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A. F. Balogh: M. Markel / P. Motzan (Hgg.), Deutsche Literatur in Rumänien 103 Michael Markel / Peter Motzan (Hgg.), Deutsche Literatur in Rumänien und das „Dritte Reich“. Vereinnahmung Ð Verstrickung Ð Ausgrenzung. (Wissenschaftliche Beiträge 94) Verlag des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, München 2003. 326 S., € 24,Ð. Über die Bedeutung der deutschen Literatur des Auslands, über ihre Stellung zwischen den Kulturen wird heute wenig gestritten, um so mehr werden Stereotypien und Vorurteile verbreitet. Mehrere deutsche Forschungsinstitute versuchen deshalb, das literarische Gesamtschaffen jener Regionen, die auch von Deutschen bewohnt werden, in seinen genetischen Strukturen, in seinen Verflechtungen mit den benachbarten Literaturen zu erfassen und sowohl dem deutschen Publikum als auch der Fachwelt zugänglich zu machen. Brought to you by | University of Arizona Authenticated Download Date | 5/27/15 10:44 PM 104 András F. Balogh Diese Arbeit ist nun in München, im neu geschaffenen Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas Ð relativ spät Ð in eine entscheidende Phase getreten: Nachdem die Aufarbeitung der literarischen Prozesse und der ästhetischen Leistung der rumäniendeutschen Literatur in der Periode des Nationalsozialismus beziehungsweise der persönlichen Schuld der Autoren an der gewollt-ungewollten Verstrickung des literarischen Lebens dieser Region in die nationalsozialistische Maschinerie lange Jahrzehnte auf sich warten ließ, geht man dieses Thema nun entschlossener an. Die Gründe der Verzögerung sind bekannt: Im kommunistischen Rumänien wurde von der allgegenwärtigen Zensur nur eine vereinfachende Antwort auf das Phänomen des Nationalsozialismus akzeptiert; Forschungen und Publikationen über eine andere Diktatur waren seitens der Staatsmacht verpönt. In der BRD lebende Schriftsteller und Wissenschaftler, die am Ende des Zweiten Weltkriegs Rumänien verließen oder früher für Deutschland optierten, schrieben und forschten aus persönlichem Schuldgefühl und aus einer falsch verstandenen Verdrängung heraus nur ungern und deshalb nur sporadisch über diese Periode. Nun sind aber Ð gut zehn Jahre nach der Wende Ð die Rahmenbedingungen für ein freies Forschen durch die Demokratisierung Rumäniens geschaffen und die Finanzierung seitens deutscher Geldgeber von mehreren Forschungsinstituten gesichert worden: Forscher aus beiden Ländern nehmen ihre historische Verantwortung wahr. Die Mauer des Schweigens wird durch den von Michael Markel und Peter Motzan vorbildlich betreuten Band durchbrochen. Der Band vereinigt die redigierten und ergänzten Fassungen der Vorträge, die 1999 bei der 37. Jahrestagung des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde am Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas der Ludwig-Maximilians-Universität gehalten wurden. Das Themenspektrum Ð offensichtlich durch koordinierte Mitarbeit und durch regelmäßige Konsultationen der Autoren entstanden Ð erstreckt sich auf sämtliche Aspekte und Blickwinkel dieser spezifischen Forschung: Die Perspektiven der Binnen- und Auslandsgermanistik (M. Buth, A. Ritter sowie. J. Wittstock, H. Schuller) stehen ausgewogen und um einen rumänischen Blickwinkel erweitert (C. R. Zach) nebeneinander. Alle Gebiete beziehungsweise Provinzen Rumäniens, die deutsche Kultur beherbergten (Banat, Bukowina, Siebenbürgen, Bukarest), werden berücksichtigt. Textanalysen aus dem Bereich zeitgenössischer Epik und Lyrik werden durch die Analyse jener Romane ergänzt, die sich in jüngster Zeit die Aufarbeitung dieser dunklen Periode zum Ziel setzten (E. Konradt, R. Kegelmann). Außerdem findet sich eine sprachwissenschaftliche Analyse der damaligen Zeitungssprache (G. Schuster). Der Grundtenor des Bandes wird in mehreren Aufsätzen angeschlagen: Die Minderheiten wurden oft als Störfaktor der deutschen Außenpolitik aufgefaßt, weswegen man sie gewissenlos manipuliert und ausgenutzt hat. Diese skeptische Haltung ihnen gegenüber läßt sich bis zu Bismarck zurückverfolgen (A. Ritter), wodurch bis heute zäh weiterlebende Vorurteile über die deutsche Kultur dieser Region (Revanchismus, Konservativismus, Zurückgezogenheit, Provinzialität) die Verwirklichung der realen und möglichen Anliegen der Regionalautoren erschwerten. Zu diesen Anliegen zählen die Brought to you by | University of Arizona Authenticated Download Date | 5/27/15 10:44 PM Michael Markel / Peter Motzan (Hgg.), Deutsche Literatur in Rumänien 105 Vermittlung zwischen den Kulturen, Humanität als ästhetisches Gebot, authentischer Blick auf die inneren Probleme der binnendeutschen Kultur sowie Sprachexperimente zwischen mehreren Kultursprachen und Dialekten (St. Sienerth). Die Repression, denen ein Regionalautor durch die Wirksamkeit der genannten Vorurteile ausgesetzt war, konnte seine Manipulation erleichtern: Wer aufgrund der ,wohlwollenden‘ Unterstützung seitens der Politik die Möglichkeit des Aufstiegs vor sich sah, strebte oft mit Übereifer in das Zentrum des Literaturbetriebs, geriet dabei jedoch in Gefahr, seine Selbstreflexion zu verlieren und zur Marionette der Kulturpolitik zu werden. Während einige Autoren in der analysierten Periode im Dienste der nationalsozialistischen Propaganda reüssierten, wurden die deutschsprachigen Autoren jüdischer Herkunft vom Literaturbetrieb ferngehalten, und obwohl von den ehemaligen Freunden nicht vergessen, wurden sie ausgegrenzt und zuletzt verschleppt (P. Motzan). Dies zeigen die Beiträge des Bandes an zahlreichen Einzelbeispielen und beschreiben damit detailliert den im Untertitel des Buches angegebenen Prozeß: Vereinnahmung, Verstrickung, Ausgrenzung. Im Band finden sich einige maßgebende Aufsätze, die von der Germanistik nicht mehr außer acht gelassen werden können. Peter Motzan verfolgt in seinem sehr ausführlichen Beitrag den Weg jüdischer Autoren aus der Bukowina: Mit eindringlicher Textanalyse werden der lyrische Niederschlag der historischen Ereignisse erläutert und intertextuelle Bezüge zu anderen, zeitgenössischen Texten hergestellt. Schreibmotive und -anlässe, literarische Freundschaften und Gruppendynamik werden vor der Folie der politischen Entwicklung und der literarischen Prozesse untersucht Ð mit dem Effekt, daß das allgegenwärtige Stereotyp von jenem Land, ,wo Menschen und Bücher lebten‘, gründlich widerlegt wird. Es wird auf die äußerst prekäre Lage der Dichter aus der Bukowina hingewiesen; ihre Dichtung wird als ein Zufluchtsort gedeutet. Diese Autoren lebten keinesfalls in einer idealen Kulturlandschaft, sondern waren in einer Insel- und Randsituation der rumänischen und deutschen Staatsmacht sowie den lokalen ethnischen Konflikten ausgesetzt. Dies konnte auf die Lyrikproduktion eine Zeitlang deshalb förderlich wirken, weil sich durch sie im Gegenzug eine besondere Gruppendynamik entwickelte. Die besonderen Ausdrucksformen dieser Lyrikproduktion machten später den Weg der Autoren aus ihrer Randposition in das Zentrum der deutschen Lyrik frei. Stefan Sienerth widmet seinen Aufsatz Adolf Meschendörfer und Heinrich Zillich, zwei führenden Autoren dieser Zeit. Beide hatte man bisher am Rand völkischer Literatur plaziert. Nun wird durch die Erforschung ihrer Nachlässe die sehr feine Trennungslinie zwischen ihrem selbstgewollten Engagement und ihrer manipulierten Einbeziehung in die Propaganda aufgezeigt; einzelne Ereignisse (Anthologien, Buchausgaben, Literaturkritiken, Preise) werden als Etappen der Vereinnahmung beschreibbar. Durch die philologische Genauigkeit Sienerths wird dem Leser zudem klar, daß diese Trennlinie bei jedem Autor anders verläuft: Der Vergleich der zwei Autoren macht ersichtlich, daß Meschendörfer eine größere Skepsis aufbrachte und sich aus der Maschinerie zurückzog. Seine multikulturelle Lebenserfahrung in Siebenbürgen hat ihm möglicherweise eine größere Fähigkeit zur Toleranz verliehen. Brought to you by | University of Arizona Authenticated Download Date | 5/27/15 10:44 PM 106 A. F. Balogh: M. Markel / P. Motzan (Hgg.), Deutsche Literatur in Rumänien Der Beitrag von Cornelius R. Zach, einem in München lebenden rumänischen Historiker, verdeutlicht die europäische Wirkung der Binnengermanistik. Der Aufsatz geht mit großer Sachkenntnis auf die nationalsozialistischen Erscheinungen in der rumänischen Kulturpolitik ein. In Rumänien wird über diese Etappe der Geschichte und Kulturgeschichte wenig gesprochen. Zachs Aufsatz übernimmt hier eine Vorreiterrolle. Er macht auch deutlich, daß sich zu vielen politischen Phänomenen Hitler-Deutschlands, die man oft für spezifisch deutsch hielt, in Rumänien Parallelen finden lassen. Die Methoden der Autoren sind vielfältig: Hermeneutische Beiträge überwiegen, vereinzelt wird aber auch statistisch vorgegangen, um die ökonomische und politische Lage der deutschen Minderheit zu beschreiben und um die Chancen der Literatur in einer kulturoffenen Gesellschaft zu veranschaulichen (P. Motzan, H. Schuller). Grundlagenarbeit in Bibliotheken (E. Schneider über das Pressewesen im Banat), Erschließung bisher unbekannter Fakten (z. B. J. Wittstock über Erwin Wittstock) und die mühevolle Annäherung an Handschriften (St. Sienerth über Meschendörfer) wurden nicht gescheut; durch textimmanente Analyse (E. Konradt über die Romane der Gegenwartsliteratur) werden die im Grenzbereich von Mimesis und Fiktionalität angesiedelten literarischen Welten mehrerer Autoren nachgezeichnet. Insgesamt ist jedoch eine eher traditionelle Haltung zu beobachten: Auf die in Südosteuropa oft aufflammende Methodendiskussion wird in diesem Band nicht eingegangen. Nur kleine Mängel stören den insgesamt guten Band. In zwei Aufsätzen werden Ð nicht durch Tippfehler entstandene Ð verschiedene Daten für die Oberfläche Rumäniens angegeben (S. 55 bzw. S. 199): Beide Daten gehen auf unterschiedliche Quellen zurück. Wie viel Vertrauen kann man aber der Statistik der Region schenken, wenn nicht einmal die Staatsoberfläche Rumäniens eindeutig ist? Im Band werden sehr viele Daten präsentiert, die das Zusammenleben auf dem Völkerteppich des Balkans erklären sollen. Wie weit kann und darf man aus diesen konkrete Schlüsse ziehen und das Literaturleben mit unsicheren und heute absolut nicht mehr kontrollierbaren Daten beschreiben? Bekanntlich ist die Statistik ein Machtspiel der Politik, dem die Literaturwissenschaft nicht zum Opfer fallen darf. Nicht nur die Tatsache, daß die Aufarbeitung der schwersten Epoche der rumäniendeutschen Literaturgeschichte jetzt ihren Anfang genommen hat, sondern auch die sorgfältig organisierte Mitarbeit der Autoren, das Abstimmen der Themen untereinander und die geleistete Grundlagenforschung in Archiven, Nachlässen und Bibliotheken machen den Band zu einem der besten des Münchener Instituts. So bleibt zu hoffen, daß das Interesse der Germanistik durch diesen Band verstärkt auf die deutsche Literatur dieser Region gelenkt wird und daß die negativen Vorurteile und Stereotypien der Vergangenheit angehören. Eötvös-Loránd-Universität Budapest Germanistisches Institut András F. Balogh Ajtósi-Dürer sor 19Ð21 H-1146 Budapest abalogh78@hotmail.com Brought to you by | University of Arizona Authenticated Download Date | 5/27/15 10:44 PM