Soz iale Sta dtpolitik in Berlin
Der Berliner Senat fasste am 30. März 1999 den Beschluss zur „Sozialorientierten Stadtentwicklung: Einrichtung von integrierten Stadtteilverfahren – Quartiersmanagement – in Gebieten mit besonderem Entwicklungsbedarf“ (vgl. Abgeordnetenhaus von Berlin 1999c). Mit dieser Politik wird seither das Ziel verfolgt, „eine nachhaltige, soziale, wirtschaftliche, städtebauliche und ökologische Entwicklung durch integriertes
Handeln und vernetzte Maßnahmen im Quartier zu bewirken“ (vgl. ebd.:
2). Im Folgenden rekonstruiere ich den vorhergehenden Politikprozess
und beschreibe, wie der Berliner Senat zu dieser Entscheidung kam. Im
Mittelpunkt der Betrachtung stehen die beteiligten Akteure, ihre Handlungsorientierungen und die zur Begründung der Politik eingesetzten
Diskurse. Die politische Entscheidung stellt sich dabei als Ergebnis
eines Aushandlungsprozesses dar, in dem sich die Argumente aus der
Konstatierung einer „Krise“ der bestehenden politischen Ansätze, einer
sozialräumlichen „Spaltung“ der Stadt und daraus abgeleiteten Handlungserfordernissen speisten.1
Zur Genese der Politik der „Sozialorientierten Stadtentwicklung“
und des Quartiersmanagement-Ansatzes in Berlin existieren mindestens
zwei Erzählungen, in denen sich die unterschiedlichen Verwaltungskulturen der Stadtentwicklungsplanung und der Stadterneuerung widerspie-
1
Die Problemsicht wird besonders anschaulich im Titel des Buches „Berlin:
von der geteilten zur gespaltenen Stadt“ des Autorenduos Hartmut
Häußermann und Andreas Kapphan, das sich wesentlich auf Ergebnisse
der u.a. auch von den beiden verfassten Studie „Sozialorientierte Stadtentwicklung“ für die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umwelt und
Verkehr stützt (vgl. Häußermann/Kapphan 2000, Senatsverwaltung für
Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie Berlin 1998b).
195
SOZIALE STADTPOLITIK
geln.2 Beide zeigen verschiedene Berührungspunkte mit den Politikprozessen auf europäischer und nationaler Ebene, durch die Mitarbeit der
Landesvertreter in Gremien auf diesen Ebenen (insbesondere in der
ARGEBAU) ebenso wie durch den Einsatz von Fördermitteln.
Die längere der beiden Erzählungen, die Geschichte der „behutsamen Stadterneuerung“, greift in die 1970er Jahre zurück und sieht in
der Sanierung des Blocks 118 in Charlottenburg, den Strategien für
Kreuzberg und dann in der Internationalen Bau-Ausstellung (IBA) die
Geburt eines „Berliner Modells“ der Stadterneuerung, als deren jüngste
Ausprägung das Quartiersmanagement anzusehen sei. Dies ist die Geschichte eines bestimmten Aufgabenverständnisses der Stadterneuerung
und eines Arbeitsstils der beteiligten Bezirks- und der Landesverwaltungen, weitere Stationen sind das sog. „25 Millionen Programm“, das
Programm der „Sozialen Stadterneuerung“ und die (nie formalisierte)
Strategie für Großsiedlungen in West und Ost. Der Ansatz der „behutsamen Stadterneuerung“ gilt in dieser Erzählung als richtungsweisend
und die mit den Jahren erfolgten Modifizierungen – letztlich auch der
Quartiersmanagementansatz – als notwendige Anpassungen des Modells
an veränderte Problemstellungen und Rahmenbedingungen.3
Die zweite Erzählung ist vergleichsweise kurz und beginnt Anfang
der 1990er Jahre. Ausgangspunkt waren hier explizit nicht Förderkulisse
und Instrumentarium der Stadterneuerung. Vielmehr ging es um die
Sondierung von Handlungsbedarf durch die Stadtentwicklungsplanung,
um die Suche nach Indikatoren, mit denen die sozialräumliche Entwicklung der Stadt, Sozialstruktur und Wanderungen abgebildet werden können.4 Es ging um eine Erweiterung der Berichterstattung zur Stadtentwicklung (Stadtentwicklungspläne) und um die Formulierung von Strategien zur Bearbeitung der beobachteten Problemlagen durch die Stadtplanungsverwaltung. Über die Vergabe von Gutachten wurde diese Son2
3
4
Es ist durchaus möglich, dass sich noch weitere Erzählungen und Traditionslinien finden, je nach Perspektive des Betrachters. Diese beiden Versionen sind lediglich das Ergebnis meiner Recherche, die sich auf die unmittelbar an der Programmformulierung und –umsetzung beteiligten Politiknetzwerke bezieht.
Auf Senatsebene ist diese Geschichte eng mit Wolfgang Nagel (SPD) verbunden, der in den 1970er Jahren in der BVV Charlottenburg saß, später
ins Berliner Abgeordnetenhaus wechselte und von 1989 – 1995 Bausenator war.
Dies deutete sich schon bei einem 1990 vom damaligen Stadtentwicklungssenator Hassemer veranstalteten Symposium „Metropole Berlin:
mehr als Markt!“ an, bei dem u.a. Hartmut Häußermann und Walter Siebel
einen viel beachteten und diskutierten Grundsatzbeitrag „Bausteine zu einem Szenario der Entwicklung von Berlin“ hielten (vgl. Häußermann/
Siebel 1990).
196
BERLIN
dierung vorgenommen, ein Berichtssystem wurde entwickelt und Handlungsvorschläge formuliert, bei denen Beispiele aus anderen Bundesländern und Städten zur Stärkung und Legitimierung der eigenen Argumente herangezogen wurden.5
Um Stadterneuerung und Stadtentwicklungsplanung hatten sich indes über die Jahrzehnte hinweg zwei distinkte Politikfeldnetzwerke mit
jeweils spezifischen Handlungsorientierungen formiert, die miteinander
in einem gewissen Konkurrenzverhältnis standen, das in der Phase der
Politikformulierung zu einer sozialen Stadtentwicklungspolitik durch die
politische Leitung des jeweiligen Hauses noch verstärkt wurde.6 In den
Jahren 1997 und 1998 trafen die beiden Erzählungen in einer politischen
Auseinandersetzung der beiden „Häuser“ – der nach einem Tausch nun
CDU-geführten Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr
(Stadterneuerung) und der SPD-geführten Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umwelt und Technologie (Stadtentwicklungsplanung) –
und ihrer jeweiligen Policy Communities aufeinander.7 Im Sommer
1998 verabredeten die beiden Senatoren Klemann (CDU) und Strieder
(SPD) die Formulierung einer gemeinsamen Senatsvorlage, in der diese
beiden Diskurse zusammengeführt wurden. Dieses Dokument bildete die
Grundlage für einen Beschluss zur Einsetzung integrierter Stadtteilverfahren (Quartiersmanagement), den der Senat am 30. März 1999 fasste
und damit den Weg ebnete für die Installierung von zunächst 15 Pilotvorhaben.8
Den Weg zum Programm zeichne ich im Folgenden in zwei Schritten nach. Zunächst rekonstruiere ich den „Vorlauf“, die Mitte der 1990er
5
6
7
8
Auf Senatsebene ist diese Geschichte mit Volker Hassemer (CDU) und
später Peter Strieder (SPD) verbunden. Dieser Zusammenhang wird in den
folgenden Abschnitten erläutert.
Das „Konkurrenzverhältnis“ wurde mir von den Referatsleitern des Referats IA („Strategen“; Interview am 21.9.2004) und des Referats 4B („Erneuerer“; Interview am 25.8.2004) der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sowie in zahlreichen informellen Gesprächen mit Akteuren
aus beiden „Communities“ bestätigt. Ein wichtiges Datum ist die Senatsumbildung 1984, bei der es Volker Hassemer (CDU) gelang, die „entwickelnden“ und die „schützenden“ Kompetenzen aus der Bauverwaltung
herauszulösen und in ein eigenes Ressort zu überführen (Senatsverwaltung
für Stadtentwicklung und Umweltschutz (vgl. hierzu Altrock 2001: 112).
Hassemer wechselte dann in das Kulturressort, kam jedoch 1990 in der
Großen Koalition aus CDU und SPD unter Eberhard Diepgen wieder als
Stadtentwicklungssenator zurück. Zu dieser Zeit war Wolfgang Nagel
(SPD) Bausenator.
In der Großen Koalition 1990-1995 war das Bauressort von der SPD geführt (Nagel) und das Stadtentwicklungsressort von der CDU (Hassemer).
Die ersten Verfahren waren allerdings schon vorab in Erwartung des entsprechenden Beschlusses, Ende 1998, eingesetzt worden.
197
SOZIALE STADTPOLITIK
Jahre existierenden beiden Pfade, auf denen die soziale Stadtpolitik aufsetzen konnte. Im zweiten Schritt geht es dann um das konkrete AgendaSetting, das zum Beschluss des Abgeordnetenhauses führte.
Pfade der sozialen Stadtpolitik in Berlin
Stadterneuerung: Von der „behutsamen Stadterneuerung“
zum Quartiersmanagement
Aus Perspektive der Stadterneuerung stehen die integrierten Stadtteilverfahren in der Tradition der „behutsamen Stadterneuerung“. Die „behutsame Stadterneuerung“ entstand ab Mitte der 1970er Jahre als
Gegenmodell zur bislang praktizierten Abrisssanierung. Erste Orientierungspunkte des kleinteiligen, an der Bestandsbewahrung orientierten
Ansatzes waren die „erhaltende Erneuerung“ des Blocks 118 im Sanierungsgebiet Charlottenburg-Klausener Platz, die auf Betreiben einer
Mieterinitiative unter Leitung von Hardt-Waltherr Hämer, Professor für
Entwerfen an der damaligen Hochschule für Bildende Künste Berlin
(heute: Universität der Künste) zunächst in Auseinandersetzung mit und
später mit Unterstützung der SPD-Fraktion und deren baupolitischem
Sprecher Wolfgang Nagel in der Bezirksverordentenversammlung
(BVV) durchgeführt wurde, sowie der Wettbewerb „Strategien für
Kreuzberg“ im Osten des Bezirks Kreuzberg, für den der Pfarrer Klaus
Duntze die Unterstützung von Bundesbauminister Ravens und Bausenator Ristock gewinnen konnte. In diesem Verfahren sollten die Bürger
vor Ort ihren Lebensraum bewerten und Maßnahmen zur Verbesserung
formulieren und vorschlagen. Das Einvernehmen, Planungen grundsätzlich gemeinsam mit Bürgern, Verwaltung und Architekten zu diskutieren, wurde „zur Geschäftsgrundlage des Wettbewerbs und führte zur Institutionalisierung der Mitbestimmung in einer ganzen Reihe von weiteren Gremien“ (Bernt 2001: 41). Ein dritter Ausgangspunkt der „behutsamen Stadterneuerung“ in Berlin war die Internationale Bauausstellung
Berlin (IBA), die 1978 vom Berliner Senat für das Jahr 1984 beschlossen wurde als „Ort geistiger Auseinandersetzung um Urbanität und
menschengemäßes Bauen aus der Reflexion gesellschaftlicher Veränderungen“ (Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 7/1352: 4; zitiert in Bernt
2001: 41f). Die Senatsvorlage zur IBA wurde später als Paradigmenwechsel in der Berliner Planungspolitik bezeichnet:
„Mit der Senatsvorlage wurde das Leitbild der Funktionstrennung von Arbeit,
Wohnen und Freizeit aufgegeben und der Flächennutzungsplan als Leitbild der
198
BERLIN
Berliner Stadtentwicklung für untauglich erklärt. Zugleich bedeutete die Senatsvorlage tendenziell das Ende einer Verkehrsplanung, die als Autobahnplanung betrieben wurde […] [und schließlich, S.G.] „das Ende der technokratischen Stadtplanung“ (Schlusche 1997, zitiert in Schilling 2003: 194).
Zur Durchführung der Bauausstellung wurde eine eigenständige GmbH
gegründet, in die Senator Ristock seinen Planungsreferenten Günter
Fuderholz sandte.9 Mit ihr wurde, wie der Politikwissenschaftler Matthias Bernt beobachtet, „außerhalb des bestehenden Interessenblocks von
Bauverwaltung und Sanierungsträgern ein neues Machtzentrum geschaffen, das die blockierte Interessenkoalition aufbrechen und den ‚gordischen‘ Problemknoten der Sanierung zerschlagen sollte“ (Bernt 2001:
42f). Schließlich führten 1980/81 die sogenannten Instandbesetzungen
zu politischen Erschütterungen und der Durchsetzung der „behutsamen
Stadterneuerung“ (vgl. Dieser 1983: 124ff, Bodenschatz 1987: 199ff).
Mit der „Elitenschmiede IBA“ (Bernt 2001: 74) und den in erster Linie
von Fuderholz formulierten sogenannten „12 Grundsätzen“ stellte die
„behutsame Stadterneuerung“ die Akteure sowie eine wichtige Handlungsorientierung und wurde somit als Leitbild zur zentralen PolicyInstitution der Stadterneuerung in Berlin. Ein Großteil der Akteure der
Berliner Stadterneuerungsszene lernte sein Handwerk im Umfeld der
IBA, so einerseits die in den 1990er Jahren für Bauen und Stadtplanung
zuständigen Senatoren und Staatsekretäre, und zum anderen die späteren
Geschäftsführer der Sanierungsträger, Mieterberatungen und die Vertreter von lokalen Initiativgruppen:
„Ehemalige ‚Macher‘ der behutsamen Stadterneuerung sind heute in Positionen, die von Mieterberatung über Grundstücksentwicklung bis Gesetzgebung
wohl das ganze Spektrum der zur Stadterneuerung gehörenden Tätigkeiten abdeckt“ (ebd.: 77).
Die „Rettung Kreuzbergs“ wurde für die Policy Community zum „gemeinsamen generationenbildenden Erlebnis“ (ebd.: 75). Die „Grundsätze“ stellten den gemeinsamen normativen Bezugspunkt dar, ein Prinzipiengefüge, das man im politischen Kampf gegen die „Kahlschlagsanierer“ durchgesetzt hatte. Kern der „Grundsätze“ und der „Behutsamkeit“ sind das Prinzip der Erhaltung des baulichen Bestands sowie
die Orientierung an den Bedürfnissen der Bewohner und ein inkrementelles, kleinteiliges Vorgehen (vgl. Bernt 2001: 48ff; Häußermann et al.
9
Günter Fuderholz war in der IBA Koordinator für die Arbeitsgruppe Kottbusser Tor und wurde später Abteilungsleiter in der Senatsverwaltung für
Bauen und Wohnen (vgl. Bodenschatz 1987: 209, Bernt 2001: 77).
199
SOZIALE STADTPOLITIK
2002: 23ff).10 In einem Gespräch mit dem „Erfinder der behutsamen
Stadterneuerung“, wie Hardt-Walther Hämer sich dort selbst bezeichnet,
und weiteren Protagonisten der Stadterneuerungsszene, hat Rudolf
Schilling versucht, den Begriff der „Behutsamkeit“ zu bestimmen:
„Das Zentrale ist die ‚Methode Symposion‘. Aus verschiedenen Köpfen etwas
Drittes, Viertes zusammentragen [...]. Das nächste Merkmal: Wer an die Aufgaben herangeht, hört erst mal geduldig zu; nur von den Leuten, die es betrifft,
ist wirklich zu erfahren, worum es geht. Bringen wir es auf einen ersten Punkt:
‚Behutsame Stadterneuerung‘ ist das Gegenteil von ‚Gottvaterplanung‘ [...]
Der Architekt soll nicht Welten neu erschaffen, eher das gemeinsame Erschaffen von Lebenswelten moderieren [...] Und schließlich: ‚Behutsam, das heißt
Verzögerung des Tempos beim Wandel‘“ (Schilling 2003: 180f).
„In einem engen Kreis“, so Hämer selbst, sei der Begriff der „Behutsamkeit“ gewählt worden, weil „in dem Stolpern von ‚be-hut-sam‘ die
allfällig erwarteten Schwierigkeiten und Störungen mitklangen“ (Hämer,
zitiert in Schilling 2003: 208).
10 Als Politik der kleinen Schritte erinnert die „Behutsamkeit“ an das
„Muddling Through“, wie es Lindblom (1959) beschrieben hat. Dieses
Prinzip sickerte seit den 1970er Jahren auch in die deutschsprachige Planungstheorie und wurde später von Karl Ganser für die Internationale
Bauausstellung IBA Emscherpark zum „perspektivischen Inkrementalismus“ weiterentwickelt (vgl. Albers 2004).
200
BERLIN
Abbildung 3: Die 12 Grundsätze der „behutsamen Stadterneuerung“
(Quelle: Bodenschatz 1987: 207)
Mit dem Mauerfall stellten sich der Stadterneuerung dann neue Aufgaben: „Zentrumsumbau“ und „Entwicklungsmaßnahmen am Innenstadtrand und in der städtischen Peripherie“ (AGSEB 1994: 11). Zugleich
traten neue Akteure auf – private Investoren und Bundesbehörden nahmen eine offensive Rolle ein, die öffentliche Hand agierte eher „passiv,
nachtrabend“ und Bürgerinitiativen waren auf dem „Rückzug“ (ebd.:
11). Diese neue Situation spiegelte sich in der Anpassung der „Grundsätze“ wider. Öffentliche Mittel, so wurde angesichts des dramatischen
Sanierungsbedarfs entschieden, sollten nur noch für öffentliches Eigentum eingesetzt werden (vgl. Abgeordnetenhaus von Berlin 2003: 4). Die
im August 1993 vom Senat beschlossenen „Leitsätze zur Stadterneuerung“ markierten das Ende der „staatlichen Veranstaltung“ und erklärten
die „Privatisierung der Stadterneuerung [...] zum ‚unabwendbaren‘ Kern
der neuen Sanierungsstrategie“ (Bernt 2001: 137): Die „Leitsätze“
waren widersprüchlich, indem sie einerseits wesentliche Ziele der
„Grundsätze“ beibehielten – Schutz vor Verdrängung, Beteiligung – zugleich aber in zentralen Punkten wie der Rolle privater Investoren klar
201
SOZIALE STADTPOLITIK
mit dem alten Modell brachen (Bernt 2001: 136, vgl. auch Häußermann
et al. 2002: 23ff). Die Rede von der „Behutsamkeit“ wurde angesichts
dieser Verschiebung schon im Laufe der 1980er Jahre, aber deutlich mit
den neuen Leitsätzen 1993, zu einem „leeren Signifikanten“ (Laclau/
Mouffe 1991), einem Leitbild, das „für alles und nichts“ herangezogen
werden konnte (Bernt 2001: 74). Dieser Wandel ging mit einer begrifflichen Verschiebung einher: Das Kernprogramm der Stadterneuerung in
den förmlich festgesetzten Sanierungsgebieten in den 1990er Jahren
wurde nicht mehr als „behutsame Stadterneuerung“, sondern als „soziale
Stadterneuerung“ bezeichnet (vgl. Abgeordnetenhaus von Berlin 2003).
Abbildung 4: Leitsätze zur Stadterneuerung in Berlin 1993
Städtebauliche und wohnungspolitische Ziele
1.
2.
3.
4.
5.
Der umfassende Handlungsbedarf in den Gründerzeitquartieren des Ostteils der Stadt erfordert
eine flächenhafte und eine auf Schwerpunkte (Sanierungsgebiete) bezogene Strategie der
Stadterneuerung. Die verbreiteten infrastrukturellen Defizite zwingen, die Sanierungsgebiete
groß zu dimensionieren.
Ziel der Erneuerung ist der Erhalt der bestehenden baulichen und städtebaulichen Struktur. Die
neue, veränderte städtebauliche Funktion der Gebiete ist behutsam aus dem Bestand zu entwickeln.
Die Erneuerung ist an den Bedürfnissen der Betroffenen zu orientieren. Die Erneuerungsmaßnahmen und -verfahren werden sozialverträglich gestaltet.
Bei der Erneuerung der Gebiete ist die vorhandene Struktur des Gewerbes zu sichern und zu
entwickeln; Arbeitsplätze sind im Grundsatz zu erhalten bzw. neu zu schaffen.
Die Sanierung ist nach förmlicher Festlegung zügig, d.h. innerhalb von ca. 15 Jahren durchzuführen. Bei der Größe der Sanierungsgebiete ist dieses nur erreichbar, wenn die Erneuerung
auf die notwendigen Maßnahmen und Standards begrenzt wird.
Sicherung der Sanierungsziele
6.
7.
Die rechtlichen Möglichkeiten der planungs-, bauordnungs-, wohnungsaufsichts- und vermögensrechtlichen Instrumente für die Sicherung der Sanierungsziele sind auszuschöpfen.
Öffentliche Standorte werden durch vorhaltenden Grunderwerb und durch Planungsrecht (Bebauungspläne) frühzeitig gesichert.
Finanzierung der Stadterneuerung
8.
Der Finanzierung von Gemeinbedarfs- und Folgeeinrichtungen und der notwendigen technischen Infrastruktur in den Sanierungsgebieten wird Priorität gegenüber anderen Bestandsgebieten in der Finanz- und Haushaltsplanung des Landes Berlin eingeräumt.
9. Die erforderliche Erneuerung der Altbausubstanz kann nur durchgeführt werden, wenn Eigentümerinvestitionen aktiviert und die Maßnahmen verstärkt durch privates Kapital finanziert
werden.
10. Die Erneuerung der Gebäude und Wohnungen muss mittelfristig jedoch durch öffentliche Förderung unterstützt werden, soweit die notwendigen Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen aus den Mieterträgen nicht zu finanzieren sind.
Organisation der Stadterneuerung
11. In den Sanierungsgebieten sind Betroffenenvertretungen zu bilden. Durch Sozialplanverfahren
und offene Beratung sind die Belange der Bewohner und Nutzer einzubringen.
12. Zur Erfüllung von Aufgaben Berlins bei der Vorbereitung und Durchführung der Sanierung
werden Sanierungsbeauftragte bzw. treuhänderische Sanierungsträger nach § 157 BauGB
eingesetzt. Der Zwischenerwerb von Grundstücken zur Sicherung öffentlicher Standorte
wird einem bezirksübergreifend tätigen treuhänderischen Sanierungsträger übertragen.
(Quelle: AGSEB 1994: 148ff)
202
BERLIN
Der „Deep Core“ (Sabatier 1993) bzw. die zentrale „Story Line“ (Hajer
1995) der „behutsamen Stadterneuerung“, die Überzeugung bzw. die
Rede davon, dass Stadterneuerung über die bauliche Dimension hinausgehen muss, blieb allerdings bei allen Verschiebungen beibehalten und
wurde zudem auf die „Neubau-Erneuerung“ übertragen, auf die Großsiedlungsstrategie West und die Großsiedlungsstrategie Ost. Wohnumfeldverbesserungen und Beiratsverfahren wurden hier zu Standards, in
den Ostgebieten mit massiver Unterstützung durch das Programm Experimenteller Wohnungs- und Städtebau (ExWoSt) des Bundesbauministeriums (vier Modellprojekte).11 Der integrierte Ansatz der Großsiedlungsstrategie lässt sich an einem Statement des damaligen Bausenators
Klemann ablesen, der 1997 formulierte:
„Ein wichtiger Pfeiler der Berliner Großsiedlungsstrategie ist der Versuch,
Strukturen für ein kommunales Stadtteilmanagement aufzubauen, das die vielfältigen Ressourcen der konkurrierenden Verwaltungen und der sogenannten
‚flächennutzenden Akteure‘ zusammenbringt [...]. Die Senatsbauverwaltung
hat zur Erarbeitung von Rahmenplänen für die einzelnen Großsiedlungen integrierte Steuerungsverfahren organisiert. Sie führen von Beginn an die betroffene Öffentlichkeit, die kommunalen Ämter und die Senatsverwaltungen sowie die Eigentümergesellschaften, Verbände, Institutionen und Initiativen mit
ihren jeweiligen Experten zusammen“ (Klemann 1997: 8).
Organisatorisch war die Steuerung der Stadterneuerung auf gesamtstädtischer Ebene in der Senatsverwaltung für Bauen und Wohnen, Referat IVC („Stadterneuerung und Modernisierung“) angesiedelt. Mit der
Neubauerneuerung wurden innerhalb der Senatsverwaltung für Bauen
und Wohnen zwei Arbeitsgruppen beauftragt: die Arbeitsgruppe „Modernisierung und Instandsetzung der in Montagebauweise errichteten
11 Im Bericht des Senats über die Einrichtung integrierter Stadtteilverfahren
(Abgeordnetenhaus von Berlin 1999c) werden folgende Handlungsansätze
in Großsiedlungsgebieten des sozialen Wohnungsbaus (West) genannt:
Maßnahmenprogramm zur Sicherung und Verbesserung des Sozialgefüges
im Sozialwohnungsbestand der Großsiedlungen (1998), Aufhebung der
Fehlbelegungsabgabe und der Belegungsbindung, Fördermittel für Wohnumfeldverbesserung, Aussetzen von förderungsbedingten Mieterhöhungen
(1999). In den Großsiedlungsgebieten des komplexen Wohnungsbaues
(Ost) wurden vor allem Fördermittel zur baulichen Erneuerung sowie zur
Wohnumfeldverbesserung eingesetzt. Diese Mittel kamen nur im Rahmen
von integrierten Stadtteilverfahren zum Einsatz, die „mit intensiver Bürgerbeteiligung ressortübergreifende Probleme aufgreifen und Lösungsmöglichkeiten erarbeiten“ sollten (vgl. Abgeordnetenhaus von Berlin
1999c: 30). Typisch war die Verbindung mit Qualifizierungs- und Trainingsmaßnahmen für Jugendliche.
203
SOZIALE STADTPOLITIK
Großplattensiedlungen“ (IV C 55) und die Arbeitsgruppe „Städtebauliche Weiterentwicklung der Großsiedlungen“ (IV E 3) im Referat
„Wohnungsbau in der Stadtplanung“. Nach dem Beschluss zu den integrierten Stadtteilverfahren/Quartiersmanagement wurde die Arbeitsgruppe IV E 3 im Jahr 2000 auch mit der Koordinierung der Quartiersmanagementverfahren und -gebiete betraut und als eigenständiges Referat
„Soziale Stadt“ (IV B) ausgegliedert. Leiterin des Referats wurde Monica Schümer-Strucksberg, die seit Anfang der 1990er Jahre für die Strategieentwicklung für die Großsiedlungen in Ostberlin zuständig gewesen
war.12
Aus dieser Linie der Stadterneuerung heraus hat der „integrierte Ansatz“ wie er der Quartiersmanagement-Politik zugrunde liegt, mit dem
Prinzip der „Behutsamkeit“ eine über zwei Jahrzehnte zurückreichende
Tradition. Der Bezugspunkt der Stadterneuerung hat sich im Laufe der
Jahre von Wohnung und Haus auf das Umfeld (Wohnumfeldmaßnahmen) und schließlich auf das „Quartier“ ausgeweitet, und auch die Sanierungskulisse hat sich auf Altbau – und Neubaugebiete ausgedehnt.
War die „behutsame Stadterneuerung“ eine „im Prinzip auf das einzelne
Grundstück und Gebäude bezogene Konzeption“ (Frick 1993, zitiert in
Schilling 2003: 211), erscheinen somit Quartiersmanagement und „integrierte Stadtteilverfahren“ als eine konsequente Weiterentwicklung
und Erweiterung dieses etablierten Pfades in das „Quartier“ als neue Bezugsgröße. Diese Linie zeigt sich nicht nur konzeptionell, sondern auch
personell und in den Selbstbeschreibungen der beteiligten Akteure.13
Stadtentwicklungsplanung: Von der „Stadtentwicklung
sozial“ zur „Sozialorientierten Stadtentwicklung“
Während sich der Handlungsbereich der Stadterneuerung auf die Stabilisierung und/oder Aufwertung einzelner Quartiere mit dem Instrumentarium der Städtebauförderung bezieht, geht es in der Stadtentwicklungsplanung um strategische Überlegungen für die Entwicklung der Gesamtstadt (vgl. Albers 1995: 882). Wo im Bereich der Stadterneuerung das
zentrale Instrument der Einsatz vor allem investiver Fördermittel ist,
sind die wesentlichen Instrumente der Stadtentwicklungsplanung der
12 Während der IBA-Zeit hatte Monica Schümer-Strucksberg in der Geschäftsstelle der Arbeitsgruppe Erneuerungskommission Kottbusser Tor
gearbeitet. Nach dem Rücktritt von Senator Strieder im Sommer 2004
wurde ihr Nachfolger als Referatsleiter „Soziale Stadt“ dessen ehemaliger
Büroleiter, Philip Mühlberg, der Anfang der 1990er Jahre an Vorbereitenden Untersuchungen zur Sanierung in den östlichen Altbaugebieten
beteiligt war.
13 Auf diesen Zusammenhang gehe ich in Kapitel 6 ausführlich ein.
204
BERLIN
Flächennutzungsplan (FNP) sowie Stadtentwicklungspläne (StEP), informelle, den FNP thematisch konkretisierende Instrumente gemäß § 4
Abs. 1 des Berliner Ausführungsgesetzes zum Baugesetzbuch (AGBauGB). Die Stadtentwicklungspläne bestimmen räumliche und zeitliche Prioritäten der Flächennutzung. Ihnen kommt auch die Aufgabe zu,
„gesellschaftlich problematische Entwicklungen und Tendenzen sowie
deren räumliche Auswirkungen frühzeitig zu erkennen und entsprechende Strategien zu deren Bewältigung zu entwickeln“.14 In der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung war das Referat II C „Sektorale Stadtentwicklungskonzepte, Entwicklungsstrategien“ für die Erstellung der
Stadtentwicklungspläne zuständig, seit der Zusammenlegung mit der
Bauverwaltung im Dezember 1999 ist es das Referat I A „Stadtentwicklungsplanung und Bodenwirtschaft“.15
In den frühen 1990er Jahren führten Kontakte zur Integrationsbeauftragten des Landes Berlin und vor allem ein gemeinsames Forschungsprojekt (ECOS)16 bei Mitarbeitern der Abteilung für Stadtent14 Vgl. die Selbstdarstellung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung:
http://www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/stadtentwicklungsplanung/
de/einfuehrung/index.shtml; konsultiert am 10.7.2005.
15 Zwei weitere informelle Instrumente der Berliner Stadtentwicklungsplanung, die im Kontext der sozialen Stadtpolitik von Bedeutung sind,
sind das Stadtforum und die Planwerke. Das Stadtforum wurde 1991 von
Senator Volker Hassemer (CDU) als ein Beratungsgremium der Stadtentwicklungsverwaltung ins Leben gerufen. Hier werden in unregelmäßigen
Abständen für die Berliner Stadtentwicklung bedeutsame Themen fachöffentlich diskutiert. Mit der Übernahme des Stadtforums durch Senator Peter Strieder im Januar 1996 wurde die „städtische Gesellschaftspolitik“ zu
einem wichtigen Schwerpunkt des Stadtforums (vgl. die Darstellung der
Geschichte des Stadtforums unter www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/forum2020/index.shtml; konsultiert am 10.7.2005; vgl. auch Schmals/
Jahn 1997). Die Planwerke sind ein weiteres, das System der gesamtstädtischen Flächennutzungsplanung ergänzendes informelles Planungsinstrument und verstehen sich als „Angebot zu Innformation und Diskussion an
alle [...], die an der städtebaulichen und landschaftlichen Entwicklung des
entsprechenden Teilraumes in Berlin interessiert oder verantwortlich an
Planung und Entwicklung beteiligt sind“ (vgl. die Selbstdarstellung auf
www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/planwerke/de/einleitung/index.sht
ml, konsultiert am 7.7.2005). 1996 wurde das Planwerk Innenstadt begonnen und am 18. Mai 1999 vom Berliner Senat als städtebauliches Leitbild
beschlossen (DS 13/3776), seither sind weitere Planwerke zum Südostraum, Nordostraum und Westraum erarbeitet worden. Stadtforum und
Planwerke waren in der Öffentlichkeit sehr umstritten, hierzu siehe insbesonder Lenhart 2001: 98ff.
16 ECOS ist das Akronym für „Comparative Studies for metropolitan areas in
central and western Europe concerning the topics transport and migration“. Der Abschlussbericht des Projekts ist in der Reihe „Sektorale Entwicklungkonzepte“ der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umwelt-
205
SOZIALE STADTPOLITIK
wicklungsplanung zu Überlegungen, inwiefern sich die Stadtentwicklungsplanung um das Thema Zuwanderung „kümmern“ könne. Aus diesen Gedanken heraus, und gestützt durch Hassemers generelles Interesse
an einer kontinuierlichen Verbesserung und Stärkung der Stadtentwicklungsplanung, entstand – zu einer Zeit, als nach Fertigstellung des Flächennutzungsplans 1994 auch Kapazitäten vorhanden waren – die Idee
für einen „Stadtentwicklungsplan sozial“.17 1994 beauftragte das Referat
IIC Hartmut Häußermann, der auch an dem Migrationsprojekt beteiligt
gewesen war, mit einer Expertise über soziale Aspekte der Stadtentwicklung (Häußermann/Kapphan 1995). In diesem Gutachten wurde der sozialräumliche Wandel Berlins beschrieben und ein Blick auf „sozial orientierte Stadtentwicklungsprogramme, Armuts- und Sozialberichte“ in
anderen Städten geworfen. Auf dieser Basis wurde ein System zur
Stadtbeobachtung skizziert und ein Arbeitsprogramm zur Erarbeitung
eines Programms „Stadtentwicklung sozial“ vorgelegt. Im Mittelpunkt
des Beobachtungssystems stand die Identifizierung von „Problemgebieten“. Als solche bezeichneten die Verfasser „Teilräume, in denen ein
hoher Anteil der Bevölkerung in individuell problematischen Lebenssituationen lebt oder die in besonderem Maße von negativen Auswirkungen des Stadtentwicklungsprozesses betroffen sind“ (Häußermann/
Kapphan 1995: 44). „Bei der Definition von Problemgebieten, inclusive
der Gebiete, die einen problematischen Wandel erfahren“, so wurde ergänzt, „spielen die sozio-ökonomische Situation der Bevölkerung, die
demografische Entwicklung, das Niveau der Wohnungsversorgung und
die Nutzungs- wie Baustruktur eine zentrale Rolle“ (ebd.: 44).
In der Folge wurde ein zweites Gutachten, eine „Pilotstudie Lichtenberg“ erarbeitet, in der das vorgeschlagene Indikatorenset auf seine Aussagekraft hin überprüft wurde (Häußermann/Kapphan 1996). Aufbauend
auf einer Analyse der sozialräumlichen Entwicklung des Gebietes wurden in diesem Bericht zwei Gebietstypen identifiziert, die als problematisch eingestuft wurden und „in vergleichbarer Form wahrscheinlich in
allen Ost-Berliner Bezirken auftreten“ (ebd.: 64): „Plattenbaugebiete, in
denen eine selektive Mobilität eingesetzt hat“ sowie „Altbaugebiete, in
denen zwar planungsrechtliche Instrumentarien zum ‚Schutz‘ der Bewohner angewendet werden, wo aber der Mangel an öffentlicher Förderung und zögerliche Privatinvestitionen die zukünftige Entwicklung als
schutz und Technologie Berlin, Referat II C, „Sektorale Entwicklungsplanung, Entwicklungsstrategien“ erschienen (vgl. Senatsverwaltung für
Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie Berlin 1995).
17 Diese Informationen beziehen sich auf ein Gespräch mit einem ehemaligen Mitarbeiter in diesem Referat am 08.12.2003
206
BERLIN
ausgesprochen ‚offen‘ erscheinen lassen, die sozusagen, ‚auf der Kippe‘
stehen“ (ebd.: 5).
Der nächste Schritt in diesen Bemühungen der Stadtentwicklungsplaner um ein neues Beobachtungs- und Handlungsfeld war ein drittes
Gutachten zur „Sozialorientierten Stadtentwicklung“, das die sozialräumlichen Entwicklungen in der Gesamtstadt erfassen sollte. Die Höhe
des Auftragsvolumens verlangte diesmal sowohl eine Ausschreibung
sowie die Beachtung der Interessen auch anderer Abteilungen innerhalb
der Senatsverwaltung. Den Zuschlag bekam ein gemeinsames Angebot
des Instituts für Stadtforschung und Strukturpolitik IfS und der Gesellschaft der behutsamen Stadterneuerung S.T.E.R.N., wiederum unter Leitung von Hartmut Häußermann. Es wurde in 14 Monaten erarbeitet, im
April 1998 fertiggestellt und im Oktober 1998 veröffentlicht. Die Studie
basiert auf zwei Säulen – auf einer Analyse des sozialräumlichen Wandels von Berlin und auf Handlungsempfehlungen für eine integierte
Quartiersentwicklungspolitik. Dieses Gutachten, das im Sprachgebrauch
der Berliner Stadtplaner und Stadterneuerer auch als „HäußermannGutachten“ bezeichnet wird, gilt als die unmittelbare Grundlage für die
sozialorientierte Stadtpolitik in Berlin und soll daher etwas detaillierter
vorgestellt werden.18
Sozialorientierte Stadtentwicklung –
das „Häußermann-Gutachten“
Anlass und Ziel des Gutachtens
Im Vorwort des Gutachtens skizzierte der 1996 in das Amt gewechselte
Senator für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie, Peter
Strieder, als Auftraggeber der Studie die Konturen des Strukturwandels
in Berlin. Er beobachtete eine Gleichzeitigkeit von Wachstum vor allem
im Dienstleistungsbereich mit einem Abbau von Arbeitsplätzen, Arbeitslosigkeit und wachsender Armut (Strieder 1998: 6). Daher müsse die
Stadt „sich dringend mit den typischen Großstadtphänomenen befassen“
(ebd.: 6). Die stadtpolitischen Herausforderungen waren für ihn klar:
18 Im Folgenden werde ich mich an dieser informellen Bezeichnung orientieren. Dies geschieht nicht in der Absicht, den Beitrag der Mitverfasser zu
schmälern. Vielmehr geht es darum, das Gutachten in seiner Gesamtheit,
einschließlich seiner Entstehungsgeschichte und auch seiner Rezeption im
Politikprozess, die eng an diesen Namen und die mit ihm verbundene Reputation geknüpft ist, zu verstehen.
207
SOZIALE STADTPOLITIK
„Die Fehler einer Gießkannenpolitik der Vergangenheit sollen durch quartiersorientierte Problemlösungen vermieden werden“ (ebd.: 7).19
Julian Wékel, damaliger Abteilungsleiter für Stadtplanung, Stadtentwicklung und Gestaltung, stellte in seinen einleitenden Worten zu dem
Gutachten den Zusammenhang zur wachstumsorientierten Stadtentwicklungspolitik Berlins in den Jahren nach der Wende her. Zur Abfederung
negativer Begleiterscheinungen beispielsweise von Großprojekten,
müssten „planungsrechtliche Schutzinstrumente“ entwickelt werden
(Wékel 1998: 8). Vor diesem Hintergrund nannte er drei zentrale Fragestellungen des Gutachtens:
•
•
•
„Welche sozialen/sozialräumlichen Auswirkungen hat der rasante Strukturwandel in Berlin, welche sozialräumlichen Prozesse werden durch die
in der Stadt durchgeführten Großvorhaben ausgelöst und welche Auswirkungen haben diese Entwicklungen auf benachbarte Wohngebiete im
Sinne von Aufwertungsdruck?“
„Im Sinne eines Frühwarnsystems ist die kontinuierliche Beobachtung sozialer/sozialräumlicher Prozesse auf kleinräumiger Ebene notwendig.
Welche stadtplanerischen, demografischen und sozialen Indikatoren sind
hierfür einsetzbar?“
„Welche Instrumente und Handlungsstrategien sind notwendig, um sozial
negativen Entwicklungen entgegenzuwirken?“ (ebd.: 8).
Die Ausführungen von Strieder und Wékel schildern die unklare Situationsdeutung in den Jahren 1996-98: Hinter den „typischen Großstadtproblemen“ stand die Befürchtung einer Verdrängung durch Wachstum
neben einer allgemeinen Verarmung. Sie sind Ausdruck der Schwierigkeit, die sich allmählich abzeichnende Krise, das Ende der Wachstumsträume einzuschätzen, die noch zur Zeit der Beauftragung des Gutachtens die Stadtpolitik und ihre Rhetorik bestimmten. In einem Vortrag bei
der Friedrich-Ebert-Stiftung blickte Strieder 1999 auf diese Zeit zurück:
„Ich möchte meine Ausführungen mit einem Zitat aus dem Wahlprogramm
der SPD aus dem Jahr 1995 beginnen. Dort hieß es: ‚Wir werden nicht zulassen, daß im Zentrum der Stadt nur noch gehobene Dienstleistungen und
Luxuswohnungen angesiedelt werden. Es darf keine Verdrängung der dort
19 Vgl. den Kontrast dieser Einschätzung zu den oben zitierten Ausführungen
von Klemann aus dem Jahr 1997 über die integrierten Steuerungsverfahren in den Großsiedlungen (s.o.). Hier wird einmal mehr deutlich, dass die
einen (Stadterneuerer) das Gefühl haben mussten, das schon zu tun, was
die anderen (Strategen) erst forderten.
208
BERLIN
eingesessenen Bevölkerung geben.‘ Das war eine Aussage, die viele Menschen in der Stadt teilen konnten. Allein die Tatsache, dass dieses Zitat gerade
einmal drei Jahre alt ist und heute schon überholt ist und wir heute mit ganz
anderen Ausgangsbedingungen zu rechnen haben, belegt die Dramatik und die
Dynamik der Entwicklung.“ (Strieder 1999: 40).
Und weiter:
„Es ist also im Ergebnis nicht die noch vor wenigen Jahren befürchtete Yuppyisierung, nicht die Verdrängung der einfachen Leute, sondern vielmehr der
soziale Abwärtstrend, die Entmischung, die uns besorgt macht“ (ebd.: 40).
Mit der „Entmischung“ sprach Strieder eine Befürchtung aus, die die
Grundfesten der Berliner Stadtpolitik in Gefahr sah, die sich – von „behutsamer Stadterneuerung“ bis zum „Planwerk Innenstadt“ – an „Urbanität“ und sozialer Mischung orientiert hatte.20 Die aus den Sozialdaten
der Jahre 1994-96 abgeleitete Tendenz zu einer sozialräumlichen Segregation stellte eine Bedrohung für dieses Modell dar, das in die Tradition
der „europäischen Stadt“ gesetzt wurde. Entsprechend formulierten die
Gutachter im einleitenden Teil ihrer Arbeit:
„Ob die Differenz der europäischen zur amerikanischen Stadt aufrechterhalten
werden soll und kann, ist eine der wichtigsten stadtpolitischen Fragen des 21.
Jahrhunderts“ (vgl. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz
und Technologie Berlin 1998b: 27).
Wie das Zitat zugleich zeigt, reihte sich das Gutachten mit Fragestellung
und Begrifflichkeit in den sozialwissenschaftlichen Ausgrenzungsdiskurs ein, der zu dieser Zeit auch auf nationaler und internationaler Ebene
geführt wurde. Der wesentliche Verfasser der Studie, Hartmut Häußermann, nahm auch dort eine zentrale Sprecherposition ein (vgl. Kap. 4).
Methodik und wesentliche Ergebnisse
Die Studie wurde in einer Mischung aus quantitativen und qualitativen
Analysen erstellt. Die quantitativen Daten wurden im Rahmen einer
Sonderauswertung vom Statistischen Landesamt Berlin zur Verfügung
gestellt. Im Rahmen der qualitativen Erhebung wurden in jedem der damals 23 Bezirke bis zu fünf Experteninterviews mit den relevanten
Fachverwaltungen geführt. Begleitend wurde von der damaligen Senats20 Den Zusammenhang zwischen (seinem Verständnis von) Urbanität und
der Politik der „sozialen Stadt“ stellte Strieder später selbst her: „‚Soziale
Stadt‘ ist das Markenzeichen moderner Urbanität“ (Strieder 2000: 6).
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SOZIALE STADTPOLITIK
verwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie eine
ressortübergreifende Arbeitsgruppe auf Senatsebene einberufen, an der
die Senatsverwaltungen für Gesundheit und Soziales, für Bauen, Wohnen und Verkehr, für Schule, Jugend und Sport, Arbeit, Berufsbildung
und Frauen, für Wirtschaft und Betriebe sowie für Wissenschaft, Forschung und Kultur beteiligt waren. Im November 1997 wurde ein Workshop unter Einbeziehung der Bezirke veranstaltet, im Juni 1997 gab es
ein Arbeitsgespräch speziell zu den Innenstadtbezirken (Wékel 1998: 9).
Die wesentlichen Bestandteile des Gutachtens waren die Beschreibung
sozialräumlicher Entwicklungsprozesse, die Identifizierung von „Quartieren mit problematischer Entwicklung“ und die Erarbeitung von Handlungsempfehlungen für den Senat. Der analytische Teil der Studie belegte, dass Berlins sozialräumliche Struktur nach der Wiedervereinigung
zunehmende Segregationstendenzen aufwies:
„Insgesamt zeichnet sich im Stadtgebiet ein stärkerer Sortierungsprozeß nach
Einkommen, Nationalität und Familienstand ab als vor 1990 im West- und
Ostteil der Stadt“ (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und
Technologie Berlin 1998b: 15).
Die Ergebnisse der sozialräumlichen Untersuchung wurden in 6 Thesen
zusammengefasst:
• Zunehmende Dynamik von Wanderungen
• Soziale Entmischung durch Selektivität der Wanderungen
• Verstärkung bestehender Sozialprofile in den westlichen Bezirken
• Zunahme des Entmischungsprozesses in der östlichen Innenstadt
• Zuzug und Konzentration von transferabhängigen Haushalten im sozialen Wohnungsbau
• Entmischungsprozess in abgeschwächter Form in den östlichen Plattenbaugebieten (ebd.: 14).
Aus dieser Problembeschreibung leitete das Gutachten zwei Handlungsvorschläge:
• die Entwicklung von „Strategien einer urbanen Integration“21 sowie
• die Einrichtung eines „Stadt-Monitoring“ (ebd.: 17).
21 Der Begriff „Urbane Integration“ wurde von Hartmut Häußermann eingeführt und in dem Gutachten zum ersten Mal benutzt. Die gleichnamige
ressortübergreifende Arbeitsgruppe verschiedener Senatsverwaltungen bediente sich in erster Linie des Begriffs, arbeitete aber nicht in der im Gutachten formulierten strategischen Perspektive. Im Wesentlichen wurde in
der AG eine Übersicht über bestehende stadtpolitische Steuerungsinstrumente zusammengestellt. Der Begriff „Integration“ bezog sich sogleich
auf die Integration der Instrumente der öffentlichen Hand.
210
BERLIN
Die stadtpolitische Intervention sollte dabei, so die Gutachter, als „Qualitätspolitik“ verstanden werden und sich durch „Querschnittsorientierung und Partnerschaftlichkeit, Gebietsbezug“, einen konkreten Projektbezug und einen mehrdimensionalen Zuschnitt von Maßnahmen auszeichnen (ebd.: 16). Eine solche „Qualitätspolitik“, so das Gutachten, sei
„in der internationalen Diskussion“ als Forderung Allgemeingut geworden. In der Formulierung von Handlungsempfehlungen bezogen sich die
Gutachter dabei explizit auf Ansätze aus dem europäischen Ausland sowie aus Hamburg und aus Nordrhein-Westfalen. Dieser Vergleich war
ihnen möglich, da sie die sozialen Entmischungstendenzen in Berlin als
typische Großstadtprobleme definierten und im Kontext „Europäischer
Entwicklungstendenzen“ diskutierten (ebd.: 74). Die Vorstellung der europäischen Beispiele bediente sich insbesondere bei den Arbeiten des
Netzwerks „Quartiers en Crise“ (vgl. Froessler et al. 1994a, Froessler
1994b).
Die Vorschläge für stadtpolitische Interventionen speisten sich somit
sowohl aus der Betrachtung der konkreten lokalen Handlungsnotwendigkeiten sowie aus einer Orientierung an Beispielen in anderen, als
ähnlich angesehenen, Städten und Zusammenhängen. Die bestehenden
Berliner Beispiele wurden dahingegen jedoch weitgehend ausgeblendet.
Die Vorschläge wurden als „Strategien urbaner Integration“ zusammengefasst. Als Elemente einer solchen Strategie für Berlin wurden in dem
Gutachten genannt:
•
•
•
•
„Bremsen des Rückgangs von Belegungsbindungen bei Wohnungen und
Kauf zusätzlicher Bindungen, um weitere Entmischungsprozesse zu vermeiden; Einführung unternehmensbezogener und räumlich differenzierter
Belegungsbindungen, um die fatale räumliche Konzentration in einzelnen
Quartieren oder Gebäuden zu vermeiden“;
„Umstellung der Städtebauförderung von einer Dominanz baulichinvestiver Maßnahmen auf eine Verknüpfung mit Maßnahmen zur Qualifizierung, Arbeitsplatzbeschaffung und qurtiersbezogenen Wirtschaftsförderung“;
„Aufbau lokaler Kooperationsrunden unter Beteiligung von Arbeitsamt,
Hochschulen, Privatwirtschaft, Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, Schulen:
‚Lokale Partnerschaften‘“;
„Initiierung von Stadtteilmanagement unter Einsatz intermediärer Organisationen zur Erarbeitung von gebietsbezogenen Konzepten, zur Bewohnerbeteiligung und -aktivierung, Vernetzung und Kooperation lokaler Akteure“;
211
SOZIALE STADTPOLITIK
•
„Einbindung der Privatwirtschaft z.B. in Form des ‚Corporate Community
Involvement‘“ (vgl. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz
und Technologie Berlin 1998b: 17).
Kernstück dieser Strategie war sicherlich das Quartiers- bzw. Stadtteilmanagement, das jedoch nicht losgelöst von den begleitenden Maßnahmen, sondern nur als ein Baustein dieser Strategie gedacht war. Als
konkrete Aufgaben eines Stadtteilmanagements wurden genannt:
•
•
•
•
•
„Erarbeitung eines gebietsbezogenen Konzepts in Zusammenarbeit mit
den lokalen Projekten, der Kooperationsrunde und dem Beirat; Organisation der Kooperationsrunden“;
„Unterstützung bei der Konzeptionierung von Projekten, mit Antragshilfen; Vorbereiten der Projektanträge für den Beirat und die ressortübergreifende Arbeitsgruppe, Organisation der Zusammenarbeit und des Erfahrungsaustausches unter Projekten vor Ort“;
„Aufbau eines quartiersbezogenen Informationssystems; Akquise von zusätzlichen Fördermöglichkeiten (z.B. EU-Mittel)“;
„Initiierung von ‚Community Corporate Involvement‘“;
„Bewohneraktivierung“ (vgl. ebd.: 82).
Als Vorgehensweise wurden Modellprojekte vorgeschlagen, die auf den
Prinzipien Partnerschaftlichkeit, Vernetzung und Selbstorganisation beruhen (ebd.: 80). Dabei wurde explizit auch auf vorhandene, ähnlich gelagerte Erfahrungen in Berlin verwiesen, die reaktiviert werden könnten:
„Gerade in Berlin gibt es aus den strategischen Diskussionen der 70er und
80er Jahre über den Umgang mit sanierungsbedürftigen Altbaugebieten einen
Erfahrungsfundus, der jetzt – neben neuen Ansätzen – wieder genutzt werden
kann“ (ebd.: 80).
Diese Einschätzung unterstreicht den irritierenden Eindruck, den das
Gutachten in seinem Empfehlungsteil auf Akteure der Stadterneuerungsszene machen musste, indem es eine Diskontinuität suggeriert und auf
die 70er und 80er Jahre, also eine abgeschlossene Vergangenheit verweist, die „reaktiviert“ werden könne. Dahingegen waren die genannten
Punkte in den 1990er Jahren in den Großsiedlungs-Beiratsverfahren und
in den Sanierungsverfahren in der Praxis durchaus schon üblich.
Für ein Organisationsmodell machte das Gutachten folgende Vorschläge:
• Auf Senatsebene sollte eine „ressortübergreifende Arbeitsgruppe“
eingerichtet werden, dazu wurde
212
BERLIN
•
•
die „gemeinschaftliche Förderung“ durch „Bündelung, Regionalisierung und Flexibilisierung“ der Förderung empfohlen sowie
der „Aufbau eines zentralen Stadtbeobachtungssystems zur Früherkennung von problematischen Entwicklungen“ (vgl. ebd.: 82).
Für die Gebietsebene wurde vorgeschlagen,
• vor allem Mehrzielprojekte
• in kleinteiligen lokal verankerten Trägerstrukturen zu unterstützen,
• lokale Kooperationsrunden einzurichten, an denen sich auch Bewohner, Verbände und Unternehmen beteiligen,
• einen Beirat (Vertreter der lokalen Kooperationsrunden, Bezirksverwaltung und Bezirksverordneten) zu etablieren und
• ein Stadteilmanagement einzusetzen (vgl. ebd.: 82).
Dieses komplexe Arrangement verdeutlicht ein weiteres Mal, dass das
Stadtteilmanagement nur als ein Baustein in einem komplexen Organisationsmodell gedacht war (vgl. ebd.: 82).
Das Gutachten verwies darauf, dass für unterschiedliche Gebietstypen je unterschiedliche Entwicklungen zu verzeichnen und die Empfehlungen für jeden Typ gesondert zu formulieren waren (ebd.: 84). Für die
innerstädtischen Altbaugebiete im Ostteil wurde ein „zweiseitiger Steuerungsbedarf“ ausgemacht, der sowohl die „Verbesserung von Wohnqualität, Infrastruktur und Wohnumfeld“ einschloss, um weitere Fortzüge zu bremsen, gleichzeitig aber auch Verdrängung vorbeugen sollte,
beispielsweise durch §172 BauGB (Milieuschutz) (ebd.: 84). Für die
Wohnkomplexe im Westteil wurde auf die Steuerungswirkung von Belegungsbindungen verwiesen, die dort verstärkt zum Tragen kommt, für
die Großwohnsiedlungen im Ostteil wurden weitere Wohnumfeldverbesserungen, Teilprivatisierungen und vor allem das Organisieren des
Zusammenlebens verschiedener Kulturen empfohlen.
Mit dieser Darstellung der Empfehlungen möchte ich die Stoßrichtung der Studie illustrieren: Auf die unterschiedlichen Entwicklungen in
den verschiedenen Teilgebieten Berlins muss mit jeweils unterschiedlichen, sensibel aus den konkreten Bedarfen abgeleiteten Instrumenten reagiert werden, die jedoch in jedem Falle ressortübergreifend zu organisieren sind. Zudem war den Gutachtern die gesamtstädtische Perspektive
sehr wichtig.22 An verschiedenen Stellen wurde darauf verwiesen, dass
die Ursachen der lokalen Problemkumulationen nicht auf der lokalen
Ebene liegen und damit Ansätze in den Quartieren selbst nur einer von
22 Gespräch mit einem der Verfasser des Gutachtens „Sozialorientierte
Stadtentwicklung“ am 25.7.2003.
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SOZIALE STADTPOLITIK
mehreren Bausteinen einer Strategie urbaner Integration sein können,
die in ein breiteres Konzept zur Bekämpfung städtischer Armut und Exklusion eingebettet sein müsse (vgl. ebd.: 72, 73, 79, 80). Die Gutachter
verwiesen auch auf die Langfristigkeit der Problemstellungen und
schlugen eine Ausrichtung auf etwa zehn Jahre vor (ebd.: 17).
Reaktionen
Die Ergebnisse des Gutachtens wurden vom damaligen Senator für
Stadtentwicklung, Peter Strieder, im März 1998 in Form einer Pressekonferenz (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und
Technologie Berlin 1998a) und im November 1998 im Berliner Stadtforum der Öffentlichkeit vorgestellt, nachdem sie schon Monate vorher
in die Presse gelangt waren und das Jahr durch eine „bisher nicht gekannte medienöffentliche Debatte über Armut, Kriminalität und so genannte soziale Brennpunkte“ geprägt war (Fritsche 2003: 22, vgl. auch
Schmidtke 2001). Das Gutachten war in der Fachöffentlichkeit viel Lob
aber auch heftiger Kritik ausgesetzt, die sich insbesondere an den methodischen Ansatz und an die Problemdeutung richtete. Dem analytischen Teil der Studie wurde insbesondere vorgeworfen, methodisch unsauber zu sein und den Aspekt der Wanderung zu stark zu betonen.23
Zum einen sei die Wanderung aus der spezifischen Nachwendesituation
zu erklären und kein anhaltender Trend (nachholende Suburbanisierung), zum anderen öffne diese Betonung einer verdrängenden Gentrifizierung Tür und Tor. Für diese Methodenkritik seien hier zwei Beispiele
genannt:
„Die Überinterpretation von selektiven Wanderungen kann leider auch politisch missbraucht werden: Die Stadtregierung kann die Ergebnisse dieser Studie dahingehend interpretieren, dass eine Politik zur Vermeidung von Bewohnerverdrängung in den citynahen Innenstadtbezirken Ostberlins nicht angebracht sei […]. In diesem Kontext mehren sich die Zeichen, dass in Berlin die
Instrumentarien, welche Bewohnerverdrängung verhindern bzw. verzögern
sollten, zunehmend widerwillig eingesetzt oder aufgeweicht werden“ (Krätke/
Borst 2000, 280).
„[…] werden in der Beschreibung der Probleme die eigentlichen Zusammenhänge zwischen Kapital, Markt und Stadtraum systematisch ausgeblendet, die
Rolle der Politik nicht einmal thematisiert“ (Baumert 1998: o.S.).
23 So etwa auf einem „Stadtforum von unten“ im September 1998.
214
BERLIN
Zwischenresümee
Mit der Stadterneuerung und der Stadtentwicklungsplanung bestehen in
Berlin zwei Policy Communities, die mit ihrer jeweiligen Lesart der
Vorgeschichte zur Formulierung der sozialorientierten Stadtentwicklung
Ende der 1990er Jahre eigene Diskurskoalitionen ausbildeten: Der Interpretation als eine Weiterentwicklung der „behutsamen Stadterneuerung“
stand die Deutung als eine neue Politik, die auf neue Handlungserfordernisse reagiert, entgegen. Während sich die Stadterneuerung innerhalb
von Förderkulissen, die im Wesentlichen auf baulichen Kriterien beruhten, um einen integrierten Ansatz bemühte, ging es der Stadtentwicklungsplanung bei der Beauftragung der drei Gutachten in erster Linie um
die Suche nach neuen Kulissen, die sich auf andere Indikatoren, nämlich
Tendenzen einer sozialräumlichen Entwicklung, stützen sollten. In der
Forderung nach einem integrierten und partizipativen Verfahren in der
Quartiersentwicklung waren sich beide Perspektiven einig. Dissens bestand darin, dass die einen (Stadterneuerer) dies aus ihrer bisherigen
Praxis heraus begründeten, während die anderen (Stadtentwicklungsplaner) den Ansatz aus einer neuen Aufgabenstellung ableiteten und sich
gegen die „Übernahme“ eines neuen Handlungsfeldes durch die bestehende Praxis verwehrten. Die Balancierung dieser Positionen war Gegenstand der politischen Auseinandersetzungen im Sommer 1998, in der
die taktischen Manöver des damaligen Senators für Stadtentwicklung,
Peter Strieder – mit seiner langjährigen Erfahrung in der Kreuzberger
Stadterneuerung – geradezu den Charakter eines „Vatermords“ annahmen: ein Kreuzzug gegen die Stadterneuerung, um deren wesentliche
Handlungsprinzipien neu zu legitimieren.
Bedeutend erscheint mir vor allem der Zusammenhang zwischen den
beiden konkurrierenden Sichtweisen und der Parteienlandschaft bzw. der
Aufteilung der Fachressorts auf Senatsebene. Die Abspaltung der Stadtentwicklungsplanung vom Ressort Bauen, Wohnen und Stadterneuerung
(1985) war ein Koalitionshandel aufgrund der Mehrheiten im Abgeordnetenhaus. Daraus ergab sich einerseits die (wieder) wachsende Bedeutung der Stadterneuerung innerhalb des Bauressorts. Zugleich führte
diese Trennung zu einer Nichtberücksichtigung der inhaltlichen Weiterentwicklung der Stadterneuerung seitens der Stadtentwicklungsplanung
und zu einer Informationsblockade zwischen den Ressorts, die von unterschiedlichen Parteien geführt wurden.24 In der großen Koalition 199024 Auf die schwarz-gelbe Regierung in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre
(Bauressort: Georg Wittwer, parteilos, später CDU; Stadtentwicklung: Jürgen Starnick, parteilos), folgte ein kurzes rot-grünes Zwischenspiel 19891990 (Bauressort: Wolfgang Nagel, SPD; Stadtentwicklung: Michaele
215
SOZIALE STADTPOLITIK
1995 stand Volker Hassemer (CDU) der Stadtentwicklungsverwaltung
vor und Wolfgang Nagel (SPD) der Bauverwaltung. Zu dieser Zeit vertrat Nagel das Land Berlin in der ARGEBAU und machte sich dort gemeinsam mit seinen in den entsprechenden Ausschüssen und Arbeitsgruppen vertretenen Mitarbeitern für den „behutsamen“ bzw. „sozialen“
Ansatz in der Stadterneuerung stark. Als in den Koalitionsverhandlungen 1995/96 die beiden Ressorts zwischen den Parteien getauscht
wurden und Peter Strieder (SPD) Hassemer beerbte, während Jürgen
Klemann (CDU) das Ressort von Nagel übernahm, machte Strieder die
aus der Tradition der „behutsamen Stadterneuerung“ heraus in der sozialdemokratisch geführten Bauverwaltung entstandenen Handlungsansätze zu „seiner“ Erfindung. Dazu waren ihm das Häußermann-Gutachten
mit seinen Verweisen auf gute Ansätze außerhalb Berlins sowie eine
Neu-Etikettierung („Quartiersmanagement“) wichtige Hilfsmittel.25 Er
verband den Ansatz mit einem strategischen Instrument, dem StadtMonitoring, und brachte so Elemente der Stadterneuerung und der
Stadtentwicklungsplanung zusammen (hierzu im Folgenden mehr). Über
das Gutachten wurde dann auch eine Diskussion über neue Gebietsausweisungen möglich, da mit der sozialräumlichen Segregation ein neues
Problem im Raum stand, auf das politisch reagiert werden musste.
Ag e n d a S e t t i n g
Zusätzlicher Druck durch weitere Studien und
„Ghettodiskurse“
Parallel zum Erscheinen des Häußermann-Gutachtens veröffentlichte die
Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales den Sozialstrukturatlas
1997, der erstmals auch die kleinräumige Verteilung von Armut thematisierte und die „Identifikation sozialer Brennpunkte in der Stadt sowie
in den jeweiligen Bezirken“ ermöglichte (vgl. Hermann et al. 1998: 5).26
Schreyer, AL) und eine nur wenige Monate währende Übergangsregierung
1990, bevor im Dezember 1990 die Wahlen zum Abgeordnetenhaus zu einer Großen Koalition führten.
25 Die Personalisierung der „neuen“ Politik mit Strieder wird im weiteren
Verlauf noch deutlicher, wenn etwa vom „Strieder-Papier“ die Rede ist.
26 Im Unterschied zum Sozialraum-Monitoring bildet die Sozialberichterstattung in erster Linie die Verteilung der Sozialstruktur im Stadtraum
ab mit dem Ziel, „wertneutrale Planungsgrundlagen“ für Akteure im Gesundheits- und Sozialwesen und andere Fachverwaltungen zu liefern (vgl.
Hermann et al. 1998: 5). Während mit dem Sozialraum-Monitoring die
Einführung des Quartiersmanagement verbunden war, führten die Ergeb-
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BERLIN
Die Studie wurde am 30.1.1998 von der damaligen Sozialsenatorin
Beate Hübner (CDU) der Öffentlichkeit präsentiert mit dem Befund:
„Berlin driftet auseinander“ (vgl. taz vom 31.1.1998). Damit lagen zwei
unabhängige Studien vor, die eine zunehmende „Spaltung der Stadt“
feststellten. Schon im Sommer 1997 war zudem in Neukölln der erste
Kinder- und Jugendhilfebericht veröffentlicht worden, der ein alarmierendes Bild der Situation in den Kiezen lieferte, die im gesamtstädtischen Vergleich die hinteren Plätze belegten: In einzelnen Straßen
lebten bis zu 40% der Bewohner unterhalb des Existenzminimums, jeder
achte Jugendliche im Bezirk war schon einmal straffällig geworden, es
gebe Kinder, so wird der damalige Jugendstadtrat Buschkowsky (SPD)
zitiert, „die laufen hungernd durch die Straße“ (vgl. Rada 1997).27
Die Medien griffen diese Beobachtungen auf und untermauerten mit
ihnen ihre „Ghettodiskurse“ (Schmidtke 2001): „Der Staat hat sich hier
und anderswo zurückgezogen. Besonders abends“, beschrieb etwa ein
Beitrag in der Wochenzeitung „Der Spiegel“ im Oktober 1997 unter
dem Titel „Endstation Neukölln“ die Lage (Wensierski 1997).28 Einen
nisse des Sozialstrukturatlasses zu einer Debatte über einen Finanzausgleich zwischen den Berliner Bezirken.
27 Der Vergleich der Quartiere wurde im Sozialstrukturatlas auf Basis eines
Sozialstrukturindex auf Ebene der statistischen Gebiete und Verkehrszellen vorgenommen. Der Index setzt sich aus folgenden Variablen zusammen: a) positive Korrelation: Anteil der Männer an der Bevölkerung,
Anteil der Personen im Alter von 18 bis unter 35 Jahren an der Bevölkerung, Anteil der ausländischen Personen an der Bevölkerung, Anteil der
1-Personen-Haushalte im Alter bis unter 65 Jahren an allen Haushalten,
Anteil der Personen ohne beruflichen Ausbildungsabschluß an der Bevölkerung, Arbeitslosenquote, Anteil der Arbeiter an der Bevölkerung, Anteil
der Sozialhilfeempfänger (Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen) an der Bevölkerung, Anteil der Personen mit Einkommen unter 1000 DM an der Bevölkerung, vorzeitige Sterblichkeit, gemeldete TbcFälle je 100 000 der Bevölkerung; b) negative Korrelation: Anteil der Angestellten an der Bevölkerung, mittleres Haushaltsnettoeinkommen, Lebenserwartung (vgl. Hermann et al. 1998: 8).
28 Auf Grundlage einer Medienanalyse beobachtet Schmidtke eine Deklassierung und Stigmatisierung Berliner Innenstadtbezirke sowie eine Ethnisierung der Beschreibungskategorien in der lokalen und überregionalen
Berichterstattung über Berlin und Migranten im Zeitraum 1997-1999.
Bemerkenswert ist insbesondere seine Feststellung einer wechselseitigen
„Verschränkung von öffentlichem und wissenschaftlichem Diskurs“:
Während stadtsoziologische Begriffe wie „Gentrifizierung“ in der politisch-öffentlichen Debatte aufgegriffen wurden, brachte seiner Beobachtung zufolge die „für die mediale Inszenierung typische Dramatisierung
der Ereignisse [...] die wissenschaftliche Auseinandersetzung“ zur Übernahme des Underclass- und des Ghettobegriffs (vgl. Schmidtke 2001:
159).
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SOZIALE STADTPOLITIK
Höhepunkt erreichte die öffentliche Debatte, als der damalige Fraktionsvorsitzende der CDU, Klaus Landowsky, und der Staatsekretär der
Stadtentwicklungsverwaltung, Hans Stimmann (SPD), in den lokalen
Medien über die Notwendigkeit einer Sprengung von Sozialwohnungsbauten plauderten: „Man muß den Mut haben, Gebäude wie das Neue
Kreuzberger Zentrum oder den Sozialpalast [zwei innerstädtische
Großwohnanlagen in Kreuzberg und Schöneberg, S.G.] zu sprengen“,
gab Landowsky im Gespräch mit dem Tagesspiegel zum Besten, und
Stimmann zog nach: „Sie haben recht. Das ist ein Tabuthema, aber vielleicht sollte man das NKZ in der Tat abreißen, das versaut die Stadt. Das
ist ein sozialer Brennpunkt“ (Tagesspiegel vom 9.3.1998).
Spätestens hier war klar: Die Politik musste und wollte auf die
„Spaltung der Stadt“ reagieren, Probleme und Lösungsangebote lagen –
vor- und aufbereitet in den Verwaltungen – auf dem Tisch, und zudem
bereiteten sich die Parteien allmählich auf den Wahlkampf 1999 vor.29
Mit der Thematisierung der sozialräumlichen Probleme war ein „Perspektivenwechsel“ vollzogen, „weg von den Urbaniten, hin zur sozialen
Realität der ‚Problembezirke‘“ (vgl. Rada 1999).30
Thematisierung und Inszenierung (1998):
Die Innenstadt-Konferenzen
Veranlasst durch die Ergebnisse des Häußermann-Gutachtens und des
Sozialstrukturatlasses sowie durch die alarmierende Berichterstattung in
den Medien fanden im Frühjahr 1998 zwei Arbeitstreffen des Berliner
Senats statt, bei denen ausgehend von der vielschichtigen bestehenden
Förderlandschaft „ressortübergreifend praktische Ansätze für Problemlösungen“ diskutiert wurden. Auf Initiative von Eberhard Diepgen
(CDU), der sich als Regierender Bürgermeister auch des Themas annehmen wollte, wurde daraufhin vom Senat eine Reihe von sog. Innenstadtkonferenzen angeregt, bei denen es darum ging, „anstelle abstrakttheoretischer Erörterungen anhand konkreter örtlicher und sachlicher
29 So heißt es beispielsweise in einer Veröffentlichung der Berliner Jusos
vom Februar 1998: „Aus der Kombination Momper/Strieder folgt auch
personell, dass Adlershof (Momper) und soziale Stadtentwicklung
(Strieder) zentrale Themen des Wahlkampfes sein werden“ (vgl. Jusos
Berlin 1998: 28).
30 Die „Neuen Urbaniten“, ein Begriff, der vor allem von Hans Stimmann
geprägt wurde, standen im Stadtentwicklungsdiskurs für eine gehobene
Mittelschicht, die, möglichst als Eigentümer, die Qualitäten des innerstädtischen Wohnens schätzt – und waren als solche Ziel der später im Planwerk Innenstadt konkretisierten Zentrumsplanung. Sie stehen hier für die
Wachstums- und Metropoleneuphorie der Nachwendejahre.
218
BERLIN
Beispiele vorhandene Ideen und bestehende […] Initiativen […] aufzugreifen“ und „im Sinne eines integrierten Handlungskonzepts“
zusammenzuführen (Abgeordnetenhaus von Berlin 1998b: 1).31 Diese
Innenstadtkonferenzen fanden im Frühjahr und Sommer 1998 statt. Im
April gab es ein Gespräch zum Thema „Schulische Bildung in Stadtquartieren mit hohem Anteil von Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache“, im Mai gab es ein Gespräch zum Thema „Wirtschaft und Arbeit“
am Beispiel nördliches Neukölln und Kreuzberg, und im August wurde
über „Sicheres Wohnen – Wohlfühlen im Kiez“ am Beispiel Koloniestraße/Soldiner Straße im Bezirk Wedding gesprochen. Diese Treffen
waren zu Teilen wahltaktische Manöver und wurden in der Öffentlichkeit als „plakative Show-Aktivitäten“ kritisiert (so der Kreuzberger
Stadtrat Schulz, Grüne, in der taz vom 27.2.1998, vgl. Naumann 1998).
In diesen Stadtteil-Konferenzen kamen jeweils verantwortliche Vertreter
aus Politik, Verwaltung und Verbänden zusammen, und die angesprochenen Senatoren zogen – wenn auch in Maßen – konkrete Konsequenzen: Im Schulbereich stellte die damalige Senatorin Ingrid Stahmer
(SPD) nach der ersten Konferenz für das Schuljahr 98/99 50 zusätzliche
Lehrerstellen für Förderunterricht bereit und im Herbst 1998 wurde eine
Sprachstandsmessung von Erstklässlern im Wedding durchgeführt. Im
Juli 1998 beschloß der Senat das Programm „Arbeit für SozialhilfeempfängerInnen“. Ebenso verabschiedet wurde ein Konzept zum Abbau von Mietungerechtigkeiten im Bestand des Sozialen Wohnungsbaus
und ein Programm zur Sicherung und Verbesserung des Sozialgefüges
im Sozialwohnungsbestand der Großsiedlungen, wozu im Wesentlichen
die Aufhebung der Fehlbelegungsabgabe und zusätzliche Wohnumfeldverbesserungsmaßnahmen zählten. Auf der dritten Konferenz wurden
die laufenden Überlegungen für die Einrichtung von Quartiersmanagement unterstützt, das schließlich 1999 beschlossen wurde (vgl. Abgeordnetenhaus von Berlin 1998b). In den beteiligten Senatsverwaltungen
wurde die angestoßene Debatte in einer ressortübergreifenden Arbeitsgruppe auch konzeptionell weitergeführt. 32
31 Geplant waren vier Gespräche, durchgeführt wurden drei: am 27.4.1998,
am 29.5.1998 und am 26.8.1998.
32 Hierzu heißt es im Bericht des Abgeordnetenhauses über die Innenstadtkonferenzen: „Der Senat hat […] als eine Konsequenz aus den […]
Erkenntnissen der Innenstadtkonferenzen die Senatsverwaltungen für Bauen, Wohnen und Verkehr, für Gesundheit und Soziales sowie für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie gemeinsam beauftragt, bis
Ende März 1999 eine nachhaltig wirkende, langfristig orientierte gesamtstädtische Strategie zur Entschärfung sozialer Konflikte besonders belasteter Stadtquartiere zu entwickeln und dem Senat ein entsprechendes – mit
219
SOZIALE STADTPOLITIK
Programmformulierung in der Verwaltung (1998-1999)
Die einberufene verwaltungsübergreifende Arbeitsgruppe Urbane Integration ging ihren Auftrag, die Entwicklung eines Aktionsprogramms,
mehrstufig an. In der ersten Stufe wurden die Förderinstrumente der beteiligten Senatsverwaltungen zusammengetragen. In der zweiten Stufe
wurden die als relevant erachteten Instrumente detaillierter vorgestellt
und auf ihre Integrationsmöglichkeiten hin untersucht. In einer dritten
Stufe sollte diesen strategischen Überlegungen ein Konzept für ein Programm in Form eines „sozialstrukturellen Interventionsfonds“ folgen.
Hierzu wurde jedoch nach Abschluss der zweiten Stufe kein Auftrag erteilt. Stattdessen wurde das zeitgleich entwickelte Modell Quartiersmanagement weiterverfolgt.
In der ersten Stufe (1998-1999) identifizierte die AG 27 Problempunkte, benannte die Ursachen und formulierte strategische und operative Ziele. Schon bestehende bzw. zu diesem Zeitpunkt beabsichtigte
Maßnahmen und Programme in den beteiligten Fachverwaltungen wurden zusammengestellt und diesen Bereichen zugeordnet. Die einzelnen
Punkte wurden sieben Themenfeldern zugeordnet:
• Soziale und ethnische Integration – Zusammenleben in der Nachbarschaft;
• Öffentlicher Raum und Sicherheit;
• Wohnen und Wohnumfeld;
• Soziale Infrastruktur, Schule, Kinder, Jugendliche und Familienförderung;
• Arbeitsmarktpolitik und Wirtschaftsförderung;
• Besondere soziale Lebenslagen, Gesundheitsförderung;
• Steuerungsinstrumente und Ressourceneinsatz.
Mit dieser Zusammenstellung wurde dem Senatsbeschluss vom
17.11.1998 Rechnung getragen. Die so entstandene Matrix wurde am
2.8.1999 dem Abgeordnetenhaus zur Kenntnisnahme vorgelegt (vgl.
Abgeordnetenhaus von Berlin 1999c). In ihrem Bericht stellte die Arbeitsgruppe über ihren Maßnahmenkatalog hinaus zwei Aspekte in den
Vordergrund: Partizipation bzw. Bürgerbeteiligung als Verfahrensprinzip und Ziel von Fördermaßnahmen sowie die große Bedeutung von Sozialberichterstattung, Stadtmonitoring, Stadterneuerungsberichten und
Wohnungskatasterberichten für eine gesamtstädtische Strategie „Urbane
Integration“. Die in der Folge in der zweiten Stufe (1999-2001) erstellte
konkreten Maßnahmenvorschlägen versehenes – Aktionsprogramm ‚Urbane Integration‘ vorzulegen“ (Abgeordnetenhaus von Berlin 1998b: 2).
220
BERLIN
vertiefende Analyse der existierenden Förderlandschaft dokumentierte
die Vielfalt und die unterschiedliche Reichweite der vorhandenen Ansätze „im Hinblick auf ihre mögliche gebietsspezifische Wirkung im
Sinne einer gesamtstädtischen Strategie zur Entschärfung sozialer Konflikte in sozialbelasteten Gebieten“ (Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales und Frauen Berlin/Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin
2001: 5). In dem Bericht wurde gezeigt, „dass die bestehenden unterschiedlichsten flächen- und zielgruppenspezifischen Maßnahmenprogramme und Projekte bei optimalerer Verknüpfung und gezielter Bündelung in lokalen Brennpunkten oder besonders benachteiligten Gebieten
durchaus verstärkte Stabilisierungs-, Integrations- und Aufwertungseffekte auslösen können“ (ebd.: 6). Es wurde betont, dass die Maßnahmenprogramme auf Senatsebene rahmengebend von Bedeutung seien,
während die zentrale Rolle bei der Entschärfung sozialer Konflikte bei
den Bezirken liegen müsse:
„[…] der Senat betont […] die Bedeutung der Bezirke sowie der Einrichtungen, Initiativen und anderen Akteure vor Ort, insbesondere die der dort lebenden Menschen bei der Lösung der jeweiligen Stadtteilprobleme“ (ebd.: 7).
Als Ergebnis wurde in dem Bericht für eine gesamtstädtische Strategie
„Urbane Integration“ folgende Empfehlung ausgesprochen:
„Im Sinne einer gesamtstädtischen Strategie zur Entschärfung sozialer Konflikte besonders belasteter Stadtquartiere sind die einzelnen Programme und
Maßnahmen mit ihren jeweils unterschiedlichen Reichweiten so zu verknüpfen, dass sie für den Einsatz in lokalen, besonders benachteiligten Stadtquartieren ganz oder zumindest teilweise nutzbar gemacht werden können“ (ebd.:
7).
Hierzu sollten sowohl auf Bezirks- wie auf Landesebene die sektoral organisierten Fachverwaltungen um „integrative, ressortübergreifende
Verfahrensregelungen“ und „kooperative Handlungsansätze mit einem
ganzheitlichen Blick auf komplexe Problemkonstellationen“ ergänzt
werden. Auf bezirklicher Ebene wurde eine engere ämterübergreifende
Zusammenarbeit gefordert, auf gesamtstädtischer Ebene wurden ebenfalls prozessbegleitende Strukturen vorgeschlagen. Hier wurde die Verstetigung der Lenkungsgruppe „Soziale Stadt/Soziale Stadtentwicklung“
ebenso empfohlen wie die Fortführung der ressortübergreifenden Arbeitsgruppe „Urbane Integration“. Zusammenfassend wurde folgendes
Plädoyer formuliert:
221
SOZIALE STADTPOLITIK
„Im Übrigen gilt es namentlich für die Verwaltung, diesen neuen Kooperationsstil weiter zu entwickeln […]. Es geht dabei letztlich auch um das Prinzip
einer ‚lernenden Verwaltung‘ als Grundlage zur Lösung hochkomplexer Problemlagen“ (ebd.: 8).
Ein zusätzlicher konsumtiver sozialstruktureller Interventionsfonds wurde auch im Abschlussbericht genannt. Gleichzeitig wurde jedoch auf Erörterungen der Lenkungsgruppe „Soziale Stadt/Soziale Stadtentwicklung“ auf Staatssekretärsebene am 20.03.01 verwiesen, wo dieser zwar
als „zielführend“, jedoch als „finanziell und haushaltsmäßig nicht realisierbar“ beurteilt worden war.
Mit diesem Bericht war die Arbeitsgrundlage der AG „Urbane
Integration“ zunächst beendet. Im Fortlauf gab es noch zwei Arbeitstreffen, auf denen eine Reihe von Themen ermittelt wurde, zu denen ämterübergreifende Workshops hätten durchgeführt werden können. Gleichzeitig war die Arbeitsgruppe jedoch faktisch identisch mit einer sog.
„Vorbereitungsrunde“ für die Lenkungsgruppe Soziale Stadt/Soziale
Stadtentwicklung auf Staatssekretärsebene, die im März 2000 zur Begleitung der zwischenzeitlich eingerichteten Quartiersverfahren ins Leben gerufen worden war. Der einzige Unterschied der ansonsten in Personalunion existierenden Gruppen bestand darin, dass in der Vorbereitungsrunde die Federführung bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung lag, da die damalige Staatssekretärin für Stadtentwicklung auch die
Lenkungsgruppe einberief, während der Vorsitz der AG Urbane Integration bislang bei der Sozialverwaltung für Soziales gelegen hatte.33 Da
man sich in der Vorbereitungsrunde „ohnehin traf“ und für die AG
„ohne Programm keine Geschäftsgrundlage mehr bestand“, ist ihre Arbeit seit 2002 faktisch eingestellt, durch den regelmäßigen Austausch als
Vorbereitungsrunde jedoch prinzipiell „reaktivierbar“.34 Im Frühjahr
2003 hat allerdings die Senatsverwaltung für Soziales ihre regelmäßige
Teilnahme an dieser Vorbereitungsrunde bis auf Weiteres unter Verweis
auf personelle Engpässe beendet.
Das zentrale Merkmal des Aktionsprogramms „Urbane Integration“
bestand in seinem gesamtstädtischen und ganzheitlichen Ansatz. Auf33 Zu diesem Zeitpunkt waren die Ressorts für Bauen und für Stadtentwicklung wieder zusammengelegt worden. Innerhalb des Hauses setzte
sich die Trennung in Form von unterschiedlichen Abteilungen und auch
räumlich durch die Verteilung auf unterschiedliche Dienstgebäude fort.
Die vorbereitenden Arbeiten für die AG lagen beim zwischenzeitlich eingerichteten Referat „Soziale Stadt“, das aus dem vormaligen Bauressort
heraus gebildet worden war (s.o.).
34 Gespräch mit einem ehemaligen Mitglied der AG Urbane Integration am
02.7.2003.
222
BERLIN
bauend auf einer Zusammenstellung existierender Maßnahmen und Programme ging es in diesem Konzept weniger um die Schaffung eines
neuen Programms als vielmehr um die Integration bisheriger Handlungsansätze. Die Interventionskulisse wäre entsprechend lediglich ein
Teil eines gesamtstädtisch wirkenden integrierten Ansatzes gewesen.35
Im Herbst 1998 wurde ebenfalls innerhalb der Senatsverwaltung für
Stadtentwicklung – in der „strategischen“ Abteilung, Referat IA – an
den Empfehlungen des Häußermann-Gutachtens weitergearbeitet und
eine Senatsvorlage erstellt zur „Einrichtung von integrierten Stadtteilverfahren“. Dabei orientierte sich die vorbereitende Abteilung eng an
den Erfahrungen des Hamburger Armutsbekämpfungsprogramms.36 Zusammen mit den Ergebnissen der ersten Stufe der AG Urbane Integration wurde dieser Bericht am 2. August 1999 dem Abgeordnetenhaus zur
Kenntnis gegeben. In diesem Bericht wurden 15 Gebiete benannt, in denen als Pilotvorhaben seit dem Winter 1998/99 schrittweise ein Quartiersmanagement eingeführt wurde, und die Organisationsstruktur und
Verfahrensgrundsätze der integrierten Stadtteilverfahren beschrieben.
Als Zielstellung von Quartiersmanagement wurde „eine nachhaltige,
soziale, wirtschaftliche, städtebauliche und ökologische Entwicklung
durch integriertes Handeln und vernetze Maßnahmen im Quartier“ formuliert. Aufgaben des Quartiersmanagement sind Stadtteilkoordination,
Bewohneraktivierung, Projektinitiierung und Mitwirkung an der Erfolgskontrolle (vgl. Abgeordnetenhaus von Berlin 1999c).
35 Das Konzept der „Urbanen Integration“ erinnert an Überlegungen zu einer
integrierten Planung, wie sie schon in den 1970er Jahren diskutiert wurden, jedoch nicht zur Umsetzung kamen („Rahmenprogramm für benachteiligte Bezirke zur Verbesserung der Lebensverhältnisse“, vgl. Schridde
2001: 122).
36 Angaben eines Mitarbeiters in einem Gespräch am 06.8.2003 sowie des
damaligen Referatsleiters (Gespräch am 21.9.2004), vgl. auch die Ausführungen von Strieder 1999. Auf einer Veranstaltung des Instituts für
Städtebau zur sozialen Stadtpolitik in Berlin äußerte sich die in der Politikformulierung konsultierte Hamburger Wissenschaftlerin eindeutig:
„Obwohl ich davor gewarnt habe, haben die Berliner das Hamburger Projekt einfach abgeschrieben und das Konzept von uns kopiert. So einfach
kann das aber nicht laufen“ (Monika Alisch zitiert in Eick 2000: o.S.).
223
SOZIALE STADTPOLITIK
Programmformulierung in den politischen Parteien
(1998-1999)
Die unterschiedlichen Gutachten und die öffentliche Diskussion über
sozialräumliche Polarisierung in Berlin veranlassten alle politischen Parteien im Sommer und Herbst 1998 zur Formulierung von stadtpolitischen Ansätzen und Anträgen. Die SPD beschloss beispielsweise am
7.11.1998 auf einem Landesparteitag das auch als „Strieder-Papier“ bezeichnete Konzept „In Nachbarschaft leben, wohnen und arbeiten“ und
die CDU veranlasste die Innenstadtkonferenzen.
Das „Strieder-Papier“ basierte im Wesentlichen auf den Ergebnissen
des „Häußermann-Gutachtens“. Gefordert wurde eine „neue Qualität der
Stadtplanung und Stadtentwicklung“, d.h. ressortübergreifende Zusammenarbeit im Verwaltungshandeln und die Einrichtung von Quartiersmanagement in „Gebieten mit besonderem Entwicklungsbedarf“ (SPD
Berlin 1998: 4). Das Papier verwies auch auf die zeitgleich entwickelte
soziale Stadtpolitik auf Bundesebene:
„Finanzieller und organisatorischer Bestandteil ist auch das im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung vorgesehene Programm ‚Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf‘. Die Fachbehörden sind zu verpflichten, sämtliche
Maßnahmen zur Quartiersentwicklung besonders zu berücksichtigen, Mittel
sind verstärkt in den Gebieten mit besonderem Handlungsbedarf einzusetzen
und die Bündelung und Koordinierung aller Maßnahmen ist zu gewährleisten“
(ebd.: 4).
Unter dem Titel „Auf gute Nachbarschaft – Quartiersmanagement als
lokale Aufgabe“ wurde ein Ziel der Quartierspolitik – soziale Integration
– besonders betont:
„Das Ziel der sozialen Stadtentwicklung ist soziale Integration. Wir wollen
weder soziale noch ethnische Ausgrenzung […], auch keine Ghettoisierung
von Altenwohnungen […]“ (ebd.: 5).
Um dieses Ziel zu erreichen, müsse vor allem das Verwaltungshandeln
geändert werden und stärker auf Kooperation setzen:
„Die Entwicklung der Quartiere zeigt, dass allein Verwaltungshandeln nicht
mehr in der Lage ist, soziale Ausgrenzung von Gebieten zu verhindern. Im
Gegensatz zur Stellvertreterpolitik der 80iger Jahre wollen wir die Menschen
selbst für ihr Gebiet interessieren und sie befähigen ihre Interessen selbst in
die Hand zu nehmen“ (ebd.: 6).
224
BERLIN
Bemerkenswert an dieser Forderung ist die Ausblendung der stadtpolitischen Entwicklungen in den 1990er Jahren, wie sie Strieder auch in seiner Funktion als Senator zu verantworten hatte.
Auch die Opposition reagierte: Die GRÜNEN formulierten „Handlungsstrategien für eine solidarische und soziale Stadt“ (Abgeordnetenhaus von Berlin 1998a), die PDS stellte einen Antrag „Soziale und zukunftsfähige Metropole“ (Abgeordnetenhaus von Berlin 1999a) und einen weiteren Antrag „Soziale Stadtentwicklung – statt Quartiersmanagement von oben Stadtteilkoordination in lokaler Verantwortung“ (Abgeordnetenhaus von Berlin 1999b). Die verschiedenen Strategien waren
sich in der Situationsdeutung durchaus ähnlich; sie unterschieden sich
vor allem in den stadtpolitischen Rezepturen.37 Den GRÜNEN und der
PDS gingen dabei die SPD-Überlegungen nicht weit genug, sie forderten einen gesamtstädtischen Ansatz, der über eine Politik für einzelne
Stadtteile hinauszugehen hätte. Beide teilten grundsätzlich die Erkenntnisse des Häußermann-Gutachtens, forderten aber eine konsequentere
Umsetzung.
So hieß es etwa bei den GRÜNEN:
„Die bisherigen Bemühungen des Berliner Senats, den problemhaften Entwicklungen einiger Stadtbezirke und Quartiere mit einem nachhaltigen Konzept zu begegnen, reichen nicht aus. Sie greifen auch nur sehr beschränkt die
konzeptionellen Empfehlungen der von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in Auftrag gegebenen ‚Studie zur sozialen Stadtentwicklung‘ auf.
Um höchstmögliche Synergieeffekte bei Fördermaßnahmen zu erzielen, müssten alle Senatsverwaltungen verbindlich miteinander kooperieren“ (Abgeordnetenhaus von Berlin 1998a: 2).
Das Konzept der GRÜNEN umfasste sechs Bausteine:
• Regionalkonferenzen,
• unabhängige Stadtteilmanagementagenturen,
• eine Steuerungsgruppe auf Senatsebene (Fachressorts, Bürgermeister
und externe Experten),
• Förderpriorität des Programms,
• Verfügungsfonds, über die die Regionalkonferenzen entscheiden,
und den
• Aufbau eines sozialräumlichen Berichtswesens (ebd.: 2).
37 Die parteiübergeifende Einigkeit wird deutlich im Protokoll zur 49. Sitzung des Abgeordnetenhaus von Berlin, 13. Wahlperiode, vom 17.9.1998.
225
SOZIALE STADTPOLITIK
Der Unterschied zur Regierungslinie lag vor allem im hartnäckigen Einfordern einer verbindlichen Kooperation der verschiedenen Fachverwaltungen:
„Wenn Nägel mit Köpfen gemacht werden sollen, muß damit begonnen werden, ein integriertes Handlungskonzept aus der Kleinteiligkeit der Stadtteile
über das verantwortliche Bezirksamt bis hin zur gesamtstädtischen Verantwortung des Senats zu spannen, anstatt wie der Senat halbherzig und unkoordiniert vor sich hin zu wursteln“ (ebd.: 2).
In einer im März 1999 veröffentlichten Broschüre illustrierten die
GRÜNEN ihr Modell mit zwei Beispielen: dem „System ‚Pfefferwerk‘“
als ein erfolgreiches gemeinwirtschaftliches Projekt und der Lokalen
Partnerschaft Wedding als einem erfolgreichen „Bündnis für Beschäftigung, Lebensqualität und sozialen Zusammenhalt“ (vgl. Fraktion Bündnis 90/Die GRÜNEN im Abgeordnetenhaus von Berlin 1999).
Die PDS formulierte ähnlich:
„Um sozialräumliche Konflikte in der Stadt abzubauen, reichen lokale Strategien für Problemquartiere nicht aus. Notwendig ist eine soziale Ausrichtung
der Stadtpolitik insgesamt mit dem Ziel einer stadtweiten sozialen Stabilisierung“ (Abgeordnetenhaus von Berlin 1999a: 1).
In einem solchen flächendeckenden Konzept sollten nach Ansicht der
PDS die Bezirke eine wesentlich stärkere Position einnehmen:
„Voraussetzung ist die Organisation eines demokratischen Diskussions- und
Beteiligungsprozesses, in dem die Bezirke deutlich höhere Kompetenzen erhalten und verbindliche Vereinbarungen, z.B. über lokale Partnerschaften getroffen werden“ (ebd.: 2).
In einem Diskussionspapier zur Strategie der Landesregierung brachte
die damalige stadtentwicklungspolitische Sprecherin der PDS, Katrin
Lompscher, das Unbehagen ihrer Partei mit der Umsetzung des
Häußermann-Gutachtens und seiner Vorschläge auf den Punkt:
„Interessant ist, dass die selbst geschaffenen Zwänge innerhalb der Koalition
– Sparkommissariat und ideologiefreie Modernisierung – die SPD daran hindern, diejenigen Ansätze aus dem Gutachten aufzugreifen, die auf eine Umorientierung der Stadtpolitik gerichtet sind. Stattdessen begnügt sich Stadtentwicklungssenator und SPD-Landesvorsitzender Strieder mit der Einpassung
eines Ergebnisses aus dem Gutachten in die althergebrachte Koalitionspolitik
– Einführung eines ‚Quartiersmanagements‘“ (Lompscher 1999: 4, H.i.O.).
226
BERLIN
„Der Senat“, so Lompscher weiter, „setzt [...] auf ein ‚Think Positive‘Programm und schert sich nicht um Problemursachen“ (ebd.: 5). Auch
das Aktionsprogramm Urbane Integration wurde von Lompscher als
Fortführung bisheriger Politik eingeschätzt:
„Mittelfristig plant der Senat, im Rahmen des Aktionsprogramms die Fördermittel des Bundes und der EU auf die identifizierten Problemgebiete zu konzentrieren. Es gibt keinerlei Anzeichen, dass eine weitergehende stadtpolitische Veränderung vorgesehen ist. Letztlich schafft sich der Senat mit dem Aktionsprogramm lediglich einen Handlungsrahmen, mit dessen Hilfe zusätzliche
Gelder von außen in sozial benachteiligte Gebiete gelenkt werden sollen“
(ebd.: 5).
Die in diesem Papier neben der Kritik formulierten Ansätze für ein PDSKonzept forderten im Unterschied zur Senatspolitik einen grundsätzlichen stadtpolitischen Richtungswechsel auf Basis einer qualifizierten
und fortzuschreibenden Sozialberichterstattung, verbindlicher Sozialplanung und insbesondere einer „bedarfsgerechten Finanzausstattung der
Bezirke“ (ebd.: 6). Eckpunkte waren unter anderem eine stadtweite
Stadterneuerung, eine Ausweitung demokratischer Mitbestimmungsmöglichkeiten sowie die „Erhaltung kommunaler Wohnungsbestände
und der Ausbau und die gezielte Nutzung von Steuerungspotentialen“
(ebd.: 6f). Im Rahmen einer solch umfassenden Umorientierung der
Stadtpolitik wurden ergänzend „sofortige punktuelle Interventionskonzepte“ vorgeschlagen. Unter dem Begriff „Quartiersbegleitung“ etwa
wurde hier ein alternatives Modell zum Quartiersmanagement formuliert, das lokal spezifisch auszugestalten sei, die konkreten Problemlagen
kontinuierlich ermittele, und „Ressourcen real bei den aus Armut resultierenden Problemen und den davon Betroffenen zu konzentrieren“ habe
(ebd.: 12).38
38 Vor dem Hintergrund dieser Kritik wird deutlich, warum sich die PDS in
ihrem Wahlprogamm 2001 zunächst gegen die Fortführung des Quartiersmanagement ausspricht. Im Unterpunkt „Soziale Stadterneuerung“
des Abschnitts „Soziale Stadt Berlin: Stadt für Alle“ wird stattdessen eine
Stärkung der Bezirke vorgeschlagen: „Die PDS schlägt vor: Das Quartiersmanagement wird nicht in der bisherigen Form fortgesetzt: Die Bezirksverordnetenversammlungen müssen über die Verwendung der Fördermittel mitentscheiden. Gewachsene lokale Initiativen und Strukturen
wie etwa die Stadtteilzentren unterschiedlicher Ausprägung bilden das
Rückgrat der sozial orientierten Stadtentwicklung“ (PDS 2001: 23).
Nichtsdestoweniger wurde in der Koalitionsvereinbarung des rot-roten
Senats (2002) am Quartiersmanagement festgehalten (SPD Berlin/
PDS Berlin 2002).
227
SOZIALE STADTPOLITIK
Bei aller Einigkeit in der Kritik an der zu kurz greifenden Herangehensweise der Regierung unterschieden sich die Alternativkonzepte vor
allem hinsichtlich der Rolle der Bezirke, in Bezug auf die Abschaffung
von Erhaltungssatzungen und Belegungsbindungen sowie hinsichtlich
der Privatisierung von städtischen Unternehmen. Mit Blick auf die geforderte Stärkung der Bezirke ist anzumerken, dass beide genannten Oppositionsparteien, die GRÜNEN und die PDS, in verschiedenen Bezirken in der Verantwortung standen und in den eingesetzten Verfahren
wesentliche Mitspieler waren. Die GRÜNEN etwa hatten in Kreuzberg
bzw. später im Doppelbezirk Friedrichshain-Kreuzberg des Ressort für
Bauen und Stadterneuerung inne (Schulz), die PDS stellte in Lichtenberg den Bürgermeister. In beiden Fällen gestaltete sich verschiedenen
Beobachtern zufolge in der Umsetzung (integrierte Stadtteilverfahren
Kottbusser Tor und Wrangelkiez in Kreuzberg, integrierte Steuerungsverfahren in den Großsiedlungen) nicht nur die Zusammenarbeit mit der
Senatsebene sondern gerade auch die Ämterkoordination auf bezirklicher Ebene sowie die Zusammenarbeit mit den Bewohnern in den Gremien in den ersten Jahren äußerst zäh.39
Soziale Stadtentwicklung als Teil der Berliner Stadtpolitik
im Jahr 1999
Das Ergebnis all dieser Diskussionen und Formulierungen in den Fachverwaltungen, in der Politik und in der Öffentlichkeit war das vom Berliner Senat im März 1999 beschlossene Programm zur Sozialorientierten
Stadtentwicklung, das auf drei Säulen aufbaute: auf einem „Monitoring
Soziale Stadtentwicklung“, dem in zunächst 15, ab 2002 dann in 17 Gebieten eingerichteten Quartiersmanagement und einer ressortübergreifenden Steuerungsrunde der Staatssekretäre. Das Programm wurde zunächst in Form von dreijährigen Pilotvorhaben umgesetzt, die begleitend
evaluiert wurden. In dieser Kombination eines strategischen und eines
operativen Arms mit einer kooperativen Steuerungsstruktur (auf Ebene
der Senatsverwaltung ist Abteilung I – Stadtentwicklungsplanung – zuständig für das Monitoring, Abteilung IV – Stadterneuerung – für das
Quartiersmanagement) äußerte sich der Einfluß der beiden Policy Communities der „Erneuerer“ und der „Strategen“ auf die Politikgestaltung.
39 Diese Einschätzung geht aus mehreren Gesprächen mit Monica SchümerStrucksberg hervor (29.5.2003, 25.08.2004, 27.5.2005). Sie wird gestützt
durch die Programmbegleitung vor Ort am Kottbusser Tor (s.u.) sowie informelle Gespräche mit verschiedenen Quartiersmanagern und Mitarbeitern des Referats Soziale Stadt im Zuge einer internen Zwischenevaluation
der Verfahren (vgl. Kap. 6).
228
BERLIN
Abbildung 5: Organisationsstruktur zur Umsetzung
des „Soziale Stadt“-Programms in Berlin
(Quelle: Empirica 2003a: 38)
In Bestätigung der verabschiedeten Politik widmete die im Herbst 1999
gewählte Große Koalition der „Sozialen Stadtentwicklung“ zwei Überschriften (SPD Berlin/CDU Berlin 1999: 53, 54). Dabei ging sie in ihrer
Interpretation weit über das Programm hinaus. Im ersten Abschnitt zur
„Sozialen Stadtentwicklung“ wird folgendes Ziel formuliert:
„Durch klare Entscheidungen zur Bekämpfung der Probleme in unseren Stadtquartieren wollen wir den Wegzug der angestammten Bevölkerung bremsen.
Dazu gehört auch, dass mittelständiges Gewerbe und Handel mit ihren Arbeitsplätzen in den Quartieren erhalten bleiben und gesichert werden. Die bauliche Sanierung und Erneuerung belasteter Innenstadtquartiere ist für ihre soziale und wirtschaftliche Entwicklung unabdingbar notwendig und muss auch
stets mit sozialer Stabilisierung verbunden werden. Die Herstellung oder Wiederherstellung einer ausgewogenen sozialen Struktur wird die entsprechenden
Stadtbereiche auch wirtschaftlich stabilisieren.“
Im zweiten Abschnitt zur „Sozialen Stadtentwicklung“ wurde ein Maßnahmenkatalog vorgestellt, dessen Ziel es war, „die problematischen
Entwicklungen in den Innenstadtbezirken und anderen Stadtquartieren
Berlins aufzuhalten oder umzukehren“. Zu den vorgeschlagenen Maßnahmen zählten die Priorisierung von Stadterneuerung und Stadtsanierung, die Anwendung des Programms „Soziale Stadt“, die Schaffung
229
SOZIALE STADTPOLITIK
quartiersnaher Arbeitsplätze, die Nutzung des IdA-Programms (Integration durch Arbeit), Einsatz von ABM-Ressourcen, die Ansiedlung von
„zukunftsfähigem Gewerbe“ in „Stadtbereichen mit besonderem Handlungsbedarf“, verstärkte Aktivitäten zur Wohnumfeldverbesserung und
Aufwertung des öffentlichen Raums und Effektivitätscontrolling. Neben
der prominenten Nennung im Kapitel zur Stadtentwicklung wurde dem
Leitbild „Soziale Stadt Berlin“ zudem ein eigener Paragraph (17) gewidmet, in dem ein System zur Beobachtung und Steuerung der Berliner
Sozialstruktur konturiert wurde. Hier wurde unter anderem auf das Aktionsprogramm „Urbane Integration“ hingewiesen, das zu diesem Zeitpunkt noch in Arbeit war:
„Zur Entwicklung eines gesamtstädtischen Strategie zur Entschärfung sozialer
Konflikte in besonders belasteten Stadtquartieren – Aktionsprogramm ‚Urbane
Integration‘ – wird die dafür eingesetzte Arbeitsgruppe ihre konzeptionellen
Überlegungen weiterentwickeln und ressortübergreifende Konzepte vorlegen
[…]. Für die Realisierung der Strategie zur sozialen Stadtentwicklung und des
Aktionsprogramms ist ein struktureller Interventionsfonds aus den vorhandenen Projektmitteln erforderlich“ (ebd.: 73).
Die Ausführungen im Koalitionsvertrag vom Herbst 1999 zeigen, dass
zu diesem Zeitpunkt das Programm „Sozialorientierte Stadtentwicklung“
das Herzstück eines umfassenderen Diskurses über die „soziale Stadt
Berlin“ bildete. In den folgenden Jahren sollte die „Strategie einer sozialen Stadtentwicklung“ weiterentwickelt werden, indem sowohl der operative Teil, das Quartiersmanagement, als auch das Stadtraum-Monitoring zunächst als „Piloten“ getestet und ihr Wirkungsgrad ausgewertet
wurde. Der Politikprozess bekam auf diese Weise mit neuen Akteuren,
Instrumenten und aus dem „Praxistest“ gewonnenen Erkenntnissen, eine
neue Dynamik, die später zu einer „strategischen Neuausrichtung“ des
Ansatzes führen sollte. Mit dieser Phase beschäftige ich mich in Kapitel
6. Zuvor möchte ich noch einmal resümmierend auf den bis hier dargestellten Weg zum Senatsbeschluss im Sommer 1999 zurückblicken.
230
BERLIN
P o l i c y- M a k i n g u n d I n s t i t u t i o n a l i s i e r u n g
der sozialen Stadtpolitik in Berlin
Der Programmentwurf der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie und der Beschluss des Berliner Senats vom
30.3.1999 waren die Reaktion auf eine Krisensituation, wie sie Gutachten und Medien in den Jahren 1997-1999 insbesondere für die Berliner
Innenstadtgebiete gezeichnet hatten. Die verschiedenen Veröffentlichungen stellten einerseits „disruptive events“ dar, die eine Positionierung der Akteure in den Politikfeldern Stadterneuerung und Stadtentwicklung provozierten, zugleich öffneten der durch sie markierte Handlungsdruck und die parallelen politischen Bewegungen auf Bundesebene
(Regierungswechsel im Herbst 1998, Bund-Länder-Programm „Soziale
Stadt“) ein „policy window“, das politisches Handeln legitimierte. Als
breit über Notwendigkeit und Konturen einer sozialen Stadtpolitik diskutiert und gestritten wurde, war die Politikgestaltung in den Senatsverwaltungen von den „Erneuerern“ und den „Strategen“ schon vorbereitet.
Mit der „Behutsamkeit“ lag ein Leitbild vor, das sich als Handlungsorientierung für die Politikgestaltung anbot. Da allerdings geboten war,
sich von der bisherigen Praxis abzugrenzen, wie Senator Strieder schon
im Vorwort zum Häußermann-Gutachten erläuterte, wurde mit dem
Quartiersmanagement eine noch unbesetzte Vokabel eingeführt, in der
Bewährtes und Neues zu einem neuen Ansatz zusammengebunden werden konnten.
Das politische und öffentliche Agenda-Setting in dieser Phase zeichnete sich aus durch eine besondere Betonung der selektiven Migration
(„Abstimmung mit dem Umzugswagen“) in Verbindung mit einer Ethnisierung der Beobachtungen. Dies lässt sich nachvollziehen, wenn man
den breiteren stadtpolitischen Diskurs in den Jahren davor einbezieht, in
dem die Metropolenträume Berlins noch nicht enttäuscht waren und
große Hoffnungen auf „neue Urbaniten“ (kaufkräftige Schichten mit
urbanem Lebensstil) gesetzt worden waren, die nun nicht oder nicht in
dem gewünschten Maße dem Ruf der Politik folgten (vgl. hierzu die
Beiträge in Scharenberg 2000). Diese „Krise“ musste erklärt werden,
und dazu lieferte vor allem das Häußermann-Gutachten die Argumente:
Die demographische Entwicklung, der Wandel auf dem Arbeitsmarkt,
die zunehmende Privatisierung und Eigentumsorientierung in der Wohnungspolitik und vor allem die nachholende Suburbanisierung führten,
so das Gutachten, zu „einer Verstärkung der sozialen Segregation“ und
im „Extremfall“ zur „Herausbildung von Gebieten, in denen sich die sozial, kulturell und ökonomisch diskriminierten bzw. marginalisierten
Bevölkerungsgruppen konzentrieren“ (Senatsverwaltung für Stadtent231
SOZIALE STADTPOLITIK
wicklung, Umweltschutz und Technologie Berlin 1998b: 23ff). Diese
„segregierten Gebiete“ wirkten sich, so die Argumentation, nicht nur
negativ auf die verbleibende Bevölkerung aus40, sondern ebenso auf
Hauseigentümer und Investoren, die sich aus diesen Gebieten zurückzögen.41 Aus dieser Begründung heraus verstand der damalige Stadtentwicklungssenator Strieder „Soziale Stadt als Standortfaktor“, als „Markenzeichen moderner Urbanität“ (Strieder 2000: 4). Die Situation erforderte in seinen Augen ein politisches Umdenken. Deutlich grenzte er
daher den gewählten Weg von bisheriger Politik ab, wie folgende Passage illustriert:
„Dem Begriff der ‚Sozialen Stadt‘ haftet bei flüchtiger Betrachtung etwas
scheinbar Altertümliches an. Mancher vermutet staatliche Betreuungsapparate,
eine ‚Rundum-Versorgung‘ der Bürger, denkt hierzulande an die vielen Investitionsprogramme, die im alten (West-)Berlin Beschäftigung sichern und die
Lebensqualität verbessern sollten. Wer heute von ‚sozialer Stadt‘ spricht, dem
verbietet sich allein wegen der angespannten Finanzlage ein Anknüpfen an die
Tradition der fast grenzenlosen Subventionierung vergangener Jahrzehnte“
(ebd.: 5).42
40 Die „segregierten Gebiete“ wirken „objektiv und subjektiv“ auf die Bewohner ein, so die im Häußermann-Gutachten ausformulierte Kontexttheorie: „Wenn sich die soziale Umgebung weitgehend ebenfalls aus
Menschen zusammensetzt, die am Rande der Gesellschaft leben, werden
Selbstzweifel und negative Selbstbilder verstärkt, was – zusammen mit der
objektiven Knappheit materieller Mittel – die ‚innere Kündigung‘ gegenüber der Gesellschaft wahrscheinlich macht. Alkoholabhängigkeit ist eine
häufige Konsequenz. Diese Entwicklung kann zum Verlust von Maßstäben für ein sozial verträgliches Verhalten und damit zu dauerhaften Konflikte mit den Nachbarn führen, in denen die Betroffenen – wenn es sich
um Migranten handelt – oft noch die Ursache ihres eigenen Elends sehen
[…] Objektiv werden die Möglichkeiten zu einem abwechslungsreichen
Alltag, der auch kleine Chancen einer informellen Erwerbstätigkeit bietet,
geringer, je homogener die Bewohnerschaft des Wohnquartiers ist und je
einseitiger die Funktionen in einem Quartier sind“ (Senatsverwaltung für
Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie Berlin 1998b: 25).
41 In den Worten der Gutachter: „Die soziale Mischung der Gebietsbevölkerung ist auch deshalb ein relevanter Entwicklungsfaktor für die Stadt,
weil davon das Investitionsverhalten der Privateigentümer beeinflusst
wird.“ (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie Berlin 1998b: 25).
42 Das Zitat geht weiter: „Ohne Geld wird es auch künftig keine sozial verantwortete Gebietsentwicklung geben. Und Berlin hat gerade hier wesentliche Vorleistungen erbracht. Die Milliardeninvestitionen in die Modernisierung der Infrastruktur und in die Sanierung der Wohnungen im Ostteil
der Stadt sind einerseits Beispiele für zukunftsorientierte Investitionen.
Andererseits werden sie auf lange Sicht die letzten staatlich finanzierten
Großprojekte der Stadtentwicklung gewesen sein“ (Strieder 2000: 5).
232
BERLIN
Ein solcher Politikwechsel, das notwendige „Umdenken“, zeigt sich als
Story-Line sowohl im politischen Diskurs, wie etwa im „StriederPapier“, als auch in den Äußerungen der Policy Community „Stadtentwicklung“, wenn etwa der damalige Abteilungsleiter Julian Wékel die
Aufgabe sah, „Rahmenbedingungen für eine sozial ausgeglichene, zukunftsfähige, eine ‚sozialorientierte‘ Stadtentwicklung neu zu formulieren“ (Wékel 1998: 9).43 Aus dieser Perspektive war die „Sozialorientierte Stadtpolitik“ der Versuch einer bewussten Pfadkreation, einer neuen
Form der Stadtentwicklungsplanung.
Dass sich bei aller Abkehr die Tradition der „behutsamen Stadterneuerung“ in der Politik niederschlägt, zeigt sich jedoch nicht nur in der
Auswahl der Verfahrensträger (siehe Kap. 6), sondern ebenso im Selbstverständnis des zuständigen Referats IVB. So wird beispielsweise schon
im ersten Satz des Web-Auftritts des Referats auf die Verankerung der
Politik in der Programmatik der Stadterneuerung hingewiesen. Dort
heißt es:
„‚Soziale Stadt‘, das bedeutet eine Fortführung der Stadterneuerungsprogrammatik mit den Schwerpunkten
• einer integrierten Vorgehensweise,
• der Bündelung von städtebaulichen, wohnungspolitischen, sozialen und
wirtschaftspolitischen Instrumenten und
• der Vernetzung von öffentlichen, wirtschaftlichen und privaten Akteuren“
(vgl. www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/quartiersmanagement/de/
einleitung.shtml, konsultiert am 11.11.2005).
In dieser Darstellung wird das Programm „Soziale Stadt“ in die Tradition der „behutsamen“ bzw. „sozialen“ Stadterneuerung und der Großsiedlungspolitik gestellt. Diese Perspektive legt damit eher eine Einschätzung der Politik als Pfaderweiterung nahe. Die Gleichzeitigkeit
beider Sicht-weisen und deren Vereinbarkeit in der Praxis verweisen auf
das Geschick der Policy Entrepreneurs als „boundary spanners“: Soziale
Stadtpolitik ist ein „shared space“ (Garud/Karnoe 2001b: 16 unter Verweis auf Callon 1986 und Callon 1992), ein interorganisationales Feld
(Scott 2001), in dem sich Stadterneuerung und Stadtentwicklungsplanung treffen und jeweils die Urheberschaft für sich beanspruchen können. Dies bestätigt auch theoretische Überlegungen, wie sie etwa
Kingdon angestellt hat – dass im Politikprozess eine neue Kombination
43 Wékel fährt fort: „Es wird nachzuweisen sein, in welchem Ausmaß sich
der bisherige Handlungsrahmen vor allem baulich orientierter Stadterneuerung und räumlich nicht differenzierter Fachpolitiken hierdurch erweitern
lässt“ (Wékel 1998: 9).
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SOZIALE STADTPOLITIK
bestehender Elemente oftmals erfolgreicher ist als die Einführung gänzlich neuer Ideen:
„In the process of policy development, recombination (the coupling of
already-familiar elements) is more important than mutation (the appearance of
wholly new forms). Thus entrepreneurs, who broker people and ideas, are
more important than inventors [...] Because recombination is more important
than invention, there may be ‚no new things under the sun‘ at the same time
that there may be dramatic change and innovation. There is change, but it involves the recombination of already-familiar elements“ (Kingdon 1995: 201).
Mit der Etikettierung als „Quartiersmanagement“ gelang es Strieder zudem, die Policy „schön einzukleiden“ (vgl. Windhoff-Heritier 1987: 72)
und sie gegen andere Modelle durchzusetzen.44 Das vorläufige Scheitern
der Vorschläge der Arbeitsgruppe Urbane Integration zeigt, dass weiterreichende Konzepte noch nicht die ausreichende Mobilisierungskraft
hatten, auch andere Fachpolitiken für eine integrierte Quartierspolitik zu
gewinnen.45 Die Arbeit der AG Urbane Integration lässt sich als „alternative specification“ (Kingdon 1995) lesen, als Hintergrundarbeit im Policy-Stream, auf die im weiteren Politikprozess zurückgegriffen werden
kann, die aber zugleich zur Abgrenzung der letztlich durchgesetzten
Policy dient. Die signifikante Ausweitung der Gebietskulisse nach der
Pilotphase und die zugleich vorgenommene Differenzierung der Interventionsintensität aufgrund der Ergebnisse des fortgeschriebenen StadtMonitoring kann als ein Indiz dafür angesehen werden, dass mittelfristig
eine Durchsetzung des dort schon diskutierten stadtweiten Ansatzes
durchaus möglich ist (siehe Kap. 6).
Die Umsetzung des Senatsbeschlusses in 17 Pilotprojekten steht im
Mittelpunkt des folgenden Kapitels. Dabei geht es in erster Linie darum,
wie die beteiligten Akteure im „shared space“ der sozialen Stadtpolitik
ihren jeweiligen Interpretationsspielraum in der Konkretisierung der
Programmvorgaben ausfüllen. Es lassen sich unterschiedliche handlungsleitenden Orientierungen der „Strategen“ und der „Erneuerer“
identifizieren, die in diesem Prozess aufeinandertreffen. Dies wird deutlich in den drei zentralen Konstruktionen zur Umsetzung der Politik: den
44 Allerdings konnte Strieder „sein“ Programm auch nicht vollständig durchsetzen – die ressortübergreifende Kooperation auf Landesebene und die
Mittelbündelung unterschiedlicher Ressorts gelang ihm nicht. Der Beiname „Strieder-Programm“ gefährdete zudem die langfristige (vor allem die
parteiübergreifende) Akzeptanz des Ansatzes.
45 Hier liegt eine Parallelität zur Bundesebene, wo sich die Beteiligung der
Ressorts für Bildung, Wirtschaft, Beschäftigung etc. nicht oder nur ansatzweise einstellte (vgl. Kap. 4).
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BERLIN
„Quartieren“, den „Quartiersmanagern“ und den „integrierten Handlungskonzepten“. Um die in diesen Konstruktionen wirksamen Handlungsorientierungen herauszuarbeiten, beschränke ich mich in der folgenden Darstellung jedoch nicht auf das über Mittel der Städtebauförderung (Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“) und des Europäischen
Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) kofinanzierte Landesprogramm „Sozialorientierte Stadtentwicklung“. Betrachtet werden auch
die Implementations-Systeme für die EU-Gemeinschaftsinitiativen
URBAN I (1994-1999) und URBAN II (2000-2006) in Berlin – mit dieser programmübergreifenden Perspektive ist es möglich, zu Einschätzungen über die institutionellen Orientierungen der lokalen Akteure in
der Ausgestaltung der bisherigen Varianten der sozialen Stadtpolitik zu
kommen.
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