Bushido

"Die Leute wollen hören, wie ich den Typen eine aufs Maul haue. Sie wollen wissen, wie ich meine Drogen verkaufe", tönt Bushido im Juice-Magazin. Er versteht es, ein Gangster-Image zu inszenieren. Gemeinsam mit den Vermarktungsmeistern von Aggro Berlin gibt er um die Jahrtausendwende die Losung "Vom Bordstein Bis Zur Skyline" vor, der sich eine ganze Armada an Abkömmlingen anschließt. Geprägt von den urbanen Untergangsszenarien Mobb Deeps und den prollig harten Attitüden eines 50 Cent kreiert der Rapper eine Welt voller Waffen, Goldketten und Lederjacken. Das erste Feature erscheint auf dem Frauenarzt-Tape mit Orgasmus für I Luv Money Records. Nach seinem ersten Solo-Tape "King Of Kingz" wechselt Bushido den Verein. Er will vorankommen und findet beim aufsteigenden Label Aggro Berlin von Chef Specter mit Sido, B-Tight und Fler die richtige Sozialisation. Die klare Ansage lautet: "Deutschrap will Ghetto werden, doch die Nutte weiß nicht wie." Nach M.O.R. und Battle Rap prollt 2002 Gangsta- bzw. Reality-Rap mit "Fuck The World"-Attitude aus den abgefuckten Vierteln Westberlins nach Deutschland. Aggro-Tapes rollen haufenweise nach Hamburg, München und Stuttgart. Bushido schwingt sich im Zuge des Hypes zum Aushängeschild auf. Im Oktober 2002 erscheint unter dem Namen Sonny Black das Debüt "Carlo, Cokxxx, Nutten" mit Kollegen Fler alias Frank White. Titel wie "Drogen, Sex Und Gangbang" oder "Wer Will Krieg" geben die Richtung vor. Bushidos leicht düsterer Flow und eine tighte, sample-lastige Produktion machen die sexistischen, prolligen Lyrics erträglich. Im Sommer 2003 bricht Bushido endgültig durch die Oberfläche des Rapgames. "Vom Bordstein Bis Zur Skyline" ist noch mehr Macho, noch mehr Ghetto und avanciert mit furztrockenen Beats und harten Reimen zum modernen Klassiker des Deutschrap. Doch der Aufstieg Aggro Berlins zur festen Institution im hiesigen Rapbiz bringt die üblichen Negativerscheinungen mit sich. Bushido wechselt bald zum Majorlabel Urban/Universal. Im Nachhinein deklariert er Aggro als Label, das zu schnell gewachsen sei, ohne eine Basis von Vertrauen oder Respekt entwickelt zu haben. Der Streit zwischen beiden Parteien bei der Trennung eskaliert derart, dass Bushido auf seinem Nachfolgealbum mehrmals in deren Richtung schießt und auch mit seinem ehemaligen Crewpartner aus "Carlo, Coxxx, Nutten"-Zeiten, Fler aka. Frank White, nichts mehr zu tun haben will. Aggro mit seinen Konzert-Messerstechereien und dem Kleinkrieg um den Berliner Rapthron stellt für den aufstrebenden Künstler am Ende eher ast als Unterstützung dar. Mitte 2004 macht Bushido von sich reden, als er im Auftrag der Industrial-Kapelle Rammstein einen Song remixt. Im Oktober folgt "Electro Ghetto", unter anderem mit zwei Azad-Features, und steigt auf Platz drei der Trendcharts ein - noch vor den Ärzten und den Fantastischen Vier. Im April 2005 liegt das vierte Album in zweieinhalb Jahren vor: "Carlo Coxxx Nutten II" mit Baba Saad als Ersatz für Fler. Trotz immer noch provokanter Texte und guter Beats merkt man dem Rapper die Ermüdungserscheinungen an. Kein Wunder, schließlich hat er erst im Winter eine Hauptrolle im bislang größten deutschen Beef um Eko Fresh gespielt und schoss einen vorzüglichen Diss gegen Ex-Homie Fler. Im August 2005 verletzen Bushido und seine beiden Leibwächter nach einem Konzert in Linz einen 20-Jährigen mit Schlägen und Fußtritten gegen Kopf und Körper lebensgefährlich. Berichten zufolge fand Bushido die Reifen seines 7er-BMW platt und verfolgte den angeblichen Reifenstecher. Bushido wird verhaftet und kommt erst nach 15 Tagen U-Haft wieder auf freien Fuß. Im Prozess Anfang November kommt der Rapper mit einem blauen Auge davon. Folgerichtig nennt er seine folgende Konzertreise "Gegen Kaution auf Tour 2005". Der Albumtitel "Staatsfeind Nr.1" dagegen stand wohl schon vor dem Linzer Vorfall fest. Unterdessen schart Bushido nach dem Split mit Aggro Berlin und der nachfolgenden Trennung von dem langjährigen Produzenten Ilan und Bass Sultan Hengzt eine neue Crew um sich. Anfang Februar präsentiert der Berliner die erste Label-Compilation seiner Ersguterjunge-Truppe. Mit dabei sind das Linzer Produzenten-Team Beatlefield, bestehend aus Rapper/Produzent Chakuza und DJ Stickle, das schon auf "Staatsfeind Nr.1" den Großteil der Produktion übernommen hat. Außerdem tauchen Saad, D-Bo, Bizzy Montana und der verloren geglaubte Ekrem Bora aka Eko Fresh auf "Nemesis" auf. Wie abgesprochen, erscheint nur wenige Wochen später zunächst die Live-DVD "Deutschland Gib Mir Ein Mic!", die das denkwürdige Konzert in der Berliner Columbiahalle zeigt, und dann Eko Freshs Single "Gheddo", an der Bushido als Feature-Partner mitwirkt. Im Sommer 2006 folgt "Von Der Skyline Zum Bordstein Zurück", das sich nicht nur vom Titel an dem eigenen Klassiker orientiert und seine Vorgänger abhängt. Der Löwenanteil der Beats von "7" (2007) stammt aus den Händen der Beatlefield-Produzenten Chakuza und DJ Stickle. Auf der Gästeliste sonnen sich Summer Cem, Ex-Chablife-Rapper Kay One, die Ersguterjungen Chakuza und Nyze sowie Philippe, bekannt aus der Casting-Show "Popstars". In diesem Jahr belehrt der Rapper alle Kritiker, die ein Ende des Hypes prophezeien, eines Besseren: Er heimst von Echo über Comet und Otto bis zum MTV Europe Music Award ("Best German Act") sämtliche namhaften Preise ein und sichert sich mit der Aufzeichnung seines "7 Live"-Konzertes in der Frankfurter Jahrhunderthalle zum wiederholten Mal den Echo als bester Liveact. Im Sommer 2009 beginnen Produzent Bernd Eichinger und Regisseur Uli Edel mit der Verfilmung von Bushidos Biografie. Moritz Bleibtreu ("Der Baader Meinhof Komplex", "Lola Rennt") verkörpert darin Bushidos Freund Arafat, Hannelore Elsner gibt Bushidos Mutter. "Zeiten Ändern Dich" soll Anfang 2010 in die Kinos kommen, zeitgleich erscheint ein ebenso betiteltes Album. Zuvor legt Bushido aber noch eine Neuauflage des "Carlo Cokxxx Nutten"-Themas vor, für das sich Fler aka Frank White und Bushido aka Sonny Black wieder zusammen gerauft haben, und auch die Jahre hingebungsvoll gepflegte Feindschaft mit Sido trägt Bushido medienwirksam zu Grabe: In neuer Liebe entbrannt zeugen "Deutschraps Top zwei" im Herbst 2011 das gemeinsame Baby "23". Im November 2011 bekommt Bushido überraschend den Bambi für Integration verliehen. In der Begründung der Jury heißt es unter anderem: "Der in Bonn geborene und in Berlin aufgewachsene Deutsch-Tunesier richtet seinen Appell für ein respektvolles Miteinander an seine Fans ebenso wie an Politik und Öffentlichkeit." Die Wahl der Jury stößt auf Unverständnis bei Zuschauern und Prominenten. Peter Maffay beendet etwa die Zusammenarbeit mit ihm und Sido, Heino gibt gar seinen Bambi zurück. Und Bushido, der bei der Verleihung sagt, er wisse nicht, wofür er diesen Preis verdient habe, zieht sich zunächst ins Private zurück. Anfang 2012 heiratet er seine Freundin Anna-Maria Lagerblom, die Schwester von Sarah Connor. Ein halbes Jahr später kommt die gemeinsame Tochter zu Welt. Kurz zuvor absolviert er, ganz Vorbild, im Juni noch ein Praktikum im deutschen Bundestag, was angesichts seiner Vergangenheit bei manchem Presseorgan wieder nicht gut ankommt. Öffentlich ausgetragene Schlammschlachten mit dem einstigen Zögling Kay One, das erfolgreiche Signing von dessen Nachfolger Shindy und diverse Provokationen führen dazu, dass Bushido sich auf dem Radar der Öffentlichkeit dauerhaft einnistet. Musikalisch zeigt sich der bekennende Aquaristik- und World Of Warcraft-Fan ebenso ambitioniert. 2014 erscheint das Nummer-eins-Abum "Sonny Black", das Kritiker durchaus wohlwollend bewerten. Wie so oft zeigt Bushido den Fans, den verhassten Medien und dem Rest des Universums den blanken Mittelfinger. Aufmerksamkeit sichert er sich regelmäßig mit provokanten Äußerungen. Immer wieder stuft die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien die Ergüsse des Integrationspreisträgers als eine Gefahr für Minderjährige ein. Immer wieder erstatten Politiker, die er in seinen Texten angreift, Anzeige gegen den Rapper. Auch sonst macht Bushido hässliche Schlagzeilen: 2014 befindet ihn ein Gericht der Steuerhinterziehung für schuldig. Zudem soll er seine Frau verdroschen haben und Kontakte zu mafiösen Strukturen unterhalten, rauscht es im Blätterwald. Handfester dagegen fallen die Vorwürfe diverser Metalbands aus, er habe sich unrechtmäßig an ihrem Schaffen bedient: Diese Fälle beschäftigen die Gerichte. Andersherum zeigt sich Bushido durchaus in der Lage, Mein und Dein auseinander zu halten. Über seine eigenen Tracks wacht er mit Argusaugen und geht mit Abmahnungen gegen Filesharer vor. 2015 veröffentlicht Bushido das Album "Carlo Cokxxx Nutten 3", das er als ersten Teil der Reihe alleine bestreitet. Gemeinsam mit Shindy folgt die Kollaboration "CLA$$IC". "Black Friday" und "Mythos" führen mit nostalgischen Einsprengseln ein im Grunde totes Konzept weiter fort. Dennoch erreichen alle vier Alben standesgemäß Nummer-eins-Platzierungen und Goldveredelungen. Im Hintergrund wechselt er die Rapper seines Künstler-Kaders ein und aus. Shindy verabschiedet sich 2018 nach mehreren erfolgreichen Jahren. M.O.030 hält sich gerade drei Monate auf dem Schleudersitz Ersguterjunge, Capital Bra, Laas Unltd. und AK Ausserkontrolle bringen es jeweils zumindest auf ein Jahr. 2019 endet auch die Zusammenarbeit mit Samra. Dafür reiht sich der ehemalige Maskulin-Rapper Animus ein, mit dem Bushido sogleich "CCN 4" auf die Beine stellt. 2018 versetzt Bushido seinem eigenen Image einen herben Schlag, als er sich von Arafat Abou-Chaker und seinem Clan lossagt. Das jahrelang als freundschaftlich verkaufte Geschäft mit dem Familienverband entpuppt sich als Abhängigkeitsverhältnis, in dem der Rapper "nichts zu melden" gehabt habe, wie er dem Stern berichtet. Abou-Chaker habe die Hälfte seiner Einnahme einbehalten und sich selbst in private Angelegenheiten wie der Beerdigung von Bushidos Mutter eingemischt. Musikalisch schließt der Rapper das Mafia-Kapitel mit dem Song "Mephisto" ab, doch juristisch und medial beginnt die Aufarbeitung gerade erst. Bushido sagt gegen seine früheren Peiniger in einem langwierigen Prozess aus. Seine Familie erhält derweil Polizeischutz, was in der Rap-Szene für Häme sorgt. Mit der mehrstündigen Amazon-Prime-Doku "Unzensiert – Bushido's Wahrheit" von Flers Intimfeind Peter Rossberg sowie einem ebenfalls ausufernden Interview mit Falk Schacht gibt er weitere Einblicke. Generell entdeckt der Berliner die Medien als Verbündete neu. Und er versteht es, alle Seiten zu bedienen. Für Amazon beleuchtet er die Welt des organisierten Verbrechens, während der Boulevard die Schwangerschaft seiner Ehefrau mit anschließender Drillingsgeburt begleitet. Beim Jahresrückblick "Menschen, Bilder, Emotionen" bedient er familienfreundliche Unterhaltung. Der Gangsterrapper hänge "wie so eine Art Faschingskostüm im Schrank", erzählt er im Gespräch mit Günther Jauch, "Manchmal hole ich das raus, ziehe das an und dann mache ich Party." Besagte Party trüben Scharmützel über die Markenrechte an "Carlo Cokxxx Nutten" mit Fler nur geringfügig ein. Bushido bleibt auch musikalisch omnipräsent. Er holt Saad zurück und präsentiert 2021 Jean & Solé als neue Künstler. Bushido schließt das Jahr mit dem Album "Sonny Black 2" ab, auf dem er sich bemüht zeigt, die bürgerliche Rolle mit seinem eingeübten Image zu vereinen. "Familie" zeigt ihn als verträumten vielfachen Vater, "Giftgrünes B" und "Heavy Metal Playback 2" arbeitet sich auf rabiateste Weise an früheren Weggefährten ab. Man fragt sich, wie lange er beide Seiten dieser stetig wachsenden Kluft zwischen Kunstfigur und Privatperson noch bedienen kann. Die Antwort gibt Bushido spätestens nach seinem Umzug nach Dubai selbst, in dem er mit Songs wie "Jupiterring", diversen Soap-Operas auf RTL und Anfang 2023 mit dem Podcast "Im Bett mit Anna-Maria & Anis Ferchichi" mehr und mehr seine Familie ins Zentrum rückt. Sein Dasein im Exil macht Bushido im Mai 2024 auch auf König Für Immer" Zum Thema. Unterdessen verurteilt das Landgericht Berlin im Februar 2024 nach einem fast dreieinhalb Jahre währenden Prozess Arafat Abou-Chaker, den ehemaligen Manager von Bushido, wegen der Veröffentlichung von unerlaubten Tonbandaufnahmen in 13 Fällen zu einer Geldstrafe. In allen anderen Anklagepunkten - Bushido hatte Arafat u.a. Freiheitsberaubung, Nötigung, versuchte schwere räuberische Erpressung und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen - spricht das Gericht den Angeklagten frei.
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