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Godekes Knecht
Godekes Knecht
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eBook341 Seiten5 Stunden

Godekes Knecht

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Über dieses E-Book

Der Roman erzählt in Chronikform die Geschichte der als "Vitalienbrüder" berühmten Seeräuber nach der Hinrichtung ihres Anführers Klaus Störtebecker im Jahre 1401. Magister Wikbold aus Oxford ist aus Abenteuerlust Freibeuter geworden und hat es bis zum Stellvertreter von Anführer Godeke Michels gebracht. Er erreicht einen zwischenzeitlichen Friedensschluss mit der Hanse, verliebt sich in die schöne Begine Hillgesill und flieht schließlich mit ihr auf die Burg ihrer Familie, um sein altes geruhsames Gelehrtenleben wieder aufzunehmen. Doch die Sehnsucht nach dem Meer lässt ihn nicht los und plötzlich ist er wieder an Bord der "Sünte Mareiken" und auf abenteuerlicher Kaperfahrt zu den Trauminseln Zipangu und Antilia ... "Godekes Knecht" bedeutete für Hans Leip den literarischen Durchbruch, und der Roman ist bis heute sein bekanntestes Werk geblieben – neben "Lili Marleen" natürlich –, das unter anderem Thomas Mann sehr begeistert hat: "Ein brutaler Stoff, von Zartheit durchleuchtet, Leidenschaft der Handlung und des Wortes ..."-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum1. Okt. 2015
ISBN9788711467398
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    Buchvorschau

    Godekes Knecht - Hans Leip

    Helgoland.

    Der Wind

    Ueber Helgoland ist der Wind niemals still. Ich weiss keine Zeit von dieser Insel, da es ruhiger gewesen wäre als in einer Mannschaft voll Geschrei, und zumal diesen Frühling war es toll. Ich sah eine Lumme wie einen Bolzen gegen den Fels klatschen, so dass sie betäubt niederfiel auf die Schiffsgalerie, wo ich stand; denn wir lagen im Windschatten beim Südhorn. Es brauste gleich Orgeln hinter den roten Kanten, ja, sie stiegen wie Orgelpfeifen über uns auf, wie sie grösser in keinem Dome zu sehen sind, und die groben Seepranken spielten darauf.

    Godeke war in der Frühe eingeschlafen. Und da es mir schauerte in den modrigen Gängen der Hulk, war ich hinausgetreten vors Heck. Bei den langen Stössen der See und in der Dämmerung schien alles fahl und morsch, und die Kielbretter stöhnten sehr. Kull war nach oben gegangen, Ofenholz klein zu machen, sonst war niemand an Bord als noch die Ratten und Schnack, der Kater, der war mit Kull auf Deck gestiegen. Mir war sehr verlassen zumute nach diesem Winter, und es mangelte mir nicht an Erklärungen dafür, doch hoffte ich mit Freuden auf bessere Tage.

    Ich zog die Leine an, das Beiboot war noch von gestern an die Galerie gebunden, wir lagen seit kurzem im freien Wasser, und es hüpfte munter zu mir her. So ruderte ich in meiner Verlassenheit hinüber an den Klippensteg. Es war sehr still auf dem Unterland, wo der Schalme Hütten und Speicher lagen. Wir hatten die drei Jahre viel gebaut, auch eine Kapelle, sie war aber zu Lichtmess abgebrannt; denn schliesslich waren selbst die Bittkerzen betrunken gewesen. Nun war wieder eine wüste Nacht dahin, die Nacht des letzten Fasses.

    Ich gelangte an die Stufen, die den Fels hinaufgehen. Zwei Fischer kamen vom Oberland mir entgegen, aber sie grüssten mich nicht, es war ihnen gleich, sie hätten wohl lieber wieder unten gewohnt, ja, sie waren uns, weiss Gott, nicht mehr zugetan; denn wir hatten ihnen das Recht der Likedeeler gezeigt; das hatte ihnen wohl Spass gemacht, solange sie mit uns prassen konnten, doch als es uns knapp ging, merkten sie, dass wir auch ihre Hütten und Hammel, Weiber und Mägde geteilt hatten. (Es war das erstemal, dass wir alle auf Helgoland überwinterten, da wir uns zu Marienhave und bei den Friesen nicht mehr sicher fühlten.) Aber mich hätten sie schon grüssen sollen, oder hatten sie keine Furcht vor mir, weil ich allezeit freundlich gewesen war und nur geringfügigen Anteil genommen hatte an ihrem Eigentum. Oder dachten sie, es wäre nun an der Zeit aufzumucken, da Störtebeker dahin war, der sie, den Donner, doch anders ins Genick getreten hatte; trotzdem, er hatte es ihnen durch einige Possen gewürzt. Da es mich aber reizte und der eine auch Klaas hiess, rief ich ihnen von oben nach; jedoch wollten sie entweder nicht hören, oder der Wind trieb den Schall weg, sie stiegen unbekümmert weiter hinab. Ich stand schon fast auf der Falm, welches die Südkante ist von dem oberen Lande. Mein Sinn war mir halb zornig, halb unheimlich, und alsbald überwog das letztere, und es war mir, als habe ich nicht den Fischer, sondern den Toten gerufen. Ich starrte bedrängt auf das Meer, wo in dem Arm der weissen Klippe die Hulken ankerten. Mit abgeschlagenen Rahen und herabgelassenen Körben zinkten die Masten aus den dicken Rümpfen, die Sonne brach über der Düne durch die häsige Frühe. Sieben Hulken wuchsen aus dem Sturzacker der See, doch sahen sie gegen die Helle aus wie vertrocknete Lilien, aus denen die Staubbesen steif und unfruchtbar hervorstechen. Das stimmte mich wie vieles traurig. Der Aufbruch der Sonne erhob mich nicht; ich drehte mich um und schritt stampfend gegen den Wind an, der auf den kahlen Schild der Hochfläche schlug, da wurde mir leichter.

    Hallo, der Wind, der Bullenbeisser, Kurrenreisser, der Purzelbaum von Wind, der närrische Unruhläufer, der die Ohren wachsen lässt wie Baumschwämme gross und darüber lärmt mit seiner Pritsche. Von Nordwesten brach es her, hieb wild auf den Block, wo ich wie ein Kiesel mich hinschob in seine heulenden Kiemen hinein. Der Rasen erzitterte, wo ich ging, und er war dicht wie Filz, weil die ewige Windsense ihn nicht hochkommen lässt.

    Ich ging bis ans Nordhorn, wo es steil wie ein Bug ins Meer fällt. Meine Schultern lagen den Böen entgegen, ich blinzelte ihm zu, dem Racker Wind, dem grossen Bruder Unrast, er trat mir in die Kehle, er riss mir die Haare in Strähnen, er kugelte meine Knie scharf durch das Bruch vor, Schritt um Schritt gewann ich ihm ab, er warf mir die Hände zur Seite und machte mir die Finger hart wie Holznägel, zu hart für die Kurven voll Hirngespinst und die Wortzettel bei der Nacht.

    Wind, Wind, Küselwind, du zwischen Kuss und Kreisel, o Wirbel meiner selbst! Heb’ mich auf wie einst an die Muschel Erde, dass ich es wieder sausen höre, du Allzugleich, du Atem und du Blut.

    Nun standen wir wieder vorm Anfang, wie ein Bug ins Meer schneidet. Ach, es war ein saures Gelause um den Winterschlaf gewesen. Wir stanken einander in den Schlund und vermuddeten in Schnaps und Daunenfett. Es war ein Winter vollauf, nie hatten wir den Herbst so geerntet. Die vollen Hansewänste waren uns stracks in den Rachen geschwommen, zahlreich und gut. Und wir nahmen mit Recht und mit Grimm und im Übermass; denn Klaas war dahin, was sollte uns denn heilig sein! Dann sassen wir winterlangs auf dem festen Hort. Die Mündungen der Ströme, geladen mit Städtekoggen, sie waren auf uns gerichtet, voran die Elbe, doch waren sie verrammelt vom Eis, gerade zur rechten Zeit hatte der Nordnordost sie zugestopft, als sie sich nämlich verpustet hatten von der Jagd auf den Alkun, ja, auf den scharfen Alk, der nicht nur den Becher stürzen konnte, und er hatte ihnen verdammt Pein gemacht. Wir wussten genau, wie es hergegangen war, während wir in Spanien auf Kap Finisterre auslugten und ein Garn haspelten, tollkühn und unerhört, Godeke und ich. Vielleicht zu tollkühn, dass es uns verderben musste gleich denen hinter uns in der Westernsee, die den Hanseanlauf zu gering achteten und draufgingen. Wir hoben vom Krauel des Overdick die säuberlich heraus, die dabei gewesen waren zu Hamburg auf dem Brooke und es gesehen hatten. Wir liessen sie frisch von der Spiere hüpfen, als wir ihnen das Innerste abgesogen hatten, was sie wussten. Da wurde es finsterer um uns, wir waren von da an unserer genug, und keine Gnade war von uns mehr zu erkrampfen, so war es uns anbefohlen, und wir taten, was uns anbefohlen war, bis der Winter kam und von Martini an die See leer wurde, wie es nach dem Gesetz der Küsten geschieht.

    Aber danach legte Godeke sich nieder, ohne siech zu sein, und er schlief und stand nicht auf den ganzen Winter hindurch. Doch manchmal in der Nacht, da redete er, das wusste ich allein; doch er wusste mehr als wir alle, soviel er auch schlief.

    Daran dachte ich, als ich am Nordhorn stand, und dass wir gemeinsam so am Ende der Welt gestanden hatten, und ich dachte an Sir William Fist, der gemeint hatte, es sei nichts dahinter. Denn ich hatte die Briefe geschrieben, der ich zu Oxford gewesen war und Wiclifs wegen davonging. Und wir fuhren gegen die Themse mit Briefen für den König, die übernahm der Kraier mit der nebelhellen Flagge und brachte sie an Ort und Stelle. Wir kreuzten drei Tage mit der kleinen Schnigge bei üblem Futter, dann hatten wir den Siegelbrief, und Henry the Fourth liess uns majestätischen Trost zusegeln. Denn wie hätte es ihn nicht verdriessen sollen, dass gutbritische Untertanen wie Pilgrimson und Clays Sheld zu Hamburg verrottet waren. Die vom Kraier besoffen sich mit unseren Gästen drei Nächte lang, nur Sir William Fist sass bei uns in der Kajüte, denn er war ihr Admiral. Und zwischen unseren blauen Wänden stachen wir Kleber mit Schellenking, und Sir William konnte es bald gut und besser als ich; denn ich wusste, Godeke würde ihn fragen nach den Ländern im Westen, die wir damals gesehen hatten, als Störtebeker den bitteren Tod litt. Aber Godeke fragte spät, und ich hätte viel verloren, wenn Sir William nicht den lieben Wippacher wie Wasser geschlürft hätte, und Kull hatte Galgan und Ingwer daruntergemengt und brachte ihn glühheiss auf den Tisch; der Wind ging schon kalt auf der Westernsee. Doch war ich drei Nächte lang gefoltert, und meine Seele wurde mir lang gezogen wie ein Strick, der mich fast boshaft machte, aber Godeke hieb stur die Karten hin, und ich hieb stur daneben, worauf Sir William nichts übrigblieb, als desgleichen zu tun. Er war ein wortkarger Kürbisschädel, ich brauchte keine drei Worte zu verdolmetschen. Und ich zählte die Glasen, die draussen am Vordeck von der Wache angeschlagen wurden, bis das Etmal abgelaufen war und der Frühdunst durch die Luken gaffte. Dann erhob sich Godeke, Sir William liess sich an sein Fallreep zurückrudern und blieb aufrecht bis zur letzten Sprosse, wie es einem Seebefahrenen geziemt. Am Tag aber seilten wir hierhin und dorthin, lösten die Kartaunen, hissten und geiten, brausten mit allen Lappen daher, halsten auf tolldreiste Art, lärmten in den Marsen und rasten die Wanten auf und ab, um es den Engländern zu zeigen, das heisst, ich hielt mich mucks in meinem Losament, nickte zuweilen ein und fuhr elend empor, wenn die Drehbassen über mir das Kastell zerdonnerten. Aber Godeke führte das rauhe Wort vorm Grossmast, über dem seine blauschwarze Flagge wehte, und er machte die glimmigen Kerls zu Katzen, ja, damals schlief er nicht, weder Tag noch Nacht. In der dritten Nacht aber nahm er den Würfelbecher, schob ihn uns hin und warf zuletzt, da hatte er die meisten Augen gewürfelt. Da lachte er lauthals, so dass der Leuchter zitterte und die Flamme zurücksprang, und er lachte, dass wir ein Bündnis hätten mit dem grossmächtigen England, wir, die dreihundert auf Helgoland, und dass wir Helgoland halten sollten sowohl gegen Dänen als auch gegen Hansen. Wofür uns dreihundert Lasten Weizen sowie etliches mehr zukommen sollten. Und danach liess Godeke mich die Karte holen, mein Herz flatterte wie ein frischgefangener Vogel, und Godeke legte die Faust auf die Karte, wo England lag, klaubte neben sich mit der andern Hand eine Butzscheibe aus dem Fensterblei und hielt das Glas, das sehr hell, rund und weiss war, über die Stelle der Karte, wo ich Helgoland eingezeichnet hatte. Dann bedeutete er mir, Sir William einzuladen, durch das Glas zu sehen, und Sir William zögerte nicht, ja, er grinste sogar etwas, als England und Helgoland nebeneinander gleichgross erschienen. Dann drehte Godeke die Sache um, und er hielt das Glas über England, da sah Helgoland aus wie ein Floh gegen ein Gebirge, worüber Sir William denn richtig loslachte, vier kleine Böllerschüsse hintereinander. Als er nun so guter Laune war, da fragte Godeke ihn und ging mit der Hand sachte zwischen England und Frankreich hindurch und über Spanien hinweg an Afrika entlang bis Kap Non und über das Königreich Kanarien nach Westen bis dahin, wo das leere Weiss war, und ich hatte vermieden, das mare tenebrosum der Alten hineinzuschreiben, und da fragte Godeke, was da läge. Und ich übersetzte es Sir William und stotterte fast. Sir William senkte eine Furche schräg in seinen Kürbis, hisste die Augenbrauen und reffte die Stirn.

    Nothing! sagte er.

    Nichts? schrie ihn Godeke an und wartete nicht auf mich. Und er habe es mit seinen leibhaftigen Augen gesehen, das Nichts. Ich wollte pflichtschuldigst ans Dolmetschen gehen, er zuckte mich aber an und sprach herrisch: Schweig!

    Der Windzug durch das Butzenloch zersträhnte die Kerzen und unsere Gesichter. Ich sah, wie es in Godeke brauste, und es brauste auch in mir, es ging wie eine unsichtbar gespannte Brandung über den Tisch, bis ich es nicht mehr bei mir behalten konnte und herausschrie: Und Antilia und Zipangu?

    Da verlöschte die Kerze im Zug, und wir standen im Dunkeln, nur von der kleinen ewigen Lampe unter der Decke betastet; doch Sir William in unbespülter Ruhe sagte dröhnig: Nonsens!

    So kamen wir etwas misshellig mit der weissen Königsflagge auseinander. Doch liessen wir von da an den Engeländern freien Durchzug durch unsere Triften, so dass sie ungerupft blieben wie die Engel Gottes. Wohingegen wir die Brust nach Süden und Osten nicht wenig hinausreckten, die wir den grossmächtigen Tower als Rückenstütze hatten, wir packten frei zu und scheuten auch die Hansen nicht, wodurch unsere Speicher voll wurden zu Hilgelande und unsere Backen fett den Winter. Denn auch die Holländer waren uns zugeneigt, manche der Brüder rüsteten an der Küste gegen die Pfaffen, wie auch Störtebekers Bruder Johan dort als Feldmeister aufgenommen war nach dem Emsschlamassel. Auch liess die dänische Magret uns gelten, wenngleich sie wohl Anspruch erhob auf den roten Brocken, der unseres Lebens Speise war, und ihn uns nicht gönnte, doch gönnte sie ihn, weiss Gott, den Hansen noch weniger.

    So blieben denn die Hansen, und wir lagen ihnen auf der Nase wie einem Hund der Wurstzipfel, und sie wussten uns nicht zu erschnappen, ja, sie wagten es nicht und konnten es nicht, bis wir selber den Bannfinger senkten und geboten: Nun friss! Venn es war noch nicht unsere Zeit.

    *


    Ja, wäre sie nie gekommen, unsere Zeit!

    So sehr war noch kein Wind gegen meinen Leib gerannt, dass er ihn durchwehte wie ein Sieb und ihn leicht machte, als solle ich aufschweben in die blaue Kumme des Himmels. Nie hatte der Frühling diese Gewalt gehabt. Gleich Bogengängen voll Tumult rückten die Wellen gegen die Kliffs, hoben sich wie Lagertürme, aus denen die Sperre wie weisse Wolken brachen, dröhnten empor und zerbarsten gellend, dass mir der Gischt um die Ohren rauchte, so hoch ich auch stand. Wie Planken zitterte es unter mir, als solle ich nie mehr festen Grund gewohnt werden, ich musste mich an die Stelle klemmen, meine Zehen eingraben, so unermesslich brüllte die See herauf, es prickelte mich oft das Grausen, als würde der Fels einstürzen beim nächsten Anprall. Auch sah ich die Heere der weissen Elefanten anstürmen, besät mit zackigen Schützenkörben; Zelter und Läufer drängten dazwischen, der König Kyros fuhr prächtig hervor, und an seinem Streitwagen blitzten die Schwerträder, das Menschenfleisch zu mähen, und ich schrie auf wie die Kinder Israel. Dann sah ich einmal einen Baum aufblühen mitten in der See, die Krone wiegte sich so lau im Wind, ich fühlte den Duft herüberkraulen, doch zerstob der Schaum bald, und mein Herz wurde mir zaghaft; die Unruhe der See bohrte sich auf einmal in mein Herz, so dass ich misslaunig wurde und den Blick abwandte von dem Toben, ja, lieber anderswo gewesen wäre. Was dauerte auch das Verliegen bis in alle Ewigkeit! Nun war es wohl an der Zeit, aber Godeke schlief.

    Wie waren sie doch vermummelt in ihren Bärenschlaf. Als das Eis sich im Hafen anschoppte und das Speckbrot sie mit Pickeln segnete und das Fleetbier ihnen zu den Nüstern herausschäumte, da waren sie der Schalme liebere Brüder denn je. Da wurden die Tische nie leer von Dampfendem und Knusprigem, von Saftigem und Geschäumtem, der Backstaven lieferte die Brote zu drei Ellen, sonst verschlug es nichts, und die Schnitten deckten dreist einen Abtritt. Dazu die Würste von Dorum in Ochsendärmen wie Weiberschenkel und die Schinken aus Westfalia wie Focksegel gross; ach, wie die Messer leise zischten, wenn das Weissfett sich mattglänzend abbog. Und die Grützknödel nicht zu vergessen, die der Polderhals drehte mit der Einlage aus Zimmetsahne und Dottermus, die aufmunternd waren wie ein Stossgebet im wilden Gemetzel, und die roten Lachsfladen, die wir wie Hanseflaggen herunterholten und die von Fett troffen, und dann die Wachteln und das Krammetsgefiepe, das im Herbst wie Manna vom Himmel regnete und in Tonnen gepökelt wurde. Derlow, der Leckerzahn, war darauf gekommen, es schmolz uns die düsteren Tage wie Honig durch die Kehlen, wenngleich die Heringe dafür schlechter waren und wir sie wenig beachteten. Denn wir hatten die Vollbauchsabende nicht nur während der zwölf Nächte um den Heiligen Christ herum, sondern mondelang, und spülten die guten Dinge herunter mit Markobrunner und Gänsfüsser, Katzentaler und Stollengartner und liessen den Eilfinger in die Gurgel kitzeln, wenn es zuviel wurde, damit es von vorn beginnen könne. Und dann der süsse Malvasier, und wenn die Kälte uns piesackte, das doppelte Warmbier, das lieblich quirlte wie die Sommersee. Es hörte der Silberbecher der Schalme nicht auf zu kreisen, und der Trinkspruch, der darauf eingeritzt war, dröhnte von den Hüttenbalken allerorts:

    Ick, Jonker Sissinga,

    Von Groninga,

    Drink dees heusa,

    In een fleusa

    Door myn kraga

    In myn maga.

    Wer wollte da wohl auf den Hulken bleiben, wo die Speicher so dick am Lande strotzten und es vollauf war in den Hütten Kanaans. Godeke legte seinen Blick auf keinen. Nur er und ich blieben auf unserer Hulk. Das Eis krachte gegen die Spanten, die klirrenden Bärte hingen über Topp und Takel, es war ein Affenkram und Seiltanz auf Deck und wurde erst besser, als wir einfroren. Da konnte ich auch wieder zeichnen. Oft war ich heimlich an Land und frass mit an den Tischen. Godeke war stumm und fragte nicht, ich hätte auch nicht bleiben brauchen, dennoch schlich ich heim in der Frühe wie ein gestrolchter Hund, kletterte leise auf den Schollen und wickelte Lappen um meine Sohlen. Doch Kull, das Hinkebein, sang schon den Hymnus von der hochgebauten Stadt; denn er pflegte Godekes Zimmer in der Weise zu schwabbern, mich wunderte oft, dass Godeke es ihm nicht verbot, was er ihm einmal im Scherz anbefohlen hatte. Er sang verdammt nicht schön, der Mensch, und keiner konnte dabei schlafen.

    Nein, Godeke liess mich nie zum Bösen rufen, ich war frei wie er. Nur dass mein Passer manchmal verschoben war, wenn ich heimkam. Ich verbat es mir bei Kull, doch kam es wieder vor, und ich besorgte mich, schob es aber dennoch auf Kull. Ich hätte es nicht gerne gezeigt, ehe es fertig war, was ich vorhatte. Es störte mich nur, dass Kull aus- und einhinkte, um das Feuer zu beachten; denn Godekes Stube wurde zugleich von meinem Ofen geheizt.

    Wie sehr liebte ich Godeke, als er damals so still war und nichts von mir wollte. Wir assen meistens zusammen, zabelten auch ein wenig am Schachbrett; denn ihm fehlte nichts, er war wie ein Forst, der im Winter still daliegt und seine Zeit abwartet. Er lag auf dem Rücken wie ein Fürst gewaltig, selbst in der Koje. Diese war ein Alkoven, geschnitzt und mit seidenen Vorhängen, darauf waren maurische Linien gestickt. Sie stammten von einer spanischen Karacke, die noch mehr dergleichen in sich geborgen hatte, doch wer hätte Sinn für solches haben sollen, wenn nicht Godeke. Ich nahm damals das granadische Reisszeug und die kleine siebenschalige Kugel, darauf das Himmelsgewölbe in den gegebenen Zeichen abgebildet war. Ja, danach liessen wir den gelbschnäuzigen Muselmanmulus mit seiner ganzen blauhaarigen Sippschaft ungeschoren abrauschen, als wir ihm eben diese Sachen wie noch etliche Teppiche für Godekes Losament abgeknöpft hatten. Es murrte nicht einer der Schalme, dass Godeke so milde war, hatte er dafür doch von den Weibern des Beischiffes keine genommen, sondern sie alle uns überlassen. Wie bewunderten wir ihn vielmehr, war er doch anders als wir, ein grosser Herr, der einen Leckerbissen mit spitzen Fingern heraushob, für den wir keinen Nerv hatten. Nur ich stand noch ausserhalb, wenngleich ich mir damals nicht verkniffen hatte, das Frauenzelt auch von innen zu sehen, um ein wenig Ordnung zu halten, wo danach schlecht eine zu halten war. Ich denke teils ungern daran zurück, zumal diesen Frühling bedrängte es mich; es war fremd und zierlich, wo alles roh war bei uns, ja, ich schämte mich in diesem Frühlinge mehr als einmal nachträglich über unsere Roheit.

    Und mit mehr Freude als je weilte ich an meiner Arbeit. Vor dem Fenster war nichts als ein Stück entfernter Düne mit dem Gerippe der Helling und dahinter der Horizont, und als wir wegen der Südwinde drehten und die Anker umwarfen, da war es nur der Horizont, und ich sah nach Westen.

    Neben mir hinter der dünnen Wand fühlte ich Godekes Atem, ich fühlte ihn daliegen in seinem schönen Alkoven, daran zu beiden Seiten Frauen mit Fischschwänzen geschnitzt waren und auf lustig gewundenen Muscheln bliesen, und sie waren in Rot und Gold bemalt, die Vorhänge jedoch waren blau, die Zeichen darauf mit Silber gestickt. Die Kajüte hatte die ganze Reihe der Heckfenster inne, vor denen stand ein schwerer Kugeltisch. Die Decke war aus sehr schönem hellen Zedernholz, wonach es stets ein bisschen duftete, wie auch der Tempel Salomonis so geduftet haben soll. An den Wänden hingen die beiden blauen Messtücher des heiligen Vincentius aus der Kathedrale San Jago, darunter einige kostbare Gewebe aus anderen Orten. Die maurischen Teppiche lagen teils auf dem Boden, teils dienten sie als Oberbett für die Koje, namentlich diesen harten Winter. Ein grosser silberner Leuchter stand dicht neben dem Lager, und eine dicke Kerze brannte darauf die ganzen Nächte, wir hatten ja genug Wachs dazu von den Rigafahrern, ja, wir nahmen alles, was wir hatten, nur für Godekes Kerze, weil sie sodann ungeschneuzt bleiben konnte wie ein Kirchenlicht. Zu beiden Seiten führten Türen auf die Galerie, so dass man je nach dem Wind in Lee hinausgehen konnte und die Einrichtung nicht in Unordnung kam, wenn man achtgab. Das Seltsamste in Godekes Logis befand sich aber an der Hinterwand des Alkovens in Höhe der Kajütsdecke. Es war nicht sehr auffällig, doch habe ich es öfter genau betrachtet, den kleinen silbernen Schrein; er war so gross wie eines Mannes Kopf, mit Scheiben aus gelblichem Marienglas, und darinnen war ein länglich roter, vertrockneter Gegenstand, sorgfältig von goldenen Spangen gehalten. Das war die Zunge des heiligen Vincentius, wie sie ihm in seiner Marter entrissen wurde, nachdem er mit ihr Zeugnis abgelegt hatte. Man behauptete in San Jago von ihr, sie könne genau wie einst an ihrem lebendigen Orte auch seht noch durch die Kraft des Höchsten reden und die Ereignisse voraussagen. Ich selber habe es nie erfahren, wenngleich ich es einige Male versucht habe, ich vermochte kein Sterbenswort aus dem wunderbaren Überrest zu locken. Doch meine ich gehört zu haben, wie Godeke, wenn er allein war, manchmal mit diesem Heiligtum sprach. Mein Logis war hart vor seinem gelegen. (Auf der anderen Seite lag das Gemach oder Abtritt, dabei auch Kulls, des Aufwärters, Koje, dazwischen der Gang, der am Fuss des Besanmastes vorbei nach dem Mittelschiff führte.) Ich erinnere mich an keines jener Gespräche genau; denn sie waren verworren und vielleicht auch im Traum gesprochen. Godeke war überhaupt in manchen Dingen wie ein Kind, obschon ich diese Meinung eigentlich nur auf diesen Gegenstand anwenden möchte und da auch nur in gewisser Beziehung. Was Godeke auch tat, es hatte seinen Sinn, so verborgen es auch liegen mochte. Es war auch weit entfernt von der Verfinsterung der Zeit; denn wir verachteten den Anrufungsschwindel. In dieser Meinung über Godeke will ich mich nicht rühmen, wenngleich ich ihn gut verstand; keiner war so um ihn wie ich. Dies war eben das Unheimlichste an ihm, wenn er nachts sprach und seine Stimme leise und sanft war, so rauh sie sonst erdröhnte. Vielleicht auch nur, weil in der Nacht alles unheimlicher wird, zumal es vom Wind in allen Fugen knackt, wenn das Eis birst wie Kartaunenschläge, wenn die Blöcke an den Tauen schaben und das Wasser ächzt und wie mit Händen anplatscht und den Menschen hin und her hebt ohne Ruh. Da hab’ ich es manchmal zum Teufel gewünscht und mich selbst dazu, dass ich auf die dunkle See gegangen bin und in den Käfig der Schiffe. Es widerstrebte mir lange Zeit überhaupt hinzuhorchen, wenn Godekes Stimme um die Hundewache herum, da jeder froh ist, schlafen zu dürfen, mit der abgeschnittenen Zunge zu reden begann. Er hat es nie getan ausser damals, als unser letzter Frühling anbrach. Er sprach auch sehr dumpf, und ich musste mich anstrengen, es zu hören, oft schlief ich darüber ein, ja, wie oft mag ich trotzdem geschlafen haben, wenn er sprach. Zu meiner Schande muss ich es gestehen, ich war damals von Essen und Trinken behäbig geworden und konnte schlafen, sobald ich sass oder lag. Denn der Mensch ist wie eine Glocke, er tönt nicht mehr, wenn er vollgefüllt ist.

    Doch die Frühlingsstürme machten uns alle wieder beweglicher, die Hulk kam eisfrei, sie flog auf und ab, und da ich es lange nicht mehr gewohnt war, solche Wiege zu haben, so schlief ich oft elend genug. Und ich hätte keine Ohren haben müssen, und es machte mir viel zu schaffen, was ich hörte; denn ich war es, der Godeke am nächsten stand, da Klaas dahin war.

    Aber vorerst hatten wir noch viel zu leiden unter der Ausbesserung der Schiffe: kein Mensch war darauf gekommen, bis es einigen Rottenführern und Steuerleuten zu sehr an den Pickeln juckte und sie luvgierig nach den Booten grölten. Wie denn allmählich die übersatten Rülpser bei Stockfisch, Reis und Dünnbier sowieso aufhören mussten. Von Aschermittwoch bis den Tag nach Palmsonntag, da wir die Liburne fingen, mussten wir wohl oder übel die grossen Fasten mithalten, so wenig uns daran gelegen war. Es wurde knapp auf Helgoland.

    *


    Es wurde knapp, deswegen mussten wir uns umtun. So fuhren zwei Schniggen nach Marienhave, doch zeigten die Stedinger einen Geleitbrief von Störtebeker und auch vom Propste Hisko. Denn die Stedinger waren uns verbrüdert durch ihren Abschwur der welschen Fürbitter Gottes und der äusserlichen Gebote, sie waren frei in ihrer lieben Seele wie wir; doch hatte es sie nicht abgehalten, unsere Speicher dort leerzufressen im Winter ihrer Bedrängnis. Hans von Derlow liess ihrer einen mitkommen, damit er sich zu Helgoland verantworten solle, aber wir vermochten nicht, ihm viel Missgierde nachzutragen, hatten wir uns doch selber die Wänste nicht eintrocknen lassen und im Unmass gelebt. Dieser zudem war nur ein schmächtiger Mann dabei geblieben, verbissen auf die Heilige Schrift und mit hellsüchtigen Augen. Er kam gekleidet wie ein Franziskaner von der grauen Sorte, seine Hände waren noch rauh von Ackerwerk, wie Spaten eckig und dreckig, sein Bart war igelstruppig, und er ging ducknackig wie über einem schlechten Pflug. Seine Augen waren mir anfangs unbehaglich in ihrer Weisse, aber ich gewöhnte mich daran, sie kamen mir später vergleichsweise vor wie zwei helle Vögel, die über ein struppiges Buschland auffliegen, um an den Weltrand zu sehen. Und sie blieben sich immer gleich, selbst als ihm von der See übel wurde, ja, selbst als er den Tod leiden sollte. Er wurde auf unsere Hulk gelegt, Godeke wollte es so, und da ich mich mit ihm unterhalten konnte, war es mir nicht leid, war mir doch der Mund fast zugerostet diesen Winter.

    Godeke Michels war aufgestanden, als die Schniggen zurück waren. Den Bericht Derlows hatte er noch im Bett angehört und sich den Stedinger besehen. Nun aber dröhnte das Deck von seinem Schritt.

    Noch war keiner unserer Leute von Land, als hätten sie ihn nicht stören mögen die Zeit, aber drüben auf den Schiffen polterte es, die Marskörbe stiegen auf, die Rahen wurden emporgehievt. Godeke stand vorne am Klüver, seine Kappe beulte sich im Wind.

    Kull schlurfte demütig hinter den Grossmast. Es war so seltsam, dass Godeke da vorne stand, als habe er nie geschlafen. In mir klopfte das Herz vor Freude, als sei ich eine Hulk in

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