Jan Delay
"Wir sind die Sonne, die scheint, Baby, Baby / Und ihr dreht durch wie die Raver auf der Mayday / Erfrischend wie in der Wüste Punica zu finden / Und am Mic die zwei mit den unikaten Stimmen / Jan Delay und D-Flame / Hey, DJ, mach' so laut wies geht!"
Jan Phillip Eißfeldt, der Mann der vielen Pseudonyme, nölt sich mit wahrhaft unikater Stimme seit Anfang der 90er durch die aufblühende Deutsch-Rap-Szene. Nach überschaubar erfolgreicher Anlaufzeit landet die von ihm mitgegründete Crew Absolute Beginner 1998 mit "Bambule" einen Mördertreffer: Hip Hop made in Germany ist erwachsen geworden.
Ein kapitaler Irrtum unterläuft dem, der versucht, Eizi Eiz auf einen Rap-Künstler zu reduzieren, denn: "Wer Hip Hop macht und nur Hip Hop hört, betreibt Inzest." Er bleibt tief in der Hamburger Punk-Szene verwurzelt, Funk, Reggae, Dancehall und selbst Deutschrock regieren im Eißfeldtschen Universum ebenso. Gemeinsam mit Produzent Tropf veröffentlicht er (als La Boom) ab 1999 auf dem eigenen Label Eimsbush Tapes, die sich wie geschnitten Brot verkaufen. 2002 schieben La Boom mit "Atarihuana" eine Instrumental-LP nach.
Nichts dauert ewig: Eißfeldts Eimsbush Records, das seit 1997 dem Rap-Nachwuchs der Hansestadt eine Basis bot, muss sechs Jahre nach seiner Gründung Insolvenz anmelden. Eißfeldt selbst hat keinen Grund zum Weinen: Neben seinem florierenden Engagement bei den Beginnern hebt er 2000 in eine Solo-Karriere ab.
Auf dem Sampler "Pop2000" erscheint mit "Irgendwie, Irgendwo, Irgendwann" die wohl beste Coverversion, die jemals jemand einem Nena-Song angedeihen ließ. Weder das Reggaegewand noch der Alias Jan Delay verschleiern, was die Stimme umgehend offenbart: So nasal klingt nur ein einziger dürrer Hamburger. Die Single erreicht Platin-Status.
"Vorsicht: Kein Hip Hop!" Ein Sticker auf Jan Delays Debütalbum warnt vor Enttäuschungen. Wer sich davon abhalten lässt, hat selbst Schuld und verpasst eine Reggaeplatte, die Kritiker mit Recht in höchsten Tönen loben. Unterstützt von der Sam Ragga Band und produziert von Matthias Arfmann, der bereits an den Reglern der Beginner den Shit tight machte, demonstriert Eißfeldt zum einen, dass jamaikanische Volksmusik mit deutschen Texten denk-, mach- und überaus hörbar ist.
Zum anderen tritt er auf "Searching For The Jan Soul Rebels" den Beweis an, dass Gesellschaftskritik weder zwingend in einer Anti-alles-Punk-Attitüde noch in Gutmenschelei enden muss. Intelligent und komisch prangert Jan Delay im Alltag verborgenen Rassismus an, nimmt Volksverdummung seitens der Medien aufs Korn und watscht das Mitläufertum kritikloser Musikkonsumenten mit einem entschiedenen "Ich Möchte Nicht, Dass Ihr Meine Lieder Singt" ab.
"Das System" macht - in Form von Zensur - allerdings auch vor "Searching ..." nicht Halt. "Söhne Stammheims" muss entschärft, "Sag Mir, Wo Die Blumen Sind" zum Teil sogar neu geschrieben werden. Das ist zwar nicht wirklich neu, rückblickend fällt auf: Schon mit "Flashnizm" haben die Beginner im Hip Hop aufgeräumt. Ein politisches Album in einer Szene, in der normalerweise über bewusstseinserweiternde Drogen gerappt oder einfach gebattlet wird? Das geht!
Ausgiebige Touren mit der Sam Ragga Band tragen Style und Message in jeden Winkel der Republik. Anschließend steht erst einmal wieder die Crew an erster Stelle: Die Beginner (die sich mittlerweile von ihrem Namenszusatz "absolut" verabschiedet haben) verzeichnen im August 2003 mit "Blast Action Heroes" das kommerziell erfolgreichste Album ihrer Karriere. Jan Delay macht Pause - aber nicht für immer. "Mercedes Dance", der zweite Solo-Longplayer, steht im Sommer 2006 in den Startlöchern. Die Vorab-Single "Klar" schürt die Spannung der wartenden Fans, die ohnehin bereits mit den Hufen scharren.
Diese werden dann auch nicht enttäuscht: Der Hamburger präsentiert ein mehr als ordentlich durchgefunktes Pop-Album. Rio Reisers "Für Dich" steckt in einem neuen Gewand, bleibt aber auch versehen mit topaktueller Produktion eine wundervolle Schnulze. Die Kooperation mit Altrocker Udo Lindenberg kommt derart organisch um die Ecke, dass man meint, die beiden stehen seit Jahren gemeinsam in der Gesangskabine. "Seid doch mal ehrlich!" Eigentlich tun sie das ja auch.
Mit Rückendeckung durch die Live-Combo Disko No. 1 kommt "Mercedes Dance" auf die Bühne. Während im Januar 2007 mit "Searching - The Dubs" noch schnell ein Dub-Album der ersten Solo-Veröffentlichung in die Läden gelangt, laufen die Vorbereitungen für die Tour bereits. Das Potenzial, das Funk und Reggae innewohnt, serviert man sie nicht aus einem klinisch reinen Studio sondern schweißgetränkt einem ebensolchem Publikum, dokumentiert "Mercedes-Dance Live" im CD- und DVD-Format.
Und weils so schön war, bleibt das nicht der letzte Album-Livealbum-Doppelschlag: "Wir Kinder Vom Bahnhof Soul" erscheint 2009 in der Studio-Version, ein Jahr später als Live-Aufnahme.
Im Mai 2011 tritt Jans Disko No.1 vor einem TV-Millionenpublikum auf: beim Finale des Eurovision Song Contest in Düsseldorf. Seine nächste Wandlung bringt ihn jedoch noch mehr als zuvor ins Rampenlicht. Im Frühjahr 2014 hat wirklich jeder eine Meinung zu ihm und seinem neuen Album "Hammer & Michel", denn Eißfeldt hat nun Bock auf Rock. In schickem weißen Zwirn und rosa Lackschuhen begibt er sich aufs Wacken Open Air Festival und dreht zwischen moshenden Metalheads das Video zu "Wacken".
Der Lonpglayer selbst stößt im Gegensatz zu den Vorgängern in den Medien auf wenig Gegenliebe. Trotzdem (oder eher gerade deswegen) erreicht das Album direkt nach Release die Pole-Position der deutschen Alben-Charts.
"Ich möchte mich nicht in Köpfen befinden zusammen mit Gedanken, die unter Einfluss vom Axel Springer Verlag entstanden", singt Delay noch in "Ich Möchte Nicht, Dass Ihr Meine Lieder Singt!". Doch mit einer mehr als ungeschickten Äußerung in einem Interview mit der österreichischen "Die Presse" rückt er im April 2014 direkt in deren Fokus.
Auf Heinos "Liebes Lied"-Cover angesprochen, platzt es aus dem Sänger heraus: "Alle sagten plötzlich: Ist doch lustig, ist doch Heino. Nee, das ist ein Nazi. Das vergessen die meisten Leute, wenn die Leute über Heino reden. Der Typ hat in Südafrika während der Apartheid im Sun City gesungen. Und sein Repertoire: 'Schwarzbraun Ist Die Haselnuß', Soldatenlieder ... Es ist schrecklich, wenn so jemand einen Song von dir singt."
Zwar rudert Delay in der Sendung "aspekte" zurück und bereut seine Äußerung. Der Volkssänger erstattet trotzdem Anzeige gegen den Hamburger, letztendlich zahlt Delay 20.000 Euro Schmerzensgeld an Heino.
Was will also ein Jan Delay? Die "Jugend von heute" zum gewalttätigen und unreflektierten Kampf gegen die Obrigkeit anstacheln? Och, nö! Lieber ein bisschen zum Nachdenken anregen. "Oben sitzen, runterkucken. Ab und zu grüßen, ab und zu spucken" - und hoffen, dass die Leute seine Songs und Texte begreifen und sich bestenfalls sogar den einen oder anderen Gedanken machen. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger.
Auf seinem fünften Studioalbum "Earth, Wind & Feiern" beschäftigt Delay sich 2021 mit Themen und Sounds, die ihn seit den Tagen im Eimsbush Basement begleiten. Das schmeckt der Stammkundschaft, schreckt aber diejenigen ab, die schon die Beginner-Comeback-Platte "Advanced Chemistry" für altbacken hielten.
© Laut
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