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Wolfgang Drechsler (* 1963) ist o. Professor für Verwaltungs- und Staatswissenschaften an der Ragnar Nurkse School of Innovation and Governance und Prodekan für Internationale Beziehungen der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Technischen Universität Tallinn in Estland sowie Professeur invité an der Université catholique de Louvain in Belgien. BA Bridgewater College, MA University of Virginia, Promotion 1988 in Marburg, Absolvent der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer, Habilitation Universität Tartu (Dorpat), Ehrendoktor der Sozialwissenschaften der Corvinus-Universität Budapest 2013. Auszeichnungen u.a. Estnischer Nationalpreis für die Wissenschaften, Estnisches Marienland- und Deutsches Bundesverdienstkreuz. Forschungsschwerpunkte sind Nichtwestliche Verwaltung (China, Islam); Verwaltung, Technologie und Innovation; Verwaltungsreform generell sowie Staats- und politische Philosophie. Er ist der Sohn des langjährigen Marburger Oberbürgermeisters Dr. Hanno Drechsler (1931-2003). Verlag Blaues Schloss ∙ Marburg ISBN 978-3-943556- 27-8 8,50 € Neue Literarische Gesellschaft Marburg Uni im Café 6 • Wolfgang Drechsler • Gadamer in Marburg Hans-Georg Gadamer (1900-2002), der wichtigste Vertreter der philosophishen Hermeneutik, ist nicht nur einer der zentralen europäischen Denker des 20. Jahrhunderts, sondern ohne Zweifel auch der bedeutendste je in Marburg geborene Philosoph. Wolfgang Drechsler, durch den er mit Marburg seit den 1990er Jahren Kontakt hielt, erzählt von Gadamers hiesigem Umfeld über ein Jahrhundert hinweg: Geburt und Elternhaus, Marburger Studien- und Lehrzeiten mit Lehrern, Kollegen und Freunden wie Martin Heidegger, Paul Natorp, Hannah Arendt, Leo Strauss, Hans Jonas und Rudolf Bultmann und dem berühmten Philippinums-Vortrag Platon und die Dichter (1934), und besonders von seinen MarburgBesuchen in den späten Lebensjahrzehnten. UNI IM CAFÉ Wolfgang Drechsler Gadamer in Marburg Blaues Schloss 6 1 2 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg 3 Umschlagbild: Dora Mittenzwei: „Hans Georg Gadamer“, Acryl, 1994 Mit freundlicher Genehmigung der Malerin www.dora-mittenzwei.de Originalausgabe 1. Auflage, Mai 2013 Drechsler, Wolfgang: Gadamer in Marburg (Uni im Café 6) Druck und Bindung: Docupoint Magdeburg Printed in Germany ISBN 978-3-943556-27-8 © 2013 Verlag Blaues Schloss· Marburg Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung einschließlich Speicherung und Nutzung auf optischen und elektronischen Datenträgern nur mit Zustimmung des Verlags. Besuchen Sie uns im Internet: www.verlag-blaues-schloss.de Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. 4 Uni im Café Universität und Stadt, das sind zwei verschiedene Gemeinschaften in einer Universitätsstadt. Die Universität ist der traditionelle Sitz des Wissens, die Stadt der Ort des Wohnens, der Wirtschaft und der Verwaltung. Die Veranstaltungsreihe Uni im Café der Neuen Literarischen Gesellschaft wurde 2009 mit Prof. Dr. Ernst Nolte eröffnet. Sie trägt die Universität in die Stadt und macht sie einem breiteren Publikum zugänglich. Deshalb finden seitdem regelmäßig Vorträge und Diskussionen im Marburger Café Vetter statt. Dort bietet sich auch außerhalb einer universitären Öffentlichkeit den Wissenschaftlern der Universität Marburg und zahlreicher anderer deutscher Universitäten eine Möglichkeit, über ihre Forschungsergebnisse zu sprechen. Auf Grund des großen Interesses publiziert der Verlag Blaues Schloss einige ausgewählte Vorträge in der Reihe: „Uni im Café“ Marburg, im Mai des Jahres 2013 Ludwig Legge, Neue Literarische Gesellschaft Marburg K. H. Symon, Verlag Blaues Schloss· Marburg 5 6 WOLFGANG DRECHSLER Gadamer in Marburg 7 8 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg I Im Café Vetter Es ist eine ganz besondere Freude für mich, im Café Vetter sprechen zu können – zumal in einer Veranstaltungsreihe, die Teil der „Literatur um 11“ ist, an der meine Familie schon seit Jahrzehnten immer wieder gerne teilgenommen hat; ich denke zum Beispiel an die stets beeindruckenden Lesungen von Walter Kempowski oder Rüdiger Safranski. Es ist auch etwas ganz Besonderes, an einem Ort zu sein, an dem ich nur deswegen nicht um die Ecke wohne, weil zwischen meiner Marburger Wohnung und dem Café Vetter gar keine Ecke ist, sondern nur eine ganz leichte Kurve – es ist also wirklich die engste Nachbarschaft. Das Café Vetter hat im Kontext meines heutigen Vortrages für mich aber auch einen weiteren genius loci. 1995 habe ich den Marburg-Teil der von Safranski besorgten „Philosophie Heute“-Jubiläumssendung des WDR über Hans-Georg Gadamer, „Die Kunst des Verstehens“, vorbereitet und begleitet. Bei dieser Gelegenheit waren wir sowohl zu Dreharbeiten als auch einfach nur zum Kaffee hier und haben mit Gadamer über das Café und seine eigenen Erinnerungen daran gesprochen. Der heutige Vortrag paßt also wirklich hervorragend hierher. Da ist zum Beispiel die schon bekanntere Geschichte über Ernst Robert Curtius, der, wie Gadamer erzählte, ein wenig „Große Welt“ nach Marburg brachte und in den Vorlesungspausen aus der Alten Uni hier herüber kam, um sich mit einem Glas Weiß9 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg wein, einer klaren Bouillon und einer Königinnenpastete zu stärken. Das war für Marburg etwas ganz Besonderes, daß er keine „geschmierte Bemme“ dabei hatte, sondern ins Café ging und eine Zwischenmahlzeit einnahm. Sie kennen wahrscheinlich die Anekdoten, die sich um Martin Heidegger und Hannah Arendt ranken, gerade um die Zeit ihrer Marburger Beziehung. Da gibt es die Geschichte, daß an den Morgen, nachdem sie zusammen die Nacht verbracht hatten, beide hier im Café Vetter zusammen gefrühstückt hätten. Und es wird sogar berichtet, daß der Ecktisch mit dem Sofa, rechts zur Alten Universität hin in der Reihe vor dem Beginn der Terrasse, ihr ‚Stammtisch‘ war. An solch einem Tisch saßen wir dann natürlich auch, aber Gadamer hat dies als Legende zurückgewiesen; von dieser Beziehung habe überhaupt niemand gewußt; die beiden hätten nie zusammen öffentlich allein gefrühstückt. Aber wir können heute sagen, das da drüben ist der Tisch, über den Gadamer gesagt hat, daß Heidegger und Arendt da nicht gefrühstückt haben. Und das ist ja auch schon etwas. Eine andere Anekdote hat sich an eben jenem Tisch aber bewahrheitet. Der erste Marburger Lehrer Gadamers war der gerne unterschätze Nicolai Hartmann. (Natorp war auf dessen Empfehlung Gadamers Doktorvater, aber auch nicht ohne einen gewissen Einfluß auf diesen; der zweite und eigentliche Marburger Lehrer Gadamers war natürlich Heidegger.) Gadamer berichtet (durchaus kritisch), wie Hartmann häufig seine Gedanken graphisch darstellte, Pfeil und Box, wie man das heute auch gern macht, quasi den PowerPoint vorwegnehmend, und 10 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg im Café Vetter hier auf dem Tisch für sich oder für andere zur Erklärung diese Schemata mit Kreide hingemalt hat. Wenn Sie sich das heute überlegen, so mit Kreide auf die Vetterschen Decken zu schmieren, das wäre ja nicht sehr nett, und Frau Vetter wäre trotz Waschbarkeit sicher etwas ungehalten. Außerdem würde man nicht viel sehen. Und so kam eben Gadamer auf die Idee: Schauen wir doch mal, was unter den Decken ist. Und Sie, die Sie in dieser Reihe sitzen, schauen Sie auch einmal, was Sie finden, wenn Sie unter die Decke und dann noch einmal unter die Unterdecke gehen. Da sehen Sie die alten Marmorplatten, und das sind die Originale aus den 20er Jahren. Und dadurch macht die Geschichte wieder Sinn – auf Marmor kann man in der Tat leicht mit Kreide zeichnen und alles noch leichter wieder wegwischen. Wir haben also hier die Marburger intellektuelle Geschichte mit Deckchen verhängt. Das kann man einerseits einfach so stehen lassen, andererseits zeigt es aber auch sehr schön die GadamerVerbindung und die Präzision seiner Erinnerung. Wir unterhielten uns also an diesem Tisch, und Gadamer berichtete über einen Besuch Carl Schmitts in Marburg, der wohl in den frühen 30er Jahren für einen Vortrag hier war. Schmitt bekam nach seinem Vortrag eine Frage gestellt, die er etwas zu schlicht fand, worauf er antwortete, „Ja, also, ich beantworte so etwas nicht, und meinen Assistenten habe ich leider nicht dabei.“ Das ist Carl Schmitt, nicht wahr? Gadamer sagte dann ein, zwei andere Dinge über Schmitt, und ich hatte eine etwas andere Ansicht.1 Jetzt überlegte ich mir natürlich, sollte ich wirklich sagen, ich habe ein anderes Schmitt-Bild als Gada11 Im Café Vetter Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg mer? Macht das irgendeinen Sinn, oder ist das einfach nur naßforsch? Und so hielt ich mich mit meinem Kommentar zurück, was aber doch immerhin bemerkbar war. Und ich erinnere mich wirklich wie heute, wie Gadamer sich zu mir hin über den Tisch beugt und sagte, „Nein, nein, Herr Drechsler, was meinen Sie denn nun?“ Das Bedeutende an Gadamer war auch, daß er wirklich wissen wollte, was andere denken. Das war niemand, der Jasager oder Festschriftenschreiber geschätzt hat. Das, wie Sie sicherlich wissen, ist zwar wünschenswert, bei großen Gelehrten (wie auch sonst) aber nicht unbedingt normal. Sie brauchen viel Souveränität, um gerne zu hören, wo Sie eventuell falsch liegen, zumal wenn es Ihren eigenen Bereich betrifft. Aber Gadamer war so. Ich erinnere mich an einen Brief, den er mir etwas später schrieb, 1996 war es, über die Veröffentlichung meines Studenten Rainer Kattel zu Xenophanes von Kolophon und die areté, und in dem er feststellte, der entsprechenden Interpretation zwar nicht ganz zu folgen, seine eigene Ansicht zu Xenophanes auf dieser Grundlage aber dennoch revidieren zu müssen, da er 75 Jahre unter dem Einfluß Werner Jägers etwas falsch gelegen habe.2 Das zeigt sowohl eine gewisse Einstellung als auch, denke ich, eine gewisse Größe. Diese Geschichten zeigen auch, daß Gadamer, ganz abgesehen einmal von der eigenen Bedeutung und von seinem Werk, jemand war, der eine Art „Fahrstuhl in die Geschichte“ bot. Sie konnten noch in diesem Jahrhundert mit jemandem reden, der durch seine sehr starke intellektuelle Verortung sich an die Zeit des Ersten Weltkriegs und der Zeit direkt 13 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg danach wirklich erinnerte – daß man sich nicht an alles korrekt erinnern kann und daß die Selbstinterpretation Teil der Erinnerung wird, ist dabei selbstverständlich. Es war immer sehr spannend, mit Gadamer über diese Zeiten reden zu können. Und das war nicht schwierig, denn Gadamer war einerseits sehr souverän, grundsätzlich und vom Habitus her das, was man sich unter einem großen Gelehrten vorstellt, aber er war auch ganz außerordentlich freundlich, nicht nur höflich, zumal – aber nicht nur – denjenigen gegenüber, die er in seinen engeren oder weiteren persönlichen Kreis einordnete und von denen er nicht vermuten mußte, daß man ihn nur als „Lokomotive“ mißbrauchen wollte, für eine Publikation etwa oder eine Konferenz.3 II Gadamer als Marburger Hans-Georg Gadamer ist der größte in Marburg geborene Philosoph. Die Oberhessische Presse schränkt dies charakteristisch in ihrer Annonce dieser Veranstaltung vom Donnerstag ein: „nach Ansicht des Referenten“.4 Es gibt nun Ansichtssachen und Sachen, die nicht so sehr Ansichtssachen sind. Daß Gadamer der bedeutendste in Marburg geborene Philosoph ist, ist so objektiv richtig, wie man so etwas objektiv sagen kann. Denn es ist nun einmal so, daß die großen Philosophen des 20. Jahrhunderts – wie überhaupt –, die nach Marburg gekommen sind, nicht von hier waren. Aber mit Gadamer haben wir wirklich den 14 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg Fall eines der ganz großen Denker, bei dem das so ist – und daß er von der Wirkungsmächtigkeit her einer der ganz großen Denker ist, vom Inhaltlichen einmal ganz abgesehen, das können wir leicht verifizieren. Klassisch fragt man etwa, wer ist in den einbändigen Lexika zur Philosophie, was ist nach dem Tode noch im Druck, nach wem ist dies und das benannt? Heute können wir auch die Häufigkeit von Zitaten und dergleichen sehr, sehr gut messen. (Gadamer hat solche Ansätze überhaupt nicht gemocht, aber hilfsweise und vorläufig funktioniert es doch recht gut.) Und wir können sicher sagen, daß im 20. Jahrhundert in Marburg drei Philosophen richtig bedeutend waren, Heidegger, Gadamer und Habermas. Ob man sie oder ihre Philosophie nun besonders schätzt oder nicht, ist völlig irrelevant, denn die Bedeutung, die Wirkungsmächtigkeit ist klar. Von diesen dreien ist Gadamer der einzige gebürtige Marburger, aber eben nicht nur das. Habermas war formell nicht als Philosoph hier, sondern als Politologe, aber viel wichtiger ist, daß Habermas’ Beziehung zu Marburg ähnlich der von Marx zu Jena ist – man hat den Abschluß von dort, aber nicht die Substanz; Habermas hat nur hier bei Abendroth habilitiert, weil er es in Frankfurt wegen Konflikten mit Horkheimer nicht konnte. Strukturwandel der Öffentlichkeit ist eine in Marburg zur Habilitation verwendete Schrift, aber sie ist in keiner Hinsicht ein Marburger Werk.5 Und Heidegger war nun ganz ausgesprochen Nicht-Marburger im Sinne von Geburt, Hintergrund und allem Weiteren. Zwar ist ausgerechnet der berühmte Heidegger-Anzug ein Marburger Ding, da er 15 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg von Ubbelohde entworfen wurde, nicht etwa ein Trachtenanzug aus der Meßkircher Heimat, und Sein und Zeit ist in Marburg abgeschlossen worden.6 Es gibt auch eine echte intellektuelle Verbindung zu Marburger Kollegen (Rudolf Bultmann zumal) und natürlich Schülern, aber insgesamt war Marburg für Heidegger ein Intermezzo; es blieb für ihn auch immer fremd, ein wenig vielleicht sogar Exil. Gadamer ist sehr von hier. Er wurde hier geboren, hat hier mit ganz kurzen Ausnahmen studiert, promoviert, habilitiert und seine erste Professur gehabt. Das ist schon wesentlich. Wirklich bedeutend ist er selbst aber erst in den 60ern geworden, als er schon lange in Heidelberg war, und sein magnum opus war nicht die Habilitation, sondern ein viel später veröffentlichtes Werk, Wahrheit und Methode.7 Daher wird er sehr stark mit Heidelberg assoziiert, auch zu Recht, und auch Heidelberg assoziiert Gadamer intensiv mit sich. Aber die Marburger Beziehung bleibt deutlich und blieb es sein Leben lang auch für Gadamer selbst. III Die Marburger Philosophen Deswegen war es für Gadamer immer sehr schade, in Marburg, und das hieß für ihn primär durch die hiesigen Universitäts-Philosophen, nicht recht gewürdigt zu werden. Er hatte das Gefühl, mit seiner Heimatstadt weniger enge Beziehungen zu haben, als er sie gerne gehabt hätte,8 und das wurde wäh16 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg rend seiner Heidelberger Jahrzehnte nicht besser, sondern eher schlechter – so nahm er es jedenfalls wahr. Für mich persönlich hat das den Vorteil gehabt, daß er sich daher über alle Kontakte, die er mit Marburgern außerhalb des Fachbereichs Philosophie hatte, sehr gefreut hat, weil das wenigstens etwas war, und das war sicher auch ein Grund, warum er so gerne mit mir und meinen Eltern Kontakt hielt.9 Was nun den hiesigen Mangel an freundlicher Aufnahme bei den Philosophen betrifft, so hat dies sicher teilweise damit zu tun, daß Ausprägung und Profil der hiesigen Philosophie – Psychologen, PostKantianer, Wissenschaftstheoretiker usw. – dem, wie man Gadamer und seine Hermeneutik dort verstanden hat, konträr gegenüber gesetzt war. Das heißt, man hat hier häufig vermutet, Gadamer würde – durchaus erfolgreich – die deutsche Philosophie in eine Richtung schubsen, in der man sie nicht haben wollte. Ich kann mich erinnern, daß mir einmal jemand erzählt hat, daß er von einem Marburger Philosophen gesagt bekam, Gadamer könne man hier nicht ehren, denn dem sei doch zu verdanken, daß der Heideggerianismus wieder zurück in den mainstream der deutschen Nachkriegsphilosophie gekommen sei. Und das, implizit, sei etwas wirklich Schlechtes – nicht eine andere Möglichkeit, die Welt zu interpretieren, sondern, Schmittisch gesprochen, der Feind. Also waren die Gründe dieser von Gadamer wohl richtig wahrgenommenen Unfreundlichkeit schon auch Ausdruck des Verständnisses einer intellektuellen Gegnerschaft. Das mag sich im Verlauf der Zeit mit den verschiedenen Konstellationen immer etwas 17 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg geändert haben, aber lange Zeit nicht im Ergebnis. So erfolgte die erste Marburger Ehrung für Gadamer mit 99 Jahren – die meisten von uns werden nicht einmal so alt –, und auch das, dazu komm ich dann noch, eigentlich aufgrund eines Zufalls. Man sollte aber schon sagen, daß die etwa von Post-Kantianischer Seite gesehene Gegnerschaft sicherlich keine notwendige ist. Wenn Sie Gadamer wirklich lesen, finden Sie davon gar nichts und das einzige Buch, das Sie wirklich gelesen haben müssen, bevor Sie an Wahrheit und Methode gehen, ist die Kritik der Urteilskraft, also ein Kant-Buch.10 Gadamer verstand sich selbst durchaus als ein auf Kant aufbauender Philosoph; die Interpretation dessen, was Kantianismus und Neokantianismus ist, wie sie in Marburg dezidiert prävalent war, sah das – sicher mit wichtigen Ausnahmen – aber eben nicht so. (Sie kennen sicher den Henry Kissinger zugeschriebenen Spruch, daß es in der akademischen Politik so hart zugeht, weil es um so wenig geht. Auch wenn das natürlich flapsig formuliert ist, ein bißchen ist schon dran – und es ist in der Philosophie a fortiori so. Daß Leute, die wenig Anderes haben als ihre Ansichten, aber in der Lage sind, diese sehr gut zu formulieren, einen höchst unangenehmen Kontext bilden können, ist nun wirklich nichts Neues.) Es ist schon auffällig, daß an den wie dargelegt bedeutendsten Marburger Philosophen, für den großen Denker Hans-Georg Gadamer, der auch so viel über Marburg geschrieben hat, in Marburg nichts erinnert. Wir haben keine Tafel, wir haben keine Gedächtnisinstitution, wir haben keine Straße, nichts. 18 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg Und auch das ist ein Grund, warum ich mich sehr gern von Herrn Legge und Herrn Kollegen Schwebel habe einladen lassen, diesen Vortrag zu halten, da er nun mal Gadamer ein wenig dahin zurückbringt, wo dieser sich selbst auch mit verortet hat. Nun war aber doch mein Vater Hanno Drechsler über 20 Jahre lang Oberbürgermeister von Marburg. Warum, so mag man einwenden, habe ich als – von mir und von ihm selbst so verstandener – GadamerSchüler für meinen verehrten philosophischen Lehrer dann nicht selbst etwas durchsetzen können? Mein Vater hat ja Gadamer sowohl vom Werk her als auch persönlich sehr geschätzt, ebenso wie umgekehrt, und deswegen war Gadamer ja auch bei uns zu Hause zum Essen eingeladen, was durchaus ungewöhnlich war. Nun, ich habe es durchaus versucht, und es hat damals sogar konkrete Überlegungen etwa zu einer Straße in der Neubebauung Weidenhausens gegeben (die dann aber ein anderes Benennungsschema bekommen hat), aber obwohl ich eine sehr enge und auch alltäglich gute Beziehung zu meinem Vater hatte, war er das, was man gerne als preußisch bezeichnet, und nur weil sein Sohn etwas gewollt hat, hieß das noch lange nicht, daß er das nur deswegen auch gemacht hätte. Und er war der Meinung, daß man gegen den Widerstand der Philosophen an der Universität in Marburg nichts nach Philosophen benennen kann. Er hat die enge Zusammenarbeit der Stadt mit der Uni, aber auch den Respekt für die Uni, sehr hoch gehalten. Ich muß gestehen, ich selbst hätte das nicht so eng gesehen. Was die Gadamer-Tafel anbelangt: Man arbeitet ja immer noch daran, und 19 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg ich denke schon, daß in dieser Richtung etwas passieren kann, muß und soll. 11 IV Das Œuvre Ich kann und möchte in unserem Gesprächskontext natürlich nicht Gadamers Philosophie zusammenraffen, was sehr un-Gadamerianisch wäre. Das Gadamersche Werk kann ich daher hier nur grob und sehr persönlich skizzieren. Zuerst sind da sicher die Re-Introduktion des Konzepts Verstehen, die Grundlegung der philosophischen Hermeneutik, das Konzept der Horizontverschmelzung, die wir in Wahrheit und Methode, Gadamers großem Buch von 1960, haben, immer noch eines der am häufigsten zitierten Bücher der Philosophie, aber auch der Sozial- und Kulturwissenschaften überhaupt, mit einer ganz unglaublichen Bedeutung.* (Es war auch im Verkauf ein großer ErBei Gadamer können Sie immer schnell ausrechnen, wie alt er war, wenn etwas passiert ist. Sein großes Werk kommt 1960 heraus, da war er also 60; bis dahin galt er als wichtiger Philosoph, schon „einer derer“ in Deutschland und auch weltweit respektiert, aber nicht Champions League (zugegeben eine etwas schiefe Metapher, zumal Gadamer Tennisspieler war und von Fußball eher wenig hielt.) Es ist dieses Buch, das kurz vor der Emeritierung erscheint, mit dem er erst dahin aufsteigt – und deswegen allen weniger produktiven Akademikern in der Mitte ihres Lebens Hoffnung gibt. * 20 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg folg und bildete, wie Gadamer erzählte, sozusagen das Fundament für seine für einen Fachphilosophen doch ungewöhnliche Villa am Büchsenackerhang in Heidelberg-Ziegelhausen.) Für mich als Sozialwissenschaftler ist es insofern außerordentlich wichtig, als daß es doch Wahrheit und Methode ist, das am besten und profundesten begründet, daß eine rein empirisch orientierte Sozialwissenschaft unmöglich ist, weil diese Übernahme (pseudo-) naturwissenschaftlicher Modelle völlig außer Acht läßt, daß das Beschreiben der Dinge (auch der Variablen) nur durch Sprache möglich ist und nicht außerhalb von ihr. Das einzige, was außerhalb bleiben kann, sind leere Formeln, die buchstäblich nichts bedeuten. Das ist schon eine zentrale Erkenntnis, auch noch für das 21. Jahrhundert.12 Gadamer selbst hat oft gesagt, daß sein bedeutendster Beitrag zur Philosophie die Arbeiten zu Platon und Aristoteles sind. Und auch wenn nicht viele Gadamer-Interpreten ihm darin gefolgt sind, ist dies dennoch interessant: Nicht zuletzt auch als Ausdruck einer gewissen intellektuellen Bescheidenheit, aber primär, weil dies schon das Signifikante dieser Arbeiten unterstreicht, das manchmal vergessen wird. Auf Gadamer geht ja z.B. diese wichtige, gerade im englischen Sprachraum aber gerne außer Acht gelassene Interpretation zurück, in der er die verschiedenen Werke der beiden kategorisiert – dazu gleich ein bißchen mehr – und deswegen eine Einheit zwischen Platon und Aristoteles, gerade in der politischen Philosophie, herstellen kann.13 Die hieran gleichsam anschließende praktische Philosophie, die in der letzten Zeit wieder sehr stark 21 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg Beachtung und Bearbeitung in der Sekundärliteratur gewonnen hat, findet sich etwa in Das Erbe Europas, Lob der Theorie, diesen kleinen Essay-Bändchen bei Suhrkamp, die aber wirklich sehr, sehr gut sind. 14 In dem kleinen Meisterwerk „Die Grenzen des Experten“ zeigt Gadamer etwa, daß Experten ihre der Wissenschaft entnommene Legitimation mit ins öffentliche Leben nehmen, obwohl es keinerlei Grund gibt, ihnen das abzunehmen, da Experten ein „letztes Wort“ abverlangt wird, die Wissenschaft aber gerade weiß, daß es dieses nicht gibt – weswegen es in Fragen der Polis kein Vorbei am Votum der Bürger gibt; dieses kann nicht an Experten delegiert werden, weder von den Bürgern selbst noch gar von Anderen.15 Hier gibt es eine ganz aktuelle Parallele zu Habermas‘ Kritik oktroyierter Maßnahmen gegenüber Griechenland aufgrund naturgemäß höchst zweifelhafter Expertenmeinungen, obwohl doch gerade in einem solchen Falle eine demokratische Entscheidung notwendig gewesen wäre.16 Mediziner und Gesundheitsökonomen schätzen Gadamers Werke zu diesem Thema, insbesondere Die Verborgenheit der Gesundheit, das auf Englisch sehr stark rezipiert wird, zum Wesen der Gesundheit an sich.17 Für Marburg natürlich ein sehr relevantes Thema, auch für Gadamer schon: Wie verstehe ich Hospitäler, für die die Gesundheit der Patienten ein Nebeneffekt ist, aber nicht der Hauptzweck? Und dann ist da natürlich die bedeutende Interpretation von Gedichten, der Lyrik, bei Gadamer, gerade von Celan oder Rilke. Heidegger selbst hat den Celan-Interpretationsband von Atemkristall – Wer bin ich und wer bist Du? als den zweiten Band der 22 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg Hermeneutik angesehen, und Gadamer hat gesagt, das sei wohl auch richtig.18 Hier beantwortet Gadamer das Problem der Interpretation mit dieser Frage, „Was muß der Leser wissen?“19 Kurz gesagt muß er je weniger wissen, umso lyrischer das Gedicht ist, denn je lyrischer das Gedicht ist, umso mehr fällt die Aussage mit den Worten zusammen und das Gedicht „heißt“ nichts außer sich selbst.20 Gadamer meint, daß der Text an sich (obwohl Text eine Kategorie ist, die Gadamer nicht oft verwendet), daß das, was gesagt wird, etwas anderes ist, als das, was verstanden wird, und das, was entsteht, gleichsam in dieser Mitte liegt zwischen dem, was gesagt und was verstanden wird, und so die Verständnis-Horizonte des Hörenden und des Sprechenden in sich verschmelzen. Das ist die Horizontverschmelzung ganz, ganz simpel. (Ich bin froh, daß Gadamer das gerade nicht hört!) Da können wir sogar wieder zu Xenophanes zurückgehen: Dieses Verschmolzene ist nicht rein subjektiv, weil es das ja wirklich gibt. Es mag zwar nicht erfahrbar sein, aber an sich gibt es das schon. Das ist keine relativistische Aussage. Was Gadamer auch deswegen immer wieder betont, ist, daß ein Text immer mehr und weniger meint, als der den Text Verfassende sagen wollte. Es ist unmöglich, all das, was ich mit einem Text sagen will, in einem Text zu sagen – weswegen der Autor nicht der beste Interpret seines eigenen Textes ist; was er mit dem Text dem Leser nicht sagen konnte, kann er nicht nachinterpretieren, auch wenn er es so gemeint hatte. Es ist aber auch unmöglich, Dinge nicht zu sagen, die ich gar nicht sagen wollte und die 23 Lahnstraße Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg ich dennoch mit meinem Text in meiner Zeit und in meinem Kontext ausdrücke. V Marburger Biographie Geboren wird Gadamer am 11. Februar 1900; sein Geburtshaus steht in der Lahnstraße. Früher hat man sagen können, schräg gegenüber von der Praxis von Herrn Dr. Ferlemann; das ist für die meisten anwesenden Marburger wohl die einfachste Art zu beschreiben, wo das ist. Das Haus gibt es nicht mehr, da ist jetzt eine gelbe Ziegelwand eines dieser neueren Universitätsgebäude. Hans-Georgs Vater ist der pharmazeutische Chemiker Johannes Gadamer, und wie mir Herr Kollege Friedrich gerade noch einmal versichert hat, den Sie vielleicht das letzte Mal hier gehört haben, war dieser nicht irgendein Professor, sondern eine wichtige Figur in der Geschichte der Pharmazie, ein bedeutender Naturwissenschaftler überhaupt, der kurz nach Hans-Georgs Geburt nach Breslau berufen wird. Deshalb wächst dieser in Breslau auf, geht dort auf die Schule, aufs Gymnasium, fängt kurz an, dort zu studieren – bei Hönigswald –, kommt dann aber, auch u.a. um sich ein bißchen vom Elternhaus zu trennen, nach Marburg, just zu dem Zeitpunkt, an dem sein Vater nach Marburg zurückberufen wird. Da kommen Sie also in die Freiheit des neuen Studienorts, und dann sind die Eltern wieder dabei. Und natürlich müssen Sie wegen des Geldes – wir 25 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg sprechen über die 20er Jahre – dann wieder zu Hause wohnen. Das ist klar; da zahlen Ihnen die Eltern keine Studentenbude, wenn sie selbst eine große Villa haben. Die Villa ist der Marbacher Weg 15. Das war früher die Bettina-von-Arnim-Schule, bevor sie auf den Tannenberg umgezogen ist, dieses Ziegelhaus; das gibt es auch noch. Und Gadamer ist dann also hier, studiert bei Natorp, Hartmann, Heidegger, wie gesagt, wohnt aber eben zu Hause bei seinem Vater. (Gadamers Mutter war früh verstorben; er hatte aber ein sehr gutes Verhältnis zu seiner Stiefmutter.) Nun, ich bin wirklich niemand, dem viel an küchenfreudianischen Interpretationen gelegen ist. Aber auf der einen Seite sehe ich diesen sehr starken und bedeutenden Vater, der immer sehr respektiert wird, für eine Zeit auch Rektor der Universität, an der Gadamer studiert, der aber eine unglaublich dominante und ernste, auch einschränkende Figur ist. Und Johannes Gadamer war nach allen Berichten ein positivistischer Naturwissenschaftler, so richtig nach Art des ausgehendes 19. Jahrhunderts, der alle Geisteswissenschaftler mit dem schönen Epitheton „Schwatzprofessoren“ belegte, und für den das alles nichts war. „Was man nicht im Experiment nachweisen kann, ist keine Wissenschaft“ – das war so diese Geisteshaltung, und Sie kennen sicherlich Leute, die heute noch so denken. Und auf der anderen Seite sehe ich nun den ganz und gar musisch-philosophisch interessierten und engagierten Sohn, der mit diesem Vater seine Schwierigkeiten hat, und der dann eine Philosophie entwickelt, die nachweist, daß all diese Naturwissenschaft unter dem Einfluß und Einspruch von Sprache steht, und daß dies die ganze Sicherheit, 26 Marbacher Weg Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg den Wahrheitsanspruch der Naturwissenschaft negiert. Das ist eine so direkte Verbindung, da möchte man fast sagen, das muß schon wieder Zufall sein – aber in Wirklichkeit ist die Demontage des Hauptund Lebensprinzips des Vaters schon ganz deutlich. Wahrheit und Methode bedeutet eben Wahrheit oder Methode; Methode führt nicht zur Wahrheit, sondern zu sich selbst, ist also im eigentlichen Wortsinne selbstreferentiell. Es gibt in diesem Zusammenhang die mittlerweile recht bekannte Geschichte, in der der alte Gadamer schwer krank im Hospital liegt, Heidegger an sein Krankenbett zitiert und Heidegger natürlich kommt, und jener ihn fragt, „Also mein Sohn, der studiert ja nun Philosophie bei Ihnen. Reicht das denn für ein Leben?“ Gadamer meinte einmal, als er sie wieder erzählte, „Wie sehr einen Eltern doch in Verlegenheit bringen können!“ Ihm war das vor Heidegger furchtbar peinlich, während ich die Geschichte immer eher als lustig gesehen hatte, aber sie zeigt jedenfalls recht gut die Konstellation von Vater und Sohn Gadamer. Hans-Georg Gadamer habilitiert sich 1929 (die Arbeit ist von 1928), wird aber erst nach sehr langem Fegefeuer des Privatdozententums, wie Max Lenz es formuliert hat, 1937 nichtbeamteter außerordentlicher Professor, also das Minimum, was man überhaupt werden kann, quasi gerade kein Nicht-Professor mehr.21 Das sieht schon nicht mehr nach einer besonders geglückten Karriere aus. Aber 1938 geht er dann nach Leipzig, erst als Vertreter, dann trotz der widrigen Zeitumstände als Nachfolger von Arnold Gehlen als Ordinarius für Philosophie. Er wird 1940 nach Marburg zurückberufen, schlägt dies nach lan28 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg gen Verhandlungen und Überlegungen aber aus. Später geht Gadamer kurz nach Frankfurt am Main und dann nach Heidelberg, das seine große Wirkungsstätte wird. VI Marburg in der Gadamer-Zeit Aber zurück zu Marburg in der Gadamer-Zeit: Die 1920er, auch noch der Anfang der 30er Jahre, das ist eine Zeit, in der die heutige Alte Universität sicherlich eines der Zentren nicht nur des westlichen Denkens, sondern – und das sage ich auch aus einer gewissen asiatischen und lateinamerikanischen Erfahrung heraus – auch des Denkens auf der Welt an sich wird, wo eine Gruppe von Menschen sich zusammenfindet und diskutiert, die wirklich einen Sternenhaufen am geistigen Himmel dieser Zeit bildet, und nicht nur dieser Zeit, da er bis heute noch strahlt. Nun mag man einwenden, daß man über vergangene Zeiten stets positiver rede als über die eigene – später würden wir einsehen, daß unsere auch nicht so schlecht war – aber Marburg in jenen Jahren hat eine andere Qualität als alles, was nachher kam. Natorp, Hartmann, Heidegger, Otto, Bultmann – für Gadamer so bedeutend wie für Heidegger – und die großen Altphilologen, Romanisten und Germanisten. Und die Kommilitonen! Sie müssen sich vorstellen, Sie kommen in dieses Seminar, in diesen Seminarraum, und da sitzen dann Leute wie Karl Löwith, 29 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg wie Hannah Arendt, wie Leo Strauss, wie Hans Jonas, wie Hans-Georg Gadamer, alle zusammen in diesem einen kleinen Raum; unter den 20 sind vielleicht 10 Leute, die man heute noch sogar als philosophischer Laie kennt oder doch kennen könnte oder sollte. Übrigens diesen Seminarraum, zusammen mit dem kleinen Raum, in dem sich die Professoren vorher umziehen oder vorbereiten konnten oder etwas ablegen, den gibt es in der Theologischen Fakultät noch immer. Das ist jetzt so ein normaler Bibliotheksraum. Und ich muß auch da ganz ehrlich sagen: Das ist nun wirklich einer der Hauptorte der Philosophie des 20. Jahrhunderts. Daß der nun nicht das Schatzkästlein für besonders wichtige Seminare und Besprechungen dieser Universität ist und man nicht versucht, ihn ein wenig im Gedächtnis an diese Zeit zu gestalten und zu verwenden, ist eigentlich sehr schade, aber leider nicht ganz untypisch. Als wir für den WDR-Film mit Gadamer dort waren, hat er dort die Augen geschlossen und gesagt, „Ich erinnere mich noch an die Sitzordnung. Das ist die Ecke, und da saß Hannah Arendt, und ich weiß bis heute noch, was ihr Lieblingskleid war.“ Das und vieles mehr sind Geschichten, die eigentlich da und mit diesem Ort assoziiert sind und von denen es schade ist, daß sie nach und nach verschwinden. Gewohnt hat Gadamer zu dieser Zeit in Ockershausen, in einer Seitengasse der Ockershäuser Allee hinter dem Friedhof, rechts steil den Hang hinauf, die jetzt Konrad-Laucht-Weg heißt. Gadamer beschreibt die Wohnung unten in diesem Gebäude, 30 In der Alten Universität Konrad-Laucht-Weg, 1999 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg schlecht geheizt, und wie er zu seiner venia legendiVorlesung gehen will und der Mantel an der Wand festgefroren ist und er ihn nicht loskriegt. Es ist dies ja wie gesagt eine Zeit, in der es intellektuell allen sehr gut geht und materiell nicht so sehr. In diesem sehr interessanten Haus haben übrigens zu verschiedenen Zeiten auch Werner Krauss und Nicolai Hartmann gewohnt; ich muß, glaube ich, nicht dazusagen, daß es dennoch 100% tafelfrei ist. Über Gadamers Interaktion mit Lehrern und Kollegen während dieser Zeit wäre jetzt noch sehr viel zu erzählen, aber darüber und über die ganze Zeit und die Beteiligten ist ja auch schon sehr viel geschrieben worden, gerade über die auch philosophische Bedeutung Bultmanns, mit dem auch Gadamer ein recht enges Verhältnis hatte. Ich erwähne hier nur ganz kurz Rudolf Otto, der zu seiner Zeit und auch noch lange nachher von der Wirkungsmächtigkeit her der bedeutendste Marburger Theologe war. Gadamer hat das am Anfang auch nicht verstanden, sondern, wie er mir sagte, erst sehr viel später. Ottos Kategorisierungen der Realität fand Gadamer damals steifleinen und antiquiert; erst in seinen letzten Jahren erkannte er – wie Max Scheler, zu Gadamers Verblüffung, damals schon – die Bedeutung zumal von Das Heilige.22 Zu Leo Strauss später noch etwas mehr. 33 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg VII Plato und die Dichter Die für uns heute wohl interessanteste und in letzter Zeit auch wieder intensiv untersuchte Veröffentlichung von Gadamer aus dieser Zeit ist ein Vortrag, den er im Januar 1934 vor dem Freundeskreis des Gymnasium Philippinum – Vorsitzender war Bultmann – im Philippinum selbst hält. Der Titel ist Plato und die Dichter, und er erscheint als selbständiges Heftchen bei Klostermann und ist natürlich in den Gesammelten Werken.23 Das ist ein Thema, das ich in der letzten Philippinums-Festschrift behandelt und dazu ausführlich mit Gadamer besprochen habe.24 Plato und die Dichter ist schon deswegen faszinierend, weil sich bereits hier deutlich die Interpretation des Platonschen politischen Werks durch Gadamer abzeichnet. Gadamer geht von einer Einheit dieses Werks aus, nicht von einer Entwicklung, und der Schlüssel hierzu ist das Verständnis der Politeia nicht als klassische Utopie, die Platon idealerweise selbst gern erfüllt sehen würde, sondern als rein heuristische Utopie, durch die man bestimmte Beziehungen erkennen kann, die aber nie wirklich hergestellt werden sollte (die anzustrebende Utopie findet sich hingegen in den Nomoi). Die schlechte Behandlung der dem Vortrag ihren Namen gebenden Dichter in der Politeia ist offensichtlich nicht etwas, was Platon wollte, sondern, so Gadamer, wenn man einen solchen wie den beschriebenen Staat errichten will, dann müssen die Dichter so behandelt werden. 34 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg Gadamers Auffassung beruht auch darauf, daß er immer äußersten Wert auf die Altphilologie als die Grundlage aller Philosophie gelegt und deswegen auch selbst einen altphilologischen Abschluß gemacht hat. Wer nicht ordentlich Griechisch lesen kann, kann keine Philosophie betreiben, weil er sonst die – am Ende doch unübersetzbaren – Texte in ihrer ganzen Subtilität nicht wirklich versteht, denn Übersetzung, so Gadamer, ist immer schon Interpretation. Platon ist hierfür das beste Beispiel, denn Gadamer ordnet seine kunstreiche Sprache als oft ironisch ein. Das kann man aber nicht nur sprachlich festmachen. Sie kennen vielleicht die Gadamersche Interpretation dieses berühmten, wahrscheinlich portraithaften Kopfes von Platon in der Münchner Glyptothek, von dem er sagt, „Wenn Sie ganz genau hinschauen, sehen Sie, daß Platon ein bißchen lächelt.“25 Wer das nicht als durchaus signifikant versteht und das in den Texten nicht sieht, der versteht den ganzen Platon nicht so recht. Wenn Sie mal in der Glyptothek sind, schauen Sie sich den Kopf noch einmal an, und wenn Sie immer noch der Meinung sind, der lächelt nicht, versuchen Sie, diese Lippenschürzung nachzumachen. Wenn Sie das tun, merken Sie an sich selbst, daß Sie das nur können, wenn Sie ein wenig lächeln. Da ist also schon etwas dran. Die Untersuchung selbst hat aber auch anders motivierte Interessenten hervorgerufen, u.a. deswegen, weil ihr ein Goethesches Motto vorgestellt ist, in dem gesagt wird, „Wer philosophiert, ist mit den Meinungen seiner Zeit uneins.“ 26 Nun, wenn Sie das 1934 schreiben, ist das natürlich gerade in der Retroperspektive sehr auffällig, und Gadamer hat bestätigt, 35 Platon Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg daß dies durchaus so gemeint war, wie man es heute auffaßt. Es gibt einen amerikanischen Philosophen namens Robert Sullivan, der sogar eine Untersuchung dieses Texts geschrieben hat, indem er alle gesperrten Worte hintereinander reiht und aus ihnen eine Art Widerstands-message herausliest.27 Gadamer selbst hat aber immer gesagt, das ginge viel zu weit und sei völliger Unsinn. Man hat ihm also quasi die Lorbeeren des Widerstands auf einem silbernen Tablett serviert, und er wies sie zurück. Gadamer erzählte mir, als ich diesen FestschriftAufsatz mit ihm besprach, wie nach dem Vortrag der allgemein wie auch bei Gadamer selbst hoch angesehene Erich Auerbach nach vorne gekommen sei und sehr lang und ausführlich, fast schon zu ausführlich, den Inhalt des Vortrags mit ihm besprochen habe, sodaß sich Gadamer überlegt habe, warum eigentlich. Er hat dann verstanden, daß der nur wenig später vertriebene Auerbach damit demonstrieren wollte – wie gesagt Januar 34 – ich bin noch Teil dieser Universität, ich bin Teil des Professoriats, ich bin noch hier und bestehe auf meiner Position. Das war sozusagen das Performative an diesen Fragen. VIII Gadamer und die Nazis Und das bringt wohl manche von uns zu einer Frage, die immer mal wieder aufkommt: Wenn Gadamer doch bis 38 hier in Marburg war und immerhin doch Professor und danach Professor in Leipzig, wie sieht es denn aus mit Gadamers Verhältnis zu den Nazis? 37 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg Es gibt ja ganze Institute, z.B. in Berlin, die sich damit beschäftigt haben, Beziehungen zwischen all denen, die in Deutschland während des Dritten Reichs geblieben sind, und den Nazis zu dokumentieren oder herzustellen, wie auch immer. Bei Gadamer ist für mich bedeutsam, daß er, wie gerade für Plato und die Dichter festgestellt, selbst wenn ihm später sozusagen der Widerstand nahegelegt wird, selbst immer sagte, „Nein, das kann man nicht sagen – ich bin da so einigermaßen durchgekommen, hinterher hätte man gern Sachen anders gemacht; aber es ging, ich kann noch in den Spiegel schauen – mehr war es nicht.“ Das ist eine ganz unübliche, aber für mich auch realistische und sogar sympathische Art, es so bescheiden zu formulieren. Nach meinem persönlichen Urteil ist diese Eigenperspektive auch in der Tat recht zutreffend. Es ist dabei sicherlich so, daß Gadamer generell – mit bewußten, allerdings signifikanten Ausnahmen – versucht hat, die Dinge so zu formulieren, daß er nicht behelligt wurde, ohne aber je dahingehen mißverstanden zu werden, er unterstütze das Regime. Und er ist nicht in der Partei gewesen, wohl aber in Dozentenlagern und ähnlichen Veranstaltungen. Gadamer hat sich angepaßt, soweit das eben ging und notwendig schien, und er hat versucht, innerhalb der Anpassung einigermaßen anständig durchzukommen und solide klassische Philologie-inspirierte Philosophie zu machen, und nach dem Urteil der Zeitzeugen ist ihm das wohl auch gelungen. Etwas, worauf er nicht stolz war, aber das ihm am Ende auch nicht peinlich sein mußte, nicht nur etwa im Vergleich mit Heidegger. 38 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg Eine Gadamersche Rektoratsrede gibt es jedenfalls nicht; auch nichts Ähnliches. Alle seine Veröffentlichungen aus dieser Zeit sind heute noch lesbar – sie mögen nicht allen gefallen und von manchen Interessierten als irgendwie systemfreundlich gedeutet werden, aber das gehört dazu und macht ja nichts, zumindest wenn es einfach nicht stimmt. Es gibt eine Rede von Gadamer über Herder, die er 1940 im besetzten Paris hielt.28 Das ist noch das weitgehendste, was sozusagen an Freundlichkeit gegenüber den Nazis da ist; hier finden sich einige zeitübliche Phrasen – und im besetzten Paris eine Rede zu halten, mag sowieso als problematisch eingeordnet werden. Aber selbst diese kann man heute in der Originalausgabe mit einigem Gewinn lesen, wenn man sich den Kontext vergegenwärtigt. Von der Biographie her würde ich zweierlei betonen. Das erste ist, Gadamers vertriebene jüdischen Kollegen aus dieser Zeit sind nach 1945, als die meisten von ihnen durchaus sehr kritisch gegenüber fast allen in Deutschland verbliebenen Kollegen waren, weiterhin absolut positiv gegenüber Gadamer geblieben, einschließlich Hans Jonas und Leo Strauss, denen sehr bewußt war, wer nach der Machtübernahme die Straßenseite gewechselt hatte, um nicht grüßen zu müssen, und nach dem Krieg wieder der beste Freund sein wollte. Hier haben wir Besuche, Tagebücher und Briefe, die das eindeutig dokumentieren.29 Und zweitens gibt es natürlich die berühmte Geschichte um den Romanisten Werner Krauss, der in den 40ern schon mit dem Todesurteil wegen Widerstand und Spionage (Mitglied der Roten Kapelle!) in 39 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg den Kellern in Berlin sitzt und für den dann besonders aus Marburg eine Initiative kommt, um das noch in eine Begnadigung umändern zu lassen, hauptsächlich mit der Begründung, Herr Krauss sei eben relativ wirr, geistig unbalanciert usw. usw., also die Entschuldigung der Unzurechnungsfähigkeit. Hierfür schreibt Gadamer einen Brief nach Berlin über jemanden, dem er nicht besonders nahe steht und sagt, „Das Urteil ist nicht richtig aus den folgenden Gründen – und er muß begnadigt werden.“ Das zeigt meines Erachtens sehr viel mehr Zivilcourage, als die ganz große Menge der Deutschen je aufgebracht hat. Man muß sich auch selbst fragen: Hätte man oder hätte man nicht so gehandelt? Es war ein wirkliches Wagnis, das Gadamer hier sehenden Auges eingegangen ist. Und ich frage mich: Was will man eigentlich noch? IX In der Bundesrepublik Nach Marburg also Leipzig, Frankfurt kurz, dann eben Heidelberg, 1960 Wahrheit und Methode. Weiterhin in den Veröffentlichungen und Vorträgen, in denen Gadamer zurückschaut – und sie sind zahlreich, trotz seiner prinzipiellen Abneigung gegen alles Biographische – immer wieder die Beziehung zu Marburg. Es gibt, gerade in der früheren Nachkriegszeit, gelegentliche Besuche und Reden, hauptsächlich durch den Kontakt mit den Theologen, nicht mit den Philosophen, wobei jene aber seit dem Krieg auch wesentlich bedeutender waren. Bei den Philosophen 40 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg steht Gadamer Julius Ebbinghaus, den er noch als alten Marburger Zeiten kannte, am nächsten, auch wenn Ebbinghaus sich in seiner philosophischen Ausrichtung seitdem ganz Kant zugewandt hatte. Aber das ist ja wie gesagt inhaltlich nicht unbedingt ein Gegensatz. Und abgesehen vom Inhaltlichen – einmal von meinem Vater, der bei Ebbinghaus gehört hatte, gefragt, was denn den Unterschied zwischen Ebbinghaus und einem anderen hiesigen Kollegen ausgemacht habe, meinte Gadamer, „Ebbinghaus war eben ein Gentleman.“ Dann kommt 1977 ein großer Marburger Vortrag Gadamers zum Forum Philippinum anläßlich des 450. Universitätsjubliäums. Aber eben zum Forum Philippinum – nicht wirklich zur eigentlichen Feier an der Uni. Er wird auch separat veröffentlicht, ist heute noch in den Gesammelten Schriften30 und wird sehr stark rezipiert. Es geht um Wissenschaft und Öffentlichkeit, was ja zu Gadamers Lieblingsthemen gehört. Die Rede endet mit jener schönen Anekdote von Thales von Milet, der in den Brunnen fällt und dem eine Magd heraushelfen muß. Das ist ja das Klischee der geistig abwesenden, weltfremden Philosophen, aber die Pointe ist, wie Gadamer unterstreicht, daß der Brunnen das antike Fernrohr ist und Thales für astronomische Untersuchungen hineingeklettert war, und es ist die Magd, die nicht verstanden hat, was vor sich geht. Dies zeigt in der Tat die andere Seite des Spannungsverhältnisses von Wissenschaft und Öffentlichkeit bei Gadamer, über das wir vorher im Zusammenhang mit „Die Grenzen des Experten“ sprachen. Auffällig ist aber auch hier wieder, daß auch zu 41 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg diesem Zeitpunkt, wie Gadamer mir gegenüber noch Jahrzehnte später erwähnte, keine Einladung von den professionellen Philosophen von der Universität kommt. Und das ist etwas, das er außerordentlich bedauert, weil er eben denkt, auch wenn man unterschiedlicher Meinung ist, müßte es doch ganz interessant für die Studierenden oder die Kollegen sein – deren Arbeiten er teilweise durchaus respektiert –, sich einmal zu unterhalten, das wäre doch eigentlich naheliegend, aber so ist es eben nicht. Und das bleibt bei der nächsten Rückkehr das gleiche. Der Grund für dieselbe waren die Aufnahmen für die schon mehrfach erwähnte 1995er Jubiläumssendung von „Philosophie heute“, „Die Kunst des Verstehens“, die teilweise hier gedreht wird. So auch in der alten Universitätsbibliothek (heute das RöpkeHaus des Fachbereichs 02), wobei Gadamer kommentierte, „Eigentlich, viel habe ich in der UB nie arbeiten müssen. Frau Schnack hat mir immer alles schon herausgesucht.“ Das bezieht sich auf Ingeborg Schnack, die berühmte Bibliothekarin und RilkeExpertin. Gadamer ist also für mehrere Tage, fast eine Woche, in Marburg, und es gibt wieder keinerlei Kontakte zur Universität. Ich selbst habe durch diese Verfilmung und die Vorarbeiten dazu einige der Gadamer-Orte erst so richtig kennengelernt. Gadamer erinnerte sich genau, was wo gewesen war – da war der Platz von Hannah Arendt, da war mein Zimmer, das war der Weg zu Natorp. Natorp hat zu Gadamers Zeiten übrigens über dem jetzigen Kleinen Restaurant gewohnt, in diesem ganz sanft neo- 42 Wilhelmsplatz Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg venezianisch-gotischen Haus am Wilhelmsplatz, im ersten Stock, wo jetzt eine Praxis ist. Wir fuhren auch von irgendeinem Termin mit einem Taxi zurück, und Natorp wird kurz erwähnt, und der Taxifahrer dreht sich zu Gadamer um und sagte, „Wo Sie grad sagen Natorp, es gibt hier eine Natorp-Straße, und niemand weiß, wer das war, können Sie mir das sagen?“ Und Gadamer sagt, „Ja, das kann ich“ und hat es ihm auch richtig schön erklärt, worauf sich der Fahrer bedankte. Öffentlichkeit der Wissenschaft im Vollzug sozusagen. 1996 wird der Film erstmalig ausgestrahlt, es gab ihn dann noch auf VHS-Videokassette; eine DVDVersion existiert wohl leider nicht. Und er ist auch wirklich sehr gelungen, wie man es von Safranski erwartet, wenn auch die Marburg-Passagen sehr stark zusammengeschnitten sind, wie das nun einmal so üblich ist. X Ehrenpromotion Der letzte Besuch Gadamers in Marburg erfolgt anläßlich der bereits besprochenen Ehrenpromotion. Gadamer bekommt also nun endlich, nach einer ganzen Tüte solcher Titel, auch aus Breslau, den Marburger im Jahr 1999. Das ist das Verdienst einer Ausnahmeberufung nach Marburg, nämlich der von Walther C. Zimmerli, des heutigen Präsidenten der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus, der sich zu den Gadamer-Schülern zählt, aus den in Marburg 44 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg üblichen Strängen der Philosophie also herausfällt. Hierher berufen wird er mit durchaus sehr starkem Rückhalt, auch was die Landesregierung anbelangt, es ist also eine strategische Berufung; er bleibt auch nur kurz. Aber Zimmerli kann hier doch ein paar Dinge bewerkstelligen, auch gegen den zumindest latenten Widerstand der Kollegen – er hat sogar versucht, hier in Marburg zu sagen, Sein und Zeit ist das Marburger Philosophiebuch, sollte man nicht einmal irgendwie zugeben, daß Heidegger hier war? Das war dann schon schwieriger, aber die Gadamer-Ehrung, die hat geklappt. Und Gadamer kommt, hält einen großen Vortrag, völlig frei, basierend auf wenigen Vorüberlegungen, typisch Gadamer, in der Alten Aula, und das war wirklich ein bewegendes Ereignis. Gadamer hat natürlich, mit 99, wie es den meisten von uns gehen wird, manchmal den Faden verloren, einen Namen vergessen und ist manchmal in den Zeiten etwas herumgeschwommen, aber das macht ja nichts; damit, finde ich, kann man gut leben. Er hat mit 101 noch Nietzschesche Gedichte neu interpretiert; solange man geistig noch so präsent ist, sind kleine Schwankungen ja kein Problem. Gadamer hatte damals darum gebeten, weil er eben physisch schon sehr fragil war, daß ich ihn zuhause in Heidelberg mit meinem Wagen abhole, in Marburg etwas zur Seite stehe und ihn auch wieder zurückbringe, zusammen mit seiner letzten Assistentin Donatella di Cesare, die heute Professorin in Rom ist. Mein und Zimmerlis damaliger Student Rainer Kattel, Autor des vorerwähnten Xenophanes-Aufsatzes, hatte das Fahren übernommen. Wir vier wa45 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg ren vor den Feierlichkeiten im Kleinen Restaurant, weil es eben sozusagen im Souterrain von Natorp liegt, und ich besprach einen neuen Aufsatz von mir mit Gadamer, und er meinte dann, „Ja, Herr Drechsler, das ist alles sehr schön, aber haben Sie das denn schon mit Heidegger durchgesprochen?“ Erst einmal ist man doch ein wenig schockiert. Aber auf der anderen Seite ist dieses Zusammenziehen von Zeit ja auch schön, und am Ende ist es natürlich eine hohe Ehre, gesagt zu bekommen, was man da zusammengeschrieben hat, wäre es wert, mit Heidegger besprochen zu werden. Gadamer kam dann auch selbst sehr schnell auf den Gedanken, daß das von den Zeiten her nicht ganz hinkam. Erwähnenswert ist vielleicht noch, daß Gadamer vor der Heimfahrt am Morgen nach der Feier bat – er hatte die Urkunde übrigens im Hotelzimmer vergessen, und es war nicht einmal leicht, sie rasch wiederzubekommen –, noch einmal auf den Ockershäuser Friedhof zu gehen, den er sowieso sehr geschätzt hat, von der ganzen Anlage her, und weil, wie er oft sagte, er dort eben viel mehr Leute kenne als in der Stadt – mir geht dieser Gedanke manchmal heute schon durch den Kopf. Obwohl er sehr schwer gelaufen ist, wollte und ging er zum Grab von Natorp, von Bultmann und zu dem des früh verstorbenen Germanisten Max Kommerell, eines Freundes und Kollegen vom Ende seiner Marburger Zeit. Wir sind dann noch einmal zum Haus im Konrad-Laucht-Weg und haben Gadamer dann nach Hause gefahren, und danach ist er nicht mehr nach Marburg gekommen, schon aus rein gesundheitlichen Gründen. 46 Ockershäuser Friedhof, 1999 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg XI Adieu Hans-Georg Gadamer ist uns allen dann drei Jahre später vorausgegangen, war aber klar bis weit zum Ende, physisch nicht mehr sehr beweglich, aber geistig immer noch und zwar immer noch schreibend und immer noch neue Sachen schreibend, wobei er einmal gesagt hat, „Ja, das ist natürlich kein Zufall. Es ist nicht so, daß es mir gut geht und ich deswegen noch über neue Dinge nachdenken kann, sondern mir geht es noch gut, weil ich über neue Dinge nachdenke.“ Gadamer hat immer eine ganzheitliche, wenn Sie so wollen, auf den Georgekreis rückführbare Einstellung zur Medizin beibehalten. Er war also auch der Meinung, daß die moderne Gerätemedizin ein Problem darstellt und keine Antwort. Und er hat oft gesagt, „Solange es geht, geht es noch. Aber wenn ich einmal in die Klinik komme, komme ich nicht wieder heraus.“ Und so geschah es dann auch. Am 13. März 2002 ist Gadamer in Heidelberg gestorben. Einen Tag vorher noch erscheint in der FAZ ein Leserbrief aus dem hiesigen Kreis der Philosophen, der so en passant zu behaupten scheint, daß die Tatsache, daß heute kaum jemand mehr Griechisch lerne, irgendwie etwas mit der Gadamerschen Hermeneutik zu tun habe.31 Da Gadamer nun wirklich der zeitgenössische Philosoph war, der immer auf Griechisch als conditio sine qua non fürs Philosophieren bestand, ist man da schon etwas verdutzt. Keine zwei Wochen später wiederum, am 23. März, erscheint ebenfalls in der FAZ die Überset48 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg zung des spontanen Nachrufs von Jacques Derrida, der heute nicht mehr so bedeutend ist, wie er damals schien, aber 2002 galt dessen Philosophie bei vielen deutschen Intellektuellen noch als das non-plusultra. Gadamer und Derrida hatten einmal in den frühen 80er Jahren in Paris versucht, sich zu unterhalten; das ist gescheitert, und zwar an Derrida. Nach Gadamers Tod konzediert nun aber Derrida seinen darin liegenden Fehler, und er nimmt quasi seine Gadamer-Kritik zurück und sagt, wir wollten eigentlich doch fast auf das Gleiche hinaus. Und er beendet diesen Nachruf mit dem sehr schönen Satz über Gadamer und das Gespräch, „Wie recht er hatte, damals und auch heute noch.“32 Gadamer hat ja nun, wie er selbst oft gesagt hat, quasi seinen eigenen Nachruhm erlebt. Eigentlich ist es in der Philosophie ja so, daß Sie einige Jahre nach Ihrem Tode so ein bißchen Ihre Wirkung verlieren. Wenn Sie dann wirklich sehr bedeutend waren, kommt sie vielleicht nach 20, 30 Jahren wieder. Gadamer hat immer gesagt, er war zu diesem Zeitpunkt ja immer noch da. Und er hat die immer freundlichere Enkel- und sogar Urenkelgeneration schon in Amt und Würden erlebt, nicht nur die der Kinder. Bei Gadamer war es aber auch so, daß selbst der späte Tod eben nicht das übliche Abflauen des Interesses zur Folge hatte, trotz der Bedeutung und Faszination des so sehr alten Philosophen als Persönlichkeit im Gegenüber. Aber das hat bei Gadamer das Werk vielleicht sogar ein wenig verdeckt. Gadamer und die Gadamersche Hermeneutik sind vielmehr eine gute Dekade nach seinem Tode ausgesprochen aktuell. Teilweise hat gerade der technische 49 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg Fortschritt, fast schon ironischerweise, Gadamer sowohl bestätigt also auch gerechtfertigt: Er hat über das Web 2.0 nichts mehr sagen können, man kann dieses mit seiner Hilfe aber besonders gut verstehen und einordnen. Die Gadamersche Art des Lehrens ist von einer Art, die hinsichtlich des Seminars auch theoretisch nicht durch Massive Open Online Courses substituierbar ist; sein Vorlesungsstil hingegen hätte genau in solch einen Rahmen gepaßt, wie man an den vielen mitgeschnittenen Vorlesungen und Vorträgen ja heute noch gut sehen kann. Aber eine Gadamer-App gibt’s noch nicht. Die seine ist also eine Substanz und auch eine Form, die, ich möchte nicht sagen, aktueller denn je ist, aber genauso aktuell, wie sie es immer schon war. Auch insofern ist Gadamer ein bedeutender Philosoph für unsere Zeit. Auch eine Sache, die ich von Gadamer gelernt habe, ist, daß es unangemessen ist, einen Vortrag abzulesen. Ich rede dann ja nicht mit den Zuhörern. Ich kann Notizen verwenden – das ist auch ganz gut, wenn ich bestimmte Punkte zu vermitteln habe, die ich nicht vergessen darf – aber natürlich keinen Fließtext. Als einmal – ich glaube, es war anläßlich eines Weihnachtsessens in Heidelberg – jemand meinte, wenn ich aber doch über ein Thema nicht genug weiß und daher ein Manuskript brauche, erwiderte Gadamer: „Wenn ich über ein Thema so wenig weiß, daß ich ein Manuskript brauche, sollte ich darüber vielleicht keinen öffentlichen Vortrag halten.“ Diese Einstellung geht über Vortragsform und Rhetorik, so wichtig diese natürlich sind, noch weit hinaus, und sie beruht eigentlich auf dem Gegenteil der anfänglich zitierten von Carl Schmitt. Was das ja 50 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg heißt, ist, daß man etwas weiß und das dann erzählt, aber daß man dennoch bewußt das Risiko eingeht, einen Fehler zu machen. Für Gadamer ist es Grundlage jedes Gesprächs, daß man wagen muß, sich lächerlich zu machen gegenüber einem Gegenüber, das immer mehr wissen mag als ich. Das gehört dazu. Ich muß mich exponieren können, weil ich nur so neue interessante Überlegungen beginnen und in ein wirkliches Gespräch kommen kann. Und dann mag man gelegentlich falsch liegen, und dann liegt man eben gelegentlich einmal falsch. Das ist nicht das Problem (es bedarf aber einer gewissen Souveränität). Das Problem ist, nicht in ein Gespräch einzutreten. Und das ist doch wirklich ein schöner Schlußsatz für ein Gespräch über Gadamer in Marburg. 51 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg Personenverzeichnis Abendroth, Wolfgang (1906-1985), Politologie und Jurist, seit 1950 Ordinarius in Marburg. Arendt, Hannah (1906-1975), politische Theoretikerin, 1924-1926 Studium der Philosophie in Marburg, Professorin u.a. an der University of Chicago und der New School of Social Research. Auerbach, Erich (1892-1957), Romanist, Habilitation in Marburg 1929, Ordinarius 1930-1935, später Professor u.a. in Istanbul und Yale. Bultmann, Rudolf (1884-1976), Theologe, Ordinarius für Neues Testament in Marburg 1921-1961, Heideggers wichtigster Marburger Kollege. Cassirer, Ernst (1874-1945), Philosoph, Neukantianer, 1896-1899 Studium in Marburg, Promotion bei Cohen und Natorp, Professor u.a. in Hamburg, Göteborg, Yale und Columbia. Clay, Jenny Strauss (*1942), Altphilologin, Professorin an der University of Virginia, Leo Strauss‘ Adoptivtochter. Cropsey, Joseph (1919-2012), politischer Philosoph, Professor an der University of Chicago, Schüler und Verwalter des literarischen Nachlasses von Leo Strauss. Curtius, Ernst Robert (1886-1956), Romanist, 19201924 Ordinarius in Marburg. 52 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg Derrida, Jacques (1930-2004), französischer Philosoph. Di Cesare, Donatella (*1956), italienische Philosophin, seit 1996 letzte Assistentin Gadamers, Professorin an der Sapienza in Rom. Drechsler, Hanno (1931-2003), Politologe, Oberbürgermeister von Marburg 1970-1992. Ebbinghaus, Julius (1885-1981), Philosoph, mit Heidegger und Gadamer während deren Marburger Zeit befreundet, Professor ebendort 1940-1954. Ferlemann, Johannes, Marburger Arzt und Internist. Friedrich, Christoph (*1954), Pharmaziehistoriker, seit 2000 Ordinarius in Marburg und Direktor des Instituts für Geschichte der Pharmazie. Gadamer, Johannes (1867-1928), Pharmazeutischer Chemiker, Assistent in Marburg 1894-1902 und Professor ab 1919, zwischenzeitlich Ordinarius in Breslau, Rektor der Philipps-Universität 19211922. Gehlen, Arnold (1904-1976), Philosoph, Anthropologe und Soziologe, 1934-1938 Gadamers Vorgänger als Ordinarius in Leipzig. George, Stefan (1868-1933), Dichter, Zentrum des George-Kreises. Habermas, Jürgen (* 1929), Philosoph und Soziologe, 1961 venia legendi für Politologie in Marburg mit 53 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg Strukturwandel der Öffentlichkeit, Professor in Frankfurt am Main. Hartmann, Nicolai (1882-1950), Philosoph, Neukantianer, 1905-1925 in Marburg, ab 1922 Nachfolger Natorps und Vorgänger Heideggers, der erste Marburger Lehrer Gadamers. Heidegger, Martin (1889-1976), Philosoph, der wichtigste Lehrer Gadamers, o. Professor in Marburg 1924-1928, seit 1925 als Nachfolger Hartmanns. Hönigswald, Richard (1875-1947), Philosoph, Neukantianer, Professor in Breslau 1906-1929 (ab 1919 als Ordinarius), erster akademischer Lehrer Gadamers. Horkheimer, Max (1895-1973), Philosoph, mit Theodor W. Adorno die Zentralfigur der Frankfurter Schule. Jaeger, Werner (1888-1961), klassischer Philologe, Professor u.a. in Berlin und Harvard. Jonas, Hans (1903-1993), Philosoph, 1923-1928 (Promotion) mit Unterbrechungen in Marburg als Schüler Heideggers und Bultmanns, später u.a. Professor an der New School for Social Research. Kattel, Rainer (*1974), politischer Philosoph und Ökonom, 1994-1995 und 1998-2002 Stipendiat in Marburg, Promotion beim Verf. zur Verfassung der Polis, Ordinarius an der Technischen Universität Tallinn. 54 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg Kempowski, Walter (1929-2007), Schriftsteller. Kissinger, Henry (*1923), amerikanischer Staatsmann und Politologe. Kommerell, Max (1902-1944), Germanist, wichtiges, dann ausgeschiedenes Mitglied des George-Kreises, 1941-1944 Ordinarius in Marburg. Krauss, Werner (1900-1977), Romanist, 1931-1940 in Marburg, Schüler (Habilitation) und Nachfolger (ohne Professur) Auerbachs, als Mitglied der „Roten Kapelle“ 1942 verhaftet und zum Tode verurteilt, 1944 auf Intervention u.a. Gadamers begnadigt, Ordinarius in Leipzig. Legge, Ludwig (*1936), Vorsitzender der Neuen Literarischen Gesellschaft Marburg. Lenz, Max (1850-1932), Historiker, 1881-1888 Professor in Marburg, seit 1885 als Ordinarius, später in Berlin und – als einer der Gründerväter - Hamburg. Löwith, Karl (1897-1973), Philosoph, Habilitation 1928 in Marburg, Privatdozent ebendort bis 1936; später Professor u.a. in Japan, an der New School und 1952-1964 als engster Kollege Gadamers und auf dessen Initiative in Heidelberg. Marx, Karl (1818-1883), Philosoph und Ökonom, 1841 nach Studium in Berlin philosophische Promotion in absentia in Jena. 55 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg Natorp, Paul (1854-1924), Marburger Philosoph und einer der Hauptvertreter der Marburger Schule des Neokantianismus, Professor 1885-1922, als Ordinarius seit 1893, Doktorvater Gadamers. Otto, Rudolf (1869-1937), Theologe und Religionswissenschaftler, 1917-1937 Ordinarius in Marburg, der international bekannteste Marburger Theologe seiner Zeit. Safranski, Rüdiger (* 1945), Philosoph und Schriftsteller, seit 2012 Honorarprofessor an der Freien Universität Berlin. Scheler, Max (1874-1928), Philosoph und Soziologe, Ordinarius in Köln, in Gadamers Marburger Kreis und zumal bei Heidegger hoch angesehener, gelegentlicher Besucher. Schmitt, Carl (1888-1985), Staatsrechtler; Professor in Berlin. Schnack, Ingeborg (1896-1997), Marburger Universitätsbibliothekarin und Rilke-Expertin. Schwebel, Horst (*1940), Theologe und Kunst- und Architekturtheoretiker; 1980-2006 Ordinarius in Marburg. Strauss, Leo (1899-1973), politischer Philosoph, geboren in Kirchhain, Abitur am Gymnasium Philippinum; als Gasthörer gelegentlich Mitglied der Marburger philosophischen Seminare; 1949-1969 Professor an der University of Chicago. 56 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg Sullivan, Robert R., em. Professor für Politologie an der City University of New York. Ubbelohde, Otto (1867-1922), Marburger Maler und Illustrator (Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm). Zimmerli, Walther C. (*1945), Philosoph, 1996-1999 Ordinarius in Marburg, danach Rektor in Witten/Herdecke und Wolfsburg, jetzt der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus. 57 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg Literaturverzeichnis Erwähnte Schriften Hans-Georg Gadamers (1934): Plato und die Dichter, Frankfurt/Main: Klostermann. Auch in 1985a, S. 187-211. (1941): Volk und Geschichte im Denken Herders, Frankfurt/Main: Klostermann. (1978): „Die Unverständlichkeit der Wissenschaft und das Verständnis der Öffentlichkeit“, in Wissenschaft und Gesellschaft. Antworten der Wissenschaft auf Fragen ihrer Zeit, R. Schmitz, Hg., Frankfurt/Main: U & M, S. 3-14. (1985a): Gesammelte Werke, Bd. 5: Griechische Philosophie I, Tübingen: Mohr Siebeck. (1985b): Gesammelte Werke, Bd. 6: Griechische Philosophie II, Tübingen: Mohr Siebeck. (1989): Wer bin ich und wer bist du? Ein Kommentar zu Paul Celans Gedichtfolge „Atemkristall“, Frankfurt/Main: Suhrkamp [1973]. (1990): Wahrheit und Methode, Gesammelte Werke, Bd. 1, 6. Aufl. [1960]. (1991a): Gesammelte Werke, Bd. 7: Griechische Philosophie III: Plato im Dialog, Tübingen: Mohr Siebeck. (1991b): „Plato als Porträtist“, in 1991a, S. 228-257 [1988]. 58 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg (1991): Lob der Theorie, Reden und Aufsätze, 3. Aufl., Frankfurt/Main: Suhrkamp [1983]. (1993): Über die Verborgenheit der Gesundheit. Aufsätze und Vorträge, Frankfurt/Main: Suhrkamp. Englische Version: The Enigma of Health: The Art of Healing in a Scientific Age, Cambridge: Polity Press, 1996. (1995a): Das Erbe Europas – Beiträge, Frankfurt/Main: Suhrkamp [1989]. (1995b): „Die Grenzen des Experten“, in Das Erbe Europas. Beiträge, 3. Aufl., Frankfurt/Main: Suhrkamp, S. 136-157 [1989]. Leo Strauss und Hans Georg Gadamer (1978): „Correspondence concerning Truth and Method“, The Independent Journal of Philosophy, Bd. 2, S. 5-12. Zitierte Sekundärliteratur Reinhard Brandt (2002): „Nichtwissen wird Standard“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. März. Jacques Derrida (2002): „Wie recht er hatte! Mein Cicerone Hans-Georg Gadamer“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. März. Wolfgang Drechsler (1997): „Carl Schmitt: The Leviathan in the State Theory of Thomas Hobbes“, Perspectives on Political Science, Bd. 26, Nr. 2, S. 125-126. 59 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg Wolfgang Drechsler (1998a): „The Philosophy of Hans-Georg Gadamer“, Semeiotike. Sign System Studies, Bd. 26, S. 425-436. Entspricht: Wolfgang Drechsler (1998b): „The Philosophy of Hans-Georg Gadamer“, Trames, Bd. 2 (52/47), no. 4, S. 338-351. Wolfgang Drechsler (1998c): „Gadamer on Celan“, The Germanic Review, Bd. 73, Nr. 2, S. 175-177. Wolfgang Drechsler (1998d): „Platons Nomoi als Objekt der Rechtsvergleichung“, in Brücken für die Rechtsvergleichung. Festschrift für Hans G. Leser zum 70. Geburtstag, Olaf Werner et al., Hgg., Tübingen: Mohr Siebeck, S. 44-61. Wolfgang Drechsler (2002): „Hans-Georg Gadamers Plato und die Dichter“, in Zukunft braucht Erfahrung. Eine Festschrift. 475 Jahre Gymnasium Philippinum, Erdmute Johanna Pickerodt-Uthleb, Hg., Marburg: Gymnasium Philippinum, S. 53-62. Wolfgang Drechsler (2007): „Chris Lawn: Gadamer: A Guide for the Perplexed“, Philosophy in Review, Bd. 27, Nr. 2, S. 124-126. Wolfgang Drechsler (2011): „Understanding the problems of mathematical economics: A ‚continental’ perspective“, real-world economics review, Nr. 55, S. 45-57. Wolfgang Drechsler (2013): „Stefano Marino: Gadamer and the Limits of the Modern Techno-Scientific 60 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg Civilization“, Philosophy in Review, Bd. 33, Nr. 2, im Druck. Wolfgang Drechsler und Rainer Kattel (2004): „Mensch und Gott bei Xenophanes“, in Gott und Mensch im Dialog, Festschrift für Otto Kaiser zum 80. Geburtstag, Markus Witte, Hg., Bd. I, BZAW 345-I, Berlin: de Gruyter, S. 111-129. Jürgen Habermas (1971): Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. 5. Aufl. Neuwied: Luchterhand [1962]. Jürgen Habermas (2011): „Rettet die Würde der Demokratie“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. November. Martin Heidegger (1993): Sein und Zeit, 17. Aufl., Tübingen: Niemeyer [1927]. Immanuel Kant (1968): Kritik der Urtheilskraft, Akademie-Ausgabe, Bd. V, Berlin: de Gruyter, S. 165-485 [1790]. Rainer Kattel (1996): „The Political Philosophy of Xenophanes of Colophon“, Trames, Bd. 1, Nr. 2, S. 125-142. Oberhessische Presse (2013): „Vortrag: Gadamer in Marburg“, 21. März. Rudolf Otto (1917): Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen, Breslau: Trewendt und Granier. 61 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg Robert R. Sullivan (1997): „Gadamer’s Early and Distinctively Political Hermeneutics“, in The Philosophy of Hans-Georg Gadamer, Lewis Edwin Hahn, Hg., Chicago – La Salle, Il.: Open Court, S. 236255. Erwähnte Primärquellen Briefe Hans-Georg Gadamers an den Verf. (sämtlich Heidelberg) vom 12. Juni 1995, 21. November 1995, 29. November 1995, 19. August 1996, 7. Oktober 1996, 16. April 1997, 25. Juni 1997 und 15. Juli 1998. Empfohlen zur Einführung in Leben und Werk Donatella Di Cesare (2009): Gadamer – Ein philosophisches Portrait, Tübingen: Mohr Siebeck. Hans-Georg Gadamer (1977a): Philosophische Lehrjahre. Eine Rückschau, Frankfurt/Main: Klostermann. Hans-Georg Gadamer (1977b): Selbstdarstellung, in Philosophie in Selbstdarstellungen, Ludwig J. Pongratz, Hg., Bd. III, Hamburg: Meiner, S. 60-101. Lewis Edwin Hahn, Hg. (1997): The Philosophy of Hans-Georg Gadamer, The Library of Living Philosophers, Bd. XXIV, Chicago – La Salle, Il: Open Court. [S. Drechsler 1998a-b] 62 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg Chris Lawn (2006): Gadamer: A Guide for the Perplexed, London: Continuum. [S. Drechsler 2007] Bildnachweise Vorderseite: Dora Mittenzwei, „Hans-Georg Gadamer“, Acryl, 1994. S. 12: Im Café Vetter. Foto K. H. Symon. S. 24: Lahnstraße. Foto K. H. Symon. S. 27: Marbacher Weg. Foto K. H. Symon. Im Ersten Stock links das Fenster von Hans-Georg Gadamers Zimmer während seiner Studentenzeit. S. 31: In der Alten Universität. Foto K. H. Symon. S. 32: Konrad-Laucht-Weg, 1999. Foto Verf. Gadamer, Rainer Kattel und Donatella Di Cesare. Im Ersten Stock die Wohnung Gadamers während seiner Privatdozentenzeit. S. 36: Platon. Foto Wikipedia. Marmorkopie nach einem Bronzeoriginal, Münchner Glyptothek. S. 43: Wilhelmsplatz. Foto K. H. Symon. Im Ersten Stock die Wohnung Natorps. S. 47: Ockershäuser Friedhof, 1999. Foto Rainer Kattel. Donatella Di Cesare, Gadamer und der Verf. am Grab von Max Kommerell. Rückseite: Verf., Guangxi Institute of Public Administration, Nanning, China, 2011. Foto GIPA. 63 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg Anmerkungen Dies ist die leicht überarbeitete Textfassung des auf der Grundlage von Stichworten gehaltenen Vortrags vom 24. März 2013 im Café Vetter. Antworten zu den interessanten Fragen aus der Zuhörerschaft (zu Gadamers Verhältnis zu den Nazis und zu Leo Strauss, zur Horizontverschmelzung und zu seinem Vortragsstil) sind in den Text integriert. Die Transkription besorgte wie stets Ingbert Edenhofer. Für Hinweise danke ich Otto Kaiser, Benjamin Merkler, Joachim A. Groth und besonders Rainer Kattel. Zu meinem Gadamerbild s. Drechsler 1998a-c, 2002, 2007 und 2013. Einige der hier berichteten Ereignisse finden sich auch in verschiedenen Darstellungen der Zeit, zumal Gadamers selbst (Gadamer 1977a-b in den „Empfehlungen“); wie hier zitiert, stammen sie aber alle aus Gesprächen mit dem Verf. und sind nach bester Erinnerung zitiert und auch dann in Anführungszeichen gesetzt, wenn die schriftliche Formulierung eine andere ist. Gadamers Korrespondenz befindet sich weitgehend im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar. 1 Zu meinem Schmittbild s. Drechsler 1997. Kattel 1996. Die entsprechende Passage aus dem Brief Gadamers, hier zum ersten Male veröffentlicht, lautet: 2 Ich habe mich seinerzeit mit der Neubearbeitung des Xenophanes in Jaegers Theologiebuch nicht aufmerksam genug verhalten, weil ich im Grunde einen falschen Einfluß der Theologie zu erkennen glaubte und der Darstellung in Paideia 1 uneingeschränkt zugestimmt hatte. So habe ich den Ansätzen einer Polis-Ethik nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt. Am Ende kann ich aber nicht glau- 64 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg ben, daß Xenophanes hier seine eigenen neuen Gedanken darstellt. Das ist doch wahrlich nicht die Art eines wandernden Rhapsoden, daß er so originelle Gedankengänge als Erster entwickelt. Ähnlich wie Tyrtaios befindet sich doch auch Xenophanes in einer kritischen Distanz zu seinen Brotgebern, die der Adelsschicht angehören und die er für die neuen Themen gewinnt. Natürlich kann ich die Lükke hier nicht schließen, weil wir offenbar keine Überlieferung haben, die das tun könnte. Aber daß in den neuen Kolonialstädten und in deren Mutterländern so etwas wie ein Polisbewußtsein entstanden ist, muß man wahrlich voraussetzen. Dazu hat man nicht auf Xenophanes warten müssen, der von berufswegen auf die neuen Empfänglichkeiten reagiert, die sich unter seinen Brotgebern regt und die ihn beinahe aus Versehen – im Anblick der Kosmologie der Milesier – zum Gründer der eleatischen Schule hätte werden lassen. Aber das nur nebenbei. Die Arbeit selber ist durchaus anerkennenswert, und natürlich begrüße ich es auch, wenn Sie zwar manche guten Warnungen von mir ernst nehmen und doch auch nun auch auf eigenen Wegen gehen. Leider ist Theognis, bei dem man sonst am ehesten eine Überlieferung suchen würde, den demokratisierenden Tendenzen allzu sehr abhold. Aber als Gattung scheinen mir jedenfalls die Texte von Theognis sehr viel authentischer, als die rhapsodischen Klänge, mit denen Xenophanes die neue Kulturöffnung der damaligen griechischen Oberschicht gewinnt. 65 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg (Gadamer an den Verf., Heidelberg, 19. August 1996) Gadamers Anmerkungen sind aufgenommen in Drechsler und Kattel 2004. S. Gadamer an den Verf., Heidelberg, 29. November 1995. 3 4 Oberhessische Presse 2013. 5 Habermas 1962. 6 Heidegger 1993. 7 Gadamer 1990. So beginnt Gadamer seine Rede anläßlich des 450. Universitätsjubiläums der Philipps-Universität wie folgt: 8 Es war für mich eine unwiderstehliche Versuchung, der ich trotz einer gleichzeitigen Heidelberger Verpflichtung gefolgt bin, die Einladung nach Marburg anzunehmen. Galt es doch zu dem Jubiläum der Marburger Universität nach meinen Kräften beizutragen und an einen Ort zu kommen, an dem ich zwanzig Jahre gelebt habe, an dem ich meine geistige Prägung erfuhr und wo immer, wenn ich einmal zurückkomme, noch die Steine – und gar die Grabsteine oben auf dem Friedhof – zu mir sprechen. (Gadamer 1978, S. 3) In anderen Textfassungen dieses Vortrags findet sich diese Passage m.W. nicht. 9 S. Gadamer an den Verf., Heidelberg, 12. Juni 1995. 10 Kant 1968. Mir wurde nach dem Vortrag durch den Leiter des Kulturamts der Stadt Marburg versichert, die Tafel für das Haus am Konrad-Laucht-Weg (s. S. 31) sei in Arbeit. 11 66 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg 12 Ausführlich hierzu Drechsler 2011. 13 Dazu bes. Drechsler 1998a-b und zumal d. 14 Gadamer 1991, 1995a; s. Drechsler 2013; 1998a-b. 15 Gadamer 1995b, bes. S 139, 152. 16 Habermas 2011. 17 Gadamer 1993. 18 Gadamer 1989, s. Drechsler1998c. 19 Gadamer 1989, S. 155. 20 S. Drechsler 1998c. In der damaligen Zeit – heute ist das nicht mehr ganz so – war der Unterschied zwischen einem Lehrstuhl und selbst einer normalen außerordentlichen Professur immens. Ich kann mich aus meiner Zeit im Wissenschaftsrat (1990-1992) noch erinnern, immer einmal wieder von einem der wichtigsten deutschen Wissenschaftsfunktionäre gehört zu haben, der Unterschied zwischen einem C4und einem C3-Professor sei größer als zwischen einem C3-Professor und einem Erstsemester. 21 22 Otto 1917. 23 Gadamer 1934. 24 Drechsler 2002. 25 Gadamer 1991b, S. 230. 26 Gadamer 1934, S. 5: „Durch jede philosophische Schrift geht, und wenn es auch noch so wenig sichtbar würde, ein gewisser polemischer Faden. Wer philosophiert, ist mit den Vorstellungsarten seiner Vor- und Mitwelt uneins, und so sind die Gespräche des Plato oft nicht allein a u f etwas, sondern auch g e g e n etwas gerichtet.“ (Goethe). 67 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg 27 Sullivan 1997. 28 Gadamer 1940. Schauen wir in diesem Zusammenhang noch einmal genauer auf das Verhältnis von Leo Strauss zu Gadamer und zu den Marburger Philosophen generell. Das ist ja in der Tat auch insofern interessant, als daß Strauss der andere „Marburger“ in diesem Kreis war. Hier ergänzt er fast genau die Lücke, die sozusagen in Gadamers lokalem Lebenslauf klafft, solange wir Kirchhain als dem Marburger Weichbild zugehörig betrachten. (Soviel ich weiß, erinnert an Leo Strauss in Kirchhain auch immer noch nichts, wohl aus Rücksicht etwa auf die Nachkommen der Profiteure der „Arisierung“ des Strauss’schen Wohnhauses in der Borngasse.) Strauss war in der Tat Schüler am Philippinum, hat dort auch Abitur gemacht, und ist insofern „Gymnasialmarburger“, aber studiert hat er hier eigentlich nicht, auch wenn es manchmal so dargestellt wird. Er war hier wohl nie immatrikuliert, sondern eine Art Gasthörer. Er war in gewisser Weise ein assoziiertes Mitglied des philosophischen Kreises. 29 Strauss ist glücklicherweise relativ rasch ins Ausland, anfangs über die Rockefeller-Stiftung, via Frankreich und England, nach Chicago. Als er dann in Chicago war, wäre er, glaube ich, im Gegensatz z.B. zu Löwith, auch nie auf die Idee gekommen, sich hierher auf eine Professur zu bewerben. Das ist auch übrigens dann bald eine Zeit, zu der Politische Philosophen in Chicago keinen Grund mehr hatten, eine deutsche Professur anzunehmen – schon vom Materiellen, aber auch vom Prestige her, vom Einfluß auf die Politik, die Strauss in Amerika später hatte, einmal ganz abgesehen. Strauss war wie gesagt einer derjenigen, die sehr deutlich gemacht haben, wer sich vor und während der Nazi- 68 Uni im Café 6 · Wolfgang Drechsler · Gadamer in Marburg zeit schäbig zu ihm benommen hat, und Gadamer war dezidiert nicht darunter. Und er konnte zwischen Werk und Person gut unterscheiden – wie Joseph Cropsey, Strauss’ Schüler in Chicago, mir erzählt hat, pflegte dieser, wenn in seiner Lehrveranstaltung der Name Heidegger fiel, zu sagen, „Heidegger ist der bedeutendste Philosoph unserer Zeit, und sein Name wird in meinen Seminaren nicht erwähnt.“ Strauss und Gadamer jedenfalls waren wohl nie die engsten Freunde, aber sie haben nach dem Krieg auch persönlich genau so weitermachen können wie vorher. 1954 hat Strauss Gadamer und Löwith auch in Heidelberg besucht und einen Vortrag gehalten; das war für Strauss schon etwas Besonderes, und er hätte das nicht getan, wenn er Gadamer etwas übel genommen hätte. Den kurzen Strauss–Gadamer-Briefwechsel, der auch veröffentlicht ist und in dem es um Wahrheit und Methode geht, würde ich als distanziert-freundlich beschreiben (Strauss steht der Gadamerschen Hermeneutik natürlich kritisch gegenüber; Strauss und Gadamer 1978). Schließlich habe ich mich sowohl mit Gadamer selbst als auch mit Strauss‘ Tochter Jenny Strauss Clay über die Beziehung der beiden unterhalten, und auch da war von Animositäten jeweils nichts zu hören oder auch nur zu spüren. 30 Gadamer 1978; s. FN 8. 31 Brandt 2002. 32 Derrida 2002. 69