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Was passiert mit einer Stadt, wenn abgeschlossene Siedlungen zum Normalfall werden?
Um Antworten auf diese Frage zu finden, muss man nicht auf andere Kontinente reisen.
In unserem Nachbarland Polen sind Gated Communities in den letzten Jahrzehnten zur
dominierenden Form des Wohnungsneubaus geworden. Allein Warschau wird von über
400 dieser bewachten Siedlungsinseln durchsetzt – mit einschneidenden Folgen für
die Menschen innerhalb und außerhalb der Umzäunungen.
Die Gated-Community-Stadt
Warschau
Text Joanna Kusiak
Nacht vor den Zäunen der
Gated Community Marina Mokotów in Warschau. Die hohen Sicherheitsvorkehrungen
schrecken schon lange nicht
mehr ab, sondern ziehen
Diebe eher an.
Foto: Jan Smaga
Die jüngere kulturelle und soziale Entwicklung Warschaus
hat Journalisten in aller Welt dazu verführt, der polnischen
Hauptstadt den Titel „Das neue Berlin“ zu verleihen. Die über
400 Gated Communities, die es heute in der Stadt gibt, provozieren aber auch andere gewagte Vergleiche: mit den hoch segregierten nord- und lateinamerikanischen Städten. Möchte
man dieses Phänomen grundsätzlich untersuchen, kann man
sich nicht auf den räumlich-lokalen Aspekt beschränken, sondern muss auch die Wirklichkeit einer neoliberalen Wirtschafts- und Wohnungspolitik betrachten.
Importierte Träume
Dazu auf Bauwelt.de | Bildstrecke:
Gated Communities bei Nacht – eine
Serie des Warschauer Fotografen Jan Smaga
Schon die allererste Gated Community in Warschau war im
wörtlichen Sinne importiert worden, als komplettes Paket aus
den Vereinigten Staaten. Das Baumaterial, bis hin zu den Kurbelöffnern für die amerikanischen Fenster, überquerte im
Frühjahr 1998 den Atlantik. Die eingezäunte Doppelhaussiedlung mit ihren weißen Holzverkleidungen inmitten saftigen Grüns sollte den Amerikanischen Traum verkörpern.
Aber die Träume der Massen, die den Bildern fernen Reichtums entstammen, waren nichts anderes als der Widerschein
der politischen Wunschvorstellungen der herrschenden Eliten. Unter der Führung von IWF und Weltbank überzeugte die
post-sozialistische Regierung ihre Bevölkerung davon, dass
die sogenannte „Schocktherapie“ Polen in ein westliches Land
verwandeln würde, wobei nach landläufiger Meinung ein
westliches Land gleichbedeutend war mit einem reichen
Land.
Diese Illusion wurde von den privaten Immobilienfirmen nur allzu gern bedient. Sie gaben den ersten Gated Communities Warschaus Namen, die einem heute, ist man bei
halbwegs klarem Verstand, prätentiös vorkommen: Curtis International in der dörflichen Vorstadt, eine Marina mitten in
der Stadt, mehr als 300 Kilometer von irgendeiner Küste entfernt, eine Villa l’Azur in unmittelbarer Nachbarschaft zu den
unendlichen Weiten der Kohl- und Rübenäcker am Rand der
Stadt. Während im Sozialismus der ökonomische Status der
verschiedenen Bevölkerungsgruppen mehr oder weniger angeglichen wurde, lud die kapitalistische Erfolgsideologie die
Leute geradewegs dazu ein, ihren Aufstieg auch vorzuzeigen.
Auch wenn es in den frühen neunziger Jahren schon mal
vorkam, ganz klein mit einer Marktbude anzufangen und daraus in kurzer Zeit ein großes Vermögen zu machen, waren es
im Allgemeinen doch Zeiten schwerer wirtschaftlicher Verwerfungen. Eine galoppierende Inflation und die wachsende
Arbeitslosigkeit in Kombination mit der Instabilität des Systems gingen einher mit einem zeitweisen Anstieg der Kriminalität, allen voran der Einbruchs- und Diebstahlsdelikte. Mindestens ebenso wichtig wie dieser objektive Befund
war aber ein allgemeines subjektives Gefühl der Unsicherheit, ein typisches Zeichen für die Nachwehen eines System-
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Schranken, Tore und Zäune –
der Weg zu einem Haus erinnert
an das Betreten einer Burg
Die Gated Community Marina
Mokotów besetzt über 20
Hektar der Stadtfläche von
Warschau. Dabei gibt es
mehr „Gates“ als „Community“: Jedes einzelne Gebäude ist auch für sich abgeschlossen.
Es ist schier unmöglich, in Warschau eine
Wohnung in einem Neubau zu finden,
der nicht in einer Gated Community liegt
umbruchs. Das Talent der Geschäftsleute, die damals Gated
Communities vermarkteten, bestand darin, gleich drei gesellschaftlichen Bedürfnissen mit nur einem Produkt entgegenzukommen. Wer in eine Gated Community zog, konnte erstens mit der Adresse angeben, zweitens glauben, dass er dort
sicher sei und sich drittens wie in einem amerikanischen Film
fühlen. Auch wenn diese kulturelle Erklärung des Phänomens
der Gated Communities bis zu einem bestimmten Grad der
Wahrheit entspricht, waren die Gründe ihres massenhaften
Auftretens weitaus komplexer – und viel eher systemimmanent.
Verglichen mit westeuropäischen Hauptstädten kann
man die Behauptung wagen, dass diese Form einer radikalen
Separierung in Warschau durch die wohlhabenden städtischen Eliten nur deshalb funktioniert hat, weil die Eigentumsstrukturen im Wohnungswesen keine wirkliche Gentrifizierung auch nur irgendeines Stadtteils in Warschau erlaubt
hätten. Die Belegungsstrategie im sozialistischen Wohnungsbau ist stark genug gewesen, für eine nachhaltige soziale Mischung in den älteren Stadtbezirken zu sorgen. Selbst in der
absoluten Stadtmitte lebt eine alteingesessene, älter und ärmer gewordene Mieterschaft noch immer Tür an Tür mit den
neureichen Aufsteigern. Im Klartext: Außerhalb der Gated
Communities gibt es kein Fleckchen in der Stadt, wo man sicher sein kann, nicht auf Bettler oder Alkoholiker zu treffen,
anders als z.B. in Berlin-Prenzlauer Berg, wo man dafür keine
Zäune braucht. Die Zäune in Warschau lassen die Selbst-Abtrennung der Reichen vielleicht in einem ästhetischen Sinne
obszön erscheinen – aber der gesellschaftliche Kern des Problems bleibt derselbe.
Planung durch Zäune
Warschaus Gated Communities kann man grob in zwei Kategorien einteilen. Zum einen Mehrfamilienhäuser mit Rezeption und Überwachungskameras am Eingang, zum anderen
große geschlossene Siedlungen, auch mit mehrgeschossigem
Wohnbau, die seltener, dafür aber umso problematischer sind.
Das spektakulärste Beispiel dieser letztgenannten Kategorie
ist die 21,5 Hektar große Marina Mokotów, mit Wohnungen
für 5000 Bewohner, einem künstlich angelegten Teich und
verschiedenen inneren Straßen und Wegen. Jedes Gebäude für
sich ist abgeschlossen, noch dazu verläuft um die gesamte Anlage ein engmaschiger Zaun, sodass es unmöglich ist, etwas
von dem zu sehen, was sich im Innern abspielt. Diese künstlichen Mikro-Stadtteile sind nicht nur im übertragenen Sinn
vom städtischen Gefüge abgeschnitten.
Will man Antworten darauf finden, wie und warum es
überhaupt zu diesen künstlichen Wohlstandsinseln gekommen ist, muss man auch einen Blick auf die Stadtentwicklung Warschaus im vergangenen Jahrhundert werfen. Im Gegensatz zu Prag oder Budapest waren mehr als 70 Prozent des
dichten Stadtgewebes aus dem 19. Jahrhundert im Zweiten
Weltkrieg zerstört worden. Die sozialistische Regierung verstaatlichte den Boden, richtete den Wiederaufbau an den Prinzipien der Moderne aus und hinterließ der Stadt zahllose
Grünflächen, die für eine bessere Luftzirkulation sorgen sollten. Wegen der Forderungen nach Privatisierung während
der gesellschaftspolitischen „Schocktherapie“ und der anwachsenden Wohnungsnot wurden in den neunziger Jahren ganze
Stadtquartiere an ausländische Investoren verkauft. Zu jener
Zeit war die Vorstellung einer Stadtplanung im eigentlichen
Sinne als „sozialistisch“ verschrien, die Behörden waren insta-
bil, für Bestechung empfänglich, und der naive Glaube an die
privaten Investoren als Wohltäter einer städtischen Entwicklung war weit verbreitet. Grundstücksentwicklern bot sich die
Chance zu riesigen, schnell zu erzielenden Profiten. Die ersten
Käufer waren Vertreter der Nouveau Riche oder Mitarbeiter
internationaler Konzerne und Institutionen. Ein Diplomat eines reichen westlichen Landes erinnert sich: „Als ich im Begriff war, nach Warschau zu gehen, wurden mir drei verschiedene Wohnungen angeboten, jede in einer Gated Community.
Ich fand das absurd, war doch Warschau, verglichen mit all
den Städten, in die ich zuvor gesandt worden war, die sicherste. Aber da wirklich alle meiner Kollegen in einer Gated
Community wohnten, wurde es schließlich zu einer Selbstverständlichkeit.“
Gated Communities waren in den neunziger Jahren
leicht zu verkaufen, aber die Entwickler hatten schnell begriffen, dass sie darüber hinaus auch leichter und billiger zu
bauen waren, als andere Vorhaben in der Stadt. Hatte man ein
großes leeres Stück Land im eigenen Besitz, musste man
nicht wirklich überlegen, wie es an seine Umgebung angepasst werden sollte. Ist das ganze Grundstück eingezäunt und
hat nur ein oder zwei Eingänge, muss man nicht dafür sorgen,
die innere Wegeführung an die bestehenden städtischen Verkehrswege anzuknüpfen. Die Aufwendungen für die Sicherheit waren durch die Miete abgedeckt, die Kosten für den Unterhalt ließen sich senken. Und nicht zuletzt ist man als
Eigentümer eines derart gewaltigen Gebietes natürlich in keiner schlechten Position bei den Verhandlungen mit den lokalen Behörden. Bald fingen die Wohnungssuchenden an, sich
darüber zu wundern, dass es in den meisten Fällen deutlich
billiger war, eine Wohnung in einer Gated Community zu
kaufen, als anderswo. Es wurde sehr schwer, in Warschau einen Neubau zu finden, der nicht hinter einem verschlossenen Tor lag.
Inzwischen ist der kommunale Wohnungsbau durch
Privatisierungen praktisch ausgelöscht worden, der freie
Mietwohnungsmarkt ist teuer und unsicher für die Mieter.
Der einzige Weg, zu einer neuen Wohnung zu kommen, besteht für die Mehrheit der Mittelklasse darin, sich mit Hilfe
eines Bankkredits eine solche zu kaufen. Infolgedessen kann
der Gewinn der Immobiliengesellschaften bei Wohnungsverkäufen in Warschau maximal 50 bis 60 Prozent des Verkaufspreises betragen, während die Gewinnspanne in Westeuropa
bei 7 bis 15 Prozent liegt. Trotz der Wucherpreise werden Marketingschlagworte wie „Prestige“ und „Sicherheit“ in den Verkaufsprospekten der neueren Gated Communities immer
noch verwendet. In vielen Fällen sind sie zweifelhaft weil die
Qualität vieler Anlagen dürftig ist. Das Ziel ist die Maximierung der Bruttoflächen, nicht die architektonische Qualität.
Deshalb finden sich auch alle Formen einer trickreichen Umgehung der Bauvorschriften. So waren z.B. im Stadtteil Kabaty
einige Parzellen zu dicht bebaut worden, indem die vorgeschriebene Größe der Grünanlagen ignoriert wurde. An ihrer
Stelle wurden Rasenflächen auf den Dächern angelegt, die
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Ob Grünbereich oder Kinderspielplatz – jede Fläche ist
akribisch einem Teil der Siedlung zugeordnet. Damit keine
Unklarheiten entstehen,
trennt ein Zaun die verschiedenen Teilsiedlungen.
Siedlungen mit nur einem Eingang muss
man nicht mit dem restlichen Straßennetz verbinden. So zerstören sie die Stadtstruktur
nicht einmal für die Bewohner erreichbar waren. So aber wurden zumindest quantitativ die Kennzahlen eingehalten. Nach
dem Abebben der Welle von Einbrüchen ist ironischerweise
nicht einmal mehr das Versprechen von „Sicherheit“ in den
Gated Communities gerechtfertigt. Laut Kriminalitätsstatistik der Polizei werden Fahrräder zum Beispiel häufiger aus
Gated Communities gestohlen als aus den Hinterhöfen der alten Warschauer Mietshäuser. Für Kleinkriminelle ist die Anziehungskraft des Reichtums größer als die abschreckende
Wirkung des privaten Sicherheitsdienstes.
In und zwischen den goldenen Käfigen
Als die Stadtverwaltung aus freien Stücken und mit vollen
Händen die kommunalen Grundstücke an die Projektentwickler veräußerte, hatte sie die daraus erwachsenden Infrastrukturprobleme nicht im Blick, die heute immer drängender
werden. Um eine Schule oder eine Kindertagesstätte in „Mias-
teczko Wilanów“, einem der neuen Prestige-Quartiere für
mehr als 40.000 Einwohner, zu bauen, musste die lokale Behörde Land von den Entwicklern zurückkaufen, zu einem
deutlich überhöhten Preis. Dasselbe wiederholt sich beim
Bau der Straßen, die das Quartier mit dem Rest von Warschau
verbinden sollen, um einen öffentlichen Nahverkehr einzurichten.
In Marina Mokotów, Heimstatt der Diplomaten und Geschäftsleute, entwickelte sich ein Konflikt um die Frage, ob die
Läden und Dienstleistungseinrichtungen innerhalb des bewachten Gebiets auch für Außenstehende zugänglich gemacht
werden sollten. Selbst wenn es irgendwann einmal möglich
sein sollte, die Marina zu betreten, nachdem man sich „nur“
beim Wachpersonal gemeldet und mitgeteilt hat, wohin man
will – viele der Läden sind schon heute bankrott gegangen.
Die Pächter fühlen sich betrogen (sie müssen sogar Bußgelder
dafür zahlen, dass sie den Pachtvertrag vorfristig gekündigt
haben), den Bewohnern fehlen Läden für den täglichen Einkauf.
Schon jetzt liegt das größte Problem darin, die öffentlichen Räume der Stadt wieder zusammenzunähen, die durch
die Vielzahl der abgeschlossenen Inseln auseinandergerissen
worden sind. Einige Entwickler haben kleinere städtische Straßen in ihre geschlossenen Gebiete integriert. Diese Straßen,
die noch auf dem Stadtplan von Warschau eingetragen sind,
sind heute für die Öffentlichkeit unzugänglich. Wenn mehrere geschlossen Wohnsiedlungen dicht beieinander liegen,
wird es unmöglich, ohne Umwege von A nach B zu gelangen.
Ein Beispiel hierfür liegt im Stadtteil Mokotów, wo die Stadtverwaltung im Mai 2012 einen neuen Flächennutzungsplan
vorstellte. Der sah eine öffentliche Straße durch die kleine
Gated Community „Park Wilanowski“ vor, damit die Bewohnern einer großen Plattensiedlung der siebziger Jahre nebenan
in einen öffentlichen Park hinter der Community gelangen
könnten. Dies rief den Widerstand der „bewachten“ Bewohner
hervor. Die Stadt konnte es sich am Ende nicht leisten, das benötigte Stück Land zurückzukaufen. Damit wird vermutlich
der gesamte Verkehr näher an „Stegny“, die sozialistische Plattensiedlung, heranrücken.
Inzwischen haben sich an verschiedenen Orten in Warschau auch die Mieter in vormals sozialistischen Wohnblocks
entschieden, selbst allerkleinste Siedlungen einzuzäunen – als
Reaktion auf die vielen Zäune in ihrer Umgebung. Viele Bewohner der bewachten Anlagen nutzen die öffentlichen Grünflächen dieser älteren Siedlungen, um ihre Hunde auszuführen – den Kinder der Nachbarschaft aber ist es verboten, die
attraktiven Spielplätze innerhalb der Gated Communities zu
betreten. Auf der anderen Seite beklagen sich mittlerweile
viele Bewohner der geschlossenen Siedlungen über die Zäune,
und erklären, dass, wäre es bezahlbar, sie lieber in eine offene
Siedlung umziehen würden. Ein junges Paar aus Kabaty beschwerte sich über das nächtliche Gehupe der Autos, das regelmäßig ihr kleines Kind aufwecke. Die Nachbarn, die ihre
Fernbedienungen vergessen haben, machen sich so beim Wach-
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Unter Nachbarn: Blick von
einer Teilsiedlung in die
andere, dazwischen liegt ein
Stück des zentralen Parks
Fotos S. 42–45: Henrik Werth
schutz bemerkbar, damit dieser ihm das Tor öffnet. Die junge
Mutter erklärt: „Die einzig ruhige Nacht des Jahres ist Heiligabend, wenn die Tore die ganze Nacht geöffnet bleiben.“
Gerechte Raumnutzung und die neoliberale Stadt
Eines Morgens im September 2006 standen die Bewohner einer Gated Community vor von außen verschlossenen Toren.
Ein Plakat an der Innenseite des Zauns warnte: „Dies ist kein
privates (öffentliches, nicht gesichertes) Gebiet. Betreten verboten. Gefahr durch arme, kranke oder schmutzige Leute!“
Verriegelt worden waren die Tore von einer Gruppe Warschauer Aktivisten, die auf die um sich greifende Privatisierung des öffentlichen Raums in der Stadt aufmerksam machen wollten. Diese Aktion war ein Vorläufer der städtischen
Bewegungen von unten, der Bottom-Ups von Warschau. Über
die Jahre wurde die Stimme der Aktivsten im öffentlichen, in
den Medien geführten Diskurs über die künftige Stadtentwicklung lauter. Erst jüngst trafen sich Aktivisten aus ganz
Polen auf dem zweiten landesweiten Kongress der städtischen
sozialen Bewegungen, wo verschiedene „Ideenschmieden“ daran arbeiteten, wirkungsvolle rechtliche und politische Maßnahmen zu formulieren, die das Monopol der Immobiliengesellschaften auf dem Wohnungsmarkt brechen können, und
Alternativen wie Genossenschaften zu etablieren, also auf
eine neue Balance zwischen öffentlichem und privatem Raum
in der Stadt zu drängen. Das Thema wurde auch von offiziellen Kultureinrichtungen aufgenommen. So lautet das Motto
des diesjährigen Festivals „Warsaw Under Construction“, das
vom Museum of Modern Art organisiert wurde: „Stadt – (nicht)
zu verkaufen“. In zahlreichen Ausstellungen, öffentlichen Diskussionsrunden, kulturellen Events und Publikationen ging
es um die Vorherrschaft der neoliberalen Logik in der jüngeren Stadtentwicklung. Für den Stadtforscher ist Warschau ein
interessantes Beispiel, das zeigt, wie eine Stadt, die in sich traditionelle europäische und moderne realsozialistische urbane
Elemente vereint, auf die aggressive Neoliberalisierung der
Stadtentwicklung reagiert.
▪
Joanna Kusiak | geb. 1985, Soziologin an der
Universität Warschau und an der TU Darmstadt und urbane Aktivistin. 2011 bis 2012 war
sie Gastforscherin an der Universität New
York. Momentan untersucht sie die Stadtentwicklung Warschaus im Vergleich zu den
Megacities der Südhalbkugel. Gemeinsam mit
Monika Grubbauer ist sie Herausgeberin von
„Chasing Warsaw. Socio-Material Dynamics of
Urban Change after 1990“ (Campus Verlag,
2012).