Freundschaft: Der Weg zum guten Leben
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Buchvorschau
Freundschaft - Bodo Karsten Unkelbach
„Man kennt nur die Dinge, die man zähmt, sagte der Fuchs. „Die Menschen haben keine Zeit mehr, irgend etwas kennenzulernen. Sie kaufen sich alles fertig in den Geschäften. Aber da es keine Kaufläden für Freunde gibt, haben die Leute keine Freunde mehr. Wenn Du einen Freund willst, so zähme mich!
„Was muss ich da tun?" sagte der kleine Prinz.
„Du musst sehr geduldig sein", antwortete der Fuchs.
Antoine de Saint-Exupéry
Copyright © Claudius Verlag, München 2019
www.claudius.de
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Zitat aus: Antoine de Saint-Exupéry, Der Kleine Prinz.
© 1950 und 2015 Karl Rauch Verlag, Düsseldorf
Umschlaggestaltung: Weiss Werkstatt München
Layout: Mario Moths, Marl
Gesetzt aus der Sabon LT
E-Book-Produktion: Zeilenwert GmbH, 2019
ISBN 978-3-532-60044-3
Inhalt
Cover
Titel
Impressum
Vorwort
1. Einleitung: Freundschaft – Das Vitamin des Lebens
2. Vom Wesen der Freundschaft
3. Drei Arten von Freundschaft
4. Urvertrauen – Die beste Basis für tiefe Freundschaften
5. Einfühlungsvermögen – Empathie
6. Ehrlichkeit – Sind Notlügen erlaubt?
7. Treue und Zuverlässigkeit
8. Von Freunden lernen und in der Auseinandersetzung wachsen
9. Freundschaften innerhalb der Familie
10. Freundschaft am Arbeitsplatz – Mit Interessenkonflikten jonglieren
11. Freundschaft im digitalen Zeitalter
Ausblick
Literatur
Über den Autor
Vorwort
Freundschaft bildet seit Jahrtausenden in allen Kulturen einen zentralen Wert des menschlichen Zusammenlebens. Sie schenkt Orientierung, Halt, Freude und Lebenssinn. Auch in unserer modernen, globalisierten, digitalisierten, schnelllebigen Zeit wird ihr Wert unverändert hoch angesehen. Jedoch scheinen die zugrundeliegenden Tugenden, auf denen echte, lebendige Freundschaften basieren, zunehmend in Vergessenheit zu geraten.
Als Psychiater und Psychotherapeut begegne ich täglich seelisch kranken Menschen, die einsam sind. Aber auch solchen, die in Beziehungen leben, die der seelischen Gesundheit abträglich sind. In therapeutischen Gesprächen werden Themen wie mangelnder Zusammenhalt, fehlende Unterstützung, Einsamkeit, Egoismus, respektloses Verhalten und vieles mehr thematisiert. Zieht man in Betracht, dass seelische Erkrankungen auf dem Vormarsch sind und voraussichtlich in der kommenden Dekade die orthopädischen Erkrankungen als Ursache für Krankschreibungen von der Spitzenposition verdrängen werden, wird deutlich, wie unglaublich wichtig und wertvoll gute, tragfähige und belastbare Beziehungen, also auch Freundschaften, sind.
Die Resilienzforschung, die der Frage nachgeht, was Menschen in belasteten Lebenssituationen gesund hält, hat als einen wesentlichen Faktor für Resilienz gut funktionierende, haltgebende soziale Netze identifiziert. Der Einsamkeitsforschung verdanken wir die Erkenntnis, dass einsame Menschen kürzer leben als Menschen, die sich nicht einsam fühlen. Und zunehmend mehr Menschen fühlen sich einsam.
Bei der Frage nach tiefen Freundschaften handelt es sich also nicht um Wellness, sondern sie hat eine tiefgreifende persönliche und gesellschaftliche Bedeutung. Als Psychotherapeut bin ich davon überzeugt, dass Freundschaften einen Lebenssinn stiften, Zufriedenheit und Wohlbefinden fördern und uns Orientierung und Halt geben. Neben dem Effekt, dass sie unserer Gesundheit dienen, erhöhen sie schlicht unsere Lebensqualität und lassen das alltägliche Leben leichter werden. Und ich bin davon überzeugt, dass Menschen, denen es schwer fällt, sich auf Freundschaften einzulassen, lernen können, wie sie tiefe Beziehungen eingehen können. Kein einfacher Weg, aber ein möglicher. Die intensive Auseinandersetzung mit Freundschaft, welche die Lektüre dieses Buchs verspricht, wird ihnen helfen, Ansatzpunkte zu finden, wie sie neue Schritte gehen können, um Freundschaften aufzubauen und zu vertiefen.
Wir sind einem rasanten gesellschaftlichen Wandel unterworfen, der unsere Beziehungen oberflächlicher und unverbindlicher werden lässt. Deshalb ist es an der Zeit, sich auf jahrtausendealte Werte zurückzubesinnen. Von Aristoteles bis zur modernen Wissenschaft existieren Erkenntnisse über das Wesen und den Wert von Freundschaft, von denen wir uns einige anschauen werden. Dann liefert uns die Psychotherapieforschung wichtige Hinweise darauf, dass wir als Menschen so geschaffen sind, dass wir auf gute Beziehungen ausgerichtet sind. Wir können beziehungsweise wollen einfach nicht ohne den Kontakt zu Menschen leben, die uns wertvoll sind. Um tiefe Freundschaften zu leben, lohnt sich die Auseinandersetzung mit älteren Tugenden, wie Treue und Ehrlichkeit, sowie mit neueren Tugenden, die schon immer existierten, aber noch nicht so lange benannt sind, wie Urvertrauen und Empathie, also Einfühlungsvermögen. Es folgen Überlegungen, wie wir innerhalb von Freundschaften persönlich reifen und uns weiterentwickeln können. Auch Grenzen von Freundschaften, wie sie beispielsweise innerhalb der Familie oder am Arbeitsplatz existieren, werden wir betrachten. Abschließend werden wir die Prägung von Freundschaften durch moderne Medien beleuchten und überlegen, wie wir in unserem digitalen Zeitalter tiefe Freundschaften leben können.
Wir werden uns im Folgenden intensiv mit dem Wesen und dem Wert von Freundschaft auseinandersetzen. Einiges wird Ihnen bekannt sein, vieles werden Sie nach der Lektüre in einem neuen Licht betrachten können. Ich möchte Sie anregen, Ihre gegenwärtigen Freundschaften so zu gestalten, dass sie an Tiefe gewinnen, Ihre haltgebenden Verbindungen zu stärken und bei der Suche nach neuen Freunden eine kluge Auswahl zu treffen – für Menschen, die Ihnen wirklich gut tun. Dabei werden Sie feststellen, dass tiefe Freundschaften auf dem Weg zu einem guten Leben unverzichtbar sind.
Marienheide im Dezember 2018
Bodo K. Unkelbach
Zur Frage der Geschlechtsbegrifflichkeit:
Ich verwende im vorliegenden Buch die männliche Form. Der allgemeine Hinweis, dass dies zur besseren Lesbarkeit so gewählt ist und Frauen selbstverständlich einbezogen sind, trifft zwar zu, ist aber gerade im Zusammenhang mit einem Buch über Freundschaft etwas zu kurz gegriffen, zumal Frauen bei diesem Thema uns Männern oftmals überlegen zu sein scheinen. Selbstverständlich beziehen sich meine Ausführungen auf beide Geschlechter. Ich könnte also von Freundinnen und Freunden sprechen, das wäre politisch korrekt, aber zu sperrig. Es wäre auch möglich, ausschließlich die weibliche Form zu verwenden, aber dann würde der oberflächliche Leser meinen, es handele sich ausschließlich um ein an Frauen gerichtetes Buch. So komme ich wieder auf die männliche Form zurück, wohl wissend, mich damit schuldig zu machen, da ich mich von der über viele Jahrhunderte bestehenden Unterdrückung von Frauen in Männerherrschaftssystemen in meiner Wortwahl nicht angemessen abgrenze. Unsere Frauen haben Besseres verdient! Es bleibt nun doch bei der männlichen Form, weil mir eine passende, leicht zu handhabende Idee zur Umsetzung einer gleichberechtigten Sprache noch fehlt. Hoffentlich findet sich für die deutsche Sprache bald eine zufriedenstellende Lösung!
1.
Einleitung: Freundschaft – Das Vitamin des Lebens
Wir kugelten über den Boden und lachten. Ein Lachkrampf jagte den anderen, bis wir keine Luft mehr bekamen. Die Tränen liefen. Wir waren eine Gruppe von Jungs, 14 Jahre alt, saßen bei einem Freund im Kinderzimmer, imitierten unsere Lehrer, äfften sie nach und brachen in schallendes Gelächter aus. Die Welt um uns herum erschien plötzlich in einem absurden Licht und war wahnsinnig komisch. In diesem Moment fühlten wir uns tief miteinander verbunden, schwammen auf einer Wellenlänge, steckten uns gegenseitig mit unserer Albernheit an, konnten den Moment genießen und den Rest der Welt ausblenden. Wir wollten nie so werden wie die anderen. Unsere jüngeren Geschwister verstanden unsere Witze nicht, in den Augen unsere älteren Geschwister waren wir noch Kinder und die Erwachsenen verhielten sich ohnehin, als stammten sie von einem anderen Planeten. Sie waren streng, ernst, vernünftig und einfach todlangweilig. Die Angst davor, sich den Gesetzen dieser Erwachsenen beugen zu müssen, wehrten wir durch unsere Lachsalven ab. Wir entdeckten unsere Welt neu, spannen unsere eigenen Regeln und Weisheiten. Wir verstanden uns, wo so viele andere uns nicht verstanden. Unsere Freundschaft war stark und sollte nie enden. Und tatsächlich kam es so. Viele Freundschaften, die damals geschlossen wurden, haben sich weiterentwickelt und sind auch vierzig Jahre später noch lebendig.
Während es Kindern noch leicht fällt, Freundschaften einzugehen, tun sich viele Erwachsene damit schwer. Häufige, berufsbedingte Ortswechsel, wenig freie Zeit, permanente Ablenkung durch Medien, ein hoher Grad an Individualismus gepaart mit enttäuschenden Beziehungen in der Vergangenheit lassen viele Menschen zögern, sich auf neue Freundschaften einzulassen.
Dabei sollten Freundschaften doch etwas Selbstverständliches sein. In der modernen Gesellschaft scheint es ihnen aber ähnlich wie einer gefährdeten Tierart zu ergehen. Ungeschützt stehen sie unter Beschuss. Als sei es ein kaum erschwinglicher Luxus, sich neben dem Alltagsgeschäft Zeit für seine Freunde nehmen zu können. Der moderne Mensch steht permanent unter Zeitdruck, eine zunehmende Technisierung und Komplexität beschert ihm immerzu neue Aufgaben und Ablenkung. Er ist ein Medien- und Freizeitspezialist und wendet für Herausforderungen im Beruf jede Menge Zeit auf. Zeit, die früher für die Pflege guter Nachbarschaften und tiefer Freundschaften zur Verfügung stand.
Dieser Tendenz stellen sich immer mehr Menschen entgegen. Sie widersetzen sich der schleichenden Vereinnahmung durch den Kapitalismus und besinnen sich zurück auf das, was im Leben wirklich zählt: Gute, tragfähige Beziehungen. Oder kurz gesagt: Freundschaften. Denn neben lebendigen Familien, deren Zusammenleben durch Wertschätzung gekennzeichnet ist, sind Freundschaften das Wertvollste, was wir haben.
Immer mehr Menschen werden sich dieses Reichtums, den man nicht in Geld aufwiegen kann, bewusst. Er zeigt sich in Zufriedenheit, Gelassenheit, Selbstwert, Selbstsicherheit und Orientierung. Schließlich spenden Freundschaften einen Lebenssinn. Es steigt das Bewusstsein, dass in Zeiten der Not die ausgestreckte Hand eines Freundes unersetzlich ist und die Freude an gemeinsam erlebter Zeit noch lange nachwirkt und Kraft gibt.
Die moderne Gesellschaft begnügt sich zu oft mit billigen Abbildern von Freundschaft. In den Sozialen Medien werden Freundschaften gar „gesammelt". Doch dabei handelt es sich um Fast-Food-Freundschaften, in denen man sich mit gehaltlosen Informationen vollstopft, ohne wirklich davon satt zu werden.
Doch spätestens dann, wenn wir in eine Lebenskrise geraten, wird uns deutlich, dass nichts die Menschen ersetzen kann, die real für uns da sind und es gut mit uns meinen. Aufmerksamkeit, Achtsamkeit, Mitgefühl, Zuwendung, Verständnis, Annahme, emotionale Unterstützung und Verbundenheit sind nicht kurzfristig zu erwerben, sondern werden uns von Menschen geschenkt, die fest an unserer Seite stehen und die wir Freunde nennen dürfen. Befriedigend können nur echte, tiefe Begegnungen von Mensch zu Mensch sein, in denen man Wertschätzung spürt und die Freiheit besitzt, vorbehaltlos und offen über sich zu erzählen.
Einsamkeit
Der ärgste Widersacher der Freundschaft ist nicht etwa in der Feindschaft zu suchen sondern in der Einsamkeit. Verfeindet zu sein bedeutet, immerhin noch in einer Beziehung zu stehen. Einsamkeit dagegen ist Ausdruck von Beziehungslosigkeit. Und Einsamkeitsgefühle innerhalb einer Freundschaft stellen diese in Frage, können sie aushöhlen und entwerten.
In den Gemeinschaften, in denen wir leben, besteht fast immer die Möglichkeit, feindlich gesinnten Menschen aus dem Weg zu gehen. Einsamkeit jedoch können wir nicht ausweichen, da dieses Gefühl in uns steckt. Neurowissenschaftler wie Manfred Spitzer gehen davon aus, dass einsame Menschen kürzer leben als Menschen, die sich mit anderen verbunden fühlen. Die Folgen von Einsamkeit werden mit den tödlichen Auswirkungen von Tabakkonsum verglichen und sind gravierender für die