The Internet
Wer mit Odd Future nur eine chaotische Bagage homophober, radikaler und intoleranter Heranwachsender assoziiert, sollte sich eine Tatsache bewusst machen: Im Kosmos des Kollektivs tummeln sich neben zwei homosexuellen Mitgliedern auch divergenteste musikalische Ansätze. Dafür steht neben Frank Ocean besonders ein Gesicht: Syd Tha Kyd - und damit auch ihre Band The Internet, die sie Mitte 2011 noch als Duo mit Matt Martians ins Leben ruft.
Bevor es jedoch soweit kommt, wählt Syd eine technische Herangehensweise an Musik. Im Alter von 15 Jahren errichtet sie in der Gartenlaube des Elternhauses ein kleines Studio, das im weiteren Verlauf als musikalische Geburtsstätte der ersten OFWGKTA-Tapes dienen soll.
Syd jedoch beschränkt sich zunächst lediglich auf die Arrangements und arbeitet als Audio Engineer. Über MySpace lernt sie 2008 einen gewissen Matt Martians kennen, der nach einigen Sessions mit der OF-Bande zum festen Bestandteil der Gruppe wird.
Mit Syd allerdings verbindet ihn eine besondere Aura. Beide stehen auf einen sphärischen Electro-Soul, der die Nähe zum Hip Hop alles andere als scheut, zu gleichen Teilen aber auch mit Jazz und Funk anbandelt.
Mit einer klaren musikalischen Version startet 2011 also das Projekt mit dem (zumindest noch zu diesem Zeitpunkt) ungooglebaren Namen The Internet. Die erste Platte, die nur wenige Monate nach Bekanntwerden der Zusammenarbeit erscheint, nennt sich "Purple Naked Ladies" und sorgt besonders mit der Videoauskopplung "Cocaine" für Aufsehen.
Im zugehörigen Video geht Syd offen mit ihrer Homosexualität um. Sie macht ein Mädchen auf dem Rummelplatz klar und knutscht unverblümt mit der Auserwählten herum. Die ganze Aufregung begründet sich auch damit, dass Odd Future zu diesem Zeitpunkt mit dem inflationären Gebrauch des Schimpfwortes "faggot" glänzen und in der Öffentlichkeit als latent homophob gelten. Um so konsequenter und mutiger also, dass Syd den wichtigen Schritt zu mehr Akzeptanz in der Szene wagt.
Musikalisch allerdings scheiden sich die Geister an The Internet. Während die einen eine Reinkarnation des klassischen, stilvollen R'n'B-Sounds feiern, bemängeln viele Kritiker den uninspirierten Gesang Syds und die unstrukturierten Kompositionen Martians.
Da erscheint es nur folgerichtig, sich mit der Nachfolgeplatte "Feel Good" zwei Jahre Zeit zu lassen, um weiter an einem individuellen Synth-Funk zu werkeln, während Labelkollege Frank Ocean das R'n'B-Game mit "Channel Orange" neu erfindet.
"Feel Good" erntet wie schon das Debütalbum gemischte Reaktionen. Zwar besticht die Platte mit unzähligen mutigen Ansätzen, bleibt als Ganzes aber ihrer übermäßigen Experimentierfreudigkeit wegen zu schwammig und inkonsequent. Ende 2013 spielt das Duo mithilfe von vier Live-Musikern auf Mac Millers "Live From Space"-Tour, was prompt ein Live-Album zutage fördert, auf dem die mittlerweile sechsköpfige Band die Instrumentierung für den Pittsburgher Rapper übernimmt.
Fortan nutzen The Internet die Konstellation mit den Live-Musikern auch für die Albumproduktion. Das Ergebnis ist Mitte 2015 auf "Ego Death" zu hören, dem ersten Album, das den musikalischen Visionen des Kollektivs entspricht. Syds Songwriting und Vocals haben sich grundlegend verbessert, genauso wie der funkige Synthie-Sound, der eindeutig Anteil an der Renaissance des Rhythm and Blues-Movements hat. The Internet gehören somit neben Frank Ocean, The Weeknd oder Miguel zur Speerspitze des stilvollen amerikanischen R'n'B.
© Laut
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Diskografie
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