Historisches Seminar
der Universität Zurich
Philosophische Fakultät
I
,,Es wird gestraft.
Macht.
Das ist die ganze Erkenntnis."
Analyse des Gewaltdiskurses in Zürich 1967-1969
Lizentiatsarbeit
Eingereicht bei Prof. Dr. Jakob Tanner
Abgabedattm; 2. Juni 2000
Silvia Berger
Klausstrasse 24
CH - 8008 Zurich
Tel. P. 01/ 383 76
l0
Email : sberger@ acces s.un izft.ch
LzgNuersARBErr
lnhaltsverzeichnis
1
2
I
EINLEITUNG
t.l
PROLOG
t.2
FRAGESTELLUNG
1.3
THEoRETISCH-METHODISCHER
1.4
FORSCHUNGSSTAND..................
1.5
QUELLENT-Acr LN o -epsrÄN oE
1.6
AUFBAUDERARBEIT
RAHMEN
ANALYSE DER GEWALT
2.I WAS BEDEUTET DERBEGRIFE GpwAI.T?
2.1.1 DerGeu,altbegrtff.
2.1.2 ...und sein semantischer Raum
2.2 STAATUND GSwALT
2.2.I Hqt der Staat Recht auf Gev,alt? Macht, Recht und Gewalt im philosophischen Denken
der
I5
Neuzeit
2.2.2 Gev,ah in der Demokratie
2.3 STRATEGIEN osRG¡wALTLEGITMIERUNG
2.3.1 Die Legitimitdt revolutionörer Gev,ah im Spàrkapitqlismus: ,,Kritische Theorie",
4
2.3.1.1
Analyse und Kritik des spätkapitalistischen Gesellschaftssystems.....
21
2.3.1.2
Marcuses ,,absolute Weigerung" und das,,Naturrecht" auf Widerstand
23
2.3.1.3
Das Problem der Gewalt in der Opposition
25
2.3.1.4
Der 2. Juni 1967 als ,,kritisches Ereignis"..............
26
THEORETISCHERRAHMEN
3.I
3.2
3.3
3.4
31
BEDEUTUNG ALS TEXT: POSTMODERNER PERSPEKTIVENWECHSEL I.JND,J,INGLIISTIC TURN"..................
3l
DERDISKURSI.]ND SEINEDEFNITION
34
DIE HISToRISCHE DISKURSANALYSE MICHEL FOUCAI.JLTS.,,,.....
38
DER EINBEZUG VoN BILDQUELLEN IN DISKURSANALYTSCHE ARRANGEMENTS
40
METHODISCHE UBERLEGUNGEN
4.I
42
42
DISKTIRSDENTIFIKATION
4.1.1
4.1.2
Das Voru,issen oder: die evidenten Wissenseinheiten ùber die Exislenz
des
Diskurser.............. 43
Strategien der Diskursidentifikation: Akteur- oder institutionenorientierles und lhematisches
44
Vorgehen
4.2
20
2I
Studentenbev,egung und das Problem der Gewah in der Opposition
3
18
DISKURSANALYSE: AUFDECKEN DISKURSTVERFORMATIONEN LTND DEREN TRANSFORMATION.,.... .........45
I
LznNnersARBErr
5
DIE SCFTWEIZ IN DEN sOER UNÐ 6OER JAHREN
-
AUF DEM WEG ZUR
BEWEGUNGSGESELLSCHAFT ....
5.1
49
ÖroNotr¡rscHE uND sozo-öKoNoMIScHE PARAMETER DER NACHKRßGSENT\TICKLUNG:
.................... 50
WIRTSCHAFLICHER UND SOZIALER WANDEL.
5.2
POLITTSCHE PARAMETER DER NACHKRIEGSENTWICKLUNG:
LTND LIBERALER KORPoRATISMUS
5.3
KONKORDANZ, VERHANDLUNGSDEMOKRATIE
52
.........
DAS POLITISCHE SELBSTVERSTÄNDNIS DERNACHKREGSSCHWEZ: ANTIKOMMUNISMUS, NEUTRALITÀT
54
uNo,,SowD¡RTALL ScHwEtZ" ..........
5.4
5. 5
GESELLSCHAFTLICF{E
GÁnuIc:
,,HELVETISCHES MALAISE.. UND,,VERRAT AN DER OPPOSITON.......,..,, 56
AUSSERPARLAMENTARISCHE OPPoSITIONSSTRUKTUREN: AKTEURE, PROTEST-ZYKLUS I.JND
58
ARTIKULATIONSFORMEN
5.5.1
62
JungeOpposition.
5.5.1.1
Jugendliche Verweigerungshaltung: Vom,Falbstarken" zum,,Teenager"
62
5.5.1.2
5.5.1.3
Politisch motivierte Junge Opposition: Die,,Junge Linke"
64
Die,,Junge Linke" in Zürich
65
5
.5.1.4
Kurzporträt der Fortschrittlichen Studentenschaft Zürich (FSZ) und der Jungen Sektion der PdA Zürich
68
5.5.1.5 Kurzchronik der Aktivierungsereignisse
in Zürich 1965-1969 (unter besonderer Berücksichtigung der
Organisationsinitiative der FSZ und der Jungen Sektion PdA)
70
72
6.I IDENTFtr(ATIoN DES GEWALTDISKURSES
6.1.I Die evidenten Wissenseinheiten über die Existenz des Geu,altdiskurseJ................. ......................72
73
6.1.2 Der ,,Ort des Aussagens": Eiffihrung der Diskursgemeinschaflen
6.1.3 Bestimmung der diskursiven Ereignisse im Geu,ahdiskurs.............. ......................... 74
76
6.2 ANALYSE DES GEWALTDISKURSES 1967.1969: DIE ORGANISATON DES AUSSAGENFELDES
6.3
DER GEWALTDISKI.]RS 1967: FELDORGANISATION, BEGRIFFSSTRUKTURIERI.JNG
SrR¡recmN
DER
I.]ND DISKURSTVE
(DE-) LEcrrrMrERr.JNc
77
78
6.3.1 Vietnamdemonstration vom 4. Februqr 1967
82
6.3.2 Protestdemonstration gegen die Stadtpolizei vom 26. August 1967
84
6.3.3 Internationaler Vietnamlagvom 21. Oktober 1967
90
6.3.4 Semantischer Raum des Gewaltbegriffes im Diskurs 1967
6.4 DER GEWALTDISKT]RS 1968: DIs DYNAMISIERUNG DES THEMENKOMPLE)GS., ..................90
........95
6.4.I April und Mai 1968: Studentenunruhen in Deutschland und Frankreich ........
6.4.2 Zu,eites Jimi Hendrix-,,Monsterkonzert" vom 31. Mai 1968.
...99
. 104
6.4.3 ProtesÍdemonstration und Beselzung des Globus-Gebciudes am 15. Juni 1968.....
6.4.4 Gross-Demonsîration beim Globus am 29. Juni 1968 und Globus-Krou,alle vom 29.6.-1.7.1968...
106
6.4.5
6.4.6
Semantischer Raum des Gewahbegriffes
Exkurs: Die Enn icklung
6.4.6.1
des
1968..........
........................ I 14
jurislischen stabilisierten Gev,ahdiskurses ab 1968.
lI4
ll6
Diskursive Vermittlungselemente
II
LzENTTRTSARBEIT
6.5 DE AUFLÖSUNGDES GEWALTDISKURSES IM JAHR 1969 ,,.,.,.,,.
6.5.1 Teach-in am Bellet'ue und vor dem Obergerichtsgebciude vom I I. Juni 1969
6.5. 2
Sentantischer Raum des Geu,ahbegrffis I 969....................
119
123
6.6
EPILoG: DIE AUFSPALTUNG DER,,JLTNGEN LINKEN,. IN ZÜRICH.....
124
6.7
UBERLEGUNGEN ZUM ZUSAMMENHANGZWISCHEN SPRACHE UND POLITISCHEM HANDELN.....
t2s
7
SCHLUSSBETRACHTUNGUNDAUSBLICK.............
8
BIBLIOGRAPHIE
138
8.1 QUELLEN
8.1.1 Ungedruckte Quellen
8.L2 Gedruckte Quellen
8.L3 Periodika
8.2 DARSTELLUNGEN...,..,.......
9
.. 118
138
138
139
139
t40
ts2
LEBENSLAUF.......
Titelzitat:
Frisch, Max. Die grosse Devotion. In: ,,Die Weltwoche",72.7.1968.
ilI
LzgNnarsARBErr
1
EntlBtruNc
Einleitung
1.1 Prolog
1964 prägle der Basler Staatsrechtler Max Imboden das Diktum vom,,helvetischen Malaise".l
Das selbstverståindliche Einvernehmen mit der politischen Umwelt und ihrer Form, der
Demokratie, so konstatierte Imboden, sei allmåihlich am Erodieren. Tatsächlich vergrösserte
sich Mitte der 60er Jahre der Unmut über die vermeintliche Entfremdung zwischen Teilen der
Schweizer Bevölkerung qnd ihren lnstitutionen; Stimmen am Rande und ausserhalb des
Gefüges taditioneller intermediåirer Organisationen begannen,
,,Oligarchisierung des politischen Lebens'z
zrr Wehr
zt¿. se%en
sich gegen
die
und Fragen nach der
Funktionsweise direktdemokratischer Institutionen und den Partizipationsmöglichkeiten an
den etablierten politischen Kommunikationsstrukturen zu stellen. Sie beklagten die fehlende
Flexibilität im Land, um die politischen und geistigen V/erte der Schwea mit einer sich
wandelnden Welt in Übereinstimmung zu bringen.3 In der medialen Öffentlichkeit wurde dem
,,helvetischen Malaise" grosse Aufinerksamkeit zuteil. Im Rahmen dieser in der Presse natrezu
uferlos geführten Debatten zur gesellschaftlichen Gåirung sprach die nonkonformistische
,/ixcher Woche" 1967 gar von der Schweiz als einem ,,Land ohne Zukunff' und ,,einem
Land, das in denNotstand gekommen isf'.4
Max Imboden machte auch auf die möglichen Folgen der von ihm konstatierten
,,schleichenden Krise" aufnerksam: ,,Derartige Úbergåinge zwischen Bejahung und
Vemeinung sind bedrohlich. Sie verzehren die Kräfte des einzelnen, und sie ltihmen die
Tatkraft der Gemeinschaft. In der Feme zeigt sich die Möglichkeit einer plöølichen und
ungesttirnen explosiven Entladung."S Tm Sommer 1968 sollte sich seine hophezeiung
bewabrheiten.
Ein Merkmal der Mitte der 60er Jahre ansteigenden Unzufriedenheit war, dass bis zu diesem
Zeiþunkt kaum bekannte Aheure das sich allmählich beschleunigende Konfliktka¡ussell
t'
3
Imbod"n,Helvetisches Malaise.
H e i ni g" r, Antiatombew egwg, 28.
Das Unbehagen balurte sich vorerst meh¡heitlich in den zeit- und kulturkritischen Stimmen einer moderaten
Rechten einen Weg, die in den folgenden Jalren durch den Auff¡itt einer ,,Neuen Linken", der ,,neuen
Frauenbewegung" und einer Vielzahl umwelt- und energiepolitisch motivierter Bewegungen eskortiert wurde.
Kö ni g/Krei s/A4e i s t er/G a et ano (Hg. ), Dynamisierung, I I - I 4.
o
,,ãürcher Woche", I.7.1967.
I
En¡rprrcrNc
LzpNuersARBErr
bestiegen: Es waren Jugendliche, die sich teilweise organisiert, vielfach aber ohne feste
organisatorische Strukfuren gegen
die staatlichen Institutionen und das gesellschaftliche
Werte- und Normengefüge auszusprechen begannen. tn Ztirich wurde ab 1967 auf Initiative
der ,,Fortschrittlichen Studentenschaft Znrich" (FSZ) und der ,,Jungen Sektion der PdA
Zirich" (Junge Sektion) versucht, die Aktionen der aus unterschiedlichsten Subkulturen
hervorgegangenen Gruppierungen von Jugendlichen in der Stadt unter dem Namen
,,Fortschrittliche Arbeiter, Schüler
turd Studenten" (FASS) ztt koordinieren. Mit
unkonventionellen Artikulationsformen wíe Demonstrationen, ,,Teach-ins", ,,Sit-ins", ,,Go-
ins", ,,Love-ins"6 und Sfiassentheatern protestierten sie gegen Autoritäten
in Schule
und
Universität, gegen den Vietnamtaieg, die Ausbeutung der Dritten Welt, die Missstände im
Polizeiapparat der Stadt Zu-'ich und gegen den,,Ruhe- und Ordnungskult", womit die allseitig
propagierte Leistungsbereitschaft im Berufs- und Schulalltag und das starre gesellschaftliche
Verhaltenskorsett gemeint waren. Im Sommer 1968 kanalisierte die chimåirische Bewegung,
die in der Forschungsliteratur als ,,68er Bewegung"T chiftiert wird, ihre Stimmen in der
im leerstehenden Globusgebäude am
Bahnhofquai. Ende Juni spitaen sich die vorab auf verbaler Ebene geführten
Forderung nach einem autonomen Jugendzentnrm
Auseinandersetzungen zwischen den Jugendlichen und den Stadtbehörden zu. Am Abend des
29.
htîi 1968 schliesslich lieferten sich bei einer Grossdemonstration vor dem Globus-
Provisorium mehr als 2000 Demonstranten und ein Grossaufgebot der Stadtpolizei Zärich
heftige Strassenkåimpfe. Die gewalttätigen Konfrontationen dauerten bis zum 1. Juli 1968 an.
Fazit der sogenannten ,,Globuskrawalle": 208 Festnahmen und über 60 Verletzte.s
Erstmals hatten Jugendliche, welche die herkömmlichen V/ohlstandspfade ablehnten und mit
ursprünglich weitgehend gewaltlosen Protestformen nach neuen Wegen der
Selbstverwirklichung sfrebten, das staatliche Gewaltnonopol in einer Weise herausgefordert,
dass massive physische Gewaltreaktionen aus der
Mitte des demokratischen
Rechtssystems
heraus stattfanden. In wenigen Stunden wurde damit im Hinblick auf die Formen politischer
Auseinandersetzungen
in der Schweiz der seit dem Landesstreik von 1918 praktisch
s
Imboden,Helvetisches Malaise, 5.
In der Folge werden die Bezeichmrngen für die neuen Aktionsfomren nicht mehr in Anführungszeichen gesetzt.
t Siehe beispielhaft Zv,eifel, Ordnrurgsdienst, 183. Im Einklang mit der aktuellen Schreibweise n der NZZ
6
werden
in der Folge alle mit der Z,ahl
,,68* verknüpften Begriffe und Wortgruppen nicht mehr in
Anfü'hnrngszeichen gesetz¡'
t Vgl.
dazu Stadt AZ, Y.B.c.I1:39, Bericht von Oberrichter Dr.
,,Untersuchturg der Vorwtirfe an die Stadtpolizei im Zusammenhang
H. Gut an den
Stadtrat bezüglich der
mit der Verhaftung von Unruhestiftern
anlässlichderVorfrillevordemGlobusprovisoriumundderHauptwachevom29.6.-1.7.1968",
2
15.11.1968,2.
En¡I-EIrrn{c
LzBNUeTSARBEIT
unangetastete Nimbus einer gewaltfreien Gesellschaftsordnung zerstört. Die ,,Globuskrawalle"
katapultierten die Frage nach den legalen und legitimen Formen politischer Konfliktaustragung
und der Bedeutung von Gewalt im politischen Protest ins Zentntm der öffentlichen
Auseinandersetzung. Offenkundig manifestiert sich
die öffentliche Präsenz des
Themas
beispielsweise in dem Ende 1968 erschienenen Sammelband ,,Wehret den Anfüngen!"
- eine
von der ,,Neuen Zurcher Zeittng" im firmeneigenen Verlag publizierte Sammlung ihrer
Artikel zum Thema Gewalttätigkeit in der Politik.e Und im Dezember 1968 und Januar 1969
befasste sich die ,,Tat"
in
mit dem
einer grossen Gesprächsserie
Thema ,,Politik und
Gewalt".l0 Diese sollte, mit den Worten von Chefredaktor Alfred A. Häsler, einen Beitrag zur
,,geistigen Kl2irung der Frage: Gewalt ja oder nein" leisten.ll
1.2
Fragestellung
Vor diesem Hintergrund soll der Fokus meiner Arbeit auf den Gegenstandsbereich Gewalt
gerichtet werden. Ich möchte den sich imZnge der 68er Ereignisse entfaltenden Gewaltdiskurs
analysieren. Kurz zusammengefasst handelt es sich bei dieser Analyse um die Errnittlung der
sprachlichen Strukturierung des Bedeutungsgefüges der Gewalt
-
der Vorstellungsmuster,
Deutungslinien, Grundübeneugungen und Sichtweisen zur Gewalt. Es wird danach gefragl.,
mit welchen Bausteinen dieses Gefüge organisiert wurde, wie die Bausteine beschaffen waren
und ob sie im Laufe der Protestereignisse ,,ausgewechself'wurden. Der BegriffGewaltdiskurs
wird in dieser Arbeit als eine Ansammlung von Aussagen zur Gewalt verstanden, welche im
weitesten Sinne über inhaltliche (beziehungsweise semantische) Kriterien oder Merkmale
also die Bausteine
- verfügen.
-
Die Kriterien oder Merkmale werden ihrerseits durch diskursive
Formationen hergestellt. Unter diskursiven Formationen verstehe ich in Anlehung an Claude
Lévi-strauss ,,Basteleien", deren Urheber ,,auf eine bereits konstituierte Gesamtheit von
Werkzeugen und Materialien zurtickgreifen; eine Bestandesauftahme machen oder eine schon
vorhandene umarbeiten; schliesslich und vor allem [...]
mit dieser Gesantheit in eine Art
Dialog treten, um die möglichen Antworten [die Bausteine, Anm. SB] zu ennitteln, die sie auf
das gestellte Problem [das Bedeutungsgefüge der Gewalt, Anm. SB] zu geben veÍnag."l2
Diskursive Formationen bestimmen in diesem Sinne die Grenzen und Möglichkeiten des sinn-
e
Wehret den Anfüngen! Zur Gewalttätigkeit in der Politik.
Die,,Tat", 14.12.1968 2r.r2. 1968; 28.12.1968; 4.r.1969 ;
10
rr
t2
Die,,Tat", 14.12.1968.
Lëui-Strouss, Das wilde Denken, 31.
J
1 1. 1. 1
969;
1
8. 1.
1
969.
Enqr.ErruNc
LzpNUETSARBEIT
oder bedeutungsvollen Sprechens und Denkens zur Gewalt und institutionalisieren somit die
Vorstellungsmuster, Deutungslinien und Grundüberzeugungen
- das Bedeutungsgefüge -
zlJr
Gewalt.
Aus diesen Ausführungen wird ersichtlich, dass es in dieser Arbeit keine direkt auf die 68er
Ereignisse und die 68er Bewegung bezogenen inhaltlichen Fragestellungeî nrm Phänomen
Gewalt zu beantworten gilt. Es geht vielmehr darum, einen Einblick
kulturellen Kommunikation und Wissenskonstruktion zur Gewalt
in die Prozesse der
im Kontext der
68er
Ereignisse zu gewinnen. Wie sich der Gewaltdiskurs konkret operationalisieren lässt, das
heisst wer im Diskurs wann als Sprecher auftrat und mit welchen Fragestellungen sich das
Bedeutungsgefüge in den Diskursaussagen analysieren låisst, wird im folgenden theoretischmethodischen Abschnitt ausgeführt.
1.3
Theoretisch-methodischer Rahmen
Die Frage nach den Bausteinen, die das Bedeutungsgefüge der Gewalt im Protestverlauf
konstituieren,
ist ohne den Einbezug der Diskurstheorie oder Diskursanalyse nicht zu
verstehen. Die Hinwendung zum Diskurs und dem Konzept der Diskursanalyse kann als
Resultat des ,,linguistic turn"
Einstellungswandel
geht
in der Geschichtswissenschaft verstanden werden.l3 Dieser
vereinfacht gesprochen von den im Rahmen der
poststnrkturalistischen Epistemologie geprägten Annahme aus, dass Sprache als einziger
Nåihrboden von Bedeutung und für Bedeutung erachtet werden darf.t4
Poststrukturalistische Sprachkonzeptionen
von Autoren wie Michel Foucault, Jacques
Denid4 Roland Barthes, Jean-Francois Lyotard und Julia Kristeva unterstreichen die
konstitutive Rolle der Sprache und ihrer Organisation - ihrer ,,diskursiven Struktur"
- bei der Produkfion und dem Erleben von Wirklichkeit. Die Sprache wird bei
diesen Autoren gewissermassen als Geftiss konzipiert, in dem bereits vorhandene
(Foucault)
Wissenskomplexe einer Gesellschaft realisiert und aktualisiert werden. Sie interpretieren die
sprachliche Materialität somit als prägenden Faktor bei der ,,Präparation" und Wahrnehmung
der sozialen Wirklichkeit, des Bewusstseins, Denkens und Sprechens der Vielen. Zusammen
13
öttler,Paradigma, I 59.
Nach Ute Daniel ist mit der poststrukturalistischen Epistemologie der Verlust der ,$orrespondenztheorie der
Wahrheit" verbunden. Diese ,,Korrespondenztheorie" gþg erstens vom erkennenden Subjekt als Betrachter aus,
zweitens von einer Vorstellung des Betrachteten als Welt ,,da draussen", die du¡ch Vorstellungen und
Wahrnehmungen repräsentiert werde, und d¡ittens von einem Sprachkonzept, das die Bedeutung eines Wortes
mit dem gleichsetae, auf was es verwies. Daniel, Kulturschock,26l,262.
la
Sch
4
ENLsrrtrNc
LzeNrersARBEIT
mit der im Zuge der Marxschen Ideologiekritik und der Freudschen
einsetzenden Dezentrierung des historischen Subjekts
Psychoanalyse
wird der Sinn in den Reden und Texten
von Sprechern daher nicht mehr auf eine lntentionalitat eines schöpferischen Autor-Subjektes
als ein Letfes bezogen sondern als ein Produkt von zirkulierenden Signifikanten und
diskursiven Mustern begriffen (dem wirkungsmächtigen Kontext des historischen Subjekts).
Auf einen Teil der Geschichtsschreibung der letzten zwarr;ig bis dreissig Jahre haben
Auffassungen
von
Sprache, Textualität
und Sinn- oder
diese
Bedeutungsgenese einen
entscheidenden Einfluss ausgeübt. Diskurstheoretische oder diskursanalytische Ansätze
in der
Geschichtswissenschaft versuchen deshalb, mittels einer Analyse textueller Oberflachen die
Sinnproduktion aufjene Hauptvektoren zlJ untersuchen, die Bedeutung massenhaft erzeugen
und das Denken der Vielen zu einem spezifischen Gegenstandsbereich strukh¡rieren
-
im
Zentrvmdes Interesses steht also die Stnrkturierungsleistung der diskursiven Formationen.ls
Auf der Basis der historischen Diskursanalyse Michel Foucaults in der ,,Archäologie
'Wissens"r6
des
entwickle ich in dieser Arbeit ein spezifisches methodisches Vorgehen, das die
Untersuchung des Bedeutungsgefüges der Gewalt ennöglichen soll.
Die in einem ersten methodischen Teil der Arbeit entwickelte
Vorgehensweise
n$
Identifikation des Gewaltdiskurses grenzt den Untersuchungsgegenstand in zweierlei Hinsicht
ein: Erstens werden im Hinblick auf die Festlegung der Einheit des Disku¡ses (das zu
analysierende Aussagenkorpus) spezifische Sprecher- oder Subjeþositionen (sogenannte
DiskursgemeinschafteQ eruiert. Ich gehe dabei von der methodischen Pråimisse aus, dass zum
Themenkomplex Gewalt
in
Zunch nur von bestimmten Sprecherpositionen
(legitimierten) Orten der Macht oder der organisierten Gegenmacht
gesagt werden kann. Zweitens werden
im
den
- sinnvollerweise etwas
Protestgeschehen Kristallisationspunkte
in der
kontinuierlichen Auseinandersetzung zum Gegenstandsbereich Gewalt festgehalten. Die
methodische Pråimisse lautet in diesem Zusarrmenhang, dass das Sprechen anm Gegenstand
Gewalt bei bestimmten Aktivierungsereignissen des Protestes eine Hochkonjunktur erfÌihrt.
Gewisse Aktivierungsereignisse bilden aufgund ihrer Themensetzung oder Aktionsformen
demnach diskursive Ereignisse
im
Gewaltdiskurs (so bildet das Aktivierungsereignis
,,Globuskrawall" beispielsweise ein diskursives Ereigris
15
16
Sarasin,subjekte, 145.
Foucault,Archäologie.
5
im Diskurs). Aufgrund dieser
Er¡{LsrnrNc
LzsNtlersARBEIT
Eingrenzungen untersuche ich den Gewaltdiskurs
n
Znrich trn Zei|ram von 1967 - 1969
(anhand von acht diskursiven Ereignissen zwischen 1967 und 1969), wobei als Orte des
legitimierten Sprechens oder Aussagens (die Orte der Macht und der organisierten
Gegenmacht) das ,,Establishmenf' und
die ,,Junge Linke" als
Diskursgemeinschaften
eingeführt werden. Die Diskursgemeinschaft ,,Establishment" wird durch den Stadtrat als
Exekutive der freisinnig dominierten Stadtregierung und der ,,Neuen Zircher ZeiÎ:.tng" ats
Sprachrohr des Zürcher Wirtschaftsfreisinns repråisentiert. Die Diskursgemeinschaft ,,Junge
Linke" wird durch die ,,Fortschrittliche Studentenschaft Zürich" (FSZ), die ,,Jungen Sektion
der PdA ZuiLch* (Junge Sektion) sowie die Koordinationsgruppe ,,Fortschrittliche Arbeiter,
Schüler und Studenten" (FASS) vertreten.
In
einem zweiten methodischen Teil habe ich Foucaults Programm der Beschreibung
diskursiver Formationen als Theorie diskursiver Praxis weiter modifiziert. Aus diesen
Modifizierungen resultiert eine methodische Analyseanleitung,
die vorab nach den
Dimensionen und dem Horizont fragl, die füLr den Gegenstand Gewalt in den Diskursaussagen
der beiden
Diskursgemeinschaften definiert wurden.
Nach der Ermittlung
dieser
Dimensionen, die ein Bild von der Organisation des Aussagenfeldes zeichnen, soll als weitere
wichtige Analyseeinheit die Stn¡kturierung des semantischen Raums des Gewaltbegriffes
untersucht werden. Ilr einem letzten Schritt möchte ich schliesslich die diskursiven Strategien
der (De-) Legitimierung der Gewalt erörtern.
1.4
Forschungsstand
ún Gegensalz
1968
zlur quantitativ breiten
Rezepion der weltweiten Mobilisierungsereignisse von
in der GeschichtswissenschaftlT und der massenmedialen
Aufbereitung der 68er
Ereignisse und Protagonisten wurde die Frage der Gewalt im Zusammenhang mit den Jugend-
und Studentenprotesten åiusserst stieûnütterlich behandelt. Diese Tatsache erstaunt, haben
doch Persönlichkeiten wie der Philosoph und Soziologe Oskar Negt, der sich selbst als
Mentor und aktiven Begleiter der Ereignisse
Relevanz des Themas verwiesen.
In
in der Bundesrepublik
beschreibt, auf die
seinem 1995 erschienen Buch ,¡A,chtundsechzig.
Politische Intellektuelle und die Machf'betonte Negt mit Blick auf Deutschland:
Der aktuellste deutschsprachige Titel stellt in diesem Zusammenhang das 1998 in der Reihe ,,Geschichte trnd
Gesellschaft" von Ingrid Gilcher-Holthey herausgegebene Sonderheft l7 ,,1968 - Vom Ereigrris zum Gegenstand
der Geschichtswissenschaft" dar. Gilcher-Holthey weist im Hinblick auf die wissenschaftliche Aufarbeitung des
bewegten Jatres 1968 auf eine grosse Forschungslücke hin: die wissenschaftlich gestützte vergleichende
historische Analyse. Gi lch er-Hol th ey (He.), 1968, 7 .
17
6
ErNlerruxc
LzeurersARBEIT
,,Erst 1968 ist jener Gewaltdiskrus eröffiret worden, der schon zwanzig Jahre frtiher, als die Erfahrungen und
Erinnerwrgen an Faschismus und Krieg noch lebendig waren, hätte in Gang gesetzt werden müssen, wäre eine
tieþeifende Veränderung der Vergangenheit erwünscht gewesen. Dieser Anfangsdiskurs hatte
eine
philosophische rurd praktische Reichweite, die sich in den siebziger Jahren Schritt für Schritt auf den BaaderMeinhoÊKomplexr:nd die staatlichen Reaktionen darauf verengte; hgute ist er [der Anfangsdiskurs, Anm. SB]
fast vergessen, allenfalls bei Jubiläumsveranstaltungen gegenwärtig. "l8
Ftir Deutschland ist die Ausbeute im Hinblick auf Forschungsbemtihungen zum sogenannten
,,Anfangsdiskurs" der Gewalt klein: Zu erwåihnen sind ein Videoprojekt der Medienwerkstatt
Freiburg aus dem Jahre 1987, das sich unter dom Titel ,,Projekt Arthur. Die Gewaltfrage
-
1968" mit der Frage der Miffel zur Durchsetzvngpolitischer Ziele, der Frage von Gewalt und
Gegengewalt auseinandersetzt sowie das bereits erw¿ihnte Buch von Oskar Negt, der sich
eingehend mit der Gewaltfrage in Deutschland beschäftigt. Daneben finden sich vereinzelte
Úberblickswerke und Außätze
zt 1968, die das Thema aufgreifen.te
,,Literatur über die 68er Bewegung in der Schweiz ist praktisch keine vorhanden "o
-
dem
wenig erbauenden Fazit von Dominique Wisler aus dem Jahr 1996 muss man auch unter
Beräcksichtigung des aktuellsten Forschungsstandes zustimmen. Die 68er Bewegung in der
Schweiz wurde lediglich
Bewegungen2l und
im
Rahmen
von Untersuchungen zrl den Neuen Sozialen
im Zage der Analysen zu den Jugendunruhen anfangs der 80er Jahre unter
r8
Negt, Achtundsechzig, 52. Ähnlich argumentieren Uta Gerhard r¡nd Ekkehard Mochmann in ihrer Studie zur
Gewalt in Deutschlarìd: ,pas Gewaltthema hat im westlichen Deutschland bereits einmal in den sechziger Jahren
im öffentlichen Leben und auch im politischen Geschehen einen wichtigen Platz innegehabt. Darnals wurden die
Demonstrationen der Studenten als Gewalt erfahren [...]. Zugleich wurde die Legitimation staatlicher Gewalt
diskutiert unter dem Gesichtspunkt der Rechte der Polizei bei Übergriffen auf demonstrierende Studenten rmd
auch anlässlich der Notstandsgesetzgebung, die 1969 verabschiedet wurde." MochmannlGerhardt, Gewalt in
Deutschland, 8. Des weiteren hat auch Otthein Rarnmstedt auf die Problematik der Gewaltfrage Ende der 60er
Jahre in Deutschland hingewiesen: ,,Die Diskussion um Gewalt setzte in der Öffentlichkeit und in der
Wissenschaft [...] Ende der 60er Jahre eiru als ersÍnals Gewalt zum Problem wurde. [...] Das zeigt sich daran,
dass gewalttätiges Handeln nicht mehr wie selbstverståindlich als kriminell in der Öffentlichkeit hinzustellen war,
wie nmgekehrt nicht mebr wie selbstverständlich der Staat Gewalt znigen konnte, ohne die Frage nach der
Legitimität stellen zu müssen. Rammsledt, Gewaltverständnis, 48.
re
Erw¿ihnenswert sind insbesondere Lindner, Jugendprotest, 188ff.; Kraushaar, Autoritä¡er Staat, 15-33; Voigt,
Aktivismus, 130ff, und Fels, Aufruhr.
20
Wìsler,Drei Gruppen, 6.
21
An diese. Stelle muss darauf verwiesen werden, dass die gesamte geschichtswissenschaftliche Forschung zur
weltweiten 68er Bewegung stark durch die von der Bewegungsforschung aufgeworfenen Themen und Ansätze
geprägt ist. Die Jugend- und Studentcnproteste werden als eine ,,soziale Bewegung" behandelt, die als ein ,,auf
gewisse Dauer gestelltes und durch kollektive Identität abgestütztes Handlungssystem mobilisierter Netzwerke
von Gruppen und Organisationen, welche sozialen Wandel mittels öffentlicher P¡oteste - notfalls bis hin zu
Gewaltanwendnng - herbeiführen, verhindem oder rückgängig machen" definiert wttd, (Rucht, Modenrisierung,
77). Die Fragestellungen drehen sich in Anlehnung an die Bewegungsforschtmg um drei Schwerpunkte: Die
strukturellen und situativen Faktoren, welche zur Formierung der 68er Bewegung geführt haben, die
ideologischen Orientierungen, welche die Bewegung prägten, und die (Aus-)Wirkungen der Bewegung. Bei den
methodischen Ztgängen lässt sich die Struktwanalyse, der sozialpsychologische Zugang und der
interaktionstheoretische Zugang eruieren. Zur 68er Bewegung als Neue Soziale Bewegung siehe Rucht,
Ereignisse von 1968, 116-130. Gute Einfübrungen in die Paradigmen der Bewegungsforschung finden sich bei
Garner, Fifty years, 1-58; ebenso bei MorrislMcClurg Mueller (Hg.), Frontiers in Social Movement Theory;
Klandermqns/Kriesi/Tqrrow (Hg.), Structure to Action; Hellmann, Paradigmen der Bewegungsforschung, 9-32.
7
ErNr-n[uNc
LznNn¡.TSARBEIT
die Lupe genommen.2z Die 68er Ereignisse
in Znnch
erfuhren dabei keine eigensttindige
wissenschaftliche Aufarbeitung; umfassende Analysen, die auf der Basis des reichhaltigen
Quellenmaterialsz3
die
Ereignisablaufe rekonstruiert
hätten, fehlen.
Wenige
ereignisgeschichtlich relevante tnformationen finden sich im Buch ,,Der Bunker von Ztirich",
herausgegeben von Hans-Peter Müller und Gerold Lotrnafa, und im Außatz von Urs Zweifel,
,,Polizeilicher Ordnungsdienst
im ,Aufbruch 68"'2s. Zu erwåihnen ist auch die szenische
Wiedergabe der Ereignisse rund um die ,,Globuskrawalle" im Film ,,Krawall"26 von Jtirg
Hassler, einem ehemaligen Mitglied der Jungen Sektion der PdA Zttrích.
Aufgrund dieser Ausgangslage erstaunt es nicht, dass auch das Thema Gewalt
Forschungsliteratur kaum Erwåihnung findet. Eit:zig Dominique Wisler hat sich
in
in
der
seiner
Studie zr ,,Dreí Gruppen der Neuen Linken auf der Suche nach der Revolution" der Frage der
Gewalt angenåihert, indem
er
anhand
von Fallstudien unter anderem über
Bunkerbewegung und die Gruppe Btindlistrasse in ZürichrT
-
die
nach Gesetzrn?issigkeiten und
Bedingungen der Radikalisierung linksextremer Gruppen in der Schweiz fragte.28 Mit seiner
Verpflichtung gegentiber dem sûrrktr¡rellen Paradigma im Rahmen der Bewegungsforschung
(insbesondere der politischen Gelegenheitsstruktur), seiner Fokussierung des Terrorismus und
Extremismus und der damit verbundenen restriktiven Definition von Gewalt
im
Sinne
revolutiontirer Gewalt und Stadtguerilla findet Wisler allerdings keinen Zugang zu einem
,,Anfangsdiskurs" der Gewalt. Obwohl er festhåilt, dass die ,,Neue Zttrcher Linke" bereits 1967
tnZttrichnicht weniger als 17 Demonstrationen organisiert hat und von der,,erschütternden"
Krawallnacht des 29. Juni spricht, verbindet er diese Ereignisse nicht mit der Gewaltfrage
im Gegenteil: Ftir ihn ist die Zeit nach den
-
Globuskrawallen ,,gekennzeichnet von der
Außplitterung der Bewegung, internen Zerreissproben, Auflösungen und gleichzeitigen
22
Hanspeter Kriesi, René Lévy und ihre Mitarbeiter am Soziologischen Institut der Universität Zürich haben das
Wie, Wer rmd Warum schweizerischer Protestbewegungen mit statistischen Erhebungen, Fallstudien, durch
rùy'as,
Befragung und teilnehmende Beobachtung umfassend erforscht. Nachfolgend die wichtigste Literatur zur
forschgttg zu den Neuen Sozialen Bewegungen mit Hinweisen zur 68er Bewegung in der Schweiz:
Kriesi/Lévy/Ganguillet/Zv'islty (Hg), Politische Aktivierung; Kriesi (Hg.), Bewegrurg in der Schweizer Politik;
LévylDuvanel, Politik von unten.
"
2a
Sieh" dazu den Abschnitt Quellenlage und -bestände auf Seite 9.
Mi¡ller/Lotmar, Bunker, 1lff.
2s
Zu, e ife l, Ordnungsdienst.
Hassler,K¡awall.
27
Die Bunkerbewegung ist ein Produkt der im Ztge der Auseinandersetzungen um einen Ersatz für das GlobusAreal (den sogenannten Lindenhof-Bunker) 1969/70 sich spaltenden Koordinationsgruppe FASS. Die Gruppe
Båindlistasse wiederum, die von den Behörden aufgrund ihres Treffpunktes an der Båindlistrasse 73 so genannt
wurde ¡nd sich selbst ,,RAF-Zürich' nannte, entstand aus der Radikalisierung innerhalb der Autonomen Linken,
die nach der Spaltung und dem Niedergang der Bunkerbev/egung Ende l97I zu beobachten war. Vgl. dazu
26
lil'isler, Drei Gruppen, 73ff
2t Wisl"r,Drei Gruppen.
8
En,u-EITLTNc
LznNnersARBEIT
Grtindungen neuer revolutionärer Organisationen jeglicher Couleur. Noch aber steht die
Radikalisienrng zur Gewalt nicht an."ze Diese anhand der Studie von Dominique Wisler
illustrierte verki.irzte
-
oder zumindest enge
Protest, die ihre Ursache
in
-
Perspektive auf das Phtinomen Gewalt im
definitorischen und methodischen Prtimissen hat, steht
symptomatisch für viele soziologische und politologische Studien zur Gewalt.3o
1.5
Quellenlage und -bestände
Im Hinblick auf die Zusammenstellung des zu analysierenden Aussagenkorpus
-
die von
beiden legitimierten Sprecherpositionen, den Diskursgemeinschaften ,,Establishment" und
,,Junge Linke" geprägten Aussagen
-
lässt sich auf reichhaltiges, wenn auch verstreut
kompiliertes Quellen- (beziehungsweise Aussagen-) Material zuri.ickgreifen.
Ftlr
die
Zusammenstellung der von der Diskursgemeinschaft,,Junge Linke" geprägten Aussagen habe
ich das im Analysezeitaum, das heisst zwischen 1967 und 1969, vorliegende Archivmaterial
der FSZ, der Jungen Sektion und der FASS
im Sozialarchiv Zürich und der Studienbibliothek
zur Geschichte der Arbeiterbewegung ZtiLrich sowie die Zeitschriften ,yA.gitation" (Zeitschrifr
der FASS), ,,Zeitdiensf' und ,/ttrcher Student" berticksichtigt.3t Die Vervollståindigung des
Aussagenkorpus erfolgte
durch den Einbezug der von der
Diskursgemeinschaft
,,Establishmenf' geprägten Aussagen. Diese wurden in den seit diesem Jahr im Stadtarchiv
Zlirrtch erstrnals auch
für
das Jahr 1969 nrganglichene Stadtratsprotokollen (1967
-
1969f3
sowie der ,J.treuen Zt¡rcher Zeifr¡nrgj'zwischen 1967 und 1969 ermittelt.
2e
Witl"r, Drei Gruppen, 74. }rlit denselben, den Anfangsdiskurs aus dem Blickfeld rückenden ,,Scheuklappen'
gntersucht Michel Wieviorka in seinem Aufsatz ,,1968 r¡nd der Terrorismus" im Zusammenhang mit den
Ereignissen im Mai 1968 in Frankreich die Frage nach der Kontinuität zwischen dem ,,schönen Monat Mai
einerseits, dessen Bild durch eine beeindruckende Abwesenheit von Gewalt geprägt ist, und den Versuchen der
gewaltsamen Durchsetzung extremistischer politischer Ziele in den siebziger und achtziger Jabren andererseits."
Wi ev io rka, Terrorismus, 2 73.
3o
Siehe dazu die Reihe ,,Analysen zum Terrorismus", insbesondere FetscherlRohrmoser, Ideologien und
Strategien (Anaþsen zum Terorismus l); wd MatzlSchmidtchen, Gewalt und Legitimiøt (Analysen zum
Terrorismus 4/1).
31
Die für die Zusammenstellung des Aussagenkorpus hinzugezogenen A¡chivalien der einzelnen Gruppierwrgen
sind im Verzeichnis der Quellen detailliert aufgelistet (vgl. Abschnitt 8.1.1). Der,,Zürcher Student" und der
,,Z,eitdienslf sind nicht als eigentliche Sprachrohre der FSZ, der Jungen Sektion und der FASS zu betrachten. Da
sie aber regelmässig Beitrage von Mitgliedern der Gruppierungen veröffentlichten, werden diese fü'¡ die
Konstituierung des Aussagenkorpus mitberücksichtigt (im,,Zeitdienst" verjü,ngte sich das Autorenkollektiv ca. ab
1966 der ,,Zwcher Student" als offizielles Organ der Studentenschaft der Universität Ziinch gewährte
Mitgliedem der FSZ, ihre Standpunkte zu diversen Aktivierungsereignissen publik zu machen).
32
Die Sperrfrist für die Einsicht in die Stadtratsprotokolle der Stadt Ztirich beträgt 30 Jatne.
33
Neben den Stadtratsprotokollen wurden auch die ihnen zugehörigen Akten berücksichtigt (vgl. Abschnitt
8.1.1).
9
LzpNuersARBErr
1.6
EnqLsrrrrNc
Aufbau der Arbeit
Das nächstfolgende Kapitel dient einer Einführung
in die Problematik der Analyse
des
Themenkomplexes Gewalt (Kapitel Zwel). Der Fokus wird vorerst auf den Gewaltbegriffund
die Möglichkeiten fi.ir die Strukturierung seines semantischen Raumes gerichtet. Der zweite
Schwerpunkt dieses Kapitels bildet die Betrachtung des komplexen Verhåiltnisses zwischen
Staat und Gewalt. Als Einstieg
in diesen Abschnitt dienen einige kurze Ausfi.ihrungen zu den
staatswissenschaftlichen Theorien des Rechts und der Macht im philosophischen Denken der
Neuzeit. Anschliessend versuche ich, den Themenkomplex Gewalt
in der Demokratie
zu
beleuchten. Relevant erscheinen in diesem Zusammenhang die Strategien zur Legitimierung
von Gewalt sowohl auf Seiten des demokratischen
Rechtsstaates
potentieller Oppositionsgruppen. Abschliessend werde ich die
als auch auf
Seiten
in den 1960er Jahren im
Umfeld der ,,Kritischen Theorie" entwickelten Thesen von der Legitimität revolutionåirer
Gewalt
im
,,Spätkapitalismus
und Imperialismus" vorstellen, die
insbesondere im
Zusammenhang mit den weltweiten Protesten im Jahr 1968 von grosser Bedeutung waren.
Das dritte Kapitel dient der Erörterung des theoretischen Überbaus meiner Arbeit. Einführend
werde ich auf das modische Etikett ,,linguistic turn"
in der Geschichtswissenschaft
zu
sprechen kommen, dem der postrnoderne Perspektivenwechsel zu neuer Prominenz verhalf.
Anschliessend forrnuliere ich auf der Basis der Diskursdefurition in Foucaults ,,Archäologie
des Wissens" und
in Anlehntrng an das Diskursverständnis der
deutschen linguistischen
Diskursgeschichte eine modifizierte Diskursdefinition für diese Arbeit.
Ín
vierten Kapitel entwickle
ich die
einzelnen Operationalisierungsschritte der
Diskursanalyse, die zu den oben erw¿ihnten methodischen Analyseanleitungen führen (1.
Diskursidentifikatioru 2. Ermittlung der Organisation des Aussagenfeldes, des semantischen
Raumes des Gewaltbegriffes und der diskursiven Strategien der
Gewalt
im
identifizierten Korpus).
Die Modifikationen an
Beschreibung diskursiver Fonnationen werden
Vorschläge
der
(De) Legitimierung
der
Foucaults Programm der
in Anlehnung an bereits entwickelte
,,sozialhistorischen Diskurssemantik" (Reichardt, Diaz-Bone), die
,,französischen Tendenzen der Diskursanalyse" (Maingueneau) und die anglo-amerikanische
,,conceptual histo4t'' (Schwab-Trapp) vorgenommen.34
s
Besondere Berücksichtigung haben dabei folgende Studien erfahren: Reichardt, Geschichte politisch-sozialer
Begriffe in Franlaeich,49-74; ders., Politisierung und Visualisierung, S3-I70; Maingueneau, L'Analyse du
discours; Diaz-Bone, Probleme und Strategien, I 19-135; Schv,ab-Trapp, Legitimatorische Diskurse,302-327.
l0
EwLBrruNc
LrzsurrarsARBEIT
Vor der Präsentation der Resultate rneiner Diskursanalyse wird der Untersuchungsgegenstand
- der Gewaltdiskurs imZeitraum von 1967 damit verbundenen Oppositionsstrukturen
Einführend beleuchte
1969
-
in das politisch-kulturelle Klima und die
in der Schweiz eingebettet (Kapitel
ich kurz die wirtschaftlichen und
Nachkriegsentwicklung sowie die Leitvorstellungen
Schweiz
in den 50er und 60er Jahre. Anschliessend
gesellschaftliche Unbehagen
sk<tzziert,
im
FärnÐ.
politischen Parameter der
politischen Selbstverständnis der
werden das eingangs
erwåihnte
und die sukzessive emergierenden Oppositionsstrukturen
die als Folge der Begleiterscheinungen des wirtschaftlichen und sozialen Wandels
sowie der nachlassenden Integrationskraft gemeinschaftsideologischer Leitvorstellungen in
der Mitte der 60er Jat e
zl
interpretieren sind.
Das Kapitel Sechs soll als Kernsttick meiner Arbeit schliesslich die Ergebnisse der
Diskursanalyse auùeigen. Formal werden die Resultate der Analyse des Gewaltdiskurses in
drei getrennten Abschnitten (Analyse des Diskurses im Jahr 1967,1968 und 1969) präsentiert,
Gegenstand Gewalt definiert wurden,
n
ftir
den
dem stnrkturierten semantischen Raum
des
wobei einführend jeweils ein kurzes Fazit
den ermittelten Dimensionen, die
Gewaltbegriffes und den konstruierten diskursiven Strategien der (De)-Legitimierung der
Gewalt gezogen wird. Die Rückbezüge und Querverweise
in den einzelnen
Kurzzusammenfassungen und den eigentlichen Analyseabschnitten gestatten es schliesslich
auch, den zentralet Aspekt óer Transþrmation des Diskurses
verfolgen.
11
-
die Diskursdynarnik
-
zrt
ANervsB
LznNnetsARBEIT
2
osnGrw¡rr
Analyse der Gewalt
2.1 Was bedeutet der Begriff Gewalt?
,,Wörter sind eine soziale Angelegenheit. Sie bedeuten das, v,as sie den Menschen bedeuten, die
sie gebrauchen. Indem diese sie gebrauchen, beteiligen sie sich an ihrer Definilion. Int Sprechen
und Schreiben u,erden herköntmliche Bedeutungen bestötigt oder aber korrigierl. Wörter erfahren
auf diese Weise eine fortlaufende Geschichte
-
bleiben stehen, u,erden umgeu'idmel, verschl.eissen
sich, erfahren Auf- und Abu,ertungen"3s
Das Zitat von Friedhelm Neidhardt weist auf die Hauptproblematik bei der Beschäftigung
mit
der Semantik von Wörtern hin: Die Instabilität von Wortbedeutungen. Widmet man sich der
Erfassung des Sinnes, des Gemeinten oder Bezeichneten36 eines \Mortes, muss man mit
Widersprüchen, Verwerfungen und Gegenläufigkeiten in der Bedeutungskonjunktur rechnen.
Ist ein Wort
überdies polysem
-
das heisst mehrdeutig aufgrund der Aufspaltung der
Bedeutung eines Lexems oder Morphems im Laufe der Zeit
Diflerenzierung seiner Bedeutungsvariationen
semantischen Raumes unerlässlich,
-
, ist eine klare
und damit eine
analytische
Strukturierung
des
will man nicht mit diffiisen Vorgaben die Validität von
Untersuchungs anordnun geî 21Í B edeutungskonj unktur gefÌihrden.
2.1.1 Der Gewaltbegriff...
Das Wort Gewalt ist polysem. Diese Mehrdeutigkeit lässt sich anhand etymologischer
Herleitungen erschliessen: Aus dem Althochdeutschen ,,giwalt"
(Ikaft haben, über
etwas
verfi.igen, herrschen) entwickelt sich der Begritr im Früh- und Hochmittelalter zunächst in
Anknüpfung an die antiken Traditionen um die Sinnfelder der rechtrnässigen Herrschaft oder
der göttlichen Herrlichkeit und Macht.37 Dieser Kompetenzbegrrff von Gewalt assoziiert
3s
36
Neidhardt, Gewalt, I 13.
Meioen/Gemeintes, Sinn, Bezeichmrng/Bezeichnetes gelten als verwandte Begriffe zum BegriffBedeutung, die
in der Wissenschaft allerdings oft auch zum Ausdruck einer spezifischen Differenz zur Bedeutung verwendet
werden. LinkelNussbaumerlPortmazn, Studienbuch, 135. Der Problematik des Bedeuhrngsbegriffes trägt die
Clifford Geefiz Rechnung, indem er von der Bedeutung als ,,schwer fassba¡er und verworrener
Pseudoeinheit" spricht. G eertz, Dichte Beschreibung, 42.
37
Im Sprachraum der germanischen Völkerkonglomerate fand der aus der indogermanischen Wurzel ,,val-,, sich
ableitende Begritr,,giwalt" seine Anwendung noch im Bereich der vom Recht ausgesparten Freiheit und wa¡
damit kein Rechtsterminus. Ob mit ,,giwalt" im Einzelfall Un¡echt bewirkt wurde, konnte erst dwch
hinzutretende Eigenschaften wie Hinterhältigkeit bestimmt werden. Da diese Rechtsauffassung und -terminologie
wenig mit der römischen harmonierte, diente das Wort,,giwalt" zw Übersetzung der verschiedensten lateinischen
Wörter (,Botestas", ,jmperium", ,,auctoritas", seltener ,¡naiestas" und ,jura"). Aus dieser Vagheit kristallisierte
sich zunächst Gewalt als Wiedergabemonopol für ,Botestas" heraus. Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 3, 823;
Hi sto ri s ch es W'ö rterbuch de r P hi lo sophi e, Bd. 3, 561.
Aussage von
t2
ANRrYss oen
LzeNuersARBEIT
Gpw¡rr
Verfügungsmacht, Befugnis, und findet seine Entsprechung im lateinischen ,,potestas".38 Der
Gedanke einer unbegrenzten und willktirlichen Macht findet
in
der mittelalterlichen
Vorstellungswelt allerdings noch keinen Eingang.3e Seit dem Spätmittelalter gewinnt die
Verwendung von Gewalt im Sinne des lateinischen ,,violentia/vis" in allen Abstufungen von
,,gesteigerter Ktaft" über ,,Eigenmacht" und ,,Zwang" bis zu ,,Gewalttat" und ,,(Jnrecht" an
Boden und bildet damit einen zweiten semantischen Schwerpunkt.
des
oo
Mit der Absonderung
Aktionsbegriffes tritt die Vorstellung eines unrechfrnåissigen Zwanges in den Vordergrund,
der den Vorgang der allmtihlichen Mediatisierung oder Eliminierung älterer Formen der
rechtmässigen Selbsthilfe zugunsten staatlich garantierter Friedenssicherung und
Rechtswahrung und
- dadurch gefordert - die Trennung
von öffentlicher Gewalt und privater
Gewalttatigkeit reflektiert.al Die Worh¡vurzel, das lateinische ,,violare", assoziiert Verletzung,
Blut, Gewalttätigkeit als schweren Eingriff in die Integrität eines/einer
anderen.a2 Dieser
Bedeutungszusammenhang einer bestimmten Form sozialer Konflikfaustagung ist jedoch in
sich wiederum mehrdeutig und führt im Sprachgebrauch immer wieder zu Konfusionen (vgl.
dazu Abschniltt2.I.2).
In Anbetacht der Varianz der Bedeutungsausprägung des Gewaltbegriflesa3 erstaunt es
wenig, dass heutzutage keine Definition der Gewalt existiert, die von allen
Wissenschaftlerlnnen gleichermassen getragen wird und breiten Bevölkerungsschichten
einsichtig ist.aa Allzu offen treten die Diskrepanzerzwischen einer ,,Fonn des Einflusses, der
pennanent an das Eingreifen
in
sittliche Verhältnisse, deren Sphären durch Recht und
Gerechtigkeit abgesteckt wird" (Walter Benjamin)4s, einem ,,einmaligen physischen Akt, in
dem ein Mensch einem andern Menschen Schaden mittels physischer Ståirke zufügt"a6 und
dem ,,Vorliegen einer Differenz zwischen der akhrellen somatischen und geistigen
Verwirklichung eines Menschen und ihrer potentiellen Verwirklichung" (Johan Galtung)47
zttage.
In Hinblick auf die gesamtgesellschaftliche
Rezeption der Bedeutungsausprägungen
des Gewaltbegriffes lässt sich gleichwohl sagen, dass, obwohl der åiltere Kompetenzbegritr
38
3e
ao
Brockhaus Enzyklopödie. Bd. 8,453.
Geschi chtli che Grundbegrffi , Bd. 3, 825.
Neidhardt, Gewalt, 114.
Geschichtliche Grundbegriffe. Bd. 3, 828.
Ð
Huggerl Stadlør, Kulturelle Fonnen, 2 1.
a3
Der BegriffGewalt wird neben dem Kompetenzbegriffund dem Aktionsbegriff auch als Metapher verwendet
wird, wobei mit Gewalt Kraft, St¿irke, Vehemenz assoziiert wird. Als Beispiele lassen sich die Rede-Gewalt, die
Gewalt des Windes, der Leidenschaft oder die Urgewalt anfi¡hren.
4 Neidhardt, Gewalt, 122; Hugger/Stadler,Ktí¡relle Formen, 21.
as
Ben¡amin, Kritik der Gewalt. Zit. nach: Lexikon zur Soziologie,247.
a6
Lexikon zur Soziologie,247.
a\
13
LzpNrersARBErr
ANer.ysp opR G¡wer.r
noch nicht ganzlich verschwunden
ist, der neuere Aktionsbegriff in seiner pejorativen
Bedeutung dominant in Erscheinung tritt.as
2.1.2 ...und se¡n semant¡scher Raum
lnsbesondere
im Operationsfeld politischer Protestbewegungen und des Terrorismus wurde
der Gewaltbegriff in den leÍzten Jahzehnten äusserst kontrovers verhandelt. Er mutierte zu
einem ,,super summary s¡mbol", einem
-
wie Eike Henning sich ausdrückte
nutzbaren politischen Aphrodisiakum".4e Obwohl
-
,,beliebig
im Hinblick auf die Frage nach
der
Bedeutung von Gewalt im Kontext sozialer Konfliktaustragung bis heute kein Konsens erzielt
werden konnte, ltisst sich im Anlehnung an Friedhelm Neidhardt dennoch ein semantischer
Raum skizzieren, in dem der Gewaltbegriff mit unterschiedlichen Bedeutungsausprägungen
fluktuiertso:
B e deutungs
e
I ement
e de s Gew al tb
Bezussdimension
1) Art des Verhaltens
2) Verhaltenssubjekfe
e
grffi
D e linit i ons
bes
tandt
ei
I
a) physischer Zwang (direkte Gewalt)
b) psychischer Zwang (indirekte Gewalt)
a) Personen (personale Gewalt)
b) Institutionen, Strukturen (strukturelle Gewalt)
3) Verhaltensobjekte
a) Personen
b) Sachen, Institutionen, Strukturen
4) Verhaltenseffekfe
a) Physisch
b) Psychisch
5) Verhaltensgründe
a) illegaVillegitim
b) leeal/leeitim
Der Gewaltbegnff bezieht sich in diesem semantischen Raum auf ein Verhalten, bei dem
bestimmte Zwangsmittel zum Einsatz kommen. Unterschiede ergeben sich daraus, ob die
Zwangsmittel auf physische Mittel wie Körperkraft
Mittel (1b),
(la)
beschråinkt oder auch psychische
beispielsweise Schmåihunger¡ miteinbezogen werden.
Der Einsatz von
Zwangsmitteln kann dabei als Gradfrage verhandelt werden, bei der erst das Ûberschreiten
o'
a8
ae
Gol tur g,strukturelle Gewalt, 9.
Neidhart,Gewalt, 124.
Treiber, Auseinanders etzwgmit dem Terrorismus, 350; Henning, Strukturelle Gewalt, 57
l4
LzpNnersARBEIT
ANeLvs¡ osRGnweLr
bestimmter Schwellenwerte den Gewaltbegriff auslöst. Kritische Fragen, aus welchen im
Kontext politischer Proteste konfligierende Deutungsmuster hervorgehen können, sind
beispielsweise: Wann wird das Sitzen auf Strassen zur Gewalt? Wann wird Beleidigung oder
Kritik zur Gewalt? Wann wird die Ansammlung bewaffrreter Polizeibeamter zur Gewalt?
Wann werden hierarchische Strukturen zur Gewalt?
Weitere Unterschiede werden bemerkbar, wonn man
mit dem als
,,Promoter
des
konturenlosen Gewaltbegriffs"5l verunglimpften Friedensforscher Johan Galtung danach
fragt, welche Akteure gewaltfìihig sind: Können nur Personen (2a) oder auch Strukturen und
Systeme (2b) gewalttätig sein? Ebenso unklar erscheint die Frage, ob als Gewaltobjekte bloss
Personen (3a) oder auch Sachen, im weitesten Sinne also auch Institutionen und Strukturen
(3b) Gewalt erleiden können. Im Hinblick auf die Effekte des Verhaltens muss die Frage
gestellt werden, ob allein physische Beschädigungen (4a) als Indizien ftir Gewalt gelten oder
auch psychische Beeintächtigungen (ab) miteinbezogen werden. Und auch hier stellt sich die
Gradfrage: Wie hoch muss das Ausmass der Verletzung sein, um von Gewalt sprechen zu
können? Spielt die Absicht eines Akteurs eine Rolle beí der Beurteilung, ob es sich bei einem
Verhalten um Gewalt handelt oder nicht (intendierte versus nicht intendierte Gewalt)?52
Als weitere und letzte Differenzierung wird der Gewaltbegriff mit dem Einbezug normativer
Aspekte bei der Erwägung von Verhaltensgründen (5) zu einem sprachlichen Laboratorium, in
welchem Rechtsordnung (legal/il1egal), Öffentlichkeit
kontrovers ausgehandelt werden.
2.2
und Moral
(legitim/illegitim)
s3
Staat und Gewalt
,, [...J das Recht steht im Schniftpunlct von Emanz¡pation und Gewalt. Es ist ein prdkerer
Gegenstandfïir jede Gesellschafisordnung, die den Anspruch auf Überwindung der in ihr
steckenden Gewalt erhebt. "5a
2.2.1 Hat der Staat Recht auf Gewalt? Macht, Recht und Gewalt im
philosophischen Denken der Neuzeit
Gewalt und Macht waren nach mittelalterlicher Auffassung eingebunden in eine objektive
Ordnung
von
Gerechtigkeit
und Sitte, die ihre Wurzel
so
Neidhardt, Gewalt, I 17.
Worrermaml, Neigung zur Gewalt, 51, 52.
s2
Neidhardt, Gewalt, 121,122.
s3
Negt,Achtundsechzig, 79.
5t
15
in der Verbindung der
ANRr.vsr rBnGpwelr
LzgNuersARBEIT
Rechtsauffassungen gennanischer Völkerkonglomerate mit der christlichen Ethik hatte. Sie
w¿ìren rechtlich normierte, der Aufrechterhaltung dieser Ordnung dienende Funktionen, die so
gut wie keiner institutionalisierten Kontrolle im modernen Sinne unterlagen. Mit der im
Spätmittelalter einsetzenden Konzentration der Macht
Gewalt und Macht
in den Bereich
im Staat wurden 2iltere Formen von
des Unerlaubten und Unrechtmässigen verbannt. Die
S¿ikularisierung und Rationalisierung des Rechtsbegriffs löste die Verschrtinkung von Macht
und Recht auf. Gewalt und Macht wurden aus normativen Begrifîen entweder ztr
wertneutralen Beschreibungstermini oder bezeichneten Sachverhalte, die ohne explizite
Legitimation den Verdacht des Unrechtmåissigen erweckten.ss Mit dem Auseinandertreten von
Recht und Macht wurde allerdings das Problem der expliziten Legitimation akut. Seit dem
späten 16. Jahrhundert wurde deshalb
in
philosophischen und staatswissenschaftlichen
Theorien des Rechts und der Macht die Problematik der Legitimation verhandelt. Sie liefen
auf die
Rechtfertigung
von Macht mit
naturrechtlichen Argumenten oder
auf
ihre
konstitr¡tionelle Zåihmung hinaus und hatten dabei prim¿ir den staatlichen Bereich im Auge.
Für Hugo Grotius galt Gewalt per se nicht als Quelle des Unrechts. Jeder Mensch hatte nach
Grotius zunächst einen naturrechtlich begründeten
- positiv-rechtlich irrelevanten -
Raum
eigener Gewalt. Daneben führte er einerseits die unrechtnåissige, auf die Rechtssphåire eines
anderen Menschen tibergreifende Gewalt und andererseits die legitimierte, die Gewalt eines
anderen abwehrende Gewalt ein.56 Die Grundlage der staatlichen Gewalt beruhte nach Grotius
auf dem Konsens der Mitglieder einer staatlichen Gemeinschaft. Die Idee eines
Staatsvertrages, aus welchem den Untertanen Rechte gegen den Souveråin erwachsen wärden,
wies er allerdings mit der Begrändung zurück, dass dies den Staatszweck geführden wtirde.
Befreiungskriege waren nach Grotius deshalb prinzipiell uffechtm¿issig.s7
Thomas Hobbes begritr den Staat in erster Linie als /vangsanstalt und fügte seinem Vertrag
zwischen den Bärgern auf Nicht-Anwendung
von Gewalt
konsequenterweise einen
Zvsatzstertag bei, der dies qua Gewalt garantieren sollte. Der englische Btirgerkrieg, das
Ungeheuer aus Hobbes' politischer Grunderfahrung, konnte demnach nur durch ein noch
mächtigeres Ungeheuer tiberwältigt werden: den Leviathan, das heisst den modernen Staat mit
Gewalûnonopol. Anders als bei Grotius galt die Staatsmacht nicht nur als Mittel der
Y Ybd,., ar.
5s
s6
Ge s chic
htli che Grundb egriffe, Bd. 3,
8I
9.
Grotius,De jure belli ac pacis. Eine gute Einführung bietet das Lexikon Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 3'
845-847.
16
ANar.vsp rpR Gpwerr
LzgNnersARBEIT
Rechtsverwirklichung, sondern zugleich als ein Apparat, durch den die Verbindlichkeit
rechtlicher Nonnen überhaupt erst geschaffen werden konnte.58 Der vom Staat gewährte
Schutz vor dem Rückfall in den Naturzustand konnte nach Hobbes
mr geleistet werden, wenn
alle auf ihr Widerstandsrecht verzichteten. Falls der Staat seiner Schutzpflicht allerdings nicht
mehr nachkam, sollte man sich auf das Recht auf Widerstand berufen können. Es ist also der
zu schwache Staat, gegen den bei Hobbes Widerstand erlaubt ist.5e
Ánnlictr argumentierte Immanuel Kant in seiner ,,Kritik der Urteilskraft"60: Fär Kant war die
ursprtingliche Einrichtung einer Rechtsordnung nicht denkbar aufgrund einer blossen
Übereinkunft. Damit eine geordnete bürgerliche Gesellschaft Bestand haben konnte, bedurfte
es der Gewalt, die sich über die Macht der beschråinkten Interessen erhebt und
mit diesem Akt
der Gewalt das Recht für alle begrihrdet. Aus den Prinzipien Freiheit, Gesetz und Gewalt
konstruierte Kant die vier grundsätzlichen Verfassungstypen: 1. Gesetz und Freiheit ohne
Gewalt (Anarchie),2. Gesetzund Gewalt ohne Freiheit (Despotimus), 3. Gewalt ohne Freiheit
und Gesetz (Barbarei), 4. Gewalt mit Freiheit und Gesetz (Republik). Die letztere, als einzige
,,wahre btiLrgerliche Verfassung" bezeichnete Form bewies nach Kant, dass
mit dem Gesetz
die Gewalt verbunden sein muss, damit der Freiheit und dem Gesetz Erfolg verschafü werden
konnte und das Gesetz nicht als ,,leere Anpreisung" galt. Im Gegensatz zrt Hobbes reichte bei
Kant allerdings bereits dieLatenzder Gewalt aus, um den Rechtszustand herbeizuführen.6l
Die Grundlinie der liberalen Interpretation der naturrechtlichen Begrtindung der obersten
Staatsgewalt war damit gelegt:
Verfaglich wurde der Staat in den Schriften einiger Kantianer
noch vor der Jahrhundertwende ztx Zwangsanstalt zum Schutze der Sicherheit und der
Freiheit der Bürger. Die Gewalt des Souvertins wurde
Widerstandsrechtes
-
- unter Anerkennung eines bedingten
durch den Staatszwe ck begrenzt.62
Die politischen und wirtschaftlich-gesellschaftlichen Revolutionen von der Mitte des 18. bis
zur Mitte des 19. Jahrhunderts und die sie begleitenden Reflexionen einer sich
bärgerlichen Gesellschaft herausbildenden Intelligenz stellten
die von den
in der
liberalen
Staatstheoretikern etablierte Prämisse einer relativen Autonomie von staatlicher Macht und
des Gewalünonopols des Staates wieder in Frage. Die Erfahrung der Anwendung von Gewalt
zur Erhaltung alter oder zur Errichtung neuer gesellschaftlicher Systeme, zur Sicherung oder
s1
Grotius,De jrne belli ac pacis, 559.
Hobbet,Leviathan, Introduction [], 81.
sn
Hötl",Moral und Politik, 67.
s8
û Kant,K¡itik.
6t
Kant,Ikitik, 330, 331.
62
Ges chi cht li ch e Grundb
egriffe, Bd. 3, 924
t7
AN¡lvse o¡n GpwRlr
Lz¡NlersARBEIT
Umverteilung von Macht und damit ihrer ,,Kapitalisierung" bewirkten die Ergåinzung der
(Rechts-) Philosophie; vorerst durch radikaldemokratische, später durch marxistische
Machttheorien,
die nach dem Zweiten Weltkrieg von den Thesen der
Legitimität
revolutionåirer Gewalt im Spätkapitalismus und Imperialismus, verbunden mit den Namen von
Herbert Marcuse63 und
-
in einer mythischen Ausformung
-
von Walter Benjamin6a, abgelöst
wurden.65
2.2.2 Gewalt in der Demokratie
International vergleichende Reprtisentativumfragen unter der wahlberechtigten Bevölkerung
in westlichen Demokratien haben belegt,
dass zwischen 1970 und 1990 Gewalt so stark als
Mittel der politischen Auseinandersetzung abgelehnt wird,
dass man unbesehen von einem
Gewalttabu in der Demokratie sprechen kann.66 Gewalt in der Demokratie ist nach Birgitta
Nedelmann allerdings in mehrfacher Hinsicht ein sozial ambivalentes Phtinomen: Sie wird
einerseits rechtlich, sozial, politisch usw. verpönt, sofern sie als illegitim angesehen wird; sie
wird andererseits hingenoûrmen oder sogar für notwendig und unvermeidbar
erklËirt, wenn
ihre Anwendung sozial anerkannt ist.67 Das Gewalttabu in der Demokratie kann demnach
nicht tiber die Tatsache hinwegtäuschen, dass auch der demokratische Staat über ein
Sanktionssystem
verfügt, das eine dauerhafte und einigermassen
zuverlåissige
Gewaltbegren^nggewiihrleisten soll.68 Mit Heinrich Popitz gesprochen unterliegt somit jeder
Ordnungsentwurf einem circulus vitiosus der Gewalt-Bewaltigung: ,,Soziale Ordnung ist eine
notwendige Bedingung der Eindåimmung von Gewalt
-
Gewalt ist eine notwendige Bedingung
z-tn Aufrechterhaltung der Ordnung."6e Gewalt wird nach Popitz damit
nÍ
,,ordnungsstiftenden Erfahrung schlechthin'.70
6 Marcut",Eindimensionaler Mensch. Siehe dazu Abschnitt 2.3.1.
s Benjamin,Kritik
der Gewalt.
Geschichtliche Grundbegrife, Bd. 3, 819.
6 Gleichreitig lässt sich festhalten, dass sich im Hinblick auf die Negativ-Perzeption von Gewalt unter einer
6s
länderspezifischen Perspektive kaum Differenzen ergeben. In einer Repräsentativbefragung der
Wahlbevölkerwrg der 12 Mitgliedsländer der Europäischen Union im Jah¡e 1989 wurde gemeinsam von
Friedhelm Neidhardt turd Max Kaase der Versuch unternommerL über die Methode des semantischen
Differentials den Bedeutrurgsgehalt von Gewalt unabhtingig von politischen Implikationen zu erfassen. Bei nur
kleinen Unterschieden zwischen den 12 Ländern erwies sich Gewalt auf dcr bewertenden Dimension bei den
Befragten fast konsensual als unnötig, hässlich, schlecht und geführlich. Kaase, Politische Gewalt, 18,21.
67
68
6e
70
N"d"l-onn, Schwierigkeiten, 10, 11.
Rammstedt,Gewalwerständnis, 50; Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 3, 846.
Popitz,Gewalt,3l.
Ebd.,30.
l8
ANervsr opn GeweLr
LzeNtarsARBErr
Mit der.eingangs erwåihnten
nahezu umfassenden .Þtkveptarø des staatlichen Gewaltmonopols
und der Norm der Nichtanwendung von Gewalt durch die Staatssubjekte als Ecþfeiler
des
demokratischen Rechtsstaates ist noch nichts explizit zu dem Ausmass gesagt, inwieweit
staatliche Gewalt in ihrem Monopolcharakter legitimiert ist. Die konstitutionelle, legalistische
und prozedurale Begrenzung des Gewaltmonopols ist im Einzelfall
je
nach zeitlichen,
kulturellen und politischen Kontextbedingungen variabel.Tl Letztendlich bleiben
Monopolanspruch des Staates
auf Gewalt und das Untersagen von
der
Gewalttätigkeit
Forderungen, die keine Etappe auf dem eingeschlagenen Weg zur Negation von Gewalt in der
Gesellschaft darstellen. Solange ,,die Macht zu töten und die Ohnmacht des Opfers [...] latent
oder manifest Bestimmungsgründe der Struktur sozialen Zusammenlebens [sind]"72, solange
sich ,,der Einzelne nicht seiner physischen Ståirke zu entäussern verrnag"73, kann der Staat nie
das Monopol an Gewalt besitzen.
Alle
Staaten haben demnach
mit dem Problem Gewalt zu
exisiteren, das ihnel ständig prtisent bleibt, da jede Art von gezeig¡er Gewalt im System ihnen
nicht nur bewusst werden låisst dass ihre ,,Gewaltapparate" noch keine Monopole
sondem ihnen
sind,
wie selbstverstlindlich ats Infragestellung ihrer selbst erscheinen.Ta Die
Legitimierung des Einsatzes von Gewalt gegen Gewalt ist somit selbst im demokratischen
Rechtsstaat Bestandteil einer ståindigen Gesellschaft sdiskussion.
In den folgenden Abschnitten werden vorerst die Süategien um den ,,Kampfbegriff' Gewalt
und seine Legitimierung sowohl auf Seiten des demokratischen Rechtsstaates als auch auf
Seiten potentieller Protestgruppen beleuchtet. Anschliessend werden die
in den 1960er Jahren
im Umfeld der,,Kritischen Theorie" entwickelten und insbesondere im Zusammenhang mit
den weltweiten Protesten um 1968 an Bedeutung gewinnenden Thesen von der Legitimität
revolutiontirer Gewalt im ,,Spätkapitalismus und Imperialismus" beleuchtet, wonach Akte
politischer Gewalt notwendig sind, um das Verhalten der Staatsgewalt und der sie tragenden
Kräfte als,,repressive Toleranz" zu entlarven.
71
72
73
7o
Kaare,Politische Gewalt,
Popitz,Gewalt,2T.
19.
Rammstedt,Gewaltverständnis, 50.
Ebd., 5r.
79
ANer.vsp oER
LzpNnersARBEIT
G¡welr
2.3 Strategien der Gewaltlegitimierung
Ge
,,Das öffentliche Eingestrindnis von Geu,alt bedeutet fùr ¡ede
ordnung da s Eingestcindnis nt an ge lnder Legitimati on einer
75
H e r r s c h aft s o r dnun g. "
s e I l.schaft s
Die legale Gewalt im demokratischen Rechtsstaat wird nach Otthein Rammstedt mit
der
Zwecksetzung legitimiert, Gewalttätigkeit aller Art in der Gesellschaft zu unterbinden. In der
Verfolgung des Zwecks
-
die Garantie fi.ir Gewaltlosigkeit im System
-
wird der Einsatz von
Gewalt immer zur Gewalt gegen Gewalt: Sie wird zur Gegengewalt.
Mit
diesem die
Unterdrtickung nichtlegaler Gewalt zum obersten Gebot erklåirenden Legitimierungsmuster
geht nach Rammstedt jedoch das Wissen um den Zweck verloren, für den Gewaltlosigkeit
einmal Mittel war: ,,[...] Gewaltlosigkeit stand
Max Webers und Walter Benjamins
Entfaltung des Einzelnen, stand
- und dafür zeugen noch die Überlegungen
- für die gesellschaftliche
für
btirgerliche Freiheit
Gewaltlosigkeit als einzigen Zweck an sich
zt
gebotene Chance zur
und sozialen
Fortschritt.
setzeî, korrespondiert mit dem Verständnis,
Gewalt sei unsozial, ja antigesellschaftlich per se."76 In diesem Zusar¡nenhang besteht nach
Friedhelm Neidhardt die Tendenz, Gewalt nur als Gewalt der andern Seite zu thematisieren
undRechtfertigungszwtinge, beispielsweise von Polizeigewalt, auf diese Weise ex definitione
zu vermeiden.tt Unliebsame Opponenten werden in der politischen Kommunikation zwischen
Staat und Bevölkerung mithin einzig auf den Gewaltaspekt reduziert. Die Betonung der
normativen Ablehnung von Gewalt
bezeichnetTs
-
-
von C. Rainer Roth als ,,Ritual der Gewaltlosigkeif'
hat hier die Funktion, die legale Gewalttätigkeit gegen Gewalttätigkeit zu
legitimieren und den potentiellen Gewalttätem überdies die Chance zu nehmen,
in der
Bevölkerung auf Akzeptanzz:u stossen. Gelingt es, das Handeln des andern/der anderen als
Gewalt
zu
definieren, dann
wird erlsie in eine
moralische Defensive gedrängt und
diskreditiert. Gewalfiatigkeit im sozialen Kontext des demokratischen Rechtsstaates heisst
daher immer auch: Inadåiquates Handeln. Und um diese lnadäquatheit als normative
"76 N"gr, Achtundsechzig, 67.
RammstedL Gewaltverståindnis, 52. Nach Max Weber ist die staatliche Gewalt Hort und Garant dcr Freiheit,
Garant, insofem sie den Bü'rgern die Sicherheit gew?ihrg innerhalb derer sie sich entfalten können. Hort der
Freiheit ist Gewalt nur, insofem sie sich Politik ,,zum Beruf' macht, das heisst sich in die rechtsfreie Sphäre des
Politischen begibt, um sich in quasi-heroischer Gewalt zu bewähren. Weber, Politische Sch¡iften, 660.
17
Neidhardt, Gewalt und Gegengewalt, I 18.
78
Roth,Ritual der Gewaltlosigkeit, 148 ff
20
ANervsB opR Gswelr
LlzpNnersARBEIT
Bestimmung beibehalteîzrkönnen, werden diejenigen Menschen, denen im sozialen System
legal Gewalt angetan werden darf, aus der Gesellschaft ausgeschlossen.Te
Jeder individuelle oder korporative Akteur, der sich
in
einer konfligierenden Situation
gewisser, in den Ruch der Gewalt geratener Mittel der Konflilctaustragung bedient, ist vor das
Problem gestellt, dass solche Handlungen aufgrund des Gewalttabus
in der Demokratie
gesellschaftlich a priori geächtet werden und gleichsam automatisch eine selbstverständliche
Legitimierung staatlicher Gegengewalt auf der Grundlage des staatlichen Gewaltmonopols
nach sich ziehen können.8o Ftir potentielle Protestgruppen liegt deshalb die Strategie nahe,
durch Umetikettierungsversuche eine Situation herbeizuführen, in der die fragliche Aktion aus
dem Gewaltkontext herausgelöst wird. Das Selbstverst?indnis von Gewalt als Gegengewalt
zeichnet hierbei auch die von staatlicher Seite als illegitim bezeichnete Gewalt aus. Dabei
låisst sich einerseits die Tendenz der
-
vor allem mit der Vorstellung der ,,strukturellen
Gewalt"sl oder der Systemgewalt verbundenen Ausdehnung des Gewaltbegriffes
identifizieren, der Gegengewalt gegen eine Fülle von Problemlagen und Missståinde als
legitim erscheinen
2.3.1
l¿isst.
82
Die Legitimität revolut¡onärer Gewalt im
Spätkapitalismus:
,,Kritische Theorie", Studentenbewegung und das Problem der Gewalt in
der Opposition
2.3.1.1
Analyse und Kritik desspätkapitalistischen Gesellschaftssystems
In den späten 1950er und in den 1960er Jatren hatten sozialwissenschaftliche Analysen der
Modernisierixtg von Gesellschaft ebenso wie eine nun sozialwissenschaftlich eingekleidete
sozialkritische Literatur in Westeuropa und den USA Konjunktur. Der Grund für den Bedarf
an
Deutungen
der Wirklichkeit lag in der mit dem deutlichen Anstieg
der
Haushaltseinkommen, der Ausweitung wohlfahrtsstaatlicher Sicherungen, der Technisierung
der Haushalte und der Ausbreitung der elektronischen Medien verbundenen Wandlung der
Rammstedt,Gewaltverständnis, 5 l.
Kaot",Politische Gewalt, 2 1.
8l
Der Begriff der ,,strukturellen Gewalt" geht auf den norwegischen Friedensforscher Johan Galtung zurück.
Eine erste Sammlung seiner Beiträge zur Friedens- und Konfliktforschung ist im Jah¡ 1975 erschienen. Galtung,
Stnrkturelle Gewalt.
82
Neidhardt, Gewalt und Gegengewalt, LI7. Eike Henning spricht in diesem Zusammenhang von der
,*{usbeutung des Gewaltbegriffes, [...] die jenen nahezu beliebig verwertbaren Selbstlauf produziert, mit dem
sich die Fetische der,,Effektivitat" und der,,Betroffenheit" legitimieren lassen. Henning, Strukturelle Gewalt, 57.
7e
w
27
ANeLvsp opR GrwRLr
LznNUeTSARBEIT
Lebensbedingungen
und der
Industriegesells chaft en".
sozialen Verhältnisse
in den
,,fortgeschrittenen
83
Die sich in ihrer Frühphase als Erbin der marxistischen Philosophie verstehende ,,Kritische
Theorie"e erstrebte durch die Verbindung von Marxismus und Psychoanalyse, durch
das
Anknüpfen an die kritische Philosophie und durch eine Koppelung von Theorie und
empirischer Sozialforschung eine Aktualisierung und immanente Weiterentwicklung einzelner
Kategorien der marxistischen Theorie.8s Im Umfeld der,,Kritischen Theorie" entwickelte sich
Mitte der 60er Jahre eine Spätkapitalismus-These, die von der Nachkriegserfahrung fehlender
gesellschaftlicher Opposition
in
den kapitalistischen Metropolen ausging. Deren Ursachen
wurden in der relativ gesicherten materiellen Bedürfrrisbefriedigung und der Bedtirûris- und
Bewusstseinsmanipulation durch den Produktionsapparat und die mit ihm verfilzte Politik
geortet.e
Als
Träger einer revolutionåiren Umwälzung wurden
die materiell
Unterprivilegierten, die Ausgegreruter¡ vor allem aber die kraft ihrer Bildung privilegierten
Schichten (wie die Studenten) definiert, die sich gegen die manipulative Steuerung zur Wehr
setzen konnten.
Obwohl die Beurteilung der Proteste Ende der 60er Jahre und der Funktion der Studenten im
Zusammenhang
mit
gesellschaftlichen Umwåilzungen bei den Vertretern der ,,Kritischen
im folgenden hauptsächlich auf Herbert Marcuse
rekuriert, da er im Hinblick auf die Frage der Gewaltlegitimierung im Protest als
Theorie" sehr disparat ausfielsT, wird
leitmotivischer Theoretiker bezeichnet werden muss, der
-
zumindest ab 1967
-
von der
breit rezipiert wurde.*t Vorsicht ist allerdings geboten, wenn man
Studentenbewegung
zwischen den bereits in sich keineswegs homogenen Deutungen der,,Kritischen Theorie", der
Studentenbewegung und 1968 Kausalbeziehungen herzustellen versucht
83
-
eine Sichtweise,
B"hr.onn,Zwei Monate, 3 I 5.
e Die Geschichte der Frankft¡rter
Schule, die in der Geschichtswissenschaft hauptsächlich von 1968 her oder
auch auf 1968 hin geschrieben wu¡de, wird zumeist als eine Lehre wahrgenoÍìmen oder beschrieben: Der
,Xritischen Theorie". Die ,JGitische Theorie" ist eine Bezeichnung für zwar verwandte, aber durchaus
unterschiedliche, mit den Namen von Max Horkheimer, Theodor rW. Adorno, Jürgen Habermas und Herbert
Marcuse verbundene theoretische Bestrebungen, die sich in den Znitlilfen mehrfach verändert haben. Erst im
,,kanonischen' Elemente einer Denktradition im Hoheitskampf um die Deutung
herauszupräparieren, verfestigte sich das Etikett ,,Kritische Theorie" zum Namen füLr das Lehrgebäude einer
Versuch,
die
Schule. Nach Clemens Albrecht ist die ,,Kritische Theorie" daher ein Nachkriegsphänomen. Albrecåt, Erfindung,
26,31.
85
Gilcher-Holthey, Kntische Theorie, I 69.
Kimm el,Studentenbewegung, 5 l.
tt Si"h" daztt atch Lin dn e r, Jugendprotest, I 64 ff.
88
über die Zuordmrng von Marcuses Gedankengut zw ,,Kritischen Theorie" gilt weiterhin Uneinigkeit. Bernd
Rabehl z¿ihlt ihn nicht zu den Vertretern der ,,Kritischen Theorie" und reiht ihn zusammen mit Georg Lukacs,
Karl Korsch, Rosa Luxemburg, Walter Benjamin und Ernst Bloch in die Reihe der dissidenten Marxisten ein.
6
Ra be hl, Inszenierung,
3
8.
22
ANer.vsp opnGewelr
LzpNnersARBEIT
die nach Günter C. Behrmann grosse Teile der Geschichtsschreibung über ,,1968" bestimmt:
,,Frankfurter Schule, Studentenbewegung und 1968 scheinen zus¿mtmenzugehören wie Lenin,
die Bolschewiki und die
russische Revolution"se.
Protestbewegungen setzte sich keineswegs
mr
Das geistige Amalgam
der
aus den Analysen der spätkapitalistischen
Gesellschaft bei Marcuse, Adomo oder beispielsweise Reich zusãnmen; ebenso konstitutiv
waren die Revolutionstheorien von Marx, Lenin, Gramsci und Rosa Luxemburg, die
philosophischen Grundlagen von Ernst Bloch oder Luis Althusser und die psychoanalytische
Literatur von Basagli4Latng, Deleuze, Guattari und Lacan.Ð
2.3.'1.2 Marcuses ,,absolute Weigerung" und das ,,Naturrecht" auf Widerstand
In ,,The one-dimensional man" - 1964 in den USA und drei Jahre später in Deutschland
erschienen - sktzzierte der von den deutschen Medien zum ,,Papst der Neuen Linken"el
erkorene Marcuse
die
,,Tendenzen
in den
höchstentwickelten gegenwåirtigen
Er entwirft einen lückenlosen Zusarnmenhang von Manipulation und
Konformismus, der das in sich widerspruchsvolle kapitalistische Gesellschaftssystem
Gesellschaften"e2:
stabilisiert. Die Lrationalität der gesellschaftlichen Produktion äussert sich nach Marcuse
darin, dass sie einerseits grossen materiellen Reichtum
gesellschaftlicher
-
eine notwendige Bedingung radikaler
Vertinderung anhäuft, andererseits aber immer
efrñzientere
Kontrollmechanismen über potentiell gesellschaftsveråindernde Kräfte entwickelt, die dadurch
gelähmt werden. Das Paradox der Lage besteht also darin, dass die objektiven Bedingungen
für eine wirklich freie Gesellschaft bereitstehen, die Menschen jedoch weder die Hoffoung
noch den Willen haben, jene Gesellschaft herbeizuführen, weil
ihr
Bewusstsein
,,eindimensional" geworden ist. Der reinen Fomt der Herrschaft des bestehenden Systems, den
totalitären Tendenzen der eindimensionalen Gesellschaft, kann nach Marcuse nur mit einer
,,absoluten V/eigerung" begegnet werden, da,,die fiaditionellen Mittel und Wege des Protestes
unwirlsam [geworden sind]"e3. Diese V/eigerung wiederum charakterisiert er als
,,eine
elementare Kraft, die die Regeln des Spiels verletzt und es damit als ein aufgetakeltes Spiel
enthüIlt."%
Monate, 318.
*"e Behrmorn,Zwei
U* I gfis,Ausstellungskatalog,
nr
I5.
,,Fraokfurter Rr¡ndschau', 17.7.67. ,,DIE ZEIT* sprach fast zeitgleich vom,,Star und geistigen Vater aller
Jugendrevolten in der westlichen Welt" (21.7.67),,,Der Spiegel" vom ,,Studenten-Propheten" (12.6.67).
'2 Mor*se,Eindimensionaler Mensch, 20.
nt
Ebd., 266,267.
eo
Ebd,26l.
23
LzpNnersARBErr
AttRLvse
o¡nG¡welr
Nachdem Marcuse im ,,One-dimensional man" die Manipulation der Menschen durch die
Einimpfung repressiver Bedürfnisse als Kontrollmechanismus des Systems aufs schärßte
kritisiert hat, wies er in seinem 1965 erschienenen Band ,,Kritik der reinen Vernunft" auf
einen weiteren Kontrollmechanismus hin: Die repressive Toleranz. Diese ist nach Marcuse
das Produkt eines nicht aufgelösten Widerspruchs zwischen der sukzessiven Verwaltung des
ökonomischen und politischen Prozesses im Einklang mit den herrschenden lnteressen und
der ursprtÍrglich liberalen Theorie der Toleranz: ,,Auf den festen Grundlagen
einer
gleichgeschalteten Gesellschaft, die sich gegen qualitative Änderungen nahezu abgeriegelt
hat, dient selbst die Toleranz eher dazu, eine solche Änderung zu unterbinden, als dazu, sie
beflordern"es.
Da nach Marcuse die Wiederherstellung des Gleichgewichtes zwischen
nt
der
Toleranz gegenüber der Rechten und derjenigen gegenüber der Linken für die Erneuerung der
befreienden Funktion der Toleranz einer ,,unrealistischen Spekulation" gleichkommt, fordert
er ein,,Naturrecht auf Widerstand" fürunterdrtickte undtiberwZiltigte Minderheiten:
,,[...] Ich glaube, dass es für unterdrückte und überwältigte Minderheiten ein,,Naturrecht" auf Widerstand gibt,
aussergesetzliche Mittel anzuwenden, sobald die gesetzlichen sich als unzultinglich herausgestellt haben. Gesetz
und Ordnung sind überall r¡nd immer Gesetz und Ordnung derjenige4 welche die etablierte Hiera¡chie schützen;
es ist unsinnig, an die absolute Autorität dieses Gesetzes und dieser Ordnung denen gegenüber zu appellieren, die
unter ihr leiden und gegen sie kåimpfen. [...] Wenn sie [die unterdrückte und überwältigfe Minderheit, S.B.]
Gewalt anwenden, beginnen sie keine neue Kette von Gewalttaten, sondem zerbrechen die etablierte. Da man sie
schlagen wi¡d, kennen sie das Risiko, und wenn sie gewillt sind, es auf sich zu nehmen, hat kein Dritter [...] das
Rechg ihnen Enthaltung an predigen'.%
Mit diesem Programm verfocht Marcuse ein bereits in Marx'
18. Brumaire und Lenins Was
tun? angesprochenes Recht auf revolutiontire Gewalt, die im Duktus des demokratischen
Rechtsstaates illegale Formen annahm,
mit ihrer Einbettung in das naturrechtlich begrtindete
Widerstandsrecht nach Marcuse allerdings ,,über" der Legalität des repressiven, autoritåiren
Rechtsstaates
1ag.n7
Das Gewaltmonopol des Staates und das positive Recht, ja die Pflicht des
Staates, diese Gewalt
zu seiner Verteidigung auszuüben, wurde damit unterlaufen. Diese
Strategie der Gewaltlegitimierung führte im Laufe des Jahres 1967
Sommennonaten Juni und
Juli
- hauptsächlich in den
- in der Bundesrepublik Deutschland nt eigenen und
eigenwilligen Auslegungen innerhalb der studentischen Kreise. Diese lnterpretationen trugen
es
%
e7
Mor*re,Repressive
gbd., tzg.
T oleranz, 127 .
Anlässlich der VorFagsreihe ,pas Ende der Utopie" an der Freien Universtität Berlin äussefie sich Marcuse
am 13.7.67 im Gespräch mit den Studenten folgendermassen zum Widerstandsrecht: ,,Es besteht wirklich eine
enge Verbindung zwischen dem Widerstandsrecht und dem Naturrecht. Nun, Sie wollen sagen, dass es ein
solches allgemein höheres Recht eben nicht gibt. Ich glaube, das gibt es [...]: das, was uns zum Widerstand gegen
das System berechtigt, ist mehr als das relative Interesse einer spezifischen Gruppe, ist mehr als etwas, das wir
selbst definiert haber¡ so können wir das demonstrieren." Zit. nach'. Kraushaar (Hg.), Frankfurter Schule, Bd. 2,
278.
24
AN.qrvse o¡R GsweLr
LzgNrlRTSARBEIT
nicht in geringem Masse zur Versttirkung der Konfrontationen anlässlich des Mordanschlages
auf Rudi Dutschke vom 19.4.68 und der sogenannten ,,Schlacht am Tegeler Weg" vom
11.11.68 bei, als sich erstmals eine bis dahin unbekannte Militanz der Demonstranten gegen
Polizisten offenbarte.e8
2.3.1.3 Das Problem der Gewalt in der Opposition
Auch wenn man in den 60er Jahren nicht Marcuse zu lesen brauchte, um zu entdecken, dass
es revolutionäre Gewalt und die Legitimierung der revolutiontiren Gewalt gab, folgte die
Studentenbewegung nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in den USA immer wieder
den gedanklichen Vorgaben Marcuses. So meinte Bernd Rabehl, einsünalig führendes
Mitglied des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), in seinem Artkel ,,Zur
archaischen lnszenierung linksradikaler Politik": ,,Die Gewaltfrage wurde entschlüsselt uber
die Sch¡iften von Herbert Marcuse. Er wurde der wirkliche Ideengeber und Philosoph der
Revoltg."e
Wie Oskar Negt allerdings betont ha! war zu Beginn der studentischen Aktivitaten gegen das
,,Establishment" und seine ,,autoriåiren Strukturen'
Ausserparlamentarischen Opposition noch
Mitte der 60er Jahre weder in
der
im SDS die Gewaltfrage ein theoretischer und
praktischer Gegenstand der Diskussion.rm Es galt vielmehr ein Primat der Aktion und der
Befreiung von Traditionen und Theorien, von geschlossenen ldeologien, Utopien und
Vorbildern, denn
- wie Rabehl es formulierte
-,,Begriffe, Logik, Darstellung, Sprache waren
beladen mit vergangener Macht und Herrschaft und hatten dazu gedient, diese zu legitimieren
oder die Orientierung auf individuelle Freiheit und Emanzipation zu verdråingen oder logisch
zu überschreiten"rol.
Wie Oskar Negt
retrospektiv richtig vennutete, rückten
erst die
ersten
Demonstrationserfahrungen und Auseinandersetzungen mit den Ordnungskräften das Thema
Gewalt und seine theoretische Fundierung
,,Dynamisierung" der Thematik.
n8
e
in
den Vordergrund und führten zu einer
102
Lin dn" r, Jugendprotes! 222.
b"hl, Inszenierung, 46.
Negt,Achtundsechzi g, 61, 62.
to'
Rob"hl, Inszenierwrg, 39.
N"gt,
Achtundsechz ig, 61, 62; Lindner, Jugendprotest, I 88.
'o'
Ro
too
25
ANer.vsn osRGpwRlr
LzBNURTSARBEIT
2.3.1.4
Der 2. Juni 1967 als,,kritisches Ereignis"
In Deutschland spielten bei der Dynamisierung der Gewaltthematik die Ereignisse vom 2. Juni
1967 ene Schlüsselrolle.to' An diesem zum ,,kritischen Ereignis"tß stilisierten Tag erschoss
Kriminalobermeister Karl-Heintz Kurras anlässlich einer Polizeiräumung vor der Deutschen
Oper
in Berlin den Studenten Benno
Ohnesorg, der an einer Demonstration gegen den
Empfang des persischen Schahs teitnahm.tot Unter dem Titel: ,,Der Schuss, der die Studenten
in
Bewegung setzte" vermerkte
,,Spätestens
DIE ZEIT in einer
von diesem Tag at stellte sich
füLr
Rückblende nach dreissig Jahren:
die ausserparlamentarische Opposition die
Gewaltfrage".16
In der Folge möchte ich kurz auf diese
in
den Sommermonaten Juni und Juli 1967 eingehen. Otthein
hielt in diesem Zusammenhang fest: ,,Nach diesem Termin lder 2. Jwi 1967,
Gewaltlegitimierung
Rammstedt
Diskussionen und Strategien rund um die
Anm. S.B.] hatte sich die legale Macht um Anerkennung in der Öffentlichkeit zu bemtihen, ob
sie es wahrhaben wollte oder nicht. Und sie geriet dabei scheinbar in
Konkunetlzmit anderen
Kräften, so mit der Ausserparlamentarischen Opposition, der APO, die rigide normativ
sinnstiftend auftrat."r07 Der 2. Juni markiert allerdings nicht den eigentlichen Beginn der
Auseinandersetzungen um die legitimen Formen der Konfliktaustragung. Bereits im Vorfeld
erwiesen sich einzelne Aktionen als wegweisende Vorsfufenros: Direkfe Aktionen wurden von
Seiten der Protestgruppen als Provokationen initiiert, definiert als Grenzverletzung oder
Enttabuisierung, welche die Irationalität und Repression der herrschenden Verhältrisse
entlarven sollte.
Die vorerst
gewaltlosen Aktionen waren
in den Augen der
Oppositionsgruppen gerechtfertigt, weil sie der Aufdeckung der allen Lebensbedingungen im
,,Establishment" immanenten latenten Gewalt dienten, die durch Reaktionen der Polizei und
des Staatsapparates in eine manifeste Form überführt werden sollte. Die Anlehnung an die
,,grosse Weigerung" und die ,,Regelverletztng" als Instrument der Entlarvung des repressiven,
totalitären und gewalttatigen Systems
bei Marcuse ist hierbei
to3
unverkennbar.l@ Die
Siehe daøt G i I c h e r- H o lth ey, Phantasie an die Macht, 232.
Das ,Jcritische Ereignis" überfrihrt nach Ingrid Gilcher-Holthey ,,eine latente Handlungsdisposition in
manifestes Protesthandeln, indem es den Alltag und die normale Ordnwrg der Dinge durchbricht, die
Wahrnehmung synchronisiert, die Zeit zur öffentlichen Zeit machl identisch für alle, gemessen an denselben
Bezugspunkten. Es schaft eine neue Situation, aus der heraus neue soziale und politische Koalitionen, Optionen
nnd Verhaltensdispositionen entstehen." Gilcher-Holthey,Nacht der Barrikaden, 386.
lø
tos
Lirdn"r,Jugendprotest,
tou,,DIE
ro7
tor
ton
zBrr*,
30.5.97
19
l.
.
Ramm sledt, Gewaltverståindnis, 48.
Jugendprotest, 192.
Lindn
"r,
Vgl. dazu Abschnitt2.3.I.2.
26
ANer.vsB opR GeweLr
LzSNnRTSARBEIT
Handlungslegitimierung von staatlicher Seite verlief entlang derselben Argumentationslinie,
allerdings unter umgekehrten Vorzeichen: Wåihrend
die
Protestgruppen sämtliche
Lebensbedingungen im,,Establishment" als Gewalt einstuften, umfasste der Gewaltbegriffder
Polizei nahezt alles, was Zweifel an den bestehenden Verhaltnissen ausdrückte; das Sprengen
einer Vorlesung, das Blockieren des Verkehrs, gemeinsames Rufen und
Singen,
Kampþarolen, miteinander untergehakte Menschenketten galten als Inbegriff chaotischen,
kollektiven, aus dem Ruder gelaufenen revolutionären Tumults, der das Eingreifen der Polizei
zttt Wiederherstellung oder Aufrechterhaltung der Ordnung und der
demokratischen
Spielregetn legitimierte. Die ganze Sphäre des zivilen Ungehorsams konnte damit moralisch
diffamiert, die Träger des Ungehorsams geächtet und d¿imonisiert werden.
Nach dem2.
J:ulrrí
7967 allerdings wurde die explizite Beschäftigung
mit der Gewaltthematik
akut: Das Vorgehen der Polizei wurde von Oskar Negt als ,,staatlich organisierten
Mordanschlî8""', von Ausserparlamentarischen Oppositionskreisen als ersten definitiven
Schritt zum faschistischen Polizeistaat etikeffiert. Ftir den Bundesvorstand des SDS wiesen
die Ereignisse vom 2. Jtxti präfaschistische Ztige auf ,,Das postfaschistische System in der
BRD ist zu einem präfaschistischen geworden."lrr Selbst für namhafte Vertreter aus
der
V/issenschaft und für Literatur- und Medienschaffende zogmit dem2. Juni die ,,Gefahr einer
stillschweigend hingenoÍlmenen Umwandlung unseres demokratischen Rechtsstaates in einen
Polizeistaaf' herauf.rl2 In der DIE ZEIT vom 9. Juni 1967 forderten deshalb Theodor \V.
Adorno, Rudolf Augstein, Marion Gräfin Dönhoff, Gtinter Grass, Martin Walser, Golo Mann
und andere mehr in einer öffentlichen Erkltirung: ,,Die Bürger der Bundesrepublik haben in
einer Lage, in der sie sich auf gefestigte rechtsstaatliche Traditionen nicht verlassen können,
Anspruch darauf, durch schleunige rurd minuziöse Untersuchungen dartiber Gewissheit zu
erlangen, ob ihre Polizei Terror tibt
-
oder ob dieser Verdacht zu Unrecht besteht."ll3
Die Termini Faschismus und Terror wurden jedoch nicht nur mit dem Verhalten
Ordnungskrafte in Verbindung gebracht
-
der
auch im Hinblick auf die Provokationstaktik der
Studenten kursierte der Faschismus-Vorwurf; prominentester Vertreter war Järgen Habennas,
der anlässlich des im Zusammenhang mit der Beerdigung von Benno Ohnesorg in Hannover
t'o
r11
Negt, Politik rurd Gewalt, 356.
Zit. nach'. ,,DIE ZEIT*,30.5.97
ttt,,DIE zErr*, 9.6.67 .
lt'Ebd.
27
ANnrvsr o¡R GBwnrr
LzeNnarsARBEIT
veranstalteten Kongresses ,,Bedingungen und Organisation des Widerstandes" vom 9. Juni
1967 die Taktik der Provokation verwarf und zu einer
öffentlichen Diskussion kaum mehr vollzogenen
-
-
zu diesem Zeitpunkt in
der
Differenzierung zwischen verletzender und
demonstrativer Gewalt aufrief
,,Ich rnache mir keine Illusionen über eine von Gewalt freie Welt - diese Welt ist von Gewalt besessen. Aber die
Befriedigung, die man daran haben könnte, die sublime Gewalt der Institutionen durch Herausforderung in
manifeste Gewalt umzuwandeln, ist masochistisch, keine Befriedigung also, sondern Unterwerfung unter eben
diese Gewalt. Die demonstrative Gewalt, welche die politische Aufl<lärung in unserer Situation, also in einer
nicht-revolutionären Lage, allein in Anspruch nehmen darf, ist definiert durch das Ziel der Aufl<lärung. Durch
Demonstrationen erzwingen wir Aufrnerksamkeit für unsere Argumente, weil wir sie für die besseren halten. Wir
erzwingen Diskussion dort, wo sie uns durch informellen Zwang verwehf wird. Eine Gewalt hingegen, die
verwundet, kann diesem Zíelnchtdienen. [...] Wenn ich Provokation in diesem Sinne verstehen darf, dann heisst
systematisch betriebene Provokation
Implikationen."lla
von
Studenten
ein Spiel mit dem Terror, mit
faschistischen
hn weiteren monierte Habermas:
Sozialismus
,,[Hier wird] eine volurta¡istische Ideologie entwickelt [...], die man im Jahre 1848 utopischer
15
gèna""t hat und die man unter heutigen Umst¿inden [...] linken Faschismus nennen muss."l
Was Habermas als verbotene Zone der Protestbewegung beschrieb, war jedoch gerade der
Erfahrungskern der Revolte. Der gewaltsame Tod von Ohnesorg bewirkte nachhaltiges
Aufsehen, Nachdenken und Innehalten.
Ein füedvolles Abdanken eines
,,faschistoiden
Gewaltsystems" mittels symbolischer, gewaltloser Regelverletzungen wurde nach dem 2. Juni
1967
n
studentischen Kreise immer öfter in Frage gestellt.
Wer nicht ohnmächtig gegen das System protestieren wollte, musste die Gewaltfrage stellen;
und wer die Gewaltfrage stellte, musste das Recht seines Protestes nachweisen. Nach dem
Vorfall im Juni 1967 spielte in dieser Hinsicht das von Herbert Marcuse bereits in der ,,Kritik
der reinen Toleranz" 1965 postulierte Naturrecht auf gewaltsarnen Widerstand
eine
bedeutsame Rolle. In der an der Freien Universität Berlin durchgeführten Vortragsreihe über
,,Das Ende der Utopie" im Juli 1967 sprach der eigens ftir diese Veranstaltung aus den USA
eingeflogene Marcuse zum Thema,,Das Problem der Gewalt
in der Opposition". In
seinem
Referat forderte er vor der Kulisse Tausender von Studenten im Audimax:
,pie Erweckwrg des Bewusstseins der grauenhaften Politik eines Systems, dessen Macht und dessen Druck mit
der Drohrurg totaler Vernichtung wachsen, das die ihm zw Verfrigung stehenden Produktivk¡äfte zur
Reproduktion der Ausbeutung und der Unterdrückung verwendet und das zum Schutz seines Überflusses die
sogenannte freie Welt mit Militär - und Polizeidiktaturen ausstattet. [...] Die Befreiung des Bewusstseins, von
der ich gesprochen habe, meint nun mehr als Diskussion. Sie meint in der Tat und muss in der erreichten
Situation meinen: Demonstration. Das heisst im wortwörtlichen Sinne: zeigen, dass hier der ganzn Mensch
no
rls
Hob"rmqs,Ptede,249.
Zit. nach ,ÐlE ZEIT* ,
30.5 .97
28
Ar.lelvsp onn GBweLr
LzpNnersARBEIT
mitgeht und seinen Willen zurn Leben anrneldet. Seinen Willen zum Leben, das heisst seinen Willen zum Leben
in Frieden. Und wenn es für uns schädlich ist, Illusionen zu haben, so ist es ebenso schädlich und vielleicht
schädlicher, Defaitismus und Quietismus zu predigen, die nur dem System in die Hände spielen können'.r16
Was Marcuse in seinem Vortrag allerdings nicht explizit ansprach, war die Leninsche Frage
nach dem Was tun?, die Frage, was nach der Analyse kommt. Hans-Jürgen Krahl vom SDS
konfrontierte Marcuse nach dessen Vortrag deshalb mit der Frage, wie es denn möglich sei,
eine materiell-manifeste Gewaltlosigkeit darzustelleq die den Anspruch auf
eine
revolutionåire Gegengewalt vertrete. Marcuse antwortete ihm darauf mit dem in der Folgezeit
zl
Missverständnissen führenden Verweis
auf das ,,höhere" Recht auf
gewaltsamen
Widerstand:
,,Ich habe keineswegs Humanitat und Gewaltlosigkeit gleichgesetzt. Im Gegenteil, ich habe von Situationen
in denen es genau im Interesse der Humanität liegl, zw Gewalt überzugehen. [...] Wenn wir uns
gesprochen,
berufen auf das Recht der Humanität, die Ausbeutung und Unterdrückung abzuschaflen, dann sind das nicht
selbstdefinierte spezielle GruppeninteresserL sondern in der Tat Interessen, die als allgemeines Recht
demonstrierbar sind. Deswegen können wir auch heute noch das Widerstandsrecht als ein mehr als relatives
Recht in Anspruch nehmen rurd sollten es in Anspruch nehmen."ll?
Indem Marcuse dieses Recht auf Gewaltanwendung nicht an klar nachvollziehbare Kriterien
ban{ öftete er den Raum für
tnterpretationen. Dass Marcuse
mit dem Naturrecht auf
Widerstand nicht terroristische Anschläge durch Studenten legitimieren wollte, sondem
er in einem Interview 1978 bemerkteils
-
-
wie
den Kampf nationaler und rassischer Minderheiten
um die Gleichberechtigung im amerikanischen Gesellschaftssystem vor Augen hatte, konnte
die im Audimor versammelte Studentenschaft kaum durchschaut haben, versfückfe Ma¡cuse
sich doch in seinen letztenAussagen in nicht revidierbare \Midersprüche:
,,Im allgemeinen können wir in der Tat sagen: wir sind diejenigen, die die Demokratie verteidigen. Das ändert
nichts an der Tatsache, dass wir im selben Atemzug zusetzenmüssen, dass wir uns dessen voll bewusst sind, dass
haben, dieses positive Recht zu
wir positives Recht verletzen und dass wir glauben, die Berechtigrng
^
verletzen."rr9
Wie Werner Lindner betonte, wurde hier ein Grundsatzproblem - die Verwechslung von
Synrbolik und Realität, von Analyse und Handlungsanwei$rng inmitten der sich
überschlagenden Ereignisse geschaffen, das vielen APO-Mitgliedem und später nicht niletzt
den Begrändem der RAF zum Verhtingnis wurde.r20 Marcuse hatte rwar mit Verheissungen
116
117
Marcuse,Problem der Gewalt, 275.
MarcuselGqnzlKrahllNeveftnann, Diskussionsbeiträge zum Vortrag Herbert Marcuses, 275.
ttt,,St".r,",
rle
L9.7.7 8.
MarcuselGanz/KrahllNeverrncrnn, Diskussionsbeiträge zum Vortrag Herbert Marcuses, 278.
"o Lindner, Jugendprotest, 182. Auf dieses Grundsatzproblem weist auch Wolfgang Kraushaar in seiner Analyse
des Organisationsreferates Rudi Dutschkes rmd Hans-Jürgen Krahls anlässlich der 22. Delegiertenkonferenz des
SDS in Frankfurt (4.-8.9.67) hin. Im Hinblick auf die im Organisationsreferat von Dutschke und K¡ahl
29
ANer-vsB
LzENnRTSARBEIT
r¡R Gpwelr
einer nicht mehr utopischen, sondern objektiv möglichen schönen neuen Welt nicht gegeizt,
wagte sich aber letzlich
im Hinblick auf die
Studentenproteste
in Deutschland in den
Grundzügen nicht über den vorsichtigen Vorschlag der demonstrativen Gewalt bei Habermas
hinaus.
Dass seine Inkonsistenzeîzn Verwimrngen und Missverståindnissen geführt haben, bestätigte
Marcuse später anlässlich seines 80. Geburtstages:
,,Ich habe niemals Terror, weder individuellen noch Gruppenterror gepredigt t. I Natürlich gibt es zwischen
Gewalt und Terror einen Riesenunterschied. Terror richtet sich gegen Personen, revolutionäre Gewalt gegen
Zustände. [...] Einen Satz müsste ich wohl in jedem Fall näher erläutern, den über das Naturrecht auf Widerstand.
Da würde ich genauer unterscheiden zwischen Terror und Gewalt."l2l
Nach dieser Einflihrung zu den Schwierigkeiten einer Analyse des Themenkomplexes Gewalt
und zur Relevanz der Frage der Gewalt in der Opposition in Deutschland Ende der 60er Jahre
ich auf den folgenden Seiten für das Objekt meiner Untersuchung den
Gewaltdiskurs zwischen 1967 und 1969 in Zirich - den theoretischen und methodischen
möchte
Rahmen erörtern. Im folgenden Kapitel zum theoretischen Überbau meiner Arbeit formuliere
ich nach einer knapp
Diskursanalyse
gehaltenen Einführung zttm Korr;ept des ,,Diskurses"
in der Geschichtswissenschaft
und
der
eine spezifische Diskursdefmition für meine
Arbeit. Auf der Basis dieses Diskursverständnisses werde ich im nächsten Kapitel schliesslich
eine spezifische methodische Analyseanleitung für die Untersuchung des Gewaltdiskurses
entwerfen.
begrändete Idee der Stadtguerilla bemerkte Kraushaar, dass ein bestimmter
Ztg der,JGitischen Theorie" zwa¡
bei der intellektuellen Geburt der Stadtguerilla Pate gestanden, die Legitimation für den Aufbau bewaffireter
Kader jedoch bei keinem der Frankfi¡rter Schule zugerechneten Theoretiker aufzufinden sei. Kraushaar,
Autoritärer Staat, 31.
12r
,,Stern", 19.7.78.
30
TueoRpnscnen ResvEN
LzsNrrersARBEIT
3
Theoretischer Rahmen
Der theoretische Rahmen dieser Arbeit bildet eine auf Foucault beruhende Diskurstheorie
oder Diskursanalyse. Die Hinwendung zum,,Diskurs" und dem Konzept der Diskursanalyse
mit
seinen theoretischen und wissenssoziologischen Implikationen kann als Resultat der
,,sprachlichen Wende" oder
-
modisch ausgedrtickt
-
des ,,linguistic ttln"r22
in der
Geschichtswissenschaft interpertiert werden.l23 Was aber ist unter dem Etikett ,,linguistic
firrf'
zû verstehen?
3.1 Bedeutung als Text: Postmoderner
Perspektivenwechsel und
,,linguistic turn"
Der ,,linguistic turn" in der Geschichtswissenschaft l¿isst sich nicht genauer erfassen, ohne
vorab den vom
Denkgebäudel2a Poshoderne beziehungsweise Poststrukturalismus
eingeleiteten Paradigmenwechsel
nt
skinzieren, der dem Etikett zu seiner Prominenz verhalf
Nach Ute Daniel låisst sich der postmodenre Einstellungswandel vereinfacht betrachtet auf
einen Punkt reduzieren: den Verlust der ,,Korrespondenztheorie der Wahrhe¡¡'e .r25 Diese
Epistemologie ging von drei Grundannatrmen aus: Erstens vom erkennenden Subjekt als
Betrachter, zweitens von einer Vorstellung des Betrachteten als Welt,,da draussen", die durch
Vorstellungen
und Wahrnehmungen
repräsentiert werde,
Sprachkonzept, das die Bedeutung eines Wortes
Diese Grundannahmen wurden
Sozialwissenschaft jedoch
in
in
und drittens von
einem
mit dem gleichsetzte, auf was es verwies.
den leØten rund 150 Jahren von Philosophie und
Frage gestellt: Die Mamsche Ideologiekritik, die Freudsche
Psychoanalyse und die Sozialwissenschaften haben das Subjekt
in
gesellschaftliche und
psychische Kontexte gestellt, die nicht mehr bloss passives Objekt der Erkenntnis sind,
Der B"g.ttr, allgemein auf die Wendung der angloamerikanischen Philosophie seit den 1960er Jahren zw
Sprache bezogen" taucht das erste Mal an prominenter Stelle im Titel des von Richard Rorty herausgegebenen
Sammelþ¿¡des aus dem Jahr 1967 auf. Rorly, Linguistic Turn.
r23
Schöttler, Paradigma, 159; Sarasin, Subjekte, 132. Die,,sprachliche Wende" in der Geschichtswissenschaft
begann sich seit den 50er Jah¡en abzuzeichnen rmd setzte - grob gesprochen - zuerst in Frankreich, in den
siebziger Jah¡en in den USA und England und in den achtziger Jah¡en in Deutschland en. Schöttler, Angst vor
dem,,linguistic turn", 134.
t24 Nach Ute Daniel besteht die a¡chitektonische Eigenttimlichkeit der Denkgebäude Postmoderne
beziehungsweise Poststrukturalismus darin, ,,alles sein zu wollen, nr¡¡ kein Gebäude". Daniel, Kulturschock, 261.
Fär die Betrachtung der allgemeinen HintergrtiLnde des Postmodernismus siehe anch Megill, Prophets of
122
extremety.
r2s
Daniel,Kulturschock,
26 1.
31
THBoRsrlscn¡R Regir¿pN
LrzeNr¡.TSARBEIT
sondern selbst wirkungsmächtig. Die Welt ,,da draussen" wurde von Nietzsche bis Heidegger
immer radikaler in wissenschaftliche und alltagliche Wahmehmungskategorien aufgelöst und
verlor damit ihren autonomen Status.l26 Durch die Arbeiten von Ferdinand de Saussure und
Ludwig Wittgenstein fiel auch die Sprache als das Medium aus, das die Korrespondenz
zwischen den ,,Tatsachen" und ihrem ,,Erkennen" garantiert hatte.r27 Die Sprache ist nach
dem Verlust des Subjektes und der V/elt damit der einzige Ntihrboden von Bedeutung und für
Bedeutung.
\Mie Peter Schötter festhielt, hatte der Linguist Algirdas Greimas bereits 1958 betont, dass
Sprache nicht nur ein Repertoire von Wörtern ist, von denen nur einzelne als Zeugnisse einer
Geschichte gelten können, sondern vielmehr als symbolisches System gelten muss
-
ein Ort,
an dem sich Geschichte abspielt. Nach Greimas war die Sprache diejenige Ebene, auf der die
sozialen Rollen verteilt werden und die sozialen Rahmenbedingungen füLr Gefühlsmodelle,
Moralitätsnotmen und Handlungsmuster entstehen.l2s Sprache war damit nicht transparent
und beliebig, war mehr als ein passives Medium für den Transport von Bedeutungen und
Sinn: Die sprachliche Darstellung war aktiv an der Modellierung der sozialen Realität
beteiligt.l2e Insbesondere in den poststrukturalistischen Sprachkonzeptionen von Autoren wie
Michel Foucault, Jacques Derrida, Roland Barthes, Jean-Francois Lyotard und Julia Kristeva
wurde die konstitutive Rolle der Sprache und ihrer Organisation
(Foucault)
-
- ihre ,,diskursive
bei der Produktion und dem Erleben von Wirklichkeit
Struktur"
unterstrichenr3O: Sie
konzipierten die Sprache gewissennassen als GefÌiss, in dem bereits vorhandene strukturierte
Wissenskomplexe einer Gesellschaft realisiert und aktualisiert werden. Nach dem Verlust von
Subjekt und Welt wurde die sprachliche Materialität somit als prägender Faktor bei der
Präparation und V/ahmehmung der sozialen Wirklichkeit des Bewusstseins, Denkens und
Handelns der Vielen interpretiert.
tzu
Bbd.,262.
.Wort
eine
De. Linguist De Saussure bestritt, dass Sprache eine Summe ihres Vokabulars sei, in dem jedes
.Worte
festgesetzte Bedeutung hat. Er betrachtete
als Zeichen, die er in gesprochene und geschriebene Sigrrifiants
(Sigrifikanten), die aus willküLrlich gewählten Laut- oder Schriftzeichen bestehen, und in Sigdfiés (Signifikaten;
die von den Signifikanten bezeichneten Gegenst2inde) einteilte. De Saussure, Cows de linguistique. Ztx
,,linguistischen Vy'ende" in der Philosophie siehe auch Rorty, Linguistic tum.
t27
128
r2e
r30
Schötiler, Paradigma 163.
Hanisch, Linguistische W ende, 224.
Zusammenfassend dazu Zo renz,Konstvktion, 162. Vgl. auch Ruslerholz, Semiotik, 2330.
32
Tu¡onnrlscueR ResIvtpN
LzeNnarsARBEIT
Auf einen Teil der Geschichtsschreibung der letzten zwanzig bis dreissig Jahre haben
diese
Auffassungen von Sprache und Textualitat einen entscheidenden Einfluss ausgeübt. Das
gewandelte Verhältnis zur Sprache unter Historikern hafte ntr Folge, dass die bis dahin nie
angezweifelte Dominanz hermeneutischer Verfahrensweisen zur Disposition stand. Der Sinn
in den Reden und Texten von
Sprechern wurde nicht mehr auf die lntentionalität eines
schöpferischen, zweckrational handelnden Autor-Subjektes als ein Letzes bezogen, sondern
als Produkt von zirkulierenden Signif,ftanten und diskursiven Mustern begriffen, die ihrerseits
allerdings st?indig vom individuellen Reden der Subjekte ,,unterbrochen" werden.I3l Der neue,
mit der Dezentrierung
des historischen Subjekts verbundene
Bedeutungsgenese bewirkte
Blickwinkel auf die Sinn- und
die Ablösung der verstehenden Interpretation durch neue
Methoden einer sogenannten ,,poststruktualen Sozialgeschichte"l32:
Mit diversen Spielarten
einer historischen Semantikl33 sowie Formen benachbarter linguistischer und ethnologischer
Konzepte versuchte man den Raum der ldeen, den Raum des Wissens, den die Akteure bei
ihren Deufungen imms¡ schon vorfinden, auszuleuchten und
in
seiner Transformation
nt
verstehen.l3a
Die im
der historischen Semantik an prominenter Stelle rangierende
ist in letzter Zeit von verschiedener Seite unter Beschuss geraten:
Rahmen
Dislarrsanalysel35
Problematisch erscheint einigen Autoren vor allem der Synkretismus und Eklekfizismus ihrer
Methoden, die die erhöhten sozial- und kulturgeschichtlichen Erwartungen, die
poststrukturale Sozialgeschichte gesetzt werden, zu gefÌihrden drohen.
in
die
136
Sarasin, Subjekte, I42. Ygl. auch ders., Ver-Sprecher,3I-41: Schöttler, Mentalitäten, 103.
"' Si"d"r,Sozialgeschichte auf dem Weg,452.
t"
Rolf Reicha¡dt führt im Hinblick auf die historische Semantik und der ihr angelagefen Methodik drei
tonangebende,,schulen" an: Die deutsche Begriffsgeschichte, die anglo-amerikanische ,,Conceptual History" und
die franz6sische ,,analyse du discou¡s". Reichardt, Historische Semantik, 7-28. Zw französischen ,,analyse du
discours" siehe auch Maingueneau, Französische Schule, 187 -195.
lta Si"der, Sozialgeschichte auf dem Weg,452. Philipp Sarasin spricht in seinem Aufsatz ,,Subjekte, Diskurse,
Körper" auch von den Methoden der,diskursanal¡ischen Kulturgeschichte". Sarasin, Subjekte, 131.
135
Im Hinblick auf den BegriffDiskursanaþse kann man drei Blickrichtungen rurterscheiden: 1) eine linguistisch
begrtiLndete Psychoanaþse Jacques Lacans und Julia Kristevas, 2) eine sprachtheoretisch begrändete
Diskursanaþse Jean-Francois Derridas, des späten Roland Barthes und des amerikanischen Dekonstruktionismus
und 3) eine historische Diskursanalyse Foucaults als Untersuchung der geschichtlichen Aufeinanderfolge
verschiedener Struktu¡en der Wissenskonstitution. Rusterholz, Semiotik, 2332.
136
So bemerkte Philipp Sa¡asin mit Blick auf die letzten Vertreter der GrüLndergeneration der Diskursanalyse in
Frankreich, Regine Robin und Jacques Guilhaumou, im Jahr 1996: ,,Sie scheinen zu schwanken, ob sie den
Synkretismus der gegenwärtigen diskursanal¡ischen Methoden produkiv finden oder als Banalisierung ablehnen
sollen." Sarasin, Subjekte, 141.
131
JJ
Tgpon¡rIscH¡R R¡stvtPN
LzpNnersARBEIT
3,2
Der Diskurs und se¡ne Definition
Wie Emst Hanisch bemerkte, heisst das Fahnenwort der ,,sprachlichen Wende"
Diskurs.r3?
Auch Peter Schöttler monierte, dass das Wort ,,Diskurs" in den letzten Jahren derart modisch
geworden sei, dass man ¿tm liebsten vermeiden möchte, es weiterhin zu propagieren oder zum
Gegenstand theoretisch-methodischer Überlegungeî
zt machen.'s Ute Daniel spricht gar von
einem endemisch gewordenen Diskursbegriff, der nur noch Mode und nicht mehr Methode
sei.t3n
Die von Dominique Maingueneau
l99l erstellte
Diskursarten-Typologie vermag diese
Kritik zu materialisieren: ln seiner Studie ,,L'analyse du discours" identifizierte er sieben
verschiedene Arten des Diskursverständnisses und der ihnen angelagerten Diskurskonzepte,
die sich in den letztenzwanzigJahren in der Linguistik herausgebildet haben.rao
Die steile
Karriere des Diskursbegriffes und diskursanalytischer Ansätze
zrt
kulturwissenschaftlichen Themen ist eng mit der Person und dem Werk Michel Foucualtsl4l
verbunden, wobei die zentrale Referenz
,,,Archeologie
für den Diskursbegriff die 1969 erschienene
du savoir" darstellt.la2 In der ,,Archäologie des Wissens" (im
Folgenden
,¡Archäologie") untenrirnmt Foucault verschiedene Ann?iherungsversuche an den Begritr
,,Diskurs". Diese wiederholten Anläufe können
als
Bestandteile
Argumentationsprozesses befrachtet werden, in welchem der Diskursbegriff
terminologischen Flottierenla3
-
-
eines
nach einigem
doch noch definiert wird. Die abschliessende Definifisn 6s5
Diskurses in der,/,rchäologie" lautet:
,,Diskurs wird man eine Menge von Aussagen nerìnen, insoweit sie zu¡ selben diskursiven Formation gehören. Er
bildet keine rhetorische oder fomrale, unbesch¡tinkt wiederholba¡e Einheit, deren Auftauchen oder Verwendung
in der Geschichte man signalisieren (gegebenenfalls erklåiren) könnte. Er wird durch eine begrenzte Menge von
Aussagen konstituiert, für die man eine Menge von Existenzbedingungen definieren kann."la
137
r38
Hanisch, Linguistische lily'ende, 225.
Sch öuler,Paradigma, 102.
r3e
Daniel,Kultu¡schock, 266.
'oo Maingueneau, L'analyse
du discotrs, 10. Dieses Buch entstand aus einer Überarbeitung des
erschienenen gleichnamigen Werkes.
tot Vgl. dazu Frank, Diskursbegriff
1991
bei Foucault, 25-44. Erkenntnistheoretisch ebenfalls wichtig ist die von
Järgen Habermas geprägte Diskurs-Definition. Er versteht unter einem Diskurs das rationale, herrschaftsfreie
Gespräch zwischen aufgeklärten und gleichberechtigten Subjekten, bei dem allein die besseren Argumente
entscheiden und einen Konsens herbeiführen. Habermas geht es hierbei nicht um die Beschreibung empirischer
Disku¡se, sondern um eine Ethik des Diskwses, die zugleich eine Ethik der Konsensbildung ist. Vgl. dazu
HabermaslLuhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, I 14 fi., 195 ff.; Habermas, Erläuterungen
zur Diskursethik.
1a2
ra3
rM
Dani el,Kulturschock, 265.
Fortier, Stratégies textuelles, 205,206.
Foucauh, Archäologie, 170.
34
TuponprncnpR RenuPN
LzpNnersARBEIT
Entscheidend ist der erste Satz. Das ist seine Definition, wie sie sich praktisch identisch auch
in einem vorherigen Definitionsversuch in der ,,Archäologie" findet.las Die beiden folgenden
Sätze sind bereits Erläuterungen in Forrn von negativen Abgrenzungen.
Foucaults Definition soll den Ausgangspunkt fi.ir die Bestimmung des Diskursversttindnisses
in dieser Arbeit bilden. In Anlehnung an das Diskursversttindnis der deutschen linguistischen
Diskursgeschichte,
im
Rahmen dieser Ausführungen vertreten durch Dietrich Busse,
Wolfgang Teubert, Fritz Hermanns und Matthias Jung, werden am Diskursbegriff von
Foucault allerdings einige Modifikationen vorgenommen. Diese beziehen sich auf die
folgenden Punkte:
l)
Die zentalen Begriffe innerhalb von Foucaults Definition sind die
,,,A.ussage" (enonce)
und die,,Formation". Die beiden Begriffe stehen in wechselseitiger Beziehung zueinander.
Ein Diskurs besteht nach Foucault aus einer Menge von Aussagen, die einer sogenannten
,,Formation" beziehungsweise einem bestimmten Formationssystem angehören. Die
,,Forrnation" bei Foucault ist im Sinne einer (diskursiven) Præ<is konzipiert - und der
Diskurs demnach als Ort, an dem ein Ensemble von sprachlichen Tnichen gemåiss
bestimmten ,,Regeln" - den sogenannten Formationsregeln - erst hervorgebracht wird (der
Diskurs ,,formf' seine Objekte).'ou Was versteht Foucault nun aber unter einer Aussage?
Foucault grenztsie vierfach ab: Sie entspricht weder der,,Proposition" der formalen Logik
noch ist sie identisch mit dem gammatikalischen Satz, sie ist weder ein Sprechakt noch
etnZeíchenim Sinne der Semiotik.l47 Eine Aussage ist bei Foucault damit keine Struktur,
sondern eine Existenzfunktion
Aussage
-
gemtiss der mathematischen Formel
istl eine Funktion, die ein Gebiet von
f (Diskurs) - : ,,[Eine
Strukturen und möglichen Einheiten
durchkreuzt und sie mit konkreten Inhalten in der Zeit und im Raum erscheinen l¿isst."rot
ros
Diskurs: ,,Eine Menge von Aussagen, die einem gleichen Formationssystem angehören." Foucault'
Archäologie, 156.
tou
Ao diãr"r Stelle muss jedoch betont werden, dass Foucault die ,,Fonnation' in der ,,Archäologie" auch als
Resultat eines prozesses versteht (der archäologischen Scbnitt identifiziert disku¡sive Fonnationen im Sinne von
GruppierungeQ. Sein Formationsbegriff ist daher, weil er sowohl als Prozess als auch als Resultat eines
p.oresses Uegriffen werden kann, doppeldeutig. Der Akzent in der ,,Archäologie" liegt allerdings bei der
Fortier, Stratégies
,,Formation" it¡ Si"tr" des Prozesse oder besser: im Sinne der Praxis, und nicht des Resultates.
textuelles, 194.
147
Foucauh, Archäologie, 17 7 -223.
tot Ebd., 126. Foucault verstrickt sich im Hinblick auf die Definition der Aussage als Funktion allerdings in
rù/idersprüche, wenn er davon spricht, dass die Aussage eine relative Identität besitze undje nach dem Gebrauch,
den man von ihr macht, schillere (Ebd., 152). Es stellt sich hierbei die Frage, ob eine Funktion überhaupt eine
Identität haben kann und ob sich mit dem Verb ,,schillern" nicht viel eher semantische als mathematische
Vorgänge verbinden. Ob die Aussage mrn eine Funktion ist, die Zeichenfolgen existieren lässt oder selbst aus
Zeichenfolgen besteht und damit auch mit semantischen Merkmalen ausgestattet ist, wird aus der erw¿ibnten
Passage nicht ersichtlich.
35
TneonEuscnen Renv¡N
LzgNneTSARBEIT
Sie ist eine Funktion, die verschiedene sprachliche Einheiten emergieren
lässt
beziehungsweise in Beziehung zu einem Objektfeld setzt.tae
2) Foucaults
Diskurs-Begriff
in der ,,Archäologie"
gehört weder zum Denken noch zur
Sprache und besitz eine Autonomie, die ihn von seinem gesellschaftlichen Umfeld
loslost. Diese Isolierung, aus der zahlreiche Paradoxien resultierten, hat Foucault in
späteren Werken allerdings zugunsten einer Einbettung
verworfen (Einführung des Macht-Aspektes).
In
t
in einen sozialen Kontext wieder
s0
Anlehnung an die Arbeit von Dietrich Busse und Wolfgang Teubertrsl sowie den
Erweiterungsvorschlägen von Matthias
J*gttt
und Fritz Hermannsl53 werden im Hinblick auf
die unter 1) und 2) festgehaltenen Spezifika des Foucault'schen Diskursbegriffes drei
grundsätzliche Differenzen aufgezeig¡, die schliesslich zur Definition des Begriffs in dieser
Arbeit führen.
adl)
Busse, Teubert und Jung verstehen den Diskurs selbst nicht als handelnde
Ikaft
(als
agens sui generis), sondern gewissermassen als Resultat, als Ensemble bereits realisierter
Daten.
Da damit jede
Konkretisierung des Diskurs-Begriffes
auf das Problem
der
Zusammenstellung des Analysekorpus verwiesen bleibt, ist die Frage nach den Korpora,
ihrem Status und ihrer Repråisentativität von eminenter Bedeutung.lsa
In
logischer
Konsequenz wird die Aussage als ein zentrales Element des Foucault'schen prozessualen
Diskursbegriffes nicht als Funlfion begrifferl die eine Zeichenfolge existieren låisst, sondern
als eine Zeichenfolge, die durch diskursive Formationen mit bestimmten semantischen
Merkrnalen ausgestattet wird.lss Die diskursiven Formationen kann man mit Claude LéviStrauss als ,,Basteleien" bezeichnen, deren Urheber,,auf eine bereits konstifuierte Gesamtheit
von Werkzeugen und Materialien zuräckgreifen; eine Bestandesaufoahme machen oder eine
schon vorhandene umarbeiten; schliesslich und vor allem [...] mit dieser Gesamtheit in eine
Art Dialog treten, um die möglichen Antworten zu ermitteln, die sie auf das gestellte Problem
zu geben vermag."l56 tn diesem Sinne bestimmen diskursive Formationen die Möglichkeiten
rae
1
Ebd., r54.
Frank, Diskursbegriffbei Foucault, l0 Kammler, Historische Diskursanaþse,4l, 42.
51
B u s s e I Teub ert, Spr achwissenschaft liches Obj ekt, I 0-2 9.
lso
tt' Jrrg, Linguistische
153
1
5a
r5s
1s6
Diskursgeschi chte, 453-472; ders., Zahlen oder Deuten, 60-8 1 '
Hermannt, Sprachgeschichte, 69-1 0 l.
B u s s e / Teub
ert, Spr achwissenschaft liches Obj ekt, I 4, | 5.
Ebd.
Léri-Strau.ss, Das wilde Denken,
3 1.
36
Tnson¡uscnpR Reuv¡N
LzgNlersARBEIT
und Grenzen sinnvoller Rede und institutionalisieren die Deutungsmuster und legitimen
Sichtweisen zu spezifischen Gegenstandsbereichen.
ad 2) Im Gegensatz
nt
157
Foucaults Isolation des Diskurses
ist die
Vernetzung
mit
einer
spezifischen sozialen Situation bei Busse, Teubert und Jung ein entscheidender Faktor. In
dieselbe Richtung zielt Jacob Torfings Aussage zur Einbettung des Diskurses
in einen
sozialen Kontext:
,piscourse is a relational totality of signifying sequences that together constitute a more or less coherent
framework for what ca¡r be said a¡rd done. The notion of discowse cuts across the distinction between thought
and realiS', and includes both semantic and pragmatic aspects.
within the social, but is rather co-extensive with the social."lss
It does not merely
designate a linguistic region
Gemäss diesen Differenzierungen wird füLr diese Arbeit eine modifizierte Diskursdefinition
formuliert, wie sie in åihnlicher Form bei Busse und Teubert auftauchtlse:
Ein Diskws ist definiert als ein Aussagenkorpus mit diachroner Struktur, der über im weitesten Sinne inhaltliche
(beziehungsweise semantische) Kriterien verfügt, die mittels diskursiver Formationen (im Sinne
institutionalisierter und legitimierungsfrihiger Fonnen des Sprechens über spezifische Gegenstandsbereiche)
hergestellt werden.
Zt einem Diskurs gehören alle Aussagen,
- die sich mit einem als Forschungsgegenstand gewählten Thema, Wissenskomplex oder Konzept befassen,
untereinander semantische Beziehungen aufi¡veisen und/oder in einem gemeinsamen Aussage-,
Kommr¡nikations-, Funktions- oder Zweckzusammenhang steher¡
- den als Forschungsprogramm
vorgegebenen Eingrenzungen
im Hinblick a.uf ZeiFavrc/Znitscbnitte,
Gesellschaft sausschnitt r¡nd Kommunikationsbereich genugen.
Matthias Jung folgend wird die Aussage
- die basale Einheit des Diskurses - als eine Grösse
zwischen der Wort-, Satz- und Textebene vorstanden: ,,Eine Aussage [...] kann
in
einem
ganzen Text ausfrihrlich erläutert werden, das Resumee eines Textabschnittes bilden (vor
allem, wenn argumentiert wird) oder aber in einzelnen Wörtem [...] lediglich impliziert sein.
[...] Mit Aussage ist hier nattirlich nicht die Satzaussage gemeint, sondern vielmehr
bestimmte thematisch definierte Behauptung. Vielleicht
eine
ist der Begritr Aussagengeflecht
votzvziehen, da er keine logische Pråizision vorspiegelt."r@ Der Verweis auf die diachrone
Strukfur des Diskurses ist Fritz Hermanns entliehen, der mit seiner Akzentuierung des ,,quasiresponsorischen" oder ,,quasi-dialogischen" Charakters der Aussagen auf die grunds?itzliche
Instabilitat der Diskurse hinwies: ,,Diskurs bedeutet auch
Semantik ein Gespräclt, nnachst ein Zeitgespräch.'616r
zugleich seine Transformation angesprochen:
ttt Vgl.
37
Mit der Instabilität
Der Diskurs
dazu S c hv, a b -Trapp, Legitimatorische Diskurse, 302-327
To6ing, Theories of Discourse, 300.
rse
Bus se/Teubert, Sprachvrissenschaftliches Objekt, 14.
Jrng,Linguistische
Diskursgeschi chte, 461.
'uo
161
Hermanns. Sprachgeschichte, 88, 89.
r58
im Kontext der historischen
des Diskurses ist
erscheint
in
diesem
LzpNn¡rsARBErr
TunonnrrscupR ReuuBN
Zusammenhang meist nicht als ein Gespräch oder Zeitgespräch, sondern kann
in seiner
Transformation ebenso als Zwiegespräch verstanden werden. Die den Diskurs prägenden
diskursiven Formationen untergliedern sich deshalb intern in konkunierende Deutungsmuster
und deren Trägerschaften.
3.3
t62
Die historische Diskursanalyse Michel Foucaults
Wie Hannelore Bublitz letztes Jahr bemerkte, sieht sich die diskursanalytisch orientierte
Forschung seit geraumer Zeit mit einem interessanten Phänomen konfrontiert: Ihre zentralen
Begriffe wie etwa der Diskurs erfreuen sich in den aktuellen Diskussionen der Geistes- und
Sozialwissenschaften
einiger Beliebtheit,
,,gerloSSoo
an der
Popularität
des
diskursanalytischen Vokabulars scheint jedoch eine forschungspraktische Anwendung und
methodologische Reflexion der diskursanalytischen Methode im (engeren) Sinne Foucaults
eher marginal zu bleiben."l63 V/endet man sich
mit Clemens Kammler der ,,Archäologie"
als
demjenigen Werk Foucaults zu, das als erstes seiner Bücher das Konzept einer eigenståindigen
historischen Diskursanalyse entwickelt,
wird die Problematik der Anwendung einer
Foucault'schen Methodik allerdings schnell ersichtlich.
Ursache
Die Schwierigkeiten haben ihre
vor allem darin, dass Foucault es vermeiden will, auch nur den Anschein
zu
erwecken, eine ,,Theorie" des Diskurses zu konstruierenl64, obwohl er damit hin und wieder
kokettiert (,,keine Theorie im strengen und starken Sinn des Wortes"l65, ,,die Möglichkeit
einer Theori."tuu). Das Schillernde und Schwebende, das wiederholte ,,ich bin weder dies
noch das"luT
in der ,,Archäologie" wurde von Frances Fortier als ,,poetisches Programm"
Foucaults charakterisiert.l6s Zudem verstrickt sich Foucault bei seinem Programm der
Beschreibung
der
diskursiven Formationen (Formation
Äusserungsmodalitäten, Begriffe
und
Strategien)
der
Gegensttinde,
als eine der Möglichkeiten an
Individualisierung eines Diskursesl6e in eine Reihe von Widersprüchen und theoretischen
t62
t63
S c hu, a b -Trapp.
B
rø
rb
Iit
"/
Legitimatorische Diskurse, 3 08.
(Hg.), W uchern der Diskuse, I 4.
B ü h rm a n n / Ha n ke/S e i e r
Kammler, Historische Diskwsanalyse, 33. Auch Dominique Schrage wies auf die Problematik der
Operationalisierung des Diskurses in der ,,Archäologie" hin: ,,Ich habe bezweifelt, dass die ,,A¡chäologie des
Wissens" eine Methode im herkömmlichen Sinn ist und dass man sie dazu machen könnte. Schrage, Was ist ein
Disku¡s,73.
t65
Foucaul t,Archäologie, 166.
t6u
tu7
Ebd., 167.
Ebd., 30.
168
Fortier, Stratégies textuelles, 26.
t6n
Der ztteite Weg zur Individualisierung eines Diskurses besteht bei Foucault in der Beschreibung der
Aussage(funktion), der er im Hinblick auf die Beziehung Aussage-Referential (Archäologie, 133), das Subjekt
38
THnonpuscupR R¡gtr¿pN
LzgNrarsARBErr
Schwachstellen.lT0 lnsbesondere das Problem der Kausalbeziehungen zwischen diskursiven
und nichtdiskursiven Praxisformen blieb hier weitgehend ungelöst.l7l Peter Sloterdijk
charakterisierte die Beziehung zwischen diskursiven und nichtdiskursiven Praktiken
in
der
,,Archäologie" als ,,merkwtirdig blinde Disjunktion" und vermutete, dass eine ausgeführte
Theorie dieses Verhältrisses die geltende Konzeption von Praxis womöglich sprengen
würde.l72
Trotz dieser kritischen Ausserungen rû Foucaults methodischem Programm ist sein Einfluss
auf die Konzeptualisierung diskursanalytischer Forschungsansdttze der
geschichtswissenschaftlich oder politologisch ausgerichteten
In der Traditionslinie
Foucaults
wird bei
-
-
sei es linguistisch,
historischen Semantik gross.tt'
diesen Forschungsansätzen versucht, die
polysemische Sinnproduktion, die sich bei der Analyse textueller Oberflachenzeig¡, von ihrer
sozialen, diskursiven Seite her auf jene Hauptvektoren zrl untersuchen, die Bedeutung
massenhaft erzeugf. und verbreitet haben und damit das Denken und Handeln der Vielen
struktorieren.lto Auch das
in
dieser Arbeit entwickelte diskursanalytische Arrangement
orientiert sich an Foucaults Programm der Beschreibung diskursiver Formationen als Theorie
diskursiver Præris.
In Übereinstimmung mit dem oben formulierten modifizierten
Diskursverständnis werden allerdings auch Modifikationen an Foucaults methodischem
Programm vorgenornmen, wobei nur Teile seines Arrangements operationalisiert werden
(siehe Kapitel4).r7s
der Aussage (ebd., 139), das assoziierte Feld der Aussage (ebd., 142-144) und die materielle Existenz der
Aussage (ebd., 149, 150) vier Merkmale zuschreibt.
170
Die rWidersprüche und theoretischen Schwachstellen sind besonders gut herausgearbeitet bei Kammler,
Michel Foucault.
t7t
Ka-mler betonte in seiner abschliessenden Beurteilung der ,"4¡chäologie": ,,Die ,,Archäologie des Wissens"
scheint aufgrund ihrer nw halbherzig eingestandenen, aber doch mehr oder weniger harnrackig verfolgten
theoretischen Zielsetztng ein Buch voller Unstimmigkeiten geblieben zu sein. Die unkla¡e Verwendung der
Unterscheidung diskursive versus nichtdiskursive Praxis ist wohl die entscheidende dieser Unstimmigkeiten."
Kammler, Michel Foucault, 110.
r72
Stoterdi¡ k, Michel Foucaults strukturale Theorie, I 8 1.
tt' Alr Vettr"ter der einzelnen Richtungen siehe beispielhaft für die historischen Ansätze Chartier, The Chimera,
167-186; für die linguistischen Ansätze Busse, Historische Semantik; fü¡ die politologischen Ansätze Ball,
Conceptual History, 75-86.
r1a
Sarasin, Subjekte, 145.
r75
7,rr partiellen Einlösung des von Foucault skizzierten methodischen Progtammes in dieser Arbeit siehe auch
Anm.208.
39
LzTNTTRTSARBEIT
TnEoRpuscsBR ReuupN
3.4 Der Einbezug von Bildquellen in
diskursanalytische
Arrangements
Die bislang vorliegenden diskursanalytischen Untersuchungen in der Geschichtswissenschaft
haben fast ausnahmslos mit schriflichen Quellen gearbeitet.rT6 Mit der Vernachlåissigung von
Bildquellen als nicht-verbale Ausserungenttt in diskursanalytischen Arrangements werden
indes Dimensionen der Ûberlieferung ausgeblendet, die für eine soziale Kulturgeschichte
we sentlich erscheinen.
Wie Michael Titzmann in seinem Artikel ,,Theoretisch-methodische Probleme einer Semiotik
der Text-Bild-Relationen' festhielt, verfügen Bilder gegenüber Texten im Hinblick auf die
Vollständigkeit der wahrnehmbaren bedeutungsdifferenzierenden oder bedeutungstragenden
Elemente über einen entscheidenden Vorteil: Wo die vom Bild entworfene Welt immer durch
Konkretheit und Vollständigkeit aller visuell wahrnehmbaren Elemente charakterisiert ist,
bleibt die
in
Texten abgebildete ,,Welf' bezüglich der von
ihr implizierten, visuell
wahmehmbaren Elemente abstrakt und unvollständig und stellt damit eine ,¡isuelle
Nullposition" (Unbestimmtheit und Leerstelle) dar. Jede Visualisierung eines Textes ist damit
gegenüber dem Text etne spezlfuierende Konkretisierung, die dessen,,visuelle Nullposition"
auffi,i11t.l78
Durch die Verbildlichung können deshalb in Bezug auf allgemeine oder leicht
abstrakte Prinzipien und Schlagwörter in Texten Bedeutungsdimensionen kenntlich gemacht
werden, die über die rein textuelle Bedeutungsgenese nicht identifniertwerden könnten. Auch
Rolf Reichardt wies in seiner Studie zur Politisierung und Visualisierung aufkl¿irerischer
Schlüsselwörter in Franlaeich auf diesen Umstand hin und betonte, dass die Verbildlichung
eines Begriffes dessen implizite Bedeutungen, Wertungen, Nuancen und semantischen
Beziehungen nicht selten deutlicher und offensichtlicher machen als der schriftliche
Kontext.rTe Überdies hielt er fest, dass die Verbildlichung und Versinnlichung von Begriffen
bei der Signalisierung schroffer Ablehnung oder aber begeisterter Zustimmung die emotionale
Aufladung der untersuchten Konzepte und damit deren appelative Potenz fordere.ls0
t76
Eine Ausnahme stellt Rolf Reichardt dar. Reichardt, Politisierung und Visualisierung, 83-170.
Årrsse.ung wird hier in Anlehnung an Michael Titz¡nann als Produktion einer begrenzten Menge zeichenhafter
(:semiotischer) Objekte verstanden. Titzmann, Probleme einer Semiotik, 368.
r78
Ebd., 379, 380. Allerdings betonte Titmann, dass wahrnehmbare Elemente eines Bildes - eine Linie, eine
Form, eine Farbe - aufgrund der geringen Kodiertheit der primären Sigrrifikanten in Bildern erst unter
bestimmten (kotextuellen) Bedingungen zum Signifikanten werden und damit nicht schon vorgegebene, diskrete,
leikali sierbare Signifikanten sind. Ebd., 37 7 .
17 n
Re¡ c l, q rdt, Politisierung und Visualisierung, 1 70.
t77
r8o
Ebd.
40
Tu¡oRsuscnpR RenvsN
LrzBNnqrsARBErr
Diese Thesen sind nun im Zusammenhang mit der Verbildlichung der Gewalt in politischen
Auseinandersetzungen
von
besonderer Bedeutung.
Wie Paul Hugger in
einem
kulturanthropologischen Aufsatz zur Gewalt bemerkte, herrscht in der popul?iren Ikonographie
der Gewalt die Tendenz vor, jeweils die Klimax der Gewalt darzustellen
- ,jenen Moment,
wo das Ungeheuerliche, das Aufwi.ihlende geschieht, high noon".l8l Der Einbezug von
Bildquellen zum Gegenstand Gewalt und ihrer Formensprache, die nach Hugger einprägsam
und auf das Wesentliche konzentriert bleibtrs2, verspricht somit im Hinblick auf die Analyse
des ,,Kampfes" um die legitimen Sichtweisen und Deutungsmuster zum Themenkomplex
Gewalt
in
politischen Auseinandersetzungen zusâtzliche Außchlüsse über
dessen
B edeutungsdimensionen.
Um das wechselseitige Zusammenwirken von verbalen und nicht-verbalen Aussagen bei der
Konstruktion von Bedeutungen und Sinnstiftungen zum Themenkomplex Gewalt im Kontext
der 68er Ereignisse mit zltr berücksichtigen, wird das
nachfolgend vorgestellte
diskursanalytische Arrangement auch auf der Basis von Bildquellen arbeiten. Diese werden
jedoch lediglich zur Referentialisierung unklarer oder opaker semantischer Beziehungen
Gegenstandsbereiches Gewalt
in
des
dieser Untersuchung beigezogen und sind deshalb im
Vergleich mit dem verbalen Aussagenkorpus sekund¿ir.l83
r"r
r82
Hugger,Ikonographie der Gewalt, 259.
Ebd.
183
Um dem Anspruch einer Referentialisierung der verbalen Aussagen durch Bilder Genüge zu leisten, werden in
der Untersuchung diejenigen Bilder als nicht-verbale Aussagen berücksichtigt, welche eine möglichst geringe
Distanz zt den verbalen Aussagen aufrveisen, das heisst sich innerhalb derselben Aussage (beispielsweise
Flugblatt, Zeitungsartikel mit Bild) oder im selben Medium wie die Textquellen (beispielsweise Plazierung von
Bild und Text in derselben Zeitschrift) situieren.
4t
Msruoolscus USBRL¡cuNGEN
LzBNneTSARBEIT
4
Methodische Überlegungen
Das diskursanalytische Arrangement dieser Arbeit orientiert sich an den von Dominique
Maingueneâul84, Rainer Diaz-Bonelss
methodischen Ansätzen,
und Michael
Schwab-Trappt86 aufgezeigten
die sich explízit oder implizit auf
Foucaults historische
Diskursanalyse beziehen.l87 Die methodischen Überlegungen von Maingueneau, Diaz-Bone
und Schwab-Trapp werden durch die Operationalisierungsvorschläge Rolf
Reichardtsl8s
komplementiert. Sein im deutschen Sprachraum als ,,sozialhistorische Diskurssemantik der
miffleren Ebene"lse bezeichnetes Vorgehen versucht, auch der Bedeutung der Visualisierung
von Begriffen Rechnung zu tragen
leO
Als Typologisierung des methodischen Vorgehens in
dieser Arbeit ergibt sich damit der Versuch einer Synthese aus der sozialhistorischen
Diskurssemantik (Reichardt,Diaz-Bone), den ,,französischen Tendenzen der Diskursanalyse"
(Maingueneau) und der anglo-amerikanischen,,conceptual history" (Schwab-Trapp).
4.1
Diskursidentifikation
V/ie bereits bei der Definition des Diskursbegriffes betont wurde, ist die Frage nach der
Zusammenstellung des Aussagenkorpus, seinem Status und seiner Reprtisentativitat zu Beginn
jeder Diskursanalyse durch die Konzeptualisierung des Diskurses als Ensemble von bereits
realisierten Daten äusserst wichtig. Ohne den konstitutiven Akt der Zusammenstellung des
Aussagenkorpus kann der Diskurs gar nicht erst gedacht werden. Die Einheit des Diskurses ist
also nicht präexistent, sondern bleibt im wesentlichen ein Abstraktum, das erst durch die
in diesem Werk allerdings keinen
Überblick über das Konzept der ,,ûanzösischen
Tendenzen der Diskursanalyse". Sein Ziel ist es, den Forschenden ein Set von Methoden und
Forschungsperspektiven atfzrzeigen, in welchemman sichje nach Fragestellwrg bedienen könne. Ebd., 251.
'*
Moingu"requ, L'Aralyse du discours, 17-24. Maingueneau vertritt
spezifischen Ansatz, sondern bietet einen
-
sehr nützlichen
18s
-
Diaz-Bone, Probleme und Strategien, 119-135.
Schv,ab-Trapp, Legitimatorische Diskws e, 302-327 .
187
Um das Programm Michel Foucaults durch die Verknüpfung der einzslns¡ methodischen Zugangsweisen
nicht aus den Augen zu verlieren, wird gleichzeitig versucht, die neu entworfenen Analyseanleitungen an der
,,Archäologie" zu messen und die Differenzen atfzrzeigen (Verweise im Anmerkungsapparat).
188
Reichardt, Geschichte politisch-sozialer Begriffe in Frankreich, vor allem 58; Reichardt, Politisierung trnd
Visualisierung.
r8e
Rei c h ardt, Historische S emantik, 22.
tno
Die neueste Literatur zum Einbezug von Bildem findet sich bei Reichardt, Historical Semantics, 19l-226;
LüsebrinklReichardt, Bastille, 83-170. Interessant erscheint in diesem Zusammenhang der sich in der
Kunstgeschichte abzeichnende Trend, sfukturalistische und semiotische Strategien in die ikonographische
Analyse aufrunehmen. Das Kurstwerk wird als eine codierte Artikulation einer historisch eingebundenen, aber
vielschichtigen Matrix sozialer Systeme oder kultureller Ereignisse gesehen und als ein Diskurs oder Teil eines
Diskurses behandelt. Siehe beispielhaft Weingarden,Histoncal Iconography,49-63.
186
42
MBurooIs cnp UsnRLecuNGEN
LzBNneTSARBEIT
Interpretationshandlung des Forschers oder der Forscherin eine konkrete Gestalt annimmt.rel
Die jeder
Themenabgrenzvng, Auswahl
der Aussagen und Interpretationen
Subjektivität erscheint dabei zwar unausweichlich, sollte allerdings
betonte
-
-
inhtirente
wie Matthias
Jung
durch Objektivierungsbemühungen möglichst gering und transparent gehalten
\ryerden.tnt
Die im Anschluss an die Definition des Diskursbegriffes fonnulierten Spezifzierungen
bezüglich der Einheit des Diskurses (Thema oder Wissenskomplex, Zeltaum,
Gesellschaftsausschnitt, Kommunikationsbereich etc.) zielen darauf ab, diese Probleme im
Zusammenhang
mit der Zusammenstellung des Aussagenkorpus zltr lösen. Die
Spezifizierungen beruhen auf verschiedenen Strategien der Diskursidentifikation, wie sie
nachfol gend erläutert werden.
4.1.1 Das Voruvissen oder: die evidenten Wissenseinheiten über die
Existenz des Diskurses
In
seinen methodischen Überlegungeî zlrtr Diskursanalyse Foucaults betonte Rainer Diaz-
Bone, dass ein Vorab-Wissen im Sinne von evidenten V/issenseinhsilsl über die Existenz des
Diskurs vorliegen muss, um ihn empirisch überhaupt zu erkennen, das heisst utn zu wissen,
nach welchen Zeichen gesucht werden muss: ,,Die Hlpothese über die Existenz [...] eines
Diskurses ist notwendig, um sich ihm empirisch zu nähem.".te3
Auþund des
Vorwissens tiber die Existenz eines dokumentarischen und semantischen
Zusarrmenhangs der Dokumente nimmt
Zusammenstellung
der Forscher oder die Forscherin bei
der Dokumente nach Busse und Teubert allerdings
Interpretationshandlungen vorweg, deren Rechtfertigung
im
der
hypothetische
Grunde genoÍrmen erst die
Ergebnisse der Diskursanalyse erbringen können:
lnt
Im Hinblick auf die Einheit des Diskurses hat Fritz Hennanns drei verschiedene Typen von Aussagenkorpora
benannt: l) Das imaginrire Korpus: Es umfasst den immensen, zu einem Thema ,,wirklich abgelaufenen
historischen Diskurs", dessen Aussagen bis aufwenige Überbleibsel verschwr¡nden sind; 2) Das virtuelle Korpus:
Es ist der Restbestand aller Aussagen, die ,¡och irgendwie und irgendwo erhalten sind"; 3) Das konkrete Korpus:
Es ist derjenige Korpus, welches der Diskursanaþse zugrundeliegt und eine möglichst repräsentative Auswahl
von Aussagen enthält. Hermanns, Sprachgeschichte, 89, 90. Wenn in der Folge vom Analysekorpus die Rede isg
das du¡ch die Interpretationsleistung des Wissenschaftlers konstituiert wird, ist damit jeweils das konkrete
Korpus gemeint.
'n' Jung, Zählenoder deuterl 60.
1e3
Diaz-Bone, Probleme und Stategien, l3l. Bei Foucault stellt Diaz-Bone im Hinblick auf die Identifikation
eines Diskurses eine methodologische Verbindung von Dekonstruktion und Rekonstruktion fest: Foucault lässt
sich zunächst auf solche Wissenseinheiten ein, die sich als evident in einem Bereich zu erkennen geben. Diese
werden dann dekonstruiertund aufdie sie bedingende diskursive Praxis hinrekonstruiert. Ebd., 128.
43
Mprsous cns UesRrscuNGEN
LzpNnersARBEIT
,,Erst wenn [...] die aufgewiesenen Beziehungen, Struktwen, Gruppierungen von Aussagen, Aussagenelementen,
Aussageverknüpfungen usw. durch das vorgewiesene Korpusmaterial und seine diskurssemantische Analyse als
plausibel erscheinen, wenn sie du¡ch die vorgefundene beziehungsweise vorgeführte Materialität eine These
ergeben, die [...] am Material objektivierbar ist, dann ist die Existenz des fraglichen Diskurses als sinnvolles
Untersuchungsobjekt vollends erwiesen."le4
Jedes diskursanalytische Arrangement ist demnach
Existenz des Untersuchungsobjekts
mit dem Dilemma konfroniert,
dass die
- in diesem Fall des Gewaltdiskurses - postuliert wird,
welche faktisch erst durch die Analyse selbst ermittelt \ilerden kann.
4.1.2
Strategien der
Akteur-
Diskursidentifikation:
oder
institutionenor¡entiertes und thematisches Vorgehen
Um den Aussagenkorpus des Gewaltdiskurses in dieser Arbeit
nt
identifaieren, wird als
Strategie zur Identifikation der Aussagen ein akteur- oder institutionenorientiertes Vorgehen
mit einem thematischen Vorgehen verkntipft.
Beim akteur- oder institutionenorientierten Vorgehen wird von Institutionen ausgegange4 die
systematisch Macht und Wissen von den Individuen erueugen, mit denen sie ,,verfahten", um
anschliessend nach den ihnen angelagerten Diskursen und Praktiken zu suchen. Dieser bei
Diaz-Bone formulierte Vorschlag korrespondiert
Maingueneau, der
mit dem Hinweis von
in Bezug auf die Identifikation eines Diskurses
Dominique
nach dem ,,Ort
des
Aussagens" fragt. Maingueneau bezeichnet den ,,Ort des Aussagens" als den gemeinsamen,
historisch, sozial und kulturell bestimmten Ausgangspunkt einer Serie tihnlicher Aussagen. Er
ist damit der ft des legitimierten Sprechens, der ft der Macht - oder der organisierten
Gegenmacht
- , der Ort einer zumindest
Aussagens"
ist auch der Platz, den ein Subjekt
gewissen Institutionalisierung. Dieser ,,Ort des
einnehmen muss, wenn es als Autor,
beziehungsweise Sprecher im Rahmen eines Diskurses etwas sagen
will,
das gehört werden
und als wahr gelten soll.res
Als
erste methodische Anleitung stellt sich füLr die Identifftation des Gewaltdiskurses damit
die Frage, von welchen institutionellen Platzen aus im Diskurs gesprochen wird (Orte der
Macht und der Gegenmacht).t%
lea
Busse/Teuåeø, Sprachwissenschaftliches Objekt, I 7.
17 -24.
'es Main gu"neau, L' Analyse du discour s,
te6
Dieses Vorgehen konfligiert mit Foucaults Programm der Beschreibung diskursiver Formationen in der
,,,Archäologie": Der ,,Ort des Aussagens", der mit den Subjekçositionen und Äusserungsmodalitäten in der
,,Archäologie" korrespondiert (Archäolog¡e, 75-78), kaoo nach Foucault nw durch die Besch¡eibung der
diskwsiven Formation rekonstruiert werden; Subjekçositionen werden also erst im Diskurs formiert. Eine
Apriori-Festlegung des ,,Ortes der Aussage" wäre nach Foucault demnach nicht legitim. Clemens Kammler hat
44
MeruoorscHp USpRLpcLTNGEN
LzgNUeTSARBEIT
Als weitere Strategie zur Identif,ftation oder Abgrenzung eines Diskurses können nach DiazBone auch Problematisierungen, Themen und Agenden hinzugezogeîwerden. Hierbei geht es
darum, die Konjunktur der Problematisierung eines bestimmten Gegenstandes im politischsozialen Raum festzulegen. Eine Problematisierungs-Hochkonjuktur erführt ein Gegenstand
insbesondere
in
einem ,,diskursiven Ereignis", das von Schwab-Trapp folgendermassen
definiert wird:
,,[Diskursive Ereignisse sind] bedeutsame Abweichungen von der Norm, [die] den impliziten Konsens und die
konventionellen Erwartungen [sprengen], die rurser Reden und Denken über ein spezifisches Thema beherrschen.
Diskursive Ereignisse zeichnen sich durch eine erhöhte Konflikthaftigkeit aus, weil sie Fragestellungen
behandeln, die fundamental fü,r das Selbswerständnis einer Gesellschaft sind, und zugleich eine Wegkreuzung
markeren, die dem zukünftigen Handeln altemative Routen eröffiret. Sie bilden Kristallisationspunkte in der
e7
kontinuierlichen Auseinandersetzung über [ein spezifi sches Thema]. "1
Als zweite methodische Anleitung zur Identifikation des Gewaltdiskurses stellt sich damit die
Frage, welche diskursiven Ereignisse sich als Kristallisationspunkte
Auseinandersetzung zum Gegenstandsbereich Gewalt
in der kontinuierlichen
um 1968 bestimmen lassen. Die im
Rahmen der diskursiven Ereignisse geprägten Aussagen stellen zwar nicht die Gesamtheit der
Diskursaussagen dar, sind aber als Kristallisationspunkte der Auseinandersetzung über den
Gegenstand Gewalt als Aussagen zu interpretieren, die
mit ihrer Vielzahl konfligierender
Infragestellungen, Herausforderungen sowie konkurrierender Deufungsmuster Räume
normativer Unbestimmtheit offenlegen und deshalb als repråisentativ für die Analyse der
diskursiven Formationen und deren Transformation gelten können.re8
4.2 Diskursanalyse: Aufdecken diskursiver Formationen und
deren Transformat¡on
Nach der Identifikation des Gewaltdiskurses
Wissenseinheiten postuliert
-
oder: nachdem seine Existenz durch evidente
und der Aussagenkorpus mittels institutionell-thematischer
Foucault in der K¡itik an seinem Versuch einer methodologischen Präzisierung der ,,Archäologie" in bezug auf
die Formation der Subjekçositionen/Äussemngsmodaliteten jedoch Inkohärenz vorgeworfen: Da bei Foucault
die Bindungen der Rede auch durch nicht-diskursive Praxis (beispielsweise Institutionen) festgelegt werden,
verwischt sich nach Kammler die Grenze zwischen nicht-diskursiver und diskwsiver Praxis. Es ist deshalb nicht
möglich, die Beschreibung der diskursiven Formation der Subjeþositionen/Äussenrngsmodalitäten im reinen
,,Innern" des Diskwses anzusiedeln. Kammler, Michel Foucault, 105. Ähnlich argumentiert auch Peter Sloterdijk,
der monierte, dass Foucault mit dcr Festlegung des Subjekts der Diskurspraxis durch ein anon¡rmes Aktorschema
,,innerlich" des Diskurses nichts mehr zur Aktualisierung dieser Schemata durch empirische Subjekte sagen kann.
Als Fazit sah Sloterdijk sich deshalb gezwungen, das Subjekt durch die Funktion der handelnden Interpretation,
der Diskursaktualisierung zu instaurieren. Sloterdijk, Michel Foucaults strukturale Theorie, 181.
lei
S c hu, a b -Tr app, Legitimatorische Diskurse, 3 0 5.
te8
Die Gesarntheit der Aussagen, welche sich im Rahmen der disku¡siven Ereignisse konstituieren, bildet das
,,konkrete Korpus", das der Diskursanalyse zugrundeliegf. Vgl. auch Anm. l9l.
45
M¡rsoorscu¡
LzeNnersARBEIT
-
Strategien zusflnmengestellt wurde
die
in
diskursiven Formationen
beziehungsweise verbalen
und
ÜeBRLEcuNcEN
erfolgt die eigentliche Diskursanalyse. Sie hat zum Ziel,
den Aussagen des Diskurses
(in Text und Bild
nicht-verbalen Aussagen) au2udecken
und
deren
Transformationen festzuhalten. Die Strukturierungsleistung der diskursiven Formationen im
Hinblick auf den Gegenstand Gewalt darf dabei nicht als grammatikalische, sondern muss als
kognitiv-semantische Leistung begriffen werden. Die Semantik ist dabei keine linguistische
Semantik, welche die Begriffe für sich und vorab innehaben, sondem eine Semantik, welche
durch die diskursiven Formationen hergestellt wird.
Für die
Operationalisierung
der
kognitiv-semantischen Stnrkturierungsleistung der
diskursiven Forrnationen hat Peter Schöttler als häufigste Form methodischer Ansätze den
semantischen Ansatz genannt
-
ein Verfahren, das den Grundriss eines semantischen Feldes
der Aussagen zeichnet.tnn Rolf Reichardt übersetzte diesen Ansatz
in seiner Studie
zum
,,Bastille"-Begriff durch ein Vorgehen, bei welchem vorerst das paradigmatische und das
syntagmatische Beziehungsfeld
des Begrifles
aufgezeichnet wurde.
Unter
dem
paradigmatischen Beziehungsfeld eines Begriffes versteht Reichardt dabei alle Begriffe und
Wendungen, die den
zu
analysierenden Begriff unmittelbar definieren, das heisst im
syntagmatischen Kontinuum substituieren und damit das semantische Zentrum bilden. Als
syntagmatisches Beziehungsfeld eines Begriffes werden
bei Reichardt alle mit dem zu
analysierenden Begriff verknüpften Worte begriffen, die den
Begritrinhaltlich füllen,
erkl¿iren
und ausdifferenzieren. Anschliessend untersuchte Reichardt Begriffe und Namen, welche die
Ursachen und Urheber des Bastille-Begnffes und seine vermeintliche Praxis bezeichnen. ln
einem letzten Schritt bestimmte
Begriffes.200
In
er schliesslich
auch die funktionalen Antonyme
des
seinen neueren Arbeiten erweiterte er das zu analysierende Quellenkorpus
durch Bildelemente und versuchte damit das Bildgedächüris der Vergangenheit
als
gleichwertiges Zeugnis und prägenden Faktor kollektiver Vorstellungen und der politischen
Kultur auszuwerten.
20
I
Im folgenden werden Reichardts
Arrangement
der Arbeit
Operationalisierungsvorschlage
in
aufgenommen (paradigmatisches
das diskursanalytische
und
syntagmatisches
Beziehungsfeld, Ursachen/Urheber, Praxis, Antonyme des Begriffes Gewalt in Text und Bild).
lee
S"höttl"r,Mentalitäten, 105.
2oo
Reichardt, Geschichte politisch-sozialer Begriffe in Frankreich, 58.
46
MErgooIS Crrp Un gnTBGUNGEN
LzpNrr¿.TSARBEIT
Weil sich Reichardts Ansatz jedoch auf die Analyse von Einzelwörtern beschråinkt, wird
ntsâÍzlich ein methodischer Vorschlag von Michael Schwab-Trapp integriert, der sich an den
Ansätzen der ,,conceptual history" orientiert.2o2 Schwab-Trapp fragte in seinem Außatz zum
Diskurs über den Krieg in Jugoslawien203 nach den Dimensionen, die die Diskursteilnehmer
im Hinblick auf den Themenkomplex definieren, und nach dem Horizont, der ihn begrenzt.
zu Reichardt interessierte ihn demnach nicht die ,,innere Struktur" eines
Einzelwortes, sondern die Organisation des versprachlichten Konzeptes
Im
Gegensatz
(Grunduberzeugungen und Regetn) zum Themenkomplex. hn Rahmen dieses Konzepts legte
er besonderes Augenmerk auf die Modalitäten der Institutionalisierung legitimer Sichfweisen
und Deutungsmuster zum Krieg in Jugoslawien.20a In Bezug auf den Themenkomplex Gewalt,
der im Schnittpunkt von Rechtsordnung, Macht- oder Herrschaftsstrukturen und Moral (vgl.
Abschnitt 2.2 und 2.3) liegt, stellen nun
Legitimierungsmodalitäten
im Rahmen
die von
Schwab-Trapp angesprochenen
versprachlichter Grundüberzeugungen und Regeln
(Konzepte) gerade tnZeiten erhöhter politischer Konflikthaftigkeit
-
wie im Jahr 1968 - eine
wichtige Analysedimension dar. Deshalb werden den diskursiven Strategien der
Legitimierung oder Delegitimierung
in
den Aussagen des Gewaltdiskurses um
besondere Aufinerksamkeit geschenkt. Produktion und Transformation
1968
der diskursiven
Strategien sind dabei selbst höchst konfliktive Prozesse, weil diese Strategien leøtlich auch
die Mittel bilden, mit denen die Akteure ihren Deutungen ztxr Gegenstandsbereich Gewalt
überhaupt erst Geltung verschaffen können; sie bestimmen damit auch das Bewusstsein der
Akteure bezüglich ihrer Handlungsalternativen
Entscheidungsspielräumen.20s Wie Schwab-Trapp
und die
Wahmehmung von
in seinem Außatz bemerkte, besteht die
Dominanz einer spezifischen Sichtweise jeweils relativ zu widerstreitenden Sichtweisen.
Interr unterteilen sich diese diskursiven Strategien datrer in konkurrierende Deutungsmuster
und deren Trägergruppen.2o6
20r
Re ic h ardt,
Politisierung und Visualisierung,
83 - I
70.
Vgl. alr;hBall, Conceptual History.
'ot
2o3
2M
Schv,ab-Trapp, Legitimatorische Diskurse.
-Trapp. Legitimatori sche Diskurse, 3 0 8.
Die Aneigrnng von Handlungsmacht oder -frihigkeit wird auch vom Agency-Ansalz beschrieben. Dieser
besteht gemäss Mustafa Emirbayer und Ann Mische aus d¡ei Elementen: der Iteration (selektive Reaktivierung
bereits bestehender Denk- und Handhurgsmuster), der Projektivität (kreative Rekonfiguration bestehender DenkundHandltrngsmuster im Verhältris zu HofÊrungen, Ängsten und Wünschen der Akteu¡e für die Zukunft) und der
praktischen Evaluation (Kapazrät der Aktewe, praktische und normative Beurteihmgen alternativer
Aktionsbahnen als Antwort auf auftauchende Anfordemngen, Dilemmas und Meh¡deutigkeiten entstehendpr
Situationen vorwegzunehmen). EmirbayerlMische, What is agency?, 971. YgL aach EmirbayerlGoodwin,
Symbols, 358-374.
206
Schu,ab-Trapp, Legitimatorische Diskurse, 308, 309.
205
Sc hu, a b
47
MpruooIs cgp Üg¡RL¡cuNGEN
LzpNIETSARBEIT
Nachdem es bei der vorgängigen Identifikation des Diskurses darum gegangen ist, das Woher
und Wann zum Diskursgegenstand Gewalt zu bestimmen, handelt es sich beim Auftlecken der
diskursiven Formationen
im
Aussagenkorpus darum,
die
Strukturierung
der
-
des
Grundüberzeugungen, Vorstellungsmuster, Deutungslinien und legitimen Sichtweisen
Bedeutungsgefirges
-
zur Gewalt zt¡beschreiben. Es geht hierbei erstens um eine Antwort auf
die Frage, welche Dimensionen und Horizonte im Hinblick auf den,,Gegenstand"207 Gewalt in
den Aussagen definiert wurden (Ermittlung der Organisation des Aussagenfeldes im Diskurs).
Anschliessend soll nach der Strukturierung des semantischen Raums des Gewaltbegriffes und
der
Konsfuktion diskursiver Strategien der (De-) Legitimierung von Gewaltgefua{twerden.2o*
Bevor ich die Resultate der anhand dieser konkreten Fragestellungen durchgeführten Analyse
des Gewaltdiskurses präsentiere, möchte ich mein Untersuchungsobjekt
in
das politisch-
kulturelle Klima und die darnit verbundenen Oppositionsstrukturen in der Schweiz der 50er
und 60er Jahre einbetten. Das anschliessende Kapitel dient deshalb einer historischen
Kontextualisierung des Gewaltdiskurses.
De, Begritr ,,Gegenstand" ist an dieser Stelle und im folgenden nicht mit Foucaults Gegenständen oder
Objekten in d". ,,A."haologi"" zu verwechseln, die gemäss seinem Diskursverståindnis im Diskurs formiert
werden. Wenn im folgendeÑom Gegenstand Gewalt die Rede ist, dann wird darunter das Forschungsobjekt, der
207
rilissenskomplexes verstanden.
Untersuchungsgegenstand Gewalt im Sinne eines
g"*ittti"notgehen zur Aufdeckung der diskrusiven Formationen entspricht damit im weitesten
Sinne
wrd
der
Begriffe
der
Formation
der
Beschreibung
einer
Foucault:
bei
Programmes
einem Tãil des methodischen
jedoch im Hinblick auf
im
Diskurs
Formationssystem
das
besteht
Foucault
Nãch
Diskurs.
im
Wahl
strategischen
vier Bereiche der Aussage: l. die Formation der Gegenstände , 2. der Subjektpositionen/ Áusserungsmodalitäten,
3. der Begriffe rurd 4. der strategischen Watrl. Die Problematik im Zusammenhang mit der Beschreibung der
Formation der Subjekçositionen/Äusserungsmodalitäten bei Foucault wurde bereits bei der Diskursidentifikation
(siehe Anm. 196) besprochen. Auch im Hinblick auf die Forrnation der Gegensttinde lassen sich bei Foucault
208
Das
Inkonsistenzen ausmachen: In der ,uArchäologie" spricht er bei der Formation der GegenstÍinde auch von
Begriffen. Der Unterschied der dritten zur ersten Fonnationsregel ist damit nicht eindeutig ersichtlich.
48
DrE ScuwEZ IN DEN 50Bn u¡,to 60nn JnunsN
LzpNuersARBEIT
5
Die Schweiz in den 50er und 60er Jahren
-
auf dem Weg zur Bewegungsgesellschaft
Urs Zweifel betont in seinem 1998 erschienenen Außatz zum,,Ordnungsdienst im ,Aufbruch
68"',
dass viele soziologische, historische und wirtschaftsgeschichtliche Veröffentlichungen
zu den 50er und 60er Jahren in der Schweiz von einer eigenwilligen Kompromissfonnel
sprechen, auf welche sich die politischen Eliten des Landes implizit geeinigt hätten.20e
Gemeint ist damit die Koexistenz einer liberalen Fortschrittsideologie, die das wirtschaftliche
Wachstum und die technologische Modenrisierung bejahte, und einem auf Kultur- und
Strukturerhaltung ausgerichteten gemeinschaftsideologischen Denkmuster, das sich
in der
Rede von der,,geistigen Landesverteidigung" und vom,,sonderfall Schweiz" verdichtete.2lO
Dieses spannungsvolle Nebeneinander von Tradition und Moderne stand, wie nachfolgend zu
zeigensein
wird in einem engen Zusammenhang mit dem in versttirktem
Masse seit der Mitte
der 60er Jahre wahmehmbaren Unbehagen verschiedener Teile der Schweizer Bevölkerung
und nicht níetzt mit den Ereignissen im Jahr 1968. In drei kurzen einführenden Abschnitten
werden deshalb die wirtschaftlichen und politischen Parameter der Nachkriegsentwicklung
sowie das politische Selbstverst¿indnis der Schweiz differenzierter betrachtet. Das Augenmerk
richtet sich zunächst auf die im Hinblick auf die gesellschaftliche Zufriedenheit insbesondere
in den 50er Jahren noch integrativ beziehungsweise stabilisierend, am Ende der 50er und im
Laufe der 60er Jahre allerdings versttirkt destabilisierend wirkenden Konstellationen der
einzelnen Parameter. Anschliessend werden das von beginnender Verunsicherung und
Orientierungslosigkeit geprägte gesellschaftliche Unbehagen
und die
emergierenden Oppositionsstrrkturen (Akteure, Artikulationsformen)
sukzessive
als Folge
dieses
Destabilisierungsprozesses skizziert.
Diese Betachtung erhebt nicht den Anspruch, den bislang kaum geklåirten Ursachen der
,,Chimäre"
ttt
68et Bewegung in der Schweiz auf den Grund zu gehen. Wie Jakob Tanner in
diesem Zusammenhang bemerkte, müsste
Entwicklung
zto
Zv,
Geschichtsschreibung insbesondere die
der aus unterschiedlichsten und auch
evolvierenden Bewegung atfzeigen,
2oe
die
eifel, Ordnungsdienst,
I
ungleichzeitigen Subkulturen
ihre ,,singularisierung im doppelten Sinne eines
84.
König/ Kreis/ Meister/ Romqno,Dynamisierwrg,
12
49
Dr¡ Scnw¡z
LzpNnersARBEIT
IN DEN 50pn
uNl 60¡n JeunsN
einheitlichen und eimigartigen Phåinomens" begrtinden können. Uberdies müsste nach Tanner
auch danach gefragt werden, unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen ein massenhaftes
,,Dagegen-Sein" zustandekommen konnte, das sich zur kollektiven Grundbefindlichkeit einer
kompakten ,,Grossen Weigerung" zu steigern vermochte.2t2 Antworten auf diese Fragen und
Forderungen vermag dieses Kapitel nicht zu geben.
5.1 ökonomische und soz¡o-ökonom¡sche Parameter der
Nachkriegsentw¡cklung: Wirtschaflicher und Sozialer Wandel
Die wirtschaftliche Entwicklung der Nachkriegszelt
zeichnete sich durch
ein
rasantes
Wachstum aus. Das Bruttosozialprodukt der Schweiz verdreifachte sich real zwischen 1948
unó 1974. Zeltgleich wuchs auch die Bevölkerung mit einer jtihrlichen Zunahme von
l,3o/o.
Auch díe Zahl der Erwerbstätigen stieg, wobei vor allem der industrielle Sektor im Rahmen
eines sekforalen Strukturwandels zwischen 1950 und 1970 eine massive Zunahme
verzeichnete.2l3
Die durch die
expandierende Wirtschaft wachsende Nachfrage nach
Arbeitslaäften konnte trotz Bevölkerungswachstum nicht mit einheimischen Arbeitskraften
allein befriedigt werden, was zu einer starken Einwanderung auslåindischer Arbeiter führte.2la
Der Wirtschaftsboom der 50er und 60er Jahre2l5 brachte eine aussergewöhnliche Steigerung
des DurchschnittseinkoÍtmens der Arbeitnehmer
mit
sich.2r6 Aufgrund des gleichzeitig
steigenden Preisniveaus schlugen sich die höheren Löhne allerdings nur etwa zur Hälfte in
einer Erhöhung der Kauflcraft nieder. Das Vollseinkommen stieg zwischen 1950 und 1970
real um lI|yo,das Haushaltseinkommen pro Einwohner vn64,2%o.2r7
ztt Tanner,Subkulnuelle Dynamik, 207.
2'2
Ebd,2oB,
209 .
Siegerthaler, Schweu,504. Zwischen 1950 und 1970 nahm die Zahl der industriellen Arbeitsplaøe von 492
563 auf 879 889 zu. Gleichzeitig reduzierte sich der landwirtschaftliche Sektor von2lYo (1950) auf 7,6 %o
213
(1970). Erst in der Mitte der 70er Jalre setzte sich in der Schweiz der Dienstleistungsbereich endgültig durch.
Alterm alt, Fundamentalopposition, 6.
2ra
Siegenthaler, Schweiz, 504. Erst I97l hat der Bund die Gesamtzahl der in der Schweiz erwerbstätigen
Ausltinder limitiert.
2ls Versucht man die Wachstumsperiode zwischen 1950 und 1973 zu typologisieren, so lassen sich zwei
.Wachstumsphasen
festhalten: Wåihrend in den 50er Jabren ein extensives Wachstumsmodell
unterschiedliche
60er
Jahten Bestrebungen zur Intensivierung der Produktion vor. Das eigentliche
dominierte, herrschten in den
war damit auf die 50er Jahre beschr¿inkt. Tanner, Schweiz in den 50er
Schweiz
,,Wirtschaftsw¡nder" in der
Jalven,26.
So stiegen die Löhne der Arbeiterlnnen zwischen 1949 und 1960 um 40%, diejenigen der Angestellten um
38%;o. Zweifel, Ordnungsdienst, Anm.4. Vgl. auch Statistisches Jalrbuch der Schweiz 1998,161.
216
217
Tanner, Schweiz in den 50er Jaluen, 28,35.
50
Lz¡NnersARBErr
DrB ScnwBrz rN DEN 50nnuNo
Anhaltende wirtschaftliche Prosperität und Vollbeschäftigung
60¡nJnunrN
in der Nachkriegszeit
vermochten zu einer gewissen sozialen Nivellierung der Schweizer Bevölkerung beizutragen.
Die noch in der Zwischenkriegszeit und auch zu Beginn der 50er Jahre als Luxuswaren
taxierten Güter wie Waschmaschine, Fernseher und Auto waren nun für grosse Teile der
Bevölkerung erschwinglich. 2r8 Dieser für breitere Schichten greifbare Wohlstand und die
soziale Mobilität spiegeln sich auch in den zeitgenössischen Stimmen wieder: Man feierte
wenn auch verhalten
-
- den ,,kollekfiven Außtieg" und den ,,Abschied von der Proletarität".2le
Als Folge dieser Entwicklung pråisentieren sich die beiden Nachkriegsjahzehnte auf den
ersten Blick als Jahzehnte des ungeheuren Fortschrittsoptimismus und einer fast totalen
Aufbruchsstimmung: Alles schien für jeden machbar.22o Heinz Kleger spricht
Zusammenhang vom V/eg in eine
o
in
diesem
,¡eue" Gesellschaft, die man als Wohlstandsgesellschaft
der als Konsumgesellschaft bezeichnen könne.
22
I
Der materielle Zugewinn und das ,,mehr" an Wahlmöglichkeiten für den Einzelnen darf
allerdings nicht pauschal
mit ,,mehr Freiheif' und dadurch auch mit einer
steigenden
gesellschaftlichen Zufriedenheit gleichgesetzt werden. Wie Jakob Tanner darlegte, wich die
noch zu Beginn der 50er Jahre ,þefreiende" Qualität des Konsums und die damit verbundene
positive Identifftation mit sowie Integration in die Konsumgesellschaft anfangs der 60er Jahre
einem neuen Differenzierungsschub.
Verbrauchsmuster erwiesen
Die den neuen Lebensstandard charakterisierenden
sich immer stärker als
normative
Standards:
Verhaltenserwartungen wurden im Rahmen traditioneller burgerlicher Wertsûrftturen rigider
und der Zwangzum konformen Konsumieren versttirkte sich. Der,,demonstrativen Konsum"
als Indrz des
persönlichen Erfolges
führte zltt einer Stigmatisierung
der
(Noch)NichthabendetÊ22; wer die Konsumerwartungen nicht erñillen konnte, galt rasch als
Versager.
Der Wirtschaftsboom und der mit ihm verbundene gesellschaftliche Wandel brachte darnit
nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer hervor. Nach dem von Hans-Jörg Siegenthaler
2tt
Die Nivellierungsthese gilt nach Jakob Tanner allerdings mr unter zwei Einsch¡åinkungen: Erstens zog der
durch das lù/irtschaftswachstum initiierte Massenkonsum auf lange Sicht nicht nur eine Nivellierung nach sich,
sondern ermöglichte auch die Individualisierung und Pluralisierung. Zweitens bezieht sich die Nivellierungsthese
weder auf die sozial marginalisierten rurd mehrheitlich auslåindischen Erwerbstätigen, noch auf die
Spitzenverdiener. Tanner, Schweiz in den 50er Jalnen, 35.
21e
Ebd., 35.
Meyer Schweizer, Goldene 50er Jahre,242.
ut Kl"g"r,Normalfall und Sonderfall, 193.
222
Tarr"r, Schweiz in den 50er Jalven,37.
220
51
Drp ScHwEIZ IN DEN 50¡n
LzpNnersARBEIT
rwo
60Bn
Jesn¡N
1993 entworfenen Modell des azyklischen Regelvertrauens in konjunkturellen long swings223
gehört es zu den unbeabsichtigten Folgen wirtschaftlichen Wachstums, dass dieser seine
eigenen Voraussetzungen
-
das Zukunftsvertrauen der gesellschaftlichen Mitspieler
-
allmåihlich untergräbt, indem der gesellschaftliche Wandel Gewinner und Verlierer
hervorbringt. Bei ersteren werden überaus hochgesteckte Zukunftserwartungen ausgelöst, und
bei den letzteren ebenso markante Ängste angesichts der sich rasch verëindemden Umwelt und
der mit ihr verbundenen Anforderungen. Wie Mario König bemerkte, verursachten nicht die
veråinderten Umstände als solche, sondern deren öffentliche Wahmehmung und Interpretation
in der Folge Auseinandersetzungen, die in die Politik getragen wurden.22a Mit der
Beschleunigung
des
Wachstumsprozesses
erneuten
Ende der 50er Jahre fanden
diese
Auseinandersetzungen insbesondere im Rahmen eines breiten,,Konjunkturdiskurses" statt.225
5.2 Politische
Parameter der Nachkriegsentwicklung: Konkordanz,
Verhandlungsdemokratie und Iiberaler Korporatismus
Das politische System der Schweu machte
in
den beiden ersten Jahrzehnten nach dem
Zwelten Weltkrieg einen eigentlichen Integrationsschub durch.
Die entscheidende
Integrationsleistung für das Konkordanzmodell Schwetz der Nachkriegsjahre hatte sich bereits
in den 30er Jahren vollzogen: die durch das Friedensabkommen zwischen Gewerkschaft und
Arbeitgeberverband
in
der Metall- und Llhrenindustrie ennöglichte Eingliederung der
organisierten Arbeiterbewegung. Ende 1959 wurden
dauerhaft in die
die
Sozialdemokraten
-
diesmal
Regierungsverantwortung eingebunden.226 ,,Arbeitsfrieden" und
,fauberformel" wurden damit zu Schlüsselbegriffen, welche die Ende der 50er
abgeschlossene Integration
der
sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen
schweizerische Politik bezeichneten.
Kräfte
Jahre
in
die
Die soziale und politische Stabilitat der Koalition
zwischen Linken und Reformbärgertum wurde dabei durch den gemeinsamen Nenner in der
Armeefrage
-
die Unterstützung der bewaffireten Landesverteidigung
223
Si egenth a/er, Regelvertrauen.
Köni g/Kreis/lvleisler/Romano, Dynarnisierung, 14
Ebd., 13.
"t
226
B ret s ch er-Spindler, Kalter Krieg, 287.
'27 Heirig"r, Antiatombewegung, 1 1.
224
52
-
gestarl<t.227 Im
Dm Scuwptz rN DEN 50pn uNo 60pn Jesn¡N
LzgNn¡.TSARBEIT
vorparlamentarischen Entscheidungsverfahren
Spitzenverb¿inde228
erreichten
die
wirtschaftlichen
mit Hilfe ihrer starken Organisationen eine dominierende Stellung.22e
Die politische Struktur (Methoden und Verfahren) dieser tragenden Koalition war ihrem
Wesen nach auf gegenseitige Verståindigung, die Konsens- oder Kompromisspolitik
ausgerichtet. Im Rahmen dieser Konsenspolitik verzichtete die Linke auf ihre traditionellen
Positionen wie Verstaatlichung und Antimilitarismus, das Reformbürgertum seinerseits bot
Hand beim Ausbau der Sozialversicherung (Annahme der Gesetzesvorlage zur AHV
1947230).
Nach René Lévy und Laurent Duvanel führte die Kombination von fäkultativem Referendum,
das einen starken Konsens- und Kompromisszwang ausübte, und einem starken Ausbau der
vorparlamentarischen Verhandlungsstrukturen
ar
,,vorparlamentarischen Verhandlungsdemokratfe".z3l
Ausbildung einer
Die
eigentlichen
Abstimmungsdemokratie wurde
damit immer ståirker zu einer,,bargaining"-Demokratie.232
Bis über die Mitte der sechziger Jahre hinaus stützte sich die Politik
der
,,Konkordanzdemokratie" aì¡f einen weitreichenden Konsens bezüglich der Ziele, die der
Staat verfolgen sollte: die Garantierung sozialer Sicherheit und wachstumsfreundlicher
Rahmenbedingungen.233
Wie Lévy und Duvanel atfzeiglen, war mit dieser Zielsetzung vor
allem auch eine Reduktion der Staatsaufgaben und -ausgaben verbunden.23a Eine
wirkungsvotle Politik der Globalsteuerung der Wirtschaft hat es deshalb bis 1976 zu keinem
Zeiþunkt der Nachkriegsjahre gegeben. Wenn möglich, wurde an die Selbstkontrolle
der
Verbåinde appelliert, sich interorganisationell äber wirtschaftliche Belange
^rversttindigen.ss
diese
Romano
bezeichneten
Meister
und
Gaetano
Franziska
Mario König, Georg Kreis,
umfassende Handlungskompetenz
der Verbände als ,,liberalen
Korporatismus der
Nachkriegsjahre".236
Peter Gilg und Peter Hablützel nennen fünf Organisationen, die einen massgeblichen Einfluss in der
Verhandlt'ngsdemokratie ausübten: Der ,,Schweizerische Handels- rmd Industrieverein' (SHIV), der
,,Zpntalverband schweizerischer Arbeitgeber-Organisationen", die ,,Schweizerische Bankiervereinigung", der
,,schweizerische Gewerbeverband" und der ,,schweizerische Bauernverband*. GilglHablützel, Beschleunigter
228
Wandel,9l4,l95.
Altermott, Fundamentalopposition, 4. Das Recht der Wirtschaftsverbände zur Vernehmung im
vorparlamentarischen Gesetzgebungsverfahren wurde hierbei mit der Revision der Wirtschafuartikel der
Bundesverfasswrg im Jahr 1947 forrnal festgeschrieben. Siegenthaler, Schweiz, 5ll.
Vgl. dazv Luchsinger, Sozialstaat auf wackligen Beinen, 51-69.
"o
231
L,lty/Duvanel, Politik von unten, 96.
22n
"2 Heiniger,Antiatombewegung,
233
234
Siegenthaler, Schweiz,
ll.
I 5.
L,ivy/Duvan el, P olitikvon unter¡ 94.
Schw eiz, 12.
235
Si e gen th a I er,
23u
Köni g/Kreis/luleister/Romano, Dynanisierung, I 5.
53
Dm ScuwEZ rN DEN 50pnu¡,io 60¡n Jeun¡N
LzpNnRTSARBEIT
Die noch in den 50er Jahren integrationsfÌihige Struktur- und Systemkonstellation mit ihrer
Zielsetzung, gtinstige sozioökonomische Bedingungen
und die Lösung
materieller
Verteilungsfragen zu schaffen, geriet zu Beginn der 60er Jahre allerdings zunehmend unter
Druck. Stimmen am Rande und ausserhalb des Gefüges traditioneller
intermedi¿irer
Organisationen begannen, sich gegen die Transformation der Demokratie
hin zu
einer
,,Oligarchisierung des politischen Lebens"237 zur Wehr zu setzen und Fragen nach der
Funktionsweise direktdemokratischer lnstitutionen und den Partizipationsmöglichkeiten an
den etablierten politischen
Kommunikationsstrukturen (vorparlamentarische
Verhandlungsdemokratie mit starkem Kompromiss- und Konsenszwmg) zu stellen.238 Das
damit in Ansätzen in Erscheinung tretende Legitimationsdefizit der politischen Struktur und
des politischen Systems ist eng
mit dem Auftauchen einer
ganzen Reihe neuer Themen
in der
öffentlichen Diskussion verbunden. Wie im nächsten Abschnitt gezeig! wird, griflen die
neuen Themen das über
die Politik und deren Verfasstheit
gelagerte
gemeinschaffsideologische Amalgam an und legten durch die allmähliche Zersetzung dieser
Leitlinien auch den Unterbau frei, der nunmehr der Kritik eine offene Flanke bot.
5.3 Das politische Selbstverständnis der
Nachkriegsschwe¡z:
Antikommun¡smus, Neutral¡tät und,,Sonderfall Schweiz"
Ztt
den integrativen und stabilisierenden Gemeinschaftsideologien
in den Nachkriegsjahren
gehörten drei, sich teilweise überlappende und bedingende Leitvorstellungen:
1. Der Bedrohungskonsens: Der Antikommunismus war für das konkordanzdemokratische,
sozialma¡ktwirtschaftliche Gesellschaftsmodell der Schweiz konstitutiv. Wie Kurt Imhof in
einer Studie ztú öffentlichen politischen Kommunikation bemerkte, erschien der ,,Dåimon
Moskau" in Presse als ,,allwissender und seine Glacis vollståindig beherrschender Feind, der
nichts weniger als die Welteroberung zttm ZieI hat und zu diesem Zweck nicht nur alles
instrumentalisiert, sondem schlimmer noch: alles instrumentalisieren kann".23e Der ,,Osten"
befand sich über seine bewussten und unbewussten Parteigåinger deshalb folgerichtig auch im
,,Westen" und daselbst als ,,Fünfte Kolonne" im Rücken der Freiheit, die es zu erhalten
21'
238
Heiniger, Antiatombewegrurg, 28.
Köri g/Kreis/Meister/Romano, Dynamisierung,
"n I.
13
ho¡, Entstabilisierung en, 39, 40.
54
Drc Scuwuz rN DEN 50Bn u¡,to 60en JnunnN
LzBNneTSARBEIT
galt.2a}
Ausgegrenzt vom nationalen Konsens im Zeichen des Kalten Krieges waren dabei vor
allem die verbliebenen Kräfte links der SPS - speziell die Partei der Arbeit.24t
2. Die Neutralitrit: Die Rückkehtr ztr integralen Neutralitat 1938 und die Stilisierung dieses
Prinzips zum Zentralmerkmal des schweizerischen Staatsverståindnisses in der ,,geistigen
Landesverteidigung"2a' wurde
in der antikommunistisch
orientierten Renaissance der
geistigen Landesverteidigung zu Beginn der 50er Jahre bekräftigt. Wie Markus Heiniger
betonte, konnte die Neutralitätsformel allerdings weder im Hinblick auf die schweizerische
Wirtschafts- noch auf die Sicherheitspolitik
in den 50er und 60er Jahren Faktizität
beanspruchen. Sie wurde nach Heiniger vielmehr als ,,Tradition, als moralische Überzeugung
verstanden".243
3. Der ,,sonderfall
Schnueiz": Antikommunismus, Neutralität, das Reduit-Leitbild des
Zweiten Weltkrieges und die schweizerische Armee prägten zus¿mtmen eine vorwiegend
defensiv orientierte nationale Identitat als ,,Sonderfall Schweiz" und ,,Willensnation".
Beispielhaft präsentierten sich die auf Struktur- und Kulturbewahrung ausgerichteten
Elemente des ,,sonderfalls" an der Selbstschau der Schweiz anlåisslich der Expo 64: Auf dem
,,Weg der Schweiz" sollten dem Publikum nach dem Willen der eingesetzten Studiengruppe
die
Schweizer Konstanten Wehrwillen, Hirtentum, Partikularismus, Ehrhaftigkeit,
Unabhåingigkeitswillen, Föderalismus, Neutralität, Demokratie und sachliche Tüchtigkeit
vorgeführt werden.2*
Neue aussenpolitische und innenpolitische Themen, die zu Beginn der 60er Jahre in der
öffentlichen Diskussion auftauchten, begannen
Selbstverståindnis allerdings allmåihlich
Ungarnaufstands
1956
war die
das oben sl<uzierte
politische
zu unterminieren: Mit der Niederschlagung
Schweiz
als
des
historisch-mythisch verankerte,
neutralitätspolitisch aufgeladene ,,Hüterin der Alpenpässe" vorerst unter den Druck einer
2oo
24r
Tonn er,Staatsschutz,
36ff.
Zw Stigmatisienrng der PdA in der schweizerischen Politik äusserte sich Marcel Beck, Professor an der
Universtität Zirtch, in einem Artikel 1967: ,,Angstlichkeit rurd Abscheu lassen es schon gar nicht zu, dass man
dem vollkommen anderen Denken [der PdA, Anm. SB] im legalen Gespräch einer parlamentarischen
Kommission zu begegnen versucht. Mær ist in dieser Beziehung bisweilen hinter das Mittelalter gefallen, das ja
Religionsgespräche kannte, in denen sich etwa Ch¡isten und Juden gegenüberstanden." ,,Zärcher Student",
Dezember 1967.Vdl. auch Kreis, Staatsschutz in der Schweiz,257tr.
'o' Vgl. dazu auch Imhof, Geisige Landesverteidigung, l9-84.
2a'
Heiri g"r,Antiatombew egmg, 23.
24 Sidler, Suisse de demain, 40. In diesem Zusammenhang muss allerdings festgehalten werden, dass die
Landesausstellung Expo 64 nicht eindimensional auf die Darstellwrg einer in der Vergangenheit begrti,ndeten
autochthonen Eigenart der Schweiz ausgerichtet war. Die Ausstellung spiegelte vielmehr eíne Ambivalenz
55
Dm Scuwprz rN DEN 50¡nuNo 60rnJnHnsN
LzeNnersARBEIT
versch¿irft wahrgenommenen Polarisierung der Welt
in Ost und West gekommen.
Die
Geschehnisse in Ungarn lösten Aggressionen in der Bevölkerung aus, die sich in vereinzelten
Ausbrächen des Volkszorns gegen Kommunisten äusserten2a5
und das Bild
der
,,Willensnation" als umfassender,,Sonderfall" erstmals einigermassen trtibten.26 Diese ersten
Anzeichen einer einsetzenden Erosion leitrnotivischer Ideologien wurden durch neue
Herausforderungen zu Beginn der 60er Jahre verståirkt
Mit der Kuba-Krise
1962 und der
Eskalation des Vietnamkriegs im Rahmen der direkten Intervention amerikanischer Truppen
1964 verschob sich der Ost-West-Dualismus sukzessive
in
den Nord-Süd-Dualismus: Das
einigende Konstrukt des ,,Dåimon Moskau" begann damit an Geltungs- und Erklåirungskraft
einzubässen. Die institutionelle Umsetzung der europäischen Einigungsbestrebungen in den
Römer-Verftägen und die Diskussion um eine europäische Freihandelszone in den OECDLtindern erzwang in der Schweiz schliesslich eine Neutralitätsdebatte, die nn Verunsicherung
dieses zuvor sakrosankten Staatsverståindnisses führte.2'7 Innenpolitisch begann die im
Ratrmen des Konjunkturdiskurses einsetzende Problematisierung der Fremden
in
der
Schweiz, die erneut aufl<eimenden Autonomiebestrebungen im Jura die Debatten um die
atomare Aufrüstung und der neuerwachte linke Internationalismus die identitätssichernden
Schweizer Konstanten langsam
5.4
nt
zersetzen.
Gesellschaftliche Gärung: ,,Helvetisches Malaise" und ,,Verrat
an der Opposition"
Die geschilderten Begleiterscheinungen des wirtschaftlichen und sozialen V/andels sowie die
nachlassende Integrationskraft der gemeinschaftsideologischen Leitvorstellungen
in der Mitte
der 60er Jahre lösten in einigen Kreisen der Schweizer Bevölkerung Verunsicherung,
zwischen Tradition und Moderne wieder, wobei die modernen ,,Elemente" vor allem im architektonischen und
kifurstlerischen Bereich der Ausstellung angesiedelt waren.
2as
lnZilrrch artete dieser Volkszorn gegen die Kommunisten in eine Progromstimmung aus - beispielsweise
gegen die Familie des als ,,Chefideologen" denunzierten Kon¡ad Famer, Parteimitglied der PdA. Wie Emilio
Modena rückblickend bemerkte, erzeugten die Plünderung der Pafeibuctrhaltung der PdA und Verprügelung der
Genossen, die von einem kommunistischen Jugendfestival in Moskau zwückkehrten, ein Klima der Angst:
,,Fortan wurde gekuscht. Schon der Besuch der Pekingoper kam einer Muþrobe gleich, man musste zum
Opernhauseingang druch ein Spalier von aufgebrachten Bitgern moralisch spiessrutenlaufen. Die Universtität
wwde von der Bewegrmg ,,Vergesst Ungarn nie" beherrscht. Noch 1961162 erlebte ich dof, wie einfachste
syndikalistische Refonnversuche mit antikommunistischen Schlagworten niedergeschmettert wurden." Modena,
Veränderung der Psychoanalyse, 7 4.
2a6
B retscher-Spindler, Kalter Ki'eg, 243.
47
Im hoTEntstabilisierung en, 53, 5 4.
56
LzgulersARBEIT
DrE
Scuwnz
IN DEN 50en
uxo
60Bn JeHnsN
Orientierungslosigkeit und ein Unbehagen gegenüber Staat und Gesellschaft aus.'08
In
der
öffentlichen Auseinandersetzung mit der Grundbefindlichkeit der Bevölkerung sprach man
allerdings relativ undifferenziert von einer gesamtgesellschaftlichen Gärung und malte das
Schreckgespengst einer ,,Entfremdung zwischen
Volk und seinen Institutionen",
die
eigentliche ,,politische Entfremdung" aÍr die Wand.2ae Die nonkonformistische ,,Zircher
Woche" bezeichnete die Schweiz 1967 als ,,Land ohne Zukunft", als ,,ein Land, das in den
Notstand gekommen ist"2so. Als Sammelbegriff
füLr
das Unbehagen kursierte auch das 1964
vom Staatsrechtler Max Imboden geprägfe Diktum,,Helvetisches Malaise"2st.
Ein
dringender Handlungs- und Reformbedarf wurde allenthalben
publizistischen Aufwand angezeig¡,
mit einem
grossen
um der Schweiz ihren ,,wirklichkeitsfremden
und
zivilisationsfeindlichen Geist"252 auszutreiben. Im Ztge der in der Tagespresse nahezu uferlos
gefi.ihrten Debatten über die ,,Helvetische Malaise" und dessen Ausprägung wurden deshalb
auch Fragen nach den Möglichkeiten, Aufgaben und Formen einer Opposition
aufgeworfen.
Die Meinungen fielen
unterschiedlich aus: Wåihrend
in der Schweiz
die einen die
institutionellen direktdemokratischen Gestaltungsmöglichkeiten des einzelnen Btirgers
hervorhoben und für einen ,,an den Realitäten orientierten Widerspruch" im Rahmen des
,,schweizerischen Wegs"
- definiert als ,,Verzicht auf Utopien und revolutionåire Träume" -
plädierten253, sprachen andere
von einer
,,z;rn{anzig Jahre dauemden
Ära der verratenen
Opposition"2s und der Notwendigkeit einer nicht-institutionellen ausserparlamentarischen
Opposition2ss.
Die Möglichkeit eines ,,flarnmenden Protests" wurden dabei aber als wenig
erfolgsversprechend erachtet. Wie Marcel Beck 1967 monierte, sei dieser Protest ,,in der
tausendfÌiltigen Rücksichtsnahme eines Allparteienregimes nicht mehr möglich. Und weiter:
,,Keine Idee mehr, die uns zu Aussergewöhnlichem, vielleicht sogar Unbequemen in unserer
2a8
Kurt Imhof spricht in diesem Zusammenhang von einem ,,struktuwerlust" und der ,,Erosion
Differenzsemantiken". Imhof, Entstabilisierungen,
37
der
.
2o'NZz, ro.3.r96i.
"o ,Zütchet Woche", 1.7.1967.
"t Wie Kurt Imhof festhielt, findet sich der Begriff,,Helvetisches Malaise" in der politischen Alltagspublizistik
bereits fräher als das gleichnamige Buch von Max Imboden aus dem Jahr 1964. Imhof, Entstablisierungen, 35.
2s2,ftircher W oche", 1.7 .1967 .
2s3
Luchsinge¿ Abbruch oder Reform, 5.
2s4
Als Verrat an der Opposition charakterisierte Amold Künzli in einem Referat 1968 vor allem das faktisch
nicht ñmktionierende Initiativ- und Referendumsrecht: ,,Was da nicht stimmt, ist, dass die konstitutionelle
ausserparlamentarische Opposition auf dem Gebiete der Volksinitiative infolge der Manipulationsgewalt von
Finanz- und anderen Interessengruppen nicht richtig fimktioniert, hingegen da, wo sie frrnktioniert - auf dem
Gebiete des Referendums - allzuleicht ein Opfer der Manipulationsgewalt der Behörden wird. Beide Male wird
Verrat an der Opposition und damit Venat an der Demokratie geidbt." Kùnzli,Yenatene Oppositior¡ 23.
25s
Ebð,20tr.
57
Drs ScHwprz rN DEN 50¡n u¡qo 60pn JesnrN
LzgtITIATSARBEIT
oppositionslosen, gegenseitigen Liebedienerei mitreissen würde."256 Wenig optimistisch
vermerkte auch Max Frisch 1968 in der ,,Weltwoche", dass der seit dem Landessüeik 1918
ungebrochene politische Hausfrieden allen
-
selbst den Konsumenten
-
heilig sei: ,,Ein
politischer Entwurf, eine Opposition im Sinn einer Alternative zum Bestehenden, erscheint in
unserem Land überflüssig; man weiss: ein politischer Enh¡rurf wärde Unruhe bringen, nämlich
Politik, und das heisst Kampf."2s7
friß 1A
Aus: LévyiDuvanel, Politik von unten, 95
5.5 Ausserparlamentarische Oppositionsstrukturen:
Akteure,
Protest-Zyklus und Art¡kulationsformen
Mit der Anti-Atombewegungz5t, der Antimilitarismus- und Friedensbewegung3t', der
Strömung der sogenannten intellektuellen Nonkonformisten2*, der Ûberfremdungspartei26l,
dem jurassischen Separatismus262 und einer moderaten Rechtsopposition263 hatten sich bereits
2tu
,Zrt"h", Student", Dezember 1967.
257,,weltwoch
zst
e", I1.4.1968.
Heiniger, Antiatombewegung; Kre¡s, Staatss chutz, 456-459.
Vgl. dazu Eppte-Gass, Friedensbewegung, 147-156, vnd Kreis, Staatsschutz, 444ff.
"n
260
Als Bewegung konnte man die Nonkonformisten ab etwa 1960 bezeichnen. Ih¡e Geschichte wa¡ im
wesentlichen Pressegeschichte. Tnntrum und Sprachrohr wa¡en etwa die ,,Zitrcher Woche" von 196l-1964, dle
,,Weltwoche" 1964-1967, die ,,Basler Nationalzeitung" r¡nd die ,,Neutralitä1". Man nannte die Blätter auch
,,Blaue Presse". H e i n i ge r, Antiatombew egng, 37 .
2u1
Die Nationale Aktion (NA) formierte sich 1961 als Bewegung. Altermatt, Fundamentalopposition, 11. Vgl.
atch Romano, Überfremdungsbewegrmg, I 43 -160.
'u' Vgl. dazu Eisenegger, Einflussmöglichkeiten sozialer Bewegungen, 16l-174: vnd Ruch, Kommunikation
durch Konfl ikte, l7 5 - I82.
263
In den 50er Jahren traten diese Kräfte als anonyme Komitees oder durch ihre Organisationen auf
(Redressement national, Trumpf Buur etc.). Heiniger, Antiatombewegung, 36.
58
Drc Scswez IN DEN 50pnuNo 60sn Jenn¡N
LzpNn¡TSARBEIT
Ende der 50er und
Oppositionsstrukturen
zv
Beginn der 60er Jahre die ersten
in der Nachkriegsschweiz
ausserparlamentarischen Protest-Zyklus
mit
ausserparlamentarischen
gebildet. Der Beginn eines eigentlichen
nachfolgender explosiver Zunahme der
politischen Aktivierung manifestierte sich aber erst nach der zweiten Hälfte der 60er Jahre.
Wie Hanspeter Kriesi in einer empirischen Studie zu den politischen Aktivierungsereignissen
in der Schweiz aufzeig¡e, stiegen zwischen 1967 und 7973 die Anzahl der Protestereignisse
mit
konventionellen und unkonventionellen Artikulationsformen sehr stark
aÍr.2@
Die
Zunahme der Aktivierungsereignisse wird von Kriesi vor allem mit dem Auffreten neuer
Akteure auf der politischen Bühne verbunden: eine vielgestaltige ,Neue Linke", ab 1969
eskortiert
von einer ,,ngue Frauenbewegung"z6s und einer Vielzahl umwelt-
und
energiepolitischer Bewegungen in den frühen 70er Jahren.26
V/as und wer stand hinter dieser ,Neuen
Schweiz vorerst
ein
Linken'? Als Konstrukt war die ,Neue Linke" in der
äusserst heterogener
und instabiler Korpus verschiedenster
Gruppierungen, der sich einerseits durch die Abgrenzung gegenüber der,,alten Linken" (SP,
Gewerkschaften)%1, andererseits durch einen fliessenden Übergang
zu
sogenannten ,,counterculfure" (Rocker, Hippies) charakterisieren låisst.
Strömungen der
Im Gegensatz zlur
apolitischen Halfung der ,,counterculture" strebte die ,,Neue Linke" mit politischen Aktionen
nach der Umgestaltung sozialer, politischer und wirtschaflicher Machtverhåilhisse
in der
Schweiz. Abbau von Hierarchien und Herrschafustnrkturer¡ Abbau der Auswächse der
Konsumgesellschaft, Nichtdiskriminierung
von
Minderheiten
und
Aussenseitern und
Demokratisierung von Politik und Wirtschaft lauteten einige der diversen Forderungen der
Gruppierungen.tu* Eine geschlossene Ideologie oder ausgeprägte organisatorische Strukturen
besass die ,,Neue
Linke"
nicht.2un
Um ihrer Diversitåit und Heterogenität gerecht zu werden,
wird die,,Neue Linke" im folgenden jeweils im Sinne eines Sammelbeckens verstanden. Auf
die ,,Junge Linke" als Vorhut der ,).leuen Linken" und Mitffägerin der 68er Bewegung wird
im Hinblick auf die Zvrcher Verhältnisse weiter unten nåiher eingegangen.
t* Zt diesemsachverhalt
'ut Vgl.
Kriesi/Léry/Ganguillet/Zv,islcy (Hg.), Politische Aktivierung,42l-45'l .
daat Hinn, Frauenbefreiung, 57-72; BrodalJorislMüller, Die alte und neue Frauenbeu/egung, 201-226:,
siehe
Schmucki, Fotogeschichte der Frauenbefreiungsbewegung.
266
Kriesi, Neue Soziale Bewegungen, 27. A.uch Urs Zweifel hielt fest, dass mit der Formierung dieser neuen
Gruppierungen r¡nd Bewegungen nach einer gewissen Karenzfrist
ein drastischer Anstieg der politischen
Aktivierung in der Schweiz einherging . Zu'etfel, Ordmrngsdienst, 186.
2u1
Der Begriff der ,,Neuen Linken" kam bereits zu Beginn der sechziger Jahre als Selbstbezeichnung derjenigen
Kräfte auf, die das ideelle Monopol der kommunistischen Orthodoxie in der Führung der radikalsozialistischen
Politik brechen wollten. Kreis, Staatsschutz, 403.
2ut
Léuy/Duvan el, P olitik von unter¡ 39.
26e
Kimm el,studentenbew egwg, 29.
59
Dru Scswsz rN DEN 50Bn u¡,ro 60¡n JesnBN
LznNTTeTSARBEIT
Hatten sich die Ende der 50er und zu Beginn der 60er Jahre emergierenden Gruppierungen um
eine punktuelle Revision des Status quo bemüht und mit ihren Artikulationsformen
abgesehen
von wenigen Ausnahmen (beispielsweise
Ostermåirschetto)
-
im
-
Rahmen der
etablierten Handlungsformen politischer Konfliktaustragung2Tr bewegt, so änderte sich mit
dem Auftritt der,,Neuen Linken" nicht nur das Ausmass der Kritik am Bestehenden, sondern
auch die Formen der Artikulation massgeblich. Ab Mitte der 60er Jahre wurden immer
häufiger unkonventionelle, nicht-institutionalisierte Formen
wie
Demonstrationen,
und Ultimaten geprobt und neue, bis dahin
unbekannte Aktionsformen erfunden: Besetzungen von Häusern und Sälen (Go-ins),
Informationsaktionen, Boykottaktionen
Strassentheater, das Blockieren
von Sfrassen und Eingängen (Sit-ins), das Umfunktionieren
von Veranstaltungen aller Art (Teach-ins, Love-ins
etc.).272
Betrachtet man den von Kriesi
rekonstruierten Protestzyklus zwischen 1967 tlrlrd 1973, so stellt das Jahr 1968 einen ersten
Ereignis-,,peak" dar, der vor allem
im Bereich der unkonventionellen Formen politischer
Artikulation im Vergleich zum Jafu 1967 einen sprunghaften Anstieg aufueist (1967: 38
Ereignisse, 1968: 139 Ereignisse).ttt Dieser erste signifikante Anstieg von Aktionen mit
mit einem im Vergleich zum Vorjahr
markant ausfallenden Anstieg der Beteiligung junger Akteure im politischen
unkonventionellen A¡tikulationsfonnen korreliert
Konfliktkamrssell
- die sogenannte 68er Bewegung (vgl. die Diagramme auf der folgenden
seite).274
270
Nach Markus Heiniger bewirkten die Anti-Atombewegung und die Nonkonformisten eine Erweiterung der
politischen Aktionsfonnen. Heiniger, Antiatombewegung, 39. Dem ersten Ostennarsch wa¡en in der AntiAtombewegung Debatten da¡über vorausgegângen, ob in der Schweiz mit ihren weitreichenden Volksrechten
überhaupt solche anderen Aktionsformen nötig seien. Epple-Gass, Friedensbewegung, 210,211.
2" Zu den konventioneller Artikulationsformen rechnet Hanspeter K¡iesi in seiner Untersuchung der politischen
Aktivienrngsereignisse in der Schweiz zwischen 1945 und 1978 diejenigen Formen, für welche entweder
institutionelle Kanäle offenstehen oder die zum etablierten und in der Bevölkerung akzeptierten Repertoire
politischer Aktivierung gehören. Kriesi/Lévy/Ganguillet/Zwisky (HS.), Politische Aktivierung, 440. Bei der
ausführlichen Typologisierung der konventionellen und unkonventionellen Formen zwischen 1945 und 1978
mutet die implizite Annahme, dass sich im Untersuchungszeitraum keine Änderungen im Hinblick auf die
etablierten und von der Bevölkerung akzeptierten Repertoires politischer Aktivierung ergeben hätten, allerdings
etwas befremdlich an.
2'z
LéuylDuronel, Polittk von unten, 174; Kriesi/Lévy/Ganguillet/Zu,islcy (Hg.), Politische Aktivierung, 440tr;
Kri e si, Neue Soziale Bewegungen, 30.
273
Kriesi/Lévy/Ganguil l et/Zu,ist"y Glg),Politische Aktivierung, 439.
"o Léry/Drronel, Politik von unten, 34,35.Im Zusammenhang mit der 68er Bewegung in Zürich muss an dieser
Stelle betont werde4 dass das Phänomen des massenhaften Dagegenseins nicht ausschliesslich mit den
Gruppierungen der ,Jungen Linken" in Verbindung gebracht werden darf. Im Gegenteil: Der Grossteil der am
Protest beteiligten Jugendlichen oder jungen Menschen waren organisatorisch nicht oder nur sporadisch
verankert.
60
Drc Scuwpz rNDEN 5O¡nuto 60pnJeHn¡N
LzpNl¡TSARBEIT
Entwicklung der Aktionen in der Schweiz 1945-1978
ANZAHL
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,?5
tì71,
Aus: LévylDuvanel, Politik von unten, 34, 35
kn Rahmen der öffentlichen Diskussion über die Möglichkeiten und Formen der Opposition
in der Schweiz wurde sehr schnell klar, dass
das propagierte pluralistische Modell, wonach
alle gesellschaftlichen Kräfte am Aushandlungsprozess um das Gemeinwohl beteiligt waren,
dort seine Grenzen fand, wo der nationale Konsens in Frage gestellt wurde und wo sich eine
Bewegung nicht verbandsfonnig organisierte und berechenbar verhielt. So wurden
beispielsweise die intern keineswegs einheitlichen Forderungen aus dem Sammelbecken der
,,Neuen Linken" von konservativen Blättern vorerst relativ rasch und unbesehen der
,,kommunistischen Subversion" zugeordnet.2's Der,,Antikommunismus" offenbarte sich damit
trotz dringend nötigem Reformbeda¡f bis Ende der 60er Jahre als besonders resistentes, auf
die Bewahrung des Status quo ausgerichtetes Element des gemeinschaftsideologischen
275
Bereits die Anti-Atombewegrrng und die Friedensbewegung hatten im Zuge der mit der Niederschlagung des
Ungarn-Aufstands 1956 verstärkt einsetzenden ,,HeIze" gegen
den totalitären Feind im Osten mit
Ausgrenzungsstrategien des ,,eidgenössichen Machtkartells" zu kåimpfen. Epple-Gass, Friedensbewegung, 153.
61
Dm Scuwnz rN DEN 50pn rnqo 60rn JesnnN
LzeNnRrsARBErr
Amalgams.
hn
Zuge der als Ausgrenzungsstrategie
zr
bezeichnenden Diffamierung,
Verketzerung und moralischen Diskreditierung der Akteure
als ,,Linksextreme"
und
,,Kryptokommunisten" wurden auch die Aktionsformen aus dem Bereich zulässiger, legitimer
politischer Handlungsmuster ausgeschlossen und als ,,unschweizerisch" taxiert. Eine
Auseinandersetzung
mit den Forderungen und den zum Teil
neuen Handlungs- und
Konflikfmustern der Oppositionsgruppen wurde damit im Keime zu ersticken versucht
-
ein
Vorgehen, das im Zusammenhang mit der ,,Jungen Linken" und den mit dem Gewaltdiskurs
verknüpften Aktivierungsereignissen von 1967-1969 in Zürich ebenfalls beobachtet werden
konnte und an dieser Stelle genauer betrachtet wird (vgl. Abschnitte 6.3.1-6.3.3).
5.5.1 Junge Opposition
,,Es ist von heute aus gesehen kaum nachzuvollziehen, v,ie konsemativ die
sclr,eizerische Kulturlandschaft damals war. Fùr die Jugendlichen in der Sclu,eiz
v,urde in Kuhur, Bildung und Sexualitcit mehr oder v,eniger alles unÍerdrückl, v,as
abu,ich und aufmuclcsle. So kann ich von meiner Jugend sagen, dqss alles, u,as ich gern
hatte, entv,eder verbolen wor oder moralisch verpönL Es herrschle totqle
Oppo si tion slo si gkei t im Innde. "276
5.5.1.1
Jugendliche Verweigerungshaltung: Vom ,,Halbstarken" zum
,,Teenager"
Seit Mitte der 50er Jahre kam es nZnnchwie auch in vielen anderen europäischen Städten zu
außehenerregenden Versammlungen Jugendlicher,
die in
zahlreichen F2illen mit
Ruhestörungen, Polizeieinsätzen und Fesürahmen einhergingen. Ausgehend von derartigen
VorfÌillen manifestierte sich das allgemeine Jugendbild der 50er Jahre im Terminus
des
,,Halbstarken". Der Begriff ,,Halbstarker" diente um die Jahrhundertwende zur Beschreibung
verdorbener oder verwahrloster Jugendlicher aus den unteren sozialen Schichten. Dieses
von Verderbtheit, Laxheit,
und Kriminalität, aber auch Verunsicherung und Unversttindnis der
generalisierte negative Charakterbild,
Degeneration
die
Assoziationen
Erwachsenen lebten im Begriff des Jugendbildes in den 50er Jahren fort.2" Die Auflehnung
der Jugendlichen war allerdings nicht politisch motiviert; weitergehende, explizit politische,
reflektierte oder begrändete Zielorientierungen, Planungen oder Strategien fehlten. Mit den
Aufsehen erregenden, medial kolportierten Krawallen richteten sich die Jugendlichen gegen
den traditionellen Wohlstandspfad und versuchten, dem Konforrnitätsdruck und den erstarrten
27 6
277
G re t I er,
Nonkonformisten,
4 5.
Lindn"r,Jugenprotest, 25-27 .
62
Dr¡ Scuwntz
LzpNnarsARBErr
rN DEN 50en
uNo 60Bn Jenn¡N
Rollennormen der Gesellschaft mit einer generellen Verweigerung zu entkoÍrmen. Zu dieser
Verweigenrng gehorte unter anderem auch die Visualisierung eines Lebensstils, in dem ein
anderer Gebrauch von Dingen mit neuen Deutungsmustern und Sinnstiftungen verbunden
wurde: Bluejeans, Lede{acke, Rock'n'Roll und der Motorroller gehörten
zu
ihrem
Lebensgefühl.278
Die NZZ befasste sich ab Mitte der 50er Jahre regelmässig mit den ,,Halbstarken" in der
Schweiz.
Mit einer
besonderen Dichte der
Artikel im Jahr 1960 verfolgte sie das Thema bis
über die Mitte der 60er Jahre hinaus mit Beiträgen verschiedenster Fachpersonen (Lehrer,
Psychologen, Soziologen, Politiker), mit Berichtel za) einzelnen Krawallen und mehrteiligen
Diskussionsreihen. Während zu Beginn der Berichterstattung die ,,Halbstarken" neugierig als
,"Zeiterscheinung"2Te
unter die Lupe genommen und im Grundtenor als ,,trotzig und
leichtsinnig"2s0 bezeichnet wurden, verschob sich die Beurteilung des jugendlichen Verhaltens
im Lauf der 60er Jahre in Richtung einer kaum verhällten Ablehnung: Dem ,,HalbstarkenProblem" wurde mit dem ,,Ruf nach schärfsten Massnahmen" begegnet.2sL Zelt$eich wurden
die Jugendlichen in ihrer Gesamtheit
-
nunmehr unter dem Sammelbegriff,,Teenager"
-
zrm
Gegenstand einer Diskussion über das ,,Generationenproblem". IJnter der Rubrik ,,Die
Schwierigen" wurden sie im Hinblick auf die Aspekte Öffentlichkeit, Konsumgesellschaft und
Autoritat intensiv durchleuchtet.2s2 Dass das Verhalten der,,Teenager", ihr Auflreten und ihre
Missachtung gesellschaftlich etablierter Werte, Nonnen und Autoritäten nicht nur Unmut und
Unverståindnis, sondem auch Ängste bei der älteren Generation auslöste, beweist der Artikel
von Salvador de Madriaga vom 11. Juni 1966; im Artikel ,,Wie Halbstarke ntzähmenwären"
hielt de Madriaga fest, dass Trotz und überschtissige Vitalität der Teenager offensichtliche
für jede Gemeinschaft mit sich bringen wtirden und dass die Lage sich
verschlimmere. Deshalb müsse man ,,nach Lösungen suchen, die über blosse
Gefahren
Unterdräckungsmassnahmen hinausgehen".
Zvr
,,Zdùmlung" des ,,Teenagers" schlug er
deshalb vor:
,,Es gäbe allenfalls eine Lösung, mit der [...] das Teenagerproblem zu beheben wä¡e: ein obligatorischer
Zivildienst, der einer zivilen Version der Militärdiensçflicht, wie sie viele Låinder bereits kennen, entsprechen
wtirde. Alle jungen Leute beiderlei Geschlechts hätten unter pararnilitärischer Disziplin und in paramilitfischen
Uniformen fü,r zwei Jahre zu dienen. Wåihrend dieser Zeit hätten sie Posten auszufüllen, die erfahrungsgemäss
nur schwer zu besetzen sind. Mit diesem obligatorischen System könnten auch Freiwilligenkontingente füLr
278
21e
280
Bretscher-Spindler, Kalter Krieg, 330 Tanner, Schweiz in den 50er Jalren, 40.
NZZ,2r.r.r95i.
NZZ,5.12.1956.
"' N77 ,2t.10.1960.
"' NZZ, 12.6.1962: 14.6.1962;
2r.6.1962.
63
Dr¡ Scuwrz
Lz¡Nn¡TSARBEIT
rN DEN 50pn
txo
60pn JeunEN
geführliche A¡beiten aufgestellt weren, welche die überschüssigen Kräfte der ins Kraut schiessenden Teenager
absorbieren wt¡rden.'¿83
5.5.1.2 Politisch motivierte Junge Opposition: D¡e ,,Junge Linke"
Mitte der 60er Jahre bildeten sich in der Schweiz als Vorhut der,,Neuen Linken" verschiedene
Gruppierungen Jugendlicher, die, wie bereits die ,,Halbstarken"
in den 50er
Jahren, eine
Verweigerungshaltung gegenüber dem Staat und der Gesellschaft propagierten. Im Gegensatz
zum apolitischen Hintergrund der ,,Halbstarken" wiesen die Zielgerichtetheit ihrer Aktionen,
die Schlagworte ,,anti-autorit¿ir", ,,fortschrittlich" oder ,,progressiv" sowie das - mithin
unscharf - sl<tzzierte ZieI der Demokratisierung von Staat und Gesellschaft auf einen
politischen Gestaltungswillen hin, der auch nach einer Entfaltung auf der politischen Bühne
drfingte. Der Protest richtete sich
einzelnen Elemente
-
mit gruppenspezifisch variierender Akzentuierung
- gegen die Tradition und das sogenannte
der
,,Establishment" in Schulen,
Universitäten und im politischen System, kutzum gegen jegliche Forrnen von Autorität,
Macht und Herrschaft.2e Dartiber hinaus wurde die ,,Ideologie des Kühlschranls66285, das heisst
die allseitig propagierte Leistungsbereitschaft in der Arbeitswelt und der Zwang
konforrnen Konsumieren
Beeinflussung
-
zrrlrr
von vielen Jugendlichen als
unmerkliche, aber gezielte
- empfunden,
welche die widerspruchslose
als sogenannte ,,Manipulation"
Ein- und Unterordnung in das gesellschaftliche Wert- und Normengefüge der Gesellschaft
ntm ZieI hatte. Die Forderungen der jungen Opposition entsprangen damit einem
Daniel Cohn-Bendit es darlegte
-
-
wie
,,lViderspruch zwischen Lebensgefübl und politischer
Theorie"; einerseits forderte man eine Sprengung der moralischen Glocke, gegossen aus den
Werten, Normen und dem Verhaltenskodex in der Konsum- und Leistungsgesellschaft, und
andererseits versteckte
Selbstbestimmungsrecht
sich hinter den
Forderungen
nach Mitbestimmungsrecht,
und der Demokratisierung der Institutionen der Gedanke einer
Reinstauration eines utopisch-radikaldemokratischen Gesellschafts- und Staatsgefüges.
Das Rekrutierungsfeld der diversen Gruppierirngen der ,,Jungen Linken" war
äusserst
heterogen (Studenten, Mittelschüler, læhrlinge, junge Arbeitnehmer). Grob vereinfacht l¿isst
sich sagen, dass sich hierbei Allianzen zwischen den ,,Politischen", die auf eine
Vergangenheit in sozialistischen Jugendgruppen und bei den Ostermtirschen zurückblicken
konnten, und den ,,Kulfurellen" gebildet haben, die in erster Linie von Literatur-, Theater-
283
2u
N7.7.,It.6.1966.
Altermatt,Fundamentaloppositioû
28s,,Die
Weltwoche", 10.5. 1968.
14
64
Lz¡NnersARBErr
Dre ScHwEz rN DEN 50¡nu¡qo 60¡n JennpN
oder meist Musikerlebnissen
in den Schmelaiegel der ,,Jungen Linken'
gestossen worden
sind.ttu
Gerade die
Musik
genauer: die Popmusik spielte bei der Entstehung des affektiven Unterbaus
des Protestes eine grosse Rolle. Das bei sogenannten ,,Monsterkonzerten" erfahrene sinnliche
Erlebnis der Popmusik entwickelte ein Lustprinzip, das bei Besucherinnen und Besuchern die
ekstatische Bejahung des Augenblicks, des Hier und Jetzt
- kurz: ein kollektives (Selbst-)
Ermächtigungsgefi.ihl stimulierte. In diesen kleinen und grossen ,,dionysischen Revo1ten"287
kreierten die Jugendlichen einen Freiraum gegen fremdbestimmte Vereinnahmungen, denen
Verbindungen z.rm politischen Denken noch
nicht zwingend
zugehörten, sondern
gewissennassen als opake und undeutliche Empfindungen von Rebellion und Anderssein
mitschwangen.
V/ie Martin Schäfer dmlegte, hiess ,,I can't get no satisfaction" der Rolling Stones gar.zkJar
auch: jetzt keinen weiteren Lustaußchub mehr, ,,no direction home", keine Ausfltichte
mehr.288 ,,We want the
world, and we want it now" sangen die Doors und artikulierten damit
ein Gefühl, das nach einer direkten Übereinstimmung von Utopie und Alltag, von Politischem
und Privatem verlangte. In einem Flugblatt vom Mai 1968, das anlässlich des zweiten Jimi
Hendrix-Konzertes
in
ZtiLrich verteilt wurde, kommt diese Suche nach der unmittelbaren
Befriedigung des BedtiLrûrisses nach Freude, Begeisterung, Lust und Liebe und der Bruch mit
dem ,,Ruhe- und Ordnungskulf' des sogenannten ,,Establishments" paradigmatisch zum
Ausdruck: ,,Erweitern wir die Rebellion in der Musik in eine Rebellion in unserem Alltag.
Fordern wir Full-Time-Satisfaction! Verlangen
wir die Demokratisierung der Schulen, das
Mitbestimmungsrecht für Schüler und Lehrlinge. Igenorieren wir ihre [gemeint ist hier: das
Establishment, Anm. SBI verklemmte Sexualmoral. [...] Satisfaction ist möglich. Rebellion ist
berechtigt!"2tn
5.5.1.3 Die,,Junge Linke" in Zürich
In
Zitrtch fonnierte sich die ,,Junge Linke"
in
zahlreichen Organisationen: der
Fortschrittlichen Studentenschaft ZüLrich (FSZ), der Jungen Sektion der Partei der Arbeit
Zäich, dem linksliberalen Republikanischen Club, den Progressiven Mittelschülern (PM), der
Progressiven Jugend,
2'6
T
7
2tr
2*n
den Fortschrittlichen Gewerkschaftem Zirich (FGZ),
Léuy/Duu qn el, P olitikvon unten, 1 66.
Lirdrr"r,Jugendprotest, 149.
Schci¡rr,Utopie der Rockmusik, 32.
SA, Ar.26.4}.4,Flugblatt,,1. Flugblatt der antiautoritären Menschen", Mai 1968.
65
den
DrE ScHwEZ rN DEN
LzgNnRTSARBEIT
50pnuuo 60pn Jeun¡N
Jungsozialisten, den pazifistischen Kriegsdienstgegner unter anderem Teilweise oder temporåir
integriert in die ,,Junge Zircher Linke" waren auch Gruppierungen wie die ,,Lone Star"Rockergang und das Autorenkollektiv
um das Untergrundblatt ,,Hotcha" (die
,,Hotcha-
Sippe").2s
Mit Demonsffationen, Diskussions- und lnformationsveranstaltungen (Teach-ins), Sit-ins, Go-
ins,
Strassentheatern
und anderen unkonventionellen politischen Artikulationsformen
thematisierte die ,,Junge Zixcher Linke", von zeitgenössischen Gruppenmitgliedem auch als
,,Neue Linke"2qt oder ,,Zircher Linke"2e2 bezeichnet, ab 1966 zunächst vor allem internationale
Problemk¡eise (Kritik am Vietnamkriog, an der Unterdrückung im Franco-Spanien und der
Ausbeutung der Dritten Welt), ab 1967 auch innenpolitische Probleme (Missståinde im
Polizeiapparat der Stadt Ztirich, Hochschulpolitik). hn Frühling 1968 bildeten verschiedene
Gruppierungen der ,,Jungen Zurcher Linken" die Koordinationsgruppe ,,Fortschrittliche
Arbeiter, Schüler und Studenten"
(FASS)2e3, nachdem
sich ein Zusammenschluss einiger
Gruppierungen zum FAS, den ,,Fortschrittlichen Arbeitern und Studenten", bereits 1967
ergeben hatte.2ea Die FASS
setfen sich als Reaktion auf die Ereignisse nach dem zweiten Jimi
Hendrix-Kotuert vom 31. Mai 1968 (Schlägereien zwischen Polizeibeamten der Stadþolizei
und jugendlichen Konzertbesuchem) mit verschiedenen Aktionen
im Juni 68 gegen das
Verhalten der Stadtpolizei und füLr das seit Beginn der 60er Jahre brisante Thema eines
autonomen Jugendzentrumrzrs
¡- Stadtzentrum ein. Vom 29. Jurrttbis 1. Juli 1968 kam es im
Gefolge einer Grossdemonstration vor dem Globus-Areal, das vom kurzfristig eingesetzten
,+Aktionskomitee für ein autonomes Jugendzentrum" als ideales Areal für ein autonomes
Jugendzentrum erachtet wurde, vom Stadtrat allerdings zu diesem Zeiþunkt bereits zwei
anderen Interessenten zugeschlagen worden war, zu gewalttätigen Auseinandersetzungen
zwischen
der Stadþolizei und den Demonsüanten. Das Fazit der
sogenannten
,,Globuskrawalle" vom 29.6.-1.7.1968: 208 Festnahmen und über 60 YerIetze.2%
zeo
zer
tnt
2n3
zea
Gretler,Nonkonformisten,48; Wisler,Drei Gruppen, 64; SA, Ar.2Ol.36,FASS-Information, Dezember 1968.
Nonkonformisten, 4 8.
(DD) Nr. 13,
Ar.26.40.4,Diskussions-Dokumente
SA,
G ret l er,
1.
Wisler,Drei Gruppen, 64.
G re
t
ler, Nonkonformisten,
4
9.
rWahrheit und Legende"
'nt Vgl. hierzu den an23.6.1968 erschienenen NZZ-Artikel ,Ðas Zürcher Jugendhaus von Stadtrat E. Bieri, der die verschiedenen Etappen der Auseinandersetzungen um ein Zircher Jugendhaus aus
der Sicht der St¿dtbehörde aufzeichnet.
der
'nu Vgl. dazu auch Stadt AZ, V.B.c.1l:39, Bericht von Oberrichter Dr. H. Gut an den Stadtrat bezüglich
von
Unruhestiftern
im
Zusammenhang
mit
der
Verhaftung
an
die
Stadtpolizei
der
Vorwtirfe
,,Untersuchwrg
anlässlichderVorfrillevordemGlobusprovisoriumundderHauptwachevom29.6.-1.7.1968",
66
15.11.1968,2.
Drc Scuwnrz rN DEN 50En u¡qo 60Bn JeHn¡N
LzeNnRTSARBEIT
Nach den ,,Globuskrawallen" verhåingte der Stadtrat vom 2.-16. Juli 1968 ein
Demonstrationsverbot. Erst am 13. Juli gelang es dem Aktionskomitee, eine
Vollversammlung abzuhalten, nachdem es ihm zunächst verweigert wurde, verschiedene
Lokalitäten zu mieten. Die Versammlung verabschiedete eine Resolution, in welcher unter
anderem festgehalten wurde, dass ,,die Verantwortung für den Polizeikrawall vom 29. Juni auf
den Stadtrat und die Polizeileitung zurückfÌillt, welche offensichtlich ein Exempel statuieren
wollten"2e7. Das am 3.
Juli 1968 als Reaktion auf
das Verhalten der
,,Globuskrawalle" gegründete ,,Ztircher Manifest"
-
Stadçolizei anlässlich der
bestehend aus 5300 unterzeichnenden
Personen, darunter namhafte Schweizer Kunstschaffende, Intellektuelle und Politiker
-
organisiserte vom 4.-9.9.1968 im Centre le Corbusier eine als ,,kulturelles Sechstagerennen"2es
bezeichnete Grossveranstaltung, an der
in Diskussion, Theater und Malerei
das Thema
,,Unterdrückung und Demokratie" beleuchtet werden sollte. Die Gruppierungen der,,Jungen
Linken" und die FASS beschäftigten sich nach den Ereignissen vom Juni und Juli 1968 vor
allem mit Organisations- und Strategiefragen: So beschloss die FASS-Vollversammlung Ende
November 1968 ein neues Organisationsmodell mit Zennalstelle, im Januar 1969 legte die
FSZ ein Papier zur Sfrategie- und Organisationsproblematik der Zürcher Linken vor und die
Junge Sektion der PdA Zíntch äusserte sich in einem Bericht zum ihrem Verhåiltnis zur PdA,
dem FASS und der Bewegung der,,Neuen Linken".2ee Nachdem die Dachorganisation FASS
im Mai und im Juni 1969 im Zusammenhang mit den Prozessen zu den,,Globuskrawallen"
vor dem Obergericht Znnch mit Teach-ins und einer Protestdemonstration gegen
die
Stafrnasse für Demonstranten noch einmal auf sich aufuierksarn gemacht hatte, ebbte der
koordinierte antiautoritäre Protest
n
Zixtch allmåihlich ab. Vor allem
im Zuge der
Auseinandersetzungen um einen Ersatz für das Globus-Areal (,,Bunker"3m) spaltete sich die
Gruppe tn zvei Flügel. Wie Dominique V/isler in diesem Zusammenhang festhielt, war das
Jahr 1969 von ideologischen und strategischen Grundsatzdiskussioner¡ Selbstkritik und
Erklärungsversuchen für das Scheitem der Proteste gepragt das Außplittem der einzelnen
Gruppierungen, interne Zerreissproben, Auflösungen und gleichzeitige GrtiLndungen neuor
2e7
tnt
Abgedruckt in: ,,Vorwärts", 18.7.1968.
SA, KS 335/41a, Flugblatt ,,Das Zürcher Manifest zu politischen, juristischen und kulturellen Vorstellungen
und Aktionen", ohne Datum.
Strategie- und Organisationsproblematik der Zürcher Linken unter
besonderer Berücksichtigung der FSZ", Janua¡ 1969; SA, Ar.26.40.4, Manuskript ,,Zum Verhäl¡ris der
,Antiautoritären Jungen Sektion derPíAZ'zur PdA, unter Hervorhebung der Rolle der AJS im FASS und in der
'n' SA, Æ.201.35, Manuskript ,l,ur
Bewegung der Neuen Linken", Januar 1969.
'oo Vgl. daat Miillerl Lotm ar, Bunker.
67
Drs ScHwuz rN DEN 50Bnuxo 60BnJeHn¡N
LznNnersARBEIT
Organisationen jeglicher Couleur (beispielsweise der Revolutionären Aufbauorganisation
Zurich
RJAZ3OI
) waren die
Fo1ge.302
Mit ihren bereits frtih einsetzenden Aktivitaten seit 1963 beziehungsweise 1964 traten unter
den Gruppierungen der ,,Jungen Zircher Linken" vor allem die
,,Fortschrittliche
Studentenschaft Zürich' (FSZ) und die ,,Junge Sektion der Partei der Arbeit Zrúnch* (Junge
Sektion) hervor,
die
in
der zweiten H¿ilfte der 60er Jahre auch in
gemeinsamer
Organisationsarbeit verschiedenste Veranstaltungen und Aktionen planten (ab 1967 auch im
Rahmen der FAS und ab 1968 im FASS). In einem aus der Retrospektive verfassten Artikel
mit dem Titel ,,Utopie und Realität nach 68" vermerkte Theo Pinkus im Hinblick auf die
Rolle der FSZ und der Jungen Sektion füLr die Vorgåinge um 1968, dass die unmittelbaren
Wurzeln der 68er Bewegung in ZäLrich bei diesen beiden Gruppierungen lägen (vergleiche die
Kuzchronik der Aktivierungsereignisse n Zínrich mit spezieller Berücksichtigung der
Organisationsarbeit der FSZ und der Jungen Sektion auf Seite 70).'o'
5.5.1.4 Kurzporträt der Fortschrittlichen Studentenschaft Zürich (FSZ) und der
Jungen Sektion der PdA Zürich
Die FSZ wurde 1963 als Verein von Studierenden der Zürcher Hochschulen gegründet und
war nach den Worten eines Gründungsmitglieds ,,ein Sammelsurium linker Kräfte", das ein
breites Gesinnungsspektrum einschloss.3s Als Zwecksetzung des Vereins wurde
in
den
Statuten folgener Passus festgehalten:
,,$ 1: [Die FSZ] fordert im Geiste der Menschenrechte die freie Entfaltung der Persönlichkçlq ¡¡¿þhängig von
der rassischen, sozialen oder nationalen Zugehörigkeit. Sie wendet sich insbesondere gegen jeden irgendwie
't
Vgl. dazu SA, Ar.20I.35, Manuskript ,lum Aufbau einer neuen sozialistischen Studentenorganisation in
Ziinclf',9.6.1970.
3o'
Witl"r,Drei Gruppen, 74.
Pinkut, Utopie r¡nd Realiøt, 53. Ähnlich argumentiert Hanspeter Kriesi: ,Ziinch stand Ende der sechziger
Jahre nicht im Zentrum der politischen Ereip.isse in Europa. Die studentischen Proteste an den ,,focal points"
strahlten aber in die Schweiz aus wrd fanden hier vorab in Zürich ihren Widerhall. Die Impulse aus den
europäischen Zentren wurden von den radikalen jugendlichen Rebellen in Zürich dankbar aufgenommen. Sie
hatten sich bereits ab 1963 in der Fortschrittlichen Studentenschaft Ziinch (FSZ) zusammengeschlossen r¡nd ein
3o3
kleinere Gruppe hatte auch an die oppositionelle Tradition der Arbeiterbewegung anzuknüpfen versucht und war
1964 geschlossen der PdA [...] beigetreten, wo sie fortan die Junge Sektion bildete." Kriesi, Ziúrcher Bewegung,
183, 184.
3oo
Mod"ro, Verändenrng der Psychoanalyse, 74. Anfringlich hatte die FSZ sowohl freisinnige als auch
sozialdemokratische rmd kommunistische Mitglieder. Als letûerejedoch einen anti-kommunistischen Passus in
den Organisationsstatuten verhindert hatten, traten die f'¡eisinnigen aus dem Verein ans. Wisler, Drei Gruppen,
65. Im ihrer internen Zeitschrift ,,FSZ-intern" bezeichnete sich die FSZ als ,,Kristallisationskeim der Linken
jenseits der Ideologien ', der all jene zu vereinen suche, ,die kritisch und sozial füùlen - Christen und Man<isteru
Liberale r¡nd Sozialisten". SA, Ar.20I.35, FSZ-intern Nr. I (28.4.1967), 5.
68
Drc Scuw¡rz rN DEN 50Bn ul,ro 60rn Jnsn¡N
LzBNneTSARBEIT
gearteten Totalitarismus, Kolonialismus und Rassismus, denen sie die Prinzipien der Toleranz, der Achtung
frernder Uberzeugungen und die Bereitschaft ntr Diskussion gegenüberstellt.
$ 2: Sie steht fest auf dern Boden der Demok¡atie und der internationalen studentischen Zusammena¡beit.'óos
Bei ihren Aktivitäten konzentrierte sich die FSZ zunächst auf Veranstaltungen, die einen
demokratischeren Lehrbetrieb und höhere Stipendien an der Universitat Zt¡rich propagierten.
Ab 1965 setzte sie sich unter dem Einfluss der internationalen
Ereignisse (chinesische
Kulturrevolution, Anti-Vietnamkrieg- und Studentenbewegung in der BRD, Frankreich und
Italien) verstärkt auch mit internationalen Themen auseinander und engagierte sich gegen den
für die Solidarität mit der Dritten Welt, den Fremdarbeitern und
Dienstverweigerem.'ou 1967 nahn sie die im Ratrmen einer grossen Medienkampagne
Vietramkrieg und
aufgestellten Komrptionsvorwärfe gegen den Ztircher Polizeiapparat auf und organisierte in
Zusammenarbeit
mit der
Jungen Sektion eine erste Protestkundgebung
mit
Sitzblockade
gegen die Ztircher Stadþolaei (26.8.1967).307 Ún Frühling 1968 schloss sie sich mit
verschiedenen Gruppierungen
der
,,Jungen
Linken'
afi
Koordinationsgruppe FASS
zusammgn.3o8
Die Junge Sektion der Partei der Arbeit Znnch wurde 1964
gegrtndet.3oe
Ihre Mitglieder
rekrutierten sich zu grossen Teilen aus der Arbeitsgemeinschaft der Jugend gegen atomare
Aufrästung (auch Atomjugend genannt), die in Zwich die Atominitiativen vonI962 und 1963
und die Ostermtirsche mit initiierten.3to Die Gründung der Jungen Sektion war auf Wunsch
von unter¡ das heisst als Entschluss der Mitglieder der Atomjugend und
Jugendgruppen der Arbeiterbewegung erfolgt:
Mit ihrer
anderer
Zielsetzttng einer sozialistischen
Schweiz stellte die Partei der Arbeit für sie das einzig valable Geftiss dar, mit dem man das
ZieI etner,,gesamtgesellschaftlichen Umwtilzttrng" der ,,unzulänglichen Herrschaftsform" zu
erreichen hofte.31t Als wesentliche Aufgaben der Mitglieder der Jungen Sektion, die sich
selbst als marxistisch gesinnte Jugendliche bezeichneten, wurden die Aufrtittelung von
resignierten Sozialisterl die Durchbrechung der Isolation der PdA, Bewusstseinsbildung, aber
auch die Thematisierung aussenpolitischer Problembereiche wie beispielsweise
der
Vietnamkrieg oder die Dritte V/elt bezeichnet.
'ot SA, Æ.201.35, Statuten der Fortschrittlichen Studentenschaft Zürich.
36
Wisler,Drei Gruppen, 66.
3o7
B
ösch, ly'reier 19, 7 -20.
308
Kriesi,Zwcher Bewegung, 184.
3oe
SA, Ar.26.40.4, Gründungserkkirung der Jungen Sektion, 6.8.1964.
310
Daneben sta¡nmten die Mitglieder aus anderen Jugendgruppen der Arbeiterbewegung (etwa Freie
Sozialistische Jugend). Epple-Gass, Friedensbewegung, 210, 2l l.
ttt SA, Ar.26.40.4,Diskussions-Dokumente (DD) Nr. 13, 4.
69
Jugend,
Drc Scuwnz IN DEN 50pnuNo 60en JesnsN
LzpNunrsARBEIT
7.3.t968
Kundgebung gegen den Vietramkrieg mit
anschliessender Demonstration vor dem Dow-ChemicalGebäude
Informationszentrum für Abrüstung
und internationale
ZusammenarbeilAkti onskomitee
gegen den Vietnamkrieg (FSZ,
JSPdAu.a.m.
1.1.1968
Marlin Lutlter
1t.4.1968
Josef Eru,in Bachmann verübl auf Rudi Dutschke in Berlin ein Attentat. Es folgen an
mehreren Tagen andauentde Protestaktionen, die sich besonders gegen den SpringerKonzern richten. Bei Auseinandersetzwtgen mit der Polizei v,erden Foloreporler Klaus Frings
Schreck t ödl ic h t¡ erletzt.
und Student
Als Fotge des Attentals auf Dutschke Spontandebatle über die Geu,altfrage am Rande des
Römberbergs (Franlcfurt). Oskar Negt spricht zwn Thema ,,Politik und Gev'ah". Dutschke
sollen.
hritte am 26.4.1968 an der Universitrit Zürich
FSZ
Veranstaltung mit SDS-Rednem an der Universität
13.4.1968
26.4.t968
v,ird in
erschossen.
Ziinch
3.s.-30.s.1968
,,Pariser Mai": Diefranzösische Polizei geht in den Gebeiuden der Sorbonne gegen
proteslierende Studenten vor. Die [Jniversitötu,ird geschlossen. Heftige Strassenschlachten
der Studenten lösen Arbeiterslreiks mit Betriebsbesetzungen aus- 13. Mai: Generalstreik:
Studenten und Arbeiter
de Gaulles.
den
wird die
30.5.1968
In der
30/3 1.5.1968
Jimi Hendrix-Konzerte im Hallenstadion
Protestaktion gegen Verhalten der Stadçolizei am Jimi
Hendrix-Konzert, Besetzung des Globus-Provisoriums,
Ultimatum an Stadtrat im Hinblick auf
Hearing zum Thema Zürcher Jugendhaus
15.6.1968
19.6.t968
22.6.t968
24.6.t968
26.6.1968
29.6.t968
29.6.-1.7.t968
2.7.1968
s.7.1968
t6.7.1968
16.7.1968
4.-9.9.1968
Mlîrz1969
Mai
1969
20.5.t969
2r.s.1969
Juni 1969
11.6.1969
29.6.1969
Stadtrat empfrinet Aktionskomitee
Pressekonferenz des Aktionskomitees über
bevorstehende Aktionen
Warrikundgebung und Sit-in zum Thema autonomes
Junsendzentrum
Grossdemonstration vor dem Globus-Areal
--Globusk¡awalle"
Demonstrationsverbot
u.a. FSZ, JSPdA, Wahl des
Provisorischen Aktionskomitees
autonomes Jr¡nsendzentrum
Aktionskomitee autonomes
Jugendzenür¡m
Aktionskomitee
Aktionskomitee
FASS
Stadtrat
Protestdemonstration gegen Demonstrationsverbot
Aufirebuns des Demonstrationsverbots
Teach-in zum Thema,,Legalitat und Legitimitat"
Sechs Tage Dauer-Diskussion zum Thema
..Unterdrückung und Demokratie"
Anklageerhebrmg gegen Demonstranten durch Zücher
Staatsa¡rwaltschaft
Erste Anklageerhebung gegen Stadtpolizei
Informations-Teach-in zu den Strafrnassen für
Demonstranten bei den
Protestdemonstration gegen die Strafrnasse für
Demonstranten
Obergerichtsprozesse
Protestdemonstration auf dem Bellevueplatz und vor
dem ObergerichtZ¡¡nch
Diskussion zum Jabrestas der Krawalle
7l
Aktion für Bürgerrechte
Stadtrat
FSZ
Zürcher Manifest
FASS
FASS
FASS
Zwcher Manifest
DrsruRs¡.NALYSE
Lz¡NneTSARBEIT
6
Diskursanalyse
6.1
ldentifikation des Gewaltdiskurses
6.1.1
Die
evidenten Wissenseinheiten über
die Existenz des
Gewaltdiskurses
Die Hypothese über die Existenz des Untersuchungsobjektes
in Znnch
-
des Gewaltdiskurses
beruht vorerst auf evidenten Wissenseinheiten, die der
um 1968
deutschen
wissenschaftlichen Literatur zum Thema Gewalt und 68er Bewegung entnommen werden.
Oskar Negt, der sich selbst als Mentor und aktiver Begleiter der Ereignisse
charakterisiert, spricht
in
in der BRD
seinem 1995 erschienenen Buch ,Âchtundsechzig. Politische
Intellektuelle und die Machf'von einem ,,weltweit angestossenen Gewaltdiskurs"3l4 und der
,,Aktualität der Gewaltfrage"3ls, die eine ,Bhilosophische und praktische Reichweite"3r6
hatte. Ännlictr äussern sich auch Ekkehard Mochmann und Ute Gerhardt, die in ihrer Studie
,,Gewalt
in Deutschland.
Soziale Befunde und Deutungslinien" betonen, dass
,,dâS
Gewaltthema [...] bereits einmal in den sechziger Jahren im öffentlichen Leben und auch im
politischen Geschehen einen wichtigen Platz innegehabt [...] haf'3r7. Um die Hypothese über
die Existenz des Gewaltdiskurses in Bezug auf die 68er Ereignisse in Ziinch zu fundieren,
wird
das bereits erw¿ihnte Vorab-Wissen um die weltweite Aktualität des Gewaltthemas im
Zusammenhang mit der 68er Bewegung aufgrund der Lücken
in der Forschungsliteratur3ls
vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Medienberichterstattung
Zusammenhang
mit den
n Znrich, speziell im
,,Globuskrawallen" vom 29.6.-1.7.1968 abgebildet.
Bei
einer
oberflächlichen Betrachtung ftillt die generelle Relevanz des Themas Gewalt und Politik in
der Medienberichterstattung"' inr Auge. Die Bedeutung des Themas lässt sich
tto
dabei
N"gr,Achtundsechzig, 49.
Ebd., 57.
"s
3t6
Ebd., 52.
3r7
MochmannlGerhordt, Gewalt in Deutschland, 8.
318
Die einzige explizit atf Zíxtchzugeschnittene Äusserung findet sich bei Hanspeter Kriesi, der im Hinblick auf
die ,,Globuskrawalle" bemerkte, dass der Stadtrat von Zürich den jugendlichen Protest brutal wrterdrückte. Im
weiteren bemerkte er: ,,Darin unterscheiden sich die Zürcher Ereignisse zwar nicht von jenen anderer Ltinder, in
Ziinch erscheint die behördliche Reaktion angesichts der beschränkten Form der Bewegung und der Pragmatik
ihrer unmittelbaren Ziele aber als besonders unangemessen." Kriesi, Ztircher Bewegung, 187.
tt' Vgl. hierzu auch eine vom Soziologischen Institut der Universtität Zürich Mitte Juli 1968 veröffentlichte
Studie, in welcher die Berichterstattung der Tages- oder Wochenzeitungen,,Tat", ,¡eue presse", ,,BhIV',NZZ,
,NZN", ,,Tages At:r:eiger", ,,Vorwärts", ,,Volksrecht", ,,Tagblatt der Stadt Zänch", ,Ziinchsee-Zeitung",
,,National-Zeitu"g", ,,Vaterland', ,,La Suisse", ,,Zän-Lou.', ,/wcher \Voche" und ,,Die Weltwoche" über die
,,Zttrcher Unruhen' vom 1. - 6.7.1968 inhaltsanal¡isch untersucht wurde. Die Gewaltanwendung wird dabei im
72
DnrunseuALYSE
LzBNneTSARBEIT
insbesondere
an rwei
Beitragsreihen zrLm Themenkomplex Gewalt
in
politischen
Auseinandersetzungen ablesen, die über mehrere Wochen hinweg geführt wurden. Bei den
Beitragsreihen handelt es sich um die im November 1968 imNzz-Buchverlag erschienene
Sammlung von NZZ-Artikeln zum Thema ,,Gewalttätigkeit
in der Po1itik"320 und die im
Dezember 1968 in der ,,Tat" als Gesprächsserie erschienene Reihe ,,Politik und Gewalt", die
nach den Worten von Chefredaktor Alfred
A.
Håisler zur ,,geistigen Klåirung der Frage:
Gewalt ja oder nein" einen Beitrag leisten sollte.32l
Diese ersten Hinweise werden als ausreichend erachtet, um die Hypothese über die Existenz
des Gewaltdiskurses um 1968 in Znnch auùustellen vorerst
im Sinne der
Problematisierung des Themas Gewalt und Politik im öffentlich-sozialen Raum insbesondere
nach den gewaltformigen ,,Globuskrawallen" vom 29.6.-I.7.1968. An dieser Stelle muss
allerdings nochmals betont werden, dass die hiermit postulierte Existenz des Diskurses
faktisch erst durch seine Analyse überprüft werden kann.322
6.1.2 Der,,Ort des Aussagens": Einführung der Diskursgeme¡nschaften
Um den Aussagenkorpus des postulierten Gewaltdiskuròes um 1968 z-tt identifizieren, wird
gemåiss den bereits thematisierten Strategieî zttr Diskursidentifikation
in einem ersten Schritt
nach den ,,Orten des Aussagens" gefragt, das heisst nach den Orten der institutionalisierten
Macht beziehungsweise der organisierten Gegenmacht oder den Orten des legitimierten
Sprechens
im Hinblick auf den
Gegenstand Gewalt
im politischen
Protest
um 1968 in
Zixich.323
Als Diskursgemeinschaften"o oder Subjektpositionen, die im
Themenkomplex Gewalt einen
Hinblick auf
den
Ort der institutionalisierten Macht beziehungsweise
der
Zusammenhang mit der Bewertung der Kategorien ,pemonstranten', ,,Polizisten', ,Behörden", ,fuschauer" und
macht
,,Ereignisse" als wichtige Analysedimension beigezogen. Die Einfihrung dieser Analysedimension
.Wochenzeitungen
Tagesoder
deutlich, dass die Problematisierung des Gewaltthemas bei allen obgenannten
vorzufinden war. SA, KS 335/41a, Die Zti,rcher Unruhen. Inhaltsanalyse der Zeitungsberichte über die Zircher
Unruhen vom 29.6.-1.7 .1968, Soziologisches Institut der Universität Zitrrch, 10.7.1968.
320'Wehret
den Anfängen! Zur Gewalttätigkeit in der Politik.
t" ,,Taf', 14.12.1968.
"'Ygl. dazu Abschnitt 4.1.1.
Vgl. dazu Abschnift 4.1.2.
"'
324
Das Mit- rmd Gegeneinander, in dem der Gegenstand eines Diskwses formiert wird, erzeugt spezifische
Diskursgemeinschaften. Solche Diskwsgemeinschaften gewinnen ihre charakteristische Gestalt durch die Einheit
disku¡siver Beitrage mit und die Differenz oder Abgrenzung zu anderen Diskursgemeinschaften, die
divergierende Lesarten zum gleichen Themengebiet entwickeln, und nach innen durch den mehr oder weniger
identischen Gebrauch gleicher Argumente. Diskwsgemeinschaften besitzen diskursive und soziale Wwzeln. Sie
entstehen diskursiv durch Verwandtschaft der Argumentationspraxis und ihre Anbindung an gemeinsame
Traditionszusammenhänge.
Sie werden sozial durch Zugehörigkeit zu spezifischen Milieus oder Pa¡teien und
73
DrsruRs¿.t¡ALYSE
Lz¡NUeTSARBEIT
organisierten Gegenmacht darstellen, werden einerseits das sogenannte ,,Establishment",
reprtisentiert durch den Stadtrat als Exekutive der freisinnig dominierten Stadtregierung und
die ,,Neue Zircher Zeitttng" als Sprachrohr des Ztdrrcher Wirtschaftsfreisinns, und andererseits
die ,,Junge Linke" eingeführt, in starker Vereinfachung vertreten durch die FSZ und die Junge
Sektion sowie die Koordinationsgruppe FASS. Der Stadtrat und die NZZ
als
das Gros der
als
Diskursgemeinschaft ,,Establishment" stellen dabei keineswegs
,,Establishmeît" zrl charakterisierenden institutionalisierten Macht im Hinblick auf den
Themenkomplex Gewalt dar. Dennoch scheint die Beschränkung auf den Stadtrat und die
NZZ
als Diskursgemeinschaft ,,Establishment" gerechtfertigt, wenn man berücksichtigt, dass
diese
bei den politischen
Auseinandersetzungen
um 1968 in
Zürrich spezifische
Sprecherpositionen zum Gegenstandsbereich Gewalt einnahmen, die gehört werden und als
wahr gelten sollten. Umgekehrt ist die
in sich bereits heterogene ,,Junge Linke" und
insbesondere die FSZ und die Junge Sektion nicht als Gesamtheit der aus unterschiedlichsten
und ungleichzeitigen Subkulturen hervorgegangenen 68er Bewegung in Zirtch zu verstehen
(vgl. Abschnitte 5.5.1.2 und 5.5.1.3). Mit ihrer Organisationsstruktur und den vor allem im
Kontext der Ereignisse rund um die ,,Globuskrawalle" angesiedelten politischen Aktivitäten
lassen sich die FSZ und die Junge Sektion allerdings
im Vergleich zt nicht-institutionell
um 1968 aber als einzige Subjektpositionen
einen Ort der organisierten, in Text (und Bild) in Erscheinung
gebundenen Teilnehmerlnnen der Proteste
eruieren, die überhaupt
tretenden Gegenmacht darstellen.
6.1.3 Bestimmung der diskursiven Ere¡gnisse im Gewaltdiskurs
Um den Aussagenkorpus des Diskurses schliesslich zusaÍrmenstellen zu können, müssen als
zweiter Schritt
in der Diskursidentifikation
-
wie im Abschnitt 4.I.2 festgehalten
-
die
diskursiven Ereignisse als Kristaltisationspunkte in der kontinuierlichen Auseinandersetzung
der Diskursgemeinschaften zum Gegenstand Gewalt im Protest um 1968 bestimmt werden.
Um sich der Problematisierungskonjunkhr des Gegenstandes Gewalt anzunähern, wird
vorerst von der
-
im Abschnitt ztt den evidenten Wissenseinheiten bereits angesprochenen
-
Annahme ausgegangen, dass die zwei Aktivierungsereignisse im Juni 1968 (31.5.1968: Jimi
Hendrix-Kon2ert,15.6.1968: Protestdemonstration und Besetzung des Globus-Gebäudes) und
durch Gegnerschaft zu konkurrierenden Gruppen vergemeinschaftet. Scl¡u,ab-Trapp, Legitimatorische Diskurse,
309. Z;61n Widerspruch zwischen der Apriori-Bestimmung von Diskursgemeinschaften/Subjeþositionen und
74
DsrunseNarvs¡
LzgNuersARBEIT
die ,,Globuskrawalle" vom 29.6.-1.7.1968 zu einem diskursiven Zentralereignls geführt
haben, das gewissennassen als ,,heisse Zone" des Diskurses gelten kann. Um weitere
diskursive Ereignisse im Gewaltdiskurs zu bestimmen, wird dieses diskursive Zentralereignis
als Ausgangspunkt fixiert, um anschliessend nach weiteren Aktivierungsereignissen im
Protest
zu
fragen, die
-
chronologisch betrachtet
-
vor und nach dem
diskursiven
Zentralereignis in der Öffentlichkeit auf Resonanz gestossen sein und eine Problematisierung
des Gegenstandes Gewalt im politisch-sozialen Kontext nach sich gezogeî haben könnten.
Der Einbezug weiterer diskursiver Ereignisse scheint insbesondere für die Ermittlung einer
möglichen Tranformation des Diskurses, das heisst für die Evaluation der Diskursdynamik
von entscheidender
Bedeutung. Für das
Aktivierungsereignisse an,
Jahr 1967 bieten sich hierbei
die aufgrund ihrer
drei
unkonventionellen Artikulationsformen
(Demonstrationen, Sitzblockaden) sowie der konfliktiven politischen Themenstellungen auf
die Existenz von ihnen angelagerten diskursiven Ereignissen im Rahmen des Gewaltdiskurses
schliessen lassen: Die Vietnamdemonsüation vom 4.2.1967 (organisiert vom,,Komitee gegen
den Vietnarnkrieg", dem auch die FSZ und die Junge Sektion angehörten),
die
Protestdemonstration gegen die Stadtpolizei vom 26.8.1967 (organisiert vom FAS und den
,,Zirchem für Polizeisäuberung", wiederum unter Teilnahme der FSZ und der Jungen
Sektion) sowie die Kundgebung zlttm intemationalen Vietnamtag mit anschliessender
Demonstration vom 21.10.1967 (organisiert vom ,,Komitee gegen den Vietnamkrieg"). Da
unmittelbar vor der ,,heissen Zone" des Diskurses im Juni 1968, insbesondere im April und
Mai 1968 manifest gewalttatige Ausschreitungen zwischen Demonstranten und
Ordnungskräften in Nachbarländern zu verzeichnen waren, wird auch im Hinblick auf diese
Ereignisse verrnutet, dass sie mit einem diskursives Ereignis des Gewaltdiskurses in ZtiLrich
verknüpft sind. Für das Jahr 1969 schliesslich stellt vor allem die Protestdemonstration vor
dem Ztircher Obergericht am 11.6.1969 ein Aktivierungsereignis dar,
in
dessen Umfeld
Aussagen des Gewaltdiskurses auùufinden sein dürften; es wurden Sachbeschädigungen und
Verkehrsstörungen festgestellt.
Die
Gesamtheit der Aussagen der Diskursgemeinschaften ,,Establishmenf' und ,,Junge
Linke", welche sich im Rahmen der hier erwähnten diskursiven Ereignisse konstituierten,
bildeten das ,,konkrete Korpus", das der folgenden Analyse zugrunde lag.
Foucaults Beschreibung disku¡siver Formationen der Äusserungsmodalitäten (Subjektpositionen) siehe auch
Anm. 196.
75
DrsruRsRNervsp
LzpNuersARBEIT
6.2
Analyse des Gewaltdiskurses 1967-1969: Die Organisation des
Aussagenfeldes
Als vorweggenommenes Fazit, das den Einstieg in die detaillierte Übersicht der Ergebnisse
der
Diskursanalyse erleichtern
soll, wird
im
folgenden das
im
Ordnungsschema beziehungsweise der Orientierungsrahmen dargestellt,
Diskurs eruierte
in
welchem die
Grundüberzeugungen, Vorstellungsmuster und Deutungslinien zur Gewalt zwischen 1967
wd
1969 generiert, wiederholt und ståindig modifiziert wurden (siehe nachfolgende Auflistung).
Das Ordnungsschema oder der Orientierungsrahmen ergibt dabei ein auf hoher
Abstraktionsstufe gezeichnetes Bild von der Organisation des Aussagenfeldes im
Gewaltdiskurs.
Insgesamt werden im Gewaltdiskurs vier, sich teilweise überlappende Dimensionen
/tir
das
Erscheinen des Gegenstandes Gewalt definiert.Im Hinblick auf die zwischen 1967 urrd 1969
sukzessive definierten Dimensionen der Feldorganisation werden sowohl der semantische
Raum skizziert, in welchem die Bedeutungsausprägungen des Gewaltbegrrffs stnrkturiert und
im Verlauf des Diskurses transforrniert werden, als auch die dislrursiven Strategien entwickelt,
welche die legitimen Sichtweisen und Deutungsmuster zur Gewalt institutionalisieren.
Die Organisation des Aussagenfeldes im Gewaltdiskurs 1967-1969
PolitityDimension
Der Gegenstand Gewalt erscheint innerhalb eines Orientierungsrahmens, der
von Aspekten politisch-institutioneller Ordnungsentwürfe geprägt ist. Die
Aspekte beziehen sich dabei auf die Institutionen, Instrumente und Techniken
verschiedener Ordnungsentwürfe (Staatsfonnen), zum Beispiel die Foren
politischer Artikulation (Parteien, Verbåinde, Parlamente) oder die Instrumente
und Techniken der politischen \Villensbildung und Einflussnahme. Für den
Ordnungsentwurf ,,Demokratie" entwickeln sich im Diskurs zwei moralisch
verbindliche Direktiven: das für die Staatssubjekte geltende Gewalttabu und
das Gewaltmonopol des demokratischen Staatsapparates. Im Hinblick auf eine
autokratische Herrschaftsordnung (Diktatur)
mit
entsprechenden
Herrschaftsinstrumenten und -techniken verliert das staatliche Monopol auf
Gewaltanwendung sein moralisches Fundament und die Verbindlichkeit des
Rechtsdimension
Gewalttabus wird für die Staatssubiekte aufgehoben.
Der Gegenstand Gewalt erscheint innerhalb eines Orientierungsrahmens, der
von den Aspekten gesetzes- und verfassungskonformen Handelns in der
rechtsstaatlichen Sphtire geprägt ist.
76
DrsrunseNALYsE
LzntnRrsARBErr
Politischideologische
Dimension
Der Gegenstand Gewalt erscheint innerhalb eines Orientierungsrahmens, der
von Aspekten politisch-ideologischer Denksysteme geprägt ist. Als politischideologische Denkschablonen werden im Diskurs die beiden austauschbaren
Entwertungsetiketten ,,Kommunismus" und ,,Faschismus/lttrationalsozialismus" entwickelt. Diese Konstrukte bilden die Basis fi.ir die Präparation
den Prinzipien der
spezifischer totalitärer Gesinnungsmuster,
die
,,Öffentlichkeit", ,,Gedankenfreiheit" und ,,Diskussion'
entgegengestellt
werden.
Individualethische
Dimension
Der Gegenstand Gewalt erscheint innerhalb eines Orientierungsrahmens, der
von den Aspekten der Ethik individuellen Handelns in Sozietäten geprägt ist.
der im Hinblick auf diese
Dimensionen sfukturierte semantische Raum des Gewaltbegriffes und die diskursiven
Stategien der (De) Legitimierung der Gewalt werden im Laufe der Analyse genauer
Die einzelnen Dimensionen der
Feldorganisation sowie
ausgeftihrt. Zu Beginn jedes Analyseabschnittes (der Gewaltdiskurs 1967, 1968 und 1969)
wird dabei ein kurzes Fazit aus der in der Folge im Detail dargelegten Untersuchunggezogerl.
Der
Gewaltdiskurs 1967:
Begriffsstrukturierung und diskursive
6.3
Feldorganisation,
Strategien
der
(De-)
Legitimierung
Die analysierten Aussagen des Gewaltdiskurses im Jahr 1967 sind ausschliesslich mit
der
Subjekþosition ,,Junge Linke" verknüpft. Die Subjeþosition ,,Establishment" prägt im
Zusammenhang
mit den diskursiven Ereignissen im Jafu 1967 keine Diskursaussagen. Im
Hinblick auf die Aktivierungsereignisse lassen sich für die Subjeþosition ,,Establishmenf'
allerdings Àusserungen zur Form und zum Inhalt der politischen Auseinandersetzungen
eruieren, welche
für die im Jalil
1968 erfolgende Definition sowohl der politisch-
ideologischen als auch der Rechtsdimension im Aussagenfeld des Diskurses relevant sind. Als
gewissermassen vorbereitende Diskursaussagen deuten
bezüglich der Feldorganisation
an und
sie die
zeichnen damit
Entwicklungstendenzen
die
Möglichkeiten
der
Begriffsstrukturierungen und der diskursiven Strategien bereits vor.
Ftin die Feldorganisation im Jahr 1967 wtrd vorerst nur eine Dimension definiert: die polity-
Dimension. Der Gegenstand Gewalt erscheint dabei in einem Orientierungsrahmen, der von
den Aspekten autokratischer Ordnungsentwtirfe und deren Herrschafu instrumenten und
77
LzpNnersARBErr
DrsruRseNALYSE
-techniken geprägt ist. Eine umfassende Definition der Gewalt findet sich
Orientierungsrahmen nicht. lndes wird ein semantischer Raum sktzziert,
in
diesem
in welchem das
semantische Zentrum des Gewaltbegriffes in. seiner Kompetenzsausprdgungl2s über die
Begriffe ,,Machf' und ,,Herrschaft" (Fremdhenschaft, imperialistische Herrschaft, Diktatur)
wd in seiner Aktionsausprägungl26
über die Begriffe ,,ZwaÍrg", ,,Unterdrtickung" und
,,Repression" strukturiert wird.ttt Innerhalb der polþ-Dimension
wird eine
diskursive
Strategie entwickelt, welche die legitime Sichnryeise einer auf die USA und das gesamte
spätkapitalistische ,,System" bezogenen, moralisch diskreditierten Herrschaftsordnung
institutionalisiert
- die physischen und psychischen
Zwang, Unterdrtickung und Repression
ausübende Diktatur, welche das im demokratischen Ordnungsentwurf als verbindlich geltende
Gewalttabu moralisch obsolet erscheinen l¿isst. Eine eher
,,oppositionelle Gewalt"
diffiis strukturierte
im Rahmen der hedonistische Handlungselemente
eigene
beinhaltenden
,,direkten Aktionen", welche die Herrschaflsstrukfuren des Systems entschleiern sollen,
erscheint datrer als legitim.
6.3.1 Vietnamdemonstration vom 4. Februar 1967
Das Aktivierungsereignis: Das ,,Aktionskomitee gegen den Krieg in Vietnam" organisiert am 4.
Februar einen vom Stadtrat bewilligten32s Demonstrationszug vom Bürkliplatz zum Volkshaus
Helvetiaplatz und eine Kundgebung im Theatersaal mit Referaten und einem Dokumentarfilm zum
Krieg in Vietnam. Am Demonstrationszug nehmen ca. 12OO Menschen teil. Während der Kundgebung
im Theatersaal werden zwei Resolutionen angenommen, die an den Botschafter der USA in der
Schweiz und an Bundesrat Spühler gerichtet werden. Botschafter Hayes wird darüber in Kenntnis
gesetzt, dass die Sympathie der Schweizer Íü¡ die USA am Schwinden sei. ln der Resolution an
Bundesrat Spühler wird dieser aufgefordert, dem Bemühen um Vermittlung im Vietnamkrieg die
absolute Priorität einzu räumen.
Die Aussagen des Gewaltdiskurses finden sich im Rahmen von Ausserungen zur damaligen
Situation im Vietnamkrieg. Der Gewaltbegriff selbst füllt nicht explizit. Im Kontext des
Vietnamkriegs wird das Verhalten der USA jedoch mit Begriffen beschrieben, die im Umfeld
des Gewaltbegriffes
im Sinne
des
Aktionsbegrffis angesiedelt werden können. Die USA übt
eine Praxis der ,,Zerstörung" und des ,,Terrors" aus, die mit den im Kontext physischer
"t vgl. Abschnitt
,ru
tt'
t"
2.1.1
Ebd.
Vgl. Abschnitt 6.3.4: Semantischer Raum des Gewaltbegriffes im Diskurs 1967
studt AZ,Y.B.a.I3, Stadtrat von Zürich, Sitzungsprotokoll vom 2.2.1967.
78
DrsruRseNALYSE
LzgNlersARBEIT
Aktionsgewalt situierten Begriffen ,,Folterung", ,,Erschiessung", ,,Bombardierung" und
,,Mord" (mit den Waffen Napalm, Phosphor, Giftgas, Splittergranaten und Dum-DumGeschossen) inhaltlich gefüllt und als ,,grausam" taxiert wird. Andererseits wird die Praxis
auch mit dem Begriff ,,Unterdrtickung" bezeichnet, der als Gegenbegriff zu den Begriffen
,,Freiheif' und,,selbstbestimmungsrechf' verwendet und damit im Kontext der psychischen
Aktionsgewalt situiert wird. Die von der USA ausgeübte,,Unterdrückung" entspricht überdies
Mit
einer ,,uffechten" Handlung.
den Begriff ,,Herrschaft" wird der semantische Raum des
Gewaltbegriffes auch in seiner Kompetenzausprägung strukturiert. Der Begriff ,,Hetrschaft"
wird dabei mit dem Begritr
,,Demokratie" erscheint.
,,Fremdherrschaft" assoziief,
als deren Antonym
die
329
Indem innerhalb der polity-Dimension der Feldorganisation die Herrschaftsform der USA als
,,Fremdherrschaft" entwickelt
wir{
welche das Selbstbestimmungsrecht und die Freiheit der
Vietnamesen unterdrückt (psychische Aktionsgewalt), das Volk grausam ermordet und das
Land zerstört (physische Aktionsgewalt) wird das Vorgehen der USA moralisch diskreditiert
und delegitimiert.
Eine diskursive Strategie der Legitimierung von gewalts¿unen Formen des Protests der
Vietnamesen gegen die USA oder von neuartigen, den Gegenstand Gewalt reflektierenden
in der Schweiz wird aufgrund dieser Delegimierung
Aktionsformen der Protestbewegung
indes nicht entwickelt. Ebensowenig
wird die ,,illegitime Herrschaft" der USA und ihre Pra¡ris
der ,,Unterdrückung" mit den gesellschaftlich-politischen Verhaltnissen in der Schwetz als
spätkapitalistische Industrienation direkt verglichen. Diese Strategien und Vergleiche fliessen
erst Ende des Jahres 1967
n
den Gewaltdiskurs ein und werden im Jahr 1968 im Hinblick auf
das Protestverhalten der Opposition
in der Schweiz weiterentwickelt (siehe dazu Abschnitt
6.3.3).
Eine erste Annåiherung an die sprachliche Strukturierung des Vergleichs zwischen der durch
die USA praktizierten ,,Herrschaft" und den gesellschaftlich-politischen Konstellationen in
der Schweiz setzt allerdings bereits etwas frtiher ein: Als Reaktion auf
Vieûramdemonstration vom 4.2.1967
n
die
Znrich und zwei weiteren Demonstrationen in Bern
und Zürich330 wird bereits im Mai 1967 innerhalb der ,,Jungen Linken" eine Diskussion äber
Formen und Funktionen von Demonstationen
in der Schweiz geführt. Im Rahmen dieser
t2n,2eitdiensf',
3'o
1 1.02.1967 ; SA, 4r.20 1.3 5, Vietram-Aufrut Februar 1 967.
Es haodelt sich dabei um den Friedensmarsch Biel-Bern sowie um die l. Mai-Krmdgebung
79
inZtrtch.
DrsruRseNRrvsg
Lz¡NnersARBEIT
Ausserungen finden sich erstmals Diskursaussagen
mit dem explizit forrnulierten Begriff
,,Gewalt", der vorerst mit den beiden Begriffen ,,Macht" und ,,Herrschaft" substifuiert wird
Es handelt sich hier um die Kompetenzausprägung des
wobei dieser nicht mit den USA, sondern mit dem ,,System" der
(semantisches Zentrum).
Gewaltbegriffes,
spätkapitalistischen Gesellschaft
-
der ,,bürgerlichen Diktatur"
-
als Auslöser
in Verbindung
haxis der ,,Gewalt des Systems" (im Sinne von Herrschaft und Macht)
wird einerseits als ,,Zwaîg" definiert, wobei dieser Zwang sich darin äussert, dass in der
gebracht wird. Die
schweizerischen Demokratie Formen und Kanäle der Meinungsäusserung ,,eingebürgert" und
,,kontolliert'werden (psychische AktionsgewalQ. Die Herrschaft wird demnach,,in der Fonn
der Demokratie" ausgeübt, die ,,Gewalt des Systems" ist ,,nicht direkt spürbar".33l Sptirbar
wird sie erst bei der Überschreitung des Gesetzes, wo sie in Form der Gewalt der Polizei oder
des Milit¿irs
in Erscheinung tritt (physische Aktionsgewalt). Wie im Zusammenhang mit den
Herrschaftspraktiken
der USA
Orientierungsrahmens
in
Vietnam werden
an dieser Stelle innerhalb
der polity-Dimension sprachliche
des
Strategien zatt moralischen
Diskreditierung und Delegitimierung der,,Gewalt des Systems" entwickelt: Die ,,btirgerliche
Diktatur" übt psychischen und physischen Zwang aus (kontrolliert Formen und Kantile der
Meinungsäusserulg, Gewalt der Polizei und des Militåirs) und verliert als Ordnungsentwurf
damit jegliche moralische Legitimität.
kn
Gegeîsatz
^tr
Vietnamdemonstration werden
daraus nun aber Schlüsse füLr die Legitimierung der Forrnen
wd
Ziete des politischen
Protestes in der Schweiz gezogen. Da die ,,Gewalt des Systems" nicht mehr direkt sptirbar ist,
wird die Erzeugung des ,,fehlenden
Bewusstseins
von der Herrschaftsstruktur
des
kapitalistischen Systems"332 tüm Ziel desProtestes erklåirt. Gefordert wird deshalb:
,,Keine Zugeständnisse an btiLrgerliche Ordnung und Anständigkeit, sondern lieber Aussergewöhnliches,
Spannendes bieten, um die gân?e Bande jugendlicher Sexprotestler und Provo-Bewunderer amtziehen, d.4. _eine
Gigenkultur schaffen. [...] Mehr Interessantes, meh¡ Aussãrgewöhnliches, mehr Radikalismus, mehr Witz!'ó33
Die konkrete Protesþraxis soll in kleinen, ,Justvollen' und Aufsehen erregenden Aktionen
bestehen, bei welchen das Bewusstsein ,,2.T. durch Parolen, z.T. durch Rede und Diskussion
propagiert [wird]".334
In diesem Zusammenhang wird nun auch erstrnals der Begriff,,Gewalt" in Verbindung mit
dem Protest der,,Jungen Linken" sfukturiert:
33r,,zeitdienst', I9.5.1967
332,4eitdiensf', 19.5.1967
333,Zeitdiensr", 19.5.1967
334
,,zeítdiensf',
19.5
.1967
80
LzpNnersARBErr
DrsruRseNALYSE
,,Vy'enn eine Gruppe von Menschen das Systern der Gesellschaft, in der sie leben, ändern wollen, brauchen sie
dazu Gewalt, eine Gewalt, die stärker sein muss als diejenige, die das alte Systern sttitzt.'ó35
Es handelt sich indessen weder um den Aktionsbegriff noch um den Kompetenzbegrifl
sondern um die Gewalt
im Sinne einer Metapher336: Durch die Wendungen ,,gemeinsame
St¿irke" und,,zahlenmässigen Stärke der Opposition" wird
mit dem Begriff Gewalt Vehemenz
und K¡aft assoziiert.
Im weiteren Verlauf der Analyse kann gezeig! werden, dass die eigene Gewalt in
Bedeutungsausprägung von
,,Kraff' und ,,Sttirke" von der Subjeþosition ,,Junge Linke"
durch die Integration der an dieser Stelle bereits angeklungenen
Terminologie verwendeten
-
der
- allerdings nicht in expliziter
theoretischen Versatzstücke Marcusescher Prägung337 allmtihlich
neu strukturiert wird: Ende 1967 wird im Zusammenhang mit den ,,direkten Aktionen" der
Opposition die ,,oppositionelle Gewalf' entworfbn und im Jahr 1968 zur doppeldeutigen
,,Gegengewalf ' transformiert.33s
Wie einleitend bereits erwåihnt, fritt der Gegenstand Gewalt
..Establishment"
im Hinblick auf
in der Diskursgemeinschaft
das Aktivierungsereignis Vietnamdemonstration vom
4.2.1967 nicht in Erscheinung. Der Bericht tiber die Demonstration und die Forderung des
Aktionskomitees, die militåirischen Aktivitaten in Vieûran einzustellen, wird vielmehr zum
Anlass genommen, um die Veranstalter der Demonstration ins Zentrum der Aufürerksarnkeit
zu rücken und die einzelnen Akteure zu typologisieren. Hauptelement der unter dem Titel
,,Propagandisten
Hanois" erscheinenden Typologisierung
ist ein
manifester
Unterwanderungsvorwurf Die Veranstalter werden bezichtig¡, kommunistisch infiltriert und
linksextremistisch gesinnt zu sein. Als ,,Generalstäbler" und,,Mini-Apparatschiks" würden
die,,Eiferer aus dem Ftihrungsgremium" versuchen, die anwesenden Linkssozialisten, die sich
,þewusst oder naiv gebrauchen liessen",
beeinflussen.
Die
mit ihrer anti-amerikanischen Haltung zat
Stellungnahmen zlttm Vietnamkrieg werden rundweg als tendenziös
bezeichnet.33n Überdies gelten die
Teilnehmer der Demonstration als nicht repråisentativ für die
33s,,Zeitdiensf', 19.5.1967
.
t'u
Vgl. dazu Anm. 43.
3" Das von Marcuse beeinflusste Vokabular beinhaltet dabei insbesondere die Begriffe
,"lr4anipulation" und
(verschleierte
manifeste
Gewalt)
sowie
den
Begriff,,Gegengewalt",
der
dem
und
,,Natturecht" auf
,,Repression"
gewaltsamen Widerstand entlehnt wurde. Vgl. dazu auch die Abschnitte 2.3.1.1 und2.3.I.2.
338
T,,r,,oppositionellen Gewalt" siehe Abschnitt6.3.3,zur,,Gegengewalt" die Abschniue 6.4.2vnd6.4.4.
3t'N22,6.2.1967.
8l
DTSTURSRNALYSE
LTzSNTIATSARBEIT
Zircher Bevölkerung. Untermauert wird diese These mit Verweisen auf die
äusserliche
Erscheinung der Teilnehmer:
,,Herbeigeströmt wa¡ keine repräsentative Vertretung der bürgerlichen Bevölkenurg, auch nicht die Zijrchet
Linke, sondern nur ihr linker Rand. Aktivisten der Jungen Sektion der PdA, die den Anstoss gegeben hatte,
agierten aus dem Hintergrund als Generalstäbler. [...]. Einen beachtlichen Harst stellte die Fortschrittliche
Studentenschaft. Dazu kamen die Bärte und Baskenmützen, die Beatnik-Mädchen und raffaelischen
Jünglingsfrisuren, die ergrauten Pazifisten und unschuldige Kinder, die zu jeder kornmunistisch gesteuerten
Veranstaltung dieser Art im In- und Ausland gehören".3O
Diese über die subversive politische Gesinnung und die unkonventionelle äusserliche
Erscheinung konstruierte Diffamierung und Diskreditierung der Alcteure (Veranstalter und
Teilnehmer) kann als diskursive Ausgrenzungsstrategie verstanden werden, die das emotional
neurotisierende, regressive und repressive Kräfte weckende ,,Feindbild Moskau" wiederum
aufleben låisst'at und zur Delegitimierung des Protestes beiträgt. Wie
in der Folge gezeigt
werden kann, wiederholt sich diese diskursive Strategie zur Delegitimierung des Protestes in
den Äusserungen nt den Aktivierungsereignissen von 1967 und taucht 1968 ersûnals im
Zusammenhang
mit den Aussagen
z.rrrl Gegenstand Gewalt innerhalb des politisch-
ideologischen Orientierungsrahmens des Diskurses auf.
6.3.2 Protestdemonstration gegen die Stadtpolize¡ vom 26. August 1967
Das Aktivierungsereignis: Die ,,Fortschrittlichen Arbeiter und Studenten" (FAS) und die ,,Zürcher für
am 26. August auf dem Hirschenplatz eine nicht-bewilligte
gegen die Stadtpolizei Zürich. Die Demonstration ist eine
Polizeisäuberung' organisieren
Protestdemonstration
Solidaritätskundgebung für Detektiwtrachtmeister Kurt Meier (polizeiinterner Name ,Meier 19"), der
geheime Dokumente über inteme Missstände bei der Stadtpolizei Zürich (privilegierte Behandlung
eines Obersten nach einem Verkehrsdelikt) an einen Juristen weitergab und vom Obergericht Zürich
wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses verurteilt und von der Kriminalpolizei suspendiert wurde. Auf
dem Hirschenplatz wird ein Galgen aufgestellt, an dem eine lebensgrosse Puppe in Polizeiuniform
Yo
sl
Nz7,6.2.1967.
Bereits anlässlich des ersten von der FSZ organisierten Vietnam Teach-ins vom 7 .7.1965 an der Universität
Zi¡rtch wu¡de die FSZ in der NZZ als ,,unter extrem linken Einfluss stehend" charakterisiert (NZZ, 9.7.1965).
Gegen diesen Vorwurf wehrte sich die FSZ in einem Schreiben an dieNZZ, in welchem sie betonte, dass sie
,,von keiner politischen Organisation weder abhängig ist, noch beeinflusst wird. Die Zusammensetzung ihrer
Mitglieder und ihres Vorstandes wie auch ihre Tätigkeit können keineswegs als linksexfiem bezeichnet werden."
Wie die Replik der NZZ auf dieses Schreiben beweist, schienen diese Klåirungen durch die FSZ jedoch ungehört
zu verhallen: Man sprach weiterhin von dem ,,getarnten Vorgehen der Kommunisten" und \varnte vor der
Studentenorganisation: ,pas Bestehen und die auffallende Aktivität einer von linksextremen K¡äften infiltrierten
und beeinflussten Studentenguppe an den Hochschulen Zürichs verdient [...] die wachsende Aufinerksamkeit der
Öffentlichkeit". Auch im Jahr 1966 wurde gegen die FSZ der Vorwurf laut, sie sei eine ,,kommunistisch
gesteuerte Tarnorganisation'. Die Debatte über die vermeintlichen ,$ryptokommunisten" der FSZ wurde im
,fiíircher Student" im Januar und Februar 1966 geführt und schliesslich vom Tages-Anzeiger unter dem Titel
82
DrsrunseNALYSE
LzBNUeTSARBEIT
hängt. lm Zuge der Kundgebung setzen sich die Demonstranten auf die Strasse; der Verkehr zwischen
Central und Bellevue wird blockiert. Die Puppe in Polizeiuniform wird verbrannt.3a2
Die Diskursaussagen finden sich im Rahmen der Ausführungeî
z1r den internen Missståinden
bei der Stadtpolizei Ziinch. Der Gewaltbegriff ftillt nicht explizit. Änderungen in Bezug auf
den semantischen Raum des Gewaltbegriffes sind insoferî
Zusammenhang
mit der Bewertung der Missstände im
zr
verzeichnen, als dass im
Zvrcher Polizeiapparat und der
Entscheidung des Zircher Obergerichts der Begriff ,,Unterdrtickung"
im Sinne des
Aktionsbegriffes der Gewalt nicht mehr mit den USA, sondern mit dem Gesetz, den Richtern
und der Polizei in Verbindung gebracht wird.*' Überdies wird die Praxis der ,,Klassenjustiz"
mit einem im Kontext physischer Aktionsgewalt situierten Begriff inhaltlich gefüllt Gesetze
und Richter,Jråingen" die,,Kleinen":
,,[...] solche Beispiele beweisen, dass die Reichen und ihre ¡¡¿pdlanger in Behörden und Regierwrg von Gesetz
und Richtern geschont werden, die normalen Arbeiter und Angestellten jedoch unterdrtickt r¡nd bestraft werden.
V/ir haben eine Klassenjustiz: ,,Die Kleinen håingt man, die Grossen lässt man laufen!"s
Die innerhalb der polity-Dimension entwickelte diskursive Stategie, welche das Vorgehen
der Richter, der Polizei und des Gesetzes als ,,die normalen Arbeiter und Angestellten"
unterdrückende
und den
,,unschuldigen, kleinen Polizeiwachmeister" hängende
,,Klassenjustiz" moralisch diskreditiert und delegitimiert, dient in der Folge der Legitimierung
der Protestdemonstration, die in dieser Form (Sit-in, Mitführen eines Galgens, sytnbolischer
Verbrennungsakt)
nZtxich noch nicht
beobachtet werden konnte. Die neue Auspråigung des
Protestes wird als Ausdruck der,,Verståirkung des demokratischen Bewusstseins" interpretiert,
der Protest selbst als ,,demokratischer Protesf' und als ,,Plausch" und
,,Happening"
beschrieben.s5
Nachdem sich die Äusserungen des ..Establishments"
Vieûramdemonstration
vom 4.2.1967
hauptsächlich
zu der vom Stadtat bewilligten
auf die Typologisierung
und
Charakterisierung der Veranstalter und Akteure fokussierterU werden die Veranstalter der
unbewilligten Protestdemonstration gegen die Stadtpolizei vom 26.8.1967 zwar wiederum
typologisiert, tiberdies aber auch mit kritischen Kommentaren zur Forrn ihrer Aktionen
,,Stark genug, r'n auch mit Kommunisten zu diskutieren: Ist die ,,Fortsch¡ittliche Studentenschaft Zürich"
geführlich oder nützlich?" aufgenommen (,,Tages-Anzeiger", 12.2.1966).
*t Y gl. Bösch,Meier 19, 7-15.
StB, Æ.I}sl}2,Flugblatt ,,Zitrchq für Polizeisäuberrurg", ohne Datum; ,,Zeitdienst", 2.9.1967.
StB, k.l}5l}2,Flugblatt ,Zircher fü,r Polizeisäuberung", ohne Datum.
*'
*
83
DrsruRsRNer-vse
LzENnRrsARBErr
wåihrend der Demonstration bedacht. Die FSZ als ,,Drahtzieherin" und,,treibende
wie bei der Vietnamdemonstration als Organisation
Kraft" wird
bezeichnet, ,,die bekanntlich von
linksextremen Einflüssen nicht frei isf'und einen ,,extremistischen politischen Hintergrund"
aufweist.a6 Die
Art und Weise
des Protestes gibt zu,,schweren Bedenken"
zeig¡ man sich über die ,,Störungen" und vor allem
Arlass, beunruhi$
über die ,,Masslosigkeit der Slogans"
(beispielsweise ,,Die Kleinen h¿ingt man, die Grossen lässt man laufen!") und die ,,Teîderu
der gegen die Polizei als tnstrument der öffentlichen Ordnung überhaupt gerichteten
Demonstratioî".Y1 Im Zusammenhang mit den Beobachfungen
AÍ
Form des hotestes wird
die Schlussfolgerung gezogeî, dass der Protest von den,,Drahtziehern" nur benutzt werde, um
den Staat und die Gesellschaft ver2ichtlich zu machen.
Wiederum trägt die
-
über die subversive politische Gesinnung konstruierte
der Akteure zltfi Delegitimierung ihres
Protestes
- Diskreditierung
bei. Der bereits anlässlich
der
Vieûramdemonstration vom 4.2.1967 entwickelte Unterwanderungsvorwurf gewinnt an dieser
Stelle allerding einen neuen appellativen Aspekt, indem er
in
den Kontext eines für die
staatliche und gesellschaftliche Ordnung der Schweiz fonnulierten Bedrohungsszenarios
gestellt wird:
,,Die Art und Weise, in welche der Protest zu einer Attacke gegen die Einrichtwrg unseres Staates benutzt wurde,
lässt erkennen, dass es den Drahøiehern hinter dieser Demonstration nicht so sebr um die Wiedergutnachtung
eines möglichen Unrechts ging als vielmebr darum, diesen Staat rmd seine Gesellschaft verächtlich zu machen.
Der extremistische politische Hintergrund der angeblich für Freiheit und Gerechtigkeit sich einsetzenden Aktion
wird nicht tibersehen werden diirfen.'&8
6.3.3 lnternationaler Vietnamtag vom 21. Oktober 1967
Das Aktivierungsereignis: Die ,,Fortschrittliche Studentenschaft Zürich" (FSZ) organisiert am 21.
Oktober anlässlich des lnternationalen Vietnamtages eine Kundgebung
im
Börsensaal. Die
Kundgebung ist eine Solidaritätsaktion für die inneramerikanische Opposition gegen den Vietnamkrieg.
An der Kundgebung im Börsensaal wird von den USA die bedingungslose Einstellung der
Bombardierungen und die vorbehaltlose Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes des
vietnamesischen Volkes gefordert. lm Anschluss an die Kundgebung setzen sich die Teilnehmer vor
dem amerikanischen Konsulat auf die Strasse; der Verkehr wird blockiert, eine Protesterklärung wird
per Lautsprecher verlesen. Anschliessend versammeln sich einige Teilnehmer beim Paradeplatz;
erneut wird eine Protesterklärung verlesen.
rs,¿eitdienst', 2.9.1967 .
Yu
N22,28.8.1967.
Die als ,,StOrungen" bezeichneten Vorfülle anlässlich der Demonstration, namentlich die Behinderung des
Verkehrs, das Einscblagen einer Scheibe eines Tramwagens und die Beschädigung einer Kupplung eines
v'
Tramzuges erregten dabei gegenüber der,,Masslosigkeit der Slogans" und der,,Tendenz der gegen die Polizei als
Instrument der öffentlichen Ordntrng gerichteten Demonstration" weniger Bedenken (N22,28.8.1967).
Yr N77,28.8.t967.
84
LzpNnRrsARBErr
DtsruRseNervsp
lm Zusammenhang mit der Beurteilung der Situation in Vietram wird das Vorgehen der USA,
wie bereits anlässlich der Vietnamdemonstration vom Februar 1967, mit den im Kontext
physischer Aktionsgewalt situierten Begriffen ,,Zerstörung", ,,Terror" und ,,Mord" (mit den
V/affen Napalm, Splitterbomben, Dum-Dum-Geschossen, Giften und Entlaubungsmitteln)
umschrieben. Auch der im Zusammenhang mit der ,,bürgerlichen Diktatur" bereits geprägte
Begriff ,,ZwarLg" taucht erneut auf, wobei er nunmehr auch in Bezug auf die Urheberin USA
verwendet wird.3ae Ob der Begriff im Kontext der psychischen oder physischen Aktionsgewalt
situiert werden kann wird allerdings nicht klar. Auch mit dem im Hinblick auf ,/wang"
kontradiktorisch verwendeten Begriff ,,Freiheif'lost sich diese Unklarheit nicht auf
Eine Referentialisierung der verbalen Aussagen mit einer nicht-verbalen Aussage zum
Vieharnkrieg kann die Bedeufungsausprägungen von ,,ZwaÍrg" und ,,Freiheit"
konkretisieren (siehe unten):
indes
Auf einem anltisslich der Demonstration vom 21. November
1967 verteilten Flugblatt erscheint eine Photographie eines US-Soldaten, der vier
Vietramesen mit enblösstem Oberkörper und auf dem Rücken gefesselten Håinden an einem
Seil hinter sich herzieht, das jeweils um die Hälse der Vietnamesen geknüpft ist. Der
amerikanische Soldat kehrt dem Betrachter des Bildes seinen Rücken zu. Die Gesichter von
zwei Vietnamesen mit schmerzverzehrtem und leidendem Ausdruck sind sichtbar, wobei
einer der beiden durch einen an seinem Hals festgebundenen Sack eine gebeugte Haltung
annimmt. ,,Zwarrg"
wird in dieser nicht-verbalen
Aussage
im
Sinne der physischen
Aktionsgewalt strukturiert. ,,Freiheit" als Gegenbegriff entwickelt sich demgegenüber in der
Bedeutungsausprägung des physischen Ungebundenseins.
Ouelle: S A, Æ.20
sn
1. 3
5, Flugblatt,,Vieûrarn', 2I. 10.
19 67 .
,,Zeitdie.tst",27 .10.1967; SA, Ar.201.35, Manuskript ,,Rede im Börsensaal zum Intemationalen Vietnamtag",
21.t0.t967
85
LzBuu¡,rsARBErr
DrsruRseuALYSE
,,Indem wir dwch Aktion die Erscheinung der Gesellschaft praktisch kritisieren, an denen die Repression des
Systerns am ehesten gefüúrlt oder mitgefühlt wird (Polizei, Vietnam u.a.) versucht die fsz, in Zusammenarbeit mit
anderen fortschrittlichen Kräften rurd Organisationen, imrner rnehr Menschen aritikapitalistisch zu engagieren.
Die sinnliche Erfahrung des Protestes, der Widerstand, der von den Institutionen entgegengesetzt wird, urd die
Diskussion und Agitation in der Aktion durchbrechen das durch Erziehung und Manipulation errichtete
ideologische Gebäude und erleichtern die Einsichten in die Mechanismen der Herrschaft.'as6
Diese Beschreibung der ,,direkten Aktionen" bildet eine Basis des
sprachlichen
Laboratoriums, in welchem sich in den Jahren 1968 und 1969 im Hinblick auf die Formen
politischer Auseinandersetzungen neue Begriffe ausbilden, die den Diskurs neben dem bereits
Begriff ,,Manipulation" dominieren werden: die ,,Provokation" und die
,,Gegengewalf'. Die beiden Subjekþositionen ,,Junge Linke" und ,,Establishment"
geprägten
differenzieren die Begriffe ,,Manipulation", ,,Provokation' und ,,Gegengewalt" allerdings
höchst unterschiedlich aus und generieren damit gleichzeitig auftretende kontradiktorische
Gewaltbegriffe. Überdies entwickeln sie
im Hinblick auf das eigene sowie das fremde
Gewalthandeln auch gegensätzliche diskursive Delegitimierungs-
beziehungsweise
Legitimierungs strate gien.
Wie bereits bei der Vietnamdemonstration vom 4.2.1967 und der Protestdemonstration gegen
die Stadþolizei vom 26.8.1967 wird der politisch-ideologische Hintergrund der Veranstalter
in den Äusserungen des ..Establishments" zum Intemationalen Vietnarntag beleuchtet. Der
Unterwanderungsvorwurf
Börsensaal werden
wird erneut formulierL Die
wie bereits anlässlich der
verschiedenen Darbietungen im
tendenziös bewerte! unverkennba¡ offenbaren sich
im
Februar
als
in den Ausführungen der Redner
die
Vietramdemonstration
,,uralten mamistischen Klamotten", die Übereinstimmung der Forderungen zum Vietnamkrieg
mit den ,,Forderungen
Moskaus"
gilt als
gegeben.3sT
Im weiteren beziehen sich die
Äusserungen auf die Forrn des Protestes, wobei im Gegensatzztx Protestdemonstration gegen
die Stadtpolizei ein neues Element in Erscheinung tritü die Frage nach der Legalität
35s
SA, 4r.201.35, FSZ-intern Nr. 3 (19.2.1968), 35;
der
t5.t2.1967.
,,Zßitdieîsf'
ttu SA, Ar.201.35, FSZ-intem Nr. 3 (19.2.1968),36.
Die im gesamten Programmvorschlag auftillig an
Versatzstticke aus Marcuses ,,One-dimensional man" wie auch der ,,Repressiven Toleranz" erinnemde
Terminologie ist kaum zufüllig: Nachdem der ,fiixcher Student" bereits im Juli 1967 Teile von ,per
eindimensionale Mensch" abgedruckt hatte, trafen sich Mitglieder der Jungen Sektion und der FSZ im August
1967 ztt einem Gespräch mit Marcuse in Zürich (vgl. ,,Z.eitdienst",2.9.1967). Überdies nahmen Mitglieder der
FSZ auch an der 22. SDS-Delegiertenkonferenz im September 1967 n Frankfirt teil. Das an der Konferenz
gehaltene Organisationsreferat von Rudi Dutschke und Hans-Jûgen Krahl enthält diverse Parallelen zum
Programmvorsctrlag und der zitierten Passage: ,,Die Agitation in der Aktíon, die sinnliche Erfahrung der
organisierten Einzelkämpfer in der Auseinandersetzung mit der staatlichen Exekutivgewalt bilden die
mobilisierenden Faktoren in der Verbreiterung der radikalen Opposition und ermöglichen tendenziell einen
Bewusstseinsprozess für agierende Minderheiten [...).* Zit. nach Kraushaør, Frankfirrter Schule, 8d,.3,22.
357
N22,23.10.1967.
88
DrsrunseNelvs¡
LzpNrr¡,rsARBErr
Protestform. Kritisiert wird
in
diesem Zusammenhang nicht nur die Tatsache, dass die
Veranstalter keine Bewilligung für die Demonstrationszüge nach der Kundgebung eingeholt
hatten, sondern auch die den ,,Verkehr behindernde Sitzdemonstration" und
,,improvisierte Herumziehen
mit
Lautsprecherpropaganda
auf der
das
Strasse".358 Diese
Manifestationen werden als ,,eindeutig jenseits der Grenze des Zumutbaren' bewertet, die
fehlende Bewilligung entspricht nicht dem Rahmen,,von Verfassung und Gesetz".3se
Die über den
politisch-ideologischen Hintergrund konstruierte Diffamierung und
Diskreditierung der Akteure tägt wiederum zur deren Ausgrenzung und der Delegitimierung
des Protestes bei. Zlsàtzltch gesttirkt wird diese Delegitimierungsstrategie nun aber durch
juristische Erwägungen, die mit appellativen Momenten verknüpft werden und damit das
emotional geschtirte Bedrohungsszenario
für den demokratischen Rechtsstaat
perfekt
erscheinen lassen:
,,Es
ist [...] bekannt,
dass es
in der FSZ und in ihrer engen Nachbarschaft Leute gibt, die mit
dem ,,Berliner Modell" liebäugeln, denen eine Radikalisierung mit Krawall nicht
unwillkommen wåire. Angenommen, diese Tendenz gowänns weiter an Boden, glaubt dann
die Zttrcher Stadþolizei, sie könne ihr durch besondere Milde die Spitze brechen? Es geht
nicht darum, von der Polizei besondere Strenge im Umgang mit der demonstrationsfreudigen
FSZ
nt
verlangen. Diese soll die gleichen Rechte haben wie jede andere Vereinigung, aber
auch nicht mehr."3@
Die im Rahmen von Überlegungen zur Gesetzmåissigkeit und Verfassungskonformit¿it
Protestes konstruierte Delegitimierungsstrategie taucht
des
im Jahr 1968 ersünals auch im
Zusammenhang mit dem Gegenstand Gewalt innerhalb des rechtlichen Orientierungsrahmens
3s8
35n
NTT ,23.10.1967.
N7.7.,23.10.L967.
tu'N22,23.10.1967. Auch im Zusammenhang mit dem vom 22.11.1967-13.2.1968 durchgefihrten FSZ-seminar
,pritte Welt" wwden Stimmen laut, welche vor einer ,,Roten Agitation' rmd der ,,geplanten kritischen
Universität nach Berliner Muster als einem geistigen Znntnsm der permanenten Revolution" in Zürich warnten.
,,8ä,ndner Tagblatt*, 14.12.1967 (derselbe Arikel erschie¡1 im ,,Vaterland", 28.12.1968). ,Ðie Weltwoche"
vermerkte hierzu: ,,Gross ist in der Schweiz das Misst¡auen jenen gegenüber, die für die Zukunft und an der
Zukunft a¡beiten. Zum Beispiel die FSZ, von der immer dann die Rede ist, wenn ausserhalb des regultiren
Lehrbetriebs ein ,,Happening" in Szene geht. Die Gruppe steht links, weil sie nicht rechts steht, und weil sie das
tut, ist sie beliebte Zielscheibe für die Fanatiker des Status quo, die dem kalten Krieg, der alles so einfach macht,
nachtrauern... " (,,Die Weltwoche", 26. l. L9 68).
89
LzpNuarsARBErr
des Diskurses auf.36r
DrsruRseNALYSE
Im Jahr 1969 wird der rechtliche Orientierungsrahmen für
das
Erscheinen des Gegenstandes Gewalt sogar dominant.362
6.3.4 Semantischer Raum des Gewaltbegriffes im Diskurs 1967
1967
Subjekçosition,,Jr.rnge Linke"
ekçosition,,E stablisment"
þrägt lediglich,,vorbereitende"
Subj
Diskursaussagen)
Bedeutungsauspragungen
,,Eigene" Gewalt
Gewalt des/der Anderen
,,Eigene" Gewalt
Gewalt des/der
Anderen
Der Gewalt
Aktionsbegriff
Oppositionelle
Gewalt
Terror
Manipulation
*Freiheit
*S elb stbe
stimmungsrecht
Kompetenz-
begritr
*Demok¡atie
Metapher
*
Semantisches Zentrum
Gegenbegriffe
6.4 Der Gewaltdiskurs 1968: Die Dynamisierung
des
Themenkomplexes
Die Aussagen des Gewaltdiskurses im Jahr 1968 sind sowohl an die Subjeþosition,,Junge
Linke" als auch an die Subjektposition ,,Establishment" geknüpft. Durch das zeitgleiche
Auftreten von Aussagen beider Subjeþositionen erscheint der Diskurs gewissermassen als
Zwiegespräch, das durch konkurrierende Grundüberzeugungen, Vorstellungsmuster und
Deutungslinien zum Themenkomplex Gewalt charakterisiert ist. Da der Diskurs nicht
vollst?indig von einer dominanten Diskursregel normiert wird, kann er mit Michel Pêcheux als
nicht-stabilisierter Diskurs bezeichnet werden.363
361
Anlässlich des Aktivierungsereignisses Protestdemonstration und Besetzung des Globus-Gebäudes am
15.6.1968.
*'Vgl. dazu Abschnitt 6.5.
%3
Pêch"ro,Rolle des Gedächtrisses,
5l
90
Lz¡NnersARBErr
DrsruRseNRLysp
Das Aussagenfeld des Gewaltdiskurses weitet sich sukzessive auf alle eingangs bereits
dargestellten Dimensionen aus:
Zt
der im Jahr 1967 defnierten polity-Dimension fieten damit
auch die Rechtsdimension, die politisch-ideologische und die individual-ethische Dimension.
flir die einzelnen
Meist låisst sich
Aussagen des Diskurses nicht bloss eine Dimension
bestimmen; Überschneidungen der Orientierungsrahmen für das Erscheinen des Gegenstandes
Gewalt sind die Regel.
Mit
der Erweiterung der Orientierungsrahmen ist eine eigentliche
Dynamisierung des Diskurses verbunden, da sich diskursintern mehr Möglichkeiten für die
Strukturierung des Gewaltbegriffes und auch
flir die Entwicklung der diskursiven
Strategien
der (De)Legitimierung sowohl fremder als auch eigener Gewalt ergeben.
Zeitlich betrachtet markieren die gewaltsamen Studentenunruhen im Ausland im Mai und
April
1968 den Beginn der Dynamisierung des Diskurses. Der eigentliche Zenit der
Diskursentfaltung wird indes erst
mit den ebenfalls von
gewaltsamen Konfrontationen
zwischen Polizei und Demonstranten begleiteten,,Globuskrawallen" Ende Juni 1968 erreicht:
Der Gegenstand Gewalt erscheint in diesem Kontext ersÍnals in allen vier Dimensionen
des
Im Hinblick auf die Diskursdynamik l¿isst sich deshalb die These
fonnulieren, dass die sukzessive Entfalfung, Erweiterung und Transformation der
Aussagenfeldes.
Wissenssfrukturen
-
die Grundüberzeugungen, Vorstellungsmuster und Deutungslinien
-
zttr
Gewalt durch die gewalttätigen Ereignisse im Ausland zwar ausgelöst wurden, dass aber erst
der Ausbruch roher Gewalt
n
Zurich
zt
den weitestgehenden (Neu-)Konfigurationen des
Themenkomplexes Gewalt flihrten.3s
Die Strukturierun g des Gewaltbegriffes
Ln Vergleich zu
Gewaltbegnff
n
seiner Relevanz
in den Diskursaussagen des Jahres 1967 tritt
seiner Kompetenzausprägung stark
der
in den Hintergrund. Der Gewaltbegriff
taucht im Jahr 1968 damit vorwiegend im Bedeutungszusammenhang bestimmter Formen
sozialer Konfliktaustragung auf: Nachdem Ende 1967 der Aktionsbegriff der Gewalt als
Zwang, Unterdrtickung und Repression stnrkturiert wurde, erscheinen
im
semantischen
Zentrun der vorrangig thematisierten fremden Gewalt nunmehr auch die Begriffe
3s Vergleiche
daan auch die auf Seite 25 festgehaltene Vermutung von Oskar Negt, der im Hinblick auf die
Dynamisierung der Gewaltthematik im Kontext der Studentenunruhen in der Bundesrepublik Deutschland im
Jahr 1967 bemerkte, dass erst die ersten Demonstrationserfahrungen und Auseinandersetzungen mit den
Ordnungslräften das Thema Gewalt und seine theoretische Fundierung in den Vordergrund rückten.
9t
LzpNnqrsARBErr
DrsruRseNer.vse
,,(repressive) Manipulation" beziehungsweise ,,Provokation". Die eigene Getualt hingegen
wird mit den Begriffen,,Gegengewalf'beziehungsweise,,legale Gewalt" substituiert.36s
Wie nachfolgend
gezeig¡ werden kann, steht
die diskursive
Neustrukturierung des
semantischen Zentrums in einem engen Zusammenhang mit zwei Aktivierungsereignissen, die
sich vor allem im Hinblick auf das manifeste Moment der Gewalt
physischen Gewaltakt
-
-
den unmittelbaren
besonders auszeichnen: dem Jimi-Hendrix Konzerl vom 31. Mai
1968 und den ,,Globuskrawallen" vom 29.6.-1.7.1968. Nach dem Jimi-Hendrix-Konzert
substituiert die Diskursgemeinschaft ,,Junge Linke" die fremde Gewalt mit dem Begriff
,,Repression" und erstmals auch
mit dem Begriff der ,,(repressiven) Manipulation": Neben
physischen Eingriffen in die Integrität eines Menschen (Repression) wird damit auch jeglicher
psychischer und sozialer Zwang im,,System" (Manipulation) explizit als Gewalt definiert. Die
eigene Gewalt erscheint dagegen als (noch diffus strukturierte) ,,Gegengewalt"36.
In
der
Diskursgemeinschaft ,,Establishment" wird die fremde Gewalt nach den Globuskrawallen
erstmals mit dem Begriff,,Provokation" gleichgesetzt. Unter Gewalt wird damit nahezu jedes
Handeln subsumiert, das die öffentliche Ordnung stört. Als Stellvertreter für die eigene
Gewalt erscheint demgegenäber die legale und staatliche Gewalt
im
Sinne einer vom
Gewaltmonopol beglaubigten Aktionsgewalt.
Indem die fremde Gewalt
in den Aussagen der beiden Diskursgemeinschaften
nunmehr
einerseits fast alles ist, was die bestehenden Verh¿iltnisse in Frage stellt und andererseits mit
fast såimtlichen Lebensbedingungen im,,System" gleichgesetzt wird, hat sie ihren spezifischen
Charakter verloren. Der Gewaltbegriff wird so anm Symbol in einem ,,moralischenKretuzug"
verdichtet, das uber Legitimitätsentzug und Ausgrenzùngbestimmt (vgl. diskursive Strategien
der (De-)Legitimierung weiter unten).
Versteht man das Jimi-Hendrix Konzert und die Globuskrawalle als ,þitische Ereignisse"367,
die aufgrund des manifesten Moments der Gewalt
*t
- dem,,Rausch
der Aktion"36
-
den
Alltag
Vgl. dazu Abschnitt6.4.5: Semantischer Raum des Gewaltbegriffes 1968.
Nach dem Jimi Hendrix-Konzert wird aufgrund der Struktwierung der ,,Gegengewalt" nicht klar, ob mit dem
Begriff die reine Selbstverteidigung gegenüber der manifesten Gewalt der Polizei gemeint ist oder ob
,,Gegengewalt" eine Methode der Aufl<ltirung bezeichnet, die wie die ,,Provokationen" und die ,,direkten
Aktionen" die mittelbare Gewalt des ,,Systems" sichtba¡ machen soll (die Differenzen zwischen den drei
Begriffen verschwimmen an dieser Stelle, vgl. Seite 103). Diese diffrrse Strukturierung löst sich erst nach den
,,Globuskrawallen" auf, als der Begriff,,Gegengewalt" im Zusammenhang mit Reaktionen auf die unmittelba¡e
Gewalt des ,,Systems" im Sinne der aktuellen, eigene physische Gewalt einschliessenden Notweh¡, r¡nd im
Zusammenhang mit den eigenen Organisationsformen im Sinne des Kompetenzbegriffes (Verfügungsmacht)
strukturiert wird (vgl. Seite 110).
3u6
tut
368
vgl. Anm.1o4.
L¡ndner,Jugendprotest,
2 I 0.
92
LzpNnersARBErr
DrsruRseNer.ys¡
und die normale Ordnung der Dinge durchbrochen und ,,moments of
madness"36e erzeugt
haben, in welchen alles möglich erscheint, lässt sich die nachfolgende Neustrukturierung des
semantischen Zentrums des Gewaltbegriffes
als Resultat eines durch die
Handlungen initiierten Differenzierungsverlustes
materiellen
im Hinblick auf die wirklichen
Ausdruckformen der Gewalt interpretieren. Im Anschluss an die Diskursanalyse wird in
einem eigensttindigen Abschnitt die oben formulierte These, wonach diskursive Formationen
durch materielle Handlungen in ,,kritischen Ereignissen" beeinflusst werden, zur These der
reziproken Beeinflussung ausgeweitet; anhand der diskursiven Strategien der Delegitimierung
fremder und Legitimierung eigener Gewalt lässt sich veranschaulichen,
Handlungsdispositionen der Akteure durch
wie die
die Strukturierung ihrer Wahmehmung von
Entscheidungsspielräumen und Handlungsalternativen mitbestimmt wurden. Die diskursiven
Formationen beeinflussen damit auch die aus den Handlungsdispositiven resultierenden
materiellen Handlungen.3To
Diskursive Strategien der (De-)Legitimierung
Der Gegenstand Gewalt erscheint 1968 in der polity-Dimension sowohl bei den von
der
Subjekþosition ,,Junge Linke" als auch vom ,,Establishmenf' geprägten Aussagen innerhalb
eines Orientierungsrahmens, der åihnlich wie
anerkannter Herrschaftsformen
im Jafu 1967 ûlrch
Aspekte moralisch nicht
und deren Instrumente und Techniken bestimmt wird.
Besonderes Augenmerk erhalten
die Techniken der Herrschaftsausübung, die vor
dem
Hintergrund der demokratischen Regeln der Einflussnahme als Referenz- und (Del
Legitimierungsmatrix abgebildet werden: Die ,,Herrschaft" des ,,autoritären Systems" (des
,,Establishments", des Staates) äussert sich
in
den von der ,,Jungen Linken" geprägten
Aussagen als unmittelbare und manifeste Gewalt (repressive Manipulation und Repression);
Manipulation und Repression verstossen als Techniken einer autoritåiren Herrschaffsausübung
gegen die Grundsäulen der Demokratie und legitimieren damit die eigene ,,Gegengewalt". Bei
der Subjektposition,,Establishment" verstösst die als Gewalt gedeutete ,,Provokation" gegen
die demokratischen Spielregeln (Bruch mit dem Gewalttabu in der Demokratie) und
rechtfertigt damit die ,,staatliche Gewalf' (Gewalünonopol des demokratischen
Staatsapparates).
Tarrow,Cycles of Collective Aclon,282.
Vgl.
dazu Abschnitt 6.7.
"o
'un
93
DrsruRseNetvsn
LzrNnersARBErr
In der
Rechtsdimension erscheint
der
Gegenstand
Gewalt innerhalb
eines
Orientierungsrahmens, der in den von beiden Subjektpositionen geprägten Aussagen durch die
Aspekte der Gesetzmässigkeit und Verfassungskonformitat von Handlungsformen politischer
Konfliktaustragung bestimmt
wird: Das Ausüben von Manipulation und
Repression
þsychische und physische Gewalt) und von Provokationen wird von der Subjektposition
,,Junge
Linke" gleichermassen wie vom,,Establishment"
demokratischen Ordnungsentrvurf
-
-
meist im Zusammenhang mit dem
als gesetzes- und rechtswidrige Handlung konstruiert,
welche den Rechtsstaat in einen Unrechtsstaat verwandelt oder den Rechtsstaat zerstört
(Illegalisierungs- oder Kriminalisierungsstrategie).
Im
Ratrmen der politisch-ideologischen Dimension wird von der Diskursgemeinschaft
,,Establishment"
das totalit¿ire und damit moralisch entwertete
Gesinnungsmuster
,,Kommunismus" geprägt. Beide Diskursgemeinschaften verhandeln auch den ,,Faschismus
und Nationalsozialismus" als verfemte Ideologie, welche die Demolaatie innerlich geführdet.
Die Konstrrktion einer faschistischen oder kommunistischen Gesinnung von gewalttätig
Agierenden (zum Beispiel angeblich faschistisch gesinnte Polizisten oder Taktiker der
Provokation) beinhaltet emotional neurotisierende Elemente, die alte Feindbilder restituieren,
politische Gegner als Schuldobjekte aus der Gesellschaft ausschliessen und eine gleichsam
automatische Delegitimierung
der
in Form von Manipulation
und Repression
oder
Provokation auftretenden Gewalt nach sich ziehen (Feindbildstrategie).
Schliesslich
wird für den
Gegenstand Gewalt auch
definiert; dieser Orientierungsrahmen
die individual-ethische Dimension
ist durch ethische
Maximen des individuellen
Verhaltens in Sozietäten bestimmt. Die von den Diskursgemeinschaften als Gewalt gedeuteten
Provokationen beziehungsweise Repressionen werden
als
degenerierte
und
deviante
Handlungen konstruiert und mit sich rasch ausbreitenden, nicht kontrollierbaren Kranlifreiten
sowie psychisch anormalen Verhaltensdispositionen assoziiert (Seuche, Epidemie, Tollwut,
Raserei, Sadismus). Diese Degenerations- und Pathologisierungsstrategien beinhalten als
diskursive Delegitimierungsstrategien ebenfalls stark emotional neurotisierende Elemente und
tragen zur automatischen Ausgrenzung der gewalttätig Agierenden aus der normalen und sich
adäquat verhaltenden Gesellschaft bei.
94
DrsrunseNALYSE
LzrNuersARBEIT
6.4.1
April und Mai 1968: Studentenunruhen in Deutschland
und
Frankreich
Die Aktivierun gsereign isse
:
Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke am 11. April 1968 in Berlin
kommt es in zahlreichen Städten der BRD zu tagelangen Demonstrationen und Versuchen, die
Auslieferung von Publikationen der Springer-Presse zu verhindern. Bei Zusammenstössen zwischen
Polizei und Demonstranten sterben ein Student und ein Fotoreporter. Vom 11. bis 30. Mai 1968
werden Warnstreiks und Demonstrationen gegen die ,,Notstandsgesetze' durchgeführt, die am
30.5.1968 vom Bundestag angenommen werden.
Anfang Mai kommt es in Folge der Schliessung der Fakultäten in Nanterre bei Paris und des Einsatzes
der Polizei in Gebäuden der Universität Sorbonne zu Demonstrationen in Paris. Die einsetzenden
heftigen Strassenschlachten lösen Arbeiterstreiks mit Betriebsbesetzungen aus. Zehn Millionen
Menschen treten am 13. Mai 1968 in einen Generalstreik und fordern den Rücktritt der Regierung und
de Gaulles.
Die Aussagen des Gewattdiskurses finden sich im Rahmen von Äusserungen, die sich
vornehmlich auf die Forrnen der Demonstrationen und Ausschreitungen in Deutschland und
Frankreich beziehen. Der Gegenstand Gewalt erscheint im Orientierungsrahmen der pohtyDimension, der politisch-ideologischen sowie der individual-ethischen Dimension.
Die mit der
Subjekfposition ..Establishment" verknüpften Aussagen strukturieren
hauptsächlich den semantischen Raum des AktionsbegrifÏes der Gewalt. Die Demonstranten
werden als Urheber von ,,Gewalttätigkeit" und ,,Gewalf'beschrieben, die mit dem Begriff
,/wang" substituiert wird (semantisches Zentrum). Die ,,Gewalttåitigkeit" wird durch die im
Kontext physischer Aktionsgewalt situierten Begriffe ,,Zerstörung"
Anwendung von ,,'Waffen" wie ,,Büchsen
und
,,Terror" (unter
mit Pfeffer" und ,,Gefüssen mit Farbe"), mit
,þennen" und,Blündern" inhaltlich gefüllt. Als Gegenbegriff zur Gewalt taucht der Begriff
,,Ordnung" auf. Das Vorgehen wird als ,,unehrenhaft", ,,undemokratisch", ,,unzivilisiert",
,,unnattidich",,,unvernünftig",,,primitiv" und,,verrückt"
bewertet.372
Als neuer Begriff im semantischen Raum des Aktionsbegriffes wird erstmals im Diskurs der
Begriff,,Provokation" strukturiert. Die ,,Provokation" als Methode der Agitation ,,stört" die
,,öffentliche Ordnung" und bringt öffentliches und privates Eigentum
in
Gefahr.
Gewalttatigkeit wird in diesem Zusammenhang als eine Stufe der ,,Provokation" beschrieben.
3tr
Die folgenden Ausführungen beruhen im wesentlichen auf den Daten ztt den Studentemrnruhen bei Ba¡bara
Brunotte, Ingrid Gilcher-Holthey und Wolfgang Kraushaa¡ sowie der ,,Kleinen Chronologie zu 1968" im
Widerspruch l5(19SS). Brunotte, Rebellion im Wort, 85-104; Gilcher-Holthe¡ Phantasie an die Macht;
Kraushaar, Frankfirrter Schule, Bd. l.
372
N7.7., 4.4.r9 68 ; 5 .4. 1968; 14.4.1968; 16.4.1968
1
9. 5. I
9s
968.
DTSTURSRNALYSE
LzpNnersARBEIT
Provokation und Gewalttätigkeit gehören ,,nicht
zu den
Spielregeln einer zivilisierten
Auseinandersetzung", sie sprengen den ,,Rahmen der demokratischen Auseinandersetzung"
und entsprechen einer ,,Verwilderung der politischen Manifestation".3T3 Als neues Vexierbild
im Zusammenhang mit den - Gewalt und Provokation einschliessenden
Agitation" entwickelt sich
in
-
,,Methoden der
den Aussagen erstnals ein Vergleich mit den Methoden
,,fascistischer [sic] Kolonnen":
,,Man mag zögern, sie [die Methoden der Agitatio4 Anm SB] direkt als ,,fascistisch" zu bezeichnen; man kommt
nicht darum herum, ihre frappierende Ähnlichkeit mit denen der fascistischen Kolonnen von
ehedem
fesøustellen: beide suchen das ,,System" r¡nd seine Staatsmacht zu unterhöhlen, indem sie sie bewusst und
systematisch provozieren; beide siná in ihrem Wesen und in ihrer Erscheinung antidemok¡atisch."37a
Als weiteres Novum im Diskurs wird die Agitation als Krankheit und Raserei, als ansteckende
,,Epidemie" und bösartiger,,Furor teutonicus" beschrieben.3tt
Als Urheber der Tumulte und der,,Gewalttätigkeif'werden die ,,Taktiker der Provokation"
genannt, deren,,sucht nach Macht" (oder ,,ZugnachMacht") von den Kommunisten gesteuert
wird:
,,Hinter vielen Studentenunruhen und anderen Tumulten, die zw Konfusion der ohnehin schon ziemlich konfl¡sen
'Welt
beitragen" steckt die unbeirrbare, zielbewusste Organisation der kornmunistischen Riesenzwillinge. Peking
und Moskau wissen nur allzu gut die grosse, ziellose Armee der Gefühlsduseligen und Hitzköpfe, die auf dem
gaîzen Erdball Aufruh¡ stiften, fernzusteuem. Nur allzu oft findet man im Zentrum eines dieser Unruheherde
einen zielbewussten Man¡L der in Moskau oder Peking geschult wurde.'3?6
Mit
dem Begriff ,,Macht" wird
in den Aussagen auch der semantische
Raum
des
Kompetenzbegrifß der Gewalt stnrkturiert. Die ,,Macht" (semantisches Zentrum) wird mit
dem Begriff ,,Diktatur" inhaltlich gefüllt und als ,,bösartig" bewertet. Die Begriffe
,,Demokratie" und,,Rechtsstaaf ' fungieren als Antonyme zur,,Macht".
Im Hinblick auf den Gegenstand Gewalt
\ryerden insgesamt drei, teilweise ineinander
verwebte, diskursive Strategien der Delegitimierung entwickelt: Innerhalb der polityDimension wird einerseits die bösartige Diktatur als eine zum demokratischen Rechtsstaat
gegenpolige Herrschaftsfomr entwickelt. Andererseits zeichnen sich die Herrschafupraktiken
dieser bösartigen ,,Machf' durch die Zerstörung der demokratischen Ordnung aus und werden
mit faschistischen Herrschaftsinstrumenten
- den ,,fascistischen Kolonnen" - verglichen. Die
diskursive Strategie innerhalb der polity-Dimension bildet demnach das moralisch fundierte
373
374
NZZ, 5.4.1968, r4.4.1968; 16.4.1968.
NZZ,16.4.196g.
37s
N7z.,19.5.1968.
376
N72.,4.4.1969.
96
DrsruRsnNer.vss
LrzeNrnrsARBEIT
Gewalttabu in der Demokratie aus, dessen Verletzung insbesondere durch die Stilisierung des
Vexierbildes ,,Faschismus" eine gleichsam automatische Delegitimierung nach sich zieht.
Gleichzeitig werden die ,,Taktiker der Provokation" und ihre Gewalttätigkeit einschliessende
Agitation innerhalb des politisch-ideologischen Orientierungsrahmens durch
den
Unterwandenrngsvorwurf (Feindbild,,Kommunismus") diffamiert und ausgegrenzt. Úberhöht
wird diese Ausgrenzungsstrategie durch die Degenerations- und Pathologisierungsstrategie,
die beide innerhalb der individual-ethischen Dimension entwickelt werden und stark auf
Emotionen rekurieren: Die ,,Gewaltt¿itigkeit" gilt vor dem Hintergund der Ethik individuellen
Verhaltens
in
Sozietåiten
als degeneriert und deviant þrimitiv, unnattirlich) und wird
patholo gisiert (ansteckende,,Epidemie").
Diese diskursiven Strategien der Delegitimierung der Gewalt bedingen die Legitimierung der
,,Gewalf' des Staates
- nicht nur für Deutschland und Frankreich, auch für den Schweizer
Staat. In Bezug auf die Situation in der Schweiz, wo sich eine ,,Demonstritis" abzuzeichnen
beginnt, die Akteure allerdings bisher im grossen und ganzen auf gewalttätiges Vorgehen
verzichtet hëÍten377,wird die ,,Gewalt" des Staates im Sinne eines physischen Gewaltaktes mit
einer im Rahmen der polity-Dimension implizierten Chaos-Angst prophilaktisch legitimiert:
schlagt unweigerlich auf Provokateure zwück. [...] Wo die öfFentliche Ordnung gestört wird, ist
"Provokation
der Herausgeforderte der Staat, der die Verantworhrng für ihren Schutz wie auch für den Schutz des öflentlichen
und privaten Eigentums trägt. Er ist in vollem Recht, und er handelt im Interesse seiner Bürger, werm er dafür
seine Mittel einsetzt, notfalls, gegen die Gewalt, die der Gewalt [...]. Niemand als vielleicht ein Grüppchen von
Taktikern der Provokation kann sich hier chaotische Zustände witurschen, niemand kann an Bildern von
Knüppeleien und Wasserschlachten Gefallen finden. Sie können peinliche Wirklichkeit nw werden, wenn man
sie willentlich heraufbeschwört, ,Brovoziert'. Auseinandersetzurigen, \ryenn es sein muss, scharfe
Auseinandersetzungen um Überzeugungen mit der Ìilaffe der Argumente: ja! Auseinandersetzungen nach dem
Beispiel, das uns axzeitvorgeführt wird: so nicht!'378
Die mit der
Subjektposition ..Junge Linke" verknüpften Aussagen strukturieren den
Aktionsbegriff und den Kompetenzbegriff der Gewalt.
Im semantischen Zentum
des
Kompetenzbegriffes tauchen, wie bereits 1967, die beiden Begriffe ,,Macht" und ,,Herrschaff'
auf Die beiden Begriffe beziehen sich auf die Urheber ,,Establishmenf' und die
,,spätkapitalistische Gesellschaft".37e Auch das semantische Zentrum des Aktionsbegriffes
tindert sich
im
Vergleich zum Diskurs Ende 1967 nicht: Die Herrschaflspranis
des
NZZ, 2.5.1968. Mit der ,,Demonstritis" verband die NZZ insbesondere die Aktivierungsereignisse vom
2l .10.1967 (Internationaler Vietnamtag), vom 7 .3.1968 (Kundgebung gegen den Vietnamkrieg), vom 27 .4.1968
(Napalm-Demonstration) und vom 1.5.1968 (1.Mai-Demonstration). Im Hinblick auf die Reaktion der
Öffentlichkeit auf die ,,Demonstritis" wird konstatiert, dass man,,in der Schweiz die Politik auf der Stasse nicht
mehr gewohnt [ist] und auch nicht daran [glaubt], dass sie wieder Schule machen könnte." N22,2.5.1968.
"'
t"
N77, 16.4.1969.
97
DrsrunslN¡r.vsp
LzBNneTSARBEIT
,,Establishments" wird als ,,Unterdri.ickung" beschrieben. Inhaltlich geflillt wird der Begriff
,,Unterdrtickung" einerseits wiederum über den
im
Kontext psychischer Alctionsgewalt
sifuierten Begriff ,,Manipulation" sowie neu dem Begriff ,,Gesinnungsterror", der
als
,,Verketzerung" und ,,systematische Verhetzlmrg" ,,der unangenehmen Andersdenkenden"
umschrieben wird. Der,,Gesinnungsterror" als integrales Element des ,,Zustands repressiver
ToleÍaî2" kommt einem Bruch mit dem ,,demokratischen Pnnzip" gleich und wird nicht nur
auf die Situation in Deutschland und Frankreich, sondern auch in der Schweiz tiberfagen.3so
Im Hinblick auf die Verhåilfrrisse in der Schweiz wird der ,,Gesinnunsterror" gar als ,,primåire
Gewaltanwendung" bezeichnet und
mit einer in Analogie zum Ende der Weimarer Zeit
konstruierten ,,präfaschistischen Gesinnung" in Verbindung gebracht.3sl Andererseits enthält
der Begriff,,Unterdrückung" über die beiden Begriffe ,,Terror" und ,,Repression" auch die
Bedeutungskomponente der physischen Aktionsgewalt.
Die ,,Herrschaff' des ,,Establishments" wird im Rahmen der poliçDimension wie bereits im
Jafu 1967 über die Konstruktion der (psychische und physische) Aktionsgewalt ausübenden,
gegen das demokratische P.rnzip verstossenden Praxis (Unterdrtickung, Manipulation,
Gesinnunsterror, gewaltsamer
Terror und Repression) moralisch diskreditiert
und
delegitimiert. Zlsätzlich entwickelt sich innerhalb der politisch-ideologischen Dimension eine
über das ideologische Feindbild ,,Faschismus" konstruierte Diffamierungsstrategie, die
moralisch gleichsam automatisch delegitimierend wirkt (vgl. auch Feindbild
,,Kommunismus").
Aufgrund dieser Delegitimierirng der Herrschaftspraktiken des ,,Establishments" werden
Forderungen
im Hinblick auf die Ziele und Formen des oppositionellen Protests in
Schweiz aufgestellt. Sie beziehen sich
-
der
wie im Jahr 1967 - auf die ,,Entlarvung" der
,,verborgenen Machtstrukfuren" mittels der Methode der ,,Aufldärung". Nachdem Ende 1967
unter der Methode der Aufldåirung Diskussionen und ,,direkte Aktionen" subsumiert wurden,
die im Zusammenhang mit dem Gegenstand Gewalt noch keine klare Ausdifferenzierung
erfuhren, wird die physische Gewalt im Zusammenhang mit den direkten Aktionen nunmehr
explizit erw¿ihnt. Mit dem Verweis auf das Fehlen einer revolutionåiren Situation in der
,,D"t öffentliche Dienst", 1.5.1968 (mit Beitragen von FSZ-Mitgliedern).
,Zän"h". Student", Nr. 2 Mai 1968; ,Zeitdienst", 10.5.1968.
"o
381
,,Zircher Student", Nr. 2 Mai 1968; Erklåirung der FSZ nr geplanten Veranstaltung über,,Hochschule und
"'
Gesellschaft", abgedruckt
n: NZZ, 14.4.1968.
98
DnTURSRNALYSE
LzrNlersARBEIT
Schweiz wird vorerst festgehalten, dass Aktionen wie in Deutschland eine Gefahr für den
Protest darstellen, da sie
zu Amoklâufen als Klimax ,,blinder", das heisst sinn-
und
vemunftentbehrender Handlungen führen könnten:
,,In den reichen Industrienationen besteht keine revolutionåire Situation. Blinde Aktionen köruren - man hat das
in Berlin gesehen - zu einem Amoklauf füh¡en, wrd einen grösseren Gefallen könnten wir den Mächtigen gar
nicht tun. Es karur also nw darum gehen, dwch eine verstärkte Aufl<låinurg die verborg^e^nen Machtstrukflren
bewusst zu machen, die immer noch bestehende Herrschaft und Ausbeutung zu entlarven.'ó82
Anschliessend wird die physische Gewalt als Mittel des Protestes
in einem demokratisch
verfassten Rechtsstaat wie der Schweiz abgelehnt. Nach demselben Strukturierungsmuster wie
bei der Subjektposition ,,Establishment" wird hier das Gewalttabu in der Demokratie kreiert:
,,In einem Land wie dem rursrigen t...], in dem jedennann seine politische Ansicht vertreten darf t.'.], wrd in
welchem es jedem Bürger freisteht, die Bevölkerung ,,aufruklä¡en', ohne dass er darauflrin von der Regierung
lileg zu beschreiten. Ich glaube,
strafrechtlich verfolgt wird, [ist es] nicht erlaubg den illegitimen, gewalttätigen
erreic6l 1,ve¡dea tç'nn''á83
was
mit
Gewaltlõsigkeit
dass es Martin Luther King dìch g"l,rog"o ist, zu beweisen,
6.4.2 Zweites Jimi Hendrix-,,MonsterkonzeÍt" vom 31. Mai 1968
Das Ereignis: Nach dem zweiten Jimi Hendrix-Konzert vom 31. Mai 1968 im Zürcher Hallenstadion
mit rund 8000 Konzertbesucherinnen und -besuchern kommt es bei der Räumung des Stadions und
vor dem Stadion zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Stadtpolizei Zürich und einigen
Konzertteilnehmerlnnen. Ohne Vorwarnung schlägt die Stadtpolizei bei der Räumung des Areals
Konzertbesucher und anwesende Journalisten mit Gummiknüppeln. Einige Besucher werden von
Polizeihunden gebissen. Die Konzertbesucher, die im, und nach der Räumung auch vor dem Stadion
Feuer entfacht haben, werfen Steine, Bierflaschen, Baumaterial unter anderem gegen die Stadtpolizei.
Die Auseinandersetzungen verlagern sich später zur EPA Oerlikon, zum Albert-Näf-Platz, zur
Schaffhauserstrasse/Allenmoosstrasse und schliesslich zum Bahnhofplatz, wo auch die Feuerwehr
zum Einsatz kommt.3e
Die Aussagen des Diskurses finden sich im Rahmen von Ausserungen, die sich auf die Forrn
der Auseinanderseøungen zwischen der Polizei und den Konzertbesucherlnnen beziehen. Für
die
Feldorganisation
Demonstrationen
in
der
wird wie bereits im Zusammenhang mit den
und in Frankreich die polity-Dimension, die politisch-
Aussagen
Deutschland
ideologische und die inidividual-ethische Dimension definiert.
,,Der öffentliche Dienst", 1.5.1968 (mit Beitragen von FSZ-Mitgliedern).
öffentliche Dienst", 1.5.1968 (mit Beitragen von FSZ-Mitgliedern).
,,D"t
"'
3*
Zam Einsatz beim Jimi Hendrix-Konzert kommandierte die Stadçolizei Zitrtch ca. 200 Mann der
Uniformpolizei (darunter auch Hundefüûrer) und ca. 40 der Zivilmarrrtschaft ab. Stadt AZ, II, Akten zum
Siøungsprotokoll des Stadtrates vom 21.11.1968: ,,Pop-Konzerte im Hallenstadion vom 30. und 31. Mai 1968":
Zusammenfassender Bericht von Polizeiinspektor Dr. G. Fuchs, 19.6.1968; Ebd., Bericht von Oberrichter Dr. H.
Gut zur überprufung der,,Vorfälle anlässlich des Pop-Konzertes vom 31. Mai 1968", 4.9.1968.
382
99
DrsrunsaNALYSE
LzpNuersARBEIT
In den an die Subjektposition ..Establishment" geknUpften Aussagen wird der Einsatz von
Polizeiknüppeln durch die Polizei nach dem Jimi Hendrix-Konzert explizit als ,,Gewalt"
bezeichnet. Diese ,,Gewaltanwendung"
wird moderat negativ
bewertet, indem die
Notwendigkeit der Härte und der Ausgiebigkeit des Zuschlagens in Zweifel gezogen wird.385
Dennoch dient die Negativbeurteilung nicht der Delegitimierung der Praxis: Als ,,primlire
IJrsache" der Vorftille
vor dem Hallenstadion wird nicht ,,dÍts mehr oder
weniger
zweckmässige Verhalten der Polizei", sondern die,,Freude am Randalieren" und der,,Hang
ztlm Vandalismus" der ,,Jugendlichen" bezeichnet, deren Verhalten auch durch eine
zunehmende ,,Neigung zur Gewalttätigkeif' charakterisiert wird. Die ,,Gewalf' der Polizei
erscheint gegentiber dieser primären Gewalttätigkeit als Reaktion, die vertretbar und im Falle
von Verstössen gegen und Provokationen der ,,Ordnung" im ,,demokratischen Staat" nicht in
Zw eifel gezo geî werden darf:
ist [...] nicht Aufgabe der Polizei, Zusammenstösse, zu denen sie oflensichtlich provoziert wird, um jeden
Preis zu vermeiden. Sie hat den Auffrag, im Interesse der Öffentlicbkeit die Ordmrng aufrechtzuerhalten und
Verstösse dagegen zu verhindern, nötigenfalls unter Anwendung von Gewalt. Zweifel da¡an aufl<ommen zu
lassen, dass sie willens r¡nd auch in der Lage ist, diesen Aufirag unter Kontrolle der vorgesetzten Behörden zu
,,Es
erfüllen, wäre verfehlt.'óe
Im Hinblick auf die diskursiven Strategien rund um den Gegenstand Gewalt wird die
Gewalttätigkeit der Jugendlichen im Rahmen der individual-ethischen Dimension mit den
mentalen Konstrukten ,,Ijraîgf'und ,,lrleigung" zur Gewalttätigkeit
in
den Kontext einer
psychisch anormalen Verhaltensdisposition gertickf und moralisch delegitimiert. Diese
diskursive Strategie kann als weitere Komponente der bereits
in
Benrg auf
die
Studentenunruhen im Ausland entwickelten Degenerationsstrategie interpretiert werden. Die
Gewalttatigkeit wird überdies im Rahmen der polity-Dimension delegitimiert, da sie sich
gegen die ,,demokratische Ordnung" richtet und damit das Gewalttabu
in der Demokratie
verletzt. Als Resultat dieser Strategien wird die ,,Gewalt" der Polizei gleichsam automatisch
legitimiert:
Insgesamt hat das Vorgehen der Polizei zu einer Reihe von polizeikritischen Anmerkungen in der
Presseberichterstattung über die Vorfrille beim Hallenstadion geführt. Der Stadtrat beschloss in der
Stadtratssiøung vom 13.6.1968, die VorQille durch eine in der Perspektive des Stadtrates,¡eutralen Person"
genau abklären zu lassen. Dr. H. Gut, Präsident des Schwurgerichtes, führte die Administrativuntersuchung durch
und legfe seinen Bericht am 4.9.1968 vor. Aufgrund des Berichtes von Dr. H. Gut verfügte der Stadtrat Ende
November 1968 eine Disziplinaruntersuchrmg gegen,,fetrlbare" Polizeibeamte, die von Oberrichter Dr. R. Levi
durchgeführt wurde. Stadt AZ, V.B.a.13, Stadtat vonZünch, Sitzungsprotokoll vom 29.11.1968.
385
3ru
N7z,5.6.196g.
100
DnrunsaNer-vsp
LzeNu¡.TSARBEIT
,,Wegleitend muss
[...] die Einsicht sein, dass der freiheitlich-demokratische Staat jede Art von geistiger
Auseinandersetzung, nicht aber die Gewalttätigkeit zulässt r¡nd dass er sich deshalb auf die Polizei verlassen
können muss, um die Respektierung dieser Grenze nötigenfalls zuermÅngen.'387
In den von der Diskursgemeinschaft
..Junge Linke" geprägten Aussagen åindert sich die
Strukturierung des Kompetenzbegriffes
im
Vergleich zum vorhergehenden diskursiven
Ereignis nicht: Die ,,Gewalt des Establishments" und des ,,Systems" wird durch die Begriffe
,,Herrschaff'und,,Macht" substituiert. Im Gegensatz dazu wird
das semantische Zentrum des
Aktionsbegriffes der Gewalt völlig neu strukturiert: Das System
übt
einerseits die
,,mittelbare", ,,repressive" oder ,,verwaltete Gewalt" aus. Die drei Gewaltbegriffe werden
synonym verwendet und mit den Praktiken der,Bsychischen Verkrtippelung, Versttimmelung,
und Vergewaltigung" ausdifferenziert. Als weiterer Stellvertreter der
,,mittelbaren", ,,repres-siven" oder ,Jerwalteten' Gewalt taucht neu der Begfiff der
Unterdrückung
,,repressiven Manipulation" auf (psy-chische Aktionsgewalt). Andererseits praktiziert die
,,Herrschaft des Establishments" eine ,,unmittslbare", ,,materielle, tätliche Gewalt" (physische
Aktionsgewalt), die von der Polizei
wird.388
-
den ,,uniformierten Sadisten'
-
als Urheber verübt
Die ,,Gewalt" der Polizei wird als ,,Terrorakt" einer ,,faschistoid gesinnten Nazi-
Polizel" bezeichnet.3se Opfer und damit Objekte der ,,materiellen Gewalf' des
,,lebensfeindlichen Systems" ist die ,,lebenshungige, in den Käfigen autoritåirer Strukturen
gefangen gehaltene, unbefriedigte Jugend."3e0
Referentialisiert man den Kompetenz- und den Aktionsbegriff der Gewalt mit einer nichtverbalen Aussage, so können die
il
Bedeutungsnuancen der
prononcierter
B
egriffe
herausgearbeitet
werden: Auf einem Flugblatt mit
aa
dem Titel,,Hunde
wollt ihr ewig
beissen??", das nach den Vorfüllen beim Monsterkonzert ztt einer Protestdemonstration
aufruft, erscheinen Zeichnungen von uniformierten, physiognomisch stereotypisierten
Polizisten, die
mit
erhobenen Polizeiknüppeln und
mit Hunden gegen deutlich kleiner
dargestellte Menschen vorgehen.3el Daneben erscheint auch ein überdimensionierter Stiefel,
dessen Absatz auf eine wiederum sehr
viel kleiner dargestellte, auf dem Bauch liegende und
"'NZZ,s.6.1968.
3t8,¿eitdie.rs
t',
I
4.6. 1968.
"n StB, Ar.lo5/02,Flugblatt,,Aufruf
'no,¿eitdiettsf', 14.6.1968.
an den Gemeinderat", Juni 1968.
'nt In Bildüberschriften werden die dargestellten Handlungen als ,,schlagen" und ,¡erprügeln" spezifiziert.
101
Dtsruns,q,NeLvs¡
LzpNnRTSARBEIT
mit den Armen den Kopf schützende Frau
gerichtet ist und eine mit Pfeilen angedeutete
sich
,/¡it
1í"
Bewegung nach unten auszuführen scheint. Der
Stiefel als Symbol des ,,lebenfeindlichen
Systems", durch die im Titel des Flugblattes
+
angedeuteten Hakenkreuze
zudem
nationalsozialistisch/faschistisch konnotiert, übt in
der bildlichen Darstellung den Klimax
---Ê
,,unmittelbaren Gewalf' aus
-
physische Aktionsgewalt
-
der
und vernichtet den Gegner
Ouellenausschnitte: StB, Ar.105.02, Flugblatt ,,Hunde wollt ihr ewig beissen??*, Juni 1968.
Átnlictr wie bereits im Zusammenhang mit den Vorgängen in Deutschland und Frankreich
wird die ,,Gewalf' des Establishments und des Systems im Rahmen der polity-Dimension
über die Konstruktion illegitimer Herrschaftstechniken, das heisst einer mittelbare (repressive
Manipulation) und unmittelbare Gewalt ausübenden Praxis diskreditiert und insbesondere
durch den Vergleich mit nationalsozialistischen/faschistischen Herrschaftsinstrumenten (der
,Nazi-Polizei") moralisch delegitimiert. Der Verstoss gegen ein explizit ,,demokratisch"
tituliertes prinzip wird als Delegimierungsstrategie nicht entwickelt. Dagegen entwickelt sich
innerhalb des politisch-ideologischen Orientierungsrahmens eine ausgepråigte, über
das
ideologische Entwertungsetikett ,,Faschismus" kreierte diskursive Feindbildstrategie, welche
die moralische Delegitimierung der Praxis gewissennassen automatisiert. Gleichzeitig werden
die Urheber der Gewaltt¿itigkeit, die angeblich Lust an Grausamkeiten empfindenden
polizisten, im individual-ethischen Orientierungsrahmen als psychisch Anonnale
pathologisiert und ins moralische Abseits manövriert.
Fär den oppositionellen Protest in der Schweiz entwickeln sich auf der Basis dieser
Delegitimierung der Herrschaftstechniken des ,,Systems" neue Strategien zur Legitimierung
der eigenen Mittel und Methoden. Erstnals tauchen
in der Diskursgemeinschaft
,,Junge
Linke" dabei die Begritre ,,Provokation" und ,,Gegengewalt" auf; diese beiden Begriffe
werden in das Umfeld der bereits Ende 1967 erwåihnten und anl¿isslich der Beurteilung der
internationalen Studentenunruhen wiederum rezipierten ,,direkten Aktionen" als Mittel der
Zielen
,,4ufl<låirung" gestellt.3e2 lm Gegensatz zu den Ende 1967 formulierten Formen und
ttt Vgl.
dazu die Abschnitte 6.3.3 und 6.4.1
102
LzsNrArsARBErr
müssen
die
DrsrunsRNALYSE
Aufldtirungsaktionen nunmehr
durchgeführt und
mit
mit ,,radikaldemokratischen
Sensationscharakter ausgestattet werden. Das
Methoden"
Ziel einer ,,direkten
Aktion" liegt im Vergleich zur Ende 1967 formulierten Zielsetzung nicht nur in der Einsicht
in die Mechanismen der Herrschaft,
sondern auch
in
einer befristeten, symbolischen
Veråinderung der Herrschaft sstrukturen:
,,[Bei den direkten Aktionen] wird durch Anwendung radikaldemokratischer Methoden (GoJn, Sit-I4
Demonstrationen, Kundgebungen usw.) versucht, befüstete, symbolische Veränderungen der aktuellen Strukturen
zu erreichen, um die Möglichkeit ihrer Veränderung einem grösseren Personenkreis sinnlich erfassbar zu
machen."3e3
Im
Zusammenhang
mit den radikaldemokratischen
Methoden
wird auf die
,,gezielten
Provokationen" verwiesen, welche die ,,verfassungsm¿issig bestehenderl aber faktisch nicht
mehr ausgeübten demokratischen Rechte [...] mit neuem Inhalt [...] füllen und so die
Demokratisierung der gesamten Gesellschaft vorantreiben" sollen.3ea
FüLr
die Diskussion und
Demokratie auf der Strasse wird das,,Stören von Ruhe und Ordnung" dabei als ein Mittel der
Provokation genannt, das man bewusst erstrebt:
,,Die Störung soll unter Umständen gross sein, aber nicht so, dass sie die Bevölkerung ?irgert. Sie soll aber so
gross sein, dass man sieht, dass sich Diskussion und Umwandlung der Gesellschaft mu in einem Zustand einer
gewissen Unordnung abspielen können. Die etablierte Ordnung
Íerlangen nach Ruhã und Ordntng dazu missbraucht wird, die gese
das
41es
Weitere Ausdifferenzierungen zum Begriff finden sich über Verkntipfungen mit dem Begriff
,,Gegengewalt", woraus allerdings ein Zirkelschluss resultiert, der die ,,Gegengewalt" mit den
,,direkten Aktionen" und der,,Provokation" gleichzusetzen scheint:
,,Punktuelle, unmittelba¡e, überall dort eingesetzte Gegengewalt, wo sich die unterdräckende Gewalt unter dem
Gefühl der Provokation zum offenen Ausbruch verleiten liess, scheint allein noch frihig, das Überrnass
an
mittelbarer Gewalt sichtbar zu machen, um den Kampf für eine Gesellschaft zu beginnen, in der die Gewalt nicht
mehr die notwendige Basis des sozialen Lebens sein muss.'a%
An dieser Stelle scheinen die Differenzen zwischen den drei Begriffen zu verschwimmen. Als
mögliche Stabilisierung dieses terrninologischen Flottierens kann der Versuch erachtet
werden,
die
,,Gegengewalt" durch weiterführende Pråizisierungen
Ausführungen
zn den Studentenunruhen in
,,Provokation" abztsetzen
Der Begriff
Rahmen von
und Frankreich von
der
wird dabei im Sinne
der
Deutschland
,,Gegengewalf'
im
Selbstverteidigung und Selbsthilfe strukturiert:
wollen die Fortschrittlichen? Stellungnahme von Thomas Held. Abgedrucktn:NZZ, 16.6.1968. Kursive
Hervorhebung durch die Autorin.
'n3 Was
tno
N22,16.6.1968.
ages- Anzeigef', 14.6.1968 (Beitrag FASS-Mitglied).
3e5,,T
3eu,,zeitdiensf', 4.6.I9 68.
I
103
DISTUnSRNALYSE
LzBNneTSARBEIT
,,Viele Kommentatoren [gehen davon aus], dass die Studenten in Berlin turd Paris als erste Gewalt anwendeten.
Entscheidung: Gewalt ja oder nein? jemals bei den Demonstranten gelegen hätte! Die
Gewaltanwendung unserer Freunde im Ausland kann nur als Gegengewalt begriffen werden; kein Mensch kann
von einer Minderheit verlangen, dass sie sich physisch vernichten lässt.''
Als ob die
,,Gegengewalt" als Vefeidigung im Sinne einer mit physischer Kraft vollzogenen Reahion
gegen die unmittelbare Gewalt des ,,Systems" wird damit legitimiert. Die noch bis zum
Monsterkonzert im Rahmen einer,,rein theoretischen Frage"3e* behandelte physische Gewalt
als genuines Mittel der Aufl<låirung wird dagegen weiterhin abgelehnt, wobei sie als eine den
Sinnen entbehfende (unbewusste) Handlung konstruiert wird (,,blinde Gewalt"):
,,Wir sind dafü,r, dass sich die Auseinandersetzù\g zielgerichtet und politisch bewusst abspielt. Wir schliessen
Gewalt nicht in jedem Sinne aus þemeint ist hier die Selbsthilfe, Anm. SBl, lehnen aber blinde Gewalt,
Zerstörung um jeden Preis und Angriffe auf ältere Leute ab. Als Endziel erstreben wir eine demok¡atische
Gesellschaft, in der Gewalt nicht mehr nötig ist.'¿e
6.4.3 Protestdemonstration und Besetzung des Globus-Gebäudes am 15.
Juni 1968
Das Aktivierungsereignis: Am 15. Juni 1968 organisieren die,,Fortschrittlichen Arbeiter, Schüler und
Studenten" (FASS) auf dem Hirschenplatz eine Protestkundgebung gegen die Stadtpolizei und deren
Verhalten anlässlich des Jimi Hendrix-Konzerts. Vor der Hauptwache der Stadtpolizei wird ein
Strassentheater veranstaltet, bei welchem ein
als Polizist verkleideter
Darsteller von einem
,,Volksgericht" des ,,sturen Kadavergehorsams" angeklagt, schliesslich aber doch freigesprochen wird.
Anschliessend wird ein Katalog verlesen, der unter anderem den Rücktritt der gesamten Polizeileitung,
die Kenntlichmachung der Polizeibeamten durch Nummern und Namensschilder, die
öffentliche
Untersuchung des Falles Meier 19 und ein freies Demonstrationsrechtfordert.
Am Abend des 15. Juni 1968 und am folgenden Tag diskutieren Teilnehmerder Kundgebung in dem
vom Stadtrat freigegebeneno@ Globus-Gebäude beim Hauptbahnhof über die Zürcher Polizei, die
Fragwürdigkeit von Konzepten wie ,,Ruhe und Ordnung", ,,demokratische Spielregeln" oder
,,Rechtsstaat" sowie über das Projekt eines autonomen Zürcher Jugendhauses. An den Stadtrat wird
eine Resolution mit folgendem Wortlaut gerichtet ,,Steht der Jugend am 1. Juli der Globus oder ein
ihm gleichwertiges Gebäude im Zentrum der Stadt nicht zur Verfügung, werden wir das Globus-Areal
beseÞen." Für eventuelle Kontakte mit dem Stadtrat wählen die Teilnehmer ein provisorisches
Aktionskomiteeaol.
Die Aussagen des Diskurses finden sich im Rahmen der Äusserungen des ,,Establishments"
zur Form der Protestdemonstration auf dem Hirschenplatz und den nachfolgenden Vorgängen
3n7
NT.7., 16.6.1969.
3es
N7.7.,16.6.1969.
ages-Alr:eiger", 14.6.1968 (Beitrag FASS-Mitglied).
ooo
Stadt AZ,Y.B.a.l3, Stadtrat von Zíii.ich, Sitzungsprotokoll vom 14.6.1968
3ee,J
104
DrsrunseNervse
LzgNIRTSARBEIT
im
Globus-Gebäude.
ideologische und
-
Für das Aussagenfeld wird die polity-Dimension, die
erstmals im Diskurs
- auch die Rechtsdimension
politisch-
definiert. In Bezug auf
die Diskursgemeinschaft ,,Junge Linke" lassen sich ftir die Protestdemonstration keine vom
vorhergehenden Ereignis abweichenden diskursiven Formationen des Gegenstandes Gewalt
ausmachen.
Wie bereits im Zusammenhang mit den Studentenunruhen im Ausland wird in den von der
Subjektposition ..Establishmenf' geprägten Aussagen dem Aktionsbegriff der Gewalt
besondere Aufinerksamkeit geschenkt. Die faktischen Handlungen der Veranstalter werden
allerdings nicht direkt als Gewalttätigkeit oder Gewalt bezeichnet, sondern über den im
Kontext physischer Aktionsgewalt situierten Begriff ,,Terror" beschrieben, der mit dem
Begriff ,,Provokation" substituiert wird und sich auf die als ,,Ultimatum"
bezeichnete
Resolution bezieht. Das ,,Ultimatum", das eine ,,Drohung mit Gewalt" enthåilt, entspricht einer
,,Provokation" und ,,Störung" der ,,demokratischen Ordnung und der Gesellschaff' und liegt
als ,,beschleunigte Notverordnung" ,,ausserhalb der demokratischen Prozedur". Für das
,,Ultimatum" wird auch das Sprachbild ,,Mine" verwendet. Der Begriff ,,Gewalf', welcher
eine bewusst herbeigeführte Eskalationsstufe der,,Provokation" darstellt, bezieht sich auf eine
,,angedrohte" und damit faktisch nicht eingetretende Handlung:
Gebäudes.
die ,,Besetzlttngi'des Globus-
Die Besetzung als physische Aktionsgewalt entspräche einem ,,rechtswidrigen
Tatbestand"402, einer verbotenen ,,Handlung gegen das Gesetz",
,,zerstören" wtirde
welche den Rechtsstaat
- die pråisumptive Aktion wird als ,,anarchische Gewalt" bezeichnet und
mit dem Sprachbild,,Explosion" umschrieben.
403
Die FASS als Urheberin der ,,Provokation" (das heisst des Ultimatums) und
der
vorwegnehmend prophezeiten Gewalt erscheinen als ,,Taktiker der Provokation", ,,MaoSchüler" und,,kommunistische Haupteinpauker", welche die ,,Anarchie im Sinn haben".404
Im Hinblick auf den
Gegenstand Gewalt werden åihnlich
wie bereits im Kontext der
Studentenunruhen im Ausland drei, teilweise ineinander verwebte diskursive Strategien der
Delegitimierung entwickelt,
die sich weniger auf die fàktischen
Tatbeståinde
als auf
vermeintliche Reaktionen des Gegners beziehen: Innerhalb des Orientierungsrahmens der
4l
oo'
ao3
Na
Das Aktionskomitee besteht aus 18 Personen, davon vier FASS-Mitglieder
Studt AZ,Y.B.a.l3, Stadtrat von Zürich, Sitzungsprotokoll vom 27 '6.1968
N7z., r7.6.1968.
NZZ, 17.6.t968.
105
DrsrunseNALYSE
LzENneTSARBEIT
polity-Dimension entspricht die angedrohte Besetzung des Globus-Gebäudes einer Zerstörung
der
demokratischen Ordnung, deren Gegenpol
das moralisch nicht
anerkannte
Ordnungskonstrukf ,,Anarchie" darstellt. Unterstützt wird diese auf das Gewalttabu
in
der
Demokratie rekurierende Strategie der Delegitimierung einerseits durch eine diskursive
im Orientierungsrahmen der Rechtsdimension: Die Besetzung wird explizit als
Handlung gegen das Gesetz bezeichnet und ist damit illegal. Andererseits werden die
Strategie
Auslöser des prlisumptiven Gewaltaktes
-
die ,,Takfiker der Provokation"
-
im politisch-
ideologischen Orientierungsrahmen durch das ideologische Feinbild ,,Kommunismus"
diffamiert. Die tatsächlichen und präsumptiven Handlungen werden damit moralisch und
rechtlich delegitimiert.
Diese Delegitimierungsstrategien implizieren eine vorwegnehmende Legitimierung
des
eigenen Handelns: Eine mit,,fester (wenn auch nicht unnötig heftig dreinschlagender) Hand"
ausgeführte Sicherung der öffentlichen Ordnung
Bedrohungsszenarios
wird mittels der Konstruktion
eines
für den demokratischen Rechtsstaat legitimiert, das gewissermassen
eine moralische Panik erzeûg|l.
,,Wenn man das [gemeint ist hier die Resolution" Anm. SB] durchgehen lässt, wenn das Schule macht, dann
wi¡ die Anarchie. [...] Unsere Demokratie würde zur Fa¡ce, wenn die Behörden dwch solche Methoden
sich in Galopp setzen und ihre Entscheidungen diktieren liessen. [...] Ma" möchte die öffentliche Ordnung mit
fester (wenn auch nicht mit unnOtþ heftig dreinschlagender) Hand gesichert wissen. Und man will auf keinen
Fall auf der schiefen Ebene falscher Nacþiebigkeit ,,französischen Zusttinden" entgegenschlittern, noch will man
sich insgesamt mit der Rolle eines hilflosen ,,ancien regime" abfinden und begnügen. [...] Es ist Zeit, die
Auseinandersetzxngvon der Strasse weg in ihre geordneten demokratischen Bahnen zu weisen [...] und es ist Zeit
für ein ,Bis hierher urd nicht weiter!" an die Adresse derer, die diese Ordnung erst stören und dann zerstören
haben
wollen.'ao5
6.4,4 Gross-Demonstration beim Globus am 29. Juni 1968 und GlobusKrawalle vom 29.6.-1.7.1 968
Das Aktivierungsereignis: Nachdem bekannt geworden ist, dass der Stadtrat das GlobusProvisorium am 14.6.1968, das heisst bereits vor der Protestdemonstration und der bewilligten
Benutzung des Gebäudes am 15.6.1968, an den Lebensmittelverein Zürich und die ETH vermietet
hatam, organisiert das Aktionskomitee
oos
oou
a07
am 29. Juni 1968 eine Grossdemonstration vor dem
Globus.aoT
N77.,17.6.1969.
Stadt AZ,V.B.a.13, Stadtrat von Zärich, Sitzungsprotokoll vom 14.6.1968.
Vgl.
Nach Plan des Aktionskomitees sollten sich die Jugendlichen vor dem Globus treffen, um anschliessend als
Antwort auf das Angebot des Stadtrates, das ,,Hofuiese"-Areal als Jugendtretrpunkt ar ilttzeî, vor dem
Kursthaus als symbolischer Akt ein Altersheim aus Brettern auÈurichten. Vor dem Stadthaus sollte schliesslich
eine Vollversammlung abgehalten werden, an welcher über das weitere Vorgehen diskutiert werden sollte. Eine
gewaltsame Besetzung des Globus-Gebäudes wurde vom Aktionskomitee dabei als nicht opportun erachtet. Vgl.
106
DISTURSRNALYSE
LzgNneTSARBEIT
Um 19.00 Uhr fordert die Polizei die ca. 2500 versammelten Personen über Lautsprecher auf, das
Gelände vor dem Globus zu verlassen. Kurze Zeit später setzt die Polizei Wasserwerfer gegen die
Demonstranten ein. Es kommt zu gewalttätigen Konfrontationen zwischen den Demonstranten und der
Polizei, die sieben bis acht Stunden andauern und sich auf das Limmatquai, den Bellevueplatz und das
Gelände vor dem Globus-Areal erstrecken. Arretierte werden von der Polizei im Keller des GlobusGebäudes geschlagen und einigen werden
die Haare abgeschnitten. Auch auf der
Hauptwache
werden Arretierte von der Polizei geschlagen.oot Otfizielle Bilanz der Auseinandersetzungen in der
Nacht des 30. Juni 1968: mehr als vierzig Verletzte und 169 Verhaftungen. Am Abend des 30. Juni
1968 setzen sich die Kämpfe fort; 37 Personen werden verhaftet, 17 Personen verletzt. lnsgesamt
werden bei den ,,Globus-Krawallen" 208 Personen festgenommen und über 60 Personen verletzt. Der
Stadtrat verfügt mit Wirkung auf den 2. Juli 1968 ein Demonstrationsverbot.aoe
Die im Hinblick auf die Vorgåinge vom
29.6.-1.7.1968 geprägten Aussagen der
Diskursgemeinschaften stellen gewissermassen
den Zenit des bisher
Gewaltdiskurses dat: Der Gegenstand Gewalt erscheint ersmals
in allen vier
analysierten
Dimensionen
des Aussagenfeldes (vgl. Seite 76). Die Strukturierung des Gewaltbegriffes sowie die
Entwicklung der diskursiven Strategien der (De)Legitimierung erfahren dadurch eine
spektrale Erweiterung.
Die von der Diskursgemeinschaft ..Junge Linke" geprägten Aussagen im Rahmen ihrer
Äusserungen zu den gewalttâtigen Konfrontationen zwischen Polizei und Demonsffanten und
dem Demonstrationsverbot definieren für den Gegenstand Gewalt die polity-Dimension und
erstmals auch die Rechtsdimension.
Im
semantischen Zentûm des Kompetenzbegriffes
tauchen wiederum die beiden Begriffe ,,Macht" und ,,Herrschaff' auf, die sich auf das
,,autorit?ire System" und den ,,Staat"
in Form der Polizei bezieht. Die
dem ,,autoritåiren
System" pennanent immanente ,,Gewalf'wird durch die im Kontext sowohl psychischer als
Strategie- und Organisationsproblematik der Jungen Linken unter
ñ.1 (1969):Müller/Lotmar, Bunker, 12.
H. Gut an den Stadtrat bezüglich ,der
Vgl. auch Stadt
Untersuchtrng der Vorwürfe an die Stadçolizei im Zusammenhang mit der Verhaftung von Unruhestiftern
anlässlich der Vorfrille vor dem Globusprovisorium und der Hauptwache in der Nacht vom 29. Auf den 30' Juni
und auf den 1. Juli 1968", 15.11.1968. Oberrichter Gut vermerkte in diesem Bericht, dass man,,auf Grund der
dazu SA, 4r.201.35, Manuskript
,/vr
besonderer Berücksichtigung der FSZ", Januar 1969,9-I3;,uA.gitation",
oot
AZ, Y.B.c.l1:39, Bericht von Oberrichter Dr.
Angaben der Arrestanten, auch wenn sie emotionell bedingt manchmal als etwas übertrieben betrachtet werden
müssen, und derjenigen der Zeugen [...] davon ausgehen [muss], dass in vielen Fällen seitens der Polizei auch
noch im Innern des Globus und der Hauptwache geschlagen wurde. Einige besonders schwerwiegende Fälle sind
durch ärzliche Zeugnisse über Misshandlungsspwen belegt worden" (Ebd., 2l). Vgl. dazu auch SA, KS 33514Ia,
Dokumentation I. Berichte und Aussagen von Augenzeugen über die Ausschreitungen vom 29.130. Juni 1968 in
Ztnch,hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft ,Zwcher Manifest", September 1968'
oon
Studt AZ,Y.B.c.ll:39, ebd., 2; Schmid, Demokratie, 198 ff. Das Demonstrationsverbot hatte den Wortlaut:
,,Jede Ansammlung demonstrativen Charakters ohne ausdräckliche Bewilligung des Stadtrates
öffentlichem Grund und in öffentlichen Anlagen der Stadt Ztirich bis auf weiteres verboten."
r07
ist
auf
DIsrunS¡NALYSE
Lz¡NnarsARBEIT
auch physischer Aktionsgewalt situierten Begriffe ,,Manipulation" und ,,Repression"
substituiert.aro Der physischen Gewalt
wird durch die inhaltlich breite Ausdifferenzierung
des
Begriffes ,,Repression" besondere Aufinerksamkeit geschenkt: Die Repression äussert sich in
,,systematischen Prtigeleien", ,,Folter" und ,,Misshandlungen"
Wasserwerfern)
-
(mit Gummiknüppeln und
physische Gewaltakte, die von der Polizei verübt und als ,,grâtlsâlll"
bewertet werden.art Überdies wird die ,,Gewalt" des autoritären Systems auch mit Praktiken
wie Verboten
(Demonstrationsverbot) und Repressalien aller Artat2 verknüpft.
Die
als
,,gesetzeswidrig" bezeichneten und die ,,Grundsäulen der Demokratie" unterhöhlenden
Herrschaftstechniken erinnern an die ,,Greuelnachrichten" aus dem Dritten Reich und werden
in ihrer Gesamtheit als,,Neofaschismus" gekennzeichnet.al3
Die diskursiven Strategien der Delegitimierung entwickeln sich in Beztg auf den Gegenstand
Gewalt über die Konstruktion moralisch nicht anerkannter Herrschafutechniken im Rahmen
der polity-Dimension: Die psychische und vor allem physische Gewalt integrierenden
Herrschaftpraktiken des ,,autoritären Systems" verstossen gegen die ,,Grundsäulen der
Demokratie" und werden
in die N¿ihe faschistisch-totalitärer
damit moralisch diskreditiert.
Ln
Machtausübung gerückt und
rechtlichen Orientierungsrahmen erscheinen die
Herrschaftspraktiken als gesetzeswidrig und werden daher auch rechtlich delegitimiert. Das
eigene Verhalten erscheint aufgrund dieser Delegitimierungsstrategien
als
legitime
,,Gegengewalt" im Sinne einer aktuellen Notwehr gegen die Gewalt des Systems:
,,Wichtig ist es, festzuhalten, dass diese Bewegung der Jugend absolut bereit isg hart fi¡¡ ih¡e Ziele zu kämpfen,
d.h. dass sie bereit ist, überall dort, wo ihr das autorilåre, seine ihm nicht mehr zustehenden Privilegien
verteidigende System mit seiner ihm permanent immanenten Gewalt, d.h. dwch Verbote, Polizei und
Repressalien aller Art, entgegentritt, zur legitimen Gegengeu,ah, der Selbsnerrcidigung, zu greifen.
Pflastersteine und brennende Autos sind zwar keine Argumente, aber Gummikniþpel, Wasserwerfer, Tränengas
und Gefüngnisse auch nicht, und letztere treten immer vorher in Aktion. Auch Barrikaden dienen lediglich der
Selbsperteidigung. In diesem Sinne müssen auch die Ereigrisse in Zürich vom29.130. Juni 1968 [...] verstanden
t
weroen.
*414
Auf der Basis der diskursiven Sfiategien der Delegitimierung entwickeln sich nach
einer
gewissen Karenzzeit Forderungen bezüglich der einzusetzenden Mittel und Methoden des
zuktinftigen ausserparl¿rmentarischen Protestes. Die Forderungen finden sich im Rahmen von
aro
Insgesamt wird diese Herrschaftspraxis als ,¡epressive Toleranz" charakterisiert. ,,Zeitdienst",12.7.1968.
Die Misshandlungen und Prügeleien werden insbesondere auf die im Keller des Globus-Gebäudes und auf der
Hauptwache von der StadÞolizei verübten Gewaltakte bezogen. ,/eitdierst", 5.7.19681' 12.7.1968; Resolution
olt
der Bewegung für ein autonomes Jugendzentrunr, (gefasst anlässlich der zweiten Vollversammlung vom
13.7
.1968), abgedruckt in:,,Vorwärts*, 18.7 .1968.
ot'Uot"r die Repressalien werden die Suspendierung von Thomas Held als Hilfslehrer an einem Gymnasium, die
Relegation von Studenten und Schülern und die Ausweisung von Ausl¿indern subsumiert, die sich an der
Grossdemonstration vor dem Globus beteiligt haben.
413
,Zeitdiensf',
I2.7 .1968.
108
LzrNnersARBErr
DrsruRsRNer.vss
AusserungenziJr Organisations- und Strategieproblematik innerhalb der,,Jungen Linken", wie
sie Ende l9o8 und zu Beginn des Jahres 1969 formuliert werden."t Die noch im Mai 1968
unter ,,radikaldemokratischen Methoden der Aufl<lärung" firmierenden ,,direkten Aktionen"
und ,,gezielten Provokationen" weichen nunmehr der ,,Politik der gezielten Provokation" als
Methode einer ,,revolutionären Praxis". Die ,,Politik der gezielten Provokationen" soll die
,,Repression" und,,Manipulation" des kapitalistischen Herrschaftssystems enthüllen und zur
Aufldärung und Erzeugung revolutionären Bewusstseins
beitragen.at6
Die ,,Provokationen" werden dabei als
- der Politisierung
der ,,Massen"
,,exemplarische Angriffe
auf
-
die
Institutionen" beschrieben, welche ,,die Gesellschaft, das heisst ihre jeweils spezifischen
Vertreter, zu einem offensichtlich antidemokratischen ,,Fehlverhalten" veranlassen [sollen],
wodurch sich das wahre Gesicht des Kapitalismus enthullt und sich
in der Folge durch
praktische Demonstration desselben das antikapitalistische Lager vergrössern wird".4r7
,,Direkte Konfrontationen" mit der ,,organisierten Macht in Form von Polizei und Justiz'4l8
werden
bei den
,,direkten Aktionen'
mit dem Verweis auf die
geftihrliche
,,Revolutionsromantik" allerdings abgelehnt, da diese die Gefahr der Verwechslung von
,,Symbol und Macht" in sich berge:
,,Vor allem die Revolutionsromantik birgt die Gefalr einer Verwechshurg von Symbol rurd Macht in sich. Die
Besetzung eines Gebäudes z.B. kann unter gegenwärtigen Umständen immer nur s¡rmbolische Bedeutung haben
und keinesfalls einer effektiven Machtübernahme entsprechen.'Ale
Um den ,,sinnlosen Machtktimpfen' vora¡beugen, müssen den ,,direkten Aktionen" deshalb
Analysen und kritische Reflexionen, das heisst vor allem langfristige theoretische Planungen
vorausgehen.a2o
Als langfristige Strategie sollen die Aktionen schliesslich den Widerstand der
ata,Teitdienst'',
12.7 .1968. Kursive Hervorhebung durch die Autorin.
Organisations- und Strategiefragen erlebten in den verschiedenen Gruppierungen der,,Jungen Linken" Ende
1968 und in der ersten Hälfte des Jahres 1969 eine eigentliche Konjunktur. Vergleiche dazu auch Abschnitt
5.5.1.3.
416
Als potentielle revolutionäre Subjekte werden dabei Jugendliche, Studenten, aber vor allem die ,,Massen der
Lohnabhåingigen" - Arbeiter und Angestellte - erachtet: ,J.angfristig gesehen, muss dabei der Protest in die
relevantesten Teile der Bevölkerung hineingetragen werden, d.h. er darf sich nicht nw auf Randgruppen
al5
beschränken. Nur eine solche Entwicklung ermöglicht einen Erfolg revolutionärer Politik". SA, 4r.201.35,
Manuskript,,Zur Strategie- und Organisationsproblematik der Zitrcber Linken unter besonderer Berücksichtigrurg
der FSZ", Januar 1969,1,6,16.
ot7
SA, Ar.201.35, ebd., 16. An dieser Stelle wäre es besonders interessant, mögliche Verknüpfungspunkte zu
Argumentationsmustern RAF-naher terroristischer Gruppierungen, die sich ab l97l n Znnch konstiutieren
(beispielsweise der Gruppe Båindlistrasse, vgl. þúrn 27), zu ermitteln.
ott
sA, Ar.201.35, ebd, 25.
ot'
sA, Ar.201.35, ebd., 25.
'20 Dieses ,,Primat der Theorie" wurde im Rahmen der Überlegungen zw Theorie-Praxis-Beziehung entwickelt:
,,A,lso: was tun? [...] Wie im Modell die Zukunft vorwegnehmen und in der Gegenwa¡t effizient sein? Es ist die
Frage nach der Theorie-Praxis-Beziehung, die sich stellt. Und von diesen beiden unzertennlichen ist es anr Zeit
die Theorie, der die Prioritet zukommt. Die gesamte JL [Junge Linke, Anm. SB] innerhalb ihrer bestehenden
Organisationen muss ihr revolutionares Ziel neu definieren, die erlebte Praxis in Beziehung zur neuformulierten
109
DrsruRseNALYSE
LzeNuarsARBEIT
,,Jungen Linken"
in eine ,,organisierte Gegengewalt" verwandeln.azr Der Begriff
,,Gegengewalt" wfud damit doppelt strukturiert: im Zusammenhang mit Reaktionen auf die
unmittelbare ,,Gewalt des Systems"
im
Sinne der aktuellen, eigene physische Gewalt
einschliessenden Notwehr, und im Zusammenhang mit den eigenen Organisationsformen im
S
inne von Verfügungsmacht.
Die von der Diskursgemeinschaft ..Establishmenf' geprägten Aussagen beziehen sich auf die
Form der Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den Teitnehmerlnnen der
Grossdemonstration vor dem Globus. Im semantischen Zentrum des nur selten strukturierten
Kompetenzbegriffes erscheint der Begriff ,,Herrschaft", der sich auf den ,,Pöbel auf Zürichs
Strassen" bezieht.
Die
Herrschaffspraktiken werden als ,,Gewalf' und ,,Gewa1ttätigkeif'
bezeichnet, wobei das semantische Zentrum des Aktionsbegriffes der Gewalt neu strukturiert
wird: ,,Gewalttätigkeit" im Sinne eines physischen Gewaltaktes wird erstmals mit dem Begriff
,,Provokation" gleichgesetzt:
,,Es war tmd es ist offenkundig, dass die bewegende Ursache der Zürcher ,,Explosion' in Theorien und
taktischen Konzepten lag, die ,,Provokation', also Gewalt, als erlaubtes Mittel der Minderheiten gelten lassen
und propagieren."4z2
,,Oie fafctlt der Provokation ist die Taktik der Gewalttätigkeit; [...]."423
Die Gewalttätigkeit und die Provokation (auch: systematische Provokation) ist dem Begriff
,,Ordnung" entgegengesetzt; sie zerstört die ,,öffentliche Ordnung" des demokratischen
Rechtsstaates, ignoriert die ,,demokratischen Spielregeln" und
Füssen".
tritt das ,,Gesetz" ,¡nit
Die Gewalttätigkeit und die Provokation wird mit vielftiltiger¡ im
den
Kontext
physischer Aktionsgewalt situierten Begriffen inhaltlich gefüllt Die Handlungen werden als
,/erstörung" und ,,Terror" bezeichnet und mit ,¡andalieren", ,,pöbeln", ,,beschiessen" und
,,schleudern" (mit Steinen, Latten, Kisten, Pflastersteinen, Schaufeln, Pickeln), kurz: den
,Jerroristischen
Mitteln" weiter ausdifferenziert. Als
Sprachbild
wird
in
diesem
Zusammenhang auch der Begriff,,Explosion" verwendet. Das Vorgehen wird als ,,vulgär",
,¡iedrig",
,,degeneriert", ,,verwildert", ,,krimine11", ,¡erbrecherisch", ,,i11ega1" und
Strategie beu¡teilen und daraus die brauchbare Taktik entwickeln". SA, 4r.26.40.4, Manuskript ,,Zum Verhaltnis
der ,Antiautoritären Jungen Sektion derPIAZ'zur PdA, unter Hervorhebung der Rolle der AJS im FASS und in
der Bewegung der Neuen Linken", Januar 1969,3.
o2r
sA, Ar.26.40.4,Ebd.,
422
NZZ r4.7.1968.
023
N22,2.7.1968.
6.
lr0
LzTNnRTSARBEIT
DTSTURSRNALYSE
,,ungesetzlich" gewertet und
ist damit eindeutig negativ
konnotiert.oto Überdies
wird
das
auf den Strassen wie bereits im Zusammenhang mit den
Studentenunruhen im Ausland auch mit Krankheiten und devianten psychischen
gewalttatige Handeln
Verhaltensdispositionen assoziiert;
es mutet wie eine
,,Seuche",
die
,,Tollwut"
(Wohlstandstollwut) oder ein ,,fJngeist" an und erinnert an die ,,vandalische Barbarei" und
als deren Höhepunkt
-
-
das ,,Saubanner [sic]-Treiben".a2s
Urheber der Gewalttatigkeit und der Provokation
ist
einerseits,
wie bereits bei
den
vorhergehenden Aktivierungsereignissen, die ,,zahlenmåissig kleine" Gruppe der,,Taktiker der
Provokation', die nun auch als ,,Apostel der Provokation", als ,,Dirigenten", ,,Dtahtzieher"
und,,Generalstäbler" beschrieben und mit den,,Brandstiftern von damals"
Verheter von,,Faschismus" und,,Totalitarismus"
- verglichen
-
gemeint sind hier
werdeno2u:
,,Sind die -ismen von damals und heute so verschieden, dass man gewisse verbindende Elemente nicht erkennen
darf und muss, ntimlich beispielsweise das der Gewalttätigkeit und das eines arroganten
Ausschliesslichkeitsanspruches und der hochmütigen Verketzerung des ,,Systems"? Ábneln die Aufruhrstifter von
heute wirklich in nichts den Brandstiftern von gestern?'¿27
Andererseits beteiligt sich die ,,Meute", das ,,Schlägergesindel", ,,asoziale Elemente", der
,,Bodensatz der Gesellschaff' und ,,Toren" an der Gewalttätigkeit.428
kn Bild wird
sprachlich konstruierte, dichotome Typologisierung der gewalttätig Agierenden
totalit?ir gesinnte ,,Taktiker", andererseits das asoziale ,,Gesindel"
-
-
diese
einerseits
besonders augenfÌillig
(siehe Bilder): Die ,,asozialen
Elemente" werden durch einen
bärtigen, langhaarigen und auf der
Strasse schlafenden
repråisentiert,
Rocker
der mit einer
Jeans-
Weste bekleidet ist. An seiner Weste
ist ein Stecker mit Emblem befestigt.
it;¿ ìs.4'.,t>.:::.jr.¡i øx,.¡'l* ¿ìÀ i:x ,9#.Ì:'. À;:.f
'rú!E&iÌæ
/.Ér..
sit ltyilû4.ù
È+.1 {ør,'q-F}
An seinem Hals h¿ingt eine grobe
Kette mit einem grossen Kreuz, das an ein milittirisches Symbolversatzstück erinnert
(Bundesverdienstkreuz). Der ,,Haupteinpeitscher" und ,,Taktiker" der Provokation wird als
424
NZZ, t.t.t969:2.7.1968 7.7.1968;
t4j]96;
t6.7.r968; Stadt AZ, v.B.a.13, Sødtrat von Zti,ricb,
Sitzungsprotokoll vom 4.7. 1 968.
o" Nzz, r.7 .1968;2.7.1968,7 .7 .1968.
426
NZz,l.t.1968:2.7.1968;7.7 .1968 14.7.1968; Erklärung
vom 3.7. I 968, zit. nach: NZZ,
021NZZ,
o28
NZZ,
7 .7
.1968.
14.6.196g.
r.7
.1968;2.7 .1968:7
.7
.1969.
111
des Stadtrates vor dem Gemeinderat
in der Siøung
LzeNuersARBErr
DrsruRseNALYSE
junger Mann dargestellt, der die Menge in leicht erhöhter Position
Oberkörper
-
- und mit entblösstem
mit Hilfe eines Megaphons ,,dirigiert".
Bilder: NZZ,1.7.1968.
Die teilweise miteinander verwebten diskursiven Strategien der Delegitimierung entwickeln
sich innerhalb der vier Dimensionen des Aussagenfeldes. Im Rahmen der polity-Dimension
wird wiederum auf das Gewalttabu in der Demokratie rekuriert: Die Praktiken der,,Herrschaft
des Pöbels"
-
also Provokation und Gewalt
-
richten sich gegen das demokratische
Ordnungsgefüge und zerstören es. Gleichzeitig entspricht die Provokation und die Gewalt im
rechtlichen Orientierungsrahmen einer verbrecherischen, kriminellen Handlung, die gegen das
Gesetz verstösst
- es sogar mit Füssen tritt - und den Rechtsstaat
damit ebenfalls ,,zerstört",
ihn gewissermassen explodieren låisst. Diese diskursive, insbesondere durch das Sprachbild
,,Explosion" mit emotionalen, appelativen Elementen angereicherte Delegitimierungsstrategie
wird durch die Degenerations-, Pathologisierungs- und Feindbildsnategie komplementiert: Im
Rahmen der individual-ethischen Dimension werden die Auslöser der Gewalttätigkeit und
Provokation als degenerierte, deviante ,,Elemente" aus der ,¡ormalen" Gesellschaft
ausgeschlossen
(vgl. auch Devianzzenûertheit in der Darstellung des Rockers) und ihr
Verhalten damit moralisch delegitimiert. Die Handlungen der ,,Meute" werden durch die
Assoziationen mit sich rasch ausbreitenden und ansteckenden Krankheiten (Seuche, Tollwut)
und psychisch anormalen Verhaltensdispositionen (Ungeist) wiederum mit
appelativen
emotional
Momenten gsten) unterfrittert. Diese Ausgrenzungs- und
Delegitimierungsstrategie wird im Rahmen der politisch-ideologischen Dimension durch die
Konstruktion von Feindbildern ergarut: Die ,,Takfiker der Provokation" werden einer
faschistisch-totalitären Gesinnung (und Agitation, vgl. Bild des Taktikers) bezichtig!
- eine
diskursive Strategie, die emotional ebenfalls neurotisierend und moralisch delegitimierend
wirkt.
tt2
Lz¡NnersARBErr
DrsruRseNRLys¡
Aus diesen Delegitimierungsstrategien resultiert die Legitimierung der eigenen Gewalt, die in
Form der abstrakten und apriori-rechtmässigen ,,legalen", ,,gesetzlichen" und ,,staatlichen"
Gewalt
in
Erscheinung
tritt. Sie dient dem Schutz der Ordnung des demokratischen
Gemeinwesens und des Gesetzes, d.h des demokratischen Rechtsstaates. Die ,,legale Gewalt"
wendet
sich mit ,,harten Mitteln" und ,,der nötigen Entschlossenheif'
gegen die ,,direkte
Gefahr" und wird als Alfionsgewalt, die durch das Gewaltmonopol beglaubigf ist, in die
Kate gorien einer auftrags gemäs sen Leistung gedrängt
:
,,Die Polizei tut ihre Pflicht, wenn sie die Ordnung schütá, sie tut das, wofür sie die öffentliche Gemeinschaft in
Dienst gestellt ha! rurd die Gemeinschaft weiss ihr Dank dafü,r."42e
Auch das Demonstrationsverbot wird im Rahmen der polity-Dimension legitimiert, da es die
Demokratie und deren Spielregeln wiederherstellt:
,,Denn darum geht es þeim Demonstrationsverbot] einzig und allein: um die Wiederherstellung der Demokratie
rurd ihrer Funktionsfrihigkeit, um die Wiederink¡aftsetzung ihrer Spielregeln, die nicht Provokation und
Gewalttätigkeit heissen kanrL sondern
und Entscheidntrg [...]."oto
mr geordnete, freie, auch vom Druck der
Strasse freie Auseinandersetzung
Als Antonyne zu den ,,Taktikem der Provokation" und den kranken ,,asozialen Elementen'
erfolgt der Schutz und die Wiederherstellung des demokratischen Rechtsstaates durch
,,gutgesinnte", ,,gesundg" ,¡erantwortungsbewusste" und ,,verl2issliche" Kräfte431:
,,Einer zahlenmässig kleinen, aber sehr aktiven Gruppe von Provokatewen ist es gel'ngen, Unruhen inZüichan
stiften. Der Stadtrat bekräftigt emeut seine Entschlossenheit, solcher Zwiettacht und Unsicherheit in rmserer
Stadt mit allen durch das Gesetz gegebenen Mitteln entgegenzutreten. Er weiss sich dabei einig mit der
überwältigenden Meh¡heit der Zirrcher Bevölkerung. Ln Augenblick der Bedrohung schliessen sich die Reihen
der Gutgesirinten. So sind auch Gemeinderat und Stadtrat heute aufgerufen, gemeinsam und tatkräftig zu handeln.
Die Polizei stand im Laufe der letzten Tage unter einer ausserordentlichen Beanspruchung. Der Stadtrat dankt
der Stadtpolizei und anerkennt ihre Einsatzbereitschaft. [...] Ruhe und friedliche Ordnung sollen heute unser
erstes
[...] Ziel
sein.a32
Mit Blick auf die zuktiLnftige Entwicklung des ausserparlamentarischen
Protestes
in
der
Schweiz wird für die ,,geistigen Urheber" der Gewalttätigkeit und Provokation sowie die
,,Steine- und Flaschenwerfer" schliesslich die Forderung nach sofortiger strafrechtlicher
Behandlung erhoben:
,Jene, die das Gesetz mit Füssen getrampelt und die öffentliche Ordnung in schwerste Gefahr gebracht haben,
müssen die Härte dieses Gesetzes jet* zu spüren bekommen. Milde, gar Amnestie, würde nach unserem
Eindruck vom Zustand der öffentlichen Meinung nicht verstanden; sie wäre Benzin ins Feuer und würde uns allen
nichts ersparen. [. .] Die Verantwortung t...] für das, was geschehen ist und noch gescheheî mag, [...] diese
Verantwortung liegt unverkennbar und in allererster Linie bei den Aposteln der Provokation, die niemandem
meh¡ einreden könnten, sie wüssten nicht, was sie tun. Sie wissen es genau. Es ist zu hofflen, dass die Justiz über
*n N22,2.7.1969.
N7.7 ,7.7.1969.
*o
ott
Erklä.utrg des Stadtrates vor dem Gemeinderat in der Siøung vom 3.7. 1968 , zit. nach:N22,7.7.1968
klÈi.utrg des Stadtrates vor dem Gemeinderat in der SiØung vom 3.7.1968 , zit. nach:N22,7.7.1968
o" E
113
LzewuersARBErr
DrsrunseNALYSE
die Steine- und Flaschenwerfer hinaus zu den ,,geistigen" Urhebern der Gewalttaten durchzugreifen vennag, die
man mit Namen und Vornarnen kennt."a33
6.4.5 Semantischer Raum des Gewaltbegriffes 1968
Subj ektposition,,Junge Linke"
1968
Bedeutungsauspragrmgen
der Gewalt
,,Eigene" Gewalt
Aktionsbegriff
Gegengev,ah
Subj
Gewalt des/der Anderen
ekçosition,,E stablishment"
,,Eigene" Gewalt
Gewalt des/der Anderen
Zwang
Terror
Unterdrückung
Zwang
Terror
*Freiheit
*Ordnuns
Kompetenz-
begriff
*Demok¡atie
*Demokratie
+Rechtsstaat
Semantisches Zentrum
Gegenbegriffe
l,
6.4.6
Exkurs: Die Entwicklung des juristischen stabilisierten
Gewaltdiskurses ab I 968
Wie im weiteren Verlauf der Analyse gezeig¡ werden kann, dominiert im Hinblick auf die
Feldorganisation des Gewaltdiskurses im Jahr 1969 der rechtliche Orientierungsrahmen (vgl.
Abschnitt 6.5.1). Als mögliche Ursache dieser Dominanz der Rechtsdimension für
das
Erscheinen des Gegenstandes Gewalt kann die Entwicklung eines neuen, bis Mitte 1969
scheinbar parallel zum Gewaltdiskurs verlaufenden juristischen Gewaltdiskurses interpretiert
werden.a3a
033
a3a
Als juristischer Diskurs wird er nach Michel Peucheux vollstZindig von einer
N7z,2.7.1969.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob man den juristischen Gewaltdiskurs als Produkt einer
Transfonnation oder Weiterentwicklung des wsprünglichen Gewaltdiskurses oder als eigenständigen, vom
urprtinglichen Gewaltdiskurs entkoppelten Diskurs betrachten soll. Da seine Aussagen von neuen
Subjeþositionen geprägt werden (v.a. Justizbehörden), müsste bei der ersten Variante die eingangs der Arbeit
erwåihnte Prämisse, wonach die Subjekçositionen vor der eigentlichen Diskursanalyse bestimmt werden können,
revidiert werden. Die Subjekçositionen würden dann - wie Foucault es bereits festhielt (vgl. Archäologie, 75ff.
und Anm. 196) - durch den Diskurs hervorgebracht. Um die Validität der methodischen PrZimissen dieser Arbeit
nicht in Frage ztt stellen, wird der juristische Gewaltdiskurs deshalb im Sinne der zweiten Variante begriffen.
714
LzeNuersARBErr
DnruRseNer.ys¡
dominanten Diskursregel normiert und ist deshalb als stabilisierter Diskurs zu bezeichnen.o"
In
Bezug auf das
im Jaltr 1969 analysierte
diskursive Ereignis scheint der juristische
mit dem ursprtiLnglichen Gewaltdiskurs zu interferieren: Einige seiner
Elemente finden Eingang in die Rechtsdimension des ursprtÍrglichen
Gewaltdiskurs
diskursiven
Gewaltdiskurses.
[n der Folge wirkt sich der juristische Gewaltdiskurs gewissermassen als
Absorbens aus, da sich der Anfangsdiskurs durch die Selbstregression der Subjektposition
,,Junge Linke" auflöst (vgl. Abschnitt 6.5).
Die Aussagen des juristischen Gewaltdiskurses werden von einer neuen Subjekþosition
gepragl.,
die auf einer engen Kooperation von behördlichen Institutionen basiert: dem
Zusammenspiel von Justizbehörde, Polizeibehörde und den Exekutivbehörden von Stadt und
Kanton Zirich.a36 Die Konjunktur der juristischen Beleuchtung des Gegenstandes Gewalt
nimmt mit dem nach der Grossdemonstration vor dem Globus vom Stadtrat verhåingten
Demonstrationsverbot ihren Anfang und erstreckt sich auf der Zeitachse tiber das Jahr 1969.
Der juristische Gewaltdiskurs besitz einerseits einen strafrechtlich-disziplinierenden Aspekf,
der sich in den Verfahren zur Bestrafung, Disziplinierung und Relegation der Akteure der
gewalttatigen Auseinandersetzungen vom 29.6.-1.7.1968 wiederspiegelt.ß1 Andererseits
besitz er einen formaljuristischen Aspekt, der seinen Ausdruck in Beurteilungen
des
Demonstrationsrechts, in Anweisungen zum Vorgehen der Polizei bei Demonstrationen und
ßs
Pêch"*,Rolle
*u
des GedächÍrisses, 5 l.
Zrrr Problematik der neuen Subjeþositionen
im Hinblick auf die
Charakterisierung des juristischen
Gewaltdiskurses als eigenständigen Diskurs siehe auch Anm. 434.
437
lrlit den Strafuntersuchungen der Bezirksanwaltschaft Ziu;tch gegen Demonstranten (Anklagepunkte der
Zixcher Staatsanwaltschaft: Gewalt und Drohung gegen Beamte, LandfriedensbrucÐ und gegen einen einzelnen
Polizeibeanten (Anklagepunkte: einfache Körperverletzung, Nötigung r¡nd Amtsmissbrauch) setzte eine
n Gerichtsverhandlungen vor dem Obergericht Zinch und im
Globus-Prozess vor dem Schwurgericht in Winterthur fübrte, einem
siebenwöchigen Verhandlungsmarathon. Am Schluss kam es nur zu bedingten Strafen gegen die 30 angeklagten
Demonstranten, die längste Strafe betrug 4 Monate Gefüngnis. Der einzige angeklagte Polizeibeamte, der des
Schlagens eines Photographen füLr schuldig befunden wurde, erhielt sieben Tagen Gefüngnis bedingt. Gegen
Polizeibeamte wu¡de vom Stadtrat in der Siøung vom 6.12.1968 eine Disziplinaruntersuchung verfügt, die von
Bezirksrichter Dr. H. Portmann durchgeführt wurde. Als Resultat der Untersuchung wuden vier Angehörige des
Polizeikorps wegen ,,übertriebener rurd nicht mehr nötigen Gewaltanwendung" (Haare abschneiden, Ohrfeigen,
Knüppelhiebe im Keller des Globus-Gebäudes) disziplinarisch bestraft. 30 Beamte, darunter Polizeiinspektor
Bertschi, erhielten einen schriftlichen Verweis für ih¡ Vorgehen. Thomas Held, Mitglied der Fortschrittlichen
StudentenschaftZnrah\ wurde vom Ztircher Erziehungsrat aufgrund seiner Teilnahme an der Grossdemonstration
vor dem Globus rurd seiner Presseerklärung von seiner Stelle als Hilfslehrer am Realgymnasium fristlos
entlassen. Gegen Studenten und Schüler, die sich bei der Demonstration strafbar gemacht hatten, wu¡den von den
Behörden der Universität und der Mittelschulen Disziplinarmassnahmen ergrifFen. Drei Ausländer, die sich an
der Grossdemonstration vor dem Globus beteiligt hatten, wwden vom Regierungsrat ohne Strafuntersuchung des
Entwicklung ein, die im Mai wrd Juni 1969
September und Oktober 1970
zlm
Landes verwiesen.
11s
LzENnRrsARBErr
DrsruRsaNALYSE
den davon tangierten Überlegungen
zr
polizeiinternen Restrukturierungsmassnahmen
findet'".
Eine umfassende Analyse des juristischen Gewaltdiskurses würde den Rahmen dieser Arbeit
sprengen. Im folgenden Abschnitt wird deshalb nur auf diejenigen diskursiven Elemente des
juristischen Gewaltdiskurses Bezug genommen, die mit dem ursprünglichen Gewaltdiskurs im
Jahr 1 969 interferieren.
6.4.6.1 DiskursiveVermittlungselemente
Die in der Folge berticksichtigten Aussagen
des juristischen Gewaltdiskurses
finden sich im
Rahmen von Äusserungen der städtischen Exekutivbehörde sowie des Polizeiinspektorates
zttm
Demonstrationsrecht
und den Dienstanweisungen für die
Stadtpolizei bei
Demonstrationeno'n:
Anlåisslich der Auftebung des Demonstrationsverbotes am 16.7.1968 verfasst der Stadfrat
unter dem Eindruck der Ausschreitungen bei der nicht-bewilligten Grossdemonstration vor
dem Globus eine Mitteilung, in welcher er darauf verweist, dass die Beanspruchung des
öflentlichen Grundes frlr Kundgebungen, Demonstrationen usw. gemäss Artikel
23
der
Allgemeinen Polizeiverordnung der Stadt Znrich grundsätzlich einer Bewilligung durch den
Polizeivorstand bedarf.ao Konkrete,
auf
juristischen Erwägungen
basierende
Differenzierungen zum Begriff ,,Ausschreitungen" bei Demonstrationen werden dabei nicht
angeführt. Diese finden sich
im Marz 1969 in einer Wegleitung des
Stadtrates, die das
Vorgehen der Stadþolizei bei Demonstrationen reglementiert. Darin wird das Einschreiten
der Polizei bei Verstössen des Artikels 2 der Allgemeinen Polizeiverordnung (die GefÌihrdung
der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit von Personen und Eigentumat) und bei einer
erheblichen Störung des Verkehrs, die als ,¡echtswidrige Handlungen" bezeichnet werden, als
zwingend erachtet.
o" Vgl. zu den polizeiinternen
Massnahmen, vor allem der Bildung einer Bereitschaftspolizei, mit welcher der
erste ,¡noderne" Ordnungsdienst geschaffen wu¡de, und der Anschaffirng neuer Einsatzrnittel wrd Ausrüstung
(Wasserwerfer, Weidenschilder, Trãinengaskörper, Lautsprecher, Armeehelne mit Nackenschutz), die
Ausführungenbei Zu,eifel, Ordnungsdienst, 189-199. Zw Schaftrng eines Psychologischen Dienstes bei der
Stadçolizei Zítrtch siehe auch PBV-Nachrichten (Publikationsorgan des Polizei-Beamten-Verbandes der Stadt
Znnch),Nr. 54, Dezember 1969.
o'n Stadt AZ, Y.B.a.l3, Stadtrat von Zü'ricl¡ Sitzungsprotokoll vom 15.7.1968 Stadtrat von Züricll
Sitzungsprotokoll vom IL.3.1969; StB, 4r.105.13.01, StadpolizeiZünch, Polizeiinspektorat. Demonstrationen,
Unruhen und polizeiliches Verhalten. Erfahnrngen turd Leh¡en aus dem In- und Ausland. Nur fü¡ dienstlichen
Gebrauch. November 1968.
*o Studt AZ,Y.B.a.l3, Stadtrat von Zürich, Sitzwrgsprotokoll vom 15.7.1968.
al Allgemeine Polizeiverordnung, Gemeinderatsbeschluss vom 14.10.19 59, 1u:t.2.
116
Lz¡NrersARBErr
DnTURSeNALYSE
Für den Einsatz der Polizei wird dabei eine Stufenfolge der anzuwendenden Mittel in Betracht
gezogen, die als ,,Rechtshandlungen'42 zur Einstellung der rechtswidrigen Handlungen führen
sollen. Diese Stufenfolge reicht von Verhandlungen mit einer Abordnung der Demonstranten
über das eventuelle Wegstellen oder -tragen der Störer und dem Einsatz von Wasserwerfern
(auch
mit
Beimischung von Tränengas) bis zur Ver-wendung der Polizeiknüppel. Als
Beispielfall fi.ir eine rechtswidrige, gegen Artikel
2
der Polizeiverordnung verstossende
Handlung wird der tätliche Angntr durch Wurfgeschosse aufgeführt.oo' Dieser wird in einer
internen Dienstanweisung der Stadtpollz,ei Znrich, welche die Leitsatze über das Verhalten
und Vorgehen der Beamten enthält, als ,,Gewalttätigkeit" (siehe weiter unten) und
auf die ,,Globuskrawalle"
-
- in Bezug
auch als Bestandteil von,,Provokationsn" bezeichnet:
,,Es mochte gelegentlich schwer fallen, [...] von der Anwendung unmittelba¡en Zwangs abzusehen, wenn die
Provokationen der Störer bis an die Grenze der persönlichen Belastbarkeit der Polizeibeamten gingen oder sie
sogar noch übersch¡itten (rvVurf von Eiern und Farbstoffen gegen die Polizei sowie unflätige
Beschimpfung"ù*-*
Bei Angriffen durch Wurfgeschosse (Eier, Farbe, Steine, Abfall)
und bei Provokationen
die Polizei
-
- also bei Gewalttätigkeiten
sowie der ernsthaften Geûihrdung von Leben und Besitz Dritter kann
gemåiss Wegleitung
Einsatzmittel abktirzena5 und
und Dienstanweisung die empfohlene Stufenfolge der
mit dem
Gummiknüppel vorgehen, womit sie legale
,,Gegengewalt" ausübt:
Gebrauch des Gummikniþpels (Schlagstockgebrauch) ist, mit Ausnahme des Schusswaffengebrauchs, das
letzte Mittel [...] der Anwendung von Gewalt; erst \Ã'enn die anderen Mittel nichts mebr fruchten sollten wñ die
,per
Polizei gewaltsam (mit Wudgeschossen aller Art) angegriffen v'ird, soll auf die Gewalt der Störer mit
G egen gøt
*2
all geantwortet werden."46
StB, Ar.l05i 13.01, Sødçolize i Zútch, Polizeiinspektorat. Demonstrationen, Unruhen wrd polizeiliches
Verhalten, 9.
a3
*
Stadt AZ, Y .B.a.I3, Stadtrat von Zürich, Sitzungsprotokoll vom 1 1.3. 1 969.
StB, Æ.105/13.01, Stadçolizei Zixtcb¡, Polizeiinspektorat. Demonstrationen, Unruhen und polizeiliches
Verhalten,23.
*t
Strdt AZ,Y.B.a.I3, Stadtrat von Zürich, Sitzungsprotokoll vom 15.7.1968: ,,Wird die Polizei überraschend
tätlich angegriffen (zum Beispiel mit Wurfgeschossen), oder wird unvennutet im Sinne von Artikel 2 der
Allgemeinen Polizeiverordnung Leben und Besitz Dritter emstlich gefÌihrdet, so kann die in Ziffer 2.3 erwähnte
Stufenfolge abgektira werden."
a6 StB, Ar.l05/13.01, Stadçolizei Ztnch, Polizeiinspektorat. Demonstrationen, Unruhen und polizeiliches
Verhalten, 38. Kursive Hervorhebung durch Autorin. Interessant erscheint in diesem Zusammenhang die
explizite Gleichsetzung der eigenen (Polizei)Gewalt mit dem Begriff ,,Gegengewalt", der im ursprüurglichen
Gewaltdiskurs von der Subjekçosition,,Junge Linke" srukturiert wurde.
177
DrsrunsRNALYSE
LzpNMTSARBEIT
6.5
Die
Die Auflösung des Gewaltdiskurses im Jahr 1969
anschliessende Aussagenanalyse des
Ereignisses
-
für das Jahr
1969 bestimmten diskursiven
- dem Teach-in am Bellevue und vor dem Obergerichtsgebäude am 11. Juni 1969
wiederspiegelt die Auflösung des ursprünglichen nicht-stabilisierten Gewaltdiskurses.
Wie im
Folgenden gezeig¡
wird, finden sich die
dargestellten diskursiven
Vermittlungselemente des juristischen Gewaltdiskurses im dominant in Erscheinung tretenden
rechtlichen Orientierungsrahmen des nicht-stablisierten Gewaltdiskurses. Die
Vermittlungselemente tauchen dabei ausschliesslich in den Diskursaussagen der
Subjekþosition,,Establishment" auf Gewalt und Provokation im Protest werden im Rahmen
von klaren juristischen Kategorien entwickelt und nach juristischen Erwâgungen sanktioniert'
Die Subjekþosition ,,Junge Linke" hingegen unterliegt einer selbstinduzierten Regression.
Das eigene Protestverhalten offenbart für die ,,Junge Linke" die Nichteinlösbarkeit der im
Januar 1969 forrnulierten ,,Politik der gezielten Provokation". Die eigenen Alfionen werden
im rechtlichen Orientierungsrahmen als explosive und verbrecherische Primitivreaktionen
entwickelt, womit es der ,,Jungen Linken" nicht gelingf, sich weiterhin als polarisierende
Sprecherposition im Gewaltdiskurs zu positioniereî.41 Das nicht-stabilisierte Zwiegespräch
des Anfangsdiskurses der Gewalt löst sich
,,Junge Linke" somit
mit der Selbstregression der Sprecherposition
auf
Aus dieser Darstellung lässt sich thesenartig die Schlussfolgerung ziehen, dass der stabilisierte
juristische Gewaltdiskurs dem nicht-stabilisierten, durch konfligierende Deutungsmuster
geprägten Anfangsdiskurs der Gewalt gewissermassen ,jiberlegen'
ist und ihn
deshalb
absorbiert. Die Ûberlegenheit des stabilisierten Diskurses speist sich möglicherweise aus der
normierten Regelhaftigkeit seiner Aussagen, die von einer hermetischen und eng mit
behördlichen lnstitutionen verknüpften Subjekçosition gepra$! werden. Gerade die
institutionell flottierende Subjektposition ,,Junge Linke" scheint gegenüber
diesem
definitionsmächtigen Institutionengefüge keine Möglichkeiten zu besitzen, ihr Sprechen zum
Gegenstandsbereich Gewalt
in einem Ort des Aussagens zu homogenisieren
und zu
kanalisieren, womit ihr die Generierung einer gleichwertigen Definitionsmacht nicht gelingt.
at Als gewissermassen
,¡naterielles" Indiz fü,r den Verlust ihrer Sprecher- oder Subjeþosition kann die
n Ziiichbetrachtet werden, die sich im Laufe des Jalres 1969 immer deutlicher
Linken"
der
Spaltung
,,Jungen
abzeichnet (vgl. Abschnitt 6.6).
118
DtsrunseNALYSE
LzENtleTSARBEIT
6.5.1 Teach-in am Bellevue und vor dem Obergerichtsgebäude vom 11.
Juni 1969
Das Aktivierungsereignis: Die FASS und die Gruppe ,,Saint Ju
organisieren am 11. Juni 1969
beim Bellevueplatz ein nicht-bewilligtes Teach-in zu den Untersuchungen der Bezirksanwaltschaft
gegen die Globus-Demonstranten. Etwa 100 Personen setzen sich untereinerVerkehrskanzel beider
Quaibrücke auf die Strasse und blockieren den Verkehr. ln der Folge versammeln sich die Teilnehmer
der Kundgebung vor dem Obergerichtsgebäude beim Hirschengraben. Ein Galgen, an welchem die
,,Hure Justitia" aufgehängt werden soll, wird vor dem Gebäude aufgerichtet. Das Obergerichtsgebäude
wird mit Plastikbeuteln, die rote Farbe enthalten, beworfen. Die Kundgebung wird mit einem Teach-in
vor dem Kunsthaus beendet. Die Polizei greift während der gesamten Kundgebung nicht ein.
Die Feldorganisation der Diskursaussagen wird im Hinblick auf das letzte diskursive Ereignis
nurrnehr
von rwei
Dimensionen bestimmt: der Rechtsdimension
und der
politisch-
ideologischen Dimension. Im semantischen Zentrum des Aktionsbegriffes der Gewalt tauchen
die Begriffe ,,Provokation' (Subjektposition ,,Establishment) und ,,Repression" (,,Junge
Linke") auf, der Begriff der ,,(repressiven) Manipulation" verschwindet gtinzlich. In seiner
Kompetenzausprägung (Macht, Herrschaft) wird der Gewaltbegriffnicht meh¡ stukturiert.ae
Die an die Subjektposition..Establishment" geknüpften Aussagen beziehen sich auf die Form
des Protestes am Bellevueplatz und vor dem Obergericht. Das Blockieren des öffentlichen
Verkehrs und die Sachbeschädigung des Obergerichtsgebäudes werden als ,,Provokationen"
bezeichnet,
die das ,,Mass des Tolerierbaren" und die
,,Grenzen des Zumutbaren'
überschreiten, einem ,,ges€tzeswidrigen Übergriff' entsprechen und mit einem ,Jegalen Mittel
der freien Meinungsäusserung" nichts mehr zu tun haben. Der Begritr ,,Provokation",
definiert als ,,eine Strategie, die mittels systematischer Herausforderung die Zerstörung der
Autoritat im demokratischen Rechtsstaat ntm Ziele hat", wird durch ,,destruktives Tun",
,,Vandalismus", ,/warrg" und,,Terror" ausdifferenzíert. Als Teil der ,,Provokation" wird das
V/erfen von Gegenståinden (Farbbeuteln), das zur ,,Besudelung" des Obergerichtsgebäudes
führte, mit dem Begritr,,Gewalf' substituiert. Als kontradikforische Praxis zu Provokation
und Gewalt wird das Nichteinschreiten der für den Schutz des
48
Obergerichtsgebäudes
Die Gruppe ,,Saint Just" wurde im Januar 1969 von Mitgliedern der FSZ und den Progressiven MittelschüLlern
gegrthrdet und setzte sich zum Ziel, mit Informationen, Aktionen und einem Justiztraining für angeklagte
Demonstranten die Prozesse und Vorgåinge der Justiz ,durchsichtig" zu machen. SA, Ar.20l.36, Mitteilungen Nr.
1 (Arbeitsgruppe Justiz), 29.1.1969.
*'Vgl. Abschnitt 6.5.2: Semantischer Raum des Gewaltbegriffes im Diskurs 1969.
l19
DtsrunsnNALYSE
LzeNUETSARBEIT
zuständigen Kantonspolizei hervorgehoben, die mit dieser ,,Taktik" ztt zeigen vermochte, wer
sich ins,,IJnrecht" gesetzt hat:
,,Der Stadtrat möchte immerhin da¡auf hinweisen, dass [...] die Kantonspolizei anlässlich der Demonstration
gegen die Justiz vor dem Obergericht, bei welcher sich [...] eine kleine Minderheit dazu berufen fütrlte, sogar
óe*utt gegen in öffentlichem Eigenturn stehende Sacherl nämlich ausgerechnet gegen das Gebäude einer der
obersten kantonalen Gerichtsinstanzen zu verüben, in grundsirt^içhel Hinsicht die [...] Taktik verfolgte, der
Bevölkerung deutlich zeigen zu können, wer sich ins Unrãcht gesetzt hat.'¿50
Als Urheber der Gewalt (als Teil der
Provokation) werden ,,Extremisten" und
,,kommunistische Gruppen" genamt, die ,,zusammen mit andern Ztrkelnunter der Flagge der
Jungen Linken Segeln" und die ,,menschenryürdige Ordnung zerstören'451.
Die diskursiven Strategien der Delegitimierung von Provokation und Gewalt entwickeln sich
hauptsächlich innerhalb des rechtlichen Orientierungsrahmens. Man kann
in diesem
Zusammenhang von einer Objektivierungsstrategie sprechen, die den Gegenstand Gewalt ent-
emotionalisiert
und in klar
umrissene Kategorien einteilt:
Die
Provokationen
(Verkehrsstörungen, SachbeschädigungeÐ und die Gewalt als eine Stufe der Provokation
(Wurf von Farbbeutetn) werden als ,,gesetzeswidrige" und illegale Handlungen präpariert und
damit delegitimiert. Die Übereinstimmung dieser diskursiven Formation mit der im
vorhergehenden Abschnitt beschriebenen Formation im juristischen Gewaltdiskurs ist an
dieser Stelle offensichtlich (vgl. die diskursiven Vermittlungselemente auf Seite 116). Als
zweite diskursive Stategie werden die AuslOser von Gewalt und Provokation durch die
Konstrukfion einer subversiven, extremistischen Gesinnung und der damit verbundenen
Stilisierung des ideologischen Feindbildes ,,Kommunismus" diskreditiert
und
ihre
Handlungen delegitimiert. Das im Zusammenhang mit der,,heissen Phase" des Diskurses im
Juni/Juli 1968 entwickelte dominante ideologische Feindbild,,Faschismus" wird damit durch
das
19
67 vorherrschende Feindbild,,Kommrmismus" ersetzt.
Aus der im rechtlichen
Orientierungsratrmen entwickelten diskursiven
Objektivierungsstrategie resultiert die Legitimierung unmittelbarer Sanktionen gegen alle
Teilnehmer, die sich justiziabler Gesetzestiberschreitungen schuldig gemacht haben:
in jüngster Zeit erfolgfen, nicht bewilligten Demonstrationen, wo es zu unliebsamen Verkehrsstörungen
,,Die [...]-guhohofb.ü.ke
und am Bellevue und schliesslich noch zu Sachbeschädigungen am Obergericht karn,
áuf dãr
AZ,Y.B.a.l3, Stadtrat von Zürich, Stadtratsprotokoll vom 27.6.1969. Oie Ähnlichkeit der von der
Kantonspolizei verfolgten Taktik mit der von den ,Jungen Linken" formulierten ,,Politik der gezielten
Provokation", welche die jeweils spezifischen Vertreter der Gesellschaft z;tt einem offensichtlichen
a5o
Stadt
antidemokratischen Fehlverhalten veranlassen sollte, ist an dieser Stelle frappierend. Vgl. Seite 109.
ott
NZZ, 12.6.1969; 19.6.1969; Stadt AZ, V.B.a.13, Stadtrat von Zürich, Sitzungsprotokoll vom 20.6.1969 sowie
das Siøungsprotokoll vom 27 .6.1969.
120
Lz¡NnersARBErr
DrsrunseNALYSE
mit aller Deutlichkeit, dass die Veranstalter nicht willens oder in der Lage sind, gesetzeswidrige
Úbergriffe zu verhindern. Der Stadtrat möchte deshalb [...] unmissverståindlich seine Meimrng z.rm Ausdruck
bringen, dass er nicht rneh¡ gewillt ist, weitere V/iderhandlungen gegen die gesetzliche Ordmrng zu dulden. [...]
Er hat deshalb beschlossen, dass die Teilnehmer an der Demonstration vom 11. Juni 1969, die sich der Störung
des öffentlichen Verkehrs, der Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen, der Sachbeschädigung,
allfülliger Verletzung des Strassenverkehrsgesetzes, eventuell des Unfugs im Sinne von Artikel 25 der
allgemeinen Polizeiverordnung, schuldig gemacht haben, durch die Stadçolizei ausfindig zu machen und zu
bewiesen
verzeigen sind.'¿s2
Die in dieser
Passage zum Ausdruck kommende prophylaktische Abschreckungs- und
Einschi.ichtenmgsstrategie, die
mit der Deklarierung von Sanktionen für die
-
juristischen Kategorien entwickelten
-
in
klaren
Gewalt- und Provokationshandlungen erzielt
wir{
lässt sich schliesslich auch im Hinblick auf das wegleitende Vorgehen der Polizei bei
zukünftigen Demonstrationen festhalten.
Provokationshandlungen
Den
gesetzeswidrigen
bei Demonstrationen
Sachbeschädigungen, das Werfen
von
Gegenståinden)
(Störungen
Gewalt-
des
und
Verkehrs,
soll mit einem abschreckenden
Massnahmenkatalog begegnet werden:
,,Die Polizei ist auf Grund einer Wegleitung des Stadtrates über das einzuschlagende Vorgehen [zur Einstellung
rechtswidriger Handlungen, Anm. SB] genau instruiert. Sie wird gemäss den Weisungen des Stadtrates
handeln."a53
,,Bei kärrftigen Demonstrationen werden Stadt- und Kantonspolizei Zírtch in einer erhöhten Alarrnstufe mit
Chemikalien vennischtes Wasser einsetzen. Die motorisierten Wasserwerfer sollen nicht nu mit ,,gewöhnlichem"
Wasser gefüllt sein, sondern es wird ihnen eine chemische Substanz beigemischt, die das Wasser noch ,¡asser"
machen wird. In einer weiteren Alannstufe werden normale Armeeflammenwerfer zum Einsatz kommen, die von
den eingeseEten Polizeimännern am Rücken getragen werden und mit Wasser und flüssigem Tränengas gefüllt
sind. [...] Als letztes Mittel soll der Gummikntþpel auf Veranlassung eines verantwortlichen Polizeioffiziers zum
Einsatz komm"o<'454
Die mit der Subjektposition..Junge Linke" verknäpften Aussagen finden sich im Rahmen von
Äusserungeî zltr den Untersuchungen der Justizbehörden und den Vorgtingen vor dem
Obergerichtsgeb¿iude.
Die Justiz wird als Instrument und Institution des Staates bezeichnet,
das rechtswidrig ,,Repression" ausübt. Die Mechanismen der ,,Repression" werden als
,,verschleiert" beschrieben, da sie sich
in Gerichtsverfahren und
Gesetzen manifestieren.
Letztlich frihrt die Repression der Justiz zur ,,Diskriminierung und physischen Ausschaltung
der Gegner (das heisst der Jungen Linken)", womit die Repression in den Kontext physischer
Aktionsgewalt geräckt wird.a55 In diesem Zusammenhang wird sprachlich auch ein Vergleich
zwischen den ,,Repressionsinstrumenten" ,,Gummiknüppel" und ,,Gummiparagraphen"
052
ot'
oto
Stadt AZ,Y.B.a.l3, Stadtrat von Zürich, Stadtratsprotokoll vom 27.6.1969
Stadt AZ,Y.B.a.l3, Stadtrat von Ztirich, Stadtratsprotokoll vom 20.6.1969
N77,23.6.1969.
t2t
DTSTURSENALYSE
LzpNUeTSARBEIT
Fehlverhalten" veranlassen solltena60, mit der militanten Aktion nicht eingelöst werden
-
gatlz
im Gegenteil: Gerade durch das Nichteinschreiten ist es der Polizei gelungen, die Taktik der
Provokation für sich in Anspruch zu nehmen:
passiv das Gesetz
,,Dadwch, dass die Polizei nicht eingriff, hat sie (und rnit ihr der freisinnige decision-maker)
hineingehen und
Falle
in
eine
vorbereitete
urs
des Handelns an sich gerissen, hat sie die Spielregeln verletzt,
gewesen
wåire. Dann
zu
noch
vermitteln
gefÌihrlich,
uns
aber
für
genau den Punkt verfehlen lassen, der fü,r sie
Bevölkerungskreise
aller
die
Unterstützung
rnüssen,
ohne
uns
angreifen
hätten die reaktionären Kräfte
"arrtti"tt zu haben, hätten sich auf ein neues, geführliches weil dem Prestige abträgliches - Globusabenteuer
hinter sich
einlassen müssen. Aber sie waren intelligenter."6l
Im Hinblick auf die gesamte ,,Junge Linke"
n
Znnch wird schliesslich ein ,,Gefühl von
Ohnmacht und Enttäuschung über die Unmöglichkeit real ver¿indernder Praxis" konstatiert,
das sich
in den zum Scheitern verurteilten,,explosiven Primitivreaktionen" und den,,politisch
neutralisierbaren Synbolhandlungen" offenbare.a62
Um
diesen
,,selbstzerstörerischen
Widerspruch" aufrulösen, wird deshalb die Bildung neuer, informeller Kader gefordert:
,pie misslungene Gerichtsaktion und deren Analyse znigen [...], dass neue, informelle Kader gebildet werden
Àürr"tt, die áuf einem anderen Organisationsniveau arbeiten müssen, um die Erfatrung d.ej Misslingens al
verarbeiten und eine überflüssige Polarisierung innerhalb der Bewegrurg selbst zu verhindem."43
6.5.2 Semantischer Raum des Gewaltbegriffes 1969
Subj
1969
ektposition,,Junge Linke"
,,Eigene" Gewalt
Bedeutungsauspragungen
der Gewalt
Gewalt des/der Anderen
Subj
ekçosition,,Establishment"
,,Eigene" Gewalt
Aktionsbegriff
Gewalt des/der Anderen
Zwang
Terror
*
Semanlisches Zentrum
Gegenbegriffe
*o vgl. Seite
109.
SA, 4r.201.35, Manuskript,Zur Situatiorr",4,5. Hervorhebung im Text'
'ut
462,,Zeitd;rettsl*,
l l.7 .19 69.
463
,,zeitdiensf' , ll.7 .1968.
123
DrsruRsRNelvsg
LzpUIeTSARBEIT
6.6
Epilog: Die Aufspaltung der ,,Jungen Linken" in Zürich
Dass sich eine Polarisierung der ,,Jungen Linken"
n
Znrich mithin ltingst abzuzeichnen
begann, kann der polemischen Schlussequenz der oben bereits zitierten,
Mitte 1969 verfassten
Situationsanalyse der FSZ entnommen werder¡ die sich auf die ,,agents provocateurs" der
Aktion vor dem Obergericht bezieht:
jene ,,gläubigen" Genossen nicht agents
,,Ein aussenstehender Syrnpathisant hat kürzlich besorgt geäussert, ob
provocateurs seien, die den Aufirag bekornmen hätten, das FASS und die fsz möglichst schnell zu ruinieren' Da
.i" du. nicht sind, dr¿ingt sich die Frage auf, ob eine psychiatrische Behandlungjener Genossen angesichts ihrer
katastrophalen Fehler der Linken nicht billiger zu stehin kåime als ihre weitere Mitarbeit."464
Die in der Passage implizit angesprochene Spaltung beherrschte im Jahr 1969 nicht nur die
strategischen und organisatorischen, sondern auch die ideologischen Grundsatzdiskussionen
der ,,Jungen Linken". ln Bezug auf die Zerreissproben und Auflösungserscheinungen spricht
Dominique Wisler von einer ,,tiefen Spaltung der neuen Linken und der Bildung rweier
grosser Linien
mit deutlich verschiedenem Profil":
eine will die Auseinandersetzungen im orthodoxen Geist des Klassenkampf wiederaufuehmen, sieht das
ievolutionäre Subjekt treu nach der Lehre in der Industriearbeiterschaft, und ih¡e Vereinigungen streiten sich um
die zweckmässigsten Organisationsforrnen der neuen revolutionären Arbeiterpartei. Dies sind die Ouwieristen.
Nach Einschäøung der anderen Linie ist die Arbeiterklasse nicht zur Revolution fühig; stattdessen konzentriert
sich diese Strömung auf die Randgruppen, in denen sie revolutionäre Avantgarden sieht, und entw"ickelt
insbesondere spontâne, subkultwelle Organisationsformen''¿65
,pie
Nach Wisler ging die ouwieristische Linie vor allem aus der Selbstkritik der Jungen Sektion
und der FSZ hervor, die sich beide im Jahr 1969 auflösten; der FSZ gelang es nicht, die
ideologischen Spannungen zwischen ihren Mitgliedem
Leninisten und Antiautorit¿iren
-
abzubauen.
- insbesondere zwischen Marxisten-
Die Junge Sektion der PdA beschloss im
November 1969 einen Massenaustritt aus der PdA, nachdem sich die Widersprüche zu den
Positionen der PdA-Parteileitung als zu gross erwiesen hatten.
Die
Spaltung
der
,,Jungen Linken"
in
ZnrjLch bedeutete
auch das Ende
des
Koordinationsversuchs FASS, der im Laufe des Jabres 1970 bedeutungslos wurde.a66 Einige
ehemalige Mitglieder der Jungen Sektion, der FSZ und der FASS fanden sich bei der
Grtindungsversammlung der,,Revolutionåiren Aufbauorganisation Zitrtch (RAZ)" wieder. Aus
der Retrospektive bemerkte das ehemalige FSZ-Mitglied Emilio Modena zur RAZ und
anderen neugegründeten Organisationen der,J'{euen
* SA, 4r.201.35, Manuskript,lw
*t Witl"r,Drei Gruppen, 76.
Situation',
Linken' metaphorisch:
7.
6u Die Koordinationsgruppe FASS spaltete sich im Ztge der Auseinandersetzungen um einen Ersatz für das
Globus-Areal (Lindenhof Bunker). Vgl. dazu auch Seite 67'
124
DtsrunsRNervs¡
LzsNrersARBEIT
mich begann das Abenteuer des Parteiaufbaus in der Revolutionåiren Aufbauorganisation (RAZ). [...] Nach
der langen Durststrecke und dem kurzen Gipfelrausch pruzelten nun'Wasserfülle, flossen vielerlei Bäche, die sich
mit der Znit nt wenigen Flüssen vereinigten, durch eine breite grüure Hügellandschaft: die Autonomen und der
bewaffirete Ku-pf, die Parateiaufbauorganisation oder K-Gruppen - die westeuropäische 68er Kultunevolution
hatte die Neue Linke hervorgebracht, die sich fortan in einem spannungsreichen Verhältris den Überresten der
,,FüLr
alten Arbeiterbewegung beigesellte.'¿67
6.7
Überlegungen zum Zusammenhang zw¡schen Sprache und
politischem Handeln
Nachdem im Einftihrungsabschnitt zum Gewaltdiskurs 1968 bereits die These formuliert
wurde, dass materielle Handlungen
in
,,kritischen Ereignissen"
auf die
diskursiven
Formationen im Diskurs Einfluss nehmen (vgl. Abschnitt 6.4), sollen an dieser Stelle nun
einige kurze Überlegungen zum Einfluss der diskursiven Formationen auf das politische
Handeln der Alfeure angestellt werden.
Flankiert von den ,,kritischen Ereignissen" Jimi-Hendrix Konzert vom Mai 1968 und den
,,Globuskrawallen" Ende Juni, anfangs Juli 1968 dient die ,,heisse Zorte" des Diskurses als
Ausgangspunkt für diese Überlegungen. Betrachtet man in diesem Kontext die von beiden
Diskursgemeinschaften entwickelten diskursiven Strategien der (De-)Legitimierung fremder
und eigener Gewalt, so kann die These forrnuliert werden, dass die diskursiven Sftategien für
die Prägung latenter Handlungsdispositionen, die sich in materiellen Praktiken
Entscheidungen
und sozialer
Aktion
auf der Basis
Bedrohungsszenario, wonach
in politischen
schliesslich Bahn brachen, einen wichtigen
Einflussfaktor darstellen. Beispielsweise kann das
,,Establishmenf'
-
von der
Diskursgemeinschaft
diskursiver Delegitimierungssfrategien entwickelte
der demokratische
Rechtsstaat Schweiz aufgrund der
angektindigten Besetzung des Globus-Areals (der ,,Drohung
mit der Gewalf')
einer
unmittelbaren Gefahr ausgesetzt sei, durch anarchische und gesetzlose Kommunisten zerstört
zlt werden, als
bedeutsames
Movens
bei der
Konstruktion
spezifischer
Handlungsdispositionen von Stadþolizei und Behorden anlåisslich der Grossdemonstation am
29. Jwi 1968 interpertiert werden. Insbesondere die mit der prätendierten Ungeheuerlichkeit
erzeugte ,,rnoralische PaniK' (Dramatisienmg, Aufblåihung und
Verallgemeinerung durch Generierung des Feindbildes ,,Kommunismus" und des
des Gegners
Sprachbildes ,,Explosion') trug als diskursiv formiertes Watrnehmungsmuster womöglich zur
6'
Mo de n o, Veråinderung der Psychoan aly se, 7 6.
125
DmruRseNervs¡
LrzpunersARBEIT
Kreation von Handlungsmodellen bei,
in welchem der Einsatz von Gewalt nicht
ausgeschlossen wurde.ou*
Umgekehf könnte auch die von der Diskursgemeinschaft ,,Junge Linke" mittels diskursiver
Delegitimierungsstrategien entwickelte moralische Enfftistung über die Herrschaftspraktiken
des ,,Systems" anlässlich des Jimi-Hendrix Monsterkonzertes zu Handlungsdispositionen
beigetragen haben, welche im Hinblick auf die Herabsetzung der moralischen Hemmschwelle
des ,,Gewalttabus"
in den nachfolgenden Protestereignissen eine wichtige Rolle spielten. Mit
der Konstruktion eines von psychisch degenerierten und faschistisch gesinnten PolizistenUnmenschen verübten Terroraktes beim Monsterkonzert wurde sprachlich gewissennassen
der
,,Sündenfall" geschaffen,
der auch flir den vom FASS gefüllten
Entscheid
handlungsleitend sein dürfte, ein Ultimatum an den Stadtrat zu richten. Gerade aufgrund des
terminologischen Flottierens der für die eigenen Methoden verwendeten BegrifÏe ,,direkfe
Aktíon", ,,Provokation" und ,,Gegengewùt'46e und der daraus resultierenden Ungenauigkeit
und Widersprtichlichkeit für die Präparierung von Handlungsanleitungen muss aber davon
ausgegangen werden, dass
vor der
Grossdemonstration beim Globus wohl keine klare
Handlungsdisposition pro Gewalteinsatz vorlag.aTo
Zusammen
mit den im
Überlegungen lzisst sich
Einführungsabschnitt ztrm Gewaltdiskurs 1968 angestellten
im Hinblick auf die
Beziehungen diskursiver Formationen und
materieller Praktiken schliesslich eine Interferenzthese formulieren: Diskursive Formationen
strukturieren als WebfÌiden die Textur des politischen Handelns, und die politischen Aktionen
arrangieren umgekehrt das Rohmaterial neu, aus welchem
gesponnen werden. Was allerdings
in einem sogenannten
die sprachlichen
,¡noment
Webftiden
of madness't7r,
dem
enthemmten, rohen Gewaltakt, mit den Wissensstrukturen zur Gewalt geschieht und wie sich
bereits existente Strukturen auf den Gewaltakt selbst auswirken, bleibt letalich
** Vgl. dazu das Quellenexzerpt
auf Seite 106: ,Man möchte die öffentliche Ordnung mit fester (wenn auch
nicht unnötig heftig dreinsclrlagender) Hand gesichert wissen."
ou'vgl. seite 103.
ato
Mit der Kreation von
Agency-Ansatz. Vgl.
Handlungsdispositionen wrd darrit auch Handlungsmacht beschäftigt sich auch der
dazu Anm. 205.
126
DrsruRsexervsn
LzsNrrersARBEIT
unerschliessbar
- der ,,high noon" cler Gewalt, der Moment,
in welchem das Ungeheuerliche
und Aufirutihlende geschieh! reprtisentiert gewissermassen eine ,,black box", welche die
Analyse eines ,,Vorher" oder,J'{achher", nicht aber des unmittelbaren ,,Jetzt" gestattet'
ott
Vgl.
daan
Tarrow, Cycles of Collective Action, 28L'284.
r27
Lz¡NnersARBEIT
7
Scur-usssprRACHTUNG
Schlussbetrachtung und Ausblick
In dieser Arbeit setzte ich mir das ZieI, einen Einblick in Prozesse kultureller Kommunikation
und Konstruktion zrr gewinnen: Im Zentam meines
Erkenntnisinteresses
Gewaltdiskurs in Zürich im Kontext der 68er Protestereignisse
-
lag
der
von dessen Analyse erhoffte
ich mir eine tiefere Einsicht in die Mechanismen der Bedeutungs- und Sinnproduktion in
Bezug auf das Phtinomen Gewalt
in der Dynamisierungs- und Umbauphase
ausgangs der
1960er Jahre. Als Gewaltdiskurs habe ich eine Ansammlung, also ein Korpus von Aussagen
zlttÍ Gewalt definiert, welche durch diskursive Formationen
mit im
weitesten Sinne
inhaltlichen (beziehungsweise semantischen) Kriterien oder Merlcnalen ausgestattet worden
sind. Vor der eigentlichen Untersuchung dieser inhaltlichen (bzrv. semantischen) Merlanale
habe ich in einem ersten Schritt das Aussagenkorpus
- den Diskurs -
identifniert. Die Einheit
eines Diskurses kann nicht als präexistent vorausgesetzt werden, sondent ist im wesentlichen
eine
Interpretationsleistung
Diskursidentifikation
des Forschers oder der Forscherin.
Im
Sinne
einer
legte ich deshalb spezifische Sprecher- beziehungsweise
Subjektpositionen fest (die beiden Diskursgemeinschaften ,,Establishmenf' und ,,Junge
Linke") und fixierte
Kristallisationspunkte
im
Protestgeschehen spezielle diskursive Ereignisse als
in der Auseinandersetzung
anm Themenkomplex Gewalt. Mein
Analysekorpus bestand nach dieser Diskursidentifikation aus einer Ansammlung von
Aussagen zur Gewalt, die in acht diskursiven Ereignissen zwischen 1967 und 1969 von den
Diskursgemeinschaften ,,Establishmenf'und,,Junge Linke" geprägt wurden. Diese Aussagen
der Diskursgemeinschaften konnten nun aufgrund der im methodischen Teil dieser Arbeit
entwickelten Analyseanleitung untersucht werden: einerseits
Dimensionen, die
für den
Gegenstand Gewalt
in
im
Hinblick auf
die
den Diskursaussagen definiert wurden,
andererseits in Bezug auf die Strukturierung des semantischen Raumes des Gewaltbegriffes
und die diskursiven Strategien der (De) Legitimierung der Gewalt.
Wie zu Beginn dieser Arbeit erwåihnt, ging es mir nicht um die Beantwortung
einer
spezifischen inhaltlichen Fragestellung zum Bedeutungsgefüge der Gewalt, etwa im Rahmen
einer sozial- oder kulturgeschichtlichen Betrachtung der 68er Ereignisse oder der 68er
Bewegung. Das eigentliche Objekt des Erkennûrisinteresses waren die Modalitäten des sinn-
oder bedeutungsvollen Sprechens und Denkens zvm Themenkomplex
Gewalt
die
sprachliche Strukturierung des Bedeutungsgefüges der Gewalt. Aufgrund der Ergebnisse
t28
ScnrussssrRACHTuNG
LzpNnersARBEIT
meiner Diskursanalyse kann daher an dieser Stelle ein inhaltliches Fazit lediglich summarisch
ausfallen und beispielsweise an die Frage anknüpfen, ob Gewalt bloss als physischer Akt, in
dem ein Mensch einem andern Menschen Schaden mittels physischer Kraft zufügt, gedeutet
wurde.
Die Antwort auf diese Frage ftillt leicht, impliziert jedoch weitreichende Folgeüberlegungen:
Gewalt bedeutete vor dem Hintergrund des jugendlichen Widerstandes in den Jahren 7967,
1968 und 1969 mehr als einen Eingriff
in die physische Integntät
eines Menschen
-
sie
entpuppte sich im Diskurs als komplexer, vielschichtiger und dicht verwobener Gegenstand
der im Schnittpunkt von Herrschafts-, Rechts- und Moralvorstellungen stand. 1967
entwickelte sich der Themenkomplex Gewalt in den noch ausschliesslich von der
Subjekþosition ,,Junge Linke" geprägten Diskursaussagen als Gegenstand mit einer
vorwiegend philosophischen, abstrakten Reichweite. Das Thema Gewalt wurde im
Bedeutungszusammenhang einer illegitimen Herrschaftsordnung und ihrer Instrumente und
Techniken derHerrschaftsaustibung entwickelt: Die Diktatur und Fremdherrschaft der USA in
Vietnam und die nach demselben Herrschaftsmuster funktionierende ,,bärgerliche Diktatur"
des ,,autoritåiren Systems"
in der Schweiz wurden unter dem Begritr Gewalt subsumiert. Mit
den Mitteln und Methoden des jugendlichen Protestes, die aus hedonistischen Happening-
Elementen bestanden, hatte
der Begriff Gewalt und die mit ihm
Vorstellungsmuster vorerst nichts zu tun. Erst
verknüpften
im April und Mai 1968 erhielten
diese
Vorstellungsmuster zur Gewalt durch die Rezeption der gewalttätigen Auseinandersetzungen
im Rahmen der Studentenunruhen im Ausland (insbesondere in Deutschland und Frankreich)
auch eine konkrete Komponente: Gewalt trat
in den
Diskursaussagen nun vorwiegend im
Bedeutungszusammenhang bestimmter Formen der Konfliktausfragung
Aktion oder Handlung
-
- also einer konkreten
auf und wurde vor dem Hintergrund der unkonventionellen
Protestformen der Jugendlichen
in Zunch
abgebildet, evaluiert und bewertet. Der Diskurs
hatte sich 1968 durch das zeitgleiche Auflreten von Aussagen beider Diskursgemeinschaften
zvm
gewisserm¿ßsen
Grundüberzeugungen
Zwiegespräch entwickelt,
und
Deutungslinien
Nr
das durch konkurrierende
Gewalt charakterisiert war.
Dieses
Zwiegespräch z:lm Gegenstand Gewalt erfuhr mit den Schlägereien zwischen Polizeibearnten
der StadtpolizeiZttrichund Konzertbesuchern nach dem Jimi Hendrix-,,Monsterkonzert" vom
31. Mai 1968 und
-
in verståirktem Masse - mit den ,,Globuskrawallen" vom 29.
Juli 1968 eine ungemeine Dynamisierung: ln dieser
Jlunr
bis L
,,heissen Zone" des Diskurses wurde
Gewalt hauptsächlich als Gewalt-Handlung unter ordnungspolitischen, ideologischen,
r29
Scnr-ussenrRAcHTUNG
Lz¡NIETSARBEIT
ethischen und rechtlichen Gesichtspunkten verhandelt
-
ähnlich wie in Deutschland, als erst
der Tod von Benno Ohnesorg bei der Polizeiräumung der Schah-Demonstration im Juni 1967
in
Berlin das Thema Gewalt als praktischen Gegenstand
Aufrnerksamkeit rtickte. Der Gewaltbegriff wurde
in
in den Vordergrund der
dieser von den zwei ,J<ritischen
Ereignissen' des 68er hotestes eingerahmten Phase sukzessive zum Symbol
in
einem
,,moralischen Kreuzzug" verdichtet, das tiber Legitimitätsentzug und Ausgrenzung des
Gegners bestimmte. Unter dem polarisierenden Druck der Ereignisse hatte sich nach den
,,Globuskrawallen" schliesslich ein Differenzierungsverlust im Hinblick auf die effektiven
Ausdrucksformen der jeweils ,,fremden" Gewalt eingestellt: lndem die Gewalt
in
den
Aussagen des ,,Establishments" fast alles war, was die bestehenden Verh¿iltnisse in Frage
stellte (Gewalt: Provokation) und in den Aussagen der ,,Jungen Linken" mit fast stimtlichen
Lebensbedingungen
im ,,System" gleichgesetzt wurde (Gewalt
:
Manipulation), hatte sie
ihren spezifischen Charakter galozlich verloren.
Das Jahr 1969 markiert gegenüber diesem Differenzierungsverlust eine Kehrtwende. Der
Themenkomplex Gewalt wurde rationalisiert und objektivief: Gewalt wurde
Diskursaussagen
in den
im Jahr 1969 fast ausschliesslich als - physische Kraft beinhaltende -
Widerhandlung gegen Verfassung
und Gesetz im Kontext von
Demonstrationen
wahrgenommen und als justiziable Gesetzesüberschreitung sanktioniert. Der Gegenstand
Gewalt erfuhr damit eine Ent-emotionalisierung.
Nach diesem kursorischen Úberblick möchte ich die wichtigsten Resultate der detaillierten
Analyse des Gewaltdiskurses von 1967 bis 1969 pråisentieren.
lnsgesamt wurden
in den Dislarsaussagen
zwischen 1967 und 1969 vier, sich teilweise
überlappende Dimensionen definiert, in welchen sich das Wissen zur Gewalt konstituierte.
Diese
in der Folge ausführlich
Orientierungsrahmen,
in
dargestellten Dimensionen bildeten gewissermassen den
welchem
die
Grundüberzeugungen, Vorstellungsmuster und
Deutungslinien zur Gewalt von den beiden Diskursgemeinschaften generiert, wiederholt und
sttindig weiter modifiziert wurden. Im Hinblick auf diese Dimensionen wurden sowohl der
semantische Raum des Gewaltbegriffes skizziert als auch die diskursiven Strategien der (De-)
Legitimierung von Gewalt en¡ryickelt.
Im Jahr 1967 erscheint der Gegenstand Gewalt in den ausschliesslich von der
Diskursgemeinschaft ,,Junge
Linke" geprägten
Diskursaussagen innerhalb eines
Orientierungsrahmens, der von Aspekten politisch-institutioneller Ordnungsentwtirfe geprîigl
130
LzpNtersARBErr
ScHTUSSSBTRACHTUNG
ist (polity-Dimension). Die Aspekte beziehen sich dabei auf die lnstitutionen, lnstrumente und
Techniken eines moralisch diskreditierten, autokratischen Ordnungsenfivurfes
-
der Diktatur.
Das semantische Zentrum des Gewaltbegriffes wird einerseits durch die Begriffe,,Macht" und
,,Herrschaff' (Fremdherrschaft, imperialistische Herrschaft), andererseits auch durch die
Begriffe ,f,wartg",,,Unterdrtickung" und ,,Repression" strukturiert. Der Gewaltbegriff wird
damit polysem strukturiert: einerseits als Kompetenzbegrifl der eine illegitime
Verfügungsmacht assoziiert, andererseits aber auch als pejorativer Aktionsbegriff, der sich auf
die Techniken der
Herrschaftsausübung bezieht.
Die
Subjekþosition ,,Junge Linke"
entwickelt in der polity-Dimension eine diskursive Strategie, welche die legitime Sichtweise
einer auf die USA und schliesslich auch auf das gesamte ,,spätkapitalistische System"
bezogenen, moralisch diskreditierten Herrschaftsordnung institutionalisiert
und
psychischen Zwang, Unterdrückung
,,demokratischer Protest"
mit
-
die physischen
und Repression ausübende Diktatur.
Ein
,,direkten Aktionen", welche zur Aufldtirung tiber diese
Herrschaftsverhåiltrisse beitragen oder sie gewissermassen ,,entschleiern" sollen, erscheint
daher als legitim.472
kn Jahr 1968 werden die Aussagen des Diskurses von beiden Diskursgemeinschaften geprägl.
Durch das Auftreten von Aussagen der Orte der Macht und der organisierten Gegenmacht
erscheint der Diskurs
im Jahr 1968 als Zwiegespräch,
das nicht von einer einzigen
dominanten Diskursregel norrniert wird. Nach Michel Pêcheux kann dieses Zwiegespräch
deshalb als nicht-stabilisierter Diskurs typologisiert werden.at' Im Vergleich zum Jahr 1967
wird
das Aussagenfeld neu organisiert und auf insgesamt
vier Dimensionen ausgeweitet. Der
Gewaltdiskurs erftihrt durch diese Neuorganisation eine enorme Dynamisierung. Der
Gegenstand Gewalt taucht nicht nur
in der polity-Dimension auf, sondem entwickelt
sich
vorab innerhalb eines politisch-ideologischen und individual-ethischen Orientierungsrahmens
und anschliessend auch in einer Rechtsdimension. Der eigentliche Znnt der Diskursentfaltung
wird dabei mit den von gewaltsamen Konfrontationen zwischen Polizei und Demonstanten
begleiteten ,,Globuskrawallen" Ende Juni 1968 eneicht: Der Gegenstand Gewalt erscheint in
diesem Kontext erstmals in allen vier Dimensionen des Aussagenfeldes. Ein kurzer Blick auf
die einzelnen, sich überlappenden Dimensionen im Kontext der ,,Globuskrawalle" soll die
Vielschichtigkeit und Komplexität des Bedeutungsgefüges der Gewalt
Zoîe"
472
in
dieser ,,heissen
des Diskurses auÈeigen:
Eine Anlehnung an das Vokabula¡ aus Herbert Marcuses
Disktusaussagen 1967 damit erstrnals erkennbar.
131
,per
eindimensionale Mensch"
ist in
den
LzpNr¡TSARBEIT
ScHLUSSSSTRACHTUNG
Der Gegenstand Gewalt wird wie bereits 1967 innerhalb eines Orientierungsrahmens
entwickelt, der durch Aspekfe moralisch nicht anerkannter Herrschaftsformen und deren
Instrumente und Techniken bestimmt
Auseinandersetzungen
ist. Im
Zusammenhang
bei den ,,Globuskrawallen"
mit den gewalttätigen
erhalten die Techniken
der
Herrschaftsausübung nun aber besonderes Augenmerk und werden vor dem Hintergrund der
demokratischen Regeln der Einflussnatrme als Referenz- und (De-)Legitimierungsmatrix
abgebildet. Die Herrschaft des ,,autoritären Systems" äussert sich
in den von der ,,Jungen
Linken" geprägten Aussagen als unmittelbare und manifeste Gewalt: als
,,repressive
Manþlation" und,,Repression". Der Gewaltbegriff wird in seiner Aktionsausprägung damit
zu einem Substanzbegriff angereichert, der mit fast stimtlichen physischen und psychischen
Beeintrachtigungen der individuellen Freiheit
,,Manipulation"
und
im
,,autoritåiren System" assoziiert wird.
,,Repression" verstossen
als Techniken einer autoritåiren
Herrschaftsausübung gegen die Grundsäulen der Demokratie und legitimieren damit die
eigene ,,Gegengewalf'. Diese eigene Gewalt
wird dabei doppeldeutig strukturiert: im
Zusammenhang mit den jugendlichen Reaktionen auf die unmittelbare, Íranifssls Gewalt der
Polizei (des ,,Systems")
im
Sinne einer aktuellen, physische Gewalt einschliessenden
Notwehr, und im Zusammenhang mit den eigenen Organisationsformen
Verfügungsmacht.aTa
im
Sinne von
Bei der Subjeþosition ,,Establishment" verstossen die als Gewalt
gedeuteten,,Provokationen" gegen die demokratischen Spielregeln (Bruch des Gewalttabus in
der Demokratie). Der Begriff ,,Provokation" beinhaltet in diesem Zusammenhang fast alles,
was die Ordnung des demokratischen Staates stört oder in Frage stellt (von Schmtihungen bis
zum \¡/urf von Steinen und Flaschen). Die ,,legale", ,,staatliche Gewalf' wird durch die
Funktionen des Gewalûnonopols, den Schutz und die Aufrechterhaltung der Ordnung,
beglaubigt und legitimiert, wobei sie
-
obwohl als Gewalt-Handlung strukturiert
-
in
die
Kategorien einer auftragsgemässen Leistung gedråingI wird.
Der oben skizzierte semantische Raum des Gewaltbegriffes und die diskursiven Strategien der
(De-)Legitimierung werden nun innerhalb der politisch-ideologischen, individual-ethischen
und der
Rechtsdimension weiter ausgebaut.
hn
Orientierungsrahmen
der
politisch-
ideologischen Dimension wird von der Diskursgemeinschaft ,,Establishmenf' das totalitäre
und damit moralisch entwertete Gesinnungsmuster ,,Kommunismus" geprägt. Sowohl die
,,Junge Linke"
o" Pê"h"*,Rolle
als auch das
,,Establishment" verhandeln
des Gedächtrisses, 5 1
132
auch
den
LzBNuersARBErr
ScnLUSSSBTRACHTUNG
,,FaschismusÀ{ationalsozialismus"
als verfemte Ideologie, welche die
gewissermassen innerlich geftihrdet. Die Konstruktion einer faschistischen oder
-
Demokratie
bezogen auf
die Aussagen der Subjektposition ,,Establishmenf' - kommunistischen Gesinnung von
gewalttatig Agierenden bei den ,,Globuskrawallen" beinhaltet emotional neurotisierende
Elemente,
die alte
ausschliessen
Feindbilder restituieren, politische Gegner aus der Gesellschaft
und eine gleichsam automatische Delegitimierung der ,,fremden"
und
Legitimierung der,,eigenen" Gewalt nach sich ziehen (diskursive Feindbildstrategie).
Gewalttätigkeit (also ,,Manipulation" und,,Repression" beziehungsweise,,Provokation") wird
in der ,,heissen Zone" des Diskurses von beiden Diskursgemeinschaften
auch vor dem
Hintergrund ethischer Maximen individuellen Handelns in Sozietäten abgebildet þolitischideologische Dimension). Sie werden als degenerierte und deviante Handlungen konstituiert
(primitiv, niedrig, unnatürlich) und mit sich rasch ausbreitenden, nicht kontrollierbaren
Krankheiten sowie psychisch anormalen Verhaltensdispositionen assoziiert
(Seuche,
Epidemie, Tollwut, Raserei, Sadismus). Diese Degenerations- und Pathologisierungsstrategien
beinhalten als diskursive Delegitimierungsstrategien ebenso
emotional stark neurotisierende Elemente, tragen
ztx
wie die
Feindbildstategie
automatischen Ausgrenzung der
gewalttåitig Agierenden aus einer für,,normal" befundenen Gesellschaft bei und rticken das
eigene Verhalten in ein ethisch korrekfes Licht.a?s
im Kontext der ,,Globuskrawalle" auch
der durch Aspekte der Gesetzmåissigkeit und
Schliesslich erscheint der Gegenstand Gewalt
innerhalb eines Orientierungsrahmens,
Verfassungskonforrnität politischer Konfliktausftagung bestimmt
wird
(Rechtsdimension).
Das Ausüben von ,,Manipulation" und ,,Repression" beziehungsweise von ,,Provokationen"
wird von der Subjeþosition ,,Junge Linke" gleichermassen wie vom ,,Establishment"
gesetzes-
und rechtswidrige Handlung konstruiert, welche den Rechtsstaat
Unrechtsstaat verwandelt, beziehungsweise
den
in
als
einen
Rechtsstaat zerstört (diskursive
Illegalisierungs- oder Ikiminalisierungsstrategie).
a1a
Aach in diesem Zusammenhang sind die theoretischen Versatzstücke Marcusescher Prägung deutlich
ersichtlich (vor allem,,Manipulation', ,,Repression" und ,,Gegengewalt"). Vgl. dazu Afln. 337.
ott
I- Hitrblick auf die Häufigkeit dieser diskursiven Delegitimierungsstrategien lässt sich ein deutliches Gefülle
in den Aussagen der beiden Sprecherpositionen ausmachen: Während sie sich bei der Subjekçosition ,,Junge
Linke" einzig im Anschluss an die gewaltsamen Auseinandersetzungen beim Jimi Hendrix-Konzert vom 31. Mai
1968 ermitteln lässt, ist sie bei der Subjekçosition ,,Establishment" bereits im Zusarrmenhang mit den
Studentenunruhen im Ausland festzuhalten rurd wird in s¿imtlichen diskursiven Ereignissen des Jahres 1968 als
Delegitimierungsstrategie beibehalten.
r33
LzBNneTSARBEIT
ScHr-ussesrRACHTLrNG
Nach diesem Zenit in Bezug auf die Vielschichtigkeit und Dichte des Bedeutungsgefüges der
Gewalt im Kontext der ,,Globuskrawalle" Miffe des Jahres 1968 stellt die Analyse der
Diskursaussagen im Jahr 1969 eine eigentliche Kehfwende dar: Der Themenkomplex Gewalt
entfaltet sich fast ausschliesslich innerhalb des rechtlichen Orientierungsrahmens. So wird die
wie bereits 1968 mit ,,Provokationen" verknüpfte Gewalt von der Diskursgemeinschaft
,,Establishment" im Rahmen von klaren juristischen Kategorien entwickelt: ,,Provokationen"
und die Gewalt als eine Stufe der ,,Provokation" werden als renitente Handlungen präpariert,
welche gegen die Allgemeine Polizeiverordnung und die Kantonsverfassung verstossen, und
als deklarierte Gesetzesüberschreitungen sanktioniert. Der Gegenstandsbereich wird damit
nicht nur objektiviert, sondern auch ent-emotionalisiert. Die Diskursgemeinschaft
,,Junge
Linke" hingegen unterliegt einer selbstinduzierten Regression: Das eigene Protestverhalten im
Jahr 1969 offenbart für die ,,Junge Linke" die Unmöglichkei! ihre Vorstellungen einer ,,real
veråindernden Praxis"
-
die im Januar 1969 formulierte ,,Politik der gezielten Provokationen'
- zu realisieren. Gemåiss einem Strategiepapier sollte die ,,Politik der gezielten Provokation"
mit langfristigen
theoretischen Planungen und kritischen Reflexionen verknüpft werden,
damit man Machtk¿impfe wie bei den ,,Globuskrawallen" venneiden könne. Vor diesem
Hintergrund entspricht das eigene Protestverhalten in den Aussagen der Diskursgemeinschaft
,,Junge Linke" einer reinen Selbstbefriedigung. Die fehlende Verbindung von Provokation
und Reflexion wird beispielhaft für eine Farbbeutel-Wurfaktion beim Obergericht im Juni
1969 konstatiert, an welcher die Polizei nicht einschreitet. Indem die eigene Protestaktion
im
rechtlichen Orientierungsrahmen des Aussagenfeldes schliesslich als explosive, militante und
verbrecherische Primitivreaktion bezeichnet
wird gelingt
es der ,,Jungen Linken" nicht, ihre
polarisierende Sprecherposition im Gewaltdiskurs aufrecht zu erhalten. Das nicht-stabilisierte
Zwiegespräch des Anfangsdiskurses der Gewalt lost sich 1969 damit schliesslich auf.
Als mögliche
Ursache der oben konstatierten Dominanz der Rechtsdimension im
Aussagenfeld des Diskurses
und als evozierendes Moment für die Auflösung des
Zwiegesprächs habe ich die Entwicklung eines neuenjuristischen Gewaltdiskurses eruiert, der
sich seit dem Demonstrationsverbot nach den ,,Globuskrawallen" scheinbar parallel zum
ursprünglichen Gewaltdiskurs entfaltet. Die Aussagen dieses juristischen Gewaltdiskurses
sind von einer neuen Sprecherposition geprägt, die auf einer engen Kooperation von
behördlichen lnstitutionen basiert (insbesondere Justizbehörden). Er besitzt einerseits einen
strafrechtlich-disziplinierenden Aspekt,
der sich
134
in
den Verfahren zrLr
Bestrafung,
ScHr-ussssrRAcHTuNG
LzpNuersARBEIT
Disziplinierung und Relegation der Akteure der gewalttätigen Auseinandersetzungen vom
29.6.-1.7.1968 wiederspiegelt. Andererseits besitzt er auch einen formaljuristischen Aspekf,
der seinen Ausdruck etwa in Beurteilungen des Demonsüationsrechts findet. Einige Elemente
dieses fonnaljuristischen Aspekfes frnden sich
,,Establishment"
in den Aussagen der Diskursgemeinschaft
im ursprünglichen Gewaltdiskurs wieder
-
der juristische Gewaltdiskurs
scheint damit partiell mit dem ursprtinglichen Diskurs zu interferieren.
Da der neue Diskurs als juristischer Diskurs vollståindig von einer dominanten Diskursregel
normiert wird, kann er gemåiss Michel Pêcheux als stabilisierter Diskurs bezeichnet
werden.aT6
Aufgrund dieser normierten Regelhaftigkeit seiner Aussagen, die von einer herrnetischen und
eng
mit behördlichen Institutionen verknüpften Sprecherposition geprägt werden, möchte ich
thesenartig die Schlussfolgerung ziehen, dass der stabilisierte juristische Gewaltdiskurs dem
nicht-stabilisierten und durch konfligierende Deutungsmuster geprägten ,¡Anfangsdiskurs" der
Die institutionell flottierende
Diskursgemeinschaft ,,Junge Linke" schien gegenüber dem definitionsmächtigen
Institutionengefüge im Jahr 1969 keine Möglichkeit z;tt besitzen, ihr Sprechen zlrtm
Gegenstandsbereich Gewalt in einem Ort des Aussagens zu homogenisieren und zu
Gewalt ,jiberlegen"
ist und ihn deshalb
absorbiert.
kanalisieren, womit ihr die Erzeugung einer gleichwertigen Defuritionsmacht misslang.
Die Quintessenz dieser Ausführungen hat Max Frisch bereits im Juli 1968 in literarisch
verdichteter Fonn vorweggenoÍrmen: ,,Es wird gesfaft. Macht. Das ist die g n7.e
Erkenntnis.'a77
Die abschliessende These zur Auflösung des Zwiegespräches im Jahr 1969 leitet direkt zur
kritischen Evaluation des methodischen Vorgehens in dieser Arbeit über. Im Zusammenhang
mit der von mir konstatierten Entwicklung eines von einer neuen Sprecherposition geprägten
juristischen Gewaltdiskurses stellt sich die Frage, ob er
These,
- entgegen der oben festgehaltenen
er sei als eigenständiger Diskurs z1r befiachten nicht als Produkt einer
Transformation des ursprünglichen Gewaltdiskurses interpretiert werden sollte. Er wtire damit
nicht als eigenständiger, vom ursprünglichen Gewaltdiskurs entkoppelter Diskurs
zrt
betrachten, sondern lediglich als Weiterentwicklung dieses Diskurses. Da der Diskurs nach
dem
in
dieser Arbeit entwickelten Diskursverständnis keine präexistente Einheit darstellt,
kann er von der Forscherin, dem Forscher erst gedacht werden, wenn das Aussagenkorpus
*u
q7
Pêch"nx, Rolle des Gedächfirisses, 51.
Frisch,Max. Die grosse Devotion. In:
,pie Weltwoche", 12.7.1968.
l3s
ScHrusseprRACHTUNG
LzpNrrRrsARBErr
zusammengestellt ist. Ftir die Konstituierung des Korpus muss er oder sie aber bereits im
Voraus,,Orte des Aussagens" (Sprecherpositionen) festlegen, um nach den ihnen angelagerten
Aussagen suchen zu können. [n der Herleitung meiner Analyseschritte bin ich deshalb von der
Prämisse ausgegangen, dass die Sprecherpositionen im Diskurs vor der eigentlichen Analyse
der Aussagen bestimmt werden können. Im Zusammenhang mit dem von einer
neuen
Sprecherposition geprägten juristischen Gewaltdiskurs stösst mein theoretisch-methodisches
Arrangement deshalb an seine Grenzen: Der juristische Diskurs kann aufgrund der neuen
Sprecherposition nicht als Produkt einer Transformation des ursprünglichen Gewaltdiskurses
interpretiert werden.ot*
Im weiteren stellt sich die Frage, ob die Diskursgemeinschaft ,,Junge Linke", vertreten durch
die
Organisationen
FSZ, Junge Sektion und FASS, aufgrund ihrer
instabilen
Zusammensetzung und der institutionellen Vagheit einen Ort der organisierten Gegenmacht
darstellt, an welchem eine überindividuelle Realität der Subjekte zrum Ausdruck gelangen
kann. Da im gesichteten Quellenmaterial der ,,Jungen Linken" oft Anzeichen individuellen
Sprechens der beteiliSen Akteure gefunden wurden,
ist die
Zusammenstellung der
Diskursaussagen für die eigentliche Analyse nicht immer leicht gefallen.
Als Perspelrfiven für eine V/eiterarbeit, die auch im Hinblick auf die oben
Ûberlegungen
ztñ methodischen
Operationalisierung
des
erw¿ihnten
Gewaltdiskurses weitere
Außchlüsse geben könnten (Problematik der Sprecherpositionen), möchte ich abschliessend
zwei Vorschläge formulieren.
Viele Indizien sprechen dafür, dass der analysierte Gewaltdiskurs
n
Znnch sowohl im
Hinblick auf die diskursiven Muster und Deutungslinien als auch auf die Diskursdynarnik
Parallelen zum Gewaltdiskurs
in
Deutschland aufiveist. Eine komparative Studie zur
Entwicklung des Diskurses der Gewalt
im
Kontext der sukzessive
eskalierenden
Gewalterfahrungen in Deutschland (Tod von Benno Ohnesorg atrt2.6.1967, Attentat auf Rudi
Dutschke atrt 19.4.1968 mit anschliessenden Springer-Blockaden, sogenannte ,,Schlacht arn
Tegeler Weg" am ll.1l.1963) und der Schweiz könnte gerade in Bezug auf die Funktion der
,,kritischen Ereignisse" für die Transformation der sprachlichen Webftiden neue Einblicke
ermöglichen. Als keineswegs einfache und bislang nicht geleistete Vorarbeit müsste hiernt
478
Diese Problematik findet sich in Michel Foucaults ,,Archäologie" nicht: Subjektpositionen werden nach
Foucaults methodischem Programm vom Diskurs hervorgebracht beziehungsweise formien (vgl. Anm. 196). Vor
diesem Hintergrund stellt sich deshalb die Frage, ob ein neuer methodischer Modus entwickelt werden könnte,
736
ScHI.ussg¡TRACHTUNG
LIzgNneTSARBEIT
allerdings der Gewaltdiskurs
in
Deutschland (zumindest anhand von einigen diskursiven
Ereignissen) erst noch diskursanalytisch untersucht werden. Spezifisch auf die Schweiz
bezogen oder ebenfalls
im Sinne einer komparativen Studie könnten
überdies auch die
möglichen diskursiven Vermittlungselemente zwischen den Strategien
der
(De-)
Legitimierung von Gewalt bei der 68er Bewegung und den in den 70er Jahren auflceimenden
RAF-nahen Gruppierungen in Znichbeziehurgsweise in Deutschland untersucht werden.
bei welchem die ,,Orte des Aussagens" nicht im Rahmen der Diskursidentifikation behandelt werden, sondem als
genuines Objekt der Analyse gelten.
t37
Lz¡NnersARBErr
I
Blbliograph¡e
8.1
Quellen
BterrocRAprrrs
8.1.1 Ungedruckte Quellen
Sozialarchiv Zürich (SA). Archivbestände der Fortschrittlichen Studentenschaft ZtiLrich (FSZ)
4r.201.35.
Einladungen, Protokolle
FSZ-intern (Zeitschrift), Manuskripte
Flugblätter
Zeitungsauss chnitte (2 Mappen)
Sozialarchiv Zürich (SA). Archivbestände der Jungen Sektion der PdA Zlrich.
1rr.26.40.4.
lnterne Texte
DD (Diskussions-Dokumente)
Flugblätter
Sozialarchiv Zürich (SA). Archivbeståinde der Fortschrittlichen Arbeiter, Schüler und
Studenten (FASS).
Ar.201.36.
Einladungen, Protokolle, Korrespondenz
Flugblätter
Pressedokumentation (2 Mappen zu Studentenbewegung in der BRD und in anderen Ltindem)
S o z i al ar c hiv
Zür i c h (SA ) . Klens chrift en.
Zir
cher Unruhen, Zlúr cher M ani fest.
KS 335/4\a.
Die Zürcher Unruhen: Inhaltsanalyse der Zeitungsberichte über die Zircher Unruhen vom
29.6.-1.7.1969,vorgelegt vom Soziologischen Institut der Uni Zitrich,10.7.1968.
9.9.1969 im Centre le Corbusier: Flugblätter,
,,Sechs Tage Zurcher Manifest", 4.
Materialien, Texte.
Dokumentation I. Berichte und Aussagen von Augenzeugen über die Ausschreitungen vom
29.130.6.1968
Zärrch" hrsg. von der Dokumentationsstelle der Arbeitsgemeinschaft
,/lrcher Manifest", September 1 96 8.
Ztrcher Unruhen 1968: Plakate
Zvrcher Unruhen I 968: Materialien, Interpretationen, Aufrufe, Berichte
-
n
Studienbibliothek zur Geschichte der Arbeiterbevegung Zürich (StB). Archivbesttinde der
F orts chrittl ichen S tudentens chaft Zlr ich (F SZ).
Ar.105102.
Einladungen, Protokolle, Korrespondenz
Manuskripte
r38
BIeLTocRApHI¡
LznNuersARBEIT
Flugblätter
Zeitungsausschnitte
Stud¡enb¡bliothek zur Geschichte der Arbeiterbevegung Zürich (StB). Archivbestände der
Forts chrittlichen Arbeiter, S chuler und Studenten (FAS S ).
4r.105/05.
Protokolle, Korrespondenz
Manuskripte
Flugblätter
Polizeirapporte
Studienbibliothek zur Geschichte der Arbeiterbewegung Zürich (StB). Archiv Justiz, Polizei,
Repression, Staatsschutz.
4r.105/13.
Stadtpolizei Z:drt'lich, Polizeiinspektorat. Demonstrationen, Unruhen und polizeiliches
Verhalten. Erfahrungen und Lehren im In- und Ausland. Nur für dienstlichen Gebrauch.
November 1968.
Flugblätter (gegen polizeiliche Repression)
Stadtarchiv Zürich (Stadt AZ). Y.B.a.l3. Stadtrat von Znnch. Sitzungsprotokolle (1967
-
1e6e).
Stadtarchiv Zürich (Stadt AZ).
r96e).
L
Stadtarchiv Zùrich (Stadt
AZ). V.B.c.ll:39.
Akten
zt
den Sitzungsprotokollen des Stadtrates (1967
-
Rechtskonsulent. Demonstrationsrecht
allgemein/Jugendunruhen 1968 und die Folgen.
8.1.2 Gedruckte Quellen
Wehret den Anftingenl Zur Gewalttätigkeit
Zwich1968.
in der Politik (NZZ-Schriften zur Zeit
Nr.7).
8.1.3 Periodika
Zeitdienst. Unabhängige Sozialistische Information.20.
-22.
Jg. (1967
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1969).
Zürcher Student. Offzielles Organ der Studentenschaft der Universtität Ztirich. 44.
(1966167 - r969t70).
- 47 . Jg.
Agitation. Aktionszeitschrift der FASS. Nr. 1- Nr. 3 (1969).
Neue Zürcher Zeitung.188.-190. Jg. (1967
- 1969).
PBY-Nachrichten (Publikationsorgan des Polizei-Beamten-Verbandes der Stadt Zürich), Nr,
54,Dezember 1969.
139
BreuocRApHIB
LzBNI¡TSARBEIT
8.2
Darstellungen
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