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Das Rätsel um Cecile
Das Rätsel um Cecile
Das Rätsel um Cecile
eBook242 Seiten3 Stunden

Das Rätsel um Cecile

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Über dieses E-Book

Ein mysteriöses Familiengeheimnis, ein ungeklärter Selbstmord, eine unheimliche weißhaarige Frau am Hafen ... Damit wird die Schriftstellerin Lena konfrontiert, obwohl sie in Stralsund eigentlich nur auf Inspiration für ihr neues Buch hofft. Denn statt Liebesromanen will sie künftig Thriller schreiben.
Als sie dann auf die geheimnisvolle Cecile trifft, die sie darum bittet, für einige Wochen auf das Haus ihrer verstorbenen Mutter aufzupassen, nimmt das Unheil seinen Lauf und sie findet sich selbst in einem Thriller wieder.
Psycho-Krimi meets Lesbian Romance.
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum23. März 2022
ISBN9783959495592
Das Rätsel um Cecile
Autor

Sabine Brandl

Lyrik und Prosa begleiten Sabine Brandl schon ihr ganzes Leben. Ihre Geschichten handeln von (Zwischen-)Menschlichem und (Über-)Irdischem. Dazwischen blitzt immer wieder ihre Vorliebe für Erotik und Situationskomik auf. 2004 gründete sie den Künstlerverein REALTRAUM e.V., dessen erste Vorsitzende sie seitdem ist. Außerdem arbeitet sie als Herausgeberin für verschiedene Buchprojekte. Durch ihre zahlreichen kulturellen Aktivitäten hat sie sich in der Münchner Kulturszene sowie in der deutschen lesbischen Literaturszene einen Namen gemacht.

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    Buchvorschau

    Das Rätsel um Cecile - Sabine Brandl

    72_600_Cecile.jpg

    Sabine Brandl

    Das Rätsel um Cecile

    E-Book, erschienen 2022

    ISBN: 978-3-95949-559-2

    1. Auflage

    Copyright © 2022 MAIN Verlag,

    Eutiner Straße 24,

    18109 Rostock

    www.main-verlag.de

    www.facebook.com/MAIN.Verlag

    order@main-verlag.de

    Text © Sabine Brandl

    Umschlaggestaltung: © Marta Jakubowska, MAIN Verlag

    Umschlagmotiv: © shutterstock 1604711320 / 1794064258

    Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

    http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Die Handlung, die handelnden Personen, Orte und Begebenheiten

    dieses Buchs sind frei erfunden.

    Jede Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Personen oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, ebenso wie ihre Handlungen sind rein fiktiv,

    nicht beabsichtigt und wären rein zufällig.

    Wer ein E-Book kauft, erwirbt nicht das Buch an sich, sondern nur ein zeitlich unbegrenztes Nutzungsrecht an dem Text, der als Datei auf dem E-Book-Reader landet.

    Mit anderen Worten: Verlag und/oder Autor erlauben Ihnen, den Text gegen eine Gebühr auf einen E-Book-Reader zu laden und dort zu lesen. Das Nutzungsrecht lässt sich durch Verkaufen, Tauschen oder Verschenken nicht an Dritte übertragen.

    ©MAIN Verlag

    Alle Rechte vorbehalten

    www.main-verlag.de

    Der MAIN Verlag ist ein Imprint der Invicticon GmbH

    E-Book Distribution: XinXii

     www.xinxii.com

    logo_xinxii

    Das Buch

    Ein mysteriöses Familiengeheimnis, ein ungeklärter Selbstmord, eine unheimliche weißhaarige Frau am Hafen … Damit wird die Schriftstellerin Lena konfrontiert, obwohl sie in Stralsund eigentlich nur auf Inspiration für ihr neues Buch hofft. Denn statt Liebesromanen will sie künftig Thriller schreiben.

    Als sie dann auf die geheimnisvolle Cecile trifft, die sie darum bittet, für einige Wochen auf das Haus ihrer verstorbenen Mutter aufzupassen, nimmt das Unheil seinen Lauf und sie findet sich selbst in einem Thriller wieder.

    Psycho-Krimi meets Lesbian Romance.

    Inhalt

    Prolog

    Teil I

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Teil II

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Teil III

    Kapitel 10

    Epilog

    Prolog

    Freitag, 20.04.

    Telefonat mit Cecile – es geht ihr gut. Fühlt sich stabil.

    Kann besser schlafen, braucht aber weiterhin Tabletten.

    Arbeit: Neue Projekte laufen gut.

    C ist Softwareentwicklerin in Stralsund.

    Betreut eine App für Smartphones.

    In 2 Wochen beginnt ihre Therapie. »Endlich«, sagt sie.

    Hat sich von Carmen getrennt. »Nicht offen für eine Beziehung.« (C liebt Frauen).

    C meldet sich in 1 bis 2 Wochen wieder.

    Vielleicht bin ich dann schon tot?

    Noch zu tun:

    Brief an C schreiben

    Anwalt treffen: Mittwoch 25.04. um 14.30 Uhr in Stralsund. Dr. Lorenz. Brief abgeben.

    Notizen vernichten. Auch Tagebücher.

    Wohnung aufräumen, putzen.

    Es tun.

    Teil I

    Kapitel 1

    Ich sitze an einem der kleinen Rundtische, betrachte gedankenverloren die weißen Motorboote und beiße in die warme Backfischsemmel, dazu ein kühles Pils aus der Flasche. Das muss so sein, hier am Stralsunder Hafen, beim Imbiss Anjas Fischkutter, damit integriere ich mich bestens ins Gesamtbild. Wobei es hier keine Semmeln gibt, nur Brötchen, aber selbst an diesen Begriff habe ich mich mittlerweile gewöhnt. Inzwischen schaffe ich es, Semmel zu denken und Brötchen zu sagen, das ist mein Kompromiss, jedenfalls solange ich hier an der Ostsee verweile.

    »Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt« schrieb Wittgenstein, und ich gebe ihm recht. Blöd nur, wenn man nicht mal eine Welt hat, die es sich lohnt, in Sprache zu fassen. Aber den Jammer einer Schnulzenroman-Autorin mit Schreibblockade wollte Wittgenstein mit dem Satz sicher nicht thematisieren. Und auch nicht mein albernes Semmel-Brötchen-Problem. Ich blicke dumpf aufs träge, dunkelgrüne Wasser, spüre die kühle Meeresbrise, die mir über das Gesicht und durchs Haar streift, ziehe den Kragen meiner Jacke hoch und fühle mich wie ein Klischee im Klischee.

    »Prost, Helen May«, sage ich zu mir selbst. »Kein einziges Wort in drei Wochen.«

    Wobei das nicht ganz stimmt. Einige Notizen habe ich mir schon gemacht. Allerdings haben die nichts mit romantischer Liebe zu tun, sondern vielmehr mit aufreibendem Psychoterror. Mein Ziel ist es, einen schockierenden Thriller zu schreiben, noch dazu mit einer lesbischen Ermittlerin. Das weiß meine Verlegerin Erika natürlich nicht. Darf sie nicht wissen. Sonst dreht sie mir den Geldhahn ab. Ich spüle den letzten Bissen mit Bier hinunter. Erika wünscht sich den zwölften Roman in der immer gleichen Manier aus einer deprimierend begrenzten Hetero-Schmonzetten-Welt: Schöne, sehnsüchtige Frau trifft starken, abenteuerlichen Mann, es kommt zu Turbulenzen und schlussendlich zu der Frage: Kriegen sie sich – kriegen sie sich nicht? Dann, nach etwa dreihundert Seiten, kriegen sie sich natürlich doch, denn ein Happy End ist bei der May immer garantiert. Etwas Abwechslung bieten wenigstens die Schauplätze: Paris, Barcelona, Karibik, Kreuzfahrtschiff, Schwarzwald und nun eben Ostsee. Weil Letztere ja angeblich »in« ist. Sagt zumindest meine Verlegerin.

    Apropos, die muss ich noch zurückrufen. Sie hat heute schon zwei Mal versucht, mich zu erreichen, und ich habe sie immer weggedrückt. Jetzt ist ein passender Zeitpunkt, jetzt bin ich zumindest satt und spüre die wohlige Wirkung des Bieres. Ich hole das Handy aus meiner Handtasche, nehme einen großen Schluck Lübzer, dann wähle ich Erikas Nummer. Sie geht sofort ran.

    »Hallo Lena, endlich rufst du zurück! Na? Wie ist es an der Ostsee? Was macht die Muse?«

    Erika nennt mich natürlich stets bei meinem echten Namen: Lena Baumgartner. Meine Leser kennen mich als Helen May, aber sehr wahrscheinlich werde ich nie wieder als Helen May in Aktion treten. Das letzte Mal war vor zwei Jahren, als »Süße Träume« erschienen ist und ich einige Lesungen gegeben habe. Seither liegt die romantische May in einem tiefen Schlummer. Man könnte es auch Koma nennen.

    Ich antworte in gespielt lockerem Ton.

    »Stralsund und die Umgebung sind schön. Ich habe die Gegend ausführlich erkundet und viele Fotos gemacht, um die Eindrücke festzuhalten.«

    »Wunderbar. Und? Willst du mir schon mehr verraten? Wie wird dein neuer Roman? Wie weit bist du? Kannst du mir schon eine kurze Inhaltsangabe schicken?«

    Das war zu erwarten gewesen. Ich atme tief durch.

    »Erika, tut mir leid, dieses Mal dauert es etwas länger. Ich habe verschiedene Ideen, muss diese aber erst sortieren, bevor ich sie literarisch verarbeiten kann.« Das stimmt sogar. Wenn sie jedoch wüsste, welche Ideen das sind …

    »Du weißt, dass ich dir den Vorschuss erst auszahlen kann, wenn ich ein brauchbares Exposé auf dem Tisch habe?«

    Ich denke an die Kosten, die ich mir mit meinem Ausflug an die Ostsee eingehandelt habe. Der Vorschuss, den wir vereinbart hatten, sollte die Unterkunft und die Fahrkosten decken, das waren gut 2000 Euro. Wenn ich allerdings nicht liefere, gibt es auch nichts, dann habe ich hier nur Urlaub auf eigene Kosten gemacht.

    »Klar, weiß ich. Ich werde dir in den nächsten zwei bis drei Wochen ein ordentliches Exposé schicken, versprochen. Und das erste Kapitel des Romans.«

    Ein hohes Seufzen.

    »Du weißt, dass ich seit mehr als zwei Jahren keine neue Zeile mehr von dir gelesen habe? Du weißt auch, dass du bei mir unter Vertrag stehst und es vereinbart war, dass du mir noch innerhalb dieses Jahres ein komplettes Manuskript vorlegst?«

    Gierig leere ich das Pils. Ich spüre, wie meine Schläfen heiß werden und pochen.

    »Vielleicht brauche ich einfach noch etwas mehr Zeit«, murre ich. »Abseits von München und meinem Alltag dort. Drei Wochen Ostsee sind eben nicht viel.«

    »Den Luxus kannst du dir natürlich leisten, meine Liebe. Aber dann gibt’s auch kein Geld.«

    Erika ist eine Meisterin der spitzen Töne, sie bringt mich damit gern in Rage. Ich bin doch nicht deine Hure, denke ich grimmig, reiße mich aber zusammen. Zumindest halbwegs.

    »War’s das? Hast du gesagt, was du sagen wolltest? Dann ciao, Erika. Ich muss arbeiten. Du hörst von mir. Irgendwann.«

    Schnaubend lege ich auf. Hoffentlich hat sie wenigstens mein letztes Wort ein wenig geärgert.

    Ich lasse einen Moment lang meinen Blick über die trägen dunklen Wellen schweifen. Wie kam ich nur in diese Lage? Und wie komme ich da wieder raus? Die Antwort auf die erste Frage ist recht einfach: Nachdem sich mein lesbischer Debütroman nur mäßig verkauft hatte, habe ich die Story inhaltlich nur minimal verändert, mit Hetero-Charakteren umbesetzt und bei größeren Verlagen eingereicht. Erika griff zu, bot mir gute Konditionen. Seither kann ich vom Schreiben leben. Solange ich das gewünschte Schema biete und als lesbische Autorin alle ein bis zwei Jahre eine Hetero-Schnulze produziere und vor der Öffentlichkeit mein Privatleben verheimliche. In gewisser Weise bin ich also schon Erikas Hure, und das seit mittlerweile dreizehn Jahren. Die Antwort auf die zweite Frage hat mit Risiko eingehen und Mut zu tun, und der Suche nach neuer Inspiration. Jenseits von Liebesromanzen, denn davon bin ich komplett übersättigt, egal ob hetero oder lesbisch. Und vielleicht auch damit, dass ich mir neben dem Schreiben einen Job suchen muss, um über die Runden zu kommen.

    Wie wäre es mit noch einem Pils, um das Telefonat hinunterzuspülen? Na ja. Vielleicht. Erst mal eine Zigarette. Ich krame in meiner Jackentasche nach Tabak und Papers und beginne mir eine zu drehen, da höre ich plötzlich eine Stimme hinter mir.

    »Entschuldigen Sie, darf ich Sie kurz stören?«

    Ich drehe mich um. Vor mir steht eine große, schlanke Frau mit schwarzem Haar und schwarzem Mantel. Ihre Lippen sind blutrot und ihre Haut ist blass – fast wie bei Schneewittchen. Allerdings eine recht düstere Version dieser Märchenfigur, was Aura und Kleidung betrifft. Hübsch ist sie, das fällt mir gleich auf, aber es ist eine rätselhafte, irgendwie zerbrechliche Schönheit.

    »Klar«, sage ich und zünde meine Selbstgedrehte an.

    »Tut mir leid, dass ich Sie so überfalle, aber ich konnte nicht umhin, Ihr Gespräch mit anzuhören. Sie sind Schriftstellerin?«

    Ich nicke.

    »Ja, na ja. Jedenfalls habe ich ein paar Bücher geschrieben. Unter dem Namen Helen May.«

    Keine Ahnung, warum ich ihr meinen Autorennamen reindrücke. Besonders stolz bin ich nicht auf mein zweites Ich. Vielleicht, um die Fremde ein wenig zu testen. Kennt sie Helen May und liest deren Bücher? Spricht sie mich an, weil sie Schriftsteller allgemein spannend findet? Oder ist sie eine von denen, die auch Autorin werden will und mich um Tipps bittet? Das ist normalerweise die Voraussetzung für ein sehr ödes, langweiliges Gespräch.

    »Ich habe schon Romane von Ihnen in verschiedenen Buchläden gesehen«, erwidert sie. Mehr nicht. Nicht, ob sie sie gelesen hat, nicht, ob sie sie gelungen fand. Diese sachliche, ungekünstelte Reaktion gefällt mir. Doch was will diese Frau von mir?

    Sie scheint meine Verwirrung zu bemerken.

    »Besser, ich komme zum Thema. Ich habe Sie angesprochen, weil Sie vorhin am Telefon angedeutet haben, Sie würden gern noch länger in der Gegend bleiben.«

    Ich überlege kurz. »Das habe ich nur behauptet, um eine Ausrede zu haben. Keine Ahnung, ob ich das wirklich will. Morgen muss ich jedenfalls zurück nach München.«

    »Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, sollten Sie noch hierbleiben wollen. Kostenlos. Für sechs Wochen, vielleicht sogar acht?«

    Ich verschlucke mich am Rauch meiner Zigarette und huste.

    »Wow, das kommt etwas überraschend.«

    »Darf ich mich kurz zu Ihnen setzen?«

    »Wenn Sie möchten.«

    Was soll das denn werden? Ich mustere sie skeptisch und gespannt gleichermaßen. Welches Angebot hat sie mir zu machen?

    Die Unbekannte nimmt mir gegenüber Platz, ein Hauch ihres Parfums weht mir um die Nase. Es riecht gut, sehr gut sogar. Sie sieht mich mit ihren blauen Augen an.

    »Meine Mutter ist vor einer Woche gestorben. Sie hat ein Haus in Althof, das ist fünfzehn Kilometer von Stralsund entfernt. Ich muss ab übermorgen für einige Wochen in ein Krankenhaus.« Sie zögert kurz, wie, um Anlauf zu nehmen. »… also, in eine Therapie gehen. Und der Termin lässt sich nicht verschieben, ich warte schon ein halbes Jahr darauf. Nun kommt gerade alles zusammen, aber ich muss mich jetzt dringend um mich selbst kümmern. Ein Makler ist schon beauftragt, er hat das Haus bereits besichtigt, kümmert sich später um den Verkauf. Allerdings muss es vorher noch entrümpelt und vielleicht auch renoviert werden, darum kümmere ich mich … später. Vorerst wird es auch keine Besichtigungstermine geben. Aber es wäre trotzdem hilfreich, wenn in der Zwischenzeit jemand nach dem Garten sehen und das Haus sauber und ordentlich halten würde.«

    Sie blickt mich fragend an, aber ich glotze nur stumm und überfordert zurück, daher spricht sie nach einer kurzen Pause weiter: »Keine Sorge. Der Makler war vor wenigen Tagen im Haus und sagte, es sei in einem guten Zustand und auch gepflegt hinterlassen worden. Ich selbst war länger nicht dort, aber ich weiß, dass meine Mutter eine ordnungsliebende Frau war. Für ihre Dienste würde ich Sie kostenfrei wohnen lassen und Ihnen, sagen wir mal, 150 Euro pro Woche zusätzlich geben.«

    Ich versuche, das eben Gesagte zu verdauen. In meinem Kopf schwirren die Wörter Therapie, tote Mutter, Makler und wollen keinen sinnvollen Zusammenhang ergeben. Also schaue ich das mysteriöse Schneewittchen weiter schweigend an. Ihr Gesicht mit den hohen Wangenknochen wirkt ernst, ihre blauen Augen sehen mich abwartend an.

    Mein Kopf rattert und ich spreche das Erste aus, was mir in den Sinn kommt: »Mein Beileid wegen Ihrer Mutter. Aber kann nicht eine Nachbarin oder ein Nachbar nach dem Haus sehen? Oder jemand von ihrer Familie?«

    Ein Blitzen in ihren Augen. »Nein.«

    Ihr Blick im Zusammenhang mit dieser harschen Ablehnung erzeugt bei mir eine Gänsehaut. Mein Kopf ist ganz leer und wirr. Da mir wieder nichts einfällt, nehme ich einen tiefen Zug von der Zigarette und starre aufs Wasser. Leichter Nebel zieht auf. Wie passend.

    Ihre Stimme klingt nun wärmer. »Es ist nur ein kleines Haus und ein hübscher Garten. Sie werden nicht viel zu tun haben.«

    »Wann waren Sie zuletzt dort?«

    Die Fremde sieht nun auch aufs Meer und zögert einen Moment. »Vor knapp dreißig Jahren. Damals war ich neun.«

    Ich schlucke. »Haben Sie Ihre Mutter seither nicht mehr besucht?«

    Wieder Kälte in ihrer Stimme. Eine Abwehrhaltung.

    »Wir haben telefoniert.«

    Ich lasse mich von ihrer abweisenden Art nicht aufhalten. Wenn ich diesen Job annehmen soll, muss ich mehr wissen.

    »Warum waren Sie nicht mehr dort? Gab es Streit?«

    »Nein, es gab keinen Streit. Ich hatte in der letzten Zeit sogar ein recht gutes Verhältnis zu meiner Mutter.«

    »Woran ist sie denn gestorben?«

    Die rätselhafte Frau schickt ihren Blick erneut aufs Meer. Sie schweigt.

    Ich schweige zurück, sehe sie abwartend an. Oh ja, sie ist wirklich sehr schön und faszinierend, schießt es mir durch den Kopf. Gerade weil sie so merkwürdig und undurchschaubar ist. Noch dazu so eisig und im nächsten Moment so sanft … Wahnsinn, diese hohen Wangenknochen, dieser verklärte, irgendwie auch traurige und verlorene Blick! Normalerweise bin ich eine gute Menschenkennerin, aber aus diesem Schneewittchen werde ich nicht schlau. Sie trägt einen undurchdringlichen Schutzpanzer, wie mir scheint. Aber wovor will sie sich schützen? Was ist los mit dieser Frau? Was mag sie jetzt denken und fühlen? Ich wüsste es zu gern.

    »Na gut«, sagt sie schließlich in meine Gedanken hinein. »Ich verrate es Ihnen. Sie erfahren es ja ohnehin. Meine Mutter hat sehr wahrscheinlich Selbstmord begangen. Aber nun hören Sie bitte auf, mich zu löchern.«

    Da bleibt mir einen Moment die Luft weg und die Härchen an meinen Armen stellen sich auf. Die Mutter begeht Selbstmord – und das nur »sehr wahrscheinlich«. Was war es denn sonst? Doch nicht etwa Mord? Die Tochter muss nach deren Tod zur Therapie – und nun soll ich auf das Haus dieser Irren aufpassen?

    »Ich weiß, das muss sich alles sehr seltsam für Sie anhören«, fährt die Fremde nun in sanfterem Ton fort. »Aber könnten Sie sich trotzdem vorstellen, mein Angebot anzunehmen?«

    Ich bin kurz davor den Kopf zu schütteln.

    »Warum war es nur sehr wahrscheinlich Selbstmord? Was meinen Sie damit? Und wo ist sie gestorben? In ihrem Haus?«, will ich wissen.

    Schneewittchen seufzt. »Ist das wichtig?«

    Ich nicke. »Wenn ich in dem Haus eine Weile wohnen soll, ja.«

    Ihre feinen dunklen Augenbrauen ziehen sich leicht zusammen.

    »Also gut: Sie wurde mit Beruhigungsmitteln im Blut im Wasser des nahegelegenen Hafens gefunden. Ob ihr Ertrinken nun ein Unfall war oder ein Suizid, das ist noch unklar. Sie hat jedenfalls keinen Abschiedsbrief hinterlassen.«

    Wirklich beruhigend finde ich das nun nicht. Außerdem weiß ich ohnehin nicht, ob die Fremde mir die Wahrheit sagt. So ganz ohne weitere Informationen werde ich mich nicht anheuern lassen, egal wie hübsch, anziehend und interessant ich sie finde.

    »Und warum müssen Sie zur Therapie?«, frage ich deshalb.

    Dieses Mal zögert Schneewittchen nicht mit ihrer Antwort.

    »Ich leide unter einer Angststörung und Schlafproblemen. Der Tod meiner Mutter

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