Universität Luxemburg
Sommersemester 2016
Kurs: Phenomenology
Dozent: Arnaud Dewalque
Über den Ursprung des
Kausalitätsbegriffes bei David
Hume und Carl Stumpf
Scheer Kris
Matrikelnummer: 0070394500
Email: kris.scheer.001@student.uni.lu
Die vorliegende Arbeit wir sich mit dem von Hume erhobenen Einspruch
gegenüber dem Kausalitätsbegriff beschäftigen. Anfänglich werden Humes
Gedanken vorgestellt und erläutert, damit dem Leser ein Überblick auf die
Problemlage verschafft wird. In einem zweiten Teil werden Carl Stumpfs
Gedanken denen Humes kontrastiv entgegengestellt. Das Ziel der Arbeit wird es
sein, zu zeigen, wie Stumpf Humes Anspruch an die Begriffsentstehung gerecht
wird und somit die Grundlage für das Kausalitätskonzept liefert, ohne natürlich
den Anspruch zu erheben, dies in aller Vollständigkeit bewerkstelligen zu
können.
Die folgenden Ausführungen werden sich zunächst Humes Gedanken über
Kausalität zuwenden.
Um Humes Gedankengang zu verstehen, muss zuerst auf die Kerngedanken
seiner Erkenntnistheorie1 hingewiesen werden. Als einer der wohl bekanntesten
und einflussreichsten Empiristen, ist Hume der Auffassung, dass es kein Wissen
geben kann, das nicht durch die Sinne gegeben ist. Diese Idee ist an sich nicht
sehr bahnbrechend, denn schon Humes Vorgänger John Locke meinte, dass
Nichts im Verstand ist, was nicht vorher in den Sinnen war. Hume glaubt also,
genau wie Locke, nicht an die bereits in der Antike von Platon vertretene
Meinung, dass es angeborene Ideen oder Begriffe gäbe. Laut Hume geht alles
Wissen ursprünglich von Sinneseindrücken2 aus, die sich im Verstand dann zu
simplen beziehungsweise komplexen Ideen zusammenfügen. Somit würde aus
dem Sinneseindruck eines weißen Hauses die Idee eines weißen Hauses gebildet
werden können. Man hätte aber nicht nur die Idee des weißen Hauses, sondern
zudem auch die Idee von Fenster, der Farbe weiß, Tür, usw. Auch aus einzelnen
simplen Ideen können später neue komplexe und zusammengesetzte Ideen
geformt werden. So kann aus der Idee der Farbe rosa und der Idee eines
Elefanten durch Ideenassoziation, die Idee oder der Begriff eines rosa Elefanten
entstehen. Somit kann man einen Begriff von etwas haben, ohne dieses Ding
jemals gesehen zu haben, so lange der Verstand bei der Assoziation auf Ideen
zurückgreifen kann, die er aus Eindrücken erlangt hat. Zudem kann der Verstand
1
2
Folgende Ausführungen beziehen sich auf : Hume, David. : A treatise of Human Nature. Part II. S.7-17.
Impressions
2
Ideen, die er bereits besitzt beliebig vergrößern und erhöhen. So würde man
auch zum Beispiel erklären können, wie es möglich ist, den Begriff "Gott" zu
besitzen. Gott als die Idee eines Wesens, das allmächtig und gut ist, würde aus
der Idee von Macht und Güte gebildet werden, indem man beide Ideen ins
Absolute steigert und dann assoziiert.
Diese kleine Ausführung sollte nur dazu dienen, dass der Leser sich in Humes
Denken orientieren kann und stellt keinesfalls den Anspruch Humes
Erkenntnistheorie in seiner ganzen Komplexität dargestellt zu haben. Wichtig ist
vor allem folgenden Gedanken zu verstehen: wenn ein Begriff oder Konzept
unklar zu sein scheint, muss man nur auf die ihm zugrundeliegenden Eindrücke
zurückgreifen, um zu sehen, ob diese den Begriff klarer erscheinen lassen. Wenn
ein Begriff nun aber keine ihm zugeschriebene Idee zu haben scheint und auch
kein der Idee zugrundeliegender Eindruck gefunden werden kann, so gilt es den
Begriff zu verwerfen, da er inhaltslos und somit ohne Bedeutung ist.
Diese Vorgehensweise wendet Hume nun auch auf den Begriff der Kausalität an.
Im Folgenden soll jetzt dargelegt werden, welche Konsequenzen hieraus
erfolgen.
Hume beginnt damit, den Ursprung dieser Idee, das heißt den ursprünglichen
Eindruck aus dem diese entsteht, ausfindig zu machen.3 Wenn man nun zwei
Objekte untersucht, von denen man das eine Ursache und das andere Wirkung
nennt, so kann man den Begriff der Kausalität in keinem der beiden Objekte an
sich ausfindig machen. Wenn Kausalität aber keine Qualität einzelner Dinge ist,
so muss der Begriff womöglich aus einer bestimmten relationalen Verbindung
zweier Objekte abgeleitet werden. Bei der Untersuchung, welche Relationen
zwischen zwei Gegenständen herrschen, die man üblicherweise als kausal
miteinander verbunden bezeichnet, findet Hume zuerst zwei solcher
Beziehungen. Wenn man von Kausalität redet, ist es zunächst wichtig, dass sich
Ursache und Wirkung in unmittelbarer räumlicher Nähe befinden. Auch wenn
ein Geschehen Folgen haben kann, die örtlich weiter von diesem entfernt sind, so
findet man meist bei genauer Betrachtung eine Kausalkette von anderen
Geschehen bis hin zu dem weit entfernten, welche wiederum zwischen einander
3
Hume, David: A Treatise of Human Nature. S.53
3
diese Kontiguität aufweisen.4 Ein zweites wichtiges Merkmal von Kausalität ist
die Tatsache, dass die Ursache der Wirkung voraus geht. Nun reichen die beiden
Relationen Kontiguität und Sukzession aber noch nicht aus, um von Kausalität zu
sprechen. Es gibt nämlich genügend Dinge, die raumzeitlich in dieser Weise
miteinander verbunden sind, jedoch nicht kausal zusammenhängen. Aus diesem
Grund fügt Hume die dritte und wichtigste Relation hinzu, nämlich die der
notwendigen Verbindung. Als Empirist muss Hume aber nun zugeben, dass bei
der Betrachtung zweier kausal aufeinander folgenden Geschehnissen nur die
ersten beiden Relationen festzustellen sind. Nirgends begegnet man dem
Eindruck dieser Notwendigkeit, welcher aber in Humes Denken unumgänglich
ist. Wie ist es denn nun möglich, dass die Idee im Verstand existiert, ohne dass
dieser ein Eindruck vorausging? Da Hume erstmals keine Klärung dieser
Schwierigkeit einfällt, versucht er das Problem auf andere Weise anzugehen. Er
versucht deshalb die Frage zu klären, wieso man darauf schließt, dass
verschiedene Ereignisse notwendiger Weise bestimmte Folgen haben. Denn es
gibt kein Ding, das, wenn an sich betrachtet, die Existenz eines anderen Dinges
impliziert. Nur durch Erfahrung kann man folgern, dass die Existenz des einen
Dinges, die Existenz des anderen nach sich zieht. Nur wenn man bereits in der
Vergangenheit Ereignisse beobachtet hat, welche immer von diesen und jenen
Ereignissen begleitet wurden, so schließt der Verstand daraus, dass dies auch
weiter hin so sein wird. Dadurch, dass man sich an das Vergangene erinnert,
wird der Verstand dazu veranlasst, auf Gleiches zu schließen. Und nur dadurch,
dass der Verstand der Meinung ist, dass Zukünftiges sich konform zu
Vergangenem verhält, glaubt man hier eine Art notwendige Verbindung zu
erkennen. Das Einzige, was aber in Realität zu erkennen ist, ist ein regelmäßiger,
und kein notwendiger Zusammenhang. Der Fehler entsteht hier durch die
Tatsache, dass Erinnerungen, obwohl auch Vorstellungen, im Vergleich zu
einfachen Einbildungen viel lebhafter und lebendiger erscheinen. Und je
intensiver eine Vorstellung ist, desto eher wird sie im Verstand zu einer
Überzeugung.5
4
5
Hume, David: A Treatise of Human Nature. S.54
Hume, David: A Treatise of Human Nature. S.60-61
4
Die dritte Relation, die der notwendigen Verbindung, existiert also eigentlich
nicht, da nicht durch die Sinne gegeben und muss somit zu einer regelmäßigen
Verbindung abgeschwächt werden. Diese Relation kann empirisch nachgewiesen
werden und beruht auf ursprünglichen Eindrücken. Dass diese Verbindung aber
notwendig ist, kann nicht zweifelsfrei bewiesen werden. Dies würde nur wahr
sein, wenn es auch notwendig wäre, dass alle zukünftigen Geschehnisse sich so
verhalten wie die vergangenen. Obwohl es bei Naturereignissen, welche auf
Naturgesetzen beruhen, sehr wahrscheinlich ist, dass diese sich gleichartig
verhalten, so ist dies jedoch nicht notwendig;6 jedenfalls nicht in dem Sinne wie
es die Vernunftsgesetze sind. Denn Notwendiges kann nicht in der Welt
wahrgenommen werden, sondern nur Tatsächliches.7 Man kennt lediglich nur
die logische Notwendigkeit, das heißt, es gibt Beziehungen zwischen den
Vorstellungen, die sich mit zwingender Evidenz aus ihnen selbst heraus
ergeben.8 Hier sei nur an die logischen und mathematischen Gesetzmäßigkeiten
gedacht, welche nicht bloß so und so sind, sondern auch so sein müssen und
deren Gegensatz nicht einmal vorstellbar ist. Dass aber Geschehnisse, denen man
noch nicht in der Erfahrung begegnet ist, sich so verhalten wie früher
beobachtete, hat nicht dieselbe Unausweichlichkeit wie die logischen
Gesetzmäßigkeiten. Man kann sich nämlich zumindest vorstellen, dass die
Naturgesetze anders seien als sie sind. Wenn man aber eine klare Idee von etwas
hat, so Hume, dann ist dies ein unumstößliches Argument dafür, dass dies auch
real möglich sei. Und wenn es wenigstens möglich ist, dass sich die
Gesetzmäßigkeiten der Natur anders verhalten, als sie es bis jetzt taten, so ist
dies für Hume ein Beweis dafür, dass es in der Natur nichts Notwendiges gibt.9
Zukünftige Ereignisse können also nicht vernunftgemäß aus Vergangenem
hergeleitet werden und sind somit nicht notwendig. Diese notwendige
Verbindung, diese unsichtbare Kraft, welche das eine Geschehen mit dem aus
ihm folgenden verbindet, kann also weder aus dem Denken heraus abgeleitet
werden, noch kann man sie mit den Sinnen erkennen. Wenn die Notwendigkeit
Hume, David: A Treatise of Human Nature. S.62
Stumpf, Carl : Erkenntislehre. S.48
8 Stumpf, Carl : Erkenntislehre. S.48
9 Hume, David: A Treatise of Human Nature. S.62
6
7
5
aber nicht vernunftgemäß und auch nicht aus der Erfahrung abgleitet werden
kann, so muss sie, laut Hume, verworfen werden.
Dass die Notwendigkeit als geheime Kraft zwischen zwei Ereignissen weder
durch Beobachtung noch durch das Denken in der Außenwelt zu beweisen ist,
bedeutet aber nicht, dass diese nicht vielleicht in der inneren Erfahrung
nachweisbar ist.
Hier nämlich setzt Carl Stumpf an, wenn er versucht den Begriff der Kausalität
herzuleiten.
Während
Hume
bestreitet,
dass
man
durch
innere
Selbstbeobachtung dem Ziel näher kommen kann10, glaubt Stumpf eben gerade
hier die Antwort zu finden. Stumpf beginnt seine Ausführungen mit einem
anschaulichen Beispiel: Wenn ein Leser den Ausführungen eines Buches mit
gespannter Aufmerksamkeit folgt und sich dann vergegenwärtigt, was er gerade
dabei erlebt hat, dann ist es nicht bloß ein Aneinanderreihen von Wörtern und
Sätzen
sondern
ein
zusammenhängender
einheitlicher
Zustand,
zusammengehalten durch den "fortdauernden Willen zu verstehen und zu
urteilen".11 Erst durch die willkürliche Aufmerksamkeit ist es möglich, dass aus
dem Einzelnen ein einheitliches Ganzes wird. Das Ganze gleicht einer großen
Maschine unter dem Einfluss eines Motors. Während man bei der physischen
Maschine das Bedingungsverhältnis nicht direkt wahrnehmen kann, wird es bei
dem psychischen Vorgang direkt erlebt. Das Bedingende ist die willkürliche
Aufmerksamkeit. Es ist der Auslöser für das Verstehen und das Zusammensetzen
des Erlebten. Hier also, so Stumpf, hat man das Urphänomen für die Bildung des
Begriffes "Bedingtsein" oder "Verursachtsein".12 Der wesentliche Unterschied
gegenüber den Beobachtungen der äußeren Sinneswelt besteht eben darin, dass
der Vorgang und die Wechselwirkungen nicht erst erschlossen werden müssen,
was bei den physischen Gegenständen nicht möglich ist, sondern direkt
wahrgenommen wird und somit auch die Beziehungen direkt erfasst werden. Die
Tatsache, dass die innere Wirksamkeit des Wollens auch andere Bedingungen
voraussetzt, welche vielleicht nicht erschlossen werden können, heißt nicht, dass
das zuvor angesprochene Bedingungsverhältnis nicht bestehen würde. Die
Notwendigkeit
von
Mitbedingungen
hebt
das
Bestehen
eines
Hume, David : An Enquiry Concerning Human Understanding S.113-124
Stumpf, Carl : Erkenntislehre. S.43
12 Stumpf, Carl : Erkenntislehre. S.44
10
11
6
Bedingungsverhältnisses nicht auf.13 Dies ist als direkte Antwort auf Humes
Einwand zu verstehen. Dieser weist auf das Problem hin, dass diese innere
Wirksamkeit des Wollens durch viele Ursachen gehemmt werden könne über die
man einerseits nichts wissen und auch wenn, gegen welche man nichts
unternehmen könne.14 Dieses Argument ist aber, wie gerade gezeigt, nicht
zwingend.
In
einem
weiteren
Schritt
wendet
sich
Stumpf
den
bewussten
Willensentscheidungen zu, welche eine Bewegung des Körpers zufolge haben
und spricht somit einen weiteren Kritikpunkt Humes an. Er gibt Hume Recht,
dass man den genauen Zusammenhang und die genaue Abfolge vom Wollen bis
hin zur tatsächlichen Handlung nicht nachvollziehen kann, sondern nur die
zeitliche Abfolge davon wahrnimmt 15 . Trotzdem liegt jeder willkürlichen
Bewegung auch die willkürliche Herstellung eines inneren Zustandes zugrunde.
Auch wenn man die Zwischenschritte vom Wollen hin bis zur ausgeführten
Bewegung nicht bis ins kleinste Detail erklären kann, so wird das Wollen
dennoch als Bedingung für die Bewegung erlebt.16 Auch hier will Stumpf zeigen,
dass man durch innere Erfahrung den Begriff des Bedingtseins oder auch des
Verursachtseins empirisch herleiten kann. Und er schlussfolgert aus diesen zwei
Beispielen, dass die "unmittelbaren inneren Wirkungen der Willensakte die (...)
tiefste und letzte Wurzel des Kausalbegriffes sind“.17
Stumpf hat also Humes Anspruch geltend gemacht, indem er den Begriff des
Bedingtseins und somit den Begriff der Kausalität auf ein ursprüngliches
Erlebnis zurückgeführt hat. Während Hume vergebens in der äußeren Erfahrung
danach gesucht hat und über dem die innere Erfahrung als dessen Quelle nicht
wirklich ausgeschöpft hat, hat sich Stumpf eben genau dieses Gebiet für seine
Untersuchungen ausgesucht. Und so schlussfolgert Stumpf, dass die Idee der
Kausalität empirisch auf das innere Erlebnis des bedingenden Wollens
zurückzuführen ist und wird somit zum ursprünglichen Stempel der
Kausalitätsidee. Stumpf geht aber noch einen Schritt weiter, indem er versucht
zu erklären, wie es dazu kommt, dass man dazu neigt, den Begriff der
Stumpf, Carl : Erkenntislehre. S.45
Hume, David : An Enquiry Concerning Human Understanding S.121
15 Hume, David : An Enquiry Concerning Human Understanding S.117
16 Stumpf, Carl : Erkenntislehre. S.45
17 Stumpf, Carl : Erkenntislehre. S.46
13
14
7
Notwendigkeit, den Hume verworfen hat, zum Konzept der Kausalität
hinzuzufügen und dies besonders hinsichtlich des naturwissenschaftlichen
Kausalbegriffs. Der menschliche Verstand wird nämlich, wenn das eine immer
auf gleiche Weise aus einem anderen folgt, immer schließen, dass es nicht bloß
nach, sondern gesetzlich daraus folgt. Während durch Beobachtungen nur auf
die Zeitfolge und auf die Regelmäßigkeit zu schließen ist, werden dem
naturwissenschaftlichen Kausalbegriff immer wieder die hinzugedachten
Merkmale des Bedingtseins und der Notwendigkeit beigefügt. Wo das erste
"akzessorische"18 Merkmal, die Bedingtheit, seinen Ursprung hat, haben die
vorangehenden Ausführungen gezeigt. Dieses wird von der psychischen auf die
physische Kausalität übertragen. Ob diese Übertragung berechtigt ist oder nicht,
steht nicht zur Frage. Es geht hier nur darum zu zeigen, wie es möglich ist, den
Begriff zu haben, wenn er denn nicht, so wie Hume es fordert, aus der Erfahrung
abzuleiten ist. Während der Ursprung des ersten Begriffs bereits vorher
erläutert wurde, bedarf der zweite, der der Notwendigkeit, weiterer
Nachforschungen.
Stumpf muss eingestehen, dass es Notwendiges in der Natur nicht gibt, sondern
nur Tatsächliches und ist hier mit Hume einer Meinung. Wenn es aber nirgends
Notwendigkeit gäbe, wäre der Begriff inhaltslos und ohne Sinn und müsste
verworfen werden. Es gibt jedoch einen Bereich, in dem die Notwendigkeit ihren
Platz hat, nämlich im Denken. Wie schon oben erwähnt, gibt es Beziehungen
zwischen Vorstellungen, welche sich notwendigerweise aus den Vorstellungen
selbst ergeben. Hier hat man es mit einer sachlichen Notwendigkeit zu tun.19
Diese sachlichen Notwendigkeiten oder Vernunftgesetze unterscheiden sich
insofern von Naturgesetzen, dass man ihr Gegenteil nicht einmal denken kann.
Wenn man sich aber vorstellt, dass die Naturgesetze anders wären als sie sind,
so kommt das Denken nicht mit sich selbst, sondern nur mit den Tatsachen in
Konflikt. Stumpf nimmt nun an, dass der Begriff der Notwendigkeit, wie er in der
Logik zu finden ist, auf die Natur angewendet wird und so der Begriff der
Naturnotwendigkeit entstand.
So kann, laut Stumpf, wenn von der
Notwendigkeit der Naturgesetze die Rede ist, nur Folgendes gemeint sein:
Stumpf, Carl : Erkenntislehre. S.47
19 Zum Beispiel : Auf einer geraden Linie mit drei Punkten liegt notwendigerweise ein Punkt zwischen den
beiden anderen.
8
"Verhaltensweisen, die wir als vernunftnotwendig erkennen würden, wenn, statt
bloßer Sinnerscheinungen, das Wesen der Naturdinge für uns in begrifflicher
Form erfaßbar wäre."20 So wird also der Begriff der Naturnotwendigkeit durch
Übertragung aus dem Begriff der Vernunftnotwendigkeit gebildet. Dies kann also
analog zu den Ausführungen über den Begriff der Bedingtheit verstanden
werden. Die Quelle beider liegt außerhalb der äußeren Sinneserfahrung und
wird von da aus in den Bereich der Natur verlegt. Wie bereits vorher spielt es
hier keine Rolle, ob diese Übertragung gerechtfertigt ist oder nicht. Hier soll nur
gezeigt werden, wie die Begriffe Notwendigkeit und Bedingtheit ursprünglich
entstanden sind. Stumpf hat hier also Humes Ausgangsposition übernommen
und denselben hohen Anspruch an die Begriffsgenese gestellt. Auch wenn man
die beiden hier besprochenen Begriffe tatsächlich nicht in der äußeren
Erfahrung ausmachen kann, so können sie laut Stumpf dennoch erlebt werden.
Dass dies nicht das Hauptproblem der naturgesetzlichen Kausalität löst, sei
dahingestellt. Was Stumpf jedoch geleistet hat, ist die Begriffe, welche anfangs
inhaltslos schienen, auf klare Erlebnisse zurückzuführen und ihnen somit wieder
Bedeutung zuzuschreiben.
20
Stumpf, Carl : Erkenntislehre. S.50
9
Literaturverzeichnis:
Hume, David: A Treatise of Human Nature. Oxford University Press. New York,
2000.
Hume, David: Enquiry Concerning Human Understanding. Project Gutenberg
eBook. 2006.
Stumpf, Carl: Erkenntnislehre. Pabst Science Publishers. Lengerich, 2011.
10