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Pizza Girl
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eBook213 Seiten3 Stunden

Pizza Girl

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Über dieses E-Book

Jane ist achtzehn, schwanger und fährt in einem Vorort von Los Angeles mit dem uralten Ford Festiva ihres Vaters Pizza aus. Nicht dass sie bessere Pläne gehabt hätte für ihr Leben ... Nachts betäubt sie sich mit Werbesendungen und Bier in dem Schuppen, wo ihr Vater sich zu Tode getrunken hat. Die Vorfreude ihrer Mutter und ihres Freundes Billy auf das Baby lösen bei Jane nichts als Fluchtinstinkte aus, und auch die Fürsorge der beiden macht die Situation nicht besser. Als eines Tages eine Frau Salamipizza mit Gürkchen für ihren Sohn bestellt, gerät Janes Leben komplett aus den Fugen: Hals über Kopf verliebt sie sich in die deutlich ältere Jenny, die als Einzige ihre Nöte zu verstehen scheint. Aus Liebesphantasien entsteht eine regelrechte Besessenheit. Ein neues Schlupfloch, durch das Jane versucht, ihren Traumata und Zukunftsängsten zu entkommen, oder ihr einziger Weg, um zu sich selbst zu finden? Die herrlich schräge, komische und immer wieder überraschende Geschichte einer vorwitzigen jungen Frau, die kein Blatt vor den Mund nimmt - scharfsinnig und bewegend.
SpracheDeutsch
HerausgeberKampa Verlag
Erscheinungsdatum22. Feb. 2022
ISBN9783311703051
Pizza Girl
Autor

Jean Kyoung Frazier

Jean Kyoung Frazier, geboren 1993, wuchs als Tochter einer koreanischen Einwanderin in Torrance, Kalifornien auf. Schon als Kind war sie eine begeisterte Leserin. Auf der Highschool entwickelte sie eine Leidenschaft für Rap – und für Basketball, den sie als wichtige Inspiration für ihr Schreiben nennt. Nach der Schule begann Frazier ein Wirtschaftsstudium an der University of Southern California – das sie schrecklich unglücklich gemacht habe, wie sie sagt –, sattelte bald auf Englisch um und absolvierte nach ihrem Abschluss noch einen Master in Kreativem Schreiben an der Columbia University, New York. Heute lebt Frazier in L. A. 

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    Buchvorschau

    Pizza Girl - Jean Kyoung Frazier

    Meiner Familie, blutsverwandt und selbst gewählt

    1

    Ihr Name war Jenny Hauser, und jeden Mittwoch legte ich Gürkchen auf ihre Pizza.

    Zum ersten Mal rief sie Mitte Juni an, im Sommer 2011. Ich arbeitete seit über einem Monat bei Eddie’s. Das Poloshirt meiner Uniform war grün und orange und kratzte unter den Armen. Die Leute bedankten sich mit lauter Stimme und gaben mir dann einen Dollar Trinkgeld, am Ende meiner Schicht stanken meine Haare nach Knoblauch. Jede Stunde spielte ich mit dem Gedanken zu kündigen, aber ich war achtzehn, hatte keine Ahnung von gar nichts und war in der elften Woche schwanger.

    Zumindest saß ich nicht mehr nur zu Hause rum.

    An dem Morgen, als sie anrief, umarmte mich meine Mutter vier Mal, Billy fünf Mal, und das alles noch bevor ich meine Socken angezogen und Milch in mein Müsli gekippt hatte. Beide warfen mir ihr »Hab dich lieb« hinterher, während ich zur Vordertür nach draußen stürzte. An manchen Tagen wollte ich mich umdrehen und sie auch ganz fest drücken. An anderen wollte meine Faust in ihr Gesicht und ich nach Thailand, Hawaii, Myrtle Beach oder sonst wohin mit Sonne und Meer verschwinden.

    Ich danke Gott dafür, dass Darryls Freund eine Walgreens-Kassiererin gevögelt hat.

    Wenn Darryls Freund lieb und treu gewesen wäre und seinen Schwanz in seiner Hose behalten hätte, wäre ich an diesem Tag nicht ans Telefon gegangen. Darryl konnte sogar einen Baum in Smalltalk verwickeln, er hatte ein Lachen, bei dem sich Schultern entspannen. Normalerweise stand er hinter der Theke und ging ans Telefon, ich dagegen wartete nur auf die Adressen und fuhr die warmen Lieferkisten aus.

    Aber Darryls Freund hatte eine Quarterlife-Crisis. Ketchup schmeckte nicht mehr, wie es sollte, sein Jurastudium bereitete ihm Kopfschmerzen, nachts lag er wach neben dem Mann, den er liebte, zählte Schafe, zweihundertzwei, zweihundertdrei, zweihundertvier, und versuchte sich nicht die Frage zu stellen, die ihm seine Lieblingssoße ruiniert, seine Träume vermiest und Schlaf durch Schaf ersetzt hatte: Ist das alles? Eines Tages marschierte er zu Walgreens, um ein Päckchen Kaugummi zu kaufen, und wurde von einem Lächeln über zwei Doppel-D-Körbchen begrüßt. Am nächsten Tag verbrachte Darryl den Großteil seiner Schicht an der Bordsteinkante und brüllte ins Telefon. Die Vordertür stand weit offen, und ich versuchte vergebens, nicht zu lauschen.

    »Bei unserem ersten Date hast du mir gesagt, dass du allein schon bei dem Wort ›Muschi‹ das Gefühl kriegst, du brauchst eine Dusche.«

    Es war die ruhigste Zeit des Tages. Viertel nach drei. Zu spät fürs Mittagessen, zu früh fürs Abendessen, und für einen Nachmittagssnack ist Pizza zu schwer. Der Laden war abgesehen von mir und den drei Köchen leer. Sie winkten mir zu, wenn sie kamen und wenn sie gingen, und das war’s. Ich konnte nicht sagen, ob sie kein Englisch sprachen oder einfach nur nicht mit mir reden wollten.

    »Dir ist schon klar, dass du mir damit Walgreens versaut hast? Ab jetzt muss ich zehn Minuten länger fahren, zu CVS, um mir meine Twizzlers zu holen. Verdammt noch mal, du weißt doch, dass ich es keinen Tag aushalte ohne meine verdammten Twizzlers.«

    Ich saß an einem leeren Tisch, faltete Vögel und Sterne aus Papierservietten und hörte auf meinem iPod Musik in einer Lautstärke, bei der ich zwar noch denken konnte, aber nicht mehr so intensiv. Ich versuchte mich an den Namen des Jungen zu erinnern, mit dem ich mir in der ersten Klasse immer Cheetos geteilt habe. Hatte ich jemals die Tinte eines Füllers bis auf den letzten Tropfen aufgebraucht? Alle Schattierungen von Blau ließen in meiner Brust ein warmes Gefühl aufsteigen.

    Unser Boss, Peter, hielt um diese Uhrzeit sein Schläfchen. Jeden Tag schloss er zuverlässig um 15 Uhr seine Bürotür und bat uns, bitte, bitte keinen Mist zu bauen. Wir bauten nie irgendwelchen Mist. Wir kriegten aber auch nicht viel auf die Reihe. Ich starrte auf eine große Pfütze Orangenlimo am Boden und faltete einen Serviettenmann, den ich zwischen die Sterne und Vögel setzte.

    »Oh Gott, bitte sag mir, dass du ein Kondom benutzt hast.«

    Das Telefon klingelte. Ich wollte schon Darryl rufen, aber er fing an, etwas über Abtreibung zu brüllen.

    Es wäre eine Lüge zu behaupten, dass ich, wenn ich an diesen Augenblick zurückdenke, nicht seine Bedeutung spüre. Ich hätte es einfach klingeln lassen können – niemand hätte es je bemerkt. Das habe ich nicht getan. Ich sprang vom Tisch auf, ging zur Theke, nahm das Telefon ab und hörte ihre Stimme zum ersten Mal.

    »Ähm – hatten Sie schon mal so eine Woche, in der sich jeder Nachmittag endlos hinzuziehen scheint?« Ihre Stimme war schwer und zitterte leicht, es klang wie echte Verzweiflung. Bevor ich etwas antworten konnte, sprach die Frau weiter. »Man gießt die Pflanzen, kümmert sich um die Wäsche, macht dem Kind einen Snack, saugt den Teppich, liest ein paar Artikel, sieht ein wenig fern, ruft seine Mutter an, wäscht sich das Gesicht, macht vielleicht noch ein paar Übungen, damit das Blut in Wallung kommt, und dann schaut man auf die Uhr, und es sind dreizehn Minuten vergangen. Kennen Sie das?«

    Ich öffnete den Mund, aber sie redete weiter.

    »Und es ist erst Mittwoch! Ich bin verrückt, ich weiß. Ich bin verrückt. Aber wissen Sie, was ich meine?«

    Ich wartete ein paar Sekunden, um sicherzugehen, dass sie fertig war. Ihr Atem ging laut und mühsam.

    »Ähm, ja«, sagte ich. »Schätze schon.«

    »Ja! Also – helfen Sie mir?«

    Ich runzelte die Stirn und zerriss langsam einen alten Kassenzettel. »Ich glaube, Sie haben die falsche Nummer.«

    »Bin ich bei Eddie’s?«

    »Ja, sind Sie.«

    »Dann ist das genau die richtige Nummer. Sie sind der einzige Mensch, der mir helfen kann.«

    Ich weiß noch, dass ich schauderte. Ich wollte diese Frau in eine Decke hüllen, ihr eine heiße Schokolade machen und jedem eine reinhauen, der sie auch nur schief ansah. »Okay, was kann ich tun?«

    »Ich brauche eine große Pizza mit scharfer Salami und Gürkchen, sonst isst mein Sohn nichts.«

    »Ich kann eine große Pfeffersalami-Pizza liefern, aber Gürkchen haben wir leider nicht.«

    »Ich weiß. Niemand hier hat welche«, sagte sie. »Sie sind der sechste Laden, bei dem ich anrufe.«

    »Was möchten Sie dann haben?« Ich rieb mir den unteren Rücken. Aus unerfindlichen Gründen hatte er in den letzten Wochen immer wieder geschmerzt. Wahrscheinlich war das Baby dran schuld.

    »Wir sind erst vor einem Monat von North Dakota hierhergezogen. Mein Mann hat einen super Job angeboten bekommen, und wir finden es toll hier mit den ganzen Palmen und so, aber unser Sohn, Adam, hasst Los Angeles. Er vermisst sein Zuhause, seine Freunde und kommt mit seinem neuen Baseball-Coach nicht klar.« Sie seufzte.

    Sie fuhr fort: »Er ist in einen Hungerstreik getreten. Vor ein paar Tagen kam er zu mir und sagte: ›Mommy, ich esse keinen verdammten Bissen mehr, bis wir nicht wieder nach Bismarck zurückfahren.‹ Können Sie sich das vorstellen? Wer sagt denn so was? Wer ist schon gern in Bismarck? Und so ein schmutziges Mundwerk! Sieben Jahre alt, und schon redet er daher wie ein verdammter Seemann. Wo kommt das auf einmal her?«

    Ich war mir nicht sicher, ob sie von mir eine Antwort erwartete. Ich schaute auf die Uhr und merkte, dass ich schon über fünf Minuten telefonierte. Abgesehen von Mom und Billy hatte ich seit Wochen mit niemandem mehr so lange gesprochen. Vielleicht auch noch mit Darryl, aber irgendwie zählte das nicht.

    »Tut mir leid«, sagte ich, »aber ich habe immer noch nicht ganz verstanden, wie ich Ihnen helfen kann.«

    »Zu Hause gab es diesen Pizza-Dienst, der eine grandiose Salami-Gürkchen-Pizza hatte. Ich schwöre Ihnen, ich hab versucht, sie selber zu machen, habe einfach eine ganz normale Salami-Pizza bestellt und zu Hause Gürkchen draufgelegt. Er sagte, dass sie nicht richtig ist, und als ich ihn fragte, was daran nicht stimme, sagte er einfach nur immer wieder ›Die ist nicht richtig‹, jedes Mal lauter, und hörte nicht damit auf, bis ich brüllte: ›Okay, du hast recht! Sie ist nicht richtig!‹« Sie holte Luft. »Ich hab einfach nur gedacht, wenn ich ihm so eine Pizza besorgen könnte, etwas, das ihn an zu Hause erinnert, dann hätte dieser dämliche Hungerstreik vielleicht ein Ende und er könnte Los Angeles endlich gut finden.«

    Eine lange Pause folgte. Wäre da nicht dieses laute, mühsame Atmen gewesen, hätte ich gedacht, sie hatte aufgelegt.

    Als sie weitersprach, war ihre Stimme schwächer. Ich musste an Vögel mit gebrochenen Flügeln denken, an Glasvasen, so schön und hauchzart, dass ich kaum wagte, sie länger anzusehen. »Es fühlt sich einfach nur an, als würde ich in letzter Zeit ziemlich viel falsch machen«, sagte sie. »Noch nicht mal das Abendessen kriege ich richtig hin.«

    Ich musste an einen Abend vor zwei Jahren denken. Dad lebte noch, und wir waren zu Hause. Das Bears-Spiel hatte gerade begonnen. Er war noch nicht betrunken, aber bis zur Halbzeit hatte er mindestens einen Sixpack intus. An manchen Abenden war ich das Beste, was ihm im Leben passiert ist, sein ganzer Stolz, seine Freude; er redete oft davon, dass er uns Flugtickets nach New York kaufen und mit mir nach ganz oben aufs Empire State Building fahren wollte. An anderen Abenden war ich ein dummes Luder, die reinste Platzverschwendung; manchmal warf er seine leeren Dosen nach mir. Ich wollte gar nicht herausfinden, welche Art von Abend es diesmal war. Mein Zimmerfenster ging aufs Dach raus. Ich stieg hinaus, um draußen zu rauchen, und suchte den Himmel nach Sternen ab. Ich wollte mir gerade eine anzünden, als ich sah, wie unter mir Moms Auto in die Einfahrt einbog.

    Ich beobachtete, wie sie den Schlüssel aus der Zündung zog, das Licht ausmachte. Ich wartete darauf, dass sie ins Haus ging. Aber das tat sie nicht. Sie blieb im Auto sitzen, saß einfach nur da. Fünf Minuten vergingen, und sie saß immer noch da und starrte aus der Windschutzscheibe. Ich fragte mich, was sie anstarrte, ob sie wirklich etwas anstarrte oder ob sie nur nachdachte oder vielleicht versuchte, nicht nachzudenken, einfach nur einen Moment Ruhe wollte, in dem sich nichts bewegte oder wichtig war – hoffentlich hörte sie zumindest Musik. Sie saß da und starrte noch weitere zehn Minuten vor sich hin, ehe sie reinging.

    Ganz in der Nähe von Eddie’s gab es einen Supermarkt. Essiggurken waren billig. »Wie lautet Ihre Adresse?«, fragte ich.

    Die Köche warfen mir komische Blicke zu, als ich mit einer braunen Papiertüte in die Küche kam. Dass ich ein Glas mit Essiggurken daraus hervorzog, machte sie nur ein kleines bisschen weniger nervös.

    »Alles in Ordnung«, sagte ich. »Ich will nur einer Kundin helfen.«

    Sie starrten mich verständnislos an.

    »Ihr Kind isst nicht.«

    Schweigen.

    »Könnt ihr mir eine große mit scharfer Salami machen?«

    Sie sahen einander an, zuckten mit den Schultern und begannen den Teig auszuziehen. Ich schnitt ein paar Gürkchen in unregelmäßige Scheiben, quetschte mich zwischen die Köche und verteilte die Gürkchenscheiben über der Soße, dem Käse und der Wurst. Ich sagte mir, dass es nur so seltsam aussah, weil sie noch nicht gebacken war, aber auch die Köche schienen nicht zu wissen, was sie davon halten sollten. Einer schnupperte dran, der andere lachte, der Dritte starrte auf die Pizza und kratzte sich am Kopf. Schließlich zuckten sie wieder mit den Schultern und schoben die Pizza in den Ofen.

    Während ich wartete, spazierte ich aus der Küche nach vorne in den Laden. Darryl hatte aufgehört zu telefonieren und war wieder hinter der Theke, wo er sich Rum in einen Becher mit Limo kippte. Wir starrten uns einen Augenblick lang an. Seine Augen waren rot und geschwollen; sein Gesicht sah ohne das übliche Lächeln seltsam aus.

    Ich hustete, nur um etwas von mir zu geben. »Irgendwelche Anrufe?«

    »Nur einer«, sagte er. »Mittendrin fiel dem Typ ein, dass er lieber was vom Chinesen will, und er hat aufgelegt.«

    »Cool. Ich habe einen angenommen, während du – als du …«, ich hustete wieder. »Cool.«

    Ich wollte ihn schon fragen, ob alles okay sei, beschloss dann aber, stattdessen den Boden zu wischen. Bald würde Peter aufwachen, und dann brauchte es nicht viel, um ihn zum Brüllen zu bringen. Darryl nippte an seinem Drink und wischte die Theke.

    Ich putzte den halben Laden, ehe meine Gedanken davonwanderten. In meiner hinteren, linken Hosentasche befand sich ein kleines Stück Papier, auf dem eine Adresse und der Name Jenny Hauser gekritzelt war.

    »Ich bin übrigens Jenny. Jenny Hauser«, hatte sie gesagt, nachdem sie sich zum dritten Mal bedankt hatte. »Meine Großmutter hieß genauso. Ich kann mich nicht mehr besonders gut an sie erinnern, außer dass sie richtig guten Rhabarberkuchen gemacht hat.«

    Ich fand, sie klang zu alt für eine Jenny. Sie sollte eine Jen oder eine handfeste Jennifer sein – Jenny hatte einen Pferdeschwanz und aufgeschlagene Knie, aß ihre Erdnussbutter-Marmelade-Sandwiches lieber ohne Kruste, stritt mit ihrer Mom, entschuldigte sich aber jedes Mal, war noch nie wirklich verliebt, aber schwärmte für eine ganze Menge Typen aus ihrer Klasse oder Lehrer, die nett zu ihr waren, Jenny glaubte an Gott und Kenny Chesney – ich konnte gar nicht aufhören mir vorzustellen, wie sie aussah.

    »Hey«, rief Darryl. »Bestellung fertig.«

    Mein Dad hatte kein Geld, das er uns hätte hinterlassen können. Er hatte einen Ford Festiva, Baujahr 1999.

    Der Lack war ausgeblichen, die Fahrertür eingedellt, auf dem Rücksitz war ein verdächtiger gelber Fleck, die Klimaanlage hatte voll aufgedreht den Geist aufgegeben und blies jetzt immer eiskalte Luft durchs Auto, auch im Winter. Kurz gesagt, das Auto war totaler Schrott.

    Ich schlug Mom vor, es in Einzelteilen zu verhökern, um so viel rauszuschlagen, wie es ging. Sie schüttelte den Kopf und sagte, das könne sie nicht; sie wisse noch, wie er am ersten Tag damit nach Hause gekommen war. »Er sah so gut aus beim Aussteigen. Er hatte mir sogar Blumen mitgebracht«, sagte sie. »Sonnenblumen.« Daran erinnerte ich mich nicht. Ich wusste noch, dass er mir damit das Fahren beigebracht hatte. Er rauchte und trank aus seiner roten Thermoskanne. Wenn ich zu langsam fuhr oder vergaß, den Blinker zu setzen, schnippte er Asche auf mich. Einmal streifte ich ein Auto auf dem Parkplatz von Popeye und musste einen Monat lang jeden Sonntagabend seine Hemden bügeln und seine Schuhe putzen.

    Als Mom sich letztes Jahr ein neues Auto kaufte – einen gebrauchten Toyota Camry, Baujahr 2007, ganz ohne Dellen, Flecken oder kaputtes Radio, in einem schnittig schimmernden Silbergrau –, legte sie die Schlüssel für den Festiva auf meinen Nachttisch. Ich ließ das Auto eine Woche lang vor dem Haus stehen, ehe meine Willenskraft flöten ging.

    Ich fuhr den ganzen Tag damit herum, jeder Song klang super bei voller Lautstärke. Es war ein typischer Wintertag in Los Angeles – 21 Grad und wolkenlos. Durch die Windschutzscheibe sah alles frisch und sauber aus. Der volle Tank und die freie Straße ließen meine Zehen und Fingerspitzen kribbeln. An einer Ausfahrt verkaufte ein Mann Orangen. Ich kaufte vier Tüten und sang lauthals mit bei einem Lied über ein Mädchen und eine Ziege und Missoula, Montana.

    Das Radio lief nicht, als ich zum ersten Mal zu Jennys Haus fuhr. Meine Hände schwitzten am Lenkrad, und ich spürte dieses zugeschnürte Gefühl in der Brust, wie wenn ich manchmal zu viel Kaffee trank. Ich hatte seit über einer Woche keinen Kaffee getrunken. Billy sagte, das sei schlecht für das Baby und dass er kein kleines Baby mit zwölf Zehen wolle, das schlecht im Lesen war.

    Die Adresse befand sich in einem hübschen Teil der Stadt, wo alle Häuser groß und ähnlich aussahen, mit perfekt gemähtem Rasen davor. Ich passierte drei verschiedene Golden Retrievers, mit denen drei verschiedene Frauen in Trainingsanzügen Gassi gingen, ehe ich in ihre Einfahrt einbog. Erleichtert stellte ich fest, dass ihr Haus groß war, mich aber nicht stresste, weil es zu den kleineren im Block gehörte und ihr Rasen ein bisschen zu hoch und an einzelnen Stellen schon gelb war.

    Das zugeschnürte Gefühl nahm zu, als ich aus dem Auto stieg und zu ihrer Eingangstür ging. Plötzlich wusste ich wieder zu schätzen, wie gut ich mich normalerweise fühlte, ruhig und gefestigt, wie wenig mich aus der Fassung brachte, und dass ich immer aufrecht gehen und nach vorne schauen konnte. Drei Wochen zuvor hatte ich auf ein Stäbchen gepinkelt, und als mir ein kleines rosafarbenes Plus entgegenleuchtete, ging ich nach unten, machte den Kühlschrank auf, aß ein Eis und überlegte mir,

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