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Ausgewählte 14C-datierte Gräber des frühen und älteren Mittelalters in Bayern – ein absolutchronologisches Korrektiv für Funde und Befunde? Von Christian Later Die Radiokarbondatierung hat in den vergangenen Jahren aus mehreren Gründen verstärkt auch in der frühgeschichtlichen Archäologie Einzug gehalten: Zum einen ermöglicht es diese Methode, beigabenlose Gräber zeitlich in einen bestimmten Rahmen zu setzen und somit in die Belegungsabfolge eines Bestattungsplatzes einzubinden. Dies kann sowohl Fragen nach dem möglichen absolutchronologischen Beginn von Gräberfeldern in der frühen Merowingerzeit1 als auch nach dem Belegungsende klassischer Reihengräberfriedhöfe in der Spätmerowingerzeit2 sowie nach der Laufzeit von zeitlich parallel genutzten Kleinnekropolen und sog. Hofgrablegen am Übergang zur Karolingerzeit betreffen3. Zum anderen erhofft man sich für Landschaften Nordostbayerns mit bis ins 8./9. Jahrhundert laufenden Gräberfeldern, die anhand der oftmals unspeziischen Beigabenausstattungen mit feinchronologisch wenig aussagekräftigen Formen nur schwer datierbar sind, wesentliche Aufschlüsse zur zeitlichen Einordung sowohl der Bestattungsplätze als auch der Sachkultur4. Vor allem aber bergen stratiizierte Gräber im Bereich von Kirchenbauten für deren Datierung ein enormes Aussagepotenzial. Gerade für vorromanische Befunde, die bezüglich der Frage nach der Institutionalisierung der Kirche und der christlichen Durchdringung einer Region von besonderem Interesse sind, deren Grundrissformen bautypologisch aber wenig empindlich und nur selten über Fundmaterial genauer zu datieren sind, liefert menschliches Knochenmaterial eine der wenigen Möglichkeiten zur Gewinnung chronologischer Fixpunkte5. Daher werden auf naturwissenschaftlichem Wege gewonnene Daten gerne herangezogen, bei der Befundinterpretation jedoch oft nicht kritisch genug betrachtet. Dies ist einer im Fachbereich der frühgeschichtlichen und mittelalterlichen Archäologie erst in Ansätzen etablierten Methodendiskussion geschuldet. Durch die unrelektierte Übernahme entsprechender Daten besteht die Gefahr, gerade die statistische Belastbarkeit von Einzelproben und Kleinstserien überzubewerten. So kommt es, dass im Rahmen der archäologisch-historischen Interpretation eines Befundes bisweilen auf Basis dieser Daten Aussagen formuliert werden, die große Auswirkungen auf die gesamte absolute Chronologie des frühen und älteren Mittelalters hätten, da sie dem geläuigen Forschungsstand widersprechen und neue Erklärungsmodelle fordern. Doch muss jedes Radiokarbondatum ähnlich einem archäologischen Fundstück in die Auswertungsebene einbezogen und im Falle eines Widerspruchs eingehend erklärt bzw. „wegdiskutiert“ werden? Und in welchen Fällen – immer unter Berücksichtigung der statistischen Relevanz – kann bzw. muss eine Einzelprobe überhaupt in der archäologischen Argumentationskette berücksichtigt werden? Die folgenden Beispiele sollen darlegen, welche Auswirkungen radiokarbondatierte Gräber auf die Deutung eines Befundes oder Fundkomplexes haben können und in welchen Fällen bei der Interpretation Vorsicht geboten sein sollte. 1 Beispielsweise bei der um 500 anzusetzenden Grablege von Unterhaching: J. Haberstroh, Radiokarbondatierung des Knochenmaterials. In: B. Haas-Gebhard/H. Fehr, Unterhaching. Eine Grabgruppe der Zeit um 500 n. Chr. bei München. Abhandl. u. Bestandskat. Arch. Staatsslg. 1 (München 2013) 223–227. 2 Exemplarisch zu einer vermeintlich bis weit ins 8. Jahrhundert genutzten Nekropole: B. Höke, Der spätmerowingerzeitliche Bestattungsplatz von Neuburg a. d. Donau, St. Wolfgang. Materialh. Bayer. Arch. 97 (Kallmünz 2013) 204–205. 3 Vgl. z. B. Ch. Lobinger, Bestattungsplätze der jüngeren und späten Merowingerzeit aus dem Isarmündungsgebiet, Lkr. Deggendorf. In: L. Husty/K. Schmotz (Hrsg.), Vorträge des 31. Niederbayerischen Archäologentages (Rahden/Westf. 2013) 285– 303 bes. 291 mit Anm. 24–25; F. Eibl/Th. Meier, Zur Frühgeschichte Kelheims: Aspekte der ersten Großgrabung in Bayern (Kanal I). In: K. Schmotz (Hrsg.), Vorträge des 24. Niederbayerischen Archäologentages (Rahden/Westf. 2006) 201–240 bes. 226–234 Abb. 23–24. In der früh- bis hochmittelalterlichen Siedlung Kelheim/Kanal I konnte über Radiokarbondatierungen nachgewiesen werden, dass Siedlungsbestattungen (sog. Hofgrablegen) noch im 9./10. Jahrhundert auftreten können. 4 Aus Nordostbayern exemplarisch zu nennen: J. Haberstroh, Radiokarbonanalysen am Skelettmaterial frühmittelalterlicher Grabfunde Oberfrankens. Zur Chronologie des 7. bis 11. Jahrhunderts in Nordostbayern. In: C. Haberstroh, Das frühmittelalterliche Gräberfeld von Wirbenz, Gde. Speichersdorf, Lkr. Bayreuth. Kat. Arch. Staatsslg. 30 (München 2004) 29–39; N. Brundke, Das mittelalterliche Gräberfeld Mockersdorf. Archäologie im Schatten des Rauhen Kulm. Arch. Beitr. Siedlungsgesch. 3 (Pressath 2013) 66–68 Abb. 21; mit Fragen nach der Identiikation von historisch bekannten Personen verbunden vgl. auch M. Hensch, Burg Sulzbach in der Oberpfalz. Archäologisch-historische Forschungen zur Entwicklung eines Herrschaftszentrums des 8. bis 14. Jahrhunderts in Nordbayern. Mat. Arch. Oberpfalz 3 (Büchenbach 2005) 82–89; 244–261. 5 Fallbeispiele: K. Schmotz, Friedhof und Kirche des frühen und älteren Mittelalters in Niedermünchsdorf, Stadt Osterhofen, Lkr. Deggendorf. In: K. Schmotz (Hrsg.), Vorträge des 26. Niederbayerischen Archäologentages (Rahden/Westf. 2008) 285–306; M. Hensch, Sankt Martin in Ermhof. Archäologische Forschungen zur frühen Kirchengeschichte in der westlichen mittleren Oberpfalz. Ein Überblick über die Grabungsergebnisse der Jahre 2006 und 2007. Der Eisengau 31, 2008, 6–37 bes. 27–35; J. Haberstroh, Frühes Mittelalter an der Schutter. Eine klösterliche cella in der villa rustica von Nassenfels, Lkr. Eichstätt. Vorbericht über die Ausgrabungen 2002 bis 2006. Germania 87, 2009, 221–263 bes. 234–235 Abb. 16; H. Dannheimer, Das Kloster im Frühen und Hohen Mittelalter. In: W. Brugger/H. Dopsch/J. Wild (Hrsg.), Herrenchiemsee. Kloster – Chorherrenstift – Königsschloss (Regensburg 2011) 21–50 bes. 29. Bericht der Bayerischen Bodendenkmalpflege 54, 2013 409 Erding-Itzling, Lkr. Erding: spätmerowingerzeitliche Sarkophagbestattung Bereits 1961 wurde beim Bau eines landwirtschaftlichen Nebengebäudes in Itzling ein älter- bis hochmittelalterlicher Friedhof mit wenigstens drei Belegungshorizonten angeschnitten und durch das Bayerische Landesamt für Denkmalplege dem Standard der Zeit entsprechend teilweise ausgegraben. Besonderes Augenmerk iel hierbei auf eine bereits antik geplünderte und wohl mutwillig zerstörte, 2,1 × 1,2 m große Grabkammer aus Kalktuffsteinplatten mit einem darin eingestellten, aus dem gleichen Material gefertigten Sarkophag. Innerhalb und um den nur noch in Teilen erhaltenen Sarkophag verstreut fanden sich die Skelettreste eines 5–6 Jahre alten Kindes (Infans I) sowie Reste der ehemaligen Grabausstattung in Form einer kleinen silbernen Riemenzunge mit Perlrandnieten (L. 2,3 cm) wohl von einer kindgerechten Schuh- oder Wadenbindengarnitur sowie Goldfäden, die von einem golddurchwirkten Gewand stammen6. Nach Osten schloss sich an die Tuffgrabkammer ein dicht belegtes Gräberfeld an. Nur noch ein weiteres Grab erbrachte eine eiserne Gürtelschnalle, ansonsten waren die Bestattungen beigabenlos, weshalb die untersten Skelettlagen leider nicht mehr dokumentiert wurden. Die Armhaltungen der Toten und die im Friedhofsbereich geborgenen Keramikfragmente lassen die Belegungszeit auf die Zeit zwischen dem 8. und 12./13. Jahrhundert eingrenzen, sodass die Sarkophagbestattung, die archäologisch in die Zeit um 700 oder ins frühe 8. Jahrhundert zu datieren ist, wohl Ausgangspunkt dieses Gräberfeldes war. Im Zuge einer jüngst durchgeführten Durchsicht des Fundmaterials, die zum Ziel hatte, den Belegungsbeginn des Bestattungsplatzes näher zu fassen und der These einer potenziellen frühmittelalterlichen Kirche über dem Sarkophaggrab nachzuspüren7, war es auch möglich, eine morphologische Bestimmung der wenigen erhaltenen Skelettreste vorzunehmen und eine Probe davon radiokarbondatieren zu lassen8. Die kalibrierten Daten 674–780 AD (60,5 %) und 789–808 AD (7,8 %) im 1-σ-Bereich (68,3 %) bzw. 666–879 AD im 2-σ-Bereich (95,4 %) decken sich relativ gut mit den Ergebnissen der archäologischen Datierung um bzw. nach 700, auch wenn sie einen noch jüngeren Zeitansatz im 8. bis fortgeschrittenen 9. Jahrhundert zulassen würden. In diesem Fall brachte die 14C-Messung eine zusätzliche Absicherung der archäologisch ermittelten Datierung, eine gegenseitige Präzisierung war hingegen nicht möglich. Starnberg, Lkr. Starnberg: merowingerzeitliche Tuffplattengräber und steinerner Kirchenbau Zwischen 2007 und 2009 wurden in Starnberg bedeutende Teile des einstigen Kirchhofs der 1220 erstmals genannten und nach 1760 abgebrochenen Pfarrkirche St. Benedikt ergraben. Neben rund 350 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bestattungen wurden die baulichen Überreste von zwei der gotischen Kirche vorausgegangenen Sakralbauten erfasst, deren Datierung allerdings auf archäologischem Wege kaum möglich war9. Der älteste Kirchenbau vor Ort war eine steinerne, 13 m lange und 8 m breite Saalkirche mit stark eingezogenem Rechteckchor, der aufgrund einer deutlichen Baufuge und einer geringeren Fundamentierungstiefe möglicherweise eine jüngere Erweiterung des rechteckigen Langhauses darstellt. Dieses, ein 9,30 × 8,0 m großer und fast quadratischer Rechtecksaal mit 90–110 cm breiten Fundamenten, wäre dann als eigentlicher Gründungsbau der Starnberger Kirche zu bezeichnen (Bau 1a). Obwohl Pfostenspuren unter den Fundamenten und im Umfeld der Kirche festgestellt wurden, gibt es keine eindeutigen Hinweise für einen vorausgehenden hölzernen Kirchenbau10. Aufsehen erregte eine Gruppe von fünf Tuffplattengräbern mit mindestens sieben darin beigesetzten Individuen, da diese Grabform in das frühe Mittelalter und 6 Bisher hierzu: Bayer. Vorgeschbl. 27, 1962, 257 Abb. 53,1 s. v. Itzling (E. Press und LfD); F. Stein, Adelsgräber des 8. Jahrhunderts in Deutschland. Germ. Denkmäler Völkerwanderungszeit A 9 (Berlin 1967) 232–233 Taf. 11,22; U. Scholz, Steinplattengräber im bayerischen Raum. Archäologisch-historische Studie zu einem frühmittelalterlichen Grabtypus. Universitätsforsch. Prähist. Arch. 92 (Bonn 2002) 300–301; Ch. Later, Itzling: Gräberfeld des frühen bis hohen Mittelalters und barocke Filialkirche St. Vitus. In: J. Haberstroh/B. Päffgen/W. Wagner (Hrsg.), Stadt und Landkreis Erding. Auslugsziele zwischen Isar, Sempt, Isen und Vils. Auslüge Arch., Gesch. u. Kultur Deutschland 57 (Darmstadt 2013) 168–170. Bezüglich der Goldtextilien aus Itzling vgl. I. Schneeberger-Meißner, Technologische Untersuchungen an Goldtextilien des frühen Mittelalters. Ber. Bayer. Bodendenkmalpl. 53, 2012, 271–336. 7 Die Grabkammer lag innerhalb eines größeren grabfreien Raumes, der nach Osten durch anschließende Bestattungen den Eindruck einer Rundung (Apsis) erweckte. Bei der Annahme eines über dem Grab situierten Memorialbaus oder einer Grabkapelle wäre die Bestattung an der Südwand des Bauwerks gelegen, bei frühmittelalterlichen Kirchen ein häuig zu beobachtender, bevorzugter Grabplatz. Gestützt wird die These eines Steinbaus im Gräberfeld durch Tuffstein- und Wandputzbrocken aus den umliegenden Grabgruben. Eine Publikation mit eingehender Befunddiskussion durch Verf. ist in Vorbereitung. 8 Die anthropologische Bestimmung wurde von Dr. M. Vohberger, Dep. Biologie I, Biodiversitätsforschung, Bereich Anthropologie, LMU München, durchgeführt. Die Entnahme der Probe zur Datierung erfolgte mit freundlicher Genehmigung von Dr. B. Haas-Gebhard, Archäologische Staatssammlung München. Für die gute Zusammenarbeit sei beiden an dieser Stelle herzlich gedankt. – Probe Erl-17732, 1257 ± 50 Radiokarbonjahre. – Für die Finanzierung der Untersuchung sei Dr. J. Haberstroh, BLfD München, herzlich gedankt. 9 Ch. Later, Merowingerzeitliche Tuffplattengräber und frühmittelalterliche Kirchenbauten – Zu den Anfängen der ehemaligen Pfarrkirche St. Benedikt in Starnberg. Ber. Bayer. Bodendenkmalpl. 52, 2011, 373–402. 10 Auffällig sind drei Pfostengruben unter der Kirchensüdwand. Eine in dieser Reihe beindliche, offensichtliche Lücke erbrachte aber trotz Nachsuche keinen Befund, obwohl bei der Existenz eines Pfostens an dieser Stelle sein Nachweis hätte möglich sein müssen. Die Ergänzung zu einer Gebäudewand erscheint daher fraglich. 410 christian later somit weit vor die historische Erstnennung Starnbergs und vor allem der Kirche verweist. Leider waren auch diese Tuffplattengräber beigabenlos, sodass sie zunächst nicht genauer als ins 7. bis 9. Jahrhundert, die in Altbayern gültige Verwendungszeit derartiger Grabbauten, datiert werden konnten. Es war allerdings bereits während der Grabung aufgefallen, dass sich diese Gräber um einen grabfreien Raum gruppierten, den später der erste Kirchenbau einnahm, sodass über den horizontalstratigraischen Bezug zwischen Gräbern und Baubestand auch eine Datierung der ersten Kirche möglich erschien. Daher wurde eine kleine Serie von Radiokarbondatierungen in Auftrag gegeben, um das Einsetzen des Bestattungsplatzes und das Alter der Kirche zu klären. Neben den vier im Südosten der Kirche gelegenen Plattengräbern mit den sechs zugehörigen Bestattungen wurden auch noch einige weitere, stratigraisch im Belegungsgefüge des Gräberfeldes gut verortbare Gräber des älteren/hohen und des späten Mittelalters (letztere bereits mit reduzierter Beigabenausstattung) beprobt, um weitere chronologische Anhaltspunkte für die Datierung der Belegungshorizonte des Kirchhofs und die jüngeren Bauphasen der Kirche zu erhalten11. Während für die ältesten Bestattungen zunächst Daten im 8./9. Jahrhundert erwartet wurden12, ergab die Radiokarbondatierung, dass die Gräber 537, 274b und 199 ins 7. Jahrhundert zu setzen sind, wobei Grab 537 (Infans I, ca. 6–12 Monate) sogar der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts angehören dürfte (599–656 AD [68,3 %] im 1-σ-Bereich bzw. 551–670 AD im 2-σ-Bereich [95,4 %])13. Zwei weitere Tuffplattengräber wurden mit einer Wahrscheinlichkeit von 68,3 % (1-σ-Bereich) in der Zeit von 610–666 AD (Grab 274b) und mit 65,3 % (1-σ-Bereich) in der Zeit von 632–682 AD (Grab 199) angelegt. Die naturwissenschaftliche Datierung der Nachbestattungen 274a und 274 über der Primärbestattung 274b (ein wenigstens 20 Jahre alter Mann) spiegelt auch den archäologisch beobachteten relativchronologischen Belegungsablauf in der dreimal benutzten Tuffkammer wider: Die Beisetzung des Toten Grab 274a (männlich, ca. 35–50 Jahre) erfolgte mit 51,9 % Wahrscheinlichkeit (1-σ-Bereich) 687–781 AD, also vermutlich erst geraume Zeit nach der Erstnutzung der Kammer. Ihre letztmalige Belegung (Grab 274) dürfte nach den 14C-Daten im Anschluss daran 770–878 AD stattgefunden haben (61,4 % im 1-σ-Bereich), als ein weiterer Mann im Alter von ca. 30–34 Jahren in die Tuffsteinkammer eingebracht wurde14. Abb. 1. Starnberg, St. Benedikt. Kalibrierte Radiokarbondaten der früh- und hochmittelalterlichen Gräber (Graik: Ch. Later). Somit zeichnet sich ab, dass die Nutzung des Friedhofs spätestens im mittleren Drittel des 7. Jahrhunderts wohl mit der Gruppe der Tuffplattengräber beginnt. Bereits in der zweiten Hälfte des 7. oder zu Beginn des 8. Jahrhunderts setzt auch die reguläre Belegung des Gräberfeldes ein, die sich allerdings bis ins 10./11. Jahrhundert auf einen schmalen Bereich um die Kirche beschränkte und 2–3 m Abstand von den Kirchenmauern hielt. Eines der stratigraisch ältesten Erdgräber direkt westlich der Tuffplattenkammern ist Grab 533, für das die Radiokarbondatierung mit einer Wahrscheinlichkeit von 45,3 % (1-σ-Bereich) ein Datum von 664–719 AD, also in der ausgehenden Merowingerzeit lieferte (2-σ-Bereich: 647–781 AD [91,2 %]) (Abb. 1)15. Der Starnberger Befund wirft nun gerade durch die als kleine Serie relativ gut abgesicherten Daten verschiedene Fragen auf, vor allem bezüglich des Alters der ersten steinernen Kirchenbauten Altbayerns und des Einsetzens völlig beigabenloser Bestattungsplätze in der Merowingerzeit, aber auch nach der Intention von kirchenstiftenden Familien, mit reichen Grabausstattungen oder eben durch deren Fehlen im Verlauf des Bestattungszeremoniells ein öffentlich sichtbares Zeichen zu setzen. So wurden beispielsweise zeitgleich zu den Starnberger Toten im nur rund 12 km westlich gelegenen Herrsching a. Ammersee auf dem Privatfriedhof mit Kirche einer dort lebenden Familie die Verstorbenen mit überdurchschnittlich reichen Beigabenausstattungen versehen16. Die Gründe für diese Ungleichbe- 11 Die Finanzierung der Untersuchung ermöglichte freundlicherweise die Stadt Starnberg. 12 So noch Ch. Later, Die Ausgrabung der ehemaligen Pfarrkirche St. Benedikt in Starnberg. Landkreis Starnberg, Oberbayern. Arch. Jahr Bayern 2008, 118–120, hier 119. 13 Proben Erl-14330 (Grab 537), 1420 ± 46 Radiokarbonjahre; Erl-14327 (Grab 274b), 1392 ± 46 Radiokarbonjahre; Erl-14320 (Grab 199), 1369 ± 42 Radiokarbonjahre. 14 Proben Erl-14326 (Grab 274a), 1244 ± 46 Radiokarbonjahre; Erl-14325 (Grab 274), 1218 ± 42 Radiokarbonjahre. – Die anthropologisch-morphologischen Alters- und Geschlechtsbestimmungen wurden von Dr. K. von Heyking, Anthropologische Staatssammlung München, und Dr. F. Neuberger, Dep. Veterinärwissenschaften, Bereich Paläoanatomie, Domestikationsforschung und Geschichte der Tiermedizin, LMU München, durchgeführt. 15 Probe Erl-14329 (Grab 533), 1300 ± 44 Radiokarbonjahre. 16 E. Keller, Der frühmittelalterliche „Adelsfriedhof“ mit Kirche von Herrsching a. Ammersee. Ber. Bayer. Bodendenkmalpl. 32/33, 1991/92, 7–69. 14 c-datierungen im frühmittelalter – ausgewählte gräBer in Bayern 411 handlung der Toten können weder über chronologische noch soziale oder regionale Unterschiede erklärt werden und müssen folglich andere Ursachen haben, die es zukünftig zu klären gilt17. Dies richtet den Blick auf andere frühmittelalterliche Kirchen mit beigabenlosen Bestattungen, für die man daher neben der traditionellen Datierung ins 8.–10. Jahrhundert auch eine merowingerzeitliche Datierung erwägen und gegebenenfalls durch Radiokarbondatierungen veriizieren oder falsiizieren sollte. Möglicherweise ließe sich so in Zukunft der relativ kleine Bestand merowingerzeitlicher Kirchenbauten in Altbayern vermehren und ein neuer Blickwinkel auf die christliche Durchdringung Baierns im 7. Jahrhundert öffnen18. Solnhofen, Lkr. Weißenburg-Gunzenhausen: Kirchenbauten und zugehörige Gräber Bei der Auswertung der zwischen 1961–1965 und 1974–1979 von der Universität Heidelberg durchgeführten Ausgrabungen in der ehemaligen Propstei Solnhofen im Altmühltal wurden auch mehrere, stratigraisch den einzelnen Kirchenbauphasen zuzuweisende Bestattungen dokumentiert, das Skelettmaterial wurde aber in der Regel nicht geborgen, sondern vor Ort belassen. Einzig die Überreste von drei Säuglingsbestattungen gelangten zum Kleinfundmaterial und konnten im Fundbestand der Archäologischen Staatssammlung München ausgesondert werden19. Stratigraisch lassen sich die beiden Bestattungen 4 und 5 über den Bezug zu den Erwachsenengräbern 2 und 3 sehr wahrscheinlich der Nutzungsendzeit von Bau Ib (Ende 7. Jahrhundert) oder Bau II (um 700 bis erste Hälfte 8. Jahrhundert) zuordnen, während das etwas höher liegende, stratigraisch jüngste Grab 6 der Bestandszeit der Bauphase II, vielleicht aber auch erst den Bauten IIIa bis IIIb (zweite Hälfte 8. Jahrhundert) zugerechnet werden muss (Abb. 2)20. Dieser Bestattungsplatz direkt nördlich der Kirche wurde zu einem ungewissen Zeitpunkt aufgelassen und weiter nach Norden in den späteren Klosterhof verlegt. Es ist daher zu vermuten, anhand der schlecht beobachteten Schichtenabfolge aber nicht sicher zu beweisen, dass zwischen der Bestattung der Toten 2–5 und der Beisetzung des Säuglings in Grab 6 kein allzu großer zeitlicher Abstand liegt. Durch die Radiokarbondatierung der drei Gräber bestand somit die Möglichkeit, einerseits einen Terminus ante quem für die Errichtung der ältesten Kirche Bau Ia und andererseits bessere chronologische Ankerpunkte für die im 8. Jahrhundert ungewöhnlich eng gedrängte Bauabfolge der Kirchen II bis IIIb zu gewinnen als über das feinchronologisch kaum differenzierbare Fundmaterial21. Leider lieferte die 14C-Datierung keine so eindeutigen Ergebnisse wie im Fall Starnberg22. Nimmt man jeweils die Zeitintervalle mit der größten Wahrscheinlichkeit, ergibt sich für Grab 4 eine Datierung im 1-σ-Bereich Abb. 2. Solnhofen, Bestattungen nördlich Bau Ib/II. Die radiokarbondatierten Gräber 4–6 sind orange markiert (Graik: Ch. Later). 17 Vgl. Later (Anm. 9) 395–397. 18 Ch. Later, Neues zum Christentum im frühmittelalterlichen Baiern? – Bemerkungen zu Quellenlage und Forschungsstand. Fines Transire 21, 2012, 169–188 bes. 76–179. 19 Die Schädel der Gräber 2 und 3 wurden nach Angaben in den Grabungsunterlagen anscheinend geborgen und zur näheren anthropologischen Untersuchung nach Heidelberg verbracht, sind jedoch nicht mehr aufindbar. 20 Zu Solnhofen und den Befunden zu den Kirchenbauten I–III vgl. Ch. Later, Die Propstei Solnhofen im Altmühltal. Untersuchungen zur Baugeschichte der Kirche, zur Inszenierung eines früh- und hochmittelalterlichen Heiligenkultes und zur Sachkultur. Materialh. Bayer. Arch. 95 (Kallmünz 2011) 61–97; zu den Bestattungen und ihrer Datierung vgl. ebd. 98–101 Abb. 25 Beil. 47. 21 Die Entnahme der Proben zur Datierung erfolgte mit freundlicher Genehmigung von Dr. A. Rettner, Archäologische Staatssammlung München. Für die Erlaubnis sei an dieser Stelle herzlich gedankt. 412 christian later auf 688–752 AD (38,5 %) bzw. im 2-σ-Bereich auf 681– 878 AD (95,4 %) und für Grab 5 im 1-σ-Bereich auf 666–716 AD (45,7 %) bzw. im 2-σ-Bereich auf 653–778 AD (95,0 %). Die Gräber 4 und 5 lassen demnach eine Datierung von Bau Ib bzw. von Bau II in das späte 7. Jahrhundert durchaus zu, bieten aber mit den zeitlichen Obergrenzen bis ins fortgeschrittene 8. und 9. Jahrhundert auch einigen Spielraum für andere Datierungsansätze. Die Gräber sind zumindest als Indiz zu werten, dass der archäologisch postulierte Zeitansatz für Bau Ia nach der Mitte des 7. Jahrhunderts zutreffen kann. Während die Gräber 4 und 5 somit zwar keine Präzisierung der archäologischen Befunddatierung ermöglichen, dieser aber zumindest nicht entgegenstehen, lassen sich die kalibrierten Daten von Grab 6 nicht ohne Weiteres mit der Bauabfolge verbinden. Berücksichtigt man bei diesem Grab lediglich die Zeitintervalle mit der größten Wahrscheinlichkeit, ergäbe sich für Grab 6 eine Datierung auf 771–873 AD (61,4 %) im 1-σ-Bereich bzw. 758–889 im 2-σ-Bereich (71,4 %), was durch eine stratigraische Zuordnung zu Kirchenbau III (bzw. einer Unterbauphase) nach der Mitte des 8. Jahrhunderts auch möglich wäre. Eine Zugehörigkeit zu den um 800, im ersten Drittel des 9. Jahrhunderts bzw. um 840 errichteten Bauten IV, Va und Vb/c ist hingegen auszuschließen, da das Grab bereits durch die zugehörigen Fußböden überlagert wird. Eine Zuordnung dieses Grabes zu Bau Ib/II, was durch eine angenommene Bestattungsaktivität ohne größere zeitliche Unterbrüche als Hypothese zur Diskussion gestellt wurde, wird durch die kalibrierten Daten zu Grab 6 hingegen in Frage gestellt. Denn dies würde bedeuten, dass Bau II bis weit in die zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts bestanden hätte, was angesichts der raschen Bauabfolge der Kirchen III–V bis zur Mitte des 9. Jahrhunderts unwahrscheinlich ist. Betrachtet man allerdings für Grab 6 auch die Datierungsintervalle mit der statistisch geringeren Wahrscheinlichkeit (724–737 AD [6,9 %] im 1-σ-Bereich bzw. 687–753 AD im 2-σ-Bereich [24,0 %]), so fällt auf, dass diese deutlich näher an den für die Gräber 4 und 5 am wahrscheinlichsten erachteten Zeitansätzen liegen. Angesichts der geringen Probenzahl und des Fehlens einer zweiten Probe von dieser Bestattung ist nicht auszuschließen, dass hier ein statistischer Ausreißer vorliegt, dessen tatsächliches Alter sich unter den statistisch eigentlich unwahrscheinlicheren Zeitintervallen verbirgt. Eine Klärung dieser Situation könnte wohl nur durch eine weitere Probe zur Absicherung der Daten gelingen. In Fällen wie diesen ist eine eingehende Diskussion der naturwissenschaftlichen Datierungsergebnisse vor dem archäologischen Befund unerlässlich, um aufgrund einer statistisch wenig belastbaren Probenzahl keine Fehler in die archäologische Datenbasis einzuschleppen. Auch zeigt dieses Beispiel für die Befundgattung der Kirchenbauten deutlich, dass die Beprobung allein der stratigraisch ältesten bzw. jüngsten Bestattung für die chronologische Absicherung einer Bauphase nicht ausreichend ist. Vielmehr liefern erst weitere, in stratigraischem Bezug zueinander stehende Gräber ein Korrektiv, um mögliche statistische Ausreißer zu erkennen. Lintach, Gde. Freudenberg, Lkr. Amberg-Sulzbach: frühmittelalterliches Gräberfeld, Grab 80 Genau das Problem eines statistischen Ausreißers dürfte auch mit Grab 80 des frühmittelalterlichen Gräberfeldes von Lintach vorliegen. Östlich der Wallfahrtskirche St. Walburga im Zentrum des 1011 erstmals urkundlich genannten Ortes wurde 2001–2002 ein Teil des Kirchfriedhofes mit 122 Bestattungen ergraben, dessen unterste Belegungshorizonte zu einem sich nach Osten fortsetzenden frühmittelalterlichen Gräberfeld gehören. 15 dieser Gräber beinhalteten einzeln oder paarig getragene Schmuckbelassungen in Form von Schläfen- und Knöpfchenringen aus Silber und Bronze, die als typisch für das 8.–10./11. Jahrhundert gelten können. Grab 80, das zwei bronzene Knöpfchenringe erbrachte, zeichnete sich zudem durch eine auf der Schulter getragene Emailscheibenibel als Mantelverschluss aus23. Die in Zellenemailtechnik gefertigte Fibel gehört zu einer kleinen, in sich sehr geschlossenen Gruppe von frühmittelalterlichen Scheibenibeln mit kräftigem Perlrand, deren kastenartig abgesetzte Zierlächen meist mit vier, bei kleineren Stücken mit drei peltaförmigen Stegen versehen sind. Die absolute Datierung dieses Fibeltyps ist aufgrund der nur selten auftretenden – und dann meist in Ermangelung aussagekräftiger Beifunde nur unzureichend chronologisch eingrenzbaren – Grabkontexte immer noch nicht abschließend geklärt. In der Regel werden Datierungsansätze zwischen dem mittleren 9. und mittleren 11. Jahrhundert vorgeschlagen, wobei ein Einsetzen dieser Fibelform noch im 9. Jahrhundert und eine Verwendung bis ins mittlere 10. Jahrhundert immer mehr an Wahrscheinlichkeit gewinnt24. 22 Proben Erl-15143 (Grab 4), 1242 ± 37 Radiokarbonjahre; Erl-15144 (Grab 5), 1298 ± 37 Radiokarbonjahre; Erl-14145 (Grab 6), 1220 ± 37 Radiokarbonjahre. – Für die Finanzierung der Untersuchung sei Dr. J. Haberstroh, BLfD München, herzlich gedankt. 23 F. Feuerhahn/D. Heyse/E. Wintergerst, Ein Ortsfriedhof mit frühmittelalterlichen Bestattungen in Lintach. Arch. Jahr Bayern 2002, 93–95 Abb. 92–94; S. Codreanu-Windauer/E. Wintergerst, Archäologische Ausgrabungserkenntnisse 2001– 2002. In: Chronik Lintach. Von den Anfängen bis heute (Freudenberg 2007) 9–15 bes. 11–13 (mit Farbabbildung der Fibel). 24 Zu diesem Fibeltyp zusammenfassend Ch. Later, Ottonische Emailscheibenibeln aus Eching, Lkr. Freising (Oberbayern). Bayer. Vorgeschbl. 74, 2009, 199–213 bes. 201–204 Abb. 1,4 mit älterer Literatur und den unterschiedlichen Zeitansätzen. – Ergänzt werden können die dort gemachten Aussagen zur Siedlung Straßkirchen (ebd. 203) und der dort gefundenen Fibel dahingehend, dass die das Keramikspektrum dieses Fundplatzes dominierenden Glutschalen am ehesten ins 10./11. Jahrhundert mit einem Schwerpunkt im 10. Jahrhundert datieren, vgl. F. Eibl, Zur Kenntnis großer Schüssel- und Schalenformen des Hochmittelalters in Altbayern. In: Keramik auf Sonderwegen. 37. Internationales Hafnerei-Symposium, Herne 19. bis 25. September 2004. Denkmalpl. u. Forsch. Westfalen 44 (Mainz 2007) 111–120 bes. 111–113 Abb. 1–3 (Formgruppe A, 14 c-datierungen im frühmittelalter – ausgewählte gräBer in Bayern 413 Die Knöpfchenohrringe der vorliegenden Form ließen eine archäologische Datierung von Grab 80 bereits ab dem 8. Jahrhundert zu, wobei die Form mit nur einem Knöpfchen und stumpfem zweiten Ende zumindest im Ostalpenraum am ehesten erst ins 10. Jahrhundert zu datieren ist25. Grab 80 bot sich aufgrund der „überdurchschnittlichen“ Ausstattung für eine Radiokarbondatierung an, um einen absolutchronologischen Anhaltspunkt für das Einsetzen des Gräberfeldes zu liefern, aber auch um einen Beitrag zur präziseren zeitlichen Verortung des bislang teilweise kontrovers datierten Emailschmucks zu leisten. Es ist derzeit der einzige Grabfund mit einer Emailscheibenibel in Altbayern, für den gleichzeitig auch eine (publizierte) Radiokarbondatierung vorliegt. Die wahrscheinlichsten Zeitintervalle liegen mit 672–731 AD (41,7 %) im 1-σ-Bereich bzw. 655–783 im 2-σ-Bereich (81,7 %), nun aber deutlich außerhalb des archäologisch eigentlich erwarteten Zeitraums im 9./10. Jahrhundert. Zudem liegen auch noch weitere Datierungsspannen mit allerdings erheblich geringeren Wahrscheinlichkeiten vor (734–771 AD [26,6 %] im 1-σ-Bereich bzw. 786–829 AD [8,7 %] und 837–867 AD [5,0 %] im 2-σ-Bereich); dennoch wurde im aktuellsten Grabungsvorbericht für Grab 80 die Datierung mit der größten Wahrscheinlichkeit (655–783 AD) angegeben und der Todeszeitpunkt der Dame aus Grab 80 ins 8. Jahrhundert gesetzt26. Sollte dieser Zeitansatz zutreffen, hätte er massive Auswirkungen auf die bisher gültigen – wenn auch selten gut abgesicherten – Datierungsvorschläge für karolingisch-ottonischen Emailschmuck, vor allem bezüglich dessen Aufkommens. So ist emaillierter Schmuck (und Derivate) in den karantanischen Gräberfeldern des Südostalpenraums erstmals in Eicherts fortgeschrittener Gruppe C2 (830–900), also nach der Mitte des 9. Jahrhunderts fassbar, was mittlerweile auch durch einige Radiokarbondaten aus St. Peter bei Spittal an der Drau abgesichert werden konnte27. Als einziges Datierungsintervall aus Lintach würde im 2-σ-Bereich das Datum 837–867 AD in den archäologisch in Frage kommenden Zeitraum fallen, ist aber mit 25 26 27 28 29 414 einer Wahrscheinlichkeit von lediglich 5 % statistisch kaum belastbar. Zur Kontrolle und Absicherung der Datierung wären eine zweite Probe desselben Skeletts sowie weitere Datierungen von einigen in räumlichem Bezug liegenden Gräbern wünschenswert, da dieses Einzeldatum mehr Fragen aufwirft als Antworten liefert. Aschheim, Lkr. München: Kirche und Bestattungen Im Zuge der Auswertung der Klostergrabungen auf Herrenchiemsee durch Hermann Dannheimer hat dieser jüngst auch die bereits 1988 veröffentlichten Ergebnisse zu seinen Grabungen in der Pfarrkirche St. Peter und Paul in Aschheim einer kritischen Neubewertung unterzogen 28. Hierzu wurden die archäologischen Datierungsansätze für die zahlreichen beigabenführenden Bestattungen auf der Basis des aktuellen Forschungsstandes zur Merowingerzeit überprüft und ihre stratigraischen Bezüge zu den Kirchenbauten I und II teilweise korrigiert. Ergänzt wurde diese Revision durch die Radiokarbondatierung von vier ausgesuchten Bestattungen mit direktem Bezug zu den beiden ältesten Kirchenbauten 29. Während sich die meisten der von Dannheimer bereits 1988 vertretenen Datierungsansätze mit den nach einem Vierteljahrhundert Forschung zu erwartenden feinchronologischen Schwankungen bestätigten, ergab sich vor allem für Grab 4 durch die Radiokarbondatierung und die archäologische Neubewertung der Funde eine modiizierte Phasenzuweisung, die neue Fragen aufwirft, vor allem angesichts der Befundinterpretation. In der Originalpublikation handelte es sich bei Grab 4 um eine über Analogien zur Gürtelschnalle datierte Männerbestattung der Zeit um 700 oder der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts, die eindeutig in die Grabgrube des stratigraisch älteren Grabes 6 einschnitt und zusammen mit diesem vom Estrichboden der Kirche III überlagert wurde, also den Kirchenbauten I oder II zuzuweisen ist. Die Gürtelteile aus Grab 4 bewegten Dannheimer seinerzeit dazu, beide Gräber zusammen mit dem eine eiserne Gürtelschnalle enthaltenden Grab 14 seinem Kirchenbau II, einer wohl um 700 errichteten Steinkir- Serie 1 Straßkirchen); als Neufund wäre noch eine mit nur drei Pelten versehene und damit dem Straßkirchener Fibelfund an die Seite zu stellende Emailscheibenibel aus der Altstadt von Salzburg (Hof des Amtsgebäudes der Salzburger Landesregierung) zu nennen, die zusammen mit zwei weiteren Emailscheibenibeln und einem noch vor der Kaiserkrönung Heinrichs II. geprägten Denar (1002–1009) aus mittelalterlichen Eingriffen in die mittelkaiserzeitliche Befundsubstanz stammt (U. Hampel/D. Leiner, KG Salzburg, SS Salzburg. Fundber. Österreich 50, 2011, 374–375 Abb. 97), aber derzeit nicht genauer als ins 10./11. Jahrhundert datiert werden kann. St. Eichert, Die frühmittelalterlichen Grabfunde Kärntens. Die materielle Kultur Karantaniens anhand der Grabfunde vom Ende der Spätantike bis ins 11. Jahrhundert. Forsch. u. Kunst 37 (Klagenfurt am Wörthersee 2010) 40–45 Typ Kg. – Nach St. Eichert, Die frühmittelalterlichen Funde aus dem Kirchenfriedhof von St. Peter. In: K. Karpf/Th. Meyer (Hrsg.), Sterben in St. Peter. Das frühmittelalterliche Gräberfeld von St. Peter bei Spittal/Drau in Kärnten. Beitr. Kulturgesch. Oberkärnten 6 (Spittal an der Drau 2010) 150–191 bes. 168–169 könnte sich dieser Datierungsansatz sogar noch auf das Hochmittelalter ausweiten. Probe Erl-8380 (Grab 80), 1283 ± 47 Radiokarbonjahre; vgl. Codreanu-Windauer/Wintergerst (Anm. 23) 12 sowie Ortsakten BLfD, Regensburg. Eichert (Anm. 25) 168–173 Abb. 46; Eichert (Anm. 25) 150–167 Abb. 7; 10; 12; 15 (Gräber 12, 32, 39, 47). H. Dannheimer/B. Haas-Gebhard, Neue Ermittlungen im Fall des Bischofs Emmeram. Bayer. Vorgeschbl. 77, 2012, 109– 129, hier 109. Proben Erl-16477 (Grab 4), 1523 ± 47 Radiokarbonjahre; Erl-16478 (Grab 6), 1263 ± 42 Radiokarbonjahre; Erl-16479 (Grab 14), 1191 ± 43 Radiokarbonjahre; Erl-16480 (Grab 28), 1466 ± 46 Radiokarbonjahre; vgl. Dannheimer/Haas-Gebhard (Anm. 28) Abb. 9. christian later Abb. 3. Aschheim, St. Peter und Paul. Proil durch die Gräber 4 und 6 mit Eintragung der kalibrierten Radiokarbondaten (nach Dannheimer 1988 [Anm. 30], Beil. 7,2 mit Ergänzungen). che, als Innenbestattung zuzuordnen30. Brigitte HaasGebhard identiizierte hingegen neuerdings die ovale Bronzeschnalle und die zugehörige Riemenschlaufe anhand von Vergleichsfunden aus archäologisch als fränkisch bezeichneten Gebieten als Teile einer mehrteiligen Garnitur der Schicht 2 und schlug eine rund 100 Jahre ältere Datierung um 600 oder in die erste Hälfte des 7. Jahrhunderts vor31. Ein eiserner Riemendurchzug des mehrteiligen Gürtels aus Grab 6 von Klepsau lässt theoretisch sogar noch eine Datierung von Grab 4 in das letzte Drittel des 6. Jahrhunderts zu32. Dadurch müsste auch das nach stratigraischem Befund ältere Grab 6 rückdatiert werden, und die Gräber 4 und 6 wären als vorkirchenzeitlich oder als Bestattungen innerhalb der aus dem Befund erschlossenen Holzkirche I zu sehen33. Zumindest schneidet Grab 6 randlich eine Pfostengrube der Holzkirche, muss daher also zeitgleich oder jünger als diese sein, weshalb Grab 4 aufgrund der relativchronologischen Abfolge (Pfostengrube/Holzkirche – wird von Grab 6 geschnitten – wird von Grab 4 geschnitten) und der archäologischen Datierung (um 600/erste Hälfte 7. Jahrhundert) ebenfalls Bau I zuzuweisen wäre und als jüngstes Glied dieser Kette für die Errichtung des Kirchenbaus zudem einen Terminus ante quem liefert. Nun verhält es sich nach den am Skelettmaterial der Gräber durchgeführten Radiokarbondatierungen aber so, dass Grab 4 im 1-σ-Bereich auf 438–485 AD (23,5 %) bzw. 531–599 AD (44,8 %) und im 2-σ-Bereich auf 426–622 AD (94,5 %) oder 627–632 AD (0,9 %) datiert werden kann, was gut mit der archäologischen Neudatierung korreliert. Für Grab 6 hingegen, das aufgrund seiner stratigraischen Position älter als Grab 4 ausfallen müsste, wurden Werte von 677–777 AD (68,3 %) im 1-σ-Bereich und 665–870 AD im 2-σ-Bereich (95,4 %) ermittelt, die in Widerspruch zur Datierung von Grab 4 stehen, jedoch bestens die bisherige Deutung als Kircheninnenbestattung von Bau II stützen würden. Als Folge ergeben sich zwei mögliche Lösungsansätze zur Aufklärung dieses Missverhältnisses: Entweder wurde bei der Grabung 1969/71 der stratigraische Befund 30 H. Dannheimer, Aschheim im frühen Mittelalter 1. Archäologische Funde und Befunde. Münchner Beitr. Vor- u. Frühgesch. 32,1 (München 1988) 34–36; 69–72; 120 Taf. 16,1–3 Beil. 1; 7,2; zu Grab 14 vgl. ebd. 39–40; 121 Taf. 17,18. 31 Dannheimer/Haas-Gebhard (Anm. 28) 114. 32 U. Koch, Das fränkische Gräberfeld von Klepsau im Hohenlohekreis. Forsch. u. Ber. Vor- u. Frühgesch. Baden-Württemberg 38 (Stuttgart 1990) 33 Nr. 12; 192–193; 235 Taf. 5,C12. 33 Auf die Problematik der Befundinterpretation zur Kirche I sei an dieser Stelle nicht weiter eingegangen, vgl. hierzu zuletzt Ch. Later, Zur archäologischen Nachweisbarkeit des Christentums im frühmittelalterlichen Baiern. Methodische und quellenkritische Anmerkungen. In: H. Fehr/I. Heitmeier (Hrsg.), Die Anfänge Bayerns. Von Raetien und Noricum zur frühmittelalterlichen Baiovaria. Landesgesch. u. Europ. Regionalgesch. 1 (St. Ottilien 2012) 567–611, hier 575–576; Later (Anm. 18) 170. 14 c-datierungen im frühmittelalter – ausgewählte gräBer in Bayern 415 (Verhältnis von Grab 4 zu Grab 6) fehlgedeutet oder bei einem der Radiokarbondaten liegt ein Fehler vor (Abb. 3)34. Da sich die statistisch wahrscheinlichsten Daten der beiden anderen beprobten Gräber 14 (776–887 AD [68,3 %] im 1-σ-Bereich und 692–702 AD [1,2 %], 706– 747 AD [8,5 %], 764–901 AD [75,5 %] und 916–967 AD [10,2 %] im 2-σ-Bereich) und 28 (565–639 AD [68,3 %] im 1-σ-Bereich und 441–451 AD [1,0 %], 461–483 AD [2,6 %] und 532–658 AD [91,8 %] im 2-σ-Bereich) gut mit den archäologisch erarbeiteten Datierungsrahmen der Kirchenbauten I (Errichtung aufgrund von Grab 28 spätestens am Übergang vom ersten zum zweiten Drittel des 7. Jahrhunderts) und II (Errichtung im späteren 7. Jahrhundert) vereinbaren lassen und keine Hinweise auf Messfehler liefern, ist wohl ersterer Möglichkeit der Vorzug zu geben, nach der das Grab 4 stratigraisch älter als Grab 6 sein dürfte35. Zu diskutieren wäre dann allerdings noch die Deutung von Grab 4 als Kircheninnenbestattung zu Bau I, lässt doch sowohl die archäologische als auch die naturwissenschaftliche Altersbestimmung angesichts der Datierung von 531–599 AD (44,8 %) im 1-σ-Bereich eine Beisetzung noch vor Errichtung der Holzkirche zu. Da durch eine umgekehrte Befundüberschneidung mit Grab 6 auch der stratigraische Bezug zwischen Grab 4 und Bau 1 wegfallen würde, ist vor allem die Interpretation des in Grab 4 Beigesetzten als Kleriker in Frage zu stellen, da diese Deutung allein dem Tatbestand der Kircheninnenbestattung geschuldet ist und somit die Gefahr eines Folgefehlers besteht36. Hier kristallisieren sich deutlich die Probleme heraus, die bei dem Versuch entstehen können, in Diskrepanz stehende archäologische und naturwissenschaftliche Daten in Einklang zu bringen. Dass die daraus resultierenden Schlüsse sehr genau abgewogen und kritisch relektiert werden müssen, liegt auf der Hand. Fazit Die aufgeführten Beispiele zeigen deutlich die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen für den Einsatz der Radiokarbondatierung im frühen Mittelalter auf. Bei Einzeldaten sind die möglichen und statistisch wahrscheinlichen Datierungsspannen in der Regel so groß, dass feinchronologisch damit kaum sinnvoll zu arbeiten ist bzw. dass selten präzisere Datierungen als über den archäologischen Befund möglich sind (z. B. Itzling; Solnhofen). Da es sich bei der Radiokarbondatierung letztendlich um eine mathematisch-statistische Interpretation der Messergebnisse handelt, muss die reale Datierung auch nicht zwangsläuig mit dem Zeitfenster mit der größten statistischen Wahrscheinlichkeit zusammenfallen, was es stets zu bedenken gilt (z. B. Lintach). Grundsätzlich sind gerade bei Einzeldaten Messfehler oder eine Kontamination der Probe nicht auszuschließen. Hier ist es besonders wichtig, die naturwissenschaftliche Datierung mit dem archäologischen Befund zu korrelieren und offensichtlich unzutreffende Datierungsintervalle zu eliminieren bzw. einzugrenzen (z. B. Solnhofen Grab 6; Lintach; Aschheim). Da die statistische Fehlerquote bei einem einzeln 34 Zu möglichen Fehlerquellen vgl. Beitrag A. Scharf S. 381 ff.; nicht ganz auszuschließen ist auch eine Kontamination der Probe aus Grab 4 bereits bei der Bergung des Skeletts, waren doch bei der Anlage des Grabes Reste einer älteren Bestattung (Grab 4a) auf Skelettniveau in die Grabgrube gelangt, vgl. Dannheimer (Anm. 30) 34. 35 Datierung der Bauphasen nach Dannheimer/Haas-Gebhard (Anm. 28) 119 u. 123. – Auch Dannheimer geht weiterhin davon aus, dass die Gräber 6 und 14 innerhalb der Kirche II angelegt wurden, d. h. dass Grab 4 stratigraisch älter sein muss als Grab 6 (vgl. ebd. 117; 119 Abb. 4; 8; 11 mit der Phasenzuweisung der Gräber 4, 6 und 14). 36 Hauptargument Dannheimers, dass die Bestattung 4 innerhalb der merowingerzeitlichen Kirche Bau I (und Grab 14 in Bau II) ein Kleriker sein muss, ist die Beigabenarmut: „Zumindest während des 7. und frühen 8. Jahrhunderts wären Laien auch bei Bestattungen im Kircheninneren mit Beigaben ausgestattet worden“ (Dannheimer/Haas-Gebhard [Anm. 28] 123 mit Anm. 54). Aus demselben Grund sieht Dannheimer in den beiden beigabenlosen Bestattungen in Herrenchiemsee Äbte des Klosters (Dannheimer [Anm. 5] 28–29). Grundsätzlich ist die Identiikation von Klerikern im frühmittelalterlichen Befund aber schwierig: Zur Diskussion über die Unterscheidbarkeit von Klerikern und Laien vgl. mit kontroversen Meinungen und jeweils älterer Literatur: M. Martin, Bemerkungen zur frühmittelalterlichen Knochenschnalle eines Klerikergrabes der St. Verenakirche von Zurzach (Kt. Aargau). Jahrb. Schweizer. Ges. Ur- u. Frühgesch. 71, 1988, 161–177; A. Rettner, Pilger ins Jenseits: zu den Trägern frühmittelalterlicher Bein- und Reliquiarschnallen. Beitr. Mittelalterarch. Österreich 14, 1998, 65–76; N. Krohn, Das Vermächtnis des Kolumban – Frühe Glaubensboten in der Peripherie des Frankenreiches. In: G. Sitar/M. Kroker (Hrsg.), Macht des Wortes. Benediktinisches Mönchtum im Spiegel Europas (Regensburg 2009) 63–71. – Die beigabenlose Kinderbestattung in Aschheim Bau II (Grab 6) lässt sich durch das Klerikermodell ebenfalls nicht erklären. – Ferner wäre das Phänomen einer merowingerzeitlichen Kircheninnenbestattung an sich zu diskutieren, sind solche anders als in der Alamannia und im Frankenreich im frühmittelalterlichen Baiern unüblich (vgl. hierzu auch Later [Anm. 33] 574 mit Anm. 20): Die einzigen Ausnahmen sind die beiden wohl noch vor der Mitte des 7. Jahrhunderts bzw. im späten 7./8. Jahrhundert im Mittelschiff der mutmaßlichen Klosterkirche von Herrenchiemsee bestatteten Personen (Dannheimer [Anm. 5] 28–29), das auf die Zeit um 680 datierte Märtyrergrab des hl. Emmeram (Grab 15) in der Aschheimer Kirche I (zuletzt Dannheimer/Haas-Gebhard [Anm. 28] 123–124), die wohl schon im frühen 8. Jahrhundert anzusetzenden frühkarolingischen Gräber der hll. Erhard und „Albert“ im Regensburger Niedermünster (M. Konrad/A. Rettner/E. Wintergerst, Die Grabungen von Klaus Schwarz unter dem Niedermünster in Regensburg. In: H. R. Sennhauser [Hrsg.], Frühe Kirchen im östlichen Alpengebiet. Von der Spätantike bis in ottonische Zeit 2. Bayer. Akad. Wiss., Phil.-Hist. Kl., Abhand. N. F. 123 [München 2003] 651–663, hier 655–657; 662; M. Konrad/A. Rettner/E. Wintergerst, Die Ausgrabungen unter dem Niedermünster zu Regensburg 1. Grabungsgeschichte und Befunde. Münchner Beitr. Vor- u. Frühgesch. 56 [München 2010] 58–65 Beil. 8; eingetragen sind die beiden Bestattungen in Beil. 9 unter Bauphase „Karolingisch I“, im Gräberkatalog [ebd. 111] werden sie jedoch als „vorkarolingisch“ bezeichnet) sowie der oben als Möglichkeit genannte Fall aus Itzling. 416 christian later beprobten Grab relativ hoch ist, sollten keine allzu weit reichenden Aussagen daran geknüpft werden. Bei kleineren Serien hilft schon der Abgleich mit der relativen Chronologie des Fundplatzes, die Glaubwürdigkeit der Radiokarbondaten zu bestätigen (z. B. Starnberg, Aschheim) oder Ausreißer als solche kenntlich zu machen. In letzteren Fällen müssen die archäologischen Befunde kritisch geprüft und bei deren Richtigkeit die naturwissenschaftlichen Daten in Frage gestellt werden. Es zeigt sich aber auch, dass die Methode der Radiokarbondatierung die Chance bietet, bei archäologisch komplett undatierten Bestattungen wenigstens die un- gefähre Zeitstellung zu bestimmen und so eine grobe zeitliche Einordnung zu ermöglichen (z. B. Starnberg; Solnhofen). Aus den oben genannten Gründen sind aber wenigstens zwei bis drei in stratigraischem Bezug stehende Proben zur gegenseitigen Kontrolle angebracht. Wenn in Fällen wie Starnberg oder Solnhofen die archäologisch erarbeitete Abfolge der Gräber durch die Radiokarbondaten bestätigt wird und somit die Wahrscheinlichkeit eines Ausreißers aufgrund der statistisch kleinen Probenmenge reduziert werden kann, dann kann mit dieser Methode auch im Frühmittelalter durchaus gewinnbringend gearbeitet werden. AuTor Dr. Christian Later Bayerisches Landesamt für Denkmalplege Hofgraben 4 80539 München E-Mail: christian.later@blfd.bayern.de 14 c-datierungen im frühmittelalter – ausgewählte gräBer in Bayern 417 418 christian later