Vor Gott sind wir alle gleich – oder doch nicht? Was waren die Überzeugungen der frühen Kirche darüber, was einen Christen im Jenseits erwartet? Ergibt sich durch den Märtyrertod ein Vorteil im Jenseits? Solche Fragen stellen sich bei der...
moreVor Gott sind wir alle gleich – oder doch nicht? Was waren die Überzeugungen der frühen Kirche darüber, was einen Christen im Jenseits erwartet? Ergibt sich durch den Märtyrertod ein Vorteil im Jenseits? Solche Fragen stellen sich bei der Lektüre der Vita Anskarii des Rimbert, der karolingerzeitlichen Heiligenvita des Heidenmissionars Ansgar, der im 9. Jh. von Hamburg aus die Dänen und Schweden missionierte. In einer seiner häufigen Visionen glaubte Ansgar, von Gott persönlich das Versprechen erhalten zu haben, einst als Märtyrer sterben zu dürfen. Wie gross war da seine Enttäuschung, als er mit ungefähr 63 Jahren schwer erkrankte und schliesslich im Jahre 865 in seinem Bett starb. Ansgars Schüler und Biograph Rimbert verwendet einige Mühe darauf, Ansgars Martyriums-Verheissung mit seinem friedlichen Tod in Einklang zu bringen.
Es drängt sich die Frage auf, was sich Ansgar denn für konkrete Vorteile davon erhoffte, als Märtyrer zu sterben. Um diese Auffälligkeit in der Vita Anskarii besser zu verstehen, soll die Traditionslinie der Vorteile eines Märtyrers durch neun Jahrhunderte Kirchengeschichte hindurch verfolgt werden. Dabei dienen folgende beiden Leitfragen der Orientierung: Durch welche patristischen Diskurse wurde Ansgar beeinflusst, dass er der Überzeugung war, ein blutiger Märtyrer habe einen Vorteil im Jenseits? Und bei welchen patristischen Diskursen bediente sich Rimbert, wenn er darlegt, dass es auch ein unblutiges Martyrium gibt?
Im Neuen Testament in der zweiten Hälfte des 1. Jh. bekommen Märtyrer eine bevorzugte Auferstehung am Ende der Zeit. Ignatius von Antiochia formuliert dies um 110 in anderen Worten, nämlich dass Märtyrer schnell und direkt zu Gott gelangen nach ihrem Tod. Bei Polykarp um 155 hingegen ist keine Belohnung auszumachen, sondern bei ihm ist das Vorbild des Märtyrers für Gläubige und Ungläubige wichtig. Hermas wiederum geht im 2. Jh. ganz neue Wege, indem er ein hierarchisches System von jenseitigen Belohnungen entwirft. Die Währung der Belohnungen ist der Ruhm, wobei der blutige Märtyrer am meisten jenseitigen Ruhm erhält. Bei ihm kann das Martyrium sogar Sünden abbüssen. Cyprian stellte sich um 250 gegen den Primat des Martyriums. Bei ihm gilt, dass der jenseitige Ruhm proportional zum diesseitigen Leiden ausgeteilt wird, unabhängig von der Todesart.
Nach der konstantinischen Wende fand notgedrungen eine richtiggehende Innovation statt in der Martyriumstheologie. Athanasius bezeichnete sich selbst im dritten Viertel des 4. Jh. als Märtyrer im Gewissen, obwohl er friedlich starb. Dazu war es nötig, den Martyriumsbegriff dahingehend umzudeuten, dass man auch durch Askese und das Erdulden von Leid zum Märtyrer werden könne. Diese Ideen wurden durch Martin von Tours, den «Antonius des Westens», auch im Westen bekannt, wo Sulpicius den Martin am Ende des 4. Jh. als blutlosen Märtyrer bezeichnete. Systematisch-theologisch ausgearbeitet wurde diese Idee Ende des 6. Jh. durch Gregor den Grossen, der ein blutiges und ein unblutiges Martyrium vertrat, und dies auch biblisch begründete. Die Schriften des Athanasius, des Sulpicius und Gregors waren bestens bekannt im Frankenreich, und somit hatte Rimbert im 9. Jh. alle notwendigen Konzepte zur Verfügung, um dem Ansgar die Märtyrerkrone zuzusprechen, obwohl dieser friedlich starb.