen auf ein (Ehe-) paar (n=9) und in einem Fall auf Professionelle aus dem psychosozialen Bereich. Beurteilung des Beratungsprozesses aus der Sicht der BeraterInnen (N= 118) Bei der Betrachtung der Ergebnisse ist zu berücksichtigen, dass es sich hier um die subjektiven Beurteilungen der BeraterInnen handelt, die weder durch die Sichtweisen der KlientInnen noch mit anderen diagnostischen Methoden validiert werden können. Die einzige weitere vorliegende Datenquelle ist hier in der Regel die von den BeraterInnen erstellte Falldokumentation. Ergebnisse der Befragung mit dem Beratungsevaluationsbogen für BeraterInnen (Items BFB 1-BFB 19) In Tabelle 6.2.3.3./2 sind die Mittelwerte und Standardabweichungen der Items 1-19 des Nachbefragungsbogens für BeraterInnen (BFB) dargestellt. Die höchsten Mittelwerte – wenn auch teilweise mit ausgeprägten Varianzen – finden sich in beiden Beratungssettings bei den Items „Die Klientin/der Klient konnte in der Beratung über das sprechen, was ihr/ihm in Bezug auf ihre/seine Situation wichtig war“ (BFB 3), „Ich habe die Schwierigkeiten der Klientin/des Klienten verstanden“ (BFB 4), „Mein Vorgehen war angesichts des geschilderten Problems richtig“ (BFB 6), „Die Klientin/der Klient würde die Beratung weiter empfehlen“ (BFB 17), „Die Klientin/der Klient würde die Beratung in einer ähnlichen Situation wieder in Anspruch nehmen“ (BFB 18) und „Ich habe ausreichend Zeit für die Beratung gehabt“ (BFB 19). Inhaltlich lassen sich die Items BFB 3 und BFB 4 als Ausdruck einer – aus Perspektive der Beratenden – gelungenen Interaktion zwischen KlientIn und BeraterIn interpretieren. Item BFB 6 erfasst die Beurteilung der eigenen Interventionsstrategie und Item BFB 19 die zeitliche Gestaltung der Beratung. Die Items BFB 17 und BFB 18 lassen sich inhaltlich als Indikatoren für die Einschätzung der allgemeinen Zufriedenheit der KlientInnen aus der Perspektive der BeraterInnen interpretieren. Diese 205 Annahme wird durch die bedeutsamen positiven Korrelationen dieser 203 n=48 (Minimum: 28 Jahre, Maximum: 85 Jahre). 204 n=45 (Minimum: 30 Jahre, Maximum: 95 Jahre). 205 Da auch signifikante Korrelationen klinisch wenig bedeutsam sein können, werden im Folgenden erst Korrelationen ≥.30 als bedeutsam betrachtet, die sich auf der 1%-Stufe statis- 313 zwei Items mit der summarischen Wahrnehmung der Zufriedenheit der 206 KlientInnen durch die Beratenden (BFB 21) gestützt . Relativ niedrige Mittelwerte weisen die Items „Die Beratung hat zur Lösung der Probleme der/des Klientin/en beigetragen“ (BFB 9), „Die/der KlientIn ist nach der Beratung imstande, dort thematisierte Schwierigkeiten zu überwinden“ (BFB 10), „Ich sehe der Entwicklung der/des Klientin/en in Bezug auf die in der Beratung bearbeiteten Schwierigkeiten zuversichtlich entgegen“ (BFB 12), „Die/der KlientIn sieht den kommenden Zeiten, was ihre/seine Situation betrifft zuversichtlich entgegen“ (BFB 13) und vor allem das Item „Das Problem der/des Klientin/en konnte gelöst werden“ (BFB 16) auf. Diese fünf Items lassen sich inhalt207 lich als Aspekte der Dimension „Problemlösung“ zusammenfassen. Die Beratenden bewerten ihr eigenes Handeln in der Beratung insgesamt positiv und nehmen bei den KlientInnen eine Zufriedenheit mit der Beratung wahr, gleichwohl wird der in der Beratung erreichte Grad der Problemlösung eher kritisch eingeschätzt. Dieser zunächst widersprüchlich erscheinende Befund kann mit der Einschätzung der grundsätzlichen Veränderbarkeit der in Beratungsprozessen im Rahmen des Modellprojekts angetroffenen Problemlagen zusammenhängen. Nach Einschätzung der Beratenden war in einigen Fällen eine Begleitung und Unterstützung der KlientInnen notwendig, ohne dass konkrete Lösungen der Problematiken möglich waren (vgl. hierzu Kapitel 6.2.1). tisch sichern lassen. Bei einer Korrelation von .30 werden etwa 10% der gemeinsamen Varianz aufgeklärt. 206 Die Korrelationen der Items BFB 17 und BFB 18 mit dem Item 21 „Hypothetische Zufriedenheit der/des Klientin/en sind auf dem Niveau von p<.001 signifikant (zweiseitig): r(BFB 17, BFB =.691*** (N=87), r (BFB 18, BFB 21)=.710*** (N=86). 21) 207 Bei einer Hauptkomponentenanalyse mit Varimaxrotation über die 19 BFB-Items wurden drei Faktoren mit Eigenwerten >1 extrahiert, die 68,9% der Itemgesamtvarianz aufklären. Die drei Faktoren lassen sich als „durch Beratung erreichte Problemlösung“ (hier laden die Items 7, 8, 9, 10, 12, 13 und 16 hoch und relativ eindeutig), „Zufriedenheit der KlientInnen“ (Items 17 und 18) und „Input von KlientInnenseite“ (Items 1 und 3) interpretieren. 314 Tabelle 6.2.3.3/2: Beurteilung des Beratungsverlaufs durch BeraterInnen. Mittelwerte und Standardabweichungen der Items 1-19 der Evaluationsbögen der Beratungsfälle, zu denen nur BeraterInnenbögen vorliegen (N=118, Skalenbereich von 1 = „gar nicht“ bis 4 = „voll und ganz“) BFB 1 Die Klientin/der Klient wusste vorher, was sie/er von der Beratung wollte. 2 Ich konnte in der Beratung das behandeln, was mir hinsichtlich der geschilderten Situation wichtig war. 3 Die Klientin/der Klient konnte in der Beratung über das sprechen, was ihr/ihm in Bezug auf ihre/seine Situation wichtig war. 4 Ich habe die Schwierigkeiten der Klientin/des Klienten verstanden. 5 Ich konnte der Klientin/dem Klienten hilfreiche Informationen geben. 6 Mein Vorgehen war angesichts des geschilderten Problems richtig. 7 Die Klientin/der Klient versteht ihre/seine Situation jetzt. 8 Die Klientin/der Klient weiß jetzt, wie sie/er ihr(e)/sein(e) Problem/Situation verändern kann. 9 Die Beratung hat zur Lösung der Probleme der Klientin/des Klienten beigetragen. 10 Die Klientin /der Klient ist nach der Beratung imstande, dort thematisierte Schwierigkeiten zu überwinden. 11 Die Klientin /der Klient fühlt sich durch die Beratung erleichtert. 12 Ich sehe der Entwicklung der Klientin/des Klienten in Bezug auf die in der Beratung bearbeiteten Schwierigkeiten zuversichtlich entgegen. 13 Die Klientin/der Klient sieht den kommenden Zeiten, was ihre/seine Situation betrifft, zuversichtlich entgegen. 14 Die Beratung hat das Selbstvertrauen der Klientin/des Klienten in Hinblick auf das dort bearbeitete Problem gestärkt. 15 Die Beratung hat die Klientin/den Klienten weitergebracht. 16 Das Problem der Klientin/des Klienten konnte gelöst werden. 17 Die Klientin/der Klient würde die Beratung weiter empfehlen. 18 Die Klientin/der Klient würde die Beratung in einer ähnlichen Situation wieder in Anspruch nehmen. 19 Ich habe ausreichend Zeit für die Beratung gehabt Helpline (N=66) allgemeine Beratung (N=52) M S 2,45 .87 (n=49) 2,96 .78 (n=50) M 2,33 (n=66) 2,79 (n=66) S .66 3,03 (n=66) .55 3,18 (n=50) .72 3,00 (n=66) 2,79 (n=66) 3,18 (n=65) 2,46 (n=63) 2,68 (n=66) .63 3,24 (n=50) 2,70 (n=50) 3,26 (n=50) 2,56 (n=48) 2,47 (n=45) .59 2,46 (n=65) 2,24 (n=59) .64 .73 .56 .59 .75 .69 .63 3,00 (n=64) 2,20 (n=61) .84 2,24 (n=55) 2,50 (n=48) 2,26 (n=42) .89 .63 .92 1.01 .92 .91 2,79 (n=48) 2,44 (n=48) .99 .67 2,33 (n=46) .92 2,69 (n=58) .65 2,51 (n=45) .89 2,74 (n=65) 1,82 (n=60) 3,10 (n=60) 3,13 (n=60) .80 2,67 (n=46) 1,89 (n=45) 2,93 (n=46) 3,06 (n=47) .90 3,00 (n=66) .70 .68 .75 .72 .86 3,26 (n=50) .94 .86 .88 .89 .75 315 Zufriedenheit der BeraterInnen mit der Beratung Summarisches Zufriedenheitsrating Die BeraterInnen sollten in einem Item jeweils die eigene Zufriedenheit und die von ihnen angenommene Zufriedenheit der KlientInnen mit der Beratung auf einer Prozentskala (0% bis 100%) summarisch einschätzen. In Tabelle 6.2.3.3/3 sind die Mittelwerte und Standardabweichungen der Zufriedenheitsratings gegenübergestellt. Weder die verschiedenen Beratungsformen noch die Selbst- und Fremdzufriedenheits208 ratings unterscheiden sich signifikant voneinander . Die Beratenden sind tendenziell mit Beratungen am Krisen- und Beratungstelefon zufriedener als mit den allgemeinen Beratungen. Des Weiteren wird die Zufriedenheit der KlientInnen bei Beratungen am Krisentelefon tendenziell höher eingeschätzt als die eigene, allerdings weisen die Fremdratings insgesamt größere Varianzen auf. Bei Betrachtung der prozentualen Verteilung der Zufriedenheitsratings für beide Beratungsformen zeigt sich, dass die BeraterInnen in 34,8% der Fälle ihre subjektive Zufriedenheit mit 80% und mehr angegeben (n=39). In 71,6% der Fälle mit Gewaltproblematik und 52,6% der Fälle mit anderen Problematiken liegt die Zufriedenheit der Beratenden nach eigener Einschätzung unter 80%. Tabelle 6.2.3.3/4 zeigt die ausgeprägten positiven Zusammenhänge zwischen subjektiver BeraterInnenzufriedenheit und wahrgenommener KlientInnenzufriedenheit: Je höher die subjektive Zufriedenheit der BeraterIn, desto höher fällt auch die angenommene Zufriedenheit der KlientIn aus. In Fällen mit Gewaltproblematik sind die BeraterInnen signifikant weniger zufrieden als bei anderen Problem2 209 konstellationen (χ =3,989, df=1, p<0,05; zweiseitig) . Über die tatsächlich erlebte subjektive KlientInnenzufriedenheit lässt sich in diesen Beratungsfällen keine Aussage machen, insofern können die Einschätzungen der KlientInnenzufriedenheit durch die BeraterInnen diese sowohl unter- als auch überschätzen. 208 Krisen- und Beratungstelefon vs. allgemeine Beratung (zweiseitig): Zufriedenheit BeraterIn (T=-,662, df=116, p=,509), Hypothetische Zufriedenheit KlientIn (T=,202, df=94, p=,840); Selbst- vs. Fremdrating (zweiseitig): Krisen- und Beratungstelefon (T=-1,804, df=53, p=.077), allgemeine Beratung (T=-,196, df=41, p=.846). 209 Die Kategorisierung zufrieden vs. unzufrieden erfolgte aufgrund des globalen Zufriedenheitsratings: Ratings ≥80% wurden der Gruppe der mit der Beratung zufriedenen BeraterInnen zugeordnet und Ratings < 80% der Gruppe der tendenziell unzufriedenen BeraterInnen. 316 Tabelle 6.2.3.3/3: Zufriedenheit der BeraterInnen und von ihnen wahrgenommene Zufriedenheit der KlientInnen mit der Beratung (Prozentskala von 0 - 100) Helpline BFB 20 „Insgesamt war ich mit der Beratung zu ... Prozent zufrieden.“ BFB 21 „Insgesamt war die Klientin/der Klient mit der Beratung zu ....Prozent zufrieden.“ Tabelle 6.2.3.3/4: M 66,97 (n=66) 70,00 (n=54) S 17,63 21,46 allgemeine Beratung M S 69,23 19,39 (n=52) 69,05 24,67 (n=42) Korrelation zwischen Zufriedenheit der Berater/Innen und von ihnen wahrgenommener Zufriedenheit der KlientInnen BFB 20 Beratungszufriedenheit BeraterIn BFB 21 Hypothetische Beratungszufriedenheit KlientIn Helpline allgemeine Beratung .723*** (n=54) .774*** (n=42) * 5%, ** = 1%, ***= 0,1% Signifikanzniveau (zweiseitig) Tabelle 6.2.3.3/5: Summarisches Zufriedenheitsrating der Berater/Innen bei Gewaltfällen und anderen Problemkonstellationen Zufriedenheit Unzufrieden (BFB 20 < 80%) Zufrieden (BFB 20≥ 80%) Gesamt Problematik aus Sicht der BeraterIn Gewaltandere problematik Problematik 53 20 (71,6%) (52,6%) 21 18 (28,4%) (47,4%) 74 38 Gesamt 73 65,2% 39 34,8% 112 100% Persönliche Situation der KlientIn und Veränderungen durch die Beratung Die Items des Fragebogens, die die persönliche Situation der KlientInnen vor (BFB 23) und nach der Beratung (BFB 24) erfragen, weisen bei beiden Beratungssettings signifikante Mittelwertsdifferenzen auf (Help- 317 line: T=-6,148, df=63, p<0,001; allgemeine Beratung: T=-6,062, df=47, p<0,001). Die BeraterInnen beurteilen die aktuelle persönliche Situation der KlientInnen sowohl nach intensiveren Beratungen im Rahmen der allgemeinen Beratung als auch nach einmaligen telefonischen HelplineBeratungskontakten als „besser“ bzw. als „verbessert“. Für beide Beratungsformen bestehen bedeutsame positive Korrelationen zwischen den Items BFB 24 und BFB 25 (Helpline: r(BFB 24, BFB 25)=.710**, zweiseitig; allgemeine Beratung: r(BFB 24, BFB 25)= .569**, zweiseitig). Bei der Frage, ob eine Veränderung der persönlichen Situation auf die Beratung zurückzuführen ist, sind die BeraterInnen im Durchschnitt etwas zurückhaltender. Es liegen jedoch zwischen der wahrgenommenen Veränderung – operationalisiert über die Differenz der Skalen BFB 24 (aktuelle Situation) und BFB 23 (vorherige Situation) – und der Skala „Veränderung durch die Beratung“ (BFB 25) bedeutsame positive Korrelationen vor. In Tabelle 6.2.3.3/6 sind die Fremdbeurteilungen der Situation der KlientIn vor und nach der Beratung dargestellt. Während die persönliche Situation vor der Beratung in 56,3% der Fälle als schlecht beurteilt wird, ist dies nach der Beratung nur noch in 18,6% der Fälle so. In 53,6% der Fälle, in denen die aktuelle persönliche Situation als eine Verbesserung im Vergleich zu vorher beurteilt wird (BFB 24 > BFB 23, n=97), führen die BeraterInnen diese Verbesserung auf die Beratung zurück: In 14,4% der Fälle „ein wenig“, in ebenfalls 14,4% der Fälle „etwa zur Hälfte“, in 23,7% der Fälle „überwiegend“ und in 1% der Fälle „voll und ganz“. Lediglich in 2 Fällen (2,1%) wird bei einer Verbesserung der Situation kein Einfluss der Beratung angenommen. In 47,3% der Fälle wird von den BeraterInnen keine Veränderung der persönlichen Situation der/des Klientin/en wahrgenommen und in zwei Fällen eine Verschlechterung. Bei der Betrachtung der wahrgenommen Veränderung der persönlichen Situation der KlientInnen – operationalisiert über das Verhältnis von BFB 24 zu BFB 23 – für die verschiedenen Fallkonstellationen zeigt sich, dass die prozentualen Anteile von positiven Veränderungen und unveränderten Situationen sich zwischen diesen grundlegenden Problemkonstellationen aus Sicht der BeraterInnen nicht unterscheiden. 318 Tabelle 6.2.3.3/6: A posteriori vorgenommene Einschätzung der Situation der KlientInnen vor und nach der Beratung und der beratungsbedingten Veränderungen durch die BeraterInnen (Skala von 1 = „sehr schlecht“ bis 6 = „sehr gut“) Helpline BFB 23 Beurteilung der persönlichen Situation der Klientin/des Klienten vor Inanspruchnahme der Beratung BFB 24 Beurteilung der persönlichen Situation der Klientin/des Klienten heute BFB 25 Veränderungen der persönlichen Situation der Klientin/des Klienten durch die Beratung Tabelle 6.2.3.3/7: allgemeine Beratung M S 2,27 .61 (n=48) M 2,45 (n=64) S .59 3,02 (n=64) .65 3,04 (n=49) .79 2,65 (n=54) .97 2,66 (n=44) .99 Korrelation zwischen a posteriori vorgenommenen Einschätzungen der Situation der KlientInnen vor und nach Inanspruchnahme der Beratung und der beratungsinduzierten Veränderungen BFB 23 Situation KlientIn vorher BFB 24 Situation KlientIn aktuell BFB 24 – BFB23 (wahrgenommene Veränderung) BFB 25 Veränderungen durch Beratung Helpline (n=54) Allgemeine Beratung .039 -.020 (n=43) .710** .569** (n=44) .643** .535** (n=43) * 5%, ** = 1%, ***= 0,1% Signifikanzniveau (zweiseitig) 319 Tabelle 6.2.3.3/8: Einschätzung der persönlichen Situation der KlientInnen vor und nach der Beratung durch die BeraterInnen nach der Beratung vor der Beratung sehr eher schlecht schlecht Sehr schlecht Eher schlecht Mittel Eher gut Sehr gut Gesamt Tabelle 6.2.3.3/9: Veränderung Unverändert BFB 23=BFB 24 Positiv BFB 24>BFB 23 Negativ BFB 23>BFB 24 Gesamt 2 2 (1,8%) 2 16 2 20 (18%) mittel 1 28 35 64 (57,1%) eher gut sehr gut 2 7 (6,3%) 11 1 56 (50,0%) 12 49 (44,0%) 25 1 112 (22,3%) (0,9%) 100% Von den BeraterInnen wahrgenommene Veränderungen der persönlichen Situation der KlientInnen bei verschiedenen Problemkonstellationen Problematik aus Sicht der BeraterIn Gewaltandere unklarer Fall problematik Problematik 32 18 3 46,4% 48,7% 50% 35 19 3 50,7% 51,4% 50% 2 2,9% 69 37 6 Gesamt 53 47,3% 57 50,9% 2 1,8% 112 100% Antworten auf offene Fragen des BeraterInnenfragebogens (BFB) Die Antworten auf offene Fragen des BFB wurden nach Kategorien geordnet. Kategorien wurden erst gebildet, wenn in mindestens einem der beiden Beratungssettings mindestens drei Nennungen vorlagen. In den folgenden Tabellen sind die absoluten Häufigkeiten abgebildet. Bei der Frage nach Ressourcen, die zu einer Problemlösung beigetragen haben, ergaben sich die in den folgenden Tabellen dargestellten Kategorien. 320 Tabelle 6.2.3.3./10: Von den BeraterInnen wahrgenommene Problemlösungsressourcen („Zu einer Problemlösung haben beigetragen...“; Mehrfachnennungen möglich) Helpline (N=66) Motivation der/des Klientin/en 19 (28,8%) Offenheit der/des Klientin/en 18 (27,3%) Klare Schilderung der Situation durch 16 (24,2%) die/den Klientin/en Gemeinsame Beratung der Problembeteiligten Unterstützung der KlientIn durch Dritte (Nachbarn, Freunde) Fachwissen der BeraterIn - Tabelle 6.2.3.3/11: Allgemeine Beratung (N=52) 20 (38,4%) 9 (17,3%) 6 (11,5%) Gesamt 5 (9,6%) 5 3 (5,8%) 3 3 (5,8%) 3 39 27 22 Von BeraterInnen wahrgenommene Problemlösungshindernisse und -defizite („Einer Problemlösung standen im Wege...“ und „Zu einer optimalen Problemlösung haben gefehlt“; Mehrfachnennungen möglich) Helpline (N=66) Fehlendes gemeinsames Gespräch 12 (18,2%) der Beteiligten Weitere (persönliche) Kontakte 16 (24,2%) Zeitmangel/ begrenzte Gesprächsdauer 6 (9,1%) Langjährige Dauer der Problema8 (12,1%) tik/multiple Konflikte 8 (12,1%) Mangelnde Motivation der/des Klientin/en bzw. der direkt betroffenen Person Psychotische Erkrankung der/des 1 (1,5%) Klientin/en Körperliche und intellektuelle Beein1 (1,5%) 210 trächtigungen der/des Klientin/en 3 (4,5%) Vorliegen von Gewalt uneindeutig/ Grenzsituation/widersprüchliche Darstellungen 3 (4,5%) BeraterIn hat zu wenig Informationen über Problematik Unangemessene Erwartung/ 5 (7,6%) Anspruchshaltung der/des Klientin/en Allgemeine Beratung (N=52) 11 (21,2%) Gesamt 6 (11,5%) 2 (3,9%) 11 (21,1%) 22 8 19 7 (13,5%) 15 6 (11,5%) 7 4 (7,7%) 12 2 (3,9%) 8 - 3 1 (1,9%) 6 23 210 Genannt wurden hier: zunehmende Vergesslichkeit, Desorientierung, zunehmende Pflegebedürftigkeit. 321 Die Antworten auf offene Fragen nach Hindernissen und Defiziten werden gemeinsam dargestellt, da beide Aspekte von den BeraterInnen in der Regel nicht voneinander unterschieden wurden. Die Auswertung der Frage nach einem fördernden Umfeld, welches den KlientInnen bei der Bewältigung ihrer Probleme weiterhalf, ergab die im Folgenden dargestellten Kategorien: Tabelle 6.2.3.3/12: Von BeraterInnen wahrgenommene förderliche Umfeldfaktoren („Förderliches Umfeld: Personen, Ereignisse oder Erfahrungen außerhalb der Beratung“; Mehrfachnennungen möglich) Helpline (N=66) Familiäre Unterstützung Freunde/Bekannte/Nachbarn Pflegeeinrichtungen bzw. –dienste Hausarzt Kommunaler Sozialdienst der Stadt Hannover (KSD) Psychotherapie der/des Klientin/en, andere Beratung Betreuer, Betreuungseinrichtung Rechtsanwalt Gesamt n 7 (10,6%) 3 (4,6%) 2 (3,0%) 3 (4,6%) - Allgemeine Beratung (N=52) 13 (25,0%) 7 (13,5%) 6 (11,5%) 3 (5,8%) 4 (7,7%) 3 (4,6%) - 3 - 3 (5,8%) 3 (5,8%) 3 3 20 10 8 6 4 Bei der Frage nach Hindernissen ließen sich bei der Helpline keine Kategorien bilden, da hier häufig keine Angaben von den Beratenden gemacht werden konnten. Die Auswertung der Frage nach externen Hindernissen außerhalb der Beratung, die einer Problemlösung im Wege standen, ergab für die allgemeine Beratung die in der folgenden Tabelle abgebildeten Kategorien. Tabelle 6.2.3.3/13: Von den BeraterInnen wahrgenommene hemmende Umfeldfaktoren („Hemmendes Umfeld: Personen, Ereignisse oder Erfahrungen außerhalb der Beratung“; Mehrfachnennungen möglich) Konfliktbeteiligte bzw. „TäterIn“ Fehlende familiäre Unterstützung 322 Allgemeine Beratung (N=52) 11 (21,2%) 10 (19,2%) Wenn Ressourcen, die zu einer Problemlösung beigetragen haben, benannt werden konnten, so waren dies in der Mehrzahl der Fälle KlientInnenmerkmale wie Motivation insbesondere im Sinne von Veränderungsbereitschaft (n=39), Offenheit (n=27) und bei der Helpline des Weiteren eine klare Situations- bzw. Problemschilderung. Ebenso spielt mangelnde Motivation der KlientInnen bzw. bei Beratung Dritter – der direkt Betroffenen – eine Rolle bei der Frage nach Hindernisse und Defiziten (n=15). Am häufigsten wurde ein fehlendes gemeinsames Gespräch aller Problembeteiligten als Defizit wahrgenommen (n=23), insbesondere bei den telefonischen Beratungen im Rahmen des Krisenund Beratungstelefons wurde auf einen Fortführungsbedarf der Beratung und die zeitliche Begrenzung der Beratungen hingewiesen. Weiterhin wurden die häufig langjährige Konfliktdauer bzw. die Konfliktvielfalt als erschwerend für die Lösung betrachtet (n=19). In insgesamt 12 Fällen wurden gesundheitliche Beeinträchtigungen und psychiatrische Erkrankungen als Faktoren benannt, die einer Lösung im Wege standen. In acht Beratungskonstellationen wurden Informationsdefizite bzw. mangelnde Klarheit der Beratenden über die tatsächliche Konstellation genannt, und in sechs Fällen waren unangemessene Erwartungen der KlientInnen einer Problemlösung hinderlich. Als externe Unterstützung bei einer Problemlösung wurden am häufigsten Familienmitglieder (n=20) und Personen aus dem Freundes- und Bekanntenkreis oder der Nachbarschaft (n=10) benannt. Weiterhin wurden verschiedene Berufsgruppen aus dem medizinischen und psychosozialen Bereich als förderlich beschrieben, von denen Pflegeeinrichtungen (Sozialstationen, Kurzzeitpflege) mit insgesamt acht und Hausärzte mit sechs Nennungen am häufigsten vertreten waren. Als einer Problemlösung im Wege stehend wurden mangelnde familiäre Unterstützung (n=10) und in elf Fällen Personen benannt, die von der/dem Klientin/en als weitere Konfliktbeteiligte bzw. in einigen Fällen als TäterInnen beschrieben wurden. 6.2.3.3.1.2 Beratungsfälle, in denen Einschätzungen der BeraterInnen und KlientInnen vorliegen (N=22) Rahmendaten Sieben Datensätze beziehen sich auf telefonische Beratungen im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons und 15 auf Fälle der allgemeinen Beratung. Die Beantwortung der Bögen durch die BeraterInnen erfolgte im Durchschnitt nach 3,2 Tagen (SD=9,4) und durch die KlientInnen nach 33,9 Tagen (SD=32,3). Bei den Beratungen am Krisen- und Beratungstelefon handelte es sich ausschließlich um einmalige Kontakte, bei den 15 Beratungen im Rahmen der allgemeinen Bera323 tung betrug die durchschnittliche Beratungsdauer 41,9 Tage (SD=59,9) mit einer Spannweite von einem Tag bis zu 224 Tagen. Bei den Fällen der allgemeinen Beratung liegt die durchschnittliche Anzahl der Beratungskontakte bei 3,67 (SD=2,44). In zwei Fällen konnte zusätzlich zu den teilstandardisierten Beratungsevaluationsbögen mit Fallbeteiligten ein Interview geführt und in einem weiteren Fall eine teilnehmende Beobachtung an einer Beratungssitzung durchgeführt werden. KlientInnen und Fallkonstellationen In neun Fällen211 liegt nach Einschätzung der/des Beraterin/s eine Gewaltproblematik (mit oder ohne andere Problematik) vor, in vier weiteren Fällen212 ist eine eindeutige Aussage über das Vorliegen einer Gewalt213 konstellation nicht möglich, und in neun Fällen handelt es sich nach Einschätzung der BeraterInnen eindeutig nicht um Gewaltkonstellationen. In sechs der 22 Fälle weichen die von den BeraterInnen vorgenommenen Fallklassifikationen von der Klassifikation der wissenschaftlichen Begleitung ab214 (s. Tabelle 6.2.3.3/14). Tabelle 6.2.3.3/14: Fallklassifikationen durch wissenschaftliche Begleitung und BeraterInnen MitarbeiterInnen der wissenschaftlichen Begleitung BeraterInnen des Modellprojekts Gewaltproblematik uneindeutig andere Problematik Gesamt Gewalt- uneindeutig andere problematik Problematik 5 3 1 Gesamt 9 1 - 2 - 1 9 4 9 6 5 11 22 Die Bögen beziehen sich auf 18 Einzelklientinnen, drei Einzelklienten und ein Ehepaar, welches gemeinsam die Beratung in Anspruch genommen hat. Der Altersdurchschnitt der KlientInnen liegt bei 61,7 (SD=12,5) mit einer Spannweite von 39 bis 81 Jahren. Bei den KlientInnen handelt es sich in 14 Fällen um Problembeteiligte, d.h. die direkt von der Problematik Betroffenen, und in acht Fällen um Fallbeteiligte (BeobachterInnen bzw. Dritte). 211 In fünf Fällen im Rahmen der Beratung am Krisen- und Beratungstelefon im Alter und in vier Fällen im Rahmen der allgemeinen Beratung. 212 Ein Fall im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons und drei Fälle im Rahmen der allgemeinen Beratung. 213 Ein Fall im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons und acht Fälle im Rahmen der allgemeinen Beratung. 214 vgl. hierzu Kapitel 6.2.2.4.3.2. 324 Acht der 22 KlientInnen gaben an, dass sie zuvor bereits ein oder mehrere andere Beratungsangebote zur Lösung der bestehenden Problematik in Anspruch genommen hatten215. Die Ergebnisse der Nachbefragungsbögen für BeraterInnen und KlientInnen (BFB 1-BFB 19, KFB 1-KFB 17, N=22) Bestimmte Verfahren wie beispielsweise eine Faktorenanalyse zur Ermittlung unabhängiger Dimensionen der Beratungsevaluationsbögen sind aufgrund der kleinen Stichproben und unvollständiger Datensätze nicht möglich. Aus eben diesen Gründen wird auch auf eine Differenzierung zwischen den beiden Beratungssettings verzichtet, obwohl die Annahme naheliegt, dass sich hier nicht nur in der Quantität sondern auch in der Qualität Unterschiede zwischen einer einmaligen telefonischen Beratung und mehrmaligen face-to-face- Beratungskontakten zeigen könnten216. Die Items KFB 1-17 des Nachbefragungsbogens der KlientInnen und die parallelisierten Items BFB 1-19 des BeraterInnennachbefragungsbogens (N=22) finden sich in der folgenden Tabelle. Tabelle 6.2.3.3/15: Mittelwerte und Standardabweichungen der korrespondierenden Items der Beratungsevaluationsbögen für KlientInnen (KFB) und BeraterInnen (BFB) KFB 1-17 und BFB 1-19 Paar Item MKFB 1 Item 1 KFB: 2,86 Ich hatte zu Beginn klare Vorstellungen, was ich von der Beratung wollte. Item 1 BFB: Die Klientin/der Klient wusste vorher, was sie/er von der Beratung wollte. SDKFB 1,15 MBFB 2,76 SDBFB ,70 t –,357 df 20 p217 n.s. 215 Es wurden fünfmal Pflegeeinrichtungen, dreimal ÄrztInnen genannt und jeweils einmal ein Pastor, die Telefonseelsorge, die Alzheimer-Gesellschaft und der Kommunale Sozialdienst der Stadt Hannover (KSD) genannt. 216 Die These einer Nicht-Vergleichbarkeit dieser beiden Beratungssettings im Rahmen der teilstandardisierten Evaluationsbögen wurde insbesondere von den BeraterInnen selbst vertreten. 217 zweiseitig 325 Paar Item 2 Item 2 KFB: Ich konnte in der Beratung über das sprechen, was mir wichtig war. Item 3 BFB: Die Klientin/der Klient konnte in der Beratung über das sprechen, was ihr/ihm in Bezug auf ihre/seine Situation wichtig war. 3 Item 3 KFB: Die Beraterin/der Berater hat meine Schwierigkeiten verstanden. Item 4 BFB: Ich habe die Schwierigkeiten der Klientin/des Klienten verstanden. 4 Item 4 KFB: Ich habe hilfreiche Informationen bekommen. Item 5 BFB: Ich konnte der Klientin/dem Klienten hilfreiche Informationen geben. 5 Item 5 KFB: Das Vorgehen der/des Beraters/in war richtig. Item 6 BFB: Mein Vorgehen war angesichts des geschilderten Problems richtig. 6 Item 6 KFB: Ich verstehe jetzt meine Situation. Item 7 BFB: Die Klientin/der Klient versteht ihre/seine Situation jetzt. 7 Item 7 KFB: Ich weiß jetzt, wie ich meine Situation verändern kann. Item 8 BFB: Die Klientin/der Klient weiß jetzt, wie sie/er ihr(e)/sein(e) Problem/Situation verändern kann. 8 Item 8 KFB: Die Beratung hat zur Lösung meiner Probleme beigetragen. Item 9 BFB: Die Beratung hat zur Lösung der Probleme der Klientin/des Klienten beigetragen. 326 MKFB 3,81 SDKFB ,40 MBFB 3,62 SDBFB ,50 t -1,5 df 20 p217 n.s. 3,90 ,31 3,30 ,57 -4,5 19 *** 3,48 ,75 3,19 ,75 -1,7 20 n.s. 3,84 ,37 3,26 ,65 -3,6 18 ** 3,42 ,69 2,95 ,85 -1,9 18 n.s. 2,80 1,15 3,05 ,69 ,865 19 n.s. 2,90 1,09 2,67 ,80 -1,0 20 n.s. Paar Item 9 Item 9 KFB: Ich fühle mich nach der Beratung imstande, die besprochenen Schwierigkeiten zu überwinden. Item 10 BFB: Die Klientin /der Klient ist nach der Beratung imstande, dort thematisierte Schwierigkeiten zu überwinden. 10 Item 10 KFB: Ich fühle mich nach der Beratung erleichtert. Item 11 BFB: Die Klientin /der Klient fühlt sich durch die Beratung erleichtert. 11 Item 11 KFB: Ich sehe den kommenden Zeiten in Bezug auf die in der Beratung besprochenen Probleme zuversichtlich entgegen. Item 13 BFB: Die Klientin/der Klient sieht den kommenden Zeiten, was ihre/seine Situation betrifft, zuversichtlich entgegen. 12 Item 12 KFB: Die Beratung hat mein Selbstvertrauen in Bezug auf die in der Beratung besprochenen Schwierigkeiten gestärkt. Item 14 BFB: Die Beratung hat das Selbstvertrauen der Klientin/des Klienten in Hinblick auf das dort bearbeitete Problem gestärkt. 13 Item 13 KFB: Die Beratung hat mich weitergebracht. Item 15 BFB: Die Beratung hat die Klientin/den Klienten weitergebracht. 14 Item 14 KFB: Mein Problem konnte gelöst werden. Item 16 BFB: Das Problem der Klientin/des Klienten konnte gelöst werden. 15 Item 15 KFB: Ich würde die Beratung weiter empfehlen. Item 17 BFB: Die Klientin/der Klient würde die Beratung weiter empfehlen. MKFB 2,70 SDKFB 1,08 MBFB 2,65 SDBFB ,75 t –,213 df 19 p217 n.s. 3,10 1,18 3,38 0,67 ,923 20 n.s. 2,42 1,22 2,42 ,69 ,00 18 n.s. 2,95 ,97 2,68 ,82 -1,0 18 n.s. 2,95 ,89 2,95 ,76 ,00 19 n.s. 2,42 1,26 2,26 ,81 -,57 18 n.s. 3,33 ,58 3,86 ,36 -4,0 20 ** 327 Paar Item MKFB 16 Item 16 KFB: Ich würde die 3,80 Beratung in einer ähnlichen Situation wieder in Anspruch nehmen. Item 18 BFB: Die Klientin/der Klient würde die Beratung in einer ähnlichen Situation wieder in Anspruch nehmen. 17 Item 17 KFB: Der Berater 4,00 hat sich für mich Zeit genommen. Item 19 BFB: Ich habe ausreichend Zeit für die Beratung gehabt. SDKFB ,62 MBFB 3,40 SDBFB ,60 t -2,0 df 19 p217 n.s. ,00 3,71 ,56 -2,3 20 * * p<.05, ** p<.01, *** p<.001 Bei der Betrachtung der Mittelwerte der parallelisierten Itempaare von KlientInnen und BeraterInnen zeigt sich, dass die KlientInnen und auch die BeraterInnen die Beratung positiv beurteilen. Kein Itemmittelwert beim Fragebogen für KlientInnen liegt unter 2,4 Punkten. In der Mehrzahl der Fälle liegt der durchschnittliche Wert der Ratings der KlientInnen über dem der BeraterInnen, ihre Beurteilung fällt bei den meisten Items positiver aus. Keine signifikanten Unterschiede zeigen sich bei der Selbst- und Fremdeinschätzung der Vorstellungen der KlientInnen und den damit verbundenen Erwartungen an die Beratung (Itempaar 1), bei der Einschätzung der inhaltlichen Schwerpunktsetzung in den Beratungsgespräche(n) durch die KlientInnen (Itempaar 3) sowie bei der Einschätzung der Weitergabe hilfreicher Informationen an die KlientInnen (Itempaar 5). Signifikante Mittelwertsdifferenzen liegen zwischen der Selbst- und Fremdeinschätzung hinsichtlich des Verständnisses der Problematik der KlientInnen und der Angemessenheit der Interventionen vor (Itempaar 4 und Itempaar 6): Die KlientInnen schätzen das Verständnis der BeraterInnen für ihre Situation als sehr hoch ein und die BeraterInnen bewerten das eigene Vorgehen in der Beratung kritischer als die KlientInnen dies tun. Während die KlientInnen in 90% der Fälle das Gefühl haben, dass die BeraterInnen ihre Schwierigkeiten „voll und ganz“ verstanden haben, haben die BeraterInnen selbst nur in 35% der Fälle das Gefühl, die Schwierigkeiten der KlientInnen „voll und ganz“ und in weiteren 60% „weitgehend“ zu verstehen. Bei der Beurteilung der Richtigkeit des Vorgehens der BeraterInnen verhält es sich ähnlich; die BeraterInnen beurteilen das eigene Vorgehen etwas zurückhaltender als die KlientInnen. 328 Niedrigere Mittelwerte liegen bei den KlientInnen im Vergleich zu den BeraterInnen bei dem Itempaar 8, welches konkretes Veränderungswissen erfragt: Vier der 22 Klientinnen geben hier an, dass sie „gar nicht“ und drei, dass sie ein „ein wenig“ wissen, wie sie ihre Situation verändern können. Die emotionale Entlastungsfunktion der Beratung und die Erleichterung der KlientInnen (Itempaar 10) werden von den BeraterInnen überbewertet: Sieben KlientInnen fühlen sich im Gegensatz zur Einschätzung der BeraterInnen durch die Beratung „gar nicht“ bzw. nur „ein wenig“ erleichtert. Auch die Zuversichtlichkeit hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung der in der Beratung bearbeiteten Problematik ist bei den KlientInnen nicht so groß wie bei den BeraterInnen (Itempaar 11). Signifikante Unterschiede liegen zwischen der Selbst- und Fremdeinschätzung der Weiterempfehlung der Beratung vor: Die BeraterInnen sind in 85,7% der Fälle „voll und ganz“ der Meinung, dass die KlientInnen die Beratung weiter empfehlen würden, während die KlientInnen dies lediglich in 38,1% der Fälle tun würden, obwohl zugleich 18 von ihnen in einer ähnlichen Situation die Beratung wieder in Anspruch nehmen würden (KFB16). Der niedrigste Mittelwert findet sich sowohl bei den KlientInnen als auch bei den BeraterInnen bei dem Item, welches die Problemlösung (BFB 17, KFB15) erfragt. Zufriedenheit mit der Beratung Summarisches Zufriedenheitsrating In den Tabellen 6.2.3.3/16 und 6.2.3/17 sind die Ergebnisse der drei summarischen prozentualen Zufriedenheitsbeurteilungen dargestellt. Die BeraterInnen sind in ihren Einschätzungen zurückhaltender als die KlientInnen sowohl die eigene Zufriedenheit als auch die der Klien tInnen betreffend. Die Mittelwerte der summarischen Zufriedenheitsbeurteilungen der BeraterInnen und der KlientInnen unterscheiden sich signifikant voneinander. Die BeraterInnen geben in ca. 30% der Beratungen ihre eigene Zufriedenheit mit der Beratung in einer Höhe von ≥80% an (n=12), die der KlientInnen schätzen sie in 38,1% ≥ 80% Prozent ein (n=15), während 81% der KlientInnen ihre Zufriedenheit mit ≥ 80% beurteilen (n=16). Bedeutsame positive Korrelationen zwischen den summarischen Zufriedenheitsbeurteilungen finden sich zwischen „Zufriedenheit der BeraterIn“ und „Angenommener Zufriedenheit der KlientIn“, aber nicht zwischen „Zufriedenheit der BeraterIn“ und „Zufriedenheit der KlientIn“ und nicht zwischen der von den Beratenden „Angenommenen Zufriedenheit der KlientIn“ und der tatsächlichen „Zufriedenheit der KlientIn“. 329 Eine Bestätigung für die sehr hohe Zufriedenheit der KlientInnen mit der Beratung findet sich bei einem zweiten Kriterium, welches zur Beurteilung der Zufriedenheit über den Summenscore der einzelnen Items operationalisiert wurde (s.u.). Tabelle 6.2.3.3/16: Summarische Zufriedenheitsbeurteilungen von KlientInnen und BeraterInnen im Vergleich Item MKFB SDKFB MBFB SDBFB t Item KFB 18: Selbsteinschätzung 87,14 18,21 76,67 13,90 -2,2 Zufriedenheit KlientIn mit der Beratung* Item BFB 20: Zufriedenheit der BeraterIn mit der Beratung Item KFB 18: Selbsteinschätzung 86,50 18,43 79,00 14,10 -1,6 Zufriedenheit der KlientIn* BFB 21: Fremdeinschätzung Zufriedenheit der KlientIn 218 df 20 p * 19 n.s. * p<.05 Tabelle 6.2.3.3/17: Korrelationen zwischen Zufriedenheitsratings von BeraterInnen und KlientInnen Zufriedenheit Zufriedenheit wahrgeBeraterIn KlientIn nommene Zufriedenheit. KlientIn Zufriedenheit BeraterIn (BFB 20) Wahrgenommene Zufriedenheit KlientIn (BFB 21) Zufriedenheit KlientIn (KFB 18) .855*** .188 .099 *** p<.001 (zweiseitig) Persönliche Situation der KlientIn und Veränderungen durch die Beratung Die Mittelwerte der Items, die die persönliche Situation der/des Klientin/en vor der Beratung erfragen, weisen bei KlientInnen- und BeraterInnenbeurteilungen signifikante Mittelwertsdifferenzen auf (s. Tabelle 6.2.3.3/18). Die KlientInnen beurteilen ihre persönliche Situation vor der Beratung negativer als die BeraterInnen. Die wahrgenommene Veränderung der persönlichen Situation und der hierbei der Beratung zugeschriebene Einfluss unterscheiden sich in der Selbsteinschätzung der KlientInnen und der Einschätzung durch die Beratenden nicht bedeut218 zweiseitig 330 sam. Die persönliche Situation nach der Beratung wird sowohl von den KlientInnen als auch von den BeraterInnen im Vergleich zur Situation vor der Beratung positiver bewertet. Tabelle 6.2.3.3/18: Persönliche Situation der KlientIn und Veränderungen durch die Beratung Item Selbst- / Fremdeinschätzung der persönlichen Situation der KlientIn vor der Beratung Selbst-/Fremdeinschätzung wahrgenommene Veränderung (KFB20–KFB19 vs. BFB24BFB23) Selbst- / Fremdeinschätzung der aktuellen persönlichen Situation der KlientIn Selbst- / Fremdeinschätzung des Einflusses der Beratung auf Veränderungen der persönlichen Situation der KlientIn 219 MKFB SDKFB MBFB SDBFB t 1,94 1,03 2,41 ,80 2,43 df 16 p * 1,13 1,16 0,80 ,68 1,58 14 n.s. 3,19 3,31 ,60 ,460 15 n.s. 3,00 1,53 2,62 ,65 -1,0 12 n.s. 1,05 Antworten auf offene Fragen des KlientInnenfragebogens (KFB) und BeraterInnenfragebogens (BFB) KlientInnenfragebogen Aufgrund der kleinen Ausgangsstichprobe (N=22) und zum Teil unvollständiger Datensätze und heterogener Antworten erweisen sich die Angaben der KlientInnnen als kaum kategorisierbar. Lediglich bei der Frage nach hilfreichen Aspekten in der Beratung ließen sich Kategorien bilden. Zehnmal wurden Ratschläge, konkrete Vorschläge und Sachinformationen durch die BeraterInnen als besonders hilfreich von den KlientInnen benannt. Neun KlientInnen nannten die Möglichkeit, offen über Probleme sprechen zu können, drei die für die Beratung zur Verfügung stehende Zeit und drei das Verständnis der/des Beraterin/s als hilfreiche Komponenten in der Beratung. Kritik an der Beratung gab es in vier Einzelfällen: Einmal wurde die eingeschränkte Handlungsmöglichkeit des Modellprojekts, dreimal fehlende konkrete Hilfe genannt. Bei der Frage nach externer Unterstützung wurden viermal Pflegeeinrichtungen und dreimal ÄrztInnen genannt. 219 zweiseitig 331 Tabelle 6.2.3.3/19: Von KlientInnen als hilfreich wahrgenommene Aspekte des Beratungsprozesses („Was fanden Sie in der Beratung hilfreich?“; Mehrfachnennungen möglich, N=22) Konkrete Vorschläge/Ratschläge/Sachinformationen Offen über Probleme sprechen zu können Ausreichend Zeit Empathie der/des Beraterin/s Gesamt N 10 9 3 3 25 BeraterInnenfragebogen Auch bei den BeraterInnenfragebögen ließen sich die vorhanden heterogenen Einzelantworten nur begrenzt Kategorien zuordnen. Bei der Frage nach Ressourcen, die zu einer Problemlösung beigetragen haben, wurden vor allem Motivation und Offenheit der/des Klientin/en genannt. Bei der Frage nach Hindernissen und Defiziten wurden mangelnde Motivation der KlientInnen bzw. bei Beratung Dritter der direkt Betroffenen genannt sowie fehlende gemeinsame Gespräche aller Beteiligten. Als externe Hilfen wurde in fünf Fällen familiäre Unterstützung, in drei Fällen Pflegeeinrichtungen, in zwei Fällen ein Betreuer und in zwei Fällen FreundInnen genannt. Bei der Frage nach externen Hindernissen außerhalb der Beratung ließ sich keine Kategorie bilden. Tabelle 6.2.3.3/20: Von BeraterInnen wahrgenommene Problemlösungsressourcen („Zu einer Problemlösung haben beigetragen...“; Mehrfachnennungen möglich, N=21) Motivation der/des Klientin/en Offenheit der/des Klientin/en Reflexionsfähigkeit/kritische Auseinandersetzung mit Situation Konkrete Fragestellungen Engagement (BeobachterIn) Gesamt 332 N 7 6 5 2 2 22 Tabelle 6.2.3.3/21: Von BeraterInnen wahrgenommene Problemlösungsdefizite und –hindernisse („Einer Problemlösung standen im Wege...“ (N=12) und „Zu einer optimalen Problemlösung haben gefehlt“ (N=10); Mehrfachnennungen möglich) Mangelnde Motivation der/des Klientin/en bzw. der direkt betroffenen Person Gemeinsames Gespräch der Beteiligten Uneindeutige Gewaltsituation Intensivere Begleitung der KlientIn notwendig Gesamt Tabelle 6.2.3.3/22: N 4 3 2 2 11 Von BeraterInnen wahrgenommene förderliche Umfeldfaktoren („Personen, Ereignisse oder Erfahrungen außerhalb der Beratung“; Mehrfachnennungen möglich, N=13) Familiäre Unterstützung Pflegeeinrichtungen bzw. –dienste Betreuer Freunde Gesamt N 5 3 2 2 12 6.2.3.3.2 Vertiefende qualitative Interviews mit Fallbeteiligten Zusätzlich zu den standardisierten Evaluationsbögen konnten in sechs Beratungsfällen insgesamt zwölf qualitative Interviews mit verschiedenen Fallbeteiligten geführt werden. In fünf Fällen wurden Interviews mit den BeraterInnen geführt, in einem Fall wurde mit einer Klientin gesprochen, die direkt von Gewalt betroffen war, in zwei Fällen mit KlientInnen, die sich an das Projekt gewandt hatten, da sie Kenntnis von Gewaltfällen hatten, in einem Fall mit einem Ehepaar, dem der Vorwurf gemacht wurde, es versorge eine pflegebedürftige Frau nicht adäquat, und in zwei weiteren Fällen wurden insgesamt drei Fachkräfte aus dem psychosozial-medizinischen Bereich interviewt, die in dem jeweiligen Fall mit dem Modellprojekt kooperiert hatten bzw. zeitgleich in den Fall involviert gewesen waren. Die im Folgenden dargestellten Fälle zeigen, mit welchen Schwierigkeiten und komplexen Fällen eine Beratungseinrichtung „Gegen Gewalt im Alter“ konfrontiert werden kann, welche Anforderungen an BeraterInnen gestellt werden und welche unterschiedlichen Kompetenzen für eine Beratung dieser unterschiedlichen Konstellationen notwendig sind. Sie zeigen, wie schwerwiegend ein Vorwurf bzw. ein Verdacht von gewalttätigen Handlungen wiegt und 333 dass eine eindeutige Situationsklärung in einigen Fällen kaum zu realisieren ist. Es wird deutlich, in welche Dilemmata BeraterInnen einer Gewaltberatungsstelle geraten können, wenn die Betroffenen selbst keine Interventionen wünschen. Fallskizzen220 der Fälle, in denen Interviews mit Fallbeteiligten geführt werden konnten Fall 1 (einmaliges Telefonat im Rahmen der Helpline, Interview mit Klient und BeraterIn) Der Anrufer, Herr G., schildert, dass sein Vater vermutlich schon sehr lange seine Ehefrau, die Mutter des Anrufers, misshandle. Durch zunehmende Abhängigkeit der Mutter spitze sich die Misshandlung zu. Der Vater isoliere seine mittlerweile aufgrund einer rheumatischen Erkrankung auf einen Rollstuhl angewiesene Frau von der Außenwelt, er sei sehr jähzornig, schüchtere sie ein, beschimpfe sie, und zeitweise schlage er sie auch. Der Vater kontrolliere ihr Verhalten vollständig, sie könne nicht einmal ungestört telefonieren. Sie habe sich vor einiger Zeit erstmalig anderen Verwandten anvertraut. Sie habe Angst vor ihrem Mann und wolle nicht, dass die Misshandlungen offen angesprochen werden. Viele Freunde und Verwandte hätten den Kontakt zu seinen Eltern im Laufe der Zeit aufgrund von Auseinandersetzungen mit dem Vater abgebrochen. Der Sohn hat bereits beim Telefonat mit dem Modellprojekt Vorstellungen über mögliche weitere Schritte. Sein Hauptanliegen ist es, die ganze Situation und mögliche Interventionen mit einer dritten Person zu besprechen. Er hat die Idee, eine Art Familienkonferenz einzuberufen, gemeinsam mit seinen Geschwistern den Vater auf sein Verhalten anzusprechen und ihm klarzumachen, dass die Geschwister sein gewalttätiges Verhalten der Mutter gegenüber nicht länger tolerieren. Der Sohn ist während des Telefonats sehr aufgewühlt und befürchtet, dass er in einem Gespräch mit dem Vater die Kontrolle über sich verlieren könnte. Seitdem er von den Misshandlungen der Mutter erfahren hat, fallen ihm Situationen aus der Kindheit ein, die er heute ebenfalls in diese Richtung gehend interpretieren würde; beispielsweise habe die Mutter einmal ein mit blauen Flecken übersätes Gesicht gehabt, den Kindern jedoch erklärt, dass sie die Treppe heruntergefallen sei. Im Beratungsgespräch wurde über Möglichkeiten der Gesprächsgestaltung mit dem Vater gesprochen, über einen „Notfallplan“ für den Fall, dass nach so einem Gespräch die Situation eskaliert und über die Frage, ob die Polizei eingeschaltet werden sollte. Es wur220 Den Fallskizzen liegen die Falldokumentationen der BeraterInnen des Modellprojekts und die ergänzenden Fallinformationen aus den jeweiligen Interviews zugrunde. 334 de auch die Möglichkeit alternativer Wohnmöglichkeiten bzw. einer Heimaufnahme für die Mutter diskutiert. Da das Ehepaar weit außerhalb Hannovers in einer ländlichen Gegend lebt, kann das Modellprojekt vor Ort nicht tätig werden, steht aber für weitere telefonische Beratung zur Verfügung. Für den Sohn war dieses eine Telefonat zunächst einmal ausreichend, er fühlte sich bestärkt und wollte ein weiteres Vorgehen mit seinen Geschwistern besprechen. Herr G. berichtet im Interview, dass er das Beratungsgespräch als positiv erlebt habe und es hilfreich gewesen sei, einer dritten Person die ganze Situation anonym schildern zu können. Für ihn persönlich habe dieses Gespräch „etwas gebracht“, aber an der Situation habe es nichts geändert. Er schildert, dass er zwischenzeitlich mit seinen Geschwistern über die Problematik gesprochen habe und dass das gewalttätige Verhalten einigen Geschwistern längst bekannt gewesen sei. Eine Schwester habe berichtet, dass die Mutter sich häufig am Telefon bei ihr ausweine. Er habe seiner Mutter mitgeteilt, dass die Geschwister Bescheid wissen und dass sie die Unterstützung der Kinder habe. Die Mutter habe jegliches Vorgehen gegen den Vater abgelehnt und gefordert, dass die Kinder nett und höflich zu dem Vater sein sollten. Der Sohn berichtet, das Schlimmste sei, dass er eigentlich nichts machen könne, da seine Mutter sich nicht helfen lassen wolle. Wenn seine Geschwister einverstanden gewesen wären, hätte er den Vater auch gegen den Willen der Mutter angezeigt, doch das hätten diese abgelehnt. Er habe inzwischen die Befürchtung, die Mutter würde sich in einem solchen Fall vor den Vater stellen und alles abstreiten. Er befinde sich in einer hilflosen Situation, da der Vater die Mutter als Werkzeug benutze, er und seine Geschwister müssten alles schlucken und wenn nicht, dann hätte die Mutter es später auszustehen. Fall 2 (Beratungszeitraum von zwei Monaten, Interview mit zwei Professionellen aus dem psychosozial-medizinischen Bereich und mit BeraterIn) In diesem Fall gab es keine Kontakte zwischen dem Modellprojekt und dem direkt betroffenen Ehepaar K. Das Modellprojekt wird durch den Nachbarn der Betroffenen, Herrn D. und eine zuständige Sozialstation über diesen Fall informiert. Der Mann (ca. 70 Jahre) sei pflegebedürftig (bettlägerig), die Ehefrau (Mitte 60) beschimpfe, bedrohe und schlage ihn regelmäßig. Herr D. sagt, dass er die Situation für den alten Mann als entwürdigend erlebe, Mitleid habe, in Sorge um den Mann sei und dass etwas unternommen werden müsse. 335 In der Folge stellt sich heraus, dass bereits viele Institutionen in den Fall involviert sind und ein Eingreifen für notwendig halten, aber dass sie die Schilderungen von Herrn D. nicht bestätigen können. Der Umgangston zwischen den Eheleuten sei häufiger etwas grob, aber das beruhe auf Gegenseitigkeit, Anzeichen von körperlicher Gewalt habe noch niemand beobachtet. Das Problem sei vielmehr, dass die Ehefrau aus Angst, ihr Mann könne inadäquat versorgt werden, kaum dazu in der Lage sei, pflegerische Unterstützung anzunehmen. Dieses Misstrauen habe sie entwickelt nachdem ihr Mann nach einem Apoplex in einer stationären Einrichtung inadäquat versorgt worden sei. Die Krankenkasse habe diese Einrichtung wegen Pflegefehlern verklagt, der Ehemann sei immer wieder begutachtet worden und Frau K. habe über die ganzen sie belastenden Vorfälle aussagen müssen. Der Ehemann selbst habe sich seitdem aufgegeben, sei sehr unzufrieden und wenig kooperativ. Die Ehefrau sei überprotektiv, könne die Kontrolle über die Pflege ihres Mannes nicht einmal kurzfristig abgeben und sei bereits seit längerer Zeit völlig überlastet. Für den ambulanten Pflegedienst sei es nicht einfach, den Ansprüchen der Ehefrau gerecht zu werden und es habe häufiger Auseinandersetzungen mit der Ehefrau gegeben. Der Konflikt zwischen den Nachbarn, Frau K. und Herrn D., lässt sich kaum entschärfen. Das Ehepaar K. möchte aus der bisherigen Wohnung aufgrund der Auseinandersetzungen mit dem Nachbarn ausziehen, sucht eine neue behindertengerechte Wohnung und wird bei dieser Suche auch von einer der beteiligten Institutionen unterstützt. Frau K. berichtet anderen professionellen Fallbeteiligten, dass sie sich von Herrn D. massiv bedroht und verfolgt fühle. Er belästige und beschimpfe sie. Es werden gegenseitige Beschuldigungen erhoben, Anzeigen erstattet und Rechtsanwälte eingeschaltet. Für die verschiedenen fallbeteiligten Institutionen lässt sich nicht klären, was wirklich zwischen den Nachbarn vorfällt. Zwischenzeitlich besteht sowohl der Verdacht, die Schilderungen des Herrn D. als auch die der Frau K. könnten Ausdruck einer paranoiden Wahnsymptomatik sein. Die Aussagen der verschiedenen Institutionen, die diese zum Teil auch auf der Grundlage weiterer Expertenäußerungen aus dem psychosozialen Bereich machen, fallen recht unterschiedlich aus. So ist Herr D. beispielsweise einer Institution als „psychisch auffällig“ bekannt, er habe bereits mehrere Vormieter aus der Wohnung des Ehepaares K. „raus gegrault“. Einer anderen erscheint er völlig unauffällig und diese hält die Wahrnehmung der Frau K. für überempfindlich und tendenziell paranoid. Der Kontakt zu dem Ehepaar K. wird durch eine Mitarbeiterin einer gerontopsychiatrischen Einrichtung, die durch die zuständige Sozialstation eingeschaltet wurde, aufgenommen und gehalten. Das Ehepaar K. rea336 giert auf dies Kontaktaufnahme sehr entgegenkommend. Parallel wendet sich die Leitung der Sozialstation auch an das Modellprojekt. Die Sozialstation entschließt sich zu diesem Schritt, nachdem sich die Polizei aufgrund einer Anzeige wegen Gewalt in der Pflege beim Ehepaar K. bei ihnen meldet, um den Fall zu klären. Das Modellprojekt hält Kontakt zu dem Nachbarn und nimmt Kontakt mit den verschiedenen beteiligten Institutionen auf; dadurch können bessere Absprachen erreicht werden. Die Mitarbeiterin der gerontopsychiatrischen Einrichtung, die an diesem Fall beteiligt war, bewertet die Zusammenarbeit mit dem Modellprojekt als günstig und positiv. Das vordergründige Ziel war zunächst die Klärung der Frage, ob es bei dem Ehepaar K. zu Gewalthandlungen in der häuslichen Pflege komme. Des Weiteren sollte eine Entlastung der pflegenden Ehefrau durch verschiedene Angebote wie beispielsweise Kurzzeitpflege, Kuraufenthalt und einen Gesprächskreis für pflegende Angehörige installiert werden. Es wäre für sie viel schwieriger gewesen, Zugang zu der Häuslichkeit des Ehepaares K. zu bekommen, wenn sie zeitgleich zu dem Nachbarn Kontakt aufgenommen hätte, von daher war es hilfreich, eine Aufgabenteilung vorzunehmen. Von der Sozialstation wird das Modellprojekt positiv beurteilt und als wichtig eingeschätzt. Der Kontakt mit dem Modellprojekt habe bewirkt, dass sich die MitarbeiterInnen der Station bewusst mit der Thematik „Gewalt in der Pflege“ auseinandergesetzt haben. Dadurch, dass es keine nachhaltigen Beweise für den Gewaltvorwurf gegeben habe, sondern nur lauter Verdächtigungen, sei die Situation sehr schwierig gewesen. Das Ganze sei eher ein gemeinsames hilfloses Suchen nach möglichen Vorgehensweisen gewesen. Sie hatten zunächst gehofft, die Verantwortung an das Modellprojekt abgeben zu können und versucht, sich möglichst „rauszuhalten“. Zudem seien sie als Sozialstation in einer anderen Position, es gebe datenschutzrechtliche Bestimmungen, die sie einzuhalten haben und es bestehe natürlich die Gefahr, dass ihnen bei solchen schweren Verdachtsäußerungen ganz schnell die Pflege entzogen würde. Fall 3 (Beratungszeitraum: ca. zwei Monate, Erstkontakt über Helpline, Interview mit MitarbeiterIn einer fallbeteiligten Institution und mit BeraterIn) Eine SozialarbeiterIn eines ambulanten Pflegedienstes bittet das Modellprojekt um Unterstützung: Sie schildert den Fall einer bettlägerigen Patientin, die seit langem mit ihrer 60jähigen gehörlosen Tochter zusammenlebt. Die Tochter leiste den größten Teil der anstrengenden 337 Pflege allein. Es habe schon mehrmals Vorfälle gegeben, bei denen die Tochter die Mutter geschlagen habe. Sie sei erstmalig von den Sprechstundenhilfen des Hausarztes auf Gewaltvorfälle hingewiesen worden. Auch bei der zuständigen Krankenkasse sei der Vorfall bekannt gewesen. Aber bisher habe es keinerlei Interventionen diesbezüglich gegeben. Die Mutter selbst berichte, dass ihre Tochter sie geschlagen habe. Die Mutter behandle die Tochter sehr herablassend, halte sie für missraten und schlage sie ebenfalls. Die Tochter sei seit langer Zeit völlig von der Pflegesituation überfordert, möchte eine Entlastung durch Kurzzeitpflege und äußere teilweise den Wunsch, die Pflege der Mutter ganz abzugeben. Die Mutter verkenne die Realität in Bezug auf ihre Pflegebedürftigkeit und äußere, dass ihre Tochter doch ruhig ausziehen könne, wenn sie wolle, sie aber bleibe zu Hause. Vor kurzem habe die Tochter sich mit einem Hilferuf an den Pflegedienst gewandt. Es wird von der Sozialarbeiterin der Sozialstation und dem Modellprojekt eine gemeinsame Beratung in der Häuslichkeit durchgeführt. Die Verständigung mit der Tochter erfolgt primär über Gestik und schriftliche Äußerungen der Tochter. Die Tochter liest von den Lippen, die Mutter selbst spricht die Gebärdensprache nicht. Nach Schilderung der Beratenden musste die Kommunikation mit der Tochter teilweise über die Mutter erfolgen, indem die Mutter der Tochter von den Lippen gelesen und dann eine Übersetzung für die BeraterInnen vorgenommen habe, und dabei war es nicht immer klar, ob sie wirklich alles wiedergegeben habe. Im Rahmen dieses gemeinsamen Hausbesuches stimmt die Mutter nach anfänglicher strikter Ablehnung, da sie Angst hat, in ein Heim abgeschoben zu werden, nach einiger Überredungs- und Überzeugungsarbeit schließlich der Inanspruchnahme einer Kurzzeitpflege zu, welche auch kurzfristig realisiert wird. Es wird vereinbart, dass während dieser Zeit ein gemeinsamer Termin mit der Tochter und einem Dolmetscher für Gehörlose zur Klärung der weiteren Gestaltung der häuslichen Pflege stattfindet, ferner ein Besuch der Mutter in der Einrichtung. Der Aufenthalt der Mutter in der Einrichtung verläuft unproblematischer als erwartet, sie fühlt sich dort ganz wohl und wird regelmäßig von der Tochter besucht. Für die meisten Beteiligten sehr unerwartet, verstirbt die Mutter nach zwei Wochen in der Einrichtung. Die Sozialarbeiterin beschreibt, dass sie die Unterstützung durch das Modellprojekt und die Begleitung zum Beratungsgespräch als sehr engagiert und hilfreich erlebt habe. Sie habe durch diese Zusammenarbeit neue Anregungen, Unterstützung und eine Bestätigung für ihr Vorgehen erhalten. Dies sei für sie der erste Fall gewesen, in dem sie mit einer so offenen Gewaltsituation konfrontiert worden sei und interveniert habe. 338 Fall 4 (Zeitraum: ca. zwei Monate, Erstkontakt über Helpline, Interview mit Klientin und BeraterIn) Die Anruferin, Frau L., (Mitarbeiterin eines privaten Pflegedienstes) schildert folgende Situation: Sie habe bis vor kurzem eine 92jährige Frau, Frau S., gepflegt. Diese werde von ihrer Nichte, ca. 50 Jahre, nicht angemessen betreut (keine ausreichende Mobilisierung, die Pflegebedürftige sei nach eigener Aussage nie gewaschen worden, Pflegegeld und Vermögen der alten Frau würden „zweckentfremdet“). Die Anruferin habe die alte Dame mehrfach auch privat besucht, und es habe sich in sehr kurzer Zeit ein fast freundschaftliches Verhältnis zwischen ihnen entwickelt. Die finanzielle Situation von Frau S. lasse eine optimale Unterstützung und Förderung zu. Frau S. habe in kurzer Zeit sehr große Fortschritte gemacht, sie habe sich wieder aufrichten und gehen können. Sie habe mit ihrem Vorgesetzten gesprochen und dieser habe eine Ausweitung der Unterstützung bei der Nichte angeregt, daraufhin habe diese dem Pflegedienst gekündigt. Sie, Frau L., habe den Fall bereits beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen und der Pflegekasse gemeldet. Inzwischen sei ein anderer ambulanter Pflegedienst in der Häuslichkeit. Sie habe Frau S. noch einmal besucht, als eine MitarbeiterIn des nun zuständigen Pflegedienstes dort tätig gewesen sei. Diese PflegedienstmitarbeiterIn habe sie dann aufgefordert, mit ihr gemeinsam das Haus zu verlassen, da sie die Wohnung abschließen und den Schlüssel dann an eine dritte Person übergeben müsse. Frau L. berichtet, sie sei völlig schockiert gewesen, habe der MitarbeiterIn des Pflegedienstes klargemacht, dass dies Freiheitsberaubung sei und Frau S. beispielsweise im Falle eines Feuers die Wohnung nicht verlassen könne. Frau L. berichtet, dass sie inzwischen nicht mehr in die Wohnung gehe, da ihr gesagt worden sei, dass inzwischen auch Vorwürfe gegen sie erhoben worden seien. Frau L. berichtet, dass sie begeistert gewesen sei, als sie in der Zeitung einen Artikel über das Modellprojekt gelesen habe. Sie habe gehofft, dass das Modellprojekt sofort in die Häuslichkeit geht und sich vor Ort ein Bild von der Situation macht. Zwischen dem Modellprojekt und Frau L. wird die Vereinbarung getroffen, dass das Modellprojekt mit dem nun zuständigen Pflegedienst Kontakt aufnimmt. Für diesen Pflegedienst stellen sich Fragen der Legitimation des Modellprojekts und des Datenschutzes. Nachdem ihm erläutert worden sei, dass es nicht um eine Anklage, sondern um eine Situationsklärung gehe, ist er bereit zu einer Information. Sie seien erst seit einer Woche dort tätig, erleben Frau S. als gut versorgt, und die Nichte kümmere sich ausreichend um die Tante. Sie haben es bisher nicht erlebt, dass Frau S. eingeschlossen werde. Es wird vereinbart, dass dieser Pflegedienst sich beim Modellprojekt 339 meldet, wenn der Eindruck entsteht, die Nichte versorge ihre Tante nicht adäquat. Die BeraterIn sieht in dieser Situation keine rechtliche Handlungsgrundlage für eine direkte Intervention in der Häuslichkeit, da zwei unterschiedliche Aussagen hinsichtlich der Versorgung und des Einschließens vorlägen und die Vorwürfe der nichtausreichenden Mobilisierung zu unkonkret seien. Fall 5 (Beratungszeitraum: ca. 18 Monate, Interview mit fallbeteiligtem Ehepaar und BeraterIn) Der Erstkontakt mit dem Modellprojekt kommt über einen Anruf einer Freundin der Betroffenen zustande. Diese berichtet, dass Frau P., 91 Jahre, allein in ihrer Wohnung lebe und von einem Ehepaar A. aus der Nachbarschaft versorgt werde, denen sie ihr Haus geschenkt habe. Die Freundin der Klientin bittet das Modellprojekt um Intervention: Die Klientin werde schlecht versorgt, bekomme kaum Geld in die Hand, und ihre Wünsche würden bei der Pflege nicht berücksichtigt. Beim Hausbesuch stellt sich heraus, dass die Klientin Alkoholikerin ist; sie beklage sich über die emotionale Kälte ihrer Pflegepersonen, drohe ihrer Freundin gegenüber mit Selbstmord, wolle aber weiterhin von den Nachbarn betreut werden, fühle sich ihnen verpflichtet und wolle nicht, dass das Modellprojekt zum Ehepaar A. Kontakt aufnimmt. Die Beratung wird zunächst vom Modellprojekt abgeschlossen mit der Feststellung, dass bei Nicht-Einverständnis von Frau P. keine Veränderung der pflegerischen Situation möglich sei. Nach drei Monaten findet ein erneuter Kontakt statt: Eine Verwandte von Frau P. aus Norddeutschland habe einen Überraschungsbesuch durchgeführt und schlimme Zustände vorgefunden (z.B. verschimmelte Lebensmittel im Kühlschrank). Wieder wird vom Modellprojekt festgehalten, dass eine Intervention ohne Zustimmung von Frau P. nicht möglich sei. Drei Wochen später erfolgt wieder ein Anruf der Freundin von Frau P.: Frau P. sei im Krankenhaus gewesen, sei nun zeitweise verwirrt; es müsse etwas geschehen. Sie, die Freundin, habe beim Amtsgericht die Betreuung für die Klientin beantragt. Die Freundin berichtet, dass sie bereits im vergangenen Jahr wiederholt einen Antrag auf Betreuung gestellt habe, da Frau P. sich immer so beklagt habe. Aber Frau P. habe immer wieder einen Rückzieher gemacht, wenn eine RichterIn mit ihr gesprochen habe, und gegen ihren Willen könne keine Betreuung eingerichtet werden. Es findet ein Hausbesuch des Modellprojekts zu- 340 sammen mit der Verwandten und der Freundin von Frau P. statt. Während des Hausbesuchs erscheint Frau A.; so ergibt es sich eher zufällig, dass ein Kontakt des Modellprojektes mit Frau A. zustande kommt. Im Anschluss an den Hausbesuch bei Frau P., sucht die BeraterIn das Ehepaar A. auf. Es werden dabei länger zurückreichende Konflikte zwischen der Freundin von Frau P. und dem pflegenden Ehepaar deutlich. Beide Parteien beschuldigen sich gegenseitig, Frau P. finanziell auszunutzen. Im Gegensatz zum Ehepaar A., das von einem Arzt die Anweisung bekommen habe, Frau P. nicht länger mit Alkohol zu versorgen, habe dies die Freundin übernommen. Es wird folgende Vereinbarung getroffen: Die Freundin behält den Wohnungsschlüssel von Frau P. und das pflegende Ehepaar verändert sein Pflegeverhalten in verschiedenen Punkten. Es finden weitere Gespräch mit Frau P. und den Pflegepersonen über den Erfolg der Veränderungen statt. Das Ehepaar A. nimmt einmal wöchentlich einen ambulanten Pflegedienst zur Unterstützung bei der Pflege der Frau P. in Anspruch. Für Frau P. wird zwischenzeitlich eine Betreuung eingerichtet. Sie habe sich dahingehend geäußert, dass alles so bleiben solle, wie es ist. Herr A. wird zum Betreuer ernannt mit einer Ergänzungsbetreuung durch einen Berufsbetreuer. Frau P. sei inzwischen aufgrund der Betreuungseinrichtung, für die sie ihre Freundin verantwortlich mache, sehr schlecht auf die Freundin zu sprechen. Mit ihrer pflegerischen Versorgung scheine sie zufrieden zu sein. Die BeraterIn schildert im Interview ihre Schwierigkeiten in diesem Fall. Im Nachhinein habe sie sich wiederholt gefragt, ob sie Frau P. stärker hätte motivieren sollen, dass sie ihr Einverständnis zu einem Gespräch mit Ehepaar A. gibt oder ob sie gegen ihr Einverständnis Kontakt zum Ehepaar A. hätte aufnehmen sollen, da nach ihrer Einschätzung die Gefahr einer Verschlechterung der Versorgung nicht bestanden habe. Sie habe sich jedoch an das Votum von Frau P. gebunden gefühlt, auch wenn sie ihr deutlich gemacht habe, dass so keine Veränderung möglich sei. Im Laufe des Falles habe sie sich auch Gedanken darüber gemacht, ob bei der Freundin von Frau P. finanzielle Motive eine Rolle spielen. Sie habe versucht, die beiden Seiten, die Freundin von Frau P. und die des Ehepaars A. zusammenzubringen, aber die Fronten seien so verhärtet gewesen, dass es vergebens gewesen sei. Die Versorgungssituation von Frau P. habe sich insgesamt verbessert und das Ehepaar A. erfahre durch den ambulanten Dienst auch eine gewisse Entlastung. Das Ehepaar A. bewerte die Intervention des Modellprojekts ziemlich negativ und habe wiederholt betont, dass nicht die Pflege die Belastung darstelle, sondern sie die Anschuldigungen der Freundin von Frau P. als sehr belastend erlebten. Bedauernswert sei nach Aussage der BeraterIn auch, dass der Kontakt zwischen Frau P. und ihrer 341 Freundin abgebrochen sei, da die Freundin für Frau P. eine emotional wichtige Bezugsperson sei. Das Gespräch mit dem Ehepaar A. bietet eine andere Sichtweise auf den Fall. Sie berichten, dass sie bereits zu Lebzeiten von Herrn P. Kontakt zum Ehepaar P. gehabt haben. Frau A. habe bereits Herrn P. gepflegt, der vor über zehn Jahren verstorben sei. Sie berichten, dass sie Frau P. früher mit Alkohol versorgt haben, dass ihnen dafür aber bei einem Krankenhausaufenthalt von Frau P. massive Vorwürfe gemacht worden seien; nach einem dort vorgenommenen Entzug habe sie längere Zeit nicht mehr getrunken. Nach dem Krankenhausaufenthalt haben sie Frau P. etwa ein halbes Jahr in ihrer Wohnung aufgenommen und sie gepflegt, da die Alternative eine Heimeinweisung gewesen wäre. Nachdem sich der Zustand von Frau P. dann wieder soweit gebessert habe, dass sie sich wieder bewegen konnte, habe sie wieder in ihre eigene Wohnung zurück gewollt. Da habe die Alkoholproblematik allmählich auch wieder angefangen. Die Freundin von Frau P. habe sie mit Alkohol versorgt. Im Laufe des Gesprächs kommen verschiedene Aspekte des Konflikts mit der Freundin von Frau P. zum Vorschein. Allerdings möchte Herr A. nicht auf Einzelheiten eingehen und auch nicht, dass diese in irgendeiner Form festgehalten werden. Das Ehepaar A. berichtet, dass es völlig schockiert gewesen sei, dass sich eine MitarbeiterIn eines „Gewaltprojektes“ an sie gewandt habe. Sie seien sich keiner Schuld bewusst, sicher würden sie auch mal Fehler machen, sie seien auch nur Menschen, aber sie hätten ihr Handeln und Tun kritisch hinterfragt und wüssten nicht, was sie da noch anders machen sollten. Herr A. stellt die Frage in den Raum, warum das Vormundschaftsgericht ihm denn eine Betreuung für Frau P. zusprechen sollte, wenn sie Frau P. wirklich so schlecht versorgt hätten. Auch der Zustand der Wohnung von Frau P. beim Besuch der Verwandten wird von dem Ehepaar A. ganz anders beschrieben. Die Verwandte habe sich über zehn Jahre nicht bei Frau P. sehen lassen, zuvor sei das Verhältnis zwischen ihnen gut gewesen, aber es habe beim letzten Besuch eine abrupte Veränderung von Seiten der Verwandten gegeben. Fall 6 (Beratungszeitraum: ca. 1,5 Jahre, Erstkontakt über Helpline, Interview mit Klientin) Ein Hausarzt ruft an. Er rufe mit Einverständnis und in Gegenwart einer 87jährigen fast vollständig erblindeten Patientin an. Er halte im Falle von Frau R. eine sofortige Intervention für dringend erforderlich. Frau R. werde regelmäßig von ihrem Ehemann geschlagen, verbal attackiert und bedroht. Sie habe Angst, dass er sie umbringe und suche Hilfe. Es erfolgt ein Hausbesuch durch das Modellprojekt bei der Betroffenen. 342 Am nächsten Tag beim zweiten Hausbesuch durch ProjektmitarbeiterInnen verlässt Frau R. unter Polizeischutz und mit dem Nötigsten an Kleidung ihren Mann. Danach findet durch das Modellprojekt eine Begleitung über mehrere Monate statt. Über den neuen Aufenthaltsort von Frau R. werden in der folgenden Darstellung keinerlei Angaben gemacht. Für die BeraterInnen war aufgrund der akut lebensbedrohlichen Situation von Frau R. eine sofortige Intervention geboten. Es wurden kurzfristig ein Ortswechsel für Frau R. und eine weitergehende Beratung vor Ort organisiert. Frau R. berichtet, dass sie sich in der neuen Umgebung einigermaßen gut eingelebt habe. Sie schildert, dass sie so froh und dankbar sei, dass die MitarbeiterInnen des Modellprojekts sie „da raus geholt“ haben. Sie wisse nicht, an wen sie sich hätte wenden sollen, wenn es ihren Arzt oder das Projekt nicht gegeben hätte. Im Verlauf des Interviews schildert Frau R. Szenen aus einer fast 60jährigen Ehe voller Demütigungen, Erniedrigungen und Misshandlungen. Sie wisse gar nicht, wie sie es so lange ausgehalten habe. Nach außen habe ihr Mann immer die Fassade gewahrt, sei als freundlicher, höflicher Mann wahrgenommen worden. Zu Hause sei er der Boss gewesen, er habe sie wie eine Sklavin behandelt. Er habe ihr damit gedroht, dass er sie umbringe und sie wie einen Hund im Garten verscharren würde, da bräuchte er keine Beerdigung zu bezahlen. Viele Nachbarn hätten von den Gewalttätigkeiten ihres Mannes gewusst, sich aber nicht einmischen wollen. Im weiteren Verlauf beschreibt Frau R. die Todesängste, die sie ausgestanden habe, nachts habe sie kaum schlafen können, da ihr Mann sie häufig im Schlaf angegriffen habe. Sie habe ihren Mann nicht angezeigt, da eine Polizistin ihr gesagt habe, dass er dann ihren neuen Aufenthaltsort erfahre. „Na ja, und da ist er frei. Er hat keine Schuld, weil er ist von der Polizei freigesprochen worden. Er hat keine Schuld. Na ja, ich will auch gar nicht gegen ihn aussagen. So viele Jahre habe ich ausgehalten, und jetzt bin ich frei!“ Sie lebe jetzt von einer Rente von knapp DM 380,- und zahle eine Miete in Höhe von DM 310,-; ihr würde eine finanzielle Unterstützung durch ihren Ehemann zustehen, wenn sie zum Sozialamt ginge, aber aus Angst davor, dass er dann erfahren würde, wo sie sich aufhalte, wolle sie gar kein Geld. Frau R. wird von Verwandten finanziell unterstützt. 343 6.2.3.3.3 Teilnehmende Beobachtungen der MitarbeiterInnen der Begleitforschung an face-to-face Beratungen Diese zusätzliche Form der Datenerhebung konnte in fünf der 189 Fälle der allgemeinen Beratung bei je einem Gespräch realisiert werden. Die teilnehmenden Beobachtungen fanden bei zwei der fünf BeraterInnen des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ statt. Die fünf teilnehmenden Beobachtungen fanden in verschiedenen Phasen des Beratungsprozesses statt, zwei im ersten ausführlichen Gespräch, zwei während eines Folgekontaktes im Rahmen einer längeren Beratung und eine bei einem Abschlussgespräch. Aufgrund dieser sehr begrenzten Anzahl von teilnehmenden Beobachtungen, die lediglich bei zwei BeraterInnen durchgeführt wurden, lassen sich keine verlässlichen Schlussfolgerungen über Arbeitsstile, Grundsätze und Interventionsansätze der Beratung der MitarbeiterInnen des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere“ ziehen. Hinzu kommt, dass eine teilnehmende Beobachtung an Beratungsgesprächen für die Mitarbeiterinnen der Begleitforschung nur über die Vermittlung der BeraterInnen zu realisieren war. Weiterhin können bei der gewählten Form der offenen Beobachtung reaktive Effekte beispielsweise im Sinne sozialer Erwünschtheit bei den KlientInnen und den BeraterInnen ausgelöst werden (vgl. BORTZ & DÖRING, 1995, S. 246). Die Fälle mögen der/dem Leser/in einen Eindruck der verschiedenen Problematiken und KlientInnen geben, die bei der Beratungsstelle gegen Gewalt im Alter im persönlichen Nahraum in der dreijährigen Laufzeit eingegangen und beraten worden sind. Skizzen der Fälle, in denen teilnehmende Beobachtung durchgeführt wurde Fall 1 (Beratungszeitraum: ca. 4 Monate, Teilnahme am ersten face-to-face-Beratungsgespräch) Eine Anruferin, Frau C. berichtet von Missständen in einer Kurzzeitpflegeeinrichtung, die ihre Mutter vor einigen Monaten betreut habe. Ihre Beschwerden habe sie schon damals bei der Leitung der Einrichtung vorgebracht. Frau C. pflege ihre 95j. schwerstpflegebedürftige Mutter seit Jahren zu Hause und nehme an einem „Gesprächskreis pflegender Angehöriger“ teil. Dort sei sie dazu ermuntert worden, ihre Erfahrungen mit dieser Kurzzeitpflegeeinrichtung dem Modellprojekt zu schildern, weil „andere Pflegebedürftige nicht die Lobby haben“. Im ersten persönlichen Kontakt wird deutlich, dass Frau C. eigentlich gar nicht weiter gegen diese Einrichtung vorgehen möchte. Schließlich wird dennoch mit ihrer Zustimmung vereinbart, dass das Modellprojekt Kontakt zu der Einrichtung aufnimmt. In den folgenden Gesprächen mit MitarbeiterIn- 344 nen der Pflegeeinrichtung räumen diese zwar Fehler ein, äußern aber auch, dass Frau C. zu hohe Ansprüche an die Einrichtung stelle. Fall 2 (Beratungszeitraum: 1 Monat, Teilnahme am ersten face-to-face Beratungsgespräch) Frau C., eine 73jährige schwerbehinderte Frau schildert, dass sie Streit mit ihrer Nachbarin gehabt habe; diese habe sie im Treppenflur ohne Anlass geschubst und getreten. Sie habe mit dieser Frau nie etwas zu tun gehabt. Außerdem liege sie im Streit mit ihrem Vermieter, der die Wohnung sanieren und sie aus dieser „raushaben“ möchte, um sie nach der Renovierung teurer zu vermieten. Sie habe die Befürchtung, dass der Vermieter eventuell ihre Nachbarin gegen sie aufgehetzt habe. Der Vermieter habe eine Räumungsklage gegen die Klientin wegen wiederholten Verstoßes gegen den Hausfrieden beim Landgericht, eingereicht und es habe einen Prozess gegeben: Sie sei beschuldigt worden, die Nachbarin im Treppenflur angegriffen zu haben. Dabei sei es doch genau umgekehrt gewesen. Sie holt ihre gesamten Unterlagen und zeigt diese der BeraterIn. Frau C. sagt, dass sie selbst diese Schreiben nicht vollständig verstehe, aber sie habe einen Rechtsanwalt, der ihr einiges erklärt habe. Beim Gerichtsverfahren habe man sie überhaupt nicht angehört. Den Unterlagen liegt ein Attest ihres Arztes bei, dass sie, Frau C., aufgrund ihrer Schwerbehinderung gar nicht in der Lage sei, die ihr vorgeworfenen körperlichen Angriffe gegen die Nachbarin ausgeführt zu haben. Jetzt müsse sie jedenfalls ihre Wohnung verlassen und benötige Unterstützung bei der Wohnungssuche und beim Umzug. Sie sei aufgrund ihrer Behinderung nicht in der Lage zu packen, Möbel ab- und wieder aufzubauen. Die für sie zuständige MitarbeiterIn des Kommunalen Sozialdienstes kümmere sich nicht ausreichend um sie. Sie habe Angst gehabt, dass das Modellprojekt nicht komme und sie möchte einfach nur noch ausziehen und ihre Ruhe haben. Sie verhalte sich doch still wie ein Mäuschen. Es wird die Vereinbarung getroffen, dass das Modellprojekt sie bei der Organisation des Umzuges unterstützt. Die Klärung der oben geschilderten körperlichen Auseinandersetzungen zwischen Frau C. und ihrer Nachbarin ist in der weiteren Beratung nicht von Bedeutung. Als die Klientin eine neue Wohnung gefunden hat, bricht der Kontakt zum Modellprojekt ab. Fall 3 (Beratungszeitraum: ca. 15 Monate, Teilnahme an einem Verlaufsberatungsgespräch) Ein älterer Mann, Herr Z., Bewohner einer gerontopsychiatrischen Einrichtung, schildert, dass er Gewalt erlebt habe. Er sei aufgrund von Intrigen als Heimbeirat abgesetzt worden, die ÄrztInnen der Einrichtung seien gegen ihn. Er fühle sich verfolgt und der „Kinderpornographie“ zu 345 unrecht beschuldigt. Er suche zurzeit einen Anwalt, der seine Interessen vertreten könne. Er will erfahren, ob bei der Polizei ein Ermittlungsverfahren gegen ihn laufe. Bei der Polizei erhält er diesbezüglich keine Auskünfte, daher reicht er eine Dienstaufsichtsbeschwerde ein. Beim letzten dokumentierten Termin wird u.a. der Rechtsanspruch von Herrn Z. auf Beantwortung seiner Dienstaufsichtsbeschwerde thematisiert. Die in der Beratung zu Tage tretende Symptomatik weist auf eine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis und auf weitere psychotische Störungen hin. Der Beratungsansatz war nach Aussage der zuständigen BeraterIn, Ansprechpartner für Herrn Z. zu sein, Verständnis für ihn zu zeigen, ihn Ernst zu nehmen, ihn aber in seinen „Dienstaufsichtsbeschwerde-Aktivitäten“ nicht zu sehr zu bestärken und alternative Aktivitäten und Hobbies zu thematisieren und zu fördern. Fall 4 (Beratungszeitraum: ca. 17 Monate, Erstkontakt über Helpline, Teilnahme an einem Verlaufsberatungsgespräch) Die Klientin schildert beim ersten Telefonat einen Konflikt mit ihrem Vermieter. Bei allen Folgekontakten geht es dann jedoch um einen Konflikt mit ihrem Nachbarn. Dieser beschuldige sie, gegen die Hausordnung zu verstoßen, ihn zu beleidigen und habe eine Klage gegen sie eingereicht. Der Konflikt stellt sich als kaum lösbar heraus, ein Schiedstermin scheitert, der Nachbar ist entschlossen, es zum Prozess kommen zu lassen. Die Hauptverhandlung findet statt, das Verfahren wird eingestellt, die Klientin muss aber die Verfahrenskosten tragen. Das Modellprojekt begleitet die Klientin über ein Jahr, berät sie und versucht, den Konflikt zu entschärfen. Im Verlauf des teilnehmend beobachteten Gesprächs schildert die Klientin noch einmal das bisher Vorgefallene. Der Schwerpunkt des Termins liegt in der Erörterung der verschiedenen bereits gemeinsam von Klientin und BeraterIn erarbeiteten Lösungsansätze. Die Klientin entschließt sich gegen Ende der Beratung, in ein betreutes Wohnprojekt umzuziehen. Ca. drei Monate nach Abschluss des Falles kommt es zu einer erneuten Kontaktaufnahme: Eine MitarbeiterIn des betreuten Wohnprojektes, in welchem die Klientin lebt, bittet das Modellprojekt um Unterstützung: Es habe neue Zwischenfälle mit dem Nachbarn gegeben. Im Gespräch schildert die Klientin, dieser Nachbar habe sie am neuen Wohnort verfolgt. Es werden Schutzmaßnahmen mit der Klientin besprochen, aber der BeraterIn kommen Zweifel am Realitätsbezug der Schilderungen der Klientin. 346 Fall 5 (Beratungszeitraum: ca. 2,5 Monate, Erstkontakt über Helpline, Teilnahme am Abschlussgespräch) Die Klientin, ca. 75 Jahre alt, schildert folgendes: Sie habe Schwierigkeiten mit einem Mieter, der bei ihr im Haus wohne. Er zahle seine Miete nicht, und von der Polizei habe sie erfahren, dass er als Krimineller und als gewalttätig bekannt sei. Die Klientin habe Angst und leide unter psychosomatischen Beschwerden. Für einen polizeilichen Eingriff gebe es keine Grundlage. Das Modellprojekt nimmt schließlich Kontakt mit dem Mieter auf und vereinbart mit ihm, dass er binnen zwei Wochen auszieht, was dieser auch tut. Im Abschlussgespräch steht die Zufriedenheit der Klientin mit der Intervention des Modellprojekts im Vordergrund und welche Vorgehensweisen bei einer erneuten Vermietung sinnvoll sein könnten. 6.2.3.4 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Im Rahmen der Evaluation der Beratungsarbeit des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ wurden verschiedene Instrumente und Methoden eingesetzt. Unmittelbar im Anschluss an die Beratung sollte mittels teilstandardisierter Beratungsevaluationsbögen in parallelisierten Versionen für BeraterInnen und KlientInnen eine Erfassung der Effekte aus beiden Perspektiven erfolgen. Zusätzlich sollte eine ausführliche Fallevaluation der allgemeinen Beratungsarbeit in vertiefenden qualitativen Interviews mit Fallbeteiligten durchgeführt werden. Einige Untersuchungsziele wie die Evaluation aller Beratungen erwiesen sich in der Beratungspraxis als nicht realisierbar. Aufgrund der geringen Rücklaufquoten der KlientInnenbögen und der Schwierigkeit, qualitative Interviews durchzuführen, wurden zusätzlich teilnehmende Beobachtungen an Beratungsgesprächen durch Mitarbeiterinnen der Begleitforschung durchgeführt. Die zur Dokumentation und Evaluation der Beratungsarbeit des Modellprojekts eingesetzten Methoden sollten Wege aufzeigen, wie eine vielfach unvermeidliche Datenerhebung über diejenigen, die evaluiert werden und dies auch wissen, im Sinne einer Perspektiven- und Datentriangulation (vgl. DENZIN 1978, FLICK 1995a, 1995b) ergänzt und korrigiert werden kann. In insgesamt 118 Beratungsfällen liegen lediglich teilstandardisierte Evaluationsbögen der Beratenden zum Verlauf der Beratung und in 22 Beratungsfällen retrospektive Einschätzungen der KlientInnen und Beratenden vor. Die Bögen beziehen sich nach Einschätzungen der BeraterInnen in 59,3% der Fälle auf Gewaltkonstellationen, in 7,1% liegen uneindeutige Konstellationen und in 33,6% andere Problemkonstellatio347 nen vor. Bei den Beratungen am Krisen- und Beratungstelefon handelte es sich in der Regel um einmalige Beratungskontakte, bei den Fällen der allgemeinen Beratung liegt die durchschnittliche Anzahl der Beratungskontakte bei 3,8. Die BeraterInnen selbst haben Evaluationsbögen in 140 von insgesamt 342 Beratungsfällen beantwortet. Bei den KlientInnen sind die Quoten noch geringer: In 15,7% der Fälle, in denen ein Evaluationsbogen von den Beratenden beantwortet wurde, liegt ebenfalls ein Bogen der KlientInnen vor. Insofern lassen die vorliegenden Stichproben der teilstandardisierten Beratungsevaluationsbögen nur in begrenztem Maße Schlüsse auf die Gesamtheit der Beratungen zu, die im Rahmen des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere“ im persönlichen Nahraum“ durchgeführt worden sind. Für die in sechs Beratungsfällen durchgeführten qualitativen Interviews mit Fallbeteiligten und die fünf teilnehmenden Beobachtungen an Beratungsgesprächen sind diese Einschränkungen ebenfalls gegeben. Eine Darstellung der Ergebnisse der Beratungsevaluation ist somit lediglich auf deskriptiver Ebene möglich. Es handelt sich bei diesen Daten um subjektive Aussagen von BeraterInnen, denen nur in wenigen Fällen subjektive Aussagen der KlientInnen gegenübergestellt werden können. Eine Validierung dieser subjektiven Angaben ist nicht möglich. Weiterhin muss berücksichtigt werden, dass diesen Beratungen ganz unterschiedliche Problemkonstellationen zugrunde liegen (einerseits im Rahmen der unterschiedlichen Gewaltkonstellationen und andererseits innerhalb der Bandbreite der anderen Problematiken, derer sich das Modellprojekt angenommen hat). Weiterhin ist es denkbar, dass die evaluierten Fälle eine Auswahl der BeraterInnen der Beratungen darstellen, die subjektiv als „erfolgreich“/“zufriedenstellend“ eingeschätzt wer221 den . Bei der Beurteilung der Zufriedenheit mit der Beratung – der eigenen und der angenommenen der KlientInnen – lässt sich zusammenfassend für die 118 Fälle, in denen nur Einschätzungen der Beratenden vorliegen, festhalten, dass die BeraterInnen die eigene Zufriedenheit mit der Beratung in vielen Fällen zurückhaltender einschätzen als die von ihnen angenommene der KlientInnen, welche sie in fast der Hälfte der Fälle mit mindestens 80% bewerteten. Jedoch unterscheiden die summarischen Zufriedenheitseinschätzungen der Beratenden sich weder bei den verschiedenen Beratungsformen (Helpline vs. allgemeine Bera221 Auch bei den ausgefüllten Bögen ist an intrapersonal motivierte Effekte der Selbstdarstellung (Impression Management, Self Presentation) der BeraterInnen zu denken (vgl. hierzu z.B. BORTZ & DÖRING, 1995, S. 210 ff.). 348 tung) noch in der Selbst- und Fremdeinschätzung (eigene Zufriedenheit vs. wahrgenommene der KlientInnen) signifikant voneinander. Die BeraterInnen schätzen die Entwicklung der in der Beratung bearbeiteten Problematik und eine Lösung der Probleme durch die Beratung in vielen Fällen eher kritisch ein. Eine größere Unzufriedenheit mit der Beratung zeigt sich bei den BeraterInnen häufiger in Fällen, in denen eine Gewaltproblematik vorliegt, was bei Betrachtung der oftmals komplexen Problemkonstellationen und teilweise eingeschränkten Interventionsmöglichkeiten durchaus nachvollziehbar ist. Nach Einschätzung der BeraterInnen ist in der Mehrzahl der Fälle nach der Beratung eine Verbesserung der persönlichen Situation der KlientInnen – operationalisiert über die Differenz der Items „Persönliche Situation der KlientIn nach und vor der Beratung“ – festzustellen. Es liegen bedeutsame Korrelationen der Zufriedenheit der Beratenden und der von ihnen angenommenen Zufriedenheit der KlientInnen vor (Helpline: r=.723***, allgemeine Beratung: r=.774***) sowie zwischen der wahrgenommenen Veränderung und der Einschätzung des Einflusses der Beratung auf diese Veränderung vor (Helpline: r=.643***, allgemeine Beratung: r=.535***). Beachtlich ist der prozentual sehr hohe Anteil der Fälle, in denen keine Veränderung der persönlichen Situation der KlientInnen wahrgenommen wird: In 46,4% der Fälle mit Gewaltproblematik und in 48,7% der Fälle mit anderen Problemkonstellationen wird keine positive Veränderung der persönlichen Situation der KlientInnen im Verlauf der Beratung aus der Perspektive der Beratenden wahrgenommen. Nach Einschätzung der BeraterInnen konnte das Problem der KlientInnen allerdings in 36,4% der Fälle „gar nicht“ bzw. in 46,6% „ein wenig“ gelöst werden (BFB 16). Die Beratenden bewerten ihr eigenes Handeln insgesamt positiv und gehen grundsätzlich von einer Zufriedenheit der KlientInnen mit der Beratung aus, wenngleich sie den erreichten Grad der Problemlösung weniger positiv einschätzen. Nach Aussagen der BeraterInnen erfolgte in einigen Fällen keine Beratung im eigentlichen Sinne – mit konkret umsetzbaren Zielen und Problemlösungen –, sondern eher eine „Begleitung“ der KlientIn über einen längeren Zeitraum (vgl. Kapitel 6.2.1). Die in dieser Fallgruppe geringe durchschnittliche Anzahl von Beratungskontakten relativiert den hohen Anteil ungelöster KlientInnenprobleme; in Fällen mit teilweise langjährig bestehenden, komplexen Fallkonstellationen ist nicht zu erwarten, dass innerhalb weniger Beratungskontakte adäquate Problemlösungen mit KlientInnen erarbeitet werden können. Von den BeraterInnen benannte Ressourcen, die zu einer Problemlösung beitragen, sind insbesondere Motivation und Offenheit der KlientIn sowie eine klare Schilderung der Problematik. Als einer Problemlösung 349 hinderlich werden von den BeraterInnen häufiger das Nichtzustandekommen eines gemeinsamen Gesprächs aller Fallbetroffenen, zu kurze Beratungsphasen, langjährig bestehende Problematiken und mangelnde Änderungsmotivation der KlientInnen beschrieben. Für die kleine Gruppe der Beratungsfälle (N=22), in denen auch Aussagen der KlientInnen vorliegen, lässt sich zusammenfassend festhalten, dass sowohl die KlientInnen als auch die BeraterInnen eine hohe Zufriedenheit mit der Beratung angeben. Die KlientInnen sind nach eigener Einschätzung zufriedener mit der Beratung als die Beratenden (signifikante Mittelwertsdifferenz der summarischen Zufriedenheitsbeurteilungen). Die KlientInnen beurteilen den Beratungsverlauf auch insgesamt positiver als die Beratenden. Sie beschreiben nach der Beratung eine Verbesserung der persönlichen Situation, die sie größtenteils auf die Beratung zurückführten. Auch bei dieser kleinen Stichprobe von KlientInnen zeigt sich, dass diese einerseits eine hohe Zufriedenheit mit der Beratung angeben und andererseits fast die Hälfte von ihnen angibt, dass ihr Problem gar nicht bzw. nur ein wenig gelöst werden konnte. Als besonders hilfreich wurden von den KlientInnen konkrete Vorschläge, Ratschläge und Sachinformationen der Beratenden sowie die Möglichkeit, offen über Probleme sprechen zu können, benannt. Kritische Äußerungen zu der Beratung finden sich bei den KlientInnen fast gar nicht. Bei der Beurteilung ist hier natürlich auch an Effekte sozialer Erwünschtheit oder den „Hello-Goodbye-Effekt“ zu denken, nach dem KlientInnen nach Beendigung einer Therapie bzw. hier Beratung die BeraterIn nicht durch schlechte Beurteilungen kränken wollen (KLANN & HAHLWEG, 1994, S. 147). Die Darstellungen der vertiefenden qualitativen Interviews mit Fallbeteiligten und der durchgeführten teilnehmenden Beobachtungen dienen der Veranschaulichung der Vielfältigkeit der Fallkonstellationen, die beim Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere“ beraten wurden. Insbesondere die Fälle, in denen qualitative Interviews geführt wurden, vermitteln einen Eindruck der Beratungsdilemmata, in die BeraterInnen bei Gewaltsituationen im Alter geraten können. In einem Fall beispielsweise schildert ein Anrufer beim Krisen- und Beratungstelefon, dass sein Vater vermutlich schon sehr lange seine Ehefrau, die Mutter des Anrufers misshandle. Durch die zunehmende Abhängigkeit der Mutter, die aufgrund einer rheumatischen Erkrankung inzwischen auf einen Rollstuhl angewiesen sei, verschlimmere sich die Situation. Er (der Sohn) möchte das gewalttätige Verhalten seines Vaters nicht länger hinnehmen, seine Mutter wolle aber nicht, dass die Misshandlungen angesprochen werden und würde möglicherweise das gewalttätige Verhalten ihres Ehemannes gegenüber Dritten abstreiten. 350 Eine Schlussfolgerung aus den Erfahrungen im Rahmen der Evaluation der Beratungsarbeit des Modellprojekts ist, dass eine Evaluation von Beratungen nicht wie in der hier gewählten Form auf die Vermittlung der BeraterInnen – deren Arbeit evaluiert werden soll – angewiesen sein sollte. Die Begleitforschung hatte keine Möglichkeiten, zu KlientInnen direkt Kontakt aufzunehmen, sondern unterlag bei allen drei gewählten Methoden (standardisierte Befragungsbögen, qualitative Interviews, teilnehmende Beobachtung) stets einer möglichen Selektion der Auswahl der KlientInnen durch die BeraterInnen. Bei einem anonymen telefonischen Beratungsangebot wie dem Krisen- und Beratungstelefon des Modellprojekts verbietet sich natürlich eine direkte Kontaktaufnahme. Es soll auch nicht in Frage gestellt werden, dass gerade bei einem Projekt, welches Beratung für von Gewalt betroffene ältere Menschen anbietet, in einigen Fällen ethische Bedenken gegen eine Evaluation sprechen können oder die zu einer Evaluation erforderliche Datenerhebung für die Klienten eine kognitive Überforderung darstellt. Dennoch wären alternative Vorgehensweisen hinsichtlich der Durchführung und Weiterleitung der Evaluationsinstrumente überlegenswert. 6.2.4 Untersuchungen zur Öffentlichkeitswirksamkeit des Modellprojekts 6.2.4.1 Analyse von Veröffentlichungen über das Modellprojekt in allgemein zugänglichen Printmedien 6.2.4.1.1 Ziele der Untersuchung Im Folgenden wird eine Analyse der Berichterstattung über das Modellprojekt in Printmedien vorgestellt. Die Untersuchung soll einen Überblick über Art und Umfang der Berichterstattung über das Modellprojekt und die bearbeitete Thematik geben. Es ist einerseits von Interesse, in welchem Umfang es dem Modellprojekt gelungen ist, die Thematik und Arbeit des Modellprojekts in den Printmedien zu präsentieren. Andererseits soll untersucht werden, welche Vorstellungen von Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum durch die Berichterstattung über das Modellprojekt vermittelt wurden. Diesbezüglich interessierten insbesondere die Fragen, wie das Problem konzeptuell gefasst wird, wie der Gewaltbegriff erklärt wird, welche Ursachenanalysen präsentiert werden, welche Interventionen empfohlen und welche Fallbeispiele genannt werden. 351 Die inhaltsanalytische Auswertung von Medienberichterstattung erlaubt keine zuverlässigen Rückschlüsse auf die der Berichterstattung zugrundeliegende Öffentlichkeitsarbeit des Modellprojekts und die auf Seiten der JournalistInnen und der Redaktionen hinsichtlich Schwerpunktsetzung, Auswahl der Themen, Zitatauswahl etc. wirksamen Selektionsmechanismen. Die vorliegende Auswertung erlaubt Aussagen über das Bild, das in den Printmedien (vor allem) der Region Hannover über das Problem Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum in Zusammenhang mit der Arbeit des Modellprojekts Verbreitung fand. Diese Medienanalyse ermöglicht es zu überprüfen, inwieweit die Ziele, die sich das Modellprojekt in der Phase der Konzeptentwicklung hinsichtlich der Öffentlichkeitsarbeit – auch – im Bereich der Printmedien gesetzt hat, erreicht werden konnten. Ziele der Öffentlichkeitsarbeit des Modellprojekts wurden im Konzept Öffentlichkeitsarbeit vom 19.10.1998 und seiner Modifikation (15.3.1999) formuliert. Grundlegende Prämissen waren „Sensibles Vorgehen ohne die Problematik zu skandalisieren“ und „Verdeutlichung der Entstehungszusammenhänge von Gewalt“. In der Öffentlichkeitsarbeit sollte „ein klares Profil der Hilfemöglichkeiten“ dargestellt werden. Zudem sollten „Aufklärung erreicht und angemessene Handlungs- und Reaktionsmuster auf typisierte gewaltauslösende Situationen vermittelt werden“. Die Bekanntheit der Thematik und des Modellprojekts sollten erhöht 222 werden . Die Zielgruppe „allgemeine Öffentlichkeit, von Gewalt betroffene ältere Menschen, Gewaltausübende“ sollten unter anderem durch Tageszeitungen und Rundfunk angesprochen werden. 6.2.4.1.2 Methoden und Durchführung der Untersuchung Grundlage der vorliegenden Analyse sind Berichte aus Zeitungen und Zeitschriften, die im Kontext des Modellprojekts in den Jahren 1997 bis 2001 veröffentlicht und von den MitarbeiterInnen des Modellprojekts archiviert wurden. Diese Sammlung kann bezüglich der Printmedien für Hannover als nahezu vollständig gelten. 222 Als weitere Ziele werden beispielhaft genannt „Problembewusstsein wecken; Ursachen vermitteln; realistisches Altersbild verbreiten; emotionalen Zugang eröffnen, da potenziell alle betroffen sein können; Vermittlung, dass Alter und Gewalt zum Alltag gehören / verstärkte Wahrnehmung des Problems; langfristig sollen Handlungen verändert werden (Werthaltungen); durch breite öffentliche Diskussion sollen Rahmenbedingungen verändert werden; Betroffene erreichen; sensibilisieren und motivieren, Hilfe anzunehmen; Anregung zur Selbstreflexion; Hilfe vermitteln – Möglichkeiten aufzeigen; Unterstützung für das Projekt gewinnen; bewusste Planung des eigenen Lebens“ (aus: Konzeption Öffentlichkeitsarbeit, 15.3.1999). 352 Zentrale Kriterien für die Auswahl der Berichte waren die allgemeine 223 Zugänglichkeit des Presseorgans im Verbreitungsgebiet sowie eine redaktionelle Auswahl, Bearbeitung oder zumindest Sichtung der Texte. Eigenveröffentlichungen des Modellprojekts wie Flyer, Plakate, bezahlte Beilagen zu Gemeindeblättern, die z.B. das Logo des Modellprojekts tragen, sollten hier nicht ausgewertet werden. Der Abdruck von Pressetexten (z.B. Veranstaltungshinweisen), die zum Teil redaktionell kaum bearbeitet, höchstens etwas gekürzt wurden, wurde hingegen in die Untersuchung einbezogen. Die berichterstattenden RedakteurInnen machen sich häufig – und legitimerweise – Formulierungen und Meinungen ihrer kompetenten InformantInnen zu eigen. Es gibt also eine Art von fließendem Übergang zwischen „Eigen-“ und „Fremd“veröffentlichungen. Es wurden 65 Artikel in die Auswertung einbezogen. Im Folgenden sind für die inhaltliche Auswertung der Artikel relevante Kategorien aufgeführt. • • • • • Umriss und Einordnung des Themas: Aussagen zu Gewalt gegen Senioren im privaten Raum im Vergleich mit ähnlichen Themenbereichen (z.B. Gewalt gegen Senioren im öffentlichen Raum, mit Gewalt gegen Kinder, Frauen) Aussagen, die Formen von Gewalt gegen Ältere im privaten Raum beschreiben Aussagen über die Ursachen für Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum Aussagen zur Konzeption des Modellprojekts bzw. anderer Initiativen im Umgang mit aktuellen Gewaltsituationen Aussagen zur Prävention von Gewalt gegen ältere Menschen. Für die Auswertung der inhaltlichen Fragestellungen wurden 28 Artikel ausgewählt, die wenigstens zu einem der Aspekte des Themas Aussagen enthielten. Bei den anderen Artikeln handelt es sich um in der Regel um kurze Meldungen, die keine inhaltlichen Aussagen wiedergeben. In 17 der 28 ausgewählten Artikel wurden diese Aussagen im Text zumindest zum Teil als Aussagen von MitarbeiterInnen des Modellprojekts kenntlich gemacht. 223 Fachveröffentlichungen wurden nicht berücksichtigt. 353 6.2.4.1.3 Ergebnisse 6.2.4.1.3.1 Beschreibung des Materials, Anlässe der Berichterstattung 224 Nur drei der 65 Artikel stammen aus nicht lokalen Presseorganen . Der untersuchte Zeitraum der Berichterstattung beginnt am 21.8.1997 und endet am 24.2.2001. Die folgende Graphik zeigt die Verteilung der Artikel nach Kalendermonaten. Graphik 6.2.4.1/1: Verteilung der Berichterstattung nach Kalendermonaten (N = 65) 9 8 8 7 6 6 5 5 4 4 4 3 3 3 3 3 3 2 2 2 2 2 2 2 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 Aug 97 Sep 97 Okt 97 Nov 97 Dez 97 Jan 98 Feb 98 Mrz 98 Apr 98 Mai 98 Jun 98 Jul 98 Aug 98 Sep 98 Okt 98 Nov 98 Dez 98 Jan 99 Feb 99 Mrz 99 Apr 99 Mai 99 Jun 99 Jul 99 Aug 99 Sep 99 Okt 99 Nov 99 Dez 99 Jan 00 Feb 00 Mrz 00 Apr 00 Mai 00 Jun 00 Jul 00 Aug 00 Sep 00 Okt 00 Nov 00 Dez 00 Jan 01 Feb 01 0 Dabei zeigt sich, dass zu Beginn und gegen Ende der Projektlaufzeit eine häufigere Berichterstattung stattfand. Verstärkt wurde in den Monaten Februar bis April 1999, Juli und August 1999 sowie von Januar bis Juli 2000 berichtet. Insbesondere im Frühjahr und Sommer 2000 fand in den Stadtbezirken verstärkt Öffentlichkeitsarbeit zu den dort entwickelten Produkten statt. In 13 Artikeln (20%) war ein Photo mit abgedruckt. Die Verteilung der Artikel nach Darstellungsform findet sich in der folgenden Tabelle. Die beiden häufigsten Darstellungsformen sind Bericht und Meldungen, nur selten wurden im Kontext der Berichterstattung über das Modellprojekt 224 Ein Artikel stammt vom evangelischen Pressedienst, einer aus der Frankfurter Rundschau und einer aus dem Delmenhorster Kurier. 354 Reportagen oder reine Servicemeldungen verzeichnet (vgl. Tabelle 6.2.4.1/1). Tabelle 6.2.4.1/1: Darstellungsform der Artikel n 36 24 2 3 65 Bericht Meldung Reportage Servicemeldung Gesamt % 55,4 36,9 3,1 4,6 100,0 225 Im Durchschnitt enthielten die Texte 250 Worte; der längste Artikel enthielt 1026, der kürzeste 31 Worte (Md = 187; SD = 204,16). Die Verteilung der Anzahl der Worte pro Artikel korrespondiert mit der Verteilung nach Darstellungsformen. Etwa 60% der Artikel sind Berichte und einige wenige Reportagen, d.h. längere und ausführlichere Texte, in denen zumeist nicht nur die Angebote des Modellprojekts dargestellt, sondern auch Erläuterungen zum Thema Gewalt gegen ältere Menschen gegeben werden. Etwa zwei von fünf Texten sind Meldungen, d.h. Texte, in denen Ereignisse nur kurz dargestellt oder Aktivitäten angekündigt werden. Tabelle 6.2.4.1/2: Erscheinungsorgan Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ) HAZ Stadtteilausgabe Neue Presse Gratis-Wochenzeitungen Stadtteilzeitungen Sonstige Gesamt n 20 8 3 13 10 10 65 % 31,3 12,5 4,7 20,3 15,6 15,6 100,0 Obenstehende Tabelle (6.2.4.1/2) schlüsselt die untersuchten Texte nach Erscheinungsorganen auf. Dabei zeigt sich die dominante Position der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, einer der beiden lokalen Tageszeitungen in Hannover. In dieser Zeitung sowie in ihren Stadtteilausgaben erschienen mehr als zwei Fünftel der Artikel über das Modellprojekt. Vergleichsweise selten berichtete die zweite, im selben Verlag erscheinende lokale Tageszeitung. Hier wird die Bedeutung enger Kooperationen mit RedakteurInnen sichtbar: Im Falle der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung zeigte sich eine Redakteurin stark interessiert am Modellprojekt und seiner Fragestellung und war als stetige 225 Bei 63 Artikeln war die Wortzählung möglich, bei den anderen beiden fehlten in den vorliegenden Kopien Textteile. 355 Ansprechpartnerin in der Regel für eine Berichterstattung offen. Über ein Drittel der Berichterstattung erfolgte über kostenlose Wochenzeitungen und verschiedene Stadtteilzeitungen. Diese Zeitungen wurden von den MitarbeiterInnen als Veröffentlichungsorgane besonders geschätzt, da sie gratis in den Häusern verteilt und – so die Vermutung der MitarbeiterInnen – von älteren Menschen besonders häufig gelesen werden. In der Rubrik „Sonstige“ sind wenige überregionale Organe sowie lokale Zeitschriften wie z.B. die Obdachlosenzeitschrift Asphalt zusammengefasst. Während bei den Stadtteilzeitungen die Darstellungsform „Meldungen“ überwog, war insbesondere in den kostenfreien Wochenzeitungen, in der Neuen Presse und unter „Sonstigen“ der Anteil der Berichte an der gesamten Berichterstattung der jeweiligen Organe höher. Die Hannoversche Allgemeine Zeitung war die einzige Zeitung, die zwei Reportagen zum Thema veröffentlichte. Die Hälfte der Texte aus der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung waren Berichte. Die folgende Übersicht (Tabelle 6.2.4.1/3) zeigt die Anlässe der Berichterstattung. Tabelle 6.2.4.1/3: Anlässe der Berichterstattung Modellprojekt insgesamt bzw. Stadtteilarbeit Veranstaltungen Häuslicher Unterstützungsdienst 226 Aufrufe zur Mitarbeit an der Begleitforschung Info-Faltblätter und Plakate „Telefonberatung im Alter“ Broschüre „Beratung und Hilfe im Alter“ Erlebnis- und Informationstag für Senioren im Stadtteil Sahlkamp andere Anlässe/Anlass nicht erkennbar Gesamt Anzahl der Artikel 25 17 8 4 3 2 2 4 65 In nahezu allen Texten sind die Anlässe für die Berichterstattung direkt oder indirekt in den Aktivitäten des Modellprojekts zu suchen. Am häufigsten waren Themen, die die Arbeit des Modellprojekts allgemein oder die Stadtteilarbeit als Ganzes betrafen (z.B. Beginn, Zwischenbilanz, Ende der Arbeit etc.) Anlässe der Berichterstattung. Ebenfalls häufig gaben Veranstaltungen den Anlass zur Berichterstattung; dabei handelte es sich zumeist um Vorträge oder Tagungen, die entweder vom Modellprojekt selbst organisiert waren, oder bei denen sich das Modellprojekt auf Anfrage anderer Stellen oder Initiativen 226 Drei dieser Artikel, die auf Betreiben der wissenschaftlichen Begleitung veröffentlicht wurden, beinhalteten lediglich die Bitte um Kooperation bei einem Forschungsvorhaben, das im Kontext des Modellprojekts stand. Inhaltliche Aspekte der Problematik Gewalt gegen Ältere sind hier nicht benannt. 356 beteiligte. 13 Texte gingen auf Stadtteilaktivitäten des Modellprojekts zurück (vgl. Kap. 6.2.6). Am häufigsten waren dabei Artikel zur Einrichtung des Häuslichen Unterstützungsdienstes in Ricklingen-Mühlenberg, weitere bezogen sich auf die Aktivitäten im Stadtbezirk Sahlkamp-Vahrenheide. Die lokalen Aktivitäten wurden häufig über die kostenlosen Stadtteilzeitungen publiziert. Zwei Artikel gingen auf Aktivitäten des zentralen Vernetzungsgremiums AG „Telefonberatung im Alter“ (vgl. Kap. 6.2.5) zurück. Das Modellprojekt hat mit den eigenen Aktivitäten und einer kontinuierlich begleitenden Pressearbeit dafür gesorgt, dass das Thema „Gewalt gegen Ältere“ in Hannover über einen Zeitraum von 3 Jahren hinweg immer wieder in die Presse gelangte und dabei zum Teil intensiv erörtert wurde. Es konnte erreicht werden, dass sowohl kurze Informationen über Veranstaltungen und andere Aktivitäten des Modellprojekts als auch ausführlichere Darstellungen der Problematik in den Printmedien publiziert wurden. Dabei wirkte sich sicher positiv aus, dass das Thema „Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum“ für Medien sowohl aufgrund des Neuigkeitswertes als auch des Skandalisierungspotenzials von Gewalt in engen persönlichen Beziehungen attraktiv ist. 6.2.4.1.3.2 Aussagen zu Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum Die inhaltliche Auswertung ergab insgesamt 83 einzelne Aussagen aus 227 28 Artikeln . 48 dieser Aussagen, d.h. mehr als die Hälfte, waren zumindest teilweise als Beiträge der MitarbeiterInnen des Modellprojekts kenntlich gemacht. Die Aussagen verteilen sich auf die Kategorien wie folgt: 227 Eine Aussage ist nicht in jedem Fall eine zusammenhängende Textpassage. Es wurden jeweils alle Passagen eines Textes, die einer bestimmten Kategorie zugeordnet werden konnten, als Aussage dieses Textes zur jeweiligen Kategorie zusammengefasst. Eine „Aussage“ kann daher verschiedene Quellen (Aussagende) und ggf. auch unterschiedliche Einschätzungen umfassen. 357 Tabelle 6.2.4.1/4: Inhaltliche Aussagen in den untersuchten Texten (N = 83) Umriss und Einordnung des Themas: Aussagen zu Gewalt gegen Senioren im privaten Raum im Vergleich mit Gewalt gegen Senioren im öffentlichen Raum, mit Gewalt gegen Kinder, Frauen o.ä. Aussagen, die Formen von Gewalt gegen Ältere im privaten Raum beschreiben Aussagen über Ursachen von Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum Aussagen zur Konzeption des Modellprojektes bzw. anderer Initiativen im Umgang mit aktuellen Gewaltsituationen Aussagen zur Prävention (Wie kann Gewalt gegen Ältere vorgebeugt werden? Was sollte institutionell verändert werden?) Aussagen insgesamt Aussagen, die den MitarbeiterInnen des Modellprojekts zugeschrieben wurden 25 13 16 10 21 16 13 8 9 5 In der weiteren Auswertung wurde das Augenmerk vor allem darauf gerichtet, inwieweit es für jede Kategorie eine dominierende allgemeine Aussage zu dem jeweiligen Aspekt des Themas gibt. Diese allgemeinen Aussagen sollten formuliert bzw. inhaltliche Unterschiede in den Aussagen herausgearbeitet werden. 6.2.4.1.3.2.1 Ergebnisse der inhaltsanalytischen Auswertung der Presseberichte 6.2.4.1.3.2.1.1 Zu Umriss und Einordnung des Themas „Gewalt gegen Ältere“ In auffallend vielen Aussagen dieser Kategorie ist von einem „Tabu“ die Rede, welches das Thema „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ umgebe. In etwa der Hälfte der Aussagen in dieser Kategorie fällt das Wort „Tabu“, in vier weiteren wird sinngemäß der selbe Sachverhalt geschildert. Zwei Kernaussagen lassen sich diesbezüglich identifizieren: Mit Gewalt gegen Alte werde meist der Überfall auf offener Straße assoziiert. Viel häufiger würden alte Menschen aber im privaten Raum zu Opfern von Gewalt. Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum spiele also eine große Rolle. Dies sei jedoch kaum bekannt und mit einem Tabu belegt. Daher sei die „Enttabuisierung“ notwendig. Hier werden 358 Vergleiche zu den Themen Kindesmissbrauch oder Gewalt gegen Frauen angeführt. In den Texten aus lokalen Printmedien wird eine gewisse „Karriere“ des Themas Gewalt in der (hannoverschen) Öffentlichkeit nachgezeichnet. Zunächst wird das Thema eingeführt und in den meisten ausführlicheren Texten als „tabuisiert“ bezeichnet. Die Bedeutung des Problems wird immer wieder erörtert und in Relation gesetzt zu anderen, bekannteren Themen (Gewalt gegen Ältere auf der Straße, Gewalt in der Familie gegen Kinder und Frauen). Ab Ende Januar 2000, nach etwa zwei Jahren Berichterstattung zum Modellprojekt, werden in drei Artikeln ProjektmitarbeiterInnen mit der Aussage zitiert, in der Familie trete Gewalt viel häufiger auf als im öffentlichen Raum. Damit bekommt das Thema zusätzliches Gewicht. Schließlich wird zum Abschluss des Modellprojekts im Januar 2001 angemerkt, dass das Thema durch die Arbeit des Modellprojekts allmählich etwas aus der Tabuzone herauskomme. Wichtige Bestandteile des Tabuisierungsdiskurses sind der Hinweis auf das Geschehen im Verborgenen und eine angeblich vermiedene Thematisierung. 6.2.4.1.3.2.1.2 Formen von Gewalt gegen Ältere Eine Kernaussage in dieser Kategorie ist, dass Gewalt gegen Ältere sehr unterschiedliche Formen annehmen könne, nicht nur körperlicher, sondern häufig auch psychischer Art sei. Gewalt ist im allgemeinen mit dem Begriff der körperlichen Gewalt besetzt. Das kann vom festen Griff bis zum Schlagen reichen. (...) Eine Form der Gewalt ist aber auch die seelische Gewalt, die äußerst facettenreich sein kann und vornehmlich im persönlichen Nahraum zu finden sein dürfte. Dazu gehören beispielsweise einschüchternde Beschimpfungen, Liebesentzug, Einschränkung der Freiheit, Vernachlässigung und finanzielle Ausnutzung. Ähnliche Aussagen finden sich in neun Artikeln. Zum Ende des Berichterstattungszeitraumes wird –den Erfahrungen in der praktischen Arbeit entsprechend – die Bedeutung psychischer Gewalt hervorgehoben: Etwa nur ein Drittel der Fälle habe etwas mit körperlicher Gewalt zu tun. In den meisten Fällen gehe es vielmehr um psychische Gewalt oder um Druck auf Senioren durch Geldforderungen. Diese Bewertung wird in zwei anderen Artikeln wiederholt. Definitionen von Gewalt kommen im untersuchten Material nicht vor. In der Regel werden wie im oben genannten Beispiel verschiedene Gewaltformen aufgezählt. Gewalt wird in den untersuchten Artikeln ganz allgemein als etwas Abzulehnendes behandelt. Nur in zwei Artikeln wird Gewalt auch unter einem anderen Blickwinkel betrachtet. So wird zum 359 einen Gewalt als notwendiger Zwang in der Pflege, zum anderen als elementare Lebenstatsache bezeichnet. 6.2.4.1.3.2.1.3 Ursachen von Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum Psychische und körperliche Überforderung der Pflegenden wird als Gewaltursache mit Abstand am häufigsten genannt. In 13 von 20 Artikeln tauchen die Begriffe Überforderung, Überlastung oder überfordert explizit auf, in vier weiteren wird derselbe Sachverhalt umschrieben mit z.B. Belastungen durch häusliche Pflege und Betreuung oder eine Situation, die ihnen über den Kopf wächst. Auch Hilflosigkeit wird drei mal 228 genannt, jeweils zusammen mit Überforderung . Unwissenheit wird im Kontext mit Überforderung in drei Artikeln als Ursache von Gewalt benannt. Damit sind die fehlende Fähigkeit, die Anforderungen durch die Pflege im Vorfeld abzuschätzen und inadäquate Kenntnisse über die Krankheitsbilder der Pflegebedürftigen gemeint. Das Täter/Opfer-Verhältnis wird in drei Artikeln direkt angesprochen. Dabei wird betont, dass die Grenzen zwischen Opfer und Täter/Täterin (...) nicht immer genau zu ziehen [sind]. Personen, die gepflegt werden müssen, können in ihrer Abhängigkeit ebenso Aggressionen an den Tag legen (Anschreien, ständige Kritik, Desinteresse, Kränkungen) wie Pflegende, die sich hilflos und überfordert fühlen. Fälle von Gewalt in Pflegekonstellationen werden als Gewaltverhältnisse ohne Täter geschildert. Isolation, Ausgrenzung, Einsamkeit und ähnliches werden in sieben Artikeln als Gewaltursache genannt. Die beiden unterschiedlichen Aspekte dieses Erklärungsansatzes sind soziale Isolation von Pflegenden, die deren Gewaltbereitschaft erhöhe, sowie Isolation als Nährboden für Gewalt, da das Viktimisierungsrisiko bei einsamen älteren Menschen höher sei. In sechs Artikeln werden alte unausgetragene Konflikte in der Familie als Ursache von Gewalt ausgemacht. Dazu werden Spannungen zwischen Pflegenden und Gepflegten, die z.B. durch Rollenwechsel entstehen können, erwähnt. Die geschilderten Erklärungsansätze gehen von einer Gewaltsituation im Kontext häuslicher Pflege aus. Der dominierende Erklärungsansatz von Gewalt ist diesbezüglich die Überlas228 Eine Überprüfung des hier nicht berücksichtigten Materials ergab, dass auch in den Artikeln, in denen nicht ausführlich oder ausdrücklich von Gewalt die Rede ist, Ausdrücke wie Überforderung oder belastende Lebenssituationen regelmäßig auftauchen. 360 tung und Überforderung von pflegenden Angehörigen durch die Kombination von Pflege, älteren Familienkonflikten und Rollentausch mit den nunmehr abhängigen und versorgungsbedürftigen Eltern (vgl. zur Diskussion dieses Erklärungsansatzes Kap. 1.2.3). Unmittelbar materielle Ursachen für Gewalt gegen Ältere werden insgesamt seltener und erstmals nach zwei Jahren Arbeit des Modellprojekts genannt. In sieben Artikeln werden finanzielle Motive – bedingt beispielsweise durch finanzielle Schwierigkeiten, Abhängigkeit vom Pflegegeld – und in sechs Artikeln beengte oder unzureichende Wohnverhältnisse als Ursachen für Gewalt angegeben. Selten (zwei mal) werden niedere Motive bzw. Bösartigkeit als Ursachen genannt, wobei betont wird, dass die Hauptursachen für Gewalt andere seien. In einem Text werden negative Altersstereotype als Mitursache von Gewalt gegen Ältere identifiziert. Grundsätzlich sind multiple Erklärungen üblich, meist werden mehrere der bisher genannten Ursachen für Gewalt gemeinsam genannt. Insgesamt spielen Erklärungsmuster die größte Rolle, die Gewalt in der Pflege und Betreuung älterer Menschen letztlich auf die Überbelastung in der familiären Pflege zurückführen. In mehreren Artikeln wird darauf hingewiesen, dass es meist Frauen sind, die in der Familie die Pflege älterer Angehöriger übernehmen. Zudem wird das Problem der Mehrfachbelastung vieler pflegender Frauen benannt. In diesem Kontext wird nicht die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung thematisiert und problematisiert, sondern die Schilderung der besonders großen Belastung von Frauen mit pflegerischen Aufgaben dient der Erläuterung und Erklärung der Entstehung von Gewalt in familiären Pflegesituationen um im nächsten Schritt individuelle Hilfe und Entlastung anzubieten. In 16 von 20 Artikeln sind Aussagen zu Ursachen von Gewalt im Alter als Aussagen der MitarbeiterInnen des Modellprojekts kenntlich gemacht. Auch die anderen Artikel, in denen die MitarbeiterInnen des Modellprojekts nicht zu Wort kommen, bieten keine grundsätzlich anderen Erklärungsmuster. 6.2.4.1.3.2.1.4 Konzepte für den Umgang mit Gewalt gegen Ältere In der Analyse ging es nicht um die Darstellung der Hilfsangebote des Modellprojekts – die ja in fast jedem Artikel benannt wurden –, sondern das Augenmerk lag auf Konzepten, die einen bestimmten Umgang mit Gewalt gegen Ältere begründen. Dazu gab es insgesamt nur 13 Aussa361 gen. Die Leitaussage in dieser Kategorie ist, dass das Modellprojekt nicht anklagen, sondern helfen und beraten wolle. Mit entsprechenden Aussagen werden im Vorfeld und zum Beginn des Modellprojekts die damalige Gleichstellungsbeauftragte, der Oberbürgermeister von Hannover, Herbert Schmalstieg, und die damalige Bundesfamilienministerin Claudia Nolte zitiert. Die MitarbeiterInnen des Modellprojekts betonen in den ersten zwei Jahren nach dem Start des Projektes das Credo, Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum dürfe nicht kriminalisiert werden, man wolle nur Hilfe anbieten und Auswege aufzeigen. Im letzten Jahr der Berichterstattung taucht diese Aussage nicht mehr explizit auf. Die Existenz klar zuzuordnender Täter-Opfer-Rollen, zu Beginn des Modellprojekts noch Thema in den Aussagen, wird zunehmend in Zweifel gezogen. Pflegende Angehörige seien meist Täter und Opfer zugleich, und Es gehe in dem Projekt bei der Entwicklung von Angeboten nicht um Schuld, um Täter und Opfer, sondern um Entlastung und Hilfen. In den Artikeln, die sich mit dem ehrenamtlichen häuslichen Unterstützungsdienst (HUD) befassen, wird schließlich auf den Begriff „Gewalt“ gänzlich verzichtet. Deutlich wird hier das Bemühen des Modellprojekts, sich in der öffentlichen Berichterstattung als ausschließlich helfende Institution darzustellen. Angst vor „Kriminalisierung“ oder „Skandalisierung“, so der Tenor, brauche niemand zu haben. Eine über diese allgemeinen Aussagen hinausgehende Darstellung von Methoden der Arbeit des Modellprojekts findet in der Berichterstattung kaum Berücksichtigung. In einem Artikel wird allerdings ausführlich erläutert, wie der Ablauf einer Beratung durch das Modellprojekt aussehen kann. 6.2.4.1.3.2.1.5 Prävention Bei der Auswertung der insgesamt nur neun Aussagen in dieser Kategorie wurden in den Texten zitierte Empfehlungen von MitarbeiterInnen des Modellprojektes und anderen ExpertInnen untersucht. Aus der Perspektive des Modellprojekts wurden folgende Vorschläge zur Prävention von Gewalt gegen Ältere benannt: Sinnvolle Prävention von Gewalt gegen ältere Menschen müsse bei jungen Leuten beginnen, ferner müssten das Bild älterer Menschen in der Gesellschaft und ihre Wertschätzung dringend verbessert werden. Zudem müssten Pflegende lernen, für sich selbst zu sorgen. Zu ihrer Entlastung seien Unterstützungsmaßnahmen von nachbarschaftlichen Hilfen und Beratungen bis zu Besuchsdiensten nötig. Ferner sei es notwendig, dass sich alle 362 Menschen frühzeitig mit dem Altwerden auseinandersetzten und im Gespräch mit den Angehörigen ihre Versorgung planten. Weitere Möglichkeiten der Prävention von Gewalt gegen ältere Menschen seien gesteigerte Achtsamkeit der Mitmenschen im öffentlichen Raum und vorsichtiges Verhalten der älteren Menschen selbst. Adressaten und Umsetzende dieser Forderungen und Präventionsmöglichkeiten sind damit die Allgemeinheit, Familien- und nachbarschaftliche Zusammenhänge sowie jeder und jede Einzelne. Forderungen hinsichtlich struktureller Veränderungen im Pflegebereich werden nicht erhoben oder benannt. Der Umgang des Modellprojekts mit dem Problem der Belastungen durch häusliche Pflege ist kein (sozial-)politischer, sondern ein rein sozialarbeiterischer. Die Empfehlungen anderer ExpertInnen sind einerseits mit den Vorschlägen des Modellprojekts identisch, gehen andererseits auch darüber hinaus. So wird gefordert (als Einzelnennungen), jede Form von Altersdiskriminierung abzuschaffen, die Versorgung im Alter rechtzeitig zu thematisieren, Angehörige für die Pflege zu schulen, Behördenmitarbeiter für den Umgang mit dem Problem weiter zu bilden, und es wird zudem die Idee propagiert, Eignungsprüfungen von pflegenden Angehörigen durch Pflegekassen durchführen zu lassen. Als wichtig erachtet wurde ausreichender Informationsaustausch unter den Pflegediensten und zwischen Diensten und Ärzten. 6.2.4.1.3.3 Ergebnisse der Auswertung der Fallbeispiele 17 Artikel enthalten insgesamt 23 Fallbeispiele, davon wurden in den Texten 14 den Aussagen von MitarbeiterInnen zugeschrieben. Diese werden im Folgenden beschrieben. Die Fallbeispiele sind sehr unterschiedlich in ihrer Ausführlichkeit und Authentizität. Zum Teil sind es nur kurze Skizzen, erkennbar prototypisch, d.h. nicht unbedingt als authentische Fälle aufzufassen, sondern mehr oder weniger „erfunden“, um eine Problematik zu illustrieren. In einigen wenigen Texten wird das Thema Gewalt gegen ältere Menschen in der Familie ausschließlich oder fast ausschließlich in Form von ausführlichen Fallbeispielen behandelt. Neun mal dienen Fallbeispiele als Einstieg in die Problematik, um die Neugier der LeserInnen zu wecken und sie zu den abstrakteren Aspekten des Themas hinzuführen. Am häufigsten tauchen in den Fallbeispielen Formen körperlicher Gewalt (elfmal) und psychischer Misshandlung (achtmal) auf. In zwei Fäl- 363 len geht es um finanzielle Ausbeutung und in einem Fall um institutionelle Gewalt in der Pflege. In zwei Fallbeispielen werden keine Gewaltsituationen, sondern problematische Pflegesituationen, in weiteren zwei Fällen unklare Gewaltverhältnisse geschildert. Die starke Fokussierung in den Fallbeispielen auf körperliche Gewalt wird durch die bereits genannte Aussage, körperliche Gewalt spiele in etwa einem Drittel der Fälle eine Rolle, relativiert. In elf Fallbeispielen waren Frauen, in sieben Beispielen Männer Gewaltausübende. In einigen Fällen veränderten sich im Laufe der Erzählung die Rollen von Gewaltausübenden und Opfern. In zehn Beispielen werden die TäterInnen (acht Frauen, zwei Männer) auch als Opfer dargestellt. Sie werden als Opfer ihrer Situation oder früher erlittener Gewalt durch das jetzige Opfer geschildert. 6.2.4.1.4 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Die Darstellung des Modellprojektes in der hannoverschen Öffentlichkeit durch Zeitungen und Publikumszeitschriften ist aus Sicht der MitarbeiterInnen des Projektes als geglückt zu bezeichnen. Während der Dauer des Projektes wurde regelmäßig und immer wieder ausführlich über die Problemstellung und die angebotenen Hilfen berichtet. In der Berichterstattung werden Aussagen über die Problematik als Aussagen der MitarbeiterInnen gekennzeichnet; sie konnten sich damit als ExpertInnen klar profilieren. Hinsichtlich der Ziele der Öffentlichkeitsarbeit des Modellprojekts lässt sich konstatieren, dass die Thematisierung des Phänomens und die Vermeidung der Skandalisierung weitgehend erreicht wurden. Einschränkend anzumerken ist hier, dass der Tabuisierungsdiskurs selbst – der ja wichtige Legitimation der Öffentlichkeitsarbeit des Modellprojektes war – eine Form der Skandalisierung ist. Somit wird das Skandalisierungspotenzial von Gewalt in engen persönlichen Beziehungen einerseits genutzt, andererseits stets abgeschwächt: In der gesamten Präsentation des Modellprojektes „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ in der Öffentlichkeit wird nachhaltig vermieden, TäterInnen und Opfer zu benennen – ein Ansatz, der für den Erfolg der praktischen 229 Arbeit durchaus wichtig sein kann . Handlungen und Taten bzw. Gewaltausübende werden damit nicht als Vehikel der Skandalisierung genutzt. 229 Dies führte allerdings nicht zu einer vermehrten Inanspruchnahme der Beratung durch Gewaltausübende. Im Rahmen des Krisen- und Beratungstelefons gab es nur 3 Beratungsfälle, bei denen sich Gewaltausübende an das Modellprojekt wandten. 364 Eine weitere Zielsetzung war es, ein klares Profil der Hilfemöglichkeiten zu vermitteln. Dies wurde insoweit erreicht, als in der Öffentlichkeit ausführlich die verschiedenen Angebote des Modellprojekts dargestellt wurden. Entstehungszusammenhänge von Gewalt konnten zwar präsentiert und ausführlich vorgestellt werden, berücksichtigen jedoch stets nur einen Ausschnitt aus den in der Forschung bekannten Ursachen von Gewalt gegen ältere Menschen in der Familie (vgl. dazu Kap. 1.2.3). Die Fallschilderungen bilden nur einen Teil des vom Modellprojekt beratenen Fallspektrums ab (vgl. Kap. 6.2.2) und konzentrieren sich auf Gewalt aufgrund von Überlastung und Überforderung der Gewaltausübenden, insbesondere in der Pflege älterer Menschen. Geschlechtsspezifische Formen von Gewalt, Gewalt aufgrund der Psychopathologie der Gewaltausübenden sowie Gewalt, die ohne erkennbare Schwierigkeiten auf Seiten der TäterInnen ausgeübt wurde (hier sind insbesondere Fälle von finanzieller Ausbeutung relevant), werden in den Artikeln nicht oder nur am Rande benannt. Aus der berufsspezifischen Perspektive der MitarbeiterInnen ist diese Art der Darstellung nachvollziehbar, legitimiert der präsentierte Erklärungsansatz doch einen umfassend helfenden Arbeitsansatz. Hinsichtlich inhaltlicher Aussagen ist einschränkend darauf hinzuweisen, dass die Darstellung in den Printmedien und die Darstellung der ProjektmitarbeiterInnen keineswegs identisch sein müssen. Die starke Bezugnahme auf Gewalt innerhalb von Pflegesituationen und Fokussierung auf Überforderung als Ursache von Gewalt gegenüber älteren Menschen mögen auch durch die journalistische Präsentation und redaktionelle Auswahl mitbedingt sein. 6.2.4.2 Telefonische Befragung zur Öffentlichkeitswirksamkeit 6.2.4.2.1 Einführung Zu den zentralen Aufgabenbereichen des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ gehörte es, Öffentlichkeitsarbeit zu dieser Thematik zu betreiben. Zudem ist eine wichtige Voraussetzung der Nutzung eines Beratungsangebotes seine Bekanntheit bei den anvisierten Zielgruppen – auch hierfür ist Öffentlichkeitsarbeit notwendig. Die Begleitforschung untersuchte daher mittels einer den Probanden zuvor postalisch angekündigten telefonischen Befragung die Öffentlichkeitswirksamkeit und die Effekte der Öffentlichkeitsarbeit des Modellprojekts. Thematische Schwerpunkte waren Wissen über und Assoziationen zur Thematik „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ allgemein, der Bekanntheitsgrad des Modellprojekts und seiner ver- 365 schiedenen Angebote bzw. Module, Informationsquellen und Bedeutsamkeitseinschätzungen hinsichtlich der Thematik und der Einrichtung von Hilfeangeboten zum Thema. 6.2.4.2.2 Ziele, Methoden und Durchführung der Untersuchung Die Befragung wurde als telefonische Befragung mit schriftlicher Ankündigung durchgeführt. Telefoninterviews sind insbesondere bei Kurzinterviews zum einen preisgünstiger als face-to-face Interviews, zum anderen ist für face-to-face Interviews (wie auch für postalische Befragungen) in den letzten Jahrzehnten eine schwindende Akzeptanz bei der Bevölkerung zu konstatieren (FUCHS, 1994, S. 32; kritisch hierzu PORST, 1993; PORST, RANFT & RUOFF, 1998). Darüber hinaus sind einige Interaktionsvariablen wie Aussehen, Gestik und Mimik der InterviewerInnen bei telefonischen Interviews nicht relevant und beeinflussen damit die Interviewsituation nicht. Die telefonische Befragung ermöglicht es damit, in stärkerer Weise die Interviewsituation zu standardisieren und die Stichprobenrealisation zu optimieren (FUCHS, 1994, S. 35). Es wird inzwischen davon ausgegangen, dass aufgrund besserer Erreichbarkeit (ATTESLANDER, 1993, S. 165) telefonische Befragungen in Abhängigkeit von Thematik, Grundgesamtheit, Erfahrung der InterviewerInnen und Forschungsdesign die höchsten Ausschöpfungsquoten, in einzelnen Studien bis zu 90%, erreichen können (REUBAND & BLASIUS, 230 1996; vgl. auch NÜBLING, 1996) . Durch eine schriftliche Ankündigung lässt sich vielfach die Ausschöpfungsquote einer telefonischen Befragung deutlich erhöhen (vgl. PORST, RANFT & RUOFF, 1998, S. 11-16). Ende Mai 2000 wurde an alle Befragungspersonen ein kurzer Ankündigungsbrief versandt. Bei diesem Ankündigungsschreiben wurde in Anlehnung an das Konzept der total design method von DILLMAN (1978, p. 43ff; vgl. auch DILLMAN, 1991; DILLMAN, SINCLAIR & CLARK, 1993; SALANT & DILLMAN, 1994) darauf geachtet, dass ein Zeitraum angegeben wurde, innerhalb dessen ein Anruf wahrscheinlich erfolgen wird, • die Studie in knapper Form beschrieben wurde, • 230 Die Ausschöpfungsquoten erhöhen sich durch ausschließliche Befragung von Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit, durch lange Feldphasen und durch erneute Kontaktaufnahme zu Verweigerern. Angesichts des Stellenwerts der Befragung im Gesamtkonzept der Begleitforschung mussten bei der Durchführungsdauer, dem Einsatz erfahrener Interviewkräfte und der erneuten Kontaktaufnahme (ohnehin auch eine Frage der Forschungsethik) in der vorzulegenden Untersuchung deutliche Abstriche gemacht werden. Geringere Ausschöpfungsquoten werden mit zunehmendem Alter der Befragungspersonen und in Großstädten ab 500 000 EinwohnerInnen realisiert (REUBAND &BLASIUS, 1996). 366 • • • • • • • • eine ungefähre Tageszeit des Anrufes genannt wurde („am späten Nachmittag“), die Befragten dazu ermuntert wurden, einen anderen Termin für die Befragung zu vereinbaren, wenn der vorgesehene Termin ungünstig war, vorab für die Teilnahme gedankt wurde, Befragungspersonen dazu ermuntert wurden, im Institut anzurufen, falls Fragen zum Interview bestanden, Angaben über die Adressenermittlung gemacht wurden, die Befragungspersonen namentlich angesprochen wurden, das Anschreiben per Hand unterschrieben war und die Freiwilligkeit der Teilnahme und die Anonymität und vertrauliche Behandlung der Daten zugesichert wurden. Zunächst war geplant, die Befragung im Anschluss an eine Öffentlichkeitskampagne des Modellprojekts durchzuführen. Im Rahmen der Diskussion des Projektmoduls Öffentlichkeitsarbeit im Februar 2000 entschieden sich die MitarbeiterInnen des Modellprojekts jedoch gegen die Durchführung einer gezielten Aufklärungskampagne zum Thema Gewalt im Alter, da die eigenen Arbeitskapazitäten als zu knapp eingeschätzt wurden und bereits eine Plakataktion gemeinsam mit anderen lokalen Anbietern telefonischer Beratung für ältere Menschen vorgese231 hen war . Die Befragung bezog sich auf die bisher erzielte Öffentlichkeitswirksamkeit des Modellprojekts, d.h. auf die Kenntnis des Modellprojekts und seiner Angebote. Zur Bewertung der Effizienz der verschiedenen vom Modellprojekt im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit genutzten Medien wurden Fragen nach den jeweiligen Informationsquellen gestellt. Für das Modellprojekt ‚Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum‘ allgemein und die Beratungsstelle sowie das Krisen- und Beratungstelefon im Alter wurde im ganzen Stadtgebiet von Hannover und in den Stadtteilen durch Flyer, Plakate, Zeitungsartikel, die regelmäßige Veröffentlichung wichtiger Telefonnummern in der Zeitung, durch Radiosendungen sowie Informationsstände und Veranstaltungen Öffentlichkeitsarbeit betrieben. Für stadtteilspezifische Angebote wurde darüber hinaus mit Artikeln in Stadtteilzeitungen und Gemeindeblättern sowie durch Aushänge geworben. Die Durchführung der Interviews begann am 05.06.2000. Bis zu diesem Zeitpunkt waren 50 von 65, d.h. 76,9% aller Artikel, die in der Projektlaufzeit über das Modellprojekt in der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglichen Zeitungen und Zeitschriften erschienen, bereits veröffentlicht (vgl. Kap. 6.2.4.1). 231 Arbeitskreis „Telefonische Beratung im Alter“ (s.a. Kap. 6.2.5.1.2) 367 Neben dem Bekanntheitsgrad der verschiedenen Module des Modellprojekts wurde im Rahmen der Befragung allgemein der Grad der Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Thema „Gewalt gegen Ältere“ ermittelt. So wurde nach den spontanen Assoziationen zum Thema, der wahrgenommenen Bedeutung des Problems und dem eingeschätzten gesellschaftlichen Bedarf an spezifischen Hilfeeinrichtungen gefragt. Die konkrete Ausgestaltung der Stadtbezirksarbeit machte es erforderlich, in den Stadtteilen teilweise unterschiedliche Fragen zu stellen (vgl. zur Stadtteilarbeit Kap. 6.2.6). So wurde in Herrenhausen und Stöcken nach dem Bekanntheitsgrad einer durchgeführten Veranstaltungsreihe, in Vahrenheide und Sahlkamp nach Kenntnis des jüngst erschienenen Beratungsführers und in (Ober-)Ricklingen und Mühlenberg nach der Bekanntheit des Häuslichen Unterstützungsdienstes (HUD) gefragt. Letzterer wurde allerdings erst am 07.06.2000 offiziell eröffnet und war daher zum Zeitpunkt der Befragung noch in der Phase der Werbung von ehrenamtlichen MitarbeiterInnen. Es wurde ein Befragungsinstrument mit stadtteilspezifischen Modulen entwickelt. Fragen nach der Bekanntheit der zentralen Angebote und nach dem Grad der Sensibilisierung für die Thematik wurden allen InterviewpartnerInnen gestellt. Über diese stadtteilbezogenen Besonderheiten hinaus wurden zwei Versionen des Befragungsinstruments eingesetzt: In Version A wurde der der Arbeit des Modellprojekts zugrundeliegende – im wesentlichen auf Margret DIECK (1987) zurückgehende – Gewaltbegriff den Befragten erläutert, in Version B, die bei 50% der zentral gezogenen Stichprobe zum Einsatz kam, wurde der Gewaltbegriff hingegen nicht näher umrissen. Um Vergleichsmaßstäbe für die Bekanntheit der Angebote des Modellprojekts zu gewinnen, wurde nach der Bekanntheit anderer psychosozialer Angebote sowie von Angeboten speziell für ältere Menschen bzw. pflegende Angehörige in Hannover gefragt. Kontrollitems sollten es ermöglichen, Effekte sozialer Erwünschtheit, Bejahungstendenzen (AMELANG & BORKENAU, 1981; SCHRÄPLER, 1997; VAGT & WENDT, 1978) und systematische Antwortmuster zu identifizieren. Die Bereitschaft von Befragungspersonen, eigenes Nicht-Wissen zu offenbaren, kann allgemein als eher gering eingeschätzt werden (DIEKMANN, 1997, S. 385). Geht es, wie in der vorliegenden Studie um die Frage nach der Bekanntheit einer eher kleinen Beratungseinrichtung, so ist die Verwendung von Kontrollitems, hier Fragen nach fiktiven Angeboten, als Filter für die Auswertung unumgänglich (vgl. zu ähnlichen Befragungstechniken u.a. ASCHMANN & WIDMANN, 1986; REUBAND, 368 2000). Eine weitere potenzielle Fehlerquelle auf Seiten der Befragten ist die Tendenz, Meinungen zu vertreten, obwohl die Befragten tatsächlich 232 zu dem jeweiligen Sachverhalt keine Meinung haben . In der vorliegenden Untersuchung wurde durch die Verwendung offener Fragen dieser Effekt vermindert. Angaben zur Person (wie Erwerbsstatus, Bildung, Einkommen, Haushaltsgröße, älteste und jüngste im Haushalt lebende Person, Pflegetätigkeit einer im Haushalt lebenden Person) wurden jeweils am Ende des Gesprächs erfragt. Im Interesse einer arbeitsökonomischen Auswertung wurde eine weitgehende Standardisierung des Befragungsinstruments angestrebt. Diesem Bemühen standen jedoch inhaltliche Überlegungen entgegen: Da sich mit standardisierten Frageverfahren nur reines Wiedererkennen (recognition) messen lässt, wurde zunächst in offener Form danach gefragt, ob die Befragungspersonen eine Einrichtung in Hannover kennen, die sich mit der Thematik „Gewalt gegen Ältere“ befasst und welche Einrichtung sie im Bedarfsfall in Anspruch nehmen würden. Auch wenn davon auszugehen war, dass es in der Stichprobe nur wenige NutzerInnen des Modellprojekts geben würde, sollten die Erfahrungen derjenigen, die Dienste des Modellprojekts in Anspruch genommen haben, detailliert und mit offenen Fragen exploriert werden. Die Befragung wurde von sieben dafür geschulten Hilfskräften durchgeführt. 6.2.4.2.3 Die Stichprobe Angestrebt waren Interviews mit 600 Personen ab 35 Jahren in Hannover. Eine repräsentative Stichprobe von N=1.800 Personen wurde als Zufallsstichprobe über das Einwohnermeldeamt der Stadt Hannover 233 gezogen . Die Ausgangsstichprobe war entsprechend den Aufgabenschwerpunkten des Modellprojekts vierfach geschichtet: 900 Personen wurden aus dem gesamten Stadtgebiet von Hannover gezogen und jeweils 300 aus den Stadtteilen, in denen das Modellprojekt spezifische Angebote (Stadtteilsprechstunden und Arbeitsgemeinschaften „Gewalt im Alter“) installiert hatte. Dies sind die Stadtteile Herrenhausen und Stöcken (Ziehung A), Vahrenheide und Sahlkamp (Ziehung B) sowie Ricklingen und Mühlenberg (Ziehung C). 232 Die Studie von REUBAND (2000) weist darauf hin, dass Telefonbefragungen für die Erzeugung von „Pseudo-Opinions“ in stärkerem Maße anfällig sind als face-to-face Befragungen. 233 Vom Einwohnermeldeamt wurden die Namen, Adressen und Geburtsdaten der Personen zur Verfügung gestellt. 369 Die Telefonnummern von 558 Personen konnten anhand der Daten der Meldebehörde nicht oder nicht eindeutig identifiziert werden (Ausfall I). Anschreiben mit Interviewankündigungen gingen somit an 1.242 Personen, dies waren 69% der Ausgangsstichprobe. 733 Interviews waren aus verschiedenen Gründen wie Nichterreichbarkeit, Kommunikationsproblemen oder Ablehnungen nicht durchführbar (Ausfall II: nonrespon234 se ). In den Fällen, in denen trotz erfolgten Anschreibens kein Interview durchgeführt werden konnte, gab es im Durchschnitt 2,44 erfolglose Kontaktversuche (SD = 2,14), zumeist ein oder zwei (in 64,9% der Fälle), in Einzelfällen aber auch bis zu 12 Kontaktversu235 che . Gründe für das Nichtzustandekommen der Interviews waren zumeist eindeutige Ablehnungen durch die Befragungsperson (53,5% von 236 1291 nicht zustandegekommenen Interviews) , davon etwa jede zehnte aufgrund von körperlichen bzw. psychischen Belastungen bzw. Einschränkungen. In 5,9% der Fälle war die identifizierte Telefonnummer falsch, der Anschluss nicht in Betrieb, oder es handelte sich um einen Faxanschluss, in 6,4% der Fälle konnte das Interview aufgrund von Sprach- und anderen Verständigungsschwierigkeiten nicht durchgeführt werden, in 18,5% der Fälle wurden die Kontaktversuche eingestellt, d.h. die Befragungsperson konnte auch nach mehreren Versuchen nicht er237 238 reicht werden . Durchgeführt wurden 509 Interviews . Bezogen auf die Ausgangsstichprobe liegt damit die Ausschöpfungsquote bei 28,3%, bezogen auf die angeschriebenen Personen bei immerhin 41,0%. Bei 45,8% der Befragten konnte das Interview beim ersten Anruf durchgeführt werden. Waren mehr als vier Anrufe notwendig, so erhöhte sich die Ausschöpfungsquote nur noch unwesentlich. Die Interviews dauerten im Durchschnitt 11,06 Minuten (SD = 3,54). Die Interviewphase begann am 05.06. und endete am 21.07.2000. Mehr als 85% der Interviews wurden innerhalb der ersten vier Wochen, d.h. bis zum 03.07.2000, durchgeführt. 234 Vgl. zur Nonresponse-Problematik allgemein GROVES & COUPER (1998), RUBIN (1987), SCHNELL (1997). 235 Zur Reduzierung von Nicht-Erreichbarkeit wurden den InterviewerInnen als Richtlinie vier Kontaktversuche pro Proband vorgegeben, da nach drei bis vier Kontaktversuchen meist keine deutliche Ausschöpfungssteigerung mehr erzielt wird (vgl. hierzu BRÜCKNER, HORMUTH & SAVAGE, 1982; FRIEDRICHS, 1987). 236 Bei 38% der Ablehnungen wurden keine Gründe angegeben, in 7,4% wurde auf Zeitmangel, in 34,7% auf fehlendes Interesse verwiesen. In 10,2% der Fälle wurde die Teilnahme an der Befragung aus gesundheitlichen bzw. psychischen Gründen abgelehnt. 5,4% der Ablehnungen waren mit Sicherheitsbedenken bzw. genereller Nichtteilnahme an Befragungen begründet. In einigen Fällen (2,8%) sahen sich die Angeschriebenen als zu alt für die Befragung. 237 In 4,4% der Fälle war die Befragungsperson längerfristig nicht erreichbar. Bei weiteren 11,2% der nicht durchführbaren Interviews waren die Befragungspersonen verzogen, verstorben, schwerhörig, intellektuell überfordert, nur per Handy erreichbar, legten den Hörer auf oder waren aus anderen Gründen nicht erreichbar. 238 11 dieser Interviews (2,2%) wurden nicht vollständig durchgeführt. 370 Es stellt sich die Frage, ob die Population der Befragten hinsichtlich bekannter Merkmale (räumliche Zuordnung, Geschlecht, Alter) von der re239 präsentativen Ausgangsstichprobe abweicht . Tabelle 6.2.4.2/1 zeigt, dass die angestrebte Verteilung der Befragungspersonen auf Stadt und Stadtteile realisiert werden konnte. Es zeigen sich keine signifikanten Abweichungen. Tabelle 6.2.4.2/1: Art der Ziehung (Stadtteile und zentral)(N=1800) Repräsentative Ausschluss I Ausschluss II durchgeführte Ziehung (keine Telefon- (Interview nicht Interviews (Ausgangs- nummern iden- durchführbar) stich-probe) tifizierbar) N=1800 N=558 N=733 N=509 Stadtgebiet Hannover Herrenhausen, Stöcken Vahrenheide, Sahlkamp (Ober)Ricklingen, Mühlenberg 900 (50,0%) 290 (52,0%) 350 (47,7%) 260 (51,1%) 300 (16,7%) 105 (18,8%) 120 (16,4%) 75 (14,7%) 300 (16,7%) 88 (15,8%) 125 (17,1%) 87 (17,1%) 300 (16,7%) 75 (13,4%) 138 (18,8%) 87 (17,1%) 1800 (100%) 558 (100%) 733 (100%) 509 (100%) Hinsichtlich der Verteilung nach Geschlecht (siehe Tabelle 6.2.4.2/2) fällt auf, dass von etwas mehr Frauen als Männern keine Telefonnummern identifiziert werden konnten (Ausschluss I). Zudem kamen bei Zusendung eines Anschreibens Interviews mit Männern etwas häufiger zustande als Interviews mit Frauen. Während entsprechend der Verteilung in der Bevölkerung ab 35 ein höherer Frauenanteil in der Ausgangsstichprobe zu verzeichnen war, wurden etwa ebenso viele Interviews mit Frauen wie mit Männern geführt. 239 Zur Problematik der Repräsentativität von Umfragedaten siehe u.a. DIEKMANN (1997, S. 368369). 371 Tabelle 6.2.4.2/2: Geschlecht der zu befragenden Personen (N=1800) Repräsentative Ausschluss I Ausschluss II durchgeführte Ziehung (keine Telefon- (Interview nicht Interviews (Ausgangs- nummern iden- durchführbar) stichprobe) tifizierbar) N=1800 N=558 N=733 N=509 Weiblich Männlich 969 (53,8%) 831 (46,2%) 1800 (100%) 305 (54,7%) 253 (45,3%) 558 (100%) 412 (56,2%) 321 (43,8%) 733 (100%) 252 (49,5%) 257 (50,5%) 509 (100%) Signifikante Unterschiede (F(2;14787) = 71,49, p<.001) zeigen sich bei einem Mittelwertsvergleich der Stichproben hinsichtlich des Alters (Tabelle 6.2.4.2/3). Die Gruppe der Personen, deren Telefonnummern nicht identifiziert werden konnten, ist jünger als die Ausgangsstichprobe 240 (Ausschluss I) . Dagegen ist die Gruppe derjenigen, bei denen trotz Anschreiben kein Interview durchgeführt werden konnte (Ausschluss II), 241 älter als die Ausgangsstichprobe . Der Vergleich der Altersverteilung der Ausgangsstichprobe mit der Altersverteilung der Befragten zeigt nur geringe Unterschiede. Im Vergleich zur Ausgangsstichprobe sind die Altersgruppen ab 76 und unter 40 Jahren leicht unterrepräsentiert. Die Selektionswirkung von Ausschluss I (Zuordnung der Telefonnummer) und Ausschluss II (Durchführbarkeit der Interviews bei erfolgtem Anschreiben) ist hinsichtlich der Altersverteilung offensichtlich gegenläufig und hebt sich zum Teil auf. Dies verdeutlicht auch der Vergleich der Mittelwerte (vgl. Graphik 6.2.4.2/1). Der Altersdurchschnitt in der Ausgangsstichprobe liegt bei 57,38 Jahren (SD=14,94), bei den durchgeführten Interviews bei 57,56 Jahren (SD=13,80). Entsprechend der Stichprobenauswahl sind die jüngsten Befragten 35, die älteste Befragte 96 Jahre alt. 58,7% der Befragten sind bis zu 60 Jahre alt, 41,3% älter als 60 Jahre. 240 Eine Ursache dafür dürfte sein, dass jüngere Menschen häufiger als ältere Menschen in Wohngemeinschaften oder nicht-ehelichen Partnerschaften leben und Ehen mittlerweile häufiger bei Beibehaltung unterschiedlicher Nachnamen geschlossen werden. In den benannten Fällen ist es tendenziell schwieriger, Telefonnummern zu identifizieren. 241 Eine Vielzahl von Untersuchungen weist auf eine niedrigere Teilnahmebereitschaft und Teilnahmequote älterer im Vergleich zu jüngeren Personen hin (vgl. hierzu KÜHN & PORST ,1999); HERZOG & RODGERS (1988) nennen für die geringere Teilnahme älterer Menschen an Umfragen folgende Gründe: - geringere Bereitschaft und eingeschränkte Fähigkeit, an Befragungen teilzunehmen, - die mangelnde Qualifikation der Interviewer zur Befragung älterer Menschen und - die be- oder verhinderte Kontaktaufnahme mit alten Menschen durch dritte Personen. 372 Tabelle 6.2.4.2/3: Altersverteilung der zu befragenden Personen (N=1800) Repräsentative Ausschluss I Ausschluss II durchgeführte Ziehung (keine Telefon- (Interview nicht Interviews (Ausgangs- nummern iden- durchführbar) stichprobe) tifizierbar) N=1800 N=558 N=733 N=509 35-40 Jahre 41-45 Jahre 46-50 Jahre 51-55 Jahre 56-60 Jahre 61-65 Jahre 66-70 Jahre 71-75 Jahre 76-80 Jahre 81-85 Jahre 86-90 Jahre Älter als 90 Jahre 296 (16,4%) 206 (11,4%) 179 (9,9%) 160 (8,9%) 217 (12,1%) 209 (11,6%) 145 (8,1%) 140 (7,8%) 124 (6,9%) 57 (3,2%) 48 (2,7%) 19 (1,1%) 1800 (100%) 150 (26,9%) 85 (15,2%) 59 (10,6%) 61 (10,9%) 64 (11,5%) 56 (10,0%) 19 (3,4%) 22 (3,9%) 18 (3,2%) 12 (2,2%) 10 (1,8%) 2 (0,4%) 558 (100%) 87 (11,9%) 59 (8,0%) 59 (8,0%) 47 (6,4%) 88 (12,0%) 94 (12,8%) 72 (9,8%) 70 (9,5%) 80 (10,9%) 38 (5,2%) 27 (3,7%) 12 (1,6%) 733 (100%) 59 (11,6%) 62 (12,2%) 61 (12,0%) 52 (10,2%) 65 (12,8%) 59 (11,6%) 54 (10,6%) 48 (9,4%) 26 (5,1%) 7 (1,4%) 11 (2,2%) 5 (1,0%) 509 (100%) Graphik 6.2.4.2/1: Durchschnittliches Alter der zu befragenden Personen (N=1800) 65 61,49 57,56 57,38 55 45 51,83 Ausgangsstichprobe keine Telefonnummer identifizierbar Interview nicht durchführbar durchgeführte Interviews 35 6.2.4.2.4 Vorbemerkungen zur Aussagefähigkeit der Befragungsbefunde Vor der Präsentation der Untersuchungsergebnisse sei Folgendes zur Aussagefähigkeit der Befunde angemerkt: (a) Die Ausgangsstichprobe ist eine Zufallsstichprobe und damit für die Bevölkerung Hannovers und der Stadtteile repräsentativ. Der Einfluss der bei der Stichprobenbildung wirksamen Selektionsmerkmale auf die Antworttendenzen in der Befragung ist unbekannt. Verzerrungen sind hinsichtlich des Ausschlusses I möglich, inhaltlich aber 373 nicht plausibel, hinsichtlich des Ausschlusses II durchaus denkbar. So könnte beispielsweise davon ausgegangen werden, dass Menschen, die bereit sind, an einer schriftlich angekündigten wissenschaftlichen Befragung zur Bekanntheit einer sozialen Einrichtung teilzunehmen, über eine bessere Kenntnis von sozialen Einrichtungen verfügen oder dazu neigen, die Bedeutsamkeit sozialer Probleme höher einzuschätzen. Bildungseffekte können bzgl. der Teilnahmebereitschaft eine Rolle spielen. Berufstätigkeit verringert die telefonische Erreichbarkeit, mag somit ebenfalls verzerrend wirken (DIEKMANN, 1997, S. 368-369). (b) In Befragungen werden allgemein Effekte sozialer Erwünschtheit wirksam. Dies bedeutet, dass Befragungspersonen dazu neigen, Items möglichst konform zu einer subjektiv angenommenen ‚richtigen‘ bzw. zu einer aus Befragten-Sicht vom Interviewer gewünschten Antwort zu beantworten. Es ist davon auszugehen, dass dieser Effekt besonders ausgeprägt ist, wenn es um stark emotional besetzte und in der öffentlichen Diskussion normativ eindeutig negativ bewertete Sachverhalte geht. Gewaltthemen allgemein und im Besonderen Themen im Umfeld von Gewalt und Familie sind solche emotional und eindeutig negativ konnotierten Themen (vgl. NEIDHARDT 1986; HONIG 1992). Damit einher geht eine höhere Zustimmungstendenz zur Bedeutsamkeit der Thematik und von Angeboten der Problembearbeitung. Hinsichtlich der Frage nach der Bekanntheit der verschiedenen Angebote sozialer Dienstleister wird relevant, dass Befragte ungern ihr Nichtwissen eingestehen (DIECKMANN, 1997, S. 385). Alle Items wurden nach den Merkmalen Geschlecht, Alter (wobei die unter 60-Jährigen den über 60-Jährigen gegenübergestellt wurden), mutmaßliche MultiplikatorInnen versus mutmaßliche Nicht-MultiplikatorInnen und Befragte aus den drei Stadtteilstichproben versus Befragte aus dem restlichen Stadtgebiet ausgewertet. Lassen sich differentielle Antwortmuster identifizieren, wird dies in der folgenden Ergebnisdarstellung benannt. Hinsichtlich aller Items erwies sich der Wohnort der Be242 fragten – Stadtteil vs. restliches Stadtgebiet – als nicht relevant . Aufgrund geringer Fallzahlen wurde auf einen Vergleich der Stadtteile untereinander verzichtet. 242 Für diese Auswertung wurde die Gesamtstichprobe aufgeteilt nach Personen, die in den drei ausgewählten Stadtteilen und Personen, die im restlichen Stadtgebiet wohnen. Diese Aufteilung unterscheidet sich von der Aufteilung nach Ziehungen, denn die zentrale Ziehung ist eine Zufallsstichprobe aus allen im gesamten Stadtgebiet gemeldeten Personen über 35, d.h. hier finden sich auch einige Personen, die in den ausgewählten Stadtteilen gemeldet sind. 374 6.2.4.2.5 Die Befragungspersonen 6.2.4.2.5.1 Schulabschluss 493 Personen machten Angaben zu ihrem Schul- bzw. Ausbildungsabschluss. Ihre Antworten sind in Tabelle 6.2.4.2/4 aufgeschlüsselt. Tabelle 6.2.4.2/4: Schul- und Ausbildungsabschlüsse (N=493) Häufigkeit Prozente 57 11,2 Gültige Prozente 11,6 160 31,4 32,5 128 10 62 69 7 493 16 25,1 2,0 12,2 13,6 1,4 96,9 3,1 26,0 2,0 12,6 14,0 1,4 100,0 Volks- oder Hauptschule ohne abgeschlossene Lehre Volks- oder Hauptschule mit abgeschlossener Lehre Mittlere Reife Weiterbildende Schule ohne Abitur Abitur, Fachhochschulreife Abgeschlossenes Studium Sonstiges Gesamt Fehlend 6.2.4.2.5.2 Derzeitige Tätigkeit/Erwerbsstatus Zur Frage nach der derzeitigen Tätigkeit machten ebenfalls 493 Befragte Angaben (Tabelle 6.2.4.2/5). Wie die folgende Tabelle zeigt, sind knapp die Hälfte (47,1%) von ihnen berufstätig, 41,8% im Ruhestand, 243 5,3% Hausfrauen und 4,3% nicht berufstätig . Tabelle 6.2.4.2/5: Tätigkeit der Befragten zum Untersuchungszeitpunkt Berufstätig RentnerIn, PensionärIn Hausfrau Nicht berufstätig Sonstiges (z.B. erwerbsunfähig, in Ausbildung) Gesamt Fehlend Häufigkeit Prozente 232 203 26 21 11 45,6 39,9 5,1 4,1 2,2 493 16 96,9 3,1 gültige Prozente 47,1 41,2 5,3 4,3 2,2 100,0 243 Die verbliebenen 2,2% sind SchülerInnen bzw. StudentInnen und Sonstige. 375 Als potenzielle MultiplikatorInnen, d.h. Personen, die professionell oder ehrenamtlich mit den Bereichen Beratung, Alter, Pflege/Medizin und/ oder Gewalt zu tun haben, lassen sich 34 Personen (6,7 % der Befragten) bezeichnen. Sie sind in einem Wohlfahrtsverband, in der Altenarbeit, Altenpflege (auch ehrenamtlich), Krankenpflege, Krankengymnastik oder Ergotherapie tätig; weiter sind ein Polizist, ein Arzt, ein Referent eines Wohlfahrtsverbandes, ein Ausbilder im Bereich Sozialarbeit sowie mehrere PsychologInnen, AnwältInnen und ArzthelferInnen unter den 244 befragten Personen . 6.2.4.2.5.3 Familienstand 483 Personen machten Angaben zu ihrem Familienstand (Tabelle 6.2.4.2/6). Der größte Teil von ihnen, (59,8%), ist verheiratet und lebt mit dem Ehepartner oder der Ehepartnerin zusammen. 14,7% sind ledig, 13,7% verwitwet, 10,4% geschieden oder verheiratet und getrennt lebend, und 1,4% leben unverheiratet mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin zusammen. Tabelle 6.2.4.2/6: Familienstand der Befragten Verheiratet mit EhepartnerIn zusammen lebend Nicht verheiratet mit PartnerIn zusammen lebend Verheiratet und getrennt lebend Verwitwet Geschieden Ledig Gesamt Fehlend Häufigkeit Prozente gültige Prozente 59,8 289 56,8 7 1,4 1,4 10 66 40 71 483 26 2,0 13,0 7,9 13,9 94,9 5,1 2,1 13,7 8,3 14,7 100,0 6.2.4.2.5.4 Haushaltsgröße Von 488 Personen liegen Angaben zur Haushaltsgröße vor (Graphik 6.2.4.2/2). Die häufigste Haushaltsform in dieser Personengruppe ist 245 der Zweipersonenhaushalt mit 41,8% , gefolgt von Einpersonenhaus244 Hier wurden auch eine Sekretärin in einem Altenheim sowie eine Hausdame in einem Wohnstift mitgerechnet. Die Auswertung wurde auf der Grundlage der Tätigkeits- bzw. Berufsangaben und der Angaben auf die offene Frage nach den Assoziationen zum Thema durchgeführt. Nach ehrenamtlicher Tätigkeit wurde nicht explizit gefragt, so dass möglicherweise weitere Personen hier zugeordnet werden könnten. 245 Gültige Prozente bei 21 fehlenden Werten 376 halten mit 30,7%. 13,9% leben in Drei-, 11,3% in Vierpersonenhaushalten und nur 2,3% in noch größeren Haushalten. Graphik 6.2.4.2/2: Haushaltsgrößen (N=488) 60,0% Einpersonenhaushalt Zweipersonenhaushalt 41,8% 40,0% 30,7% 20,0% Dreipersonenhaushalt Vierpersonenhaushalt 13,9% 11,3% Haushalt mit fünf und mehr Personen 2,3% 0,0% 6.2.4.2.5.5 Einkommen der befragten Personen Auf die Frage nach dem monatlichen Nettoindividualeinkommen verweigerten 229 Personen die Antwort; Fragen nach finanziellen Verhältnissen werden häufig als sehr persönlich empfunden. 280 Befragte machten Angaben zu ihrem monatlichen Nettoindividualeinkommen (Tabelle 6.2.4.2/7). Der Mittelwert der genannten Einkommen beträgt DM 2.827,43 (SD = 1471,61). Das geringste Einkommen liegt bei 420 DM, das höchste bei 12.000 DM monatlich. Etwa ein Viertel derjenigen, die ihr Nettoeinkommen nennen, hat monatlich weniger als 2.000 DM zur Verfügung, knapp 55% verfügen über ein Individualeinkommen zwischen 2.000 DM und 4.000 DM und etwa 20% über mehr als 4.000 DM monatlich. Tabelle 6.2.4.2/7: Monatliches Nettoindividualeinkommen (N=280) Häufigkeit Unter 1000 DM 1000 DM bis unter 1500 DM 1500 DM bis unter 2000 DM 2000 DM bis unter 3000 DM 3000 DM bis unter 4000 DM 4000 DM bis unter 5000 DM 5000 DM bis unter 6000 DM 6000 DM bis unter 7000 DM 10000 DM und mehr Gesamt Fehlend 19 22 33 81 71 28 17 7 2 280 229 Prozent 3,7 4,3 6,5 15,9 13,9 5,5 3,3 1,4 0,4 54,9 45,0 gültige Prozente 6,8 7,9 11,8 28,9 25,4 10,0 6,1 2,5 0,7 100,0 377 6.2.4.2.5.6 Pflegebedürftigkeit im Lebensumfeld der Befragten Für N=481 Personen lassen sich Aussagen darüber machen, ob im Haushalt der Befragten eine pflege- oder hilfsbedürftige Person lebt und ob die Befragten selbst Pflege oder Betreuung ausüben. Es zeigt sich, 246 dass der größte Teil – 76,9% – nicht selbst pflege- oder hilfsbedürftig ist, mit einer pflege- oder hilfsbedürftigen Person zusammenlebt oder private Pflege oder Betreuung ausübt. Fast ein Viertel der Befragten jedoch (23,1%) sind selbst in die Pflege oder Betreuung einer anderen Person involviert, leben mit einer pflege- bzw. hilfsbedürftigen Person zusammen oder sind selbst pflegebedürftig. 247 8,4% der Befragungspersonen (n=43) geben an, dass in ihrem Haushalt eine pflege- bzw. hilfsbedürftige Person lebt. Dies ist in einem Drittel der Fälle die befragte Person selbst (32,6%, n=14). In 16 Fällen (37,2%) handelt es sich um den Ehemann oder die Ehefrau der Befrag248 ten und in sieben Fällen (16,3%) um den Vater oder die Mutter . Insgesamt geben 18,7% der Befragten, d.h. 95 Personen, an, eine Pflege- oder Betreuungstätigkeit auszuüben, dies sind zu nahezu glei249 chen Teilen Männer und Frauen (53,7% Frauen, 46,3% Männer) . Tabelle 6.2.4.2/8 zeigt, in welchem Verhältnis die gepflegten Personen zu den Befragten stehen, die Pflege- bzw. Betreuungstätigkeit ausüben. Angaben liegen hier von 94 Befragten vor. Die Pflege- bzw. Betreuungsbedürftigen sind zumeist Eltern oder Schwiegereltern der Befragten. In 18 Fällen sind die Pflege- bzw. Betreuungsbedürftigen keine Familienangehörigen. 246 Gültige Prozente bei 18 fehlenden Werten. 247 Hier liegen alle Fälle zugrunde, in denen die Frage nach pflegebedürftigen Personen im eigenen Haushalt beantwortet wurde (N=487). 248 In einem Fall ist nicht ausgeführt, wer die pflege- bzw. hilfsbedürftige Person ist, in vier Fällen handelt es sich um ein Kind bzw. Geschwister und in einem Fall um die befragte Person und die Partnerin. 249 Der vergleichsweise hohe Männeranteil ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass im Rahmen der vorliegenden Befragung ‚Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit‘ nicht im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes verstanden wurde, sondern jede Art von persönlicher Hilfeleistung (finanzielle ausgenommen) umschließt. 378 Tabelle 6.2.4.2/8: Verhältnis zwischen befragten Personen (N=94) und Pflege- bzw. BetreuungsempfängerInnen Wer wird gepflegt oder betreut? 250 (Schwieger)Mutter, Vater (Ehe)Partner, PartnerIn Bekannte, NachbarInnen, andere Personen 251 Kinder , andere Verwandte Ehemann und Mutter Gesamt Häufigkeit 48 15 18 11 2 94 6.2.4.2.6 Ergebnisse der Befragung 6.2.4.2.6.1 Gewalt gegen Ältere: Problemkenntnisnahme, Assoziationen und Bedeutsamkeitseinschätzungen 6.2.4.2.6.1.1 Problemkenntnisnahme Zum Gesprächseinstieg wurden die InterviewpartnerInnen danach gefragt, ob sie schon einmal etwas von dem Problem „Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Lebensumfeld“ gehört hatten, wobei in der Fragestellung deutlich gemacht wurde, dass sich die Frage ausdrücklich nicht auf Gewalt in öffentlichen Räumen („auf der Straße“) und in Institutionen („in Heimen“) bezog. Gegenüber einem Teil der Befragten aus der zentralen Ziehung (138 Personen, d.h. 27,1% aller Befragungspersonen) wurde der Gewaltbegriff nicht näher expliziert. Allen Befragten in den Stadtbezirken und 122 Befragten der zentralen Ziehung (d.h. 72,9% aller Befragungspersonen) wurde hingegen der Gewaltbegriff in Anlehnung an die Taxonomie von DIECK (1987) erläutert (Interviewtext Version a: „Mit Gewalt meine ich, dass ein alter Mensch körperlich oder seelisch misshandelt wird, vernachlässigt wird oder finanziell ausgenutzt wird.“). Nahezu zwei Drittel der Befragten (n=327) geben an, schon einmal etwas von dem Problem gehört zu haben (Graphik 6.2.4.2/3). 250 Hier sind als einfache Fälle auch die Fälle gezählt, in der die Befragungsperson zwei Personen aus der Elterngeneration pflegt oder betreut (5 Fälle). 251 Kinder wurden hier berücksichtigt, sofern sie dauerhaft körperlich bzw. psychisch beeinträchtigt und auf Unterstützung angewiesen sind. 379 Graphik 6.2.4.2/3: Bekanntheit der Problematik „Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Lebensumfeld“ (N=507) 80,0% 64,5% 60,0% 40,0% Ja 35,5% Nein 20,0% 0,0% Hinsichtlich der Bekanntheit der Problematik geben nur sechs (18,2%) der potenziellen MultiplikatorInnen, aber 174, d.h. 36,7% der restlichen Befragungspersonen an, noch nie etwas von diesem Problem gehört zu haben. 6.2.4.2.6.1.2 Assoziationen zum Problem Im zweiten Schritt wurden die InterviewpartnerInnen gefragt, was ihnen zu der Problematik einfalle. Die qualitative Analyse der Antworten ergab die folgenden relevanten Themenbereiche als Auswertungskategorien: Bewertung/Beurteilung (Wie bewerten, wie beurteilen die Befragten die Thematik?) • Verhältnis (d.h. Nähe oder Distanz) der Befragten zur Problematik, Informationsquellen (Wie gut und woher kennen die Befragten das Problem?) • inhaltliche Aussagen zum Thema (Welche inhaltlichen Aussagen machen die Befragten?) - Gewaltformen - Täter-/Opferkonstellationen, Orte der Gewaltausübung - Ursachen - Vorkommen, Häufigkeit, Entwicklung • Umgang mit der Thematik, Prävention und Intervention (Was sollte, was kann gegen das Problem unternommen werden?) • Die qualitative Auswertung berücksichtigt alle Einzelaussagen der Befragten. Insgesamt antworteten 409 Personen auf die Frage mit 930 Einzelnennungen (M = 1.83, SD = 1,56). 380 Tabelle 6.2.4.2/9: Assoziationen der Befragten zur Projektthematik (930 Nennungen von 409 Befragten) Nennungen Bewertung/Beurteilung Verhältnis zur Problematik, Informationsquellen Gewaltformen Täter-/Opferkonstellationen, Orte der Gewaltausübung Ursachen von Gewalt Vorkommen/Häufigkeit, Entwicklung und Bedeutung des Problems Umgang mit der Thematik Sonstiges Gesamt 93 365 Anteil an Nennungen in % 9,9 39,3 Anteil an Befragten in % 22,6 89,3 156 116 16,7 12,6 38,2 28,2 110 39 11,2 4,1 16,3 9,4 23 28 930 2,3 2,9 100,0 5,7 6,8 Bewertung/Beurteilung (Wie bewerten, wie beurteilen die Befragten die Thematik?) Von 93 Aussagen von 84 Befragten, in denen das Thema bewertet bzw. 252 beurteilt wird , sind 73, d.h. über zwei Drittel klar negativ bzw. ablehnend; diese Äußerungen sind zum geringeren Teil als eher sachliche Ablehnungen formuliert (z.B. nicht gut, schlecht, lehne ich ab, verurteile ich; 16 Nennungen), zum größeren Teil als drastisch negative Bewertungen (z.B. grausam, schlimm, furchtbar, traurig, Verbrechen, Unverschämtheit, beschämend, kriminell; 57 Nennungen), wobei 36 der negativen Beurteilungen sich auch auf Phänomene beziehen können, die außerhalb des Bereichs menschlicher Handlung und Verantwortung liegen (z.B. können auch Naturkatastrophen als ‚schlimm‘ bezeichnet werden). Anders verhält es sich mit Attributen wie ‚unverschämt‘, ‚kriminell‘ etc. Diese beziehen sich eindeutig auf Handlungen bzw. Verhalten und schreiben Verantwortung zu. Sie wurden in 16 Aussagen formuliert. Die insgesamt stark emotionalisierten Reaktionen weisen darauf hin, dass das Thema Gewalt gegen Ältere von einem Teil der Befragten als Skandal empfunden wird. Ein geringerer Teil der Nennungen bewertet 252 Hier sind zwei Auswertungsdimensionen zusammengenommen: die Bewertung/Beurteilung eines Sachverhalts bzw. Verhaltens anhand individueller oder allgemeiner normativer Maßstäbe mit den Extremen gut/schlecht, positiv/negativ, richtig/falsch einerseits und das Verständnis der Befragten für den Sachverhalt bzw. das Verhalten andererseits, welches von Undenkbarkeit und Unvorstellbarkeit über Verständnis und Entschuldigung bis hin zur Rechtfertigung reichen kann. 381 das Problem als schwierig oder äußert Verständnis für bestimmte For253 men der Gewaltausübung . Tabelle 6.2.4.2/10: Bewertende Assoziationen der Befragten zur Projektthematik (93 Nennungen von 84 Befragten) Negative Bewertung: verhaltens- oder phänomenbezogen Negative Bewertung: verhaltensbezogen Sachliche Ablehnungen (z.B. nicht gut) Sonstige negative Bewertung Schwieriges Thema Verständnis für Gewaltausübung Rechtfertigung Verhalten nicht vorstellbar – unverständlich Vorstellbar Gesamt Nennungen 36 19 16 2 3 5 1 9 2 93 Verhältnis, d.h. Nähe oder Distanz der Befragten zur Problematik, Informationsquellen (Wie gut und woher kennen die Befragten das Problem?) Bei der Analyse des Verhältnisses zur Thematik wurde dem (vereinfachenden) Modell gefolgt, dass es eine maximale Nähe zur Thematik geben kann (persönliche Betroffenheit) wie auch eine maximale Distanz (kein Wissen, keine Assoziationen zur Thematik), und dass die meisten Formen der Kenntnis (z.B. berufliche Kenntnisnahme, eingehende theoretische Beschäftigung mit der Thematik, Kenntnisnahme durch Medien) zwischen diesen beiden Extremen sinnvoll eingeordnet werden 254 können . „Problemnähe“ ist ein mehrdimensionales Konstrukt. Es beinhaltet unter anderem die Dimensionen persönliche Betroffenheit, kognitive Befassung, emotionale Nähe und Distanz und Verhaltensrelevanz. 336 Aussagen beschreiben das Verhältnis zur Problematik und die Form der Kenntnisnahme (Tabelle 6.2.4.2/11). Von der Thematik im weiteren Sinne sind nur wenige Befragte persönlich oder in der eigenen Familie betroffen (9), drei dieser Betroffenen üben eigene Pflege- oder 253 Bei einem kleineren Teil der Nennungen wird deutlich, dass die Befragten „Gewalt gegen Ältere“ als nicht vorstellbar, gänzlich unverständlich oder undenkbar empfinden (9). In ebenfalls wenigen Äußerungen wird Verständnis geäußert – dies jeweils im Kontext von Gewalt durch Überforderung in der Pflege (5). Nur drei mal wird das Thema eher neutral als „schwierig“ bezeichnet, und eine einzige Person rechtfertigt in ihrer Äußerung Formen von „Gewalt gegen Ältere“. 254 Es liegt dem die Überlegung zugrunde, dass es unterschiedliche ‚Erfahrungsentfernungen‘ gibt, die mit der Zahl und dem Abstraktionsgrad der Vermittlungsinstanzen zusammenhängen. 382 Unterstützungstätigkeit aus, fünf berichten, dass in ihrem Haushalt eine pflegebedürftige Person lebt. Dabei identifiziert sich ein Mann als Opfer im Sinne der Fragestellung, zwei Personen erwähnen eigene Betroffenheit bzw. Betroffenheit in der Familie ohne dies näher zu erläutern. Die anderen Befragten berichten von eigenem aggressivem Verhalten in der Pflege, aggressivem Verhalten von Gepflegten, einem Fall von Gewalt in Institutionen und einem Fall von Gewalt im öffentlichen Raum. Eine Frau berichtet über eigenes Verhalten gegenüber ihren Kindern – „über den Schnabel fahren“, – will dieses jedoch nicht als Gewalt verstanden wissen. Ein Teil der Befragten führt auf die Frage eigene berufliche Erfahrungen oder berufliche Erfahrungen von nahen Verwandten mit der Problematik an (15), in seltenen Fällen (3) handelt es sich dabei 255 um intensive theoretische Auseinandersetzungen . Zehn Nennungen beziehen sich auf von Familienmitgliedern oder Bekannten berichtete Vorkommnisse (d.h. auf Fallkenntnis vom Hörensagen), und neun Nennungen haben Erfahrungen mit der Pflege von Angehörigen oder eigener Hilfebedürftigkeit zum Gegenstand. In den weitaus meisten Aussagen (170) berichten die Befragten, von dem Problem gelesen bzw. durch Medien vermittelt davon gehört zu haben, in 19 Aussagen ohne Erläuterung der Quelle. Zumeist werden als Informationsquellen Zeitung 256 (63), Medien allgemein (44) oder Fernsehen (35) benannt . Ausdrücklich weisen 105 Befragte, d.h. mehr als ein Viertel, darauf hin, dass sie persönlich, ihre Familie und ihr Bekanntenkreis nicht von der Problematik betroffen seien. Die häufigste Aussagenkombination mit 59 Nennungen ist der Hinweis, das Thema sei aus den Medien, nicht aber aus Erfahrungen in der eigenen Familie, im eigenen Bekanntenkreis bekannt. Es handelt sich um unprovozierte Betonungen persönlicher Distanz zu dem in Frage stehenden Phänomen. Dazu zwei Beispiele aus den Mit257 schriften der Interviewkräfte : „Im Umfeld nicht, nur durch Medien bekannt“ „Man liest schon mal etwas in Zeitungen oder sieht etwas im Fernsehen, das ist eine schlimme Geschichte. Bei uns gibt es so etwas überhaupt nicht.“ Keinerlei Kenntnis der Problematik bzw. keine Assoziationen hatten lediglich 36 Befragte. 255 Diplomarbeit, Seminararbeit und Referat. 256 Drei Befragte nannten insgesamt vier weitere Informationsquellen: Broschüre der Altenhilfe, Infoveranstaltungen von Altenhilfe, Polizei und einer Kirchengemeinde. 257 Die Aussagen der Befragten wurden nicht auf Band aufgenommen, sondern von den Interviewkräften mitgeschrieben. 383 Tabelle 6.2.4.2/1: Verhältnis der Befragten zum Thema (Nähe und Distanz zum Problem 285 Nennungen von 226 Befragten) aktuelle und frühere persönliche Betroffenheit eigene berufliche Erfahrungen mit dem Thema, theoretische Auseinandersetzung, berufliche Erfahrungen von Familienmitgliedern mit dem Thema persönliche Kenntnis betroffener Person Bekannte, Kollegen oder Familienangehörige kennen Betroffene eigene Erfahrungen mit verwandter Problematik (z.B. Pflege von Angehörigen) von der Problematik gehört oder gelesen persönlich, in Bekanntenkreis oder Familie nicht betroffen, nicht erlebt davon zugleich: von der Problematik durch Medien gehört oder gelesen (Radio, Zeitung, Fernsehen oder Medien allgemein) keine Kenntnis/keine Assoziation Gesamt Nennungen 9 15 11 10 9 170 105 258 59 36 336 Der Frauenanteil an denjenigen, die Betroffene kennen, beträgt 63.6%, ihr Anteil an Personen mit beruflicher Erfahrung in dem Bereich ist 60%, und 66,7% der Personen, die Erfahrungen mit einer ähnlichen Problematik haben, sind Frauen – ein Ergebnis, das angesichts des höheren Frauenanteils an Pflegeberufen und privaten pflegerischen Tätigkeiten nicht überrascht. Entsprechend sind 61,1% der Personen ohne Problemkenntnisse Männer. Inhaltliche Aussagen zum Thema Gewaltformen 156 mal wurden von insgesamt 102 Personen konkrete Beispiele für Gewalt gegen Ältere genannt (Tabelle 6.2.4.2/12). Die meisten Nennungen, die konkreten Gewaltformen zugeordnet werden können (n=33), beziehen sich auf verschiedene Formen finanzieller Ausbeutung und finanziellen Ausnutzens (Koppeln der Besuche von Angehörigen an finanzielle Zuwendungen seitens der Älteren, Auseinandersetzungen um Erbschaften, erzwungene Eigentumsüberschreibungen). Verschiedene Formen körperlicher Gewalt (zumeist als „Schlagen“) werden ebenfalls häufig (27) genannt. Weitere Gewaltformen mit mehr als zehn Nennungen sind Abschieben ins Heim (15), Vernachlässigung in Betreuung und Pflege (12) und Verhaltensmuster wie Ausgrenzen, Degradieren, Ignorieren, Unterdrücken, nicht Ernst nehmen (13). Weniger 258 Diese 59 Nennungen sind in den in der vorigen Zeile aufgeführten 170 Nennungen enthalten. 384 als zehn Nennungen weisen auf: Vereinsamung, Isolation, nicht besuchen (9), nicht helfen, nicht kümmern (8) und verschiedene Formen der Einschränkung der Bewegungsfreiheit (Fixieren) sowie Entmündigung (7). Eine Vielzahl unterschiedlicher Verhaltensweisen wird weiter genannt, z.B. verschiedene Gewaltformen im öffentlichen Raum, Formen der Nötigung, Nahrungsentzug, Nichtüberlassen eines Sitzplatzes, seelische Misshandlung, Beschimpfen, Bedrohen, Nichterfüllen von Wünschen, liebloser Umgang und Undankbarkeit. Einige der genannten Gewaltformen reflektieren ein sehr weites Gewaltverständnis. So sind auch Konstellationen benannt, die dem alltäglichen Bedeutungsgehalt des Gewaltbegriffs nicht entsprechen. Die eigene Pflegebetroffenheit hat keine Auswirkungen auf die assoziierten Gewaltformen. Tabelle 6.2.4.2/12: Assoziationen der Befragten zur Projektthematik: Gewaltformen (156 Nennungen von 102 Befragten) 259 finanzielles Ausnutzen , Ausbeutung, Erbschaftsstreit, Erberschleichung 260 körperliche Gewalt Abschieben ins Heim Vernachlässigung, falsche Pflege, schlechte Versorgung oder Betreuung Rücksichtslosigkeit, alte Menschen zählen nicht, Achtungslosigkeit, Ausgrenzung, Degradierung, Ignorieren, nicht Ernst nehmen, „Verarschen“, schlecht behandeln Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Entmündigung, Fixieren, Ruhigstellen mit Psychopharmaka Vereinsamung, Isolation, nicht besuchen nicht helfen oder kümmern Sonstiges Gesamt Nennungen 33 27 15 12 13 7 9 8 32 156 Ein Vergleich der Gewaltassoziationen nach dem gewählten Einstiegstext – d.h. mit oder ohne Erläuterung des Gewaltbegriffs – zeigt, dass Befragte, die keine Erläuterung erhalten, häufiger den Prototyp von Gewalt assoziieren. Dieser Prototyp von Gewalt ist die von Individuen ausgehende, von ihren Auswirkungen her schwerwiegende und nicht gerechtfertigte – etwa durch Notwehr oder durch die berufliche Rolle – körperliche Zwangseinwirkung auf andere Individuen. 63% aller Nennungen wie „Schläge“, „Misshandlung“, „körperliche Gewalt“ „Verbren259 Hier handelt es sich auch um Fälle, in denen der Besuch von Angehörigen an finanzielle Zuwendungen geknüpft wird. 260 Schläge, Misshandlung, Verbrennen 385 nen“ etc. (n=27) werden von dem Personenkreis geäußert, der keine Erläuterung erhielt (n=138). Nennungen zu finanzieller Ausbeutung, Rücksichtslosigkeit und Vernachlässigung hingegen werden etwas häufiger von Personen geäußert, denen der Gewaltbegriff erläutert wurde (n=371). Täter-/Opferkonstellationen, Orte der Gewaltausübung Häufig wird von den Befragten als Kontext, innerhalb dessen Gewalt vorkommt, Gewalt im pflegerischen Bereich genannt (46). Davon entfallen jeweils rund die Hälfte der Nennungen auf Gewalt in Alten- und Pflegeheimen, z.T. auch in Krankenhäusern (20) und auf Gewalt durch privat Pflegende (20), nur in wenigen Fällen werden ambulante Pflegedienste als Täter benannt (3). Auf das Verwandtschaftsverhältnis zwischen Opfer und Täter beziehen sich 39 Aussagen, davon benennen 23 Aussagen Kinder als Gewaltausübende, in 13 Fällen wird allgemein auf Angehörige Bezug genommen, und in drei Fällen werden Enkelkinder als Gewaltausübende benannt. Nur in neun Aussagen wurde Gewalt im öffentlichen Raum oder durch Fremde thematisiert, und dreimal wurde explizit von Gewalt, Aggressionen oder Problemen gesprochen, die von den Eltern ausgingen. Tabelle 6.2.4.2/13: Assoziationen der Befragten zur Projektthematik: Täter-Opfer-Beziehung und Ort der Gewaltausübung (116 Nennungen von 95 Befragten) Gewalt in Alten-, Pflegeheimen oder Krankenhäusern Privat Pflegende als Gewaltausübende Kinder als Gewaltausübende Angehörige als Gewaltausübende Gewalt von Jugendlichen gegen die ältere Generation Gewalt im öffentlichen Raum, auf der Straße Enkelkinder als Gewaltausübende Eltern als Gewaltausübende Männer als Gewaltausübende Sonstiges Gesamt Nennungen 20 20 23 13 10 9 3 3 2 7 116 Ursachen von Gewalt 87 Befragte machen insgesamt 110 Aussagen zu Ursachen von Gewalt gegen Ältere. Diese Aussagen sind höchst heterogen. Als Ursache wird häufig Überforderung in der privaten und professionellen Pflege genannt, durch schlechte Ausbildung und Vorbereitung auf die Pflegetätigkeit sowie mangelnde Unterstützung (27), und mehrfach wird auf 386 Schwierigkeiten des Umgangs mit alten Menschen hingewiesen (5). Einige Befragte bezeichnen die Problematik als gesellschaftliches Problem (5). Konkret benannt als Ursachen werden veränderte Familienformen (6), Erziehungsdefizite (6), soziale Desintegration und Entfremdung (3), negative Haltungen und Einstellungen gegenüber alten Menschen wie Egoismus und allgemeine Rücksichtslosigkeit (10) und kulturelle Eigenheiten der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu den Herkunftsländern der Befragten (4). Relativ selten wird auf schwierige Lebensbedingungen (Arbeitslosigkeit, räumliche Enge, finanzielle Probleme) (5) verwiesen, und ebenso selten wird Gewalt auf Konflikte oder Probleme zwischen den Generationen (4) und auf intergenerationale Weitergabe von gewaltförmigem Verhalten (5) zurückgeführt. Vier Aussagen bezeichnen Geldgier, Habgier, Bösartigkeit und Skrupellosigkeit als Ursache von Gewalt, in fünf Aussagen wird darauf hingewiesen, dass die Wehrlosigkeit und Schwäche der älteren Menschen ausgenutzt werde und das Risiko der Opferwerdung mit dem Alter steige. Vier Aussagen konstatieren Isolation alter Menschen als Risikofaktor, vier Aussagen bezeichnen die Folgenlosigkeit von Handeln (d.h. keine Strafverfolgung, keine Maßnahmen der Regierung) als Ursache von Gewalt. Zwei Befragte geben zu bedenken, dass Gedanken- oder Sorglosigkeit der Kinder zu Verhalten führen könne, das die Eltern als Gewalt empfinden, welches von den Kindern aber nicht so gemeint sei. Tabelle 6.2.4.2/14: Assoziationen der Befragten zur Projektthematik: Ursachen und Risikofaktoren für Gewalt gegen Ältere (110 Nennungen von 87 Befragten) Überforderung in der privaten und professionellen Pflege, durch schlechte Ausbildung und Vorbereitung auf die Pflegetätigkeit sowie mangelnde Unterstützung negative Haltungen und Einstellungen gegenüber alten Menschen (Egoismus, allgemeine Rücksichtslosigkeit) Veränderung/Auflösung von Familienstrukturen Erziehungsdefizite, problematische Elternhäuser gesellschaftliches Problem Schwierigkeit im Umgang mit alten Menschen intergenerationale Weitergabe von gewaltförmigem Verhalten Wehrlosigkeit und Schwäche der älteren Menschen wird ausgenutzt; Risiko der Opferwerdung steigt mit dem Alter schwierige Lebensbedingungen (Arbeitslosigkeit, räumliche Enge, finanzielle Probleme) kulturelle Eigenheiten Deutschlands im Vergleich zu Herkunftsländern der Befragten Konflikte oder Probleme zwischen den Generationen Nennungen 27 10 6 6 5 5 5 5 5 4 4 387 keine Strafverfolgung, keine Maßnahmen der Regierung Geld-, Habgier, Bösartigkeit und Skrupellosigkeit Isolation alter Menschen soziale Desintegration und Entfremdung Gedanken- oder Sorglosigkeit der Kinder Sonstiges Gesamt Nennungen 4 4 3 3 2 12 110 Vorkommen, Häufigkeit, Entwicklung und Bedeutung des Problems In 39 Aussagen sprechen 34 Befragte über Häufigkeit und Bedeutung des Problems. Am häufigsten wird hier die Tabuisierung des Problems genannt und von einem großen Dunkelfeld ausgegangen (13). Häufig wird das Problem als großes, wichtiges gesellschaftliches Problem, als Alltag bezeichnet (10). Nur wenige Befragte melden Zweifel daran an, dass die Problematik existiert bzw. so existiert, wie sie in den Medien 261 dargestellt wird (3) . Ebenfalls wenige gehen davon aus, dass es sich nur um Einzelfälle handelt (2) und dass das Thema aktuell hochgespielt wird (2). Das Problem wird von einigen Befragten als schon immer existierend beurteilt (5). Z.T. wird die zunehmende Bedeutung des Problems prognostiziert (3). Eine Person geht davon aus, dass das Problem früher häufiger vorkam als heute. Tabelle 6.2.4.2/15: Assoziationen der Befragten zur Projektthematik: Einschätzungen der aktuellen Situation und der zukünftigen Entwicklung von Gewaltvorkommnissen (39 Nennungen von 34 Personen) großes Dunkelfeld, tabuisiertes Problem großes, wichtiges gesellschaftliches Problem, häufiges Vorkommen kein neues Problem, gab es schon immer Prognose oder Feststellung: Problem nimmt zu kritisches Hinterfragen, Zweifel, Hinweise auf verschiedene Perspektiven auf das Thema kommt nicht sehr häufig vor wird hochgespielt, sollte nicht hochgeschaukelt werden kam früher häufiger vor als heute Gesamt Nennungen 13 10 5 3 3 2 2 1 39 261 Einige Befragte differenzieren, sie können sich bestimmte Gewaltformen vorstellen (z.B. Gewalt in Heimen) nicht jedoch im privaten Haushalt. Diese Nennungen sind hier nicht berücksichtigt. 388 Umgang mit der Thematik Zum Umgang mit der Thematik liegen 23 Aussagen vor. Ein Teil der Befragten äußert sich ratlos bzw. pessimistisch bzgl. eines erfolgreichen Umgangs mit dem Problem (4). Einige drängen auf ein größeres Selbstbewusstsein, mehr Selbsthilfe und besseren Selbstschutz älterer Menschen (6). Mehr Schutz, schärfere Gesetze, rechtliche Schritte und strikteres Vorgehen (6), Respekt und Verantwortung sowie die Besinnung auf familiäre Werte fordern vier Aussagen; Sensibilisierung, Beratung, stärkere Aufmerksamkeit in der Nachbarschaft und sonstigen Umgebung (4) sind weitere Vorschläge zum Umgang mit dem Problem. Tabelle 6.2.4.2/16: Assoziationen der Befragten zur Projektthematik: Gegenmaßnahmen und Hilfen (23 Nennungen von 20 Befragten) Mehr Selbsthilfe und größeres Selbstbewusstsein älterer Menschen Mehr Schutz, schärfere Gesetze, strikteres Vorgehen, rechtliche Schritte Ratlosigkeit bzgl. Gegenmaßnahmen und möglichen Hilfen Respekt, Verantwortung, familiäre Werte und Erziehung Aufmerksamkeit und Hilfe durch soziales Umfeld Sonstiges Gesamt Nennungen 6 4 4 4 1 4 23 Zusammenfassung In der folgenden Tabelle (Tabelle 6.2.4.2/17) sind noch einmal die 14 häufigsten Nennungen (>4% der Fälle) aufgelistet. Dabei wird deutlich, dass die mit großem Abstand häufigste Nennung die Aussage ist, von dem Problem persönlich oder im eigenen Umfeld nicht betroffen zu sein, ein Viertel der Befragten äußert sich dahingehend (25,7% der Fälle). Größere quantitative Relevanz haben auch Aussagen zur Kenntnisnahme durch Zeitung, Medien und Fernsehen (zwischen 15,4 und 8,6% der Fälle). 9% der Befragten geben an, keine Assoziationen oder keine Kenntnis zum Problem zu haben. Zwei Bewertungskategorien werden häufig genannt: die negative Bewertung des Verhaltens oder Phänomens – dies äußern 8,8% der Befragten – oder eine negative Bewertung, die sich eindeutig auf ein Verhalten bezieht – dahingehend äußern sich 4,6% der Befragten. Zwei Gewaltformen werden von den Befragten besonders häufig genannt; es handelt sich dabei um finanzielle Ausbeutung (8,1% der Befragten) und körperliche Gewalt (6,6% der Befragten). Als Ursache von Gewalt wird vor allem die Überforderung von privat oder professionell Pflegenden genannt (6,6% der Befragten). Häufig genannte Ausübende bzw. Kontexte von Gewalt sind Kinder als Täter 389 (5,6% der Befragten), Alten- und Pflegeheime als Ort der Gewaltausübung (4,9% der Befragten) sowie privat Pflegende als Täter (4,9%). Tabelle 6.2.4.2/17: Häufige Assoziationen zum Thema Gewalt gegen ältere Menschen (507 Äußerungen von 317 Personen) Nennungen persönlich, Bekanntenkreis oder eigene Familie nicht betroffen Kenntnisnahme durch Zeitung Kenntnisnahme durch Medien negative Bewertung des Verhaltens oder Phänomens keine Kenntnis, keine Assoziation Kenntnisnahme durch Fernsehen Gewaltform: finanzielle Ausbeutung, Ausnutzen, Erbschaftsstreit Gewaltform: Schläge, körperliche Gewalt, Verbrennen Ursache: Überforderung in der privaten und professionellen Pflege (schlechte Vorbereitung und Ausbildung, keine Hilfe) Kinder als Täter Gewalt im Alten-, Pflegeheim oder Krankenhaus privat Pflegende als Täter darüber gehört, gelesen, keine Erläuterung Gesamt Anteil an gültigen Fällen 262 in % 105 Anteil an allen Nennungen in % 11,3 63 44 55 6,8 4,7 5,9 15,4 10,8 13,4 36 35 33 3,9 3,8 3,5 8,8 8,6 8,1 27 2,9 6,6 27 2,9 6,6 23 20 2,5 2,2 5,6 4,9 20 19 507 2,2 2,0 54,6 4,9 4,6 25,7 Zusammenfassend ist zu den von den Befragten vorgebrachten Assoziationen und Wertungen Folgendes festzuhalten: Eine häufige Assoziation zum Thema Gewalt gegen Ältere im per263 sönlichen Umfeld ist die Be- bzw. Verurteilung des Phänomens . • Häufig wird das eigene Verhältnis zum Thema beschrieben. Viele Befragte kennen das Thema aus den Medien und betonen gleichzeitig ausdrücklich, persönlich, in der Familie oder im Bekanntenkreis diesbezüglich keine Erfahrungen zu haben. Immerhin 44 Befragte kennen mittelbar oder unmittelbar Fälle von Gewalt im Alter. • 262 bei 100 fehlenden Werten 263 Gewalt gehört weitgehend zu den gesellschaftlich geteilten valence issues, die z.B. von BUTLER & STOKES (1971) und NELSON (1984) den kontrovers beurteilten position issues gegenübergestellt werden. 390 Die am häufigsten genannte Informationsquelle ist die Zeitung. Die von den Befragten genannten Gewaltformen sind sehr heterogen. Am häufigsten werden finanzielle Ausbeutung, körperliche Gewalt, Abschieben in ein Heim, Formen der Vernachlässigung und der Rücksichtslosigkeit gegenüber alten Menschen assoziiert. • In einigen Fällen assoziieren die Befragten einen Pflegekontext von Gewalt. Wenn privat Pflegende als Gewalt Ausübende benannt werden, so werden häufig als Ursache Überforderung und Pflegestress genannt und eher Verständnis für das Verhalten geäußert. Insbesondere werden als Ursachen für finanzielle Ausbeutung Verfall gesellschaftlicher Werte, zunehmender Egoismus, Geld- und Habgier genannt. Hier deutet sich ein subjektives Anomiemodell an, welches – im Sinne des DURKHEIMschen Anomiebegriffes (DURKHEIM, 1951) – Delikte an alten Menschen mit gesellschaftlicher Regel- und Normlosigkeit und dem Zerfall geteilter und verbindlicher Orientierungen in Verbindung bringt. • Die Aussagen zeigen, dass für die Befragten Gewalt gegen Ältere ein relevantes gesellschaftliches Problem ist. Kenntnisse diesbezüglich stammen zumeist nicht aus eigener unmittelbarer Erfahrung sondern sind durch Medien vermittelt. Nur vereinzelt wird die Existenz, Bedeutung und Relevanz des Problems hinterfragt. • Signifikante Zusammenhänge der verschiedenen Aussagen mit Alter, Geschlecht und eigener Pflegebetroffenheit konnten nicht festgestellt werden. • • Die Assoziationen zu Gewalt gegen ältere Menschen unterscheiden sich je nachdem, ob konkrete Erläuterungen zum Gewaltverständnis im Gesprächseinstieg gegeben wurden. Die Personen, die keine Erläuterung erhielten, assoziierten mit Gewalt häufiger körperliche Formen der Gewaltausübung. Auffällig ist, dass als Ort bzw. Kontext der Gewaltausübung in immerhin 20 Fällen Gewalt im Alten-, Pflegeheim oder Krankenhaus genannt wurden – obgleich beim Gesprächseinstieg ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass es in den Fragen nicht um Gewalt im öffentlichen Raum und in Institutionen gehen soll. Auch Gewalt im öffentlichen Raum wurde in einer Reihe von Fällen genannt. 6.2.4.2.6.1.3 Bedeutsamkeitseinschätzung: Das Problem und die Problembearbeitung Die InterviewpartnerInnen wurden anschließend gefragt, für wie bedeutsam sie das Problem der „Gewalt gegen Ältere in ihrem persönlichen Lebensumfeld“ in unserer Gesellschaft halten. In der abschließenden inhaltlichen Frage (vor den Fragen zur Person) sollten sie zudem 391 angeben, für wie wichtig sie ein Angebot zum Thema Gewalt gegen Ältere erachten. In beiden Fragen wurden fünfstufige Skalen vorgegeben, die von ‚gar nicht wichtig‘ (1) bis ‚außerordentlich wichtig‘ (5) reichten. Der überwiegende Teil der Befragten (62,8%) bezeichnet das Problem als ziemlich (31,6%) oder außerordentlich bedeutsam (31,2%). Der Mittelwert auf einer Skala von 1 (gar nicht bedeutsam) bis 5 (außerordentlich bedeutsam) liegt bei 3,80 (SD=1,06). Tabelle 6.2.4.2/18 stellt die Befunde dar. Tabelle 6.2.4.2/18: Bedeutsamkeitseinschätzung der Problematik „Gewalt gegen Ältere in ihrem persönlichen Lebensumfeld“ gar nicht bedeutsam kaum bedeutsam mittelmäßig bedeutsam ziemlich bedeutsam außerordentlich bedeutsam Gesamt Fehlend Gesamt Häufigkeit Prozente 12 46 123 154 152 487 22 509 2,4 9,0 24,2 30,3 29,9 95,7 4,3 100,0 gültige Prozente 2,5 9,4 25,3 31,6 31,2 100,0 Die Wichtigkeit eines helfenden oder präventiven Angebotes zum benannten Problemfeld wird von den Befragten noch höher eingeschätzt. Nahezu drei von vier Befragten, die hier Angaben machen (492), sehen ein Angebot als ziemlich oder außerordentlich wichtig an. Die Anteile derer, die ein solches Angebot als kaum oder gar nicht wichtig erachten, sind gering. Der Mittelwert (Skala von 1 (gar nicht wichtig) bis 5 (außerordentlich wichtig) liegt bei 4,14 (SD=0,92) (Tabelle 6.2.4.2/19). Tabelle 6.2.4.2/19: Einschätzung der Wichtigkeit eines Angebots zum Thema „Gewalt gegen Ältere“ gar nicht wichtig kaum wichtig mittelmäßig wichtig ziemlich wichtig außerordentlich wichtig Gesamt Fehlend 392 Häufigkeit Prozente 1 13 80 167 213 492 17 0,2 6,1 15,7 32,8 41,8 96,7 3,3 gültige Prozente 0,2 6,3 16,3 33,9 43,3 100,0 Die Zustimmungsraten sind also bei beiden Items sehr hoch; vor allem wird die Wichtigkeit eines Angebotes zum Thema von den Befragten 264 hoch eingeschätzt . Die Bedeutsamkeitseinschätzungen des Problems und einer Einrichtung zum Thema korrelieren hoch miteinander (r=.49, p<.001). In beiden Fällen sind starke Effekte sozialer Erwünschtheit anzunehmen; es kann davon ausgegangen werden, dass die Befragten im Kontext des Interviews als ‚richtige‘ Antwort auf die Fragen nach der Bedeutsamkeitseinschätzung der Problematik Gewalt gegen Ältere und einer Einrichtung zum Thema deutliche Zustimmung vermuteten. Die Verwendung des Gewaltbegriffs – ohnehin eine emotional stark aufgeladene Bewertungsformel – evoziert besonders in Kombination mit Alter als Opfermerkmal moralische Entrüstung und Ablehnung; beides begründet die Bedeutsamkeit der Problematik und der Problembearbeitung. Zwischen Alter und den beiden Bedeutsamkeitsratings lassen sich keine Zusammenhänge erkennen. Auffällig sind allerdings Geschlechtsunterschiede; die befragten Frauen schätzen sowohl die Bedeutsamkeit der Thematik (t=2,316, df=485, p<.05) als auch die Wichtigkeit einer solchen Einrichtung (t=4,136, df=490, p<.001) höher ein als die Männer. Die Bedeutsamkeitseinschätzung der Thematik unterscheidet sich zwischen MultiplikatorInnen und den restlichen Befragten nur geringfügig, ebenfalls geringe Unterschiede zeigen sich bei der Einschätzung der Wichtigkeit einer Einrichtung zum Thema: 30 (88,3%) der MultiplikatorInnen schätzen ein Angebot zum Thema als ziemlich oder außerordentlich wichtig ein, dagegen 350 (76,5%) der restlichen Befragten. 6.2.4.2.6.2 Einrichtungen und Initiativen zum Thema Gewalt gegen Ältere: Kenntnis und potentielle Nutzung Bisher ging es um die Wahrnehmung der Thematik allgemein durch die Befragten und ihre Einschätzungen zur Bedeutsamkeit der Thematik bzw. Wichtigkeit eines Angebotes zum Thema. Nun interessieren die Kenntnis von Hilfeangeboten zum Thema und die potentiell in Anspruch genommenen Hilfeangebote. Um herauszufinden, inwieweit das Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ von den Befragten als ein Angebot zum 264 Beide Urteile können aufgrund unterschiedlicher Bezugspunkte nicht unmittelbar verglichen werden. Im einen Fall geht es um die Bedeutsamkeit eines Problems, die von den Befragten subjektiv z.B. zur Bedeutsamkeit anderer Probleme in Relation gesetzt werden kann, im anderen Fall geht es um die Bedeutsamkeit einer Handlung, die in Relation zu anderen, alternativ denkbaren Handlungen gesetzt, aber auch z.B. einfach gegenüber Nicht-Handeln abgegrenzt werden kann. 393 Thema frei, d.h. ohne Erinnerungshilfe, erinnert wird (recall), wurde die Frage gestellt, ob sie „Institutionen, Einrichtungen oder Initiativen in Hannover“ kennen, „die sich mit der Problematik der Gewalt gegen ältere Menschen beschäftigen“ und welche das gegebenenfalls sind. Der weitaus größte Teil derjenigen, die auf diese Frage antworteten, 265 88,8% , kennt keine entsprechende Institution oder Einrichtung in Hannover. Nur etwa jeder zehnte (11,2%) bejahte die Frage. Acht von neun Personen, die persönlich von der Problematik betroffen sind, kennen keine einschlägige lokale Einrichtung. 53 Personen nennen auf die offene Frage konkrete Institutionen, Einrichtungen oder Initiativen in Hannover (insgesamt 75 Nennungen; 266 M = 1,42, SD = 0,72) . Der folgenden Tabelle ist die Verteilung der Antworten zu entnehmen. Vergleichsweise häufig genannt wurden die Grauen Panther (10), Wohlfahrtsverbände (10), kirchliche Einrichtungen und Amtsträger (9), die Stadt Hannover bzw. das Sozialamt (8) und die 267 städtische Familien- bzw. Altenhilfe (7 ). Seltener genannt werden Polizei (6), der Weiße Ring (5), Sozialstationen, Pflegedienst, Krankenhaus (3), Seniorenbeirat/Seniorenbüro (3) und ÄrztInnen (2). Jeweils einmal genannt werden das Modellprojekt, der Reichsbund (inzwischen Sozialverband Deutschland e.V.), die SPD, das BMFSFJ, eine Gewerkschaft, eine Selbsthilfegruppe, die Staatsanwaltschaft und eine Beratungsstelle. Während 10 MultiplikatorInnen (29,4%) in Hannover Institutionen, Einrichtungen oder Initiativen kennen, die sich mit der Problematik befassen, sind es nur 46 (9,9%) der übrigen Befragten. Die von MultiplikatorInnen genannten Dienste weisen kein anderes Profil auf als die von 268 den restlichen Befragten genannten . 269 Insgesamt antworten 478 Befragte auf die Frage, an wen sie sich wenden würden, wenn sie Beratungs- oder Hilfebedarf in Zusammenhang mit dem Problemkreis Gewalt im Alter im persönlichen Umfeld hätten. 75 Personen (15,7%) wissen nicht, an wen sie sich wenden würden, und sieben (1,5%) würden das Problem selbst lösen bzw. sich nicht an eine Einrichtung wenden. 396 Befragte, d.h. mehr als drei Viertel (77,8 gültige Prozente), nennen mindestens eine Person oder Ein265 Gültige Prozente bei 9 fehlenden Werten 266 Sechs Befragte nennen auf die offene Frage konkrete Angebote, obgleich sie die geschlossene Frage nach der Kenntnis eines solchen Angebots verneint hatten. 267 In einem Fall wird hier das Sorgentelefon benannt. 268 Von den MultiplikatorInnen werden hier genannt: Kirche/kirchliche Amtsträger 2x, Stadt Hannover 1x, Wohlfahrtsverband 1x, Beratungsstellen 1x, Weißer Ring, 1x, Graue Panther 2x, Sonstiges 3x. 269 31 fehlende Werte. 394 richtung, an die sie sich wenden würden. Insgesamt benennen die Befragten 546 Personen oder Einrichtungen, d.h. im Durchschnitt 1,38 pro Person (SD=0,68). Tabelle 6.2.4.2/20: Den Befragten in Hannover als einschlägig bekannte Einrichtungen zum Thema Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum (75 Nennungen von 53 Personen) Nennungen Die Grauen Panther Wohlfahrtsverbände kirchliche Einrichtungen und Amtsträger 270 Stadt Hannover Familien- und Altenhilfe Polizei Weißer Ring Sozialstation, Pflegedienst, Krankenhaus Seniorenbeirat/Seniorenbüro ÄrztInnen Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ Reichsbund (jetzt Sozialverband Deutschland) Andere Gesamt 10 10 9 8 7 6 5 3 3 2 1 Anteil an Nennungen in % 13,3 13,3 12,0 10,7 9,3 8,0 6,7 4,0 4,0 2,7 1,3 1 1,3 10 75 13,2 100,0 Die folgende Tabelle (Tabelle 6.2.4.2/21) schlüsselt die genannten Einrichtungen bzw. Personengruppen nach Häufigkeiten auf. Mit Abstand am häufigsten wird die Polizei genannt (171), es folgen Einrichtungen der Stadt Hannover (73) sowie kirchliche Einrichtungen bzw. Amtsträger (57). Jeweils etwa gleich viele Nennungen erhalten Informationsquellen wie das Internet, die „Gelben Seiten“ oder Tageszeitungen (33), Beratungsstellen (32) und Wohlfahrtsverbände (26). Professionelle (Kranken-)Pflegeanbieter (25), FreundInnen, Bekannte und KollegInnen (22), (Haus-)Ärzte und Ärztinnen (17) werden ähnlich häufig genannt. Seltener werden die Familie (12), Gremien der Seniorenvertretung und spezielle Seniorenangebote (10) als Hilferessourcen in Erwägung gezogen, ebenso der Weiße Ring (5), die Grauen Panther (5), Frauenhäuser (4) und der Reichsbund (4); andere Angebote wurden insgesamt 32 mal 270 Sozialamt, Gesundheitsamt, Bürgeramt, Ordnungsamt 395 genannt, darunter in lediglich einem Fall das Modellprojekt „Gewalt ge271 gen Ältere im persönlichen Nahraum“ . Tabelle 6.2.4.2/21: Im hypothetischen Fall von Beratungsbedarf bei eigener Betroffenheit von einer Gewaltproblematik potentiell genutzte Einrichtungen (546 Nennungen von 396 Personen) Nennungen Polizei 272 Stadt Hannover kirchliche Einrichtungen und Amtsträger Medien (Internet, Zeitung, Gelbe Seiten) Beratungsstellen Wohlfahrtsverbände Sozialstation, Pflegedienst, Krankenhaus FreundInnen/Bekannte/KollegInnen ÄrztInnen Familie Familien- und Altenhilfe Seniorenbeirat/Seniorenbüro Staatsanwaltschaft Die Grauen Panther Weißer Ring Reichsbund (jetzt Sozialverband Deutschland) Frauenhaus Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ Sonstiges Gesamt Anteil an Anteil an Nennun- Personen gen in % in % 171 73 57 33 32 26 25 22 17 12 11 10 6 5 5 4 4 1 31,3 13,4 10,4 6,0 5,9 4,8 4,6 4,0 3,1 2,2 2,0 1,8 1,1 0,9 0,9 0,7 0,7 0,2 43,2 18,4 14,4 8,3 8,1 6,6 6,3 5,6 4,3 3,0 2,8 2,5 1,5 1,3 1,3 1,0 1,0 0,3 32 546 5,9 100,0 8,1 137,9 Zusammenfassend kann Folgendes festgestellt werden: Polizei und städtische Einrichtungen genießen im Vergleich mit anderen Anbietern und Einrichtungen das größte Vertrauen als potentielle Ansprechpartner in Fällen von Gewalt. • Während das Modellprojekt (zumindest unter seinem offiziellen Namen) der Gruppe der Befragten nahezu unbekannt ist, können die meisten eine Person oder Institution angeben, an die sie sich im Bedarfsfall wenden würden. Dabei handelt es sich nicht unbedingt um • 271 Unter Sonstiges sind folgende Einrichtungen bzw. Personen gefasst (jeweils weniger als drei Nennungen): Politiker/Bezirksbürgermeister, Psychologen, Selbsthilfegruppen, Krankenkassen, Freizeitheim, das geriatrische Zentrum Langenhagen, SPD, Kibiss Kiss (eine Initiative zur Vernetzung von Selbsthilfeorganisationen in Hannover), Rheumaliga, Sozialarbeiter und Schiedsfrau. 272 Sozialamt, Gesundheitsamt, Bürgeramt, Ordnungsamt. 396 die von ihrem Selbstverständnis her als einschlägig zu betrachtenden Einrichtungen (dies gilt z.B. für die Grauen Panther). 6.2.4.2.6.3 Das Modellprojekt und seine Angebote: Bekanntheitsgrad und Informationsquellen Erinnertes lässt sich zum Teil frei reproduzieren, zum Teil wird es jedoch für die Befragten erst dann abrufbar, wenn Erinnerungsstützen gegeben werden. Das Wiedererkennen bei gestützten Fragen (recognition) bedarf einer geringeren kognitiven Leistung als das freie Reproduzieren (recall). Der hier eingesetzte Fragebogen arbeitet mit beiden Fragearten: Recognition-Fragen nach dem Modellprojekt und seinen Angeboten sind kombiniert mit Recall-Fragen. So wird beispielsweise danach gefragt, ob die Befragten schon einmal vom Krisen- und Beratungstelefon im Alter gehört haben; wenn die Befragten dies bejahen, werden sie gebeten zu erzählen, was sie über das Krisen- und Beratungstelefon im Alter wissen. Bei den anderen Angeboten wird analog verfahren. In der Auswertung lassen sich so die positiven Antworten auf die Recognition-Fragen mittels der Erläuterungen daraufhin überprüfen, ob die Befragten sich tatsächlich an das Modellprojekt bzw. seine einzelnen Angebote erinnern, ob sie sich an etwas anderes erinnern oder ob aus den Antworten diesbezüglich keine Schlüsse gezogen werden 273 können . Diese Vorgehensweise spricht sowohl verschiedene Methoden des Abrufs aus dem Gedächtnis an als auch unterschiedliche Dimensionen der Kenntnis eines Angebots. Die Frage „Haben Sie schon einmal etwas von Angebot X gehört?“ zielt auf das Wissen um die bloße Existenz von Angebot X ab. Die Nachfrage hingegen dient der Klärung, a) ob die befragte Person tatsächlich etwas von der Existenz von Angebot X weiß oder es mit Angebot Y verwechselt und zugleich b) welche näheren Kenntnisse über Angebot X vorliegen. In den Item-Katalog wurden zwei Kontrollitems aufgenommen. Es handelt sich dabei um die Frage nach der Kenntnis eines fiktiven Angebotes des Modellprojekts (Anti-Gewalt-Training) und eines anderen fiktiven Angebotes in Hannover (Senioren-Finanz-Management). Beide Items erwiesen sich als nicht im vorgesehenen Sinne verwendbar, da die Befragten ähnlich lautende Angebote oder Angebote mit vermuteten gleichen Inhalten dazu assoziierten. So nannten einige Befragte zum Anti-Gewalt-Training Selbstverteidigungskurse, andere Präventionskurse der Polizei, das Senioren-Finanz-Management wurde in einigen Fällen mit Initiativen verwechselt, deren Ziel die Unterstützung von Existenzgründungen und jungen Unternehmen durch aus dem Berufsleben ausgeschiedene 273 In den diesbezüglichen Tabellen sind die Kategorien „keine Erläuterung vorhanden“ und „Erläuterung lässt keinen Rückschluss auf tatsächliche Kenntnis zu“ zusammengefasst. 397 274 Wirtschaftsfachleute ist . Dieses Problem betrifft allerdings nicht nur die Kontrollitems, sondern gleichfalls die Items zu tatsächlich existierenden Angeboten des Modellprojekts: Da ähnlich lautende Angebote in Hannover existieren, erwies es sich für einige Angebote des Modellprojekts als unmöglich, ihren tatsächlichen Bekanntheitsgrad exakt zu ermitteln. 6.2.4.2.6.3.1 Die Bekanntheit des Modellprojekts im Vergleich mit anderen lokalen Angeboten Von 498 Befragten (11 fehlende Werte) haben 93,2% (464) noch nie etwas vom Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ in Hannover gehört. 6,4% (32) haben davon gehört, und 0,4% (2) sind sich nicht sicher (vgl. Graphik 6.2.4.2/4). Allerdings sprechen die Erläuterungen der Befragten nur in drei Fällen dafür, dass diese das Modellprojekt tatsächlich kennen. In den anderen Fällen lässt die Erläuterung keinen Rückschluss diesbezüglich zu. Nach bekannten Angeboten des Modellprojekts gefragt, können zwei Befragte das Krisen- und Beratungstelefon im Alter und eine Stadtteilstelle nennen. Graphik 6.2.4.2/4: Bekanntheit des Modellprojekts im Juni/Juli 2000 (N=498) 100,0% 93,2% 80,0% Ja 60,0% Nein 40,0% nicht sicher 20,0% 6,4% 0,4% 0,0% In der Stichprobe befinden sich keine NutzerInnen des Modellprojekts. 274 Hier könnte beispielsweise eine Verwechslung vorliegen mit dem Senior Experten Service, einer in Bonn ansässigen Initiative, die vor allem im Bereich der Wirtschaft tätig ist und mit aus dem Berufsleben ausgeschiedenen Fachleuten (Senior Experten) die beruflich-fachliche Ausbildung, Fortbildung und Qualifizierung von Fach- und Führungskräften im In- und Ausland fördert (http://www.ses-bonn.de/deutsch/Profil/profil.html [14.12.2000]). 398 Auch im Vergleich mit anderen Einrichtungen sozialer Dienste bzw. einer Interessenvertretung von SeniorInnen ist der Bekanntheitsgrad des Modellprojekts eher gering. Bei einer Interpretation der in Tabelle 6.2.4.2/22 dargestellten Werte müssen allerdings maßgebliche Differenzen zu den Vergleichs-Angeboten und -Einrichtungen in Rechnung gestellt werden. Diese betreffen unter anderem die Existenzdauer (trifft für alle drei Vergleichsangebote zu), die personelle und finanzielle Ausstattung (trifft für den KSD zu), die Einbettung in bundesweite Konzepte politischer Interessenvertretung (Seniorenbeirat), die Teilhabe in der Regelversorgung nach dem BSHG (KSD) sowie die bundesweite Profilierung durch Dachverbände (trifft für die Alzheimergesellschaft zu). Das fiktive Angebot „Seniorenfinanzmanagement Hannover“ ‚kennen‘ 45 Befragte (9,1 gültige Prozente), zwei sind sich nicht sicher (0,4%), und 447 verneinen die Kenntnis (90,5%) (bei 15 fehlenden Werten). Tabelle 6.2.4.2/22: Bekanntheit verschiedener Angebote in Hannover: Modellprojekt Gewalt gegen Ältere, Seniorenbeirat, Alzheimergesellschaft und Kommunaler Sozialdienst Nein Ja nicht sicher Gesamt Fehlende Werte Gesamt Modellprojekt Seniorenbeirat Gewalt gegen der Stadt HanÄltere nover N gültige N gültige ProProzente zente AlzheimerKommunaler gesellschaft Sozialdienst der Hannover275 Stadt Hannover N gültige N Gültige ProProzente zente 464 32 2 498 11 290 203 2 495 14 509 93,2 6,4 0,4 100,0 185 310 1 496 13 509 37,3 62,5 0,2 100,0 509 58,6 41,0 0,4 100,0 276 213 1 490 19 56,3 43,5 0,2 100,0 509 6.2.4.2.6.3.2 Bekanntheit der einzelnen Angebote des Modellprojekts Knapp zwei Drittel der Befragten (61,8%) geben an, kein Angebot des Modellprojekts zu kennen. 28,1% der Befragten geben an, ein Angebot zu kennen; 9,7% kennen nach eigenen Angaben zwei oder mehr Ange276 bote des Modellprojekts (vgl. Graphik 6.2.4.2/5). 275 Wurde hier anhand der Antworten deutlich, dass die Alzheimergesellschaft an sich bekannt ist, nicht jedoch die Alzheimergesellschaft Hannover, so wurde die Antwort als Nein gewertet. 276 Sechs fehlende Werte; hier ist die Kenntnis von Stadtteilangeboten des Modellprojekts berücksichtigt worden. 399 Auffällig ist an dieser Stelle, dass das Modellprojekt selbst nur 6,3% der Befragten bekannt ist, aber immerhin 28,1% angeben, ein Angebot des Modellprojekts zu kennen. Dieser in sich widersprüchliche Befund wird in Abschnitt 6.2.4.2.7 erörtert. Graphik 6.2.4.2/5: Anzahl der bekannten Angebote des Modellprojekts (N=503) 80,0% kein Angebot bekannt 61,8% ein Angebot bekannt 60,0% zwei Angebote bekannt 40,0% drei Angebote bekannt 28,1% vier und fünf Angebote bekannt 20,0% 6,7% 1,8% 1,2% 0,0% Die Auswertung der Recognition-Fragen nach der Bekanntheit der verschiedenen Modellprojektangebote zeigt deutliche Unterschiede (Graphik 6.2.4.2/6). Während mehr als 20% der Befragten die Frage nach der Kenntnis des Krisen- und Beratungstelefons bejahen, sind es hinsichtlich der anderen Angebote jeweils unter 10%. 7,7% bejahen die Frage nach der Kenntnis der Beratungsstelle in der Podbielskistraße, 6,7% haben Kenntnis von Veranstaltungen und Vorträgen des Modellprojekts, und 2,4% bejahen die Frage nach der Kenntnisnahme von Info- oder Büchertischen. Immerhin 5,3% der Befragten geben an, das fiktive „Anti-Gewalt-Training“ des Modellprojekts zu kennen. Die Aufschlüsselung der Bekanntheit der verschiedenen Angebote des Modellprojekts nach Altersgruppen zeigt einen jeweils höheren Bekanntheitsgrad bei den Personen über 60 (Tabelle 6.2.4.2/23). Dies kann einen tatsächlich höheren Bekanntheitsgrad bei Älteren widerspiegeln – dies zumal die Öffentlichkeitsarbeit sich zum Teil explizit an ältere Menschen richtete –, es können darin aber auch Effekte sozialer Erwünschtheit zum Ausdruck kommen. Demnach wäre denkbar, dass ältere Menschen eher glauben, von ihnen würde erwartet, ein altersspezifisches Angebot zu kennen, folglich auch eher zur Bejahung entsprechender Fragen neigen. Signifikante Differenzen der Bekanntheit der verschiedenen Angebote zwischen den beiden Altersgruppen liegen beim Krisen- und Beratungstelefon im Alter vor (χ2=15,07, df=2, p<.01). 400 Graphik 6.2.4.2/6: Bekanntheit verschiedener Angebote des Modellprojekts 40,0% Beratungs- und Krisentelefon im Alter (N=118) Beratungsstelle Podbielskistraße (N=39) 23,2% Veranstaltungen und Vorträge (N=34) 20,0% Info- bzw . Büchertisch (N=12) 7,7% 6,7% 2,4% 0,0% Tabelle 6.2.4.2/23: Bekanntheit verschiedener Angebote des Modellprojekts nach Altersgruppen: Recognition (N=509) Angebot bekannt? Ja Krisen- und Be- Beratungs- Veranstaltun- Infotisch / fiktives ratungstelefon stelle gen und Vor- Büchertisch Angebot: im Alter Podbielskiträge Anti-Gewaltstraße Training 35-60 ab 61 35-60 ab 61 35-60 ab 61 35-60 ab 61 35-60 ab 61 Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre 53 65 18,0% 32,2% Nein 242 136 19 20 15 19 2 10 13 14 6,4% 9,8% 5,1% 9,4% 0,7% 5,0% 4,5% 7,1% 277 184 279 184 290 191 277 182 82,0% 67,3% 93,6% 90,2% 94,3% 90,6% 99,0% 95,0% 95,5% 92,9% nicht sicher Gesamt 295 1 2 1 0,5% 0,7% 0,3% 202 296 204 296 203 293 201 290 196 Werden die bejahenden Antworten anhand der von den Befragten gegebenen Erläuterungen einer Bewertung unterzogen, zeigt sich, dass nur ein kleinerer Teil der Befragten das genannte Angebot des Modellprojekts zweifelsfrei kennt (Tabelle 6.2.4.2/24). In den meisten Fällen lässt sich diesbezüglich keine Aussage machen. 401 Tabelle 6.2.4.2/24: Beurteilung der Angaben zur Kenntnis von Angeboten des Modellprojekts anhand der von den Befragten gegebenen Erläuterungen (Recall) Krisen- und Beratungstelefon im Alter Erläuterung spricht für 24 (4,7%) tatsächliche Kenntnis Erläuterung spricht ge10 (2,0%) gen tatsächliche Kenntnis Erläuterung lässt kei84 (16,5%) nen Rückschluss auf tatsächliche Kenntnis zu / keine Erläuterung vorhanden Gesamt Zustimmung 118 (23,2%) zur Kenntnis des Angebots Beratungsstelle Podbielskistraße 7 (1,4%) Veranstaltungen und Vorträge Infotisch / Büchertisch 9 (1,8%) 5 (1,0%) 1 (0,2%) 1 (0,2%) 6 (1,2%) 21 (6,1%) 24 (4,8%) 1 (0,2%) 29 (7,7%) 34 (6,7%) 12 (2,4%) Von den 34 Befragten, die angeben, von Veranstaltungen bzw. Vorträgen des Modellprojekts zu wissen, können 5 keine weiteren Angaben dazu machen, 7 können Veranstaltungsorte, die z.T. sehr vage sind, nennen. Zur Leitung der Vorträge und Veranstaltungen können die Befragten keine Angaben machen. Das Thema der Veranstaltung kann von 9 Personen nicht erläutert werden, zwei Befragte nennen einen Vortrag der Polizei im Lister Turm, je eine Nennung entfällt auf „Veranstaltung für Ältere“, „Tag der Offenen Tür“ und „Kriminalpolizei im Freizeitheim“. Bekanntheit von Angeboten des Modellprojekts und allgemeinen Angeboten bei MultiplikatorInnen Als potentielle MultiplikatorInnen, d.h. Personen, die professionell oder ehrenamtlich mit den Bereichen Beratung, Alter, Pflege/Medizin und/oder Gewalt zu tun haben, wurden 34 Personen identifiziert. Ein Vergleich zwischen dem Antwortverhalten der MultiplikatorInnen und dem der restlichen Befragten zeigt hinsichtlich der Bekanntheit des Modellprojekts nur geringe Unterschiede. Auch unter zufällig ausgewählten VertreterInnen von Berufsgruppen, die einen Bezug zur Thematik „Gewalt gegen Ältere“ haben können, sind das Modellprojekt und seine Angebote nur einer Minderheit bekannt (vgl. Tab. 6.2.4.2/25 und 6.2.4.2/26). Im Unterschied zu den übrigen Befragten sprechen die Erläuterungen der MultiplikatorInnen in keinem Fall gegen eine tatsächli- 402 che Kenntnis der jeweils als bekannt bezeichneten Angebote (Tab. 6.2.4.2/27). Tabelle 6.2.4.2/25: Bekanntheit verschiedener Angebote in Hannover bei potenziellen MultiplikatorInnen (N=34) Modellprojekt Seniorenbeirat Gewalt gegen der Stadt HanÄltere nover Nein Ja Gesamt 31 3 34 Alzheimergesellschaft 277 Hannover 4 30 34 13 21 34 Kommunaler Sozialdienst der Stadt Hannover 11 23 34 Tabelle 6.2.4.2/26: Bekanntheit verschiedener Angebote des Modellprojekts bei potenziellen MultiplikatorInnen: Recognition (N=34) Nein Ja Nicht sicher Fehlend Gesamt Krisen- und BeratungsBeratungsstelle telefon im PodbielskiAlter straße 23 31 11 3 0 0 0 0 34 34 VeranstalInfotisch / fiktives tungen und Büchertisch Angebot: Vorträge Anti-GewaltTraining 31 33 32 2 1 0 1 0 0 0 0 2 34 34 34 Tabelle 6.2.4.2/27: Beurteilung der Angaben potenzieller MultiplikatorInnen (N=34) zur Kenntnis von Angeboten des Modellprojekts anhand der von den Befragten gegebenen Erläuterungen (Recall) Erläuterung spricht für tatsächliche Kenntnis Erläuterung spricht gegen tatsächliche Kenntnis Erläuterung lässt keinen Rückschluss auf tatsächliche Kenntnis zu/keine Erläuterung vorhanden Gesamt Zustimmung zur Kenntnis des Angebots Krisen- und BeratungsBeratungsstelle telefon im PodbielskiAlter straße 4 2 VeranstalInfotisch / tungen und Büchertisch Vorträge 2 1 0 0 0 0 7 1 0 0 11 3 2 1 277 Wurde hier anhand der Antworten deutlich, dass die Alzheimergesellschaft an sich bekannt ist, nicht jedoch die Alzheimergesellschaft Hannover, so wurde die Antwort als Nein gewertet. 403 6.2.4.2.6.3.3 Informationsquellen bei Kenntnis der zentralen Angebote Tabelle 6.2.4.2/28 schlüsselt für die genannten zentralen Angebote des Modellprojekts die Informationsquellen auf. Die Grundlage der Tabelle ist die Zahl der Nennungen pro Informationsquelle. Nicht alle, die die Kenntnis eines Angebotes bejahen, können auch die Informationsquelle benennen, daher gibt es Abweichungen zwischen beiden Größen. Als wichtigste Informationsquelle derjenigen, die das Krisen- und Bera278 tungstelefon im Alter kennen (113) , erweist sich die Presse. Über die Hälfte der Nennungen entfällt auf Zeitungsartikel in den beiden großen Tageszeitungen von Hannover (HAZ und Neue Presse), weitere 15% auf Zeitungsartikel in kostenlosen Wochenzeitungen. Etwa jede zehnte Nennung bezieht sich auf die Vermittlung von FreundInnen, Bekannten oder Verwandten, um die 5% kennen das Telefon aus einer Radiosendung. Rund 11% nennen sonstige, meist nicht näher spezifizierte Infor279 mationsquellen . Auch hinsichtlich der Beratungsstelle des Modellprojekts in der Podbielskistraße beziehen sich über die Hälfte der Nennungen auf Zeitungsartikel in HAZ und NP. Wenig relevant ist die Vermittlung durch Professionelle oder Institutionen aus dem medizinischen oder psychosozialen Bereich (z.B. Arzt, Krankenkasse), Plakate und Aushänge, Faltblätter und Radiosendungen. Auch hier erfolgt die Kenntnisnahme häufiger durch FreundInnen, Bekannte oder Verwandte. Die Kenntnisnahme von Veranstaltungen und Vorträgen des Modellprojekts erfolgt ebenfalls zumeist über lokale Printmedien. 278 Fünf Personen gaben an, das Krisen- und Beratungstelefon im Alter zu kennen, konnten aber keine Informationsquelle nennen. 279 Im Interview wurden bei Zustimmung zur Kenntnisfrage die verschiedenen potenziellen Informationsquellen abgefragt, als letzte Möglichkeit wurde „andere Informationsquelle“ angeführt. Befragte, die sich nicht genau erinnerten, woher sie das entsprechende Angebot kannten, neigten dazu, dieses Item zu bejahen, präzisierten ihre Angabe allerdings nicht. So kommt ein hoher Zustimmungsgrad zur Kategorie „andere“ zustande. 404 Tabelle 6.2.4.2/28: Informationsquellen über Angebote des Modellprojekts Zeitungsartikel HAZ, NP Kostenlose Wochenzeitung Freunde, Bekannte, Verwandte Radiosendung Personen aus dem medizinischen oder psychosozialen Bereich Faltblatt, Handzettel Plakat/Aushang Anderes (z.B. Gemeindeblatt) Gesamt Krisen- und Bera- Beratungsstelle Veranstaltungen tungstelefon im Podbielskistraße und Vorträge Alter N % N % N % 71 55,0 21 52,5 18 56,3 19 14,8 3 7,5 8 25,0 12 9,3 9 22,5 0 0,0 7 3 5,4 2,3 1 0 2,5 0,0 0 0 0,0 0,0 2 1 14 1,6 0,8 10,9 0 2 4 0,0 5,0 10,0 2 0 4 6,3 0,0 12,5 129 100,0 40 100,0 32 100,0 6.2.4.2.6.3.4 Bekanntheit von Stadtteilaktivitäten und dabei genutzte Informationsquellen Bisher wurde die Bekanntheit der Projektmodule untersucht, die im ganzen Stadtgebiet angeboten wurden. Im Rahmen der Stadtteilarbeit wurden einige Angebote auf die Stadtteile zugeschnitten und auch nur in diesen bekannt gemacht. Herrenhausen und Stöcken Von 75 befragten Personen aus den Stadtteilen Herrenhausen und Stöcken haben 17 Personen von der Veranstaltungsreihe „Unter die Lupe genommen“ gehört, wobei bei fünf Personen die Erläuterungen für die tatsächliche Kenntnis sprechen, bei den anderen Personen gibt es keine Erläuterungen bzw. lassen diese keinen Rückschluss auf die tatsächliche Kenntnis zu. Jeweils eine Person erinnert sich an die Themenabende „Sicherheit“, „Wohnen im Alter“, „Gewalt gegen Alte“ und an die Ausstellung „Alter(n) – eine Herausforderung“, zwei Personen haben Veranstaltungen besucht (Themenabende „Sicherheit“ und „Gewalt gegen Ältere“). Die wöchentliche Stadtteilsprechstunde ist 11 der 75 Befragten aus den Stadtteilen Herrenhausen und Stöcken bekannt, wobei bei drei Personen anhand der Erläuterungen davon auszugehen ist, dass sie die 405 Stadtteilsprechstunde tatsächlich kennen, bei den verbliebenen acht lässt sich darüber keine Aussage treffen. Tabelle 6.2.4.2/29: Bekanntheitsgrad der Angebote des Modellprojekts in Herrenhausen und Stöcken (N=75) Herrenhausen und Stöcken Nein Ja Gesamt Fehlend Gesamt Veranstaltungsreihe „Unter die Lupe genommen“ N Prozente gültige Prozente 55 73,3 76,4 17 22,7 23,6 72 96,0 100,0 3 4,0 75 100,0 Stadtteilsprechstunde N 60 11 71 4 75 Prozente gültige Prozente 80,0 84,5 14,7 15,5 94,7 100,0 5,3 100,0 Hinsichtlich der Informationsquellen werden im Vergleich zu den zentralen Angeboten Faltblätter und Plakate häufiger genannt. Printmedien sind jedoch auch im Stadtteil von zentraler Bedeutung. Tabelle 6.2.4.2/30: Informationsquellen über Angebote des Modellprojekts in Herrenhausen und Stöcken (Veranstaltungsreihe, Stadtteilsprechstunde) Informationsquelle Zeitungsartikel HAZ, NP kostenlose Wochenzeitung Freunde, Bekannte, Verwandte Faltblatt, Handzettel Plakat/Aushang Anderes Gesamt Veranstaltungsreihe N 5 3 1 2 3 3 17 Stadtteilsprechstunde N 3 2 2 1 3 0 11 Vahrenheide und Sahlkamp Von 87 befragten Personen aus den Stadtteilen Vahrenheide und Sahlkamp haben acht Personen von der Broschüre „Beratung und Hilfe im Alter für die Stadtteile Sahlkamp und Vahrenheide“ Kenntnis, wobei bei fünf Personen die Erläuterungen für eine tatsächliche Kenntnis sprechen. Die wöchentliche Stadtteilsprechstunde ist 17 der 87 Befragten aus den Stadtteilen Vahrenheide und Sahlkamp bekannt, wobei bei zwei Personen die Erläuterungen gegen eine tatsächliche Kenntnis sprechen, bei den verbliebenen 15 lässt sich dazu keine verlässliche Aussage machen. 406 Tabelle 6.2.4.2/31: Bekanntheitsgrad der Angebote in Vahrenheide und Sahlkamp (N=87) Vahrenheide und Sahlkamp Informationsbroschüre N Nein Ja Gesamt Fehlend Gesamt 78 8 86 1 87 Stadtteilsprechstunde Prozente gültige Prozente 89,7 90,7 9,2 9,3 98,9 100,0 1,1 100,0 N 69 17 86 1 87 Prozente gültige Prozente 79,3 80,2 19,5 19,8 98,9 100,0 1,1 100,0 Hinsichtlich der Informationsquellen werden in den Stadtteilen Vahrenheide und Sahlkamp Plakate und Vermittlung durch Professionelle aus dem medizinischen oder psychosozialen Bereich häufiger genannt. Printmedien sind für die Informationsbroschüre nicht bedeutsam, für die Bekanntheit der Stadtteilsprechstunde in Vahrenheide und Sahlkamp jedoch von zentraler Bedeutung. Tabelle 6.2.4.2/32: Informationsquellen über Angebote des Modellprojekts in Vahrenheide und Sahlkamp (Broschüre, Stadtteilsprechstunde) Broschüre Informationsquelle Zeitungsartikel HAZ, NP kostenlose Wochenzeitung Professionelle oder Institutionen aus dem medizinischen oder psychosozialen Bereich Freunde, Bekannte, Verwandte Faltblatt, Handzettel Plakat/Aushang Gemeindeblätter Gesamt N 0 0 2 Stadtteilsprechstunde N 7 3 1 2 2 1 0 7 1 0 3 1 16 (Ober-)Ricklingen und Mühlenberg Von 87 befragten Personen aus den Stadtteilen (Ober-)Ricklingen und Mühlenberg haben neun Personen von dem Häuslichen Unterstützungsdienst (HUD) gehört, wobei bei zwei Personen die Erläuterungen für die tatsächliche Kenntnis sprechen. Die wöchentliche Stadtteilsprechstunde ist zehn der 87 Befragten bekannt, wobei nur bei einer Person anhand der Erläuterungen davon auszugehen ist, dass sie die Stadtteilsprechstunde tatsächlich kennt. 407 Tabelle 6.2.4.2/33: Bekanntheitsgrad der Angebote in (Ober-) Ricklingen und Mühlenberg (N=87) (Ober-)Ricklingen und Häuslicher UnterstützungsMühlenberg dienst (HUD) N Prozente gültige Prozente Nein 74 85,1 89,2 Ja 9 10,3 10,8 Gesamt 83 95,4 100,0 Fehlend 4 4,6 Gesamt 87 100,0 Stadtteilsprechstunde N 72 10 82 5 87 Prozente gültige Prozente 82,8 87,8 11,5 12,2 94,3 100,0 5,7 100,0 Hinsichtlich der Informationsquellen ist die häufige Nennung von Gemeindeblättern auffällig, dies insbesondere bezüglich der Stadtteilsprechstunde. Für die Kenntnis des HUD sind vor allem Printmedien relevant. Tabelle 6.2.4.2/34: Informationsquellen über Angebote des Modellprojekts in (Ober-)Ricklingen und Mühlenberg (Häuslicher Unterstützungsdienst HUD, Stadtteilsprechstunde) Informationsquelle Zeitungsartikel HAZ, NP Kostenlose Wochenzeitung Freunde, Bekannte, Verwandte Plakat/Aushang Gemeindeblätter Gesamt HUD N 2 3 1 1 2 9 Stadtteilsprechstunde N 1 1 3 2 5 12 6.2.4.2.7 Zusammenfassung der Befunde und Schlussfolgerungen Gewalt gegen alte Menschen – dies wurde bei der Auswertung der offenen Fragen deutlich – ist für die Befragten in erster Linie ein medial vermitteltes Thema. Einige der Befragten sind beruflich mit dem Thema konfrontiert, wenige sehen sich als Betroffene oder haben innerhalb der eigenen Familie Erfahrungen mit Gewalt im Alter gemacht. Viele der Befragten distanzieren sich unaufgefordert von der Thematik: Sie und ihre Familie seien nicht betroffen, so etwas gebe es in ihrem Umfeld nicht. Mit knapp zwei Dritteln ist der Anteil derer, die von sich sagen, schon einmal etwas von der Problematik gehört zu haben, relativ groß. Ob das Thema vor diesem Hintergrund weiterhin als tabuisiert gelten kann, sei 408 dahingestellt. Allerdings ist es für Befragungsteilnehmer gewissermaßen billig, das Problem der Gewalt gegen Ältere bedeutsam und Einrichtungen zum Thema für wichtig zu befinden; hieraus erwachsen für sie keine unmittelbaren Handlungskonsequenzen, an denen sie sich 280 sodann messen lassen müssten . Die vorliegenden Daten erlauben keinen Vergleich zwischen der subjektiven Bedeutsamkeit des Problems „Gewalt gegen Ältere“ und der zugeschriebenen Bedeutsamkeit anderer sozialer Probleme. Wird in der Frage darauf verzichtet, genauer zu erläutern, was mit dem Begriff Gewalt gemeint ist, assoziieren die Befragten sehr viel häufiger den Prototyp der aktiven körperlichen Gewaltausübung. Dies ist als erneuter Hinweis darauf zu werten, dass Einrichtungen und Initiativen zum Thema „Gewalt im Alter“ in ihrer Öffentlichkeitsarbeit den Gewaltbegriff keineswegs ohne Erläuterungen zu seinem in aller Regel deutlich über ein alltagssprachliches Verständnis von Gewalt hinausreichenden Bedeutungsumfang gebrauchen sollten. Es besteht sonst die Gefahr, dass Äußerungen und Stellungnahmen der Einrichtung (etwa zur Verbreitung von Gewalt) missverstanden werden und Personen, die etwa wegen der Beobachtung eines Falles pflegerischer Vernachlässigung in der Nachbarschaft auf der Suche nach einer geeigneten Hilfeinstanz sind, ein mit dem Begriff „Gewalt“ operierendes Angebot nicht als einschlägig erachten. Als zentrales Mittel der Öffentlichkeitsarbeit des Modellprojekts kann die – z.T. auch offensiv betriebene – Pressearbeit gelten. Die hohen Zustimmungsraten zur Bekanntheit der Problematik und der Hinweis auf die Presse als wichtigste Informationsquelle mögen Hinweise darauf sein, dass die Öffentlichkeitsarbeit des Modellprojekts mit dazu beigetragen hat, Kenntnisse über das Thema Gewalt gegen alte Menschen in der Öffentlichkeit zu verbreiten und die Sensibilität für die Problematik zu erhöhen. Es gehört zu den Grundaussagen der amerikanischen Agenda-Setting-Forschung, dass heute die Medien weitgehend der Gesellschaft die relevanten Themen signalisieren (vgl. EICHHORN, 1996; PFETSCH, 1997; RÖSSLER, 1997; WOLLING, WÜNSCH & GEHRAU, 1998); insofern erweist sich die starke Schwerpunktsetzung auf Öffentlichkeitsund Medienarbeit im Sinne der Förderung der Bekanntheit der Thematik „Gewalt gegen Ältere im Nahraum“ und der ihr zugeschriebenen Bedeu281 tung als funktional . 280 Tendenziell anders ist dies z.B. bei Fragen zu Umweltthemen, die meist auch relevant für Alltagshandeln sind. 281 ROSSMANN (1993) hat am Beispiel der Umweltschutzorganisation Greenpeace den starken Einfluss aufgezeigt, den Initiativen auf die mediale Darstellung einer Thematik haben können; 409 Bei der Interpretation der Befunde zur Bekanntheit der stadtweiten Angebote des Modellprojekts muss berücksichtigt werden, dass die Helpline und die Problematik „Gewalt gegen Ältere“ allgemein zumeist im Zentrum der Öffentlichkeitsarbeit standen. Die Beratungsstelle in der Podbielskistraße wurde nicht offensiv beworben. Auch für Veranstaltungen wurde nur in Ausnahmefällen intensiv Öffentlichkeitsarbeit betrieben (so anlässlich von Fachtagungen); vielfach kamen sie in Kooperation mit Vereinen, Verbänden oder anderen Organisationen zustande, die ihrerseits einen mehr oder weniger festen TeilnehmerInnen- oder InteressentInnenstamm hatten oder intern bzw. selbst für die Veranstaltungen warben. Büchertische fallen ohnehin nur den jeweils Anwesenden auf. Zudem wandten viele Veranstaltungen des Modellprojekts sich gezielt an potenzielle MultiplikatorInnen, die nur einen kleinen Teil der hier untersuchten Stichprobe ausmachen. Zur Problematik der Kenntnis der Projektmodule des Beratungstelefons wurde bereits ausgeführt, dass sich der tatsächliche Kenntnisstand unter den gegebenen Bedingungen – d.h. der recht unübersichtlichen Struktur telefonischer Beratungsanbieter für ältere Menschen in der Stadt Hannover – nicht ermitteln lässt. Wo verschiedene Angebote unter ähnlichem Namen für die gleiche Zielgruppe bestehen, dies z.T. sogar in gleicher Trägerschaft (vgl. Sorgentelefon und Krisen- und Beratungstelefon), sind Verwechslungen der Namen von Angeboten und falsche Zuordnungen von Angeboten zu Anbietern wahrscheinlich. Was für die wissenschaftliche Begleitung ein Erhebungsproblem darstellt, mag auf Seiten der potenziellen NutzerInnen Orientierungsprobleme bei der Suche nach adäquaten Hilfeangeboten erzeugen. Zur Erklärung der quantitativen Diskrepanzen zwischen der Bekanntheit des Modellprojekts und Kenntnis von Einzelangeboten, insbesondere der Helpline, bieten sich verschiedene Überlegungen an: Das Modellprojekt konstituiert sich in seinen Aktivitäten und Angeboten; diese sind z.T. auch sinnlich wahrnehmbar und erfahrbar. Die angebotenen Hilfen oder Veranstaltungen sind für den potenziellen Nutzer oder auch nur den interessierten Bürger interessanter und wichtiger als die genaue Bezeichnung des Anbieters und werden daher leichter erinnert. • Der Name des Modellprojekts ist relativ lang, der Begriff „Modellprojekt“ abstrakt. • Initiativen können die Berichtsanlässe selbst vorgeben; viele Medien nehmen das aufbereitete Material dankbar und ohne umfangreiche Eigenrecherchen an. 410 • Im Zentrum der Öffentlichkeitsarbeit des Modellprojekts stand nicht das „Projekt an sich“, sondern die von ihm in Hannover bzw. in den Stadtteilen entwickelten Angebote. Dennoch bleibt festzuhalten, dass das Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ etwa zwei Jahre nach seinem Start nur einer kleinen Minderheit der Bürgerinnen und Bürger Hannovers ab dem 35. Lebensjahr bekannt war. Die Unterschiede zu den berichteten Bekanntheitsgraden anderer Einrichtungen und Hilfeangeboten (Seniorenbeirat, Alzheimergesellschaft und KSD) zeigen, dass es keine einfache und überall gleichermaßen durchschlagende Tendenz gibt, die Kenntnis eines Angebots zu behaupten oder zu verneinen. Die im Vergleich mit den genannten Organisationen geringe Bekanntheit des Modellprojekts kann u.a. auf folgende Faktoren zurückgeführt werden: Das Modellprojekt hat keine Entsprechung andernorts, keine überörtliche oder gar bundesweite Dachorganisation; es kann hinsichtlich des Bekanntheitsgrades somit nicht von einer derartigen Einbindung profitieren (dies beispielsweise im Unterschied zur Alzheimergesellschaft). • Das Modellprojekt hat das Ziel verfolgt, die Problematik „Gewalt gegen Ältere“ nicht zu skandalisieren. Eine solche Vorgehensweise steht einem hohen Bekanntheitsgrad eher im Wege. Die bloße Existenz eines Hilfeangebotes ist eine gute und damit für die Medien tendenziell weniger bedeutsame Nachricht („Good news is no news“). • In den Stadtteilen wurde vom Modellprojekt anlassgebunden Öffentlichkeitsarbeit betrieben. Es war nicht eine primäre Aufgabe, in den Stadtteilen das Problem an sich bekannt zu machen, es ging um eine bestimmte Zielgruppe, um die in die Arbeitsgruppen „Gewalt im Alter“ einzubindenden ExpertInnen. Die Öffentlichkeitsarbeit bezog sich primär auf die Aktivitäten vor Ort. Das Modellprojekt selbst und sein Name wurden unter anderem aus taktischen Überlegungen (der Gewaltbegriff sollte die Betroffenen nicht abschrecken) nicht in den Vordergrund gestellt, auch der Name der Arbeitsgemeinschaft („Gewalt im Alter“) wurde nicht offensiv bekannt gemacht. Es erstaunt daher nicht, dass die Bekanntheit des Modellprojekts in den Stadtteilen kaum größer ist als im restlichen Stadtgebiet. Die Einzelangebote in den Stadtteilen haben eine Bekanntheit (ungeprüft) von 9,2% bis 22,7% erreicht, die Stadtteilsprechstunden sind zwischen 11,5% und 19,5% der Befragten bekannt (ungeprüft). 411 6.2.5 Vernetzungs-, Fortbildungs- und Veranstaltungsdokumentation und –evaluation Vorbemerkung Die Evaluation der Vernetzungsaktivitäten des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere“ und der Bereich „Veranstaltungen, Fortbildungen und Schulungen“ werden wegen weitreichender Überschneidungen der einschlägigen Aktivitäten in einem Kapitel dargestellt; Überschneidungen bestehen ferner mit bestimmten Bereichen der Öffentlichkeitsarbeit des Modellprojekts (z.B. Informationsveranstaltungen in Arbeitskreisen der lokalen psychosozialen Fachöffentlichkeit). Der Schwerpunkt der Vernetzung lag für die MitarbeiterInnen des Modellprojekts auf der Ebene der Stadtteilarbeit; die in den drei Stadtteilen gegründeten Arbeitsgruppen sind die für die Projektarbeit bedeutsamsten Vernetzungsgremien. Die dezentralen Aktivitäten des Modellprojekts in den drei ausgewählten Stadtteilen Hannovers werden gesondert in Kapitel 6.2.6 dargestellt. Im Folgenden liegt der Schwerpunkt auf der Darstellung der stadtteilübergreifenden Vernetzungsarbeit; im Vordergrund stehen hier bundesund stadtweite Netzwerke. Im Bereich „Veranstaltungen, Fortbildungen und Schulungen“ (Kapitel 6.2.5.2) hingegen wird keine Trennung zwischen der stadtteilbezogenen und stadtteilübergreifenden Ebene vorgenommen. Eine Vielzahl von Veranstaltungen in Seniorenkreisen wurden in den ausgewählten Stadtteilen, eine Reihe von Veranstaltungen für SeniorInnen und Ehrenamtliche in der Altenarbeit wurden im gesamten Stadtgebiet bzw. in anderen Stadtteilen Hannovers durchgeführt. 6.2.5.1 Vernetzung Im Folgenden werden kurz die wesentlichen Vorgaben des Antrags der LANDESHAUPTSTADT HANNOVER für das Modul „Vernetzung“ und im Anschluss wesentliche Aspekte des von den ModellprojektmitarbeiterInnen auf dieser Grundlage entwickelten Konzepts skizziert. Als ein zentrales Instrumentarium des Modellprojekts wurde im Projektantrag der LANDESHAUPTSTADT HANNOVER (1997) die Vernetzung vorhandener Dienste und Initiativen benannt – eine Aufgabe, die insbesondere von der Koordinationsstelle wahrgenommen werden sollte (S. 5). Als zu vernetzende Einrichtungen wurden alle zentralen wie dezentralen Einrichtungen, Kontaktstellen und Initiativen für ältere Menschen in Hannover benannt, „die mit ihrem Angebot einen positiven Beitrag 412 zur Vermeidung, Verhinderung, Reduzierung oder Beseitigung von Ursachen und Bedingungen für die Entstehung von Gewalt leisten“ (S. 7). Vernetzung, so der Antrag, solle „insbesondere unter dem Gesichtspunkt erfolgen, einen effektiven, möglichst frühzeitigen Einsatz des jeweiligen Angebots zu erreichen.“ (S.7). Im Zeitplan war für die ersten drei Monate eine Erfassung der bestehenden Strukturen der Vernetzung vorgesehen sowie die Durchführung eines Workshops mit VertreterInnen der Seniorenforen, der Arbeitskreise ‚Ältere Menschen‘ sowie mit „VertreterInnen von Einrichtungen, Organisationen und Initiativen für ältere Menschen mit dem Ziel, eine gemeinsame Diskussionsbasis zum Thema des Projektes zu schaffen und Kontakte für eine Zusammenarbeit zu knüpfen“ (S. 9). Der Vernetzungsgedanke war sowohl für das gesamte Stadtgebiet als auch für die drei ausgewählten Stadtbezirke mit den dort gegründeten 282 Arbeitsgemeinschaften „Gewalt im Alter“ grundlegend . Bereits bei der Konzeptentwicklung des Moduls „Vernetzung“ zeichnete sich für die ProjektmitarbeiterInnen eine im Vergleich zu den anderen 283 Modulen geringere Planbarkeit von Aktivitäten ab . Es wurden Vorstellungen von gewünschten Netzwerken/Vernetzungen formuliert und Überlegungen angestellt, in welche bestehenden Netzwerke sich das Modellprojekt einbringen möchte. Welche Institutionen und Träger tatsächlich bereit wären, sich in vom Modellprojekt gegründete Netzwerke einzubinden und ob die vorhandenen Netzwerke die Inhalte des Modellprojekts aufnehmen würden, war a priori schwer einzuschätzen; jedenfalls war die Entwicklung im vorgegebenen Modul „Vernetzung“ in erhöhtem Maße von der Reaktion beteiligter Akteure abhängig. Im Rahmen der Konzeptentwicklung „Vernetzung“ wurde vom Modell284 projekt zwischen drei Arten von Netzwerken differenziert : Vernetzung als Information Information ist die Grundlage jeder weitergehenden Vernetzung. Informationsvernetzung geht über das einseitige Informieren über die eigenen Angebote hinaus. Damit ist gemeint, dass verschiedene Anbieter gegenseitig über die Inhalte der Arbeit und die konkreten Angebote informiert 282 Zur Thematik Vernetzung als Steuerungsinstrument kommunaler Gesundheits- und (Alten-) Pflegepolitik vgl. DIETZ (1999); zu Kooperation, Koordination und Vernetzung in der Altenarbeit vgl. DÖHNER, MUTSCHLER, & SCHMOECKER (1996); zur Vernetzung von medizinischen und sozialpflegerischen Diensten in der Altenarbeit vgl. THÖNNESSEN (1993) und zu Vernetzung in Altenarbeit und Altenpolitik vgl. BRAUN, BRUDER, DIERL, VELLKEN & WERNER (1992). 283 Workshop Modul „Vernetzung“ am 11.02.1999. 284 Bezugnahme auf das Papier „Leitbild Konzept: Vernetzung“ des Modellprojekts vom 10.06. 1999. Allgemein zur Entwicklung und Klärung von Konzepten und Projektzielen s. Kapitel 5.2. 413 sind und diese Information auch in ihrem Arbeitsalltag nutzen, d.h. bei Bedarf auf die jeweils anderen Angebote hinweisen. Eine Vernetzung in diesem Sinne würde bedeuten, dass eine Fülle von Anbietern voneinander weiß und diese Informationen in der eigenen Arbeit auch einsetzt. Vernetzung als Koordination Die Koordination von Angeboten setzt die Information über die Angebote voraus. Im Unterschied zu reinen Informationsnetzwerken stimmen sich die Anbieter über die konkreten Angebote ab. Koordination kann auf verschiedene Arten erfolgen: a. Absprache gleichberechtigter Träger, freiwillige Abstimmung b. KoordinatorIn delegiert bzw. koordiniert Angebote c. KoordinatorIn übernimmt stärker die Verantwortung innerhalb eines Netzwerkes (organisiert z.B. die Treffen, lädt ein etc.), Koordination hängt jedoch von den verschiedenen Trägern ab. Vernetzung als Kooperation Eine Vernetzung im Sinne von Kooperation geht noch über Informationsund Koordinationsnetzwerke hinaus. Gemeinsame Aktivitäten werden kurz- oder langfristig von einer Gruppe gemeinsam geplant und umgesetzt. Die MitarbeiterInnen des Modellprojekts sahen eine Priorität der Vernetzungsaktivitäten in den Stadtteilen: Ein Aufbau von Netzwerken, die sowohl Koordination als auch Kooperation zwischen verschiedenen Anbietern ermöglichen, war in erster Linie auf der dezentralen lokalen Ebene vorgesehen. Grundsätzlich sollte die Nutzung bestehender Netzwerke einer Implementation neuer Netzwerke vorgezogen werden. Nach Wahrnehmung der MitarbeiterInnen zeichnete sich bei vielen Institutionen, Einrichtungen und Diensten bereits eine gewisse „Vernet285 zungsmüdigkeit“ ab . Diese Einschätzung wurde auch von einigen in der Bestandsaufnahme befragten lokalen ExpertInnen aus dem psychosozialen Bereich geäußert (vgl. Kapitel 5.3.6.3). Die Thematik „Gewalt im Alter“ sei auf zentraler Ebene zu spezifisch für die Gründung eines neuen Netzwerkes, und durch den bestehenden Runden Tisch „Gewalt im Alter“ sei ein zentrales, auf die Problematik „Gewalt im Alter“ ausgerichtetes Netzwerk bereits existent. Als Hauptziele der Vernetzung wurden von den ProjektmitarbeiterInnen folgende genannt: • Die Thematik soll durch unterschiedliche Träger aufgegriffen werden. Durch die Information über das Modellprojekt und seine Inhalte sollen die Träger für das Thema „Gewalt im Alter im persönlichen Nahraum“ sensibilisiert werden. 285 Workshop Modul „Vernetzung“ am 11.02.1999. 414 Angebote sollen bei Bedarf für Betroffene sofort nutzbar sein. Nahräumige Hilfen und ein frühzeitiger Einsatz der Angebote sollen für Betroffene ermöglicht werden. • Reibungsverluste und doppelte Angebote verschiedener Anbieter sollen vermieden werden. • Durch die Vernetzung der Einrichtungen und Dienste sollen gewaltverursachende Strukturen erkannt und evtl. verändert werden. • Die Vernetzung soll eine Fortführung des Projekts ermöglichen (Unterstützung, Übernahme von Inhalten/Aufgaben). • • 6.2.5.1.1 Ziele, Methoden und Durchführung der Untersuchungen In der präevaluativen Phase der Begleitforschung wurden im Rahmen einer Bestandsaufnahme lokal vorhandener Einrichtungen, Programme und Initiativen u.a. 30 ExpertInnen aus Hannover in face-to-faceInterviews zu ihren Erwartungen an das Modellprojekt und möglichen 286 Kooperationen befragt . Im Sinne formativer Evaluation sollten der für das praktische Handlungsfeld relevante Ausgangszustand der Versorgung mit und die Nutzung von einschlägigen Beratungs- und Hilfsangeboten aus den Perspektiven der für die Arbeit des Projekts bedeutsamen Personenkreise erfasst werden. In der evaluativen Phase stellte die Erfassung der Programmumsetzung einen wichtigen Teilbereich dar. Mittels teilnehmender Beobachtung an Arbeitskreisen und Netzwerken und teilstandardisierter telefonischer Interviews mit Netzwerkmitgliedern sowie vertiefender qualitativer Interviews mit Projektbeteiligten sollte – dem Forschungskonzept zufolge – der Frage der Einbettung des Modellprojekts in bestehende lokale Strukturen nachgegangen werden. 6.2.5.1.2 Darstellung der Vernetzungsaktivitäten des Modellprojekts Seit Anfang März 1998, dem offiziellen Arbeitsbeginn des Projektkoordinators, wurde die Umsetzung der Vernetzung insbesondere auf zentraler Ebene kontinuierlich betrieben. Dabei nutzte der Koordinator zunächst die Anknüpfungspunkte, die der Runde Tisch „Gewalt im Alter“ in Hannover bot: Ab Mitte Juni 1998 wurde die lokale Vernetzung des Modellprojekts vom nun vollständig besetzten Team forciert betrieben, wobei der Schwerpunkt der Vernetzungsarbeit sich bei den anderen MitarbeiterInnen nach der Auswahl der Stadtteile im September 1998 auf den Aufbau der Stadtteilarbeitsgemeinschaften konzentrierte. 286 Vgl. hierzu Kapitel 5.3. 415 Insgesamt wurden von März 1998 bis November 2000 227 „Kontaktge287 spräche“ von den ProjektmitarbeiterInnen mit VertreterInnen ver288 schiedener Einrichtungen dokumentiert . Bei den GesprächspartnerInnen handelt es sich in der Mehrzahl der Fälle um VertreterInnen lokaler Institutionen, Einrichtungen und Dienste. Im Laufe der Zeit ist eine Zunahme von Kontakten zu Einrichtungen aus dem Umland und der Region Hannover bzw. aus Niedersachsen und Einrichtungen aus anderen Bundesländern zu verzeichnen. Die meisten der Gespräche wurden mit VertreterInnen von Organisationen geführt, die im SeniorInnenbereich arbeiten, so z.B. Anbietern im Bereich der Offenen Altenhilfe, Seniorenbüros, Seniorenforen, Seniorenbeirat etc. Weitere Gespräche wurden mit VertreterInnen von Institutionen und Organisationen geführt, die mit dem Bereich der Pflege älterer Menschen zu tun haben, so z.B. mit Sozialstationen, ambulanten Pflegediensten, gerontopsychiatrischen Einrichtungen und der Alzheimer Gesellschaft. Viele Kontakte wurden im Bereich Pflege geknüpft, wobei hier das Spektrum vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen bis zur Niedersächsischen Akademie für Fachberufe im Gesundheitswesen reicht. Wichtige AnsprechpartnerInnen fanden sich auch im Bereich Bildung, so z.B. in Fachhochschulen, Volkshochschulen und anderen Bildungseinrichtungen und -vereinigungen. Die MitarbeiterInnen des Modellprojekts nahmen ebenfalls Kontakte zu Institutionen und Organisationen aus dem Bereich Kinderschutz und Jugend, Kommunaler Sozialdienst und dem Bereich der Kontrolle und Prävention von Kriminalität und Gewalt auf. Im Zuge einer überregionalen Kontaktaufnahme wurden Gespräche mit anderen Initiativen geführt, die zu den Themen 289 „Alter“ oder „Gewalt im Alter“ arbeiten , und später erfolgte dann über die Teilnahme an der „Bundesarbeitsgemeinschaft der Krisentelefone, Beratungs- und Beschwerdestellen für alte Menschen in der Bundesrepublik Deutschland“ ein regelmäßiger Austausch mit den dort vertretenen Einrichtungen. Häufigster Gesprächsinhalt war insbesondere zu Beginn der Projektlaufzeit die Vorstellung des Modellprojekts und die Planung weiterer Kontakte bzw. gemeinsamer Aktivitäten. Viele der Treffen wurden als 287 Die Begleitforschung entwickelte für die Dokumentation von Kontakten und Gesprächen einen Erfassungsbogen, in dem zum einen Rahmendaten zum Gespräch (z.B. Institution und Funktion der GesprächspartnerInnen) sowie Gesprächsinhalte und –ergebnisse festgehalten werden sollten. Dieser Bogen war für Gespräche gedacht, welche hinsichtlich konkreter Vernetzungs- und Kooperationsanliegen etc. mit Einrichtungen geführt wurden. 288 In vielen Fällen kam es zu mehreren Gesprächskontakten mit VertreterInnen der Institutionen, Einrichtungen und Dienste. 289 So z.B. mit der Bonner Initiative ”Handeln statt Misshandeln” und mit der Münchner ”Beschwerdestelle für Probleme in der Altenpflege” (Vgl. Kap. 6.3.2). 416 Informationsaustausch über die jeweiligen Arbeitsbereiche und Aktivitäten bezeichnet. Die meisten der Treffen und Kontakte fanden auf Initiative des Modellprojekts statt. Alle Treffen detailliert aufzulisten, würde den Rahmen dieses Berichts sprengen. Anhand einiger Beispiele lässt sich jedoch das Vorgehen des Modellprojekts veranschaulichen: So wurden z.B. bei einem Treffen mit der zweiten Vorsitzenden der Alzheimer Gesellschaft Hannover e.V. Mitte August 1998 das Projekt in seinen Grundzügen vorgestellt und inhaltliche Fragen wie z.B. die Verwendung des Gewaltbegriffes im direkten Kontakt mit pflegenden Angehörigen diskutiert. Bei dem Treffen wurde verabredet, dass das Modellprojekt sich bei einer der Mitgliederversammlungen der Alzheimer Gesellschaft vorstellen und im Rahmen eines Symposiums der Alzheimer Gesellschaft einen Informationsstand aufbauen würde. Hier nutzte das Projekt einen Gesprächstermin, um die eigene Arbeit vorzustellen und weitere Gelegenheiten zur Projektvorstellung/Öffentlichkeitsarbeit zu vereinbaren. Im Rahmen des im September 1999 vom Modellprojekt mit initiierten Hannoveraner Ar290 beitskreises „Telefonische Beratung im Alter“ , in dem auch die Alzheimer Gesellschaft Hannover e.V. vertreten ist, fanden weitere Kooperationen statt. Weiterhin übernahm die Alzheimer Gesellschaft eine Schulungseinheit für die ehrenamtlichen MitarbeiterInnen des vom Modellprojekt im Stadtbezirk Ricklingen-Mühlenberg gegründeten Häuslichen Unterstützungsdienstes für pflegende Angehörige (HUD). Es wird deutlich, dass viele Aktivitäten des Modellprojekts nicht einem Bereich klar zuzuordnen sind – hier werden etwa Vernetzung vorangetrieben, gleichzeitig eine fachbezogene Öffentlichkeitsarbeit sowie Fortbildungsmaßnahmen betrieben und vorbereitet. Ein weiteres Beispiel für die Vorgehensweise des Modellprojekts ist ein Gespräch mit einer Mitarbeiterin der Polizeiinspektion Nord und dem Leiter des Kriminal- und Ermittlungsdienstes der Polizeiinspektion Nord im September 1998; beide GesprächspartnerInnen sind eingebunden in das Hannoversche Interventionsprojekt gegen Männergewalt in der Familie HaIP (siehe dazu REFERAT FÜR GLEICHSTELLUNGSFRAGENFRAUENBÜRO DER LANDESHAUPTSTADT HANNOVER, 1996). Anlass des Gesprächs war ein polizeilicher Kontakt mit dem Modellprojekt in Zusammenhang mit einem Fall von Gewalt gegen alte Menschen. Das gemeinsame Interesse – Präventionsarbeit im Bereich Gewalt zu leisten – führte zu Überlegungen, dass MitarbeiterInnen der Polizei an den Fortbildungen des Projekts teilnehmen könnten. Weiter wurde beschlossen, bei konkreten Fällen zusammenzuarbeiten. Ergebnisse dieses Treffens 290 Vgl. den Abschnitt Arbeitskreis „Telefonische Beratung im Alter“. 417 waren die Vorbereitung einer MultplikatorInnenschulung, die Verabredung einer engeren Vernetzung bei der konkreten Fallarbeit und die Beschaffung wichtiger Informationen über weitere Ansatzpunkte für die Vernetzung des Modellprojekts. Im Mai 1999 wurde von MitarbeiterInnen des Modellprojekts dann eine Informationsveranstaltung für das HaIP-Team der Polizei mit den Schwerpunkten Projektinformation, Gewaltdefinition, Gewaltformen und mögliche Kooperationen durchgeführt. Als weitere Beispiele sind die vom Modellprojekt durchgeführte Befragung und die im Februar 2001 darauf aufbauende Fortbildung für Kontaktbeamte der Hannoveraner Polizei zu nennen. Andere Kontakte des Modellprojekts erbrachten weniger konkrete Ergebnisse, zielten auch nicht unbedingt auf solche ab. So sind Termine mit Studierenden einer Hannoveraner Fachhochschule oder Vorträge des Projekts in studentischen Seminaren vor allem von Informationsweitergabe von Seiten des Projekts bestimmt; dennoch stellten auch diese Aktivitäten einen wichtigen Teil der Vernetzung für das Modellpro291 jekt dar . Einige der bedeutsamen Kooperationspartner des Modellprojekts seien im Folgenden exemplarisch aufgeführt. Zu nennen ist HerbstRose Cultur und Concepte für das Alter e.V., ein Verein, der neben kulturellen Aktivitäten für SeniorInnen ein primär mit ehrenamtlichen MitarbeiterInnen besetztes Pflegetelefon mit wöchentlichen Sprechstunden anbietet. Mit diesem Verein und weiteren Kooperationspartnern plante und organisierte das Modellprojekt die Fachtagung zum Thema „Gewalt in der Familie: Gewalt gegen Kinder – Gewalt gegen Ältere“ im Herbst 1999. Auch HerbstRose e.V. ist Mitglied im o.g. Arbeitskreis der „Telefonischen Beratung im Alter“. Weitere Kooperationspartner für Tagungen waren die Landesvereinigung für Gesundheit Niedersachsen e.V. und die Akademie für Sozialmedizin Hannover e.V. Mit dem Sozialverband Deutschland e.V. (ehem. Reichsbund) fanden ebenfalls Kooperationen auf verschiedenen Ebenen statt. Zum einen wurde das Modellprojekt wiederholt angefragt, Vorträge über „Gewalt im 292 Alter“ auf Veranstaltungen des Sozialverbandes zu halten . Zum ande291 Ein weiterer wichtiger Aspekt dieser Gespräche und Kontakte ist in der Aufklärung, Sensibilisierung und möglichen MultiplikatorInnenfunktion von Angehörigen verschiedener Berufsgruppen, die mit alten Menschen zu tun haben, zu sehen. 292 Der Projektkoordinator hielt auf der Tagung „In Würde alt werden – Probleme mit der Pflege“(13.- 15.11.2000), veranstaltet von der Evangelischen Akademie Loccum in Kooperation mit dem Sozialverband Deutschland e.V. den Vortag „Wenn nichts mehr geht: Gewalt in der Pflege“. 418 ren war der Landesverband Niedersachsen des Sozialverbandes mit seinem landesweiten Notruftelefon für Probleme mit stationärer und ambulanter Pflege ebenfalls in dem lokalen Arbeitskreis „Telefonische Beratung im Alter“ und in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Krisentelefone, Beratungs- und Beschwerdestellen für alte Menschen vertreten. Des Weiteren gab es bereits frühzeitig zwischen dem Sozialverband Deutschland e.V. und dem Modellprojekt Kooperationsvereinbarungen bzgl. des Krisen- und Beratungstelefons im Alter: Ehrenamtliche MitarbeiterInnen des Sozialverbandes Deutschland e.V. wurden im September 1999 von den MitarbeiterInnen des Modellprojekts für die Beratung 293 am Krisen- und Beratungstelefon im Alter geschult . Wichtige Kooperationspartner waren auch der Seniorenbeirat der Landeshauptstadt Hannover, städtische Einrichtungen und Dienste wie der Kommunale Sozialdienst und die offene Altenhilfe der Landeshauptstadt Hannover (inzwischen Kommunaler Seniorenservice) sowie die verschiedenen Wohlfahrtsverbände mit ihren vielfältigen Angeboten. Auch mit diesen Einrichtungen und Diensten gab es unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit wie z.B. Informationsveranstaltungen und Schulungsangebote des Projektes, Teilnahme von VertreterInnen dieser Einrichtungen an den Stadtteilarbeitsgemeinschaften „Gewalt im Alter“ und gezielte Kooperationen in einzelnen Beratungsfällen. Lokale Netzwerke in Hannover Für das Modellprojekt bedeutsame Netzwerke auf der lokalen Ebene waren der Arbeitskreis Alter(n) und Gesundheit der Landesvereinigung für Gesundheit Niedersachsen e.V., der vom Modellprojekt koordinierte Arbeitskreis „Telefonische Beratung im Alter“ sowie der das Projekt begleitende Runde Tisch „Gewalt im Alter“. Der Arbeitskreis Alter(n) und Gesundheit wird von der Landesvereinigung für Gesundheit Niedersachsen e.V. koordiniert, trifft sich ca. vier bis sechs Mal im Jahr und dient primär dem Informationsaustausch. Ein Mitarbeiter des Modellprojekts nahm regelmäßig an den Sitzungen des Arbeitskreises Alter(n) und Gesundheit teil; mit der Landesvereinigung für Gesundheit Niedersachsen e.V. hat das Modellprojekt während der Projektlaufzeit zwei Workshops mit dem Titel „Pflege zu Hause – Vernetzung ambulanter Versorgungsangebote für ältere Menschen“ durchgeführt. Durch die Kontakte zu bzw. Kooperationen mit einzelnen Netz293 Das Projektteam entschied sich schließlich aufgrund der eigenen Erfahrungen mit den telefonischen Beratungen und der damit für Ehrenamtliche möglicherweise einhergehenden starken psychischen Belastung und Beanspruchung gegen einen Einsatz von ehrenamtlichen MitarbeiterInnen am Krisen- und Beratungstelefon. 419 werkmitgliedern hatte das Modellprojekt indirekt Kontakte zu weiteren lokalen Netzwerken, beispielsweise zu der AG „Gewaltprävention“ (Beratungsdienste, -stellen und Familienbildung in Hannover), die ebenfalls ein Kooperationspartner der im Herbst 1999 durchgeführten Fachtagung „Gewalt in der Familie“ war. Die vertretenen Institutionen aus Hannover finden sich – nicht immer in personaler Übereinstimmung – beispielsweise beim Runden Tisch „Gewalt im Alter“ oder beim Arbeitskreis „Telefonische Beratung im Alter“, bei der niedersächsischen Pflegekonferenz oder auch in den Stadtteilarbeitsgemeinschaften „Gewalt im Alter“ wieder. Arbeitskreis „Telefonische Beratung im Alter“ Die Gründung des Arbeitskreises „Telefonische Beratung im Alter“ in Hannover ist auf eine gemeinsame Initiative des Seniorenbeirats der Landeshauptstadt Hannover und des Modellprojekts „Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum“ zurückzuführen. Das erste – vom Modellprojekt moderierte – Treffen verschiedener lokaler telefonischer Beratungsanbieter fand am 28.09.1999 statt. Mit dem Modellprojekt hatte der Arbeitskreis sieben aktive Mitglieder. Das ursprüngliche Anliegen des Modellprojekts, eine gemeinsame Rufnummer für die telefonische Beratung älterer Menschen zu installieren, die dann von verschiedenen Anbietern gemeinsam bedient wird oder die Rolle einer weitervermittelnden Koordinationsstelle einnimmt, scheiterte an den divergierenden Interessen der im Hintergrund stehenden Träger bzw. wurde von den Mitgliedern als nicht realisierbar eingeschätzt. Bei den ersten Treffen des AK standen Informationsaustausch und Zuständigkeitsklärungen im Vordergrund; zugleich wurde die Möglichkeit einer gemeinsamen Öffentlichkeitsarbeit angeregt. Diese Idee wurde in Form eines Plakates und eines Faltblattes, auf dem die Mitglieder des Arbeitskreises ihren Zuständigkeitsbereich und ihre telefonische Sprechstunden in einer Übersicht darstellen, umgesetzt. Die Mitarbeiterinnen der Begleitforschung nahmen am Arbeitskreis „Telefonische Beratung im Alter“ beobachtend teil und führten im März 2001 telefonische Interviews mit den Mitgliedern des Arbeitskreises. Befragung der Mitglieder des Arbeitskreises „Telefonische Beratung im Alter“ Im März 2001, einen Monat nach Ende der Laufzeit des Hannoveraner Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ wurde eine teilstandardisierte telefonische Befragung der Mitglieder des Arbeitskreises „Telefonische Beratungsanbieter im Alter“ durchgeführt. Alle im Arbeitskreis vertretenen Institutionen nahmen an der Befragung teil. 420 Ziel dieser Befragung war es, Einschätzungen der Effekte und Effektivität des Arbeitskreises aus der Perspektive der aktiven Mitglieder des Arbeitskreises zu erhalten. In den telefonischen Interviews wurden Motive der Teilnahme, eigene Präventions- und Interventionsansätze im Bereich „Gewalt im Alter“, Auswirkungen der Teilnahme am Arbeitskreis auf die eigene Arbeit, Fortführungswünsche und eine globale Beurteilung der Arbeit und Angebote des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere“ erfragt. Mitglieder des Arbeitskreises Im Arbeitskreis waren bzw. sind die telefonischen Beratungsangebote folgender Institutionen, Einrichtungen und Dienste aus Hannover vertreten: • • • • • • • Telefonberatung für Pflegebedürftige, Angehörige und Professionelle der Alzheimer Gesellschaft Hannover e.V., Auskunfts- und Beratungstelefon für Senioren: Sorgentelefon des Kommunalen Seniorenservice der Stadt Hannover (ehemalige städtische Altenhilfe), Telefonsprechstunde für alle Senioren des Seniorenbeirats der Landeshauptstadt Hannover, das „Pflegetelefon“ von HerbstRose Cultur und Concepte für das Alter e.V., Telefonische Beratung für Senioren und Angehörige des Birkenhofs e.V. „Zentrum für Altersfragen“, Notruftelefon – Landesweite Anlaufstelle für Probleme mit stationärer/ambulanter Pflege des Sozialverbands Deutschland e.V., Lan294 desverband Niedersachsen , sowie eine Vertreterin der ambulanten gerontopsychiatrischen Zent295 ren, die auch telefonische Beratungen anbieten . Ergebnisse der Befragung Alle VertreterInnen der befragten Institutionen gaben an, dass ihre Einrichtung bzw. ihr telefonisches Beratungsangebot häufig von Seniorinnen in Anspruch genommen werde; die diesbezüglichen Antworten weisen eine Spannweite von 100 bis 800mal pro Jahr auf. Mit einer Ausnahme berichteten die Befragten, dass bei der Inanspruchnahme ihrer Dienste durch ältere Menschen in den letzten drei Jahren Ver294 Das Notruftelefon – landesweite Anlaufstelle für Probleme mit stationärer/ambulanter Pflege des Sozialverbandes Deutschland ist auch in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Notruftelefone, Beschwerdestellen, Krisenberatungs- und -interventionsangebote für alte Menschen und deren Helfer in der Bundesrepublik Deutschland vertreten (vgl. Kapitel 6.3.2). 295 Die Ambulanten Gerontopsychiatrischen Zentren (AGZ) sind ein Modellprojekt der Landeshauptstadt Hannover im Trägerverbund von Birkenhof e.V., Caritasverband Hannover e.V. und Henriettenstiftung, gefördert vom Bundesministerium für Gesundheit. 421 dachtsfälle von Misshandlung und/oder Vernachlässigung älterer Menschen äußerst selten vorlagen (ein bis zwei Fälle pro Jahr). Der Seniorenbeirat der Landeshauptstadt schätzt den Anteil der Fälle, in denen Gewalthandlungen von Bedeutung sind, auf 60% (ca. 150 Fälle in der Laufzeit des Projekts). Für ihre eigenen Institutionen sehen die Mitglieder Möglichkeiten der Gewaltprävention primär in den Bereichen der Information und Beratung (z.B. von pflegenden Angehörigen). Konkrete Interventionsmaßnahmen in Einzelfällen könnten sie in der Regel in Gewaltfällen nicht oder nur in Kooperation mit anderen Einrichtungen leisten; meist würden solche Fälle an andere Einrichtungen und Dienste delegiert. Für die VertreterInnen der beteiligten Einrichtungen war bzw. ist der Arbeitskreis ein wichtiges Netzwerk in der Stadt Hannover. Bei den selbstberichteten Motiven für die Mitwirkung im Arbeitskreis stand das Interesse an einer Vernetzung und am Austausch zwischen den Institutionen im Vordergrund. Die Befragten äußerten den Eindruck, dass die Vielfalt der Angebote insbesondere für NutzerInnen unübersichtlich sei. Der Arbeitskreis wird von den TeilnehmerInnen als gut organisiert, strukturiert und effektiv beschrieben. Als Haupteffekte werden gewachsenes Wissen über die anderen telefonischen Beratungsanbieter, verbesserte Kooperation im Sinne von Delegation sowie gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit (Plakat, Faltblätter) genannt. Die Inhalte des Arbeitskreises seien dem lokalen Bedarf angepasst worden; im Mittelpunkt standen nach Einschätzung der Befragten primär allgemeine Altersthemen und weniger die spezifische Gewaltthematik. Die meisten Einrichtungen stehen nun auch außerhalb dieses AK in Kontakt miteinander; teilweise seien diese Kontakte durch den Arbeitskreis verbessert worden bzw. erst entstanden. Die Mitglieder des Arbeitskreises befürworten grundsätzlich eine Fortführung des Arbeitskreises in der bisherigen Form. Die Befragten weisen noch einmal spontan darauf hin, wie gut ihnen die Vorbereitung der Themen und die Moderation der einzelnen Sitzungen durch das Modellprojekt gefallen haben. Wie sich die Fortführung des Arbeitskreises konkret gestalten wird, ist zum Zeitpunkt der Befragung noch offen. Inzwischen wurde die Entscheidung getroffen, dass der Kommunale 296 Seniorenservice die Koordination des AK übernimmt . Die nicht städtischen Mitglieder des Arbeitskreises verfassten eine schriftliche Stellungnahme an den Oberbürgermeister der Stadt Hannover mit der For296 Telefonat mit der Abteilungsleiterin des Kommunalen Seniorenservice am 05.06.01. 422 derung einer Fortführung der telefonischen Beratung älterer Menschen in Krisen- und Belastungssituationen, wie sie vom Modellprojekt angeboten wurde. Die summarische Bewertung der Aktivitäten und Angebote des Modellprojekts „Gewalt im Alter“ durch die Mitglieder des AK „Telefonische Beratung im Alter“ ist sehr positiv. Das Modellprojekt habe die Öffentlichkeit für die Thematik „Gewalt im Alter“ sensibilisiert, durch die Vernetzung einen wichtigen Beitrag zur Gewaltprävention geleistet und bedeutsame Impulse durch die Fachtagungen gegeben. Ein Mitglied des Arbeitskreises berichtet von einer sehr positiven Zusammenarbeit in einem Beratungseinzelfall. Einige Mitglieder äußern, dass eine Laufzeit von drei Jahren bei einer solchen Thematik zu kurz sei, und das Modellprojekt nun, wo es sich insbesondere in den Stadtteilen etabliert habe und „gut“ laufe, leider eingestellt werde. Es wird allgemein Bedauern hinsichtlich des Projektendes sowie Besorgnis über die Fortführung der als wichtig erachteten Projektarbeit geäußert. Bundesweite Vernetzung In der Bundesrepublik Deutschland erweiterte sich nach Gründung der ersten Einrichtungen und Initiativen 1997 – zu den Themen Gewalt im Alter, Gewalt und krisenhafte Problemlagen in der häuslichen Pflege und Missstände bzw. Probleme in der ambulanten und stationären professionellen Pflege – die Hilfelandschaft. Auf Initiative von Prof. Hirsch (Handeln statt Misshandeln – Bonner Initiative gegen Gewalt im Alter e.V.) fand im Mai 1999 ein erstes Treffen der verschiedenen Anbieter in der Bundesrepublik sowie die Gründung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Krisentelefone, Beratungs- und Beschwerdestellen für alte 297 Menschen statt. Sie besteht derzeit aus 14 Einrichtungen mit unterschiedlichen Arbeitsschwerpunkten, Trägerschaften und Finanzierungsmodellen. Als gemeinsames Ziel werden die Verbesserung der Pflege 297 Vgl. hierzu Kapitel 6.3.2 Mitglieder der Bundesarbeitsgemeinschaft: Pflege in Not (Diakonisches Werk, Berlin Stadtmitte e.V.), Seniorenschutz-Telefon gegen Häusliche Gewalt im Alter (Humanistischer Verband Deutschlands, Landesverband Berlin), PflegeNotTelefon Schleswig-Holstein (Initiative des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales, Koordination: AWO Landesverband Schleswig-Holstein e.V.), Informationsbüro Pflege und Pflegebeschwerden des Amtes für Soziale Dienste (Bremen), Notruftelefon – Landesweite Anlaufstelle für Probleme mit stationärer / ambulanter Pflege (Sozialverband Deutschland e.V., Landesverband Niedersachsen), Modellprojekt „Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum“ (Hannover), seniohr – Beratungstelefon für Sicherheit im Alter – (Initiative der gemeinnützigen Hertie-Stiftung und des Instituts für Sozialarbeit e.V., Frankfurt/Main), Handeln statt Misshandeln – Bonner Initiative gegen Gewalt im Alter e.V. (Bonn), Initiative gegen Gewalt im Alter e.V. (Siegen), Städtische Beschwerdestelle für Probleme in der Altenpflege (München), Arbeitskreis gegen Menschenrechtsverletzungen (München), Vereinigung Integrationsförderung e.V. (München) und Stadt Nürnberg Seniorenamt/Seniorenrat, Beschwerde- und Schlichtungsstelle Pflege (Nürnberg). 423 alter Menschen und die Verringerung von Missständen gesehen. In den bisherigen vier Treffen stand zunächst der Austausch der verschiedenen Anbieter untereinander im Vordergrund, dann erfolgten Planung und Umsetzung gemeinsamer Aktivitäten. Zu nennen sind hier eine „Erste Bestandsaufnahme“ (HIRSCH & ERKENS, 1999), in der die verschiedenen Einrichtungen und Initiativen ihre Angebote und Arbeitsschwerpunkte darstellten, eine Pressekonferenz am 11.11.99 im Pressezentrum des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung sowie die Tagung „Neue Gesetze – Neue Wege in der Pflege?“, welche, gefördert durch das BMFSFJ, am 08.03.2001 in Berlin stattfand. Außerhalb der Mitwirkung an den Treffen der Bundesarbeitsgemeinschaft, an denen auch die Begleitforschung beobachtend teilnahm, gab es weitere überregionale Kontakte des Modellprojekts mit einzelnen Einrichtungen und Institutionen. Diese Kontakte ergaben sich in Abhängigkeit von Bedürfnissen und Anfragen einzelner Anbieter. So trafen sich das Modellprojekt und das Seniorenschutz-Telefon in Berlin zu einem intensiven Austausch über Möglichkeiten und Grenzen ehrenamtlicher Mitarbeit bei telefonischen Beratungen im Bereich „Gewalt im Alter“. Verschiedene jüngere Einrichtungen nutzten die Erfahrungen des Modellprojekts für den Aufbau eigener Strukturen (z.B. seniohr Frankfurt, PflegeNottelefon Schleswig-Hostein). In welcher Form eine weitere Vertretung des Hannoveraner Krisen- und Beratungstelefons im Alter in der Bundesarbeitsgemeinschaft umgesetzt wird, war beim letzten Treffen der Arbeitsgemeinschaft am 24.11.00 in Hannover noch offen. Grundsätzlich ist von städtischer Seite eine Fortführung des Krisen- und Beratungstelefons mit einer thematischen Erweiterung – aufgrund der geringen tatsächlichen Inanspruchnahme – beim Kommunalen Seniorenservice (ehem. Abteilung 298 Altenhilfe) geplant . 6.2.5.2 Fortbildungen und Veranstaltungen des Modellprojekts Der Antrag der LANDESHAUPTSTADT HANNOVER (1997, S. 6) sah eine gezielte Kompetenzerweiterung der im Alltag älterer Menschen beteiligten Personen vor (Angehörige, Fachkräfte, VertreterInnen von beteiligten Behörden) (S. 6). Für die ersten drei Monate der Projektlaufzeit war die Recherche von einschlägigen Aus- und Fortbildungsangeboten vorgesehen (S. 9). 298 Bezugnahme auf ein mit Herrn Walter, dem Sozialdezernenten der Landeshauptstadt Hannover, am 04.01.2001 geführtes Interview. 424 6.2.5.2.1 Ziele, Methoden und Durchführung der Untersuchungen Die wichtigsten Aktivitäten des Modellprojekts, der jeweils aktuelle Stand und die Erfahrungen in dem Bereich Veranstaltungen, Fortbildungen und Tagungen wurden in zwei ausführlichen Interviews mit dem Projektkoordinator erhoben. Im Bereich Veranstaltungen, Fortbildungen und Tagungen wurden die vorliegenden Projektunterlagen im Hinblick auf TeilnehmerInnenzahlen, Vorgehensweisen, Häufigkeiten etc. ausgewertet sowie einzelne Veranstaltungen teilnehmend beobachtet. Seit September 1999 wurden von den MitarbeiterInnen des Modellprojekts zwei Versionen eines halbstandardisierten Fragebogens für professionelle und ehrenamtliche TeilnehmerInnen von Veranstaltungen sowie für BesucherInnen von Altenklubveranstaltungen zur Evaluation von Veranstaltungen und Fortbildungen eingesetzt. Die Befragungsin299 strumente entsprechen aktuellen Ansätzen der Fortbildungsevaluation und wurden in Abstimmung mit den MitarbeiterInnen des Modellprojekts entwickelt – sollten diese Instrumente den MitarbeiterInnen doch in erster Linie Rückmeldung über ihre Arbeit geben und zu einer Veranstaltungsoptimierung beitragen. Sie waren also als Elemente primär formativer Evaluation konzipiert (vgl. hierzu u.a. ONYSKIW, HARRISON, SPADY & MCCONNAN, 1999; ROSSI, FREEMAN & HOFMANN, 1988; WOTTAWA & THIERAU, 1990; WESTON, MCALPINE & BORDONARO, 1995). Die von den MitarbeiterInnen des Modellprojekts durchgeführten Veranstaltungen wurden variabel gestaltet. Ihre Konzeption und Durchführung waren von verschiedenen Einflussgrößen abhängig wie der individuellen Vorbereitung der MitarbeiterInnen, der konkreten inhaltlichen Schwerpunktsetzung (z.B. Projektvorstellung, Gewalt im Alter in der Pflege/im häuslichen Bereich, Belastungen/Entlastungsmöglichkeiten von pflegenden Angehörigen, Patientenverfügung/Vorsorgevollmachten, Morbus Alzheimer/Demenz), dem Charakter der Veranstaltung (Vortrag, Informationsveranstaltung, Fortbildung) und vor allem von der jeweiligen Zielgruppe der Fortbildung (SeniorInnen, ehrenamtliche MitarbeiterInnen oder Fachkräfte aus dem pflegerisch-psychosozialen Bereich). Jenseits dieser Vielfalt zeigen sich Konstanten. Bestimmte Materialien und Bausteine wurden immer wieder verwendet; dazu gehören die Ge- 299 Das vorliegende Instrument ist angelehnt an Befragungsinstrumente zur studentischen Lehrveranstaltungsbewertung von BEMMANN u.a. (1999, S. 21), DIEHL (1994), FIEDLER & BILLMANNMAHECHA (1997), TODT & GÖTZ (o.J.). Zu einer kritischen Diskussion der Funktion von Veranstaltungsevaluation angesichts unklarer Methoden vgl. FIEDLER & BILLMANN-MAHECHA (1997). 425 walttaxonomie in Anlehnung an DIECK (1987) und ein „Faktorenmodell 300 der Gewaltentstehung“ (HAGEN, 2001 ). Die ProjektmitarbeiterInnen erstellten vier sogenannte „Projektinformationen“ zu den Themen • • • • „Alterskrankheiten: Demenz, Alzheimer“, „Grundlagen zur Pflegeversicherung“ „Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung“ und „Pflegende Angehörige: Belastungen und Entlastungen“. Diese Projektinformationen dienten den MitarbeiterInnen als Grundlage für die von ihnen durchgeführten Informationsveranstaltungen, Vorträge und Schulungen und wurden interessierten TeilnehmerInnen von Veranstaltungen zur Verfügung gestellt. 6.2.5.2.2 Darstellung der Fortbildungs- und Veranstaltungsaktivitäten Tagungen und Workshops Das Modellprojekt (Landeshauptstadt Hannover) veranstaltete im Juli 1998 die Fachtagung „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Lebensraum“ und im Oktober 1999 die Fachtagung „Gewalt in der Familie: Gewalt gegen Kinder – Gewalt gegen ältere Menschen“ in Hannover. Die zweite Fachtagung wurde in Kooperation mit HerbstRose Cultur und Concepte für das Alter e.V., der Arbeitsgruppe „Gewaltprävention“ (Beratungsdienste, Beratungsstellen und Familienbildung in Hannover) und dem Jugendpsychologischen Dienst der Landeshauptstadt Hannover durchgeführt. Weiterhin war das Modellprojekt „Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum“ in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Stadtakademie Hannover und der Akademie für ärztliche Fortbildung 301 der Ärztekammer Niedersachsen an den Tagungen „Ich halte es nicht 302 mehr aus!“ Gewaltverhältnisse in der Altenpflege im November 1998 und „Am Ende des Lebens: Sterben dürfen oder sterben müssen?“ im Juli 1999, die beide von der Akademie für Sozialmedizin Hannover e.V. in Hannover durchgeführt wurden, beteiligt. 300 Dieses „Ökologische Modell der Gewaltentstehung“ bezieht die Theorie von BRONFENBRENNER (1981) auf den Themenbereich der familiären Gewalt gegen Ältere. 301 Gefördert von der Hanns-Lilje-Stiftung. 302 Vortrag des Projektkoordinators „Wie zeigt sich Gewalt? Erscheinungsformen, Tatbestände, Erlebensweisen“. 426 In Kooperation mit der Landesvereinigung für Gesundheit Niedersachsen e.V. führte das Modellprojekt im Mai und im November 2000 den Workshop „Pflege zu Hause: Vernetzung ambulanter Versorgungsan303 gebote für ältere Menschen“ in Hannover durch . Auch nach Ende der Laufzeit des Modellprojekts werden diese Workshops unter Beteiligung des ehemaligen Projektkoordinators fortgesetzt. Die MitarbeiterInnen des Modellprojekts – insbesondere der Projektkordinator – hielten bei Veranstaltungen, Versammlungen und Tagungen Referate. Vorträge und Referate wurden bei verschiedenen Bildungseinrichtungen gehalten, so z.B. in Seminaren an Berufsschulen, Fachhochschulen, Universitäten. Zwei Unterrichtseinheiten wurden im Lehrgang „Soziale Betreuung und Management in der Altenhilfe“ bei der Bildungsvereinigung ARBEIT UND LEBEN Niedersachsen e.V. und vier Einheiten im Rahmen der von der Volkshochschule Hannover angebotenen Berufsqualifikation „Altenpflege“ für alleinerziehende Mütter angeboten. Im Laufe der Projektzeit war eine Ausweitung der Vorträge von Hannover auf das Umland Hannovers und das Land Niedersachsen zu verzeichnen. Fortbildungen und Schulungen für hauptamtliche MitarbeiterInnen in den Bereichen Sozialarbeit, Pflege, Betreuung und Polizei Seit November 1998 bot das Modellprojekt selbst Fortbildungen an. Zu nennen sind hier zum einen zwei Angebote für die MitarbeiterInnen des Kommunalen Sozialdienstes der Landeshauptstadt Hannover („Gewalt gegen ältere Menschen“ im November 1998, „Beratung älterer Menschen“ im März 2000), eine Informationsveranstaltung/Fortbildungsveranstaltung für die Polizisten des HaIP-Teams im Mai 1999, eine Fortbildungsreihe für die Kontaktbeamten der Polizei Hannover im Februar 2001 und fünf Fortbildungsveranstaltungen für MitarbeiterInnen von drei Pflegediensten bzw. Pflegeeinrichtungen sowie zwei Veranstaltungen für MitarbeiterInnen von Betreuungsvereinen bzw. der städtischen Betreuungsstelle Hannover. Das Angebot einer monatlichen kollegialen Fallberatung, welches die MitarbeiterInnen des Modellprojekts den KollegInnen des Kommunalen Sozialdienstes offerierten, wurde nicht in Anspruch genommen. Formen kollegialer Fallberatungen bzw. gemeinsame Fallberatungen mit Mitar- 303 Beitrag des Modellprojekts: Gemeinsame Planung des Workshops mit der Landesvereinigung für Gesundheit Niedersachsen e.V. Während des Workshops: Vorstellung eines Fallbeispiels zur ambulanten Versorgung älterer Menschen in der Stadt aus der Praxis des Modellprojekts und Leitung einer AG. 427 beiterInnen des Kommunalen Sozialdienstes ergaben sich in Einzelfällen (vgl. Kapitel 6.2.2.4). Veranstaltungen für BesucherInnen von Altenclubs und ehrenamtliche MitarbeiterInnen von Einrichtungen und Diensten für SeniorInnen Die ProjektmitarbeiterInnen führten während der Projektlaufzeit 33 Informationsveranstaltungen zur Problematik „Gewalt im Alter“ in Altenclubs, Gesprächskreisen und Seniorentreffs durch. Viele dieser Informationsveranstaltungen in SeniorInnengruppen fanden in den drei ausgewählten Stadtteilen statt. Für Informationsveranstaltungen mit der Zielgruppe der SeniorInnen wurde von den MitarbeiterInnen Anfang 1999 ein Konzept mit folgenden Zielsetzungen entwickelt: Sensibilisierung für die Gewaltthematik, Hilfsangebote des Modellprojektes bekannt machen, Gespräch/Austausch fördern, Stadtteilbezug nutzen und Kontakte zu älteren Menschen erweitern. Insbesondere zu Beginn der Laufzeit hatten diese Informationsveranstaltungen vornehmlich Informationen über das Modellprojekt, Aufklärung über Gewaltbereiche, Gewaltverständnis des Modellprojekts und Gewaltformen im Alter in der Häuslichkeit zum Inhalt. Ein Ansatz des Projekts war, die SeniorInnen nach Möglichkeit aktiv einzubeziehen durch Fragen wie „Was verbinden Sie mit Gewalt im Alter?“, „Welche Gewaltsituationen im häuslichen Bereich fallen Ihnen ein?“, „Welche Gründe können zur Entstehung von Gewalt beitragen?“ und „Was können Sie heute schon selber tun, um solche Situationen zu vermeiden?“. Neben den Veranstaltungen für die TeilnehmerInnen von Seniorenclubs und Seniorenkreisen ist die zweite größere Zielgruppe des Projekts die der ehrenamtlichen MitarbeiterInnen in Senioreneinrichtungen, -diensten und -interessenvertretungen. Insgesamt elf Veranstaltungen wurden für diese Gruppe und hier insbesondere für ehrenamtliche MitarbeiterInnen von Besuchsdiensten durchgeführt. Den Veranstaltungen für Ehrenamtliche in der Seniorenarbeit wurde von den ModellprojektmitarbeiterInnen häufig eher ein Fortbildungscharakter zugeschrieben. Zu nennen sind auch die viertägige, im Herbst 1999 durchgeführte bzw. organisierte Schulung des Projekts für fünf ehrenamtliche MitarbeiterInnen des Sozialverbandes Deutschland e.V. zur Vorbereitung auf die telefonischen Beratungen am Krisen- und Beratungstelefon des Mo304 dellprojekts sowie die umfangreiche Schulung der ehrenamtlichen 304 Ein Fortbildungstag wurde von den MitarbeiterInnen des Modellprojekts und drei Tage von einer Erziehungswissenschaftlerin gestaltet. 428 MitarbeiterInnen des Häuslichen Unterstützungsdienstes (HUD) im Stadtteil Ricklingen-Mühlenberg (s. Kapitel 6.2.6.3.3). Kunstprojekt „Schattenseiten“ im Haus „Alter Krug“ in Seelze Zusammen mit einer Kunsttherapeutin führte der Projektkoordinator im Haus „Alter Krug“ der Arbeiterwohlfahrt in Seelze mit Unterstützung der Einrichtungsleitung das Projekt „Schattenseiten“ im Zeitraum vom November 1999 bis Juni 2000 durch. Nach eigenen Angaben stand im Mittelpunkt dieses Projekts die Frage „Wie kann man Schattenseiten im Alter erfassen und gestalterisch umsetzen?“ Bei insgesamt elf Treffen mit jeweils vier bis acht SeniorInnen wurden in einer ersten Phase belastende Alltagserlebnisse bearbeitet, die in einer zweiten Phase gestalterisch von den teilnehmenden SeniorInnen umgesetzt wurden. Als Ziele dieses Projekts wurden genannt, der „Tabuisierung von Schattenseiten im Alter entgegen zu wirken“, „miteinander ins Gespräch zu kommen“ und „das, was mit den „Schattenseiten des Alters“ einhergeht an Bedrohlichem, Ängstigendem, Erschreckendem aber auch Wünschens305 wertem mit Bildern und Worten zum Ausdruck zu bringen“ . Das Projekt endete mit der Ausstellungseröffnung „Schattenseiten“ am 03.06.2000 im Haus „Alter Krug“ in Seelze, danach wurde diese Ausstellung „an verschiedenen Orten gezeigt, um so über die Schattenseiten im Alter in ein Gespräch zu kommen“ (LANDESHAUPTSTADT HANNOVER, 2001). 6.2.5.2.3 Ergebnisse der Befragung von Fortbildungs- und VeranstaltungsteilnehmerInnen Die folgenden Angaben beziehen sich auf den Zeitraum vom 01.09.99 bis zum 25.01.01. In diesem Zeitraum wurden insgesamt 40 von ca. 60 durchgeführten Veranstaltungen des Modellprojekts durch den Einsatz der Fragebögen evaluiert. Bei 13 Veranstaltungen mit insgesamt 140 TeilnehmerInnen kam der Bogen für Fachleute aus der psychosozialen Praxis und bei 27 Veranstaltungen mit insgesamt 700 TeilnehmerInnen 306 die Version für SeniorInnen zum Einsatz . Die Version für SeniorInnen wurde fast ausschließlich in Seniorenkreisen, Altenclubs und Altenbegegnungsstätten eingesetzt, lediglich bei zwei Veranstaltungen für ehrenamtliche MitarbeiterInnen aus dem Bereich der SeniorInnenarbeit 305 Einem Papier/Handzettel von Anne-Kathrin Schulz und Björn Hagen vom 20.04.2000 zu der geplanten Ausstellungseröffnung entnommen. 306 Die Auswahl der zu evaluierenden Veranstaltungen lag bei den MitarbeiterInnen des Modellprojekts. Angestrebt war die Evaluation einer möglichst umfangreichen Stichprobe. Angesichts z.T. sehr knapper Zeitbudgets wurde in einigen Veranstaltungen jedoch auf die Evaluation verzichtet. Weiterhin wurde die Möglichkeit der teilstandardisierten Evaluation von den einzelnen MitarbeiterInnen sehr unterschiedlich häufig genutzt. 429 kam sie zum Einsatz. Die längere Fragebogenversion für Fachleute wurde primär bei Veranstaltungen für ehrenamtliche MitarbeiterInnen aus dem Bereich der Seniorenangebote eingesetzt (Besuchsdienste, Seniorenbüros). Weiterhin wurde die längere Fragebogenversion bei drei Veranstaltungen für Pflegefachkräfte, bei einem Workshop einer Fachtagung und in einem Universitätsseminar eingesetzt. Die Veranstaltungsdauer lag bei diesen Veranstaltungen zwischen 90 und 360 Minuten mit einer durchschnittlichen Dauer von 171,3 Minuten (SD=93,85), bei den SeniorInnen umfasst sie eine Spannbreite von 45 bis 130 Minuten mit einer durchschnittlichen Dauer von 79,86 Minuten (SD=24,63). Die meisten, d.h. 37 Veranstaltungen wurden in Hannover durchgeführt, davon 23 in den drei ausgewählten Stadtbezirken, in denen das Modellprojekt schwerpunktmäßig tätig war. Die Teilnahmequoten sind mit 80% bei den Fachleuten aus der psychosozialen Praxis bzw. Ehrenamtlichen (112 ausgefüllte Bögen) und 72,3% bei den SeniorInnen (506 ausgefüllte Bögen) hoch und sprechen für die gewählte Form der Veranstaltungsevaluation. Insbesondere von SeniorInnen wurden allerdings offene Fragen selten bzw. sehr knapp beantwortet. Die inhaltlich ausgewerteten Bögen der SeniorInnen (N=506) und der Ehrenamtlichen/psychosozialen Fachkräfte (N=112) bringen insgesamt eine sehr positive Bewertung der Veranstaltungen zum Ausdruck. Die meisten SeniorInnen gaben an, dass die Veranstaltung interessant gewesen sei (89,3%), dass sie neue Informationen bekommen (66,2%) und Anregungen für ihr Verhalten (63,4%) erhalten hätten. Bemerkenswert ist, dass 30% der SeniorInnen angaben, dass das Besprochene bekannt und weitere 48,2%, dass es ihnen zumindest teilweise bekannt gewesen sei. Die Fachleute aus der psychosozialen Praxis sahen in den Veranstaltungen einen Bezug zum eigenen Berufsalltag (74,1%), schätzten die Veranstaltung als interessant (81,3%) und die Darstellung der Thematik als anschaulich (76,8%) ein. Die meisten TeilnehmerInnen mit beruflichem Hintergrund fühlten sich durch die/den Veranstaltungs-, FortbildungsleiterIn zur Mitarbeit motiviert (83%). Sie seien durch die Thematik angesprochen worden (78,6%) und hätten durch die Veranstaltungen Anregungen für ihr berufliches bzw. privates Verhalten (63,4%) erhalten. In der Gruppe der SeniorInnen wurden von 41,3% der Befragten auch Angaben zu offenen Fragen gemacht. Auf die Frage, was für sie an der besuchten Veranstaltung besonders wichtig war, gaben die meisten Befragten an, neue Informationen und Anregungen erhalten zu haben und über Hilfeangebote in Hannover informiert worden zu sein. Bei Betrach430 tung der Themen, die von den SeniorInnen als ihnen besonders wichtig benannt wurden, zeigt sich, dass der Gewaltthematik nur in Einzelfällen eine besondere Bedeutung zugeschrieben wurde; im Vordergrund standen Themen wie Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen. In der Gruppe der ehrenamtlichen MitarbeiterInnen/psychosozialen Fachkräfte wurden von 75,9% der Befragten offene Fragen beantwortet. Hier wird der gemeinsamen Diskussion und dem Erfahrungsaustausch der TeilnehmerInnen eine besondere Wichtigkeit zugesprochen. Häufig werden Wünsche nach einem zeitlich größeren Rahmen, weiteren Veranstaltungen, inhaltlicher Vertiefung und konkreten Maßnahmen gegen Gewalt im Alter geäußert. 6.2.5.3 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Viele Aktivitäten des Modellprojekts vereinigen Aspekte von Vernetzung, Informationsveranstaltungen/Fortbildungen und (fachbezogener) Öffentlichkeitsarbeit. Die dezentrale Vernetzung in Hannover im Rahmen der Stadtteilarbeit, die den Schwerpunkt des Modellprojekts im Rahmen der Vernetzungsaktivitäten ausmachte, wird gesondert im folgenden Kapitel dargestellt. Die langjährigen Erfahrungen der ProjektmitarbeiterInnen innerhalb der sozialen Dienste der Stadtverwaltung Hannover und die detaillierten Kenntnisse der Infrastruktur sozialer Dienstleistungsanbieter im Stadtgebiet erleichterten den Zugang zu vielen Organisationen und erhöhten deren Bereitschaft zur Kooperation. Nach Einschätzung des Sozialdezernenten der Stadt Hannover eröffnete gerade die städtische Trägerschaft des Modellprojekts den Zugang zu anderen Einrichtungen und Trägern, da durch die kommunale Anbindung mögliche Konkurrenzen – wie sie bei anderen Trägerschaften eines Modellprojekts leicht entstehen können – in den Hintergrund tre307 ten . Aus der Perspektive der MitarbeiterInnen beinhaltete die bereits vorhandene lokale Netzwerkstruktur auch die Gefahr einer gewissen „Vernetzungsmüdigkeit“ bei den lokalen Einrichtungen und Diensten. Eine weitere Gefahr bei der Netzwerkarbeit beschreibt der Projektkoordinator wie folgt: „...dass das Thema dazu neigt an den Seiten auszufransen, weil Gewalt gegen ältere Menschen ein relativ weites Feld [ist]. (...) wenn man in so einem Netzwerk beteiligt ist, ist die Gefahr groß, dass 307 Interview mit dem Sozialdezernenten der Landeshauptstadt Hannover am 04.01.2001. 431 man noch andere Aufgabenbereiche übernimmt, die vielleicht gar nichts direkt mit Gewalt zu tun haben“. Auf der zentralen lokalen Ebene wurde die Thematik „Gewalt im Alter“ in die bereits bestehenden Netzwerke entweder durch eine direkte Teilnahme des Modellprojekts oder durch intensivere Kontakte zu einzelnen Netzwerkgliedern integriert. Bei den lokalen Netzwerken, an denen das Modellprojekt aktiv beteiligt war – dies waren die Arbeitsgemeinschaft Alter(n) und Gesundheit und der Arbeitskreis „Telefonische Beratung im Alter“ – stand die Thematik „Alter“ allgemein im Vordergrund, und die Gewaltproblematik wurde innerhalb dieser Arbeitsgruppen durch Beiträge des Modellprojekts eingebracht. Die Implementation eines vollständig neuen lokalen Netzwerkes zur Thematik „Gewalt im Alter“ wäre wahrscheinlich, so auch die Einschätzung des Modellprojekts, ein aussichtsloses Unterfangen gewesen. Ein entsprechendes zentrales Gremium existierte bereits in Form des das Projekt begleitenden Runden Tisches „Gewalt im Alter“. Bei der Betrachtung der vertretenen Einrichtungen, Dienste und Initiativen mit denen das Modellprojekt im Bereich Vernetzung und im Bereich Informationsveranstaltungen/Fortbildungen Kontakte hatte und kooperierte, wird deutlich, dass sich diese häufig in den verschiedenen lokalen Netzwerken, Arbeitsgruppen und anderen Gremien, wenn auch nicht immer in der selben personalen Besetzung, beispielsweise beim Runden Tisch „Gewalt im Alter“, bei der Arbeitsgemeinschaft Alter(n) und Gesundheit oder bei dem Arbeitskreis „Telefonische Beratungsanbieter im Alter“ wiederfinden. Die vorherige berufliche Tätigkeit und die Homogenität der beruflichen Herkunft der MitarbeiterInnen, die einerseits den Zugang zu einigen Diensten erleichterten, begünstigten zugleich das eher begrenzte Spektrum der angesprochenen Personen und Dienste. Es fällt auf, dass die Kontaktaufnahme mit Initiativen, die zum Thema Gewalt gegen 308 Frauen arbeiten, nur in einigen Einzelfällen stattfand . Das ursprüngliche Konzept der Begleitforschung sah zur Erfassung der Bereiche Vernetzung und Kooperation gegen Ende der Projektlaufzeit eine standardisierte schriftliche Befragung von ExpertInnen, tatsächlichen wie potenziellen KooperationspartnerInnen, im Stadtgebiet vor. 308 Vgl. dazu MÜLLER (1997, S.87), die darauf hinwies, dass ein großer Teil der Fallkonstellationen im Bereich Gewalt gegen Ältere Parallelen zur Männergewalt gegen Frauen aufweist und sich Interventions- und Präventionsmaßnahmen folglich auch an in diesem Zusammenhang erarbeiteten Maßnahmen orientieren sollten. 432 Diese Befragung wurde schließlich auf die TeilnehmerInnen der von 309 dem Modellprojekt gegründeten Arbeitsgemeinschaften eingegrenzt . Dieser Modifikation lagen die vom Modellprojekt getroffenen Entscheidungen im Bereich Vernetzung zugrunde: In der Planung des Modellprojekts war im Bereich der stadtteilübergreifenden Vernetzung primär die Nutzung bereits vorhandener Netzwerke vorgesehen. Die Gewinnung bestimmter Berufsgruppen z.B. MedizinerInnen war in den Konzepten des Modellprojekts von Anfang an lediglich auf der Ebene der Stadtteilarbeitsgruppen vorgesehen. Die Begrenzung der Befragung auf tatsächliche KooperationspartnerInnen beinhaltet partiell eine Selbstevaluation; zugleich ist dies die Personengruppe, die auf der Grundlage ihrer beruflichen Kompetenz und Erfahrung eine differenzierte Analyse des Modellprojekts und seiner Angebote vornehmen konnte. Das Modellprojekt integrierte sich auf nationaler Ebene in die während der Projektlaufzeit gegründete Bundesarbeitsgemeinschaft der Krisentelefone, Beratungs- und Beschwerdestellen für alte Menschen in der Bundesrepublik Deutschland. Außerhalb dieser Bundesarbeitsgemeinschaft hatte das Modellprojekt mit einzelnen Mitgliedern intensiveren Austausch. Der Runde Tisch „Gewalt im Alter“ und die Arbeitsgemeinschaft Alter(n) und Gesundheit erfüllten für das Modellprojekt primär die Funktion von Informationsnetzwerken in Hannover. Mit einzelnen Netzwerkmitgliedern gab es außerhalb dieser Netzwerke weitere Kontakte und Kooperationen, so z.B. gemeinsame Veranstaltungen, Tagungen und Workshops sowie Vorträge des Modellprojekts zur Problematik „Gewalt im Alter“ bei Veranstaltungen dieser Institutionen und Dienste. Der vom Modellprojekt mit initiierte und koordinierte Arbeitskreis „Telefonische Beratung im Alter“ diente nicht nur der Information und Kooperation, sondern entwickelte mit der gemeinsamen Öffentlichkeitsarbeit in relativ kurzer Zeit konkrete Produkte in Form eines gemeinsamen Plakates und eines Faltblattes. Der Arbeitskreis wurde von seinen Mitgliedern einheitlich als wichtiges Vernetzungsgremium wahrgenommen, das zu einer verbesserten Kooperation der einzelnen Anbieter geführt habe. Die Koordination des Arbeitskreises durch das Modellprojekt wurde positiv hervorgehoben, und allgemein wurde der Wunsch nach Fortführung in der bisherigen Form geäußert. Nach Einschätzung der 309 Für das gesamte Stadtgebiet Hannovers betrifft dies nur den Arbeitskreis „Telefonische Beratungsanbieter“, auf dezentraler Ebene die Arbeitsgemeinschaften „Gewalt im Alter“ in den drei ausgewählten Stadtteilen. 433 Mitglieder des Arbeitskreises „Telefonische Beratung im Alter“ ist es dem Modellprojekt gelungen, die allgemeine und die Fachöffentlichkeit für die Thematik „Gewalt im Alter“ zu sensibilisieren. Auch aus der Perspektive des Projektkoordinators ist es dem Modellprojekt insbesondere durch die Aktivitäten im Bereich Vernetzung und Fortbildungen/Veranstaltungen gelungen, die Thematik „Gewalt im Alter“ in der Stadt 310 Hannover zu verankern . Das Modellprojekt hat die angestrebte Vernetzung mit Einrichtungen, Diensten und Institutionen mit Angeboten für ältere Menschen weitgehend erreicht. In den Arbeitskreisen „Telefonische Beratung im Alter“, Runder Tisch „Gewalt im Alter“ sowie im Arbeitskreis „Alter(n) und Gesundheit“ sind bestimmte Berufsgruppen wie beispielsweise HausärztInnen oder gerontopsychiatrische Fachärzte nicht bzw. kaum vertreten, mit MedizinerInnen gab es in Einzelberatungsfällen Kooperationen bzw. Delegationen von Fällen an das Modellprojekt. Die MitarbeiterInnen des Modellprojekts führten insgesamt 33 Informationsveranstaltungen zur Thematik „Gewalt im Alter“ in Altenclubs, Seniorengruppen und Seniorenkreisen durch, meist in den drei ausgewählten Stadtteilen des Modellprojekts. Die zweite größere Zielgruppe war die der ehrenamtlichen MitarbeiterInnen von SeniorInneneinrichtungen und -diensten. Diese Veranstaltungen hatten häufig eher einen Fortbildungs- bzw. Schulungscharakter. Schulungen und Fortbildungen für Fachleute aus dem psychosozialen Bereich wurden eher selten angefragt. Das Modellprojekt führte Fortbildungen für MitarbeiterInnen des Kommunalen Sozialdienstes, der Polizei, Pflege- und Betreuungseinrichtungen durch. Im Bereich der für die Projektarbeit relevanten Fachöffentlichkeit war die Tätigkeit des Projektes primär auf den Bereich der Information über das Modellprojekt, sein Gewaltverständnis und die konkreten Angebote bzw. auf Vorträge zur Thematik „Gewalt im Alter“ begrenzt. Seit September 1999 wurden teilstandardisierte TeilnehmerInnenbefragungen zur Evaluation von Veranstaltungen durchgeführt. Insgesamt wurden 40 Veranstaltungen mit 840 TeilnehmerInnen evaluiert. Bei den Veranstaltungen handelt es sich primär um Informationsveranstaltungen in Seniorenkreisen und Veranstaltungen für ehrenamtliche MitarbeiterInnen von Besuchsdiensten oder Seniorenbüros sowie um Fortbildungsveranstaltungen für MitarbeiterInnen von Pflegediensten. Sowohl von den SeniorInnen als auch von Ehrenamtlichen und psychosozialen Fachkräften wurden die durchgeführten Veranstaltungen als interes310 Interview mit dem Projektkoordinator am 12.02.2000. 434 sant, aufschlussreich und hilfreich für den (Berufs-)Alltag eingeschätzt; bei den Fachkräften wurde häufiger der Wunsch nach einer weiteren Vertiefung der Thematik geäußert. Die Vernetzungsaktivitäten des Modellprojekts zielten weniger darauf ab, dass dem Modellprojekt Klienten vermittelt werden oder eine Weitervermittlung von Klienten an andere Dienste, Einrichtungen ermöglicht wurde, auch wenn es z.B. im Rahmen des Arbeitskreises „Telefonische Beratung im Alter“ einen intensiven Austausch über die jeweiligen Zuständigkeitsbereiche und Arbeitsschwerpunkte der verschiedenen vertretenen Institutionen gab. Hauptanliegen des Modellprojekts waren im Rahmen der Vernetzung, das eigene Angebot und die Thematik „Gewalt im Alter“ in den Netzwerken bekannt zu machen. Mit einigen Einrichtungen, die auch in den lokalen Netzwerken vertreten waren, gab es in Einzelkontakten konkrete Absprachen über Falldelegationen an das Modellprojekt. Hinzu kommt, dass die meisten der in den Netzwerken vertretenen Institutionen, Dienste und Einrichtungen keine Beratungskompetenz in Fällen von Gewalt im Alter für sich in Anspruch nahmen und für diese Konstellationen die Zuständigkeit beim Modellprojekt sahen. Für eine Fortführung der (Krisen-)Beratungsarbeit für ältere Menschen und deren Angehörige nahmen die MitarbeiterInnen primär eine Zuständigkeit bzw. Beratungskompetenz beim Kommunalen Sozialdienst der Stadt Hannover wahr, in den die MitarbeiterInnen selbst auch 311 nach Ende des Modellprojekts wieder zurückgegangen sind . 6.2.6 6.2.6.1 Dokumentation und Evaluation der Arbeit des Modellprojekts in ausgewählten Stadtbezirken Ziele, Methoden und Durchführung der Untersuchungen Eines der zentralen Projektmodule, dessen Implementation im Rahmen der Begleitforschung untersucht wurde, war die Arbeit in den drei ausgewählten Stadtbezirken. Ein Schwerpunkt der Arbeit des Modellprojekts lag auf dem Aufbau von ExpertInnenteams. Weiter waren auf der Ebene der Stadtteile das lokale Beratungsangebot, das Angebot von Fortbildungen, lokale Vernetzungsbemühungen und Öffentlichkeitsarbeit relevant. Diesbezüglich interessierte insbesondere, inwieweit die angestrebten Ziele erreicht werden konnten, welche Hindernisse es gab, was sich als förderlich für die Stadtteilarbeit erwies und welche 311 Eine der MitarbeiterInnen kam aus der städtischen Altenhilfe und ist nach Projektende auch wieder in diese zurückgegangen. 435 Schlussfolgerungen und Empfehlungen sich daraus ableiten lassen. Im Folgenden werden die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung der Stadtteilarbeit vorgestellt. Die wissenschaftliche Begleitung hat die Stadtteilarbeit des Modellprojekts mit verschiedenen Methoden der Datenerhebung und in mehreren Teilstudien evaluiert. Die wöchentlichen Beratungssprechstunden im Stadtteil und die in den Stadtteilen durchgeführten Fortbildungsveranstaltungen sind im Rahmen der Falldokumentation und Beratungseva312 313 luation sowie der Fortbildungsevaluation erfasst und ausgewertet worden. Die Bekanntheit des Modellprojekts und seiner Angebote – insbesondere der Stadtteilsprechstunden und der Arbeitsgemeinschaf314 ten „Gewalt im Alter“ bzw. ihrer spezifischen Produkte – wurde im Rahmen der umfangreichen Studie zur Öffentlichkeitswirksamkeit des 315 Modellprojekts analysiert . Entwicklung und Arbeit der Arbeitsgemeinschaften „Gewalt im Alter“ wurden durch teilnehmende Beobachtungen der Arbeitstreffen und Dokumentationen der ProjektmitarbeiterInnen verfolgt. Zudem erfolgten leitfadenorientierte Interviews mit den ProjektmitarbeiterInnen in zwei 316 Wellen (im Juni 1999 und im November/Dezember 2000, d.h. ca. zwei Monate vor Ende der Projektlaufzeit). Alle MitarbeiterInnen des Modell317 projekts wurden zur Stadtteilarbeit befragt . Die Arbeit in einem Stadtbezirk wurde zudem durch eine umfangreichere Evaluation des Häuslichen Unterstützungsdienstes – als dem zentralen Produkt der Arbeit im Stadtteil – untersucht. Dabei wurden Interviews mit Nutzerinnen dieses Dienstes und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen geführt. Weiter erfolgte eine telefonische Befragung der TeilnehmerInnen der Arbeitsgemeinschaften. 312 Vgl. Kap. 6.2.2.4. 313 Vgl. Kap. 6.2.5.2. 314 Im Rahmen der Arbeitsgemeinschaften „Gewalt im Alter“ wurde jeweils relativ frühzeitig die Entscheidung getroffen, auf konkrete Arbeitsergebnisse hin zu arbeiten. Diese Arbeitsergebnisse, die in zwei Stadtbezirken nicht auf Dauer angelegt waren, in einem Stadtbezirk von Anfang an als dauerhafte Einrichtung konzipiert war, werden im Folgenden als Produkte bezeichnet. 315 Vgl. Kap. 6.2.4.2. 316 D.h. die Interviews fanden etwa ein Jahr nach dem Arbeitsbeginn der SozialarbeiterInnen und etwa ein Jahr und fünf Monate nach dem Arbeitsbeginn des Projektkoordinators statt. Auch die Berufspraktikantin, die ein Jahr und vier Monate im Projekt mitgearbeitet hatte, wurde befragt. 317 Der Projektkoordinator wurde darüber hinaus zu stadtteilübergreifenden Aufgaben des Projekts befragt. Die Interviews wurden aufgezeichnet und verschriftet. Sie dauerten 90 bis 120 Minuten. 436 Im Folgenden soll zunächst skizziert werden, wie sich die Arbeit in den 318 319 Stadtteilen entwickelte und wo die Arbeitsschwerpunkte lagen . Die Produkte des Modellprojekts werden im nächsten Schritt ausführlicher 320 dargestellt . Des Weiteren werden die Arbeitsgemeinschaften „Gewalt 321 im Alter“ aus der Sicht der AG-TeilnehmerInnen beschrieben . Im letzten Kapitel werden wichtige Einschätzungen der MitarbeiterInnen zur 322 Stadtteilarbeit vorgestellt . Über das Modellprojekt hinaus von besonderem Interesse sind diesbezüglich Fragen nach den Voraussetzungen einer gelungenen Stadtbezirksarbeit, nach Hinderlichem und Förderlichem, nach Schlussfolgerungen und Empfehlungen zu den einzelnen Arbeitsbereichen im Stadtteil. 6.2.6.2 Die Entwicklung der Stadtteilarbeit Der Antrag der LANDESHAUPTSTADT HANNOVER (1997) sah vor, dass aus 323 bereits bestehenden Vernetzungsgremien der Städtischen Altenhilfe sogenannte ExpertInnenteams zum Thema Gewalt älteren Menschen gebildet werden sollten. Diese Auswahl sollte gemeinsam mit den genannten Vernetzungsgremien auf der Grundlage bestimmter, vom Runden Tisch erarbeiteter Kriterien erfolgen. Die ExpertInnenteams sollten aus ÄrztInnen, SozialpädagogInnen, Pflegekräften, psychiatrischen Fachkräften, PsychotherapeutInnen, SeniorInnen und KontaktbeamtInnen der Polizei zusammengesetzt sein, die durch entsprechende Fortbildungen auf ihre Aufgabe vorbereitet werden sollten (S. 7). Als Aufgaben wurden benannt, das Thema „Gewalt gegen ältere Menschen“ in alle relevanten Gruppierungen von Altenarbeit der Stadtteile zu tragen, um das Thema präsent zu machen. Zudem sollten die ExpertInnenteams Einzelfälle entgegennehmen und bearbeiten bzw. an andere Institutionen und Einrichtungen weitervermitteln. Der Zeitplan sah den Abschluss der Bildung der ExpertInnenteams nach sechs Monaten vor. Insbesondere in den Monaten Juli bis September 1998 wurde die Arbeit in den Stadtteilen inhaltlich und organisatorisch vorbereitet. Es wurden 318 Die Begriffe Stadtteilarbeit und Stadtbezirksarbeit werden im Folgenden synonym verwendet. Sie sollen den lokalen Fokus der Arbeit betonen. 319 Grundlage: teilnehmende Beobachtungen, Interviews mit den MitarbeiterInnen, schriftliches Material. 320 Grundlage: schriftliches Material, Interviews mit den MitarbeiterInnen, für die Evaluation des häuslichen Unterstützungsdienstes auch Interviews mit NutzerInnen und Ehrenamtlichen. 321 Grundlage: schriftliche Befragung der AG-Mitglieder. 322 Grundlage: Interviews mit den MitarbeiterInnen. 323 Die von der Städtischen Altenhilfe (jetzt Kommunaler Senioren-Service) initiierten und betreuten regelmäßigen Treffen aller mit älteren Menschen professionell oder ehrenamtlich Befassten bestehen in verschiedenen Stadtbezirken und Stadtteilen von Hannover. Sie heißen entweder Seniorenforen, Arbeitsgemeinschaften „Menschen ab 50“ oder Arbeitsgemeinschaften „Ältere Menschen“. 437 Kriterien für die Auswahl der Stadtteile erarbeitet und Informationen dazu gesammelt und ausgewertet, so dass im Vorfeld des Workshops zur Stadtteilauswahl am 25.9.1998 detaillierte Kenntnisse über die Sozialstruktur der Stadtbezirke und Stadtteile in Hannover vorlagen. Entgegen der Planung im Projektantrag sollten nicht nur Stadtteile für die Erprobung ausgewählt werden, sondern Stadtbezirke, weil diese als Arbeits324 einheiten von ausreichender Größe erschienen . Die zentralen Kriterien für die Auswahl der drei Erprobungsstadtbezirke waren die Bevölkerungsstruktur (Altersverteilung, Haushaltsformen, Einkommensverteilung, Prognose der Altersstruktur), die Stadtteilstruktur (Brennpunkte, Belegrechtswohnungen, Wohnformen und Nachbarschaftshilfe/Netzwerke), die Infrastruktur bzgl. der Bedürfnisse alter Menschen (ambulante Dienste, teilstationäre/stationäre Einrichtungen, offene Angebote, Altenkultur, Seniorenorganisationen) sowie die potenziellen Kooperationspartner vor Ort (u.a. Seniorenforen und Stadtteilrunden). Eine zentrale Entscheidung des Modellprojekts war es, Stadtbezirke auszuwählen, die sich hinsichtlich der genannten Kriterien unterscheiden, um möglichst vielfältige Erfahrungen bei der Projektumsetzung machen zu können. Wichtigstes Kriterium sollte – dem Projektantrag folgend – die Möglichkeit der Anbindung des Modellprojekts an bereits bestehende Stadtteilrunden sein, da in Zusammenarbeit mit diesen die ExpertInnenteams aufgebaut werden sollten. Entgegen den Vorgaben im Projektantrag hatte der Runde Tisch die Stadtteilauswahl nicht selbst inhaltlich vorbereitet, sondern diese Aufgabe an das Modellprojekt delegiert; dort war aufgrund größerer Arbeitskapazitäten eine gründlichere Vorbereitung möglich. An im Vorfeld ermittelte Stadtteilinitiativen und VertreterInnen relevanter Einrichtungen und Gruppen in den Stadtteilen/bezirken, zu denen z.T. schon persönlich Kontakt aufgenommen worden war, wurden Einladungen für den Workshop verschickt. Insgesamt nahmen 25 Personen an dem Workshop teil. VertreterInnen von sieben 325 der elf Stadtbezirke in Hannover waren anwesend ; drei Mitglieder des Runden Tisches ‘Gewalt gegen Ältere’ nahmen teil. Das Interesse der lokalen Einrichtungen an der Auswahl ‘ihres’ Stadtteils/bezirks war unterschiedlich, insgesamt jedoch geringer als erhofft. Ein wesentlicher Einwand vieler Teilnehmenden war, dass sie keine zu324 Die Stadt Hannover ist in 11 Stadtbezirke und 53 Stadtteile aufgeteilt. Politische Vertretungen bestehen auf der Ebene der Stadtbezirke (Bezirksräte). 325 Das berufliche Spektrum und der institutionelle Hintergrund der Teilnehmenden deckten eine breite Palette ab. Es nahmen Mitglieder des Seniorenbeirats, verschiedener Kirchengemeinden sowie eines Seniorenbüros teil, es waren MitarbeiterInnen des Kommunalen Sozialdienstes, der Gemeinwesenorientierten Arbeit, der Arbeiterwohlfahrt, der Diakonie, der Polizei, verschiedener Anbieter aus dem Bereich Altenhilfe, eines Pflegedienstes, der Medizinischen Hochschule Hannover (Gerontopsychiatrie) sowie der Initiator einer privaten Stiftung anwesend. 438 sätzlichen Arbeitskapazitäten für die Mitarbeit in einem weiteren Gremium (ExpertInnenteam) zur Verfügung stellen könnten und insofern befürchteten, den Erwartungen, die mit der Auswahl ‘ihres’ Stadtteils/bezirks für die Erprobung des Modellprojekts verbunden waren, nicht genügen zu können. Letztlich maßgeblich für die Zurückhaltung der örtlichen Gremien war jedoch nach Einschätzung der ModellprojektmitarbeiterInnen, dass die Stadtteilarbeit des Modellprojekts ohne Beteiligung der örtlichen Vernetzungsgremien „Ältere Menschen“ und der für deren Koordination Zuständigen geplant worden war. Bei dem Workshop wurden drei sehr unterschiedliche Stadtbezirke ausgewählt: • • • Vahrenheide-Sahlkamp im Norden von Hannover, Ricklingen-Mühlenberg eher im Süden der Stadt und Herrenhausen-Stöcken im Nordwesten von Hannover. Nach Auswahl der Stadtbezirke wurden diese den ProjektmitarbeiterIn326 nen zugeordnet. Auf jeweils eine Planstelle kam ein Stadtbezirk . Die wichtigen Institutionen und Einrichtungen in den ausgewählten Stadtbezirken wurden von der Auswahl und den Plänen des Modellprojekts schriftlich in Kenntnis gesetzt. Die Aufgabe der MitarbeiterInnen des Modellprojekts war nun der Aufbau der Beratungstätigkeit und der sogenannten ExpertInnenteams in den Stadtteilen. Es galt also zum einen Räumlichkeiten für ein Beratungsangebot im Stadtteil zu finden und Entscheidungen bzgl. dieser Sprechzeiten zu treffen. Zudem – und dies stand zunächst im Vordergrund – musste versucht werden, Fachleute für das zu bildende Expertengremium zu interessieren. Problematisch für die gesamte Aufbauphase der ExpertInnenteams war eine Gratwanderung zwischen Festlegung (durch Projektantrag und Zuständigkeitsentscheidung für Gewalt im persönlichen Nahraum) und notwendiger Flexibilität gegenüber KooperationspartnerInnen. So war es zum einen notwendig, zu einer genaueren Vorstellung zu kommen, wie die zu bildenden ExpertInnenteams konkret aussehen und welche Aufgaben sie übernehmen sollten, um bei der Werbung von potenziellen Mitgliedern möglichst konkret deren zukünftigen Arbeitsbereich beschreiben zu können. Zum anderen aber waren die MitarbeiterInnen darauf angewiesen, die Kon- 326 Der Projektkoordinator arbeitete ebenfalls zunächst anteilig in einem Stadtbezirk mit, um auf diese Weise direkt an die Praxis im Stadtbezirk angebunden zu sein – wobei allerdings seine zeitlichen Kapazitäten diesbezüglich begrenzt waren; seine Funktion war später die eines Stellvertreters bei wichtigen Terminen. Im Stadtbezirk Vahrenheide-Sahlkamp arbeitete ab Oktober 1999 mit Schwerpunkt auf dem Stadtteil Bothfeld auch eine Berufspraktikantin mit. 439 zeption so offen wie möglich zu halten, damit potenzielle Mitglieder die Arbeit als im Sinne ihrer Interessen gestaltbar wahrnehmen konnten. In einem ersten Schritt wurden die Adressen der Institutionen und Organisationen gesammelt, die für das Modellprojekt in den Stadtbezirken relevant erschienen. Maßgeblich war dabei, dass die Einrichtungen und Dienste bzw. VertreterInnen freier Berufe mit älteren Menschen zu tun haben. Ausgangsbasis waren zum Teil bereits bestehende Adressenlisten der Vernetzungsgremien „Ältere Menschen“ der Städtischen Altenhilfe, zum Teil wurden die existierenden Dienste und Einrichtungen durch Rückfragen bei Kommunalem Sozialdienst, Altenhilfe und Pflegediensten recherchiert. Je nach Institutionen und Einrichtungen, die im Stadtteil vertreten waren, variierte die Gruppe der Angesprochenen: In der Regel wurde Kontakt aufgenommen zu ansässigen MitarbeiterInnen der städtischen Verwaltung (Kommunaler Sozialdienst, Gemeinwesenarbeit, Altenhilfe), zu den zuständigen VertreterInnen im Seniorenbeirat, so vorhanden zu verschiedenen Selbsthilfeorganisationen, Nachbarschaftstreffs, Freizeitheimen, Seniorenberatungsstellen (z.B. Seniorenbüro des DRK), verschiedenen ambulanten und (teil)-stationären Altenund Pflegeeinrichtungen, zu den Kirchengemeinden, den örtlichen MitarbeiterInnen von Polizeikommissariaten und -stationen (insbesondere den Kontaktbereichsbeamten), zu VertreterInnen der politisch relevanten Gremien, ÄrztInnen (z.T. soweit sie bei anderen Diensten als kooperativ bekannt waren) sowie den sozialpsychiatrischen Beratungsstellen. Die Zahl der angeschriebenen Einrichtungen und Dienste variierte je nach Ausstattung der Stadtteile. Zu den MitarbeiterInnen der benannten relevanten Einrichtungen und Dienste in den Stadtteilen wurde zudem telefonisch Kontakt aufgenommen. Persönliche Treffen wurden vereinbart, bei denen eine gegenseitige Vorstellung der Arbeit erfolgte und die MitarbeiterInnen des Modellprojekts die Möglichkeit hatten, für die Teilnahme an den ExpertInnenteams zu werben, die Interessen der Professionellen auszuloten und sich ein differenziertes Bild des Stadtteils zu machen. Parallel zur ersten Kontaktaufnahme zu Einzelpersonen besuchten die MitarbeiterInnen bereits existierende Gremien und Runden in den Stadtteilen, um die Pläne des Modellprojekts vorzustellen und TeilnehmerInnen für die ExpertInnenteams zu gewinnen. Zunächst stellten sich die MitarbeiterInnen bei den Vernetzungsgremien „Ältere Menschen“ der Städtischen Altenhilfe vor. Weitere Projektvorstellungen folgten bei Sektorenarbeitsgemeinschaften des sozialpsychiatrischen Verbun- 440 327 des , bei den MitarbeiterInnen des Arbeitsschwerpunktes ‘alte Menschen’ im Kommunalen Sozialdienst, bei den Vernetzten Diensten der Stadt Hannover, im weiteren Verlauf auch bei Stadtteil- bzw. Koordinierungsrunden, Bezirksräten und anderen relevanten Gremien. An der Koordinierungsrunde und den Vernetzungsgremien „Ältere Menschen“ nahmen die MitarbeiterInnen des Modellprojekts in der Folge kontinuierlich teil. Die teaminterne Diskussion über ein ausführlicheres und modifiziertes Konzept für die Stadtteilarbeit verlief parallel zur ersten Kontaktaufnahme zu Gremien und Fachleuten in den Stadtteilen. Als deutlich wurde, dass bei einigen Institutionen Klärungsbedarf hinsichtlich der zu gründenden ExpertInnenteams bestand, entwickelte das Modellprojekt einen Orientierungsrahmen, aus dem insbesondere die Flexibilität der Arbeitsgruppen hinsichtlich der Interessen von Teilnehmenden hervorging; so wurde betont, dass „bei Umsetzung“ „die Inhalte aufgegriffen“ werden, „die von den Beteiligten als relevant für ihre Stadtteile genannt werden“. Weiter war vorgesehen, dass regelmäßige monatliche Treffen mit einer Dauer von drei Stunden stattfinden sollten und dass die Einrichtung der ExpertInnenteams zum 1.2.1999 erfolgen sollte. Die wesentliche Bedeutung der Entwicklung zugehender Hilfen wurde herausgestellt. In einer Reihe von Besprechungen und Workshops zum Thema kristallisierten sich Veränderungen in der Konzeption heraus. Wichtige Modifikationen waren die Öffnung der Gruppe der potenziellen TeilnehmerInnen für Ehrenamtliche, die Umbenennung der ExpertInnenteams in Arbeitsgemeinschaften „Gewalt im Alter“ und die damit verbundene thematische Erweiterung des Zuständigkeitsbereichs auf alle Formen von Gewalt im Alter. Aufgrund der Heterogenität der Stadtbezirke und der Stadtteile verlief die Kontaktaufnahme sehr unterschiedlich. Auch die Resonanz der vor Ort Tätigen auf die Vorschläge und Kooperationsinteressen des Modellprojekts variierte. Dabei hing die Bereitschaft zur Kooperation zum einen mit den Arbeitskapazitäten, zum anderen mit den inhaltlichen Interessen der AnsprechpartnerInnen in den Stadtbezirken zusammen. Eine Rolle spielte auch, wie die Vernetzungsgremien „Ältere Menschen“ arbeiteten, wie die Infrastruktur in den Stadtbezirken in Bezug auf Hilfen für ältere Menschen beschaffen war und ob die Angesprochenen Entlastungsmöglichkeiten oder eher Mehrarbeit durch das Modellprojekt auf sich zukommen sahen. Die MitarbeiterInnen entschieden unter anderem vor dem Hintergrund dieser Gespräche, auf welche Stadtteile sie 327 In diesem Gremium arbeiten u.a. folgende Institutionen und Personengruppen mit: Sozialpsychiatrische Wohnheime und Beratungsstellen, Pflegedienste, Betreuungsstelle, Bewährungshilfe, Kommunaler Sozialdienst, MedizinerInnen, Jugendpsychologischer Dienst. 441 die Schwerpunkte ihrer Arbeit legen wollten. Maßgeblich für diese Entscheidungen war das Interesse der GesprächspartnerInnen an der Thematik oder eben die deutliche Ablehnung der zusätzlichen Aufgaben. Die Entscheidung für die Einrichtung einer Arbeitsgemeinschaft im Stadtteil Sahlkamp (innerhalb des größeren Stadtbezirks VahrenheideSahlkamp) hing damit zusammen, dass das Thema Ältere Menschen im Stadtteil Vahrenheide durch eine AG Ältere Menschen bereits abgedeckt war, dort aber kein Interesse bestand, das Thema Gewalt im Alter aufzugreifen. Hier kamen die MitarbeiterInnen zu der Entscheidung, eine AG im Sahlkamp aufzubauen, einem Stadtteil in dem noch keine Vernetzungsstruktur zum Thema alte Menschen bestand. In den anderen Stadtbezirken deckten sich die Zuständigkeitsbereiche der Vernetzungsgremien „Ältere Menschen“ mit dem Zuständigkeitsbereich der zu gründenden Arbeitsgemeinschaften – mit der Folge, dass die beiden Arbeitsgemeinschaften aus annähernd denselben Diensten bestanden. Während sich die von der Altenhilfe betriebenen Vernetzungsgremien in zwei- oder dreimonatlichem Turnus trafen, traten die Arbeitsgruppen „Gewalt im Alter“ in vier- bis sechswöchentlichem Turnus zusammen. Die Stadtbezirksarbeit wurde von den ProjektmitarbeiterInnen engagiert vorangetrieben. Der jeweilige Stand der Stadtbezirksarbeit wurde seit Dezember 1998 im Rahmen regelmäßiger Treffen der ProjektmitarbeiterInnen im Team diskutiert. Durch die im Projektantrag vorgesehenen speziellen Schulungen für die MitarbeiterInnen der ExpertInnenteams sollten diese mit dem Thema Gewalt gegen Ältere vertrauter werden. Die Fortbildungen wurden als dreiteilige Reihe für die MitarbeiterInnen des Modellprojekts und die ExpertInnenteams in Kooperation mit einem Bildungsträger entwickelt, wobei jedes Thema jeweils zwei volle Tage behandelt werden sollte (vgl. dazu Kap. 6.2.1.1). Problematisch war, dass der Aufbau der ExpertInnenteams sich schwieriger und langwieriger als ursprünglich angenommen gestaltete und die Fortbildungen noch vor der Konstituierung der ExpertInnenteams – d.h. weitgehend ohne Teilnahme der ExpertInnen – stattfanden. Zu den ersten Treffen der Arbeitsgemeinschaften im Februar, April und Mai 1999, zu denen z.T. in persönlichen Gesprächen, allgemein jedoch in formellen, relativ weit gestreuten Ankündigungsschreiben eingeladen wurde, kamen zwischen fünf und zehn Institutionen und Organisationen. Vertreten waren der Kommunale Sozialdienst, der Seniorenbeirat, ehrenamtliche MitarbeiterInnen eines Seniorenbüros und einer Kirchen442 gemeinde, MitarbeiterInnen der örtlichen Freizeitheime, von Pflegediensten und stationären Einrichtungen, Kontaktbereichsbeamte der Polizei und ein Mitarbeiter eines Männerwohnheimes. Die Zusammensetzung der Arbeitsgruppen veränderte sich im Laufe der Zeit. Einige Dienste kamen in der Folgezeit hinzu – in Herrenhausen-Stöcken waren 328 bei einer Sitzung 18 Dienste vertreten –, andere zogen sich aus der AG zurück oder besuchten sie nur unregelmäßig. In den Arbeitsgemeinschaften bildete sich im Laufe der Zeit ein Kern von fünf bis zehn Mitgliedern, die sich regelmäßig aktiv an der Arbeit beteiligten. Organisation, Einladungen, Protokoll und Moderation der Treffen wurden stets durch ProjektmitarbeiterInnen gewährleistet. Es fanden in den Stadtteilen bzw. –bezirken 12, 15 bzw. 20 Treffen bis zum Ende der Projekt329 laufzeit statt . In Sahlkamp-Vahrenheide war die ModellprojektmitarbeiterIn zusätzlich am Aufbau einer Arbeitsgruppe „Migration im Alter“ beteiligt. Diese war aus der AG Ältere Menschen in Vahrenheide hervorgegangen, ausgehend vom Interesse zweier Mitglieder der AG, Beratung für ältere MigrantInnen anzubieten. Nach viermaligen Treffen unter der Organisation der Modellprojektmitarbeiterin ging die Verantwortung auf die lokal zuständige MitarbeiterIn der Städtischen Altenhilfe über. Ein für November 1999 angesetztes gemeinsames Treffen der Arbeitsgemeinschaften „Gewalt im Alter“ und der weiteren relevanten Einrichtungen in den Stadtteilen wurde mangels Anmeldungen abgesagt. Im November 2000 wurde ein solches Treffen – auch als gemeinsames Resümee der Stadtbezirksarbeit – erneut angeboten und nun deutlich besser angenommen. Insgesamt besuchten 30 Personen die vierstündige Veranstaltung. Die inhaltliche Arbeit entwickelte sich in allen Arbeitsgemeinschaften zunächst ähnlich. Neben der Vorstellung des Modellprojekts und der Klärung einiger grundlegender Begriffe wurden zu Beginn der gemeinsamen Arbeit die Interessen der Teilnehmenden abgefragt und konkretisiert. Auf dieser Basis wurde dann die weitere Arbeit geplant. Es folgte 328 Dies drohte die Arbeitsfähigkeit der Gruppe zu gefährden und warf kurzfristig die – letztlich negativ beschiedene – Frage auf, ob eine Teilung der Gruppe sinnvoll sei. 329 Während im Stadtbezirk Ricklingen-Mühlenberg nach dem gelungenen Aufbau des Häuslichen Unterstützungsdienstes kein weiteres Interesse an einer Fortführung der Arbeitsgemeinschaft bestand, plädierten die TeilnehmerInnen der Arbeitsgemeinschaften in den anderen beiden Stadtbezirken für eine Weiterarbeit. In Herrenhausen-Stöcken wurde die AG „Gewalt im Alter“ unter der Vorgabe stärkerer inhaltlicher Ausrichtung der Arbeit, besserer Strukturierung der Sitzungen, abwechselnder Verantwortung für die Organisation und häufigerer Treffen in das Seniorenforum reintegriert. Auch die Arbeitsgemeinschaft im Sahlkamp wird nun nach Ende des Modellprojekts unter Beteiligung der städtischen Altenhilfe fortgeführt. 443 die gemeinsame Konzeption und Umsetzung der spezifischen Produkte (vgl. Kapitel 6.2.6.3). In einem Stadtteil wurden zudem Fortbildungen für 330 die Arbeitsgruppe angeboten , und teilweise wurden anonymisiert Einzelfälle besprochen. Der Entwicklung und Umsetzung der jeweiligen Produkte folgte gegen Ende der Projektlaufzeit die Diskussion über Möglichkeiten der Fortführung der Arbeit. Die Sprechzeiten in den Stadtteilen wurden – als Angebote für den gesamten Stadtbezirk – ab Februar, März und Juli 1999 angeboten. Die wöchentlich in einem neu eingerichteten Stadtteiltreff, den Räumen einer Kirchengemeinde und einer Altenbegegnungsstätte stattfindenden Sprechstunden waren insgesamt nur schwach besucht. Die Auswertung der Beratungsdokumentation (vgl. Kap. 6.2.2.4) ergab, dass insgesamt 28 Beratungskontakte im Rahmen der Stadtteilberatung stattfanden. Dabei wurde die lokal günstig gelegene Stadtteilsprechstunde in der Kirchengemeinde am häufigsten in Anspruch genommen. Hier mag auch eine Rolle gespielt haben, dass hier für „Rat und Hilfe bei Belastungssituationen im Alter“ geworben wurde – in den anderen Stadtbezirken lag der Schwerpunkt stärker auf Beratung für Gewaltproblematiken. In zwei der Stadtbezirke ergaben sich durch die Arbeit in den Arbeitsgemeinschaften „Gewalt im Alter“ auch Beratungsfälle für die allgemeine Beratung des Modellprojekts, und in allen Stadtbezirken kam es im Projektverlauf zu fallbezogenen Kooperationen mit Arbeitsgruppenmitgliedern. Je nach Möglichkeiten vor Ort wurden unterschiedlich häufig Veranstaltungen im Stadtteil angeboten. In der Regel wurden die vor Ort ansässigen Altenclubs der Wohlfahrtsverbände, der städtischen Altenhilfe und der Kirchengemeinden aufgesucht. Dort wurden die Arbeit des Modellprojekts, das Thema Gewalt im Alter und die lokalen Beratungsmöglichkeiten des Modellprojekts vorgestellt. Ein Teil der Veranstaltungen befasste sich aufgrund der großen Nachfrage in diesem Bereich auch mit dem Thema Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen. Fortbildungen wurden bei Pflegediensten, (teil)-stationären Einrichtungen und Sozialstationen vor Ort angeboten. Zudem wurde in einem Gesprächskreis für pflegende Angehörige die Arbeit vorgestellt. Ein Teil der Stadtteilprodukte lässt sich der Öffentlichkeitsarbeit zurechnen. Darüber hinaus war Öffentlichkeitsarbeit ein wichtiges Instrument, um die Sprechzeiten vor Ort bekannt zu machen, auf die Informationsveranstaltungen, den Beratungsführer und den Häuslichen Unterstüt330 Es wurden Informationsveranstaltungen mit einer Psychiaterin und einem Projektmitarbeiter zu Demenz und Alzheimererkrankung angeboten. 444 zungsdienst hinzuweisen und allgemeine Informationen über das Modellprojekt zu verbreiten. Dazu wurden die Gemeindeblätter und Stadtteilzeitungen genutzt, zudem wurden die Informationen über das Modellprojekt in relevanten Einrichtungen vor Ort, in Apotheken und bei Ärzten ausgelegt bzw. plakatiert. Weiterhin nahmen die MitarbeiterInnen mit Informationstischen an Stadtteilfesten und anderen größeren Veranstaltungen teil und informierten auf Wochenmärkten über die Arbeit des Projekts und der Stadtteil-AG. 6.2.6.3 Die Produkte der Stadtteilarbeit Generell gilt für alle Produkte, dass für ihre Umsetzung die Arbeitsgemeinschaften gemeinsam bestimmte Arbeitsschritte vollziehen mussten. Zunächst mussten Ideen gesammelt und ein Vorschlag ausgewählt werden; es musste eine Verständigung über Ziele und Zielgruppen des Vorhabens erreicht werden, Inhalte mussten erarbeitet, ein Konzept erstellt und umgesetzt werden. Bei allen Produkten war es notwendig, sich über Formen der Verbreitung und Öffentlichkeitsarbeit zu verständigen. Der Umsetzung folgte eine rückblickende Einschätzung und Bewertung des Erreichten. Im Zuge der Entwicklung des Produktes war es jeweils notwendig, zusätzliche finanzielle Unterstützung zu einzuwerben. 6.2.6.3.1 Die Veranstaltungsreihe Älter werden in HerrenhausenStöcken Ziel der Veranstaltungsreihe war Prävention von Gewalt im Alter. Möglichkeiten von Hilfe, Beratung und Lebensgestaltung im Stadtteil sollten vorgestellt werden (Freizeit, Wohnen, Beratung, Pflege, Sicherheit). Zunächst war daran gedacht, eine einwöchige Themenreihe durchzuführen. Angesichts der großen Zahl von Veranstaltungen und Aktionen, die als sinnvoll erachtet wurden, entschied sich die Arbeitsgemeinschaft dafür, die Themenreihe in einem dreimonatigen Zeitraum von März bis Juni 2000 anzubieten. Dabei sollten Schwerpunktveranstaltungen zu bestimmten Themen jeweils am ersten Mittwoch im Monat stattfinden und in der darauf folgenden Woche sollten diese Themen durch weitere Aktionen und Besuchsmöglichkeiten in den vorgestellten Einrichtungen (Tage der offenen Tür) vertieft werden. Ende 1999 war die Konzeption der Veranstaltungsreihe weitgehend abgeschlossen, und ab Januar begann die mehrstufige Öffentlichkeitsarbeit zur Veranstaltungsreihe. Zunächst sollte durch Plakate mit unkommentierten Alltagsfragen rund ums Älterwerden Interesse geweckt werden; in einem zweiten Schritt wurden über diese Plakate die Programme der Themenreihe gehängt. 445 Zudem wurden Faltblätter mit Veranstaltungsankündigungen ausgelegt und auf Wochenmärkten verteilt. An der Planung und Durchführung der Veranstaltungsreihe beteiligte sich eine Vielzahl von Diensten und Einrichtungen, die nicht alle regelmäßige Teilnehmende der AG gewesen waren. Für bestimmte Themenbereiche wurden externe Experten hinzu gebeten. Finanzielle Unterstützung für die Themenreihe kam vom Bezirksrat, die Suche nach weiteren Sponsoren verlief nicht erfolgreich. Es fanden insgesamt fünf Themenabende, sechs Einzelvorstellungen 331 von Einrichtungen und Initiativen sowie eine Ausstellung statt. Es stellten sich 19 Einrichtungen und Dienste aus den Bereichen Beratung, Hilfe und Vorsorge sowie elf Gruppen, Vereine und Organisationen aus dem Freizeitbereich vor. Die Auftaktveranstaltung Ende März 2000, eine Diskussionsveranstaltung, stand unter dem Motto „Wenn ich einmal alt bin – Chance oder Schicksal“. Auf dem Podium saßen VertreterInnen des Seniorenbeirats, eines (teil)-stationären und ambulanten Pflegeanbieters, der Städtischen Altenhilfe sowie der Bezirksbürgermeister. Die weiteren The332 menabende bezogen sich auf die Themen „Sicherheit“ , „Pflege und 333 334 medizinische Versorgung“ , „Rechtliche und Soziale Beratung“ , 335 336 „Wohnen im Alter“ und „Freizeit“ . Der Themenabend „Sicherheit“ war schwach frequentiert; während die anderen Themenabende meist von etwa 25 Personen besucht wurden, kamen zum Themenabend „Freizeit“ insgesamt etwa 80 Personen. 6.2.6.3.2 Beratungsführer, Veranstaltungen und Gesprächskreis pflegender Angehöriger im Sahlkamp und in Bothfeld Die erste Veranstaltung, an der sich das Modellprojekt im Stadtbezirk Vahrenheide-Sahlkamp aktiv beteiligte, war ein Erzählcafé „Alt genug – um Geschichten aus Vahrenheide zu erzählen“ im Juni 1999. Das mit 60 TeilnehmerInnen gut besuchte Erzählcafe wurde von der zuständi331 Ausstellung des Arbeitskreises Alter(n) und Gesundheit der Landesvereinigung für Gesundheit Niedersachsen (ab 20.3.2000): „Alter(n) – eine Herausforderung. Gesundheit fördern – Alter(n) gestalten“ im Freizeitheim. 332 Organisiert von der örtlichen Polizeidienststelle. 333 Als ReferentInnen standen ein Arzt, VertreterInnen der AOK sowie (teil-)stationärer und ambulanter Pflegeeinrichtungen und –dienste zur Verfügung. 334 Hier stellten MitarbeiterInnen von KSD, DRK-Seniorenbüro, städtischer Altenhilfe und dem Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ ihre Dienste und Initiativen vor. 335 Auf dem Podium saßen MitarbeiterInnen einer Einrichtung des Betreuten Wohnens, des Amtes für Wohnungswesen sowie eines Vereins zum selbstbestimmten Wohnen im Alter. 336 Im Rahmen einer Freizeitbörse stellten Vereine und Organisationen Freizeitmöglichkeiten vor; eine Seniorentheatergruppe führte ein Stück auf. 446 gen Projektmitarbeiterin gemeinsam mit einem Seelsorger vorbereitet und durchgeführt und war Teil einer fünfteiligen Veranstaltungsreihe des Forums Ältere Menschen in Vahrenheide. Im Juli 1999 wurde im Stadtteiltreff Sahlkamp ein Video zum Thema Gewalt in der Pflege vorgeführt; trotz zweimaliger Ankündigung in der Presse blieb die Teilnehmerzahl mit sechs Personen gering. Die AG „Gewalt im Alter“ im Sahlkamp entschied sich, eine Zusammenstellung aller Angebote für ältere Menschen in Vahrenheide und im Sahlkamp zu erarbeiten. Bedingung für eine Inanspruchnahme von Diensten, so die Überlegung, ist die Kenntnis der Dienste. Angesichts der bislang schwachen Thematisierung der Belange älterer Menschen im Sahlkamp sei die Erstellung eines Beratungsführers diesbezüglich ein wesentlicher Schritt. In die Darstellung gingen 16 Initiativen und Institutionen ein. Die Erstellung des Beratungsführers war Ende April 2000 abgeschlossen. Mittels eines Faltblatts wurde auf den Beratungsführer und auf die kostenlosen Bezugsmöglichkeiten hingewiesen. Zudem wurde er an von älteren Menschen häufig frequentierten Orten ausgelegt, so z.B. bei ÄrztInnen, in der örtlichen Bücherei und im Stadtteiltreff. Die Resonanz bei Professionellen war sehr gut und die Idee fand später in der Koordinierungsrunde (dem relevanten themenübergreifenden Stadtteilgremium im Stadtteil Sahlkamp) Nachahmung; so wurde ein Beratungsführer für alle Einrichtungen und Dienste im Stadtteil erstellt. Zudem stieß der Beratungsführer in der AG Ältere Menschen in Vahrenheide auf Interesse und wurde samt Faltblatt für die große Zahl von Aussiedlern in den beiden Stadtteilen ins Russische übersetzt. Die russische Übersetzung des Beratungsführers (vom Bezirksrat finanziert) liegt als Loseblattsammlung Professionellen vor, die bei Bedarf Informationen über einzelne Institutionen weitergeben. Damit ist jedoch das Problem der Übersetzung bei den Diensten nicht gelöst, da die MitarbeiterInnen in der Regel nicht über Russischkenntnisse verfügen. Beratungssuchende müssen sich also selbst um ÜbersetzerInnen kümmern. Aus diesem Projekt entwickelte sich die Arbeitsgemeinschaft Ältere Migranten mit dem Ziel, die Beratungsstruktur für ältere MigrantInnen im Stadtteil zu verbessern. Im Anschluss an die Entwicklung des Beratungsführers entstand die Idee, die im Beratungsführer aufgeführten Anbieter im Rahmen einer größeren Informationsveranstaltung vorzustellen. Die Arbeitsgemeinschaft konzipierte daraufhin in Kooperation mit anderen Diensten und Einrichtungen eine Informationsveranstaltung unter dem Titel „Vielfalt im Alter – Älterwerden gestalten“, die im Juli 2000 stattfand. Angeboten wurden Informationen, eine Ausstellung, verschiedene Aufführungen und Vorträge zu den Themen Wohnformen im Alter, Vorsorgevollmach447 ten und Patientenverfügungen und Pflege zu Hause. Insgesamt stellten sich bei der Veranstaltung 15 Anbieter vor. Die insgesamt geringe Teilnehmerzahl war für die OrganisatorInnen enttäuschend, dennoch war an eine Wiederholung gedacht. In Bothfeld nahm das Modellprojekt erst Ende 1999 umfangreichere Aktivitäten in Angriff. Schnell kristallisierte sich die Möglichkeit heraus, in Kooperation mit einem Anbieter ambulanter Pflege einen Gesprächskreis für pflegende Angehörige zu initiieren und zu begleiten. Die pflegenden Angehörigen hatten vorher bereits an einem krankenkassenfinanzierten Kurs teilgenommen. Die Modellprojektmitarbeiterin übernahm die inhaltliche Ausgestaltung der Sitzungen des Gesprächskreises über zehn Monate. Zwischen vier und acht familiär Pflegende trafen sich einmal im Monat für zwei Stunden sowohl zum informellen Austausch als auch zu inhaltlich vorstrukturierten Sitzungen. An verschiedenen Themenabenden wurde die Arbeit des Modellprojekts vorgestellt, Vorsorgefragen thematisiert (Pflegefall, Tod, Krankheit, Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung), über Möglichkeiten der Selbstpflege gesprochen, ein Film „Gewalt in der Pflege“ gezeigt und diskutiert, und an einem Abend wurde eine hauptamtliche Mitarbeiterin des evangelischen Hospizdienstes eingeladen. 6.2.6.3.3 Der Häusliche Unterstützungsdienst (HUD) in RicklingenMühlenberg Der häusliche Unterstützungsdienst wird im Folgenden ausführlich dargestellt. Die im Vergleich zu den Produkten der anderen Stadtteilarbeitsgemeinschaften intensivere Auswertung ist darin begründet, dass diese Produkte als Formen der Öffentlichkeitsarbeit bereits durch die Befragung zur Öffentlichkeitswirksamkeit des Modellprojekts (vgl. Kap. 6.2.4.2) evaluiert wurden. Zudem bietet die Evaluation des Häuslichen Unterstützungsdienstes die Möglichkeit, Effekte der Stadtteilarbeit des Modellprojekts zu erforschen, die nicht auf der Ebene von Vernetzung und Informationsvermittlung liegen, sondern durch konkrete Unterstützung möglicherweise direkter und intensiver auf Krisensituationen wirken; hier lässt sich konkret in Erfahrung bringen, in welchen Situationen Unterstützung in Anspruch genommen wird und in welchem Verhältnis hierzu der gewaltpräventive Ansatz des Produkts steht. Zunächst werden die Vorgeschichte und Planungsphase, das Konzept des Häuslichen Unterstützungsdienstes, seine Implementierung und In- 448 337 anspruchnahme skizziert . Im Anschluss werden die Ergebnisse einer Befragung von Nutzerinnen und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen des Entlastungsdienstes vorgestellt. Dabei steht die Frage im Vordergrund, welche Effekte der Unterstützungsdienst für pflegende Angehörige aus deren Sicht und der Sicht der Ehrenamtlichen hat. 6.2.6.3.3.1 Planung und Umsetzung des Häuslichen Unterstützungsdienstes (HUD) Vorgeschichte und Planungsphase des HUD Die Idee zur Entwicklung eines häuslichen Unterstützungsdienstes wurde bereits im Juni 1999, d.h. einen Monat nach Gründung der StadtteilAG, vom Arbeitskreis „Gewalt im Alter“ im Stadtbezirk Ricklingen entwickelt. Zum Zeitpunkt der Konzeptentwicklung des HUD hatte die AG ca. acht Mitglieder, v.a. VertreterInnen von Pflegediensten, des Seniorenbeirats, des Kommunalen Sozialdienstes sowie Ehrenamtliche, die in diesem Stadtteil lebten. Eine von der Arbeitsgruppe erstellte Übersicht der im Stadtteil Ricklingen/Wettbergen vorhandenen Angebote für häusliche Pflege zeigte eine Versorgungslücke im Übergangsbereich von Tagespflegeangeboten und ambulanten Diensten. Daraufhin entschieden sich die AG-TeilnehmerInnen, einen Häuslichen Unterstützungsdienst als Entlastungsangebot für pflegende Angehörige zu entwickeln. Für ein paar Stunden pro Woche sollten freiwillige UnterstützerInnen in den Pflegehaushalten die pflegebedürftigen Menschen betreuen, um damit den Pflegepersonen Freiräume zur eigenen Verfügung zu eröffnen. Es wurde geplant, den Dienst im Sommer 2000 zu beginnen. Bereits im Vorfeld hatten die Projektmitarbeiterinnen und AG-TeilnehmerInnen Gespräche mit verschiedenen Einrichtungen im Bereich der Altenarbeit, z.B. mit der Städtischen Altenhilfe, und mit ambulanten Diensten geführt. Dadurch entstand schon früh ein kooperatives Netzwerk, das später für die Bekanntmachung des HUD bei pflegenden Angehörigen genutzt werden konnte. Mit einer gut besuchten Infoveranstaltung am 1. Juni 2000 wurde der HUD offiziell eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits drei ehrenamtliche Mitarbeiterinnen. Konzept des HUD Ausgangspunkt für das Konzept eines häuslichen Unterstützungsdienstes war die Überlegung, dass pflegende Angehörige im Alltag flexibel 337 Grundlage der Darstellung sind die schriftlichen Aufzeichnungen (Akten, Notizen, Protokolle) der MitarbeiterInnen des Modellprojekts zur Stadtteilarbeit in Ricklingen-Mühlenberg sowie die Interviews, die mit den zuständigen Modellprojektmitarbeiterinnen im Juni 1999 und Dezember 2000 geführt wurden. 449 und unbürokratisch verfügbare Freiräume zur Erholung, für Erledigungen und zur Selbstpflege benötigen. In der Konzeptentwicklung ging es der AG „Gewalt im Alter“ unter anderem darum, ein präventives Angebot zu initiieren: Indem pflegende Angehörige Unterstützung von außen erfahren, so die Überlegung, könne Gewalt in ihren unterschiedlichen Ausprägungen im Vorfeld verhindert werden. Dem Häuslichen Unterstützungsdienst als gewaltpräventivem Ansatz liegt die These zugrunde, dass Gewalt in der häuslichen Pflege ursächlich mit Überlastung von pflegenden Angehörigen zusammenhängt (vgl. zu dieser These Kap. 1.2.1). Der HUD war als Ergänzung zu bestehenden ambulanten Diensten gedacht. Im Rahmen der freiwilligen Arbeit sollten explizit keine pflegerischen und/oder hauswirtschaftlichen Leistungen erbracht werden. Die Einsätze waren auf einen wöchentlichen Termin von maximal drei bis vier Stunden begrenzt. Die freiwilligen MirtarbeiterInnen wurden auf ihren Einsatz vorbereitet und mussten die verbindliche Bereitschaft zu Fortbildungen und Reflexionsgesprächen mitbringen. Der Unterstützungseinsatz der Freiwilligen beinhaltete, anwesend zu sein, sich mit den Pflegebedürftigen zu beschäftigen (z.B. Vorlesen), situativ notwendige praktische Hilfestellungen z.B. beim Aufstehen und Gehen zu geben sowie Ansprechperson für die Pflegenden zu sein. Koordination und Organisation der Unterstützungseinsätze und die Öffentlichkeitsarbeit wurden durch die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen des Modellprojekts erbracht. Zu Beginn der freiwilligen Tätigkeit wurde zwischen den HelferInnen und dem Träger des Unterstützungsdienstes eine vertragliche Vereinbarung über Rechte und Pflichten und den Inhalt der Tätigkeit getroffen. Unabhängig von der Einkommenssituation der NutzerInnen war die Kostenbeteiligung auf 10,- pro Einsatz für die ehrenamtliche Person – mit der zusätzlichen Möglichkeit einer Spende – beschränkt. Die ehrenamtlichen HelferInnen waren verpflichtet, ein polizeiliches Führungszeugnis vorzulegen. Dies sollte die Seriosität des Angebots sicherstellen und gegenüber NutzerInnen dokumentieren. Implementierung des HUD Rekrutierung der ehrenamtlichen MitarbeiterInnen Bereits im Februar und März 2000 hatte die AG „Gewalt im Alter“ in Zeitungen und Flugblättern über den geplanten Unterstützungsdienst informiert und dabei um freiwillige MitarbeiterInnen geworben. Ferner wurde ein Flugblatt für interessierte Freiwillige entworfen und verteilt. So wurden bereits im Vorfeld drei Mitarbeiterinnen gewonnen, die als Teilnehmerinnen der AG an der Konzeptentwicklung des HUD mitwirkten und sich bei der Eröffnungsveranstaltung am 07.06.01. beteiligten. 450 Im Februar 2001 waren beim HUD insgesamt sieben Frauen und ein Mann als freiwillige MitarbeiterInnen aktiv. Informationen über den HUD hatten sie durch dessen Öffentlichkeitsarbeit oder über ein sog. Freiwilligenzentrum erhalten, welches ehrenamtliches Engagement unterstützt und koordiniert. Gewinnung der NutzerInnen Parallel zur Anwerbung von freiwilligen MitarbeiterInnen hatte die AG ein Plakat und eine Klappkarte zur Werbung von NutzerInnen entworfen, die sie bereits seit Mai 2000 in Geschäften und verschiedenen Einrichtungen in Ricklingen verteilte. Auch in der Presse wurde immer wieder über den HUD informiert. Etwa die Hälfte der InteressentInnen erhielten Informationen über den HUD durch ambulante Dienste und andere zielgruppenspezifische Einrichtungen; die ambulanten Dienste verteilten die HUD-Klappkarten in den Haushalten und sprachen Pflegepersonen gezielt an. Zur Kontaktaufnahme konnten InteressentInnen die wöchentlichen Stadtteilsprechstunden nutzen, die von den beiden hauptamtlichen Projektmitarbeiterinnen angeboten wurden. Beim ersten Kontakt wurden mit Hilfe eines Erfassungsbogens zunächst die Pflegesituation und die persönlichen Daten ermittelt. Häufig kam es dabei zu längeren Gesprächen über die Belastungssituation und zu einer Beratung über verschiedene Möglichkeiten und Angebote, bevor eine mögliche Nutzung des HUD abgeklärt wurde. Daraufhin wurde eine/n Ehrenamtliche/n für die Übernahme des Einsatzes angefragt und ein Termin für ein Erstgespräch zwischen Pflegeperson, freiwilliger MitarbeiterIn und einer Hauptamtlichen verabredet. Den weiteren Kontakt sprachen die Ehrenamtlichen und die pflegenden Angehörigen untereinander ab. Schulung und Begleitung der freiwilligen MitarbeiterInnen Im Mai und Juni 2000 fand bereits eine Reihe von MitarbeiterInnenschulungen zu den Themen „Pflegebelastung von Angehörigen“, „einfache Hilfestellungen bei Pflegebedürftigen“, „Umgang mit dementiell Erkrankten“ und „Gewalt im Alter“ statt. Die verschiedenen Fortbildungen wurden von den ModellprojektmitarbeiterInnen selbst, von einem Mobilen Betreuungsdienst und von der Alzheimer-Gesellschaft Hannover durchgeführt. Etwa einmal im Monat fand ein Reflexionstreffen für alle HUD-MitarbeiterInnen statt, in dessen Rahmen sie ihre Erfahrungen austauschten, sich gegenseitig berieten, organisatorische Absprachen trafen und das Konzept des HUD weiterentwickelten. Diese Treffen wurden von mindestens einer hauptamtlichen Mitarbeiterin geleitet. Die frühe Gewinnung der freiwilligen MitarbeiterInnen und ihre Beteiligung 451 an der Konzeption des HUD wirkten sich positiv aus und erzeugten eine starke Verbindlichkeit und Identifizierung mit dem Dienst. Koordination durch hauptamtliche Mitarbeiterinnen Der HUD wurde bis Ende Februar 2001 – d.h. dem Ende der Projektlaufzeit – von den zwei für den Stadtteil Ricklingen-Mühlenberg zuständigen Mitarbeiterinnen des Modellprojekts organisiert und koordiniert. Mittlerweile ist der Kommunale Seniorenservice für den Häuslichen Unterstützungsdienst zuständig, die Koordinierung übernahm eine für den Stadtbezirk zuständige Mitarbeiterin. Die jeweils zuständigen Hauptamtlichen – so sieht das Konzept es vor – sind die zentralen Ansprechpersonen für die NutzerInnen und die Ehrenamtlichen. Sie geben Informationen und Fachwissen an die Ehrenamtlichen weiter und bieten Unterstützung bei Fragen und Konflikten. Während der Laufzeit des Projektes wurde die Sprechstunde in Ricklingen für diese Gespräche genutzt sowie eine weitere telefonische Sprechzeit eingerichtet. Diese Sprechzeiten wurden sowohl von den NutzerInnen des HUD als auch von den Ehrenamtlichen und Interessierten in Anspruch genommen. Die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen des Projekts waren konkret für folgende Tätigkeitsbereiche verantwortlich: • • • • • • • • • • • • Erstgespräche mit potenziellen NutzerInnen und Ehrenamtlichen, Betreuung der Freiwilligen und der NutzerInnen auch nach Beginn eines Einsatzes, Begleitung der Ehrenamtlichen bei ihrem ersten Einsatz, Qualifizierung der Freiwilligen durch Schulungen, Durchführung monatlicher Reflexionstreffen der Freiwilligen, Ansprechbarkeit und Erreichbarkeit für Interessierte durch regelmäßige Sprechstunden, Dokumentation der einzelnen Einsätze und des gesamten Unterstützungsdienstes, Öffentlichkeitsarbeit (Erstellen und Verteilen von Infomaterial, Durchführung von Veranstaltungen) Kooperation mit ÄrztInnen, Kirchengemeinden, ambulanten Diensten, konzeptionelle Weiterentwicklung, Einzelgespräche mit Freiwilligen und Angehörigen zur Konflikt- und Krisenbearbeitung, Evaluation der laufenden Einsätze. 452 Bisherige Inanspruchnahme Tabelle 6.2.6.3/1: Inanspruchnahme des Häuslichen Unterstützungsdienstes im Stadtbezirk RicklingenMühlenberg Anfragen an den HUD insgesamt (Zeitraum vom April 2000-Februar 2001) Davon: abgelehnt, weil keine HUD-Fälle (z.B. Haushaltshilfe) Interessensbekundung, aber 2/2001 noch keine Vereinbarung über Erstgespräch Erstgespräche mit Ehrenamtlichen, Hauptamtlichen und pflegenden Angehörigen vereinbart und durchgeführt, davon: keine weiteren Einsätze, wegen Heimunterbringung (2) oder wegen unklarer Situation aufgrund von Krankheit (1) N 24 Weitere Einsätze vereinbart und durchgeführt, davon: abgeschlossene Einsätze wegen Tod (3) oder Heimunterbringung (2) Laufende Einsätze (Februar 2001) 13 5 8 3 5 16 3 Zwei der acht zum Zeitpunkt der Befragung bestehenden Einsätze waren bereits seit einem halben bzw. dreiviertel Jahr eingerichtet. Die anderen Einsätze wurden erst Anfang des Jahres 2001 vereinbart und ihre Weiterführung war zum Teil noch ungeklärt. Auch gab es einige NutzerInnen, die den HUD nur sporadisch, z.B. für dringende Einzelfälle, anfragten. Zum Zeitpunkt der Auswertung hatte der HUD mit insgesamt acht MitarbeiterInnen mehr Ehrenamtliche als regelmäßige NutzerInnen. Einige Einsätze kamen nach dem Erstgespräch aufgrund von Heimunterbringung der pflegebedürftigen Person oder aber aufgrund von Krankheit nicht zustande. Fünf Einsätze waren nach unterschiedlicher Dauer bereits abgeschlossen, da die pflegebedürftige Person entweder verstorben oder in einem Heim untergebracht worden war. 6.2.6.3.3.2 Evaluation des Häuslichen Unterstützungsdienstes (HUD): Der HUD aus Sicht von Nutzerinnen und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen Ziele, Methoden und Durchführung der Untersuchung Die Evaluation des HUD hat die Untersuchung der bisherigen Erfahrungen mit dem HUD aus der subjektiven Perspektive der Ehrenamtlichen und der NutzerInnen zum Gegenstand. Durch diese beiden Perspektiven können sowohl das Angebot und die „Effekte“ des Angebots, als auch die innere Struktur und Organisation dieses Dienstes berücksichtigt werden. Zunächst geht es um die Auswertung eines in sich ge453 schlossenen Projektangebots vor dem Hintergrund seiner Zielsetzungen. Da der HUD unter einer anderen Trägerschaft weitergeführt wird, soll diese Untersuchung jedoch auch der Weiterentwicklung dieses Dienstes dienen. Darüber hinaus werden Aspekte der möglichen Übertragbarkeit eines solchen Angebots herausgearbeitet. Die Evaluation des HUD wurde in den Monaten Februar und März 2001 durchgeführt. Sie basiert auf qualitativen leitfadengestützten Interviews mit Nutzerinnen und freiwilligen Mitarbeiterinnen des HUD. Als Untersuchungsmethode wurde eine Mischform aus narrativem Interview nach SCHÜTZE (1977) und einem Leitfadeninterview in Anlehnung an WITZELS Konzept des „problemzentrierten Interviews“ gewählt (WITZEL, 1982). Diese eher als offen zu bezeichnende Interviewform wurde mit einem standardisiertem Fragebogen zur Erfassung soziodemographischer Merkmale kombiniert (DIECKMANN, 1996; GÖRGEN, KREUZER, NÄGELE & KRAUSE, 1999a, S. 131f.). Die Interviews wurden aufgezeichnet. Die Auswertung der Interviews erfolgt als „strukturierende Inhaltsanalyse“ 338 (MAYRING, 1995, S. 212) . Als für die Untersuchung potenziell befragbare NutzerInnen wurden alle Personen gesehen, die bereits vor Februar 2001 Einsätze nachgefragt 339 und mehr als einen HUD-typischen Einsatz abgerufen hatten. So verblieben sieben potenzielle InterviewpartnerInnen. Bei zwei NutzerInnen war die gepflegte Person kurz vor der Befragung verstorben – von einer Interviewanfrage wurde hier abgesehen –, eine Nutzerin wollte nicht an einem Gespräch teilnehmen, eine andere war lediglich zu einer kurzen telefonischen Befragung bereit. Im Zentrum der Auswertung und Analyse der Interviews stehen somit drei persönliche Leitfadeninterviews mit Nutzerinnen. Die kurze telefonische Befragung wird nur punktuell herangezogen. Grundsätzlich gilt es für die zukünftige Planung derartiger Befragungen zu berücksichtigen, dass auch für die Zeit der Befragung VertreterInnen für die häusliche Pflege zur Verfügung stehen müssen. Mit sechs der acht Ehrenamtlichen wurden Interviews geführt; mit den beiden anderen wurden keine Interviews vereinbart, da ihre Einsätze nicht HUD-typisch waren. Der Kontakt zu Ehrenamtlichen wie Nutzerinnen wurde über die Projektmitarbeiterinnen vermittelt. Die angestrebte 338 Dazu werden zunächst die Interviewinterhalte in der durch den Leitfaden gegebenen Strukturierung erfasst, um sie dann in einer Querschnittsanalyse auszuwerten. Wörtliche Transkriptionen der Interviews werden nur in vereinzelten Passagen vorgenommen und in der Analyse als Zitate eingearbeitet. 339 Von zwei NutzerInnen wurden lediglich Besuchsdienste abgefragt. 454 komplementäre Befragung von Ehrenamtlichen und NutzerInnen konnte nur in drei Fällen erreicht werden. Ergebnisse Befragung der Nutzerinnen Pflegesituation Die Interviewten berichteten, dass die Pflegesituation durch die dementielle Erkrankung der Pflegebedürftigen und einen dadurch bedingten ständigen Betreuungsbedarf gekennzeichnet sei. In Ausnahmefällen sei eine Abwesenheit von bis zu zwei Stunden möglich. Die Pflegesituation einer Befragten war nicht typisch für die Nutzerstruktur des HUD, da die zu betreuende Person noch in einem eigenen Haushalt lebte. Ein Großteil der körperlichen Pflege wurde in diesem Fall von Pflegediensten übernommen. Eine der befragten pflegenden Angehörigen äußerte, aufgrund der ungünstigen Zeiten der ambulanten Dienste ihre Mutter trotz eines eigenen Rückenleidens solange selber pflegen zu wollen, wie sie körperlich dazu in der Lage sei. In allen Fällen wurde die Pflegeund Betreuungsbelastung vor allem als psychische Belastung beschrieben, die durch die andauernde Verpflichtung und alleinige Zuständigkeit für die pflegebedürftige Person entstehe. Ihre Pflegesituation beschrieben die Angehörigen als „24-Stunden –Dienst“ und als „gar nicht mal körperlich anstrengend, sondern nervlich [anstrengend]“. Neben der Belastung aufgrund der dauerhaften physischen oder psychischen „Anwesenheit“, also der Unmöglichkeit sich der Situation und ihren Anforderungen zu entziehen, empfand eine Angehörige auch das Zusammensein mit der pflegebedürftigen Person manchmal als starke psychische Belastung. Das Verhältnis der pflegenden Angehörigen zu den Pflegebedürftigen wurde in allen Fällen als sehr positiv und von Herzlichkeit und Intensität geprägt beschrieben. Für alle schien die Qualität der Beziehung eine entscheidende Motivation zur Übernahme der Pflege und der Betreuung gewesen zu sein. Die Entscheidung zur häuslichen Pflegeübernahme sei in zwei Fällen nach einem längeren Krankenhausaufenthalt der pflegebedürftigen Person getroffen worden. Aufgrund der vorausgesagten nur noch kurzen Lebensdauer der Pflegebedürftigen sei die Entscheidung von dem Wunsch geprägt gewesen, ihm/ihr die verbleibende Lebenszeit „so schön wie möglich“ zu machen. In den vorliegenden Fällen verfügten die pflegenden Angehörigen nach eigenen Angaben – abgesehen von einer Schwiegertochter, die ihre al- 455 lein lebende Schwiegermutter betreute und dabei von ihrem Mann, ihren Söhnen und NachbarInnen der Schwiegermutter unterstützt wurde – über kein Netzwerk, welches sich für die Versorgung der pflegebedürftigen Person mitverantwortlich fühlte. Die Angehörigen erzählten allerdings von eigenen sozialen Beziehungen außerhalb und unabhängig von der Pflegebeziehung. Außer privaten Netzwerken wurden von zwei pflegenden Angehörigen auch organisierte Gruppenangebote für Angehörige von dementiell Erkrankten genutzt. Geschichte der Inanspruchnahme: Kontaktaufnahme und Motive Auf den unterschiedlichsten Wegen hätten die pflegenden/betreuenden 340 Angehörigen vom HUD erfahren . Die Ausschöpfung verschiedener Medien hat sich für die Bekanntmachung des HUD als sehr sinnvoll erwiesen, wobei sich vor allem die Kooperation mit zielgruppenrelevanten Einrichtungen, z.B. Ärztinnen und Pflegediensten, bewährt hat. Das Motiv „einmal rauszukommen“ sei für zwei Nutzerinnen Anlass zur Kontaktaufnahme gewesen. In einem Fall habe das Motiv zur Inanspruchnahme des HUD darin bestanden, der Pflegebedürftigen das Leben in der eigenen Wohnung so lange wie möglich zu erhalten. Bisherige Inanspruchnahme: Art und Umfang des Einsatzes Die befragten Personen nahmen den HUD seit drei bis zehn Monaten in Anspruch. Zwei Einsätze, die drei bzw. neun Monate dauerten, waren zum Befragungszeitpunkt beendet. Grund für die Beendigung der beiden Einsätze war in beiden Fällen der sich verschlechternde Gesundheitszustand der dementiell Erkrankten. Nur zum Teil bestellten die pflegenden Angehörigen die Entlastungsangebote für konkrete Termine (wie z.B. Arztbesuche). Die Hälfte der Einsätze habe regelmäßig an bestimmten Wochentagen und zu bestimmten Uhrzeiten stattgefunden, wobei die Ehrenamtlichen die Betreuungsbedürftigen sowohl zu Hause betreut als auch zum Spazieren gehen begleitet hätten. In den anderen beiden Fällen hätten die NutzerInnen nach einer Betreuung zu Hause gefragt, damit sie bestimmte Termine wahrnehmen konnten. Alle Nutzerinnen sprachen nach dem Einsatz telefonisch oder persönlich mit der Ehrenamtlichen, um zu hören, „wie es gelaufen ist“ oder um Anderes mit ihnen zu bereden. Alle Befragten gaben an, dass die Pflegebedürftigen positiv auf „ihren Besuch“ reagiert hätten und dass die freiwillige Mitarbeiterin „gut zurechtkommt“ mit der pflegebedürftigen Person. Die 340 Jeweils eine Nutzerin erfuhr über die Zeitung, einen Pflegedienst, eine Ärztin und eine Bekannte von den Möglichkeiten des HUD. 456 beiden unregelmäßigen Nutzerinnen gaben an, dass für sie eine regelmäßige Inanspruchnahme des HUD zunächst nicht in Frage komme. Erfahrungen mit dem HUD-Einsatz Die Angehörigen hatten die HUD-Einsätze recht unterschiedlich für sich genutzt. Die Hälfte der Interviewten gab an, dass sie den HUD nur unregelmäßig für bestimmte Termine in Anspruch nähmen, die ihnen schon im vorhinein bekannt seien. Eine Nutzerin fragte dabei nur sporadisch Dienste nach, wenn sie längere Termine, vor allem bei ÄrztInnen, wahrnehmen musste. In einem Fall war es unter anderem durch den wöchentlichen HUD-Einsatz möglich, die Betreuungsbedürftige weiterhin in ihrer Wohnung leben zu lassen. Alle Befragten äußerten sich sehr positiv über die HUD-Mitarbeiterinnen und ihre Einsätze und gingen von sich aus auf den Aspekt der Entlastung ein. Sie erzählten, dass sie sich entlastet fühlten, wenn sie wüssten, dass die pflegebedürftige Person „gut aufgehoben“ bzw. „eine verantwortungsvolle Person“ bei ihr sei. Sie könnten seitdem „ohne Bedenken weggehen“ und hätten daher dabei „ein besseres Gefühl“. Die beschriebene Entlastung für die Angehörigen habe teilweise auch konkrete Veränderungen mit sich gebracht: Am Tag eines Einsatzes hätten die Angehörige und ihr Mann nicht wie an den übrigen Wochentagen ein zweites Mal zu ihrer Schwiegermutter fahren müssen. Sie hätten an diesem Tag dann „immer aufgeatmet“, was für sie „das große Plus dieser Einrichtung“ gewesen sei. Im anderen Fall habe die pflegende Tochter wieder Vereinsaktivitäten und soziale Kontakte wahrnehmen können, die sonst nicht mehr möglich gewesen seien. Eine andere Angehörige betonte den Aspekt der Hilfe, die sie von der Mitarbeiterin bekomme. Die HUD-Einsätze eröffneten also konkrete Zeiträume, die den Angehörigen für andere Aktivitäten und soziale Kontakte zur freien Verfügung stehen. Diese Freiräume und Freizeiten hatten vor allem in Bezug auf die Pflegesituation selbst den entlastenden Effekt, „dieses anstrengende unterschwellige Mitrechnen“ mal für ein paar Stunden unterbrechen und die Belastungssituation so dauerhaft ertragen zu können. Neben den konkreten Freiräumen und ihren Entlastungswirkungen waren die Freiwilligen für fast alle Nutzerinnen auch als Gesprächspartnerinnen und Teil des sozialen Netzes eine Unterstützung zur Bewältigung und 341 Gestaltung der Belastungssituation . Die Angehörigen sprachen mit den Ehrenamtlichen über die pflegebedürftige Person und darüber, wie 341 Dass dies vermutlich auch bei den anderen, teilweise nicht interviewten Nutzerinnen des HUD der Fall war, wurde in den Erzählungen der Ehrenamtlichen deutlich, die von Einsätzen bei diesen NutzerInnen berichteten. Alle HUD-Mitarbeiterinnen wussten viel über die Familienverhältnisse und die Pflegesituationen zu sagen. 457 die Pflegesituation konkret gestaltet werden könnte und welche Hilfsmöglichkeiten ihnen dabei zur Verfügung stünden. Die freiwilligen Mitarbeiterinnen machten zuweilen auch auf andere Unterstützungsmöglichkeiten aufmerksam und gaben Sachinformationen über Einrichtungen und Dienste weiter. Zufriedenheit mit dem HUD und Gesamteinschätzung Alle Interviewten äußerten sich insgesamt sehr positiv über die Einrichtung des HUD. Pflegende Angehörige bräuchten so etwas „dringend, um einmal Luft zu holen“, gerade wenn sie sonst niemanden hätten. Zwei pflegende Angehörige hoben hervor, dass das Gefühl zur freiwilligen Unterstützerin stimmen müsse und dass es wichtig sei, es mit einer „vertrauenswürdigen Person“ zu tun zu haben, die man „alleine in der Wohnung lassen“ könne. Eine Nutzerin erwähnte in diesem Zusammenhang auch, dass sie beruhigt gewesen sei, dass das Angebot von der Stadt getragen wird und es sich daher um „ordentliche Leute“ handeln müsse. Befragung der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen Geschichte des HUD-Engagements: Kontaktaufnahme und Motive Drei der sechs interviewten freiwilligen Mitarbeiterinnen des HUD hatten über die Printmedien von dem Angebot erfahren, eine über persönliche Kontakte, und zwei Mitarbeiterinnen gaben an, zuvor über das Freiwilligenzentrum gezielt nach einer ehrenamtlichen Tätigkeit gesucht zu haben. Die Hälfte der Interviewten war im Ruhestand, die andere Hälfte berufstätig; drei Ehrenamtliche berichteten, Berufserfahrungen im Bereich sozialer Dienste zu haben. Es wurden unterschiedliche Motive zur Aufnahme eines ehrenamtlichen Engagements allgemein und zum Engagement beim HUD im Speziellen genannt. Einige berichteten, sie seien eher zufällig auf das Angebot gestoßen und hätten dann das Konzept und die Thematik des HUD besonderes ansprechend gefunden. Für die Hälfte der Interviewten war der thematische Bezug des HUD besonders vor ihrem biographischen und persönlichen Hintergrund interessant und motivierend. Neben dem Thema seien auch Konzept und Organisation des Unterstützungsdienstes ausschlaggebend für ein Engagement beim HUD gewesen. Besonders reizvoll hätten die Ehrenamtlichen den „Modellprojektcharakter“ des HUD gefunden, welcher die Möglichkeit geboten habe, sich an der Konzeption und Organisation des HUD aktiv zu beteiligen. 458 Bisherige HUD-Einsätze: Art und Umfang der Einsätze und Erfahrungen Alle ehrenamtlichen HUD-Mitarbeiterinnen waren zum Zeitpunkt der Befragung seit mindestens fünf Monaten beim HUD engagiert, eine Mitarbeiterin war bereits seit April 2000 in einem Pflegehaushalt unterstützend tätig. Drei der Interviewten konnten zum Zeitpunkt der Befragung auf Einsätze, die ein halbes Jahr und länger in einem Haushalt liefen, zurückblicken. Insgesamt vier Unterstützungseinsätze fanden regelmäßig statt, meistens wöchentlich. Die anderen Einsätze wurden nur sporadisch, nach dem aktuellen terminlichen Bedarf in Anspruch genommen. Die Hälfte der Ehrenamtlichen waren schon in mehreren Pflegehaushalten hintereinander oder aber parallel aktiv, da einige Einsätze bereits nach kurzer Zeit wegen Tod oder Heimunterbringung beendet wurden. Fast alle Freiwilligen hätten Einsätze gehabt, in denen sie sich in Abwesenheit der Pflegeperson mit den pflegebedürftigen Menschen beschäftigt hätten. Drei Ehrenamtliche erzählten von Einsätzen, in denen sie sich mit der Pflegeperson selber befasst und mit ihrer Anwesenheit eine Abwechslung und möglicherweise auch Entlastung in der Pflegesituation bedeutet hätten. In nahezu allen Einsätzen hätten die freiwilligen Mitarbeiterinnen ein Vertrauensverhältnis und herzlichen Kontakt zu den von ihnen betreuten Menschen aufgebaut und teilweise auch direkte positive Rückmeldung bekommen. Nicht immer allerdings habe sich der Kontakt positiv entwickelt. Zwei Ehrenamtliche erzählten von belastenden und schwierigen Einsätzen in Pflegekonstellationen, die sie als „bedrückend“ wahrgenommen hätten. Eine HUD-Mitarbeiterin gab ab, sie habe es bei ihren Besuchen sehr „anstrengend“ empfunden, sich mit der Pflegenden zu unterhalten und die konflikthafte Pflege- und Beziehungssituation mit anzusehen. Sie sehe die Gefahr, bei sehr kontaktbedürftigen Personen in eine „Mitleidsfalle“ zu geraten und Ersatz für etwas zu sein, was in deren Leben ansonsten nicht vorhanden sei. Sie frage sich deshalb, inwieweit an dieser Stelle nicht die Grenzen eines HUD-Einsatzes erreicht seien, da sie an der schwierigen Beziehungssituation und der Vereinsamung der Frau nichts ändern könne. Einige Ehrenamtliche berichteten von Unsicherheiten im Umgang mit der Situation, dies vor allem zu Beginn eines Einsatzes. So erlebten drei Unterstützerinnen die eventuell eintretende „Notwendigkeit, körperlich etwas an den Leuten zu tun,“ als Verunsicherung, aber auch als persönliche Herausforderung. Insgesamt zeigten sich die freiwilligen Mitarbeiterinnen sehr sensibel und reflektiert im Umgang mit „Grenzen“. Die freiwilligen Mitarbeiterin- 459 nen hatten eine genaue Vorstellung davon, was und wie viel sie ehrenamtlich leisten wollen und können. Sie schienen in der Lage zu sein, sich gegen überzogene Ansprüche und Anforderungen von außen abzugrenzen. Anderseits setzten die Ehrenamtlichen auch ihren eigenen Ansprüchen und Veränderungswünschen Grenzen. Ebenso waren sie sich darüber bewusst, dass sie nicht jeden Einsatz übernehmen können und wollen, sondern dies von ihren Fähigkeiten und Erfahrungen abhängig machten. Einschätzung der Effekte für die NutzerInnen und deren Zufriedenheit Die freiwilligen Mitarbeiterinnen begriffen ihre Einsätze sowohl als Entlastung für die pflegenden Angehörigen als auch als Bereicherung für die pflegebedürftige Person. Soweit der gesundheitliche Zustand der pflegebedürftigen Person es zuließ, maßen alle Interviewten beiden Aspekten gleiches Gewicht bei. Die ehrenamtlichen Unterstützerinnen vermuteten die Entlastungswirkungen ihrer Einsätze für die pflegenden Angehörigen einmal auf der konkreten Ebene der Eröffnung zeitlicher Freiräume, zum anderen auf der psychischen Ebene der geleisteten Anteilnahme an der Pflege- und Belastungssituation. Eine Freiwillige, die in einem Haushalt mit potentiell gewalttätiger Pflegebeziehung aktiv war, hob hervor, dass der HUD zwar entlasten könne, aber nur „da, wo Leute das wünschen und selber sehen, dass sie eine Entlastung brauchen“. Obwohl der HUD im Bereich der Gewaltprävention angesiedelt sei, könne er ihres Erachtens nichts an einer bestehenden Misshandlungssituation ändern. Diesen Anspruch zu haben, wäre für sie „zuviel verlangt“. Auch als Ansprechpartnerin und Vertraute wurden die freiwilligen Mitarbeiterinnen von den HUD-Nutzerinnen in Anspruch genommen. Es ist in den Interviews deutlich geworden, dass sich die Freiwilligen fast alle sehr gut mit der Pflegesituation, dem Krankheitsbild und dem familiären/sozialen Netzwerk der Pflegepersonen und der Pflegebedürftigen auskannten und daran Anteil nahmen. Die Ehrenamtlichen sprachen mit den Pflegenden über Pflegedienste, über Konflikte in der Familie und im Freundeskreis, aber auch über ihre Pflegesituation. Ebenso sahen sich einige Freiwillige in der Auseinandersetzung um eine mögliche Heimunterbringung als Ansprechpersonen, welche die Pflegenden zuweilen auch auf die Grenzen ihrer Kräfte und ihrer Belastungsfähigkeit aufmerksam gemacht hatten. Wie hoch die freiwilligen Mitarbeiterinnen die Zufriedenheit der pflegenden Angehörigen mit dem HUD einschätzten, hing entschieden von der Rückmeldung ab, die sie für ihre Unterstützung bekamen. 460 Professionelle Begleitung und eigene Zufriedenheit mit der HUDTätigkeit Die professionelle Begleitung und Vorbereitung der freiwilligen HUDMitarbeiterinnen war für alle interviewten Ehrenamtlichen ein zentraler Aspekt und Motivationspunkt ihrer HUD-Tätigkeit. Für vier Interviewte war es besonders wichtig, in den beiden hauptamtlichen HUD-Organisatorinnen konstante Ansprechpersonen zu haben, die „für jedes Anliegen offen“ seien und gegebenenfalls Unterstützung geboten hätten. In fast allen Einsätzen begleiteten die Hauptamtlichen die freiwilligen Mitarbeiterinnen beim ersten Besuch in den Privathaushalten, um zunächst die Pflegesituation kennen zu lernen und dann mit den Nutzerinnen verbindliche Vereinbarungen über den Einsatz zu treffen. Vier Ehrenamtliche erwähnten die Schulungen und Fortbildungen als wichtige Hilfe ihrer Arbeit. Aber auch in Bezug auf das eigene Leben sei die Auseinandersetzung mit dem Thema Altern bereichernd. Alle Ehrenamtlichen unterstrichen besonders die Notwendigkeit des Erfahrungsaustauschs in den regelmäßigen Reflexionstreffen mit den Hauptamtlichen und den anderen Ehrenamtlichen. Bedeutsames Thema sowohl der Reflexionstreffen als auch der Schulungen und der Einzelberatungen durch die Hauptamtlichen sei der Umgang mit den Grenzen der HUD-Tätigkeit. Insgesamt vier der freiwilligen Mitarbeiterinnen wiesen darauf hin, dass die Begleitung wichtig sei, um zu lernen, „was überhaupt leistbar ist“ und um eigene Grenzen setzen zu können und nicht „zuviel machen zu wollen“. Diese Problematik werde nach Aussagen der Interviewten nicht nur abstrakt behandelt, sondern anhand der konkreten Fälle der freiwilligen MitarbeiterInnen durchgesprochen. Auch sei die vertragliche Vereinbarung zwischen HUD und ehrenamtlichen MitarbeiterInnen, in der die Rechte und Pflichten und die Tätigkeit der Ehrenamtlichen genau festgelegt sind, intensiv mit allen Ehrenamtlichen besprochen worden. Die von allen ehrenamtlichen Unterstützerinnen geäußerte Zufriedenheit mit ihrer HUD-Tätigkeit wurde in direktem Zusammenhang mit der professionellen Organisation des HUD gesehen. Darüber hinaus nannten vier freiwillige Mitarbeiterinnen „Spaß“ an dem Kontakt mit Pflegenden und Pflegebedürftigen als Grund für ihre Zufriedenheit. Vier Ehrenamtliche erwähnten in diesem Zusammenhang auch die Freude darüber, Pflegepersonen und Pflegebedürftige mit den Einsätzen unterstützen zu können. Weiterführung des HUD und Kriterien für Freiwilligenengagement Die Ehrenamtlichen bewerteten die Auswirkungen des Trägerwechsels unterschiedlich, hofften aber alle, dass er sich nicht negativ auf die professionelle Gestaltung und Organisation des HUD niederschlage. An- 461 gesichts der starken Verknüpfung der professionellen Organisationsform des HUD und der Zufriedenheit mit der eigenen freiwilligen Arbeit ist nachvollziehbar, dass die Hälfte der freiwilligen Mitarbeiterinnen explizit darauf hinwies, dass ihre Tätigkeit beim HUD von „einer guten fachlichen Begleitung“ abhänge. Der Wunsch nach fachlicher Begleitung wird auch deutlich vor dem Hintergrund allgemeiner Einschätzungen der Ehrenamtlichen bezüglich Freiwilligenengagement und dessen Voraussetzungen: Es müsse sich um eine zeitlich und inhaltlich „ganz klar umrissene Aufgabe“ handeln, die von Ehrenamtlichen auch leistbar sei. In diesem Zusammenhang sprachen vier Freiwillige auch die Schnittstelle von freiwilliger und professioneller Arbeit an. Sie plädierten für eine „klare Abgrenzung zwischen Profis und Freiwilligen“ und wiesen darauf hin, dass eine Konkurrenz zwischen freiwilliger Arbeit und professioneller Arbeit besonders angesichts aktuellen Personalabbaus die Gefahr beinhalte, dass freiwillige Arbeit professionelle Arbeit und damit „Arbeitsplätze“ verdränge. Folgerungen und abschließende Bemerkungen zu den Ergebnissen der Befragung Der HUD wurde von den Nutzerinnen und den freiwilligen Mitarbeiterinnen gleichermaßen sehr positiv beurteilt. Es sei durch die häuslichen Unterstützungseinsätze der Ehrenamtlichen gelungen, pflegende Angehörige zu entlasten und zu unterstützen. Dies sei auf zweierlei Weise erreicht worden: Zum einen wurden den pflegenden Angehörigen durch die häuslichen Betreuungseinsätze der HUD-Mitarbeiterinnnen konkrete Freiräume zur eigenen Verfügung angeboten, die sie unterschiedlich genutzt haben; darüber hinaus seien die Ehrenamtlichen auch als Gesprächspartnerinnen und Ratgeberinnen eine Unterstützung zur Bewältigung und Gestaltung der Pflege- und Belastungssituation gewesen. Die freiwilligen Mitarbeiterinnen seien unter diesen Aspekten Teil des sozialen Netzwerks der pflegenden Angehörigen geworden. Wichtig dabei sei das Vertrauen zur freiwilligen Mitarbeiterin, das neben dem persönlichen Eindruck auch durch die institutionelle Trägerschaft entstanden sei. Motivation und Zufriedenheit der Ehrenamtlichen hätten außer von der „persönlichen Bereicherung“ durch die Tätigkeit ganz wesentlich von der Organisation des HUD abgehangen. Zum einen hätten die Ehrenamtlichen aktiv an der Gestaltung und Entwicklung des HUD mitwirken können, zum anderen hätten sie bei ihrer Arbeit professionelle Begleitung durch die beiden hauptamtlichen HUD-Organisatorinnen erfahren. Schulungen, Reflexionstreffen und die Möglichkeit, jedes Anliegen mit den Professionellen besprechen zu können, seien für die Freiwilligen 462 vor allem unter dem Aspekt der Wahrnehmung von Grenzen der ehrenamtlichen Tätigkeit von Bedeutung gewesen. Durch die verbindliche Regelung von Art und Umfang der Einsätze und die systematische Verankerung von Reflexion über die individuellen Erfahrungen und Grenzen der HUD-Aktivität als Bestandteil der Tätigkeit würden – so schätzen es die freiwilligen Mitarbeiterinnen ein – sie vor Überforderung geschützt und zugleich die Trennungslinien zur professionellen Arbeit eingehalten. Bei der Einrichtung ähnlicher Dienste sollte die Erfahrung der freiwilligen MitarbeiterInnen, mit ihren Einsätzen Teil des sozialen Netzwerks der Angehörigen zu werden – was sowohl die Möglichkeit neuer persönlicher Kontakte als auch die Gefahr „unangemessener Erwartungshaltungen“ beinhaltet – bei der Vorbereitung der Ehrenamtlichen berücksichtigt werden. Die daher notwendige Verbindlichkeit in der Festlegung des Tätigkeitsfeldes ist sinnvollerweise von professionellen Kräften zu gewährleisten. Hinsichtlich der Öffentlichkeitsarbeit des HUD erwies sich die Ausschöpfung der verschiedenen „Medien“ für die Bekanntmachung des HUD als besonders sinnvoll, wobei sich vor allem die Kooperation mit zielgruppenrelevanten Einrichtungen, z.B. ÄrztInnen und Pflegediensten bewährte. In diesem Zusammenhang ist auch die Stadtteilorientierung des HUD positiv hervorzuheben. Aufgrund kurzer Wege können die freiwilligen MitarbeiterInnen und die pflegenden Angehörigen leichter miteinander in Kontakt kommen. Auch die Öffentlichkeitsarbeit durch die Kooperationen mit Einrichtungen und ÄrztInnen ist bei einer dezentralen Organisation wegen der Übersichtlichkeit und durch bereits bestehende Kontakte leichter durchzuführen und erzeugt wegen der Anbindung an vertraute Strukturen einen persönlichen und verbindlichen Kontakt aller Beteiligten. Es ist deutlich geworden, dass Entlastung und Unterstützung durch den HUD ab einem gewissen „Krankheitsstadium“ und in Pflegehaushalten mit extrem schwierigen Beziehungssystemen nicht mehr sinnvoll möglich sind. Für die Einrichtung ähnlicher Unterstützungsdienste kann als Fazit festgehalten werden, dass gerade aufgrund der dementiellen Erkrankungen vieler Pflegebedürftiger auf die frühzeitige Inanspruchnahme einer Unterstützung von außen hingewirkt werden sollte, um ein gegenseitiges Kennenlernen und Vertrauensverhältnis zwischen Ehrenamtlichen und Betreuungsbedürftigen zu ermöglichen. In vielen Fällen wird die Entscheidung über eine mögliche Übernahme der Pflege durch ein Krankheitsereignis, z.B. einen längeren Krankenhausaufenthalt der pflegebedürftigen Person, herausgefordert. Die Kooperation mit 463 Krankenhäusern sollte daher verstärkt in der Öffentlichkeitsarbeit miteinbezogen werden. Das Thema Gewaltprävention wurde, wenn zum Teil auch nur indirekt, von einer Angehörigen und einer Ehrenamtlichen aufgegriffen. Ihre Aussagen dazu verdeutlichen, dass der HUD allenfalls dann gewaltpräventiv wirken kann, wenn die pflegenden Angehörigen zum einen in der Lage sind, ihre Belastungssituation zu reflektieren und zum anderen über Ausdrucks- und Lebensgestaltungsmöglichkeiten verfügen, um ein Entlastungsangebot überhaupt wahrnehmen und füllen zu können. Dies sind Hinweise darauf, dass gerade die Konstellationen, in denen ein erhöhtes Risiko manifester Gewalt besteht, gleichzeitig eine sinnvolle Inanspruchnahme und Nutzung gewaltpräventiver Unterstützungsmöglichkeiten verhindern. Umgekehrt können gerade diejenigen Personen, die prinzipiell über Ressourcen und soziale Kompetenzen verfügen, ihr Leben aktiv zu gestalten, das Entlastungsangebot bewusst für sich nutzen, um z.B. Kontakte zu pflegen oder etwas „für sich“ zu machen. Der allgemeine Nutzen und Entlastungseffekt im Sinne einer Unterstützung der Angehörigen in z.T. schwer belastender langjähriger häuslicher Pflege steht außer Zweifel. Dieser Nutzen und die gewaltpräventive Wirkung eines solchen Angebots sollten jedoch nicht gleichgesetzt werden. Während der HUD als sinnvolles und empfehlenswertes Modell der Unterstützung pflegender Angehöriger gelten kann, spricht doch wenig für eine spezifisch gewaltpräventive Wirkung. Der HUD ist vor dem Hintergrund aktueller Debatten (NOTZ, 1998) um die Förderung von Freiwilligenarbeit insofern ein gelungenes Beispiel für die Umsetzung der oft geforderten Veränderungen in der Organisation freiwilliger Arbeit, als hier die Ehrenamtlichen aktiv mitgestalten können und es ihnen ermöglicht wird, sich fachliche Kompetenzen anzueignen. Der HUD und seine MitarbeiterInnen begehen dabei nicht den sozialpolitischen Irrtum mancher Förderer des Ehrenamts, Versorgungslücken im Bereich professioneller sozialer Dienstleistungen mit freiwilligem Engagement kompensieren zu wollen. Dies ist vor allem der professionellen Organisation des HUD, der fachlichen Begleitung der Ehrenamtlichen sowie der intensiven Reflexion der eigenen HUDTätigkeit zu verdanken. Die Idee der Entlastung pflegender Angehöriger durch ehrenamtliche UnterstützerInnen wird in vielen deutschen Kommunen umgesetzt – und dies zum Teil schon sehr lange. In den letzten Jahren ist eine deutliche Zunahme derartiger Angebote zu verzeichnen. Zum Teil handelt es sich nur um Entlastungsangebote, zum Teil werden diese mit ande464 ren Angeboten kombiniert, z.B. einem zeitgleich stattfindenden Gesprächskreis für pflegende Angehörige, einem Notruftelefon für pflegende Angehörige, einem Angehörigencafé, Vortragsreihen oder Tagesangeboten für Pflegebedürftige. Einige der Angebote, die Namen wie „Lichtblick“, „Freiräume“ oder „Pflegepartnerschaft“ tragen, sind gezielt für die Angehörigen von AlzheimerpatientInnen konzipiert. Die Angebote werden von freien Trägern, Wohlfahrtsverbänden, Kirchengemeinden oder auch städtischen Behörden getragen. Ein ähnlich konzipiertes Programm wird auch im Rahmen des Bundesmodellprojektes „Altenhilfestrukturen der Zukunft“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert („TAGESMÜTTER FÜR 342 DEMENZKRANKE“, 2000). 6.2.6.4 Die Stadtteilarbeit aus Sicht der TeilnehmerInnen der Arbeitsgemeinschaften „Gewalt im Alter“ 6.2.6.4.1 Überblick Im Mittelpunkt der dezentralen Aktivitäten des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ standen die in den drei ausgewählten Stadtteilen gegründeten Arbeitsgruppen „Gewalt im Alter“ und die von ihnen entwickelten Produkte (s. Kapitel 6.2.6.3). 6.2.6.4.2 Ziele, Methode, Durchführung und Auswertung der Untersuchung Gegen Ende der Projektlaufzeit wurde eine teilstandardisierte schriftliche Befragung aller Mitglieder der Arbeitsgemeinschaften durchgeführt. Diese Befragung hatte das Ziel, Einschätzungen der Effekte und Effektivität der Arbeitsgruppen aus der Perspektive der aktiven AG-Mitglieder zu erheben. Im Fragebogen wurden u.a. Motive der Teilnahme, eigene Präventions- und Interventionstätigkeiten im Bereich „Gewalt im Alter“, Auswirkungen der AG-Teilnahme auf die eigene Arbeit und Effekte der AG-Arbeit im Stadtteil, Fortführungswünsche und Möglichkeiten der Übertragbarkeit des Projektmoduls Stadtteilarbeitsgruppen „Gewalt im Alter“ in andere Städte erfragt. 342 Hinweise auf diesbezügliche Projekte finden sich u.a. in AKTION PFLEGEPARTNER ENTLASTET PFLEGENDE ANGEHÖRIGE (1999), WIE MAN VERWIRRTEN MENSCHEN HILFT (2000),; RIEKE (2000), CARITAS BIETET HILFE FÜR FAMILIEN MIT DEMENZKRANKEN (2000), HILFE FÜR HELFER (2000), DIE FAMILIE IST DER GRÖßTE PFLEGEDIENST (2000), FÜR EIN PAAR STUNDEN URLAUB (2000), STADT LOHR UNTERSTÜTZT DIE GEPLANTE „AKTION PFLEGEPARTNER“ (2000), „TAGESMÜTTER“ FÜR DEMENZKRANKE (2000), RUND UM DIE UHR GEFANGEN IN DER PFLEGE (2001), ANGEHÖRIGE VON ALZHEIMER-KRANKEN ENTLASTET (2001), DEMENZKRANKE, HILFSANGEBOT FÜR PFLEGENDE ANGEHÖRIGE (2000). 465 Für die Befragung der Mitglieder der Stadtteilarbeitsgemeinschaften „Gewalt im Alter“ wurde ein teilstandardisierter Fragebogen entwickelt. Der Fragebogen enthielt 16 offene Fragen, sechs dichotome Items und 13 Items mit einer fünfstufigen Ratingskala. Allen AG-TeilnehmerInnen – operational definiert als Personen, die an mindestens zwei Sitzungen einer Arbeitsgemeinschaft teilgenommen hatten – wurde der Fragebogen mit frankiertem Rückumschlag mit der Bitte, diesen innerhalb von zwei Wochen zu beantworten, am 08.02.2001 zugeschickt. Zur Erhöhung der Rücklaufquote wurde Anfang März 2001 eine telefonische Nachfassaktion durchgeführt. Insgesamt wurden 28 AG-TeilnehmerInnen (12 in HerrenhausenStöcken, neun in Vahrenheide-Sahlkamp und sieben in RicklingenMühlenberg) angeschrieben. 21 Fragebögen konnten nach der Nachfassaktion in die Auswertung einbezogen werden, je sechs aus Vahrenheide-Sahlkamp und Ricklingen-Mühlenberg sowie neun aus Herren343 hausen-Stöcken . 6.2.6.4.3 Ergebnisse In der folgenden Ergebnisdarstellung wird keine separate Darstellung quantitativer und qualitativer Befunde vorgenommen (zu den quantitativen Ergebnissen vgl. Tabelle 6.2.6.4/1 und 6.2.6.4/2). Die Ergebnisdarstellung bezieht sich auf alle drei Stadtteile (N=21); eine getrennte Betrachtung erfolgt nur, wenn zwischen den Gruppen Unterschiede vorliegen. Beruflicher Hintergrund der AG-Mitglieder Die 21 AG-Mitglieder, die einen Fragebogen beantwortet haben, haben in den Stadtteilarbeitsgemeinschaften folgende Institutionen vertreten: Kommunaler Sozialdienst der Stadt Hannover (4 SozialarbeiterInnen), Polizei (4 Kontaktbeamte), Seniorenbeirat (3 ehrenamtliche Delegierte), Seniorenbüro (2 ehrenamtliche VertreterInnen), zwei Personen nahmen ehrenamtlich ohne institutionellen Hintergrund teil, und einmalig vertreten durch MitarbeiterInnen waren ein Pflegeheim, ein ambulanter Pflegedienst, ein Stadtteilfreizeitheim (Kulturamt), eine Kirchengemeinde, eine Zuwandererberatungseinrichtung sowie ein ambulantes gerontopsychiatrisches Zentrum. 343 Bei einigen Personen war eine Nachfassaktion nicht möglich, da diese inzwischen nicht mehr in der Institution tätig waren, die sie in der AG vertreten hatten und keine aktuellen Anschriften ermittelbar waren. Ein Bogen kam vollständig unbeantwortet, mit der Anmerkung, nicht an der AG teilgenommen zu haben, zurück. 466 Inanspruchnahme der Angebote der Institutionen durch ältere Menschen Die Frage, wie häufig ältere Menschen (ab 60 Jahre) die Angebote und Dienste ihrer Einrichtung pro Jahr in Anspruch nehmen, beantworteten 15 AG-TeilnehmerInnen. Die Spannweite reicht von ca. 4mal bis ca. 1100mal (M=300,9; Md=100; rechtsschief; SD=406,1). Misshandlung und Vernachlässigung älterer Menschen 12 TeilnehmerInnen berichteten, dass bei der Inanspruchnahme ihrer Dienste durch ältere Menschen in den letzten drei Jahren, d.h. also in der Laufzeit des Modellprojekts, Verdachtsfälle von Misshandlung und/oder Vernachlässigung älterer Menschen vorlagen. Fünf TeilnehmerInnen hatten während der gesamten Laufzeit des Modellprojekts keine Verdachtsfälle von Gewalt im Alter in ihrer Einrichtung beobachtet. Die absoluten Häufigkeiten der Verdachtsfälle weisen eine große Spannweite von gar nicht bis 200mal in den letzten drei Jahren auf (M=17,4; Md=3; rechtsschief; SD=47,8). Die meisten TeilnehmerInnen sind in den eigenen Einrichtungen sehr selten mit dieser Problematik konfrontiert. 70,6% der Personen, die (Verdachts-)Fälle von Gewalt im Alter in ihrer Einrichtung beobachteten, gaben an, dass sie in den letzten drei Jahren in maximal vier Fällen den Verdacht hatten, dass eine Misshandlung und/oder Vernachlässigung älterer Menschen vorliege. Präventions- und Interventionsmaßnahmen 90,5% der Befragten sehen Präventions- und Interventionsmaßnahmen im Bereich „Gewalt im Alter“ als eine Aufgabe ihrer Institution an. Nach den konkreten Angeboten der eigenen Einrichtung befragt, werden am häufigsten Beratung/Gespräche für Betroffene (10 Nennungen), Informationsvermittlung und Weiterverweisen an andere Einrichtungen (8 Nennungen) sowie Entlastungsangebote für pflegende Angehörige (4 Nennungen) genannt. Gemeinsame Aktivitäten außerhalb der AG 61,9% der Befragten berichten, sie hätten auch außerhalb der AG „Gewalt im Alter“ Kontakte zum Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ gehabt. Am häufigsten habe es sich hierbei um gemeinsame Veranstaltungen und Informationsstände (5 Nennungen) gehandelt, in drei Fällen habe außerhalb der AG eine gemeinsame KlientInnenberatung bzw. -begleitung stattgefunden, und in zwei Fällen hätten ProjektmitarbeiterInnen Fortbildungsveranstaltungen in den Einrichtungen der AG-Mitglieder durchgeführt. Zwei Mitglieder einer Stadtteil-AG waren in der vom Modellprojekt initiierten AG „Telefonische Be467 ratungsanbieter im Alter in Hannover“ vertreten. Weiterhin geben sieben Befragte an, dass sie zu anderen in der AG vertretenen Institutionen auch außerhalb der Arbeitsgemeinschaft Kontakte hätten, diese aber primär auf die gemeinsame Arbeit in der AG zurückzuführen seien. Wahrnehmung, Einschätzung, Bewertung der AG durch die Mitglieder Motive der Teilnahme Unter den selbstberichteten Motiven stand der Wunsch, Wissen über die Problematik „Gewalt im Alter“ zu erwerben, an erster Stelle (10 Nennungen). An zweiter Stelle standen das Interesse an einer Vernetzung und am Austausch zwischen den Institutionen sowie der berufliche Bezug zu der Thematik „Gewalt im Alter“ (6 Nennungen). Zusammensetzung und Arbeitsstil 57,1% der Befragten sind der Meinung, dass nicht alle für die Problematik „Gewalt im Alter“ relevanten Institutionen des Stadtteils in ihrer AG vertreten gewesen seien. Am häufigsten vermissten die TeilnehmerInnen HausärztInnen, kirchliche Einrichtungen, die städtische Altenhilfe (Kommunaler Seniorenservice) und VertreterInnen aus Pflegeeinrichtungen (z.B. zuständige Diakoniestation, private ambulante Pflegedienste, HeimleiterInnen) in den Arbeitsgruppen. Insgesamt werden die Arbeitsgemeinschaften von den Mitgliedern als wichtiges Netzwerk im Stadtteil gesehen, dessen Arbeit dem Bedarf im Stadtteil angepasst gewesen sei. Auch die Entscheidungsfindung in den Arbeitsgruppen und der Diskussionsstil werden von den AG-TeilnehmerInnen positiv beurteilt. Effekte und Effektivität der Stadtteilarbeitsgemeinschaften „Gewalt im Alter“ Die meisten AG-Mitglieder sind der Meinung, dass die Teilnahme für sie persönlich lohnend gewesen sei. Sie bewerten die Arbeit in den Arbeitsgemeinschaften als effektiv und sind mit den konkreten Produkten weitgehend zufrieden. Bei der Frage nach Auswirkungen der AG-Teilnahme auf die eigene Arbeit wurde am häufigsten die erweiterte Kenntnis über die verschiedenen Einrichtungen und damit verbunden eine verbesserte Beratung und Vermittlung von KlientInnen genannt (10 Nennungen). An zweiter Stelle standen die eigene Sensibilisierung für die Problematik und das erworbene Wissen über „Gewalt im Alter“. Diese Einschätzungen finden sich auch in den Ergebnissen der entsprechenden Ratingskala „Ich habe in 468 der AG neue Informationen erhalten“. Über 70% der Befragten gaben an, dass sie die Problematik „Gewalt im Alter“ oft oder zumindest gelegentlich in ihrer Einrichtung thematisieren, und für weitere 22% ist „Gewalt im Alter“ ein ständiges Thema. Zum Zeitpunkt der Befragung hielten 90% der Mitglieder ihre eigene zukünftige Beschäftigung mit „Gewalt im Alter“ für ziemlich wahrscheinlich bzw. sehr sicher. Nach den Effekten der AG-Arbeit befragt, wurden am häufigsten die Enttabuisierung der Thematik (sechs Nennungen) und die Sensibilisierung der psychosozialen Fach- und allgemeinen Öffentlichkeit im Stadtteil (sieben Nennungen) genannt. Die Aktivitäten und Produkte der Arbeitsgemeinschaften haben aus Sicht der Mitglieder einen Beitrag zur Gewaltprävention geleistet, allerdings sind die Einschätzungen der Mitglieder hinsichtlich der Frage, ob die Thematik „Gewalt im Alter“ zu spezifisch für eine AG sei und hinsichtlich des inhaltlichen Schwerpunktes der eigenen AG (Gewalt im Alter vs. Alte Menschen im Stadtteil) nicht einheitlich. 469 Tabelle 6.2.6.4/1: Einschätzungen von Mitgliedern der Arbeitsgruppen „Gewalt im Alter“ (N=21) zur Aktivität und Effizienz der Arbeitsgruppen (fünfstufige Ratingskalen von 1 (eindeutige Ablehnung) bis 5 (eindeutige Zustimmung) a) Die Arbeit in der AG war effektiv. b) Die Problematik „Gewalt im Alter“ ist zu spezifisch für eine AG. c) Alle AG-Mitglieder beteiligten sich an den Diskussionen. d) Die AG hat einen Beitrag zur Gewaltprävention geleistet. e) Der inhaltliche Schwerpunkt der AG war weniger Gewalt im Alter sondern alte Menschen im Stadtteil. f) Ich habe in der AG wichtige neue Informationen erhalten. g) Wichtige Entscheidungen wurden von den AG-Mitgliedern gemeinsam getroffen. h) Die Inhalte der AG wurde dem Bedarf im Stadtteil angepasst. i) Ich bin mit den konkreten Produkten/Angeboten der AG zufrieden. j) Die AG war ein wichtiges Netzwerk im Stadtteil. k) Für mich hat sich die Teilnahme an der AG gelohnt. l) Ich habe die Problematik „Gewalt im Alter“ in meiner Einrichtung thematisiert. m) Ich werde mich auch zukünftig mit „Gewalt im Alter“ beschäftigen. N M SD 20 20 4,35 2,65 0,49 1,39 20 4,35 0,59 20 4,55 0,69 20 3,20 1,15 20 4,55 0,89 20 4,65 0,75 20 4,60 0,60 20 4,30 0,57 20 4,55 0,60 20 4,75 0,55 18 3,78 0,88 20 4,60 0,68 Fortführung 81% der AG-Mitglieder wünschten eine Fortführung der Stadtteilarbeitsgemeinschaften. Die Frage der Ausgestaltung einer AGFortführung wurde eindeutig von den bereits in den einzelnen AGs getroffenen Entscheidungen geprägt. Während in Herrenhausen-Stöcken eine Integration der AG „Gewalt im Alter“ in das „Forum für Menschen ab 50 Jahre“ im Vordergrund stand, war es in Vahrenheide-Sahlkamp eine Fortführung der bisherigen AG mit der allgemeineren Schwerpunktsetzung „Alte Menschen im Stadtteil“. Nur in Ricklingen-Mühlenberg ließ sich keine allgemeine Tendenz erkennen; hier war die Auflösung der AG bereits beschlossen, und das Hauptinteresse galt einer 470 Fortführung des installierten Häuslichen Unterstützungsdienstes für pflegende Angehörige. Tabelle 6.2.6.4/2: Bewertung von Aktivität und Zusammensetzung der Arbeitsgruppen „Gewalt im Alter“ (N=21) Prävention / Intervention als Aufgabe der von Mitgliedern vertretenen Institutionen Repräsentanz relevanter Institutionen in der AG „Gewalt im Alter“ Kontakte zum Modellprojekt außerhalb der AG Kontakte zu anderen in der AG vertretenen Institutionen außerhalb der AG-Arbeit von der AG-Mitgliedschaft unabhängige Kontakte zu anderen in der AG vertretenen Institutionen Fortführung der Arbeitsgruppe gewünscht ja 19 nein 1 k.A. 1 6 12 3 13 7 6 11 2 3 2 9 10 17 3 1 Übertragbarkeit Bei einer hypothetischen Implementation von vergleichbaren Arbeitsgemeinschaften zur Thematik in anderen Städten wird der Gewinnung und Beteiligung von möglichst vielen verschiedenen Institutionen, Einrichtungen und Diensten eine besondere Bedeutung beigemessen (7 Nennungen). Von einigen Befragten wird auf die Problematik und mögliche abschreckende Wirkung des Gewaltbegriffes hingewiesen, und einige empfehlen eher die Installation eines thematisch weiteren Netzwerkes zum Bereich „Alte Menschen“. Gesamtbeurteilung des Modellprojekts „Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum“ Von den meisten Mitgliedern wird die Arbeit des Modellprojekts als positiv und wichtig eingeschätzt. Sie sind der Meinung, dass es den MitarbeiterInnen des Projekts gelungen sei, die Fach- und auch die allgemeine Öffentlichkeit für die Problematik „Gewalt im Alter“ zu sensibilisieren. Die konkreten, auf die einzelnen Stadtteile abgestimmten Projekte werden von den AG-Mitgliedern als besonders effektive Ansätze bewertet. Einige kritische Stimmen halten für einen längerfristigen Erfolg jedoch auch eine längere Durchführungsphase für notwendig und sehen das Modellprojekt lediglich als einen ersten Schritt an, dem weitere folgen müssen. 471 6.2.6.4.4 Zusammenfassung und abschließende Bemerkungen Bei der Interpretation der Ergebnisse der Befragung der Mitglieder zu den Stadtteilarbeitsgemeinschaften „Gewalt im Alter“ muss wiederum berücksichtigt werden, dass hier eine Datenerhebung über diejenigen erfolgte, die aktiv an der Gestaltung der Arbeitsgemeinschaften beteiligt waren; somit liegt partiell eine Form der Selbstevaluation vor. Bei den Mitgliedern war das Interesse, Wissen über die Problematik „Gewalt im Alter“ und über mögliche Interventionsstrategien zu erwerben, ein Hauptmotiv der Teilnahme. Die meisten TeilnehmerInnen nehmen sich nach Ende der Projektlaufzeit als MultiplikatorInnen für die Thematik wahr und sehen Präventions- und Interventionsmaßnahmen im Bereich „Gewalt im Alter“ als eine Aufgabe ihrer Einrichtung an, obwohl die meisten TeilnehmerInnen der Arbeitsgemeinschaften im Arbeitsalltag sehr selten mit Verdachtsfällen von Gewalt im Alter konfrontiert werden. In den Arbeitsgemeinschaften waren kaum MitarbeiterInnen von Einrichtungen bzw. Berufsgruppen vertreten, die in ihrem Berufsalltag mit der Problematik konfrontiert werden bzw. durch ihre berufliche Kompetenz bedeutsame Vernetzungspartner im Bereich der Prävention- und Intervention von „Gewalt im Alter“ sind, wie z.B. (Haus-) ÄrztInnen, Pflegefachkräfte, PastorInnen und PsychologInnen. Die schwache Präsenz bzw. das völlige Fehlen bestimmter für die Thematik als wichtig erachteter Berufsgruppen (z.B. Pflegebereich, (Haus-) ÄrztInnen, kirchliche Einrichtungen) wird von den Teilnehmenden als das Hauptdefizit bzw. als einziger Schwachpunkt der Arbeitsgemeinschaften angesehen. Nach Einschätzung der TeilnehmerInnen konnte durch die AGs eine Sensibilisierung für und Enttabuisierung von Gewalt im Alter auf der Stadtteilebene in der psychosozialen Fach- und der allgemeinen Öffentlichkeit erzielt werden. Besonders positiv beurteilt werden die an dem Bedarf vor Ort orientierte Gestaltung der AG-Projekte und – produkte sowie die Qualität der Vernetzung der beteiligten Institutionen (Informationen, Absprachen, Koordination, Kooperation), die sich auch außerhalb der AG fortsetzt und für die TeilnehmerInnen in dieser Form ein Novum zu sein scheint. Die Einschätzung der ProjektmitarbeiterInnen, dass das „von ihnen aufgesetzte Thema“ „Gewalt im Alter“ zu spezifisch sei für die Stadtteilarbeit und dass auf dieser Ebene häufig zunächst eine Auseinandersetzung mit der Thematik „Alter“ stattfinden müsse, wird tendenziell von den Aussagen der TeilnehmerInnen bestätigt. Die AG-Projekte und –produkte werden zwar als Maßnahmen zur Gewaltprävention im Alter angesehen, doch wird bei den Fragen nach dem inhaltlichen Schwerpunkt der AG, Formen der Fortführung und Empfehlungen im Sinne der Übertragbarkeit deutlich, dass der umfassenderen Thematik „Alter/alte Menschen“ mehr Bedeutsamkeit zuge- 472 schrieben und „Gewalt im Alter“ als ein wichtiger ihr untergeordneter Problemkomplex wahrgenommen wird. 6.2.6.5 Die Stadtteilarbeit aus Sicht der MitarbeiterInnen des Modellprojekts Im Folgenden werden die Interviews der MitarbeiterInnen aus den beiden Befragungswellen ausgewertet. Dabei interessiert, wie die MitarbeiterInnen den Aufbau und Bestand der Arbeitsgemeinschaften Gewalt im Alter allgemein beschreiben, wie sie das Beratungsangebot im Stadtteil bewerten, wie Fortbildungen und Veranstaltungen sowie Öffentlichkeitsarbeit insgesamt im Stadtteil aus ihrer Sicht verliefen und wie sie die Stadtteilarbeit allgemein bewerten. 6.2.6.5.1 Aufbau und Bestand der Arbeitsgemeinschaften „Gewalt im Alter“ Wie bereits geschildert, nahmen die MitarbeiterInnen des Modellprojekts auf verschiedenen Wegen Kontakt zu potenziell Interessierten auf. Ihrer Erfahrung nach sei eine Kombination von – teils auch mehrfachen – intensiven persönlichen Gesprächen mit möglichst weit gestreuten Einladungen sinnvoll. Wo dies möglich gewesen sei, habe auch die Anknüpfung an bereits aus den vorangegangenen Berufsfeldern bestehende professionelle Verbindungen gute Ergebnisse gebracht. Generell seien die Anknüpfungsmöglichkeiten bei den Vernetzungsgremien „Ältere Menschen“ zwar insofern hilfreich gewesen, als auf schon bestehende Vernetzungen zurückgegriffen werden konnte; andererseits sei die Unterstützung durch diese Vernetzungsgremien begrenzt gewesen. So habe in zwei Stadtbezirken eine Parallelstruktur weitgehend identisch zusammengesetzter Gremien bestanden, die sich jeweils mit dem Themenbereich ältere Menschen befasst hätten. Generell seien Kontaktaufnahme zu und Motivierung von Teilnehmenden schwieriger als erwartet gewesen. Problematisch sei gewesen, dass die erste Vorstellung bei den lokalen Vernetzungsgremien „Ältere Menschen“ die Teilnehmenden eher abgeschreckt als motiviert habe. Die MitarbeiterInnen berichten – auch aus Einzelgesprächen – von zumindest teilweise großer Abwehr gegenüber den Anliegen des Modellprojekts. Sie nennen für diese Probleme drei Ursachen: Zum einen erfolgte die Projektvorstellung zu einem Zeitpunkt, als die Feinplanung der Stadtteilarbeit noch nicht abgeschlossen gewesen sei; Praxis- und Planungsphase seien hier parallel verlaufen, und so habe es auf Seiten der MitarbeiterInnen Unsicherheiten gegeben, wofür sie in den Stadttei- 473 len genau werben sollten. Der zweite Grund habe mit der Vorgabe zusammengehangen, ein Expertenteam zu gründen. Dieser Begriff sei für die Werbung der Mitglieder schwierig gewesen, da er auf hohe Erwartungen an die Arbeitsgruppe schließen ließ. Eine Mitarbeiterin dazu: „Also das merkte ich schon, das war eher mit Widerständen belegt, dieses Wort“. Die MitarbeiterInnen entschieden sich aus diesen Gründen für den Begriff Arbeitsgemeinschaft „Gewalt im Alter“. Ein drittes Grundproblem der Stadtbezirksarbeit bestand nach Ansicht aller MitarbeiterInnen darin, dass das Thema „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ nicht aufgrund lokaler Bedürfnisse auf die Tagesordnung gekommen, sondern von außen an die Stadtteile herangetragen worden sei. Damit sei das Projekt nie als etwas Eigenes, Gewolltes begriffen worden. In den Stadtteilen selbst habe es andere Themen gegeben. Die MitarbeiterInnen des Modellprojekts hätten zwar versucht, durch den Workshop zur Stadtbezirksauswahl die Entscheidung durch die Stadtbezirke und Stadtteile selbst treffen zu lassen und dadurch die Eigenaktivität in den Stadtbezirken stärker zu verankern, dies sei jedoch nicht gelungen. Der Projektkoordinator erläutert: „(..) weil diejenigen, die die Entscheidung getroffen haben, dass das Projekt in den Stadtbezirken angesiedelt wird, nicht auch diejenigen waren, die jedenfalls in den Arbeitsgemeinschaften eingebunden waren. Es spielte also fast keine Rolle mehr, dass die Stadtbezirke selber ausgewählt haben, wo das Modellprojekt angesiedelt wird, und davon erhofften wir uns ja so eine Unterstützungsfunktion.“ Trotz der geschilderten Schwierigkeiten gelang den MitarbeiterInnen in allen Stadtteilen der Aufbau einer Arbeitsgruppe. Dabei seien ihnen verschiedene Faktoren zugute gekommen. Zur Gewinnung von Teilnehmenden habe z.B. auch die zentrale Vernetzung beigetragen. Sowohl der Runde Tisch als auch die Vorstellung des Projekts bei zentralen Gremien und Einrichtungen wie z.B. dem Seniorenbeirat habe Rückwirkungen auf die Stadtteile gehabt. Zudem seien die MitarbeiterInnen vor Ort auf inhaltlich Interessierte gestoßen, deren Bedarf an inhaltlicher Zusammenarbeit und Vernetzung durch die existierenden Vernetzungsgremien nicht abgedeckt gewesen sei. In der Phase der persönlichen Vorgespräche sei deutlich geworden, dass die meisten Professionellen und anderen Fachleute ihre Teilnahme an einer weiteren Arbeitsgruppe an die Bedingung knüpften, dass dort ein konkreter Arbeitsauftrag bestehe. Man wolle, und dies sei in allen Stadtbezirken immer wieder betont worden, keine „Laberrunde“ und keine Grundsatzdiskussionen führen. Wichtig sei es gewesen, eine gezielte Fragestellung zu entwickeln, die an der konkreten Arbeit der Einzelnen anknüpfe. 474 Diese gemeinsamen Aktivitäten und Zielsetzungen seien schließlich wichtige Faktoren gewesen, die den Bestand der Gruppe ermöglicht hätten. Zudem seien die Offenheit und das inhaltliche Interesse der AGTeilnehmerInnen am Thema Gewalt und am Thema Alter im Stadtteil und die Erfahrung, sich im Austausch in der Gruppe gegenseitig befruchten zu können, wichtige Voraussetzungen für die Kontinuität der Arbeitsgemeinschaften gewesen. Als weiteren wichtigen Faktor nannten die MitarbeiterInnen die zuverlässige Organisation der Gruppe, den „sicheren Rahmen“, den sie selbst über die Dauer der Stadtteilarbeit gewährleistet hätten. So seien das regelmäßige Verschicken von Einladungen, das Anfertigen und Versenden von Protokollen (auch an Interessierte, die nicht oder nicht regelmäßig an der Gruppe teilnahmen) sowie die Organisation und Moderation der Gruppentreffen wesentliche Bedingungen der Arbeitsfähigkeit der Gruppe gewesen. Andererseits empfanden die MitarbeiterInnen des Modellprojekts diese Konzentration der Verantwortung auf ihre Person als nachteilig und hätten lieber die Verantwortung geteilt. Problematisch wurde die Alleinverantwortung in dem Moment, als über die Fortführung der Arbeitsgemeinschaften nachgedacht wurde und klar wurde, dass „es einfach eine zwingende Notwendigkeit ist: es muss jetzt jemand anders Verantwortung übernehmen und auch die Arbeit“. Bei einer längerfristigen Perspektive der Arbeit hätten die Befragten früher versucht, die Verantwortung für die Gruppe zu teilen. „Aber durch die Begrenzung des Projektes ist es schon so, man hat nicht so viel Zeit um Inhalte zu gestalten“, und entsprechend sei es das primäre Interesse der MitarbeiterInnen gewesen, den äußeren Rahmen der Arbeit so störungsfrei wie möglich zu gestalten. Hinsichtlich der Arbeitsabläufe seien zum Teil die parallele Gesprächsleitung und Protokollführung in den Sitzungen schwierig gewesen. Befragt danach, was sie rückblickend anders machen würden, nannten einige ein früheres Aufteilen der Verantwortung für die Organisation der Gruppe. Die Zusammensetzung der Gruppen wurde als positiv beurteilt. Eine Mitarbeiterin betont, dass es gelungen sei, alle wichtigen Fachleute im Stadtbezirke zusammen zu bringen; allerdings wäre es schön gewesen, mehr Professionelle ohne behördlichen Hintergrund sowie VertreterInnen anderer Berufe wie z.B. ÄrztInnen oder ApothekerInnen zu gewinnen. Auch der stationäre Altenhilfebereich sei bedauerlicherweise nur in einem Stadtbezirk zur Teilnahme bereit gewesen. Unterschiedlich sei auch die Resonanz bei Kirchengemeinden gewesen; die Kooperationsbereitschaft habe vom jeweiligen Pastor oder Pfarrer abgehangen. Die versuchte Einbindung eines Krankenhaussozialdienstes sei aufgrund von Arbeitsüberlastung der dort Beschäftigten nicht möglich gewesen. 475 Die Arbeitsfähigkeit der Gruppe sei durch inhaltliches Interesse, zuverlässige Teilnahme und aktive Mitarbeit der meisten Teilnehmenden gewährleistet gewesen. Nach der anfänglichen Werbungsphase seien keine gezielten Versuche mehr unternommen worden, neue Mitglieder für die Gruppen zu gewinnen, das Feld sei „abgegrast“ gewesen. In allen Stadtbezirken sei der Versuch gescheitert, die MitarbeiterInnen der Städtischen Altenhilfe in die Arbeitsgemeinschaften einzubeziehen. Gleichfalls sei es nicht gelungen, ÄrztInnen für die Teilnahme zu gewinnen. Allerdings hätten in zwei Stadtbezirken persönliche Gespräche mit ÄrztInnen stattgefunden, die z.T. Interesse und Bereitschaft zur Unterstützung geäußert hätten. Das Problem sei, dass engagierte ÄrztInnen, die für die Teilnahme einer solchen Arbeitsgruppe in Frage kämen, zumeist überlastet seien. Die Einbindung von VertreterInnen aus dem ambulanten Pflegebereich – zumeist der Leitungsebene – sei zunächst in allen Stadtbezirken gelungen, in einem Stadtbezirk allerdings nicht durchgängig. Allgemein stünden die MitarbeiterInnen der Pflegedienste unter großem Arbeitsdruck, und eine regelmäßige Teilnahme werde durch Freistellung erleichtert. Als sinnvoll habe sich die Mitarbeit von SozialarbeiterInnen, die bei Pflegediensten oder Sozialstationen beschäftigt sind, erwiesen. Die Einbindung von Ehrenamtlichen wurde – sofern deren Einbindung gelungen war – als bereichernd für die Gruppe bezeichnet. Als Effekte der Teilnahme an der Arbeitsgruppe für die Einzelnen nannten die MitarbeiterInnen neben Wissenszuwachs hinsichtlich der Problematik Gewalt im Alter, dass sich den Teilnehmenden durch die gemeinsame Arbeit ein anderer Blickwinkel eröffnet habe; so hätten das Wissen über und die Sensibilität für den Stadtteil sowie Probleme älterer Menschen zugenommen. Eine größere Sensibilität für andere Berufsgruppen („Antenne“) und ein Gefühl von Gesamtverantwortung für das Produkt hätten sich entwickelt. Wo persönliche Betroffenheit vom Thema Gewalt im Alter oder die Auseinandersetzung mit dem eigenen Altern auch Motive zur Teilnahme an der AG gewesen seien, hätten die Teilnehmenden zudem einen persönlichen Nutzen von der Zusammenarbeit gehabt. Eine Mitarbeiterin sieht als wichtigen Nutzen für die Teilnehmenden das Erfolgserlebnis, die Einrichtung des Häuslichen Unterstützungsdienstes bewirkt zu haben. Motive für die Teilnahme an der Gruppe seien in beruflichen, persönlichen und verbandlichen Interessen zu suchen. So habe für einige das Interesse im Vordergrund gestanden, sich genauer über das Thema zu informieren. Einige hätten im persönlichen Umfeld mit dem Thema Gewalt im Alter zu tun gehabt und daher Interesse an der Thematik, für andere habe die Teilnahme an den Arbeitsgemeinschaften eine Mög476 lichkeit geboten, sich aktiv mit dem eigenen Älterwerden auseinander zu setzen. Wichtiges Motiv sei das Interesse an Kooperation mit anderen Diensten im Stadtteil gewesen. Für einige sei die Teilnahme jedoch möglicherweise auch eine Art „Pflichtgang“ gewesen. Befragt danach, welche der gesetzten Ziele die MitarbeiterInnen erreicht hätten, wurde von allen auf den gelungenen Aufbau und Erhalt einer AG „Gewalt im Alter“ verwiesen. Auch die Arbeit in den Arbeitsgemeinschaften sei sehr gut verlaufen. Es sei gelungen, Einzelpersonen dazu zu motivieren, sich mit dem Thema auseinander zu setzen. Auch über die Produkte der Arbeitsgemeinschaften sei das Thema Gewalt gegen ältere Menschen „im Stadtbezirk etabliert“ und damit die ursprüngliche Zielsetzung erreicht worden. In einem Stadtbezirk wurden auch die Einzelfallbesprechungen als Erfolg gewertet. Die Arbeitsgemeinschaften hätten die selbst gesetzten Ziele – sich aktiv im Stadtteil einzumischen und Einfluss zu nehmen – erreicht. Wo Vernetzungsgremien „Ältere Menschen“ vor Ort waren, sei es gelungen, die TeilnehmerInnen dieser Vernetzungsgremien dafür zu motivieren, sich mit dem Thema Gewalt gegen ältere Menschen ausgiebiger zu befassen. Wo es bei Projektbeginn keine Vernetzungsstruktur zum Thema ältere Menschen gegeben habe, sei im Projektverlauf das Thema ältere Menschen erstmals auf die Tagesordnung der Koordinationsrunde gebracht worden. Eine Befragte wertet es als Erfolg, dass es gelungen sei, „auf eine Altersgruppe aufmerksam zu machen, der bisher wenig Bedeutung beigemessen wurde“. Eine Sensibilisierung von Professionellen sei deutliches Resultat der Stadtteilarbeit, so der Projektkoordinator: „Der Effekt ist letzten Endes auch da, dass Belastungssituationen und Gewalt im Alter bei Professionellen mit auf der Tagesordnung stehen und auch der Gemeinwesenarbeit oder dem Sozialdienst klar ist, was für ältere Menschen getan werden muss, die eben in Krisensituationen leben.“ Zudem sei es gelungen, auch auf die Vielschichtigkeit im Stadtteil aufmerksam zu machen. Hinsichtlich der Vernetzung sei zu beobachten, dass die Professionellen „selbstverständlicher miteinander umgehen“, die Bezüge und Netzwerke seien enger geworden. Als wichtigen Erfolg der eigenen Arbeit bewertete ein Mitarbeiter auch die Überlegungen bei der Städtischen Altenhilfe, die bestehenden Vernetzungsgremien „Ältere Menschen“ im Sinne der AG „Gewalt im Alter“ umzustrukturieren und damit den Bedürfnissen der TeilnehmerInnen nach häufigeren und stärker strukturierten Treffen (mit Einladungen und Protokollen) und inhaltlicher Vernetzungsarbeit zu entsprechen. 477 Zum Engagement und der Teilnahmebereitschaft im Stadtteil haben die MitarbeiterInnen ein ambivalentes Verhältnis. Einerseits sind sie mit dem Engagement, das die meisten AG-TeilnehmerInnen mitbrachten und ihrer Bereitschaft, Arbeitszeit in die Arbeitsgemeinschaften und ihre Produkte zu investieren, sehr zufrieden. Andererseits erlebten sie in den 2,5 Jahren Stadtteilarbeit auch große Abwehr gegen Mehrarbeit und fehlende Bereitschaft zu Engagement in neuen Bereichen. Grenzen lägen in „der geringen Teilnahme“ und der ohnehin starken Belastung der potenziellen TeilnehmerInnen. Man müsse einfach berücksichtigen, dass „ Gewalt, (...) ein Teil von vielen in den großen Arbeitsbereichen [ist], die die haben“. Daher sei es schon ein Erfolg, wenn man den Professionellen im Stadtteil einen veränderten Blick auf das Thema Gewalt im Alter eröffnen könne. Die Möglichkeiten der Stadtteilarbeit seien im Rahmen des Modellprojekts entsprechend weitgehend ausgeschöpft worden. Hinsichtlich der Zusammenarbeit mit anderen Institutionen und der Aufbauphase der Stadtteilarbeit merkt eine Mitarbeiterin an, dass im Unterschied zu ihrer vorherigen beruflichen Tätigkeit die Anknüpfungsmöglichkeit an aktuelle Arbeitsbezüge, d.h. die Vernetzung im Arbeitsalltag gefehlt habe. Sie denkt über Alternativen nach: „Es hat ja viele Vorteile, dass wir jetzt in diesem Projekt arbeiten, aber wenn wir jetzt noch in diesen Arbeitsbezügen drin wären, dann wären wir auch mehr drin in allem, was so in den Stadtteilen läuft, und so sind wir das nicht. Das ist weil wir so vieles an informellen Verbindungen erst mal nicht haben. (...) wir haben keine aktuellen Verbindungen (...) in unserem Arbeitsalltag. (...) Es hätte ja auch ganz anders laufen können. Es hätte ja sein können, dass wir als die Gewaltbeauftragten in unserem alten Arbeitsfeld sozusagen weiter arbeiten und also auf diese Weise das Thema da in diesen Bezügen (...) thematisieren.“ Die Resonanz auf die Arbeit des Modellprojekts im Stadtbezirk war gut, reichte von Wohlwollen bis Interesse. Die Bereitschaft Dritter, die jeweiligen Projekte aktiv zu unterstützen, war jedoch vielfach begrenzt. „Sie finden es zwar gut, wenn andere das machen, aber nicht sie selbst“ – beschreibt eine Mitarbeiterin den Tenor. Die Sensibilisierung von Professionellen sehen die Befragten als klaren Erfolg, der auch spürbar sei. Schwieriger sei es nachzuvollziehen, welchen Effekt die Arbeit darüber hinaus hatte – insbesondere für die älteren Menschen im Stadtteil. „Unser großes Problem ist, zu wenig Kontakt und Resonanz von alten Leuten zu bekommen, um zu wissen, was ihnen eigentlich fehlt (...) wir 478 haben zu wenig Kontakt zu alten Menschen, wir wissen eigentlich gar nicht, was sie eigentlich wollen.“. Die MitarbeiterInnen halten beim Aufbau einer solchen extern eingeführten Arbeitsgruppe im Stadtteil vor allem „Geduld und Beharrlichkeit“, „Elan und Kreativität“ und eine hohe Frustrationstoleranz für erforderlich. Rückblickend würden sie nur weniges anders machen. Sie geben allerdings zu bedenken, dass es gut gewesen wäre, mehr Zeit zu haben, da ein Gruppenprozess eigentlich mehr Zeit brauche als im Modellprojekt zur Verfügung gestanden habe. Gleichzeitig, so überlegt ein Mitarbeiter, habe gerade die zeitliche Begrenzung des Modellprojekts jedoch auch eine besondere Dynamik erzeugt. Gut wäre es auch gewesen, die einzelnen Institutionen genauer kennen zu lernen und z.B. Treffen in den verschiedenen Einrichtungen abzuhalten. Ein in jedem Fall wichtiger Schritt sei vor dem Beginn der Arbeit eine gründliche Analyse des Stadtteils, die sich nicht auf die Kenntnis der statistischen Daten beschränken dürfe. Es sei notwendig, die Interessen der Professionellen vor Ort genau zu erfragen. Ausgiebige Motivationsarbeit in persönlicher Ansprache, z.T. auch wiederholte Kontaktaufnahme seien empfehlenswert. Eine Anregung für ähnliche Vorhaben war, zunächst eine größere Veranstaltung zum Thema im Stadtbezirk zu machen und erst danach mit dem Aufbau der Arbeitsgruppe zu beginnen. Ein Mitarbeiter regt an, genauer zu berücksichtigen, welche Perspektiven die Einrichtungen auf die Problematik haben und den Blick stärker auf Binnenstrukturen der Einrichtungen zu legen. Mit den Produkten der AG „Gewalt im Alter“ waren die MitarbeiterInnen des Modellprojekts zufrieden. Dies gilt in vollem Umfang für den Häuslichen Unterstützungsdienst und den Gesprächskreis für pflegende Angehörige. Die MitarbeiterInnen in den Stadtbezirken, in denen die Arbeitsgemeinschaften die Veranstaltungsreihe, Informationsveranstaltung und Beratungsführer entwickelt hatten, kamen ebenfalls zu einer vorsichtig positiven Einschätzung der Produkte. Sie berichteten, dass die Arbeitsgemeinschaften zum Teil enttäuscht über die Resonanz der Veranstaltungen gewesen seien; sie hätten mit mehr BesucherInnen gerechnet. Beide MitarbeiterInnen betonten jedoch, dass dies jeweils die erste Veranstaltungsreihe bzw. Informationsveranstaltung in ihrer Art gewesen sei. Zudem sei das Thema Alter in den Stadtteilen kein öffentlich diskutiertes Thema und die Gruppe der alten Menschen kaum sichtbar. Man könne vor diesem Hintergrund nicht mit größeren Besucherzahlen rechnen; die Veranstaltungsreihe, bilanzieren sie, sei tatsächlich gut besucht gewesen, die Informationsveranstaltung „wahrscheinlich“ ein Erfolg gewesen. Es habe positive Einzelreaktionen gegeben – so habe z.B. eine Einrichtung durch die Veranstaltungen 479 neue Ehrenamtliche gewonnen. Für den Stadtbezirk HerrenhausenStöcken bilanziert der Mitarbeiter gleichwohl, dass die Hauptzielgruppe – jüngere Leute, die mit Pflege nichts zu tun haben – nicht erreicht worden sei. Dies sei auch ein Problem der Öffentlichkeitsarbeit gewesen; diese Zielgruppe sei wahrscheinlich auf anderen Informationswegen anzusprechen. Die Organisation der Themenreihe – benennt der Projektkoordinator einen weiteren Effekt dieses Produkts – habe dazu beigetragen, eine gemeinsame Identität der Professionellen im Stadtbezirk zu schaffen. Der Beratungsführer sei eines der Produkte der AG „Gewalt im Alter“ in Sahlkamp gewesen, die in der Gesamtheit darauf abgezielt hätten, das Thema Alter im Stadtteil präsent zu machen. Die Resonanz von professioneller Seite auf den Beratungsführer sei sehr positiv gewesen, einige der Dienste hätten von zunehmender Nutzung berichtet. Ansonsten habe es wenige – aber durchweg positive – Rückmeldungen gegeben. Die anfängliche Überlegung, den Beratungsführer nur auf Anfrage zu verschicken, habe sich mangels Anfragen als falsch erwiesen. Die Broschüre sei daraufhin an Haushalte verteilt und ausgelegt worden. Auch die Übersetzung des Beratungsführers ins Russische sei ein Erfolg der AG. Die zehnmonatige Begleitung und inhaltliche Gestaltung eines Gesprächskreises für pflegende Angehörige im Rahmen der Präventionsarbeit wurde von der zuständigen Modellprojektmitarbeiterin als sehr erfolgreich eingeschätzt. Entgegen ursprünglicher Vermutungen hatten die pflegenden Angehörigen nicht das Bedürfnis, sich aufgrund des Gewaltbegriffs im Titel des Modellprojekts von dem Angebot abzugrenzen, sondern „fühlten sich sofort gemeint“. Die Projektmitarbeiterin schätzt es so ein, dass ein solcher inhaltlich vorbereiteter Gesprächskreis den Angehörigen auch jenseits des wichtigen Austauschs und Gruppengefühls „sehr viel bringt“ und dass die Angehörigen „wirklich nicht alle im gleichen Maße, aber jede auf ihre Art von dem, was wir da besprochen haben, runterbrechen konnten auf ihre eigene Situation“. Im Hinblick auf potenzielle Gewaltsituationen bilanziert sie anhand einer wiederkehrenden Diskussion über die Weigerung eines Pflegebedürftigen, sich duschen zu lassen, dass die Angehörigen kritischer und gleichzeitig hilfsbereiter über Gewalt bzw. Zwang in Pflegebeziehungen nachdachten und sprachen. Sie hätten immer mehr auch beide Seiten einer solchen kritischen Pflegesituation gesehen und wären sensibler dafür geworden, warum sich Pflegebedürftige notwendigen Pflegemaßnahmen widersetzten. Die Projektmitarbeiterin sieht die Gesprächskreise als gute Anknüpfungspunkte für gewaltpräventives Arbeiten. Insbe480 sondere böten sich in diesem Rahmen Möglichkeiten, den pflegenden Angehörigen verschiedene Unterstützungsdienste vorzustellen. Der Aufbau weiterer Gesprächskreise mit inhaltlicher Anleitung sei notwendig. Im vorliegenden Fall habe die Tatsache, dass die Angehörigen bereits gemeinsam einen Pflegekurs besucht hatten, die Bildung des Gesprächskreises deutlich erleichtert: Die Angehörigen hätten bereits gewusst, wen sie in der Gruppe antreffen würden und sich auf das Wiedersehen gefreut. 6.2.6.5.2 Beratung im Stadtteil In der modifizierten Konzeption der Stadtteilarbeit waren Einzelfallbesprechungen nicht mehr als zentrale Bestandteile der Arbeit der AG vorgesehen. In zwei Arbeitsgemeinschaften haben solche Fallbesprechungen entsprechend keine Rolle gespielt. In einer AG seien die anonymen Fallbesprechungen wider Erwarten sehr gut verlaufen und von den TeilnehmerInnen als hilfreich eingeschätzt worden. Die Bedeutung dieser Einzelfallbesprechungen für die Gruppe habe darin gelegen, dass durch größeren Praxisbezug die Sensibilität für das Thema leichter herzustellen gewesen sei. Die Beratung in den Stadtteilen wurde kaum in Anspruch genommen. Dennoch empfanden die MitarbeiterInnen die Stadtteilsprechstunde als wichtig. Sie habe die Erreichbarkeit auch für Professionelle im Stadtteil gewährleistet und je nach Räumlichkeiten auch Begegnungsmöglichkeiten mit anderen Professionellen geboten. So habe die Funktion der Sprechstunde, das betonen alle MitarbeiterInnen, die Hauptfunktion gehabt „glaubhaft nach außen hin zu dokumentieren, vor allen Dingen für diejenigen, die wir da für unsere Arbeit auch gewinnen wollen, dass wir uns für den Stadtteil interessieren“. Für einige MitarbeiterInnen sei die Anwesenheit vor Ort auch wichtig gewesen, um ein Gefühl für den Stadtteil zu bekommen. Die MitarbeiterInnen, die im Rahmen des Häuslichen Unterstützungsdienstes vor Ort Treffen mit NutzerInnen und Ehrenamtlichen hatten, konnten die Stadtteilsprechstunde zudem hierfür nutzen. Hinderliche Faktoren für eine Nutzung seien ungünstige oder ungünstig gelegene Räumlichkeiten gewesen und möglicherweise die Größe des Zuständigkeitsbereiches. Als ungünstig wurden Räumlichkeiten eingeschätzt, in denen keine anderen Dienste vertreten waren und die schwer erreichbar waren (z.B. durch öffentliche Verkehrsmittel). Eine Rolle spiele aber auch die abschreckende Wirkung des Begriffs „Gewalt“. Zudem seien wahrscheinlich eine längere Anlaufphase, intensive481 re Öffentlichkeitsarbeit und regelmäßige Veranstaltungen und Informationen über das Beratungsangebot notwendig. Eine Mitarbeiterin bilanziert, dass Beratungsangebote für die mutmaßlich eher kleine Zielgruppe älterer Menschen im Stadtbezirk, die von Gewalt im persönlichen Nahraum betroffen sind, „wahrscheinlich nicht sinnvoll“ seien. Tatsächliche Unterstützungs- und Hilfebedarfe älterer Menschen vor Ort zu ermitteln sei – dies betonen alle MitarbeiterInnen – schwierig und im Rahmen des Modellprojekts nicht gelungen. Eine Mitarbeiterin sah es hinsichtlich der Fallberatung als Problem, nicht ausreichend Zeit im Stadtteil zu haben: „...dazu war mir der Stadtteil, war ich dem Stadtteil zu fern, letztlich zwei Stunden in der Woche vor Ort zu sein, also, war für mich ein Problem in der Umsetzung und zu wenig Einzelfälle vor Ort zu haben, um das ausprobieren zu können.“ Alternativ biete sich an, gemeinsam mit anderen Diensten (z.B. KSD, Altenhilfe, Seniorenbüro) eine Sprechstunde vor Ort allgemein zu Fragen rund ums Alter anzubieten. Dieser Vorschlag wurde von mehreren ProjektmitarbeiterInnen geäußert; seine Umsetzung erfordere jedoch Entscheidungen auf der Leitungsebene. In einer solchen Kooperation könne ein verbessertes Beratungsangebot von städtischer Seite für ältere Menschen aufgebaut werden. Innerhalb einer Woche könnten an verschiedenen Tagen die Dienste in einem möglichst zentralen, zugänglichen Raum im Stadtteil Sprechzeiten anbieten und bei Bedarf aufeinander verweisen. Dies würde die Orientierungsprobleme hinsichtlich Zeit, Ort und Zuständigkeit der Angebote deutlich reduzieren. Eine neutrale Ansiedlung – wie z.B. innerhalb eines Einkaufszentrums – hätte den Vorteil, dass nicht allein das Aufsuchen einer solchen Örtlichkeit stigmatisierend wirke. Eine andere Möglichkeit wäre die Ansiedlung bei einem Pflegedienst bzw. einer Sozialstation, da so die Beratung auch von MitarbeiterInnen dieser Dienste genutzt werden könne. In zwei Stadtbezirken seien Fälle von Diensten aus den Arbeitsgemeinschaften „Gewalt im Alter“ an das Modellprojekt weitergegeben worden. Fallkooperationen seien in diesen Fällen zustande gekommen und zufriedenstellend verlaufen. Dabei sei es immer wieder wichtig zu betonen, dass die AG eine Basis für gemeinsames Vorgehen bieten könne, es könne nicht nur um das ‚Abgeben‘ von Fällen gehen. Im dritten Stadtbezirk seien aus der Stadtteil-AG keine Fälle an das Modellprojekt weitergegeben worden, wo jedoch unabhängig davon Fallkooperationen notwendig gewesen seien, seien diese gut verlaufen. 482 6.2.6.5.3 Fortbildungen und Veranstaltungen im Stadtteil Eine allgemein sehr positive Bilanz der Veranstaltungen und Projektvorstellungen im Stadtteil zieht ein Mitarbeiter. In kleinen Gruppen sei die Gesprächsmöglichkeit intensiver gewesen, in größeren hätten die Veranstaltungen eher Informationscharakter gehabt. Oft habe allerdings die vorgegebene Zeit nicht gereicht, da von einzelnen BesucherInnen immer wieder Fälle – zumeist von finanzieller Ausbeutung oder Gewalt in der Pflege – berichtet worden seien. Der persönliche Zugang sei auch für die Öffentlichkeitsarbeit wichtig. Die Resonanz auf die angebotenen Themen (Gewalt und Vorsorgevollmachten) sei sehr positiv gewesen. Auch die anderen MitarbeiterInnen berichten, dass die Veranstaltungen angenommen worden seien. Allerdings seien nicht alle Erfahrungen bei der Gestaltung von Veranstaltungen positiv gewesen; zum Teil – genannt wurden hier als Beispiele Schulungsveranstaltungen bei ambulanten Pflegediensten – sei das Interesse nur gering gewesen, die Absprachen und internen Kommunikationsstrukturen hätten die Veranstaltungen erschwert. In den Fällen, in denen Diskussionen mit PflegedienstmitarbeiterInnen zustande gekommen seien, seien diese lebhaft und emotional gewesen, und ein großer Bedarf, sich über Gewaltfälle in der Arbeit auszutauschen, sei deutlich geworden. Schulungen mit PflegedienstmitarbeiterInnen hätten zwar stattgefunden, seien jedoch im Gesamtprojekt zu kurz gekommen. Als sinnvoll erachteten die MitarbeiterInnen ein Gesamtkonzept von Veranstaltungen bei Altenclubs und eine gemeinsame Vor- und Nachbereitung der einzelnen Veranstaltungen mit ClubleiterInnen; beides sei jedoch aufgrund mangelnder Kooperationsbereitschaft nicht möglich gewesen. 6.2.6.5.4 Öffentlichkeitsarbeit Öffentlichkeitsarbeit habe einen wichtigen Stellenwert in der Stadtteilarbeit eingenommen. Auf verschiedenen Ebenen sei gearbeitet worden: Plakate über die verschiedenen Angebote des Projekts seien aufgehängt, Faltblätter mit der Bitte um Auslage verteilt und verschickt und Aktivitäten der Stadtteilarbeitsgemeinschaften in der Presse angekündigt worden. Hinsichtlich des Themas Gewalt im Alter sei es nur begrenzt möglich, die Presse zu interessieren. Anders sei es mit dem Thema Alter. Insbesondere Gratiszeitungen seien für die lokale Öffentlichkeitsarbeit eine gute Hilfe. Eine Mitarbeiterin beschreibt das Verhältnis zur lokalen Presse als „unkompliziert“, bereits vorformulierte Artikel seien bereitwillig aufgenommen worden. Auch Gemeindeblätter seien für die lokale Öffentlichkeitsarbeit genutzt worden. Aber auch bei guter Presse hätten Ankündigungen von Veranstaltungen nicht immer die erhoffte Wirkung gehabt. Es sei bei der Entwicklung von Informationsma- 483 terial darauf zu achten, dass die Zielgruppe leichten Zugang zu den Texten finden könne. Faltblätter müssten kurz und plakativ gestaltet werden. Generell müsse die Öffentlichkeitsarbeit auch im Stadtteil gut geplant werden; evtl. böten sich kurze gezielte Kampagnen an. Als gut hätte es ein Mitarbeiter erachtet, wenn parallel zur geplanten Veranstaltungsreihe eine Reihe in einer Stadtteilzeitung veröffentlicht worden wäre, in der alltagsnahe Probleme rund um das Thema Alter am Beispiel einer Familie aufgezeigt werden. Zudem könne man in Stadtteilen, in denen keine Gratisstadtteilzeitungen für ältere Menschen existierten, auch darüber nachdenken, spezielle Informationsbroschüren für ältere Menschen zu produzieren und auszulegen. Als wichtig benannten die MitarbeiterInnen die Präsenz auf Stadtteilfesten und Wochenmärkten. Ältere Menschen könnten so gezielt angesprochen werden – wenn auch die Resonanz zum Teil reserviert gewesen sei: Das Thema Altern sei eben wenig attraktiv. 6.2.6.5.5 Stadtteilarbeit: Bewertung und Ausblick aus der Perspektive der ModellprojektmitarbeiterInnen Einig sind sich die MitarbeiterInnen darin, dass ein dezentrales Beratungsangebot zwar generell wichtig und der an sich bessere Ansatz sei, jedoch unter anderen Voraussetzungen als im Modellprojekt umgesetzt werden müsse. Eine spezialisierte Beratung zu Gewalt im Alter, wie sie vom Modellprojekt angeboten wurde, funktioniere auf der zentralen Ebene besser als auf der dezentralen. Auch Fortbildungen könnten zentral effektiver organisiert werden. Der Projektkoordinator betont die Bedeutung beider Ebenen und dass beide sich gegenseitig bedingen: Wolle man in Kontakt mit Professionellen kommen, die direkt mit alten Menschen arbeiten, sei es sinnvoll, auf dezentraler Ebene anzusetzen. Solle allerdings auf der Ebene der Entscheidungsträger Einfluss genommen werden, dann sei die zentrale Arbeitsebene notwendig. Die Arbeitsgemeinschaften seien ein guter Arbeitsansatz für die Stadtteilebene. Auch eine stadtteilübergreifende Vernetzung brauche eine dezentrale Basis. Die MitarbeiterInnen benannten als Voraussetzungen für sinnvolle Stadtteilarbeit zum einen eine adäquate Größe – eine Mitarbeiterin nennt eine Einwohnerzahl von etwa 10.000 Personen. Es sei ferner wichtig, dass Dienste vor Ort tätig und möglichst auch ansässig seien und zeitliche Kapazitäten für Vernetzungsarbeit bereitstellen. Erleichternd wirke sicher das Bestehen einer gewissen Infrastruktur unter den 484 Diensten – „also wenn eine Zusammenarbeit nicht ganz fremd ist“ – wie es eine Mitarbeiterin formulierte. Als notwendige Voraussetzungen auf Seiten einer Einrichtung, die Stadtteilarbeit initiieren möchte, nennen die MitarbeiterInnen ausreichende zeitliche und finanzielle Ressourcen, die Bereitschaft, im Rahmen der Stadtteilarbeit mehr Aufgaben als andere in die Stadtteilarbeit einzubeziehende Personen zu übernehmen, Kreativität, Fähigkeit auch Aufgaben abzugeben, Flexibilität und Beharrlichkeit. Zentral sei die Anwesenheit vor Ort, von Vorteil sei ein eigenes Büro im Stadtteil. Ferner dürfe die Arbeit nicht zu stark durch bürokratische Strukturen reglementiert sein. Handlungskompetenz im Bereich der Vernetzung und Stadtteilorientierung seien wichtig – es bedürfe eines „gewissen Fingerspitzengefühls“ für die Arbeit mit anderen Professionellen. Eine wichtige Voraussetzung sei, so der Projektkoordinator, „dass sie so ein Gespür dafür haben, welches ist das notwendig Maß an Impulsen, die ich [geben] muss, aber nicht so stark, dass ich diejenigen unter Druck setze“. Die Empfehlungen, welche Angebote in den Stadtteilen weitergeführt und welche auch in anderen Städten implementiert werden sollten, sind identisch. Dabei stellen alle MitarbeiterInnen die lokale Vernetzungsstruktur mit den Arbeitsgemeinschaften (und ihren Produkten) als sinnvolle und fortzuführende Errungenschaft heraus. Dazu eine Mitarbeiterin: „(...) grundsätzlich so eine Vernetzungsebene zu finden mit Institutionen, die für Themen älterer Menschen sich einsetzen, also das würde ich schon empfehlen. Also würde ich für jeden Stadtteil empfehlen, würde ich auch für Hannover empfehlen.“ Allerdings sei bei der Konzeption solcher lokaler Vernetzungsstrukturen eine enge Fokussierung auf Gewalt im Alter nicht empfehlenswert. Die Etablierung einer effizienten Stadtteilarbeit setze eine gute Bedarfsanalyse voraus, möglichst unter Einbeziehung der Bevölkerung. Dabei könne erfragt werden, wie Beratung aussehen müsse, damit sie angenommen werde. Auch für die Etablierung eines Beratungsangebotes sei eine Einengung auf Gewalt nicht sinnvoll, da das Thema potenzielle KlientInnen eher abschrecke. „Also Gewalt so loszulösen als ein Thema, das finde ich ganz schwierig. Und das hat es vielleicht auch schwierig gemacht, weil es so von oben draufgesetzt wurde, erst mal. Und ich würde es heute erst mal benennen Krisen- und Belastungssituationen. (...) Ja, das Thema Gewalt (...), da gehen viele Leute erst mal auf Distanz, im Prinzip finden sie gut, dass man es benennt, aber andererseits gehen sie auf Distanz und ältere Menschen 485 offensichtlich noch mehr. (...) Sie können sich eher eingestehen, eine Krise oder Belastungssituation zu haben als eine Gewaltsituation.“ Als ebenfalls weiterzuführende und vorbildliche Einrichtung benennen die MitarbeiterInnen das einzige auf Dauer angelegte Produkt der Arbeitsgemeinschaften, den Häuslichen Unterstützungsdienst. Als empfehlenswert bezeichnet eine Mitarbeiterin auch den Gesprächskreis für pflegende Angehörige. Einige Überlegungen, wie der allgemein recht schwierige Zugang zu älteren Menschen hergestellt werden könnte, stellt eine Mitarbeiterin an: „Ich komme manchmal für mich zu dem Schluss, ob man das wirklich mehr über Professionelle laufen lassen muss, also, die Professionellen mehr schulen, damit sie in den Einzelfällen, wo sie Kontakt haben, anders darauf zugehen können, und dann wird das bekannter, dass da gute Arbeit oder gute Beratung geleistet wird und dann melden sich mehr (...). Also dies allgemein zu sagen, da ist eine Beratungsstelle, geht mal da hin, das funktioniert nicht, das sagen alle, das kommt von allen Institutionen. Es müssen andere Zugangsweisen entwickelt werden. (...) oder so Angebote zu machen, die nichts mit Problemen zu tun haben, (...) meinetwegen eine Möglichkeit zu schaffen, günstig Mittagessen zu gehen für ältere Menschen.“ 6.2.6.6 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Dem Modellprojekt stellten sich bei Projektbeginn parallel verschiedene Aufgaben. Zunächst war es notwendig, die Auswahl der Stadtbezirke vorzubereiten und durchzuführen. Später ging es primär darum, die TeilnehmerInnen für die ExpertInnenteams zu gewinnen und das Angebot des Modellprojekts im Stadtteil bekannt zu machen. Parallel musste die Arbeit im Stadtteil detaillierter ausgearbeitet werden. Die Phase der Einrichtung der ExpertInnenteams dauerte bis zum Frühjahr 1999. Nach einer Phase der Themenfindung und ersten Auseinandersetzung mit der Thematik Gewalt im Alter wurden in allen Stadtteilen jeweils spezifische Produkte entwickelt. In zwei Stadtteilen waren diese Produkte darauf ausgerichtet, die im Stadtteil bestehenden Angebote für ältere Menschen besser bekannt zu machen und Probleme und Möglichkeiten rund um das Thema „Alter“ im Rahmen von Informationsveranstaltungen zu thematisieren. In einem Stadtteil wurde ein Unterstützungsdienst für pflegende Angehörige, in einem weiteren Stadtteil wurde ein Gesprächskreis pflegender Angehöriger installiert und begleitet. Der Phase der Konzeption und Umsetzung der Produkte – die die meiste Zeit der Arbeit der AG in Anspruch nahm – folgte eine Phase der Neuorientierung und Perspektivdiskussion. Es galt zu überlegen, wie die Arbeits486 gruppen – oder im Falle des Unterstützungsdienstes ihre Produkte – nach dem Ende des Projektes weiterarbeiten sollten. Parallel zu den produktbezogenen Aktivitäten führten die MitarbeiterInnen in allen Stadtbezirken eine Vielzahl von Veranstaltungen durch, die das Projekt und die Problematik Gewalt im Alter bekannt machen sollten. Zudem führten die MitarbeiterInnen wöchentliche Sprechstunden durch, die sich allerdings nicht bewährten. Weitere Aktivitäten in den Stadtteilen waren der regelmäßige Besuch von anderen Vernetzungsgremien sowie Öffentlichkeitsarbeit für das Projekt, die Sprechstunden vor Ort sowie die Produkte der Stadtteilarbeit. Trotz erheblicher Anlaufprobleme – die in erster Linie mit der externen Initiierung der Stadtteilaktivitäten und dem sehr spezifischen Thema zusammenhingen – konnten die MitarbeiterInnen die gesetzten Ziele weitgehend erreichen. Der Aufbau von handlungsfähigen Arbeitsgruppen gelang, anspruchsvolle Produkte wurden in kurzer Zeit entwickelt und umgesetzt und die Vernetzung insbesondere durch die gemeinsame Arbeit an den Produkten vorangetrieben. Die Zufriedenheit mit der Stadtteilarbeit ist entsprechend groß – sowohl bei den TeilnehmerInnen der Arbeitsgemeinschaften „Gewalt im Alter“ als auch bei den MitarbeiterInnen. Die befragten Nutzerinnen und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen des in einem Stadtbezirk aufgebauten Unterstützungsdienstes sind ebenfalls sehr zufrieden mit dem Produkt dieser Stadtteilarbeit. Nicht zufriedenstellend verlief aus der Perspektive der MitarbeiterInnen die Beratung in den Stadtteilen – in der ursprünglichen Planung ein zentraler Bestandteil der Stadtteilarbeit. Die Beratung vor Ort wurde kaum angenommen. Die MitarbeiterInnen regen hier kooperative Beratungsangebote der verschiedenen Dienste an. Bis zuletzt blieb unklar, wie hoch der Beratungsbedarf in den Stadtteilen tatsächlich ist und in welchen Bereichen Beratungsbedarf älterer Menschen besteht. Es erwies sich, dass die Thematik „Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum“ für die dezentrale Arbeit kein optimaler Anknüpfungspunkt war. Dies lag in einem Stadtteil daran, dass es kein Vernetzungsgremium „Ältere Menschen“ und keine diesbezügliche öffentliche Diskussion gab. Bevor unter solchen Bedingungen das Thema Gewalt im Alter im persönlichen Nahraum auf die Tagesordnung gesetzt werden kann, so die Überlegung, müssen Professionelle und die Öffentlichkeit zunächst dafür sensibilisiert werden, dass Alter an sich ein relevantes Thema im Stadtteil sei. In den anderen Stadtbezirken gab es zwar Vernetzungsgremien „Ältere Menschen“, aber diese verstanden sich als Gremien zum Informationsaustausch. Aktivitäten zum Thema Alter waren von diesen Gremien bislang eher seltener ausgegangen. Auch hier wurde relativ früh deutlich, dass eine öffentliche Thematisie487 rung von Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum wenig sinnvoll ist, wenn selbst grundlegende Fragen rund ums Älterwerden (wie z.B. Pflege, Wohnen, Vorsorge) im Stadtteil kaum je öffentlich thematisiert wurden. Die MitarbeiterInnen sahen die Defizite vor Ort hinsichtlich der öffentlichen Diskussion und der lokalen Vernetzung und stellten die spezifische Thematik des Modellprojekts zunächst in den Hintergrund. Es wäre wahrscheinlich nicht gelungen, handlungsfähige Arbeitsgruppen aufzubauen, die sich über knapp zwei Jahre ausschließlich mit dem Thema Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum befasst hätten. Nahraumgewalt gegenüber alten Menschen war wichtiger Anlass für die Bildung der Arbeitsgemeinschaften, wurde dort immer wieder thematisiert und traf bei einigen Fachleuten im Stadtteil auf Interesse und Diskussionsbedarf. Die lokale Vernetzung und die Diskussionen in den Arbeitsgemeinschaften mögen dazu beitragen, dass zukünftig bei Fällen von Gewalt gegen ältere Menschen Professionelle in den Stadtteilen sich schneller zuständig fühlen, effizienter kooperieren und allgemein weniger hilflos agieren. Angesichts insgesamt nur geringer Fallzahlen im Bereich Gewalt gegen Ältere werden sich allein über diese Fallkooperationen jedoch kaum dauerhafte Netzwerke bilden. In den Produkten der Arbeitsgemeinschaften war die Thematik der Nahraumgewalt nur ein Aspekt von vielen. Die in den Stadtteilen entwickelten Produkte zielen auf eine allgemein bessere Verfügbarkeit von Hilfen, die Förderung einer aktiveren Vorbereitung auf Altern und Pflegebedürftigkeit, Entlastung von pflegenden Angehörigen und verbesserte Kooperation von Professionellen. Diese sind als Maßnahmen primärer Prävention möglicherweise auch, aber keinesfalls nur als Maßnahmen zur Vorbeugung von familiärer Gewalt im Alter zu verstehen. In einem sehr weiten Verständnis von Gewaltprävention mag nahezu jede Form von sozialer Unterstützung auch gewaltpräventiv wirken. Zugleich ist unabhängig von Hinweisen auf akute und potenzielle Gewaltsituationen jede Art von Unterstützung für schwierige Lebenslagen im Alter und häusliche Pflegekonstellationen sinnvoll. Diesbezügliche sozialpolitische Aktivitäten sollten nicht durch ihre (möglicherweise auch) gewaltpräventive Wirkung legitimiert werden müssen. Als nach wie vor ungelöstes Problem formulieren die MitarbeiterInnen und die Fachleute im Stadtteil den Zugang zu älteren Menschen in schwierigen Lebenslagen. 488 6.3 Das Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ im Vergleich 6.3.1 Überblick Der Themenbereich „Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum“ wird im deutschsprachigen Raum erst seit wenigen Jahren von Institutionen und Einrichtungen als eigenständiger und so benannter Aufgabenbereich bearbeitet. In den wenigen Jahren seit 1997 konnte sich eine Vielzahl von Arbeitsansätzen etablieren, die zum Teil weit über den engen Bereich des persönlichen Nahraums hinausgehen, zum Teil sich explizit auf den Themenbereich Pflege beziehen. Zu nennen sind hier verschiedene Beratungsstellen zum Thema Pflege und die neu geschaffenen Beschwerdestellen. Zudem gibt es verschiedene Initiativen, die ausdrücklich gegen Gewalt gegen ältere Menschen arbeiten oder ihre Zuständigkeit im Schutz von Senioren sehen. Die Reichhaltigkeit und Vielfalt der Angebote soll im Folgenden vorgestellt werden. Im zweiten Abschnitt werden Arbeitsansätze und Einrichtungen aus den USA, Australien und anderen europäischen Ländern vorgestellt. Sie sollen einen Überblick über die Entwicklung andernorts geben. 6.3.2 Gewalt gegen ältere Menschen und Probleme in der Pflege – Präventions- und Interventionsansätze auf nationaler Ebene 6.3.2.1 Ziele, Methoden und Durchführung der Untersuchung Nach Antragstellung und Finanzierungszusage des Hannoveraner Modellprojekts entstanden in der Bundesrepublik Deutschland verschiedene Einrichtungen und Initiativen zu den Themen Gewalt gegen ältere Menschen, Gewalt und krisenhafte Problemlagen in der häuslichen Pflege und Missstände bzw. Probleme in der stationären wie ambulanten professionellen Pflege. Die ersten Initiativen – die Städtische Beschwerdestelle für Probleme in der Altenpflege in München und die Bonner Initiative Handeln statt Misshandeln – nahmen 1997 ihre Arbeit auf. Danach erweiterte sich die bundesdeutsche Hilfelandschaft zum Thema rasch. Zum Zeitpunkt der Planung des Modellprojekts und seiner wissenschaftlichen Begleitung war dies nicht absehbar, und entsprechend war eine eigene Untersuchung dieser Hilfelandschaft zunächst nicht vorgesehen. Aufgrund der veränderten Situation entschied sich die wissenschaftliche Begleitung im Verlauf der Begleitforschung, 489 die neu entstandenen Angebote in einem eigenen Untersuchungsmodul zu analysieren. Ziel einer solchen Untersuchung war es, zu erkunden, welche Arbeitsansätze von anderen Anbietern verfolgt werden und welche Erfahrungen damit gemacht werden. Für die Untersuchung wurde der enge Fokus auf Gewalt im persönlichen Nahraum erweitert, erwies es sich doch, dass für die meisten Initiativen Gewalt im persönlichen Nahraum nur ein Teil des erklärten Zuständigkeitsbereiches ist. Die Initiativen und Einrichtungen sehen sich entweder als zuständig für den enger gefassten Themenkomplex „Probleme bzw. Gewalt in der Pflege“ (stationäre, ambulante oder private häusliche Pflege) oder „Gewalt gegen ältere Menschen allgemein“. Lediglich eine Einrichtung, das Seniorenschutztelefon in Berlin, hat den selben Zuständigkeitsbereich wie das Hannoveraner Modellprojekt. Die folgende Auswahl der Einrichtungen und Initiativen erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie berücksichtigt alle Initiativen, die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Krisentelefone, Beratungs- und Beschwerdestellen für alte Menschen in Deutschland344 organisiert sind sowie alle Einrichtungen und Initiativen, von deren Existenz die wissenschaftliche Begleitung wusste und zu deren Aufgabenbereich Beratung bei Missständen in der Pflege und/oder Gewalt gegen ältere Menschen gehörte. Weitere als die benannten Einrichtungen und Initiativen mögen im Entstehen sein, und bereits bestehende mögen ihre Angebote ausdrücklich auch auf Gewalt gegen alte Menschen beziehen. Insgesamt werden im folgenden 14 Einrichtungen und Initiativen vorgestellt. Die Adressen dieser Initiativen finden sich im Anhang. Die Auswertung wurde auf der Grundlage publizierten Materials sowie eigener Befragungen erstellt. Es wurden 10 ExpertInneninterviews (vgl. dazu MEUSER & NAGEL, 1991) mit 13 Personen aus Einrichtungen bzw. Initiativen in sieben Städten geführt. Alle Befragten waren MitarbeiterInnen von Einrichtungen und Initiativen, die in der o.g. Bundesarbeitsgemeinschaft zusammenarbeiten. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf diesen Initiativen. Die leitfadenorientierten Interviews fanden im Zeitraum vom 24.1.2001 bis zum 8.3.2001 jeweils in den Büros der Befragten statt, sie dauerten zwischen 60 und 120 Minuten. Im Vorfeld der Befragungen wurden die Selbstdarstellungen und Eigenpublikationen der Initiativen ausgewertet, so dass die Interviewleitfäden in Teilen auf die jeweilige Institution und den Informationsbedarf zugeschnitten waren. Die Interviews wurden aufgezeichnet und verschriftet. Interviews wurden mit folgenden Institutionen und Personen geführt: 344 Vgl. dazu auch Kap. 6.2.5.1.2. 490 • • • • • • • • • • Handeln statt Misshandeln, Initiative gegen Gewalt im Alter e.V., Siegen: Christel Ruback Handeln statt Misshandeln, Bonner Initiative gegen Gewalt im Alter e.V.: Prof. Dr. Dr. Rolf D. Hirsch PflegeNotTelefon Schleswig-Holstein: Anke Buhl Pflegetelefon Hamburg: Steffi Lohse, Stefanie Hilker und Dr. Heidrun Thomas Notruftelefon: Landesweite Anlaufstelle für Probleme mit stationärer/ambulanter Pflege, Niedersachsen (Notruftelefon Niedersachsen): Meike Janßen Berliner Krisentelefon: Pflege in Not: Gabriele Tammen-Parr Vereinigung Integrationsförderung, München: Claus Fussek Münchner Arbeitskreis gegen Menschenrechtsverletzungen: Alexan345 der Frey Städtische Beschwerdestelle für Probleme in der Altenpflege, München: Felicitas Ruhlig und Kornelie Rahnema Seniorenschutz-Telefon gegen häusliche Gewalt im Alter, Berlin: Christiane Kleinschmidt Folgende Initiativen werden ausschließlich auf der Grundlage schriftli346 cher Informationen vorgestellt: Informationsbüro Pflege und Pflegebeschwerdestelle, Bremen psychosoziale Beratungsstelle für pflegende Angehörige und ältere Menschen in Bremen: Notruf für pflegende Angehörige in Bremen • Beschwerde- und Schlichtungsstelle für pflegebedürftige Bürger/347 innen, Angehörige und Mitarbeiter/innen in der Pflege, Nürnberg • • 345 Die Interviews mit Claus Fussek und Alexander Frey hatten in weiten Teilen einen anderen Schwerpunkt als die anderen Gespräche. Die beiden tragen seit Jahren in München maßgeblich dazu bei, dass die Problematik der ambulanten wie stationären Pflege in der Öffentlichkeit und Politik immer wieder diskutiert wird und hohe Priorität hat. Die Einrichtung der Beschwerdestelle und ihr starker politischer Auftrag sind ein Ergebnis dieses dauerhaften und effektiven Engagements. Sie sind nicht in erster Linie in ihrer beruflichen Funktion und Position – der eine als Sozialarbeiter und Leiter eines ambulanten Unterstützungsdienstes, der andere als Rechtsanwalt – mit dem Thema Gewalt im Alter befasst, sondern als engagierte Einzelpersonen. In der Auswertung wird nur die Vereinigung Integrationsförderung als Dienstleistungsanbieter im Bereich der Alten- und Behindertenhilfe berücksichtigt. Eine Untersuchung der Geschichte der Thematisierung von Gewalt gegen ältere Menschen – welche Voraussetzung, nicht (nur) Produkt der verschiedenen Initiativen und Einrichtungen ist – würde stärker den Blick auf das Engagement von Einzelpersonen, und Organisationen außerhalb der administrativen und wohlfahrts-verbandlichen Strukturen legen, kann hier jedoch nicht geleistet werden. 346 Ein angestrebtes Interview mit Seniohr Frankfurt kam nicht zustande, da das Projekt sich in einer Umbruchsituation befand. Die Initiativen in Bremen wurden aus zeitökonomischen Gründen nicht befragt. 347 Die Nürnberger Beschwerdestelle entwickelte sich im Anschluss und nach dem Vorbild der Münchner Beschwerdestelle. Aufgrund dieser weitgehenden Ähnlichkeit, ferner aus arbeitsökonomischen Gründen und angesichts der großen Unterschiede zwischen der Arbeit der Beschwerdestellen und des Modellprojekts wurde hier keine Befragung durchgeführt. 491 • Seniohr – Beratungstelefon für Sicherheit im Alter, Frankfurt Die Auswertungen beziehen sich auf die genannten 14 Einrichtungen; erscheint dies angebracht, wird das Modellprojekt zum Vergleich herangezogen. Weitere Initiativen und Ansätze, über die nur wenig Informationen vorlagen, werden im Abschnitt 6.3.2.15 vorgestellt. Die Darstellung der Anbieter sozialer Dienstleistungen zum Thema Gewalt im Alter beruht auf ihren Selbstdarstellungen in HIRSCH & ERKENS (1999), Informationen aus Broschüren (z.B. Arbeitsberichten), Faltblättern, Pressemeldungen sowie den Interviews mit ProjektmitarbeiterIn348 nen . Aus Selbstdarstellungen stammen auch die Informationen über das Informationsbüro Pflege und Pflegebeschwerdestelle Bremen349 und die Psychosoziale Beratungsstelle für pflegende Angehörige und ältere Menschen in Bremen: Notruf für pflegende Angehörige350. Die Entwicklung und Auswertung der Interviewleitfäden und die Auswertung des weiteren vorliegenden Materials erfolgte anhand der folgenden Fragestellungen: 1. Welches ist das Problemfeld, auf das sich die Angebote beziehen? 2. Was ist über die Entwicklung der Angebote bekannt? (Entstehungsgeschichte) 3. In welcher Trägerschaft, mit welcher Anbindung arbeiten die Angebote? Wie werden sie finanziert? 4. Auf welcher rechtlichen Grundlage arbeiten die Angebote? 5. Wie ist die Personalstruktur? Über welche Funktionen verfügt das Personal? 6. Welches sind die Ziele der Einrichtungen und Initiativen? 7. Welches sind die Zielgruppen? 8. Welche Arten von Hilfen werden angeboten? 9. Nach welchen (Beratungs)grundsätzen wird in den Initiativen gearbeitet? 10. Welche konkreten Angebote gibt es? 11. Welche Art von Öffentlichkeitsarbeit wird betrieben – mit welchem Ziel? 12. Wie dokumentieren die Einrichtungen und Initiativen ihre Arbeit? 13. Welche Erfahrungen vor allem hinsichtlich der Nutzung ihrer Einrichtung haben die Einrichtungen und Initiativen bislang gemacht? 348 Diese Quellennachweise sind jeweils in den Fußnoten aufgeführt. 349 Informationen dazu aus: AMT FÜR SOZIALE DIENSTE BREMEN (1998, 1999) 350 PSYCHOSOZIALE BERATUNGSSTELLE FÜR PFLEGENDE ANGEHÖRIGE UND ÄLTERE MENSCHEN, AWO BREMEN (o.J.). Manchmal ist die Pflege und Betreuung eines nahen Angehörigen von Konflikten überschattet. Notruf für pflegende Angehörige, Faltblatt. 492 Die insgesamt inhomogene Angebotsstruktur erschwert eine knappe Zusammenfassung; Vergleiche der Angebote sind aus dem gleichen Grunde nur begrenzt möglich, zu groß sind die Unterschiede. Die Angebote unterscheiden sich hinsichtlich der Zuständigkeiten, der Arbeitsbereiche, der finanziellen Ausstattung, der Trägerschaft, der Ziele, der personellen Ausstattung, der Arbeitsweise und der Erfahrungen – um nur einige Beispiele zu nennen. Die folgende Zusammenfassung dokumentiert in erster Linie die Vielfalt der aktuell bestehenden Angebote. Für die Entwicklung zukünftiger und die Verbesserung bestehender Projekte erscheint die Berücksichtigung dieser vielfältigen Arbeitsansätze und Erfahrungen unabdingbar. 6.3.2.2 Problemfelder Vergleicht man den Aufgabenbereich der Einrichtungen und Initiativen, so ist grundsätzlich zwischen ausschließlich pflegebezogenen Angeboten (n = 9) und umfassenderen Angeboten zu Gewalt im Alter (n = 5) zu unterscheiden. Letztere nehmen Gewalt in der Pflege als eine Form von Gewalt gegen alte Menschen wahr. Einige dieser Angebote sehen sich als ausschließlich zuständig für Gewalt im häuslichen Bereich (n = 2), andere sehen sich als zuständig für Gewalt im Alter allgemein (n = 3). Bei den pflegebezogenen Angeboten lassen sich psychosoziale Beratungsangebote (n = 3), Angebote zur Verbesserung der Pflegequalität bzw. zum Verbraucherschutz in der Pflege (n = 2), kombinierte Angebote (n = 3) und Anbieter von Unterstützungsdiensten unterscheiden 351 (n = 1) . Während die Angebote zur Verbesserung der Pflegequalität bzw. zum Verbraucherschutz in der Pflege die ganze Bandbreite der Probleme und Missstände in der professionellen Pflege bearbeiten (darunter auch Gewaltfälle), bieten die kombinierten Angebote darüber hinaus Informationen rund um das Thema Pflege an. Auch ihr Fokus ist nicht primär Gewalt. Die psychosozialen und allgemeinen Beratungs- und Informationsstellen sowie Notruftelefone stellen zum Teil gleichfalls pflegebezogene Informationen bereit, bieten jedoch auch – und dies meist primär – psychosoziale Beratung für pflegende Angehörige, pflegebedürftige Menschen und andere Betroffene an. Diesen Angeboten geht es an erster Stelle um Gewaltprävention und telefonische Krisenintervention 351 Die Zuordnung ist bei den Anbietern schwierig, die sich auch als Beratungsstelle für Probleme in der stationären Pflege verstehen, aber über keine institutionalisierten Möglichkeiten der Bearbeitung von Beschwerden verfügen (Notruftelefon Niedersachsen, PflegeNotTelefon Schleswig-Holstein, Berliner Krisentelefon). 493 in Gewaltsituationen. Den pflegebezogenen Angeboten ist gemeinsam, dass ihr Fokus nicht primär auf Alter liegt: Es geht um alle Pflegebezie352 hungen, unabhängig vom Alter der Pflegebedürftigen . Damit lassen sich die Angebote folgendermaßen klassifizieren: 1. pflegebezogene Angebote a) Angebote zur Verbesserung der Pflegequalität bzw. zum Verbraucherschutz in der Pflege – Städtische Beschwerdestelle für Probleme in der Altenpflege, München 354 (Beschwerdestelle München353) – Beschwerde- und Schlichtungsstelle für pflegebedürftige Bürger/innen, Angehörige und Mitarbeiter/innen in der Pflege, Nürnberg (Beschwerdestelle Nürnberg) b) psychosoziale und allgemeine Beratungs- und Informationsstellen, Notruftelefone – PflegeNotTelefon Schleswig-Holstein355 – psychosoziale Beratungsstelle für pflegende Angehörige und ältere Menschen in Bremen: Notruf für pflegende Angehörige in Bremen (Psychosoziale Beratungsstelle: Notruf für pflegende Angehörige Bremen) 356 – Berliner Krisentelefon: Pflege in Not c) Angebote zur Verbesserung der Pflegequalität bzw. zum Verbraucherschutz in der Pflege und psychosoziale und allgemeine Beratungs- und Informationsstellen, Notruftelefone – Notruftelefon: Landesweite Anlaufstelle für Probleme mit stationärer/ambulanter Pflege, Niedersachsen (Notruftelefon Niedersachsen) – Pflegetelefon Hamburg – Informationsbüro Pflege und Pflegebeschwerdestelle, Bremen d) Anbieter von Unterstützungsdiensten – Vereinigung Integrationsförderung, München357 352 So sind im Unterstützerkreis des PflegeNotTelefons Schleswig-Holstein auch der Behindertenbeauftragte des Landes sowie die Lebenshilfe vertreten. 353 Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden im Folgenden nicht in allen Fällen die vollständigen Namen der Einrichtungen und Initiativen genannt, sondern die kursiv gesetzten Kurzformen. 354 Eine ähnliche Einrichtung unter gleicher Bezeichnung wurde auch in Zürich eröffnet; vgl. Zürich: Unabhängige Beschwerdestelle eröffnet (1998). 355 Internet-Präsenz: vgl. (1)http://www.arbeiterwohlfahrt.de/news/weitere/9903pflenot.html (2) http://members.tripod.de/~AlzheimerPbg/nottele.html (3) http://www.diakonie-sh.de/diakonie/nottelefon3.htm (4) http://www.on-luebeck.de/~pewe/dbfk/info/0299/nottel.htm 356 Hier ist die Zuordnung nicht ganz eindeutig, da das Angebot auf Probleme in der stationären Pflege ausgedehnt wurde. 494 2. auf Gewalt gegen alte Menschen im häuslichen Bereich bezogene Angebote – Modellprojekt Hannover: „Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum“ – Seniorenschutz-Telefon gegen häusliche Gewalt im Alter, Berlin (Seniorenschutz-Telefon Berlin) 3. übergreifende Angebote: Gewalt im Alter als Thema – Seniohr – Beratungstelefon für Sicherheit im Alter (Seniohr Frankfurt) – Handeln statt Misshandeln: Bonner Initiative gegen Gewalt im Alter e.V., Bonn (Handeln statt Misshandeln Bonn) – Handeln statt Misshandeln: Initiative gegen Gewalt im Alter e.V., Siegen (Handeln statt Misshandeln Siegen) 357 Ausführliche Informationen über das ehemalige Modellprojekt Vereinigung Integrationsförderung München in SPECK, KLUSS & UNGER (1985). 495 Übersicht: Zuständigkeitsbereiche und Angebote Missstände, Probleme, Gewalt in der Pflege Gewalt im persönlichen Gewalt im Nahraum öffentlichen Raum professionelle Pflege häusliche Gewalt unfamiliäre abhängig von PflegeStationäre ambulante Pflege beziehunPflege Pflege gen Beschwerdestelle München Beschwerdestelle Nürnberg PflegeNotTelefon SchleswigHolstein Notruf für pflegende Angehörige Bremen Berliner Krisentelefon Notruftelefon Niedersachsen Pflegetelefon Hamburg Informationsbüro Pflege und Pflegebeschwerdestelle, Bremen Modellprojekt Hannover Seniorenschutz-Telefon Berlin Seniohr, Frankfurt Handeln statt Misshandeln Bonn Handeln statt Misshandeln Siegen psychosoziale und allgemeine Beratungs- und Informationsstellen, Notruftelefone Beschwerdestellen 496 6.3.2.3 Entwicklung der Angebote 358 Mit Ausnahme der bereits im Jahr 1978 gegründeten Vereinigung Integrationsförderung, die allerdings ein umfassenderes Spektrum sozialer Unterstützungsdienste anbietet und bei deren Arbeit nicht Gewaltprävention, sondern die Gewährleistung selbständiger Lebensführung für Menschen mit körperlichen und/oder psychischen Einschränkungen das übergeordnete Ziel ist, sind die Einrichtungen und Initiativen, von denen konkrete Angaben über Gründung bzw. Arbeitsbeginn vorla359 gen , in der Zeit zwischen 1997 und 2000 entstanden. Insgesamt handelt es sich also bei diesen Beratungseinrichtungen um ein neues Phänomen; die Gründung der Initiativen und Projekte fällt zeitlich weitgehend zusammen mit einer Phase der verstärkten öffentlichen Thematisierung der Problematik ´Gewalt gegen Ältere´ (vgl. FUSSEK, 1997); die Institutionalisierung von Hilfeangeboten ist zugleich Ausdruck, Element und treibende Kraft der Thematisierung. Die ‘älteren’ Einrichtungen und Initiativen sind Handeln statt Misshandeln in Bonn und die städtische Beschwerdestelle in München – beide begannen mit ihrer Arbeit im Jahr 1997. Einige der in den beiden Folgejahren entstandenen Projekte bezogen sich explizit auf diese Vorbilder, so Handeln statt Misshandeln in Siegen (Arbeitsbeginn 1998) und die Nürnberger Beschwerdestelle. Die ersten Beratungen des Berliner 360 Seniorenschutztelefons wurden im Herbst 1998 angeboten . Die ‘neueren’ Einrichtungen und Initiativen sind das Notruftelefon Niedersachsen, das Berliner Krisentelefon, die Beschwerdestelle Nürnberg, das Pflegetelefon Hamburg, das PflegeNotTelefon Schleswig-Holstein, das Informationsbüro Pflege und Pflegebeschwerdestelle; sie nahmen ihre Arbeit im Jahr 1999 auf. Mit Seniohr besteht seit September 2000 in Frankfurt ebenfalls eine Initiative zum Thema. Die meisten der Initiativen und Einrichtungen hatten zunächst Modellcharakter; Bedarf und Nutzung der Einrichtungen sollten in dreimonatigen bis dreijährigen Pilotphasen überprüft werden, um anhand der Arbeitsergebnisse über die weitere Finanzierung und Gestaltung der Angebote zu entscheiden. So zeichnet sich erst allmählich für einige Angebote eine langfristige Perspektive ab (so z.B. für die Beschwerde- 358 Hier liegen abweichende Angaben vor, während bei FUSSEK (1999, S. 37) die Gründung auf 1987 datiert ist, nennt eine Broschüre der VIF das Gründungsjahr 1978 (VIF Vereinigung Integrations-Förderung e.V. Soziale Initiativen zum selbstbestimmten Leben behinderter Menschen, Informationsbroschüre, S. 3). 359 Zur Psychosozialen Beratungsstelle: Notruf für pflegende Angehörige in Bremen liegen diesbezüglich keine Angaben vor. 360 Interview Seniorenschutztelefon, S. 2. 497 361 telefone sowie das PflegeNotTelefon ). Einige der neueren Initiativen befinden sich zum Teil aktuell in Entscheidungsprozessen hinsichtlich der weiteren Konzeption und Finanzierung ihrer Angebote (Seniorenschutztelefon Berlin, Seniohr in Frankfurt). Die Gründungsgeschichten der einzelnen Einrichtungen und Initiativen sollen im Folgenden skizziert werden. Für die Entstehung von Handeln statt Misshandeln Bonn waren die Tätigkeit von Prof. Dr.Dr. Rolf Hirsch in den Rheinischen Landeskliniken, Abteilung für Gerontopsychiatrie und Gerontopsychiatrisches Zentrum, und seine Untersuchungen zu Fixierungen im stationären Bereich relevant. Zudem war im Umfeld der gerontopsychiatrischen Abteilung ein „Förderverein Gerontopsychiatrie“ entstanden. Diesem eröffnete sich die Möglichkeit, im Rahmen einer ABM-Stelle eine Übersicht sämtlicher Angebote für ältere Menschen im Rhein-SiegKreis zu erstellen. Im Rahmen weiterer Finanzierungsmöglichkeiten durch die Stadt Bonn wurden neue konzeptionelle Überlegungen angestellt. Es entstand die Idee, dem Defizit an Beratungsmöglichkeiten im Bereich Gewalt im Alter zu begegnen. Der Förderverein Gerontopsychiatrie benannte sich um in Handeln statt Misshandeln – Bonner Initiative gegen Gewalt im Alter und begann mit städtischer 362 Unterstützung mit dem Aufbau der Beratungsstelle. • Handeln statt Misshandeln Siegen entstand in enger Anlehnung an die Bonner Initiative; Name, Logo und Konzept wurden nach dem Vorbild von Handeln statt Misshandeln Bonn gestaltet. Maßgeblich für die Gründung war Christel Ruback, eine Dozentin der Gesamthochschule Siegen (Schwerpunkt Handlungsfeld Altenarbeit), die im Rahmen der Betreuung einer Diplomarbeit Interesse an der Thematik entwickelte und 1997 Kontakt mit Handeln statt Misshandeln Bonn aufnahm. Eine Veranstaltung zum Thema fand große öffentli363 che Aufmerksamkeit und führte zur Vereinsgründung. • Die Vorgeschichte der Beschwerdestelle München ist geprägt von zähen und langjährigen Bemühungen – insbesondere durch Einzelpersonen wie Claus Fussek, Alexander Frey, dem Arbeitskreis gegen Menschenrechtsverletzungen und verschiedene andere Aktivisten aus dem Bereich der Alten- und Behindertenpolitik –, in München die Situation in stationären Pflegeeinrichtungen zu einem öffentli- • 361 Die schleswig-holsteinische Sozialministerin Heide Moser konstatierte hinsichtlich des PflegeNotTelefons, dass es aufgrund der großen Nachfrage, „als Dauereinrichtung notwendig“ sei. (PFLEGE: PFLEGEBERATUNGSSTELLEN IM GANZEN LAND GEPLANT, 2001, 9. Februar, http://www.kn-online.de/htm/aktuell/sh/c-st_-in-Not_ART.htm) 362 Interview Handeln statt Misshandeln Bonn, S. 1ff. 363 Interview Handeln statt Misshandeln Siegen, S. 1f. 498 364 chen Thema zu machen . Anonymisierte Fälle von Gewalt in stationären Pflegeeinrichtungen wurden über die Presse verbreitet. Der öffentliche und politische Druck auf die Kommunalpolitik, diesen Missständen nachzugehen und zu begegnen, nahm zu. Die städtische Mehrheit in Aufsichtsräten ehemals städtischer Pflegeheime war womöglich ein zweiter Faktor, der dazu führte, dass eine Verantwortung der Kommunen für Qualitätssicherung in der stationären Pflege wahrgenommen wurde. In allen Parteien wurde zunehmend die Notwendigkeit einer neutralen Stelle gesehen, die solche Vorwürfe prüfen und die Ergebnisse der Öffentlichkeit präsentieren sollte. Ein einstimmiger Stadtratsbeschluss erfolgte nach langer und kontroverser politischer Diskussion und führte zur Planung und im Oktober 1997 zur Einrichtung der Beschwerdestelle als Stabsstelle direkt beim Büro des Oberbürgermeisters. Eine Integration in die Sozialbehörde wurde damals verworfen, um die Handlungsfähigkeit der Beschwerdestelle zu erhöhen. Im Jahr 2000 wurden ihre Personalkapazitäten verdoppelt, um den ambulanten Bereich ebenfalls adäquat 365 abdecken zu können. • Die Beschwerdestelle Nürnberg folgte weitgehend der Konzeption der Münchner Beschwerdestelle. Ihre Einrichtung war gleichfalls Ergebnis eines Stadtratsbeschlusses. • Das PflegeNotTelefon in Schleswig-Holstein als ein landesweites Angebot entwickelte sich demgegenüber im Kontext landespolitischer Diskussionen. Die ersten Diskussionen zum Thema wurden ab 1995 vom Rat zur Kriminalitätsverhütung (einer Initiative des Innenministeriums) geführt. ExpertInnen aus verschiedenen Arbeitsbereichen befassten sich mit dem Thema Gewalt gegen ältere Menschen zunächst unter Einbeziehung aller Viktimisierungskontexte. Später wurden die Schwerpunkte auf Gewalt in der Pflege und im persönlichen Nahraum gelegt. Das Gremium formulierte Empfehlungen an den Landtag, sich mit dem Thema zu befassen und diesbezüglich einen Beschluss zu fassen. Ein Landtagsbeschluss mit der Schwerpunktsetzung in der familiären und beruflichen Pflege wurde daraufhin vorbereitet und unter dem Titel „Gewalt gegen ältere Menschen – Prävention und Intervention“ am 16.1.1998 verabschiedet. In diesem Landtagsbeschluss wurde das Ministerium für Arbeit, Soziales und Gesundheit aufgefordert, Umsetzungsvorschläge zu entwickeln und dem Landtag gegenüber regelmäßig Rechenschaftsberichte vorzulegen. Das Ministerium und die Wohlfahrtsverbände erarbeiteten 364 Claus Fussek benennt konkret den April 1997 als Beginn einer breiteren öffentlichen Aufmerksamkeit zum Thema Gewalt in der stationären Pflege (Interview Claus Fussek, S. 5). 365 Beschluss des Verwaltungs- und Personalausschusses, des Sozialausschusses und des Sozialhilfeausschusses in der gemeinsamen Sitzung vom 17.2.2000 (Interview Beschwerdestelle München, S. 1; LOERZER, 2000). 499 • • • • daraufhin im Rahmen eines neuen Arbeitskreises Umsetzungskonzepte. Die Arbeiterwohlfahrt wurde 1998 mit der Koordinierung des PflegeNotTelefons betraut. Es folgten der Aufbau eines Unterstützerkreises – der jetzt als Trägerkreis des Telefons fungiert –, im November 1998 die Konzeptionierung und anschließend die Umsetzung des PflegeNotTelefons, unter Einbeziehung der Erfahrungen 366 der Initiativen in Bonn, München und Hannover. Eine Anregung für den Aufbau des Notruftelefons Niedersachsen war die Einrichtung des PflegeNotTelefons in Schleswig-Holstein. Der zweite Anstoß war eine öffentliche Verlautbarung der damaligen niedersächsischen Sozialministerin, in der sie auf Pflegemissstände hingewiesen und die Notwendigkeit der Implementation eines Beschwerde- bzw. Notruftelefons in Niedersachsen konstatiert hatte. Zudem gab es im Landesverband des Sozialverbands Deutschland Einzelpersonen, die maßgebliches Interesse am Thema Gewalt in der Pflege hatten. In relativ kurzer Zeit wurde dann durch den Landesverband die Konzeption des Telefons entwickelt und zur Umset367 zung gebracht. Die Idee, ein Pflegetelefon in Hamburg zu installieren entwickelte sich als Projekt des Landespflegeausschusses Hamburg im Kontext der öffentlichen Kritik an der pflegerischen Versorgung im häuslichen und stationären Bereich in Hamburg (vgl. dazu HEINEMANN, 368 LOCKEMANN, MATSCHKE, TSOKOS & PÜSCHEL, 2000) . Das 369 Pflegetelefon nahm seine Arbeit im Juli 1999 auf . Die Idee des Seniorenschutztelefons Berlin wurde in einem Arbeitskreis des Humanistischen Verbands, der den Aufbau der Seniorenarbeit zur Aufgabe hatte, entwickelt. Geplant war, das Seniorenschutztelefon als einen Baustein eines Seniorenschutzzentrums anzulegen. Verschiedene Grundideen kamen zusammen und prägten das Konzept: das grundsätzlich große Interesse beim Humanistischen Verband an ehrenamtlicher Arbeit und das Interesse an der Gewaltproblematik, auch begründet durch Vorerfahrungen der Pro370 jektkoordinatorin in der Arbeit mit gewaltbetroffenen Frauen. Das Berliner Krisentelefon Pflege in Not entstand aus den Erfahrungen in der direkten Arbeit mit pflegenden Angehörigen. Gabriele Tammen-Parr, Initiatorin des Berliner Krisentelefons, kannte aus der Leitung von Gruppen pflegender Angehöriger Schilderungen von körperlicher Gewalt und Vernachlässigung im Pflegealltag. Das Ber- 366 Interview PflegeNotTelefon Schleswig-Holstein, S. 1f. 367 Interview Notruftelefon Niedersachsen, S. 1ff. 368 Hamburg bekommt ein Pflege-Service-Telefon (11.März 1999). Verfügbar unter http://www.hamburg.de/Behoerden/BAGS/pressemitteilungen/hamburg_bekommt_ein_pflege.htm [8.2.2000]. 369 Interview Pflegetelefon Hamburg, S. 2. 370 Interview Seniorenschutztelefon, S.1. 500 liner Krisentelefon wurde dann als ein telefonisches Beratungsangebot konzipiert, das gerade Menschen in Pflegesituationen, die nicht ohne weiteres ihre Umgebung verlassen können und sich in einer akuten Krise befinden, schnell und unbürokratisch Beratung bieten kann. In der Konzeptentwicklungsphase kam es zu ausführlichen Informationen durch Handeln statt Misshandeln in Bonn. Der ursprüngliche Schwerpunkt war Pflege im häuslichen Bereich. Aufgrund zunehmender Anfragen wurde auch der stationäre Bereich in den 371 Zuständigkeitsbereich aufgenommen. • Seniohr Frankfurt – Beratungstelefon für Sicherheit im Alter – die jüngste der Beratungseinrichtungen – entstand in Anknüpfung an das beim Träger, dem Institut für Sozialarbeit, bereits erfolgreich etablierte Projekt „Sicherheitsberatung für Senioren“. Bei diesem Projekt vermitteln im Rahmen von Informationsveranstaltungen ehrenamtlich tätige Senioren Sicherheits- und Verhaltenshinweise hinsichtlich Bedrohungssituationen im öffentlichen Raum. Seniohr sollte nun die telefonische Ergänzung zu den Fortbildungen leisten, ausdrücklich erweitert um Gewalt, Bedrängnisse, Bedrohungen im persönlichen Nahbereich, insbesondere im Bereich der häuslichen Pflege, sowie um die Qualitätssicherung der Pflegedienste und 372 -heime. Die GestalterInnen der Konzeptionen neuer Angebote informierten sich stets bei schon existierenden Einrichtungen und diskutierten Vor- und Nachteile der jeweiligen Konzeption. Es wurde immer wieder Kontakt zu dem PflegeNotTelefon Schleswig-Holstein, zur Beschwerdestelle München, zum Modellprojekt in Hannover und zu Handeln statt Misshandeln in Bonn aufgenommen. 6.3.2.4 Trägerschaft, Anbindung und Finanzierung Nur wenige Angebote arbeiten als eigenständige gemeinnützige Vereine: die Münchner Initiative Vereinigung Integrationsförderung sowie die 373 beiden Vereine Handeln statt Misshandeln in Bonn und in Siegen . Auch der Humanistische Verband Deutschlands, der Betreiber des Seniorenschutztelefons in Berlin, der Sozialverband Deutschland (ehemals Reichsbund) als Betreiber des Notruftelefons Niedersachsen, sowie das Frankfurter Institut für Sozialarbeit (ISS) als Träger des Beratungstele371 Interview Berliner Krisentelefon, S.1f. 372 Projektbeschreibung. Eine Initiative der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung und des Instituts für Sozialarbeit e.V. (o.J.) 373 Diese Initiative, das Seniorenschutztelefon Berlin und die Vereinigung Integrationsförderung sind Mitglied im DPWV. 501 fons Seniohr (INSTITUT FÜR SOZIALARBEIT SETZT SICH IDEENREICH FÜR SENIOREN EIN, 2001, 10. Mai) sind eingetragene gemeinnützige Vereine. Vor allem die beiden erstgenannten sind allerdings aufgrund ihrer Größe und der Vielzahl der unter ihrem Dach angebotenen Einrichtungen und Initiativen mit den lokalen Trägervereinen nicht vergleichbar. Die genannten Einrichtungen und Initiativen betonen die Unabhängigkeit ihrer Angebote. Sie sind weder konfessionell oder politisch gebunden noch Teil kommunaler Sozialverwaltungen. Zwei Initiativen sind von Wohlfahrtsverbänden getragen: das Berliner Krisentelefon Pflege in Not arbeitet in Anbindung an das Diakonische Werk Stadtmitte und die psychosoziale Beratungsstelle für pflegende Angehörige und ältere Menschen in Bremen wird von der Arbeiterwohlfahrt betrieben. Die Einrichtungen und Initiativen, die in kommunaler Trägerschaft arbeiten, sind dort sehr unterschiedlich angebunden. Die Münchner und Nürnberger Beschwerdestellen sind direkt den Stadträten bzw. in München dem Oberbürgermeister unterstellt. Die Beschwerdestelle Nürnberg wird unter Mitwirkung des Stadtseniorenrats als der politischen Vertretung alter Menschen und des Seniorenamtes als der zuständigen Sozialbehörde betrieben. Im Unterschied dazu ist das Infobüro Pflege und Pflegebeschwerdestelle Bremen in die allgemeine Sozialverwaltung integriert; es wird vom Amt für Soziale Dienste – Sozialdienst Ältere Menschen betrieben. Einige Projekte favorisieren kooperative Lösungen mit verschiedenen Akteuren. So ist das PflegeNotTelefon in Schleswig-Holstein aufgrund eines Landtagsbeschlusses „Gewalt gegen ältere Menschen – Präven374 tion und Intervention“ vom Januar 1998 und auf Initiative des Landtags und des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales entstanden; gleichzeitig liegen die Projektentwicklung und Koordination bei einem freien Träger (Landesverband der AWO), der sich zur trägerneutralen Arbeit verpflichtete. Das Gesamtprojekt wird getragen von 45 Organisationen, von denen ca. 30 durch Freistellung und Bereitstellung von zumeist bei ihren Trägerorganisationen hauptamtlich angestellten MitarbeiterInnen die personelle Besetzung des Telefons gewährleisten. 374 Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Schleswig-Holstein: „Ich halte es nicht mehr aus...“. PflegeNotTelefon für Schleswig-Holstein eingerichtet – eine Initiative des Sozialministeriums. (Presseinformation vom 31. März 1999) 502 Derzeit nehmen insgesamt etwa 70 MitarbeiterInnen diese Aufgabe 375 wahr . Ein weiteres Kooperationsprojekt ist das Pflegetelefon Hamburg. Das Projekt ist eine Initiative des Landespflegeausschusses Hamburg. Einige Einrichtungen und Initiativen werden ausschließlich aus der öffentlichen Hand finanziert. Dies trifft zu für die Beschwerdestellen in München, Nürnberg und Bremen sowie für das Modellprojekt in Hannover. Das PflegeNotTelefon Schleswig-Holstein wird vom Ministerium für Arbeit, Soziales und Gesundheit finanziert, die Kooperationspartner stellen die MitarbeiterInnen, so dass vor allem Sachkosten und Kosten für die Koordination anfallen. Das Sozialministerium finanziert das Projekt 376 mit rund DM 100.000 jährlich . Die Finanzierung des Pflegetelefons Hamburg erfolgt zu je einem Drittel über die Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales, die Hamburgi377 schen Pflegeanbieter und die Pflegekassen. Die Initiativen in nicht-staatlicher und nicht-kooperativer Trägerschaft sind zumeist in einer prekäreren finanziellen Situation. Sie sind in der Regel auf mehrere Finanzquellen angewiesen, so z.B. die Zuweisung von Bußgeldern aus nach § 153a StPO eingestellten Ermittlungs- und Strafverfahren (Handeln statt Misshandeln in Bonn und Siegen), Spenden und Mitgliedsbeiträgen von Vereinsmitgliedern (Seniorenschutztelefon Berlin378, Handeln statt Misshandeln in Siegen, Handeln statt Misshandeln in Bonn379) und kommunale Zuwendungen bzw. Landesmittel (Handeln statt Misshandeln in Bonn, Berliner Krisentelefon, Vereinigung Integrationsförderung380) oder auf praktische Unterstützung wie z.B. bei der Raumsuche (Handeln statt Misshandeln in Siegen). Die ARDFernsehlotterie finanziert eine hauptamtliche Mitarbeiterin des Senio375 Die Arbeitszeiten der BeraterInnen betragen jeweils 3 bis 5 Stunden an ein bis zwei Terminen im Monat. Ein Honorar erhalten dabei nur die Ehrenamtlichen der Alzheimer-Gesellschaft. (Interview Pflegenottelefon, S. 6 ff.) 376 Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Schleswig-Holstein: „Ich halte es nicht mehr aus...“. PflegeNotTelefon für Schleswig-Holstein eingerichtet – eine Initiative des Sozialministeriums. (Presseinformation vom 31. März 1999) 377 Interview Pflegetelefon Hamburg, S. 1. 378 Das Seniorenschutztelefon Berlin strebt längerfristig eine Finanzierung als Stiftung an. 379 Handeln statt Misshandeln Bonn konnte im Jahr 2000 eine große Spende von DM 20.000 durch eine Bank verbuchen. (Interview Handeln statt Misshandeln Bonn, S.7) 380 Die Arbeit der Vereinigung Integrationsförderung wird durch die Landeshauptstadt München und das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung gefördert (VIF Vereinigung Integrations-Förderung e.V. Soziale Initiativen zum selbstbestimmten Leben behinderter Menschen, Informationsbroschüre, S. 15) 503 renschutztelefons Berlin für drei Jahre bei Kostenbeteiligung durch den Humanistischen Verband. Die gemeinnützige Hertiestiftung finanzierte für ein Jahr eine halbe Stelle bei Seniohr in Frankfurt; die Weiterfinanzierung ist aktuell unklar. Das Berliner Krisentelefon wird durch die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales, die Jugend- und Familienstiftung des Landes Berlin, die Landesbank Berlin, die Liga der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege und die Evangelische Passionskirchengemeinde ge381 fördert . Aktuell ist die Finanzierung der zweiten Stelle nicht mehr gesichert. Verschiedene Anträge wurden abgelehnt, neue Finanzquellen sind nicht in Sicht, und so ist das Berliner Krisentelefon trotz guter Inan382 spruchnahme in einer prekären finanziellen Situation . Die Finanzierung des Notruftelefons Niedersachsen erfolgt bisher nahezu aus383 schließlich über Mitgliedsbeiträge und Spenden . Insbesondere die Einrichtungen und Initiativen, die erst 1999 bzw. 2000 ihre Arbeit aufgenommen haben, sind noch im Prozess der Finanzierungsgestaltung. Weitere Finanzierungsmöglichkeiten hängen in der Regel primär von der Inanspruchnahme der Angebote ab. Die Beratungsangebote der aufgeführten Einrichtungen und Initiativen (Ausnahme: Rechtsberatung des Notruftelefons Niedersachsen) sind grundsätzlich kostenlos. Die Rufnummer von Seniohr in Frankfurt ist kostenfrei (INSTITUT FÜR SOZIALARBEIT SETZT SICH IDEENREICH FÜR SENIOREN EIN, 2001, 10. Mai), die Verbindung zum landesweiten PflegeNotTelefon wird zum Regionaltarif abgerechnet. 6.3.2.5 Rechtliche Grundlagen In den schriftlichen Materialien beschreiben die Einrichtungen und Initiativen die rechtlichen Grundlagen ihrer Arbeit nicht explizit. Die Frage nach Eingriffskompetenzen und –zuständigkeiten stellt sich primär für kommunale Angebote. Aussagen dazu finden sich in den Selbstdarstellungen der Beschwerdestellen. Die Münchner und Nürnberger Beschwerdestellen sind Einrichtungen im Vorfeld der staatlichen Heimaufsicht und anderer Aufsichts- und Kontrollinstitutionen (Kostenträger, 384 Medizinischer Dienst der Krankenkassen, nach § 8 des SGB XI ), sie 381 Ich schaff‘ es nicht mehr: Hilfe und Beratung bei Konflikt und Gewalt in der Pflege älterer Menschen, Informationsblatt von Pflege in Not Berlin. 382 Interview Berliner Krisentelefon, S. 5. 383 Interview Notruftelefon Niedersachsen, S. 3. 384 Im § 8 des Pflege-Versicherungs-Gesetzes ist in Absatz zwei die gemeinsame Verantwortung und anzustrebende Kooperation der Länder, Kommunen, Pflegeeinrichtungen und Pfle- 504 verfügen über keine Kontroll- und Auflagenerteilungskompetenzen, sondern kooperieren mit den Trägern der Einrichtungen ausschließlich auf der Grundlage freiwilliger Vereinbarungen. Dazu STUMM (1999): „Diese – ordnungsrechtlich gesehen – schwache Position hat sich jedoch mittlerweile in München als Stärke erwiesen. Nach den dortigen Erfahrungen ist es häufig besser möglich, mit dem veränderungsinteressierten Teil der Altenpflege ohne amtliche Funktion zu Lösungen zu kommen.“ (S. 36) Diese Stärke ist sicherlich auch darin begründet, dass beide Beschwerdestellen aufgrund von Stadtratsbeschlüssen – im Falle von München handelte es sich um einen von allen Fraktionen getragenen Beschluss – eingerichtet wurden und so eine starke politische Legitimation aufweisen können. Ihre Sonderstellung innerhalb der Strukturen der städtischen Behörden unterstreicht, dass die Problematik als bedeutsam angesehen wird. Das Fehlen von Kontroll- und Auflagenkompetenzen gilt ähnlich auch für die anderen untersuchten Einrichtungen. Starker politischer Rückhalt ist neben der Münchener und der Nürnberger Beschwerdestelle auch bei den Pflegetelefonen Hamburg und Schleswig-Holstein gegeben – wobei sich beim PflegeNotTelefon die starke Einbindung aller regionalen Wohlfahrtsverbände in die Organisation als weiterer Kooperation und Vertrauen fördernder Faktor erweist: in Schleswig-Holstein läuft diese über einen alle Verbände ein385 bindenden „Unterstützerkreis“ . Die Mitglieder der Lenkungsgruppe des Pflegetelefons Hamburg wurden vom Landespflegeausschuss be386 stellt (zur Mitgliederstruktur vgl. §92 SGB XI ). Diese sind je eine Person der Pflegeanbieter, der Pflegekassen der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie des Landesseniorenbeirates. Das Informationsbüro Pflege und Pflegebeschwerdestelle Bremen nennt als rechtliche Grundlage den § 75 BSHG und SGB I § 13ff (Aufklärung, Beratung Auskunft) sowie die Geschäftsverteilungspläne des Amtes für Soziale Dienste. Auch das Modellprojekt Hannover über- gekassen geregelt: Sie wirken eng zusammen, „eine leistungsfähige, regional gegliederte, ortsnahe und aufeinander abgestimmte ambulante und stationäre pflegerische Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten.” Dort heißt es weiter: „Sie unterstützen und fördern darüber hinaus die Bereitschaft zu einer humanen Pflege und Betreuung durch hauptberufliche und ehrenamtliche Pflegekräfte sowie durch Angehörige, Nachbarn und Selbsthilfegruppen und wirken so auf eine neue Kultur des Helfens und der mitmenschlichen Zuwendung hin.” 385 (Interview PflegeNotTelefon Schleswig-Holstein, S.5 ff.) Anke Buhl begründet die Vorteile dieser Struktur damit, „dass sich qualitative Verbesserungen nur von innen heraus entwickeln lassen und nicht von außen herein kontrolliert werden können“. 386 Als Mitglieder der Landespflegeausschüsse sind hier benannt Vertreter der Pflegeeinrichtungen und Pflegekassen, des Medizinischen Dienstes, der Krankenversicherung, der zuständigen Landesbehörde, des Trägers der überörtlichen Sozialhilfe, des Verbandes der privaten Krankenversicherung e.V. und der kommunalen Spitzenverbände. 505 387 nimmt Aufgaben nach § 75 BSHG (Altenhilfe) I § 28 (Leistungen der Sozialhilfe). in Verbindung mit SGB Die Angebote, die von gemeinnützigen Vereinen und in kooperativer Trägerschaft betrieben werden, unterliegen allgemeinen Bestimmungen. Eine genaue Klärung der rechtlichen Grundlagen, insbesondere bezogen auf die Frage nach dem Umgang mit Sozialdaten, ist für die Angebote vorzulegen, die als Leistungsträger im Sinne des SGB gelten 388 können. 6.3.2.6 Personalstruktur und Qualifikation des Personals Die Personalausstattung und die Qualifikation der MitarbeiterInnen sind von den finanziellen Ressourcen und der Konzeption der jeweiligen Angebote abhängig. Dies gilt auch für die Qualifikation der MitarbeiterInnen. Während einige Angebote mit lediglich einer bezahlten Mitarbeiterin (Beschwerdestelle Nürnberg, Notruftelefon Niedersachsen, Seniohr Frankfurt) und/oder in der Hauptsache von ehrenamtlichen MitarbeiterInnen betrieben werden (so das Seniorenschutztelefon in Berlin und Handeln statt Misshandeln Siegen), sind in anderen Projekten bis zu sechs bezahlte MitarbeiterInnen beschäftigt (so auf fünf Planstellen beim Beschwerdetelefon München). 387 Dort heißt es: „ (1) Alten Menschen soll außer der Hilfe nach den übrigen Bestimmungen dieses Gesetzes Altenhilfe gewährt werden. Sie soll dazu beitragen, Schwierigkeiten, die durch das Alter entstehen, zu verhüten, zu überwinden oder zu mildern und alten Menschen die Möglichkeit zu erhalten, am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen. (2) Als Maßnahmen der Hilfe kommen vor allem in Betracht: 1. Hilfe bei der Beschaffung und zur Erhaltung einer Wohnung, die den Bedürfnissen des alten Menschen entspricht, 2. Hilfe in allen Fragen der Aufnahme in eine Einrichtung, die der Betreuung alter Menschen dient, insbesondere bei der Beschaffung eines geeigneten Heimplatzes, 3. Hilfe in allen Fragen der Inanspruchnahme altersgerechter Dienste, 4. Hilfe zum Besuch von Veranstaltungen oder Einrichtungen, die der Geselligkeit, der Unterhaltung, der Bildung oder den kulturellen Bedürfnissen alter Menschen dienen, 5. Hilfe, die alten Menschen die Verbindung mit nahestehenden Personen ermöglicht, 6. Hilfe zu einer Betätigung, wenn sie vom alten Menschen gewünscht wird. (3) Hilfe nach Absatz 1 soll auch gewährt werden, wenn sie der Vorbereitung auf das Alter dient. (4) Altenhilfe soll ohne Rücksicht auf vorhandenes Einkommen oder Vermögen gewährt werden, soweit im Einzelfall persönliche Hilfe erforderlich ist. (Bundessozialhilfegesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. März 1994 (BGBl. I, S. 646, 2975), zuletzt geändert durch das Vierte Gesetz zur Änderung des Elften Buches Sozialgesetzbuch (BGBl. I, S. 1656). Verfügbar unter http://www.diag-mav.org/arhilfen/gesetz/bshg.htm [28.2.2000]. 388 Vgl. zum Schutz der Sozialdaten SCHULIN, S. 370f., Verweis auf SGB I, §35, zur Amtshilfe, §68 SGB X; besonders schutzwürdig sind „sog. Patienten und Klientendaten, über die Ärzte, Psychologen, Eheberater u.a. verfügen und die der speziellen beruflichen Schweigepflicht unterliegen. Sie dürfen nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 76 SGB X offenbart werden.” Vgl. auch § 79 bis 85 SGB X. Weiter relevant sind §§ 67, 67a-d, 69-76 (http://www.rententips.de/gesetze/index.html aufgesucht am 28.2.2000) und § 203 StGB (http://www.tigros.de/net/index.htm, aufgesucht am 28.2.2000, STGB Stand: Anfang 1995). 506 Die Beschwerdestellen sind personell sehr unterschiedlich ausgestattet, ihnen gemeinsam ist, dass sie nicht mit ehrenamtlichen MitarbeiterInnen arbeiten. Während in Nürnberg lediglich eine Sozialpädagogin als Mitarbeiterin beschäftigt ist (FRANKE, 2000), arbeiten in der Beschwerdestelle in München je drei Mitarbeiterinnen auf 2,5 Planstellen in den 389 Bereichen ambulante und stationäre Pflege sowie eine Mitarbeiterin im Sekretariatsbereich. Beim Informationsbüro Pflege und Pflegebeschwerdestelle Bremen sind anteilig MitarbeiterInnen des Ambulanten Sozialdienstes ältere Menschen beschäftigt, die von den Regionalabteilungen im Wechsel abgestellt werden. Nach dem Prinzip der Beteiligung von vielen MitarbeiterInnen aus verschiedenen Institutionen und Projekten arbeitet das PflegeNotTelefon Schleswig-Holstein: Die MitarbeiterInnen werden von den beteiligten Organisationen für die telefonische Beratung zeitweise freigestellt. Beim Berliner Krisentelefon: Pflege in Not werden zur Zeit zwei MitarbeiterInnen bezahlt beschäftigt. Im Juni 1999 arbeiteten insgesamt 10 ehrenamtliche MitarbeiterInnen (BECKER, 1999) mit, Anfang 2001 war die Gruppe der Ehrenamtlichen auf einen festen Kern von vier Perso390 nen geschrumpft. In der Bonner Initiative Handeln statt Misshandeln sind gleichfalls sowohl bezahlte wie ehrenamtliche MitarbeiterInnen beschäftigt. Die Initiative verfügt über 1,5 bezahlte Stellen und etwa 10 bis 15 ehrenamtliche MitarbeiterInnen. Die Siegener Initiative Handeln statt Misshandeln wird von einer 630-DM-Kraft und ehrenamtlichen MitarbeiterInnen getragen. Einige Projekte sind interdisziplinär besetzt, so die Münchner Beschwerdestelle (eine Dipl.-Psychologin, eine examinierte Altenpflegekraft, eine Dipl.-Sozialpädagogin für den Bereich der stationären Pflege, sowie eine weitere Altenpflegekraft und zwei Sozialpädagoginnen für 391 den der ambulanten Pflege ), das Krisentelefon Berlin (im Team sind 392 eine Dipl.-Sozialpädagogin und eine Dipl.-Psychologin ), das Pflegetelefon Hamburg (es beraten eine Ärztin, eine Krankenschwester und eine Dipl. Pflegewirtin (FH)), die Initiative Handeln statt Misshandeln in Bonn und das PflegeNotTelefon Schleswig-Holstein. Die Teams der beiden letztgenannten setzen sich aus MitarbeiterInnen zusammen, die Qualifikationen im medizinischen, pflegerischen, pflegewissenschaftlichen, juristischen, psychologischen, gerontopsychiatrischen, 389 Ursprünglich sollte nur der Bereich der stationären Pflege bearbeitet werden, aber aufgrund vermuteten großen Bedarfs im Bereich der ambulanten Pflege wurde das Personal zum 1. Januar 2001 entsprechend aufgestockt (Interview Beschwerdestelle München, S. 10). 390 Interview Berliner Krisentelefon, S.6. 391 Interview Beschwerdestelle München, S. 10. 392 Interview Berliner Krisentelefon, S.10. 507 psychotherapeutischen, pädagogischen und/oder sozialpädagogischen Bereich aufweisen. Bei Seniohr Frankfurt war bis Mai 2001 eine Mitarbeiterin, Sozialpädagogin und Krankenschwester, bei der Beschwerdestelle in Nürnberg ist eine Sozialpädagogin beschäftigt. Die hauptamtliche Mitarbeiterin beim Seniorenschutztelefon Berlin ist gleichfalls Sozialpädagogin. Die mit Ehrenamtlichen arbeitenden Projekte profitieren von deren zum Teil sehr unterschiedlichen Qualifikationen. Beim Berliner Krisentelefon beispielsweise arbeiten eine Ärztin, eine Verwaltungsfachfrau, ein EDVFachmann und eine als Altenpflegerin, Krankenschwester und Heimlei393 terin qualifizierte Ehrenamtliche mit . Die mit ehrenamtlicher Unterstützung arbeitenden Einrichtungen betonen durchgehend, dass sie aufgrund der Komplexität der Arbeit darauf angewiesen sind, dass die Ehrenamtlichen entsprechende Qualifikationen oder Vorerfahrungen mitbringen – d.h. völlig unqualifizierte Personen wären selbst bei hoher 394 Leistungsbereitschaft für die anfallenden Arbeiten ungeeignet . Hirsch bilanziert für Handeln statt Misshandeln Bonn: „Ehrenamtliche können nur solche sein, die Profis sind, und die es in ihrer Freizeit machen. (...) es ist schwierig für Dritte, die keine Ahnung haben, die einfach interessiert sind oder am Telefon sitzen wollen, am Telefon sitzen ist eine 395 völlige Überforderung“ . Als Voraussetzungen für die ehrenamtliche Mitarbeit werden vom Berliner Krisentelefon Qualifikation und Berufserfahrung im Themenbereich Pflege, vom PflegeNotTelefon SchleswigHolstein Grundqualifikationen in der Pflege- und Angehörigenberatung genannt. Die MitarbeiterInnen des Modellprojekts Hannover entschieden sich aufgrund der komplexen Anforderungen gegen den Einsatz von ehrenamtlichen MitarbeiterInnen bei der telefonischen Beratung. Handeln statt Misshandeln Siegen arbeitet fast ausschließlich mit ehrenamtlichen MitarbeiterInnen, ohne sie könnte die Initiative keine Beratung anbieten. Christel Ruback hält daher „die ehrenamtliche Beratung für notwendig. Aber die Gefahr liegt darin, man muss abklären, aus welcher Motivation Ehrenamtliche in die Arbeit reingehen. Bei uns haben wir ja viele Hauptamtliche, die aber ehrenamtlich jetzt die Beratungsdienste machen wollen, ich denke das ist auch etwas anderes. Man sollte schon versuchen, Personen zu finden, die einen bestimmten Sachverstand haben oder bereit sind, Defizite aufzuarbeiten, und die eben auch nicht nur von einer karitativen altruistischen Schiene kom393 Interview Berliner Krisentelefon, S.6 ff. 394 (Interview Berliner Krisentelefon, S. 9; Interview Handeln statt Misshandeln Siegen, S. 18 ff.) Diese Einschätzung teilt auch Christiane Kleinschmidt vom Seniorenschutztelefon des HVD in Berlin – wobei sie die Erfahrung gemacht habe, dass Einfühlungsvermögen und ein gewisses Engagement fachliche Unkenntnis zum Teil ausgleichen könnten (Interview Seniorenschutztelefon Berlin, S.2, S.9 ff). 395 Interview Handeln statt Misshandeln Bonn, S. 12. 508 men, sondern Beratung als einen beiderseitigen Gewinn sehen. (...) 396 Und man darf die Ehrenamtler nicht allein lassen.“ Christiane Kleinschmidt vom Seniorenschutztelefon Berlin steht der ehrenamtlichen Beratungstätigkeit ambivalent gegenüber. Sie sieht zum einen das Lernpotenzial durch die Arbeit und die Aussprachemöglichkeiten im Team, zum anderen formuliert sie klare Grenzen ehrenamtlicher Arbeit: „Ich denke, wenn es dann in die Tiefe geht und wenn es dann wirklich auch um eine Konfliktregulierung geht, können das die 397 Ehrenamtlichen nicht mehr“. 6.3.2.7 Ziele Die zentralen Ziele der Einrichtungen und Initiativen sind • • • • • persönliche Beratung und Unterstützung Beschwerdeannahme und –management Information Qualitätssicherung in der stationären Pflege Einfluss auf sozialpolitische Rahmenbedingungen. Hinsichtlich der Schwerpunktsetzungen unterscheiden sich die Einrichtungen und Initiativen beträchtlich. Ein maßgeblicher Unterschied ist, ob und inwieweit neben persönlicher Beratung, Unterstützung, Beschwerdeannahme und Informationsweitergabe ein konkretes Interesse daran besteht, auch die sozialpolitischen Rahmenbedingungen ihres jeweiligen Arbeitsfeldes zu beeinflussen. Die Vereinigung Integrationsförderung beispielsweise strebt Integration und Chancengleichheit, Selbstbestimmung und freie Wahl der Lebensführung für hilfs- und pflegebedürftige Menschen an, bietet, um dies zu erreichen, bedürfnisgerechte praktische und pflegerische Hilfen, sieht aber auch als Ziel der Initiativenarbeit die Einflussnahme auf politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen der Lebenssituation von Hilfsbedürftigen. Als gleichfalls trägerunabhängiger Verein versteht Handeln statt Misshandeln in Bonn neben konkreten Hilfen für Betroffene die politische Einflussnahme ebenfalls als zentralen Teil der Arbeit. So beteiligt sich die Initiative z.B. an den Debatten um Heimpersonalschlüssel und Fachkraftquote. Auch die Zielsetzung der Beschwerdestellen in München und Nürnberg – die grundsätzliche Verbesserung der professionellen Pflege – weist über das Aufgreifen, Weiterleiten und Unterstützen 396 Interview Handeln statt Misshandeln Siegen, S. 19. 397 Interview Seniorenschutztelefon Berlin, S. 6. 509 von Beschwerden und Problemen hinaus. Die Beschwerdestellen versuchen Lösungen für strukturelle Mängel zu entwickeln und nehmen 398 auch politisch Einfluss . Das Kooperationsprojekt Pflegetelefon Hamburg hat sich zum Ziel gesetzt, die Pflege in Hamburg durch mehr Information und leicht zugängliche Beschwerdemöglichkeiten zu verbessern und strebt ähnlich den anderen Beschwerdestellen eine Rückmeldung der Beschwerden und Probleme an die Mitglieder des Landespflegeausschusses Hamburg und damit eine Qualitätsverbesserung bzw. -sicherung an. Die institutionelle Anbindung des Pflegetelefons an den Landespflegeausschuss Hamburg erleichtert diese Rückmeldung. Dies gilt in besonderem Maße für das PflegeNottelefon SchleswigHolstein, das als ausdrückliches Ziel der Arbeit die institutionalisierte Rückmeldung von Ergebnissen der Beratungsarbeit formulierte – mit der langfristigen Perspektive, die erkannten Defizite zu beheben. Ziel des Notruftelefons Niedersachsen des Sozialverbandes Deutschland ist es, Menschen die Möglichkeit zu geben, ohne Angst vor Repressalien Probleme zu besprechen. Man möchte konkret Unterstützung und Hilfe anbieten und gleichzeitig Informationen über Missstände sammeln und auf die Beseitigung der Missstände hinwirken – ohne allerdings zu konkretisieren, in welchem institutionellen Rahmen dies geschehen soll. Die anderen Einrichtungen und Initiativen nennen strukturell-politische 399 Einflussnahme nicht explizit als Ziel der eigenen Arbeit . So nennt das Informationsbüro Pflege und Pflegebeschwerdestelle Bremen als Ziel, die Beratung und Unterstützung von Pflegebedürftigen zu verbessern. Die Integration in die Bremer Sozialbehörde ohne Rückhalt in der politischen Vertretung weist auf einen helfend-informierenden Ansatz der Arbeit hin. Wahrscheinlich ebenfalls aus Gründen der administrativen Einbindung verstand auch das Modellprojekt Hannover eine gezielte sozialpolitische Einflussnahme nicht als wichtigen Bereich der eigenen Arbeit. Ziele der Angebote, die speziell für den Themenbereich häusliche Pflege und Gewalt sowie Gewalt in der Häuslichkeit allgemein konzipiert wurden, sind: Gewaltsituationen zu verhindern, Notfallsituationen zu entschärfen (z.B. auch durch die Informationen über und/oder durch Vermittlung von Entlastungsangeboten), alternative Handlungsmöglichkeiten zu erarbeiten und Aggressionen zu mildern – so formuliert es 398 „Die Beschwerdestelle spricht darüber hinaus auch Probleme an, die ihren Grund in vorgegebenen Rahmenbedingungen oder gesetzlichen Vorgaben haben und unterbreitet Abhilfevorschläge dem Oberbürgermeister bzw. der Münchner Pflegekonferenz und dem Stadtrat.“ (EMPEN, 1999, S. 24) 399 Dies sagt jedoch wenig über die tatsächlichen Aktivitäten der Initiativen aus; so beteiligte sich z.B. das Berliner Krisentelefon an einer Pressekonferenz „Gewalt gegen pflegebedürftige alte Menschen in Institutionen: Gegen das Schweigen“ am 2.9.1999 in Berlin. 510 beispielsweise das Berliner Krisentelefon. Das Seniorenschutztelefon Berlin will darüber hinaus allen, die an einer Gewaltsituation beteiligt sind, Unterstützung bei der Bewältigung von Gewalterfahrungen anbieten. Weiteres Ziel der Arbeit dieser Einrichtungen ist es, das Thema zu enttabuisieren und durch Öffentlichkeitsarbeit und Fortbildungen dafür zu sensibilisieren. Das PflegeNotTelefon Schleswig-Holstein nennt außerdem als Anliegen, die Erfahrungen der Beratungssuchenden auszuwerten und bei der Planung weiterer Einrichtungen und Initiativen zu berücksichtigen. Einem ähnlichen Ziel diente auch die Arbeit des Bundesmodellprojekts in Hannover. Im Zeitraum von drei Jahren sollten Hilfs- und Präventionsangebote entwickelt, aufgebaut, erprobt und ausgewertet werden, um ihre Bedarfsgerechtigkeit, Effekte und Effizienz, Übertragbarkeit und Umsetzbarkeit zu überprüfen. Seniohr – das Beratungstelefon für Sicherheit im Alter für den Frankfurter und Offenbacher Raum – formuliert als Ziel, Gewaltprävention für Senioren zu leisten. 6.3.2.8 Zielgruppen Zielgruppen der Angebote und bearbeitete Problemfelder hängen eng zusammen. Während alle pflegebezogenen Angebote, so auch die Beschwerdestellen als Zielgruppen zum einen pflegebedürftige Menschen oder, weiter gefasst wie die Vereinigung Integrationsförderung in München, auch behinderte und langzeitkranke Menschen, und zum anderen die Angehörigen sowie Professionelle, die mit beiden Personengruppen Kontakt haben, einbeziehen, sind die Zielgruppen von Angeboten zum Thema Gewalt im Alter allgemein und in der Häuslichkeit sehr viel breiter: Alle in irgendeiner Form von Gewalt Betroffenen werden als Zielgruppen genannt, alle, die von Gewalt gegen alte Menschen erfahren oder diese beobachten, Menschen, die aus beruflichen Gründen mit Gewalt im Alter zu tun haben und die allgemeine Öffentlichkeit, so es um Aufklärung geht. Einen gezielten Schwerpunkt setzt das Seniorenschutztelefon in Berlin. Die Initiative beschreibt sich als „Anlaufstelle, die vor allem den Opfern von Gewalt Unterstützung und Beratung 400 gibt“ . Das Berliner Krisentelefon Pflege in Not z.B. führt als möglicherweise indirekt Betroffene auf: Freunde, Ärzte, Nachbarn, andere Verwandte, 400 Seniorenschutz-Telefon. Gegen häusliche Gewalt im Alter. Humanistischer Verband Deutschlands, Landesverband Berlin, Faltblatt. 511 das PflegeNotTelefon Schleswig-Holstein nennt darüber hinaus: Ehrenamtliche, professionell Pflegende und andere im Alten-, Behinderten- und Gesundheitshilfebereich Tätige. Seniohr in Frankfurt versteht sich als Beratungsangebot für alle SeniorInnen, „die sich unsicher oder bedroht fühlen“; es geht dabei darum, allen älteren Menschen beizustehen, die in Bedrängnis geraten sind, etwa durch Gewaltattacken auf der Straße, durch Beeinträchtigungen in der Familie oder auch durch Vernachlässigung in Pflegeheimen (INSTITUT FÜR SOZIALARBEIT SETZT SICH IDEENREICH FÜR SENIOREN EIN, 2001; GLINSKI-KRAUSE, 2000). Die Breite der Zielgruppendefinition und –orientierung erscheint im Vergleich mit anderen Formen von auf Gewaltprobleme zugeschnittenen Einrichtungen, Initiativen und Institutionen untypisch. So sprechen die vorgestellten Initiativen und Einrichtungen (aktuelle und potenzielle) Opfer wie TäterInnen gleichermaßen an. Insbesondere diejenigen Hilfsangebote, die sich auf Gewalt im häuslichen Bereich konzentrieren, machen auf die enge Verknüpfung von TäterInnen- und Opferrollen, die Wechselseitigkeit von Aggressivität und Gewalt aufmerksam. 6.3.2.9 (Beratungs-)Grundsätze Nicht alle aufgeführten Initiativen und Institutionen haben bislang Beratungsgrundsätze formuliert. Die Beschwerdestelle München nennt als Beratungsgrundsätze Garantie der Anonymität, Hilfe zur Selbsthilfe, Lösungsorientierung, Ernstnehmen der Beschwerden, Einbeziehen aller verfügbaren Informationen und gemeinsame Lösungssuche mit den BeschwerdeführerInnen. Die ähnlich konzipierte Beschwerdestelle Nürnberg bezeichnet es als wesentlich für ihr Selbstverständnis, „dass es nicht das Ziel ist, stets zu klären, wer Recht hat und es auch nicht Absicht sein kann, Fälle und Missstände plakativ zu veröffentlichen, sondern in Gesprächen mit den Beteiligten nach tragfähigen Lösungen zu suchen“ (SENIORENRAT DER STADT NÜRNBERG, 2000, S. 10). Das PflegeNotTelefon SchleswigHolstein ist der Neutralität verpflichtet. Die Anonymität des Beratungsangebots wird ausdrücklich hervorgehoben. Das Angebot des PflegeNotTelefons besteht im Zuhören, Klären von Problemen, Mittragen von Not und Leid, im Hinführen zu eigenen Entscheidungen, im Ermutigen, vorhandene Beratungs- und Hilfsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen und im Hinweis auf geeignete Fachleute bzw. auf die zentralen AnsprechpartnerInnen. Als notwendige Grundhaltungen der BeraterInnen 512 401 werden Vorurteilsfreiheit und Offenheit genannt. Als Beratungsprinzipien nennt das Notruftelefon Niedersachsen Vertraulichkeit und – soweit gewünscht – Anonymität. Das Pflegetelefon Hamburg hat als Beratungsgrundsätze Vertraulichkeit und auf Wunsch die Zusicherung der Anonymität der Ratsuchenden, Hilfe zur Selbsthilfe, individuelle Unterstützung und Begleitung bei Problemen bzw. Vertretung der Interessen. Detailliert beschreibt das Seniorenschutztelefon Berlin die Beratungsgrundsätze: So gilt Hilfeorientierung statt Strafe, Verstehen statt Verurteilen, Transparenz statt Verheimlichung, Selbstbestimmung statt Fremdbestimmung, Toleranz und Respekt vor der Eigenständigkeit anderer (das Recht auf Selbstbestimmung und Toleranz sind Grundwerte des Humanistischen Verbandes). Es wird von einer subjektiven Definition 402 des Gewalterlebens ausgegangen . Parteilichkeit, Freiwilligkeit und Hilfe zur Selbsthilfe sind wichtige Grundsätze. Das Berliner Krisentelefon nennt als Prinzipien der Beratungsarbeit, unbürokratisch und direkt erreichbar zu sein und keine Angst zu haben, auch Gewalt beim Namen zu nennen. Es sei eine große Hilfe für Betroffene, wenn sie wüssten, dass die BeraterInnen auch vor erheblichen Problemen keine Angst ha403 ben . Handeln statt Misshandeln Bonn nennt als zentrale Prinzipien Hilfe vor Anklage bzw. Strafe, Freiwilligkeit der Beratung, Stärkung des Selbstbestimmungsrechts alter Menschen, die Anonymität der Beratung sowie politische und konfessionelle Unabhängigkeit. Handeln statt Misshandeln Siegen schließt sich seinem Bonner Vorbild weitgehend an, betont jedoch auch die absolute Parteilichkeit für Opfer von Gewalt – bei gleichzeitigem Bemühen, zu vermitteln und bestehende soziale 404 Netzwerke zu fördern bzw. neue aufzubauen . 6.3.2.10 Art der angebotenen Hilfen Nur zwei Einrichtungen bieten neben Beratung auch konkrete ambulante Hilfen und Unterstützungsleistungen an. Dabei handelt es sich um die Vereinigung Integrationsförderung, die selbst an Integrationsinitiativen für hilfebedürftige Menschen und Behinderte arbeitet und die Psychosoziale Beratungsstelle: Notruf für pflegende Angehörige Bremen, 405 die Pflegevertretung in Notsituationen anbietet . Andere Einrichtungen 401 Leitlinien für die Arbeit im Rahmen des PflegeNotTelefons (Stand Dezember 2000) S. 2. 402 Anrufende haben grundsätzlich die Definitionsmacht über ihre Probleme; auch wenn sich psychisch auffällige Menschen als Opfer von Gewalt sehen, werden sie in ihrer Wahrnehmung ernst genommen. (Interview Seniorenschutztelefon Berlin, S. 4) 403 Interview Berliner Krisentelefon, S. 14. 404 Interview Handeln statt Misshandeln Siegen, S. 24. 405 Vgl. dazu auch Kapitel 6.3.14. 513 und Initiativen stehen in engem Kontakt mit Unterstützungs- und Pfle406 gediensten . Von allen vorgestellten Einrichtungen und Initiativen wird Beratung angeboten – zumeist als Kern des Angebots – mit einem allerdings breiten Spektrum thematisch unterschiedlicher Schwerpunkte: von Krisenintervention bei Gewalt in der Pflege über Informationen rund um die Pflege bis zur Beratung von BeschwerdeführerInnen im Bereich der professionellen Pflege. Bei einigen Beratungsangeboten wird ausschließlich telefonisch beraten, so beim NotrufTelefon Niedersachsen und beim PflegeNotTelefon Schleswig-Holstein407, bei allen anderen Anbietern wird telefonisch und persönlich beraten. Telefonische Beratung wird in der Regel ausdrücklich als anonymes Beratungsangebot beschrieben. Beim Berliner Krisentelefon werden darüber hinaus Gesprächsgruppen für pflegende Angehörige, bei Handeln statt Misshandeln in Bonn Gesprächsgruppen für MitarbeiterInnen in Pflegeberufen angeboten. Einige Einrichtungen und Initiativen bieten ausdrücklich Hausbesuche zur persönlichen Beratung an, so Handeln statt Misshandeln in Bonn und Siegen sowie das Modellprojekt Hannover. Die Beschwerdestellen sind gleichfalls aufsuchend tätig und besuchen die Institutionen, über die Beschwerden geführt werden. Nach anfänglich ausschließlich telefonischer Beratung bietet das Seniorenschutztelefon Berlin aufgrund der Nachfrage mittlerweile ebenfalls Hausbesuche an. Die meisten Beratungsstellen und Beschwerdestellen arbeiten mit lokalem Bezug. Die Angebote in Berlin, Hamburg und Bremen decken den Bereich dieser Stadtstaaten ab, das PflegeNotTelefon SchleswigHolstein und das Notruftelefon Niedersachsen sind die einzigen länderbezogenen Angebote. Einige Einrichtungen und Initiativen bieten Veranstaltungen und Fortbildungen für verschiedene Berufsgruppen, Praxisberatung und kollegiale Beratung an. Diese Angebote sollen der Unterstützung und Sensibilisierung von Professionellen dienen. Weitere Veranstaltungen wenden sich an nicht-professionelle Personen, so z.B. Ehrenamtliche, BesucherIn406 So das PflegeNotTelefon Schleswig-Holstein, das über die Trägerschaft an Betreiber von ambulanten Diensten angegliedert ist, so auch das Modellprojekt in Hannover, das im Rahmen der Stadtteilarbeit einen Häuslichen Unterstützungsdienst aufbaute (vgl. Kapitel 6.2.6.3.3). 407 Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Klienten bei Problemen, die nicht am Telefon zu bewältigen sind, alleine gelassen werden: Beide Telefone vermitteln auf Wunsch an regionale Stellen – im Falle des NotrufTelefons Niedersachsen meist an die Kreisgeschäftsstellen des eigenen Trägers, im Falle des PflegeNotTelefons Schleswig-Holstein an regionale Ansprechpartner der Wohlfahrtsverbände. Beschwerden von größerer Tragweite werden auf Wunsch der KlientInnen an die jeweilige Heimaufsicht weitergeleitet. 514 nen von Altenclubs, Selbsthilfegruppen von pflegenden Angehörigen; Aufklärungskampagnen wenden sich an die allgemeine Öffentlichkeit. Seniohr in Frankfurt bietet als einzige Initiative neben allgemeiner telefonischer Beratung auch gezielte Sicherheitsberatung an, dies in enger Zusammenarbeit mit dem von ehrenamtlichen MitarbeiterInnen getragenen Projekt „Sicherheitsberatung“ des Frankfurter Instituts für Sozial408 arbeit . 6.3.2.11 Kurzdarstellung der Angebote Das Spektrum der Angebote der verschiedenen Einrichtungen und Initiativen soll im Folgenden einzeln aufgeführt werden. Eine Darstellung des Modellprojekts erübrigt sich an dieser Stelle. • Die Vereinigung Integrationsförderung München bietet ambulante sozialpflegerische Hilfen, wie z.B. Vorlesedienste für Blinde, Initiativen zur Eingliederung Pflegebedürftiger und Behinderter in Familie, Ausbildung, Beruf und Gesellschaft, soziale Beratung für pflegende Angehörige (Themen sind Organisation, Finanzierung ambulanter Hilfen, technische Hilfsmittel, Suche, Auswahl und Schulung von HelferInnen, behindertengerechte Wohnungen, Wohnungsausstattung, Abrechnung, Anleitung und Einsatz von HelferInnen), weiter ein Notruftelefon für Beschwerden, Schwierigkeiten, Misshandlungen 409 und Gewalt in der ambulanten und stationären Pflege an .Die Hilfen, die von den Beschwerdestellen angeboten werden, beziehen sich in erster Linie auf den Beschwerdeprozess: BeschwerdeführerInnen werden beraten, eine Klärung der Anliegen wird versucht, die BeschwerdeführerInnen sollen darin bestärkt werden, die eigenen Anliegen auch selbst vorzubringen, Anregungen werden weitergeleitet, und bei Problemen wird vermittelt. Die Beschwerdestelle München nimmt Berichte über Missstände und Fehlentwicklungen im Altenpflegebereich telefonisch und persönlich entgegen, berät BeschwerdeführerInnen und Ratsuchende, hilft bei der Suche nach Lösungen und schaltet bei Nichteinigung staatliche Aufsichtsbehörden ein. Ihre Sprechzeiten sind Montags von 9 bis 12 und Mittwochs von 15 bis 19 Uhr. Weiter greift sie strukturelle Probleme auf und sucht gemeinsam mit den Heimträgern und den kommunal Zustän- 408 Projektinformation: eniohr – eine Initiative der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Institut für Sozialarbeit. Frankfurt, 17.10.2000. 409 Kurzdarstellung im Sept. 1999 (http://hn.munich-info.de/ww/hn-08.html#8.1.1.21): Vereinigung Integrationsförderung e.V. (VIF): Hilfen zum autonomen Leben, Klenzestr. 57c, 80469 München, Hilfsdienst: Tel. 201 54 66: Mo-Fr 8.30-17 h, Berufliche Eingliederung: Tel: 202 11 66, Mo-Do 9-12 h +13-16 h, Fr 9-14 h, Pflegedienst: Tel: 201 54 65, Mo-Fr 8.30-17 h. 515 • • • • digen Lösungen. Im Bereich Vernetzung konnte auf Anregung der Beschwerdestelle München ein gemeinsamer Arbeitskreis der Kontrollinstanzen und Kostenträger aufgebaut werden. Ähnlich schildert die Beschwerdestelle Nürnberg ihren Aufgabenbereich. Sie betont gleichfalls die Teilnahme an relevanten Gremien in der Stadt (Pflegekonferenz, Sozialausschuss), welche die Einflussnahme auf pflegepolitische Entscheidungen ermöglicht. Die telefonische Beratung ist Montag bis Donnerstag von 8.30 bis 16 Uhr und Freitags von 8.30 bis 12.30 erreichbar. Das PflegeNotTelefon Schleswig Holstein bietet telefonische Beratung in ganz Schleswig-Holstein zum Regionaltarif an, Montags, Dienstags, Donnerstags und Freitags von 10 bis 12 Uhr und Montags und Mittwochs 16 bis 19 Uhr. Die ursprünglichen Sprechzeiten – täglich von 9 bis 11 und 16 bis 19 Uhr, auch an Sonn- und Feiertagen – wurden eingeschränkt. Anrufe außerhalb der Zeiten werden jedoch durch Impulsmessungen der Telekom zeitlich erfasst – wenn sich Impulse außerhalb der bisherigen Zeiten konzentrieren, werden die Telefonzeiten angepasst. Wenn niemand erreicht wird, gibt es die Möglichkeit, eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter zu hinterlassen und um Rückruf zu bitten. Beratungssuchende werden telefonisch informiert und beraten, und bei Bedarf werden konkrete AnsprechpartnerInnen vor Ort genannt und an diese weitervermittelt. Diese können auch im Anschluss Hausbesuche durchführen. Durch die zukünftig flächendeckend eingerichteten neutralen Pflegeberatungsstellen, die in enger Kooperation mit dem PflegeNotTelefon ar410 beiten werden, wird die regionale Beratung noch intensiviert . Das Notruftelefon Niedersachsen bietet telefonische Beratung Montags bis Donnerstags von 9 bis 16 Uhr und Freitags von 9 bis 13 Uhr an. Das Aufgabenprofil umfasst Beratung und Unterstützung, Vermittlung bei Konflikten, Einschaltung von Kontrollinstanzen (z.B. Informationsweitergabe an MDK, Heimaufsicht oder Pflegekassen), Verweisung an andere Beratungsstellen und Hilfeangebote, für Mitglieder des Sozialverbandes Deutschland auch Rechtsberatung. Das zentrale Angebot des Berliner Krisentelefons ist das (namengebende) Krisentelefon (erreichbar Montags bis Freitags von 10 bis 12 Uhr) – weitere Angebote bauen hierauf auf, so eine Gesprächsgruppe für pflegende Angehörige, Gesprächsgruppen für Angehörige von HeimbewohnerInnen, die persönliche Beratung in der Sprech411 stunde und Fortbildungen für Pflegepersonal . 410 Das Sozialministerium stellt für diese Beratungsstellen, die in unterschiedlicher Trägerschaft arbeiten bis zu 160 000 DM jährlich zur Verfügung. (PFLEGE: PFLEGEBERATUNGSSTELLEN IM GANZEN LAND GEPLANT, 2001). 411 Eine ursprünglich ebenfalls angebotene Gesprächsgruppe für PflegerInnen fand keine Resonanz. Frau Tammen-Parr vermutet, dass die Pflegekräfte die Teilnahme an einer solchen 516 • • • • • Das Pflegetelefon Hamburg ist Montags bis Freitags von 9 bis 13 Uhr erreichbar. Persönliche Beratung wird nach Absprache angeboten. Beratung und Information werden geleistet bei Fragen, Problemen und Beschwerden in der Pflege. Beschwerden werden entgegengenommen, Ratsuchende werden unterstützt und ihre Interessen vertreten. Die Erfahrungen des Pflegetelefons werden als Informationsquellen über Mängel in der Pflege verstanden und sollen bearbeitet werden. Die Psychosoziale Beratungsstelle: Notruf für pflegende Angehörige Bremen: Der Notruf für pflegende Angehörige ist Montags bis Freitags von 13 bis 17 Uhr erreichbar, Donnerstags von 13 bis 19 Uhr. Er bietet telefonische und persönliche, auf Wunsch anonyme Beratung an sowie sofortige Entlastung in Krisensituationen in der Pflege durch Bereitstellung von Vertretung. Das Informationsbüro Pflege und Pflegebeschwerdestelle Bremen bietet telefonische und persönliche Beratung an, die Sprechzeiten sind Montags bis Donnerstags von 9 bis 12 Uhr, ein Anrufbeantworter nimmt Nachrichten entgegen, und je nach Wunsch wird auch zurückgerufen. Das Informationsbüro Pflege und Pflegebeschwerdestelle Bremen bietet selbst keine Hausbesuche an, vermittelt aber an den zuständigen Sozialdienst. Es werden Auskünfte über Hilfen und Unterstützungsmöglichkeiten bei Krankheit, Leistungen und ihre Finanzierung erteilt und es wird an diese Dienste weitervermittelt; es werden Beschwerden entgegengenommen, Beratung und Unterstützung bei der Klärung des Anliegens geleistet, bei Bedarf zwischen Betroffenen und Leistungsanbietern vermittelt und mit anderen Sozialdiensten kooperiert. Die Sprechzeiten des Seniorenschutztelefons Berlin sind Montags von 10 bis 12, Donnerstags von 16.30 bis 18.30 Uhr und Mittwochs von 15 bis 17 Uhr; in der übrigen Zeit nimmt ein Anrufbeantworter Nachrichten entgegen. Als Aufgabenbereiche werden neben der Beratung Vermittlung und Vernetzung genannt. Telefonische Beratung (auch anonym) wird bezogen auf Gewaltsituationen und Pflegefragen, soziale Hilfen und rechtliche Fragen (Betreuung, Patientenverfügung) geleistet. Auf direkte Anfrage (z.B. wenn die Anrufenden Probleme lieber persönlich als am Telefon besprechen möchten) führt die Koordinatorin des Seniorenschutztelefons auch Hausbesu412 che durch . Handeln statt Misshandeln in Bonn bietet telefonische, persönliche Beratung – auch im Rahmen von Hausbesuchen – für Betroffe- Gruppe als peinliches „Outing“ empfinden würden – sie könnten in den Verdacht geraten, selbst etwas mit dem Thema „Gewalt in der Pflege“ zu tun zu haben (Interview Berliner Krisentelefon, S. 3). 412 Interview Seniorenschutztelefon Berlin, S. 3. 517 ne, Angehörige und in der Altenarbeit Tätige (Montag bis Freitag von 10 bis 12 Uhr und Donnerstags von 15 bis 17 Uhr) an. Im Rahmen der eingeleiteten Kriseninterventionen sind häufig mehrere Hausbesuche notwendig, um die erforderlichen Unterstützungsmaßnahmen zu implementieren. Bei der häuslichen Pflege sind dies die Vermittlung entlastender komplementärer Dienste (Gesprächsgruppe für pflegende Angehörige, ambulanter Pflegedienst, Essen auf Rädern, Hausnotrufsystem etc.) beziehungsklärende Aussprachen zwischen Pflegebedürftigem und Pflegeperson, Initiierung einer Psychotherapie sowie die stärkere Einbindung beteiligter Professioneller (Hausarzt, Pflegedienst etc.). In der stationären Pflege kommt es zu klärenden Aussprachen zwischen den Betroffenen/Angehörigen und Stations-(Pflegedienstleitung. Können hier keine Ergebnisse erzielt werden, werden Kontrollinstanzen wie Heimaufsicht und Medizinischer Dienst eingeschaltet. Neben der Hilfe und Unterstützung im Einzelfall ist es wesentliche Zielsetzung von HsM, gewaltpräventive Maßnahmen zu entwickeln. Auf kommunaler Ebene ist es Ziel des Runden Tisches „Gewalt gegen ältere Menschen in Bonn“, neben dem Erfahrungsaustausch aller relevanten Gruppen zu diesem Thema konkrete Maßnahmen zu erarbeiten, die für die älteren Bonner Bürger zu einer Gewaltverringerung und Verbesserung ihrer Lebensqualität führen. HsM wendet sich in regelmäßigen (interdisziplinären) Fortbildungsveranstaltungen an in der Altenarbeit Tätige. In diesem Rahmen entwickelte Handeln statt Misshandeln ein Curriculum zum Thema Gewalt in der Pflege. Handeln statt Misshandeln Bonn baute weiter den erwähnten Runden Tisch zu Gewalt im Alter auf und ist dabei, eine Angehörigengruppe zu gründen. • Bei Handeln statt Misshandeln in Siegen wird allgemeine und telefonische Krisenberatung zu den Sprechzeiten Montags und Freitags von 9 bis 12 Uhr sowie einmal im Monat ein offener Gesprächskreis zu verschiedenen Schwerpunktthemen angeboten. Weitere Angebote sind Vermittlung weiterführender Hilfen und Unterstützung. Einzelne Ehrenamtliche leisten in besonderen Fällen darüber hinaus eine – zum Teil auch längerfristige – persönliche Einzelfallbetreu413 ung . Die Initiative bietet gleichfalls Veranstaltungen und Fortbildungen an. Sie ist als Praxisprojekt der Gesamthochschule Siegen im Vorlesungsverzeichnis aufgeführt. • Die Initiative Seniohr in Frankfurt ist jeweils Montags und Dienstags von 9 bis 12 Uhr sowie Donnerstags von 14 bis 17 Uhr erreichbar. Unter der kostenfreien Telefonnummer wird telefonische Beratung für ältere Menschen oder pflegende Angehörige angeboten, die Fragen zum Thema Sicherheit haben. Ziel der Beratung ist Prävention, 413 Interview Handeln statt Misshandeln Siegen, S. 10. 518 damit „Konflikte zwischen Angehörigen und Pflegebedürftigen vermieden oder Missstände in Altenheimen ausgeräumt werden“ können. Daneben werden auch Hinweise zum richtigen Verhalten gegenüber Trickbetrügern vermittelt (Ein offenes Ohr für die Probleme von und mit alten Menschen, 2000). 6.3.2.12 Öffentlichkeitsarbeit Alle Anbieter nennen Öffentlichkeitsarbeit als einen wichtigen Arbeitsbereich. Während einige Anbieter eindeutig (sozial-)politische Öffentlichkeitsarbeit betreiben – besonders ausgeprägt bei der Vereinigung Integrationsförderung München und Handeln statt Misshandeln Bonn – mit dem Ziel, strukturelle Veränderungen zu bewirken, ist die Öffentlichkeitsarbeit anderer Anbieter primär auf die Bekanntmachung der eigenen Angebote bezogen – dies durch Plakate, Faltblätter und lokale Me414 dien . Für die meisten Einrichtungen und Initiativen ist ein wichtiges Ziel der Öffentlichkeitsarbeit die Enttabuisierung des Themas durch Sensibilisierung und Information. Eine insbesondere an Fachleute und/oder WissenschaftlerInnen gerichtete Öffentlichkeitsarbeit betreiben Handeln statt Misshandeln Bonn und das Modellprojekt Hannover in Hannover durch Veranstaltung von Fachtagungen und Fachgesprächen. Handeln statt Misshandeln Bonn gibt darüber hinaus die Schriftenreihe „Gewalt im Alter“ heraus und ist Mitinitiatorin der Aktion gegen 415 Gewalt in der Pflege und Mitinitiatorin der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Notruftelefone, Beschwerdestellen, Krisenberatungsund Interventionsangebote für alte Menschen und deren Helfer (HIRSCH & ERKENS, 1999). Kleinere und größere Veranstaltungen und Tagungen werden von verschiedenen Einrichtungen organisiert. Die Psychosoziale Beratungsstelle für pflegende Angehörige und ältere Menschen in Bremen beispielsweise veranstaltete am 15.4.1997 eine Tagung zum Thema Gewalterfahrungen in der Pflege, in deren Rahmen pflegende Angehörige Gewalt in der häuslichen Pflege aus ihrer Sicht schilderten (PSYCHOSOZIALE BERATUNGSSTELLE FÜR PFLEGENDE ANGEHÖRIGE UND ÄLTERE MENSCHEN, 1997). Von Handeln statt Misshandeln Siegen wird ein kostenfreier Leitfaden zur Prävention und Intervention bei Gewalt gegen alte Menschen herausgegeben (MITZE & MONTANUS, 2000). 414 Andere eingesetzte Werbeträger waren Postkarten (Notruftelefon Niedersachsen), selbstklebende Zettelblöcke, Kühlschrankmagnete und Terminzettelblöcke für die Eintragung von Patiententerminen in Arztpraxen (PflegeNotTelefon Schleswig-Holstein). 415 Mitglieder der AGP sind Sozialverband Reichsbund e.V., Kuratorium deutsche Altershilfe, Handeln statt Misshandeln Bonn, Deutscher Berufsverband für Altenpflege e.V. und Arbeitskreis gegen Menschenrechtsverletzungen. 519 Die meisten Anbieter erreichen bei den regionalen Medien bei entsprechendem Engagement (regelmäßige Anschreiben, öffentlichkeitswirksame Aktionen, eigene Beiträge) eine insgesamt gute Resonanz. Problematisch ist jedoch zum Teil das Interesse von Zeitungen und anderen Medien an Skandalen und Einzelfallberichten: Einerseits verstärken entsprechende Berichte die öffentliche Diskussion und erhöhen den politischen Handlungsdruck, andererseits wirken sie kontraproduktiv, indem sie die von den meisten Initiativen angestrebte Kommunikation mit Einrichtungen und Trägern erschweren. Im Interesse der Beratungssuchenden (die sich durch derartige Öffentlichkeitsaktionen – so wird vermutet – abgeschreckt fühlen könnten) und im Interesse des positiven Kontaktes zu den Pflegeeinrichtungen (die vor allem überzeugt und nicht angegriffen werden sollen) lehnen die meisten Einrichtungen ent416 sprechende Berichte in den Medien eher ab . Erstmals lud zum 8. März 2001 die Bundesarbeitsgemeinschaft der Krisentelefone, Beratungs- und Beschwerdestellen für alte Menschen zu einer gemeinsamen Veranstaltung: Unter dem Titel „Neue Gesetze, neue Wege in der Pflege?“ wurden in Berlin die Entwürfe der Novelle des Heimgesetzes und des Pflege-Qualitätssicherungsgesetzes diskutiert. 6.3.2.13 Dokumentation und Auswertung Bei den Einrichtungen und Initiativen, die als Pilotprojekte konzipiert waren, kommt der Dokumentation und Auswertung eine bedeutende Rolle zu. Auch bei den anderen Initiativen wird die eigene Arbeit dokumentiert, sei es in Arbeits-, Jahresberichten oder Pressespiegeln. Bei den Beschwerdestellen München und Nürnberg, dem Pflegetelefon Hamburg417 und dem PflegenotTelefon Schleswig-Holstein418 wird die statistische Auswertung durch Externe vorgenommen. Das Notruftelefon Niedersachsen, das Berliner Krisentelefon, Informationsbüro Pflege und Pflegebeschwerdestelle Bremen, das Seniorenschutztelefon Berlin und Seniohr Frankfurt legen ebenfalls großen Wert auf Erfassung und Auswertung der eigenen Tätigkeit als internen wie externen Tätigkeits416 Interview Handeln statt Misshandeln Siegen, S. 15; Interview PflegeNotTelefon SchleswigHolstein, S. 24; Interview Seniorenschutztelefon Berlin, S.9 f.; SENIORENRAT DER STADT NÜRNBERG (2000). 417 Bei den genannten Angeboten wird die Auswertung durch statistische Abteilungen in den Kommunalverwaltungen durchgeführt. Beim Pflegetelefon Hamburg werden zudem die Sachverhaltsdarstellungen der BeraterInnen von einer Projektgruppe des Studiengangs „Pflege und Gesundheit“ auch in qualitativer Hinsicht ausgewertet. (Interview Pflegetelefon Hamburg, S. 2) 418 Prof. Petra Weber vom Studiengang Pflege und Gesundheit der Fachhochschule Hamburg ist mit der Auswertung beauftragt. 520 nachweis und wichtige Grundlage der Bewertung des Angebots und der weiteren Planung. In München sind die Ergebnisse direkt dem Oberbürgermeister vorzulegen. Zur Datenerfassung werden in den verschiedenen Einrichtungen und Institutionen mehr oder weniger standardisierte Gesprächsdokumentationsbögen verwendet. Die Initiative Handeln statt Misshandeln Bonn dokumentiert die eigene Beratungspraxis und wertet diese aus. Darüber hinaus werden eigene wissenschaftliche Arbeiten und Untersuchungen zu Gewalt im Alter vorgelegt und im Rahmen der Schriftenreihe veröffentlicht. 6.3.2.14 Bisherige Erfahrungen In einigen Einrichtungen und Initiativen wurde die Beratungsarbeit bereits systematisch ausgewertet; zum Teil liegen auch erste bilanzierende Aussagen zu anderen Aktivitäten vor (HIRSCH & ERKENS, 1999). Zunächst sollen die Ergebnisse der Beschwerdestellen, dann der Beratungsstellen für Pflege bzw. Pflegenot und zuletzt der beiden Initiativen Handeln statt Misshandeln Bonn und Siegen vorgestellt werden. • In den ersten sechs Monaten (Oktober 1997 bis April 1998) wurden bei der Beschwerdestelle München über 300 Anliegen vorgebracht, davon 117 Beschwerden, die sich nur zu 10 % auf den ambulanten Bereich bezogen (BEAUFTRAGTE DES OBERBÜRGERMEISTERS FÜR DEN ALTENPFLEGEBEREICH, BESCHWERDESTELLE, 1998). Die meisten (80%) wurden durch Angehörige vorgebracht. 20% der anonymen Beschwerdeführer gaben im Prozess der Beratung ihre Anonymität auf, und 15% wurden motiviert, die eigene Angelegenheit zu vertreten. Den anonymen Beschwerden wurde nicht nachgegangen, da die Beschwerdestelle aus Prinzip nicht „verdeckt ermittelt“. In einigen Fällen wurden die Beschwerdeführer selbst tätig, in anderen war keine Zuständigkeit gegeben bzw. das Ergebnis noch offen. Die Beschwerdestelle ging 54 Beschwerden selbst nach, die sie in 40 Fällen als teilweise oder völlig bestätigt und in nur 6 Fällen als nicht zutreffend charakterisierte. In den verbleibenden Fällen ließen sich die Beschwerden nicht klären. Ein Bericht über das zweite und dritte Halbjahr (LANDESHAUPTSTADT MÜNCHEN, DIREKTORIUM 1999) ergab insgesamt und pro Halbjahr eine erhebliche Steigerung der Anfragen (im 2.und 3. Halbjahr zusammen 1270 Anfragen). Dabei ging die Zahl der Beschwerden um 25% zurück – die Beschwerdestelle wertet dies als Hinweis auf den Abbau eines vorher herrschenden Beschwerdestaus – und die Zahl der Informationsanfragen stieg um 175%. Im Vergleich zum ersten Halbjahr konnten von den überprüften Beschwerden weniger bestätigt werden (nur 39% im Vergleich zu 521 vorher 68%). Der Anteil an Beschwerden zum ambulanten Bereich ist mittlerweile auf 15% gestiegen, Beschwerden über den stationären Bereich haben einen Anteil von 83%. Als Hauptdefizite nennt die Beschwerdestelle die Personalsituation in den Heimen, wobei quantitative wie qualitative Aspekte bemängelt werden, nicht bedürfnisgerechtes Wohnmilieu, mangelnde psychosoziale Betreuung, pflegerische Versorgung, Kommunikation und Information mit/von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen. Die Kooperation mit den Heimen wertet die Beschwerdestelle München als gut, bilanziert, dass mittlerweile sich auch die Heime selbst an sie wenden. Neben der konkreten Arbeit mit BeschwerdeführerInnen hat die Arbeit an strukturellen Mängeln zentrale Bedeutung für die Beschwerdestelle. Dort wird der Blick auf die eigentlichen Missstände und ihre Ursachen als wichtige Umsetzung der Beschwerden begriffen. Diese Ursachen liegen, so eine Aussage, in der Regel weniger bei Heimen und Personal als bei Kostenträgern und Gesetzgeber. Als Ursachen werden benannt: Personalschlüssel, Fachkraftquote, Arbeitsbedingungen in der Altenpflege (Fluktuation), Standard Zweibettzimmer im Pflegebereich, Untätigkeit der Zuständigen in der Politik. Die Beschwerdestelle München wurde aktiv im Rahmen der Pflegesatzverhandlungen, initiierte die Verabschiedung des ‚Münchner Pflegestandards’ und unterstützte die Forderungen der Münchner Pflegeheimträger zur Gewährleistung pflegerischer Qualität (insbesondere konkrete Forderungen in Bezug auf Pflegeschlüssel und Fachpersonalquote), engagierte sich für eine Nachbesserung der Pflegesätze, ein Soforthilfeprogramm der Kommune, in der Debatte um die Fachkraftquote (Verabschiedung einer Resolution) und initiierte die Interessenvereinigung Münchner Bündnis Pflege. Durch die bisherige Arbeit konnte die Beschwerdestelle eine Reihe von Erfolgen erzielen. Die Mitarbeiterinnen berichteten über ein verbessertes Kommunikationsverhalten bei Pflegekräften, einen höheren Ausbildungsstandard bei AbgängerInnen von Pflegeschulen und eine verstärkte Aktivität der Träger von Pflegeeinrichtungen in Bezug auf Forderungen nach verbesserten gesetzlichen Mindeststandards in der Pflege. Außerdem habe eine verbesserte Kostentransparenz der Einrichtungen zu einer Entspannung des Verhältnisses zwischen Pflegeanbietern und Kunden geführt. Ein wichtiger Erfolg der Beschwerdestelle München ist, dass sie die Finanzierung eines Fortbildungsprogrammes für 250 Pflegekräfte durch die Kommune erreichen konnte – inklusive der Finanzierung von Aushilfskräften für die Dauer der Fortbildungen. Weiter wurde ein Konzept Überleitungsfachkräfte entwickelt, im Bereich Tagesbetreuung für Demente Vorschläge gemacht und ein Projekt zur Gewinnung von ehrenamtlichen BesucherInnen für stationär oder auch ambulant gepflegte Men522 419 schen auf den Weg gebracht . Dabei kommt der Beschwerdestelle die Aufgabe zu, auf der Grundlage der eigenen Erfahrungen Mängel und Defizite zu benennen; Vorschläge zur Behebung werden dann von anderen Einrichtungen oder in Kooperation mit anderen Einrich420 tungen entwickelt und dem Stadtrat vorgelegt . Nahezu zehn Millionen DM als zusätzliche Mittel wurden seit Beginn der Arbeit des Beschwerdetelefons durch den Rat der Stadt München für die Verbesserung der Situation in der Pflege bewilligt. • Die Beschwerdestelle Nürnberg verzeichnete in den ersten elf Monaten insgesamt ca. 500 schriftliche, telefonische oder persönliche „Kontakte“, von denen ca. 30% Mehrfachkontakte waren. Insgesamt wurden 211 Vorgänge mit Beschwerden und Anfragen bearbeitet. Zum größten Teil ging es um Fragen und Probleme im stationären Bereich (70%). Es meldeten sich in der Mehrzahl Angehörige (70%). 20% der Anrufenden waren betroffene Pflegebedürftige. Betreuer und Pflege-/Fachkräfte spielten mit je 5% eine geringe Rolle. Der Anteil der Beschwerden mit Bezugnahme auf den ambulanten Bereich liegt nur bei 10%. Die Beschwerdestelle Nürnberg vermutet hier ein großes Dunkelfeld, da Außenstehende weniger Einblicke in die häusliche Pflege und die Betroffenen selbst häufig weder das Wissen um die Defizite, noch die Kraft, dagegen anzugehen haben. Zudem sei es in der ambulanten Pflege erheblich leichter als bei stationären Angeboten, bei Unzufriedenheit den Anbieter zu wechseln. Die Beschwerdeinhalte ähneln weitgehend denen der Beschwerdestelle München. Die Bedeutung struktureller Mängel für die Pflegeproblematik wird betont: So schätzt die Mitarbeiterin der Beschwerdestelle Nürnberg, dass die Vergütungen der Pflegekassen auch „bei funktionierendem Personal- und Qualitätsmanagement nicht ausreichen, um die von Betroffenen, Angehörigen und dem Pflegepersonal gewünschte und auch im SGB XI postulierte Pflegequalität zu gewährleisten“ (SENIORENRAT DER STADT NÜRNBERG, 2000, S. 10). Im konkreten Einzelfall sei es jedoch schwierig festzustellen, ob es sich um einen strukturellen oder „hausgemachten“ Mangel handle, da es 419 Interview Beschwerdestelle München, S. 5. 420 Eine Mitarbeiterin erläutert dies: „Mit jedem Bericht, der vereinbarungsgemäß etwa einmal jährlich im Stadtrat von der Beschwerdestelle gemacht wird, ist immer auch verknüpft irgendein Antrag, was die Stadt München tun soll. Es wird versucht das immer mit einer Forderung, einem konkreten Beschluss zu verknüpfen, der auch dann vorbereitet ist, in Zusammenarbeit oft mit der Abteilung Altenhilfe, die das dann umsetzt, was ja gar nicht unsere Arbeit sein kann, zu sagen: in dem Punkt kennen wir besondere Probleme, Mängel, Schwierigkeiten, und es wäre sinnvoll, dagegen was zu tun, und dann kommt die Abteilung Altenhilfe und schlägt vor, dazu könnte man dies, dies, dies [entwickeln]. Und das kostet so und so viel, und das ist unser konkretes Angebot. Dann wird das vom Stadtrat beschlossen und steht dann zur Verfügung. Und auf diesem Weg sind wirklich Millionen inzwischen zusätzlich zu den üblichen Aufwendungen einer Stadt hier in München sehr beispielhaft in den Bereich dieser Altenarbeit geflossen.“ (Interview Beschwerdestelle München, S. 5). 523 in und zwischen den verschiedenen Pflegeeinrichtungen teilweise erhebliche qualitative Unterschiede gebe. • Die MitarbeiterInnen des PflegenotTelefons Schleswig-Holstein bilanzierten nach den ersten acht Monaten, dass ihre telefonische Beratung zur Entlastung und zur Entspannung von krisenhaften Situationen beigetragen habe. Vom 1.4-31.12.1999 wurden 447 Gesprächsprotokolle angefertigt. Die Anrufe kamen zu 58% von Angehörigen, zu 11% von Pflegekräften, zu 8% von Pflegebedürftigen selbst und zu 23% von Sonstigen. Die meisten Anrufe kamen von pflegenden Töchtern, Frauen zwischen 50 und 60 Jahren. Insgesamt gab es weniger Anfragen als Beschwerden über Behörden, MDK, Pflegekassen, Krankenhäuser, Pflegedienste, Pflegeeinrichtungen (hier wurden die meisten Beschwerden verzeichnet) und Ärzte. Unter den berichteten Formen von Gewalt wird Vernachlässigung am häufigsten genannt, gefolgt von psychischer Gewalt und finanzieller Ausbeutung. Die geschilderten Fälle von Gewalt bezogen sich fast durchgehend auf den pflegerischen Bereich und betrafen etwa gleich stark die stationäre wie die ambulante Pflege. Etwas mehr Beschwerden bzgl. des ambulanten Bereiches richteten sich gegen Pflegedienste als gegen pflegende Angehörige (LOHSE, 2000). Unter anderem durch die Ergebnisse der Begleitforschung des PflegeNotTelefons Schleswig-Holstein – aber wesentlich beeinflusst durch die Ergebnisse der flächendeckenden Kurzerhebungen der Pflegequalität in stationären Einrichtungen (durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen) – ist die sogenannte „Pflegequalitätsoffensive“ des Ministeriums für Arbeit, Soziales und Gesundheit beschlossen worden. In diesem Rahmen wurde auch die Förderung und teilweise Initiierung regionaler Anlaufstellen zum Thema auf den Weg gebracht. Diese Anlaufstellen sollen von den Erfahrungen des landesweiten Telefons profitieren und mit diesem eng kooperieren (etwa in der Richtung, dass das Landestelefon erste Anlaufstelle ist, die dann an die regionalen Stellen weiterleitet und dass die „Zentrale“ sich auf überregionale Aspekte der Arbeit – wie die Bekämpfung struktureller Probleme konzentriert, während die vor-Ort-Betreuung 421 durch die regionalen Stellen geschieht) . • Die quantitative Auswertung der Anrufe beim Pflegetelefon Hamburg im Zeitraum von Juli bis Dezember 1999 ergab folgende Verteilung: Von denjenigen Anrufen, die mit Bezug auf eine Einrichtung oder Institution erfolgten, waren 20% reine Beschwerden, 78% reine Informationsanfragen und 2% beides. Die Anrufenden waren zu 53% Angehörige von Pflegebedürftigen, zu 16% Pflegebedürftige, zu 5% deren Freunde und zu 4% Institutionen für Pflegebedürftige. Nach 421 Interview PflegeNotTelefon Schleswig-Holstein, S. 12 ff. 524 Aussage der Mitarbeiterinnen des Pflegetelefons bezogen sich die eingegangenen Anfragen beispielsweise auf das Abrechnungssystem der Pflegedienste sowie auf die Frage „Wie finde ich den passenden Pflegedienst?“. Bei den Beschwerden im ambulanten Bereich nannten AnruferInnen beispielsweise zu hoch empfundene Rechnungen, ständig wechselndes Personal und Unzuverlässigkeit 422 von Pflegediensten als Probleme . Vereinzelt gab es Anrufe von pflegenden Angehörigen, die einfach nur über ihre Belastungen re423 den wollten . • In den ersten 15 Monaten seit Gründung des Notruftelefons Niedersachsen hatte dieses mit insgesamt 513 Anrufen zu tun, von denen 230 von Angehörigen, 93 von Betroffenen und 41 von Pflegekräften kamen. 75% der Anrufenden waren Frauen, eine Bestätigung dafür, „dass die hauptsächliche Sorge für pflegebedürftige Angehörige 424 nach wie vor bei den Frauen liegt“ . Probleme mit der stationären Pflege stehen bei den Anrufen im Vordergrund: sie kommen mehr als doppelt so häufig vor wie die mit ambulanten Pflegediensten. Danach sind Anfragen zur Höhe und Berechnung von Heim- und Pflegekosten am häufigsten. Probleme mit Angehörigen wurden in weniger als einem Prozent aller Fälle genannt. Gewalt – definiert im Sinne von VOLLHARDT (1999) – spielte in 71 Fällen eine Rolle. Hier wurde – ähnlich den Ergebnissen von Handeln statt Misshandeln Bonn und dem PflegeNotTelefon Schleswig-Holstein – Vernachlässigung am häufigsten genannt. Fixierungen (11 Fälle), Beschimpfungen/ Einschüchterungen (9 Fälle) und körperliche Misshandlungen (3 Fälle), die auch einem enger gefaßten Gewaltbegriff entsprechen, waren seltener. Im Jahresbericht 1999/2000 wird auf die zunehmende Angst von AnruferInnen verwiesen, bei erheblichen Missständen in stationären Einrichtungen die Namen von Betroffenen gegenüber der Beraterin oder gar der Heimaufsicht oder den Pflegekassen zu nennen. „Aus dieser Sorge heraus haben in einer Reihe von Fällen 422 In einer Internetpräsentation der Hamburger Sozialbehörde werden folgende Beispiele genannt: - „Ständig wechselnde Pflegekräfte, kein für den Pflegebedürftigen überschaubares und verlässliches Team. - Abrechnung des Pflegedienstes ist unverständlich. - Konflikte zwischen Pflegebedürftigen und pflegenden Angehörigen oder zwischen Angehörigen und Pflegediensten. - Antrag bei der Pflegekasse dauert zu lange. - Notwendige Pflegehilfsmittel werden nicht bewilligt (bspw. Dekubitus- Matratzen). - Bei der Begutachtung durch den MDK werden Angehörige, Pflegedienste oder Informationen des Hausarztes nicht einbezogen.“ (http://www.hamburg.de/Behoerden/BAGS/service/pflegetelefon_hamburg.htm, aufgesucht am 21.02.2001) 423 Interview Pflegetelefon Hamburg. 424 (SOZIALVERBAND DEUTSCHLAND, o.J.; S. 4); alle Angaben in diesem Abschnitt stammen aus diesem Jahresbericht. 525 Angehörige uns erst informiert, nachdem die Pflegebedürftigen verstorben sind.“(SOZIALVERBAND DEUTSCHLAND, o.J., S. 8). Das Bedürfnis nach Anonymität ist auch bei anrufenden Pflegekräften groß. Sie fürchten Mobbing und den Verlust ihres Arbeitsplatzes. Neben der Beratung bei Missständen in der Pflege wird mittlerweile mit zunehmender Tendenz beim Notruftelefon Unterstützung bei der Suche des „richtigen“ Pflegeheims oder zum Thema „Heim- und Pflegekosten“ gesucht. • Vom Berliner Krisentelefon liegt eine Auswertung der ersten 150 An425 rufe der Helpline vor . 20% der Anrufe entfielen demnach auf Fragen zum stationären Bereich. Die AnruferInnen waren zu 72% Angehörige, zu 17% Pflegepersonal und nur zu 4% Gepflegte; sie waren zu 83% Frauen, zu 30% über 60Jährige, zu 46% Töchter oder Ehefrauen der Pflegebedürftigen; Problembereiche waren zu 41% Pflegeprobleme (Überforderung), zu 20% Heimprobleme, zu 15% gewalt- bzw. aggressionsbezogene Probleme, 11% Information/Vorsorge, zu 7% Pflegeversicherung und zu 6% Sozialstationsprobleme. Eine neuere Auswertung umfasst das gesamte erste Jahr vom 1. Juni 1999 bis 31. Mai 2000. In dieser Zeit gab es insgesamt 944 Anrufe, von denen ca. 71% von Frauen – überwiegend weiblichen Angehörigen – kam. Die Problemgewichtung hat sich hier gegenüber der ersten Auswertung verschoben; Heimprobleme (ca. 36%) und Überforderung in der Pflege (29%) stehen jedoch weiterhin an der Spitze. Die übrigen genannten Themenbereiche (Gewalt, Informationswunsch, Sozialstation und Pflegeversicherung) hatten einen Anteil von jeweils unter 11%. Die häusliche Pflege durch Angehörige oder Sozialstationen war in 65% aller Fälle der Grund für die Kontaktaufnahme, in 35% ging es um stationäre Pflege. • Die Arbeit der Bonner Initiative Handeln statt Misshandeln ist für die Jahre 1998 bis 2000 in Form von Jahresberichten dokumentiert (HANDELN STATT MISSHANDELN, 1999, 2000, 2001). Für das Jahr 1998 sind 438 Notrufe von 235 AnruferInnen, für das Jahr 1999 sind 526 Notrufe von 276 Anrufenden und für das Jahr 2000 sind 1138 Notrufe von 245 Anrufenden verzeichnet. Im Jahr 2000 waren 21,1% der Anrufenden nach eigenem Verständnis Opfer von Gewalt, 57% waren Informanten, und 22% waren sonstige Ratsuchende (im Vergleich mit den Vorjahren war vor allem der Anteil der InformantInnen gestiegen). Die Opfer waren zu 71,5% weiblich. In 2000 wurden 266 persönliche Beratungsgespräche geführt. Nach Beratungsart aufgeschlüsselt ergibt sich eine Verschiebung von persönlichen Beratungsgesprächen außerhalb der Häuslichkeit der KlientInnen zu 425 Wobei der Auswertungszeitraum unklar ist, wahrscheinlich jedoch handelt es sich um eine Auswertung für die Monate August bis maximal November 1999. 526 Hausbesuchen (die Zahl der Hausbesuche stieg von 27 im Jahre 1998 auf 86 im Jahr 2000), ein Umstand, den Handeln statt Misshandeln mit der gestiegenen Zahl von Fällen aus dem häuslichen Pflegebereich begründet. Als zeitintensiv werden die Beratungsgespräche mit – häufig psychisch auffälligen – Dauerklienten bezeichnet, die immer wieder bei Handeln statt Misshandeln anrufen, da sie bei anderen Einrichtungen nicht die gewünschte Unterstützung finden (140 im Jahr 2000). Die Komplexität der an Handeln statt Misshandeln herangetragenen Fälle, so bilanziert der Jahresbericht 2000, hat deutlich zugenommen – und damit verlängerte sich die Dauer der Beratung. In 34,5% der Fälle findet Gewalt im persönlichen Nahraum, zu 60,7% in Institutionen und zu 4,8% im öffentlichen Raum statt. Die häufigste Gewaltform ist Vernachlässigung (44% aller Fälle), gefolgt von seelischer Misshandlung (40%), Freiheitseinschränkung (34%), körperlicher Misshandlung (24%), finanzieller Ausbeutung (21%) und anderen Gewaltformen (5%). Bei 45,7% der Anrufenden liegt eine Situation vor, die mit Pflege zusammenhängt. Der Problembereich rechtliche Betreuung gewinnt immer mehr an Bedeutung: Im Jahr 2000 standen 30 Anrufende unter rechtlicher Betreuung. • Handeln statt Misshandeln Siegen berichtet, von Mai 1999 bis Mai 2000 zehn Beratungsfälle betreut zu haben (RUBACK, 2000, S. 3). • Für Seniohr in Frankfurt und das Seniorenschutztelefon in Berlin liegen bislang keine Ergebnisse vor. Von den Bremer Initiativen liegen keine Informationen vor. Die Auswertungsergebnisse weisen auf die zum Teil zumindest noch wenig konzeptuell durchdachte Art der Klassifikation von Tätigkeiten und Ereignissen hin; so wird z.T. nach der räumlichen oder institutionellen Lokalisierung des Problems (Heim, Sozialstation), der Art der problematischen Handlung (Gewalt, Aggression), dem Handlungskontext (Pflege), dem Anliegen des Klienten (Information) und anderen Kriterien klassifiziert; die Erarbeitung eines möglichst einheitlichen Klassifikations- und Dokumentationsschemas sollte auf der Tagesordnung der hier dargestellten Initiativen und Institutionen stehen. 6.3.2.15 Weitere Initiativen Im Folgenden werden einige weitere Initiativen kurz skizziert, über die nur wenig Informationen – zumeist aus Presseberichten – vorlagen. Generell ist zu beachten, dass unter der Bezeichnung Pflegenotruf nur in seltenen Fällen Krisen- und Beratungstelefone für pflegebedürftige 527 Menschen und ihre Angehörige fungieren. Es handelt sich zumeist um Telefonnummern, unter denen Pflegedienste abends, nachts und am Wochenende erreichbar sind, um für Angehörige und/oder pflegebedürftige Menschen in kritischen pflegerischen Situationen konkrete Unterstützung leisten zu können. In einigen Regionen gibt es gemeinsame 426 Pflegenotrufe der Wohlfahrtsverbände . In Kiel entsteht neben dem PflegeNotTelefon eine Initiative des Vereins Patientenombudsmann/-frau. Dieser Verein hat es sich zur Aufgabe gesetzt, regional zuständige Ombudsleute auch für den Pflegebereich auszubilden (seit Februar 2000 gibt es vier Patienten-Ombudsmänner und Frauen). Diese Ehrenamtlichen sollen Ansprechpartner für Pflege427 bedürftige in Heimen und in der Familie sein . Die Aufgabe soll von PastorInnen übernommen werden. Die Initiative soll durch Mitgliedsbeiträge von Pflegeeinrichtungen finanziert werden; diese können dem Ombudsverein beitreten und mit der unabhängigen Kontrolle durch die Ombudsleute werben. Die Teilnahmebereitschaft der Heime wird maß428 geblich für den Erfolg der Initiative sein (JANSEN, 2001) . Zudem soll in Kiel im Zuge der Einrichtung einer Pflegeberatungsstelle beim Amt für soziale Dienste von der Verbraucherzentrale Beratung in rechtlichen Fragen und Beschwerdemanagement übernommen werden (PFLEGE: PFLEGEBERATUNGSSTELLEN IM GANZEN LAND GEPLANT, 2001). Ebenfalls in Kiel arbeitet der Kieler Notruf und Beratung für vergewaltigte Frauen und Mädchen, deren Mitarbeiterinnen Fortbildungen zu (sexualisierten) Gewalterfahrungen in der Lebensgeschichte älterer Frauen für Einrichtungen der Altenhilfe und interessierte Gremien sowie 426 Einige Pflegenotrufe präsentieren sich im Internet. (z.B. http://www.redcross.or.at/mains/dienste/gsd/dienste_gsd_main.htm; http://www.snw.de/caritas-sw/notruf.htm; http://www.kath.de/bistum/mainz/mbn/mz980827.htm, aufgesucht am 30.11.2000). Letztgenannte Internetadresse präsentiert ein kooperatives Angebot der Wohlfahrtsverbände; demnach wird die erbrachte pflegerische Leistung in der Regel über Pflege- oder Krankenkassen abgerechnet, die Gebühr für den nächtlichen Einsatz in Höhe von DM 30 müssen Anrufende selbst tragen. Weitere Beispiele für Pflegenottelefone finden sich unter www.diakonie-darmstadt.de/anspr.htm, www.rosstal.de/pflegedie/disst.htm, www.drk-ks.de/soziale_dienste/Sozialstation/SozStat.htm, www.fen.baynet.de/ratgeber/pflegen.html, www.erkrath.de/Seniorenh.html, www.kirchliche-sozialstation.de/hauptteil_kontakte.html. 427 Zu den amerikanischen Long-term Care Ombudsman Programs vgl. Kapitel 1.3.1. 428 Internetpräsenz: http://www.aeksh.de/info_pub/ombuds/ (aufgesucht am 30.11.2000) 528 gezielt Beratung für ältere Frauen, die Opfer von Gewalt werden, anbie429 ten . In Frankfurt wurde im Mai 1999 eine Hotline für pflegende Angehörige vom Frankfurter Verband für Alten- und Behindertenhilfe geschaltet. Dort können sie sich in verzweifelten Situationen aussprechen und Tipps und Hilfeangebote erhalten (FRANKFURTER PFLEGEDIENST AUSGEZEICHNET, 2000). Für den Bereich der häuslichen Pflege relevant ist die Entwicklung und Vergabe eines Qualitätssiegels des Instituts für Qualitätssicherung für ambulante Pflegedienste. Kriterien für die Vergabe des Qualitätssiegels sind Beratung von Patienten und Angehörigen, kostenbewusstes Arbeiten und die Zufriedenheit der Patienten (FRANKFURTER PFLEGEDIENST AUSGEZEICHNET, 2000). Erwähnenswert sind zwei weitere Initiativen, die jeweils im Modellprogramm des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend „Altenhilfestrukturen der Zukunft“ gefördert werden. Dabei handelt es sich zum einen um das Beschwerdetelefon für Pflege in Mainz. Das Telefon wird von sechs trägerunabhängig arbeitenden Beratungs- und Koordinierungsstellen sowie der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz betrieben und nahm die Arbeit im September 2000 auf. Dabei geben die Beratungs- und Koordinierungsstellen Auskunft zu praktischen Fragestellungen, zu juristischen Fragen berät eine Fachanwältin. Das Beschwerdetelefon, das Mittwochs zwischen 14 und 15 Uhr besetzt ist, ist zuständig für jeden, „der Ärger mit Pflegediensten, Krankenkassen, dem Medizinischen Dienst oder Behörden hat“, so lt. Pressebericht die Projektkoordinatorin Sabine Strüder. Bis Ende Oktober 2000 waren etwa 20 Anfragen eingegangen. Parallel überprüft die Fachanwältin sämtliche Verträge der Mainzer Pflegedienste auf gesetzeswidrige Klauseln. Mit Hilfe der Erkenntnisse, die über die Vertragsüberprüfung und das Beschwerdetelefon gewonnen werden soll eine Checkliste als Hilfestellung zur Auswahl ambulanter Pflegedienste entwickelt werden. Finanziell beteiligt ist an dem zweijährigen Projekt neben dem BMFSFJ das Sozialministerium Rheinland-Pfalz (BESCHWERDETELEFON RUND UM DIE PFLEGE, 2000). In Stuttgart startet 2001 ein Modellprojekt Verbraucherschutz in der stationären Pflege. Das Besondere an diesem Projekt ist, dass ehren429 Faltblatt: Fortbildung für Einrichtungen der Altenhilfe und interessierte Gremien. Gewalterfahrungen in der Lebensgeschichte älterer Frauen. Sowie Faltblatt: Gewalt gegen Frauen. Gewalt gegen Seniorinnen. 529 amtlich tätige VertreterInnen der örtlichen Kreisseniorenräte geschult werden, um Begleitung und Beratung von HeimbewohnerInnen und ihren Angehörigen zu leisten. Zwei Aufgabenbereiche sind angedacht: Zum einen könnten Seniorenräte in den spätestens seit Einführung des Pflegeversicherungsgesetzes oftmals nur noch unzureichend funktionsfähigen Heimbeiräten als Interessenvertretungen von Angehörigen und Heimbewohnern fungieren. Der zweite Arbeitsbereich liegt in der allgemeinen Begleitung und Unterstützung von HeimbewohnerInnen und ihren Angehörigen bei allen Problemen rund um die institutionelle Pflege. Statt – wie zunächst in Erwägung gezogen – als Ombudsstellen sollen die örtlichen Anlaufstellen unter dem geläufigeren Titel „Rat und Hilfe bei Fragen und Problemen im Pflegeheim – Anlaufstelle Pflegeheim“ angeboten werden Eine einjährige Erprobungsphase mit Beginn im Sommer/Herbst 2001 ist geplant; das Projekt soll in dieser Zeit in drei ausgewählten Landkreisen durchgeführt und anschließend ausgewertet 430 werden. 6.3.2.16 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Deutlich wird, wie rasch sich seit etwa 1997 die Hilfelandschaft zu den drei Schwerpunktthemen Gewalt gegen Ältere, Krisen in der häuslichen Pflege und Missstände bzw. Probleme in der professionellen Pflege entwickelt und ausdifferenziert hat. Dabei weisen die Arbeitsansätze und Konzepte der hier dargestellten Projekte, Initiativen und Einrichtungen eine große Vielfalt auf. Neben grundlegenden Informationen über die verschiedenen Beratungsangebote kann die Auswertung in beschränktem Maße auch Aufschluss über die Nutzung solcher Einrichtungen in Fällen von Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum – dem Arbeitsbereich des Modellprojekts – und über den in den Zielgruppen vorhandenen einschlägigen Bedarf geben. Dies ist insofern schwierig, als sich bei den meisten Anbietern stets nur ein Teil des Aufgabenbereichs mit dem des Modellprojekts überschneidet. Die vorliegenden Ergebnissen weisen bei den pflegebezogenen Angeboten – ausgenommen das Krisentelefon Berlin – eine geringe Zahl von Anrufen aus, die sich auf Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum beziehen. Handeln statt Misshandeln Bonn und das Krisentelefon Berlin können größere 430 Telefonat mit Birgit Faigle, 22.1.2001, Geschäftsführerin Landesseniorenbeirat Baden Württemberg. 530 Zahlen vorweisen. Für die anderen Initiativen liegen diesbezüglich keine 431 Angaben oder eher geringe Fallzahlen vor. Insgesamt scheint die Nachfrage für Beratung zum Themenbereich Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum eher gering zu sein. Die häufig formulierte Vermutung, dass Gewalt gegen ältere Menschen durch Angehörige zumeist im Kontext von Überforderung in der Pflege stattfindet – und daher Beratungsangebote mit diesem Schwerpunkt adäquat sind –, wird durch die Zahlen aus SchleswigHolstein und Niedersachsen nicht bestätigt. Anhand der Anzahl der Einrichtungen und ihrer Nutzung kann der Bedarf an Beratungs- bzw. Beschwerdestellen zu Problemen in der stationären Pflege dagegen als groß vermutet werden, Beschwerden über ambulante Pflegedienste – hier könnte es sich um Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum im Sinne des Modellprojekts handeln – sind bei allen entsprechenden Einrichtungen selten. Es wird sich in Zukunft erweisen, welche Arbeitsansätze dauerhaft erfolgreich sein werden. Augenblicklich lassen sich darüber kaum Aussagen machen. Mit Sicherheit jedoch steigen mit zunehmender politischer Legitimation und öffentlichem Druck die Handlungsfähigkeit und der Einfluss von Einrichtungen und Initiativen. Die Beschwerdestelle München und das PflegeNotTelefon Schleswig-Holstein sind hier wichtige Beispiele. 6.3.3 Nahraumgewalt gegen ältere Menschen – ausgewählte Präventions- und Interventionsansätze auf internationaler Ebene 6.3.3.1 Überblick In den vergangenen Jahrzehnten haben sich international eine Vielzahl unterschiedlicher Präventionsprojekte auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene entwickelt. Die Bandbreite dieser Handlungsansätze ist 431 Beim PflegeNotTelefon Schleswig-Holstein gingen in den ersten 8 Monaten etwas über 20 Anrufe ein, die sich auf Gewalt durch pflegende Angehörige bezogen (bei insgesamt 447 Anrufen). Von 513 Anrufen, die beim Notruftelefon Niedersachsen in den ersten 15 Monaten des Bestehens eingingen, betrafen fünf Probleme mit Angehörigen. Beim Berliner Krisentelefon gingen innerhalb eines Jahres 944 Anrufe ein, wovon sich um die 10%, d.h. etwa 90 Anrufe auf Gewalt/Aggressionen in der familiären Pflege und auf ambulante Pflegedienste bezogen. Im Jahr 2000 wurde von Handeln statt Misshandeln Bonn in 50 Fällen von Gewalt im persönlichen Nahraum beraten. 531 groß, sie reicht von speziellen Strafgesetzen und Meldepflichten für Fälle der Gewalt im Alter über den Aufbau behördlicher Strukturen bis zu höchst verschiedenen regionalen nicht-staatlichen Organisationen, die Hilfe anbieten, Vernetzung vorantreiben und Informationen zur Thematik verbreiten. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend beschritt mit der Tagung Gewalt gegen Ältere Zuhause vom 11. und 12. März 1996 in Bonn den Weg internationalen Vergleichs und Austauschs und des Lernens von ausländischen Erfahrungen. Einige national und international renommierte Fachleute aus den USA (PILLEMER, 1997), den Niederlanden (JANSEN, 1997), Israel (ULLMANN, 1997), Großbritannien (GLENDENNING, 1997a) und Schweden (SAVEMAN, 1997) waren hier eingeladen, zum Thema Gewalt gegen ältere Menschen über Forschungsergebnisse und die Erfahrungen mit Interventionsmaßnahmen in ihren Ländern zu berichten. Einige Informationen sind damit bereits in deutscher Sprache zugänglich. Es gilt jedoch, dieses Wissen zu erweitern. Leider ist es im Rahmen dieses Berichts nicht möglich, einen umfassenden Überblick über all diese Ansätze zu geben. Daher wird eine Auswahl vorgenommen: Im ersten Abschnitt wird ein grober Überblick über die Entwicklung von Interventions- und Präventionsansätzen in den USA – als dem Land, in dem die Thematik am frühesten Beachtung und institutionalisierte Bearbeitung fand – gegeben. Zudem werden die Ergebnisse einer Forschungsreise in die USA und die dort besuchten Projekte und Initiativen vorgestellt. Im zweiten Abschnitt werden Präventions- und Interventionsansätze in Australien, im dritten Abschnitt schließlich Beispiele für Praxisprojekte in verschiedenen europäischen Ländern vorgestellt. 6.3.3.2 Prävention und Intervention bei Gewalt im Alter: USA 6.3.3.2.1 Zur Geschichte der Aktivitäten zu Gewalt gegen ältere Menschen in den USA: Vom Fürsorgemodell über das Pflegestressmodell zu Gewalt gegen Ältere als eine Form von Gewalt in der Familie Die nachstehenden Ausführungen folgen weitgehend der Systematisierung und den Ausführungen von WOLF (1999a, 1999b). a) Die Wurzeln der Bewegung zu Gewalt gegen Ältere in den USA reichen etwa 40 Jahre zurück; 1962 wurde ein Bundesgesetz verabschiedet, das die Vergabe von Geldern an die Bedingung knüpfte, dass die Bundesstaaten die Versorgung mit sogenannten Protective Services, 532 d.h. Schutzdiensten, sicherstellten. Im Jahre 1974 wurde die Einrichtung dieser Schutzdienste für die Bundesstaaten verpflichtend. Die Schutzdienste sollten die Sicherheit all derjenigen Personen über 18 Jahren garantieren, die aufgrund von physischen oder mentalen Einschränkungen nicht in der Lage sind, sich für ihre eigenen Belange einzusetzen und die vernachlässigt oder ausgebeutet werden oder un432 ter unsicheren oder gefährlichen Bedingungen leben . Der Staat sah sich in der Pflicht – und wurde in die Pflicht genommen – fürsorgend für diese speziell gefährdete und tendenziell wehrlose Personengruppe tätig zu werden. Wohlgemerkt: Gewalt gegen Ältere spielte in dieser Phase keine Rolle in der öffentlichen Diskussion. Verschiedene Kritikpunkte wie hohe Kosten, fragwürdige Effizienz und potenzielle Einschränkungen von bürgerlichen Rechten verhinderten Ende der 70er Jahre die weitere Expansion dieser Programme. Zu diesem Zeitpunkt bestand jedoch bereits in allen Bundesstaaten ein funktionierendes System von Protective Services. b) Etwa zeitgleich und parallel mit der stärkeren Fokussierung auf ältere Menschen als Opfer von Kriminalität begann die öffentliche und politische Diskussion um Gewalt gegen ältere Menschen (elder abuse); ein „neues“ Problem wurde entdeckt. Nun bot es sich an, auf die bereits existierende Angebotsstruktur der Protective Services zurückzugreifen, ein Teil der Fälle fiel ohnehin in ihren Aufgabenbereich. Durch diese Entwicklung bekamen die Schutzdienste in vielen Bundesstaaten eine neue Legitimation, ein neues Verständnis ihres Aufgabenfeldes entwickelte sich. Die Struktur der Protective Services, ihre Organisation und ihre Arbeitsweise differenzierten sich immer weiter aus, so dass man trotz einiger Gemeinsamkeiten heute in den Bundesstaaten eine sehr heterogene Angebotsstruktur vorfindet. Die Bundesstaaten verabschiedeten im Zuge dieser Entwicklung entweder neue Gesetze, die speziell auf ältere Menschen zugeschnitten waren, oder übertrugen bereits bestehende Gesetze zum Schutz von Kindern auf den Problembereich Gewalt gegen Ältere. In diesem Zusammenhang wurden in vielen Staaten gesetzliche Meldepflichten für Angehörige von bestimmten Berufsgruppen eingeführt, wie sie für Gewalt gegen Kinder bereits existierten. Das Thema wurde ein ‚Alters-Thema‘. WOLF spricht von „reconstruction of the problem from ´adults in need of protective services´ to ´victims of elder abuse, neglect, and exploitation´“ (1999b, S. 2). Das Grundverständnis von Gewalt gegen Ältere folgte allerdings noch dem Konzept 432 In dieser ursprünglichen Zielgruppe waren somit auch Menschen eingeschlossen, die sich selbst gefährden. Dies mag eine Ursache dafür sein, dass in den USA – im Unterschied zu den meisten anderen Staaten – self-neglect, also selbstgefährdendes Verhalten, als eine Form von Gewalt im Alter gesehen wird. 533 von Hilflosigkeit und Verletzlichkeit. Das typische Opfer von Gewalt im Alter war diesem Verständnis nach pflegebedürftig, die Täter bzw. die Täterinnen waren überforderte pflegende Angehörige. Dieses Konzept mag wiederum mit der ursprünglichen Aufgabe der Protective Services zusammenhängen. Es wurde von den Medien und in der politischen Debatte bereitwillig aufgegriffen. c) In den 80er Jahren gab es kaum Berührungspunkte zwischen der Bewegung zu Gewalt gegen Ältere und der Bewegung zu Gewalt gegen Frauen (domestic violence) – was einerseits mit der sehr unterschiedlichen Entstehung – feministische Basisbewegung versus professionelle Interessenvertretung –, andererseits auch mit den verschiedenen Erklärungsmodellen – Pflegestress versus Gewalt als Kontrollinstrument – zusammenhing. Forschungsergebnisse – vor allem die in Kapitel 1 dargestellten Studien von Pillemer – zeigten jedoch, dass nur bei einem Teil der Fälle von Gewalterfahrungen älterer Menschen häusliche Pflege relevant ist und dass auch in Fällen, in denen häusliche Pflege eine Rolle spielt, kausale Zusammenhänge zwischen Stress und Gewalt nicht sicher nachweisbar sind. Darüber hinaus entstanden grundsätzliche Zweifel an einem Vorgehen, das Gewalt gegen Kinder und Gewalt gegen Ältere als gleichartig begriff und daraus gleichartige Interventionsmaßnahmen ableitete. Fragen des Selbstbestimmungsrechts alter Menschen wurden diskutiert. Aus diesen Gründen wurde Gewalt gegen Ältere zunehmend als eine Form von Gewalt in Familien betrachtet und war damit auch nicht mehr klar abgrenzbar zu Gewalt gegen Frauen. Auf nationaler Ebene wurde Gewalt in Familien als ein strafrechtliches und gesundheitspolitisches Thema konzipiert. Eine Folge der Integration von Gewalt gegen Ältere in den Themenbereich Gewalt in der Familie war somit eine gleichfalls stärkere ‚Kriminalisierung‘ und ‚Medikalisierung‘ des Problems – Beispiele für diese Tendenz sind die Verabschiedung spezieller Strafgesetze, Tendenzen zu Strafverschärfungen in diesem Bereich, aber auch eine Sensibilisierung von medizinischem Personal, von Strafverfolgungsbehörden, von Gerichten und von Mitarbeiterinnen in Programmen für gewaltbetroffene Frauen (z.B. durch Konferenzen und Schulungen). Das Thema Gewalt gegen Ältere gewann durch diese Integration an Legitimation, und selbst die schwierige Einbindung von Medizinern und Medizinerinnen scheint auf diesem Wege erleichtert. Es zeichnet sich eine wechselseitige Adaption von Konzepten und Arbeitsansätzen ab: Initiativen, die zu Gewalt gegen Frauen arbeiten, versuchen zunehmend Angebote für die spezifischen Bedürfnisse älterer Frauen zu entwickeln (z.B. Bereitstellung von ent534 433 sprechenden Schutz- und Fluchträumen , vgl. WOLF, 1999c) und Initiativen, die zu Gewalt gegen Ältere arbeiten, wenden Arbeitsansätze an, die in der Bewegung zu Gewalt gegen Frauen entwickelt wurden (z.B. Unterstützungsgruppen, vgl. WOLF 1998b). Jede dieser Phasen hat spezifische Interventions- bzw. Präventionsstrategien hervorgebracht, die jetzt noch parallel existieren. Sie sind interessantes Anschauungs- und Lernmaterial für Initiativen in anderen Ländern, in denen eine bewusste Auseinandersetzung mit dem Phänomen noch neu ist. 6.3.3.2.2 Ausgewählte Projekte Die im Folgenden vorgestellten Projekte und Einrichtungen können das 434 Spektrum der Angebote in den USA nicht vollständig abbilden . Es werden Projekte und Einrichtungen kurz beschrieben, die im Zuge eines zehntägigen Forschungsaufenthaltes im November 1999 besucht werden konnten. Die Ausführungen basieren, so nicht anders aufgeführt, auf Informationsmaterial, Interviews und informellen Gesprächen. Die beiden Bundesstaaten Massachusetts und New York haben sehr unterschiedliche Konzepte für den Umgang mit Gewalt gegen ältere Menschen entwickelt. Eine Skizze beider Konzepte mag eine Vorstellung der vorfindbaren Heterogenität der Ansätze in den USA geben. Neben verschiedenen Initiativen in den beiden Bundesstaaten, darunter auch eine nicht-staatliche Initiative, wird die Arbeit einer nationalen Informationsstelle sowie eines Schutzhauses für ältere Menschen, die Opfer von häuslicher Gewalt oder von Obdachlosigkeit bedroht sind, vorgestellt. Massachusetts; Pittsfield/Boston/Worcester: Massachusetts Protective Services Program Worcester Elder Services, Staatliche Schutzdienste für ältere Gewaltopfer In allen Bundesstaaten existieren Schutzdienste entweder für Fälle von Misshandlung abhängiger Erwachsener oder für Fälle von Gewalt ge433 Im Rahmen der Integration von Gewalt gegen Ältere in das übergreifende Konzept Gewalt in Familien wurde verstärkt über Schutzhäuser für ältere Menschen nachgedacht. Verschiedene Untersuchungen (vgl. z.B. Vinton 1992) über die Nutzung von Frauenhäusern durch ältere Frauen und die Angebotsstruktur für ältere Menschen wurden durchgeführt; sie zeigten, dass die Angebote der Frauenhäuser in erster Linie auf jüngere Frauen mit Kindern zugeschnitten waren, dass sie von älteren Frauen kaum genutzt wurden und dass es für Frauen mit körperlich und/oder psychischen Einschränkungen mit und ohne Unterstützungsbedarf kaum Wohnmöglichkeiten in Frauenhäusern gab. In einigen Einrichtungen und Projekten wird nun versucht, dieses Defizit zu beheben. 434 Die Unterschiedlichkeit der verschiedenen Programme hing damit zusammen, dass es zum Thema Gewalt gegen ältere Menschen keine abgestimmte nationale Politik, so z.B. Gesetzgebung, gab. Die Interventionsprogramme in den verschiedenen Bundesstaaten wurden „weitgehend ad hoc und wenig aufeinander abgestimmt gestaltet“. (PILLEMER, 1997, S. 102). 535 gen ältere Menschen allgemein. Die Schutzdienste für abhängige Erwachsene – Adult Protective Services – sind beim State Department of Human Services (als Sozialbehörde), die Schutzdienste für ältere Menschen – Elder Protective Services – sind bei den State Units on Aging (Behörden, die für Altersbelange zuständig sind) angegliedert. Das Massachusetts Elder Protective Services Program wurde 1983 aufgebaut; es ist als Teil der Massachusetts Executive Office of Elder Affairs (Behörde für Altersangelegenheiten) ein altersspezifisches Angebot für über 60jährige, die zuhause leben und misshandelt bzw. vernachlässigt werden. Es gibt im Bundesstaat 27 lokale Agenturen in privater gemeinnütziger Trägerschaft, zumeist Pflege- und Unterstützungsanbieter, die von der Bundesbehörde unter Vertrag genommen wurden und die lokalen Agenturen der Protective Services betreiben (WOLF & LI, 1999, S.222f.). Die MitarbeiterInnen der lokalen Agenturen werden von der zentralen Staatsbehörde geschult; diese bestimmt bis ins Detail Arbeitsablauf und Dokumentationsprozesse, bietet inhaltliche 435 Unterstützung und finanziert die lokalen Agenturen. Die zentrale Behörde betreibt zudem eine 24-Stunden ‚Elder Abuse Hotline‘. Diese Helpline dient nicht primär der anonymen telefonischen Beratung von Betroffenen, ihre Aufgabe ist vor allem die Entgegennahme und lokale Weiterleitung von Meldungen von Gewaltfällen. Die lokalen Agenturen nehmen Meldungen entgegen und führen zunächst Ermittlungen bzw. Nachforschungen durch, um herauszufinden, ob ein Misshandlungs- bzw. Vernachlässigungsverdacht bestätigt werden kann. Betroffene ältere Menschen melden sich in aller Regel nicht bei diesen Agenturen. Die Öffentlichkeitsarbeit ist nicht speziell auf diese Zielgruppe zugeschnitten, vielmehr geht es in der Regel um die Sensibilisierung Dritter. Bei Bestätigung eines Gewaltverdachts erarbeiten die Agenturen in Absprache mit den Opfern einen Service-Plan, bieten Fall-Management, organisieren notwendige Unterstützungsdienste, rechtlichen Beistand und/oder Beratung für den Täter/die Täterin etc. In den lokalen Agenturen gibt es rund-um-die-Uhr Bereitschaftsdienste. Werden Fälle als Notfälle eingestuft, garantieren die Agenturen eine Intervention innerhalb von 5 Stunden. Die in den Protective Services tätigen SozialarbeiterInnen, die zumeist auf Altersfragen spezialisiert sind (in Worcester insg. 6 Personen), machen häufig Hausbesuche. Sie bearbeiten im Schnitt 25-30 Fälle zeitgleich, einige Fälle werden bis zu einem Jahr begleitet. Die Agentur in Worcester ist für die Stadt Worcester und 14 umliegende Gemeinden zuständig. 435 So gibt es in der Zentrale ExpertInnen, so z.B. zum Thema sexuelle Gewalt gegen alte Frauen, die auf lokaler Ebene Beratung und Weiterbildung der MitarbeiterInnen anbieten. 536 Grundsätzlich können alte Menschen, die in der Lage sind, ihre eigenen Belange zu vertreten, die Ermittlungen und die Dienstleistungen der Protective Services ablehnen. Ein wichtiger Teil der Arbeit der lokalen Agenturen sind deshalb Bemühungen, die alten Menschen dazu zu bewegen, den Angeboten und Ermittlungen der Protective Services zuzustimmen. Alte Menschen neigen dazu, die Intervention abzulehnen, da sie die Protective Services als Behörden mit weitreichenden Eingriffskompetenzen wahrnehmen und fürchten, dass – einmal begonnen – die Interventionen der eigenen Kontrolle entzogen sind. Meldepflichten bestehen in Massachusetts für 19 Berufsgruppen. Bei Zuwiderhandeln drohen Geldbußen bis zu 1.000 $ – allerdings scheinen diese Gesetze kaum zur Anwendung zu kommen. Eine der Aufgaben der lokalen Agenturen ist es, die benannten Berufsgruppen über Gewalt gegen alte Menschen und die bestehenden Pflichten aufzuklären. In einigen Gebieten gibt es außerdem lokale Koordinierungsrunden, die die Zusammenarbeit der verschiedenen Professionen und Dienste sicherstellen sollen. In Zukunft sollen lokale Arbeitsgruppen zum Thema finanzielle Ausbeutung eingerichtet werden, in die auch MitarbeiterInnen von Banken und Polizei eingebunden werden sollen. New York; Rochester: Lifespan: Elder Abuse Prevention Programme, lokales nicht-staatliches Präventionsprogramm Ältere Opfer von Gewalt, die ihre eigenen Belange aufgrund von körperlichen und/oder psychischen Einschränkungen nicht vertreten können, werden im Staat New York von den Adult Protective Services Agenturen, lokalen Dienststellen der Sozialbehörden, deren MitarbeiterInnen zumeist Verwaltungsfachkräfte sind, betreut. Es gibt dagegen kein einheitliches System für den Umgang mit Fällen von Gewalt gegen nichtabhängige Ältere. Die Angebotsstruktur hängt damit auch von der Initiative lokaler, nicht-staatlicher Organisationen ab, wie z.B. von Lifespan in Rochester. Dieser große Anbieter sozialer Dienste betreibt seit 1986 das Elder Abuse Prevention Program, das zunächst als Modellvorhaben finanziert wurde und mittlerweile auf einer stabilen finanziellen Grundlage arbeitet. Die Schwerpunkte des Programms sind Prävention und Intervention. Im Bereich Prävention wird viel Wert auf Schulungen, Veranstaltungen und Öffentlichkeitsarbeit gelegt (TV-Spots, Radiosendungen, häufige Pressemeldungen, Veranstaltungen, Flyer, Plakate usw.). Zu den innovativen Ideen des Zugangs zu alten Menschen insbesondere in ländlichen Gebieten gehört die Zusammenarbeit mit BriefträgerInnen, AbleserInnen von Gas- und Wasserwerken sowie MitarbeiterInnen von Telefon- 537 gesellschaften. Hinweise auf das Projekt und seine Hilfsmöglichkeiten wurden z.B. auf Gasrechnungen aufgedruckt. Zunehmend wird die Zusammenarbeit mit und Schulung von Bankangestellten forciert. Für die Schulungen von Angehörigen anderer Berufsgruppen entwickelte Lifespan ein Trainingsmanual. Das Trainingsmanual bietet eine Zusammenfassung der wesentlichen Informationen zum Thema Gewalt im Alter gegliedert nach Berufsgruppen: für Schulungen von Bankangestellten, MitarbeiterInnen im Gesundheitswesen, bei Polizei und Staatsanwaltschaften. Das Schulungsmaterial umfasst eine Zusammenstellung von Forschungsergebnissen, Fallbeispielen, Reaktionsmöglichkeiten und Adressen von zuständigen Diensten. Die Materialien stehen als Folien zur Verfügung. Frühe Elemente des Programms waren der Aufbau und der sechsjährige Unterhalt einer Gruppe pflegender Angehöriger und einer kleinen Opfer-Gruppe, die später als Selbsthilfegruppe arbeitete. Bei Informationsveranstaltungen in Seniorenkreisen werden die Veranstaltungen so aufgebaut, dass ausgehend von der Thematisierung finanzieller Ausbeutung durch Fremde übergeleitet wird zur Notwendigkeit finanzieller Vorsorge allgemein und eben auch bezogen auf die eigene Familie. In diesem Zusammenhang werden auch andere Formen von Vorsorge thematisiert (z.B. Gesundheitsvorsorge). Bei den Veranstaltungen wird versucht, Gewalt zu thematisieren, ohne durch die Verwendung des Begriffs Gewalt die SeniorInnen abzuschrecken. Die Zielgruppe SeniorInnen wird darin bestärkt, sich um den Schutz der eigenen Person und Habe zu kümmern. Insgesamt ist eine Verschiebung des Arbeitsschwerpunkts zu verzeichnen. Während früher stärker die TäterInnen (zumeist als pflegende Angehörige) im Blick der Angebote waren, stehen mittlerweile die Opfer mehr im Mittelpunkt. Sie sollen gestärkt, ihre Rechte auch durch vermehrte Kooperation mit Polizei und Staatsanwaltschaft durchgesetzt werden. Wichtiger Schwerpunkt ist Prävention von und Intervention bei finanzieller Ausbeutung. Dazu gehören die Aufklärung von Bankangestellten, die Einrichtung von speziellen Koordinierungsrunden, das Angebot der Unterstützung in allen Finanzangelegenheiten bzw. die Übertragung von Finanzvollmachten an einen spezialisierten Dienst. Im Rahmen dieses financial management programs beraten ehrenamtliche pensionierte MitarbeiterInnen von Banken und aus anderen kaufmännischen Berufen interessierte ältere Menschen bei finanziellen Fragen; sie ma538 chen Hausbesuche, geben Tipps und erstellen bei Interesse einen Finanzplan. Dieses Projekt findet großen Zuspruch, Interessierte müssen 2-4 Monate auf eine Beratung warten. New York; New York City: Elderly Crime Victim’s Unit, Opferhilfeprogramm der Stadtverwaltung N.Y. ist einer der wenigen Bundesstaaten, in denen zwar Meldepflichten für Fälle von Gewalt gegen abhängige Erwachsene, nicht jedoch für Fälle von Gewalt gegen ältere Menschen allgemein bestehen. Alle älteren Gewaltopfer in New York State, die sich nicht um ihre eigenen Belange kümmern können, werden in New York City von Adult Protective Services unterstützt, alle anderen Gewaltopfer werden von der Crime Victim’s Unit, einer Abteilung zur Unterstützung von älteren Gewaltopfern innerhalb des New York City Department for the Aging, unterstützt. Die Aufgabenfelder dieser Abteilung sind öffentliche Aufklärung (Kampag436 nen, Broschüren , Veranstaltungen), Zusammenarbeit mit Polizeidienststellen/Staatsanwaltschaft, Beratung, Hilfe beim Verlust wichtiger Dokumente, Unterstützung für Bekleidung, Essen, Wohnmöglichkeiten im Krisenfall und finanzielle Unterstützung. Es findet grundsätzlich keine Beratungsarbeit mit Tätern und Täterinnen statt. Delaware University; Newark: Clearinghouse on Abuse and Neglect of the Elderly (CANE), Nationale Informationsstelle Das Clearinghouse wurde 1986 im Rahmen eines Forschungsvorhabens zu Gewalt gegen Ältere an der Delaware University gegründet; diese Informationsstelle hat zahlreiche Buchpublikationen und etwa 3.500 Artikel zum Thema Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum und in Institutionen archiviert, verschlagwortet und zusammengefasst. Eine umfangreiche Sammlung von Audio-Video-Material und 30 Trainingsmanualen sowie eine Vielzahl von Broschüren und Faltblätter liegen vor. Die am Clearinghouse beschäftigte Mitarbeiterin führt regelmäßig neue Recherchen durch und aktualisiert die Datenbanken. Die NutzerInnen selbst senden erscheinendes Material direkt an das Clearinghouse oder setzen die Mitarbeiterin von Neuerscheinungen in Kenntnis. Gegen einen geringen Unkostenbeitrag können gezielte Recherchen in Auftrag gegeben und Kopien von Artikeln bestellt werden. Das Clearinghouse wird u.a. durch das National Center on Elder Abuse 436 So wurde z.B. eine Broschüre mit Vorsorgetipps herausgegeben; ausgehend von finanzieller Ausbeutung, Gesundheitsvorsorge, Vorsorge in Bezug auf gesetzliche Betreuung, für den Fall von Pflegebedürftigkeit und Verhalten gegenüber anderen Formen von finanzieller Ausbeutung durch Fremde wird auch über die Vorsorge bei familiärer Gewalt gesprochen. Die Broschüre ist in sehr einfacher Sprache geschrieben und wird in mehreren Sprachen publiziert. 539 and Neglect, die National Association of State Adult Protective Services Administrators (NAAPSA) sowie das National Committee for the Prevention of Elder Abuse and Neglect finanziert. Washington DC: Elder Shelter The Dwelling Place, Notunterkunft für ältere Opfer von Gewalt Dwelling Place ist das älteste Schutzhaus für ältere Menschen in den USA; es besteht seit 1986. Dwelling Place bietet sieben Menschen ab 60, die psychisch und/oder physisch misshandelt, vernachlässigt, finanziell ausgebeutet werden, ihre Wohnungen verloren haben oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind, bis zu drei Monate begrenzte Wohnmöglichkeiten. Die Schutzunterkunft wird in Kombination mit einem Senioren-Tageszentrum betrieben. In das Tageszentrum kommen ältere Menschen aus der Umgebung und nehmen an verschiedenen Aktivitäten teil (Freizeitprogramm, Gesundheitstraining, Mittagessen, Ausflüge); eine von mehreren Bedingungen für die Aufnahme in das Schutzhaus ist die Teilnahme an den Programmen des Tageszentrums. Die Versorgung im Schutzhaus (Wohnen und täglich drei Mahlzeiten) ist für die alten Menschen kostenlos; finanziert wird das Programm mit Mitteln des District of Columbia Office on Aging. Das Schutzhaus wird unter der Trägerschaft eines lokalen Anbieters sozialer Dienstleistungen betrieben. Etwa 60-80%, der BewohnerInnen leben aufgrund von Wohnungsräumungen im Schutzhaus – dies ist auch die Ursache für einen relativ hohen Männeranteil im Haus. Nur der kleinere Teil der BewohnerInnen, etwa 20-35%, ist Opfer von Gewalt im persönlichen Nahraum. 6.3.3.3 Prävention und Intervention bei Gewalt im Alter: Australien In Australien erhielt die Thematik erst ab Anfang der 90er Jahre größere Aufmerksamkeit (MCCALLUM, 1993; COLLINGRIDGE, 1993). Die Debatte wurde zunächst von Praktikern, Forschern und Verantwortlichen im Bereich der Sozialpolitik geführt (vgl. z.B. KURRLE, SADLER & CAMERON, 1992). Die von diesen Personengruppen häufig beschworene Dringlichkeit der Angelegenheit stand – so COLLINGRIDGE (1993) – im Wider- 540 spruch zu den auch hier dominierenden unklaren Definitionen und Ziel437 richtungen . Die folgenden Ausführungen (außer zu Western Australia) gehen auf Recherchen im Dezember 1998 und Januar 1999 in Australien zurück. Dabei wurde Kontakt zu Initiativen in drei Bundesländern aufgenommen, Gespräche mit Verantwortlichen geführt und Informationsmaterial gesichtet und ausgewertet. Die Ausführungen können keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. In Australien ist der Umgang mit Gewalt gegen ältere Menschen (abuse of the elderly) in den einzelnen Bundesländern (states) unterschiedlich. Der wichtigste Unterschied besteht darin, dass in einigen der insgesamt 8 Bundesländer spezialisierte Einrichtungen zum Thema installiert wurden, in anderen die Integration in bestehende Einrichtungen favorisiert wird. Der Schwerpunkt der Aktivitäten lag bis Mitte der 90er Jahre in Aufklärung bereits bestehender Einrichtungen (DUNN, 1995). Gesetzliche Meldepflichten nach US-amerikanischem Vorbild sind nicht in der Diskussion, im Gegenteil werden in einschlägigen Publikationen immer wieder das Selbstbestimmungsrecht älterer Menschen und die kritischen Implikationen der Meldepflichten betont (vgl. z.B. KURRLE & SADDLER, 1994, S. 17ff.). In New South Wales ist der offizielle Ansatz, keine speziellen Dienste aufzubauen, sondern die vorhandenen Strukturen zu nutzen. Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt hier darin, Professionelle, die potenziell mit älteren Gewaltopfern in Berührung kommen, zu informieren und ein allgemeines Problembewusstsein zu schaffen. Im Ageing and Disa438 bility Department von New South Wales wurde eine task force zum Thema Gewalt gegen Ältere eingerichtet, die 1993 einen Abschlussbericht mit Empfehlungen verabschiedete. Mit der Umsetzung der Empfehlungen wurde ein beratendes Gremium des Departments betraut, das 1997 seine Ergebnisse vorlegte. Hier wurden schriftliche Handreichungen und ein Trainingsmanual für alle Berufsgruppen entwickelt, die potentiell mit der Thematik in Berührung kommen. (NEW SOUTH WALES – 437 Die bestehenden Zweifel und Unklarheiten, so COLLINGRIDGE (1993), schmälerten allerdings auch bei sozialpolitisch Verantwortlichen nicht das Gefühl von Dringlichkeit hinsichtlich der Problembearbeitung. Er zeigt dies anhand zweier Berichte, die in den Jahren 1992 und 1993 erschienen. In diesen Berichten und ihren Empfehlungen, so die Kritik, werden bestimmte Fragestellungen und Probleme bzgl. der juristischen und ethischen Grundlagen der Interventionen nicht ausreichend diskutiert bzw. ganz übersehen. 438 Die Aufgaben dieses Departments sind die Erarbeitung politischer Richtlinien und Konzepte für die Regierung sowie die Vergabe von Geldern an die entsprechenden staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen, Projekte und Programme. 541 AGEING 1998). AND DISABILITY DEPARTMENT 1998, MCCALLUM, HUNT & STEIN, In Queensland, einem Vorreiter hinsichtlich spezialisierter Dienste, wurde 1997 durch das Office of Ageing die Elder Abuse Prevention Unit am Institute for Health Communities Australia Inc. gegründet. Die Trägerorganisation ist eine nicht kommerzielle, nicht staatliche Organisation mit primärem Fokus auf Gesundheitsfürsorge. Die spezielle Einheit für Gewalt gegen Ältere arbeitet dezentral; sie besteht aus einer Koordinationsstelle und drei für regionale Projektarbeit zuständigen MitarbeiterInnen. Das Projekt erarbeitet vorbeugende Maßnahmen. Ein ehrenamtlicher Koordinator bzw. eine ehrenamtliche Koordinatorin wirbt und supervidiert Ehrenamtliche für eine Helpline für ältere Gewaltopfer, die allen Einwohnern von Queensland zum Regionaltarif zur Verfügung steht. In South Australia existiert das Abuse Prevention Program des Aged Rights Advocacy Service Inc., finanziert durch das Department of Health and Family Services, das Home and Community Care Program und das Office for the Ageing. Bis 1997 hatte sich die Arbeitsweise des Projekts an dem in Queensland entwickelten Ansatz orientiert. Seither gibt es eine mit drei Personen besetzte zentrale Stelle für das Bundesland, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, das vorfindliche Hilfe- und Beratungssystem für ältere Menschen hinsichtlich der Thematik Gewalt im Alter zu optimieren („make the system work well“). In der Beratungsstelle werden Richtlinien zum Umgang mit älteren Gewaltopfern entwickelt und zur Verfügung gestellt. Die Stelle kümmert sich im weiteren Verlauf auch aktiv darum, die jeweiligen Richtlinien und inhaltlichen Positionen in Schulungen an Professionelle zu vermitteln. Hier wird davon ausgegangen, dass allein die Bereitstellung und Versendung von Materialien noch keine Veränderung im professionellen Handeln bewirken. Die Inhalte, so die Schlussfolgerung, müssten im direkten Kontakt vermittelt werden. Das Abuse Prevention Program versteht sich als Sammelstelle und Umschlagplatz für Erfahrungen im konkreten praktischen Umgang mit dem Problem der Misshandlung von alten Menschen. In Western Australia wurde 1992 ein Projekt zur Verhinderung von Gewalt gegenüber pflegebedürftigen SeniorInnen gestartet, das von einem Council on the Ageing betreut und durch Spenden unterstützt wurde. Die Idee war dabei, dass sowohl Aufklärung der Öffentlichkeit über das Problem als auch die Entwicklung von Leitlinien für kommunale Pflegekräfte notwendig seien. Im Rahmen des Projekts wurde eine Konferenz für mehr als 120 kommunale Dienstleister organisiert, Richtlinien bzw. Protokolle zur Anwendung für kommunale Dienstleister in konkre542 ten Missbrauchsfällen entwickelt, ein täterorientiertes Präventionsprogramm entwickelt, das darauf abzielt, TäterInnen die Folgen ihrer Tat bewusst zu machen, und Gemeindeforen unter der Beteiligung von SeniorInnen und Pflegekräften in vier Bezirken abgehalten (WESTERN AUSTRALIAN COUNCIL ON THE AGEING – ELDER PROTECTION SUBCOMMITTEE, 1997; BUNDESKRIMINALAMT, 2000, S. 181f). Seit Mitte 1998 gibt es in Australien ein Netzwerk, das Australian Network for Prevention of Elder Abuse (ANPEA), das es sich zum Ziel gesetzt hat, Informationen auszutauschen, das Thema auf die politische Tagesordnung zu bringen sowie Dienste und gemeinsame Richtlinien zu entwickeln. Angestrebt wird eine gemeinsame Definition von elder abuse und eine vereinheitlichte Form der Datenerfassung für statistische Zwecke. Das Netzwerk ist ein Zusammenschluss der verschiedenen interessierten und engagierten Personen und Gruppen in Australien. 6.3.3.4 Prävention und Intervention bei Gewalt im Alter: Praxisprojekte in Europa Im Jahr 1992 gab die international besetzte Study Group on Violence against Elderly People einen Bericht über den Stand von Präventionsund Interventionsprojekten in Europa heraus (COUNCIL OF EUROPE, 1992). Nur wenige Praxisprojekte konnten in dem Band präsentiert werden; es schien, als hätten die europäischen Länder im Vergleich zu den USA das Problem der Gewalt gegen ältere Menschen nicht auf die sozialpolitische Tagesordnung gesetzt. Drei Jahre später, 1995, erschien ein Heft der Zeitschrift Social Work in Europe, das für sieben europäische Länder eine Zusammenfassung der Aktivitäten und Initiativen vorstellte. Die folgende Zusammenfassung bezieht sich primär auf diese Veröffentlichung und zieht, so verfügbar, zusätzliche und aktuellere 439 Informationen aus anderen Quellen hinzu . Der Fokus liegt auf der 440 Darstellung von Praxisprojekten und politischen Initiativen . Nicht berücksichtigt werden die Forschungsaktivitäten in den angesprochenen 441 Ländern. Wo Informationen über Nutzung von Beratungsprojekten vorliegen, werden diese im Hinblick auf einen Vergleich mit den Erfah439 Die Übersetzungen von einigen Begriffen (wie z.B. den Namen von Kommissionen etc.) sind hier unter Vorbehalt zu sehen, da sie auf den veröffentlichten englischen Übersetzungen basieren. 440 Berücksichtigung finden Norwegen, Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien, die Niederlande und Irland. Trotz umfangreicher Recherchen des Journal of Social Work wurden in den anderen europäischen Ländern keine entsprechenden Ansätze gefunden. 441 Angesichts der Dynamik der Entwicklung von Projekten zu Gewalt gegen ältere Menschen ist davon auszugehen, dass neue Initiativen entstanden sind, einige der vorgestellten evtl. nicht mehr existieren. 543 rungen in der Beratungsarbeit des Modellprojekts etwas ausführlicher vorgestellt. Zu beachten ist, dass nicht nur in den vorgestellten sieben europäischen Ländern Gewalt gegen ältere Menschen thematisiert wird. In der Schweiz, in Finnland, Schweden, Polen und in Belgien gibt es Diskussionen und Forschungen zum Thema und möglicherweise Interventionsprojekte. Es hätte allerdings den Rahmen dieser Untersuchung gesprengt, weitere ausführliche Recherchen diesbezüglich durchzuführen. Gemeinsam ist den europäischen Initiativen, dass sie zunächst den Blick auf US-amerikanische Forschung und dort entwickelte Präventionsansätze richteten. Allerdings wurde in Europa der US-amerikanische Fokus auf die Strafverfolgungssysteme in weiten Teilen abgelehnt, vielmehr zeichnet sich ab, dass das Thema Gewalt gegen Ältere zu einem Thema der Sozialstaatlichkeit wird. Große Unterschiede zeigen sich in den verschiedenen Ländern hinsichtlich des Bewusstseinsstandes, wobei die nordeuropäischen Länder diesbezüglich einen Vorsprung aufweisen. Dies hängt mit verschiedenen Formen der Sozialstaatlichkeit, unterschiedlichen kulturellen Haltungen und einem unterschiedlich bestimmten Spannungsverhältnis zwischen staatlichem Paternalismus und Individualismus zusammen. Die Schlüsselfrage ist in den verschiedenen Ländern, wie Gewalt gegen ältere Menschen als ein neues soziales Problem in bestehende sozialstaatliche Programme integriert werden kann. Auf derartige Integrationsmöglichkeiten und -erfordernisse wird häufig verwiesen; solche Konzepte sind kritisch darauf zu überprüfen, inwieweit ihnen zum einen reine Kostenüberlegungen zu Grunde liegen und inwieweit dabei zum anderen ohne Überprüfung der Übertragbarkeit und Anwendbarkeit auf Erfahrungen aus anderen Bereichen (so den Umgang mit Kindesmisshandlung) zurückgegriffen wird. Die Geschichte der Thematisierung des Problems ist in den Ländern recht unterschiedlich verlaufen. In den Niederlanden und Irland eröffneten PolitikerInnen die Debatte, im United Kingdom, in Norwegen und z.T. in Frankreich und Spanien ging die Thematisierung von bestimmten Berufsgruppen aus. Eines scheint den Entwicklungen in den verschiedenen Ländern gemeinsam zu sein: Ältere Menschen selbst sind in den Debatten über das Problem und mögliche Lösungsansätze kaum vertreten. BIGGS und KINGSTON (1995, S.2) warnen diesbezüglich vor der Gefahr, dass die Debatte über Gewalt gegen ältere Menschen bei Nichteinbeziehung der Betroffenen zu einem Monolog der Professionellen und politisch Handelnden wird. 544 Norwegen In Norwegen (JOHNS & JUKLESTAD, 1995; vgl. auch HEAP, 1994; HYDLE, 1999; HYDLE & JOHNS, 1992; JUKLESTAD, 1999; JUKLESTAD & JOHNS, 442 1997) wurden vergleichsweise früh, d.h. seit Beginn der 80er Jahre, Publikationen aus anderen Ländern rezipiert. Bei einem allgemein geringen Bewusstseinsstand war doch die Problematik bei Professionellen bekannt – wenngleich nicht unter dem Begriff Gewalt gegen Ältere. Einer kleineren, staatlich in Auftrag gegebenen Studie folgte schnell die Entwicklung eines Modellprojekts. Die staatliche Forschungspolitik zielte auf verbesserte Interventionsstrategien und verbesserten Umgang von Professionellen mit der Problematik ab. Schon 1986 finanzierte das zuständige Ministerium die Entwicklung eines Handbuchs für Professionelle. Als Ergebnis eines weiteren Forschungsprojekts wurde die Einrichtung von speziellen Schutzdiensten für ältere Menschen (Vern for Eldre) vorgeschlagen. Dies führte 1991-1994 zur Durchführung eines Pilotprojekts in Oslo. In der Problemanalyse wurde konstatiert, dass zwar theoretisch eine Vielzahl von Diensten für ältere Menschen zuständig seien, diese jedoch der Bearbeitung von elder abuse keine Priorität einräumen. Zudem müssten ältere Gewaltopfer ihren Hilfebedarf deutlich machen, seien dazu jedoch häufig nicht in der Lage. Bei komplexen Fallkonstellationen würden Betroffene häufig weiterverwiesen an andere Dienste. Das Fehlen eines interdisziplinären klientenorientierten Handlungsansatzes wird neben fehlendem Wissen und fehlender Spezialisierung in Bezug auf Gewalt gegen ältere Menschen als Hauptproblem des norwegischen Wohlfahrtsstaates identifiziert. Im Modellprojekt Schutzdienste für ältere Menschen wurde ein speziell ausgebildeter Sozialarbeiter als sogenannter ‚Mediator‘ eingesetzt, der die Bedürfnisse der Opfer aufgreifen und abgestimmte Hilfe-Pläne aushandeln sollte. Seine Aufgaben waren die Entgegennahme von Berichten über Gewaltfälle, die Unterstützung des Opfers und Koordination, Schulung und Unterstützung für Professionelle. Mediation meint hier die Vermittlung zwischen Opfern und HelferInnen sowie zwischen verschiedenen HelferInnen. Freiwilligkeit und Stützung der KlientInnenautonomie waren Grundlagen der Arbeit. Der Dienst war nicht mit speziellen juristischen Eingriffsmöglichkeiten ausgestattet. Unterschiedliche Fälle, so die Erfahrung im Projekt, erfordern unterschiedliche Interventionsstrategien; es ist vor allem abhängig vom Verhältnis zwischen Misshandler und Opfer, welche anderen Institutionen einbezogen werden sollten. 442 Zwischen den skandinavischen Ländern findet Austausch hinsichtlich der Forschungsergebnisse und Interventionsmöglichkeiten statt. So berichtete SAVEMAN (1997) von einer interdisziplinär zusammengesetzten Gruppe von ForscherInnen aus Norwegen, Schweden und Finnland, die sich mit dem Thema und diesbezüglichen Forschungsproblemen befassten. 545 Im Folgenden werden die Ergebnisse der Auswertung der Beratungsarbeit kurz vorgestellt, da sich hier z.T. Übereinstimmungen mit den vom Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ in Hannover bearbeiteten Fallkonstellationen zeigen (vgl. Kapitel 6.2.2.4.3 und 6.2.2.4.4). Die Auswertung ergab als Hauptfallkonstellationen Ehepaare mit gegenseitigen Konflikten, Gewalt in der Ehe, Witwen, die an einem Post-Misshandlungstrauma leiden, Eltern oder Großeltern, die von Nachkommen misshandelt werden sowie Misshandlung durch andere Familienmitglieder oder Bekannte. Die größte Gruppe sind die Opfer von Gewalt in der Ehe, zumeist Frauen. Gewalt im Alter ist hier entweder die Fortführung lebenslanger ehelicher Gewalt oder verschlimmert bzw. ausgelöst durch Veränderungen im Alter (Krankheit, Demenz, Ruhestand). Die BeraterInnen ziehen als ein Fazit, dass Familienberatung für ältere Ehepaare ein vernachlässigtes Arbeitsfeld ist. Außerdem, so kritisieren die AutorInnen, werden ältere Paare häufig (nur) gemeinsam beraten, was in Fällen von Misshandlung kontraproduktiv sein kann. Ein weiteres Problem bestehender Familienberatung ist dem Bericht zufolge, dass sie in der Regel auf Selbstmotivation der KlientInnen aufbaut – es kann allerdings notwendig sein, ältere Gewaltopfer zu motivieren, Hilfe und Unterstützung in Anspruch zu nehmen. In den Fällen, in denen geriatrische Störungen, wie z.B. Demenz, Teil des Problems sind, handelt es sich häufig um demente Ehemänner, die aggressiv und unbeherrscht ihre Frauen zu Opfern machen. In diesen Fällen ist Kooperation mit medizinischen Institutionen notwendig. Jüngere TäterInnen (Söhne und Töchter) haben zumeist finanzielle, soziale oder psychiatrische Probleme und sind oft selbst KlientInnen von sozialen Diensten. Die Kooperation mit Polizei, psychiatrischen Kliniken und sozialen Diensten steht hier im Vordergrund. Sozialarbeit für ältere Menschen – so eine allgemeine Schlussfolgerung – ist gravierend unterentwickelt „and the problem of elder abuse actually serves to crystallize and dramatize this inadequacy“ (JOHNS & JUKLESTAD, 1995, S. 5). Das Pilotprojekt erwies sich als erfolgreich und wird von den lokalen Autoritäten in die Angebotsstruktur übernommen. Das Ziel ist der Aufbau weiterer Schutzdienste für ältere Menschen, die ersten Folgeprojekte wurden 1994/1995 aufgebaut. Die Entwicklung und Weiterverbreitung der Idee soll in Zukunft von einem nationalen Zentrum für Opfer-Unterstützung ausgehen. Frankreich In Frankreich, so konstatierte Jim OGG (1995), wird Gewalt gegen Alte als existierendes Phänomen schon länger anerkannt, dabei wird aber (mit DE BEAUVOIR und MINOIS) der Fokus eher auf die gesellschaftlich marginalisierte Position alter Menschen, auf Themen wie Rollenverlust, 546 Ausgrenzung, Ruhestand gelegt. Die neu einsetzende Thematisierung von maltraitance des personnes âgées steht demgegenüber im Kontext einer relativ jungen Debatte um die Krise der häuslichen Pflege. In Frankreich hat das Angebot sozialer Dienste für ältere Menschen im Kontext einer stark familienbezogenen Sozialpolitik die familiäre Versorgung zur Grundlage. Als Pflegeanbieter traten lange ausschließlich die Familie und der Staat auf. Folge dieser Sozialpolitik ist, dass ältere Menschen weniger als Individuen, denn als Teil der Institution Familie betrachtet werden. Relativ rigide moralische Normen schreiben gegenseitige Hilfen in Familien in den verschiedenen Phasen des Lebenslaufs vor. Kranke und pflegebedürftige alte Menschen leben vor allem in ihren Familien. Ein Großteil der nicht-ehelichen Pflege wird von Frauen durchgeführt. Deren Schwierigkeiten, Pflege, zunehmende Ansprüche an eigene Berufstätigkeit und die Versorgung von Kindern zu vereinbaren, führen dazu, dass die seit den 70er Jahren aufgebaute ambulante Versorgung widersprüchlich, weitgehend unkoordiniert und wenig zufriedenstellend ist – zugespitzt durch die Zulassung kaum kontrollierter privater Pflegeanbieter. Daher ist es kein Zufall, so OGG, dass die Debatte um elder abuse in Frankreich parallel zu und verschränkt mit einer Diskussion über die Bedürfnisse der Pflegekräfte geführt wird. Gewalt gegen ältere Menschen wird im Kontext von Pflegestress und der mangelnden Unterstützung durch soziale Dienste diskutiert. Eine spezielle Diskussion wird in Frankreich über das Berufsgeheimnis geführt. Dabei wird die Situation von MitarbeiterInnen staatlicher Dienste (z.B. SozialarbeiterInnen) als Zwickmühle beschrieben. So unterliegen sie einerseits dem Berufsgeheimnis, andererseits erfolgten einige Verurteilungen wegen Zurückhaltung von Informationen über Delikte an Älteren bzw. wegen unterlassener Hilfeleistung. In dieser unsicheren Situation ist die häufigste Intervention von PflegerInnen die Krankenhauseinweisung von Opfern von Gewalt gegen Ältere. Aktuell wird eine Debatte über die Möglichkeiten der Modifikation des Berufsgeheimnisses in Fäl443 len der Misshandlung abhängiger (älterer) Menschen geführt. Es existierten bis 1995 in Frankreich keine koordinierten Ansätze auf nationaler Ebene, die konkret zum Thema Angebote entwickelten. Allerdings entstanden einige kleinere lokale Projekte, die Hilfen und Rat in Fällen von Misshandlung anboten. So besteht in Grenoble seit 1992 ein telefonisches Beratungsangebot für ältere Menschen und ihre Pflegenden. Im Jahr 1992 gab es lediglich 32 Anrufe, für die Organisatoren ei443 In Deutschland hat die Gewaltkommission bereits 1990 die „Einführung von gesetzlich präzisierten Melderechten für Ärzte und andere Berufsgruppen, die einer Schweigepflicht unterliegen, bei Kindes-, Partner- und Altenmisshandlung“ empfohlen (SCHWIND, BAUMANN, SCHNEIDER & WINTER, 1990, S.185). 547 ne enttäuschend geringe Anzahl. Ähnliche Erfahrung wurden in Pas-deCalais in den ersten drei Monaten des Betriebs eines ähnlichen Telefons gemacht. Trotz dieser anfänglich entmutigenden Erfahrungen kam es im Jahr 1995 zur Gründung eines nationalen Notrufnetzwerks zum Thema Gewalt gegen ältere Menschen. Die Gründung ging von R. HUGONOT (HUGONOT & BUSBY, 1999) aus, der an einem Symposium des Europa444 rats zu Gewalt gegen ältere Menschen teilgenommen und eine der ersten Untersuchungen zum Thema im Frankreich durchgeführt hatte (HUGONOT, 1990b; 1998); Ausgangspunkt des Netzwerks war das beschriebene Beratungstelefon in Grenoble. In der Pilotphase (1995 bis 1996) wurden lokale Beratungstelefone in sechs größeren Städten eingerichtet, in den Folgejahren kamen mindestens sechs weitere Städte und Kommunen dazu, das jüngste Telefon, RHONALMA, nahm seine 445 Arbeit Anfang 2001 auf . Das Netzwerk ALMA (Allo Maltraitance des personnes agées) hat seinen Sitz in Grenoble. Es ist angesiedelt beim Ausschuss Droits et Libertés der Fondation Nationale de Gérontologie. Es handelt sich bei ALMA um ein koordiniertes Netzwerk aus jeweils ähnlich arbeitenden, streng anonymen telefonischen Beratungsangeboten, sogenannten Antennes (vgl. BUSBY, 1997). Die einzelnen auf der Ebene von Departements eingerichteten Beratungstelefone sind verpflichtet, vierteljährlich der Zentrale statistische Daten über die eingegangenen Anrufe zu melden. Das Beratungsangebot wendet sich an ältere Menschen, ihre Angehörigen sowie alle potenziell von Gewalthandlungen gegen ältere Menschen erfahrenden Menschen. Es ist für den häuslichen und den institutionellen, für den pflegerischen und nicht-pflegerischen Bereich zuständig. Die Beratung am Telefon wird von Ehrenamtlichen im Ruhestand durchgeführt, die möglichst ehemals in sozialen Berufen, Gesundheits-, Verwaltungs- oder Erziehungsberufen tätig waren. Sie werden durch Fortbildungen mit ihrer Aufgabe vertraut gemacht und übernehmen zweimal wöchentlich einen halben Tag die telefonische Beratung. Die Adresse des Beratungstelefons und die Namen der Beratenden werden nicht veröffentlicht. Die BeraterInnen werden durch Fachleute aus gerontologischen Professionen (référents) unterstützt. Zudem gibt es bei jeder Antenne einen Steuerungsausschuss (comité technique de pilotage), der interdisziplinär und mit relevanten VertreterInnen der örtlichen Sozialverwaltung, von Polizei, Justiz und Wohl444 Dieses Symposium war ein wichtiger Impulsgeber für die Aktivitäten in Frankreich. Dies gilt ebenfalls für die Niederlande. 445 C.R.I.A.S. (2001); weitere Nachweise: http://perso.wanadoo.fr/agm.coderpa/antenne.html, http://www.sophia-net.org/francais/Initiativen/fif06.html [26.5.2001]. 548 fahrtsverbänden besetzt ist. Dieser Ausschuss tritt einmal im Quartal zusammen und nimmt die Funktion eines Beratergremiums ein, das den référents hinsichtlich der Beratung in schwierigen Fällen Unterstützung bietet. Die BeraterInnen nehmen also Fälle und Beschwerden entgegen, dokumentieren diese und leiten sie an die référents weiter, die über notwendige Schritte entscheiden. Diese wiederum ziehen im Zweifelsfall das Beratergremium zu Rate, um ihr Vorgehen zu überprüfen oder Fälle zu diskutieren. Erfahrungen aus der Beratung der Antennes sind, dass selten Anrufe von Opfern eingehen, häufiger solche von Angehörigen, NachbarInnen, FreundInnen und MitarbeiterInnen ambulanter und stationärer Pflegeeinrichtungen. Melden sich ältere Menschen, so handelt es sich häufig um Menschen mit Wahn- oder anderen psychotischen Erkrankungen. Insgesamt gingen bei ALMA in den Jahren 1995 bis 1998 3.500 Anrufe ein, die Misshandlungen älterer Menschen zum Gegenstand hatten, zumeist psychische Gewalt, finanzielle Ausbeutung, weniger häufig physische Gewalt und Vernachlässigungen. 75% der Opfer sind Frauen, zumeist Witwen, die im Haushalt ihrer Familien leben. Misshandler sind entsprechend in über 50% der Fälle Familienmitglieder, am häufigsten Söhne. In vielen Fällen spielen Geschwisterkonflikte eine maßgebliche Rolle. Zudem erhöht Arbeitslosigkeit das Risiko der Misshandlung. In etwa 20% der berichteten Fälle sind TäterInnen professionelle Pflegekräfte. Die Ergebnisse widersprechen der gängigen Konzeption von Gewalt gegen ältere Menschen als Problem überforderter familiärer Pflegekräfte. Spanien In Spanien (OCHOTORENA & LARRÍON ZUGASTI, 1995) begann die Thematisierung von Gewalt gegen Ältere Anfang der 90er Jahre. TrägerInnen der Thematisierung waren zunächst Professionelle aus verschiedenen Arbeitsbereichen, insbesondere aus der Pflege. In den Jahren 1993 bis 1995 wurde zunehmend die individuelle oder kollektive Situation vernachlässigter älterer Menschen in privaten Institutionen in den Massenmedien thematisiert und in Gerichtsverfahren verhandelt. Einige 446 wichtige Schritte in der Thematisierung des Problems waren • 1993 der Bericht eines Ombudsmannes der autonomen spanischen Gemeinden zur Aussetzung hilfloser älterer Menschen und die dort formulierte Empfehlung an die spanische Gesetzgebung, diesbezüglich Interventionsmöglichkeiten bereitzustellen; 446 In weiten Teilen des Textes von OCHOTORENA & LARRÍON ZUGASTI (1995) wird nicht ausreichend differenziert zwischen Gewalt in Pflegeinstitutionen und in der Häuslichkeit. 549 1993 eine erste Thematisierung auf dem fünften Kongress zur geriatrischen Pflege in Toledo (V Congreso Nacional de Enfermeria Geriatrica y Gerontologica); • 1995 der erste Kongress ausschließlich zu Gewalt gegen ältere Menschen. • Im Bereich der Kommunalverwaltungen gibt es verschiedene Initiativen zum Thema. Die Kommune Madrid berief beispielsweise einen Ausschuss zum juristischen Schutz und der Verteidigung Erwachsener und gründete im Jahr 1995 eine Agentur zum Schutze Erwachsener, die sich das Ziel setzte, erwachsene Personen, die für nicht rechtsfähig erklärt wurden, zu schützen und zu unterstützen. Zudem wurde ein permanentes Notruftelefon für ältere Opfer von Gewalt aufgebaut. Weitere Initiativen zum Schutze älterer Gewaltopfer sind aus Katalonien bekannt. Kastilien und Léon entwickelten einen regionalen Plan für ältere Menschen, der ein Trainings- und Forschungsmodul zu Gewalt beinhaltete. Hier werden präventive Dienste und telefonische Beratungsmöglichkeit für ältere Gewaltopfer bereitgestellt. Italien Ennio RIPAMONTI (1995) überschrieb die Darstellung der Diskussion in Italien mit dem Titel „Abuse against the elderly in Italy: A hidden phenomenon“. Während Fragen zur Lebenssituation älterer Menschen allgemein seit den frühen 80er Jahren in Italien verstärkt diskutiert wer447 den, wurde das Thema Gewalt gegen ältere Menschen bislang nicht aufgegriffen. Am meisten öffentliche Aufmerksamkeit erregte bislang das Thema der Gewalt gegen Ältere in Institutionen (SANTANERA & BREDA, 1987). Entsprechend selten sind bislang Aktivitäten zum Thema Gewalt gegen Ältere. Zu nennen ist diesbezüglich das Centro Studi Comunicazione in Rom, das in Zusammenhang mit einer Arbeitsgruppe der Europäischen Kommission eine Kampagne gegen Gewalt gegen Äl448 tere in der Familie durchgeführt hat . Zudem gab es im Jahr 1991 in Mailand eine Konferenz zum Thema Gewalt gegen Ältere, die von der Mailänder Vereinigung für die Rechte Älterer organisiert wurde. Auf der Konferenz wurden verschiedene Interventionsstrategien vorgeschlagen, so z.B. die Einführung von Meldepflichten für Hausärzte und Sozialarbeiter, an jüngere Menschen gerichtete Kampagnen zur Steigerung des Respekts gegenüber Älteren und die Integration der Thematik in die 447 Zur Begrifflichkeit merkt RIPAMONTI an, dass eine analoge Verwendung des Begriffs elder abuse (abuso degli anziane) – in Italien aufgrund der starken Bindung des Begriffs an sexuelle Gewalt nicht möglich sei. Eine gängigere Begrifflichkeit sei die der Misshandlung (maltratamento). 448 Informationen dazu sind auch unter http://www.upter.com/edup/Libroedup100.htm verfügbar [29.5.2001]. 550 Ausbildung von Sozialarbeitern. Auch die Bereitstellung eines juristischen Unterstützungsangebotes für ältere Opfer von Gewalt wurde als sinnvoll erachtet (RIPAMONTI, 1995). Erwähnenswert sind zwei weitere italienische Organisationen, die sich dem Thema Gewalt gegen Ältere widmen: Eine kirchlich-seelsorge449 rische Organisation, die Communità di Sant’Egidio , ist in einigen hundert Pflegeinstitutionen in Italien (sowie in einigen anderen Ländern) vertreten. Sie sieht ausdrücklich als Teil ihrer Tätigkeit in den Institutionen – und unterscheidet sich hierin von einer Vielzahl anderer kirchlicher Institutionen, die Pflegebedürftige und Kranke unterstützen – die Prävention von Gewalt gegen Schutzbedürftige, wie z.B. ältere Men450 schen und Behinderte . In Turin gibt es eine Beratungsstelle für ältere Opfer von Gewalt (-Kriminalität) (Servizio Aiuto Agli Anziani Vittime di 451 Violenza) Niederlande Die Thematisierung von Gewalt gegen ältere Menschen in den Nieder452 landen (JANSEN , 1995) fand in der politischen Arena statt und war durch Aktivitäten auf der europäischen Ebene inspiriert: Sie begann im Jahr 1988 durch eine parlamentarische Anfrage an den damaligen Sozialminister, eine Untersuchung zum Vorkommen von Gewalt gegen ältere Menschen in den Niederlanden durchzuführen. Die Initiatorin der Anfrage hatte nach Kenntnisnahme der Ergebnisse eines Symposiums des Europarats zu Gewalt gegen ältere Menschen konstatiert, dass dieses wichtige Thema in den Niederlanden nicht weiter ignoriert werden dürfe. Diese Studie markiert den Beginn einer Reihe von Aktivitäten zum Thema, wobei die Regierung die Initiative übernahm. Die Untersuchungsergebnisse führten 1991 zum Aufbau zweier Hilfezentren gegen den Missbrauch älterer Menschen (auf niederländisch: 449 Vgl. Communità di Sant’Egidio (2000). 450 „Di fatto rappresenta una concreta forma di difesa dei diritti dei più deboli e di controllo sociale della qualità della vita all'interno di queste istituzioni. In molte strutture infatti la presenza della Comunità è l'unico rapporto con l' esterno. In questo senso si esercita una vigilanza continua contro ogni forma di abuso e di maltrattamento. Gli anziani infatti, soprattutto non autosufficienti, sono i più discriminati sul piano del diritto alle cure e all'assistenza, come nell'uso del proprio patrimonio e più in generale nell'esercizio di tutti i diritti fondamentali della persona. Non sono infrequenti i casi di abuso, di omissione, di violenza o di maltrattamento perpetrati nei loro confronti. L'amicizia con gli anziani diviene allora anche una forma di tutela e difesa dei diritti fondamentali della persona.“ (COMMUNITÀ DI SANT’EGIDIO, 2000). 451 Verfügbar unter http://www.comune.torino.it/aiutoanziani/finalita.htm [29.5.2001]. 452 Beatrijs JANSEN (1997) ist offensichtlich die Autorin dieses Artikels. Im Original liegt ein Schreibfehler vor; sie ist als Beatrijs Jensen verzeichnet. Im Folgenden wird die richtige Schreibweise verwandt. 551 meldpunten453) als Modellprojekte, eines im ländlichen und eines im ur454 banen Raum . Diese meldpunten boten Kontaktmöglichkeiten für ältere Menschen, Pflegepersonen und Verwandte und bezogen sich thematisch auf den häuslichen Bereich. Gewalt gegen ältere Menschen – und dies ist im Vergleich zu anderen Initiativen ungewöhnlich – wird als Gewalt gegen „ganz oder teilweise abhängige ältere Menschen“ konzi455 piert . Ziele der Einrichtungen waren, das Vorkommen von Gewalt gegen Ältere besser abschätzen können, Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit zu leisten und Opfern Hilfe anzubieten. Die meldpunten wurden an bereits bestehende Organisationen – einen ambulanten Pflegedienst und eine Opferhilfeorganisation – angegliedert. Im Verlauf der zweijährigen Modellphase erwies sich eine Qualifikation der BeraterInnen im pflegerischen Bereich als wichtig, so dass für die Weiterfüh456 rung beide Zentren an regionale ambulante Pflegeorganisationen angegliedert wurden. In den meldpunten wurden in den beiden Jahren jeweils 54 bestätigte Fälle von Gewalt gegen ältere Menschen bearbeitet. Nur in einem der bestätigten Fälle hatte sich ein Opfer an die Institution gewandt; meldeten sich ältere Menschen selbst, so konnte in der Regel der Gewaltvorwurf nicht bestätigt werden. Die Meldungen kamen von Verwandten oder Pflegepersonen der Opfer. Häufig wurden in diesen Fällen psychische Misshandlung, oft verbunden mit physischer Gewalt, sowie finanzielle Ausbeutung und Vernachlässigung verzeichnet. Fast alle Täter kamen aus der direkten Familie, zu zwei Dritteln waren es die (Schwieger-)Kinder – in vielen Fällen Söhne oder Schwiegersöhne. Es gab nur wenige Fälle von Gewalt durch professionelle Pflegepersonen. Zwei Gruppen von Misshandlern wurden identifiziert. Zum einen Kinder, zumeist Söhne, mit finanziellen oder Abhängigkeitsproblemen, zum anderen Pflegepersonen, die nach langer Pflegeausübung überfordert waren. In einigen Fällen bestand zwischen TäterInnen und Opfern schon lange ein schwieriges Verhältnis, in anderen verschlechterte die zunehmende Abhängigkeit und Verantwortung die Beziehung. Zum Teil 453 Diese Meldpunten – übersetzt etwa Meldestellen – hatten zugleich investigative Aufgaben. So untersuchten die MitarbeiterInnen die Fälle gründlich hinsichtlich der Frage, ob es tatsächlich zu Gewalt gekommen war. 454 In der Beschreibung von JANSEN (1997) wurden die Initiativen als Notruftelefone bezeichnet. Die unterschiedlichen Bezeichnungen dürften auf unterschiedliche Übersetzungen zurückzuführen sein. Tatsächlich entspricht die Arbeitsweise der meldpunten nicht der Arbeitsweise der meisten Notruftelefone. 455 Das Kriterium der Abhängigkeit rekurriert auf Pflegebedürftigkeit und erklärt, warum das Fallaufkommen der niederländischen Beratungsstellen sich deutlich von dem anderer Einrichtungen unterscheidet. So gab es in der Beratungsarbeit der meldpunten kaum Fälle von Gewalt in alternden Ehen. 456 Die meldpunten sollten zunächst bis Ende 1996 weitergeführt werden. 552 standen TäterIn und Opfer in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis. Die MitarbeiterInnen der meldpunten gingen in Einzelfällen folgendermaßen vor: Der Koordinator oder die Koordinatorin verschaffte sich zunächst einen Überblick über die Situation und die jeweils notwendigen Hilfen; dies geschah durch Rückfragen bei verschiedenen Institutionen, beim Informanten, bei Einwilligung der Opfer durch Hausbesuche beim Opfer. Dieser ‚Informationsphase‘ folgte eine ‚Hilfephase‘. Zusätzliche Hilfen und Unterstützung wurden organisiert und bei Finanzfragen wurde die Einsetzung eines Treuhänders initiiert. In einigen Fällen wurden die KoordinatorInnen zu – von allen Beteiligten als sehr hilfreich eingeschätzten – Fall-ManagerInnen. Sie waren dann die offiziellen Kontaktpersonen für Angehörige, Pflegende und Informanten. Nach Abschluss des Projekts sollten die gewonnenen Informationen an Pflegekräfte weitergegeben werden, damit diese in die Lage versetzt werden, mit dem Problem adäquat umzugehen. Ein Auftrag des Ministeriums für Gesundheit Wohlfahrt und Sport erging an die Wohlfahrtsorganisation Netherlands Institute for Care and Welfare (NIZW), eine Broschüre und ein Ausbildungshandbuch für Pflegekräfte zu entwickeln (JANSEN, 1997). Zudem sollte die Organisation eine Machbarkeitsstudie bzgl. eines nationalen Unterstützungszentrums durchführen. Die Einrichtung des Unterstützungszentrums wurde beschlossen und sollte im Laufe des Jahres 1996 erfolgen (JANSEN, 1997). Seit 1991 gibt es in den Niederlanden offizielle Aktivitäten zum Thema Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum, die sich als systematische Erfahrungssammlung beschreiben lassen. Beatrijs JANSEN (1995) beschrieb als anstehende Aktivitäten die Verbreitung der bisherigen Erfahrungen, so z.B. die Verbreitung der von den KoordinatorInnen entwickelten Handreichungen zur Identifikation und Intervention bei Gewaltfällen. Weniger die flächendeckende Einrichtung von meldpunten, sondern eine längerfristige Integration der Problematik in das Thema Gewalt in Familien wurde als wichtige Perspektive erachtet – zumal dem Thema Gewalt in Familien insgesamt in den Niederlanden hohe Priorität eingeräumt wird. Wenige Jahre nach der Veröffentlichung des Artikels in Social Work in Europe besteht lt. JANSEN (1997) die Option der Ausweitung der meldpunten auf die gesamten Niederlande, zumal die bestehenden meldpunten entgegen den Erwartungen nicht durch freie Träger übernommen und finanziert werden. Zudem wurden nach 1996 verstärkt Aktivitäten zum Bereich der stationären Pflege entwickelt. Die Position der niederländischen Regierung bezüglich der Problematik der Gewalt gegen ältere Menschen allgemein wird von 553 JANSEN (1995) folgendermaßen zusammengefasst: Es handle sich zwar glücklicherweise um ein eher seltenes Phänomen, dennoch erfordere das Problem Aufmerksamkeit und Initiative der Regierung, da Gewalt gravierende negative Folgen für das Wohlbefinden der Opfer habe. Misshandlung Älterer ist in den letzten Jahren in den Niederlanden zunehmend auch zum Forschungsthema geworden; hier sind vor allem die Untersuchungen der Arbeitsgruppe um H. Comijs (COMIJS, JONKER, VAN TILBURG & SMIT, 1999; COMIJS, POT, SMIT, BOUTER & JONKER, 1998) zu nennen. Irland In Irland fand die Problematik der Nahraumgewalt gegenüber älteren Menschen zuerst Anfang der 90er Jahre Aufmerksamkeit. Dabei war ein Schwerpunkt der Diskussion der Schutz älterer Menschen, die aufgrund mentaler Einschränkungen nicht in der Lage sind, selbst für ihre Sicherheit zu sorgen. So gab 1995 der Gesundheitsminister ein Papier zu Gesetzesreformen im Bereich mental health heraus, in dem er die Notwendigkeit eines stärkeren gesetzlichen Schutzes für Menschen mit starken kognitiven Einschränkungen, die missbraucht, ausgebeutet oder vernachlässigt werden, betonte (O’LOUGHLIN, 1995). United Kingdom In den USA und dem United Kingdom (BIGGS, 1995) wurde in den 70er Jahren das Problem der Gewalt gegen ältere Menschen zeitgleich erstmals formuliert. In den USA wurde die Thematik allerdings deutlich schneller aufgegriffen und in Interventionsmaßnahmen umgesetzt. Folgte die UK-Sozialpolitik seit 1990 nicht dem europäischen, sondern dem US-amerikanischen Vorbild (Einführung von Care-management, Privatisierung von Pflegeheimen), so beschritt sie doch hinsichtlich der Bearbeitung von Gewalt gegen ältere Menschen nicht den USamerikanischen Weg der Kriminalisierung, sondern nahm eine sozialstaatliche Perspektive ein. Dabei ist eine Thematisierung des Problems in größerem Umfang erst in den 90ern nachzuvollziehen. Im United Kingdom wurde lange davon ausgegangen, dass Personen in Heimen weitaus größeren Risiken ausgesetzt sind, misshandelt zu werden, als im häuslichen Bereich. In Untersuchungen und öffentlichen Anfragen wurden diese Probleme unter die Lupe genommen und einige 457 Heime in der Folge geschlossen . 1993 markiert einen Bruch mit der 457 Vgl. hierzu die Darstellung bei GLENDENNING, 1993, S. 10ff. MARTIN (1984) stellt eine Vielzahl von Untersuchungsberichten zu Missständen in britischen Hospitälern dar, unter denen vor allem auch ältere Patienten zu leiden hatten. 554 vorherrschenden Fokussierung auf den stationären Bereich und der üblichen Verknüpfung von häuslichen Problemen älterer Menschen mit Vernachlässigung. Damals erschienen – vom Department of Health herausgegeben – Richtlinien zum Schutz älterer Menschen in ihrem häuslichen Umfeld (DEPARTMENT OF HEALTH, 1993). Institutionen wurden in dieser Broschüre allerdings nicht weiter kritisch beleuchtet, sondern fanden nur Erwähnung als mögliche Unterstützungsangebote für besonders gefährdete Personen. Staatliche Gegenmaßnahmen wurden Anfang der 90er Jahre eng mit der ambulanten Pflegegesetzgebung verknüpft. So wird von BIGGS (1995) als wichtigste staatliche Aktivität die Verabschiedung des Community Care Act benannt, die festlegt, dass alle Interventionen zu Gewalt gegen ältere Menschen in der Hauptzuständigkeit des Departments für Pflegemanagement liegen sollten. Pflegemanagement ist im britischen Kontext eine Aufgabe der Verwaltung, die darauf abzielt, verschiedene Dienste in einem engen finanziellen Rahmen zu koordinieren – ein verwaltendes, weniger ein therapeutisches Modell mit Fokus auf Unterstützung von Pflegenden, nicht der alten Menschen selbst. BIGGS konstatierte noch 1995 das Fehlen einer Basisorganisation zu elder abuse. Während in Großbritannien der Fehler vermieden wurde, Antworten auf das Problem elder abuse analog zu denen im Bereich der Kindesmisshandlung zu entwickeln, war doch das bestehende Netz nicht ausreichend, um auf die komplexen Szenarios von elder abuse angemessen einzugehen. Tatsächlich entwickelte sich im UK jedoch eine sehr aktive Organisation zu Gewalt gegen ältere Menschen, deren Hauptfokus Hilfe und Unterstützung für ältere Opfer von Gewalt ist – sowohl im häuslichen als auch im institutionellen Rahmen. Action on Elder Abuse (AEA), gegründet 1993 (GLENDENNING, 1997a; CALL FOR ACTION ON SEXUAL ABUSE OF ELDERLY, 1999, 21. Oktober) mit Sitz in London, ist eine nationale Organisation, die Hilfe für ältere Opfer von Gewalt bietet und Informationen zur Thematik verbreitet. Sie bietet seit Oktober 1995 eine von Haupt- und Ehrenamtlichen getragene nationale Helpline (neben Beratung in Englisch wird auch in Hindi und Walisisch beraten) zur Thematik an. Das Angebot der (anonymen) Helpline beinhaltet neben der Möglichkeit, sich auszusprechen, Informationen über wichtige Kontaktpersonen und -organisationen sowie Hinweise zu rechtlichen Fragen. Die Definition von elder abuse berücksichtigt die Art und Qualität der Beziehung zwischen TäterIn und Opfer: Demnach ist elder abuse eine einzelne oder wiederholte Handlung oder Unterlassung einer Person, die in einem Vertrauensverhältnis zu einem älteren Menschen steht und diesem Leid oder Schaden zufügt (ACTION ON ELDER ABUSE, 1998). AEA 555 beteiligt sich aktiv an sozialpolitischen Diskussionen, veranstaltet Kon458 ferenzen und veröffentlicht regelmäßig zum Thema . Neben allgemeinen Informationen über das Angebot erarbeitete AEA Handreichungen für Pflegepersonal. 1995 bis 1997 wurde eine Broschüre mit Informationen über Gewalt gegen ältere Menschen in Institutionen speziell für Pflegekräfte – als eine der Personengruppen, die am häufigsten und am engsten Kontakte zu älteren Menschen haben – entwickelt (ACTION ON ELDER ABUSE, 1997a). Damit reagierte AEA auf eine Vielzahl von Informationsanfragen von Pflegekräften bei der Helpline. Zudem wurde eine Broschüre für Pflegefachkräfte für den häuslichen Bereich erarbeitet (ACTION ON ELDER ABUSE, 1997b). Eine im Februar 2000 vorgelegte statistische Auswertung von 1.421 Helpline-Anrufen aus den Jahren 1997 bis 1999 (JENKINS, ASIF & BENNETT, 2000; HELPLINE SWAMPED BY ELDER ABUSE CLAIMS, 2001, 7. Februar) zeigt einen langsamen Anstieg der monatlichen AnruferInnenzahlen von 53 Anrufen mit einem gewalt- oder misshandlungsbezogenen Anliegen 1997/1998 auf 78 Anrufe 1998/1999. Etwa 30% der AnruferInnen sind Opfer, etwa 40% Angehörige der Opfer, 20% Professionelle und rund 10% NachbarInnen und FreundInnen des Opfers. Ein Viertel der Anrufe bezieht sich auf Gewalt in stationären Settings, und ein Viertel der TäterInnen sind professionell Pflegende – es handelt sich hier weitgehend um dieselben Fälle. Der Männeranteil an den gewaltausübenden Pflegekräften ist im Vergleich zu ihrem Anteil an allen Pflegekräften überproportional hoch. Zwei Drittel der Anrufe beziehen sich auf Gewalt gegen ältere Menschen in ihrer Häuslichkeit. Die Auf459 schlüsselung nach Gewaltformen zeigt, dass in zwei Fünftel der Fälle psychische Misshandlung, in jeweils einem Fünftel finanzielle Ausbeutung und physische Misshandlung, in jedem zehnten Fall Vernachlässigung und in 2% der Fälle sexuelle Gewalt vorliegen. 70% der Opfer sind Frauen, TäterInnen sind jeweils zur Hälfte Männer und Frauen. Die Auswertung – so die AutorInnen – widerlegt eindeutig die These, dass Pflegestress die zentrale Ursache für Gewalt gegen ältere Menschen ist. Nur ein sehr geringer Anteil – 1,9% – der Gewaltausübenden sind Personen, die die Hauptverantwortung für die familiäre Pflege tragen (JENKINS, ASIF & BENNETT, 2000, S. 10f.). Die AutorInnen konstatieren keine geschlechtsspezifischen Unterschiede bezüglich der Gewaltausübenden. Allerdings fällt auf, dass bei Gewalt in der Ehe (die etwa in 20% der Anrufe Thema ist) Gewaltausübende zu 75% Männer sind. Die 458 Informationen zu AEA sind unter http://business.virgin.net/man.web/aea/index htm verfügbar [28.5.2001]. 459 AEA differenziert fünf Gewaltformen: physische und psychische Misshandlung, finanzielle Ausbeutung, sexuelle Gewalt und Vernachlässigung. Eine Differenzierung zwischen aktiver und passiver Vernachlässigung (vgl. DIECK, 1993) wird hier nicht vorgenommen. 556 Verteilung von Gewaltformen auf Beziehungskonstellationen weist einen hohen Anteil psychischer und physischer Gewalt für eheliche Gewalt, einen hohen Anteil von psychischer Gewalt und finanzieller Ausbeutung für Gewalt durch andere Angehörige (zumeist Kinder und Schwiegerkinder) auf. Die Verteilung der Gewaltformen nach dem Geschlecht der Gewaltausübenden weist dagegen keine geschlechtsspezifischen Unterschiede auf. 12% der Gewaltausübenden sind FreundInnen oder NachbarInnen des Opfers. Generell verfolgt AEA – und stimmt hierin mit der Position der Regierung überein – keine Orientierung am US-amerikanischen Modell der gesetzlichen Meldepflichten, sondern versucht den Schutz von hilflosen gewaltbetroffenen älteren Menschen innerhalb der bestehenden Gesetzgebung für betreuungsbedürftige Personen (im Sinne der gesetzlichen Betreuung in der Bundesrepublik Deutschland) zu garantieren. Zudem wird darauf verwiesen, dass neuere Gesetze zu Gewalt in Familien – insbesondere eine Entsprechung des in Deutschland mittlerweile nach österreichischem Vorbild auf Bundes- und Länderebene initiierten Wegweisungsrechts (vgl. z.B. KEIN PARDON FÜR EHEMÄNNER: WER PRÜGELT, FLIEGT RAUS, 2000, 10. April) – gleichermaßen für ältere Opfer 460 von familiärer Gewalt gelten . 6.3.3.5 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Die USA waren bis 1997 – so konstatiert ROSALIE S. WOLF (1997, S. 180) in einem Überblick – das einzige Land, in dem durch die Schutzdienste eine spezielle landesweite Verwaltungsstruktur für die Bearbeitung von Fällen von Gewalt gegen ältere Menschen geschaffen wurde. Es sind – soweit bekannt – bis heute keine Bemühungen von anderen Staaten erkennbar, dieses Modell zu übernehmen. Dies gilt gleichfalls für die Etablierung von gesetzlichen Meldepflichten zum Thema. Internationale Publikationen kritisieren die Meldepflichten zumeist als problematisch hinsichtlich des Selbstbestimmungsrechts älterer Menschen und des Schutzes des Berufsgeheimnisses. Die Herangehensweise in den verschiedenen Staaten lässt sich in einerseits den Aufbau von spezialisierten Hilfeeinrichtungen, andererseits die Integration der Thematik in bestehende Dienste und Hilfestrukturen unterscheiden. Beratung und (z.T. professionenspezifische) Aufklärung sind Kernstücke der Arbeit. Häufig gehen beide Aktivitäten Hand in Hand. Spezialisierte Beratungsstrukturen werden zumeist von nicht-staatlichen, nicht-kommerziellen Organisationen vorgehalten. Ihr Fokus sind ältere Opfer von Gewalt in Institutionen und/oder im häuslichen Bereich. Insbesondere in Frank460 Korrespondenz Ginny Jenkins, Geschäftsführerin von Action on Elder Abuse, 11.2.2001. 557 reich und dem United Kingdom sind in den letzten Jahren nationale bzw. regionale Hilfsorganisationen entstanden, die ein anonymes telefonisches Beratungsangebot vorhalten. Der zunächst in diesen Ländern beobachtbare Schwerpunkt auf pflegerischen Aspekten bei Gewalt gegen ältere Menschen (Überforderung, Unterstützungsbedarf von pflegenden Angehörigen) hat sich verschoben zu einem stärker opferbezogenen Ansatz. Seit Mitte der 90er Jahre entwickelt und modifiziert sich die europäische Hilfelandschaft zu Gewalt gegen ältere Menschen in beachtlicher Geschwindigkeit. Diese Entwicklung gilt es aufmerksam zu verfolgen, Ergebnisse der jeweiligen Angebote zu analysieren und für die Bundesrepublik Deutschland langfristig nutzbar zu machen. Im Rahmen der Begleitforschung war dies nur in Teilen und selektiv möglich. Hier empfehlen sich ein systematischer Vergleich und ein enger Austausch (vor allem) mit den anderen europäischen Ländern. 558 7 Zusammenfassung und Diskussion der Befunde der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ Im Folgenden werden zunächst Zustandekommen, Arbeitsweise und Ergebnisse des Modellprojekts sowie die Befunde der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation im Überblick dargestellt. Anschließend wird eine erste Bilanz sowohl des Modellprojekts als auch der wissenschaftlichen Begleitung gezogen; in diesem Zusammenhang werden allgemeine Empfehlungen und Schlussfolgerungen für die Ausgestaltung öffentlich geförderter Modellprojekte und ihrer Begleitforschung formuliert. Spezifische Empfehlungen zum weiteren Umgang mit dem Problem der Nahraumgewalt gegen Ältere werden ausführlich in Kapitel 8 formuliert und diskutiert. 7.1 Zusammenfassende Darstellung des Modellprojekts und der Befunde der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation In der folgenden zusammenfassenden Darstellung des Modellprojekts und seiner wissenschaftlichen Begleitung werden Grundlinien der Projektentstehung und Projektdurchführung dargestellt. Für eine detaillierte Chronologie der Arbeit des Modellprojekts sei auf Kapitel 4.5 verwiesen. 7.1.1 Genese des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ Nachdem elder abuse in den Vereinigten Staaten bereits seit längerem Gegenstand öffentlicher Diskussion und politischen, auch gesetzgeberischen Handelns geworden war, wurde Gewalt gegen ältere Menschen in den 90er Jahren auch in Deutschland in der Wissenschaft, den Medien, der politischen und sonstigen öffentlichen Diskussion zunehmend thematisiert. Das BMFSFJ gab 1991 eine große Studie zur Opferwerdung älterer Menschen im familiären Umfeld in Auftrag (WETZELS, GREVE, MECKLENBURG, BILSKY & PFEIFFER, 1995), die den hohen Anteil innerfamiliärer Viktimisierungen unter den Gewalterfahrungen älterer Bürgerinnen und Bürger belegte. Im Frühjahr 1996 wurden im Rahmen einer ebenfalls vom BMFSFJ veranstalteten Fachtagung „Gewalt gegen Ältere zu Hause“ in Bonn internationale Erfahrungen ausgetauscht und 559 Fragen geeigneter Präventions- und Interventionsstrategien erörtert. Parlamentarische Anträge der damaligen Oppositionsfraktionen erhoben im Dezember 1996 Forderungen nach gewaltpräventiven Maßnahmen für ältere Menschen und nach diesbezüglichen Studien. In diesem Zusammenhang kündigte das BMFSFJ die Durchführung eines thematisch einschlägigen Modellprojekts in Zusammenarbeit mit einer Großstadt an. Die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover kristallisierte sich 1997 auch in der Öffentlichkeit als Standort und zugleich Mitträgerin des Modellprojekts heraus. Zu den günstigen lokalen Ausgangsbedingungen und Vorarbeiten gehörte die Mitwirkung Hannovers an einem EUProjekt „Ältere Menschen und urbane Sicherheit“, vor allem aber ein bereits seit Anfang 1995 regelmäßig zusammentretender Runder Tisch „Gewalt gegen Ältere“. In beiden Bereichen wirkte die damalige städtische Gleichstellungsbeauftragte als treibende Kraft. 1997 richtete die Stadt Hannover einen Antrag auf Förderung eines Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ an das BMFSFJ. In dem Antrag wurde das Vorhaben grob umrissen: Es ging um die Entwicklung modellhafter Präventions- und Interventionsansätze zu Gewalt im Alter; wesentliche Merkmale des ins Auge gefassten Projekts waren seine Anbindung an städtische Strukturen, ein sehr weit gefasster Gewaltbegriff, die Vernetzung mit lokal vorhandenen Einrichtungen, die Konzentration der Projektarbeit auf ausgewählte Stadtteile sowie die Betonung von Öffentlichkeitsarbeit. Personell sollte das Projekt mit SozialarbeiterInnen bzw. -pädagogInnen besetzt werden. Auf der Grundlage des Antrages wurde ein Vertrag zwischen der Stadt Hannover und dem BMFSFJ geschlossen. Der Bund beteiligte sich mit rund einer Million DM, die Stadt Hannover mit ca. 120.000 DM an der Durchführung des auf drei Jahre angelegten Projekts. Das Modellprojekt wurde innerhalb der städtischen Administration zugleich bei den Dezernaten A (Büro des Oberbürgermeisters, Büro für Gleichstellungsfragen) und D (Sozialdezernat) angebunden. Dem erwähnten Runden Tisch war die Rolle eines Projektbeirats zugedacht. Der Projektkoordinator und eine Verwaltungsangestellte nahmen ihre Tätigkeit im März 1998 auf, die vier weiteren hauptamtlichen MitarbeiterInnen (davon zwei Halbtagskräfte) folgten im Juni 1998. Alle MitarbeiterInnen (außer der Verwaltungskraft) verfügten über sozialpädagogische bzw. sozialarbeiterische Abschlüsse, teils mit weiteren Qualifikationen, der Koordinator war zudem Diplom-Pädagoge. Die Mitglieder des Modellprojekt-Teams waren bereits zuvor langjährig bei der Landeshauptstadt Hannover in den Bereichen Familienhilfe, Krankenhaus560 sozialdienst und offene Altenhilfe beschäftigt. Im letzten Teil der Projektlaufzeit wurde das Team des Modellprojekts durch eine Sozialpädagogik-Praktikantin im Anerkennungsjahr verstärkt. 7.1.2 Zustandekommen der wissenschaftlichen Begleitung des Modellprojekts durch die Universität Gießen Im Juli 1997 wurde die wissenschaftliche Begleitung des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ vom BMFSFJ beschränkt ausgeschrieben. Aufgrund eines im August von KREUZER & GÖRGEN (1997) eingereichten Angebots wurde im Herbst 1997 ein Vertrag über die Durchführung der Begleitforschung durch die Universität Gießen geschlossen. Den Vorgaben in der Ausschreibung entsprechend, wurde die Begleitforschung als Verbindung von formativer und summativer Evaluation konzipiert. Eine Diplom-Psychologin und eine Diplom-Sozialwirtin waren hauptamtlich in der Begleitforschung tätig. Die Mitarbeiterinnen waren in der ersten Hälfte der Projektlaufzeit – d.h. in der Phase der Mitgestaltung des Projekts – in Räumlichkeiten des Modellprojekts untergebracht und bezogen danach ein eigenes Büro. 7.1.3 Grundentscheidungen des Modellprojekts in der präevaluativen Phase Angesichts der im Antrag der Stadt Hannover an das BMFSFJ erst in Grundzügen umrissenen Projektstruktur und -arbeitsweise waren bereits in frühen Phasen des Projekts zahlreiche grundsätzliche Entscheidungen zu treffen. Wesentliche Ergebnisse dieser Entscheidungsprozesse sind im Folgenden kurz dargestellt: • Der Gewaltbegriff wurde für die Zwecke des Modellprojekts analog zu der Taxonomie von Margret DIECK (1987) definiert. Es handelt sich hierbei um eine weitgefasste Gewaltdefinition, die – wie auch in der amerikanischen Diskussion um elder abuse üblich – neben körperlicher und seelischer Misshandlung intentionale wie nichtintentionale Formen der Vernachlässigung mit einbezieht; auch Formen der Freiheitseinschränkung und der finanziellen Exploitation alter Menschen fallen unter ein so verstandenes Gewaltkonzept. 561 Der ebenfalls bereits im Titel des Projekts vorgegebene Begriff des persönlichen Nahraums wurde hingegen eng gefasst. Unter Viktimisierungen im persönlichen Nahraum sollten solche Opferwerdungen verstanden werden, die sich in der privaten Häuslichkeit ereignen und von Personen ausgehen, zu denen das Opfer eine (subjektiv) bedeutsame Beziehung unterhält. Damit fielen sowohl Gewalterfahrungen in stationären und teilstationären Pflegeeinrichtungen als auch solche Delikte, die im privaten Wohnraum von Fremden oder zumindest mit den Geschädigten nicht in einer bedeutsamen Beziehung stehenden Personen begangen werden, außerhalb des erklärten Zuständigkeitsbereiches des Modellprojekts. • Die Thematik „Gewalt gegen Ältere im Nahraum“ sollte nicht auf Probleme im Kontext häuslicher Pflege beschränkt werden; dies war bereits eine der Schlussfolgerungen der im März 1996 veranstalteten Tagung „Gewalt gegen Ältere zu Hause“ gewesen (BUNDESMINISTERIUM FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN UND JUGEND, 1997b). • 7.1.4 Arbeitsschwerpunkte des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ Räumlich war das Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ für den gesamten Bereich der Stadt Hannover zuständig; zugleich spielte sowohl im Antrag der Stadt an das BMFSFJ als auch in der späteren Projektpraxis die Konzentration auf ausgewählte Stadtteile eine große Rolle. Im Folgenden wird daher zwischen stadtteilbezogenen und stadtteilübergreifenden Elementen der Arbeit des Modellprojekts unterschieden. Auch in diesen Bereichen waren von den MitarbeiterInnen wiederum zahlreiche grundsätzliche Entscheidungen hinsichtlich der Arbeitsweise und der Ausgestaltung der Angebote des Modellprojekts zu treffen. 7.1.4.1 Stadtteilübergreifende Arbeitsschwerpunkte des Modellprojekts Als wesentliche Arbeitsschwerpunkte des Modellprojekts können die Bereiche Beratung, Öffentlichkeitsarbeit, Veranstaltungen und Fortbildung sowie Vernetzungsaktivitäten gelten. Beratung Im Bereich der Beratung ist zu unterscheiden zwischen telefonischer Beratung im Rahmen eines während der Projektlaufzeit installierten Kri- 562 sentelefons und Formen der Beratung, die außerhalb dieses Angebots angesiedelt waren. Das telefonische Beratungsangebot wurde unter dem Namen „Krisenund Beratungstelefon im Alter“ betrieben; auf die Verwendung des Gewaltbegriffs – der ohnehin von den meisten Rezipienten wohl in einem beträchtlich engeren Sinne als dem der bei DIECK (1987) entlehnten Arbeitsdefinition des Modellprojekts verstanden worden wäre – wurde im Titel verzichtet. Der zeitweise geplante kooperative Betrieb des Krisenund Beratungstelefons in Zusammenarbeit mit weiteren Anbietern und der Einsatz ehrenamtlicher MitarbeiterInnen in der Beratungsarbeit konnten nicht umgesetzt werden. Von den MitarbeiterInnen des Modellprojekts wurden über vier Wochentage verteilt insgesamt zehn Beratungsstunden im Rahmen des „Krisen- und Beratungstelefons im Alter“ angeboten. Das Krisen- und Beratungstelefon im Alter nahm seine Arbeit im März 1999 auf und wurde bis zum Projektende weiterbetrieben. Angesichts der spezifischen Thematik des Modellprojekts, der z.T. eingeschränkten Mobilität älterer Menschen, aber auch im Hinblick auf diagnostische und Interventionsmöglichkeiten entschied sich das Modellprojekt für aufsuchende Beratungsarbeit, d.h. für die Durchführung von Hausbesuchen. Das Modellprojekt charakterisierte sein Angebot mit den Begriffen der Beratung, der Begleitung und der Unterstützung. Während letztere sich vornehmlich auf konkrete Hilfen bei alltagspraktischen Belangen konzentriert und erstere als problemlöseorientierter Prozess zwischen KlientIn und BeraterIn zu verstehen ist, bezeichnet das Konzept der Begleitung den Versuch, KlientInnen auch in akut oder grundsätzlich nicht lösbaren Problemlagen stützend und stärkend zur Seite zu stehen. Hinsichtlich der Zuständigkeit des Modellprojekts für die an es herangetragenen Probleme kann die Vorgehensweise der MitarbeiterInnen als offen beschrieben werden; unter den vom Modellprojekt bearbeiteten Beratungsfällen sind zahlreiche, die sich nicht unter die oben dargestellten Gewalt- und Nahraumkonzepte subsumieren lassen. Die gewählten Beratungsansätze waren geprägt von den einschlägigen Qualifikationen (nicht-direktive Gesprächsführung, systemisch-familientherapeutische Ansätze) und der professionellen Vorerfahrung der MitarbeiterInnen, insbesondere der im Kommunalen Sozialdienst der Stadt Hannover geübten Praxis. 563 Öffentlichkeitsarbeit, Veranstaltungen und Fortbildung Öffentlichkeits- und MultiplikatorInnenarbeit nahmen im Rahmen des Modellprojekts breiten Raum ein. Sowohl angesichts der Ausgangslage – Gewalt gegen Ältere als ein noch relativ unbekanntes Problemfeld, auf welches zunächst einmal aufmerksam gemacht und über welches grundlegende Informationen erst verbreitet werden müssen – als auch im Hinblick auf den Modellcharakter des Projekts und seine dadurch von vorneherein begrenzte Dauer erscheint eine solche Schwerpunktsetzung folgerichtig. Neben allgemeiner Presse- und Medienarbeit sind Fachtagungen, Workshops, Vorträge und ähnliche Veranstaltungen zu erwähnen, die vom Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ teils in Kooperation mit anderen Institutionen organisiert und durchgeführt wurden (so die Fachtagungen „Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Lebensraum“ und „Gewalt in der Familie“, die am 3.7.1998 bzw. 6.10.1999 jeweils in Hannover stattfanden; vgl. LANDESHAUPTSTADT HANNOVER – DER OBERBÜRGERMEISTER – MODELLPROJEKT „GEWALT GEGEN ÄLTERE MENSCHEN IM PERSÖNLICHEN NAHRAUM“, 1999; 2000). Fortbildungen wurden vor allem für den Kommunalen Sozialdienst, Kontaktbereichsbeamte der Polizei, LeiterInnen von Altenclubs sowie für Pflegedienste durchgeführt. Insbesondere in der an die allgemeine Öffentlichkeit gerichteten Arbeit des Modellprojekts zeigte sich, dass die Verwendung des Gewaltbegriffs zwar geeignet ist, mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen, dass damit aber die vordringlichen Zielgruppen – von Gewalt (im Sinne des Modellprojekts) bedrohte und betroffene ältere Menschen und ihre Angehörigen sowie Personen, die privat oder beruflich Kenntnis von derartigen Vorfällen erlangen – weniger gut erreicht werden. Es besteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem Ziel, die allgemeine Öffentlichkeit auf die Problematik der gewaltförmigen Viktimisierung alter Menschen aufmerksam zu machen und dem Bestreben, Betroffene und Beteiligte zur Nutzung vorhandener Hilfeangebote zu motivieren. Im Hinblick auf Presseveröffentlichungen erwies sich immer wieder das vordringliche Interesse der Medien an spektakulären und gravierenden Einzelfällen als problematisch. Die MitarbeiterInnen des Modellprojekts fassten den Entschluss, keine Einzelfälle an die Medien weiterzuleiten, wohl aber das in solchen Fällen liegende Veranschaulichungspotenzial in Vorträgen und Fortbildungen zu nutzen. 564 Vernetzung Vernetzung mit lokal vorhandenen Einrichtungen war in mehrfacher Hinsicht ein wesentliches Element des Konzepts des Modellprojekts. Es ging darum, die für eine Fallbearbeitung geeigneten lokalen Ressourcen zu nutzen, Probleme interdisziplinär angehen zu können, Sensibilität für und Wissen über die Problematik „Gewalt im Alter“ in andere Professionen und Institutionen hineinzutragen und durch Kooperation Strukturen zu schaffen, die auch nach dem Ende des Modellprojekts in der Lage wären, die Thematik weiter aufzugreifen. Vernetzung fand vor allem im Rahmen der stadtteilbezogenen Arbeit statt (s.u.). Jenseits der Arbeit in den Stadtbezirken sind fallbezogene Kooperationen des Modellprojekts mit anderen Einrichtungen – hier vor allem mit dem Kommunalen Sozialdienst – zu erwähnen, ferner eine unter Beteiligung des Modellprojekts zustande gekommene lokale Arbeitsgemeinschaft der Anbieter telefonischer Beratung für ältere Menschen. 7.1.4.2 Arbeitsschwerpunkte des Modellprojekts in den ausgewählten Stadtbezirken Nachdem im September 1998 im Rahmen eines Workshops und unter Beteiligung der Stadtteile drei Stadtbezirke (Herrenhausen / Stöcken, Vahrenheide / Sahlkamp, sowie Ricklingen / Mühlenberg) für die weitere Arbeit ausgewählt worden waren, wurden dort in der Folgezeit Angebote des Modellprojekts installiert. Insgesamt erwies sich der Aufbau von Strukturen auf Stadtteil- bzw. Stadtbezirksebene zunächst als relativ schwierig. Die eingerichteten Stadtteilsprechstunden wurden trotz eher geringer Nachfrage weitergeführt. Die im Antrag der Stadt Hannover an das BMFSFJ vorgesehenen ExpertInnenteams wurden durch professions- und qualifikationsunabhängige Arbeitsgruppen „Gewalt im Alter“ ersetzt; hiermit war zugleich eine thematische Ausweitung über den Bereich von Gewalterfahrungen in engen persönlichen Beziehungen hinaus verbunden. Konkrete Einzelfälle wurden in diesen Arbeitsgruppen lediglich in Form von anonymisierten Fallbeispielen thematisiert. In allen drei Stadtbezirken gelang es, in und mit den Arbeitsgruppen „Gewalt im Alter“ jeweils spezifische Angebote fertig zu stellen. Dabei handelte es sich vor allem um eine Veranstaltungsreihe, einen auf Probleme des Alters zugeschnittenen Beratungsführer sowie um den Aufbau eines häuslichen Unterstützungsdienstes für pflegende Angehörige. 565 7.1.5 Grundzüge der Aufgaben und der methodischen Vorgehensweise der Begleitforschung Die Begleitforschung hatte zugleich formative, d.h. die Entwicklung des Modellprojekts mitgestaltende, und summative, d.h. Arbeit und Arbeitsergebnisse des Modellprojekts erfassende und analysierende Aufgaben. Sie musste als reine Feldevaluation konzipiert werden, gliederte sich in eine präevaluative und eine evaluative Phase, fügte verschiedene Einzeluntersuchungen modular zusammen und bediente sich dazu einer Vielzahl quantitativer wie qualitativer Verfahren. Vor allem in der ersten Phase des Modellprojekts war eine intensive Zusammenarbeit der Teams des Modellprojekts und der wissenschaftlichen Begleitung vonnöten. Die thematischen Schwerpunkte der Begleitforschung lagen in der Beschreibung der Projektimplementation und des Projektverlaufs, der quantitativen und qualitativen Analyse des Fallaufkommens im Rahmen der Beratungsangebote des Modellprojekts, der Untersuchung des Vorgehens der ProjektmitarbeiterInnen in der Beratung sowie der Beratungsverläufe und Beratungsergebnisse, der Erfassung fallbezogener Kooperationen, der Analyse von Aktivitäten im Bereich Öffentlichkeitsarbeit und der Bekanntheit und Akzeptanz des Modellprojekts, der Dokumentation und Beobachtung von Veranstaltungen und Vernetzungsaktivitäten, der Ermittlung der Zufriedenheit der KlientInnen und BeraterInnen mit der Beratung sowie der Zufriedenheit von TeilnehmerInnen mit Fortbildungen und anderen Veranstaltungen. 7.1.5.1 Arbeitsschwerpunkte der Begleitforschung in der präevaluativen Phase Zu den Arbeitsschwerpunkten der Begleitforschung in der präevaluativen Phase gehörten die folgenden: Unterstützung des Projektteams bei Konzept- und Zielklärungen (z.B. der Definition der Begriffe ´persönlicher Nahraum´ und ´Gewalt´ und weiterer zentraler Konzepte); • Mitarbeit beim Aufbau einer funktionsfähigen Leitungsstruktur (Installation der sog. Steuerungsgruppe in der Anfangsphase des Modellprojekts); • Entwicklung und Bereitstellung von Dokumentationsinstrumenten (für Beratungsarbeit, Vernetzungs-, Kooperations- und Informationsgespräche); • Durchführung einer umfangreichen telefonischen Befragung bei älteren Menschen, pflegenden Angehörigen und ExpertInnen aus ver• 566 schiedenen lokalen Einrichtungen, Programmen und Initiativen; zentraler Gegenstand der Befragung war der durch bislang vorhandene Angebote nicht abgedeckte einschlägige Beratungsbedarf; die Ergebnisse dieser Teilstudie wurden in die laufenden Planungsprozesse des Modellprojekts eingebracht. 7.1.5.2 Arbeitsschwerpunkte der Begleitforschung in der evaluativen Phase In der evaluativen Phase sind folgende Arbeitsschwerpunkte der wissenschaftlichen Begleitung des Modellprojekts zu nennen: • • • • • • • • • teilnehmende Beobachtung an verschiedenen Projektaktivitäten; regelmäßige Teilnahme an Arbeitssitzungen des Projekts, der Steuerungsgruppe, des Runden Tisches; Erfassung der Projektumsetzung, u.a. durch mit den MitarbeiterInnen im Abstand von 1.5 Jahren geführte Interviews; Evaluation der persönlichen und telefonischen Beratungsarbeit durch standardisierte schriftliche Befragungsinstrumente und Interviews sowie anhand der fallbezogenen Akten des Modellprojekts; der Zugang zu KlientInnen der Beratungsangebote war nur durch Vermittlung der MitarbeiterInnen des Modellprojekts möglich und erwies sich als schwierig; die diesbezüglichen Stichprobenumfänge blieben hinter den gesetzten Zielen zurück; Evaluation von Fortbildungsveranstaltungen des Modellprojekts durch schriftliche TeilnehmerInnenbefragungen; eine im Sommer 2000 durchgeführte repräsentative telefonische Befragung zur Öffentlichkeitswirksamkeit des Modellprojekts bei Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Hannover ab 35 Jahren; Auswertung der Pressearbeit des Modellprojekts; Vergleich des Modellprojekts mit bundesdeutschen und internationalen Präventions- und Interventionsprojekten; Forschungsreise in die USA, Besuch dortiger Einrichtungen und Führen von ExpertInneninterviews; Interviews mit Vertretern bundesdeutscher Einrichtungen; Teilnahme an Treffen des „Bundesarbeitsgemeinschaft der Notruftelefone, Beschwerdestellen, Krisenberatungs- und Kriseninterventionsangebote für alte Menschen und deren Helfer in der Bundesrepublik Deutschland“; Analyse der stadtteilbezogenen Arbeit des Modellprojekts durch halbstandardisierte schriftliche Befragungen der Mitglieder der Arbeitsgruppen „Gewalt im Alter“; Evaluation des in einem Stadtbezirk installierten Häuslichen Unterstützungsdienstes (HUD) für pflegende Angehörige durch Interviews mit NutzerInnen und ehrenamtlichen MitarbeiterInnen des Dienstes; 567 • Analyse der Vernetzungsaktivitäten des Modellprojekts durch halbstandardisierte telefonische Befragungen lokaler ExpertInnen zur Vernetzung und zur Kooperation mit dem Modellprojekt. 7.2 Bilanz der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation des Modellprojekts Im verbleibenden Teil dieses Kapitels geht es darum, eine Bilanz des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ zu ziehen, zunächst aber die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation dieses Projekts einer zusammenfassenden Betrachtung und (selbst-) kritischen Würdigung zu unterziehen. 7.2.1 Zielerreichung und Zielabweichung Relativ zu den Ansprüchen, die an eine Evaluation der Effekte des Modellprojekts idealerweise zu richten wären, waren aufgrund von Merkmalen des Evaluandums und der realistischerweise für eine Evaluation zu veranschlagenden personellen, finanziellen und zeitlichen Ressourcen bereits in der Planungsphase der Begleitforschung beträchtliche Abstriche zu machen. Diese Einschränkungen – zu ihnen gehören die personelle und institutionelle Verbindung summativer und formativer Aufgaben, das Fehlen echter Vergleichsgruppen, die Unmöglichkeit der Randomisierung von Untersuchungsobjekten, Schwierigkeiten im Bereich der Definition, Operationalisierung und Messung von Projekteffekten und der geringe Grad der a priori-Planung des Modellprojekts – wurden bereits in Kapitel 3.2 erörtert. Die folgenden Ausführungen lassen diese Ausgangsbedingungen weitgehend außer Acht und konzentrieren sich auf die Frage, inwieweit die Begleitforschung ihre selbst gesetzten, zugleich an den in der Ausschreibung des BMFSFJ formulierten Vorstellungen des Auftraggebers orientierten Ziele erreichen konnte. Soweit dies nicht gelungen ist, kann konzeptuell unterschieden werden zwischen „Planabweichungen“ der Begleitforschung im Sinne des Nicht-Erreichens eines gesetzten und konstant verfolgten Zieles auf der einen Seite und Abweichungen im 568 Sinne einer Modifikation ursprünglicher Ziele und Handlungspläne an461 dererseits . Insgesamt konnte die Begleitforschung ihr umfangreiches und vielgestaltiges Arbeitsprogramm im vorgesehenen Zeitraum weitestgehend umsetzen. Alle wichtigen Untersuchungskomponenten wurden in Angriff genommen und zu Ende geführt. In einigen Teilbereichen der Gesamtstudie blieb das Erreichte gleichwohl hinter den Plänen zurück: Die für eine systematische Evaluation des Modellprojekts bedeutsame Strukturierung und Planung des Modellprojekts in der präevaluativen Phase wurde nur partiell erreicht. Die zugrundeliegenden Probleme in den Ausgangsbedingungen des Modellprojekts und im Verhältnis von wissenschaftlicher Begleitung und Modellprojekt werden in Abschnitt 7.2.2 erörtert. • Die Zahl umfassend durch Interviews erfasster Beratungsfälle ent462 sprach nicht den Zielen der Begleitforschung . Vor allem der – nur über die ModellprojektmitarbeiterInnen vermittelbare – Zugang zu den KlientInnen erwies sich als ein im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht zufriedenstellend lösbares Problem (vgl. auch hierzu Abschnitt 7.2.2). Dieser Mangel wurde zum Teil durch eine umfassende schriftliche Dokumentation und (Selbst-)Evaluation aller Beratungsfälle durch die MitarbeiterInnen des Modellprojekts kompensiert, welche gleichwohl gerade die mit den Interviews angestrebte Perspektivenvielfalt nicht herstellen kann. Insgesamt ist die Sichtweise der NutzerInnen bei der Evaluation der Beratungsangebote des Modellprojekts in geringerem Maße vertreten als dies nach den Konzepten des Forschungsteams angebracht erschienen wäre. • Eine zunächst in Form einer schriftlichen Expertenbefragung konzipierte Bearbeitung der Frage nach der Übertragbarkeit des Hannover-Modelprojekts bzw. seiner Module auf andere Städte und Regionen erwies sich in der vorgesehenen Form als nicht umsetzbar bzw. nicht hinreichend erfolgversprechend. Zu dieser Einschätzung gelangten die AutorInnen u.a., weil das Modellprojekt sich aufgrund seiner vielfältigen Aktivitäten und seiner Entwicklungsdynamik kaum • 461 Bei der zweiten Gruppe von Planabweichungen lassen sich wiederum Fälle, in denen die Begleitforschung im Verlauf des Forschungsprozesses zu dem Schluss gelangte, dass die formulierten Ziele nicht erreichbar waren, und daraufhin Ziele und Methoden modifizierte, von solchen Fällen unterscheiden, in denen Modifikationen auf der Basis von Erkenntnissen vorgenommen wurden, die erst im Laufe der Begleitforschung gewonnen wurden und andere Schwerpunktsetzungen angeraten erschienen ließen. 462 Dies gilt auch dann, wenn man in Rechnung stellt, dass der ursprünglich im Konzept von KREUZER & GÖRGEN (1997) vorgesehene Untersuchungsumfang auf fehlenden Informationen über die Personalstärke des Modellprojekts beruhte. 569 – quasi als „Momentaufnahme“ – in eine Kurzbeschreibung hätte bringen lassen, die dann – so das Forschungskonzept – zum Ausgangspunkt einer Übertragbarkeitsprüfung im Zuge einer schriftlichen Expertenbefragung hätte gemacht werden können. Zudem erwies sich schon relativ früh, dass aufgrund der eher geringen Nutzung die Übertragung des spezialisierten Beratungsansatzes des Modellprojektes auf andere Kommunen nicht unbedingt angeraten sein würde. Die wissenschaftliche Begleitung erweiterte hier den Fokus und unterzog weitere mittlerweile entstandene Anbieter von Beratung im Bereich Gewalt gegen Ältere einer eingehenderen Untersuchung, um verschiedene Arbeitskonzepte darstellen zu können. Bei den Befragungen zur Stadtteilarbeit wurden Fragen der Übertragbarkeit und Voraussetzungen thematisiert (vgl. Kap. 6.2.6.4). • Als „positive Planabweichungen“ können die Forschungsreise einer Mitarbeiterin in die USA und nach Kanada sowie Recherchen in Australien gelten. Diese im ursprünglichen Konzept nicht vorgesehenen Schritte ermöglichten Einblicke in die Art und Weise, wie in diesen Ländern an die Thematik herangegangen wird. Insbesondere im Hinblick auf die Vereinigten Staaten kann eine solche international vergleichende Ausrichtung der Forschung dazu beitragen, von den Erfahrungen in einem Land zu profitieren, das sich der Thematik früher und umfassender als die meisten europäischen Staaten angenommen hat. In diesem Zusammenhang ist auch die bereits benannte Untersuchung nationaler Beratungsanbieter aufzuführen. Einzelne Teilstudien, wie die ausführliche Evaluation des Häuslichen Unterstützungsdienstes und die Medienanalyse waren ebenfalls im Forschungsplan nicht vorgesehen, wurden aber aufgrund der Entwicklung und der Schwerpunktsetzungen des Modellprojekts in das Untersuchungskonzept aufgenommen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die wissenschaftliche Begleitung des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ ihr Untersuchungsprogramm mit einigen Modifikationen und Abstrichen umgesetzt hat. Einschränkungen sind in der präevaluativen Phase bezüglich des dort erreichten Grades der Konzeptualisierung und Explikation wesentlicher Merkmale des Modellprojekts, in der evaluativen Phase vor allem hinsichtlich der Einbeziehung der Perspektiven der unmittelbar Problembeteiligten in die Analyse der Beratungstätigkeit des Modellprojekts zu machen. Ein deutlicher Arbeitsschwerpunkt der Begleitforschung lag im Bereich der Prozessevaluation (im Sinne der kontinuierlichen Analyse der Projektimplementation und Projektdurchführung; vgl. ROSSI, FREEMAN & HOFMANN, 1988). Dies ist zum einen durch die konkreten Forschungs570 umstände (Aufträge seitens des BMFSFJ, Merkmale des Projekts, verfügbare Forschungsressourcen) bedingt, entspricht zugleich aber auch aktuellen Tendenzen im Bereich der Evaluation derartiger Praxisprogramme. In Teilen neigt die moderne Evaluationsforschung zu einer relativ pragmatischen Ausrichtung; an einem experimentellen Paradigma orientierte, auf die Erfassung von Programmeffekten konzentrierte Modelle haben sich vielfach als nicht umsetzbar erwiesen (vgl. zur Entwicklung der Evaluationsforschung COOK & MATT, 1990). So konstatieren etwa DEHAR, CASSWELL & DUIGNAN (1993) für Evaluationsstudien im Gesundheitsbereich eine abnehmende Bedeutung quantitativer Messung und experimenteller Designs und eine zunehmende Schwerpunktsetzung auf die Implementation und Entwicklung von Maßnahmen und Programmen, d.h. eine stärkere Beachtung der Prozessevaluation relativ zur Ergebnisevaluation. Die detaillierte Erfassung der praktischen Umsetzung eines Projekts verbessert nicht nur die Interpretation der Projektergebnisse, sondern erbringt wesentliche Informationen für weitere Anwendungen in anderen Kontexten und Bereichen. Von DEHAR, CASSWELL & DUIGNAN (1993) im Rahmen der Prozessevalution als wesentlich erachteten Größen (u.a. Zahl und Merkmale der Nutzer, Beurteilung des Projekts durch Nutzer, lokaler bzw. regionaler Bekanntheitsgrad des Projekts, Chronologie der Planungs- und Umsetzungsschritte, Elemente und Struktur, Entstehungs- und Handlungskontext des Projekts, bei der Projektimplementation zur Verfügung stehende und genutzte Ressourcen) kommt – wie die Darstellung der Forschungsergebnisse aus der evaluativen Phase (Kapitel 6) zeigt – auch im Rahmen der vorliegenden Arbeit herausragende Bedeutung zu. Die vorgelegte Arbeit ist im Wesentlichen eine Einzelfallstudie; sie teilt damit die Vorteile und die Begrenzungen anderer Einzelfallstudien. Ihre diesbezüglichen Grenzen liegen vor allem in den geringen systematischen Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Einrichtungen und Initiati463 ven . Ihre Stärke ist in der Intensität zu sehen, mit der die Forschergruppe sich über einen Zeitraum von drei Jahren hinweg dem Modellprojekt zuwenden konnte. Bei aller Ausführlichkeit der Darstellung der Entwicklung und der Arbeitsergebnisse des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ trägt die Arbeit nicht die Züge eines Werkstattberichts aus der Perspektive der unmittelbar 464 Beteiligten und Handelnden , sondern bemüht sich – hierin anderen 463 Angesichts der Vielzahl der seit Planung und Beginn des Modellprojekts und der wissenschaftlichen Begleitung andernorts entstandenen Einrichtungen könnte eine solche Studie heute anders angelegt, der Vergleich der verschiedenen Ansätze dabei in den Mittelpunkt gerückt werden. 464 In diese Kategorie gehören etwa die Darstellungen gewaltpräventiver Modellprojekte aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Problemfeldern bei BENTHEIM & KRUSE (2000), HEILEMANN 571 Berichten der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation öffentlich 465 geförderter Modellprojekte vergleichbar – um objektivierende Distanz zu ihrem Forschungsgegenstand. 7.2.2 Kritische Aspekte im Verlauf der Begleitforschung Die Begleitforschung zu einem derartigen Praxisprojekt eröffnet den beteiligten WissenschaftlerInnen eine Vielzahl und Dichte von Erfahrungen und Einblicken wie sie in paper-and-pencil-Forschung und auch in herkömmlichen Interviewstudien selten erreicht werden. Zugleich bringt sie jedoch auch Probleme mit sich, die in anderen Bereichen sozialwissenschaftlicher Forschung nicht oder nur in geringerem Umfang auftreten. Fünf für die Durchführung der Begleitforschung und für die Interpretation ihrer Ergebnisse problematische Aspekte werden im Folgenden beleuchtet. Es handelt sich dabei um • • • • • die Vielfalt, Konflikthaftigkeit und tendenzielle Unvereinbarkeit der Aufgaben der wissenschaftlichen Begleitung, die Unmöglichkeit echter Effektmessungen und andere in der Struktur des Evaluandums begründete methodische Einschränkungen, die nicht immer leicht zur Deckung zu bringenden Perspektiven und Interessen der wissenschaftlichen Begleitung und des Modellprojekt466 teams , die in einigen Untersuchungsmodulen weitgehende Abhängigkeit des Datenzugangs und der Datenqualität von Kooperationsbereitschaft, Wahrnehmungen und Motivlagen der MitarbeiterInnen des Modellprojekts und schließlich der Mangel an Theorien und empirisch abgesicherten Befunden zum Gegenstandsbereich der Nahraumgewalt gegen ältere Menschen. 7.2.2.1 Vielfalt, Konflikthaftigkeit und tendenzielle Unvereinbarkeit der Aufgaben der wissenschaftlichen Begleitung ROSSI, FREEMAN & HOFMANN (1988) haben drei wesentliche Formen von Evaluationsstudien unterschieden: (1) Planungsevaluation im Sinne von (1999), KLOSE, RADEMACHER, HAFENEGER & JANSEN (2000), LEWERENZ (1998) oder VOSSENKAUL (1998). 465 Z.B. HELFFERICH, HENDEL-KRAMER, TOV & VON TROSCHKE (1997) zu einer Beratungsstelle für vergewaltigte Frauen in Freiburg, THÜRMER-ROHR (1993) zu einer Beratungsstelle und Zufluchtswohnung für sexuell missbrauchte Mädchen in Berlin. 466 Als dritter Akteur, dessen Sichtweisen und Interessen von denen des Modellprojekts und des Forschungsteams abweichen können, ist das BMFSFJ als Finanzier und Auftraggeber in Betracht zu ziehen. 572 Arbeiten zur Programmentwicklung einschließlich der Konzeptualisierung und Ausarbeitung einer geplanten Intervention, (2) Prozessevaluation im Sinne der fortdauernden Erfassung und Überprüfung der Umsetzung und Durchführung eines Programms und schließlich (3) Ergebnis- oder Nutzenevaluation im Sinne der Abschätzung der Effekte und der Effektivität eines Programms. Überträgt man diese begriffliche Unterscheidung auf die Aufgaben der wissenschaftlichen Begleitung des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“, so wird unmittelbar deutlich, dass hier eine Verbindung von Planungs-, Prozess- und Ergebnisevaluation zu bewältigen war. Die Problematik der personellen und institutionellen Identität derjenigen, denen Gestaltungs- und Entwicklungsaufgaben auf der einen Seite, Ergebnisevaluation und Effektabschätzung auf der anderen Seite obliegen, wurde bereits mehrfach angesprochen. Diese Identität erzeugt ein Spannungsverhältnis von wissenschaftlicher Distanz und Teilhabe an der Entwicklung des Modellprojekts, sie generiert Nähe-Distanz– Probleme im Verhältnis der BegleitforscherInnen zum Team des Modellprojekts. Die Begleitforschung gestaltet begrenzt mit und ist zugleich darauf bedacht, Distanz zu wahren. Für die ModellprojektmitarbeiterInnen ist die Begleitforschung Partner und distanziert beobachtende Kontrollinstanz in einem. Die im Konzept vorgesehene weitgehende personelle Trennung von formativer und summativer Evaluation konnte in der Forschungspraxis nicht durchgehalten werden. Sie hätte das Problem der partiellen Selbstevaluation entschärfen können; das Modell erwies sich jedoch angesichts der knappen personellen Besetzung, der tatsächlichen zeitlichen Verteilung der Aufgaben über den Projektverlauf, der Notwendigkeit von Vertretung in Urlaubszeiten in der geplanten Strenge als nicht realisierbar. Wir greifen das Problem der Vergabe und Verteilung der Aufgaben innerhalb der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation von Praxisprojekten in Abschnitt 7.2.3 wieder auf. Die AutorInnen sind nicht in der geeigneten Position, zu beurteilen, inwieweit die personellen Identitäten im Bereich der formativen und summativen Evaluation die Forschungsergebnisse im vorliegenden Fall tatsächlich beeinflusst und beeinträchtigt haben. Die relative Widerständigkeit der Praxis gegenüber den Konzeptualisierungs- und Planungsbemühungen und –ansprüchen der wissenschaftlichen Begleitung mag hier als gewissermaßen protektiver Faktor betrachtet werden. Grundsätzlich sind die so geschaffenen Probleme und Unsicherheiten jedoch durch eine andere Anlage der Begleitforschung vermeidbar. 573 7.2.2.2 Unmöglichkeit echter Effektmessungen und andere in der Struktur des Evaluandums begründete methodische Einschränkungen Wirkungsforschung im klassischen Sinne war in mehrfacher Hinsicht bei der Evaluation des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ nicht möglich. Unter den zum Teil (vgl. vor allem Kapitel 3.2.) andernorts bereits angesprochenen Hindernissen kommt folgenden besondere Bedeutung zu: • • • • • Prä-Post-Messungen in Bezug auf Veränderungen bei den KlientInnen des Modellprojekts waren von vorneherein praktisch ausgeschlossen. Eine Kontaktaufnahme zu KlientInnen konnte immer nur über das Modellprojekt erfolgen, denn erst in dem Moment, in dem Personen sich an das Projekt wandten, erwarben sie den Status von KlientInnen. Da das Erstgespräch in der Regel bereits als die erste Intervention betrachtet werden muss; ist der Zustand vor Beginn der Intervention für die Forschung nahezu unzugänglich. Echte Vergleichs- und Kontrollgruppen zur Gruppe der BeratungsklientInnen des Modellprojekts existieren nicht (vgl. Kapitel 3.2). Gewaltmindernde und gewaltvorbeugende Effekte von Maßnahmen im Rahmen des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ lassen sich nur sehr schwer operationalisieren und messen. Neben den diesbezüglich in Kapitel 3.2. erwähnten Bedingungen ist die Subjektivität dessen, was als Gewalt erlebt wird und der Art des individuellen Gewalterlebens zu berücksichtigen. Das Gewaltgeschehen selbst ist in aller Regel weder für den Berater noch für den Wissenschaftler beobachtbar. Die Weite des in der elder abuse-Diskussion dominierenden Gewaltbegriffs und die sich daraus ergebende Heterogenität konkreter individueller Problemlagen machen es zu einer nahezu unlösbaren Aufgabe, die Vielzahl der potenziellen Erscheinungsformen von Gewalt so zu quantifizieren, dass eine summarische Erhebung eines „Gewalt-Niveaus“ möglich wird. Sofern interventionsbedingte Veränderungen nicht nur auf individueller, sondern auf Populationsebene erhoben werden sollen, fehlen die angesichts der in der Population zu erwartenden sehr geringen Treatmentstärke erforderlichen extrem sensitiven Messinstrumente. Auf den Versuch einer Abschätzung längerfristiger Effekte des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ musste bereits im Hinblick auf die zur Verfügung stehenden zeitlichen, personellen und materiellen Forschungsressourcen verzichtet werden. Die komplexe Interaktion verschiedener Variablenbereiche (Klientenmerkmale, Problemmerkmale, Maßnahmenmerkmale, Merkmale 574 des jeweils Beratenden etc.) ist in einem nicht experimentellem Untersuchungsdesign und bei kleinen Stichproben (wie den hier bei der Analyse der Beratungsarbeit vorliegenden) nicht kontrollierbar. • Klienten- und Fallsamples sind über ihre „Zugehörigkeit“ zum Modellprojekt definiert; die Stichproben sind daher klein und nicht repräsentativ. • Wenn der Vergleich des Zustands einer Population vor und nach der Intervention nicht möglich ist, bleiben weitere im Rahmen von Evaluationsstudien sinnvolle Vergleiche. Dazu gehören (vgl. z.B. OVRETVEIT, 1998) der Vergleich der Ziele einer Intervention mit ihren tatsächlichen Ergebnissen (Entspricht das Ergebnis dem, was von den Handelnden angestrebt war?) und der Vergleich der Interventionsmaßnahmen mit normativen Standards und Richtlinien (Entspricht das, was gemacht wurde, bestimmten von außen anzulegenden Kriterien?). Im vorliegenden Fall scheidet der Vorher-NachherVergleich aus den genannten Gründen aus; auch Vergleiche zwischen Effekten und von den Handelnden intendierten Zielen sind angesichts der teilweise wenig differenzierten Explikation von Zielen sowohl im Antrag der Landeshauptstadt Hannover als auch im weiteren Verlauf des Modellprojekts nur eingeschränkt möglich. 7.2.2.3 Divergierende Perspektiven und Interessen der wissenschaftlichen Begleitung und des Modellprojektteams Die wissenschaftliche Begleitung des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ war in einigen Phasen gekennzeichnet von einem Konflikt zwischen dem Bestreben der Forschung, die Praxis zu expliziten und detaillierten Festlegungen von Konzepten, Zielen und Arbeitsprogrammen zu bewegen und dem Bestreben der Praxis, sich diesem Ansinnen wenigstens teilweise zu widersetzen. Schwierigkeiten ergaben sich aus der Sicht der wissenschaftlichen Begleitung auch bei einzelnen MitarbeiterInnen hinsichtlich ihrer Mitwirkung an der Dokumentation und Evaluation der Beratungsarbeit. Die AutorInnen sind der Ansicht, dass solche Konflikte und Schwierigkeiten einerseits strukturell im Verhältnis von wissenschaftlicher Begleitung und sozialarbeiterischer Praxis angelegt sind, andererseits durch für das hier evaluierte und begleitete Projekt spezifische Umstände begünstigt wurden. CARP (2000) hat die divergierenden Interessenlagen von Praktikern und Wissenschaftlern anschaulich beschrieben. Zunächst einmal kann die Evaluation von den Praktikern als aufgezwungen erlebt werden. Praktiker betonen den Primat der Praxis, wollen sich nicht als Forschungsgegenstand sehen, erleben die Evaluation als Kontrolle der eigenen Ar- 575 beit. Die im Feld durchgeführte Begleitforschung bringt immer auch Unbequemlichkeiten für die PraktikerInnen mit sich. Dies kann sich mutmaßlich wiederum vor allem dann negativ auswirken, wenn die MitarbeiterInnen in das Zustandekommen der Begleitforschung nicht eingebunden waren und ihnen Sinn und Notwendigkeit einer wissen467 schaftlichen Begleitung nicht unmittelbar plausibel sind . Als typische Haltungen nennt CARP (2000, S.156) die Einstellung, das für die Evaluation aufgewandte Geld werde besser in eine Ausweitung der nun damit ´beforschten´ Dienste eingesetzt, ferner die Berufung auf durch Berufserfahrung gewachsenes Expertenwissen und auf den Vorrang der Interessen der Klienten gegenüber denen der Wissenschaft („Her clients came first, and she knew from experience what they needed.“). Im vorliegenden Fall haben die MitarbeiterInnen des Modellprojekts sich weder den Umstand des Evaluiert-Werdens noch die konkret damit befassten Personen und Institutionen ausgesucht. CARP (2000, S.156) weist darauf hin, dass derartige Konstellationen zu subtilen Behinderungsversuchen der Praxis führen können, welche Aussagekraft und Verwertbarkeit einer Studie gefährden. Ermöglicht und begünstigt wurde die Divergenz der Ansprüche des Modellprojektteams und der wissenschaftlichen Begleitung wiederum durch die geringe Vorab-Strukturierung des Modellprojekts durch die Projekt-Initiatoren. Die für die Evaluation eines Modellprojektes wesentliche Definition und Explikation von Grundbegriffen, Zielen und Handlungsplänen konnte und musste weitgehend erst im Verlauf der ProjektLaufzeit in Zusammenarbeit von Projekt und wissenschaftlicher Begleitung in Angriff genommen werden. CARP (2000) führt zur Notwendigkeit gerade einer Zieldefinition und zu den positiven Effekten einer wissenschaftlichen Begleitung auch auf das Selbst-Verständnis der praktisch Handelnden aus: „The first step in designing a study to evaluate any intervention is explicit statement of its exact purpose, what it is intended to accomplish, and every component of the program and what role each is intended to play. The source for this information can be only the designer and implementer of the intervention. Their role in providing it is essential. In providing this information to the evaluator so that he can plan his task, the intervenors 467 Die Mitwirkung der ProjektmitarbeiterInnen an der Begleitforschung kann sinnvoll auch unter Gesichtspunkten subjektiv rationalen Handelns und individueller oder kollektiver KostenNutzen-Abwägungen betrachtet werden. Die Festlegung auf konkret operationalisierte Ziele und Handlungspläne schafften neben den strukturell bereits bestehenden Handlungszwängen und -einschränkungen (durch personelle und zeitliche Ressourcen, Nachfrage etc.) zusätzliche Anforderungen und Begrenzungen. Im vorliegenden Fall waren die zeitlichen Belastungen, die den ModellprojektmitarbeiterInnen z.B. durch das Bearbeiten der Dokumentations- und Evaluationsinstrumente entstanden, unmittelbar spür- und erkennbar, der Gewinn für Dokumentation, Strukturierung und Reflexion der eigenen Arbeit möglicherweise für manche Beteiligte weniger deutlich. 576 often clarify in their own minds the purposes and procedures of their program. This in itself can be a meaningful contribution of independent evaluation studies to service programs.” (CARP, 2000, S. 157) Im Prozess der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation eines aus öffentlichen Mitteln geförderten Modellprojekts treffen üblicherweise mindestens drei Handlungslogiken aufeinander, nämlich die Logik sozialarbeiterischer Praxis, die der Evaluationsforschung und schließlich die 468 Handlungslogik der politischen Ebene. Jede dieser Handlungslogiken enthält u.a. Annahmen über handlungsleitende Motive und Imperative und über jeweils wirksame Handlungszwänge. Wenn solche divergierenden Logiken in einem Handlungsfeld aufeinander treffen, besteht die 469 Wahrscheinlichkeit, dass sie in Konflikt miteinander geraten . Elemente der Handlungslogiken von Wissenschaft, sozialarbeiterischer Praxis und Politik sollen im Folgenden kurz skizziert werden. Die Wissenschaft unterliegt keinen unmittelbaren Handlungszwängen in Bezug auf das soziale Problem „Gewalt gegen Ältere im Nahraum“. Ihr Handeln wird bestimmt, geleitet und eingeschränkt durch ihren Auftrag, finanzielle und zeitliche Restriktionen sowie durch Strukturmerkmale und Entwicklung des zu evaluierenden Modellprojekts. Zu ihren Imperativen gehören die Forderungen nach Objektivität und Nachvollziehbarkeit des eigenen Handelns, weitestmöglicher Operationalisierung und Quantifizierung relevanter Aspekte des Evaluandums und nach der möglichst weitgehenden und frühzeitigen Festlegung des Projektablaufs. • Im Unterschied zur Begleitforschung stehen die im Modellprojekt tätigen MitarbeiterInnen unter unmittelbarem Handlungszwang in Bezug auf die an sie herangetragenen Probleme (wenigstens sofern sie sich bzw. das Projekt als für das jeweilige Problem zuständig betrachten). Diese Handlungszwänge waren im vorliegenden Falle unmittelbar seit Projektbeginn wirksam, zum einen durch Klienten, die sich – auch als das Modellprojekt noch in der Planungs- und Konzeptionsphase war – an das Projekt wandten, zum anderen durch Anfragen von Medien und anderen Institutionen. Auch das Handeln der im Modellprojekt Agierenden wurde durch den generellen Auftrag (Umsetzung des Konzepts zur Erprobung von Präventions- und Interventionsstrategien) und die zur Verfügung stehenden finanziellen und zeitlichen Ressourcen bestimmt; hinzu kam die (doppelte) Ein• 468 Zu Handlungslogiken allgemein vgl. DREES & ALBERT (1999). 469 Zu divergierenden Handlungslogiken in Sozialarbeit und Wissenschaft vgl. auch POSSEHL (1990); zur Praxisrelevanz sozialwissenschaftlicher Forschung für sozialarbeiterisches Handeln und zur Bedeutung einer Theorieorientierung sozialer Praxis vgl. DEWE, FERCHHOFF, SCHERR & STÜWE (1993), GILDEMEISTER (1995), STEINERT, STICHER-GIL, SOMMERFELD & MAIER (1998); zum Spannungsfeld, in dem ProjektmitarbeiterInnen, wissenschaftliche BegleiterInnen und AuftraggeberInnen stehen, vgl. BRINKMANN TO BROXTEN & RIEMANN (1999). 577 bindung in die Stadtverwaltung Hannover. Handlungsimperative, die in der dokumentierten und beobachteten Arbeit der MitarbeiterInnen, den Berichten des Modellprojekts, den mit den MitarbeiterInnen geführten Interviews und informellen Gesprächen sichtbar werden, sind: die Klienten beraten, begleiten und unterstützen, offen für Bedürfnisse der Klienten sein, die Fach- und die allgemeine Öffentlichkeit sensibilisieren und informieren, die Thematik „Gewalt gegen Ältere“ nicht dramatisieren, Entlastung für belastete Angehörige pflegebedürftiger älterer Menschen schaffen, die Einbindung des Modellprojekts und seiner Arbeit in bestehende Strukturen vorantreiben, Austausch zwischen Institutionen und Professionen fördern. • Hinsichtlich der Handlungslogik der politischen Ebene kann angenommen werden, dass Handlungsentscheidungen u.a. mitgeprägt werden durch Regierungsprogramme und Koalitionsvereinbarungen, Verhalten und Stärke der Opposition, die aktuell aktivierbaren finanziellen Ressourcen, das öffentliche Aufgreifen einer Thematik (vor allem in den Medien), aber auch etwa durch Legislatur- und Sitzungsperioden; zu den Imperativen politischen Handelns gehört es, „Sorgen der Bürger“ aufzugreifen und Lösungen für aktuelle und sich absehbar entwickelnde soziale Probleme zu generieren. Es wird deutlich, dass die im Rahmen der Begleitforschung zum Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ aufgetretenen Probleme im Verhältnis von Wissenschaft und Praxis im Wesentlichen keine nur für dieses Projekt charakteristischen Merkmale sind, sondern auf wissenschafts- bzw. praxistypischen Prioritätensetzungen und Entscheidungsprogrammen beruhen. CARP (2000) fasst ´Wissenschaftler´ und ´Praktiker´ als Rollen auf, spricht von einer „practitionerresearcher gap“ (S. 163) und beschreibt die Gefahr, dass rollenbedingte Perspektivendivergenzen und daraus resultierende Konflikte als persönliche aufgefasst werden: „We might be able to ease the mutual distrust that seems inherent between the two by demonstrating that there is nothing personal about the difference, and that the two are simply different roles that require different expectations and behaviors.“ (CARP, 2000, S. 163). 7.2.2.4 Abhängigkeit der Datenerhebung von den MitarbeiterInnen des Modellprojekts Die Begleitforschung zu einem Praxisprojekt setzt funktionierende Kommunikationsstrukturen zwischen Praktikern und Wissenschaftlern voraus. Im vorliegenden Fall war die Begleitforschung vor allem hinsichtlich der Analyse der vom Modellprojekt geleisteten Beratungsarbeit nicht nur auf die grundsätzliche Kooperationsbereitschaft der Modellpro578 jektmitarbeiterInnen angewiesen. Strukturelle Merkmale der zu analysierenden Beratungsangebote bedingten Abhängigkeiten auch hinsichtlich Qualität und Quantität der für die Begleitforschung verfügbaren Daten sowie hinsichtlich des Zugangs zu fall- und problembeteiligten Personen. Zu diesen strukturellen Merkmalen gehören insbesondere die Vertraulichkeit bzw. (im Falle des Krisen- und Beratungstelefons im Alter) Anonymität der Beratungsangebote sowie der Umstand, dass es – anders als etwa bei manchen Studien in stationären Einrichtungen – keine vor der ersten Intervention bestimmbare und in irgendeiner Form ohne Vermittlung durch die BeraterInnen für die Begleitforschung erreichbare Klientenpopulation gab. Im vorliegenden Fall liegen zur Beratungsarbeit des Modellprojekts vor allem von den Beratenden erzeugte Daten vor, sei es in Form der zu den Beratungsfällen vorliegenden Akten, sei es in Form der Dokumentations- und Evaluationsbögen oder von Interviews. Soweit Interviewoder Fragebogendaten auch von KlientInnen vorliegen, wurde der Zugang zu eben diesen Personen durch die MitarbeiterInnen des Modellprojekts eröffnet. Wir haben es hier also mit einer Konstellation zu tun, in der diejenigen, deren Arbeit analysiert wird und die sich dieses Untersucht-Werdens bewusst sind, ein hohes Ausmaß an Kontrolle über die letztendlich in die Evaluation einfließenden Daten ausüben. Berichte und Selbsteinschätzungen von ModellprojektmitarbeiterInnen geben jeweils nur eine Perspektive wieder und können – auch wenn sie subjektiv völlig aufrichtig gemeint sind – Sachverhalte einseitig oder verzerrt abbilden; in jedem Fall sind sie nur schwache Belege für die Wirksamkeit einer Intervention. 7.2.2.5 Mangel an Theorien und empirisch abgesicherten Befunden zum Gegenstandsbereich der Nahraumgewalt gegen ältere Menschen Schließlich sind die Arbeitsbedingungen der Begleitforschung zum Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ durch einen Mangel an bewährten Theorien und verlässlichen empirischen Befunden zu dem in Frage stehenden Gegenstandsbereich der Nahraumgewalt gegen ältere Menschen charakterisiert. Wie in Kapitel 1 dargestellt, ist die Befundlage in Deutschland – insbesondere im Hinblick auf Gefährdungen und Gewalterfahrungen Hochbetagter und Pflegebedürftiger – unbefriedigend. Mit der Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachen (WETZELS et al. 1995) wurde das Thema erstmals auf breiter Basis empirisch untersucht; die 579 Studie kann jedoch – mangels Repräsentation in der Stichprobe – gerade über die oft im Mittelpunkt der Diskussion um „Gewalt im Alter“ stehende Gruppe der pflegebedürftigen älteren Menschen sowie über Hochbetagte keine Aussagen machen. Eine umfassende Theorie zur innerfamiliären gewaltförmigen Viktimisierung älterer Menschen existiert nicht. Angesichts der Heterogenität des üblicherweise unter dieses oder vergleichbare Konzepte subsumierten Gegenstandsbereichs erscheint es fraglich, ob eine solche Theorie überhaupt sinnvoll ausformuliert werden könnte, ob nicht vielmehr davon auszugehen ist, dass allenfalls Partialtheorien entwickelt bzw. existierende Konzepte auf den Gegenstandsbereich der häuslichen Misshandlung und Vernachlässigung älterer Menschen angewendet werden können. Die Ausgangslage der Begleitforschung war also durch die Aufgabe gekennzeichnet, Anwendungsforschung zu einem Zeitpunkt zu leisten, zu dem weder hinreichende empirische Daten noch empirisch abgesicherte theoretische Postulate für den Gegenstandsbereich existieren, auf den sich das untersuchte sozialarbeiterische bzw. sozialpädagogische Handeln bezieht. Wenn CARP (2000, S. XV) für die USA einen „lag of research behind practice“ konstatiert, so gilt dies analog auch für den deutschen Sprachraum: Es wird gehandelt in einem Bereich, es wird geschrieben über einen Bereich, zu dem bislang sehr wenig Grundlagenforschung existiert. Selbstverständlich kann dies nicht der Praxis zum Vorwurf gemacht, sondern muss als Aufforderung an die Wissenschaft und die sie fördernden bzw. beauftragenden Instanzen gesehen werden, Studien zu Gewalterfahrungen älterer Menschen in der häuslichen, insbesondere familiären Pflege sowie zur Viktimisierung in der Altersgruppe ab 75 Jahren auf den Weg zu bringen. 7.2.3 Schlussfolgerungen und Empfehlungen für die künftige Gestaltung der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation öffentlich geförderter Modellprojekte Aus den Erfahrungen der AutorInnen im Verlauf der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ ergeben sich einige Schlussfolgerungen und Empfehlungen für die künftige Ausgestaltung der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation öffentlich geförderter Modellprojekte: • Wichtig erscheint vor allem eine möglichst klare personelle, institutionelle und finanzielle Trennung der unterstützenden Begleitung, Beratung und Mitgestaltung eines Projekts einerseits und der Analyse 580 • • • • seiner Arbeitsweise und Arbeitsergebnisse andererseits. Selbstverständlich müssen die Personen und Institutionen, welche die beiden Evaluationsformen verantwortlich betreiben, ihre Aktivitäten aufeinander abstimmen. Eine solche Vorgehensweise bringt für den Auftraggeber organisatorischen, vielleicht auch finanziellen Mehraufwand und die Herausforderung mit sich, gleich zwei verlässliche und kompetente Partner vertraglich zu binden. Die Vorteile im Hinblick auf die Durchführbarkeit und den Ertrag der Forschung dürften diese Erschwernisse jedoch aufwiegen. Die Ausschreibung einer wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation sollte erfolgen, wenn das zu evaluierende Projekt hierfür hinreichend genau beschrieben werden kann. Je klarer die VorabStrukturierung des Evaluandums, desto verlässlicher und präziser können wissenschaftliche Begleitung und Evaluation geplant werden. Es kann der Qualität der Evaluation und damit der Verlässlichkeit und Verallgemeinerbarkeit der Forschungsergebnisse zugute kommen, wenn der Projektbeginn im Interesse einer verbesserten Planung um einige Monate verschoben wird; es mag sicherlich Fälle geben, in denen Aktualität und Dringlichkeit eines Problems (bzw. Lösungsversuchs) dies als nicht verantwortbar erscheinen lassen. Im Zuge der Ausschreibung der wissenschaftlichen Begleitung eines Modellprojektes sollten den an der Ausschreibung Teilnehmenden möglichst umfassende Informationen über das zu begleitende bzw. zu evaluierende Projekt zur Verfügung gestellt werden. Auch dies erhöht die Qualität der eingereichten Forschungskonzepte. Es empfiehlt sich grundsätzlich eine zeitliche Trennung von Projektende und Ende der Evaluation; in der Regel wird bei empirisch gestützten Forschungen ein Zeitraum von wenigstens sechs Monaten zu veranschlagen sein, soll die Arbeit des in Frage stehenden Projekts auch zeitlich umfassend, d.h. bis zum Ende der Projektlaufzeit, analysiert werden. Schließlich wird angeregt, zu prüfen, inwieweit im BMFSFJ ein projektübergreifend tätiger Beirat im Prozess der Planung, Ausschreibung und Vergabe von Aufträgen zur wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation von Praxisprojekten tätig werden könnte. 7.3 Bilanz des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ Eine Bilanz des Modellprojekts zu ziehen, ist aus mehreren Gründe eine schwierige Aufgabe. Es gilt, eine über beträchtliche Zeiträume verteilte und sich erstreckende Vielfalt von Aktivitäten zusammenfassend 581 zu würdigen. Die Kriterien und Messgrößen, anhand derer das Modellprojekt beurteilt werden kann, sind aufgrund der vielfach angesprochenen Probleme im Bereich der Konzeptualisierung, Operationalisierung und Messung nicht ohne weiteres zu bestimmen. 7.3.1 Arbeitsergebnisse des Modellprojekts Zunächst ist festzuhalten, dass das Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ in den drei Jahren seiner Laufzeit in sämtlichen im Antrag der Stadt Hannover an das BMFSFJ angesprochenen Bereichen beträchtliche Aktivitäten entwickelt hat. Arbeitsfelder und Arbeitsergebnisse des Modellprojekts sind in Kapitel 6 im Detail beschrieben, die Arbeitsschwerpunkte in Kapitel 7.1 im Überblick dargestellt. An dieser Stelle sollen daher lediglich die wesentlichen Ergebnisse der dreijährigen Arbeit kurz zusammengefasst werden: Das Modellprojekt hat im Zeitraum von März 1999 bis Februar 2001 unter der Bezeichnung „Krisen- und Beratungstelefon im Alter“ eine Helpline betrieben, die sich an Personen wandte, die unmittelbar von altersspezifischen Problemlagen betroffen waren bzw. beruflich oder privat damit zu tun hatten. In 214 Fällen, die inhaltlich ein breites Spektrum abdeckten, wurde Beratung geleistet. • Die MitarbeiterInnen des Modellprojekts haben außerhalb dieser Helpline während der gesamten Projektlaufzeit in 189 Fällen KlientInnen beraten, dabei – im Sinne aufsuchender Sozialarbeit – 141 Hausbesuche bei KlientInnen durchgeführt. • In den Stadtbezirken Ricklingen-Mühlenberg, Herrenhausen-Stöcken und Sahlkamp-Vahrenheide haben die MitarbeiterInnen des Modellprojekts umfangreiche stadtteilbezogene Aktivitäten entfaltet und je spezifische Arbeitsergebnisse hervorgebracht. In allen Stadtbezirken wurden multiprofessionell besetzte Arbeitskreise eingerichtet. Der im Stadtbezirk Ricklingen-Mühlenberg eingerichtete „Häusliche Unterstützungsdienst“ (HUD) für pflegende Angehörige wird auch über das Ende der Laufzeit des Modellprojekts hinaus weiterbetrieben. • Die MitarbeiterInnen des Modellprojekts haben im Rahmen von Fachtagungen, Vorträgen und anderen Veranstaltungen über das Projekt und über die von ihm bearbeiteten Themen informiert, durch Presse- und andere Medienpublikationen auf das Modell aufmerksam gemacht und zahlreiche Anfragen zum Projekt und zur Thematik der Nahraumgewalt gegen Ältere beantwortet. Sie haben Schulungen für MultiplikatorInnen betrieben, Expertinnen aus verschiedenen Disziplinen in die Arbeitskreise in den Stadtteilen einge- • 582 bunden, ferner eine Arbeitsgemeinschaft telefonischer Beratungsanbieter für Ältere bzw. für altersbezogene Probleme initiiert und mitgestaltet sowie in einem bundesweiten Zusammenschluss altersund pflegebezogener Beschwerde- und Hilfeeinrichtungen mitgearbeitet. • Das Projekt wurde – unter Mitwirkung der wissenschaftlichen Begleitung – von den MitarbeiterInnen inhaltlich weitgehend selbst ausgestaltet. Die Vorgaben zum Zeitpunkt des Projektbeginns erforderten ebensoviel Initiative wie sie Gestaltungsspielräume ließen. Das Projektteam hat vielfache Schwerpunktsetzungen und Grundsatzentscheidungen u.a. hinsichtlich der Zuständigkeitsbereiche des Modellprojekts, der jeweils zu wählenden Vorgehensweise, der Terminierung von Projektaktivitäten und der Ressourcenverteilung auf die einzelnen Arbeitsfelder vorgenommen. • Das Modellprojekt hat die eigene Tätigkeit fortlaufend dokumentiert – dies auch und nicht zuletzt im Hinblick auf die Erfordernisse der wissenschaftlichen Begleitung dieses Projektes. Es hat seine Arbeit in drei Zwischenberichten und einem Abschlussbericht umfassend dargestellt. Als Nebenprodukt der Arbeit des Modellprojekts kann auch die thematisch einschlägige Dissertationsschrift des Projektkoordinators betrachtet werden (HAGEN, 2001). • Ein Konzept für die Fortführung der Aktivitäten des Projekts nach Auslaufen der Modell-Finanzierung wurde erarbeitet und der Stadt Hannover unterbreitet. Aufgrund der insgesamt geringen Inanspruchnahme und aus Kostengründen sah die Stadt sich nicht in der Lage, die thematisch weitgefasste und personell anspruchsvolle Beratungsinstitution in der vorgeschlagenen Form einzurichten. 7.3.2 Zielerreichung und Zielabweichung Die Frage nach dem Grad der Zielerreichung des Modellprojekts impliziert die Frage nach Art und Herkunft der Ziele, an denen eine solche Zielerreichung gemessen wird. Hier ist im Falle des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ konzeptuell zu unterscheiden zwischen den eher abstrakt bereits vor Beginn des Modellprojekts formulierten Zielsetzungen, • den im Verlauf der Projektdurchführung konkretisierten, modifizierten oder erstmals explizierten Zielen und schließlich • Anforderungen, die aus dem modellhaften Charakter des Projekts abzuleiten sind. • 583 Im Hinblick auf Ziele, die sich aus diesen drei unterschiedlichen Quellen ergeben, kann Folgendes festgestellt werden: 1. Als grundsätzliches Ergebnis ist zunächst festzuhalten, dass das Team des Modellprojekts in der dreijährigen Laufzeit des Projekts alle wesentlichen Projektkomponenten implementiert und damit ein umfangreiches Arbeitsprogramm bewältigt hat. Der Aufgabenbereich des Modellprojekts zeichnet sich durch eine Vielfalt sehr heterogener Arbeitsbereiche und Arbeitsformen aus, zu denen Pressekontakte und das Verfassen von Berichten ebenso gehören wie die Organisation von Arbeitskreisen und die Beratung von KlientInnen in akuten Krisensituationen. 2. Soweit Erkenntnisse zur Zufriedenheit der NutzerInnen und der KooperationspartnerInnen mit dem Modellprojekt vorliegen, ist die Bilanz durchweg positiv. Die diesbezügliche Bewertungsgrundlage ist allerdings insofern eingeschränkt, als insbesondere zu den Beratungsangeboten des Modellprojekts ganz überwiegend Auskünfte und Einschätzungen der MitarbeiterInnen vorliegen und die von NutzerInnen stammenden Daten im Hinblick auf den Prozess des Forschungszugangs zu KlientInnen als problematisch angesehen werden müssen. Von Seiten eines Teils der befragten KooperationspartnerInnen des Modellprojekts wird die zeitliche Befristung des Projekts bedauert, dies gerade im Hinblick auf eine Thematik, deren Relevanz zunächst für die allgemeine wie die Fachöffentlichkeit erst verdeutlicht werden musste. 3. Es ist zum Teil gelungen, in Hannover Strukturen zu etablieren, welche von dem Modellprojekt aufgegriffene Themen auch nach dessen Ende weiterhin bearbeiten, durch die ProjektmitarbeiterInnen begründete Arbeitsweisen fortführen und damit – um ein heute meist im Kontext ökologischer Zukunftsfragen gebrauchtes Wort aufzugreifen – eine Art von Nachhaltigkeit durch das Modellprojekt geschaffener Angebote zu sichern. Dies betrifft insbesondere die Fortführung eines telefonischen Krisen- und Beratungsangebots durch den Kommunalen Seniorenservice (ehem. städtische Altenhilfe) und den Fortbestand des im Stadtbezirk Ricklingen-Mühlenberg eingerichteten Häuslichen Unterstützungsdienstes. Es ist davon auszugehen, dass die Arbeit des Modellprojekts neben diesen konkreten Angeboten für ältere Menschen bzw. für pflegende Familienangehörige auch unspezifische Effekte hervorgebracht hat, welche über das Projektende hinaus wirksam bleiben. Dazu gehören die gewachsene Sensibilität von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unterschiedlicher Institutionen und Professionen für Gewaltgefährdungen und Opfererfahrungen im Alter und das vermehrte Wissen über diese Problematik. Das Modellprojekt hat mit seinen umfangreichen Vernetzungs- 584 und Fortbildungsaktivitäten auf einschlägige Berufsgruppen – vor allem im psychosozialen und pflegerischen Bereich sowie bei KontaktbereichsbeamtInnen der Polizei – gezielt eingewirkt. Insofern wurden durch das Modellprojekt die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass das Thema Gewalt gegen Ältere in stärkerem Maße als zuvor in örtlichen Gremien und Institutionen Beachtung findet. 4. Am Rande sei hervorgehoben, dass das Team des Modellprojekts sich durch personelle Kontinuität und Stabilität auszeichnet, dass es offenbar nicht nur gelungen ist, Arbeitsergebnisse hervorzubringen, sondern auch Kooperation und Kohäsion im Inneren zu gewährleisten. Neben dieser insgesamt zweifellos positiven Leistungsbilanz des Modellprojekts wurden im Verlauf der wissenschaftlichen Begleitung Bereiche sichtbar, in denen selbstgesetzte oder von außen herangetragene Ziele nicht oder nur partiell erreicht wurden bzw. von programmatischen Vorgaben abgewichen wurde: 1. Die Bekanntheit der Angebote des Modellprojekts in der Allgemeinbevölkerung Hannovers ab 35 Jahren war mehr als zwei Jahre nach Projektbeginn gering. Die in Kapitel 6.2.4 dargestellte Untersuchung zur Öffentlichkeitswirksamkeit des Modellprojekts belegt anhand einer repräsentativen Stichprobe, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung im mittleren und höheren Erwachsenenalter von dem Modellprojekt keine Kenntnis genommen hat bzw. sich zum Befragungszeitpunkt an eine Kenntnisnahme (z.B. über einen Pressebericht aus der Startphase des Modellprojekts) nicht mehr erinnerte. Mögliche Ursachen der geringen Bekanntheit – Abhängigkeit der Aufmerksamkeit von der wahrgenommenen aktuellen persönlichen Relevanz, relative Unanschaulichkeit eines Projekts gegenüber seinen (z.T. bekannteren) konkreten Produkten – wurden bereits in Kapitel 6.2.4 erörtert. Um so größere Bedeutung kommt der Vernetzung und dem Bekanntmachen eines Projekts bei solchen Personengruppen und Institutionen zu, an die von Gewalt bedrohte oder betroffene Personen sich wenden (Polizei, Ärzte, städtische Ämter) und von denen KlientInnen an ein Projekt mit einem (wenigstens programmatisch) so spezifischen Angebot wie dem des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ verwiesen werden können. 2. Bei dem Versuch, in der Nachfolge des von vorneherein auf drei Jahre begrenzten Modellprojekts die Einrichtung einer relativ groß konzipierten und thematisch weit gefassten Beratungseinrichtung für ältere Menschen in Hannover voranzutreiben, stieß das Projektteam an die engen finanziellen Grenzen, innerhalb derer Kommunalverwaltungen derzeit arbeiten. 585 3. Die Beratungsnachfrage sowohl im Rahmen der Helpline als auch innerhalb der sonstigen Beratung und vor allem in Bezug auf die in den Stadtteilen angebotenen Sprechstunden blieb relativ gering. Zwar sind weder im Antrag der Stadt Hannover an das BMFSFJ noch in der Planungs- und Konzeptionsphase des Modellprojekts Vorgaben hinsichtlich der Fallzahlen gemacht worden, doch sind weniger als zehn Beratungsfälle pro Monat im Rahmen des Krisenund Beratungstelefons bei wöchentlich 10 Stunden, in denen dieser Dienst angeboten wurde, sicherlich nicht als starke Nachfrage zu bezeichnen. Ähnliches gilt für das Fallaufkommen außerhalb des Krisen- und Beratungstelefons mit einer auf die Gesamtlaufzeit des Projekts bezogenen Inzidenz von etwa fünf Beratungsfällen pro Monat (vgl. Kap. 6.2.2.4). 4. Bei der unter 3 konstatierten begrenzten Nachfrage nach Beratungsangeboten des Modellprojekts blieben inhaltliche Aspekte zunächst ausgeklammert. Die genannten Fallzahlen reduzieren sich noch einmal erheblich, wenn nur die unter einen recht weit gefassten Gewaltbegriff subsumierbaren Problemkonstellationen in Betracht gezogen werden. Die an die Beratungsangebote des Modellprojekts gerichtete Nachfrage überschneidet sich also nur zum Teil mit dem erklärten thematischen Kernbereich des Projekts. Für diese vom Titel des Modellprojekts abweichende Nachfrage gibt es mehrere Erklärungsansätze, deren relative Anteile allerdings aufgrund der vorliegenden Daten nicht quantifiziert werden können: • Es besteht offenbar Beratungsbedarf bei älteren Menschen und im Hinblick auf altersbezogene Probleme. Dieser Beratungsbedarf wird nicht allein durch bereits bestehende Einrichtungen abgedeckt. Er geht thematisch weit über die Gewaltproblematik hinaus. • Hilfebedarf bei Nahraumgewalt im Alter ist eher selten, oder er wird durch ein solches Angebot nicht aktiviert, sei es, weil die Betroffenen nicht in der Lage sind, sich an eine entsprechende Einrichtung zu wenden (etwa wegen Einschränkungen kommunikativer Fähigkeiten oder weil sie von den Gewaltausübenden daran gehindert werden), sei es, weil die befürchtete Stigmatisierungswirkung der Inanspruchnahme einer Maßnahme für Gewaltbetroffene zu groß ist, sei es, weil hilfesuchende Personen ihre Erfahrungen (z.B. pflegerische Vernachlässigung, finanzielles Übervorteilen) nicht als „Gewalt“ definieren und daher ein Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere“ für sich als nicht einschlägig betrachten. • Das Modellprojekt ist in vielen seiner Angebote und Aktivitäten thematisch über den Bereich dessen hinausgegangen, was sinnvollerweise als Gewalt definiert werden kann; es hat zum Teil – so 586 im Namen des Krisen- und Beratungstelefons im Alter – die Verwendung des Gewaltbegriffs bewusst vermieden. Wie die Ausführungen in den Kapiteln 6.3.2 und 6.3.3 gezeigt haben, ist der Befund einer im Vergleich zum programmatischen Titel der Einrichtung oder des Angebots relativ breiten thematischen Streuung nicht auf das Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ beschränkt. Offenbar ist Beratungs-, Unterstützungs- und Hilfebedarf bei älteren Menschen und ihren Angehörigen vorhanden, der sich aber nicht sinnvoll unter den Begriff „Gewaltprobleme“ fassen lässt, andererseits aber durch die Verwendung des Gewaltbegriffs in den Namen der entsprechenden Angebote auch nicht oder wenigstens nicht vollständig abgeschreckt wird. 7.3.3 Kritische Aspekte im Verlauf der Durchführung des Modellprojekts Im Folgenden werden einige aus der Perspektive der wissenschaftlichen Begleitung für Verlauf und Ertrag des Modellprojekts als kritisch zu betrachtende Aspekte kurz beleuchtet. 1. Als problematisch erlebt wurde von MitarbeiterInnen des Modellprojekts gelegentlich die Zusammenarbeit mit der wissenschaftlichen Begleitung. Die jeweiligen Interessen von Wissenschaft und psychosozialer Praxis wurden in Kapitel 7.2.2.3 bereits erörtert. Neben der Kontrollfunktion, die mit einer Evaluation verbunden ist, erlebten einzelne MitarbeiterInnen des Modellprojekts zeitweise Ressourcenkonflikte zwischen der Zeit, die von ihnen für Fallbearbeitung aufgewandt wurde und der Zeit, die für konzeptionelles Arbeiten (in der präevaluativen Phase) und für die Dokumentation der eigenen Arbeit in der evaluativen Phase (d.h. für die von der wissenschaftlichen Begleitung eingeforderten und angemahnten Aktivitäten) benötigt wurde. 2. Zu Beginn der Projektlaufzeit waren Fragen der Positionierung des Modellprojekts innerhalb der städtischen Administration zu klären. Die doppelte Anbindung an das Sozialdezernat einerseits, das Referat für Gleichstellungsfragen andererseits brachte es mit sich, dass Fragen der Dienst- und Fachaufsicht über die Mitarbeiter des Modellprojekts geklärt werden mussten. Ein Ergebnis dieser anfänglichen Regelungslücke war die Einrichtung der sog. Steuerungsgruppe, in der der Kommunale Sozialdienst (in Vertretung des Sozialdezernats) und das Referat für Gleichstellungsfragen (in Vertretung 587 des Oberbürgermeisters), der Projektkoordinator, eine VertreterIn des Runden Tisches „Gewalt gegen Ältere“ sowie die wissenschaftliche Begleitung in beobachtender Funktion vertreten waren. 3. Das Team des Modellprojekts rekrutierte sich im wesentlichen aus einer beruflichen Sparte, nämlich der Sozialpädagogik / Sozialar470 beit . Vielzahl und Verschiedenartigkeit der bereits nach dem Antrag der Stadt Hannover an das BMFSFJ zu erwartenden Aufgaben und Problemfelder hätten aus der Perspektive der wissenschaftlichen Begleitung ein höheres Maß an Multiprofessionalität angeraten erscheinen lassen. Die Konzentration auf den Bereich der Sozialpädagogik und das Fehlen von ExpertInnen aus dem Bereich der Psychologie haben im vorliegenden Fall z.B. den Umgang mit mutmaßlichen psychischen Erkrankungen von AnruferInnen und Ratsuchenden erschwert. Angesichts der großen Bedeutung der Thematik der häuslichen Pflege würde eine Fachkraft aus dem Bereich der Pflege bzw. Pflegewissenschaft das Team bereichern. Die Vorteile multidisziplinären Arbeitens im Bereich der Misshandlung und Vernachlässigung alter Menschen werden in der Literatur vielfach betont (vgl. unter anderem GREENBERG, 1996; KINGSTON & PENHALE, 1994; LACHS & FULMER, 1993; MCGUINNESS, 1992; PARIS, 1996; REIS & NAHMIASH, 1995; ROSS & HOFF, 1995; WOLF & PILLEMER, 1994). Als wegweisend im Hinblick auf Multiprofessionalität und interdisziplinäre Teamarbeit können in Deutschland u.a. die Münchner Beschwerdestelle, das Pflegetelefon Hamburg, Handeln statt Misshandeln in Bonn und das PflegeNotTelefon Schleswig-Holstein gelten (vgl. Kap. 6.3.2.6). 4. Zu beleuchten ist das Verhältnis des erklärten Zuständigkeitsbereiches des Modellprojekts – Präventions- und Interventionsarbeit in Bezug auf Gewalt gegen ältere Menschen im persönlichen Nahraum – zur tatsächlichen Spannweite der Arbeitsfelder und Themen. Im Rahmen des Modellprojekts wurden – teilweise mit beachtlichem Kräfteeinsatz – Aktivitäten durchgeführt, die den inhaltlichen Kern dieses Projektauftrags sicherlich noch berühren, ebenso sicher aber nicht zentral treffen. Ein Beispiel hierfür ist das Projekt „Schattenseiten“, in dessen Verlauf vier ältere Menschen unter entsprechender Anleitung mit Mitteln der bildenden Kunst verschiedene Aspekte des Alters darstellten (vgl. Kap. 6.2.5.1.2). Auch der im Stadtbezirk Vahrenheide-Sahlkamp erstellte Beratungsführer (vgl. Kapitel 6.2.6.3.2) – eine losgelöst von der Kernthematik des Modellprojekts sicherlich begrüßenswerte Initiative – weist diese Merkmale auf. 470 Der Projektkoordinator war zudem Dipl.-Pädagoge, und eine Mitarbeiterin verfügte über einen Abschluss als Dipl.-Sozialgerontologin. 588 Zur Entstehung einer solchen partiellen Diskrepanz zwischen der Verwendung des Gewaltbegriffs im Projekttitel und den tatsächlich behandelten Themen bieten sich mehrere Erklärungen an, die im Folgenden kurz vorgestellt werden sollen: Im Zuge der Bearbeitung des Problems stellt sich möglicherweise heraus, dass die (manifeste) Nachfrage nach den zunächst vorgesehenen Dienstleistungen kleiner ist als erwartet, dass möglicherweise sogar das soziale Problem, welches der Installation des Modellprojekts zu Grunde lag, nicht in dem angenommenen Maße existiert (vgl. SKELLY, 1997). In diesem Fall kann die Erweiterung der Angebotspalette und des faktischen Zuständigkeitsbereiches eine Methode sein, um eine bessere Deckung zwischen Angebot und Nachfrage herzustellen. Diese Strategie kann zugleich an den Interessen potenzieller NutzerInnen orientiert sein und der Legitimation der weiteren Existenz des Angebots dienen. • Im Falle des Modellprojekts Hannover sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusammengetroffen, die über mehrjährige sozialarbeiterische bzw. sozialpädagogische Berufserfahrung in Diensten der Stadt Hannover verfügen und zuvor mit Problemen der Gewalt gegen Ältere nicht oder nur wenig befasst waren. Je globaler und je weniger inhaltlich präzisiert die Vorgaben eines Modellprojekts sind, desto wahrscheinlicher wird in einer solchen Konstellation – zumindest bei schwacher externer Kontrolle des Projekts – auf bewährte und geübte Arbeitstechniken und mit diesen Techniken traktierbare Inhalte und Problemfelder zurückgegriffen, desto stärker können auch individuelle Vorlieben für bestimmte Zielgruppen, Inhalte und Methoden zum Tragen kommen. • Schließlich trägt auch der – insgesamt positiv zu beurteilende – Vernetzungsgedanke den Kern einer thematischen Ausweitung in sich. Die Kooperation mit einer Vielzahl von Gruppierungen, Institutionen und Individuen mit je spezifischen Aufgaben, Interessen, Ressourcen und Kompetenzen führt dazu, dass an die thematischen Schwerpunkte der Kooperationspartner angeknüpft wird (und werden muss). Im vorliegenden Fall war – außer den Einrichtungen, auf welche das Konzept des Modellprojekts zurückgeht (Runder Tisch, Gleichstellungsreferat, Kommunaler Sozialdienst) – keiner der lokalen Kooperationspartner zuvor an zentraler Stelle mit dem Problem ´Gewalt gegen Ältere im Nahraum´ befasst. • Eine gewisse Diskrepanz zwischen der programmatischen Verwendung des Gewaltkonzepts und den Gegenständen, die tatsächlich verhandelt, den Aktivitäten, die durchgeführt werden, ist keineswegs nur für das Modellprojekt in Hannover charakteristisch. Sie findet sich vielfach auch 589 in Diskussionen um „Gewalt in der (professionellen) Pflege“, die Gewalthandlungen von Pflegenden gegenüber Pflegebedürftigen gerade nicht so gerne thematisieren wollen, vielmehr den Skandalisierungsbegriff „Gewalt“ verwenden, um auf Belastungen von Pflegekräften und die gesetzlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen der Versorgung pflegebedürftiger Menschen aufmerksam zu machen. Ausweitungstendenzen sind in Publikationen anderer im Feld „Gewalt gegen Ältere“ tätiger Organisationen zu beobachten, wenn Phänomene unter den Gewaltbegriff subsumiert werden, die nicht Gewalthandlungen im engeren Sinne darstellen, sondern z.B. strukturelle Defizite in Lebensund Arbeitsbedingungen im Bereich der stationären Altenhilfe (vgl. das Memorandum „Für eine menschenwürdige Pflege“ der AKTION GEGEN GEWALT IN DER PFLEGE, 1999; dort werden u.a. genannt: unzureichende Qualifikation des Personals in Pflegeeinrichtungen, „enger, verrichtungsbezogener Pflegebegriff“, unzureichende Mitwirkung und Mitbestimmung der Heimbewohner) oder zwar kriminelles Unrecht, aber keine gewaltförmige Viktimisierung bezeichnen (vgl. die Arbeiten von HIRSCH & KRANICH, 1999, und KRANICH & HIRSCH, 1999, zur Gewalt im öffentlichen Raum, in denen unter der Überschrift „Gewalt“ auch Delikte wie Diebstahl und Betrug behandelt werden). Im Unterschied zu den genannten Beispielen ist für das Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ nicht so sehr eine ausweitende Verwendung des Gewaltbegriffs als vielmehr eine Ausweitung des bearbeiteten Themenbereichs über den Gewaltbereich hinaus bei gleichzeitigem Verzicht der programmatischen Anwendung des Wortes „Gewalt“ in wenigstens einem Teil dieses so erweiterten Aktivitätsfeldes charakteristisch. Die MitarbeiterInnen des Modellprojekts, die den Gewaltbegriff im Titel ihrer Institution nicht gewählt, sondern quasi vorgefunden und mit ihrer Berufsbiographie verbunden haben, haben die – im Grundsatz auch von der wissenschaftlichen Begleitung befürwortete (vgl. Kap. 8) – thematische Erweiterung des Projekts über den Bereich „Nahraumgewalt gegen Ältere“ hinaus vorgenommen. Grundsätzlich sollte bei derartigen Projekten dann auch die programmatische Verwendung des Gewaltbegriffs aufgegeben bzw. auf ein angemessenes Maß reduziert werden. Wenn immer wieder auch solche Verhaltensmuster mit dem Etikett „Gewalt“ versehen werden, die sich selbst mit einem weitgefassten Alltagsverständnis dieses Begriffes nicht vereinbaren lassen, wird das – durchaus positiv nutzbare – Skandalisierungspotenzial des Gewaltkonzepts sich abnutzen und möglicherweise ins Gegenteil verkehren. 590 7.3.4 Schlussfolgerungen und Empfehlungen für die Planung und Ausgestaltung öffentlich geförderter Modellprojekte Wie bereits in Kapitel 7.2.3 im Hinblick auf Begleitforschungsprojekte werden hier auf der Grundlage der Erfahrungen im Rahmen der Begleitung und Evaluation des Hannover-Projekts einige allgemeine Empfehlungen zur Planung und Ausgestaltung öffentlich geförderter Modellprojekte formuliert. Die spezifischen Empfehlungen zum künftigen Umgang mit der Problematik der Nahraumgewalt gegen ältere Menschen werden in Kapitel 8 dargestellt und diskutiert. 1. Modellprojekte sollten, bevor sie in die Praxisphase eintreten, planerisch so weit konkretisiert sein, dass sie anschließend an den formulierten Handlungsplänen und Zielsetzungen gemessen werden können. 2. Bei der Konzeption von Modellprojekten sollte grundsätzlich die Frage der Angemessenheit und Realisierbarkeit einer multiprofessionellen Besetzung geprüft werden. 3. Aus Sicht der AutorInnen sollten die Kriterien für die Modellhaftigkeit eines Vorhabens primär darauf ausgerichtet sein, dass das konkret in Angriff genommene Projekt für die Lösung des in Frage stehenden Problems geeignet erscheint und dabei qualitativ etwas Neuartiges darstellt; es sollte – auch in noch stärkerem Maße als es in Hannover mit dem Runden Tisch „Gewalt gegen Ältere“ der Fall war – möglich sein, auf einschlägige institutionelle Vorarbeiten aufzubauen. 591 8 Empfehlungen zur Gestaltung von Hilfeangeboten für von Nahraumgewalt bedrohte und betroffene ältere Menschen Allgemeine Vorbemerkungen zum Charakter der Empfehlungen Die im Folgenden ausgesprochenen Empfehlungen sind vor dem Hintergrund der bereits ausführlich erörterten forschungspraktischen Restriktionen zu sehen. Sie beziehen sich auf empirische Befunde der Begleitforschung, sind aber in der Regel nicht vollständig aus diesen allein ableitbar. Der somit in ihnen enthaltene „interpretative Überschuss“ ist zum einen wiederum Ausdruck der im Rahmen der Begleitforschung nur sehr begrenzt möglichen Effektmessungen, zum anderen wird er gespeist aus der Rezeption in- und ausländischer Literatur und aus weiteren im Verlaufe der Dokumentation und Evaluation des Modellprojekts gesammelten Erfahrungen und darauf basierenden konzeptuellen Überlegungen. Während für die Evaluation des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ die gleichen Einschränkungen gelten, die bis heute weite Bereiche der elder abuse-Forschung kennzeichnen (vgl. 471 dazu ausführlich CARP, 2000) , ist zugleich hervorzuheben, dass im vorliegenden Falle überhaupt die Begleitung und Evaluation eines praktischen Projekts in Auftrag gegeben und durchgeführt wurde. CHALK & KING hatten noch 1998 für den Bereich der Vereinigten Staaten das nahezu völlige Fehlen von Evaluationen von Interventionsprogrammen im elder abuse-Bereich konstatiert. Wenn CARP (2000, S. XV) vorherrschende Tendenzen in der Literatur zum Bereich des domestic elder abuse mit der Formulierung „the goal is not to extend understanding of the phenomenon but rather to instruct intervenors in how to behave“ charakterisiert, so nimmt die vorliegende Studie einen Sonderstatus hinsichtlich der beiden grundlegenden Zielsetzungen ´Vermehrung von Wissen über den Gegenstandsbereich´ und ´Vermittlung praktischer Handlungsanleitungen‘ ein. Sie hat Erkenntnisse sowohl über den Problembereich ´häusliche Gewalt gegen 472 Ältere‘ als auch über das darauf bezogene Handeln der Beraterinnen und Berater erbracht. Bereits von ihrer Auftragstellung her zielt sie we471 Dazu gehören vor allem die weitgehende Beschränkung auf ´anfallende Stichproben´, das Fehlen geeigneter Kontrollgruppen, die Unmöglichkeit der Randomisierung, der exakten Operationalisierung und sauberen Messung von Effekten im Rahmen eines Prä-PostDesigns. 472 Dies natürlich nur in dem Rahmen, der durch die weitgehende Beschränkung auf im Rahmen des Projekts bearbeitete Fälle entsteht. 592 sentlich darauf ab, praktische Handlungsempfehlungen für die Ebene 473 politischer Entscheidungsträger zu erarbeiten . 8.1 Die Frage der thematischen Spezifität von Hilfeangeboten Unsere nachfolgend erläuterte und begründete Ausgangsthese lautet: Für ein spezifisches Beratungsangebot „Hilfe bei häuslicher Gewalt im Alter“ gibt es auf lokaler Ebene wahrscheinlich keine hinreichende Nachfrage. Der Aufbau thematisch weiter gefasster Beratungsdienste für ältere Menschen und für Probleme des Alters und Alterns auf kommunaler Ebene ist hingegen zu befürworten. Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist die Feststellung, dass es sich bei dem Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ um ein thematisch hochspezifisches Angebot handelte. Insbesondere angesichts der zur Nutzung des Modellprojekts präsentierten Daten stellt sich die Frage, inwieweit diese Spezifität sich als funktional erwiesen hat. Hilfeangebote im psychosozialen Feld können in vielfacher Hinsicht mehr oder weniger spezifisch sein. Unterschiede bestehen hinsichtlich des Problembereichs, für den das jeweilige Hilfeangebot konzipiert ist, • der angesprochenen Zielgruppen (wiederum differenzierbar nach Variablen wie Alter, Geschlecht, soziale Lage) und • der Art der angebotenen Hilfen (Beratung, Therapie, materielle Unterstützung, Hilfe bei alltagspraktischen Verrichtungen etc.). • Im Folgenden wird vor allem die Frage einer angemessenen thematischen Spezifität erörtert. Bereits im Titel des Modellprojekts sind mindestens drei Spezifikationen erkennbar. Diese beziehen sich zunächst auf das mit dem Konzept „Gewalt“ umrissene soziale Problem, ferner auf den Problemkontext, der mit dem Begriff des „persönlichen Nahraums“ beschrieben wird und schließlich auf die von dem Problem betroffene Personengruppe („ältere Menschen“). 473 Nach Einschätzung von CARP (2000, S. 21) haben Praktiker wie politische Entscheidungsträger sich seit Beginn der Thematisierung häuslicher Gewalt gegen Ältere auf der Suche nach Information und Unterstützung auch an die Wissenschaft gewandt, nehmen den ihnen zugänglichen Ertrag der Forschung aber bislang als wenig hilfreich wahr („practicioners continue to be disappointed at the scarcity of research information that would help them”). Auch im Hinblick auf solche – sicherlich nicht nur in den Vereinigten Staaten anzutreffenden – Erwartungshaltungen werden in diesem die Arbeit abschließenden Kapitel ausdrückliche Handlungsempfehlungen formuliert. 593 Diese Beschränkungen waren dem Modellprojekt von den Initiatoren und Auftraggebern vorgegeben. In allen drei Fällen handelte es sich um unbestimmte bzw. im Verlaufe der Projektdurchführung noch zu bestimmende Begriffe. Das Modellprojekt hat diese Begriffsinterpretation in Bezug auf den Gewaltbegriff eher weit, in Bezug auf die Bestimmung dessen, was den persönlichen Nahraum älterer Menschen ausmacht, eher restriktiv vorgenommen. Während eine Arbeitsdefinition des Gewaltbegriffs in Anlehnung an die Taxonomie von Margret DIECK (1987) gewählt wurde, welche das Gewaltkonzept weder auf die physische Handlungs- und Wirkungsebene noch auf aktives Handeln beschränkt, vielmehr darunter auch finanzielle Ausbeutung, psychischen Zwang, verbale Aggressivität und das Unterlassen bestimmter rechtlich oder moralisch gebotener Handlungen fasst, wurde der Begriff des persönlichen Nahraums so definiert, dass nur solche Viktimisierungen als einschlägig galten, die in der privaten Häuslichkeit sich ereigneten und zugleich von wichtigen Bezugspersonen der betroffenen Person ausgingen. Damit blieben vor allem Viktimisierungen in stationären Pflege474 einrichtungen und ähnlichen Sonderwohnformen ausgeklammert, aber auch Delikte, die von Fremden in der Wohnung der Betroffenen begangen werden. In der praktischen Arbeit des Modellprojekts wurde diese enge Vorgabe nicht streng beachtet. Es wandten sich zahlreiche Personen rat- und beratungssuchend an das Modellprojekt, deren Probleme sich nicht unter die Kategorie „Gewalterfahrungen im Nahraum“ subsumieren ließen. 475 Das Modellprojekt hat diese Fälle in der Regel bearbeitet , und auch in Bereichen, in denen Themen nicht von KlientInnen an das Projekt herangetragen, sondern von den MitarbeiterInnen selbst ausgewählt und gestaltet wurden, ging die Arbeit des Projekts über den engen Bereich der Gewalt gegen Ältere im häuslichen Bereich und durch Bezugspersonen hinaus. Auch diese thematisch erweiterten Angebote fanden – sieht man von den kaum genutzten Stadtteilsprechstunden ab – Zuspruch in den angesprochenen Zielgruppen. Die Erfahrungen in Zusammenhang mit dem Modellprojekt in Hannover legen für einen großstädtischen Ballungsraum den Schluss nahe, dass es für ein spezifisches lokales Beratungsangebot „Hilfe bei häuslicher Gewalt im Alter“ keine hinreichende Nachfrage gibt. Für ländlich struktu474 Die zunehmende Diversifikation der Angebotsstruktur – Betreutes Wohnen und andere Formen des Wohnens mit Serviceoptionen – macht die kategoriale Abgrenzung von ´privater Häuslichkeit´ und (als nicht-privat definierter) stationärer Altenhilfeeinrichtung immer schwieriger. 475 Soweit Verweisungen an andere Einrichtungen erfolgten, gingen diese nur zum Teil auf eine Verletzung strikt interpretierter Gewalt- oder Nahraumkriterien zurück. 594 rierte Regionen wäre ein noch ungünstigeres Verhältnis zwischen Kosten der Bereitstellung des Angebots, Nachfrage und (räumlicher) Nähe des Angebots zu den Adressaten zu erwarten. Zugleich sprechen die Erfahrungen mit dem Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ für den Aufbau eines auf die Gruppe älterer Menschen zugeschnittenen Beratungsangebots; dieses Angebot sollte thematisch weit gefasst sein, Gewalterfahrungen älterer Menschen aufgreifen, sie jedoch weder in der Benennung des Angebots noch in der weiteren Außendarstellung in eine allzu dominierende Position rücken. Ein solches psychosoziales Angebot für Ältere sollte der Heterogenität des Alters und des Alterns und der Vielgestaltigkeit von Problemlagen im Alter Rechnung tragen und neben Gewalt- und sonstigen Opfererfahrungen älterer Menschen Themen wie soziale Isolation, Depressivität, Suizidalität, Ausgrenzung und Diskriminierung und den Umgang mit körperlicher 476 wie psychischer Krankheit und Gebrechlichkeit aktiv aufgreifen . Das Modellprojekt hat einen entsprechenden Prozess der thematischen Öffnung selbst in Angriff genommen. Viele Projektaktivitäten lassen sich thematisch kaum unter ein noch so weit gefasstes Gewaltpräventionskonzept subsumieren; auch in der Namensgebung wurde – so etwa beim „Krisen- und Beratungstelefon im Alter“ – auf die Verwendung des Wortes „Gewalt“ zum Teil gänzlich verzichtet. Gegen die These einer zu starken thematischen Spezifität eines Beratungsangebots für ältere Menschen, die in ihrer häuslichen Umgebung Gewalt durch nahe Bezugspersonen erleiden, könnte vorgebracht werden, ein spezifischer Beratungsbedarf existiere sehr wohl, es sei dem Modellprojekt jedoch nicht gelungen, ihn zu wecken. Ein solches Argument erfährt gewisse Unterstützung durch die Ergebnisse der Öffentlichkeitswirksamkeitsstudie (vgl. Kap. 6.2.4), welche den Schluss nahe legen, dass das Modellprojekt und seine Angebote nur einem kleinen Teil der Allgemeinbevölkerung über 35 Jahren bekannt waren. Viele erwachsene Bürgerinnen und Bürger der Stadt Hannover haben also nie etwas von dem Modellprojekt erfahren oder können sich zumindest an entsprechende Informationen nicht erinnern. Derartige Befunde sind allerdings vor dem Hintergrund der Selektivität 476 Bei der Gestaltung von Beratungsangeboten für Ältere kann die explizite Setzung einer unteren Altersgrenze entfallen, so lange die Inanspruchnahme derartiger Beratungsleistungen nicht gesetzlich geregelt und dabei (wie etwa im Kinder- und Jugendhilfegesetz) an ein bestimmtes Alter gebunden wird. Hier sollte vielmehr den Hilfesuchenden selbst die Zuordnung zu der Adressatengruppe überlassen werden; wie die Zielgruppe benannt wird (Senioren, alte Menschen, Ältere, ´drittes Lebensalter´ etc.), ist eine sekundäre Frage. 595 und Bedürfnis- und Interessengeleitetheit von Informationssuche, In477 formationsaufnahme und Informationsspeicherung zu sehen . Gegen die Annahme, dass vorhandener spezifischer Hilfe- und Beratungsbedarf zum Thema „Gewalt gegen Ältere im Nahraum“ nicht aktiviert wurde, spricht zunächst der Umstand, dass das Modellprojekt einen deutlichen Schwerpunkt seiner Tätigkeit gerade auf den Bereich 478 der Öffentlichkeitsarbeit gelegt hat . Ferner ist der von älteren Menschen an das Modellprojekt herangetragene Beratungs- und Hilfebedarf thematisch so breit gestreut, dass er selbst unter einen extrem weit gefassten, vom Alltagsverständnis weitestgehend abgelösten Gewaltbegriff nicht mehr subsumiert werden kann. Es scheint also in der Zielgruppe Bedarf an psychosozialen Hilfeangeboten zu bestehen, der durch bereits existierende Einrichtungen nicht in hinreichendem Maße gedeckt wird und thematisch weit über die Gewaltproblematik hinaus479 geht . Hochspezifischer, exakt auf die Problematik „Nahraumgewalt gegen Ältere“ zugeschnittener Hilfebedarf, welcher die Kapazität einer ganz darauf zugeschnittenen Einrichtung ausschöpfen würde, ist nicht hinreichend vorhanden oder mit vertretbarem Aufwand nicht aktivierbar. Es kann mit Recht eingewandt werden, die Kriterien für „hinreichenden Hilfebedarf“ seien gerade angesichts der hier behandelten Thematik schwer zu bestimmen. Immerhin gab es Fälle häuslicher Gewalt, die an das Projekt herangetragen wurden, und es ist keine sichere Aussage darüber möglich, inwieweit diese Fälle auch von anderen Beratungsinstitutionen aufgegriffen worden wären. Angesichts der Tatsache, dass wir es auch mit schwerwiegenden Problemlagen, z.T. mit der Gefahr einer Eskalation oder Chronifizierung zu tun haben, erscheint es tatsächlich problematisch, konkrete Fallzahlen zu benennen, unterhalb derer die Einrichtung und Unterhaltung einer thematisch so spezifischen Institution nicht sachangemessen erscheint. Im Hinblick auf die grundsätzlichen Knappheit vorhandener Ressourcen ist aber zugleich zu überlegen, wie diese möglichst zielgerichtet und effizient eingesetzt werden 477 Wer aktiv nach einem solchen Angebot gesucht hätte, wäre – angesichts der intensiv betriebenen Öffentlichkeitsarbeit des Modellprojekts – wahrscheinlich fündig geworden; wer en passant aufgenommene Informationen über die Angebote des Modellprojekts als für sich irrelevant dekodiert, erinnert sich später in der Befragung wahrscheinlich nicht daran. 478 Bei außerhalb von Modellversuchen „im Normalbetrieb“ arbeitenden Beratungseinrichtungen, wäre wohl eher nicht zu erwarten, dass ähnlich umfangreiche Zeit- und Personalressourcen für die Öffentlichkeitsarbeit genutzt werden können. 479 Es ist anzunehmen, dass die Verwendung des Gewaltbegriffs im Titel des Modellprojekts die Abschöpfung dieses unspezifischen Hilfebedarfs nicht gefördert hat, dass KlientInnen Angebote des Modellprojekts (z.B. das Krisen- und Beratungstelefon im Alter) in Anspruch genommen haben, ohne sich der Anbindung des Angebots an ein gewaltpräventives Projekt bewusst zu sein bzw. sich an ein Modellprojekt „für Ältere“ wandten, obwohl sie ihr Problem nicht als eines von „Gewalt im Nahraum“ interpretierten. 596 können. Im folgenden Abschnitt werden wir deutlich machen, dass wir durchaus dafür plädieren, Präventions- und Interventionsmaßnahmen im Bereich der Gewalt gegen Ältere zu verstärken; dabei kommt einer problemangemessenen Integration der Thematik in bereits bestehende Einrichtungen große Bedeutung zu. 8.2 Integration der Thematik „Nahraumgewalt gegen Ältere“ in bereits bestehende Hilfe- und Beratungsangebote Die folgenden Überlegungen zur Integration der Thematik „Nahraumgewalt gegen Ältere“ verfolgen zwei Zielrichtungen. Zum einen geht es darum, zu überprüfen, inwieweit dieses Problemfeld sinnvoll von bestehenden Institutionen aufgegriffen und systematisch in deren Arbeitsbereich integriert werden kann; zum anderen gehen wir der Frage nach, inwieweit Teilbereiche dessen, was als Nahraumgewalt gegen Ältere bezeichnet werden kann, tatsächlich als Altersprobleme aufgefasst und entsprechend institutionell zugeordnet werden sollten und inwieweit andere Problemsichten – etwa eine geschlechterbezogene Perspektive – mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Lokalisierung und Gestaltung von Hilfeangeboten – angemessener erscheinen. Zur Frage der Angemessenheit einer primär altersbezogenen Konstruktion des Problemfeldes Bevor Angebote zum Problemfeld der Gewalt gegen ältere Menschen eingerichtet werden, sollte zunächst geprüft werden, ob ein altersbezogener Zugang zu den in Frage stehenden Problemen notwendig und angemessen ist. Bisher oft unter dem wenig trennscharfen Sammelbegriff „Gewalt“ zusammengefasste Delikte, Konflikte und Missstände bedürfen dabei differenzierter und differenzierender Betrachtung und entsprechender Gestaltung von Maßnahmen. Wesentliche – sich nicht wechselseitig ausschließende – Problemkreise innerhalb der Gesamtthematik „Nahraumgewalt gegen Ältere“ sind: • • • Gewalt in Partnerschaften älterer Menschen, intergenerationale Gewaltakte in Familien, vielfältige Probleme sowie Gewalt in häuslichen Pflegebeziehungen. Zur Bearbeitung dieser Problemfelder erscheinen je spezifische institutionelle Zugänge und Arbeitsweisen geeignet. • Von Gewalt in Partnerschaften älterer Menschen (insbesondere außerhalb von Pflegebeziehungen) sind – soweit schwerwiegende 597 Formen angesprochen sind – vor allem Frauen betroffen. Die Problematik ist primär nicht als altersbezogenes Problem zu betrachten, sondern als die Fortsetzung geschlechtsbezogener Formen der Ge480 waltausübung ins höhere Erwachsenenalter hinein . Sie kann grundsätzlich sinnvoll durch bestehende Hilfeangebote für Frauen abgedeckt werden, wenn die entsprechenden Institutionen Gewalterfahrungen auch älterer Frauen explizit zu ihrem Gegenstand machen und ihre Angebote entsprechend ausbauen, verändern und die Zielgruppe direkt ansprechen. Dazu ist es erforderlich, dass Frauenhäuser, Notrufeinrichtungen für von häuslicher Gewalt betroffene Frauen etc. in ihrem Selbstverständnis wie in ihrer Außendarstellung und ihren konkreten Angeboten die Gruppe der älteren Frauen und ihre spezifischen Bedürfnisse einbeziehen und berücksichtigen. • Die von dem Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ wie von anderen Einrichtungen bearbeiteten Fälle, einschlägige Studien (u.a. die in Kapitel 1 dargestellten Untersuchungen von Karl PILLEMER), aber auch die im Exkurs im Anschluss an Kapitel 6.2.2.4 dargestellten Fälle zeigen, dass die Gruppe der intergenerationalen Gewalthandlungen gegenüber Älteren kein homogenes Bild bietet. Sowohl ökonomisch motivierte Delikte als auch schwerwiegende, von massiv gestörten Personen begangene Gewaltakte sind der Prävention und Intervention via Beratung nur in begrenztem Maße zugänglich. Soweit Gewaltdelikte aus langjährig konflikthaften familiären Beziehungen erwachsen, ist an Intervention durch Familienberatungseinrichtungen zu denken, von denen gleichfalls eine grundsätzliche Erweiterung des Blicks vom Verhältnis der mittleren Generation zu Kindern und Jugendlichen auf das der Älteren zu den ihnen nachfolgenden Generationen zu leisten wäre. • Insbesondere im Hinblick auf jüngere TäterInnen stellen ältere Gewaltbetroffene eine besondere Opfergruppe dar, die sich – nicht in jedem Einzelfall, aber in ihrer Gesamtheit – durch eine erhöhte Vulnerabilität und geringere Möglichkeiten, sich gegen Viktimisierungen zur Wehr zu setzen und sich aktiv Hilfe und Unterstützung zu beschaffen, auszeichnet. Hier haben wir es also unter dem Gesichtspunkt der Verletzlichkeit des Opfers und der damit einhergehenden günstigen Tatgelegenheiten mit einem partiell altersspezifischen Problemfeld zu tun. Neben Familienberatungseinrichtungen kommen auch hier wieder Institutionen aus dem Handlungsfeld „Gewalt gegen Frauen“ als fallbearbeitende Instanzen in Frage. Ferner ist an die in Kapitel 8.1 skizzierten, thematisch breit gefassten Beratungsangebote für ältere Menschen zu denken. In der Reaktion auf derartige De480 CHEZ (1999) spricht sich dafür aus, die lebensgeschichtliche Kontinuität familiärer Gewalt bei älteren Frauen zu einem zentralen Thema der elder abuse-Diskussion zu machen. 598 likte kommt ferner Strafverfolgungsbehörden und Opferschutzorganisationen große Bedeutung zu. • Soweit es um unter den Gewaltbegriff subsumierbare Probleme in der Pflege geht, stoßen Prävention und Intervention via Beratung auch an strukturelle Grenzen; zu ihnen gehören die unzureichende Berücksichtigung des Betreuungsbedarfs dementiell Erkrankter im Rahmen des Pflegeversicherungsgesetzes und knapp bemessene, zum Teil ebenfalls auf einem zu engen Begriff von Pflegebedürftigkeit aufbauende Zeitvorgaben im Rahmen der Pflegeversicherung. Zugleich gibt es im Problemfeld „Misshandlung und Vernachlässigung in der häuslichen Pflege“ viele Ansatzpunkte zur Gewaltprävention via Information, Beratung, Schulung und Organisation von Entlastungsmaßnahmen für pflegende Angehörige. Von besonderer Bedeutung sind Beratung und Information im Vorfeld des Eingehens einer Pflegebeziehung, die Vermittlung von Wissen und Handlungskompetenzen an Pflegende, die sozial-emotionale und pflegerische Unterstützung und Entlastung familiärer Pflegepersonen durch Gesprächskreise, ambulante und teilstationäre Pflegedienste (Tages-, Nacht- und Kurzzeitpflege) sowie geeignete Formen ehrenamtlich erbrachter Dienstleistungen. • Misshandlung und Vernachlässigung in der Pflege sind Probleme, von denen in der Mehrzahl ältere Menschen betroffen sind (weil sie das Gros der Pflegebedürftigen stellen); sie sind jedoch vor allem als mit Pflegebedürftigkeit und der gesellschaftlichen Organisation und Finanzierung von Pflege assoziierte Probleme zu betrachten, von denen jüngere Pflegebedürftige und ihre Pflegepersonen grundsätzlich in ähnlicher Weise betroffen sein können. Integration der Thematik „Nahraumgewalt gegen Ältere“ in bestehende Hilfe- und Beratungsangebote und die Etablierung neuer Beratungsstrukturen Im Hinblick auf eine mögliche Integration der Thematik „Nahraumgewalt gegen Ältere“ in vorhandene Strukturen sind u.a. folgende Fragen und Überlegungen bedeutsam: • Wo bearbeiten bestehende Hilfe- und Beratungsangebote bereits jetzt Problemfelder, die in sinnvoller Weise unter das Konzept der Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum subsumiert werden 481 können? 481 Das Modellprojekt hat in den Jahren 1998 bis 2001 ein Thema bearbeitet, welches erst in den 90er Jahren in Deutschland allmählich zu einem Gegenstand (fach-)öffentlichen Interesses wurde. Nunmehr unter dem Konzept „Gewalt gegen Ältere“ angesprochene Probleme dürften auch zuvor bereits existiert haben. Es ist davon auszugehen, dass damals Gewaltbetroffene wenigstens partiell andere, weniger spezifische (formelle und informelle) Hilferes- 599 Wo besteht von professioneller Seite bereits in anderen (Hilfe-) Kontexten Kontakt und ein Vertrauensverhältnis zu älteren Men482 schen? • Wo kann die Angebotsstruktur bestehender Angebote so erweitert oder modifiziert werden, dass bisher nicht erreichte Zielgruppen angesprochen und nicht hinreichend thematisierte Problembereiche bearbeitet werden können? • Im Weiteren wären folgende Fragestellungen relevant: Inwieweit erscheint im Hinblick auf die aktuelle und potenzielle Zuständigkeit bestehender Einrichtungen die Etablierung neuer Angebote erforderlich und angemessen? Zu den dabei zu berücksichtigenden Kriterien gehören u.a. die entstehenden Kosten, der zu erwartende Kompetenz- und Wissenstransfer innerhalb der bestehenden Angebote, die Erreichbarkeit der Zielgruppen, die potenziellen Stigmatisierungseffekte bereits bestehender und neu zu schaffender Einrichtungen. • Für welche Problemfelder und Zielgruppen wird es auch nach einer Aktivierung und Nutzung vorhandener Ressourcen voraussehbar an hinreichenden Hilfeangeboten mangeln? • Inwieweit erscheint es angeraten, für diesen „Restbedarf“ eine spezifische (kleine) Einrichtung zu schaffen bzw. inwieweit können die offenbar noch zu erbringenden Angebote mit anderen zusätzlichen Beratungsbereichen sinnvoll im Rahmen einer neuen Institution zusammengefasst werden? • Inwieweit sind neue Hilfeangebote als dauerhafte oder als temporäre Einrichtungen zu konzipieren? An die temporäre Implementation eines Angebots wäre etwa dann zu denken, wenn seine wesentliche Aufgabe darin besteht, andere Einrichtungen bzw. deren Mitarbeiter für die Problematik zu sensibilisieren und für eine sach- und fachgerechte Fallbearbeitung zu schulen und zu trainieren, wenn die Einrichtung also die Aufgabe hat, ihr spezifisches Wissen und ihre einschlägigen Kompetenzen so weit zu verbreiten, dass sie langfristig entbehrlich wird. • Fälle der Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum werden bereits jetzt – in sehr unterschiedlicher Form – von einer Vielzahl von Instanzen sourcen mobilisiert haben, dass dies in einer unbekannten Zahl von Fällen jedoch nicht gelungen ist. Hinweise auf bestehende institutionelle Bearbeitungsformen von Gewaltfällen ergaben die zu Projektbeginn durchgeführten Interviews mit Fachleuten in Hannover (vgl. Kap. 5.3.3). 482 Dies insbesondere unter der Perspektive, dass sich der Zugang zu älteren Opfern von Gewalt schwierig gestaltet. Es wäre also im Sinne einer besseren Erreichbarkeit der Opfer sinnvoll, wenn Fachleute oder andere Personen, die ohnehin – in anderem Kontext – in Kontakt mit ihnen stehen, in der Lage sind, auch mit Gewaltproblematiken adäquat umzugehen. 600 bearbeitet, ohne dass dieses Problemfeld programmatisch zu ihrem Aufgabenbereich gehören würde. Unter diesen Instanzen sind zu nennen Polizei und Staatsanwaltschaften, vielfältige Beratungseinrichtungen, Allgemein- und FachärztInnen, PsychologInnen, SeelsorgerInnen, MitarbeiterInnen kommunaler Sozialbehörden und von Wohlfahrtsverbänden, ambulante Pflegedienste und gesetzliche BetreuerInnen. Eine explizite Erweiterung des Angebots auf den Problemkreis „Gewalterfahrungen im Alter“ erscheint sinnvoll vor allem im Hinblick auf Hilfeeinrichtungen für von Gewalt betroffene Frauen sowie auf Instanzen der Familienberatung und Familienhilfe. Bei den meisten anderen der o.g. Personen und Institutionen sind in erster Linie das Vermitteln von Informationen über die Thematik „Gewalt im Alter“ sowie Schulungen im Umgang mit Verdachtsfällen der Misshandlung oder Vernachlässigung älterer Menschen angebracht. Darüber hinaus erscheint es sinnvoll, Beratungseinrichtungen zu schaffen, deren Angebote sich speziell an ältere Menschen richten, die Hilfe in einer Vielzahl von Problemlagen des Alters anbieten, dabei auch Gewaltfälle bearbeiten und eng mit anderen lokalen Hilfeeinrichtungen vernetzt sind. Wesentliches Ziel einer solchen Vernetzung sollte die Fähigkeit sein, im Sinne von Case Management Hilfemöglichkeiten aufeinander abzustimmen und vorhandene institutionelle Ressourcen koordiniert zum Einsatz zu bringen (zum Konzept und zur Funktionsweise von Case Management vgl. u.a. BALLEW & MINK, 1986; EWERS & SCHAEFFER, 2000; RAIFF & SHORE, 1997; WENDT, 1997). Vernetzung wurde bereits im Antrag der Stadt Hannover an das BMFSFJ als eine zentrale Aufgabe des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ benannt. Die MitarbeiterInnen haben dieses Prinzip mit Nachdruck umgesetzt; das Weiterwirken der vom Modellprojekt in Hannover in Gang gesetzten Prozesse ist wesentlich als Ergebnis erfolgreicher Vernetzungsarbeit zu betrachten. 8.3 Hilfegrundsätze und bewährte Hilfeansätze im Bereich der Nahraumgewalt gegen Ältere Im Folgenden werden Grundsätze und Formen der Hilfe im Problemfeld „Nahraumgewalt gegen Ältere“ vorgestellt, die nach heutigem Kenntnisstand anhand unterschiedlicher Kriterien als bewährt und auf andere Städte und Regionen übertragbar erscheinen. Dazu wird auf die dreijährige Begleitung und Evaluation des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere 601 im persönlichen Nahraum“ ebenso zurückgegriffen wie auf die im Rahmen der vorliegenden Studie durchgeführten Untersuchungen anderer in- und ausländischer Projekte, schließlich auch auf publizierte Berichte von erfahrenen PraktikerInnen bzw. von Personen aus dem Schnittstellenbereich von Forschung und Praxis. Konzeptuell ist dabei zunächst zu unterscheiden zwischen Hilfegrundsätzen im Sinne handlungsleitender Prinzipien und konkreten Hil483 feansätzen im Sinne der praktischen Umsetzung derartiger Prinzipien . 8.3.1 Handlungsgrundsätze der Prävention und der helfenden Intervention im Handlungsfeld „Nahraumgewalt gegen Ältere“ Insbesondere aus den Vereinigten Staaten und Großbritannien liegen mittlerweile Formulierungen von Handlungsgrundsätzen im Bereich der elder abuse-Arbeit vor. Sofern solche Grundsätze nicht nur a priori formuliert, aus anderen Handlungsfeldern (z.B. Kindesmisshandlung und – missbrauch, Gewalt gegen Frauen) übernommen oder aus noch abstrakteren Prinzipien deduktiv abgeleitet wurden, kommen in ihnen praktisches Erfahrungswissen und z.T. langjährige Lernprozesse zum Ausdruck. In die letztgenannte Kategorie gehört die Arbeit von PRITCHARD (1999b). PRITCHARD charakterisiert die normativen Grundprinzipien psychosozialer Hilfe für von Misshandlung und Vernachlässigung betroffene und bedrohte Menschen durch die Konzepte Selbstbestimmung, Vertrau484 lichkeit und Empowerment . Die herausragende Bedeutung des Prinzips der Selbstbestimmung markiert einen wesentlichen Unterschied zwischen diesem Problemfeld und dem des Schutzes von Kindern vor Gewalt. PRITCHARD führt dazu aus: „Elder abuse is different from child abuse in that we are dealing with adults, who it is generally assumed can make an informed decision (although obviously some adults cannot do so because they are mentally incapacitated). (...) Workers have to come to terms with the fact that one of the basic principles of good practice is self determination and that they must get away from the concept of rescuing people. Victims of elder 483 In der Praxis müssen solche handlungsleitenden Prinzipien nicht immer bewusst, explizit gemacht und in hohem Maße reflektiert sein; gleichwohl steuern sie Handeln in konkreten Situationen. 484 Zu Empowerment-Konzepten vgl. u.a. BEHRINGER (1998), BLANCHARD, CARLOS & RANDOLPH (2000), CLUTTERBUCK & KERNAGHAN (1997), FETTERMAN (1999), KANTER (1998), OLBRICH (1999), STUHLMANN & STUHLMANN (1996). 602 abuse have the right to choose how they live their lives and it is necessary to remember that we all have different values and attitudes and we all have the right to take risks in our lives. A worker should never try to impose their viewpoints onto a client.“ (PRITCHARD, 1999b, S.26). Zentrale Bedeutung kommt hier dem Grundsatz zu, älteren Menschen das Recht zuzugestehen, Risiken einzugehen und Hilfen abzulehnen. Ebenfalls als weitgehend einschlägig für die durch das Modellprojekt behandelte Thematik sind die bei WIEHE (1998, S.159) wiedergegebenen Grundsätze („practice guidelines“) amerikanischer Adult Protective Services zu betrachten. Dazu gehören die folgenden Prinzipien: • • • • • • • Es wird ein klientenzentrierter, individualisierter, sozialarbeiterischer Zugang gesucht. Primäre KlientIn ist die gefährdete ältere Person, nicht die Familie oder andere Akteure aus dem sozialen Umfeld. KlientInnen werden solange als zurechnungs- und entscheidungsfähig betrachtet, bis das Gegenteil durch Fakten belegt ist. KlientInnen werden soweit wie möglich aktiv an der Problemdefinition und an Entscheidungen über den angemessensten Weg zur Problemlösung beteiligt. Solange KlientInnen in der Lage sind, die Konsequenzen ihrer Entscheidungen zu überblicken, haben sie das Recht, Hilfen zurückzuweisen. Es werden die am wenigsten restriktiven Maßnahmen gewählt, die zur Problemlösung geeignet erscheinen; institutionelle Unterbringung und Einrichtung einer Betreuung werden nur im Notfall eingesetzt. Wenn rechtliche Schritte unerlässlich sind, haben die KlientInnen das Recht, ihre Interessen durch einen Anwalt ihrer Wahl vertreten 485 zu lassen . Hilfegrundsätze können – sofern sie auf ihre Übertragbarkeit geprüft werden – auch aus Prinzipien abgeleitet werden, die in anderen Bereichen innerfamiliärer Gewalt entwickelt wurden bzw. eingesetzt werden. In diese Kategorie fallen die von der AMERICAN PSYCHOLOGICAL ASSOCIATION (1996) in Bezug auf den Umgang mit familiärer Gewalt im Allgemeinen programmatisch formulierten Grundsätze. Zu den dort als handlungsleitend definierten Prinzipien gehört es, nicht die Defizite, sondern die positiven Qualitäten der von Gewalt betroffenen Person hervorzuheben, eine eventuell vorhandene Isolation des Opfers zu durchbrechen, andere für den jeweiligen Fall relevante psychische Stö485 Vor allem an den letzten Punkten wird deutlich, dass die amerikanischen Adult Protective Services auch den Bereich self neglect bearbeiten (vgl. Kap. 1.3.1 und Kap. 6.3.3). 603 rungen, insbesondere Suchtprobleme, zu behandeln, der von Gewalt betroffenen Person in angemessenem Maße zu ökonomischer Unabhängigkeit zu verhelfen, das Selbstbewusstsein des Opfers zu stärken und den Bedürfnissen des Opfers (soweit wie möglich auch denen anderer Familienmitglieder) gerecht zu werden. An diesen allgemein für das Problemfeld familiärer Gewalt formulierten Grundsätzen fällt auf – und dies wirft zugleich ein Licht auf die bisherige gesellschaftliche Konstruktion des Problems der Nahraumgewalt gegen Ältere –, dass dort von einer mehr oder weniger eindeutigen Unterscheidbarkeit von Täterund Opferrollen ausgegangen wird. Auf der Basis dieser und anderer Konzepte ergeben sich für die Ausrichtung von Hilfeangeboten für von Gewalt bedrohte und betroffene ältere Menschen vor allem folgende handlungsleitenden Prinzipien: • Achtung vor der Autonomie älterer Menschen Klientinnen und Klienten sollten soweit wie möglich an Entscheidungen über zu ergreifende Maßnahmen beteiligt werden. Dabei gilt es, auch den Wunsch nach Nicht-Intervention zu akzeptieren, so lange die betreffende Person in der Lage ist, die Folgen ihrer Entscheidung 486 zu überschauen. • möglichst geringe Eingriffstiefe der Maßnahmen Bei der Entscheidung zwischen mehreren möglichen Handlungsstrategien und Maßnahmen sollte das Ausmaß des Eingriffs in die Lebensumstände der betroffenen Personen als Kriterium von Bedeutung sein. Dies bedeutet u.a., eine Übersiedlung in vollstationäre Einrichtungen möglichst zu vermeiden bzw. zu verschieben – es sei denn, die betroffene Person wünschte dies ausdrücklich. • Vorrang der primären vor der sekundären und tertiären Prävention Wie in allen gesellschaftlichen Problemfeldern gilt auch hier, dass vorbeugende Maßnahmen besser sind als solche, die erst zum Einsatz kommen, wenn der Schaden bereits eingetreten ist. Interventionen sollten – soweit die Betroffenen damit einverstanden sind – so 487 früh wie möglich im Verlauf der Problemgenese ansetzen. An primäre Misshandlungs- und Vernachlässigungsprävention ist vor allem im Bereich der Pflege und Betreuung pflege- und hilfebedürftiger älterer Menschen zu denken. Alle Maßnahmen, welche die mate- 486 Dass gerade dies im Zweifelsfall schwierig abzuwägen sein kann, liegt auf der Hand, doch halten die VerfasserInnen es für wesentlich, den Grundsatz der Autonomie und des Rechts auf Verweigerung von Hilfen zu betonen. 487 Potenziell besteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem Prinzip der frühzeitigen Intervention und dem der Achtung der Selbstbestimmung der Betroffenen; im Zweifelsfall ist das Recht des kompetenten Klienten, Hilfe abzulehnen, höher einzuschätzen. 604 riellen Rahmenbedingungen familiärer und professionell-ambulanter Pflege verbessern, die Kompetenzen der Pflegenden erhöhen, ihnen Entlastung verschaffen und dazu beitragen, dass familiäre Pflegebeziehungen einvernehmlich und vorbereitet eingegangen werden, haben zumindest potenziell auch präventive Effekte im Hinblick auf Vernachlässigung und Misshandlung in der häuslichen Pflege. • Orientierung an positiven Zielsetzungen Präventions- und Interventionsarbeit sollte nicht alleine auf die Beseitigung eines Missstands ausgerichtet sein. Gewaltbekämpfung und Gewaltkontrolle sind insofern negative Zielformulierungen, als es nur darum zu gehen scheint, etwas – das als „Gewalt“ bezeichnet wird – zum Verschwinden zu bringen oder zumindest zu verkleinern. Gewaltpräventive Arbeit sollte stets auch positive und positiv formulierte Zielsetzungen verfolgen; dazu gehören vor allem die Förderung von Lebensqualität, von Selbstbestimmung sowie von positiven So488 zialbeziehungen. • multiprofessionelles Vorgehen „Nahraumgewalt gegen ältere Menschen“ ist ein sowohl hinsichtlich seiner Erscheinungsformen als auch bezüglich der Ursachen und Entstehungsbedingungen komplexes und in sich vielgestaltiges Phänomen. Dieser Umstand legt einen interdisziplinären und multiprofessionellen Zugang nahe. Multidisziplinarität ist hinsichtlich der Bündelung für eine Fallbearbeitung erforderlicher Kompetenzen notwendig, darüber hinaus bedeutsam im Hinblick auf die Kontaktaufnahme zu der Vielzahl von Fachleuten, mit denen ältere Gewaltopfer zu tun haben können. Hinsichtlich der Arbeitsweise innerhalb einschlägiger Institutionen expliziert PRITCHARD (1999b) eine Reihe von Lektionen, die aus ihrer Sicht vor allem britische Praktiker im Verlauf der 90er Jahre gelernt haben. Diese Schlussfolgerungen beruhen auf Erfahrungen, die sich z.T. in Deutschland erst mit einigen Jahren Verzögerung wiederholen werden; es erscheint sinnvoll, den Weg dorthin partiell abzukürzen und von dem „Vorsprung“ im angelsächsischen Raum zu profitieren. Als zentral betrachtet PRITCHARD multidisziplinäres Vorgehen und Zusammenarbeit über Behörden- und Institutionsgrenzen hinweg. Dieses Erfordernis ergibt sich vor allem aus der Heterogenität und Komplexität 488 Die Perspektivenerweiterung entspricht dem in vielen Feldern zu beobachtenden Prozess der Umorientierung von der Fokussierung von Defiziten auf die Konzentration auf Stärken, im medizinischen Sektor etwa als „Paradigmenwechsel von der Krankheits- hin zur Gesundheitsorientierung“ beschrieben (BUNDESMINISTERIUM FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN UND JUGEND, 2001, S. 104). 605 der zu bearbeitenden Problemlagen; insbesondere sollten Erfahrungen und Kompetenzen, die bei der Bearbeitung anderer Bereiche häuslicher Gewalt (Gewalt gegen Frauen und Kinder) gemacht und erworben wurden, nutzbar gemacht werden. Das nur unzureichend ins Deutsche übersetzbare Postulat „getting commitment“ bezieht sich zum einen auf die allgemeine Öffentlichkeit, die von der Bedeutsamkeit der Thematik erst überzeugt werden müsse, zum anderen auf für das Problemfeld zuständige Institutionen und deren Mitarbeiter. PRITCHARD schlägt gesetzliche Verpflichtungen für Sozialbehörden vor, Richtlinien für das Problemfeld „Gewalt gegen Ältere“ zu erarbeiten. Bei deren Entwicklung und Festschreibung sollten andere relevante Institutionen von vorneherein eingebunden werden. Innerhalb der Behörden sollten die einmal verfassten Richtlinien so schnell wie möglich zur verpflichtenden Handlungsgrundlage für die Mitarbeiter werden. PRITCHARD (1999b, S.19ff.) betont, wie wichtig es sei, solche Handlungsanweisungen innerhalb der Behörde wie darüber hinaus publik zu machen und Rückmeldungen von denjenigen einzuholen, die unmittelbar damit arbeiten. Handlungsleitlinien sollten eindeutig, angemessen kurz, benutzerfreundlich dargestellt und auf die jeweilige 489 Klientengruppe zugeschnitten sein . PRITCHARD (1999b, S.22f.) hebt schließlich die Bedeutung einer systematischen Dokumentation der von den Praktikern bearbeiteten Fälle hervor, ferner die – vielfach durch mangelnde Finanzmittel beschränkte – Notwendigkeit regelmäßiger Fortbildung, die sowohl auf die Schaffung von Problembewusstsein und die Implementation neuer institutioneller Handlungsleitlinien als auch auf die Vermittlung spezifischer Kenntnisse und Fertigkeiten ausgerichtet sein sollte. 8.3.2 Aufgrund der Erfahrungen im Rahmen des Modellprojekts bewährte und übertragbare Handlungs- und Hilfeansätze Aus der Perspektive der wissenschaftlichen Begleitung haben sich vor allem die folgenden im Rahmen des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ praktizierten Handlungs- und Hilfeansätze bewährt: 1. vernetztes Arbeiten, 489 Handlungsgrundsätze sind „tätigkeitsnah“ zu formulieren; es sollte nicht primär darum gehen, ein abstraktes Welt- oder Menschenbild zu propagieren, sondern – auch anhand konkreter Beispiele – die Umsetzung abstrakter Grundsätze in professionelles Handeln deutlich zu machen. 606 2. Integration von Hilfeangeboten in lokal vorhandene Strukturen, 3. Einbindung von MultiplikatorInnen in die Projektarbeit, 4. interdisziplinäres und institutionenübergreifendes Fallmanagement mit klarer Fallverantwortlichkeit, 5. kleinräumiger, dezentraler Bezug, 6. aufsuchende Arbeit und schließlich 7. ein breites Themenspektrum. Die ersten vier genannten Ansätze sind eng miteinander verknüpft. Sie alle beziehen sich darauf, dass erfolgreiche Präventions- und Interventionsarbeit im Bereich der Nahraumgewalt gegen Ältere von Kooperation mit anderen kompetenten und zuständigen Personen und Institutionen lebt. Dies gilt in ganz besonderem Maße für ein Modellprojekt mit von vorneherein beschränkter Dauer. Ein solches Projekt kann Dauerhaftigkeit von Hilfeangeboten nur erreichen, wenn es gelingt, andere Institutionen und Professionen einzubinden, dort Problembewusstsein zu schaffen und zu fördern, den Blick für die individuelle wie gesellschaftliche Bedeutsamkeit von Gewalterfahrungen älterer Menschen zu öffnen und die so Angesprochenen an der Fallbearbeitung zu beteiligen. Kooperation und Vernetzung sind jedoch nicht nur unter dem Gesichtspunkt der dauerhaften Implementation von Hilfen bedeutsam. Das Problemfeld der Gewalt im Alter ist heterogen und komplex, zu seiner Bearbeitung sind vielfältige Kompetenzen und Handlungsmöglichkeiten erforderlich und hilfreich. Die sei an einem hypothetischen Fall verdeutlicht, in dem es im Rahmen einer häuslichen Pflegebeziehung zu wechselseitigen auch körperlichen Aggressionen zwischen der pflegenden und der pflegebedürftigen Person kommt. Hier kann der Hausarzt, der auf Indikatoren der Misshandlung aufmerksam wird und dies gegenüber den Beteiligten anspricht, ein wichtiges Element der Fallbearbeitung sein. Es können psychologische Beratungsdienste eingebunden werden, welche mit den Beteiligten das wiederkehrende Entstehen von Spannungen und Konflikten und die Eskalation bis zur körperlichen Gewalt analysieren und nach Wegen suchen, wie eine solche Entwicklung verhindert werden kann. Sollte sich zeigen, dass die Gewalt in der Pflegebeziehung auf Überlastung der Pflegeperson beruht oder hierdurch begünstigt wird, kann es wichtig sein, zuständige kommunale Behörden, Pflegekassen, Träger von Tages- oder Nachtpflegeeinrichtungen und Anbieter von Gesprächsgruppen für pflegende Angehörige in die weitere Fallbearbeitung einzubinden. Die Liste der potenziellen Kooperationspartner ließe sich fortsetzen, und die hier sehr grob skizzierte Fallkonstellation ist nur eine unter vielen denkbaren, die sich sinnvoll 607 unter das Konzept der Nahraumgewalt gegen Ältere subsumieren lassen. Sowohl in den Stadtteilen als auch stadtteilübergreifend wurden vom Modellprojekt arbeitsfähige Gruppen (Arbeitsgemeinschaften Gewalt im Alter; Arbeitskreis Telefonische Beratung im Alter) entwickelt, die komplexe Aufgaben wie die Entwicklung einer Veranstaltungsreihe, eines Beratungsführers und eines Häuslichen Unterstützungsdienstes bewältigten. Wenn auch diese Produkte nicht primär und vordergründig gewaltpräventiv wirksam waren, bildeten sich doch durch die gemeinsame Arbeit stabile lokale oder stadtteilübergreifende Kooperationsgrundlagen, die über die Projektlaufzeit hinaus wirksam sein können. Diese Art von formell-informellen Netzwerken, entstanden durch die Erfahrung gelungener Kooperation, kann (auch) in der Beratung von Einzelfällen Verweise und Kooperationen erheblich erleichtern und stellt ein Grundprinzip erfolgreicher Arbeit im Problemfeld „Gewalt gegen Ältere“ dar. Bei der Gründung der Arbeitsgemeinschaften stießen die MitarbeiterInnen auf ein (z.T.) bislang nicht abgedecktes, über Informationsaustausch hinausgehendes Kooperationsinteresse, griffen es auf und konnten gemeinschaftliches Handeln unterstützen und moderieren. Bei Kooperationen in konkreten Einzelfällen ist darauf zu achten, dass die Verantwortlichkeit für die Bearbeitung des Falles unter den Partnern klar und explizit geregelt ist, so dass nicht die Gefahr entsteht, dass multiprofessionelle und institutionenübergreifende Zusammenarbeit mit einer Diffusion von Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten einhergeht. Sinnvoll ist die Übernahme klarer Fallverantwortlichkeit durch eine Beratungsinstitution, die fachlich qualifiziert im Bereich Alter und Gewalt ist und über hinreichende Arbeitskapazitäten für auch zeitaufwändige und umfangreiche aufsuchende Begleitungs- und Beratungstätigkeit verfügt. In diesem Sinne ist die vom Modellprojekt vorgeschlagene Krisen- und Beratungsstelle im Alter durchaus empfehlenswert, allerdings erscheint eine Integration in oder Anbindung an bereits existierende Beratungsstrukturen sinnvoller als die Etablierung neuer Beratungsstellen. Einige Fälle von Gewalt gegen ältere Menschen, insbesondere solche mit pflege- oder hilfebedürftigen Opfern, sind sehr gravierend. Adäquate Interventionen durch zuständige FallmanagerInnen, die in enger Kooperation mit zuständigen Professionellen agieren, sind hier angezeigt. Angesichts der im Modellprojekt bearbeiteten Fallkonstellationen sollte Wert gelegt werden auf die Kooperation mit PsychologInnen, PsychiaterInnen, ambulanten Pflegediensten, MedizinerInnen, Krankenhaussozi608 aldiensten, den örtlich zuständigen Familienhilfen, AnwältInnen, Betreuungsstellen, PolizistInnen sowie mit Initiativen, die im Bereich Gewalt gegen Frauen tätig sind. Auch die o.g. Arbeitsansätze 5 und 6 – der kleinräumige, dezentrale Bezug, im vorliegenden Fall in Gestalt der Stadtteilorientierung verwirklicht, und die aufsuchende Arbeit – sind miteinander verknüpft. Hilfen für von Gewalt im Nahraum bedrohte und betroffene ältere Menschen sollten so organisiert sein, dass sie diesen Nahraum optimal erreichen. Dies kann einerseits über eine Ausrichtung der Angebote an überschaubaren Räumen geschehen, andererseits durch sozialarbeiterische Ansätze, welche die KlientInnen in ihrer alltäglichen häuslichen Lebensumwelt aufsuchen. Alter geht oftmals einher mit Einschränkungen der Mobilität sowie der Kommunikations- und Artikulationsfähigkeit. Wenn für Vernachlässigungsdelikte davon ausgegangen wird, dass es auf Seiten der Opfer Zusammenhänge zwischen Viktimisierungsrisiko und Hilfe- und Pflegebedürftigkeit gibt, dann erlangen Versuche, eben die Gruppe der Pflege- und Hilfebedürftigen zu erreichen, besondere Bedeutung. Hilfen für ältere Gewaltopfer im familiären Bereich können nicht alleine darauf ausgerichtet sein, dass die unmittelbar Betroffenen sich eigenständig an die entsprechenden Einrichtungen wenden. Sie müssen die vielfältigen Hindernisse, die einer derartigen Inanspruchnahme entgegenstehen, in Betracht ziehen. Zu diesen Hindernissen gehören nicht nur die erwähnten körperlichen und intellektuellen Einschränkungen, sondern auch vielfältige Ängste, Befürchtungen und Hemmungen der Betroffenen, etwa die mit der Offenbarung einer innerfamiliären Viktimisierung verbundene Scham, die Furcht vor Repressalien seitens der gewaltausübenden Person und die Angst, die Suche nach Hilfe könnte für den Betroffenen letztlich mit dem Verlust des vertrauten Wohnumfeldes und der Übersiedlung in eine stationäre Einrichtung enden. Hilfeangebote sollten diese Einschränkungen und Ängste ernst nehmen, aufsuchende Hilfen anbieten und sich nicht nur an die direkt Gewaltbetroffenen, sondern auch an deren Kontaktpersonen richten. Im Falle des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ zeigten sich die Vorteile einer Kombination von dezentraler Orientierung und Vernetzung. Die lokale Verankerung gewährleistete eine genaue Kenntnis und Orientierung an der Situation vor Ort, Produkte konnten aus den Bedürfnissen im Stadtteil erwachsen. Dieses stadtteilund handlungsbezogene Vernetzungskonzept scheint wegweisend. Bedingungen sind ausreichende Arbeitskapazitäten zur Betreuung solcher Arbeitsgemeinschaften und Verankerung und Anerkennung der betreu609 enden Institution im lokalen bzw. stadtteilübergreifenden professionellen Spektrum. Für ein zentrales und übertragbares Merkmal von Hilfeangeboten für ältere Gewaltopfer halten wir schließlich eine thematisch breite Orientierung. Eine solche war dem Modellprojekt programmatisch nicht vorgegeben; sie erwies sich für die Projektpraxis jedoch als konstitutiv. Im Rahmen der vom Modellprojekt geleisteten Beratung wurde Bedarf nach einem inhaltlich breit gefächerten Beratungsangebot deutlich. Es kristallisierten sich Problembereiche heraus, die auch, aber nicht nur im Kontext von Gewalt stehen. Dazu gehören Probleme rund um die Pflege älterer Menschen; sie können im Rahmen von trägerneutralen und qualifizierten Pflegeberatungsstellen bearbeitet werden, wobei nicht allein der Informationsbedarf, sondern gleichfalls der Bedarf an psychosozialer Beratung im Vorfeld der Pflege und bei schwierigen Pflegekonstellationen abgedeckt werden sollte. Hier empfehlen sich enge Kooperationen mit Krankenhaussozialdiensten. Starker Informationsund Beratungsbedarf zeigte sich auch bei Themenbereichen wie Wohnen und Versorgung im Alter sowie Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen 8.4 Zu erprobende Hilfeansätze Wie jedes derartige Vorhaben unterlag das Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ zeitlichen, personellen und finanziellen Beschränkungen hinsichtlich der Präventions- und Interventionsangebote, die in seinem Rahmen erprobt werden konnten. Auch handelte es sich um ein lokales, in städtische Verwaltung und Dienstleistungen integriertes Projekt; soweit Bedingungen, unter denen gewaltförmige Handlungen oder Unterlassungen gegenüber älteren Menschen entstehen, auf übergeordneten Ebenen – etwa in den Bereichen der Gesetzgebung, der gesamtwirtschaftlichen und der demographischen Entwicklung – lokalisiert sind, bleiben die Möglichkeiten eines solchen Projekts, die kausalen Faktoren zu beeinflussen, gering. Im Folgenden werden wir unabhängig vom Arbeitsbereich und den konkreten Möglichkeiten des Modellprojekts erfolgversprechende Präventionsund Interventionsansätze in einem kurzen Überblick darstellen und anschließend auf ausgewählte Bereiche näher eingehen. 610 8.4.1 Überblick Da das Konzept der „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ mehrere hinsichtlich ihrer Erscheinungsform, ihres Handlungskontextes, der Täter-Opfer-Beziehung, der Entstehung und der Folgen der einschlägigen Verhaltensweisen für die Betroffenen sowie bezüglich der rechtlichen Wertung unterschiedliche Fallkonstellationen umfasst, kann es sinnvollerweise kein einfaches Präventions- und Interventionsprogramm geben. Maßnahmen zur Verhinderung und Kontrolle von Gewalt gegen ältere Menschen müssen vielmehr auf den jeweiligen Problembereich und Deliktstypus zugeschnitten werden. Es lassen sich mindestens vier unterschiedliche Wege der Prävention oder Intervention im Hinblick auf Gewalt gegen Ältere im Nahraum unterscheiden. 1) Der erste Weg ist der der Information, Aufklärung, Sensibilisierung und Schulung. Hier geht es darum, Problembewusstsein zu schaffen, Wissen über Gewalt gegen Ältere, Gewaltindikatoren und Hilferessourcen zu verbreiten und Personen im Umgang mit Gewalterfahrungen, Ursachen von Gewalt und einschlägigen Verdachtssituationen zu schulen. 2) Die zweite grundlegende Strategie versucht, Gewaltprävention bzw. Intervention in Gewaltfällen auf dem Wege der Beratung, Hilfe und Unterstützung zu leisten. 3) Der dritte Weg ist der klassisch straf- und ordnungsrechtliche, nämlich der der Kontrolle, Abschreckung und Ahndung von Gewalt. 4) Der vierte Weg setzt auf der makrosozialen Ebene an und versucht, Gewaltprävention durch Mitgestaltung von Gesetzgebung und politischen Entscheidungen zu betreiben. Jenseits dieser allgemein gefassten Handlungsstrategien, welche nicht spezifisch für Gewalt gegen Ältere sind, sondern sich auf eine Vielzahl gesellschaftlicher Problemfelder übertragen ließen, in denen es um die Reduktion unerwünschten Verhaltens und die bessere Bewältigung seiner Folgen geht, ist eine Vielzahl von Ansätzen erkennbar, die hinsichtlich des Deliktsbereiches der Nahraumviktimisierung älterer Menschen praktiziert, erprobt und in Erwägung gezogen werden. Im häuslichen Bereich – wie auch im stationären Sektor – kommt dem Abbau pflegerischer Belastungen Bedeutung zu. Es gilt, ´gefährliche Pflegekonstellationen´ u.a. durch bewusstes und verantwortliches Herbeiführen einer Entscheidung über das Eingehen einer familiären Pflegebeziehung möglichst schon im Vorfeld zu verhindern. Präventive Be- 611 mühungen können ferner darauf abzielen, das mutmaßlich umfangreiche Dunkelfeld aufzuhellen, welches – wenn es TäterInnen oder potenziellen TäterInnen als solches bewusst ist – seinerseits Tatanreize schafft bzw. Hemmnisse – nämlich die Furcht vor Entdeckung, Bestrafung und sozialer Ächtung – beseitigt. Eine solche Aufhellung des Dunkelfeldes kann auch verstärkte strafrechtliche Verfolgung bedeuten, muss dies aber nicht. Es geht in erster Linie darum, in der allgemeinen Öffentlichkeit und bei Vertretern relevanter Berufsgruppen (Ärzten, professionellen Pflegekräften etc.) die Sensibilität für das Phänomen der Misshandlung älterer Menschen zu erhöhen, Kompetenzen zum Erkennen von Indikatoren für Gewaltanwendung zu vermitteln und Wege aufzuzeigen, wie mit einem entsprechenden Verdacht zum Wohle des mutmaßlichen Opfers verantwortlich und kompetent umgegangen werden kann. Neben dem jeweiligen Falltypus der Misshandlung alter Menschen, sollte die Wahl der Interventionsmaßnahme(n) abhängig gemacht werden von Art, Ausmaß und Unmittelbarkeit der Gefährdung, den Erfolgsaussichten und erwarteten positiven Effekten der Intervention, ihren Kosten und Nebeneffekten sowie nicht zuletzt dem Willen des betroffenen älteren Menschen, seiner Haltung zu der vorgeschlagenen Intervention. Bei der Konzeption präventiver Maßnahmen ist zu bedenken, dass auch nicht pflegebedürftige ältere Menschen durch Gewaltformen gefährdet sind, welche sich nicht in das klassische Bild der ´Straßen- und Haustürkriminalität´ fügen. Viele Maßnahmen, welche die Lebensqualität älterer Menschen und ihrer Bezugspersonen erhöhen, können zugleich auch Gewalt verhindern oder reduzieren, sind also nicht spezifisch gewaltpräventiv ausgerichtet, haben aber gleichwohl entsprechende Wirkungen. Im Folgenden geben wir zunächst in Stichworten einen Überblick über im Sinne der Prävention von Nahraumgewalt gegen Ältere erfolgversprechende Ansätze. Anschließend gehen wir auf einige Handlungskonzepte anhand von Beispielen detaillierter ein (für einen Überblick über aus theoretischen Konzepten zur Prävention von Nahraumgewalt abzuleitende Strategien vgl. auch GÖRGEN & NÄGELE, 1999a, 1999b). Präventive Wirkungen im Hinblick auf Gewalterfahrungen älterer Menschen in ihrem persönlichen Nahraum sind u.a. von Maßnahmen in folgenden Bereichen zu erwarten: • Förderung der Gesundheit und Selbstständigkeit alter Menschen durch adäquate medizinische Diagnostik, Behandlung und Rehabilitation, professionelle Unterstützung bei lebenspraktischen Aufgaben, organisierte oder nichtorganisierte Nachbarschaftshilfe etc.; Vermitt- 612 • • • • • • • • • • • lung von Kenntnissen über eigene Krankheitsbilder und angemessene pflegerische Maßnahmen Schaffung von Beratungseinrichtungen für Ältere, die neben anderen altersrelevanten Themen auch die Problematik von Misshandlungsund Vernachlässigungserfahrungen im Alter aktiv aufgreifen Öffentlichkeitsarbeit zur Schärfung der Sensibilität alter Menschen für eigene Gewalterfahrungen; Förderung von Interessenvertretungen älterer Menschen; Aufgreifen der Gewaltthematik in diesen Initiativen und Institutionen Unterstützung alter Menschen bei der Trennung von misshandelnden Personen Unterstützung pflegender Familienangehöriger durch ambulante und teilstationäre Dienste; Einbeziehung ehrenamtlicher Helfer und informeller sozialer Netzwerke; Gesprächsangebote (Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen, Hilfetelefone) für familiäre Pflegepersonen; pflegeadäquate Gestaltung der räumlichen Umwelt Beratung pflegender Angehöriger hinsichtlich der Pflege psychisch Erkrankter durch geriatrisch geschulte Fachkräfte; Vermittlung pflegerischen Wissens und fehlender Pflegekompetenzen durch Schulungsmaßnahmen frühzeitige Integration der Familie in Lebens- und Pflegeplanungen alternder Menschen mit dem Ziel, Entscheidungen für oder gegen Übernahme familiärer Pflege verantwortlich treffen zu können; Angehörige darin bestärken, eine aus Einsicht in die eigene Überforderung resultierende Ablehnung der Übernahme familiärer Pflege nicht als Schwäche, Scheitern, Pflichtverletzung oder Verweigerung von Zuwendung, sondern als verantwortliche Entscheidung zu verstehen; Förderung von Einrichtungen, die Beratung im Vorfeld des Eingehens einer häuslichen bzw. familiären Pflegebeziehung leisten Beratung und Therapie misshandelnder Familienangehöriger; Aufarbeitung konflikthafter familiärer Beziehungs- und Interaktionsmuster Aufhellung des Dunkelfeldes durch besseres Erkennen von Misshandlungsindikatoren insbesondere durch Ärzte, professionelle Pflegepersonen und gesetzliche Betreuer; Erhöhung der Kompetenzen dieser Gruppen im Erkennen von Gewaltindikatoren und im Umgang mit Gewaltfällen Aufhellung des Dunkelfeldes durch Einführung von gesetzlich präzisierten Melderechten für Ärzte und andere Berufsgruppen, die einer Schweigepflicht unterliegen verbesserte Aufsicht und Qualitätskontrolle im Bereich ambulanter Pflegedienste Ausweitung der Leistungen der Pflegeversicherung im Hinblick auf den besonderen Betreuungsbedarf dementiell erkrankter Personen. 613 Einige Präventions- und Interventionsansätze werden im Folgenden detaillierter erörtert. Soweit möglich, wird dabei auf konkrete Projekte Bezug genommen. 8.4.2 Ausgewählte Ansätze Sensibilisierung relevanter Berufsgruppen für die Thematik und Problematik Unter der Annahme, dass viele alte Menschen, insbesondere Kranke, Pflegebedürftige und sozial isoliert Lebende, nur über eingeschränkte Möglichkeiten verfügen, sich gegen gewaltförmige Viktimisierungen zur Wehr zur setzen und sich aktiv Hilfe zu besorgen, gilt es, Berufsgruppen, die mit diesen Personengruppen regelmäßig Kontakt haben, für die Thematik von Gewalterfahrungen in Familie und in engen sozialen Beziehungen zu sensibilisieren. Als Zielgruppen entsprechender Bemühungen kommen insbesondere Ärzte, professionelle Pflegepersonen und gesetzliche Betreuer in Frage. Sie zeichnen sich durch Regelmäßigkeit und Intensität der Kontakte zu kranken, pflege- und hilfebedürftigen Älteren aus; bei Ärzten und Pflegekräften kommen der physische Kontakt und die damit erhöhte Chance der Entdeckung (körperlicher) Gewaltsymptome hinzu. Der Komplex ´Gewalt gegen Ältere´ sollte in der Schulung gesetzlicher Betreuer hinreichend Berücksichtigung finden. Die Schulung von Mitarbeitern ambulanter Pflegedienste im Hinblick auf das Erkennen von Indizien, die auf Misshandlung und Vernachlässigung schließen lassen, gehört gleichfalls in den Kanon potenziell gewaltpräventiver Maßnahmen (vgl. PILLEMER & HUDSON, 1993). Die Sensibilisierung von ÄrztInnen wird insbesondere in der englischsprachigen Literatur seit langem diskutiert (vgl. zu dieser Thematik u.a. CHEZ, 1999; CLARKE & PIERSON, 1999; JONES, VEENSTRA, SEAMON & KROHMER, 1997; KRUGER & MOON, 1999; LACHS, WILLIAMS, O’BRIEN, HURST, KOSSACK, SIEGAL & TINETTI,1997; aus dem deutschen Sprachraum die Arbeit von WITTHOHN, MEENEN & JUNGBLUTH, 1996). Es geht dabei im Wesentlichen um die Schulung von Ärzten im Erkennen von Fällen der Misshandlung (und Vernachlässigung) älterer Menschen und im Umgang mit derartigen Verdachtsfällen. Die American Medical Association hat diesbezüglich „guidelines for diagnosis and treatment of elder abuse and neglect“ entwickelt (vgl. PARIS, MEIER, GOLDSTEIN, WEISS & FEIN, 1995). Es wird die Bedeutung der Integration der Thema- 614 tik in die ärztliche Ausbildung diskutiert (BLAKELY, DOLON & MAY, 1993). Zu den ärztlichen Professionen, die in besonderem Maße angesprochen werden, gehören neben AllgemeinmedizinerInnen u.a. Zahnärztinnen (vgl. PODNIEKS, 1993) und Ärzte, die in Ambulanzen und Notaufnahmen tätig sind (GREENBERG, 1996; ALLISON, ELLIS & WILSON 1998). MARSHALL, BENTON & BRAZIER (2000) weisen darauf hin, dass die gründliche körperliche Untersuchung durch eine auf psychosoziale Manifestationen von elder abuse ausgerichtete Diagnostik ergänzt werden sollte. Im Dritten Bericht zur Lage der älteren Generation (BUNDESMINISTERIUM FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN UND JUGEND, 2001, S. 90f.) werden präventive ärztliche Hausbesuche als potenziell wirkungsvolle Instrumente der Gesundheitsvorsorge bei älteren Menschen vorgestellt und erörtert. Bei den dort genannten im diagnostischen Prozess zu beachtenden Ebenen bleibt der gesamte psychosoziale Bereich unberücksichtigt. Wenn mit dem präventiven Hausbesuch ein Mittel vorhanden ist, welches Einblicke in die alltägliche Lebensumwelt älterer Menschen ermöglicht, dann sollte diese Möglichkeit auch dahingehend genutzt werden, den Blick auf die Befindlichkeit älterer Menschen in Richtung des emotionalen und sozialen Bereiches zu öffnen. Soweit Ärzte im Erkennen von Gewaltindikatoren und in der Reaktion darauf hinreichend geschult sind, kann und sollte dieser Untersuchungsbereich systematisch in Programme präventiver ärztlicher Haubesuche einbezogen werden. FÜR Potenziell kommen für Maßnahmen der Problemsensibilisierung und Schulung auch eine Vielzahl weiterer Berufsgruppen in Betracht. Einen in dieser Hinsicht sehr allgemeinen Ansatz verfolgt z.B. das Modellprojekt Niagara Gatekeepers in der kanadischen Provinz Ontario („a program designed to identify and help older adults who may be in need of support services BEFORE a serious crisis develops“ – so die programma490 tische Formulierung auf der WWW-Homepage der Organisation ). Angesprochen werden Angehörige von Berufsgruppen, die erfahrungsgemäß häufig mit älteren Menschen Kontakt haben, Indikatoren von Misshandlung, Vernachlässigung und Bedürftigkeit wahrnehmen und professionelle Hilfeeinrichtungen einschalten können. Dazu gehören nach dem Konzept von Niagara Gatekeepers neben den oben genannten Gruppen u.a. Briefträger und Zeitungsboten, Bankangestellte, Mitarbeiter kommunaler Versorgungseinrichtungen (Gas, Wasser) und aus dem Bereich des Fernmeldewesens, Mitarbeiter von Feuerwehr und Rettungsdiensten, Polizeibeamte und Geistliche. 490 http://www.niagaragatekeepers.org/index.html. 615 Einrichtung einer zentralen Informationsstelle – Bündelung von Expertenwissen Spezialisiertes Wissen zur Misshandlung und Vernachlässigung älterer Menschen kann sinnvoll auf überregionaler bzw. nationaler Ebene gebündelt werden. Die gezielte Sammlung, Archivierung und Verbreitung von Fachliteratur und Audio- bzw. Video-Material zum Thema könnte eine Aufgabe eines entsprechenden Zentrums sein, eine andere die Durchführung von Schulungen, Fortbildungen und Aufklärungskampagnen. Auch an die Entwicklung von Schulungsmaterial und von Richtlinien für den Umgang mit älteren Gewaltopfern sowie an eigene Forschungsarbeit ist zu denken. Die Einrichtung sollte nicht auf den häuslichen oder stationären Bereich beschränkt sein, sondern die Viktimisierung Älterer in einer Vielzahl von Kontexten bearbeiten. US-amerikanische Beispiele für entsprechende Institutionen sind das National Center on Elder Abuse und das in Kap. 6.3.3. dargestellte Clearinghouse on Abuse and Neglect of the Elderly. Eine ähnliche Informationsstelle in South Australia, das Abuse Prevention Program des Aged Rights Advocacy Service Inc., entwickelte u.a. Richtlinien zum Umgang mit älteren Gewaltopfern und vermittelte diese in Schulungen an Praktiker. Hier wurde davon ausgegangen, dass allein die Bereitstellung und Versendung von Materialien noch keine Veränderung im professionellen Handeln bewirken, vielmehr „zugehende Ansätze“ auch in diesem Bereich sinnvoll sind. Eine zentrale Informations- und Aufklärungsstelle könnte in Deutschland etwa auf Bundesebene oder als gemeinsame Einrichtung der Länder betrieben werden – organisatorisch eigenständig wie auch an bestehende Institutionen angegliedert. Thematisch breit angelegte Beratungsangebote für ältere Menschen in Krisensituationen Die Problemlagen, aufgrund derer das Modellprojekt Beratung geleistet hat, hatten häufig weder mit Gewalt im alltagssprachlichen Sinne noch mit Gewalt im Sinne der im Projekt verwendeten Arbeitsdefinition zu tun. Zugleich waren die Probleme vielfach sehr komplex, die Beratungssuchenden befanden sich in akuten Krisen, ihr Hilfebedarf war nicht geringer als in Gewaltfällen. Auf der Grundlage dieser Erfahrungen wird der systematische Aufbau eines Beratungsangebotes für ältere Menschen in Krisensituation befürwortet. Derartige Beratungseinrichtungen für ältere Menschen müssten über ausreichende personelle Ressourcen verfügen, um mit lokalem Bezug aufsuchende und längerfristige Beratung leisten zu können; wie das Modellprojekt könnten sie 616 die Potenziale eines integrierten anonymen telefonischen Beratungsangebotes nutzen. Integration von Einrichtungen zum Schutz von Frauen vor Gewalt und von Initiativen zur Prävention von Gewalt gegenüber Älteren Männergewalt gegen Frauen endet nicht plötzlich mit dem Erreichen des 60. Lebensjahres oder verwandelt sich dann in das qualitativ andere Phänomen „Gewalt gegen Ältere“. Im englischsprachigen Raum ist in der Forschung zu Gewalt gegen ältere Menschen mittlerweile die Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Aspekte eine Selbstverständlichkeit. Auch in der Praxis sollte hier ein Umdenken einsetzen und ein Dialog mit Projekten zum Schutz misshandelter Frauen beginnen. Es wäre zu begrüßen, wenn Frauenberatungsstellen und Frauenhäuser in der Beratung und der Öffentlichkeitsarbeit die Zielgruppe älterer Frauen explizit berücksichtigen und aktiv ansprechen würden. Zu denken wäre auch an das Vorhalten adäquater Wohnmöglichkeiten für Frauen mit gesundheitlichen Einschränkungen in Frauenhäusern. Auch soweit Misshandlung und Vernachlässigung sich in Pflegebeziehungen ereignen, zeigen sich geschlechtsspezifische Aspekte von Gewalterfahrungen im Alter. Während in anderen Deliktsbereichen Frauen relativ zu Männern als Gewaltausübende nur selten in Erscheinung treten, sind im Hinblick auf Gewalt in der Pflege ein großer Teil derjenigen, von denen die Misshandlung oder Vernachlässigung ausgeht, weiblichen Geschlechts; darin kommt die nach wie vor geschlechtsbezogene Verteilung von Pflegearbeit zum Ausdruck. Die intergenerationale Pflege älterer Menschen in Familien ist zumeist unhinterfragt Aufgabe der Frauen. Hier ist eine gleichberechtigte Verteilung der Aufgaben anzustreben. Zu denken wäre beispielsweise an Pressekampagnen und Plakataktionen. Die geforderte Öffnung von Einrichtungen für von Gewalt betroffene Frauen auch für die Gruppe älterer weiblicher Opfer wird an einem Beispiel aus dem US- Bundesstaat Pennsylvania deutlich (vgl. SEYMOUR 2001; NATIONAL CENTER ON ELDER ABUSE, 1996): Innerhalb des Women’s Center in Bloomsburg, Pennsylvania, spezialisierte sich eine für den Bereich der häuslichen Gewalt zuständige Mitarbeiterin auf Gewalt gegen Ältere und wurde zum „Elder Abuse Counselor“ bestimmt, die eng mit dem örtlichen Adult Protective Service (APS) zusammenarbeitete. Die Mitarbeiterin absolvierte ein Training bei APS und begleitete seither die APS-Mitarbeiter bei Hausbesuchen, wenn der Verdacht auf das Vorliegen häuslicher Gewalt gegen Ältere bestand. Dabei konzentrierte sich die Mitarbeiterin auf die Beratung des Opfers, während APS 617 die Arbeit mit dem Gewaltausübenden in den Mittelpunkt rückte. Zu den weiteren Plänen gehört die Einrichtung von Schutzwohnungen im Stile von Frauenhäusern, die speziell auf die Bedürfnisse älterer Frauen zugeschnitten sind. Verbesserung familiärer Konfliktlöseressourcen durch Einsatz von Mediationstechniken CRAIG (1994) schlägt den Einsatz von Mediationstechniken durch Ombudsleute und ehrenamtliche Helfer vor, um auf diesem Wege Beziehungskonflikte zwischen älteren Menschen und ihren Pflegepersonen in einer frühen Phase und mit minimaler Eingriffstiefe zu entschärfen. Bei der Mediation suchen die Parteien mit Hilfe eines neutralen Vermittlers Lösungen für ihr Problem. Der Konflikt wird als eine gemeinsame Herausforderung betrachtet; es wird nach Lösungen gesucht, die sich an den Bedürfnissen und Interessen aller Beteiligten ausrichten. Mediation setzt ein gewisses Maß an Eigenverantwortlichkeit voraus, d.h. dass alle Konfliktbeteiligten grundsätzlich in der Lage sein müssen, ihre Bedürfnisse und Interessen zu artikulieren und zu vertreten. Das Verfahren stößt daher bei Konflikten, in die schwerstpflegedürftige und insbesondere demente Personen eingebunden sind, an seine Grenzen, stellt aber ansonsten auch im Hinblick auf Nahraumgewalt gegen ältere Menschen einen erprobenswerten Ansatz dar (zu Mediationsverfahren allgemein und zur Anwendung im familiären Bereich vgl. u.a. BESEMER, 1993; BESEMER, 1996; FALK, HEINTEL & PELIKAN, 1998; GLASL, 1990; GLASL, 1998; GORDON, 1989; PROKSCH, 1998; ROHNER, 1998). Hilfeangebote in Analogie zur Sozialpädagogischen Familienhilfe Aus Sicht der AutorInnen ist grundsätzlich zu prüfen, inwieweit der Sozialpädagogischen Familienhilfe (§ 31 SGB VIII; zur Sozialpädagogischen Familienhilfe vgl. u.a. HELMING, 1995; NICOLAY, 1998) analoge Instrumente im Bereich häuslicher Pflegebeziehungen sinnvoll implementiert werden könnten: Zu denken wäre an sozialpädagogische, sozialarbeiterische oder auch pflegerische Fachkräfte, welche die Familien in ihrer häuslichen Umgebung aufsuchen und in enger Zusammenarbeit mit Pflegenden und – soweit möglich – Pflegebedürftigen versuchen, praktische Pflegeprobleme auf der einen, konflikthafte familiäre Beziehungen auf der anderen Seite zu bearbeiten und zu modifizieren. Die aus dem Kinder- und Jugendhilfebereich bekannten Prinzipien der Hilfe zur Selbsthilfe sowie der Mobilisierung von Ressourcen und protektiven Faktoren könnten analog übertragen werden. 618 Therapieprogramme für familiäre Gewalttäter Während Therapieprogramme für Gewaltausübende im Kontext der Problemfelder „Familiäre Gewalt gegen Frauen“ und „Kindesmisshandlung und Kindesmissbrauch“ seit langem diskutiert und erprobt werden, sind vergleichbare Ansätze im Hinblick auf die familiäre Viktimisierung älterer Menschen bislang äußerst selten. KINGSLEY & JOHNSON (1993, 1995) berichten über ein in der westaustralischen Stadt Gosnells praktiziertes kognitiv-behaviorales Programm („Elder Abuse Perpetrator Program“) mit stark konfrontativem Ansatz. Als Ziel beschreiben die Autoren, den Gewalttäter mit den Fertigkeiten, den Verhaltensstrategien und dem Willen auszustatten, die Gewaltanwendung aufzugeben; er soll dazu gebracht werden, sich mit seinem Verhalten auseinander zu setzen und den missbräuchlichen Charakter seines Handelns einzugestehen. Das Programm richtet sich auf Fälle, die sich durch unterstützende Maßnahmen alleine nicht bewältigen lassen, bei denen der Gewaltausübende aber die Bereitschaft hat, sich selbst mit seiner Gewalt und ihren Ursachen zu konfrontieren. Es ist nicht gedacht für Fälle, in denen der Täter dementiell erkrankt ist, an einer schweren psychischen Störung leidet oder in denen eindeutig kriminelles Unrecht vorliegt: „The son and daughter who sold their mother´s large home, who appropriated her furniture and then placed their names on the title deeds for the small unit they bought her, have had charges pressed against them.“ – so KINGSLEY & JOHNSON (1995, S.171) illustrierend. Neben der Ausgestaltung von Therapieprogrammen sind Fragen der Trägerschaft und des KlientInnenzugangs zu klären. Hier ist zu prüfen, inwieweit Erfahrungen aus den anderen familiären Gewaltfeldern übertragen werden können. In den Vereinigten Staaten wird die Teilnahme an Therapieprogrammen und Trainingskursen – etwa in dem seit 1980 praktizierten Domestic Abuse Intervention Project (DAIP) – u.a. als behördliche Auflage eingesetzt, durch deren Erfüllung die Eröffnung eines förmlichen Strafverfahrens abgewendet werden kann (vgl. dazu z.B. DRANSFELD, 1998). Förderung bürgerschaftlichen Engagements Entlastung in der Pflege kann nicht nur durch professionelle Dienste, sondern auch durch den Einsatz ehrenamtlicher MitarbeiterInnen erreicht werden. Ein solcher Einsatz – im Falle des Modellprojekts in Form des Häuslichen Unterstützungsdienstes praktiziert – wirkt zudem sozialer Isolation des Pflegebedürftigen und des familiären Systems entgegen und kann auch auf diesem Wege gewaltpräventive Effekte zeitigen. Entsprechende Formen bürgerschaftlichen Engagements sind daher grundsätzlich förderungswürdig. Hierzu gehören häusliche Be619 suchsdienste für ältere Menschen, analog zu den „Grünen Damen“, die seit langem ähnliche Dienste in Krankenhäusern übernehmen. In der Presseberichterstattung über die in Lohr und anderen fränkischen Gemeinden praktizierte „Aktion Pflegepartner“ – ein von Caritas und Diakonischem Werk initiierter Entlastungsdienst für pflegende Angehörige durch Ehrenamtliche, die stundenweise die Betreuung der Pflegebedürftigen übernehmen – werden im Titel „BABYSITTING FÜR SENIOREN“ (2000) zugleich gewisse zu vermeidende Stigmatisierungstendenzen deutlich (vgl. auch EINFACH FÜR DEN ANDEREN DA SEIN, 2001; WOHLFAHRT, 2001; HILFE FÜR DIE GESTRESSTEN HELFER, 2001). Beachtung kultureller und ethnischer Minoritäten beim Ausbau von Hilfeangeboten In den Vereinigten Staaten als klassischem Einwanderungsland werden elder abuse and neglect seit langem auch unter ethnischen und kulturellen Gesichtspunkten betrachtet. Die Erfahrungen des Modellprojekts wiesen bereits auf die Notwendigkeit mehrsprachiger Informationsmaterialien hin. Mit dem Älterwerden der vor allem seit den 60er Jahren als Arbeitskräfte zugewanderten Gruppen aus Südeuropa und der Türkei, später auch aus Osteuropa, wird diese Perspektive auch in Deutschland an Bedeutung gewinnen. Ein Beispiel aus den USA mag verdeutlichen, wie Ansätze aussehen können, die ethnischen Besonderheiten Rechnung tragen: In Washington, D.C, hat das National Hispanic Council on Aging (NHCOA) ein Programm ins Leben gerufen, das sich auf die Zielgruppe nicht „amerikanisierter“ älterer Bürgerinnen und Bürger lateinamerikanischer Herkunft richtet. Man ging von der Annahme aus, dass familiäre Gewaltopfer in dieser Gruppe durch herkömmliche Hilfeangebote kaum erreicht werden, da starke kulturelle Tabus einer Offenbarung der Misshandlung bzw. Vernachlässigung entgegenstehen, das Gefühl der Verantwortlichkeit gegenüber der Familie sehr stark ausgeprägt ist und ein Bruch nicht in Frage kommt. Zu den von NHCOA entwickelten und in die Praxis umgesetzten Konzepten gehört ein lokales Expertengremium, das die Bereiche Soziales, Gesundheit und Recht umfasst und Handlungsstrategien in aktuellen Problembereichen erarbeitet. Ferner werden Unterstützergruppen eingerichtet, die aus 25 oder mehr älteren Gemeindemitgliedern bestehen, von einem Anwalt unterstützt werden und Kontakt zu Familien aufnehmen, in denen der Verdacht auf Misshandlung oder Vernachlässigung eines älteren Mitgliedes besteht. Diese Vorgehensweise zielt darauf ab, Interventionsmöglichkeiten in Kontexten zu schaffen, welche für Eingriffe, die als behördliche Inter- 620 ventionen und als solche der weißen Mehrheitskultur erlebt werden, unzugänglich bleiben (vgl. NATIONAL CENTER ON ELDER ABUSE, 1996; SEYMOUR, 2001). Prävention von finanzieller Ausbeutung Finanzielle Ausbeutung älterer Menschen ist kein Gewaltdelikt im engeren Sinne, sondern – sofern strafrechtlich relevant – Eigentums- und Vermögenskriminalität. Während dieses Feld in Deutschland noch wenig beachtet ist, wird dem Bereich in den USA viel Aufmerksamkeit gewidmet. Die Sensibilität für Ausbeutung durch Angehörige, Betrug durch Telemarketing oder durch Versicherungsagenturen – um nur drei Beispiele zu nennen – ist dort höher entwickelt. Ein Beispiel für Prävention von finanzieller Ausbeutung ist die kostenfreie Beratung von älteren Menschen in Finanzfragen – so betrieben von einem lokalen nichtstaatlichen Projekt in Rochester/New York (vgl. Kap. 6.3.3.2.2). Die Beratung wird durch ehrenamtliche pensionierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus kaufmännischen Berufen durchgeführt. Die Akzeptanz eines solchen Programms steht und fällt mit der Bekanntheit und der Seriosität des Betreibers. Solche Beratungsstellen, angegliedert an Wohlfahrtsorganisationen, Verbraucherschutzorganisationen oder andere – beispielsweise kommunale – Einrichtungen, könnten auch in Deutschland vor Ort wirksame Prävention von finanzieller Ausbeutung leisten. Integration der Thematik in die polizeiliche Arbeit Auch wenn viele Fälle der Misshandlung und Vernachlässigung älterer Menschen primär als soziale Probleme und als in problematischen Beziehungskonstellationen wurzelnd zu betrachten sind, bleiben polizeiliche und strafjustizielle Interventionen erforderlich und sinnvoll. Dies zum einen insofern, als manche Fälle sowohl von der Schwere der Tatfolgen her als auch unter dem Aspekt der handlungsleitenden Motive eindeutig kriminelles Unrecht darstellen, zum anderen insofern, als die Befassung von Polizei und Justiz mit dieser Thematik im Sinne positiver Generalprävention (vgl. SCHUMANN, BERLITZ, GUTH & KAULITZKI, 1987) zur Bewusstseinsbildung in der Allgemeinbevölkerung beitragen kann. Klassische, auf rational choice-Ansätzen fußende Konzepte der Kriminalprävention, welche z.B. darauf abzielen, die vom Täter als zur Tatbegehung erforderlich wahrgenommenen Anstrengungen zu vergrößern, seine antizipierten Belohnungen zu verkleinern, sein wahrgenommenes Risiko zu erhöhen oder Gefühle der Schuld oder der Scham in ihm zu erwecken (vgl. z.B. SIEGEL, 2000), können auf den Bereich der häuslichen Gewalt gegen Ältere nur in beschränktem Maße ange621 wendet werden. Nur ein Teil der Gewalthandlungen bzw. gewaltförmigen Unterlassungen ist überhaupt abschreckbar: Wo Gewalthandlungen aus langjährigen konflikthaften Beziehungen erwachsen, muss Abschreckung weitgehend versagen, weil sie an eine nicht vorhandene rationale Handlungssteuerung appelliert. Außerdem sind die o.g. Mechanismen im nicht-öffentlichen, familiären Bereich besonders schwer zum Einsatz zu bringen. SENGSTOCK & HWALEK stellten 1986 in einer Studie fest, dass in vielen Fällen von elder abuse, in denen polizeiliches Einschreiten aus ihrer Sicht angebracht gewesen wäre (dies betrifft vor allem Fälle der physischen Misshandlung und der finanziellen Exploitation), Sozialbehörden nicht oder nur widerstrebend die Polizei einschalteten und die Polizei ihrerseits derartige Fälle nicht aktiv aufsuchte. Das Zögern auf Seiten der Polizei wurde u.a. auf die oft sehr unklare Beweislage zurückgeführt; SENGSTOCK & HWALEK schlugen vor, Sozialbehörden dahingehend zu trainieren, Fallmaterial auch im Hinblick auf eine eventuelle spätere polizeiliche Beweissicherung zu handhaben. Seit dieser Defizitdiagnose ist in den Vereinigten Staaten viel geschehen. Gegenwärtig existieren dort mehr als 600 sogenannte TRIADProgramme (TEXAS CRIME PREVENTION ASSOCIATION, o.J.; vgl. auch NATIONAL INSTITUTE OF JUSTICE, 1993). Diese Programme fußen auf einer Vereinbarung zwischen der Polizei eines Counties, dem zuständigen Sheriff und Vertretern der American Association of Retired Persons (AARP) oder anderer Seniorenvertretungen. Ziel der TRIADProgramme ist es, den Informationsaustausch zwischen der älteren Generation auf der einen Seite und den Sicherheitsbehörden auf der anderen zu intensivieren, Kriminalitätsfurcht abbauen bzw. auf ein realitätsangemessenes und funktionales Niveau zu reduzieren, die Opferwerdung älterer Menschen zu reduzieren und dieser Altersgruppe die Dienste der Strafverfolgungsbehörden optimal verfügbar zu machen. TRIAD geht zurück auf ein im Jahre 1988 von der AARP, der International Association of Chiefs of Police (ICACP) und der National Sheriffs’ Association (NSA) unterzeichnetes Abkommen. Die TRIAD-Programme versuchen, Prinzipien und Arbeitsweisen des Community Policing zum Schutz von Senioren einzusetzen. Auf lokaler Ebene werden TRIADAktivitäten von sogenannten S.A.L.T.-Councils (Seniors and Law Enforcement Together) koordiniert, in denen wiederum Polizei, Sheriff und Seniorenvertreter zusammenarbeiten. TRIAD kooperiert ferner eng mit Opferhilfeorganisationen. 622 Wenngleich das TRIAD-Konzept – u.a. wegen des Fehlens einer Parallelorganisation zur einflussreichen AARP – nicht bruchlos auf Deutschland übertragen werden kann, ist die umfassende, über klassische Delikte wie Handtaschenraub und Wohnungseinbruch hinausgehende Einbeziehung der Sicherheitsbelange älterer Bürgerinnen und Bürger in die polizeiliche Arbeit ein erprobenswerter Ansatz. Die Polizei kann dabei insbesondere auf Erfahrungen im Umgang mit anderen Formen häuslicher Gewalt zurückgreifen. Der Staat Kalifornien hat im vergangenem Jahr ein Gesetz verabschiedet, das für Polizeibeamte die Teilnahme an einem Trainingsprogramm zum Thema „Elder abuse“ verpflichtend macht (AB 1819, Shelley. Elder 491 abuse ; vgl. auch SOLOMON, 2001). Auch diese Initiative kann beispielgebend für europäische Präventions- und Interventionsmaßnahmen sein. Verstärkte Aufsicht über ambulante Pflegedienste Wie u.a. durch eine Analyse der einschlägigen Presseberichterstattung deutlich wurde, finden Viktimisierungen im häuslichen Bereich nicht nur durch Familien- und Haushaltsmitglieder, sondern auch durch professionell Pflegende statt. Im ambulanten Pflegebereich fehlt bisher ein der staatlichen Heimaufsicht vergleichbares Kontrollinstrument. Dies Kontrolldefizit kann sich nicht nur auf die allgemeine Qualität der pflegerischen Leistungen, sondern auch auf die Viktimisierungswahrscheinlichkeit der Pflegebedürftigen auswirken. Die im Entwurf zum Pflegequalitätssicherungsgesetz (§ 114 Abs. 3 SGB XI-E) vorgesehene Befugnis des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen, ambulante Pflegedienste auch beim Einsatz in der Wohnung des Pflegebedürftigen zu beraten und zu prüfen, ist zu begrüßen. Für eine solche Prüfung in der Wohnung des Pflegebedürftigen ist grundsätzlich dessen Zustimmung erforderlich und ausreichend; der Pflegedienst muss gegebenenfalls die Überprüfung dulden (vgl. BUNDESMINISTERIUM FÜR GESUNDHEIT, 2000). Selbstorganisation und anwaltschaftliches Handeln International werden Stimmen immer lauter, welche die aktive Einbeziehung älterer Menschen in die Debatte um Misshandlung und Vernachlässigung alter Menschen anmahnen. Simon BIGGS und Paul KINGSTON warnten bereits 1995 vor der Gefahr eines Monologes der ExpertInnen bei gleichzeitiger Verweigerung der Kommunikation mit 491 Verfügbar unter http://www.leginfo.ca.gov/pub/99-00/bill/asm/ab_1801-1850/ab_1819_bill_ 20000920_chaptered.html. 623 den (vorgeblichen) AdressatInnen. Die Gefahr eines solchen Monologes verringert sich, wenn Seniorenselbstorganisationen Stellung beziehen. Sie sind in der Lage, die öffentliche Aufmerksamkeit zu gewinnen, politische Forderungen zu stellen und allgemein Lobbyarbeit für die Rechte älterer Menschen zu betreiben – hier sei an die mit einem „Aufruf zur Rebellion“ (UNRUH, 1984) verbundenen Publikationen und Aktionen der Grauen Panther Mitte der 80er bis Anfang der 90er Jahre in Deutschland zum „Terror gegen Alte“ (UNRUH, 1991) und „Tatort Pflegeheim“ (UNRUH, 1989) erinnert. Mächtige Interessenvertretungen – etwa vergleichbar mit der American Association of Retired Persons – bestehen jedoch in Deutschland aktuell noch nicht (zur AARP und zu Seniorenorganisationen in den USA vgl. MEHLMAN & SCOTT, 1977; PRATT, 1993; RIEBER, 1995; WALDHERR, 1999). Solange keine starke politische Selbstorganisation älterer Menschen in Sicht ist, sind Projekte und Initiativen wichtig, die sich als Fürsprecher für die Rechte älterer und insbesondere hilfloser Menschen begreifen und neben konkreter Unterstützung von Gewaltbetroffenen politische Forderungen stellen. Beispiele für diese vom Grundsatz her parteilichen Projekte sind die beiden Initiativen Handeln statt Misshandeln in Bonn und Siegen, als Einzelpersonen und Teile eines aktiven Zusammenhangs zu nennen sind Claus Fussek und Alexander Frey aus München. Sie versuchen durch Öffentlichkeitsarbeit und die Auseinandersetzung in der politischen Arena die Lebenssituation pflegebedürftiger Menschen grundsätzlich zu verbessern – ob sie nun in privaten Haushalten oder dauerhaft in stationären Einrichtungen oder in anderen Sonderwohnformen leben. Eine Stärke dieser Initiativen und Einzelpersonen liegt in ihrer unabhängigen Position. Erschwerend wirken knappe und unsichere finanzielle Ausstattungen. Die Bedeutung dieser engagierten, häufig unbequemen und lebendigen Organisationen sei an dieser Stelle nachdrücklich betont. Maßnahmen auf der gesetzgeberischen Ebene, insbesondere Meldeverpflichtungen für Fälle der Gewalt gegen Ältere Anders als in den Vereinigten Staaten gibt es in Deutschland bisher keine besonderen strafrechtlichen Normen zum Schutze alter Menschen und kein flächendeckendes Netz öffentlicher Einrichtungen, die sich speziell der Schutzbedürfnisse Älterer annehmen (zur einschlägigen Gesetzgebung in den USA vgl. MOSKOWITZ, 1998). Die Schutzbestimmungen in USA richten sich je nach Bundesstaat an sehr unterschiedlich definierte Personenkreise; während die Gesetze in einigen Staaten alle in ihren Fähigkeiten über das übliche Maß hinaus eingeschränkten Erwachsenen schützen, setzen andere Bundesstaaten eine 624 untere Altersgrenze von 60 (so z.B. in Connecticut) oder 65 (so z.B. in Kalifornien) fest. In strafjustiziellen Urteilen wird das fortgeschrittene Alter von Opfern als Strafschärfungsgrund gewertet und mit der erhöhten Vulnerabilität alter Menschen begründet. Alle US-Staaten haben mittlerweile gesetzliche Bestimmungen hinsichtlich der Meldung von elder abuse-Fällen erlassen, die in ihren Grundzügen bereits in Kap. 1 und Kap. 6.3.3 dargestellt wurden. Die praktische Wirksamkeit dieser Gesetze im Hinblick auf Gewaltvermeidung wird von den meisten ExpertInnen jedoch kritisch eingeschätzt. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Ärzte melden selten elder abuse-Verdachtsfälle, weil sie mit den einschlägigen Bestimmungen nicht vertraut sind (VINTON, 1993), weil sie den Zeitaufwand scheuen, weil sie die nach einer Meldung verfügbaren Hilferessourcen für unzureichend halten, weil sie fürchten, ihre Patienten damit zu kränken, und weil sie an ihren eigenen Urteilsfähigkeiten zweifeln. Das Erkennen von Misshandlungen ist nur in manchen sehr eindeutigen Fällen von Körperverletzung einfach (ALL, 1994), während die meisten elder abuse-Anzeichen und -Symptome auf der körperlichen wie auf der Verhaltensebene sich gerade durch ihre NichtEindeutigkeit auszeichnen, ihr Ursprung in Gewalthandlungen, Unfällen, Erkrankungen, körperlichen und geistigen Abbauprozessen oft nicht klar erkennbar ist (LACHS & FULMER, 1993). Die Opfer haben oft nur ein geringes Selbstbewusstsein, nehmen Vorfälle nicht als Gewalt wahr, schreiben sich selbst Schuld zu, wollen ihre Verletzlichkeit nicht zu erkennen geben oder ihrer Familie gegenüber loyal sein, sehen keine Hilfemöglichkeiten (KLEINSCHMIDT, 1997). Kritisch wird gegen Meldeverpflichtungen eingewandt, derartige Gesetze seien nach dem Vorbild von Gesetzen zum Schutz von Kindern konstruiert und offenbarten stereotype Vorstellungen über die Rechte und die Fähigkeiten alter Menschen (CRYSTAL, 1987). Mandatory reporting könne infantilisierend wirken und kontraproduktive Effekte zeitigen; dazu gehört die Angst der Opfer, die Meldung könne letztendlich zu ihrer stationären Unterbringung führen (KLEINSCHMIDT, 1997, S.465; vgl. dazu auch FAULKNER, 1982). Meldepflichten können Autonomie und Privatsphäre älterer Menschen beeinträchtigen. Sie belasten Arzt-Patienten-Beziehungen und können dazu führen, dass ärztliche Hilfe nicht aufgesucht wird (KLEINSCHMIDT, 1997). Kritiker betrachten die US-Meldegesetze als ein Beispiel rein symbolischer Politik, die einen illusionären Eindruck von Fortschritt bei der Bewältigung der komplexen Problematik der Gewaltanwendung gegenüber Älteren erzeugt (CRYSTAL, 1987, S.66). Wenn der Schutz alter Menschen eigene Gesetze erfordere, dann sollten diese zum einen die 625 Gebrechlichkeit vieler alter Menschen berücksichtigen, zum anderen aber ihre Autonomie und Selbstbestimmung achten (KLEINSCHMIDT, 1997, S.465). In Deutschland hat die von der Bundesregierung Ende der 80er Jahre eingesetzte Gewaltkommission in einem ihrer Schlussgutachten die „Einführung von gesetzlich präzisierten Melderechten für Ärzte und andere Berufsgruppen, die einer Schweigepflicht unterliegen, bei Kindes-, Partner- und Altenmisshandlung“ befürwortet (SCHWIND, BAUMANN, SCHNEIDER & WINTER, 1990, S.185). Eine Meldepflicht wurde hingegen abgelehnt. Für den Fall, dass eine derartige Regelung dennoch getroffen werden sollte, empfahl die Kommission: „Sollte es zu der mehrfach geforderten Meldepflicht für Ärzte, Pflegepersonal usw. kommen, so wäre diese so zu gestalten, dass sie zunächst nur die vorrangig befassten sozialen Stellen erreicht.“ (SCHWIND, BAUMANN, SCHNEIDER & WINTER, 1990, S.185). Auf keinen Fall wollte man also das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt bzw. Pfleger und Patient dadurch gefährden, dass erstere gesetzlich und unter Strafandrohung zu einer Mitteilung an Polizei oder Staatsanwaltschaft gezwungen werden (vgl. zu den Vorschlägen der Gewaltkommission auch DIECK, 1993). Die Erfahrungen mit den amerikanischen Meldebestimmungen und die jedenfalls gegenüber der Gruppe der Älteren als Kollektiv unangemessenen Parallelen zum Umgang mit Gewalt an Kindern stützen die seinerzeit von der Gewaltkommission vertretene Position. Zu erwartende positive Effekte von Meldeverpflichtungen wiegen insbesondere die Nebenwirkungen im Hinblick auf das Arzt-Patient-Verhältnis und den infantilisierenden Tenor einer solchen Maßnahme nicht auf. Abschließend seien zwei Maßnahmen bzw. Maßnahmenbündel erwähnt, welche sich nicht unmittelbar auf Gewalt im Alter und auch nicht auf die gesamte Bandbreite von Erscheinungsformen von Gewalt gegen Ältere beziehen, sondern eine Verbesserung der pflegerischen Versorgung und der Zugänglichkeit von Pflegeangeboten im Blick haben. Trägerneutrale Beratung bei pflegebezogenem Informationsbedarf und in kritischen Pflegesituationen Mit der Einführung der Pflegeversicherung in das deutsche Sozialversicherungssystem rückte die familiäre Pflege stärker in die öffentliche Aufmerksamkeit – und damit auch die damit verbundenen Probleme und Beratungsbedürfnisse. Diesen Beratungsbedarf erfuhr auch das Modellprojekt in Hannover – einerseits stellten Klienten und Klientinnen Informationsfragen rund um die häusliche Pflege, andererseits wandten 626 sie sich an das Modellprojekt in akuten Krisensituationen. Aufgrund der Erfahrungen des Modellprojekts und des von uns vorgenommenen bundesweiten Vergleichs sehen wir die trägerneutrale Beratung in Pflegesachfragen und Pflegekrisen als wichtige Aufgabe. Diese Trägerneutralität kann durch Trägerunabhängigkeit gewährleistet sein. Erfahrungen in Hamburg und Kiel verweisen allerdings auch auf die Vorteile von trägerübergreifenden Initiativen. In Hamburg wurde ein Pflegetelefon als Projekt des Landespflegeausschusses Hamburg eingerichtet, in Kiel besteht der Trägerkreis des PflegeNotTelefons für Schleswig-Holstein aus nicht weniger als 45 Organisationen. Beschwerdestellen für Missstände in der professionellen Pflege älterer Menschen Angetreten war das Modellprojekt mit einem eingegrenzten Zuständigkeitsbereich: Unter dem persönlichen Nahraum älterer Menschen wurde der private Lebensraum außerhalb von Institutionen verstanden. Trotz dieser Eingrenzung wandten sich immer wieder Menschen an das Modellprojekt, die über Missstände bzw. Gewalt in stationären oder teilstationären Pflegeeinrichtungen berichteten und Unterstützung suchten. Diese Erfahrung und die starke Nutzung von Einrichtungen und Initiativen in Deutschland, die ausdrücklich für den Bereich der professionellen Pflege zuständig sind, zeigen den hohen Bedarf an fachkundiger Beratung und Unterstützung beim Vorbringen von Beschwerden. Als wegweisend im Umgang mit diesen Missständen und Beschwerden erscheint die Arbeit der Münchner Beschwerdestelle für Probleme in der Altenpflege. Die Stadt Nürnberg hat mittlerweile eine ähnliche Institution geschaffen. Eine unabhängige Beschwerdestelle besteht seit längerem auch in Zürich (OMBUDSSTELLE: SCHAFFHAUSEN SCHLIESST SICH ZÜRICH AN, 2001). In Kiel wurde zum 1. Juli 2001 eine Beratungs- und Beschwerdestelle eingerichtet (CDU WIRFT PFLEGE-CHEF VERSAGEN VOR, 2001), in Erlangen gibt es entsprechende Pläne für das Jahr 2002 (HILFE BEI PFLEGE, 2001), in Ingolstadt wird darüber diskutiert (CSU HÄLT BESCHWERDESTELLE NICHT FÜR NOTWENDIG, 2001). 8.5 Zur Organisationsform und institutionellen Einbindung von Hilfeangeboten Hinsichtlich der Organisationsform und der institutionellen Ein- und Anbindung zu schaffender Hilfeangebote seien an dieser Stelle lediglich einige aus Sicht der AutorInnen wesentliche, bei der Planung künftiger Angebote in Erwägung zu ziehende Prinzipien benannt: 627 • • • • • • Sachliche und räumliche Zuständigkeiten der das Angebot tragenden Einrichtung sollten klar geregelt und nach außen für die Bürgerinnen und Bürger deutlich erkennbar sein. Örtliche Doppel- und Parallel-Angebote sollten nicht nur aus Kostengründen möglichst vermieden werden, sondern auch, weil sie die geforderte Klarheit für die potenziellen NutzerInnen vermissen lassen. Soweit möglich, sollten neu zu schaffende Angebote in bestehende, in den Zielgruppen bekannte und anerkannte Institutionen integriert oder diesen angegliedert werden. Die geographische oder administrative Ebene, auf der Angebote sinnvollerweise angesiedelt werden sollten, ist von der Art des Angebots abhängig. Während Beratungseinrichtungen, die sich nicht auf telefonische Beratung beschränken, kaum mehr als eine Stadt oder einen Landkreis abdecken können, sind Einrichtungen, deren Aufgabenschwerpunkte in den Bereichen Koordination, Öffentlichkeitsarbeit und Information sowie in der Weitervermittlung an lokale Institutionen liegen, auf Landes- oder Bundesebene denkbar. Hinsichtlich der personellen Ausstattung ist der Schaffung multiprofessioneller Teams Vorrang zu geben. Von wesentlicher Bedeutung ist ferner von Beginn an die umfassende Vernetzung der neu geschaffenen Einrichtung mit relevanten Institutionen und Personen. Bei der institutionellen Anbindung sollte daher auch darauf geachtet werden, inwieweit die tragende bzw. koordinierende Institution sich bereits als „netzwerkfähig“ erwiesen hat. Trägerneutralität von Angeboten ist anzustreben. Diese kann auch durch die Einbindung verschiedener Träger erreicht werden; insofern sind kooperative Trägerstrukturen vorteilhaft. Über diese allgemeinen Prinzipien hinaus sind jeweils örtlich vorfindliche Bedingungen von Bedeutung. Bei den in den letzten Jahren in Deutschland vor allem auf lokaler Ebene entstandenen Institutionen zur Gewaltproblematik im Alter waren vor allem das Engagement und die Persönlichkeit Einzelner ausschlaggebend; hinzu kommen – wie etwa im Falle der Münchner Beschwerdestelle – andernorts nicht ohne weiteres replizierbare politische Konstellationen, die bestimmte Organisationsformen nahe legen. Die so bislang eher punktuell und vor allem in Großstädten entstandene Hilfelandschaft sollte erhalten und gefördert 492 werden . 492 Zum Teil verfügen die bestehenden Institutionen und Initiativen bisher nur über unzureichende und unsichere finanzielle Ressourcen, welche u.a. die Rekrutierung und dauerhafte Beschäftigung hochqualifizierten Personals erschweren. 628 8.6 Anmerkungen zur möglichen Finanzierung von Hilfeangeboten Grundsätzlich ist im Bereich der Gestaltung von Präventions- und Interventionsmaßnahmen zur Misshandlung und Vernachlässigung Älterer im Nahraum an eine Mischfinanzierung aus Bundes- und Landesmitteln und aus Kommunalhaushalten zu denken. Dabei sind unterschiedliche Schwerpunktsetzungen vorstellbar: - - Für eine Finanzierung aus Bundesmitteln kommen zunächst allgemeine und zielgruppenspezifische Öffentlichkeitskampagnen zum Thema „Gewalt gegen Ältere“ in Frage. Zu denken ist auch an die Unterstützung von bundesweiten Vernetzungs-, Fortbildungs- und Informationsaktivitäten, etwa die Unterstützung von Tagungen und die Entwicklung zielgruppenspezifischer Schulungsmaterialien und Fortbildungskonzepte. Ferner kann auch zukünftig die Finanzierung von Modellprojekten angeraten erscheinen; dabei wäre zu prüfen, inwieweit thematisch weiter gefasste modellhafte Hilfeangebote in ein Programm ähnlich dem derzeitigen Förderprogramm „Altenhilfestrukturen der Zukunft“ einbezogen werden könnten. Für eine Finanzierung aus Landes- und Kommunalmitteln kommen neben der Installation lokaler Beratungseinrichtungen für ältere Menschen und ihre Angehörigen, Freunde. Betreuer etc. u.a. landesweite Pflege-Helplines (orientiert am Vorbild Schleswig-Holsteins), unterstützende Maßnahmen zu einer auch gewaltpräventiv wirksamen Optimierung der ambulanten Pflege, die Förderung des Aufbaus lokaler Netzwerke sowie Präventions- und Aufklärungsmaßnahmen auf der Ebene der Polizei in Frage. Kooperative Trägerschaften und Finanzierungsmodelle, wie z.B. beim Pflegetelefon Hamburg und beim Pflegenottelefon Schleswig-Holstein, bieten sich insbesondere für den pflegerischen Bereich an. Insgesamt sollten nicht Zuständigkeitsfragen im Vordergrund stehen, vielmehr kommt den Konsequenzen einer Anbindung an Bund, Länder oder Kommunen für die finanzielle Ausstattung der Hilfeangebote, die Qualität der den Bürgern angebotenen Dienstleistungen, die Erreichbarkeit der Dienstleistungen, die Vernetzung der neuen Angebote mit bereits bestehenden Strukturen vorrangige Bedeutung zu. Neben der Finanzierung gewaltpräventiver Maßnahmen aus öffentlichen Haushalten ist zu prüfen, inwieweit andere Finanzierungsquellen genutzt werden können. Hier wäre etwa an eine mögliche Vergütung einschlägiger Beratungsleistungen durch Ärzte über die Gesetzliche Krankenversicherung zu denken; ebenso sollte geprüft werden, inwieweit unter Gewaltpräventionsgesichtspunkten wirksame, über pflegeri- 629 sche, medizinische und organisatorische Fragestellungen hinausgehende Beratung zum Komplex „häusliche Pflegebedürftigkeit“ auch aus Mitteln der Pflegeversicherung finanziert werden kann. Detaillierte Angaben zum Finanzbedarf gewaltpräventiv wirksamer Hilfeangebote für Ältere sind ohne Bezugnahme auf konkrete, derzeit noch nicht erkennbare Projekte nicht möglich. Das Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ hatte insgesamt einen Finanzbedarf von ca. DM 1.165.000, pro Jahr also ca. DM 390.000. Mit vergleichbarer MitarbeiterInnenzahl und entsprechendem Finanzaufwand könnte auch eine thematisch breiter gefasste Beratungseinrichtung für 493 ältere Bürgerinnen und Bürger betrieben werden . 8.7 Zum Qualifikationsprofil von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einschlägiger Einrichtungen und Projekte Die Vielgestaltigkeit der Erscheinungsformen und der Entstehungsbedingungen von „Nahraumgewalt gegen ältere Menschen“ legt einen interdisziplinären und multiprofessionellen Zugang nahe. Zu den für das Feld wichtigen Disziplinen und Bereichen gehören neben Sozialarbeit und Sozialpädagogik vor allem Gerontologie, Psychologie, Gerontopsychiatrie, Medizin, Strafverfolgung und Justiz sowie Pflege und Pflegewissenschaft. Multidisziplinäre Besetzung und interdisziplinäre Zusammenarbeit gewinnen noch an Bedeutung, wenn die Beratungseinrichtung – wie in Kap. 8.1 empfohlen – nicht nur für die enge Thematik der gewaltförmigen Viktimisierung Älterer durch nahestehende Personen sondern für eine große Bandbreite altersbezogener Probleme zuständig ist. Auch bei der Bearbeitung von Fällen der Nahraumgewalt sind aber – sowohl im Hinblick auf die Unterschiedlichkeit der zu erwartenden Fallkonstellationen als auch im Hinblick auf das Vorgehen bei der Bearbeitung einzelner Fälle – Kenntnisse, Kompetenzen und Erfahrungen aus mehreren Disziplinen von Vorteil. Einige Beispiele mögen dies verdeutlichen: • Faktoren wie soziale Isolation der Familie und finanzielle Abhängigkeit des Gewaltausübenden vom Opfer sind, wie u.a. die Arbeit von GODKIN, WOLF & PILLEMER (1989) zeigte, charakteristisch für Familien, in denen elder abuse-Fälle auftreten. Hier sind vor allem sozialarbeiterische und sozialpädagogische Kompetenzen von Bedeutung. 493 Wie mehrfach ausgeführt, hat das Modellprojekt solche thematischen Erweiterungen selbst vorgenommen und praktiziert. 630 Soweit Hilfeeinrichtungen sich auch dem Problemkomplex „Pflegedefizite und pflegerische Vernachlässigung“ aktiv zuwenden, sollte eine Pflegefachkraft in das Team eingebunden werden. Sowohl im diagnostischen Bereich (Wo und in welchem Ausmaß liegt pflegerische Vernachlässigung vor?) als auch im Hinblick auf Möglichkeiten der Entlastung und Unterstützung der Pflegepersonen und der Optimierung der Versorgung der Pflegebedürftigen bedeuten pflegerische Fachkenntnisse eine problemangemessene Kompetenzerweiterung des Teams. • TATARA & KUZMESKUS (1996) weisen darauf hin, dass in den USA fast 25% der Fallmeldungen an Adult Protective Services auf Ärzte und andere Gesundheitsdienstleister zurückgehen. Die Einbindung von Ärzten in gewaltpräventive Bemühungen ist aufgrund ihres nahezu flächendeckenden, intensiven und oftmals vertrauensvollen Kontakts mit der älteren Generation unabdingbar. Ärzte müssen jedoch nicht unmittelbar in den Teams spezifischer Hilfeeinrichtungen vertreten sein. Hier ist vielmehr primär an eine Problem-Sensibilisierung und Schulung dieser Berufsgruppe sowie an eine systematische Zusammenarbeit – etwa im Rahmen von Arbeitskreisen – mit den Beratungseinrichtungen zu denken. • Soweit Gewalt aus familiären Konfliktkonstellationen erwächst, sind – vor allem dort, wo es nicht um primär materiell begründete Auseinandersetzungen geht, sondern um konflikthafte Beziehungen mit oftmals Jahre oder Jahrzehnte währenden Vorgeschichten – in erster Linie psychologische Kompetenzen im Bereich der Diagnostik, Beratung und Therapie vonnöten; hier ist vor allem an systemische und familientherapeutische Kenntnisse und Fertigkeiten (vgl. hierzu u.a. BARTHELMESS, 1999; BAURIEDL, 1998; BURNHAM, 1995; BÜSCHGESABEL, 2000; PFEIFER-SCHAUPP, 1995; von SCHLIPPE & SCHWEITZER, 1997; TEXTOR, 1995) zu denken. • Grundsätzlich besteht ein Spannungsverhältnis zwischen Wohnortnähe und Dichte der Einrichtungen einerseits und der Zahl und der professionellen Bandbreite der dort tätigen Personen andererseits. Multiprofessionelle Teams werden auf der Ebene von Gemeinden oder Stadtteilen kaum finanzierbar sein. Insofern sind die Aspekte Dezentralität und Multiprofessionalität im Einzelfall gegeneinander abzuwägen. Je weniger angesichts der verfügbaren finanziellen Ressourcen Multiprofessionalität innerhalb eines Teams realisiert werden kann, desto mehr Bedeutung gewinnt wiederum die Vernetzung des Teams mit Institutionen und Personen, welche die ´fehlenden´ Professionen repräsentieren und entsprechende Fachkenntnisse einbringen. 631 8.8 Gewaltverständnis und Umgang mit dem Gewaltbegriff in Hilfeangeboten für von Nahraumgewalt bedrohte und betroffene ältere Menschen Bislang ist in nahezu der gesamten elder abuse-Diskussion und in darauf Bezug nehmenden Praxiseinrichtungen ein sehr weitgefasstes Gewaltverständnis vorherrschend. Das übliche Begriffsspektrum und seine Varianten, die sich insbesondere hinsichtlich des Ein- bzw. Ausschlusses von Fällen der finanziellen Ausbeutung und der Selbstvernachlässigung sowie des jeweiligen Grades der Adaptation von Galtungs Konzept der strukturellen Gewalt (GALTUNG, 1975) voneinander unterscheiden, wurden in Kapitel 1 dargestellt und diskutiert. Zugleich – und dies gilt in hohem Maße für das Modellprojekt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ – sind eine Distanzierung von Parteilichkeit und anklagenden Positionen und eine Abstinenz von gesellschafts- oder sozialpolitischen Forderungen festzustellen, wie sie in Einrichtungen, die sich den thematisch verwandten Problemkreisen der familiären Gewalt gegen Kinder und gegen Frauen widmen, durchaus üblich sind. Damit verbunden – auch dies war beim Modellprojekt feststellbar – sind Erweiterungen des Themen- und Arbeitsbereichs über eine ohnehin schon sehr weit definierte Gewaltthematik hinaus. Insgesamt ist im Umgang mit dem Gewaltbegriff derzeit eine ambivalente Haltung zu konstatieren: Das Aufmerksamkeits-, Skandalisierungsund Mobilisierungspotenzial des Gewaltbegriffs wird – vor allem im Bereich der Medien- und sonstigen Öffentlichkeitsarbeit – genutzt. Zugleich soll aber der Zugang zu Hilfesuchenden durch eben diesen Gebrauch des Gewaltkonzepts nicht versperrt werden. Diese Strategie ist vor dem Hintergrund des Umstands zu sehen, dass viele Angebote (so auch im Falle des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“) sich nicht oder nicht nur an Ältere richten, sondern auch an pflegende Familienangehörige und andere Personen aus dem 494 Umfeld, d.h. auch an aktuell oder potenziell Gewaltausübende . Anzustreben ist insgesamt eine bessere Deckung von „Inhalt“ und „Etikett“. „Gewalt“ sollte keinesfalls als summary symbol für einen weit darüber hinaus reichenden Komplex von Problemlagen des Alters verwendet werden. 494 Hier liegt zugleich ein weiterer bedeutsamer Unterschied zu Einrichtungen in der Tradition der Kinderschutz- oder Frauenbewegung. Auch dort werden inzwischen Konzepte zur „Täterarbeit“ entwickelt, doch dominieren diese nur selten die Angebotspalette. 632 Die Problematik beruht auch darauf, dass im deutschen Sprachraum „Gewalt“ als Leitbegriff dominiert. Wie in Kapitel 1 ausgeführt, ist in der angelsächsischen Diskussion in aller Regel von „elder abuse“ bzw. „elder abuse and neglect“ die Rede und konnte sich die direkte Übersetzung „Altenmissbrauch“ in Deutschland vor allem wegen der starken sexuellen Konnotation, die der Missbrauchsbegriff sowohl in der Umgangssprache als auch im psychosozialen Fachjargon hat, nicht durchsetzen. Der Gewaltbegriff ist weitaus abstrakter und unbestimmter als das Beg495 riffspaar „Misshandlung und Vernachlässigung“ ; die Bedeutung, die er im Fachdiskurs über „Gewalt gegen Ältere“ mittlerweile angenommen hat, geht über das hinaus, was in Alltagskommunikationen damit bezeichnet wird, was wiederum zur Gefahr von Missverständnissen in der Verständigung zwischen Fachöffentlichkeit und allgemeiner Öffentlichkeit führt. Die AutorInnen plädieren für einen sparsamen und reflektierten Gebrauch des Gewaltbegriffs. Von Gewalt sollte möglichst nur dann die Rede sein, wenn die gemeinte Bedeutung an Alltagsverständnisse von Gewalt anschließen kann. Grundsätzlich ist dem – zugegebenermaßen aufgrund seiner Länge unkomfortableren – Begriffspaar „Misshandlung und Vernachlässigung“ der Vorzug zu geben. 8.9 Mögliche dysfunktionale Entwicklungen Im Umgang mit dem Problembereich „Nahraumgewalt gegen Ältere“ sind einige dysfunktionale Entwicklungen grundsätzlich vorstellbar. Sie werden im Folgenden kurz benannt, soweit erforderlich wird auf Strategien zu ihrer Vermeidung hingewiesen. Unangemessene Dramatisierung (durch psychosoziale Experten) mit der Gefahr des Umschlags in Bagatellisierung (im öffentlichen Bewusstsein) Die gesamte Diskussion um Gewalt gegen Ältere steht in einem Spannungsfeld von Bagatellisierung und Dramatisierung. Wie in Kapitel 8.8 ausgeführt, sollte der Gewaltbegriff mit Bedacht gebraucht werden und nicht als Sammelbegriff für alle möglichen nicht rein krankheits- und al- 495 „Er [der Gewaltbegriff] ist ungenau und zweideutig, und die Folge ist, dass die Leute sehr leicht meinen können, sie sprächen über dieselbe Sache, wenn das gar nicht der Fall ist.“ (BORKOWSKI, MURCH & WALKER, 1983, S.50; zit. bei NEIDHARDT, 1986, S.115). 633 terungsbedingten problematischen Aspekte des Alters verwendet werden. Ferner gibt es zweifellos strukturelle Probleme in der Pflege und Versorgung älterer Menschen. Diese Probleme können Verhaltensweisen und Erfahrungen mit sich bringen, die unter einen weiten Gewaltbegriff subsumierbar sind. Dies sollte aber nicht dazu führen, dass der Gewaltbegriff verwendet wird, wenn man einen Gegenstandsbereich meint, der mit dem Bedeutungskern dieses Begriffs – aggressiv motivierter schwerwiegender körperlicher Zwangseinwirkung – kaum noch etwas zu tun hat. Wenn Defizite in der pflegerischen Versorgung oder überlastungsinduzierte pflegerische Vernachlässigungen gemeint sind, sollte dies auch so benannt werden. Wird das Gewaltkonzept immer wieder in einem sehr weiten und neben dem zentralen Bedeutungsgehalt des Begriffs liegenden Sinne gebraucht, droht die damit möglicherweise angestrebte Betonung der Bedeutsamkeit der angesprochenen Probleme in Bagatellisierung umzuschlagen, sobald dem Rezipienten die Diskrepanz bewusst wird. Thematische Verengung auf Pflegeprobleme und auf die Gruppe pflegebedürftiger Älterer; Ignorieren der Heterogenität von Altersverläufen und von Problemlagen im Alter Grundsätzlich lassen sich mindestens zwei parallele Diskurse über Gewalt gegen Ältere im häuslichen Bereich unterscheiden, die als sozialarbeiterischer Diskurs und strafjustizieller Diskurs oder – die Terminologie von HUGMAN (1995) aufgreifend – als Misshandlungsdiskurs und Kriminalitätsdiskurs bezeichnet werden können. Die beiden Diskurse haben deutlich voneinander abweichende Grundauffassungen von dem Problemfeld. Der strafjustizielle Diskurs fasst „Gewalt gegen Ältere“ als kriminelles Unrecht, welches mit Mitteln des Strafrechts zu ahnden bzw. durch erfolgreiche Anwendung dieser Mittel abzuschrecken ist; der sozialarbeiterische Diskurs sieht „Gewalt gegen Ältere“ als ein soziales Problem, dem vor allem durch Beratung und Unterstützung von Gewaltopfern wie Gewaltausübenden beizukommen ist. In der gegenwärtigen Diskussion um gewaltförmige Viktimisierungen alter Menschen im familiären Bereich findet hierzulande eine weitgehende Reduktion auf den sozialarbeiterischen oder Misshandlungsdiskurs bei nahezu völliger Trennung vom strafjustiziellen oder Kriminalitätsdiskurs statt. Damit eng verbunden ist die Tendenz der Konzentration und Beschränkung des Diskurses auf den Komplex der mit häuslicher Pflege verbundenen Probleme, in welcher wiederum eine – der Vielfalt der Lebensformen und Viktimisierungsrisiken älterer Menschen nicht ge- 634 recht werdende – implizite „Identifikation von älteren Menschen mit Pflegebedürftigkeit und Abhängigkeit“ (WETZELS et al., 1995, S.144) zum Ausdruck kommt. Selbst damit ist die thematische Verengung noch nicht abgeschlossen, denn oftmals werden Misshandlung und Vernachlässigung in der häuslichen Pflege dann vor allem unter einer Perspektive, der der Be- und Überlastung der familiären Pflegepersonen betrachtet. Wie ist die Dominanz eines solchen Pflege-Belastungs-Modells zu verstehen? Neben institutionellen Faktoren dürfte von Bedeutung sein, dass dieses Denkmodell Handlungsmöglichkeiten nahe legt und Zugänge zu den Adressaten eröffnet. Wäre pflegerische Überlastung die Generalursache von Nahraumgewalt gegen Ältere, so gäbe es erstens einen zumindest konzeptuell einfachen Präventionsansatz (Entlastung und Stressabbau) und zweitens eine zugängliche Zielgruppe, an welche die entsprechenden Bemühungen zu richten wären (pflegende Angehörige). Leicht zugänglich wäre diese Zielgruppe zum einen hinsichtlich ihrer physischen, psychischen und intellektuellen Verfassung; zum anderen verbaut das Pflegestressmodell auch motivational nicht den Weg; es klagt nicht an, sondern äußert Verständnis und bietet Entlastung an. Eine solche Sichtweise enthält die Gefahr, dass häusliche Gewalt im Alter als ein allein mit sozialarbeiterischem bzw. psychosozialem Instrumentarium zu bewältigendes Problem wahrgenommen wird und zugleich der kriminelle Unrechtsgehalt von Delikten in diesem Bereich und das Erfordernis und die Angemessenheit strafjustizieller Intervention und Sanktion ausgeblendet werden. Hier gilt es, den Blick dafür offen zu halten, dass Gewalt gegen Ältere nicht nur in Pflegebeziehungen stattfindet, dass selbst dort, wo dem so ist, nicht Überlastung die alleinige Ursache darstellt und dass es Formen der häuslichen Gewalt gegen ältere Menschen gibt, die als kriminelles Unrecht anzusehen und zu ahnden sind. Bereits die wenigen im Exkurs nach Kapitel 6.2.2 präsentierten Fallbeispiele aus der Presseberichterstattung legen eine solche Sichtweise nahe. 635 Altersstereotypen und –vorurteile (ageism496) in Präventions- und Interventionskonzepten Die Gefahr, dass Elemente dessen, was im Englischen mit dem Begriff Ageism belegt wird, Eingang in die Gestaltung von Präventions- und Interventionsmaßnahmen zur Thematik der Gewalt gegen ältere Menschen finden, besteht grundsätzlich dort, wo starke Anleihen bei Projekten zum Schutz von Kindern vor Gewalt gemacht und damit fast zwangsläufig Parallelen zwischen Kindern und älteren Menschen gezogen werden. Die Kritiker der amerikanischen Mandatory Reporting Laws haben gerade diesen Aspekt immer wieder ins Feld geführt. In Deutschland wurden entsprechende Bestimmungen bislang nicht eingeführt. Gewisse Tendenzen zu einer entmündigenden und stereotypisierenden Haltung gegenüber älteren Menschen sind aber zum einen in der oben erwähnten weitgehenden Gleichsetzung von „Gewalt gegen Ältere“ mit „Gewalt gegen Pflegebedürftige“ zu sehen, zum andern darin dass der öffentliche Diskurs über Gewalt gegen Ältere bislang – ähnlich wie das in Bezug auf Gewalt gegen Kinder der Fall ist und gänzlich anders als in Bezug auf Gewalt gegen Frauen – in erster Linie ein Sprechen über Ältere, nicht mit Älteren ist. Hier ist somit eine stärkere Einbindung von SeniorInnen und ihren Interessenvertretungen in die Diskussion um Gewalt im Alter und in die Ausgestaltung entsprechender Maßnahmen angezeigt. Suboptimale Nutzung übertragbarer Erfahrungen Die letzte hier in aller Kürze anzusprechende Gefahr dysfunktionaler Prozesse betrifft die Nutzung der national wie vor allem international vorhandenen Erfahrungen in diesem Bereich für die Ausgestaltung von Präventions- und Interventionsmaßnahmen. Heute muss in diesem Bereich nicht mehr „das Rad neu erfunden“ werden. Nutzung vorhandener Erfahrungen bedeutet erstens den systematischen Austausch der Erfahrungen der in Deutschland im Bereich „häusliche Gewalt gegen Ältere“ arbeitenden Praxiseinrichtungen und Forschungsinstitute, zweitens die systematische Auswertung der im Ausland, insbesondere in den Vereinigten Staaten, Kanada und Großbritannien gesammelten Erfah496 Parallel zum Gewalt-Diskurs wird national wie international über verschiedene Aspekte der Diskriminierung älterer Menschen gesprochen. Im englischen Sprachraum hat sich neben dem Begriff age discrimination, der sich vorwiegend auf Aspekte materieller Benachteiligung älterer Menschen (etwa im Arbeitsleben) bezieht, das Konzept des ageism eingebürgert. Dieses weit gefasste, in Anlehnung an Begriffe wie racism und sexism entwickelte Konzept, welches negative Altersstereotypen und andere verallgemeinernde Haltungen gegenüber älteren Menschen umschließt, hat bisher im Deutschen keine geläufige Entsprechung; ILLHARDT (1993; 1995) hat den Begriff in der englischen Form auch in die deutschsprachige Diskussion eingeführt; zum ageism-Konzept vgl. auch BYTHEWAY (1995), COOK (1992), LEVIN (1980). 636 rungen und drittens ein problem- und zielgruppenangemessener Transfer von Erfahrungen aus anderen familiären Gewaltbereichen. Während die Vernetzung der einschlägigen bundesdeutschen Institutionen durch die Gründung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Krisentelefone, Beratungs- und Beschwerdestellen für alte Menschen weit vorangeschritten ist, erscheinen die Potenziale in den beiden zuletzt genannten Bereichen noch nicht ausgeschöpft. Natürlich gibt es weitere potenzielle Entwicklungen, die als in höchstem Maße dysfunktional zu betrachten wären. Dazu würde insbesondere das Verschwinden der heute in Deutschland meist mit dem Begriff „Gewalt gegen Ältere“ belegten Themen von der politischen Agenda und aus dem öffentlichen Bewusstsein gehören. Bislang hat die Thematik den Sprung hin zu einem die allgemeine Öffentlichkeit interessierenden Thema ohnehin eher punktuell und vorübergehend, nicht aber flächendeckend und dauerhaft geschafft. Während in der Fachöffentlichkeit vor allem hinsichtlich struktureller Defizite im Bereich der Altenpflege und hier insbesondere der mangelhaften Berücksichtigung des Betreuungsbedarfs dementiell erkrankter Personen weitgehende Einigkeit herrscht, sind die damit verbundenen Probleme im Bewusstsein der allgemeinen Öffentlichkeit noch unzureichend verankert. 637 Literatur ACTION ON ELDER ABUSE (1997a). Responding to elder abuse: A guide for careworkers. London: Action on Elder Abuse. ACTION ON ELDER ABUSE (1997b). The abuse of older people at home: nd Information for workers (2 edition). London: Action on Elder Abuse. ACTION ON ELDER ABUSE (1998). Annual review 1997/1998. London: Action on Elder Abuse. ADMINISTRATION ON AGING (1999). Executive summary: FY 1996 LongTerm Care Ombudsman report. Verfügbar unter http://www.aoa. dhhs.gov/ltcombudsman/execsum96.html [16.5.2001]. ADMINISTRATION ON AGING (2001). The Long-Term Care Ombudsman Program. 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Zossener Straße 24, 10961 Berlin , Telefon: 030 / 69 59 89 89, Fax: 030 / 694 69 94 Info-Telefon: 030 / 69 59 88 98 E-Mail: pflege-in-not@dw-stadtmitte.de Internet: www.dw-stadtmitte.de Montag bis Freitag : 10 bis 12 Uhr Ansprechpartnerin: Gabriele Tammen-Parr Seniorenschutz-Telefon gegen häusliche Gewalt im Alter (Humanistischer Verband Deutschlands, Landesverband Berlin e.V.) Wallstraße 61-65, 10179 Berlin, Notruf - Telefon: 030 / 44 05 38 97, Büro – Telefon: 030 / 613904 94 E-Mail: hvd-berlin@humanismus.de, Internet: www.humanismus.de Mo. 10 bis 12 Uhr, Mi 15 bis 17, Do. 16.30 bis 18.30 Uhr Ansprechpartnerin: Christiane Kleinschmidt Pflegetelefon Hamburg Hammerbrookstr. 5, 20097 Hamburg Telefon: 040 / 28 05 38 22, Fax: 040 / 28 05 38 44 Montag bis Freitag 9.00 bis 13.00 Uhr Ansprechpartnerin: Stefanie Hilker PflegeNotTelefon Schleswig-Holstein Eine Initiative des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales Telefon: 018 02 / 49 48 47 (zum Regionaltarif) Projektkoordination: AWO Landesverband Schleswig -Holstein e.V., Feldstraße 5, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 5114-155, Fax: 0431 / 5114-108, E-Mail: aug@awo-sh.de / oder anke.buhl@awo-sh.de Mo, Di, Do, Fr 10.00 – 12.00 Uhr, Mo, Mi 16.00 – 19.00 Uhr Ansprechpartnerin: Anke Buhl 686 lnformationsbüro Pflege und Pflegebeschwerdestelle Magdeburger Straße 17, 28215 Bremen Telefon: 0421 / 3 61 82 21, Fax: 0421 / 361 – 9772 Montag bis Donnerstag: 9 bis 12 Uhr Ansprechpartner: Heinz-Ulrich Wollni Notruftelefon – Anlaufstelle für Probleme mit stationärer / ambulanter Pflege Sozialverband Deutschland e.V., ehem. Reichsbund - gegr. 1917, Landesverband Niedersachsen, Herschelstraße 31, 30159 Hannover, Telefon: 0511 / 7 01 48 13 u. Fax: 0511 / 7 01 48 70 E-Mail:sozialpolitik@sovd-nds.de, Internet: www.reichsbund.de Montag bis Donnerstag: 9 bis 16 Uhr, Freitag: 9 bis 13 Uhr Ansprechpartnerin: Meike Janßen Handeln statt Misshandeln Bonner Initiative gegen Gewalt im Alter e.V. Goetheallee 51, 53225 Bonn, Notruftelefon: 0228 / 69 68 68 Info-Telefon: 0228 / 63 63 22, Fax: 0228 / 63 63 31 E-Mail:info@Handeln statt Misshandeln-bonn.de, Internet: www.Handeln statt Misshandeln-bonn.de Montag bis Freitag: 10 bis 12 Uhr Ansprechpartner: Fred Erkens Initiative gegen Gewalt im Alter e.V. Siegen Hauptstraße 56, 57074 Siegen-Kaan, Tel. / Fax : 0271 / 6 60 97 87, http://members.aol.com/HANDELN STATT MISSHANDELNSiegen/) Montag und Freitag: 9 bis 12 Uhr Leiterin: Christel Ruback Städtische Beschwerdestelle für Probleme in der Altenpflege Direktorium Rathaus, Zimmer 281, Marienplatz 8, 80331 München Telefon: 089 / 23 32 06 60, Fax: 089 / 23 32 19 73 E-Mail: staedtische_beschwerdestelle.altenpflege@muenchen.de Montag: 9 bis 12 Uhr und Mittwoch: 15 bis 19 Uhr Leiterin: Christa Empen 687 Vereinigung Integrationsförderung e.V. Klenzestraße 57c, 80469 München, Telefon: 089 / 201 54 60 Fax: 089 / 201 57 61 Montag bis Freitag: 9 bis 17 Uhr Leitung: Claus Fussek Arbeitskreis gegen Menschenrechtsverletzungen Riemerschmidstraße 41, 80933 München Telefon: 089 / 3 13 30 28, Fax: 089 / 3 13 27 51 Ansprechpartner: Alexander Frey Stadt Nürnberg. Seniorenamt/Stadtseniorenrat Beschwerde- und Schlichtungsstelle Pflege Veilhofstr. 34, 90489 Nürnberg, Telefon: 0911 / 231 65 55, Fax: 0911/ 231 65 12; E-Mail: Heide_Stumm@sena.stadt.nuernberg.de Montag bis Freitag: 8.30 bis 16 Uhr Ansprechpartnerin: Heide Stumm „Seniohr“, Beratungstelefon für Sicherheit im AlterEine Initiative der gemeinnützigen Hertie-Stiftung und des Instituts f. Sozialarbeit e.V.,Oberlindau 20, 60323 Frankfurt a. M., Beratungstelefon: 0800/00 111 00, Info-Telefon: 069 / 97 20 17 38, Fax: 069 / 97 20 17 –11, Montag und Dienstag: 9 bis 12 Uhr, Donnerstag: 14 – 17 Uhr Ansprechpartnerin: Bettina Fitzner Psychosoziale Beratungsstelle für pflegende Angehörige und ältere Menschen in Bremen: Notruf für pflegende Angehörige in Bremen Am Dobben 31 28203 Bremen Tel.: 0421 – 794 84 98 Mo-Fr. 13-17 Uhr, Do bis 19 Uhr 688 Anhang 2: Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum – Empfehlungen auf der Basis einer Expertentagung – Zum Hintergrund der Empfehlungen Ein Gremium von 28 Expertinnen und Experten hat sich im Rahmen eines Kolloquiums am 5. und 6. Februar 2002 in Hannover mit der Thematik „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ auseinandergesetzt. Zentraler Gegenstand der Veranstaltung war die Diskussion des Berichts über die vom Institut für Kriminologie an der Justus-LiebigUniversität Gießen durchgeführte wissenschaftliche Begleitung des Modellprojekts „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ (Hannover, 1998-2001) in einem Expertengremium, zu dem u.a. Vertreterinnen und Vertreter des Modellprojekts, weiterer in Deutschland in den Bereichen „Gewalt gegen Ältere“, „Gewalt gegen Frauen“ und „Pflegebezogene Probleme“ arbeitender Einrichtungen, des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, von Seniorenorganisationen sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehörten. Das Kolloquium zielte vor allem auf das Erarbeiten von Handlungsempfehlungen im Problembereich „Nahraumgewalt gegen Ältere“ ab. Thematisch konzentrierte die Veranstaltung sich – dem Zuständigkeitsbereich des Modellprojekts und der dort gewählten Arbeitsdefinition des Begriffes „Nahraum“ entsprechend – auf Viktimisierungen im häuslichen Bereich und durch dem Opfer nahestehende Personen (Partner, Haushaltsmitglieder, Familienangehörige, Freunde, Bekannte, Nachbarn, Dienstleister im Pflege-, Gesundheits- und Sozialbereich wie Pflegedienste, Hausärzte, Betreuer etc.). Weitestgehend ausgeklammert blieben Opferwerdungen durch Fremde und im öffentlichen Raum sowie in stationären und teilstationären Altenhilfeeinrichtungen. Die folgenden Handlungsempfehlungen wurden in der hier vorliegenden Form von den unterzeichneten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Universität Gießen formuliert. Sie umfassen wesentliche Handlungsempfehlungen, die in der Gruppe der Expertinnen und Experten unstrittig waren oder zumindest von der überwiegenden Mehrheit befürwortet wurden. Eine förmliche Abstimmung über einzelne Punkte oder die Verabschiedung eines gemeinsam formulierten Empfehlungskatalogs waren im Rahmen des Kolloquiums aus zeitlichen und organisatorischen Gründen nicht möglich. 689 Zentrale Empfehlungen 1. „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum“ ist kein in sich einheitliches und mit einem einheitlichen Instrumentarium zu bearbeitendes Problemfeld. Insbesondere bedürfen die Themenbereiche ´häusliche Gewalt / Gewalt in Partnerschaften älterer Menschen´ einerseits und ´Misshandlung, Vernachlässigung sowie strukturelle Probleme in der häuslichen und ambulanten Pflege´ je gesonderter Betrachtung und spezifischer Hilfezugänge. 2. Eine Sensibilisierung der allgemeinen Öffentlichkeit für die Thematik „Gewalt gegen Ältere“ insgesamt sowie für den Bereich der Nahraumgewalt gegen Ältere ist erforderlich. 3. Zur Sensibilisierung spezifischer Berufsgruppen sollten entsprechende Maßnahmen initiiert werden. Zu diesen Berufsgruppen gehören an erster Stelle Hausärzte und professionelle Pflegekräfte im ambulanten Bereich, darüber hinaus eine Vielzahl weiterer Professionen mit regelmäßigen und hinreichend direkten und intensiven Kontakten zu älteren Menschen bzw. zu Teilpopulationen der älteren Generation. Befürwortet wird die Erarbeitung eines Praxisleitfadens zum Erkennen von Gewaltindikatoren und zum Umgang mit vermuteten oder bestätigten Gewaltfällen. Dieser Leitfaden soll sich ebenfalls primär an diejenigen Berufsgruppen richten, bei denen in besonderem Maße Kontakte mit älteren Gewaltopfern zu erwarten sind. Um eine verantwortliche Handhabung eines solchen Leitfadens zu gewährleisten, sollte seine Verbreitung mit einer qualifizierten Fortbildung für die künftigen Anwenderinnen und Anwender gekoppelt sein. • Die Gewaltproblematik sollte systematisch und flächendeckend in die Aus- und Fortbildung von Pflege- und medizinischen Berufen integriert werden. • 4. Ein Ausbau von einschlägigen Beratungs- und Hilfeangeboten auf lokaler Ebene über das bislang erreichte Maß hinaus ist erforderlich. Dies betrifft sowohl Angebote für den Bereich der Pflege als auch thematisch breit angelegte und nicht auf die Gewaltproblematik beschränkte Kriseninterventions- und Beratungsdienste für ältere Menschen. 5. Telefonische Beratungs- und Hilfeangebote für von Gewalt bedrohte und betroffene ältere Menschen sollten mit proaktiven, aufsuchenden Maßnahmen auf lokaler Ebene verknüpft werden. 690 Die Vielfalt der heute zum Teil bereits auf lokaler Ebene bestehenden telefonischen Beratungsdienste lässt im Interesse einer nutzerfreundlichen und übersichtlichen Angebotsstruktur eine Vereinheitlichung hinsichtlich des Zugangs und der Öffentlichkeitsarbeit angeraten erscheinen; es ist zu prüfen, inwieweit überregionale telefonische Beratungsdienste zur Schließung von Versorgungslücken insbesondere im Bereich der Krisenintervention außerhalb üblicher Dienstzeiten anderer Angebote (Nacht, Wochenende, Feiertage) sinnvoll beitragen können. • Proaktive Angebote sind vor allem im Hinblick auf die Erreichbarkeit bestimmter Gruppen mit besonderen Viktimisierungsrisiken (Demenzkranke, Schwerstpflegebedürftige, Personen mit eingeschränkter Mobilität und eingeschränkten kommunikativen Fähigkeiten) bedeutsam. Dabei ist eine angemessene Balance zwischen wirksamer Hilfe und Wahrung der Autonomie des Hilfeadressaten zu gewährleisten. • 6. Im Bereich der pflegebezogenen Angebote ist der Ausbau von Beschwerde- und Schlichtungsstellen zu empfehlen; die Möglichkeiten der Aufsicht über ambulante Pflegedienste und der Qualitätskontrolle in diesem Bereich sollten erweitert werden. Für pflegende Angehörige sollten entlastende Dienste und trägerneutrale oder trägerübergreifende Beratungsangebote zur Verfügung stehen. Weiterhin ist darauf hinzuwirken, dass Pflegende und Pflegebedürftige umfassend über vorhandene Hilfe-, Beratungs- und Fortbildungsangebote informiert werden; dies kann u.a. in systematischer Weise mit dem Versand der Pflegegeldbescheide geschehen. 7. Nahraumgewalt gegen ältere Menschen ist in mehrfacher Hinsicht ein Geschlechterthema. Dies betrifft insbesondere den Problembereich der Gewalt gegen ältere Frauen in Ehen und Partnerschaften, darüber hinaus aber z.B. auch die geschlechtsbezogene Verteilung häuslicher Pflegearbeit und die damit einhergehenden nach bisherigem Erkenntnisstand vergleichsweise hohen Anteile weiblicher Gewaltausübender bei Fällen der Vernachlässigung und Misshandlung in der Pflege. • Vorliegende Angebote für von Gewalt betroffene Frauen sollten systematisch hinsichtlich ihrer Eignung für die Zielgruppe der älteren Frauen überprüft und gegebenenfalls entsprechend modifiziert werden. Geeignete Schutz- und Krisenräume für ältere Frauen sind zu schaffen. Hilfeangebote für häusliche Gewaltopfer sollten die Opferwerdung älterer Frauen aktiv und explizit in ihren sachlichen Zuständigkeitsbereich integrieren und ihre Öffentlich- 691 keitsarbeit und die angebotenen Dienstleistungen entsprechend ausgestalten. • Sexuelle Opferwerdung älterer Menschen, insbesondere älterer Frauen, ist ein bislang im öffentlichen Bewusstsein, in der Forschung und im Bereich psychosozialer Hilfeangebote weitestgehend verdrängtes bzw. vernachlässigtes Problem. In allen drei Bereichen besteht Handlungsbedarf: Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Vorhandenseins dieser Gewaltform, einschlägige empirische Studien, Aufbau einer entsprechenden Hilfestruktur. 8. „Nahraumgewalt gegen Ältere“ ist ein nicht alleine über psychosoziale und pflegerische Hilfeangebote zu bewältigendes Problem, vielmehr eines, das auch auf einer politischen Ebene bearbeitet werden muss. Dazu gehören eine intensive Auseinandersetzung von Senioren-Selbstorganisationen mit der Thematik, die Verbesserung der materiellen Ausstattung und der Befugnisse von Seniorenvertretungen, eine breit geführte öffentliche Diskussion um die aktuelle und mittelfristige gesellschaftliche Ausgestaltung und Finanzierung von Pflege im Alter sowie Maßnahmen zur Sicherung einer materiellen Grundversorgung älterer Menschen, die derzeit vor allem bei älteren Frauen nicht immer in hinreichendem Maße gegeben ist. 9. Künftig stark wachsende Zahlen älterer und pflegebedürftiger Migranten machen die Schaffung spezifischer Angebote für diese Gruppe erforderlich. 10. Im Bereich „Gewalt gegen Ältere“ ist eine Intensivierung der Gewinnung, Sammlung und des Austauschs verlässlichen Fach- und Expertenwissens erforderlich. Dieses Ziel kann erreicht werden durch Einrichtung einer zentralen, für Informationssammlung, Dokumentation, Erstellung von Schulungsmaterialien etc. zuständigen Stelle, ferner durch intensive Erkundung ausländischer Erfahrungen sowie durch Nutzung langjähriger Erkenntnisse und Praktiken aus der Bearbeitung anderer Gewaltbereiche. gez.: Dr. Thomas Görgen Dipl. Soz.wiss. Barbara Nägele Dipl. Soz.wiss. Sandra Kotlenga Gießen und Göttingen, den 8. Februar 2002 692