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Soziale Stadtpolitik in Berlin

2007, Soziale Stadtpolitik

Soziale Stadtpolitik in Berlin

Der Berliner Senat fasste am 30. März 1999 den Beschluss zur "Sozialorientierten Stadtentwicklung: Einrichtung von integrierten Stadtteilverfahren -Quartiersmanagement -in Gebieten mit besonderem Entwicklungsbedarf" (vgl. Abgeordnetenhaus von Berlin 1999c). Mit dieser Politik wird seither das Ziel verfolgt, "eine nachhaltige, soziale, wirtschaftliche, städtebauliche und ökologische Entwicklung durch integriertes Handeln und vernetzte Maßnahmen im Quartier zu bewirken" (vgl. ebd.: 2). Im Folgenden rekonstruiere ich den vorhergehenden Politikprozess und beschreibe, wie der Berliner Senat zu dieser Entscheidung kam. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen die beteiligten Akteure, ihre Handlungsorientierungen und die zur Begründung der Politik eingesetzten Diskurse. Die politische Entscheidung stellt sich dabei als Ergebnis eines Aushandlungsprozesses dar, in dem sich die Argumente aus der Konstatierung einer "Krise" der bestehenden politischen Ansätze, einer sozialräumlichen "Spaltung" der Stadt und daraus abgeleiteten Handlungserfordernissen speisten. 1 Zur Genese der Politik der "Sozialorientierten Stadtentwicklung" und des Quartiersmanagement-Ansatzes in Berlin existieren mindestens zwei Erzählungen, in denen sich die unterschiedlichen Verwaltungskulturen der Stadtentwicklungsplanung und der Stadterneuerung widerspie-1 Die Problemsicht wird besonders anschaulich im Titel des Buches "Berlin: von der geteilten zur gespaltenen Stadt" des Autorenduos Hartmut Häußermann und Andreas Kapphan, das sich wesentlich auf Ergebnisse der u.a. auch von den beiden verfassten Studie "Sozialorientierte Stadtentwicklung" für die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umwelt und Verkehr stützt (vgl. Häußermann/Kapphan 2000, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie Berlin 1998b).

geln. 2 Beide zeigen verschiedene Berührungspunkte mit den Politikprozessen auf europäischer und nationaler Ebene, durch die Mitarbeit der Landesvertreter in Gremien auf diesen Ebenen (insbesondere in der ARGEBAU) ebenso wie durch den Einsatz von Fördermitteln. Die längere der beiden Erzählungen, die Geschichte der "behutsamen Stadterneuerung", greift in die 1970er Jahre zurück und sieht in der Sanierung des Blocks 118 in Charlottenburg, den Strategien für Kreuzberg und dann in der Internationalen Bau-Ausstellung (IBA) die Geburt eines "Berliner Modells" der Stadterneuerung, als deren jüngste Ausprägung das Quartiersmanagement anzusehen sei. Dies ist die Geschichte eines bestimmten Aufgabenverständnisses der Stadterneuerung und eines Arbeitsstils der beteiligten Bezirks-und der Landesverwaltungen, weitere Stationen sind das sog. "25 Millionen Programm", das Programm der "Sozialen Stadterneuerung" und die (nie formalisierte) Strategie für Großsiedlungen in West und Ost. Der Ansatz der "behutsamen Stadterneuerung" gilt in dieser Erzählung als richtungsweisend und die mit den Jahren erfolgten Modifizierungen -letztlich auch der Quartiersmanagementansatz -als notwendige Anpassungen des Modells an veränderte Problemstellungen und Rahmenbedingungen. 3 Die zweite Erzählung ist vergleichsweise kurz und beginnt Anfang der 1990er Jahre. Ausgangspunkt waren hier explizit nicht Förderkulisse und Instrumentarium der Stadterneuerung. Vielmehr ging es um die Sondierung von Handlungsbedarf durch die Stadtentwicklungsplanung, um die Suche nach Indikatoren, mit denen die sozialräumliche Entwicklung der Stadt, Sozialstruktur und Wanderungen abgebildet werden können. 4 Es ging um eine Erweiterung der Berichterstattung zur Stadtentwicklung (Stadtentwicklungspläne) und um die Formulierung von Strategien zur Bearbeitung der beobachteten Problemlagen durch die Stadtplanungsverwaltung. Über die Vergabe von Gutachten wurde diese Son-2 Es ist durchaus möglich, dass sich noch weitere Erzählungen und Traditionslinien finden, je nach Perspektive des Betrachters. Diese beiden Versionen sind lediglich das Ergebnis meiner Recherche, die sich auf die unmittelbar an der Programmformulierung und -umsetzung beteiligten Politiknetzwerke bezieht. 3 Auf Senatsebene ist diese Geschichte eng mit Wolfgang Nagel (SPD) verbunden, der in den 1970er Jahren in der BVV Charlottenburg saß, später ins Berliner Abgeordnetenhaus wechselte und von 1989 -1995 Bausenator war. 4 Dies deutete sich schon bei einem 1990 vom damaligen Stadtentwicklungssenator Hassemer veranstalteten Symposium "Metropole Berlin: mehr als Markt!" an, bei dem u.a. Hartmut Häußermann und Walter Siebel einen viel beachteten und diskutierten Grundsatzbeitrag "Bausteine zu einem Szenario der Entwicklung von Berlin" hielten (vgl. Häußermann/ Siebel 1990).

dierung vorgenommen, ein Berichtssystem wurde entwickelt und Handlungsvorschläge formuliert, bei denen Beispiele aus anderen Bundesländern und Städten zur Stärkung und Legitimierung der eigenen Argumente herangezogen wurden. 5 Um Stadterneuerung und Stadtentwicklungsplanung hatten sich indes über die Jahrzehnte hinweg zwei distinkte Politikfeldnetzwerke mit jeweils spezifischen Handlungsorientierungen formiert, die miteinander in einem gewissen Konkurrenzverhältnis standen, das in der Phase der Politikformulierung zu einer sozialen Stadtentwicklungspolitik durch die politische Leitung des jeweiligen Hauses noch verstärkt wurde. 6 In den Jahren 1997 und 1998 trafen die beiden Erzählungen in einer politischen Auseinandersetzung der beiden "Häuser" -der nach einem Tausch nun CDU-geführten Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr (Stadterneuerung) und der SPD-geführten Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umwelt und Technologie (Stadtentwicklungsplanung)und ihrer jeweiligen Policy Communities aufeinander. 7 Im Sommer 1998 verabredeten die beiden Senatoren Klemann (CDU) und Strieder (SPD) die Formulierung einer gemeinsamen Senatsvorlage, in der diese beiden Diskurse zusammengeführt wurden. Dieses Dokument bildete die Grundlage für einen Beschluss zur Einsetzung integrierter Stadtteilverfahren (Quartiersmanagement), den der Senat am 30. März 1999 fasste und damit den Weg ebnete für die Installierung von zunächst 15 Pilotvorhaben. 8 Den Weg zum Programm zeichne ich im Folgenden in zwei Schritten nach. Zunächst rekonstruiere ich den "Vorlauf", die Mitte der 1990er 5 Auf Senatsebene ist diese Geschichte mit Volker Hassemer (CDU) und später Peter Strieder (SPD) verbunden. Dieser Zusammenhang wird in den folgenden Abschnitten erläutert. 6 Das "Konkurrenzverhältnis" wurde mir von den Referatsleitern des Referats IA ("Strategen"; Interview am 21.9.2004) und des Referats 4B ("Erneuerer"; Interview am 25.8.2004) der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sowie in zahlreichen informellen Gesprächen mit Akteuren aus beiden "Communities" bestätigt. Ein wichtiges Datum ist die Senatsumbildung 1984, bei der es Volker Hassemer (CDU) gelang, die "entwickelnden" und die "schützenden" Kompetenzen aus der Bauverwaltung herauszulösen und in ein eigenes Ressort zu überführen (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz (vgl. hierzu Altrock 2001: 112).

Hassemer wechselte dann in das Kulturressort, kam jedoch 1990 in der Großen Koalition aus CDU und SPD unter Eberhard Diepgen wieder als Stadtentwicklungssenator zurück. Zu dieser Zeit war Wolfgang Nagel (SPD) Bausenator. 7 In der Großen Koalition 1990-1995 war das Bauressort von der SPD geführt (Nagel) und das Stadtentwicklungsressort von der CDU (Hassemer). 8 Die ersten Verfahren waren allerdings schon vorab in Erwartung des entsprechenden Beschlusses, Ende 1998, eingesetzt worden. (Schlusche 1997, zitiert in Schilling 2003.

Zur Durchführung der Bauausstellung wurde eine eigenständige GmbH gegründet, in die Senator Ristock seinen Planungsreferenten Günter Fuderholz sandte. 9 Mit ihr wurde, wie der Politikwissenschaftler Matthias Bernt beobachtet, "außerhalb des bestehenden Interessenblocks von Bauverwaltung und Sanierungsträgern ein neues Machtzentrum geschaffen, das die blockierte Interessenkoalition aufbrechen und den ‚gordischen' Problemknoten der Sanierung zerschlagen sollte" (Bernt 2001: 42f). Schließlich führten 1980/81 die sogenannten Instandbesetzungen zu politischen Erschütterungen und der Durchsetzung der "behutsamen Stadterneuerung" (vgl. Dieser 1983: 124ff, Bodenschatz 1987. Mit der "Elitenschmiede IBA" (Bernt 2001: 74) und den in erster Linie von Fuderholz formulierten sogenannten "12 Grundsätzen" stellte die "behutsame Stadterneuerung" die Akteure sowie eine wichtige Handlungsorientierung und wurde somit als Leitbild zur zentralen Policy-Institution der Stadterneuerung in Berlin. Ein Großteil der Akteure der Berliner Stadterneuerungsszene lernte sein Handwerk im Umfeld der IBA, so einerseits die in den 1990er Jahren für Bauen und Stadtplanung zuständigen Senatoren und Staatsekretäre, und zum anderen die späteren Geschäftsführer der Sanierungsträger, Mieterberatungen und die Vertreter von lokalen Initiativgruppen:

"Ehemalige ‚Macher' der behutsamen Stadterneuerung sind heute in Positionen, die von Mieterberatung über Grundstücksentwicklung bis Gesetzgebung wohl das ganze Spektrum der zur Stadterneuerung gehörenden Tätigkeiten abdeckt" (ebd.: 77).

Die "Rettung Kreuzbergs" wurde für die Policy Community zum "gemeinsamen generationenbildenden Erlebnis" (ebd.: 75). Die "Grundsätze" stellten den gemeinsamen normativen Bezugspunkt dar, ein Prinzipiengefüge, das man im politischen Kampf gegen die "Kahlschlagsanierer" durchgesetzt hatte. Kern der "Grundsätze" und der "Behutsamkeit" sind das Prinzip der Erhaltung des baulichen Bestands sowie die Orientierung an den Bedürfnissen der Bewohner und ein inkrementelles, kleinteiliges Vorgehen (vgl. Bernt 2001: 48ff;Häußermann et al. 9 Günter Fuderholz war in der IBA Koordinator für die Arbeitsgruppe Kottbusser Tor und wurde später Abteilungsleiter in der Senatsverwaltung für Bauen und Wohnen (vgl. Bodenschatz 1987: 209, Bernt 2001.

2002: 23ff). 10 In einem Gespräch mit dem "Erfinder der behutsamen Stadterneuerung", wie Hardt-Walther Hämer sich dort selbst bezeichnet, und weiteren Protagonisten der Stadterneuerungsszene, hat Rudolf Schilling versucht, den Begriff der "Behutsamkeit" zu bestimmen: "In einem engen Kreis", so Hämer selbst, sei der Begriff der "Behutsamkeit" gewählt worden, weil "in dem Stolpern von ‚be-hut-sam' die allfällig erwarteten Schwierigkeiten und Störungen mitklangen" (Hämer, zitiert in Schilling 2003: 208).

10 Als Politik der kleinen Schritte erinnert die "Behutsamkeit" an das "Muddling Through", wie es Lindblom (1959) beschrieben hat. Dieses Prinzip sickerte seit den 1970er Jahren auch in die deutschsprachige Planungstheorie und wurde später von Karl Ganser für die Internationale Bauausstellung IBA Emscherpark zum "perspektivischen Inkrementalismus" weiterentwickelt (vgl. Albers 2004).

Abbildung 3: Die 12 Grundsätze der "behutsamen Stadterneuerung" (Quelle: Bodenschatz 1987: 207) Mit dem Mauerfall stellten sich der Stadterneuerung dann neue Aufgaben: "Zentrumsumbau" und "Entwicklungsmaßnahmen am Innenstadtrand und in der städtischen Peripherie" (AGSEB 1994: 11). Zugleich traten neue Akteure auf -private Investoren und Bundesbehörden nahmen eine offensive Rolle ein, die öffentliche Hand agierte eher "passiv, nachtrabend" und Bürgerinitiativen waren auf dem "Rückzug" (ebd.: 11). Diese neue Situation spiegelte sich in der Anpassung der "Grundsätze" wider. Öffentliche Mittel, so wurde angesichts des dramatischen Sanierungsbedarfs entschieden, sollten nur noch für öffentliches Eigentum eingesetzt werden (vgl. Abgeordnetenhaus von Berlin 2003: 4). Die im August 1993 vom Senat beschlossenen "Leitsätze zur Stadterneuerung" markierten das Ende der "staatlichen Veranstaltung" und erklärten die "Privatisierung der Stadterneuerung [...] zum ‚unabwendbaren' Kern der neuen Sanierungsstrategie" (Bernt 2001: 137): Die "Leitsätze" waren widersprüchlich, indem sie einerseits wesentliche Ziele der "Grundsätze" beibehielten -Schutz vor Verdrängung, Beteiligung -zugleich aber in zentralen Punkten wie der Rolle privater Investoren klar mit dem alten Modell brachen (Bernt 2001: 136, vgl. auch Häußermann et al. 2002. Die Rede von der "Behutsamkeit" wurde angesichts dieser Verschiebung schon im Laufe der 1980er Jahre, aber deutlich mit den neuen Leitsätzen 1993, zu einem "leeren Signifikanten" (Laclau/ Mouffe 1991), einem Leitbild, das "für alles und nichts" herangezogen werden konnte (Bernt 2001: 74). Dieser Wandel ging mit einer begrifflichen Verschiebung einher: Das Kernprogramm der Stadterneuerung in den förmlich festgesetzten Sanierungsgebieten in den 1990er Jahren wurde nicht mehr als "behutsame Stadterneuerung", sondern als "soziale Stadterneuerung" bezeichnet (vgl. Abgeordnetenhaus von Berlin 2003). Großplattensiedlungen" (IV C 55) und die Arbeitsgruppe "Städtebauliche Weiterentwicklung der Großsiedlungen" (IV E 3) im Referat "Wohnungsbau in der Stadtplanung". Nach dem Beschluss zu den integrierten Stadtteilverfahren/Quartiersmanagement wurde die Arbeitsgruppe IV E 3 im Jahr 2000 auch mit der Koordinierung der Quartiersmanagementverfahren und -gebiete betraut und als eigenständiges Referat "Soziale Stadt" (IV B) ausgegliedert. Leiterin des Referats wurde Monica Schümer-Strucksberg, die seit Anfang der 1990er Jahre für die Strategieentwicklung für die Großsiedlungen in Ostberlin zuständig gewesen war. 12 Aus dieser Linie der Stadterneuerung heraus hat der "integrierte Ansatz" wie er der Quartiersmanagement-Politik zugrunde liegt, mit dem Prinzip der "Behutsamkeit" eine über zwei Jahrzehnte zurückreichende Tradition. Der Bezugspunkt der Stadterneuerung hat sich im Laufe der Jahre von Wohnung und Haus auf das Umfeld (Wohnumfeldmaßnahmen) und schließlich auf das "Quartier" ausgeweitet, und auch die Sanierungskulisse hat sich auf Altbau -und Neubaugebiete ausgedehnt. War die "behutsame Stadterneuerung" eine "im Prinzip auf das einzelne Grundstück und Gebäude bezogene Konzeption" (Frick 1993, zitiert in Schilling 2003, erscheinen somit Quartiersmanagement und "integrierte Stadtteilverfahren" als eine konsequente Weiterentwicklung und Erweiterung dieses etablierten Pfades in das "Quartier" als neue Bezugsgröße. Diese Linie zeigt sich nicht nur konzeptionell, sondern auch personell und in den Selbstbeschreibungen der beteiligten Akteure. 13

Stadtentwicklungsplanung: Von der "Stadtentwicklung sozial" zur "Sozialorientierten Stadtentwicklung"

Während sich der Handlungsbereich der Stadterneuerung auf die Stabilisierung und/oder Aufwertung einzelner Quartiere mit dem Instrumentarium der Städtebauförderung bezieht, geht es in der Stadtentwicklungsplanung um strategische Überlegungen für die Entwicklung der Gesamtstadt (vgl. Albers 1995: 882 1995: 44). "Bei der Definition von Problemgebieten, inclusive der Gebiete, die einen problematischen Wandel erfahren", so wurde ergänzt, "spielen die sozio-ökonomische Situation der Bevölkerung, die demografische Entwicklung, das Niveau der Wohnungsversorgung und die Nutzungs-wie Baustruktur eine zentrale Rolle" (ebd.: 44).

In der Folge wurde ein zweites Gutachten, eine "Pilotstudie Lichtenberg" erarbeitet, in der das vorgeschlagene Indikatorenset auf seine Aussagekraft hin überprüft wurde (Häußermann/Kapphan 1996). Aufbauend auf einer Analyse der sozialräumlichen Entwicklung des Gebietes wurden in diesem Bericht zwei Gebietstypen identifiziert, die als problematisch eingestuft wurden und "in vergleichbarer Form wahrscheinlich in allen Ost-Berliner Bezirken auftreten" (ebd.: 64): "Plattenbaugebiete, in denen eine selektive Mobilität eingesetzt hat" sowie "Altbaugebiete, in denen zwar planungsrechtliche Instrumentarien zum ‚Schutz' der Bewohner angewendet werden, wo aber der Mangel an öffentlicher Förderung und zögerliche Privatinvestitionen die zukünftige Entwicklung als schutz und Technologie Berlin, Referat II C, "Sektorale Entwicklungsplanung, Entwicklungsstrategien" erschienen (vgl. Sozialorientierte Stadtentwicklungdas "Häußermann-Gutachten"

Anlass und Ziel des Gutachtens

Im Vorwort des Gutachtens skizzierte der 1996 in das Amt gewechselte Senator für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie, Peter Strieder, als Auftraggeber der Studie die Konturen des Strukturwandels in Berlin. Er beobachtete eine Gleichzeitigkeit von Wachstum vor allem im Dienstleistungsbereich mit einem Abbau von Arbeitsplätzen, Arbeitslosigkeit und wachsender Armut (Strieder 1998: 6). Daher müsse die Stadt "sich dringend mit den typischen Großstadtphänomenen befassen" (ebd.: 6). Die stadtpolitischen Herausforderungen waren für ihn klar:

18 Im Folgenden werde ich mich an dieser informellen Bezeichnung orientieren. Dies geschieht nicht in der Absicht, den Beitrag der Mitverfasser zu schmälern. Vielmehr geht es darum, das Gutachten in seiner Gesamtheit, einschließlich seiner Entstehungsgeschichte und auch seiner Rezeption im Politikprozess, die eng an diesen Namen und die mit ihm verbundene Reputation geknüpft ist, zu verstehen.

"Die Fehler einer Gießkannenpolitik der Vergangenheit sollen durch quartiersorientierte Problemlösungen vermieden werden" (ebd.: 7). 19

Julian Wékel, damaliger Abteilungsleiter für Stadtplanung, Stadtentwicklung und Gestaltung, stellte in seinen einleitenden Worten zu dem Gutachten den Zusammenhang zur wachstumsorientierten Stadtentwicklungspolitik Berlins in den Jahren nach der Wende her. Zur Abfederung negativer Begleiterscheinungen beispielsweise von Großprojekten, müssten "planungsrechtliche Schutzinstrumente" entwickelt werden (Wékel 1998: 8). Vor diesem Hintergrund nannte er drei zentrale Fragestellungen des Gutachtens: Die stadtpolitische Intervention sollte dabei, so die Gutachter, als "Qualitätspolitik" verstanden werden und sich durch "Querschnittsorientierung und Partnerschaftlichkeit, Gebietsbezug", einen konkreten Projektbezug und einen mehrdimensionalen Zuschnitt von Maßnahmen auszeichnen (ebd.: 16). Eine solche "Qualitätspolitik", so das Gutachten, sei "in der internationalen Diskussion" als Forderung Allgemeingut geworden. In der Formulierung von Handlungsempfehlungen bezogen sich die Gutachter dabei explizit auf Ansätze aus dem europäischen Ausland sowie aus Hamburg und aus Nordrhein-Westfalen. Dieser Vergleich war ihnen möglich, da sie die sozialen Entmischungstendenzen in Berlin als typische Großstadtprobleme definierten und im Kontext "Europäischer Entwicklungstendenzen" diskutierten (ebd.: 74). Die Vorstellung der europäischen Beispiele bediente sich insbesondere bei den Arbeiten des Netzwerks "Quartiers en Crise" (vgl. Froessler et al. 1994a, Froessler 1994b. Die Vorschläge für stadtpolitische Interventionen speisten sich somit sowohl aus der Betrachtung der konkreten lokalen Handlungsnotwendigkeiten sowie aus einer Orientierung an Beispielen in anderen, als ähnlich angesehenen, Städten und Zusammenhängen. Die bestehenden Berliner Beispiele wurden dahingegen jedoch weitgehend ausgeblendet. Die Vorschläge wurden als "Strategien urbaner Integration" zusammengefasst. Als Elemente einer solchen Strategie für Berlin wurden in dem Gutachten genannt:

• "Bremsen des Rückgangs von Belegungsbindungen bei Wohnungen und Kauf zusätzlicher Bindungen, um weitere Entmischungsprozesse zu vermeiden; Einführung unternehmensbezogener und räumlich differenzierter Belegungsbindungen, um die fatale räumliche Konzentration in einzelnen Quartieren oder Gebäuden zu vermeiden";

• "Umstellung der Städtebauförderung von einer Dominanz baulichinvestiver Maßnahmen auf eine Verknüpfung mit Maßnahmen zur Qualifizierung, Arbeitsplatzbeschaffung und qurtiersbezogenen Wirtschaftsförderung"; • "Aufbau lokaler Kooperationsrunden unter Beteiligung von Arbeitsamt, Hochschulen, Privatwirtschaft, Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, Schulen: ‚Lokale Partnerschaften'";

• "Initiierung von Stadtteilmanagement unter Einsatz intermediärer Organisationen zur Erarbeitung von gebietsbezogenen Konzepten, zur Bewohnerbeteiligung und -aktivierung, Vernetzung und Kooperation lokaler Akteure";

• "Einbindung der Privatwirtschaft z.B. in Form des ‚Corporate Community Involvement'" (vgl. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie Berlin 1998b: 17).

Kernstück dieser Strategie war sicherlich das Quartiers-bzw. Stadtteilmanagement, das jedoch nicht losgelöst von den begleitenden Maßnahmen, sondern nur als ein Baustein dieser Strategie gedacht war. Als konkrete Aufgaben eines Stadtteilmanagements wurden genannt:

• "Erarbeitung eines gebietsbezogenen Konzepts in Zusammenarbeit mit den lokalen Projekten, der Kooperationsrunde und dem Beirat; Organisation der Kooperationsrunden";

• "Unterstützung bei der Konzeptionierung von Projekten, mit Antragshilfen; Vorbereiten der Projektanträge für den Beirat und die ressortübergreifende Arbeitsgruppe, Organisation der Zusammenarbeit und des Erfahrungsaustausches unter Projekten vor Ort";

• "Aufbau eines quartiersbezogenen Informationssystems; Akquise von zusätzlichen Fördermöglichkeiten (z.B. EU-Mittel)";

• "Initiierung von ‚Community Corporate Involvement'";

• "Bewohneraktivierung" (vgl. ebd.: 82).

Als Vorgehensweise wurden Modellprojekte vorgeschlagen, die auf den Prinzipien Partnerschaftlichkeit, Vernetzung und Selbstorganisation beruhen (ebd.: 80). Dabei wurde explizit auch auf vorhandene, ähnlich gelagerte Erfahrungen in Berlin verwiesen, die reaktiviert werden könnten:

"Gerade in Berlin gibt es aus den strategischen Diskussionen der 70er und 80er Jahre über den Umgang mit sanierungsbedürftigen Altbaugebieten einen Erfahrungsfundus, der jetzt -neben neuen Ansätzen -wieder genutzt werden kann" (ebd.: 80).

Diese Einschätzung unterstreicht den irritierenden Eindruck, den das Gutachten in seinem Empfehlungsteil auf Akteure der Stadterneuerungsszene machen musste, indem es eine Diskontinuität suggeriert und auf die 70er und 80er Jahre, also eine abgeschlossene Vergangenheit verweist, die "reaktiviert" werden könne. Dahingegen waren die genannten Punkte in den 1990er Jahren in den Großsiedlungs-Beiratsverfahren und in den Sanierungsverfahren in der Praxis durchaus schon üblich.

Für ein Organisationsmodell machte das Gutachten folgende Vorschläge:

• Auf Senatsebene sollte eine "ressortübergreifende Arbeitsgruppe" eingerichtet werden, dazu wurde

• die "gemeinschaftliche Förderung" durch "Bündelung, Regionalisierung und Flexibilisierung" der Förderung empfohlen sowie • der "Aufbau eines zentralen Stadtbeobachtungssystems zur Früherkennung von problematischen Entwicklungen" (vgl. ebd.: 82). Das Gutachten verwies darauf, dass für unterschiedliche Gebietstypen je unterschiedliche Entwicklungen zu verzeichnen und die Empfehlungen für jeden Typ gesondert zu formulieren waren (ebd.: 84). Für die innerstädtischen Altbaugebiete im Ostteil wurde ein "zweiseitiger Steuerungsbedarf" ausgemacht, der sowohl die "Verbesserung von Wohnqualität, Infrastruktur und Wohnumfeld" einschloss, um weitere Fortzüge zu bremsen, gleichzeitig aber auch Verdrängung vorbeugen sollte, beispielsweise durch §172 BauGB (Milieuschutz) (ebd.: 84). Für die Wohnkomplexe im Westteil wurde auf die Steuerungswirkung von Belegungsbindungen verwiesen, die dort verstärkt zum Tragen kommt, für die Großwohnsiedlungen im Ostteil wurden weitere Wohnumfeldverbesserungen, Teilprivatisierungen und vor allem das Organisieren des Zusammenlebens verschiedener Kulturen empfohlen.

Mit dieser Darstellung der Empfehlungen möchte ich die Stoßrichtung der Studie illustrieren: Auf die unterschiedlichen Entwicklungen in den verschiedenen Teilgebieten Berlins muss mit jeweils unterschiedlichen, sensibel aus den konkreten Bedarfen abgeleiteten Instrumenten reagiert werden, die jedoch in jedem Falle ressortübergreifend zu organisieren sind. Zudem war den Gutachtern die gesamtstädtische Perspektive sehr wichtig. 22 An verschiedenen Stellen wurde darauf verwiesen, dass die Ursachen der lokalen Problemkumulationen nicht auf der lokalen Ebene liegen und damit Ansätze in den Quartieren selbst nur einer von mehreren Bausteinen einer Strategie urbaner Integration sein können, die in ein breiteres Konzept zur Bekämpfung städtischer Armut und Exklusion eingebettet sein müsse (vgl. ebd.: 72, 73, 79, 80). Die Gutachter verwiesen auch auf die Langfristigkeit der Problemstellungen und schlugen eine Ausrichtung auf etwa zehn Jahre vor (ebd.: 17).

Reaktionen

Die Ergebnisse des Gutachtens wurden vom damaligen Senator für Stadtentwicklung, Peter Strieder, im März 1998 in Form einer Pressekonferenz (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie Berlin 1998a) und im November 1998 im Berliner Stadtforum der Öffentlichkeit vorgestellt, nachdem sie schon Monate vorher in die Presse gelangt waren und das Jahr durch eine "bisher nicht gekannte medienöffentliche Debatte über Armut, Kriminalität und so genannte soziale Brennpunkte" geprägt war (Fritsche 2003: 22, vgl. auch Schmidtke 2001. Das Gutachten war in der Fachöffentlichkeit viel Lob aber auch heftiger Kritik ausgesetzt, die sich insbesondere an den methodischen Ansatz und an die Problemdeutung richtete. Dem analytischen Teil der Studie wurde insbesondere vorgeworfen, methodisch unsauber zu sein und den Aspekt der Wanderung zu stark zu betonen. 23 Zum einen sei die Wanderung aus der spezifischen Nachwendesituation zu erklären und kein anhaltender Trend (nachholende Suburbanisierung), zum anderen öffne diese Betonung einer verdrängenden Gentrifizierung Tür und Tor. Für diese Methodenkritik seien hier zwei Beispiele genannt:

"Die Überinterpretation von selektiven Wanderungen kann leider auch politisch missbraucht werden: Die Stadtregierung kann die Ergebnisse dieser Studie dahingehend interpretieren, dass eine Politik zur Vermeidung von Bewohnerverdrängung in den citynahen Innenstadtbezirken Ostberlins nicht angebracht sei […]. In diesem Kontext mehren sich die Zeichen, dass in Berlin die Instrumentarien, welche Bewohnerverdrängung verhindern bzw. verzögern sollten, zunehmend widerwillig eingesetzt oder aufgeweicht werden" (Krätke/ Borst 2000, 280).

" […] werden in der Beschreibung der Probleme die eigentlichen Zusammenhänge zwischen Kapital, Markt und Stadtraum systematisch ausgeblendet, die Rolle der Politik nicht einmal thematisiert" (Baumert 1998: o.S.).

Zwischenresümee

Mit der Stadterneuerung und der Stadtentwicklungsplanung bestehen in Berlin zwei Policy Communities, die mit ihrer jeweiligen Lesart der Vorgeschichte zur Formulierung der sozialorientierten Stadtentwicklung Ende der 1990er Jahre eigene Diskurskoalitionen ausbildeten: Der Interpretation als eine Weiterentwicklung der "behutsamen Stadterneuerung" stand die Deutung als eine neue Politik, die auf neue Handlungserfordernisse reagiert, entgegen. Während sich die Stadterneuerung innerhalb von Förderkulissen, die im Wesentlichen auf baulichen Kriterien beruhten, um einen integrierten Ansatz bemühte, ging es der Stadtentwicklungsplanung bei der Beauftragung der drei Gutachten in erster Linie um die Suche nach neuen Kulissen, die sich auf andere Indikatoren, nämlich Tendenzen einer sozialräumlichen Entwicklung, stützen sollten. In der Forderung nach einem integrierten und partizipativen Verfahren in der Quartiersentwicklung waren sich beide Perspektiven einig. Dissens bestand darin, dass die einen (Stadterneuerer) dies aus ihrer bisherigen Praxis heraus begründeten, während die anderen (Stadtentwicklungsplaner) den Ansatz aus einer neuen Aufgabenstellung ableiteten und sich gegen die "Übernahme" eines neuen Handlungsfeldes durch die bestehende Praxis verwehrten. Die Balancierung dieser Positionen war Gegenstand der politischen Auseinandersetzungen im Sommer 1998, in der die taktischen Manöver des damaligen Senators für Stadtentwicklung, Peter Strieder -mit seiner langjährigen Erfahrung in der Kreuzberger Stadterneuerung -geradezu den Charakter eines "Vatermords" annahmen: ein Kreuzzug gegen die Stadterneuerung, um deren wesentliche Handlungsprinzipien neu zu legitimieren.

Bedeutend erscheint mir vor allem der Zusammenhang zwischen den beiden konkurrierenden Sichtweisen und der Parteienlandschaft bzw. der Aufteilung der Fachressorts auf Senatsebene. Die Abspaltung der Stadtentwicklungsplanung vom Ressort Bauen, Wohnen und Stadterneuerung (1985) war ein Koalitionshandel aufgrund der Mehrheiten im Abgeordnetenhaus. Daraus ergab sich einerseits die (wieder) wachsende Bedeutung der Stadterneuerung innerhalb des Bauressorts. Zugleich führte diese Trennung zu einer Nichtberücksichtigung der inhaltlichen Weiterentwicklung der Stadterneuerung seitens der Stadtentwicklungsplanung und zu einer Informationsblockade zwischen den Ressorts, die von unterschiedlichen Parteien geführt wurden. 24 In der großen Koalition 1990- (Tagesspiegel vom 9.3.1998). Spätestens hier war klar: Die Politik musste und wollte auf die "Spaltung der Stadt" reagieren, Probleme und Lösungsangebote lagenvor-und aufbereitet in den Verwaltungen -auf dem Tisch, und zudem bereiteten sich die Parteien allmählich auf den Wahlkampf 1999 vor. 29 Mit der Thematisierung der sozialräumlichen Probleme war ein "Perspektivenwechsel" vollzogen, "weg von den Urbaniten, hin zur sozialen Realität der ‚Problembezirke'" (vgl. Rada 1999). 30

Thematisierung und Inszenierung (1998): Die Innenstadt-Konferenzen

Veranlasst durch die Ergebnisse des Häußermann-Gutachtens und des Sozialstrukturatlasses sowie durch die alarmierende Berichterstattung in den Medien fanden im Frühjahr 1998 zwei Arbeitstreffen des Berliner Senats statt, bei denen ausgehend von der vielschichtigen bestehenden Förderlandschaft "ressortübergreifend praktische Ansätze für Problemlösungen" diskutiert wurden. Auf Initiative von Eberhard Diepgen (CDU), der sich als Regierender Bürgermeister auch des Themas annehmen wollte, wurde daraufhin vom Senat eine Reihe von sog. Innenstadtkonferenzen angeregt, bei denen es darum ging, "anstelle abstrakttheoretischer Erörterungen anhand konkreter örtlicher und sachlicher Als Ergebnis wurde in dem Bericht für eine gesamtstädtische Strategie "Urbane Integration" folgende Empfehlung ausgesprochen:

"Im Sinne einer gesamtstädtischen Strategie zur Entschärfung sozialer Konflikte besonders belasteter Stadtquartiere sind die einzelnen Programme und Maßnahmen mit ihren jeweils unterschiedlichen Reichweiten so zu verknüpfen, dass sie für den Einsatz in lokalen, besonders benachteiligten Stadtquartieren ganz oder zumindest teilweise nutzbar gemacht werden können" (ebd.: 7).

Hierzu sollten sowohl auf Bezirks-wie auf Landesebene die sektoral organisierten Fachverwaltungen um "integrative, ressortübergreifende Verfahrensregelungen" und "kooperative Handlungsansätze mit einem ganzheitlichen Blick auf komplexe Problemkonstellationen" ergänzt werden. Auf bezirklicher Ebene wurde eine engere ämterübergreifende Zusammenarbeit gefordert, auf gesamtstädtischer Ebene wurden ebenfalls prozessbegleitende Strukturen vorgeschlagen. Hier wurde die Verstetigung der Lenkungsgruppe "Soziale Stadt/Soziale Stadtentwicklung" ebenso empfohlen wie die Fortführung der ressortübergreifenden Arbeitsgruppe "Urbane Integration". Zusammenfassend wurde folgendes Plädoyer formuliert: "Im Übrigen gilt es namentlich für die Verwaltung, diesen neuen Kooperationsstil weiter zu entwickeln […]. Es geht dabei letztlich auch um das Prinzip einer ‚lernenden Verwaltung' als Grundlage zur Lösung hochkomplexer Problemlagen" (ebd.: 8).

Ein zusätzlicher konsumtiver sozialstruktureller Interventionsfonds wurde auch im Abschlussbericht genannt. Gleichzeitig wurde jedoch auf Erörterungen der Lenkungsgruppe "Soziale Stadt/Soziale Stadtentwicklung" auf Staatssekretärsebene am 20.03.01 verwiesen, wo dieser zwar als "zielführend", jedoch als "finanziell und haushaltsmäßig nicht realisierbar" beurteilt worden war.

Mit diesem Bericht war die Arbeitsgrundlage der AG "Urbane Integration" zunächst beendet. Im Fortlauf gab es noch zwei Arbeitstreffen, auf denen eine Reihe von Themen ermittelt wurde, zu denen ämterübergreifende Workshops hätten durchgeführt werden können. Gleichzeitig war die Arbeitsgruppe jedoch faktisch identisch mit einer sog. "Vorbereitungsrunde" für die Lenkungsgruppe Soziale Stadt/Soziale Stadtentwicklung auf Staatssekretärsebene, die im März 2000 zur Begleitung der zwischenzeitlich eingerichteten Quartiersverfahren ins Leben gerufen worden war. Der einzige Unterschied der ansonsten in Personalunion existierenden Gruppen bestand darin, dass in der Vorbereitungsrunde die Federführung bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung lag, da die damalige Staatssekretärin für Stadtentwicklung auch die Lenkungsgruppe einberief, während der Vorsitz der AG Urbane Integration bislang bei der Sozialverwaltung für Soziales gelegen hatte. 33 Da man sich in der Vorbereitungsrunde "ohnehin traf" und für die AG "ohne Programm keine Geschäftsgrundlage mehr bestand", ist ihre Arbeit seit 2002 faktisch eingestellt, durch den regelmäßigen Austausch als Vorbereitungsrunde jedoch prinzipiell "reaktivierbar". 34 Im Herbst 1998 wurde ebenfalls innerhalb der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung -in der "strategischen" Abteilung, Referat IA -an den Empfehlungen des Häußermann-Gutachtens weitergearbeitet und eine Senatsvorlage erstellt zur "Einrichtung von integrierten Stadtteilverfahren". Dabei orientierte sich die vorbereitende Abteilung eng an den Erfahrungen des Hamburger Armutsbekämpfungsprogramms. 36 Zusammen mit den Ergebnissen der ersten Stufe der AG Urbane Integration wurde dieser Bericht am 2. August 1999 dem Abgeordnetenhaus zur Kenntnis gegeben. In diesem Bericht wurden 15 Gebiete benannt, in denen als Pilotvorhaben seit dem Winter 1998/99 schrittweise ein Quartiersmanagement eingeführt wurde, und die Organisationsstruktur und Verfahrensgrundsätze der integrierten Stadtteilverfahren beschrieben. Als Zielstellung von Quartiersmanagement wurde "eine nachhaltige, soziale, wirtschaftliche, städtebauliche und ökologische Entwicklung durch integriertes Handeln und vernetze Maßnahmen im Quartier" formuliert. Aufgaben des Quartiersmanagement sind Stadtteilkoordination, Bewohneraktivierung, Projektinitiierung und Mitwirkung an der Erfolgskontrolle (vgl. Abgeordnetenhaus von Berlin 1999c).

35 Das Konzept der "Urbanen Integration" erinnert an Überlegungen zu einer integrierten Planung, wie sie schon in den 1970er Jahren diskutiert wurden, jedoch nicht zur Umsetzung kamen ("Rahmenprogramm für benachteiligte Bezirke zur Verbesserung der Lebensverhältnisse", vgl. (1998)(1999) Die unterschiedlichen Gutachten und die öffentliche Diskussion über sozialräumliche Polarisierung in Berlin veranlassten alle politischen Parteien im Sommer und Herbst 1998 zur Formulierung von stadtpolitischen Ansätzen und Anträgen. Die SPD beschloss beispielsweise am 7.11.1998 auf einem Landesparteitag das auch als "Strieder-Papier" bezeichnete Konzept "In Nachbarschaft leben, wohnen und arbeiten" und die CDU veranlasste die Innenstadtkonferenzen. Das "Strieder-Papier" basierte im Wesentlichen auf den Ergebnissen des "Häußermann-Gutachtens". Gefordert wurde eine "neue Qualität der Stadtplanung und Stadtentwicklung", d.h. ressortübergreifende Zusammenarbeit im Verwaltungshandeln und die Einrichtung von Quartiersmanagement in "Gebieten mit besonderem Entwicklungsbedarf" (SPD Berlin 1998: 4). Das Papier verwies auch auf die zeitgleich entwickelte soziale Stadtpolitik auf Bundesebene:

Programmformulierung in den politischen Parteien

"Finanzieller und organisatorischer Bestandteil ist auch das im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung vorgesehene Programm ‚Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf'. Die Fachbehörden sind zu verpflichten, sämtliche Maßnahmen zur Quartiersentwicklung besonders zu berücksichtigen, Mittel sind verstärkt in den Gebieten mit besonderem Handlungsbedarf einzusetzen und die Bündelung und Koordinierung aller Maßnahmen ist zu gewährleisten" (ebd.: 4).

Unter dem Titel "Auf gute Nachbarschaft -Quartiersmanagement als lokale Aufgabe" wurde ein Ziel der Quartierspolitik -soziale Integration -besonders betont: Um dieses Ziel zu erreichen, müsse vor allem das Verwaltungshandeln geändert werden und stärker auf Kooperation setzen:

"Die Entwicklung der Quartiere zeigt, dass allein Verwaltungshandeln nicht mehr in der Lage ist, soziale Ausgrenzung von Gebieten zu verhindern. Im Gegensatz zur Stellvertreterpolitik der 80iger Jahre wollen wir die Menschen selbst für ihr Gebiet interessieren und sie befähigen ihre Interessen selbst in die Hand zu nehmen" (ebd.: 6).

Bemerkenswert an dieser Forderung ist die Ausblendung der stadtpolitischen Entwicklungen in den 1990er Jahren, wie sie Strieder auch in seiner Funktion als Senator zu verantworten hatte.

Auch die Opposition reagierte: Die GRÜNEN formulierten "Handlungsstrategien für eine solidarische und soziale Stadt" (Abgeordnetenhaus von Berlin 1998a), die PDS stellte einen Antrag "Soziale und zukunftsfähige Metropole" (Abgeordnetenhaus von Berlin 1999a) und einen weiteren Antrag "Soziale Stadtentwicklung -statt Quartiersmanagement von oben Stadtteilkoordination in lokaler Verantwortung" (Abgeordnetenhaus von Berlin 1999b). Die verschiedenen Strategien waren sich in der Situationsdeutung durchaus ähnlich; sie unterschieden sich vor allem in den stadtpolitischen Rezepturen. 37 Den GRÜNEN und der PDS gingen dabei die SPD-Überlegungen nicht weit genug, sie forderten einen gesamtstädtischen Ansatz, der über eine Politik für einzelne Stadtteile hinauszugehen hätte. Beide teilten grundsätzlich die Erkenntnisse des Häußermann-Gutachtens, forderten aber eine konsequentere Umsetzung.

So hieß es etwa bei den GRÜNEN:

"Die bisherigen Bemühungen des Berliner Senats, den problemhaften Entwicklungen einiger Stadtbezirke und Quartiere mit einem nachhaltigen Konzept zu begegnen, reichen nicht aus. Sie greifen auch nur sehr beschränkt die konzeptionellen Empfehlungen der von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in Auftrag gegebenen ‚Studie zur sozialen Stadtentwicklung' auf. Um höchstmögliche Synergieeffekte bei Fördermaßnahmen zu erzielen, müssten alle Senatsverwaltungen verbindlich miteinander kooperieren" (Abgeordnetenhaus von Berlin 1998a: 2). Der Unterschied zur Regierungslinie lag vor allem im hartnäckigen Einfordern einer verbindlichen Kooperation der verschiedenen Fachverwaltungen:

"Wenn Nägel mit Köpfen gemacht werden sollen, muß damit begonnen werden, ein integriertes Handlungskonzept aus der Kleinteiligkeit der Stadtteile über das verantwortliche Bezirksamt bis hin zur gesamtstädtischen Verantwortung des Senats zu spannen, anstatt wie der Senat halbherzig und unkoordiniert vor sich hin zu wursteln" (ebd.: 2).

In einer im März 1999 veröffentlichten Broschüre illustrierten die GRÜNEN ihr Modell mit zwei Beispielen: dem "System ‚Pfefferwerk'" als ein erfolgreiches gemeinwirtschaftliches Projekt und der Lokalen Partnerschaft Wedding als einem erfolgreichen "Bündnis für Beschäftigung, Lebensqualität und sozialen Zusammenhalt" (vgl. Fraktion Bündnis 90/Die GRÜNEN im Abgeordnetenhaus von Berlin 1999).

Die PDS formulierte ähnlich:

"Um sozialräumliche Konflikte in der Stadt abzubauen, reichen lokale Strategien für Problemquartiere nicht aus. Notwendig ist eine soziale Ausrichtung der Stadtpolitik insgesamt mit dem Ziel einer stadtweiten sozialen Stabilisierung" (Abgeordnetenhaus von Berlin 1999a: 1).

In einem solchen flächendeckenden Konzept sollten nach Ansicht der PDS die Bezirke eine wesentlich stärkere Position einnehmen:

"Voraussetzung ist die Organisation eines demokratischen Diskussions-und Beteiligungsprozesses, in dem die Bezirke deutlich höhere Kompetenzen erhalten und verbindliche Vereinbarungen, z.B. über lokale Partnerschaften getroffen werden" (ebd.: 2).

In Bei aller Einigkeit in der Kritik an der zu kurz greifenden Herangehensweise der Regierung unterschieden sich die Alternativkonzepte vor allem hinsichtlich der Rolle der Bezirke, in Bezug auf die Abschaffung von Erhaltungssatzungen und Belegungsbindungen sowie hinsichtlich der Privatisierung von städtischen Unternehmen. Mit Blick auf die geforderte Stärkung der Bezirke ist anzumerken, dass beide genannten Oppositionsparteien, die GRÜNEN und die PDS, in verschiedenen Bezirken in der Verantwortung standen und in den eingesetzten Verfahren wesentliche Mitspieler waren. Die GRÜNEN etwa hatten in Kreuzberg bzw. später im Doppelbezirk Friedrichshain-Kreuzberg des Ressort für Bauen und Stadterneuerung inne (Schulz), die PDS stellte in Lichtenberg den Bürgermeister. In beiden Fällen gestaltete sich verschiedenen Beobachtern zufolge in der Umsetzung (integrierte Stadtteilverfahren Kottbusser Tor und Wrangelkiez in Kreuzberg, integrierte Steuerungsverfahren in den Großsiedlungen) nicht nur die Zusammenarbeit mit der Senatsebene sondern gerade auch die Ämterkoordination auf bezirklicher Ebene sowie die Zusammenarbeit mit den Bewohnern in den Gremien in den ersten Jahren äußerst zäh. 39

Soziale Stadtentwicklung als Teil der Berliner Stadtpolitik im Jahr 1999

Das Ergebnis all dieser Diskussionen und Formulierungen in den Fachverwaltungen, in der Politik und in der Öffentlichkeit war das vom Berliner Senat im März 1999 beschlossene Programm zur Sozialorientierten Stadtentwicklung, das auf drei Säulen aufbaute: auf einem "Monitoring Soziale Stadtentwicklung", dem in zunächst 15, ab 2002 dann in 17 Gebieten eingerichteten Quartiersmanagement und einer ressortübergreifenden Steuerungsrunde der Staatssekretäre. Das Programm wurde zunächst in Form von dreijährigen Pilotvorhaben umgesetzt, die begleitend evaluiert wurden. In dieser Kombination eines strategischen und eines operativen Arms mit einer kooperativen Steuerungsstruktur (auf Ebene der Senatsverwaltung ist Abteilung I -Stadtentwicklungsplanung -zuständig für das Monitoring, Abteilung IV -Stadterneuerung -für das Quartiersmanagement) äußerte sich der Einfluß der beiden Policy Communities der "Erneuerer" und der "Strategen" auf die Politikgestaltung.

39 Diese Einschätzung geht aus mehreren Gesprächen mit Monica Schümer-Strucksberg hervor (29.5.2003, 25.08.2004, 27.5.2005 Die Ausführungen im Koalitionsvertrag vom Herbst 1999 zeigen, dass zu diesem Zeitpunkt das Programm "Sozialorientierte Stadtentwicklung" das Herzstück eines umfassenderen Diskurses über die "soziale Stadt Berlin" bildete. In den folgenden Jahren sollte die "Strategie einer sozialen Stadtentwicklung" weiterentwickelt werden, indem sowohl der operative Teil, das Quartiersmanagement, als auch das Stadtraum-Monitoring zunächst als "Piloten" getestet und ihr Wirkungsgrad ausgewertet wurde. Der Politikprozess bekam auf diese Weise mit neuen Akteuren, Instrumenten und aus dem "Praxistest" gewonnenen Erkenntnissen, eine neue Dynamik, die später zu einer "strategischen Neuausrichtung" des Ansatzes führen sollte. Mit dieser Phase beschäftige ich mich in Kapitel 6. Zuvor möchte ich noch einmal resümmierend auf den bis hier dargestellten Weg zum Senatsbeschluss im Sommer 1999 zurückblicken.

P o l i c y-M a k i n g u n d I n s t i t u t i o n a l i s i e r u n g d e r s o z i a l e n S t a d t p o l i t i k i n B e r l i n

Der Programmentwurf der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie und der Beschluss des Berliner Senats vom 30.3.1999 waren die Reaktion auf eine Krisensituation, wie sie Gutachten und Medien in den Jahren 1997-1999 insbesondere für die Berliner Innenstadtgebiete gezeichnet hatten. Die verschiedenen Veröffentlichungen stellten einerseits "disruptive events" dar, die eine Positionierung der Akteure in den Politikfeldern Stadterneuerung und Stadtentwicklung provozierten, zugleich öffneten der durch sie markierte Handlungsdruck und die parallelen politischen Bewegungen auf Bundesebene (Regierungswechsel im Herbst 1998, Bund-Länder-Programm "Soziale Stadt") ein "policy window", das politisches Handeln legitimierte. Als breit über Notwendigkeit und Konturen einer sozialen Stadtpolitik diskutiert und gestritten wurde, war die Politikgestaltung in den Senatsverwaltungen von den "Erneuerern" und den "Strategen" schon vorbereitet. Mit der "Behutsamkeit" lag ein Leitbild vor, das sich als Handlungsorientierung für die Politikgestaltung anbot. Da allerdings geboten war, sich von der bisherigen Praxis abzugrenzen, wie Senator Strieder schon im Vorwort zum Häußermann-Gutachten erläuterte, wurde mit dem Quartiersmanagement eine noch unbesetzte Vokabel eingeführt, in der Bewährtes und Neues zu einem neuen Ansatz zusammengebunden werden konnten. Das politische und öffentliche Agenda-Setting in dieser Phase zeichnete sich aus durch eine besondere Betonung der selektiven Migration ("Abstimmung mit dem Umzugswagen") in Verbindung mit einer Ethnisierung der Beobachtungen. Dies lässt sich nachvollziehen, wenn man den breiteren stadtpolitischen Diskurs in den Jahren davor einbezieht, in dem die Metropolenträume Berlins noch nicht enttäuscht waren und große Hoffnungen auf "neue Urbaniten" (kaufkräftige Schichten mit urbanem Lebensstil) gesetzt worden waren, die nun nicht oder nicht in dem gewünschten Maße dem Ruf der Politik folgten (vgl. hierzu die Beiträge in Scharenberg 2000). Diese "Krise" musste erklärt werden, und dazu lieferte vor allem das Häußermann-Gutachten die Argumente: Die demographische Entwicklung, der Wandel auf dem Arbeitsmarkt, die zunehmende Privatisierung und Eigentumsorientierung in der Wohnungspolitik und vor allem die nachholende Suburbanisierung führten, so das Gutachten, zu "einer Verstärkung der sozialen Segregation" und im "Extremfall" zur "Herausbildung von Gebieten, in denen sich die sozial, kulturell und ökonomisch diskriminierten bzw. marginalisierten Bevölkerungsgruppen konzentrieren" (Senatsverwaltung für Stadtent-wicklung, Umweltschutz und Technologie Berlin 1998b: 23ff). Diese "segregierten Gebiete" wirkten sich, so die Argumentation, nicht nur negativ auf die verbleibende Bevölkerung aus 40 , sondern ebenso auf Hauseigentümer und Investoren, die sich aus diesen Gebieten zurückzögen. 41 Aus dieser Begründung heraus verstand der damalige Stadtentwicklungssenator Strieder "Soziale Stadt als Standortfaktor", als "Markenzeichen moderner Urbanität" (Strieder 2000: 4). Die Situation erforderte in seinen Augen ein politisches Umdenken. Deutlich grenzte er daher den gewählten Weg von bisheriger Politik ab, wie folgende Passage illustriert:

"Dem Begriff der ‚Sozialen Stadt' haftet bei flüchtiger Betrachtung etwas scheinbar Altertümliches an. Mancher vermutet staatliche Betreuungsapparate, eine ‚Rundum-Versorgung' der Bürger, denkt hierzulande an die vielen Investitionsprogramme, die im alten (West-)Berlin Beschäftigung sichern und die Lebensqualität verbessern sollten. Wer heute von ‚sozialer Stadt' spricht, dem verbietet sich allein wegen der angespannten Finanzlage ein Anknüpfen an die Tradition der fast grenzenlosen Subventionierung vergangener Jahrzehnte" (ebd.: 5). 42 40 Die "segregierten Gebiete" wirken "objektiv und subjektiv" auf die Bewohner ein, so die im Häußermann-Gutachten ausformulierte Kontexttheorie: "Wenn sich die soziale Umgebung weitgehend ebenfalls aus Menschen zusammensetzt, die am Rande der Gesellschaft leben, werden Selbstzweifel und negative Selbstbilder verstärkt, was -zusammen mit der objektiven Knappheit materieller Mittel -die ‚innere Kündigung' gegenüber der Gesellschaft wahrscheinlich macht. Alkoholabhängigkeit ist eine häufige Konsequenz. Diese Entwicklung kann zum Verlust von Maßstäben für ein sozial verträgliches Verhalten und damit zu dauerhaften Konflikte mit den Nachbarn führen, in denen die Betroffenen -wenn es sich um Migranten handelt -oft noch die Ursache ihres eigenen Elends sehen […] Objektiv werden die Möglichkeiten zu einem abwechslungsreichen Alltag, der auch kleine Chancen einer informellen Erwerbstätigkeit bietet, geringer, je homogener die Bewohnerschaft des Wohnquartiers ist und je einseitiger die Funktionen in einem Quartier sind" (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie Berlin 1998b: 25). 41 In den Worten der Gutachter: "Die soziale Mischung der Gebietsbevölkerung ist auch deshalb ein relevanter Entwicklungsfaktor für die Stadt, weil davon das Investitionsverhalten der Privateigentümer beeinflusst wird." (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie Berlin 1998b: 25). 42 Das Zitat geht weiter: "Ohne Geld wird es auch künftig keine sozial verantwortete Gebietsentwicklung geben. Und Berlin hat gerade hier wesentliche Vorleistungen erbracht. Die Milliardeninvestitionen in die Modernisierung der Infrastruktur und in die Sanierung der Wohnungen im Ostteil der Stadt sind einerseits Beispiele für zukunftsorientierte Investitionen. Andererseits werden sie auf lange Sicht die letzten staatlich finanzierten Großprojekte der Stadtentwicklung gewesen sein" (Strieder 2000: 5).

Ein solcher Politikwechsel, das notwendige "Umdenken", zeigt sich als Story-Line sowohl im politischen Diskurs, wie etwa im "Strieder-Papier", als auch in den Äußerungen der Policy Community "Stadtentwicklung", wenn etwa der damalige Abteilungsleiter Julian Wékel die Aufgabe sah, "Rahmenbedingungen für eine sozial ausgeglichene, zukunftsfähige, eine ‚sozialorientierte' Stadtentwicklung neu zu formulieren" (Wékel 1998: 9). 43 Aus dieser Perspektive war die "Sozialorientierte Stadtpolitik" der Versuch einer bewussten Pfadkreation, einer neuen Form der Stadtentwicklungsplanung. Dass sich bei aller Abkehr die Tradition der "behutsamen Stadterneuerung" in der Politik niederschlägt, zeigt sich jedoch nicht nur in der Auswahl der Verfahrensträger (siehe Kap. 6), sondern ebenso im Selbstverständnis des zuständigen Referats IVB. So wird beispielsweise schon im ersten Satz des Web-Auftritts des Referats auf die Verankerung der Politik in der Programmatik der Stadterneuerung hingewiesen. Dort heißt es:

"‚Soziale Stadt', das bedeutet eine Fortführung der Stadterneuerungsprogrammatik mit den Schwerpunkten • einer integrierten Vorgehensweise, • der Bündelung von städtebaulichen, wohnungspolitischen, sozialen und wirtschaftspolitischen Instrumenten und • der Vernetzung von öffentlichen, wirtschaftlichen und privaten Akteuren" (vgl. www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/quartiersmanagement/de/ einleitung.shtml, konsultiert am 11.11.2005).

In dieser Darstellung wird das Programm "Soziale Stadt" in die Tradition der "behutsamen" bzw. "sozialen" Stadterneuerung und der Großsiedlungspolitik gestellt. Diese Perspektive legt damit eher eine Einschätzung der Politik als Pfaderweiterung nahe. Die Gleichzeitigkeit beider Sicht-weisen und deren Vereinbarkeit in der Praxis verweisen auf das Geschick der Policy Entrepreneurs als "boundary spanners": Soziale Stadtpolitik ist ein "shared space" (Garud/Karnoe 2001b: 16 unter Verweis auf Callon 1986 und Callon 1992), ein interorganisationales Feld (Scott 2001), in dem sich Stadterneuerung und Stadtentwicklungsplanung treffen und jeweils die Urheberschaft für sich beanspruchen können. Dies bestätigt auch theoretische Überlegungen, wie sie etwa Kingdon angestellt hat -dass im Politikprozess eine neue Kombination 43 Wékel fährt fort: "Es wird nachzuweisen sein, in welchem Ausmaß sich der bisherige Handlungsrahmen vor allem baulich orientierter Stadterneuerung und räumlich nicht differenzierter Fachpolitiken hierdurch erweitern lässt" (Wékel 1998: 9).

bestehender Elemente oftmals erfolgreicher ist als die Einführung gänzlich neuer Ideen:

"In the process of policy development, recombination (the coupling of already-familiar elements) is more important than mutation (the appearance of wholly new forms). Thus entrepreneurs, who broker people and ideas, are more important than inventors [...] Because recombination is more important than invention, there may be ‚no new things under the sun' at the same time that there may be dramatic change and innovation. There is change, but it involves the recombination of already-familiar elements" (Kingdon 1995: 201).

Mit der Etikettierung als "Quartiersmanagement" gelang es Strieder zudem, die Policy "schön einzukleiden" (vgl. Windhoff-Heritier 1987: 72) und sie gegen andere Modelle durchzusetzen. 44 Das vorläufige Scheitern der Vorschläge der Arbeitsgruppe Urbane Integration zeigt, dass weiterreichende Konzepte noch nicht die ausreichende Mobilisierungskraft hatten, auch andere Fachpolitiken für eine integrierte Quartierspolitik zu gewinnen. 45 Die Arbeit der AG Urbane Integration lässt sich als "alternative specification" (Kingdon 1995) lesen, als Hintergrundarbeit im Policy-Stream, auf die im weiteren Politikprozess zurückgegriffen werden kann, die aber zugleich zur Abgrenzung der letztlich durchgesetzten Policy dient. Die signifikante Ausweitung der Gebietskulisse nach der Pilotphase und die zugleich vorgenommene Differenzierung der Interventionsintensität aufgrund der Ergebnisse des fortgeschriebenen Stadt-Monitoring kann als ein Indiz dafür angesehen werden, dass mittelfristig eine Durchsetzung des dort schon diskutierten stadtweiten Ansatzes durchaus möglich ist (siehe Kap. 6). Die Umsetzung des Senatsbeschlusses in 17 Pilotprojekten steht im Mittelpunkt des folgenden Kapitels. Dabei geht es in erster Linie darum, wie die beteiligten Akteure im "shared space" der sozialen Stadtpolitik ihren jeweiligen Interpretationsspielraum in der Konkretisierung der Programmvorgaben ausfüllen. Es lassen sich unterschiedliche handlungsleitenden Orientierungen der "Strategen" und der "Erneuerer" identifizieren, die in diesem Prozess aufeinandertreffen. Dies wird deutlich in den drei zentralen Konstruktionen zur Umsetzung der Politik: den 44 Allerdings konnte Strieder "sein" Programm auch nicht vollständig durchsetzen -die ressortübergreifende Kooperation auf Landesebene und die Mittelbündelung unterschiedlicher Ressorts gelang ihm nicht. Der Beiname "Strieder-Programm" gefährdete zudem die langfristige (vor allem die parteiübergreifende) Akzeptanz des Ansatzes. 45 Hier liegt eine Parallelität zur Bundesebene, wo sich die Beteiligung der Ressorts für Bildung, Wirtschaft, Beschäftigung etc. nicht oder nur ansatzweise einstellte (vgl. Kap. 4).