Das schwache Herz
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Buchvorschau
Das schwache Herz - Fyodor Dostoevsky
Das schwache Herz
Unter dem gleichen Dache, in der gleichen Wohnung, im gleichen vierten Stock wohnten zwei junge Beamte und Kanzleikollegen: Arkadij Iwanowitsch Nefedewitsch und Wassja Schumkow … Natürlich erachtet es der Autor für notwendig, dem Leser zu erklären, warum der eine Held mit seinem vollen Namen, der andere dagegen mit dem Diminutiv genannt wird; er müßte es schon aus dem einen Grunde tun, weil ihm sonst diese letztere Form als unanständig und plump vertraulich übelgenommen werden kann. Doch zu diesem Behufe müßte er zunächst den Rang, das Alter und den Beruf einer jeden der handelnden Personen angeben; da es aber allzuviel Schriftsteller gibt, die ihre Erzählungen mit derartigen Charakteristiken beginnen, hat sich der Autor der vorliegenden Novelle entschlossen, nur um den andern nicht zu gleichen (manche werden sagen: um seiner grenzenlosen Einbildung Genüge zu tun), direkt mit der Handlung einzusetzen. Nach dieser Einleitung beginnt er wie folgt.
Schumkow kam am Sylvesterabend, so gegen sechs Uhr, nach Hause. Arkadij Iwanowitsch, der gerade auf dem Bette lag, erwachte und blickte mit noch schläfrigen Augen seinen Freund an. Er stellte fest, daß dieser seinen besten Zivilanzug trug und ein blendend weißes Vorhemd anhatte. Das versetzte ihn natürlich in Erstaunen: Wo mag er in diesem Aufzuge gewesen sein? Auch hatte er heute nicht zu Hause gegessen! Schumkow steckte indessen eine Kerze an, und Arkadij Iwanowitsch erriet sofort, daß sein Freund ihn, gleichsam unbeabsichtigt und zufällig, wecken wollte. Wassja hüstelte auch tatsächlich zweimal, ging zweimal durchs Zimmer und ließ schließlich ganz zufällig seine Pfeife, die er in der Ecke neben dem Ofen zu stopfen begonnen, auf den Boden fallen. Arkadij Iwanowitsch mußte innerlich auflachen.
»Wassja, laß die Komödie!«
»Du schläfst nicht, Arkascha?«
»Bestimmt kann ich es nicht sagen; ich glaube aber, daß ich nicht schlafe.«
»Ach, Arkascha! Guten Abend, mein Teurer! Ja, Bruder! Ja! Du ahnst noch gar nicht, was ich dir erzählen werde!«
»Nein, das ahne ich wirklich nicht! Komm aber etwas näher zu mir.«
Wassja kam sofort näher, als hätte er auf diese Aufforderung nur gewartet; allerdings war er auf die heimtückischen Absichten seines Freundes nicht gefaßt. Dieser packte ihn sehr geschickt bei der Hand, drehte ihn um, fiel mit seiner ganzen Körperschwere über ihn her und begann das unglückliche Opfer zu würgen; das schien dem lustigen Arkadij Iwanowitsch ein unbeschreibliches Vergnügen zu machen.
»Nun hab ich dich!« rief er. »Nun habe ich dich!«
»Arkascha! Was tust du mit mir! Laß mich um Gottes willen los, so wirst du mir meinen Frack schmutzig machen!«
»Macht nichts! Was brauchst du den Frack? Warum bist du so leichtgläubig und gibst dich mir selbst in die Hände? Sag einmal: wo warst du? Wo hast du zu Mittag gegessen?«
»Arkascha, um Gottes willen! Laß mich los!«
»Wo hast du gegessen?«
»Das ist es ja, was ich dir erzählen will!«
»Also erzähle!«
»Laß mich erst los!«
»Das will ich eben nicht! Ich laß dich nicht los, bevor du es mir erzählt hast!«
»Arkascha, Arkascha! Verstehst du denn selbst nicht, daß ich in dieser Lage nichts erzählen kann, daß es ganz unmöglich ist!« schrie der schwächliche Wassja, indem er vergebliche Anstrengungen machte, sich aus den starken Tatzen seines Freundes und Gegners zu befreien. »Denn es gibt Materien … «
»Was für Materien?«
»Nun, Materien, über die man in solcher Situation nicht sprechen kann: sonst verliert man eben jede menschliche Würde; es geht wirklich nicht! Es würde lächerlich erscheinen, doch die Sache ist durchaus nicht lächerlich, sondern bitter ernst!«
»Das Ernste mag der Teufel holen! Was dir nicht einfällt! Du sollst mir die Sache so erzählen, daß ich dabei lachen kann! Ich mag nichts Ernstes hören! Was wärest du sonst für ein Freund? Sag nun selbst: was wärest du für ein Freund? He?«
»Arkascha! Ich kann es nicht, bei Gott!«
»Keine Widerrede!«
»Also gut, Arkascha!« begann Wassja, der quer auf dem Bette lag und sich die größte Mühe gab, seinen Worten eine gewisse Würde zu verleihen. »Arkascha! Ich werde es dir vielleicht sagen, doch … «
»Nun?«
»Ich habe mich verlobt!«
Arkadij Iwanowitsch sagte kein Wort. Er nahm Wassja, der durchaus nicht klein, sondern recht lang, nur etwas mager war, auf die Arme und begann ihn mit großem Geschick auf- und abzutragen und wie ein Kind zu wiegen.
»Gleich werde ich dich, du Bräutigam, wie einen Säugling einwickeln!« sagte er dabei. Als er aber sah, daß Wassja ganz regungslos und stumm in seinen Armen lag, besann er sich und merkte, daß er in seinem Scherze doch zu weit gegangen war; er stellte seinen Freund mitten im Zimmer hin und drückte ihm einen durchaus herzlichen und freundschaftlichen Kuß auf die Backe.
»Wassja, du bist doch nicht böse?«
»Hör einmal, Arkascha … «
»Nun, vergibs mir des Sylvesters wegen!«
»Ich bin ja nicht böse; warum bist du aber so verrückt und ausgelassen? Wie oft hab ichs dir schon gesagt: das ist gar nicht witzig, bei Gott, gar nicht witzig!«
»Also böse bist du mir nicht?«
»Nein … Auf wen bin ich je böse?! Doch du hast mich gekränkt, verstehst du das?!«
»Gekränkt? Auf welche Weise?«
»Ich bin zu dir gekommen wie zu einem Freund, mit vollem Herzen, um dir meine Seele auszuschütten und von meinem Glück zu erzählen … «
»Von was für