Ry Cooder
Spätestens seit dem unglaublichen Erfolg des Buena Vista Social Clubs ist der Name Ry Cooder einem großen Publikum bekannt. Der neue Popularitätsschub erfolgt zu einem Zeitpunkt, zu dem sich Ry längst von den Zwängen, Erwartungen und Verpflichtungen des Show-Biz losgelöst hat. "1988 habe ich mich vom Rock'n'Roll verabschiedet. Pop hat sich sehr verändert. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, was ich da noch zu tun hätte. Was ich mag, bewegt sich so weit weg von all dem, das heute im Formatgeschäft läuft. Obwohl es mich natürlich völlig verblüfft hat, wie die Leute auf den BVSC eingestiegen sind."
Ryland Peter Cooder kommt am 15. März 1947 in Los Angeles auf die Welt. Im Alter von drei (!) Jahren beginnt er, Gitarre zu spielen. Dreizehn Jahre später startet er seine Bühnenkarriere als Blues-Musiker. 1965, zwei Jahre darauf, gründet er zusammen mit Taj Mahal die Rising Sons und öffnet sich zahlreichen Einflüssen, die er in seinen Blues integriert. Mit der Zeit erarbeitet er sich eine eigene Stilistik, die als "Blues-TexMex-Rock'n'Roll-Hawaiian-Slide-Jazz-Country-Folk-R'n'B" in die Musikgeschichte eingeht.
Seine genial-kreative Eigenständigkeit bleibt den Kollegen nicht lange verborgen. So findet Ry Cooder seinen Namen bald auf den Alben prominenter Größen wieder. Captain Beefheart, Randy Newman, Little Feat, Johnny Cash und die Rolling Stones ("Let It Bleed", "Sticky Fingers") nehmen seine Dienste in Anspruch und etablieren ihn als hervorragenden Studiomusiker und Sideman. 1970 veröffentlicht Cooder sein Debüt unter eigenem Namen.
Auch die Kinobranche wird auf den eigenwilligen Einäugigen, der bei einem Autounfall ein Auge verlor, aufmerksam. 1978 startet seine Filmmusikkarriere mit dem Soundtrack zu "Blue Collar". Es folgen der legendäre Western "The Long Riders" (1980), Wim Wenders "Paris - Texas" (1983), "Crossroads" (1986), "Johnny Handsome" (1989), "Magnolien aus Stahl" (1989), "Last Man Standing" (1996) und "Primary Colours" (1998), um nur die bekanntesten zu nennen.
Dass ausgerechnet "Buena Vista Social Club", die erneute Zusammenarbeit mit Wim Wenders, all die frühen Meriten in den Schatten stellt, hängt vielleicht auch damit zusammen, Ry Cooder und seine kubanischen Rentner keine Erwartungen zu befriedigen hatten. Seine frühen Alben und Filmmusiken verkauf(t)en sich so gut, dass er finanziell auf sicheren Füßen steht und sich dem Charme des von allen Zwängen befreiten Künstlerlebens hingeben kann.
Aus dieser Freiheit heraus widmet sich Cooder seit den frühen 90ern auch weltmusikalischen Initiativen, die in zahlreichen CDs ihren Niederschlag finden. Erwähnenswert sind seine Kooperationen mit V. M. Bhatt ("A Meeting By The River"), Ali Farka Touré ("Talking Timbuktu", das 1994 mit dem Grammy für das beste World Music Album ausgezeichnet wurde), und Shoukichi Kina ("Peppermint Tea House"). Seither hat er sich einen hervorragenden Ruf als Weltmusikproduzent mit Gold-Händchen für außergewöhnliche Projekte erarbeitet.
Aber auch mit seinen eigenen Veröffentlichungen ist Cooder erfolgreich. "Mambo Sinuendo" (2003) taugt zwar nur für "knallharte Extrem-Easy-Listener, denen der Buena Vista Social Club zu stressig war". Mit "Chavez Ravine" (2005) legt er jedoch ein vielbeachtetes Konzeptalbum vor, das mit einem Stilpotpourri aus Rhumba, Mambo, Blues, R'n'B und Jazz die Geschichte der Latino-Enklave Chávez Ravine in Los Angeles nacherzählt, die in den 50er Jahren von Stadtentwicklern dem Erdboden gleich gemacht wurde, um Platz für das Football-Stadion der Dodgers zu schaffen.
2007 knüpft Cooder an dieses cineastische Konzept an und begibt sich mit "My Name Is Buddy" auf die Spuren einer Katze, die den American Spirit vergangener Tage (als man sich noch über den Ku Klux Klan, die Gewerkschaften und die Big Bosses die Mäuler zerriss) aufspürt. Mit von der Partie sind unter anderem Mike und Pete Seeger und Jacky Terrasson.
"I, Flathead" (2008) bildet, nach "Chavez Ravine" und "My Name Is Buddy", den Abschluss der California Trilogy, aber natürlich nicht das Ende der musikalischen Entdeckungreise Cooders. Auf deren nächster Station erzählt er gemeinsam mit den Chieftains das Schicksal der mexikanischen Freiheitskämpfer, die als "San Patricios bekannt sind.
2012 meldet sich Cooder mit dem polit-kritischen Werk "Election Special" zurück. Darin prangert er Missstände in der Gesellschaft, korrupte Politiker, Mitt Romney, lasche Waffengesetze und Ähnliches an.
Sechs Jahre später veröffentlicht der mittlerweile 71-jährige Musiker aus Kalifornien das religiös geprägte Album "The Prodigal Son". Mit einem Mix aus Gospel, Folk und Country erläutert er seine Spiritualität und kritisiert fehlende Nächstenliebe, heuchlerische Christen, die Konsumgesellschaft und das marode Moralsystem der USA.
Ry Cooder gehört zu den einflussreichsten Gitarristen der Musikhistorie, nicht nur wegen der von ihm angestoßenen Wiederbelebung des Buena Vista Social Clubs. Mit seinem Hang zum Experimentellen und seinem Sendungsbewusstsein beweist er, oftmals die Lage der Nation erklärend, seine Vielseitigkeit und Wichtigkeit noch bis ins hohe Alter.
© Laut
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