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ARBEITSBERICHTE Geographisches฀Institut,฀Humboldt-Universität฀zu฀Berlin Herausgeber: ฀ ฀ ฀ ฀ ฀ ฀ ฀ ฀ ฀ ฀ ฀ ฀ ฀ ฀ ฀ ฀ ฀ Thomas฀Bürk-Matsunami Jonas฀R.฀Bylund Kim฀Förster Dirk฀Gebhardt Matthias฀Naumann Sozialgeographien฀des฀Reichtums฀in฀Berlin Ergebnisse eines Projektseminars Heft฀110฀฀ ฀ ฀ ฀ ฀฀฀฀฀Berlin฀2005 Arbeitsberichte Geographisches฀Institut Humboldt-Universität฀zu฀Berlin Heft฀110 Herausgeber: Thomas฀Bürk-Matsunami Jonas฀R.฀Bylund Kim฀Förster Dirk฀Gebhardt Matthias฀Naumann Sozialgeographien฀des฀Reichtums฀in฀Berlin Ergebnisse eines Projektseminars Berlin 2005 ISSN 0947 - 0360 Geographisches฀Institut Humboldt-Universität฀zu฀Berlin Sitz:฀Rudower฀Chaussee฀16 Unter฀den฀Linden฀6 10999฀Berlin (http://www.geographie.hu-berlin.de) INHALTSVERZEICHNIS ZUSAMMENFASSUNG SUMMARY EINLEITUNG WOHNEN NACH WUNSCH?! ZWISCHEN ARBEITS- UND FREIZEITRAUM DER BERLINER FUNKTIONSELITEN PHÄNOMENOLOGIE VON LUXUSWAREN KARTOGRAPHIE DES REICHTUMS REICHTUM UNTER MIGRANTEN 1 1 3 23 39 39 55 69 81 ZUSAMMENFASSUNG Der vorliegende Text ist das Ergebnis der Auseinandersetzung eines zweisemestrigen Projektseminars mit dem Thema „Sozialgeographien des Reichtums in Berlin“ am Geographischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin. Ausgangspunkt unserer Betrachtung ist die These, dass sich innerhalb des Szenarios sozialräumlicher Polarisierung in den Städten, der wissenschaftliche und politische Blick häufig einseitig auf die Wohnorte der armen Bevölkerung, sogenannte benachteiligte Stadtviertel, richtet. Diesen Blick wollten wir nun auf die andere Seite der Polarisierung, die des Reichtums lenken, die uns - zumindest in der Geografie – weitgehend unerforscht erscheint. Unsere Expedition in dieses bislang wenig erforschte Themengebiet fragte nach möglichen methodischen bzw. theoretischen Werkzeugen und thematischen Zugängen zum Thema Reichtums in Berlin. Sie führten uns nicht zu der Sozialgeographie des Reichtums in Berlin, sondern stellt eher den Versuch dar, in einem zeitlich engen Rahmen an den Interessen der Studierenden entlang erste empirische Zugänge auszuprobieren. Der organisatorische Rahmen für unsere Beschäftigung mit Reichtum war die Simulation eines Forschungsprojektes, mit Diskussionen, Präsentationen, gegenseitiger Wissensvermittlung und engen deadlines. Die hier vorgestellten Ergebnisse der studentischen Arbeitsgruppen beschäftigen sich am Beispiel von Berlin (und Potsdam) mit dem Zusammenhang von Stadtpolitik und Reichtum, den Räumen der Funktionselite, dem Phänomen Luxuswaren und seiner lokalen Ausprägung, kartographischen Zugängen zum Reichtum und dem Thema “Reichtum unter Migranten” am Beispiel türkischstämmiger Unternehmer. Ein einleitendes Kapitel der Seminarleitung stellt den thematischen und organisatorischen Rahmen des Seminars dar. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin SUMMARY This text is the result of a two-semester project course on „Social geographies of affluence in Berlin“ at the Geography Department of Humboldt-University. The starting point of our work was the thesis, that within the scenario of socio-spatial polarisation in the cities, the scientific and political gaze often turns unidirectionally towards the poor and their so-called disadvantaged neighbourhoods. We wanted to redirect this gaze towards affluence, the other side of polarisation, and thus approach a field that appeared to us rather neglected, at least within Geography. Our expedition into this so far sparsely investigated field required usable methodological and theoretical tools as well as thematic approaches to the topic. This did not lead us to uncover the social geography of affluence in Berlin. It rather represents an attempt, to try out some empirical approaches alongside the students’ interest and within in a narrow time frame. The organisational setting for our preoccupation with affluence was the simulation of a research project with discussions, presentations, mutual knowledge transfer and narrow deadlines. The results of the students’ work groups presented here deal with the relation between urban policies and affluence, the spaces of the functional elites of the German capital, the phenomenon of luxury goods and its spatial expression, cartographic approaches to affluence and the topic of affluent migrants exemplified by Turkish entrepreneurs. An introductory chapter reconstructs the thematic and organisational frame of the course. 1 2 Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin EINLEITUNG SOZIALGEOGRAPHIEN DES REICHTUMS IN BERLIN THOMAS BÜRK-MATSUNAMI | JONAS R. BYLUND | KIM FÖRSTER DIRK GEBHARDT | MATTHIAS NAUMANN 1. DIE ENTSTEHUNG DES PROJEKTSEMINARS „SOZIALGEOGRAPHIEN DES REICHTUMS IN BERLIN„ Am Anfang unserer Idee für das Projektseminar „Sozialgeographien des Reichtums in Berlin“ stand die Teilnahme an einem Workshop zu visuellen Methoden in der Sozialgeographie (siehe 2.4.). Im Verlauf der Koproduktion zwischen den Geographischen Instituten der Open University London und der Humboldt-Universität entwickelte sich in unserer Projektgruppe die Neugierde, Reichtum und dessen räumliche Ausprägungen in Berlin auf die Spur zu kommen. Bereits während der Vorbereitung auf den Workshop hatten wir festgestellt, dass es nur ausgesprochen wenig deutschsprachige, aber auch kaum englischsprachige Literatur zum Themenkomplex Reichtum gibt. Während sich SoziologInnen hauptsächlich mit Armuts- oder Elitenforschung beschäftigen, ist der Interessenshorizont der Kulturwissenschaften zumeist mit ästhetischen Formen oder Kulturgeschichten bestimmter Reichtumsobjekte beschäftigt. Aus dieser Ausgangslage entstanden zwei Thesen, die den roten Faden des Projektseminars bilden sollten: • Reichtum ist ein „blinder Fleck“ in der wissenschaftlichen Wahrnehmung von Gesellschaft. • Reichtum ist ein komplexes soziales Phänomen, das nicht einfach zu kategorisieren, zu beschreiben und zu analysieren ist. Auf dieser Basis stellte sich die Frage nach der Räumlichkeit des Reichtums in Berlin und den Möglichkeiten, diese zu erkennen und zu vermitteln. Vor diesem Hintergrund entstand wenig später ein Projektseminar zum Thema „Sozialgeographien des Reichtums in Berlin“ am Geographischen Institut der Humboldt-Universität. Die Notwendigkeit einer kritischen methodologischen und theoretischen Auseinandersetzung, die über die Grenzen klassisch-geographischer Ansätze hinausreicht, sowie eine Beschäftigung mit der Frage, was überhaupt Reichtum ist, gehörte zu den inhaltlichen Vorgaben der Veranstaltung. Wir gingen ferner davon aus, dass das bislang wenig bearbeitete Thema innovative Methoden und unterschiedliche analytische Perspektiven erfordert und die Gewissheiten einfacher Reproduktionen und Modellhaftigkeiten verlassen würde. Die Veranstaltung sollte schließlich auch keinen Frontalbetrieb dozierender Lehrkräfte darstellen, sondern verschiedene Interessen und Ideen berücksichtigen. Somit galt es, das manchmal formalisierte Einbahnstraßenmuster der Sozialforschung „Thema eingrenzen - Theorie suchen - Forschungsdesign entwickeln - empirische Untersuchung durchführen und auswerten - Ergebnisse formulieren“ aufzubrechen. Die Lehrveranstaltung sollte in Form der Simulation eines Forschungsprozesses durchgeführt werden, ungefähr so, als würde uns ein Forschungsinstitut den Auftrag erteilen, Reichtum in Berlin sozialgeographisch zu ergründen. In mehreren Blockseminaren behandelten wir zunächst erste Zugänge zum Thema, diskutierten später als zentral erachtete theoretische und methodische Werkzeuge und bereiteten diese zur gegenseitigen Wissensvermittlung und unter Berücksichtigung ihres prak- Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 3 Einleitung tischen Nutzens für das Seminar als Kurzreferate und Essays vor. Aus diesen ersten Arbeitsgrundlagen, die in wechselnden personellen Konstellationen geschaffen wurden, bildeten sich in mehreren Schritten fünf Arbeitsgruppen, die zu den Themen „Konsum und Luxuswaren“, „Reichtum und Stadtpolitik“, „Reichtum und Kartographie“, „Dualistische Lebensmodelle“ und „Türkische Unternehmer“ arbeiteten. Die Arbeitsgruppen erstellten als Baustein der Simulation eines Forschungsprojekts „Anträge“, die fiktive Zuwendungsgeber von der Förderungswürdigkeit der jeweiligen Themen überzeugen sollten. Die „Anträge“ dienten neben der Konkretisierung der Forschungsfragen dazu, die folgende Forschungsarbeit zu planen. In der empirischen Phase führten die Arbeitsgruppen selbstständig die Feldarbeit durch. Der Zwischenstand der Arbeiten wurde auf der Langen Nacht der Wissenschaften im Juni 2005 öffentlich gemacht und teilweise lebhaft mit dem Publikum diskutiert. Die Endergebnisse dieses Arbeitsprozesses finden sich im Anschluss an diese Einleitung. In den folgenden Abschnitten sollen jedoch zunächst einige zentrale Probleme dargestellt werden, die das Projekt über die gesamte Zeit seines Bestehens begleiteten und somit sowohl für die Texte der Arbeitsgruppen als auch für unsere Arbeit einen Rahmen bildeten. 2. WER ODER WAS IST REICH? Zwischen einer sponti-existentialistischen Parole wie „Reich ist, wer genießen kann“ (Graffiti auf dem Berner Universitätsgelände) und statistischen Pro-Kopf-Warenkorbsmessungen – die beispielsweise die Reichtumsgrenze jenseits des doppelten durchschnittlichen gewichteten Haushaltseinkommens (Huster 1993: 11; 2001: 9) festlegen – liegen erkenntnistheoretische Welten. Trotzdem – oder gerade deshalb – ist die Auseinandersetzung mit Reichtum und Raum in Berlin nicht nur eine spannende, sondern auch eine sehr umfassende, multidisziplinäre und herausfordernde Thematik. Die wenigen AutorInnen aus dem Bereich der Sozialwissenschaften, die sich seit einigen Jahren im deutschsprachigen Wissenschaftsbetrieb mit sog. Reichtumsforschung beschäftigen (Huster 1993, 2001; Stadlinger 2001; Eißel 2001; Hauser und Becker 2001), konstatieren durchweg Schwierigkeiten bezüglich einer differenzierten Begriffsbestimmung, Reichtumsdefinition und den zur Verfügung stehenden Quellenund Datenmaterialien. Zu konstatieren sind (...) nicht allein Defizite in der empirischen Erfassung von Struktur, Konzentration und Differenzierung von Reichtum. Diskussionsbedarf be- 4 steht auch hinsichtlich der ökonomischen, politischen, sozio-kulturellen und geschlechtsspezifischen Aspekte von wachsendem privatem Reichtum einerseits und steigender Verarmung (auch des Staates) andererseits. (Stadlinger 2001: 7) Diese unscharfen Grenzen bildeten die Grundlage für eine Frage unseres Fragebogens, den wir am Anfang des Seminars den Studierenden vorlegten. Die Antworten, die hier zusammengestellt sind, spiegeln die vielen Dimensionen wider, die Reichtum beinhaltet. 2.1. RELATIONALE UND RELATIVE REICHTUMSBEGRIFFE Begriffsbestimmungen von gesellschaftlichem oder persönlichem Reichtum verweisen immer auf den – zumeist normativen – sozialen Gegenpol der Armut. Dieses relationale Begriffspaar lässt sich weder quantitativ noch qualitativ unabhängig voneinander bestimmen und formulieren: Reichtum und Armut ist zu etwas Ganzem zusammengefasst, in sich gegensätzlich aber nicht trennbar (Marx/Engels zitiert in Huster 2001: 11). Es kann zudem keinen allgemeingülti- Reichtumsdefinitionen der Studierenden zu Beginn des Projektseminars Wie lautet Deine Definition von Reichtum (kurz)? Reichtum bedeutet für seine Besitzer, genügend ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital zu besitzen, um Teil einer gesellschaftlichen Elite zu sein und damit auch, gesellschaftliche Machtpositionen zu besetzen und Macht ausüben zu können. Reichtum bedeutet für mich, die Mittel zu besitzen, die es ermöglichen, ein erfülltes Leben zu führen (was auch immer das bedeutet). Das muss nicht zwangsläufig Geld sein. Dennoch bedeutet ein Leben ohne materielle Zwänge für viele Menschen, mich eingeschlossen, eine Voraussetzung, um dieses Ideal zu erreichen. Reichtum: In materieller / finanzieller und / oder immaterieller Hinsicht nicht im Mangel zu leben, sondern jederzeit aus dem Vollen schöpfen zu können, unabhängig davon, ob dieser Zustand aus eigener Leistung oder durch Fremdeinwirkung erreicht wurde. Oder: Überfluss an materiellen und / oder immateriellen Gütern. Viel Geld, viele Möglichkeiten aber genauso viel Angst wie andere Leute. Derjenige, der sich nicht ständig Gedanken darüber machen muss, ob er sich nun Dinge für den täglichen Bedarf (z.B. Arbeitsmaterialien, Praxisgebühr, ...) leisten kann oder nicht. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Reich ist derjenige, der trotzdem zum Arzt geht. :-) Reichtum fängt für mich da an, wo Leute soviel Geld besitzen, dass sie ihr Leben bestreiten, ohne auch nur im geringsten darauf achten zu müssen bzw. darüber nachzudenken, ob sie möglicherweise ihr Konto überziehen oder Geld knapp wird. Abwesenheit von Armut. Unterscheidung in sozialen Reichtum und finanziellen Reichtum. Freie räumliche und soziale Mobilität. Besitz von materiellen und immateriellen Gütern, die in überdurchschnittlichem Maße vorhanden sind. Selbstverständlich vom Bezugsraum abhängig (globale, kontinentale, staatliche, städtische Perspektive). Reichtum: Deutlich mehr an materiellen Gütern als andere Mitglieder einer Gesellschaft zu besitzen. Es gibt auch sozialen, familiären oder kulturellen Reichtum. Reichtum ist eine Frage des Besitzes: individuell und gesellschaftlich. Luxusgüter und Ressourcen. Doch muss materieller vom immateriellen Reichtum unterschieden werden. Natürlich ist in erster Linie derjenige reich, der Geld hat. So spielen Lebenswelten genauso eine Rolle wie Luxusgüter. Mobilität und Reichtum bedingen einander. Doch zählt auch derjenige, der reich an Erfahrungen ist. Kapital ist unterschiedlich geartet. Humankapital wird unterschiedlich genutzt und ausgenutzt. Kulturelles Kapital sollte strategisch eingesetzt werden. So merkt Friedrich Engels an: Nur vermittels des Geldes (wird) der Reichtum des einzelnen als gesellschaftlicher Reichtum verwirklicht; im Geld (...) ist die gesellschaftliche Natur des Reichtums verkörpert (Marx/Engels 1932, 1951b: 620). 1 gen, de-lokalisierten und zeitlich entankerten Reichtumsbegriff geben. Was an einem Ort zu einer bestimmten Zeitpunkt als reich empfunden, imaginiert und dargestellt wird, ist relativ. Es ist an anderem Ort, erst recht zu anderer Zeit, mitnichten das Selbe. Gleichwohl kann das Bemühen, Reichtum örtlich und zeitlich zu bestimmen, auch dazu dienen, die Herkunft einer Anhäufung oder der Abwesenheit von privatem oder gesellschaftlichem Besitz zu verschleiern. So betonte Espenhorst (1993: 133), dass „500 Jahre nach Kolumbus immer deutlicher werde, wie stark Reichtum in Europa auf der Ausbeutung und Unterdrückung der übrigen Welt“ beruht. Bereits in den 1970er Jahren hatten kritische Geographen (Blaut 1970; Harvey 1975) auf diese spatial dialectics einer ungleichen globalen Entwicklung als Grundlage der Reichtumsakkumulation in der Metropolen des reichen Nordens hingewiesen. Seit dieser Zeit ist auch von anderen GeographInnen eine Fülle an Arbeiten zu uneven development entstanden (vor allem Smith 1984). Sie können als eine Grundlage der Diskussion um einen an weltweiten Waren- und Geldzirkulationen orientierten Reichtumsbegriff angesehen werden und immer wieder daran erinnern, dass prunkvolle Gebäude und Infrastrukturen westlicher Metropolen also mitnichten allein das Produkt lokalen Fleißes darstellen, sondern im Kontext internationaler ungleicher kapitalistischer Verhältnisse betrachtet werden sollten. Auch bei Marx und Engels wird man zu dieser geopolitischen Frage fündig: Die Entdeckung der Gold- und Silberländer in Amerika , die Ausrottung, Versklavung und Vergrabung der eingeborenen Bevölkerung in die Bergwerke, die beginnende Eroberung und Ausplünderung von Ostindien, die Verwandlung von Afrika in ein Gehege zur Handelsjagd auf Schwarzhäute, bezeichnen die Morgenröte der kapitalistischen Produktionsära. Diese idyllischen Prozesse sind Hauptmomente der ursprünglichen Akkumulation. (Marx/Engels 1951 [1932]: 790). Dennoch bedarf es zum Messen und Erfassen von Reichtum dessen raumzeitlicher Kontextualisierung. Erst die räumlichen Wahrnehmungsperspektiven auf die scales, die unterschiedlichen geographischen Maßstabsebenen, entscheiden über die Brauchbarkeit Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Einleitung bzw. Operationalisierbarkeit der meisten Begriffsbestimmungen, auch wenn diese oft ohne oder mit nur sehr vagem konkreten räumlichen Bezügen vorgenommen werden („in unserer Gesellschaft“, „bei uns“, in Deutschland, etc....). Dabei bleibt Reichtum eine Begriffsbildung in gesellschaftlichen Kontexten, eine soziale Konstruktion von Besitzstand, Distinktion und Anerkennung als situiertem Wissen. Die Materialisierungen dieser sozialen Reichtumskonstruktionen beruhen auf materiell-quantitativen oder immateriell-qualitativen, meist miteinander verflochtenen Konzepten. So haben selbst idealistische Reichtumsbegriffe wie beispielsweise ein „Hauptsache, gesund und glücklich“ zugleich starke materielle Komponenten. Selbst die Negation des allein materiellen Glücks kann nicht verbergen, dass gesellschaftliche Anerkennung, persönliche Wahrnehmung und Verwirklichung individuellen Glückes – ganz zu schweigen von den Möglichkeiten des Zugangs zur Gesundheitsversorgung – zumeist an die eigenen materiellen Ressourcen oder an kommunitäre Wohlfahrtssysteme gekoppelt sind. Ebenso ist das Streben nach materiellem Besitzstand und Vermögen mit Hoffnungen auch auf immaterielles Glück verbunden. Als wesentliches Element der Reichtumskonstruktion kann deren Geldform angesehen werden. Die materielle Basis allen Reichtums ist die, mehr oder weniger, via Geld vermittelte Form der Akkumulation von Kapital. Die Substanzen der Reichtumsakkumulation sind Geld, Gold, Silber und andere Gestalten des Reichtums (Marx/Engels 1932, 1951b: 620ff).1 Und davon kann mensch bekanntermaßen nie genug haben: Qualitativ oder seiner Form nach ist das Geld schrankenlos, d.h. allgemeiner Repräsentant des stofflichen Reichtums, weil in jede Ware unmittelbar umsetzbar. Aber zugleich ist jede wirkliche Geldsumme quantitativ beschränkt, daher auch nur Kaufmittel von beschränkter Wirkung. Dieser Widerspruch zwischen der quantitativen Schranke und der qualitativen Schrankenlosigkeit des Geldes treibt den Schatzbildner stets zurück zur Sisyphusarbeit der Akkumulation. Es geht ihm wie dem Welteroberer, der mit 5 Einleitung jedem Land eine neue Grenze erobert (Marx/Engels 1932, 1951b:139). In der sozialwissenschaftlichen Literatur (Huster 1993, 2001; Hauser und Becker 2001) stellen indirekt geldbezogene Topoi wie Einkommen und Vermögen zwei entscheidende Begriffe auf der Suche nach dem Reichtum bestimmter Bevölkerungsgruppen dar. Das Vermögen habe, so Hauser und Becker, grundsätzlich die Eigenschaft, sich durch Wertzuwachs (Zinserträge, Aktiengewinne) zu vermehren, und werde in der Regel nicht versteuert. Dadurch werde es statistisch kaum erfassbar. Deshalb könne allein auf der Grundlage von Vermögen keine Aussage über den Reichtum einer Region gemacht werden. In Anlehnung an das Lebenslagenkonzept in der Armutsforschung schlägt Dieter Eißel einen Reichtumsbegriff vor, der sich deutlich von den allein vermögens- und einkommensorientierten statistischen Daten unterscheidet. Orientiert am United Nations Development Programme wäre für Eißel reich, wer über ausreichende materielle Ressourcen (Nahrung und gesundes Trinkwasser) verfügt, in einer intakten Umwelt lebt, eine hohe Lebenserwartung hat, gesund ist bzw. Zugang zu einem zufrieden stellenden Gesundheitssystem hat, über ein hohes Maß an Bildung verfügt und an der gesellschaftlichen und öffentlichen Kommunikation partizipiert und die Macht (…) hat, die menschlichen Fähigkeiten auszuweiten (Eißel 2001: 107). 2.2. REICHTUMSMESSUNGEN Gerade im Bereich der Datengewinnung zu Vermögens- und Einkommensverhältnissen konstatiert der Reichtumsforscher Ernst-Ulrich Huster eine eher entmutigende wissenschaftliche Ausgangslage: Beschäftigt man sich mit dem Reichtum, erkennt man sehr schnell, dass es im Grunde keine Quellen gibt, die geeignet sind, aus sich heraus das Bild des Reichtums und dessen Entwicklung zu illustrieren. (…) Es drängt sich der Verdacht auf, dass Unkenntnis über hohe Einkommen vielleicht sogar eine ihrer Voraussetzungen darstellt. Hohe Einkommensbezieher lieben das Diskrete, vor allem, wenn es um die Offenlegung ihrer Einkünfte geht 6 (Huster 2001: 12f). Daraus lässt sich auch folgern, dass Sozialstatistiken und statistische Angaben zur Einkommens- und Vermögensverteilung gerade auch im Bereich der oberen Besitztumssegmente mit Vorsicht zu interpretieren sind. Bei Versuchen, dies trotzdem anhand von statistischen Datenquellen zu versuchen, verweisen Hauser und Becker (2001) auf amtliche Einkommens- und Verbrauchsstichproben (EVS), den Mikrozensus, das Europanel sowie die vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung sowie dem Verband Deutscher Rentenversicherungsträger erstellte Untersuchung zur Alterssicherung in Deutschland (ASiD). Zusätzlich zu den oft nur bedingt zugänglichen und unzureichenden amtlichen Daten verweisen Hauser und Becker auf Erhebungen von WissenschaftlerInnen und Forschungsinstituten. Als besonders aufschlussreich werden hier einerseits die zweijährig durchgeführte Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) sowie die in größeren Zeitabständen ansetzenden Wohlfahrtssurveys erwähnt. Als wichtigste nicht-amtliche Quelle für empirische Verteilungsanalysen wird jedoch das Sozio- Ökonomische Panel (SOEP) angesehen. Die AutorInnen resümieren jedoch trotz dieser Quellen: Die wirtschaftliche Situation einer Person oder Gruppe, in der über mehr als ausreichende finanzielle Mittel verfügt wird, welche weit über das zum Lebensunterhalt nötige Maß hinausgehen und zur Ansammlung großer Geldsummen oder Sachkapital führen. Das Einkommen übersteigt das durchschnittliche Pro-KopfEinkommen um ein Vielfaches. Reiche Menschen besitzen deutlich mehr Vermögen als für die Befriedigung der Grundbedürfnisse notwendig ist (Nahrung, Kleidung, Wohnen, Urlaub, Auto etc.). Reichtum ist meiner Meinung nach keine Frage der absoluten Vermögenszahlen, sondern abhängig vom Umfeld. Er zeigt sich oft in der Summe der Statussymbole. Reiche Menschen haben oft das Bedürfnis den Reichtum zu zeigen und suchen die Nähe anderer Reicher. der Forschungsstand ist ungenügend; Verteilungsfragen wurden in den vergangenen 20 Jahren stark vernachlässig (Hauser/Becker 2001: 49). Oder an anderer Stelle: Eine wirkliche Datengrundlage auf derer eine fundierte Recherche nach Reichtum und Vermögen angestellt werden könnte, ist kaum vorhanden (Weick 2000). 2.2.1. REICHENRANKINGS UND -LISTEN Jenseits trockener Zahlen versuchen sich verschiedene wirtschafts- oder lifestyleorientierte Magazine ebenfalls in Reichtumsmessungen. Regelmäßig aktualisierte Rankings wie die ForbesListe oder die Liste der 300 reichsten Deutschen des manager magazins geben dem schwer greifbaren Reichtum ein Gesicht, Reichtum wird hierarchisiert, personifiziert und regionalisiert. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Sind Reiche zufriedener? Reichtum ist nicht nur Geldbesitz – aber ohne Geld nicht denkbar „Eine objektiv gute Versorgung muss sich nicht zwangsläufig in den Einstellungen und dem subjektiven Wohlbefinden der Betroffenen widerspiegeln; Die Vorstellungen über ein ´sehr gutes’ Einkommen sind in starkem Maße von der tatsächlichen Einkommenssituation abhängig. Mit steigender Einkommensposition steigt auch das Anspruchsniveau. In der höchsten Einkommensgruppe liegt der entsprechende Wert mit über 10.000 DM in den alten und 9.000 DM in den neuen Bundesländern jeweils mehr als dreimal so hoch wie in der untersten Einkommensgruppe. Die tatsächlichen Haushaltseinkommen werden in allen Einkommensgruppen von der Erwartung an ein ´sehr gutes’ Einkommen übertroffen. Die Differenz ist in der untersten Einkommensgruppe - trotz bescheidenerer Ansprüche - am stärksten ausgeprägt. In der höchsten Einkommensgruppe wird die Höhe eines ´sehr guten’ Einkommens in Westdeutschland bei 130 Prozent und in Ostdeutschland sogar bei 160 Prozent des tatsächlichen Haushaltsnettoeinkommens angesiedelt. In Ostdeutschland bewegen sich die Vorstellungen von einem ´sehr guten’ Einkommen zwar auf einem geringeren Niveau als in Westdeutschland, allerdings ist - mit Ausnahme der niedrigsten Einkommensgruppe - der Abstand zum eigenen Haushaltseinkommen größer. Zufriedenheitsbewertungen einzelner Lebensbereiche oder des Lebens insgesamt können als das Ergebnis von Vergleichsund Anpassungsprozessen bezüglich der objektiven Lebensbedingungen gesehen werden. Sie werden im Sozio-ökonomischen Panel anhand einer Skala von 0 ´ganz und gar unzufrieden’ <http://www.bottinmondain.fr>. 2 Um konkretes Anlageverhalten geht es hingegen bei den Reichtumsklassifizierungen der Beratungsfirma Cap Gemini und der Investmentbank Merril Lynch. Sie haben die Klasse der „High Net Worth Individuals“ (HNWI, Geldvermögen über 1 Mio. Euro, 365.000 Menschen in Deutschland 2000) und der „Ultra High Net Worth Individuals“ (UHNWI, Geldvermögen über 30 Mio. Euro, 3700 Menschen in Deutschland 2000) gebildet, um die Bedürfnisse und Anforderungen dieser Gruppen sowie Implikationen für das Private Banking besser zu verstehen. Ihre Entwicklung wird jährlich in „World Wealth Reports“ und nationalen Berichten dargestellt (Merrill Lynch, Cap Gemini Ernst & Young 2001). Auf dieser Basis kann man feststellen, dass die so abgegrenzten Reichen zu einem wachsenden Segment der Bevölkerung gehören, das im Westen viel häufiger als im Osten (Faktor 9:1), im Süden häufiger als im Norden des Landes vertreten ist. Berlin hat zwar einen höheren Anteil an allen deutschen HNWIs als es dem Bevölkerungsanteil der Stadt entspricht, unter den Bundesländern liegt Berlin aber deutlich hinter Hamburg, Bremen und sogar hinter dem Flächenland Hessen. Die meisten HNWIs leben in Nordrhein-Westfalen. Die relative Bedeutung der ehemaligen Handelsstädte Bremen und Hamburg sowie die Spitzenposition NRWs zeigen, dass es auch gewisse Persistenzen im Reichtum gibt, die sich aus der heutigen Wirtschaftsstruktur der Regionen nicht mehr in jedem Fall erkennen lassen (vgl. Merril Lynch, Cap Gemini 2001: 8). Andere Veröffentlichungen wie der französische Bottin Mondain setzen auf mehr als den reinen Geldbesitz. Der Bottin Mondain nimmt seit 1903 Adressen und Menschen nach den Kriterien Sozialprestige, Prestige des Namens oder der Funktion auf und versteht sich heute als ein Adressbuch einer bestimmten „art de vivre“, die sowohl materiell als auch moralisch verstanden wird und wo die Familie auch im Dritten Jahrtausend eine zentrale Stütze bleiben wird. Dabei wird betont: La fortune ou le snobisme ne sont en aucun cas un critère de sélection2 – Reichtum und Snobismus sind also in keinem Fall Aufnahmekriterien für den Bottin. Da- Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Einleitung mit verweist das exklusive Adressbuch gleichzeitig auf andere Kapitalformen. 2.3. SOZIALES UND KULTURELLES KAPITAL Ob Einkommen oder Besitz, die gängige Vorstellung von Reichtum assoziiert diesen vor allem mit Geldvermögen. Pierre Bourdieu hat die Diskussion um soziale Ungleichheit und Ressourcen um die Dimensionen soziales und kulturelles Kapital erweitert. Diese Reichtumsdimensionen sind gleichzeitig eine Stütze des ökonomischen Kapitals: Pinçon und Pinçon-Charlot (1997) stellen fest, dass ökonomischer Reichtum in jedem Fall kulturell und moralisch legitimiert sein muss, um gesellschaftliche Anerkennung zu finden. Kulturelles Kapital, in Form von Bildungstiteln, objektiviertem Wissen und kulturellem knowhow grenzt den kultivierten Reichtum von den Neureichen ab. Die Bedeutung von Kultur im Großbürgertum drückt sich durch spezifische kollektive Formen des Konsums von Hochkultur aus: Vernissagen, Opernpremieren und bestimmte Musikfestivals. Solche unter Umständen sehr selektiven Veranstaltungen unterstreichen die Bedeutung der Gruppe, des sozialen Netzwerks, des von Bourdieu so genannten sozialen Kapitals als individuelle Ressource auf Basis der Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Die drei Kapitalsorten beziehen sich in der Regel aufeinander, stützen sich gegenseitig und akkumulieren sich auf der einen Seite der sozialen Hierarchie, während sich auf der anderen die Nachteile anhäufen. Kulturelles und noch stärker soziales Kapital sind allerdings weniger sichtbar als materieller Besitz (Pinçon/Pinçon-Charlot 1997: 8). Mehr noch als die reine Akkumulation von Gütern ist für die Beziehungsarbeit (soziales Kapital) und nicht-kodifizierte Formen des kulturellen Kapitals das Aufeinandertreffen und das „UnterSich-Sein“ einer Gruppe von Bedeutung. Das verweist auf Exklusivität und Segregation als sozialräumliche Phänomene (siehe 2.4.). In Ihrer Marktanalyse der Reichen stellen Cap Gemini/ Merril Lynch fest, dass die meisten „Ultra High Net Worth Individuals“ mit über 30 Millionen Euro trotz 7 Einleitung des überdurchschnittlichen Wachstums im Segment neuer Reichtum (kurz vor dem Untergang der New Economy!) immer noch dem alten Reichtum angehören. Den Bankern gilt neuer Reichtum als stärker leistungsorientiert und risikobereit. Soziale Konventionen spielen eine geringere Rolle. Alter Reichtum gilt als eher beziehungsorientiert, das Anlageverhalten als konservativer. Verschwiegenheit, Exklusivität und Erfahrung sind zentrale Werte dieser Kunden (German Wealth Report 2000). Man sieht, dass auch die Banken ihren Bourdieu gelesen haben... 2.4. WIE SIEHT REICHTUM AUS? It is a commonplace of current geographical enquiry that we live in an ocularcentric, scopophilic world which privileges vision, but acknowledging this insight requires that we be aware of the existence of many other practices that constantly correct this vision. (Thrift 2000: 279) Im Rahmen des Workshops „Visual Material – Visuelles Arbeiten: Between Reproduction of Truth and Complementary Objects“ hatte sich unsere kleine Projektgruppe zur Aufgabe gestellt, nach dem sichtbaren Ausdruck reicher Lebensstile und Wohnformen in zwei Berliner Stadtteilen zu suchen, die vom damals gerade neu erschienenen Berliner Sozialstrukturatlas als Quartiere mit hohen Einkommen und nur wenigen sozialen Problemen identifiziert wurden. Manifestationen dieser urbanen Verhältnisse sollten dabei bildsprachlich dokumentiert werden. In der Auseinandersetzung um den Charakter des Faches Geographie als visueller Wissenschaftsdisziplin (Gregory 1995; Thrift 2000)3 stellen sich auch Fragen nach unseren Ways of seeing: Welche Bilder des Reichtums bzw. der Reichen machen wir uns sowohl im Sinne von Repräsentationen als auch von deren Interpretation? Somit wurden bereits hier zentrale Grundfragen des Projektseminars aufgeworfen: • Was interpretieren wir als Ausdruck von Reichtum? Auf welche Symbole und Ornamente, Waren und Luxusgüter achten wir dabei besonders? • Welche Orte werden von uns als Orte des Reichtums identifiziert (und doku- 8 mentiert)? Auf Fototour unterwegs in Berlin-Zehlendorf und Berlin-Hessenwinkel konnten wir feststellen, wie schnell eine allein auf materielle Sichtbarkeit aufbauende Reichtumsforschung an die Grenzen des Erkennens und die materiellen Abgrenzungen privater Räume gelangt. Darüber hinaus lernten wir, wie sehr sich Quartiere unterscheiden, die vom Sozialstrukturatlas ähnliche Bewertungen bekommen. Wichtige Elemente der Visualität von Reichtum sind jedoch, wie wir feststellen mussten, Probleme der Lesbarkeit und oft ein schwieriger Zugang. Somit konnten wir uns vor allem von Versuchen der Abschirmung, von Sicherheitsmaßnahmen und Abschließungen überzeugen. Hohe Hecken, Kameraüberwachung, stilvolle Zäune und Gitter markieren die Grenzen zu wohlhabender Privatheit. Noble Automobile, Möbelstücke und andere teure Reichtumsaccessoires verschwinden hinter den Mauern der Privatgrundstücke. Doch was verbirgt sich hinter den Zäunen? Wie sieht es hinter den Überwachungskameras aus? Dies konfrontierte uns mit einem weiteren grundsätzlichen Problem des Projektseminars, ja wohl der Reichtumsforschung insgesamt. Kilian (1998: 125) schreibt dazu: „Publicity is the power of access. Privacy is the power of exclusion.“ Privatisierte Räume sind nur mit besonderen Forschungsstrategien betretbar, Aussagen über die, hier vor allem materielle Ausstattung des häuslichen Bereiches, bleiben zumeist ein Tabu. Da wir uns weder über spezielle gatekeeper oder besondere Camouflagetechniken einen sicher interessanten und spannenden Einblick hinter Türen und Zäune verschaffen wollten, orientierten wir uns vor allem an den (mehr oder weniger) öffentlich zur Schau gestellten oder im städtischen Kontext präsenten Reichtumsmanifestationen. Deren Charakter drückt sich vor allem über den Symbolgehalt als Reichtumsobjekte aus. 2.4.1. OBJEKTE DES REICHTUMS – REICHTUM ALS OBJEKT bis 10 ´ganz und gar zufrieden’ gemessen. Bei der Zufriedenheit mit dem Haushaltseinkommen zeigt sich ein enger Zusammenhang mit der Einkommenshöhe. In Westdeutschland liegt der Durchschnitt bei Personen oberhalb der 200-Prozent-Schwelle mit 8,1 vergleichsweise hoch. Der Abstand zur untersten Einkommensgruppe beträgt fast 4 Skalenpunkte. In Ostdeutschland findet man nahezu die gleiche Zufriedenheitsdistanz zwischen den beiden Einkommenspositionen, allerdings auf einem niedrigeren Zufriedenheitsniveau. Hier geht die größere Distanz zwischen den tatsächlichen Einkommen und den Anspruchsniveaus, die an westdeutschen Standards orientiert sind, in die Bewertung ein. Die Längsschnittanalyse zeigt, dass Personen, die sich dauerhaft in der höchsten Einkommensposition befinden, auch die höchste Einkommenszufriedenheit aufweisen. Zumindest im hohen Einkommensbereich scheint somit die allmähliche Anpassung des Anspruchsniveaus an das faktisch hohe Einkommen die Zufriedenheit mit dem Einkommen nicht zu beeinträchtigen. Auch die Zufriedenheiten mit dem Lebensstandard und der Arbeit variieren mit der Einkommenshöhe, wenn auch weniger stark als die Einkommenszufriedenheit. Bezüglich der allgemeinen Lebenszufriedenheit, in die als summarisches Zufriedenheitsmaß auch Bewertungen für viele andere Bereiche, wie z.B. Familie und Partnerschaft eingehen, ist der Zusammenhang mit der Einkommensposition weniger deutlich. Die Differenz von der höchsten zur niedrigsten Einkommensgruppe beträgt hier noch 1,6 Skalenpunkte in den alten und 1 Skalenpunkt in den neuen Bundesländern. Eine hohe Einkommensposition erweist sich hier als ein Faktor unter vielen, der die Lebenszufriedenheit bestimmt.“ Quelle: Weick (2000) Vgl. dazu die e-mail Kommunikation von Colin Marx von der Open University, einem Teilnehmer des Methodenworkshops zu Visual Geographies: “Visuality is increasingly being recognised as an impor3 Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Seeing comes before words (…) It is seeing which establishes our place in the surrounding world (…) The way we see things is affected by what we know or what we believe (Berger 1972: 7ff). tant yet poorly thought through methodology – particularly in geography which is considered by many to be primarily reliant on visual methodologies. The literature on visuality is vast and there have been numerous attempts to bring together the possibilities visual methodologies offer with social processes such as affluence and poverty. Affluence and poverty have a particular complex relationship that goes beyond the usual binary relationship of the ‘other’.” Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine „ungeheure Warenansammlung“, die einzelne Ware als seine Elemantarform (Marx, 1932, 1951: 49). Marx stellt den Begriff des Erscheinens einer ungeheuren Warenansammlung an den Anfang seiner Kritik der politischen Ökonomie. Es geht hier also ebenfalls auch um die Sichtbarkeit, die Vordergründigkeit der reichhaltigen und umfassenden Anwesenheit (wenn auch nicht von allen) konsumierbaren Waren. Erscheinungsebenen verweisen nur mittelbar auf die Hintergründe eines sozialen Zustandes oder Problems. Somit stellt sich die Frage, ob sichtbare Objekte einen analytischen Zugang zu einem Lebensstil darstellen können. Ausgehend davon, dass materielle Güter unterschiedliche Bedeutungen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten haben, gibt es auch keine Reichtumsobjekte an sich – Waren verfügen über keinen essentialistischen Kern (Appadurai 1986) – sondern vor allem über einen in diesem Zusammenhang unterbewerteten Gebrauchswert und den überbetonten Tauschwert eines Luxusgutes. Doch nicht allein der hohe Tauschwertcharakter einer Ware macht diese zu einem wertvollen Reichtumsrequisit, sie muss auch am rechten Ort von den richtigen Menschen als solche erkannt werden. Obwohl mit Symbolen und Konsumgütern dieser Gesellschaft vertraut, mussten wir in Frage stellen, ob auch wir die feinen Unterschiede sehen und erkennen können, ohne genau etwas über die Kulturen und Konjunkturen bestimmter Reichtumsattribute zu wissen (Wer kann eine echte Rolex von einer falschen Rolex unterscheiden? Wer kennt überhaupt eine Rolex?). Nach Thorstein Veblen hat Reichtum vor allem die Funktion, als sichtbarer Beweis des Erfolges via conspicuous consumption zu dienen. Der auffallende Konsum wurde als Kennzeichen einer neuen US-amerikanischen leisure class vor über 100 Jahren diagnostiziert. Zeitgenössische AutorInnen be- Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Einleitung tonen das umfassendere Konzept des demonstrativen Lebensstils durch Konsumverhalten. So seien die Dinge, die wir kaufen, immer weniger Produkte und immer mehr Lebenserfahrungen wie Essen, Kommunikation, Kulturkonsum, Teilhabe an einem bestimmten Lebensstil (Zizek zitiert in Misik 2005). Oft ist das Image der eigentliche Gebrauchswert und sind materielle Objekte lediglich „Requisiten“ dessen, was eigentlich gekauft wird, um einen Lebensstil zu erwerben. 2.4.2. MANIFESTATIONEN DES REICHTUMS IN DER STÄDTISCHEN FORM Und wie sieht es mit der Sichtbarkeit von Reichtum in der Stadt aus? Bei der Identifikation materieller oder immaterieller Reichtumsmanifestationen im Rahmen einer sozialraumbezogenen Perspektive ist es verlockend, Klischees der „Viertel der Reichen“ (bsp.: Zehlendorf, Dahlem) zu reproduzieren. Wie bereits angesprochen, können Besuche in diesen Stadtteilen nur ein Teil der Forschungsfragen aufklären: Private Räume bleiben schwer zugänglich, Luxus-Autos verraten nicht alles über den wirklichen Besitzstand der dazugehörigen Person. Trotzdem bleibt die städtische Öffentlichkeit der wichtigste Darstellungs- und Vorstellungsraum gesellschaftlichen Reichtums. Nicht allein Hauptstädte, Residenzen und Regierungssitze verweisen in ihrer baulichen Form auf eine Fülle an Kristallisationspunkten von Macht und Reichtum. In jeder Stadt finden sich Belege und Artefakte des Reichtums; Stadt ist der gebaute Ausdruck gesellschaftlicher Macht. Diskurse um städtische Gestaltung und Raumästhetik sind eng mit der Vorstellung des Schönen als Luxus und der Darstellung von Überfluss edler Materialien (oder deren Simulationen) verbunden. Das ist die eine Seite städtischer Reichtumsmanifestationen, die Inszenierung von Macht durch architektonische Materialität, ganz im Sinne des gestalterischen Paradigmas form follows function. Eine weitere Seite stellt sich in der Anwesenheit des Marktes, der öffentlich angebotenen und ausgestell- 9 Einleitung ten Lebensmittel, der Konsumgüter in Boutiquen, Läden, Luxusgeschäften etc. dar. Die postulierte Überlegenheit kapitalistischer Gesellschaftsmodelle als Konsumparadiese wurde in Kaufhäusern als den Kathedralen der Moderne vergegenständlicht. Der politische Charakter West-Berlins im „kalten Krieg“ als ideologisches Schaufensters des Westens hat sich nicht zuletzt über Orte (Bsp. KaDeWe) hergestellt. Auch mit dem Ende der Ära des großen Kaufhauses sind es immer noch die Einkaufsstrassen, shopping-malls und Fußgängerzonen des Konsums, die als besondere Indikatoren städtischen Reichtums angesehen werden. Die Anoder Abwesenheit internationaler Markengeschäfte, die überbordende oder dezente Ausstattung mit (Luxus)Waren, das Flanieren der KundInnen, bilden den symbolischen Rahmen gehobener Urbanität. Die Form der Einbindung lo- ser Märkte über Kioske, Ladengeschäfte bis hin zu Kaufhäusern stellt auch in der Stadtforschung ein entwicklungstheoretisches Paradigma her, wonach der zivilisatorische Status einer Stadt an der Anwesenheit und Gestalt von Luxusgeschäften gemessen wird.4 Doch auch andere Kathedralen, um bei der etwas abgegriffenen KirchenMetaphorik zu bleiben, symbolisieren stadtgeschichtlich zunehmend urbane Prosperität und wirtschaftlichen Erfolg: Die Cathedrals of Commerce - um 1900 ebenfalls entstehenden Bürohochhäuser der US-amerikanischen, später auch europäischen Grosstädte – prägen als Balkendiagramme des Handels und der Finanzwirtschaft die Ikonographien (fast) aller Metropolen, sie werden zur imagebildenden Demonstration der Geschäfte und der Macht des Geldes (Flierl 1990: 446). Eine im Projektseminar diskutierte Idee zur Entdeckung von städtischem Reichtum über seine Visualität war die Klassifizierung von Verkaufsgeschäften für Konsumgüter anhand der Dichte der in den Schaufenstern angebotenen Waren auf Basis der These: Je dichter die Waren, desto niedriger der Status des Geschäftes- je weniger im Fenster desto Luxus. 4 3. REPRÄSENTATIONEN VON REICHTUM IN MEDIEN UND STADTPOLITIK Der Armutsdiskurs und dessen populären Repräsentationsstrategien auf der einen, Luxus der Abgeschiedenheit und Reduzierung auf die öffentliche Tribüne des Glamourdiskurses auf der anderen Seite, sind die Hauptmotive der Repräsentationen von Armut und Reichtum, die wir in diesem Abschnitt behandeln möchten. Eine geradezu klassische massenmediale Repräsentation von materiellem Besitz ist der Komplex Schmutz und Kriminalität in Bezug auf die Wohnorte der Armen. Einer alten Tradition folgend, werden biologische Analogien hergestellt, die Schmutz, Armut und unmoralisches, delinquentes Verhalten zusammendenken. Alan Mayne beschreibt in seinem Buch The Imagined Slum (1993) wie aus einer dominanten bürgerlichen Perspektive aus Medien, Kulturindustrie und Politik die Arbeiterviertel der Stadt der industriellen Revolution auf allen Ebenen als Gegenbild der modernen Stadt konstruiert wurden. Am Beispiel von Städten wie London und Birmingham wird gezeigt, 10 wie Moral, Gesundheit und Fragen der städtischen Form zu den Schlüsselbegriffen der Definition von Territorien werden und die Trennlinie zwischen Pathologisierung und Kriminalisierung der Armen auf der einen und Konsolidierung bürgerlicher Identität auf der anderen Seite bestimmen. Der Slum wird von der bürgerlichen Imagination auf verschiedene Weise mit Sinn erfüllt: Konservative fanden im Slum Anknüpfungspunkte für zivilisationskritische, großstadtfeindliche Ansichten, Reformer für eine paternalistische Politik der Kontrolle gegenüber der Arbeiterklasse. Und unterhaltend war der Slum auch: Worthy citizens gaben sich lascivious inspections hin und das slumming – Exkursionen in die Slumgebiete – wurde populär. Obwohl es sich somit kaum um eine streng abgegrenzte Welt handelte, diente der Slum als ausgegrenztes Territorium zur Affirmation seines Gegenteils, der modernen, legitimen Stadt und ebnete den Weg für Abrissprogramme, die von den Zeitungen und den politisch-ökonomischen Eliten der Abb. 3.1.: VerbrechensKarte aus Berlin, in: B.Z. vom 25.11.1999. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Statistische Reichtumsmessung in Berlin „Grundlage für die in Berlin laufenden Armutsberechnungen sind die Daten des seit 1957 jährlich stattfindenden Mikrozensus (Stichprobe 1 %) (Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz 2003). Als Grundlage für die Untersuchung von Arm und Reich, gilt das durchschnittliche Äquivalenzeinkommen das in Berlin bei 1.213€ liegt. Als arm gelten Personen die nur geringfügig über, oder unter 50 % dieses Äquivalenzeinkommens liegen. Als reich gilt, wer 200 % des Äquivalenzeinkommens verdient (ebd.). Der Sozialstrukturatlas 2003 für Berlin trifft keine explizite Aussage über die Reichtums/Vermögens-Entwicklung und Verteilung in Berlin. Auch der Jahresbericht der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz von 2002: „Armut und soziale Ungleichheit“ stellt keine Daten zu Einkommensunterschieden zur Diskussion. Aussagen aus amtlicher Statistik sind also schwer erhältlich. Die Einkommensunterschiede innerhalb der Berliner Bevölkerung (Ost und West) haben sich im Zeitraum 1996-2002 vergrößert und die Angleichung der Lebensverhältnisse verlangsamt. Relevant dabei ist der Anstieg der Besserverdienenden (über 200 % des Äquivalenzeinkommens) von 4,8 % (1996) auf 5,1 % (2002). 62% der Berliner Bevölkerung weisen ein unterdurchschnittliches monatliches Äquivalenzeinkommen auf.“ Auszüge aus dem Essaytext des Projektseminars von Robert Gölz: Quellen und Daten zum Thema Reichtum. Abb. 3.2.: Hier regiert die Angst, in: BZ. Industriegesellschaft in der imperialistischen, religiösen (Kreuzzug) und militärischen Metaphorik eines „gerechten Krieges“ gefeiert wurden (Mayne 1993: 206). Die heutigen Nachfolger des Slumdiskurses beziehen sich auf Stadtgebiete, die mit Armut und Verbrechen, aber noch immer auch mit moralischen Problemen in Verbindung gebracht werden. Auch die rezenten Darstellungsmethoden knüpfen an die tradierte Form der Ausgrenzung „kranker, krimineller“ Viertel durch das Mittel der einfachen Kartierung an, wie das nachfolgende Beispiel aus der Berliner B.Z. zeigt (siehe Abb. 3.1.). Auffällig an der Karte ist, dass nur ein Ausschnitt der Stadt gezeigt wird – die meisten einkommensstarken Randbereiche von Berlin fehlen auf der Darstellung. Wird Armut in den populären Medien pathologisiert bzw. kriminalisiert, so wird Reichtum „glamourisiert“. Im „Gala“- oder “Glamour-Diskurs” wird das gesellschaftliche Leben von Reichen beobachtet und hinsichtlich seiner Vorbildfunktion in Bezug auf Verhalten, Stil etc. betrachtet. Hier wird eine Reichtumsrepräsentation nach dem Bild der kleinbürgerlichen Aspiration und Prätention geschaffen und vermarktet: So wohnen, kleiden sich, heiraten, feiern die Reichen und Berühmten - jedenfalls die, die sich dem Glamour-Blick aussetzen. Auch städtebaulich lässt sich diese Gegenüberstellung nachzeichnen. So wie die Armutsgebiete sich durch Öffentlichkeit und Zugänglichkeit ausweisen, ist die architektonische For- Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Einleitung mensprache der vermeintlich reicheren Wohngegenden eine der Abschließung, die sich durch Verfügungsgewalt über weitläufige private Räume auszeichnet und somit den Reichen zumindest im Privatleben die Möglichkeit des Rückzuges bietet (siehe 2.4.). Repräsentationen von Kriminalität und Reichtum sowie Kartierungen dieser durchaus weit verbreiteten Phänomene sind hingegen sehr selten. Typische „white-collar-crimes“ wie Steuerhinterziehung, Bestechung oder Wirtschaftskriminalität werden selten in so systematischer und umfassender Form dargestellt und in einen räumlichen Bezug gesetzt wie dies bei Graffiti, Drogendelikten oder Gewaltkriminalität der Fall ist. Es bietet sich also an, den Reichtumsbegriff um die Dimension der Repräsentation zu erweitern: Reich ist, wer sein gesellschaftliches Bild beeinflussen kann und nur dann im Mittelpunkt des Interesses steht, wenn dies gewünscht ist. Im Gegensatz dazu stehen die mit Bildern und Diskursen der Desorganisation, der Unmoral und der Kriminalität überzogenen armen Viertel, deren Bewohner zusätzlich zu geringem materiellem Besitz auch noch das Recht am eigenen Bild verlieren. Loïc Wacquant (1993) spricht daher von der symbolischen Enteignung marginalisierter Bevölkerungsgruppen. 3.1. REPRÄSENTATIONEN IN WISSENSCHAFT UND POLITIK Auch in den angewandten Wissenschaften spielt die kartografische Repräsentation von Klasse seit ihren philanthropischen Anfängen im 19. Jahrhundert eine große Rolle. Frei nach dem Konzept einer angewandten „Problemwissenschaft“ standen in der Soziologie und ihren disziplinären Nachbarinnen von Anfang die Verortung von Armut im Vordergrund. Analog zu den von Foucault beschriebenen Machttechniken zur Inventarisierung und Durchdringung des Staatsterritoriums in der Neuzeit wird der Survey zur zentralen Machttechnik zur Analyse der dunklen, verborgenen anderen Seite der Stadt (Lindner 2004). Im England der 11 Einleitung Industrialisierung steht die Kartierung in direkter Verbindung mit reformerischen Hilfsprogrammen, polizeilicher Disziplinierung, und der Arbeit von „charity“-Organisationen und sorgt mit für eine bessere Kontrolle durch Visualisierung und Wissensproduktion zum Thema „How the poor live“. Die Map of London Poverty von Charles Booth aus dem späten 19. Jahrhundert zeigt durch ihren Titel den klassenmäßigen Schwerpunkt dieser Arbeiten an, ist aber gleichzeitig von ihren Inhalten her eine Ausnahme, da sie auch die obere Mittelklasse in goldenen Tönen kartiert (siehe Abb. 3.4.). Indem sie sich auf Expertenbefragungen und Begehungen durch die Forscher stützt, sind hier die Ursprünge der ethnologischen Stadtforschung auszumachen (Lindner 2004: 85). Der von der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales herausgegebene Sozialstrukturatlas Berlin, der 2004 in seiner neuesten Fassung erschien, ist die moderne Form des social surveys aus dem 19. Jahrhundert. Er hat sich mittlerweile von den ethnographischen Methoden der Pioniere in London verabschiedet und verwendet faktoranalytische Verfahren zur Sortierung und Gruppierung einer Vielzahl von Indikatoren. Als kleinräumige Darstellung sozialer Milieus konzipiert, wird er als Handlungsgrundlage für die sozialpolitische Planung verwendet. Die letzte Ausgabe brachte gar eine Diskussion um eine stärkere Berücksichtigung sozialer Ungleichheit bei der Verteilung von Haushaltsmitteln ins Rollen: In einem Interview mit der Berliner Zeitung am 29. April 2004 forderte die für den Atlas verantwortliche Sozialsenatorin Dr. Heidi Knake-Werner etwa, über neue Ganztagsschulen nach den durch den Strukturatlas gewonnenen Erkenntnissen zu entscheiden und diese Schulform in den Innenstadtbezirken zu konzentrieren. Die mächtigste Kategorie des Sozialstrukturatlasses ist der „Sozialindex“ genannte erste Faktor, der eine „günstige“ Sozialstruktur von „ungünstigen“ unterschieden soll. „Ungünstige Sozialstruktur“ korreliert stark mit einem hohen Anteil von Personen ohne Schulabschluss, Männern, Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosen, mit Phäno- 12 menen wie niedrigen Einkommen und vorzeitiger Sterblichkeit sowie mit Single-Haushalten und Nicht-EU-Ausländern (Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales 2004: 21). Daneben gibt es den zweiten, „Statusindex“ genannten Faktor, der die Viertel mit besonders hohem kulturellem Kapital hervorhebt. Bereits die Auswahl möglicher Indikatoren zur Sozialstruktur verrät einiges über die herrschenden Vorstellungen von günstiger und ungünstiger Sozi- Abb. 3.3.: Der Adel tanzt! Die Armen hängen rum und sind kriminell. In: B.Z. 8.2.2004. Sind sie Bourgeois(e)? 1. Ökonomisches Kapital - Besitzen Sie ein Portefeuille von Wertpapieren? - Verfügen Sie mindestens über eine Person, die sich Vollzeit um Ihren Haushalt kümmert? - Verfügen Sie über ihren Abb. 3.4.: Ausschnitt und Legende der „Map of London Poverty“ von Charles Booth (1889). Quelle: Scan von Sabiha Ahmad, <http://www. umich.edu/~risotto/>. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Hauptwohnsitz hinaus über andere Wohnsitze (für die Sommerfrische oder als Bleibe in großen Metropolen)? - Müssen Sie Abgaben zur Vermögenssteuer leisten? - Verfügen Sie über mobile und immobile Besitztümer im Ausland? 2. Kulturelles Kapital - Sind Sie Student oder Alumnus einer Elitehochschule, die eine Laufbahn zum Führungsbeamten vorbereitet? - Wurden Sie als Kind von Ihren Eltern regelmäßig in Museen geführt? - Gehen Sie mindestens einmal im Monat ins Theater, Konzert oder in die Oper? - Kaufen Sie Kunstwerke oder Antiquitäten? - Sprechen Sie mindestens zwei Fremdsprachen? 3. Familiäres und soziales Kapital - Kennen Sie die Vornamen Ihrer Urgroßeltern? - Haben Sie in Ihrer Kindheit die Ferien zusammen mit Cousins und Cousinen in Häusern ihrer Familie verbracht? - Nehmen Sie mindestens zwei mal pro Woche an Dîners teil (als Gastgeber oder Gast)? - Sind Sie Mitglied eines Kreises, in den Sie durch einen Verwandten eingeführt wurden? - Haben Sie Familienmitglieder, die einer anderen Nationalität angehören? alstruktur. Dabei spielen insbesondere Einkommen, Berufsstatus und Bildung eine Rolle, aber auch Haushaltsformen bringen die moralische Seite der Surveys wieder ins Spiel. Große Kontinuitäten gibt es aber auch in der Farb- und Formensprache der Karten, wo „günstige“ Sozialstruktur hellgelb, die „ungünstige” dunkel bzw. rot dargestellt ist. Status- und Sozialindex geben in gewissen Grenzen, die einer zum Teil problematischen Methode und der Auswahl schwieriger Variablen geschuldet sind, einen ersten Einblick in die räumliche Verteilung von Ressourcen über das Stadtgebiet Berlin: Materieller Besitz und geregelte Berufstätigkeit (Sozialindex) sind am stärksten in den Bezirken Zehlendorf, Steglitz und Köpenick vertreten, am wenigsten im Wedding und in Kreuzberg. Nach Bildung und kulturellem Kapital (Statusindex) liegen die Bezirke Mitte und Prenzlauer Berg vorne, während Neukölln und Spandau die Einleitung Schlusslichter bilden. Auf kleinräumiger Ebene sind es Gebiete wie Gatow und Frohnau, für die der Sozialstrukturatlas die höchsten Sozialindizes aufzeigt. Dieser analytisch perfekt erscheinende Zugang zur Sozialstruktur der Stadt Berlin ist aber in vielerlei Hinsicht schwierig: Aufgrund der typischen Korrelationen der Variablen untereinander setzt beispielsweise ein hoher Ausländeranteil automatisch den Sozialindex eines Gebiets herab, während ein hoher Anteil von Hochschulabsolventen oder Alleinerziehenden den Statusindex erhöht. Die Karten des Sozialstrukturatlasses stellen bei all ihrer Suggestivkraft nur einen ersten räumlichen Zugang zum Phänomen des Reichtums dar. Auch die Verortung und Kartierung eines ganzen Bündels von Indikatoren liefert keinen ausreichenden Zugang zu Sozialgeographien des Reichtums. Im folgenden Kapitel soll auf eher qualitative Zugänge aus dem Feld der Stadtforschung eingegangen werden. 4. Symbolisches Kapital - Sind Sie im Bottin Mondain eingetragen? - Tragen Straßen in Paris oder anderswo den Namen von ihren Familienangehörigen? - Besitzt ihre Familie einen Gutshof/ ein Herrschaftshaus auf dem Land? - Sind Sie aktives Mitglied einer karitativen Organisation? - Sind Sie Mitglied der Ehrenlegion? Quelle: Pinçon/Pinçon-Charlot 2003 (Übersetzung Dirk Gebhardt) . Abb. 3.5.: Statusindex auf Bezirksebene, in: Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales 2004: 27ff. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 13 Einleitung 4. REICHTUM UND RAUM, REICHTUM UND STADT Sozialgeographien des Reichtums werfen die Frage auf, wie sich Reichtum im Raum zeigt, wie er räumlich wirksam ist und räumlich reproduziert wird. Das Soziologenpaar Pinçon und PinçonCharlot untersucht seit fast 20 Jahren das Großbürgertum in Frankreich. Von ihrem wissenschaftlichen Ausgangspunkt, der Arbeit über Sozialwohnungen und Segregation, kamen sie zu dem Schluss, man müsse sich der Stadt von allen Seiten nähern, auch von der oft ausgeblendeten Seite des Reichtums, um sie verstehen zu können. Wenn schon die städtische Armutsforschung in die Falle tappt, wenn sie meint, es würde ausreichen, einfach die Viertel der Armen, sozial Benachteiligten, Ausgeschlossenen etc. aufzusuchen und nachzusehen, wie es sich dort lebt, dabei viele Bedingungen und Prozesse vor lauter Fremdheit aber nicht versteht, erscheint die räumliche Analyse des Reichtums aus verschiedenen Gründen umso schwieriger. Das Beispiel Mobilität kann dies veranschaulichen: Verstanden als Potenzial sich im Raum zu bewegen, über Mittel der Fortbewegung zu verfügen, ist Mobilität immer abhängig von Ressourcen. Reichtum bedeutet Mobilität und Flexibilität, und macht es schwierig, Reichtum analytisch zu fixieren und räumlich zu lokalisieren. Zum räumlichen Nexus von Reichtum und Status gehört auch, dass über verschiedene Optionen des Wohnens verfügt werden kann. Pinçon und Pinçon-Charlot weisen darauf hin, dass das Wohnen des Großbürgertums multilokal ist, verschiedene Stadtwohnungen oder Sommerfrischen umfasst und wie die Verkehrskreise auch, sich über verschiedene Länder verteilt. Auch wenn die Themenstellung „Reichtum in Berlin“ daher womöglich eine problematische Eingrenzung ist, gibt es Argumente dafür, eine stadträumliche Perspektive einzunehmen. Für Pinçon und Pinçon-Charlot dienen die „beaux quartiers“ von Paris unter anderem der Sicherung „eines der 14 universellsten Vergnügen überhaupt“: unter seinesgleichen zu bleiben, mit seinesgleichen den Alltag zu teilen und – geschützt von „störenden Promiskuitäten“ – vor der eigenen Infragestellung sicher zu sein. Segregation erlaubt das Teilen der akkumulierten Reichtümer, die, weil räumlich konzentriert, ein einzigartiges Umfeld bilden, welches dem sozialen Kapital und der angemessenen Sozialisierung der Kinder dient. Bei den Wohngebieten des Großbürgertums handelt es sich immer um Viertel, die als neue städtische Räume vom und für das Großbürgertum errichtet wurden. Exklusive architektonische Formen und städtische Infrastruktur markieren das Viertel, Adressen werden symbolisch aufgewertet und ziehen hochrangige Dienstleistungen nach sich. Das Untersuchungsfeld Reichtum bringt den Forschenden in eine Position, die für viele sozialwissenschaftliche Studien ungewohnt ist: Anders als beispielsweise in der wissenschaftlichen Arbeit zu Armen hat man es mit Menschen zu tun, die einem nicht nur fremd sind, sondern die auch in der gesellschaftlichen Hierarchie über einem selbst stehen. Im Kapitel „Le sociologue en position dominée“ gehen Pinçon und Pinçon-Charlot (1997: 29ff) auf dieses Problem ein und stellen aus ihren eigenen Erfahrungen fest, dass sich die Unterlegenheit des Forschenden, beispielsweise in Bezug auf kulturelles und ökonomisches Kapital, auch dann zeige, wenn dies vom großbürgerlichen Untersuchungsobjekt gar nicht beabsichtigt sei. Denn es gehöre gerade zu den Grundlagen der großbürgerlichen Erziehung, die soziale Distanz zu einem Gegenüber eher zu euphemisieren als zu betonen. Je stärker die gewählte Forschungsmethode auf räumliche Nähe und Teilnahme setzt, desto spürbarer werde für den Forscher die soziale Distanz und Unterlegenheit gegenüber seinem Untersuchungsobjekt. Auch wenn diese Distanz nicht ohne weiteres zu überbrücken ist, empfehlen Pinçon und Pin- Reichtum, Armut und Ortsgebundenheit (Caroline:) Das ist die Contessa, sie ist reich und schön – (Sophie:) Ich schirme mich vom Rest der Stadt ab, also von denen, die an den konkreten Ort gebunden sind, und lebe in einem Hubschrauber. (Caroline:) Und nicht am Eaton Place, mit seinem geteilten Haus in Herren und Dienstboten, das gibt es so nicht mehr. Die Dienstmädchen leben unter einer Regenplane und die Reichen landen einfach nicht mehr. Das Haus am Eaton Place, also die territoriale Bindung beider Gruppen, bot doch mal eine gemeinsame Grundlage für Stadtpolitik.“ Aus „Telefavela“ von René Pollesch, In: Zeltsaga. René Polleschs Theater. Berlin: Synwolt 2004, 67f. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin çon-Charlot, zumindest beeinflussbare Faktoren wie Sprache, Kleidung und Körperhaltung so gut wie möglich zu kontrollieren und dem Feld anzupassen, um den Zugang zum Feld und das Wohlbefinden des Forschenden so wenig wie möglich durch die Position der Unterlegenheit zu beeinträchtigen. Aber wie sieht es in Deutschland aus, wo es im letzten Jahrhundert viel stärkere Brüche sowohl in der Klassenstruktur als auch im Städtesystem zu verzeichnen gab? Jens Dangschat (1997) geht in einem Text über die Folgen der sozialen Polarisierung in Hamburg ebenfalls auf die Rolle des Raumes für Reichtum ein und kommt dabei zu ähnlichen Ergebnissen wie die französischen Forscher. Er argumentiert, dass sich residenzielle Segregation auf unterschiedliche Wohn- und Wohnumfeldqualitäten sowie die „Qualität potenzieller sozialer Kontakte“, das „Profitieren vom Image des Quartiers“ und die Erreichbarkeit anderer städtischer Teilräume“ auswirkt. Damit greift er auf den Begriff der Raumprofite zurück, die nach Bourdieu durch Nähe zu erwünschten Einrichtungen und Menschen, durch prestigeträchtige Lagen Einleitung und die unmittelbare Verfügungsgewalt über den Raum entstehen (Bourdieu 1997: 164). Die Verfügung über einen Raum, der solche Profite abwirft, hat ihren Preis, gleichzeitig stabilisiert, diversifiziert und reproduziert sie aber den Reichtum und verschafft Zugang zu neuen Ressourcen. Laut Dangschat begünstigt die räumliche Konzentration von „Hochburgen des Reichtums“ am östlichen und nordöstlichen Rand von Hamburg die „Herausbildung sozialräumlicher Milieus“. Raum reproduziert soziale Ungleichheit, weil man ungestört unter seinesgleichen lebt, miteinander einen Mikrokosmos aus geteilten Werten bildet, sich gegenseitig bestätigt und den Rest der Gesellschaft mit seinen Problemen vergessen kann (1997: 351). Die Mischung aus bürgerlicher Definitionsmacht, räumlicher Abschottung und einer homogenen Lebenswelt führen laut Dangschat dazu, dass die gesellschaftliche Diskussion stärker um soziale Brennpunkte, Integrationsversagen der Armen und „Kulturen der Armut“ kreist, die Problematik der „Kulturen des Reichtums“ hingegen vernachlässigt werden. 5. REICHTUM IN BERLIN Golfen am Gleisdreieck - privatwirtschaftliche Verwertung von Allgemeingut für Begüterte (auf ehemaligen Güterbahnhöfen)? Am Gleisdreieck, einer Brachfläche auf einem ehemaligen Güterbahnhofsareal, müssen mindestens 16 ha öffentliche Grünfläche als Ausgleich für die Bebauung am Potsdamer Platz entstehen - eine Kompensationsmaßnahme zum Nutzen der Stadtbevölkerung. Die Fläche wird von der aus der EisenbahnImmobilienManagement GmbH hervorgegangenen Firma „Vivico Management GmbH“ (Eigendarstellung auf der website: „Vivico entwickelt und betreut Immobilien in erstklassigen innerstädtischen Lagen.“) verwaltet. Da die Gesamtfläche am Gleisdreieck deutlich größer ist als die Unter den bundesdeutschen Großstädten zählt Berlin nicht zu den ersten Adressen, die mit „Reichtum“ assoziiert werden. Berlin hat nicht den Glamour von München, die feine Gesellschaft von Hamburg-Blankenese oder die Bankenzentralen von Frankfurt am Main. Noch immer gilt Berlin als „preiswert“ bzw. „schäbig“. Die Arbeitslosenquote in Berlin liegt nur knapp unter dem ostdeutschen Schnitt (und damit fast doppelt so hoch wie der bundesdeutsche Durchschnitt), das Pro-KopfEinkommen ist niedriger als im westdeutschen Durchschnitt und es ist die Stadt Wiesbaden (und nicht Berlin), die in der Bundesrepublik die meisten Millionäre unter ihren Einwohner versammelt. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Trotz dieser für westeuropäische Hauptstädte eher untypischen Situation gibt es auch in Berlin Reichtum. Die Stadt kennt durchaus exklusive Wohnquartiere, exquisite Boutiquen, Nobelrestaurants und Edeljuweliere. In den letzten Jahren gibt es zudem – zum Teil mit politischer Unterstützung – Tendenzen der Aufwertung von Stadtteilen. Beispiele hierfür sind die Gentrificationprozesse in Innenstadtbezirken im Osten Berlins, aber auch neugeschaffene Wohnquartiere, teilweise Umnutzungen ehemaliger Gewerbeflächen oder die Erschließung attraktiver Wasserlagen, wie in Berlin-Stralau oder der Wasserstadt Spandau. Sie bieten attraktive Möglichkeiten des Wohnens für Spitzenverdiener. Mit der Eröffnung 15 Einleitung von Einkaufszentren, die wie die „Galleries Lafayette“ oder das „Quartier 205“ explizit auf ein finanzstarkes Kundensegment setzen, bietet auch das neu geschaffene Zentrum entlang der Friedrichstraße zunehmend mehr Freizeit- und Konsummöglichkeiten für gut verdienende Einwohner und Besucher Berlins. Die Ost-West-Besonderheiten Berlins zeigen sich auch in den attraktiven Stadtrandlagen der Stadt. Der Sozialstrukturatlas weist den Südwesten und den Südosten als die Stadtviertel mit den höchsten Sozialindizes aus. Trotz dieser sozialstrukturellen Ähnlichkeiten bestehen zwischen beiden Stadtbereiche offensichtliche Unterschiede: Im südöstlichen Friedrichshagen trifft man viel seltener auf hochherrschaftliche Villen und Luxusautomobile als im Südwesten der Stadt. Auch wenn der Berliner Südosten teilweise ein Wohnort der Eliten in der DDR war, dominieren dort relativ durchschnittliche Ein- und Mehrfamilienhäuser. Reichtum (West) ist auch 15 Jahre nach der Wiedervereinigung noch anders sichtbar als Reichtum (Ost). Auch wenn Wirtschaftsprognosen nicht darauf hindeuten, dass Berlin als Ganzes reicher wird, so werden doch Reichtum und Reiche eine zunehmend wichtigere Rolle in der Stadt spielen. Die Hauptstadtfunktion zieht andere Repräsentationen von Verbänden, Unternehmen, Medien und Kultur nach sich. Damit verbunden sind neue Einwohner, die eindeutig zu den Spitzenverdienern auf deutscher Ebene gehören. Die neuen 16 Bewohner fragen Wohnraum, Konsumund Freizeitmöglichkeiten nach, die dem Luxussegment zuzuordnen sind. Der 2001 eröffnete Berlin Capital Club am Gendarmenmarkt steht zumindest für den Versuch, einen neuen exklusiven Raum in Berlin zu etablieren. Der Investor, die „Club Corporation of Asia“ betreibt ein weltweites Netz von Business-, Golf- und Country Clubs, zudem nun auch eine Berliner Niederlassung zählt. Bevor es aber „Willkommen im Club!“ heißt (das weltweite Netzwerk umfasst ca. 70.000 Mitglieder), bedarf es neben Geld (Aufnahmegebühr 3000 Euro + Jahresbeitrag 1200 Euro) auch soziales Kapital in Form von Empfehlungen. Man versteht sich explizit als halböffentlicher Raum zur Anbahnung von Geschäftskontakten (vgl. ein Interview mit dem Vorsitzenden der Betreibergesellschaft unter <http://www. politikerscreen.de/static/diplomatie/ Klostermann.htm>). Aber auch auf der abstrakteren Ebene des internationalen Standortwettbewerbes, in dem sich Berlin als repräsentative Adresse darzustellen versucht, rückt die Anziehungskraft der Stadt für das Geld und seine Träger ins Zentrum des Interesses. Die Kehrseite dieser Entwicklung ist eine verschärfte sozialräumliche Polarisierung, die zum Ende der Stadt als gesamtgesellschaftliches Projekt führen kann: Eine Stadt, die keine Vermittlung mehr zwischen der Abkopplung verarmender Stadtteile auf der einen und der Abschottung von Quartieren der Besserverdienenden auf der anderen Seite herstellen kann. 16 ha, versucht die Vivico in ihren Verhandlungen mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung im Gegenzug zu einer Umsetzung des Parks eine Freigabe zur Bebauung von Teilen des Areals und lukrative Zwischennutzungen für die Brachfläche durchzusetzen. Dagegen wiederum kämpft die Initiative AG Gleisdreieck, die sich seit Jahren für eine baldige Realisierung eines Parks auf einer möglichst großen Fläche einsetzt. Mit dieser Strategie wurde ein Golf-Abschlagplatz („Driving Range“) des Privatinvestors GlobalGolf nun auf 44.000 m2 als lukrative Zwischennutzung durchgesetzt. Noch im September 2004 hieß es auf den provisorischen Internetseitenvon GlobalGolf: „Global denken, lokal handeln. Wo könnte dieses Motto besser umgesetzt werden als beim Golfen und bei Networking in der Mitte Berlins. Darum: Global Golf Berlin. Wer schon immer in seiner Mittagspause den Golfschwung verbessern oder nach Büroschluss noch eine Trainingsstunde nehmen und dabei ganz informell interessante Menschen treffen wollte, hatte bisher ein Problem: Der eigene Golfclub liegt einfach zu weit entfernt vor den Toren der Stadt…“ (Quelle: ursprüngliche, jetzt nicht mehr öffentliche Domain <http://globalgolf-berlin.de/> September 2004). Mittlerweile haben sich Business-Plan und Business-Ton der Jungunternehmer des globalen Golfens deutlich verändert. Nun geht es um Breitensport statt Networking, außerdem sucht man zumindest rhetorische An- Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Einleitung 6. REICHTUMSDISKURSE, IDEOLOGIEN UND MYTHENBILDUNGEN schlüsse an die urban catalyst / Zwischennutzungsszene. Auf der Website bezeichnet sich GlobalGolf Berlin als „multifunktionelle Erholungs- Freizeit- und Golfanlage, wo wir Golfer und Nichtgolfer gleichermaßen willkommen heißen“ [...] „Ganz Berlin den Golfsport näher zu bringen ist eines der Hauptziele von GGB. Wir wollen es allen ermöglichen, Golf einfach und unkompliziert auszuprobieren“. Der Jahresbeitrag kostet 290 Euro und öffnet die Tür zum „abgeschlossenen Mitgliederbereich“. Nichtmitglieder zahlen acht Euro pro Stunde. Allerdings wendet man sich auch an exklusivere Gäste und öffnet sich für „Corporate Golf Events“. In der Mitgliederordnung heißt es „ Zugelassen werden ferner Gäste ausgewählter Fünf-Sterne Hotels, Sponsoren und Gäste von Firmenveranstaltungen (jeweils gegen Entgelt).“ (Quelle: <http://www.globalgolf-berlin. net>, Juli 2005) Die Frage der Parknutzung ist jedoch noch immer nicht endgültig geklärt. Informationen: Global Golf Berlin Akademie, Schöneberger Ufer 7, 10785 Berlin <http://www.globalgolf-berlin. net> <http://www.vivico.com> <http://www.berlin-gleisdreieck. de>. Aktuelles Beispiel: Auseinandersetzung um die Ausstellung „Flick-Collection“. 5 Neben den bereits angesprochenen Problemen eines „unterforschten“ Untersuchungsgegenstandes, der Problematik von Reichtumsdefinitionen, Abgrenzungen und visuellen Zugängen, legen aktuelle Reichtumsdiskurse über „Heuschrecken“ und andere Spezies nahe, hier noch einmal auf besondere Reichtumsmythen und Fallen der Reichtumsforschung einzugehen. Huster (1993) konstatiert, dass wer sich mit Reichtum und Armut beschäftige, sich auch mit moralischen Konnotationen dieser Begriffe auseinandersetzen müsse. So werde Armut zumeist als ein Zustand betrachtet, der gesellschaftliches Eingreifen notwendig erscheinen lasse, eine vergleichbare ethische Bestimmung staatlicher Interventionen allerdings bislang beim Reichtum (Huster 1993: 19) fehle. Trotzdem gehe es darum, Reichtum weder zu dämonisieren, noch ideologisch zu überhöhen – wichtig sei vor allem, Reichtumsdiskussionen aus der Tabuzone zu holen und nach der Bedeutung für unsere Gesellschaft zu fragen (Huster 1993: 19). Nicht nur in unserer Gesellschaft sind Reichtumsdiskurse von Ideologien und Mythen umrankt. Die wirkmächtigste Ideologie ist die der kapitalistisch-bürgerlichen Legitimität und Schutzwürdigkeit des Privatbesitzes. Die Dynamiken der Privatisierung von Grund und Boden, der Besitzstandswahrung herrschender Eliten, sowie Kämpfe und vernichtende Kriege um die Ausdehnung nationalstaatlicher Territorien, haben die letzten 250 Jahre bürgerlicher Gesellschaften und ihrer Gegen- bzw. Protestbewegungen in Europa geprägt. In Zukunft stehen Auseinandersetzung um die noch verbliebenen Gemeinschaftsgüter wie beispielsweise (sauberes) Wasser, (reine) Luft und der Zugang zu Wissen und Bildung auf dieser ideologischen Agenda des „nur was etwas kostet, ist etwas wert“. Gleichzeitig weist aber das Grundgesetz darauf hin, dass Eigentum verpflichtet (Art 14, Abs. 2 GG). Damit verweist die Verfassung darauf, dass Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin es kein absolutes Eigentumsrecht gibt, weil dieses immer institutionell gebunden ist. Insbesondere ist das Eigentum dem Allgemeinwohl und der „Übernahme gesellschaftlicher Aufgaben“ verpflichtet (Lucke 2001). Historisch besonders wirkmächtig waren sicherlich religiöse Vorstellungen eines Reichtums als göttliche Anerkennung weltlicher Leistungen. Auch wenn Max Webers protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus sicher zu schematisch ansetzt, kann, allein auf christliche Religiosität bezogen, Reichtum (calvinistischen, protestantischen religiösen Ethiken) als Gottgegeben (Gottes Gnade-Gottes Lohn) für richtiges, fleißiges Arbeiten auf normative Anerkennung zählen: Besonders dann, wenn dies eigener Leistung zugeschrieben werden kann. Damit verbunden ist der kapitalistisch-liberale Mythos der Leistungsbezogenheit, der auf Reichtum als gesellschaftliche Anerkennung setzt: Reichtum wird von der verdienten göttlichen Gnade säkularisiert zum Produkt außerordentlicher gesellschaftlicher Leistung durch besonders aufopfernder Arbeit: Wer fleißig ist, der kann es auch zu Reichtum bringen (vom Tellerwäscher zum Millionär). Beiden mythischen Imaginationen ist gemein, dass wo Reichtum allein zum Leitbild gesellschaftlicher Anerkennung und Erfolges wird, soziale Differenzierung als Bedingung dieser Gesellschaften naturalisiert und zur Norm gemacht werden (Huster 2001). Andere Mythen ranken sich um den gesellschaftlichen Nutzen von Reichtum, der es ermögliche, Gutes zu tun. Philanthropismus und Mäzenatentum erzählen die Geschichten einzelner wohlhabender Menschen, deren Aktionspalette von der Stiftung humanitären Wohlfahrtseinrichtungen, über Tier- und Naturschutzfonds bis zur Förderung des kulturellen Lebens reicht. So ist beispielsweise das sponsoring von KünstlerInnen und deren Werke zunehmend als Ersatz staatlicher Kulturförderung im Gespräch.5 17 Einleitung Ein weiterer Mythos setzt bei Reichen als Pioniere des Konsums und des technologischen Fortschritts an: So gelten Reiche als diejenigen, die neuen Produkten und Dienstleistungen zum Durchbruch verholfen hätten (Huster 2001: 23). „(…) Im Regelfall sind anfänglich sehr teure Waren und Dienstleistungen zunächst lediglich von einer kleinen Schicht Privilegierter in Anspruch genommen worden, bis dann neue Fertigungsmethoden, Einkommensverhältnisse und soziale Verhaltensmuster deren Übernahme durch breite Bevölkerungskreise“ (Huster 2001: 23) ermöglicht habe. In Zeiten mangelnder Nachfrageorientierung und Marksättigung bekommt die Produktion von Luxuswaren eine neue Bedeutung. Die einzigen Wachstumsbereiche der Konsumgüterindustrie sind derzeit in Deutschland polarisierend in den Segmenten der immer billiger werdenden Discountketten einerseits und der immer teurer werdenden Luxusartikel andererseits zu verzeichnen. Die Konzentration von immer mehr Geld und Vermögen in der Hand von wenigen Privatpersonen befördert somit einerseits den Konsum extrem teurer Luxusprodukte, kann aber den Mangel an zirkulierender Kaufkraft einer breiten Masse nicht kompensieren und führt daher dort zu tiefen Nachfrageeinbrüchen. Zu den mächtigsten Reichtumsmythen zählen verschwörungstheoretische Personifizierungen des Reichtums und der gesellschaftlichen Macht. Mitunter kann selbst der Elitenforschung unterstellt werden, sie bediene populistische Diskursstränge. Wenn Netzwerkbildungen oder Organigramme internationaler Verflechtungen als globale Machtgespinste für Verschwörungstheorien herhalten müssen – und dabei oft in wenig verschleierter Form mit Stereotypen einer mutmaßlichen jüdischen Weltverschwörung arbeiten („Ostküste“) – ist die Nähe zu antisemitischen Positionen schnell hergestellt. Auf Grundlage gruppenbezogener Schuldzuschreibungen und Verschwörungstheorien und der Personalisierung von Reichtum erfolgt eine Verschiebung der Wahrnehmung weg von gesellschaftlichen Verhältnissen, die eine Anhäufung immensen privaten Reichtums ermöglichen. So kann als Problem und gleichzeitig Bedingung einer nicht-populistischen, nicht personifizierten Reichtumsforschung formuliert werden: Während Reichtum als gesellschaftliches Phänomen beschrieben und einzelne Protagonisten erforscht werden können, kann umgekehrt von Einzelpersonen nicht auf die Gesellschaft geschlossen werden. Der einzelne Reiche kann nur aufgrund seines Besitzes nicht für die Übel des gesellschaftlichen Gesamtzusammenhangs- oder mit Marx für Verhältnisse, deren Geschöpf er sozial bleibt – haftbar gemacht werden (Gleichwohl kann er/sie persönlich durchaus moralisch hinterfragt werden). Historisch hat sich gezeigt, dass selbst der massenhafte Mord und terroristische Regimes zwar viele als Reiche imaginierte Menschen getötet, nicht aber den Reichtum als soziales Phänomen und Problem abgeschafft haben. 7. VORSTELLUNG DER STUDENTISCHEN BEITRÄGE Die nachfolgenden Beiträge stellen die Ergebnisse der studentischen Arbeiten dar. Wir möchten uns im Namen der Projektleitung und der Studierenden ganz besonders bei Wenke Christoph für den Satz der Druckvorlage bedanken. Obwohl die Herausgeber die Konzeption der Studien begleitet und in die Erstel- 18 lung der Einzeltexte mit Korrekturvorschlägen eingegriffen haben, bleiben die Texte ein Produkt der SeminarteilnehmerInnen. Sie unterscheiden sich in Bezug auf Stil und Reifegrad und geben gerade dadurch den Charakter eines Projektseminares mit gewissen Freiheitsgraden in Bezug auf die Themenwahl wieder. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Wenke Christoph, Ronald Führer, Matthias Grätz, Judith Oberschäfer, Christian Ostendorf und Anna Winteroll beschäftigen sich mit dem Thema „Wohnen nach Wunsch! Politischer Umgang mit Wohngebieten für Reiche in Berlin“. Sie stellen die Frage, inwiefern Projekte in der Berliner Stadtentwicklung die Interessen und Bedürfnisse von einkommensstarken Haushalten berücksichtigen. Die Arbeitsgruppe gewann ihre Ausgangsthesen aus den Erklärungsversuchen zur unternehmerischen Stadt, zur Militarisierung der Stadtpolitik, zur viergeteilten Stadt und zur urbanen Renaissance. Im empirischen Teil der Arbeit konfrontiert sie diese Thesen mit den Beispielen des Viktoria-Quartiers in Berlin-Kreuzberg und den Potsdamer Arkadien, zwei neu errichteten Wohnungsprojekten, die sich explizit an besserverdienende Bewohner richten. Der Bericht liefert in der Untersuchung hochpreisiger Wohnanlagen Hinweise auf die räumliche Manifestation von Reichtum in Berlin im Bereich Wohnen und zeigt Wechselwirkungen mit der offiziellen Stadtpolitik auf. Der Untersuchungsbereich der Arbeitsgruppe „Dualistische Lebensmodelle Berliner Funktionseliten“ konzentriert sich auf eine Zielgruppe, der bisher wenig wissenschaftliche Aufmerksamkeit zuteil wurde. Diese Gruppe wird von den StudentInnen Katja Becker, Johannes Edelhoff und Natanael Weigold als Funktionselite bezeichnet. Diese Bevölkerungsgruppe verbindet neben der Annahme eines überproportional hohen kulturellen, sozialen und ökonomischen Kapitals auch deren Vorstellung gesellschaftlicher Elite und Partizipation an politischer und/oder ökonomischer Macht. Dabei gehen die StudentInnen von der Hypothese aus, dass die Mitglieder dieser Funktionselite keine klare Unterscheidung zwischen Arbeit und Freizeit treffen (können), indem der Freizeitraum seine ursprüngliche Funktion als Ort der Erholung verliert und zum informellen Arbeitsraum transformiert wird. Auf dieser heuristischen Grundlage nähert sich die Arbeitsgruppe dem Vorhaben, Arbeits- Wohn- und Freizeiträume der Funktionselite in Berlin zu lokalisieren sowie Knoten im Netzwerk der informellen Arbeitswelt/ Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Einleitung „Scheinfreizeit“ ausfindig zu machen. In Interviews mit zwei Managern, einem Hochschulprofessor, einem Atelierfotografen und einem Lobbyisten eines Automobilherstellers stellen sie Fragen nach den Funktionen und der Verortung dieser Sozialräume. Ergänzt werden die in diesen Gesprächen gewonnenen Erkenntnisse durch die Auswertung des Adressverzeichnisses der Hauptstadteliten „Top 500 Berlin“. Hier werden Arbeits- und die Freizeitorte kartographisch erfasst und mit einer Auflistung der für diese Gruppe bedeutenden gesellschaftlichen Räume ergänzt. Die studentische Forschungsgruppe charakterisiert ihren Ansatz als einen, der von den Entscheidern ausgehend forscht, um einen Einblick in eine für Außenstehende weitestgehend schlecht nachvollziehbare Lebenswelt zu erhalten, die jedoch wie keine zweite das Gesicht der Stadt prägt. Die Arbeitsgruppe von Nico Benedict, Beatrice Elsner, Josefine Herrmann, Bernjamin Müller und Jennifer Schäfer widmet sich dem Forschungsbereich „Konsum von Luxuswaren in Berlin“. Gegenstand des Arbeitsansatzes sollte sein, sich mit Luxusgütern als sichtbare Form von Reichtum zu beschäftigten und den Luxuskonsum in Bezug auf seine räumliche Dimension zu betrachten. Dieser kulturgeographische Ansatz bot eine breit aufgefächerte Palette an Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit Werbung und Warenästhetik, der Inszenierung von Luxuswaren als Distinktionsmittel, ganz im Sinne der klassischen Definition einer conspicious consumption nach Veblen. Die Studierenden führten exemplarische Feldforschungsarbeiten im Bereich der nördlichen Friedrichstraße und des Kurfürstendammes durch, wo sie Autohäuser der gehobenen Klasse und Juweliergeschäfte untersuchten. Ergänzt werden die in diesen Geschäften durchgeführten Interviews mit kulturgeschichtlichen Anmerkungen zur sozialen Genese dieser Luxusgüter. Während der Sozialstrukturatlas sein Augenmerk auf Armutsphänomene in Berlin richtet, haben sich Patricia Bernhardt, Simon Brieger und Ulricke Mackrodt zum Ziel gesetzt, eine exemplarische „Kartografie des Reichtums“ auf Grundlage von verschiedenen Lokali- 19 Einleitung sierungs- und Visualisierungsstrategien zu entwickeln. Die Friedrichstraße wurde als ein urbaner Raum ausgewählt, der in der Wahrnehmung von Berlinern und Touristen gemeinhin als reich gilt und wo nach 1990 von verschiedenen Akteuren versucht wurde, an tradierte Mythen und Repräsentationen anzuknüpfen. Um zu überprüfen, ob sich dieses Bild durch die empirische Arbeit zur räumlichen Manifestation von Reichtum zunächst bestätigen und dann in Karten verdichten lässt, wurden drei Indikatoren bestimmt: erstens die Bauinvestitionen seit 1990, die auf Diskussionen über Macht und Repräsentation in Bezug auf die gebaute Umwelt verweisen, zweitens die Mietpreisstruktur, die eine Hierarchisierung des Wohnraums auf Grundlage des Mietspiegel anzeigt und drittens die Hochwertigkeit des Konsums auf der Friedrichstraße, wobei sich die Orte des Konsum allein anhand des Kaufpreises der in den Schaufenstern von Modegeschäften gezeigten Kombinationen individuell erschließen lassen. Die drei angefertigten Karten verweisen allesamt auf die Konzentration der Produktion reicher Räume auf den Bereich der Friedrichstraße zwischen Leipziger Straße und Unter den Linden. Sie argumentieren, dass Neubauten als exklusive Repräsentationen von Stadtraum, die Vermarktung von hochpreisigem Wohnraum und die Identitätspolitik der einzelnen Fashionund Lifestyleunternehmen zum Bild der reichen Friedrichstraße beitragen. Der Beitrag „Reichtum unter Migranten“ von Dorothee von Auer und Robert Gölz ist das Ergebnis des Anliegens, ein von Anfang an relativ klar formuliertes studentisches Forschungsinteresse in das Projektseminar zu integrieren. Mit dem Beispiel türkischstämmiger Unternehmer in Berlin untersuchten die beiden Studierenden eine Gruppe, die üblicherweise nicht mit Reichtum in Verbindung gebracht wird und können dadurch vom Erkenntnisgewinn profitieren, den ein „Gegen-den-StrichBürsten“ herrschender Diskurse bringen kann. Damit leisten sie außerdem eine Arbeit an den Repräsentationen eines Teils der Stadtbevölkerung, der häufig mit Defiziten aller Art assoziiert wird. Gleichzeitig mussten sie bei ihrer Arbeit besondere theoretische, politische und forschungspraktische Klippen umschiffen, die dieses Thema birgt: Fördern die „Erfolgsgeschichten“ eine Sortierung in nützliche und weniger nützliche Migranten? Welche Assoziationen weckt eine Befragung zum Thema Reichtum bei den Befragten und wie ist dies bei der Konzeption der Interviews zu berücksichtigen? Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen die persönliche Bedeutung des Unternehmertums und des Erfolges sowie die Frage, ob sich eine von der deutschen Reichtumsdiskussion, insbesondere in Bezug auf das „neue Geld“ festgestellte Entsolidarisierung gegenüber der Gesellschaft auch bei den befragten türkischstämmigen Unternehmern zeigt. LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS Appadurai, Arjun (1986): Introduction: Commodities and the Politics of Value. In: Ders. (Hrsg.): The Social Life of Things: Commodities in Cultural Perspective. Cambridge: Cambridge University Press, S. 3-63. Becker, Howard S. 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POLITISCHER UMGANG MIT WOHNGEBIETEN FÜR REICHE IN BERLIN WENKE CHRISTOPH | RONALD FÜHRER | MATTHIAS GRÄTZ | JUDITH OBERSCHÄFER | CHRISTIAN OSTENDORF | ANNA WINTERROLL 1. VORGEHEN Der Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist die Berliner Stadtpolitik. Im Hinblick auf das Thema Reichtum in Berlin wollen wir erfahren, wie reichtumssensibel die Berliner Stadtpolitik ist. Uns interessiert, wie die Stadtpolitik mit einem „Wohnungsbau für Reiche" umgeht. Wird die Entstehung von Wohnprojekten für Reiche gefördert oder gehemmt? Um uns diesem Thema anzunähern, nehmen wir Bezug auf einzelne stadtplanerische Maßnahmen. Diese sind neuere Wohnungsbauvorhaben und Investitionen. Mit den zur Verfügung stehenden Geldmitteln der öffentlichen Hand für Bau und Planung können durch die Politik allein kaum größere städtebauliche Projekte realisiert werden. So hat sich in den letzten Jahren in der projektbezogenen Planungspraxis eine Zusammenarbeit mit privaten Investoren durchgesetzt. In erster Linie geschieht das in Form von PublicPrivate-Partnerships. Darüber hinaus treten im Rahmen des zunehmend globalen Marktes Städte als Investitionsstandorte für Dienstleistungen und Produktion in Konkurrenz miteinander. Diese Situation scheint für Investoren besonders verlockend, auch wenn die Tätigung einer Investition mit einem gewissen Risiko verbunden ist. Denn wird sich die Investition schließlich nicht rentieren, so trägt der Investor die entstandenen Kosten. Um die ständige Modernisierung und damit die Attraktivität Berlins im globalen Wettbewerb zu behaupten, bedarf es Investitionen zahlungskräftiger Bauunternehmer, auch im Bereich Wohnungs- bau. Die Investitionen in verschiedenen Sektoren schaffen Arbeitsplätze und liefern größere Summen von Steuerzahlungen. Darüber hinaus können sie das Image einer Stadt verbessern, was entscheidend für weitere Investi-tionsentscheidungen ist. Unsere Frage richtet sich speziell darauf, in welcher Weise und inwieweit die Berliner Stadtpolitik reichtumssensibel in Bezug auf die Unterstützung der Entwicklung von hochwertigen Wohngebieten ist. Steuert die Stadtpolitik durch die Entscheidung für einen Investor vornehmlich das Vorhandensein eines Angebots für reiche Stadtbewohner? Gibt es diese Reichen? Zeigt sich durch die Entstehung von so genannten Reichtumsinseln ein Trend zur Segregation von Reichen? Außerdem wollten wir Informationen darüber bekommen, wie Investoren und Reiche im Gegenzug auf die Stadtentwicklung einwirken. Interessiert hat uns auch die Bedeutung des in Deutschland neuen Phänomens Militarisierung in der Stadtentwicklung. Spielt sie eine Rolle? Wie reagiert die Stadtpolitik darauf? Um unsere Fragen zu beantworten, bot sich die Untersuchung auf Reichtum ausgerichteter Wohngebietsentwicklungen an. Die Auswahl repräsentativer Projekte stellte für uns den schwierigsten Teil unserer Arbeit da. Dahlem als ganzes Gebiet beispielsweise wäre schwer zu untersuchen gewesen, da es ein relativ großes Areal umfasst. Darüber hinaus wollen wir unsere Untersuchung auf Gebiete ausrichten, die seit 1990 nach dem Zusammenschluss der beiden Stadthälften, entstanden sind. So werden aktuelle Trends im Zusammenspiel von Stadt und Inves- Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 23 Wohnen nach Wunsch?! toren sichtbarer. Bei genauer Betrachtung gibt es sehr viele städtebauliche Projekte, die in verschiedener Hinsicht einen Bezug zum Thema Reichtum zeigen. Schließlich haben wir uns für zwei Wohnungsbauprojekte entschieden, zum einen für das „Viktoria Quartier" in Kreuzberg und zum anderen für die „Arkadien Potsdam". Beide können beide Projekte als reichtumsrelevant bezeichnet werden. Zum anderen lagen uns für diese Projekte nach einer ersten Recherche in Zeitungen, Schriftenreihen und im Internet ausreichend Informationen vor und hier sahen wir auch die Möglichkeit, Interviewpartner zu finden. Potsdam ist ein Teil des Großraums Berlin und außerdem sind die „Potsdamer Arkadien" ein Beispiel für höherwertiges Wohnen in Form von Villen. Während das Gebiet des „Viktoria Quartiers" eher durch eine Art Gentrifizierung für reiche Bewohner attraktiv gestaltet wurde, sind in Potsdam in einem großräumig schon vorhandenen Villenviertel neue Gebäude erbaut worden. Aus den Ergebnissen unserer Forschung wollen wir Rückschlüsse auf die allgemeine Situation in Berlin ziehen. In der Methodik stützen wir uns auf anhand eines Leitfadens geführte Interviews. Wir wenden damit eine qualitative Vorgehensweise an. Für die Interviews haben wir Leitfragebögen erstellt. Dadurch wollten wir genügend Raum lassen, um während der Interviews auf relevante Aspekte einzugehen, die wir im Voraus vielleicht noch nicht gesehen oder als wichtig erachtet haben. Die Interviews an sich versprechen einen direkten Zugang zu Akteuren und Informationen über Entscheidungsfindungen und Maßstäbe bezüglich der aktuellen Situation in der Wohngebietsentwicklung. Im folgenden Teil der Arbeit schildern wir zunächst die gesamtstädtebauliche Entwicklung Berlins seit 1990. Dabei gehen wir auf Rahmenpläne und verschiedene Gebietsentwicklungskonzepte ein. Anschließend werden wir den gegenwärtigen und für uns relevanten Stand der Stadtforschung erläutern und dabei aufzeigen, inwieweit unsere Untersuchung in den theoretischen Kontext eingebettet ist. Dann werden wir jeweils gesondert unsere Untersuchungsergebnisse über die beiden Projekte vorstellen, eine Beurteilung über Tendenzen der Militarisierung der Stadtpolitik abgeben und unsere Arbeit mit einem Fazit abschließen. TEIL A - THEORETISCHE ZUGÄNGE 2. UNTERNEHMERISCHE STADT „Städte werden inzwischen sowohl von städtischen Akteuren als auch in der Wissenschaft nicht mehr länger als Organisationen der ‚Kollektiven Konsumtion‘ gesehen, sondern als ‚Unternehmen Stadt‘." (Heeg 2001, S.1) In dem Maße, wie Nationalgrenzen für das Kapital durchlässiger werden, supranationale Wirtschaftsräume (wie die EU) den Fluss von Kapital, Informationen und Arbeit erleichtern, werden die Städte zunehmend zu eigenständigen Akteurinnen oder versuchen, als solche 24 aufzutreten. Sie „begeben" sich sozusagen direkt auf den Weltmarkt bzw. sind dort entsprechend internationaler Konkurrenz ausgesetzt. Dabei betrachtet der lokale Staat zunehmend „seine" Stadt wie ein Unternehmen und immer weniger als Gemeinwesen. Um beim Wettlauf der Städte und Regionen mithalten zu können, muss ein solches Unternehmen „fit“ gemacht werden: Weit verbreitete Meinung in der Stadtpolitik ist, dass eher wettbewerbsfördernde als sozial umverteilende Maßnahmen eine Antwort auf die gegenwärtigen städtischen Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Probleme wie hohe Arbeitslosigkeit, industrielle Abwanderungen und Haushaltsrestriktionen darstellen. Dieser Meinung folgend muss die Politik der Städte also sein, ihre ökonomischen Strategien, Institutionen, Formen der Governance und des Staates zu ändern, um den Folgen einer Arbeitsmarkt- und Haushaltskrise zu entkommen. Hierzu gehören nach Heeg (2001) mehr „proaktive Strategien", die die städtische bzw. stadtregionale Wettbewerbsfähigkeit beim verschärften internationalen Standortwettbewerb um mobile Investitionen stärken. Insofern umfasst der Übergang zu einer unternehmerischen Stadt weit-reichende Veränderungen in der Stadtpolitik. Nachfolgend wird versucht, eine dieser Reorientierungen im Zusammenhang mit der „unternehmerischen Stadt" zu umreißen. Hierbei geht es um die Militarisierung der Stadt, die eine Veränderung der Stadtpolitik deutlich machen. In Bezug auf das Thema unseres Projektseminars schien es uns sinnvoll, gerade die Militarisierung hervorzuheben, da sie bei der Untersuchung des „gehobenem Wohnens" als Indikator für Reichtum in Berlin eine durchaus größere Rolle spielen könnte. Auffällig bei Projekten von „gehobenem Wohnen" ist die Hervorhebung des Sicherheitsaspektes bei vielen Wohnanlagen, weshalb wir im folgenden Absatz die Militarisierung der Stadt behandeln. 3. MILITARISIERUNG DER STADT Mit der Veränderung zum „Unternehmen Stadt" geht ein neues Vorgehen in der städtischen Sicherheitspolitik einher. Anstatt einer administrativen Solidarität herrscht inzwischen ein Bild der Stadt als internationaler Wirtschaftsstandort vor, in dem es notwendig ist, öffentliche Leistungen zu kommerzialisieren und die kommunale Verwaltung in Richtung „lean administration" mit dem Bürger als Kunden umzustrukturieren. In Berlin ist das älteste Beispiel dieser Militarisierung der Zusammenschluss aus Berliner Geschäftsleuten (AG City e.V.), die die neue Sicherheit und Sauberkeit rund um den Kurfürstendamm als „Kunden orientiertes Denken" beschreibt. Faktisch heißt das, dass mit Unterstützung der Polizei („Operative Gruppe City-West") Randgruppen aus den Innenstadtbereichen in Randgebiete „verbracht" werden. Es wird eine Art „Warehousing" und „Warhousing" betrieben. Öffentlicher Raum wird zunehmend in privaten Raum umgewandelt und hier das Hausrecht ausgeübt. Wohnen nach Wunsch?! Wehrheim (2002) nennt vier Dimensionen der Intervention, um einen Bereich zu überwachen bzw. Personengruppen auszuschließen: Recht, Personal, Technik, sowie die architektonische Gestaltung von Räumen. Durch verschiedene Maßnahmen wird die Nutzung von und der Zugang zu Räumen per Gesetz eingeschränkt. So gibt es Verbote an speziellen Orten, die beispielsweise das Betteln vor Geldautomaten oder Schaufenstern verbieten oder generelle Verbote, die speziell dazu geeignet sind, die Nutzung öffentlichen Stadtraumes zu regulieren (z.B. Verbot des Kampierens auf Straßen). Dieses Aufstellen neuer, lokaler Rechtsnormen ist zwangsläufig darauf ausgelegt, Abweichungen und Dysfunktionalität zu produzieren, denn ohne Normen keine Normverstöße. Mit solchen neuen Normverstößen, etwa gegen ein Bettelverbot, wird soziale Ausschließung und räumliche Verdrängung legitimiert und Ausgrenzungsdynamiken verstärken sich. Die wesentlichste Veränderung des Rechtsstatus eines Raumes ist jedoch dessen Privatisierung. Dabei wird ehemals öffentlicher in privaten Raum transferiert. Es werden also Räume, die im Grunde die Funktionen eines öffentlichen Raumes haben, dem Hausrecht unterstellt. Dadurch wird der Raum aus dem staatlichen Hoheitsbereich entzogen. Hier erleben dann die privaten Sicherheitsdienste einen Boom. Auf technischer Seite wird diese Sicherheit unterstützt durch Video- und Audioüberwachung sowie Zugangskontrollsystemen, wie Lichtschranken oder Bewegungsmeldern. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 25 Wohnen nach Wunsch?! Gated Communities Als Gated Community bezeichnet man ein Siedlungszentrum (sehr) wohlhabender Bürger, eine Art moderne Festung, die sich durch Sicherheitseinrichtungen wie Alarmanlagen, Zäune, Sicherheitspersonal, etc. von der übrigen Gesellschaft separiert. Diese Wohngebiete ähneln dabei den klassischen Ghettos in der Art, dass eine Segregation aufgrund des sozialen Stands und möglicher Unterschiede in Kultur, Hautfarbe oder Abstammung geschieht – allerdings auf freiwilliger Basis. Diese Sonderform eines Ghettos ist jedoch nur selten historisch gewachsen, sondern wird meist außerhalb der Städte neu gebaut. Zielgruppe für solche Anlagen sind Wohlhabende, die meistens aus guten Gegenden der Städte kommen, in denen sie sich nicht mehr sicher fühlen. In architektonischer Hinsicht werden Maßnahmen angewandt (beispielsweise Zäune oder Mauern), die dem Besucher des jeweiligen Raumes den Anschein vermitteln, dass es sich um einen eher privaten Raum handelt. Auch die Art der Ausstattung mit sehr hochwertigem, edlem Ambiente suggeriert sogleich vielen Besuchern, dass sie hier offensichtlich nicht hingehören. Im Wohnprojekt „Viktoria Quartier" in Kreuzberg ist dabei in wesentlich geringerem Maße diese Militarisierung zum Tragen gekommen als bei den „Arkadien Potsdam". Dort kommt sehr stark das architektonische Element der Abschottung zum Tragen. Die ehemaligen Mauern der Brauerei wurden erhalten und große eiserne Tore an den Durchgängen vermitteln eine Geschlossenheit des Gebiets. Anders verhält es sich in den „Arkadien Potsdam". Nicht ohne Grund wurde in der Presse oft von der ersten „Gated Community" in Deutschland gesprochen. Die Anlage ist ringsherum mit einem Zaun umgeben und Videokameras und Bewegungsmelder informieren den Sicherheitsdienst direkt über ungebetenen Besuch. Wer am Eingangstor nicht den passenden Zahlencode hat, dem wird nur Einlass gewährt, soweit ein Bewohner der „Potsdamer Arkadien" diesen „bewilligt". Inwieweit die Stadtpolitik Einfluss auf diese Sicherheitsaspekte genommen hat, wird in den späteren Punkten der jeweiligen Projekte näher erläutert. 4. PETER MARCUSE: DIE VIERGETEILTE STADT Der Begriff der „viergeteilten Stadt" wurde 1987 vom amerikanischen Stadtsoziologen Peter Marcuse geprägt. Er spricht bewusst von einer viergeteilten und nicht etwa vierteiligen Stadt, um hervorzuheben, dass die physische Struktur der Stadt ein direktes Abbild der sozialen Verhältnisse ihrer Bewohner darstellt und dass sie von den verschiedenen Akteuren aktiv gestaltet wird, wobei deren Möglichkeit der Teilhabe an diesem Prozess durch eine sehr ungleiche Machtverteilung 26 unterschiedlich gegeben ist. Diese Aussage ist sicherlich auch in Abgrenzung zu den „natural areas" der Chicagoer Schule zu sehen. Die Argumentation ihrer quasi-natürlichen Herausbildung impliziert einen gewissen Determinismus. Betrachtet man nun die vier Teile der Stadt, so fällt auf, dass deren Ausprägung in europäischen Städten im Allgemeinen und in Berlin im Besonderen sehr unterschiedlich im Vergleich zu amerikanischen Städten ist, die als Grundlage für Marcuses Untersuchungen dienten. Dies wird im Folgenden bei einem genaueren Blick auf die Teilräume der Stadt deutlich. Erstens bildet sich „die aufgewertete Stadt des Luxus" heraus. Die Bewohner sind meist junge, mobile Urbaniten, die so genannte „Professional and Managerial Class". Für diese ist „eine konkrete Stadt ersetzbar, kann daher nach Bedarf weggeworfen werden, wenn sie nicht mehr nützlich ist". Dies würde auch die Lage des „Viktoria Quartiers" in einer sozial schwachen Gegend Kreuzbergs erklären. Die „aufgewertete Stadt" ist gekennzeichnet durch hohe Sicherheitsmaßnahmen und in Tiefgaragen gesicherten Autos. Dadurch wird der Kontakt mit der Umgebung minimiert, was die recht auffällige Insellage des „Viktoria Quartiers" erklärt. Zweitens zeichnet eine neue Qualität der Suburbanisierung die „Vorstadt" aus, die sich auch in dem Begriff „edge city" widerspiegelt. Die suburbane Stadt entwickelt sich zunehmend unabhängig von der Kernstadt, indem sie in größerem Maße als bisher Arbeitsplätze, Einkaufsmöglichkeiten und Freizeitinfrastruktur zur Verfügung stellt. Hier ist ebenfalls ein hoher Anteil von Sicherheitssystemen zu verzeichnen, um sich vor der unkontrollierten Stadt zu schützen. Im Umland von Berlin haben die Vorstädte die Ausmaße amerikanischer „edge cities" jedoch noch nicht erreicht. Drittens ist die „Mieterstadt" zu nennen, von Marcuse als Gebiet der „working poor" und der Einwanderer bezeichnet. Mietwohnungen machen Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin jedoch in Berlin traditionell einen großen Teil des Wohnraums in der Stadt aus. Einzelne Viertel und Bezirke weisen einen nach wie vor relativ hohen sozialen Durchmischungsgrad auf. Diese Stadtteile sind weniger gesichert als die vorangegangenen, aber auch hier werden vereinzelt ähnliche Dienste in abgeschwächter Form angeboten, wie die Concierge-Services in einzelnen Marzahner Hochhäusern andeuten. Viertens ist die „verlassene Stadt" von Ghettoisierung geprägt. Auch wenn in Berlin einzelne Gebiete Anzeichen von andauernder Vernachlässigung, Zerstörung, Kriminalität und Stigmatisierung aufweisen, sind sie jedoch nicht vergleichbar mit den ghettoisierten Quartieren US-amerikanische Innenstädte (vgl. www.ard-aktuell.de, www.berlinonline.de). Mit Programmen wie dem „Quartiersmanagement“ sind in Berlin vielmehr Maßnahmen zur Reintegration von so genannten „Problemquartieren“ vorhanden. 5. HARALD BODENSCHATZ: URBAN RENAISSANCE - ORIENTIERUNG AUF NEUE URBANE MITTELSCHICHTEN Nach Harald Bodenschatz sollte zur Begriff von Stadtpolitik nicht nur die offensichtliche Förderung sozial benachteiligter Schichten betrachtet werden. Zumeist existiert in der Stadtpolitik auch eine weit weniger transparente Förderung privilegierter Schichten. Notwendig ist es also, zu untersuchen, in welchem quantitativen und qualitativen Verhältnis diese beiden Förderarten stehen, ob sie sich also ergänzen oder gegenseitig aufheben. „Ist die erste Förderung nur ein Alibi, und ist die zweite Förderung nur deshalb so intransparent, um genau dies zu verschleiern, um zu verschleiern, dass vor allem Teile der Mittelschichten in erheblichem Umfang gefördert werden?" (Bodenschatz 2005) men von Bezirksverwaltungen auf Investorenwünsche nachzuweisen. Wohnen nach Wunsch?! Beispiele für eine Politik, die sich den städtischen Mittelschichten zuwendet, sind in der englischen Städtebaupolitik der letzten 20 Jahre zu finden, die mit dem Begriff „Urban Renaissance“ bezeichnet wird. Diese zielt auf einen Umbau des Stadtzentrums und eine radikale Rezentralisierung ab. Der Prozess wird von einer breiten Allianz von öffentlichen und privaten Akteuren gestützt, die die Annahme teilen, dass nur ein attraktives Zentrum die besten Standorte für den Dienstleistungssektor, also den zentralen Wirtschaftszweig in einer postindustriellen Gesellschaft, bieten kann. Diese städtebauliche Umgestaltung und Attraktivierung zielt vor allem auf urbane Mittelschichten ab. Diese bauliche Umgestaltung wird begleitet von einer intensiven öffentlichen Debatte, die ein Bewusstsein für den Wandel von Stadt und Stadtpolitik schaffen soll. Dieser Punkt des Mentalitätswechsels hat auch für unsere Forschung eine große Rolle gespielt. In Berlin hat es mit der drei Jahre andauernden Debatte um das „Planwerk Innenstadt“ vergleichbare Ansätze zur Ansprache einer jungen, urbanen Mittelschicht gegeben. Es besteht die theoretische Möglichkeit, die enormen Investitionen für die Mittelschichten könnten signifikante Sickereffekte auslösen, die auch die sozial schwächeren Gruppen an der Transformation Teil haben lassen. Daran ist nach Bodenschatz jedoch zu zweifeln, auch wenn die Politik weiterhin für die Fürsorge für die „sozialen Verlierer“ zu sorgen habe. Diese Frage trifft den Kern unserer Untersuchung, haben wir doch mit Hilfe unserer Interviews versucht, diese Intransparenz ein wenig zu beseitigen und unter anderem ein EntgegenkomGeographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 27 Wohnen nach Wunsch?! TEIL B - HOCHWERTIGES WOHNEN IN BERLIN 6. STADTENTWICKLUNG IN BERLIN UND UMLAND NACH 1990 Die Wende 1989/90 stellte nicht nur eine Zäsur auf der politischen Ebene dar. Damit stand besonders auch Berlin als jahrzehntelang geteilte Stadt vor der Aufgabe, sich neu zu definieren und zu positionieren. Die sozialistische Planungspolitik und Wohnkultur im Ostteil der Stadt wich einer neuen Vorstellung von Stadtraum und Wohnen. Bedingt durch politische Förderprogramme, aber auch zunächst noch fehlende Raumordnungsleitlinien setzte eine massive Suburbanisierungswelle ein. Eigentumshäuser und -wohnungen, die wenige Jahre zuvor in der DDR noch unvorstellbar schienen, waren nun für viele möglich geworden. Die nachholende Suburbanisierung der Mittelschichten zog in nicht geringem Umfang einkommensstarke Bevölkerung aus Berlin in die Nachbargemeinden ab. So verlassen jährlich ca. 35.000 Berliner jedes Jahr die Hauptstadt, meist in den Speckgürtel der Stadt (vgl. Mayer 2001). Eine besondere Rolle nimmt dabei Potsdam ein. In den Jahren seit der Wiedervereinigung haben sich in Potsdam, vor allem in der Berliner Vorstadt, Status hohe Gruppen niedergelassen. Eine weitere bedeutsame Entwicklung setzte mit dem Hauptstadtbeschluss vom Juni 1991 ein. Mit diesem Beschluss setzten völlig überhöhte Erwartungen an Berlins Bevölkerungswachstum ein, gleiches galt für das Wirtschaftswachstum. Solche Prognosen erwiesen sich jedoch bald als Makulatur, denn das prognostizierte Bevölkerungswachstum blieb aus und auch der Wirtschaftsaufschwung blieb weitgehend aus. So sank zum Beispiel die Zahl der Beschäftigten in Berlin von 1990 bis 1998 kontinuierlich von 1,72 auf 1,42 Mio. (vgl. Statistisches Landesamt Berlin, zitiert nach: Lompscher 2000, S. 84). Wohn- und Büroflächen 28 blieben dementsprechend ungenutzt. Im Zuge der Neugestaltung großer innerstädtischer Flächen - darunter Spreeinsel, Spreebogen, Potsdamer Platz - wurden städtebauliche Wettbewerbe durchgeführt, die bis Mitte der 1990er Jahre abgeschlossen waren. Ende des Jahres 1996 verlagerte sich die städtebauliche Debatte auf das für die Innenstadt dominierende Projekt „Planwerk Innenstadt". Nach drei Jahren der Entwicklung und Diskussion wurde es vom Abgeordnetenhaus 1999 als gesamtstädtische Planungsleitlinie beschlossen. Darin wird eine zur Reurbanisierung und Revitalisierung der Innenstadt beitragende Stadtentwicklungspolitik festgelegt. Ziel des „Planwerks Innenstadt" ist einerseits, die Abwanderung von Bürgern an den Stadtrand zu verhindern und andererseits neue Impulse für die Wirtschaftsentwicklung durch eine Aufwertung der Innenstadt zu geben. Durch die Wiederannäherung von östlicher Innenstadt und City West an den historischen Stadtgrundriss sollen sich beide Stadthälften wieder vereinen. Zudem sollten neue Formen für innerstädtisches Wohnen und Arbeiten und neue Organisationsformen der Bodenwirtschaft und Bauherrenschaft angeregt werden. Zu den Zielen des Planwerks gehört es außerdem, durch zur Bebauung zur Verfügung gestellte öffentliche Flächen die bauliche Dichte in der Innenstadt zu erhöhen. Somit soll erstens zur Reurbanisierung der Innenstadt und zweitens zur besseren Auslastung der vorhandenen sozialen und technischen Infrastruktur beigetragen, sowie drittens zu starker Suburbaniserung entgegen gewirkt werden. In einigen gründerzeitlichen Wohnquartieren, insbesondere in Prenzlauer Berg, setzte Mitte der 1990er Jahre ein Aufwertungsprozess ein. Zu DDR-Zeiten wurden in diesen Quartieren, bis auf wenige Ausnahmen, kaum Moder- Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin nisierungsmaßnahmen durchgeführt. Die Bausubstanz war 1990 in sehr schlechtem Zustand und Wohnungen teilweise unbewohnbar. Die gründerzeitlichen Wohngebiete im Osten der Stadt wurden zum Sanierungsgebiet erklärt und ein Großteil der Gebäude saniert. Der baulichen Aufwertung folgte ein Anstieg der Mieten, sodass ein Teil der ursprünglichen Bevölkerung verdrängt wurde. Der in der Stadtsoziologie beschriebene Invasions-Sukzessions-Zyklus der Gentrification (vgl. Friedrich 2000, S. 34ff.) - das heißt zunächst Zuzug von Pionieren und deren anschließende Verdrängung durch die Gentrifier - fand im Prenzlauer Berg nur bedingt und inselhaft statt (vgl. Häußermann 2001). Trotzdem wurden in einigen Bereichen, insbesondere in Gebäuden mit ehemaliger Gewerbenutzung, Luxussanierungen durchgeführt und Wohnungen zu Lofts umgebaut. Diese Projekte sind tendenziell eher kleinräumig (zum Beispiel Schokolofts, Wollgarnfabrik), sodass eine Aufwertung des gesamten Stadtteils auch in Zukunft eher unwahrscheinlich scheint. Mit der Beendigung der Förderung für den sozialen Wohnungsbau wurde in der Stadtpolitik auf den Wohnungsleerstand in Berlin reagiert. Seit Ende der 1990er Jahre wird zur Intervention in Problemquartieren verstärkt auf managementähnliche Werkzeuge zurückgegriffen. Dazu gehört unter anderem das Quartiersmanagement, das in 15 Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf eingesetzt wurde. Mit den Projekten des Quartiersmanagments, das die Berliner Ausgestaltung des Bund-Länder-Programms „Soziale Stadt" darstellt, soll die Umgestaltung und Belebung von Quartieren angekurbelt werden. All diese Projekte sind jedoch kleinräumig, finanziell begrenzt und lassen ein Gesamtkonzept zur sozialen Stadtentwicklung seitens der Berliner Stadtpolitik vermissen. In Zeiten zunehmender Polarisierung, wie sie der Sozialstrukturatlas (2004) zeigt, wäre ein solches Konzept jedoch notwendig. Insgesamt lässt sich sagen, dass sich im Laufe der 1990er Jahre allmählich kleine Wohlstandsinseln in Form von gentrifizierten Altbauquartieren und aufgewerteten bzw. neu bebauten Innenstadtquartieren herausgebildet haben, die oftmals in räumlicher Nähe zu Problemvierteln liegen. Desweiteren wird der Stadtraum durch zunehmende Privatisierung transformiert. Plätze und Einkaufscenter werden zu halböffentlichen und privaten Räumen, in denen dann das Hausrecht gilt (vgl. Mayer 2001). Bezüglich der Finanzierung lässt sich sagen, dass vor allem das auf Prestige abzielende „Planwerk Innenstadt" enorme Geldsummen für die Planung verschlungen hat. Wohnen nach Wunsch?! Die Politik hat sich also eher auf Schaffung von Rahmenbedingungen für die so genannte städtische Mittelschicht konzentriert. Es erfolgte eine gezielte Förderung der „aufgewerteten Stadt des Luxus" im Marcuse’schen Sinne, auch wenn diese Entwicklung in Berlin keine US-amerikanischen Verhältnisse annahm. Im Folgenden sollen zwei ausgewählte neue Wohngebiete auf die bisher beschriebenen Tendenzen hin untersucht werden. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Abb. 1: hochwertige Wohnprojekte in Berlin und Umland 29 Wohnen nach Wunsch?! 7. „VIKTORIA QUARTIER“ Das „Viktoria Quartier" wirbt mit dem Slogan „Lebensart auf dem Kreuzberg". Hier entstanden Townhouses, Loftwohnungen und Penthouses, mit einer Wohnfläche mit mindestens 150 m² pro Objekt. Ein Projekt für „gehobenes Wohnen" in einem Bezirk mit sehr schwieriger Sozialstruktur erschien für unsere Untersuchungen sehr passend. Wir entschieden uns für eine Projektentwicklerin der Baywobau, einen stellvertretenden Gruppenleiter aus dem Bezirksamt Kreuzberg, Fachbereich Stadtplanung, sowie für die maßgeblich am Widerstand gegen den Abriss des Studentendorfes Schlachtensee beteiligten Studenten als Interviewpartner. sellschaft veräußert. Sie setzte sich aus der Deutschen Grundbesitz Management GmbH, der Realprojekt Bau- und Boden-AG und der Viterra Baupartner AG zusammen (vgl. Vieser 2002). Konzept Das Konzept der „Viktoria Quartier" Entwicklungsgesellschaft sah es vor eine „typisch kreuzbergische" Mischung aus Wohnen, Gewerbe und Kultur, „eine Stadt in der Stadt" im „Viktoria Quartier" entstehen zu lassen. Die alten Backsteinbauten sollten unter Berücksichtigung der DenkmalschutzAuflagen zu Loft-Wohnungen um- bzw. ausgebaut werden. Zusätzlich waren Townhouses mit eigener Zufahrt und Wohnungen im Geschosswohnungsbau vorgesehen. Ursprünglich sollte sich die Nutzungsmischung aus 40% Gewerbe, 40% Wohnen und 20% Kultur zusammensetzen. Als Publikumsmagnet sollte die Berlinische Galerie in die Brauereigewölbe im Zentrum des Areals einziehen. Heute sieht es jedoch anders aus: Lediglich der nordöstliche Abschnitt des Geländes ist den Planungen entsprechend bebaut. Der vorgesehene Gewerbe- und Kulturanteil ist gering. Weite Teile des Areals liegen noch immer brach, denn die Nachfrage fiel geringer aus, als am Anfang angenommen (vgl. Korfmann 2004). Abb. 2: „Viktoria Quartier“ - eine attraktive Mischung aus denkmalgeschützten Gebäuden und Neubauten 30 Lage und Geschichte Südlich des Kreuzbergs befindet sich auf dem Areal der ehemaligen Schultheiss-Brauerei das heutige „Viktoria Quartier". Von außen betrachtet weist das Gelände burgähnliche Züge auf, es wirkt abgeschlossen. Als 1994 der Brauereibetrieb nach Weißensee verlagert wurde, gingen im Bezirk nicht nur 200 Arbeitsplätze verloren, es stellte sich auch die Frage, wie städtebaulich mit dem großen Areal umzugehen sei. So war es im Interesse des Bezirks, einerseits ein Brachfallen der Fläche zu verhindern und andererseits eine Nutzung zu finden, welche bei einer Erhaltung der denkmalgeschützten Gebäude dem Bezirk weiterhin Steuereinnahmen sicherte. 1997 wurde das Gelände an die „Viktoria Quartier" Entwicklungsge- Kooperation mit der Stadt Der Flächennutzungsplan wies auf dem Gebiet des zukünftigen „Viktoria Quartiers“ ursprünglich ein Gewerbegebiet aus. Um, den neuen Nutzungen entsprechend, den erforderlichen Bebauungsplan aufzustellen, musste das Gelände im Flächennutzungsplan durch das Bezirksamt als Mischgebiet ausgewiesen werden. Unter Aufsicht der Denkmalschutzbehörde sollte die alte Backsteinarchitektur zum großen Teil erhalten und zusätzlich mit neuem verbunden werden. Hier spielt die Stadt eine nicht unwichtige Rolle, sie erwägt die Denkmalschutzauflagen. Laut Auskunft unseres Interviewpartners aus dem Bezirksamt wurden sie für das Projekt allerdings nicht sehr locker gehandhabt. Er berichtete weiter, das Projekt stellte sich dem Bezirksamt Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin insgesamt erheblich komplexer dar als eine übliche Baulückenfüllung und sorgte lange für Beschäftigung (Stadtplanungsamt Kreuzberg, Mai 2005). Im Interview im Stadtplanungsamt wurde uns dargelegt, das Projekt genieße durch seine Außenwirksamkeit weiterhin eine hohe stadtstrukturelle und zeitliche Priorität. Vom Denkmal auf dem Kreuzberg blickt man immer noch auf eine Baustelle, sodass es von großem Interesse ist, dass die Planungen auch umgesetzt werden. Momentan beschränkt sich die Kooperation jedoch hauptsächlich auf die Bewilligung der Bauanträge (Stadtplanungsamt Kreuzberg, Mai 2005). Grundstückstausch und Investorenwechsel Das „Viktoria Quartier“ sorgte für Schlagzeilen: Der Plan, die Räume für die Berlinische Galerie durch einen Grundstückstausch mit dem Studentendorf Schlachtensee zu finanzieren, stieß auf heftigen Widerstand. Laut der durch uns befragten Studenten aus dem Wohnheim hatte hier der ehemalige Berliner Stadtentwicklungssenator, Peter Strieder, einen großen Anteil. Er hegte ein nicht geringes Interesse daran, eine anerkannte kulturelle Institution wie die Berlinische Galerie in den Bezirk und speziell in das „Viktoria Quartier" zu holen (Bewohner des Studentendorfes, März 2005). ber 2001 musste die Viktoria-QuartierEntwicklungsgesellschaft Insolvenz anmelden. Als neuer Investor erwarb ein halbes Jahr später, im Mai 2002, die Baywobau das Areal zum eher geringen Preis von 15,6 Mio. Euro. Sie verpflichtete sich am ursprünglichen Konzept festzuhalten; die bereits erteilten Baugenehmigungen blieben bestehen. Laut Bezirksamt mussten nur dort, wo neue bauliche Schwerpunkte gesetzt wurden, neue Bauanträge gestellt werden. Für öffentliches Aufsehen sorgte jedoch auch die Erklärung der Baywobau, die durch den vorigen Investor geschlossenen Mietverträge seien ungültig. Die Wohnungen mussten geräumt werden und für den Verkauf zur Verfügung stehen (Korfmann, 2004). Wie bereits erwähnt, ist bisher nur ein kleiner Teil des ursprünglich geplanten Geländes entstanden. Große Teile des nach wie vor brachliegenden Geländes sind schwieriger zu vermarkten und aufgrund des bestehenden Denkmalschutzes nur mit erheblichem Investitionsvolumen herzurichten. So erfüllt das Areal momentan hauptsächlich eine Wohnfunktion. Von der anfangs angepriesenen Mischung aus Wohnen, Kultur und Gewerbe ist nicht viel zu bemerken. Wohnen nach Wunsch?! Abb. 3: architektonische Abgrenzung des „Viktoria Quartiers“ nach außen Erst durch massive Proteste seitens der Bewohner des Studentendorfes, die schließlich einflussreiche Personen aus Politik, Verwaltung und von den Universitäten für ein Fortbestehen des Wohnheims am Schlachtensee gewinnen konnten, wurde die Idee des Grundstückstausches verhindert. Die Berlinische Galerie verabschiedete sich schließlich von der Idee des Einzugs ins „Viktoria Quartier". Die Kellergewölbe erwiesen sich als zu feucht - ihre Trockenlegung hätte Unsummen verschlungen, dazu hätte die Fläche nicht den Gesamtbestand der Galerie unterbringen können (Korfmann, 2004). Der Verkauf der Wohnobjekte gestaltete sich für den Investoren schleppend, man vermietete nun auch. Im DezemGeographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Abb. 4: die „Sixtusgärten“ im „Viktoria Quartier“: Townhouses mit eigener Garage je Haus 31 Wohnen nach Wunsch?! Abb. 5: ein großer Teil des Geländes ist noch unbebaut, denkmalgeschützte Gebäude verfallen Abb. 6: das Torhaus zum „Viktoria Quartier“ wird nachts verschlossen 32 Es bleibt unwahrscheinlich, ob sie je verwirklicht werden kann. Der neue Verwalter und Investor passt seine Bautätigkeit der Nachfrage an. Nur wenn diese vorher bereits abgesichert ist, wird gebaut (Baywobau, April 2005). Die alte Bausubstanz wird mehr und mehr baufällig und eine Wiederherrichtung immer unrentabler. Nachfrage und Bewohner Im Interview erklärte die Baywobau, dass Wohnungen im Dachgeschoß eine große Nachfrage hätten, die darunter liegenden allerdings weniger begehrt seien. Laut unserem Interviewpartner würde es sich daher lohnen, „Häuser auf Stelzen" zu errichten. Bei den bereits erbauten Wohnobjekten wurde jedoch betont, dass es keine Probleme gäbe, Mietinteressenten zu finden. Momentan entstehen neue Townhouses direkt angrenzend an den Viktoriapark (Baywobau, April 2004). Die Bewohnerschaft setzt sich aus eher jüngeren gut verdienenden Leuten zusammen. Der Anteil im Medien- und Kulturbereich Beschäftigter ist wohl relativ hoch und entspricht demnach dem Konzept. Einen kleineren Teil machen nicht aus Berlin stammende Rentnerehepaare aus, die einen lebendigen Lebensabend in einer spannenden Stadt verbringen möchten. Sie schätzen das Leben in „Kreuzberg Light" (Baywobau, April 2004). Sicherheit Der burgähnliche Charakter der Anlage spricht die Bewohner zum Teil positiv an, man ist separiert von den umliegenden sozialstrukturell eher schwächeren Wohngebieten. Andere Miet- und Kaufinteressenten werden von dieser Insellage von vornherein abgeschreckt. Das Gelände ist tagsüber öffentlich und wird nachts privatisiert. Es vermittelt den Bewohnern Schutz, obwohl es nur in der Nacht einen engagierten Wachschutz gibt. Tagsüber besteht aufgrund der Architektur des Projektes kein Bedarf von den Bewohnern nach einem Concierge-Service mit Eingangskontrolle. Schwierig bleibt es, kulturelle Nutzungen ohne öffentliche Fördermittel aufs Gelände zu holen. Eine Ausnahme stellt eine Galerie mit wechselnden Ausstellungen und Lesungen dar (Baywobau 2004). Die Zusammenarbeit mit der Stadt aus Sicht der Baywobau Das Interesse des Senats an dem Projekt ist mit dem Ausscheiden Peter Strieders abgeflacht. Von Seite des Bezirks bleibt das Interesse dagegen weiterhin groß. Zur Zusammenarbeit mit dem Bezirk äußerte sich unsere Interviewpartnerin positiv bis verhalten. Im Bereich des Denkmalschutzes funktioniere sie sehr gut, es werden immer Kompromisse gefunden. Ein Problem mit dem Stadtplanungs- und Grünflächenamt seien jedoch einzuhaltende Fristen. „Freundlichkeit zu den Investoren ist nach wie vor ziemlich schwierig in Berlin, sie sind nicht mehr so herablassend wie Anfang der 90er." (Baywobau, April 2004) Jeder Vorgang ziehe sich in die Länge und kostet den Investor somit Geld. „Die Politik tut eigentlich nichts für Investoren." (ebd.) Mit Blick auf die Bewohnerschaft und dem nicht besonders stark ausgeprägten Sicherheitskonzept stellt sich das Quartier als ein eher untypisches Wohnprojekt für die eingangs betrachteten Phänomene wie Militarisierung und die Unternehmerische Stadt dar. Hier boten sich die „Arkadien Potsdam" an, sie erscheinen mit ihrer totalen Absicherung gegen die Außenwelt noch geeigneter die genannten Phänomene zu untersuchen. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 8. „ARKADIEN POTSDAM“ Lage und Umfeld In Potsdams Norden, besonders in der Berliner Vorstadt, wohnen laut Merian (Wieden 2005) die meisten reichen Leute in Brandenburg. Günther Jauch oder Wolfgang Joop haben dort Villen gebaut, und ein weiteres hochwertiges Wohnprojekt macht seit Anfang der Neunziger Jahre von sich reden: Das Wohngebiet „Arkadien Potsdam" wurde auf einem Wassergrundstück am Glienicker Horn zwischen 1995-2000 erbaut. Das Grundstück, laut unserem Interviewpartner, dem ehemaligen Stadtbaudirektor Potsdams, „eins der schönsten in ganz Potsdam überhaupt" (Interview im Juni 2005), wurde mit einem für Potsdam einmaligen Grundstückspreis von ca. 30 Millionen DM (vgl. Rada 1999) von den Alteigentümern Kampffmeyer an den Developer Groth & Graalfs (heute: Groth-Gruppe) verkauft. Nach der Wende 1989/90 war das Grundstück der Familie Kampffmeyer das erste, welches in Potsdam an die Alteigentümer zurück übertragen wurde. Die Familie verhandelte daraufhin mit interessierten Developern den Verkauf des Grundstücks. Dies fand im „Goldrausch" der ersten Monate nach der Wende statt, sodass der hohe Grundstückspreis wohl nicht allein der guten Lage, sondern auch den hohen Profiterwartungen der Developer geschuldet war. Der damalige Stadtbaudirektor umschrieb die Situation folgendermaßen: „Das war sehr interessant, so wie Monopoly spielen und dann ging die Preistreiberei um den Grundstückspreis los. Dieser Grundstückspreis ist in der letzten Woche noch einmal verdoppelt worden, das war ein echt horrender Preis. Den Grundstückspreis hat’s in Potsdam bis dahin noch nie gegeben und auch nicht wieder gegeben. Die Developer haben sich bei uns die Klinke in die Hand gegeben." (Interview 2005) Architektur und Bebauung Anstatt eines Architektur-Wettbewerbs, wie dies die „Bayerische Hausbau" für das Nachbargrundstück durchgeführt hatte, wurde zwischen Stadt und Investor die Gestaltung des Areals durch den bekannten amerikanischen Architekten Charles Moore vereinbart. Das insgesamt 28.000 m2 große Areal um die 1924 erbaute Villa Kampffmeyer wurde also durch die Architekten Moore, Ruble, Yudell (Kalifornien), sowie Ferdinand + Gerth (Berlin) mit 43 Wohnungen zwischen 80 bis 250 m² Wohnfläche bebaut. Die Gestaltung der sieben Neubauvillen im italienischen Stil ist geprägt durch hochwertige natürliche Materialien wie Sandstein, Terrakotta (Terrassen), Buchen- und Eiche-Parkett, sowie Granit und Marmor. Die zügig nach dem Grundstückskauf begonnene Bauplanung wurde aber einerseits durch die Insolvenz beauftragter Baufirmen, andererseits durch die geringe Nachfrage nach hochwertigem und sehr teurem Wohnraum in der Region Berlin/Potsdam verzögert. Die Kaufpreise für die Wohnungen erreichten anfangs Preise zwischen 9.000-12.000 DM pro m2 (heute nur noch 2.350 € pro m2). Die von Groth & Graalfs avisierte Zielgruppe reicher Entscheidungsträger aus Wirtschaft und Politik fragte dieses Angebot zu wenig nach, sodass nur ca. die Hälfte der Wohnungen derzeit verkauft ist. Inzwischen musste Groth & Graalfs das Areal aufgrund fehlender Kauf- und Mieterlöse an die kreditgebende Bank übertragen. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Wohnen nach Wunsch?! Abb. 7: „Arkadien Potsdam“ - Wohnen auf Distanz am Glienicker Horn 33 Wohnen nach Wunsch?! Abb. 8: das Wohngebiet „Arkadien Potsdam“ wird permanent videoüberwacht Abb. 9: Eingangsportal mit Doorman-Service zur Berliner Straße 34 Sicherheit und Service Die „Arkadien Potsdam" waren von Groth & Graalfs bereits von Anfang mit einem umfangreichen Sicherheits- und Servicekonzept analog zu amerikanischen „Gated Communities" geplant. Nach außen sind die Bewohner durch einen hohen Zaun mit Bewegungsmeldern und Videoüberwachung geschützt. Am Eingang zum Objekt befindet sich die Sicherheitszentrale mit 24h-Doorman-Service. Hinein kommt nur, wer den Zahlencode zum Tor kennt oder durch den Sicherheitsdienst gecheckt und von einem Bewohner eingelassen wird. Die Eigentumswohnungen sind zusätzlich u.a. mit durchwurfhemmender Verglasung, Alarmanlage, sowie Video-Türsprechanlagen ausgestattet. Geschützt vor unerwünschten Eindringlingen können die Bewohner den Service des Concierge-Teams bspw. zur Pflege von Zimmerpflanzen oder für Reparaturen genießen. Der Investor wie auch der Makler Engel & Voelkers werben offensiv mit den vorhandenen Sicherheitsanlagen und den Serviceangeboten des DoormanTeams. Diese Bewerbung der Gated Community soll Attraktivität für Reiche signalisieren, die spezielle Sicherheitsund Servicebedürfnisse haben. Im wenig krimnalitätsbelasteten Potsdam soll nicht der Anschein einer besonders hohen Kriminalitätsgefährdung geweckt, sondern vielmehr das subjektive Sicherheitsgefühl der Bewohner gestärkt werden. Im Vergleich zu den umliegenden Wohngebieten und Grundstücken hebt sich der mit Bewegungsmeldern ausgestattete massive Stahlzaun ab. Im Gegensatz zu den Maschendrahtzäunen der anderen Grundstücke produzieren der 2m hohe Zaun – sofern dieser nicht versenkt oder durch Büsche teilweise verdeckt ist – und die Videoüberwachungs-Anlagen Abschreckung nach außen und Sicherheit nach innen. Die Stadt Potsdam hat sich in Bezug auf die Errichtung dieses hohen Zaunes aber nur insofern eingemischt, dass ein möglichst verdeckter kunstgewerblicher Zaun gebaut werden sollte. Angaben des damaligen Stadtbaudirektors seien die Einflussmöglichkeiten der Stadt in solch einem Falle gering und der Aufbau des jetzigen Zauns sogar ein Entgegenkommen des Investors. Kooperation mit Stadtverwaltung und -politik Aufgrund der Größe des Grundstücks, wie auch aufgrund der repräsentativen Lage in der Berliner Vorstadt und der notwendigen Rückübertragung des Grundstücks war die Stadt Potsdam bereits seit 1990 an der Entwicklung des Wohngebiets involviert. So beriet die Stadtverwaltung die Eigentümerfamilie beim Verkauf des Grundstücks. In der Stadtverwaltung stand man aufgrund von positiven Erfahrungen, der Stadtbaudirektor als früherer Stadtbaurat in Berlin-Wilmersdorf gemacht hatte, Groth & Graalfs positiv gegenüber. In der Stadtverordnetenversammlung und der Presse jedoch wurde die Bebauung des Grundstücks kontrovers diskutiert. Vor allem die Nähe zum Park Babelsberg, von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt, wurde das Projekt „Arkadien Potsdam“ kritisiert. So argumentierte die „Stiftung Schlösser und Gärten", die Bebauung des Grundstücks zerstöre 13 Sichtschneisen der Potsdamer Parklandschaft. Aufgrund dessen musste der Developer mit einem Gutachten notwendige bauliche Veränderungen ermitteln lassen, was letztendlich aber nur geringfügige Korrekturen an der Bauplanung nötig machte. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Wohnen nach Wunsch?! Die Stadtverwaltung von Potsdam stand dem Projekt „Potsdamer Arkadien" hingegen wohlwollend gegenüber, da die Stadt steuerkräftige Einwohner als Bewohner von Arkadien erwarten konnte. Der Investor sei zwar nicht besonders begünstigt worden, aber die Verwaltung handelte sehr kooperativ. Unser Interviewpartner umschreibt die Haltung der Stadt folgendermaßen: „Natürlich ist eine Gemeinde, wie schon im 19. Jahrhundert als die Gemeinden auch sehr arm waren, immer am so genannten steuerkräftigen Publikum interessiert. Jede Gemeinde kann gar nicht genug steuerkräftiges Publikum haben. Und da die Wohnungen an so einem Standort teuer sind, kann man davon ausgehen, dass diese Leute auch die Steuern da bezahlen. Man kann dazu ja keinen zwingen, aber die Hoffnung besteht schon, dass die Leute die Steuern dort zahlen, wo sie wohnen. Also die Gemeinde ist sehr daran interessiert, so viel wie möglich teure Leute, so wenig wie möglich arme Leute zu haben." (Interview 2005) Abb. 10: das Gelände der „Arkadien Potsdam“ ist komplett umzäunt und mit Bewegungsmeldern ausgestattet FAZIT - REICHTUMSINSELN IN BERLIN Die Ergebnisse unserer Untersuchung zeigen, dass die Berliner Stadtpolitik den städtebaulichen Projekten „Viktoria Quartier“ und den „Arkadien Potsdam", also scheinbar auch dem Thema Wohnungsbau für Reiche, weitestgehend unkritisch gegenüber steht. Im Interview im Stadtplanungsamt Kreuzberg bewertete er die Schaffung für Wohnraum für Reiche weder positiv noch negativ. Die Einstellung Herrn Röhrbeins gegenüber den Arkadien war dahingegen sogar positiv, in dem er das Projekt in Ansätzen befürwortete. Gezeigt hat sich auch, dass die Stadt keine Maßnahmen unternimmt, um speziell die Entwicklung von Wohngebieten für Reiche zu fördern. Letztlich lagen Entscheidungen also auf der Seite der Investoren, somit sind sie unabhängige Akteure mit privaten Interessen, die Einfluss auf die Stadtent- wicklung nehmen. Ihr Handeln passt sich letztlich dem Markt an. Die Stadt scheint die von uns gewählten Projekte auch nicht durch die Lockerung bestimmter Auflagen in den Flächennutzungs- und Bebauungsplänen zu fördern. Hingegen ist bei den „Arkadien Potsdam" deutlich geworden, dass die Stadt dem Bau der Villen nichts entgegengesetzt hat, sich aber dennoch für die wenigstens eingeschränkte Offenheit des Gebietes einsetzt. So wurde entgegen ersten Plänen die Zugänglichkeit des Uferstreifens für die Öffentlichkeit gewahrt. Während die Potdamer Arkadien durch einen Zaun von der Umgebung abgegrenzt wurden, ist das beim Viktoriaquartier nicht der Fall. Dort deuten architektonische Merkmale private Räume an, suggerieren eine Grenze, doch sind die Gebiete letztlich nicht Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 35 Wohnen nach Wunsch?! unzugänglich. Die Bewohner wären angeblich nicht bereit, beispielsweise für einen vorhandenen Wachschutz mehr Miete zu zahlen. Somit sind Tendenzen hin zur Militarisierung vorhanden, in den Köpfen der Bewohner jedoch kein absolutes Muss. Die Stadtverwaltung in Potsdam hat sich nicht gegen die Umzäunung der Arkadien ausgesprochen, lediglich die Verwendung eines nicht allzu martialischen Zauns vorgeschrieben. Die Politik stellt sich also derzeit Tendenzen der Militarisierung nicht entgegen. Bei unseren Untersuchungsgebieten handelt es sich Grundtücke, die bereits seit langer Zeit in Privatbesitz sind. Somit hatte die Stadt in den vergangen Jahren keinen direkten Bezug zu den Flächen. Allerdings gibt es auf dem jüngst vom Land Berlin veräußertem Grundstück in Friedrichswerder Pläne für die Errichtung von Townhouses. Mit Projekten dieser Art konnten wir uns jedoch nicht beschäftigen, da sie noch in der Planung befinden und noch nicht mit dem Bau begonnen wurde. Wohnprojekte von Reichen im Berliner Raum sind von der Stadtpolitik unserer Untersuchung nach nicht unerwünscht. Im Gegenteil: Die Stadt hofft auf höhere Steuereinnahmen. Allerdings fördert oder unterstützt die Stadtpolitik nach unserem Ermessen die Entwicklung solcher Gebiete auch nicht wesentlich. Interessierte Investoren scheinen in Berlin nicht für die Realisierung solcher Projekte Schlange zu stehen. Für vorhandene Sozialgeographien des Reichtums in Berlin bedeutet das bezüglich auf Wohnquartiere von Reichen eine relative Zufälligkeit ihrer Entstehung. Entscheidungen für derartige Projekte werden von Investoren getroffen. Diese wiederum sind abhängig von der Aussicht auf eine lukrative Immobilienwirtschaft. Letztendlich ist die Entstehung von „Reichtumsinseln" in der Stadt also vom Markt abhängig, wie uns die Baywobau in unserem Interview erzählte: Es wird folgend der Nachfrage gebaut. Ob sich das „Viktoria Quartier“ und die „Arkadien Potsdam" als neuer Wohnungsbau für Reiche in Berlin und Potsdam in Zukunft tatsächlich etablieren können, bleibt abzuwarten. 36 10. LITERATUR Monographien & Zeitschriften Eick, Volker (1998): Neue Sicherheitsstrukturen im neuen Berlin. „Warehousing" öffentlicher Räume und staatlicher Gewalt, in: Prokla 110, 28. Jg., Nr. 1, S.95–119 Friedrich, Klaus (2000): Gentrifizierung. Theoretische Ansätze und Anwendung auf Städte in den neuen Ländern, in: GR 52 (34ff) Korfmann, Hans W. (2004): Die unendliche Geschichte des „Viktoria Quartier", in: Kreuzberger Chronik, Ausgabe 59 Lompscher, Katrin (2000): Stadtidee Dienstleistungen. Zum Zusammenhang von Stadtentwicklungsdiskurs und Dienstleistungsentwicklung in Berlin seit 1990, in: Scharenberg, Albert (Hrsg.): Berlin: Global City oder Konkursmasse? Eine Zwischenbilanz zehn Jahre nach dem Mauerfall, Berlin Marcuse, Peter (2000): Die viergeteilte Stadt, in: Scharenberg, Albert (Hrsg.): Berlin: Global City oder Konkursmasse? Eine Zwischenbilanz zehn Jahre nach dem Mauerfall, Berlin Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz (Hrsg.) (2004): Sozialstrukturatlas Berlin 2003. Kurzfassung, Berlin „Viktoria Quartier" Entwicklungsgesellschaft (Hrsg.) 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Sie stellten fest, dass das Forschungsgebiet Reichtum in der Stadt und Reichtum und Raum noch weitgehend unbearbeitet ist. Bei näherer Betrachtung des Reichtumsbegriffs definieren sie den Kapitalbegriff als Summe aus monetären, sozialen und kulturellen Kapital. Nur diese Unterscheidung und Einteilung kann soziale Hierarchien in der Gesellschaft erklären. Bei der Untersuchung des Aufbaus sozialer Hierarchien, findet man viele Überschneidungen mit der Eliteforschung. Nach Pinçon stehen Reichtum und Elite in unmittelbaren Zusammenhang. Dahrendorf (1965, 277f.) unterteilt die Struktur der Funktionselite noch in acht Sektoren. In der aktuellen Eliteforschung wendet man sich intensiv dem Gesetz der zunehmenden sozialen Selektivität zu. Dahinter verbirgt sich die Annahme, dass der Aufstieg in obere soziale Schichten, stark über Herkunft dominiert wird (Geißler 2002, S. 150f.). Dieses Gesetz der sozialen Auslese trifft vor allem auf Topmanager zu. 61% der Topmanager und sogar 83% der Vorstandsvorsitzenden rekrutieren sich aus gesellschaftlichen Führungsgruppen. Seit den 1970er Jahren hat sich die Selektivität noch erhöht (Hartmann 1997, S.13). Um in die Sphäre der Reichen und Mächtigen aufzusteigen, reicht Bildung allein nicht aus. Entscheidend ist vor allem der klassenspezifische Habitus: souveränes Auftreten, persönliche KATJA BECKER | JOHANNES EDELHOFF | NATANAEL WEIGOLD Ausstrahlung, angemessene Umgangsformen und das passende Outfit, gute, Klassen entsprechende Allgemeinbildung und optimistische Lebenseinstellung (Geißler 2002, S. 151). Dieses Auftreten lernt man in den Wohn- und Freizeiträumen der Funktionseliten. Eine Definition und Lokalisation solcher Räume wurde unter den Aspekten der Sozialgeografie bisher in Berlin noch nicht vorgenommen. Einen Zusammenhang zwischen sozialem und physischem Raum deckte Bourdieu auf (1997, S. 157ff). Wie Pinçon und Pinçon-Charlot definiert Bourdieu soziales Kapital als die Summe aus monetären und kulturellen Kapital. Ein Lottomillionär hat zwar viel Geld, gehört aber aufgrund fehlenden kulturellen Kapitals nicht in die Oberschicht. Der Platz eines Individuums im physischen Raum gibt Auskunft über die Position im sozialen Raum. Der angeeignete physische Raum ist dabei die Objektivierung des sozialen Raums. Bourdieu weist darauf hin, dass tendenziell der Versuch unternommen wird, sozial andersartige Individuen im Physischen Raum auf Distanz zu halten. Auch Girtler (1990) betont bei einer Untersuchung der österreichischen Gesellschaft den Zusammenhang von Reichtum und Distanz. Ob physische Distanz im Sinne des Wohnraums, oder soziale Distanz mithilfe des beabsichtigten Mangels an direkter Kontaktmöglichkeit; Distanz scheint ein gepflegtes Privileg des Reichen zu sein. Das Streben nach Ruhm und Abgrenzung gilt nach Girtler als die Triebfeder des Reichtums. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 39 Berliner Funktionseliten Für die amerikanische Stadt entwirft Marcuse (1994, S. 220f) das Bild der realen Entscheidungsträger. Die Stadt gilt ihnen weniger als Wohnort, da sie fast unbegrenzt mobil sind, sondern wird mehr als Stätte von Macht und Profit gesehen. Interesse an der Innenstadt hätten die Entscheidungsträger nur, da sie von Attraktivitätssteigerung der Innenstadt durch hohe Immobilienwerte profitierten. Sie wohnten sicher vor Kontakten mit Nichtmitgliedern ihrer Klasse und vergnügten sich bei exklusiven Freizeitbeschäftigungen. In Bezug auf die Managerklasse findet eher das Bild der globalen Elite aus Saskia Sassens (1997) Global City Modell Anwendung. Diese Elite lebt meist City-nah, in New York beispielsweise zu extrem hohen Mieten in Appartements oder sanierten Altbauten in Manhattan. In Berlin werden gerade, durch den Bau von Townhouses im britischen Stil in innenstadtnahen Lagen, exklusive Wohnflächen geschaffen. Es gibt offensichtlich zwei Typen von reichem, elitären Wohnen: das kühl Distanzierte und das betont Repräsentative. Obwohl Marcuse und Sassen auf die Konsumfreude der Oberschicht hinweisen, kann man in Deutschland nicht von einer „Leisure Class“ der feinen Leute sprechen. Topmanager sind hoch mobil. Ihr Weg nach oben ist meist mit Ortswechseln verbunden. Bei einer 60 bis 65 Stunden Wochen haben sie im Durchschnitt zwei bis drei Wochen Urlaub im Jahr. Freizeit ist knapp bemessen (Geschka 1997, S.9 bis 80). Hat jemand wenig Freizeit, will er diese besonders intensiv nutzen. Topmanager neigen daher dazu ihre Freizeit exklusiv und kostenintensiv zu verbringen (Varian 2003, S. 174f., 581f., 699f.). Stampfli-Mazarolli (2003, S.5) deckt eine generellen Hang auf, die Freizeit in Gesellschaft gleichartiger Individuen zu gestalten. Mit dem Zusammenschluss scheinbar Gleichgesinnter schwinde die Angst vor der kollektiven Masse. „The fear of living together“ werde dadurch entgegen gewirkt. Es ist ebenfalls ein Verschwimmen der Grenze zwischen Arbeits- und Freizeit zu erkennen. Repräsentative Pflichten, wie Gäste- 40 betreuung und Kundenkontakte am Wochenende, fallen in die freie Zeit der Funktionselite. Der These von Varian entgegnet Fukuyama, dass Mikroökonomen, zu diesen gehört Varian zweifelsfrei, einer gewissen Blindheit unterliegen (2004, S.92f.). Die Mikroökonomie postuliert, dass Arbeit teuer ist und die Mitarbeiter versuchen, den Arbeitsaufwand für ihren Lohn möglichst zu minimieren. Somit wird eine Drückebergermentalität unterstellt, die der Realität nicht gerecht wird. Fukuyama erklärt, dass Menschen oft jedoch mehr arbeiten, als minimal notwendig wäre unabhängig davon, ob ihr Chef von ihren verborgenen Aktivitäten, wie zum Beispiel auch den Aufbau eines persönlichen Netzwerkes, erfährt. Prahl (2002, S.110) stellt fest, dass in Deutschland gerade in höheren Beschäftigungsgruppen viele Überstunden getätigt werden. Viele gehen in Statistiken kaum mit ein, da Vor- und Nachbereitung der Arbeit mehr und mehr in die private Zeit übergeht. Fukuyama hält Sozialkapital –Normen, die kooperatives Verhalten fördern – als Hauptgrund für die Arbeit über das Notwendige hinaus. Hinzu kommt, dass die Arbeit in Spitzenpositionen und gerade von Dienstleistungen sich schwer bis kaum spezifizieren lässt, der Einfluss einzelner Personen auf Prozesse in der Firma nur schwer berechenbar ist. Überwachung und strikte Verantwortlichkeit sind eher in der Produktion zu finden. Es sind Begriffe des Fordismus. Daher kann auch nur aus Arbeitnehmersicht an einem Arbeitsplatz mit hoher Spezifizität eine eindeutige Unterscheidung zwischen Arbeit und Freizeit getroffen werden. Der informelle Kontakt zu exklusiven Bekannten scheint wichtig zu sein. 70% der Topmanager sind in Clubs wie Lions oder Rotary organisiert (Geschka 1997, S.9 bis 80). In Berlin ist hier der Berlin Capital Club zu nennen. Es stellen sich die Fragen, welche Funktionen diese Räume einnehmen und wo sie in Berlin sind. Werden dort, anstatt bei der offiziellen Sitzung im Konferenzraum, Entscheidungen getroffen? Wie ist dieses so wichtige Kontaktnetz („Vitamin Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin B“) über die Stadt verteilt? Lassen sich Ortsbeziehungen zwischen Arbeits-, Wohn- und Freizeitraum herausfinden? Diese Forschungsfelder sind in Berlin noch weit gehend unbearbeitet. Die Familie ist das zweite Standbein der Topmanager und somit geografisch mit dem Wohnraum gleichzusetzen. In Deutschland sind die Manager in der Regel Familienmenschen. Die Statistik widerspricht dem von Sassen gezeichneten Bild der DINKS (Double Income No Kids) und Yuppies (Young Urban Professionals). 90% der Topmanager leben in erster Ehe. Die Scheidungsrate beträgt nur ein Viertel des bundesweiten Durchschnittswertes und sie haben im Schnitt 2,4 Kinder (Durchschnitt Deutschland 1,3). Die Familie scheint ein Rückzugsgebiet von der harten Arbeits- und Repräsentationsfreizeitwelt zu sein. Welche Wohnräume fragt die Funktionselite nach, welche Anreize müssen geschaffen werden, um sie anzulocken? Räumlich bleiben Reiche segregiert, um ihre Geschmäcker, die soziale Position, Sitten und Gebräuche für nachfolgende Generationen zu bewahren. Dies führt zu einer räumlichen Konzentration des Wohlstandes, wie er auch in Hamburg und Umgebung zu beobachten ist. Das Clustering von Reichtumsinseln ist in Hamburg häufig über die natürlich erkennbaren Stadtteilgrenzen hinweg zu beobachten. Auch in Paris erkennt man Zusammenballungen oftmals über die Grenzen der Arrondissements hinweg. Sie überspringen den „PhysischenRaum“, schaffen den Sozialraum, machen das Stadtbild komplexer und schwerer erfassbar (Dangschat 1997, S.350). Diese sozialen Räume und ihre spezifischen Charakteristika sind in Berlin bisher noch weit gehend unerforscht. Berliner Funktionseliten 2. EIGENE VORARBEITEN Wir stellen uns immer wieder die Fragen: Was bedeutet Reichtum? Welche Indikatoren gibt es? Bourdieu meint mit dem sozialen oder auch symbolischen Kapital vor allem Beziehungen. Es funktioniert rein symbolisch und immateriell. Man besitzt also symbolisches Kapital, wenn man über gewisses Ansehen und Prestige verfügt und allein aufgrund der Tatsache, dass man einer bestimmten gesellschaftlich anerkannten Gruppe angehört. Bei der Funktionselite Berlins, die Gegenstand unserer Untersuchung sein wird, ist zu vermuten, dass diese drei Kapitalformen stark miteinander verflechtet auftauchen werden. Nach Espenhorst, stehen Prestige und Reichtum in engem Kontakt. Die Grundlage des Prestiges bildet der Erwerb von Eigentum. Man macht ihn zu seinem Besitz und zeigt so nach außen seine Stellung in der Gesellschaft. Der sichtbare Besitz entwickelt eine Eigenintensität und kennzeichnet die Gesellschaftsklasse. Angespornt durch Konkurrenz und Neid steigert sich der Wunsch nach mehr Prestige, jenes tritt meistens innerhalb der Klassen auf. So entstehen auch Freizeitnetzwerke, dderer sich die Funktionselite bedienen. Aufgrund dieser Tatsache, bietet sich eine Analyse auf Mikroebene an, um den Wirkungsraum der Funktionselite und deren informellen Treffpunkte feststellen zu können. Bisher vorliegende Stadtteils- bzw. Bezirksanalysen bringen uns hier nicht weiter. 2.1 ZIELE, ARBEITSPROGRAMM UND METHODEN Das Ziel ist es, soziale Räume der Funktionselite zu lokalisieren und nach ihrem Wesensgehalt, auf die Vermi- Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 41 Berliner Funktionseliten schung von Arbeit- und Freizeitnutzung zu untersuchen. Das Hauptaugenmerk richtet sich auf die Hypothese, dass Mitglieder der Funktionselite, anders als beispielsweise Arbeiter, keine klare Unterscheidung zwischen Arbeit und Freizeit treffen. Es gibt zwar eindeutige Arbeit und Freizeit, zum Beispiel eine Berechnung am Schreibtisch vornehmen oder mit der Frau im Park spazieren zu gehen, aber schon das Mittagessen mit den Kollegen von der Bank gegenüber ist nicht mehr eindeutig zuzuordnen. Aus ersten Überlegungen entstanden drei Kernfragen zu den Teilbereichen Arbeit, Freizeit und Wohnen. Die zur Erkenntnis führenden Fragestellungen sind: 1. Wo und in welcher Position arbeiten Sie? Welchen Wert hat Ihre Arbeit für Sie? 2. Was verbinden sie mit Freizeit und welchen Wert hat Freizeit für Sie? 3. Was hat sie dazu bewegt sich für ihren derzeitigen Wohnort zu entscheiden? Alle drei Fragen sind offen formuliert, gleichzeitig aber darauf hin ausgerichtet, die Beweggründe für Entscheidungen der Befragten in Erfahrung zu bringen. Somit nähern wir uns den Lücken aus dem aktuellen Stand der Forschung– durch die Beantwortung der Fragen: Welche Wohnräume fragt die Funktionselite nach?; Welche Anreize müssen geschaffen werden, um sie anzulocken? – exemplarisch an. 2.2 PROBANDENWAHL Dabei stellt sich unmittelbar die Frage nach dem konkreten methodischen Vorgehen. Wen befragt man, wie kommt man an die betreffende Person heran und wie soll die Befragung konkret ablaufen? Beim ersten Blick auf das Thema entdeckt man zunächst die eigene Beschränktheit. Zum einem was die Auswahl der Probanden angeht, zum anderen was die Vorstellungen über ihr Arbeits-, Wohn- und Freizeitverhalten betrifft. Aus der Vorarbeit Pinçons Pinçonentschieden wir uns für 42 den Begriff der Funktionselite. Ausgewählt wurde, wer wusste, wie sich Reichtum und Reiche in Berlin bewegen, wie Reichtum generiert wird. Eine Art Leitfaden zur Funktionselite und zu Entscheidern ist das TOP 500 Buch Berlin. Dort werden die wichtigsten Berliner Entscheider mit Anschrift und Telefonnummer aufgelistet. 2.3 EMPIRISCH-METHODISCHE VORGEHENSWEISE Die Ergebnisse sollten Entscheidungsmechanismen der Funktionseliten Berlin aufdecken und einen neuen Raum der informellen Netzwerke definieren und lokalisieren. Berlin stellt eine der komplexesten Metropolen Europas dar und sollte zu neuen theoretischen und methodischen Perspektiven sowie neuen Untersuchungsgegenständen anregen. Um die Komplexität widerzuspiegeln ist ein hoch standardisierter Fragebogen ungeeignet. Gleichzeitig ist eigene Beschränktheit hinderlich, wollte man ein standardisiertes Interview führen. Das heißt die eigene Prägung, das eigene Selbstverständnis und die wenig vorhandene verallgemeinernde Forschung würden zu stark in die Fragen eingearbeitet werden. Ziel kann es nur sein zunächst eine Annäherung an die Thematik zu erlangen um eine Basis für das Verständnis der Prozesse innerhalb der Funktionselite zu erreichen. Dies kann nur über eine teilweise standardisierte mündliche Befragung geschehen. So werden neue Zusammenhänge aufgezeigt. Hierzu haben wir einen Interviewleitfaden erarbeitet, der die Kernfragen konkretisiert und in Zusammenhang bringt. Es werden in den Gesprächen nicht zwangsläufig alle Fragen abgearbeitet, vielmehr gilt der Leitfaden als Orientierungshilfe für das Gespräch. In der Auswertungsphase können Antworten den Fragestellungen so besser zugeordnet werden und in den Forschungskontext eingearbeitet werden. Gleichzeitig lässt die Interviewmethode die Freiheit auf interessante neue Standpunkte der Gesprächspartner Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin einzugehen. Die Methode wurde mit dem Eliteforscher Michael Hartmann abgesprochen, der aus eigener Erfahrung zu diesem Vorgehen riet. Eine Idee, die hinter der Methode steckt, ist es den Probanden ins „Reden“ kommen zu lassen, so dass er Dinge preisgibt, die er in einem eng geschnürten Interview nicht verraten hätte. Gleichzeitig ergibt sich die Gefahr, dass der Gesprächspartner nicht konkret wird und oft vom Thema abweicht. Die befragte Gruppe ist sehr heterogen, was die Probanden verbindet sind, die oben genannten Eigenschaften. Ein Fotograf passt in diese Gruppe genauso wie Hochschulprofessor und ein Lobbyist. Somit ist eine flexible Gesprächsführung vonnöten. Ein weiterer Grund sich für diese Vorgehensweise ist es, dass wir gezielt auf der Suche nach dem Subjektiven Empfinden und Wahrnehmen sind. Eine Bewertung von null bis sieben, um den Grad der Zufriedenheit herauszufinden erscheint unangebracht. Es interessiert vielmehr das Wie in Verbindung mit dem Wo und Was. Das Operationalisieren solcher Komplexe in einen standardisierten Fragebogen ist kaum möglich. Die Herangehensweise führt dazu, dass die Ergebnisse im Nachhinein nicht als „Stein der Weisen“ angesehen werden können, sondern „nur“ ein spannendes Beispiel für Stadtentwicklung und Stadtpolitik sind. Die Erhebung hat keinen verallgemeinernden, sondern nur einen exemplarischen Charakter. Die Gültigkeit des Messinstruments ist zum einem in Rücksprache mit Michael Hartmann und Jonas Bylund als „expert validity“ geschehen, zum anderen in einem Pre-Test überprüft worden. Berliner Funktionseliten 3. AUSWERTUNG DER INTERVIEWS Befragt wurden: (GG): ein geschäftsführender Gesellschafter (Infrastruktur), verheiratet, drei Kinder (HSP): ein Hochschulprofessor (katholische Theologie), ledig (AF): ein Atelierfotograf, ledig (AG): ein angestellter Geschäftsführer (im Bereich „Installed Sound“), verheiratet, drei Kinder (L): ein Lobbyist (Automobilhersteller) Im folgenden Text werden die Befragten nur noch mit ihren Abkürzungen vorkommen. Bei der Auswertung der Interviews stellen sich die Fragen, welche Funktionen diese Räume einnehmen und wo sie in Berlin sind. Werden dort, anstatt in der offiziellen Sitzung im Konferenzraum, Entscheidungen getroffen? Wie ist dieses so wichtige Kontaktnetz („Vitamin B“) über die Stadt verteilt? Lassen sich Ortsbeziehungen zwischen Arbeits-, Wohn- und Freizeitraum herausfinden? „Warum haben Sie sich für Berlin entschieden?“ HSP antwortete spontan mit: „Hier kann man viele tolle Leute treffen. Berlin finde ich ziemlich spannend.“ Außerdem versteht er Berlin als Ideengeber für seine Arbeit (viel Elend). Für den AF ist Berlin die einzige lebenswerte Stadt. Da Berlin ein hartes Pflaster sei, beschäftige es ihn im Moment mehr, dass viele Leute nicht vorankommen, dass sie nicht erreichen können, was er erreicht habe. „Und das ist (s)ein größter Impetus.“ Für L hatte die Standortwahl ganz klar etwas mit dem Umzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin zu tun. Er sucht die Nähe zu Institutionen. AG, selbst ein gebürtiger Berliner, leitet ein traditionelles Berliner Unternehmen mit Weltruf im internationalen Geschäft. Daher liegen seine wichtigen geschäftlichen Beziehungen außerhalb Deutschlands. Berlin als Standort des Firmensitzes ist damit nicht entscheidend. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 43 Berliner Funktionseliten 44 Nun gehen wir auf die Arbeitsorte konkret ein. Hier möchten wir wissen, warum welcher Ort in Berlin ausgewählt wurde. GG sucht die Nähe zu Entscheidungsträgern in der Politik der Bundesrepublik. AF hat sich bewusst für einen sanierten Altbau in Prenzlauer Berg, Schönhauser Allee/Eberswalder Straße, entschieden. Für ihn ist es eine Frage der Repräsentation; aus diesem Grund ist er auch aus einem Hinterhof in der Kastanienallee weggezogen. „Es war ein Hinterhaus, das immer mehr herunterkam. Da kann ich kein Klientel empfangen, um in ne Preisklasse zukommen, die ich angestrebt habe. Ich habe ein höheres Preissegment, seit ich hier bin, denn der Standort ist auch sehr repräsentativ.“ Heute empfängt er seine Promi-Kunden in einem schönen Entrée und arbeitet mit ihnen in Licht durchfluteten Räumen. „Eine Katja Flint, die ich hier fotografiert habe, die hätte ich nicht in einem Hinterhof fotografieren könnte. Die hätte da keinen Handlauf angefasst.“ Der Kontakt zur kreativen Szene ist ihm sehr wichtig. Neben dem Prenzlauer Berg mag er auch Mitte, was er für ebenso „schickimicki“ hält, dennoch mag er die schöne Energie der Kreativen. Auf die Frage, ob er sich auch andere Standorte innerhalb Berlins vorstellen könnte, antwortete er ganz klar: „Nein, nicht in Berlin. Da würde ich bitterlich heulen.“ L sagt nichts direkt dazu; festzuhalten ist hier, dass er sein Büro, in dem er Besucher und Geschäftspartner empfängt, Unter den Linden, einem sehr repräsentativen Standort, hat, wo sich im sehr hellen und modernen Empfangsbereich eine Kunstgalerie befindet AG konnte im Bezug auf die Standortentscheidung nur sagen, dass sich die Firma nun seit 1992 in Reinickendorf befindet, da es sich um eine günstige Immobilie gehandelt hat; darüber hinaus bestand keine spezielle Präferenz auch keine Wirtschaftsförderung oder Ähnliches. Berlin als sein Arbeitsstandort wurde dem HSP durch die Uni vorgegeben. Jegliche Korrespondenzen finden in der Uni statt; abgesehen von einem Interview im CNN bei ihm zu Hause. Er arbeitet aufgrund des Zugangs zu Datenbanken auch hauptsächlich in der Uni. Kommen wir nun von den Arbeitsorten zu den geschäftlichen Aufenthaltsorten in der Stadt: Auf die Frage, wo wichtige Vernissagen stattfinden und ob es bestimmte Orte in Berlin gibt, sagte AF, dass Vernissagen häufig in Galerien in Mitte, Prenzlauer Berg oder Friedrichshain stattfinden. Auch besucht er gerne Vernissagen in Restaurants, Kneipen oder Firmenfoyers. Für den GG finden seiner Meinung nach informelle Treffen verstärkt in den Clubs der Stadt ab. Er spricht gar von einem Auftreten einer Clubkultur in der Hauptstadt. Genannt seien hier stellvertretend der Capital Club, der Golfclub Wannsee und derRotary Club. Selbstverständlich wird kein Individualsport betrieben. Beim Golfen und Tennis werden Kontakte gepflegt und geknüpft. Empfänge und Arbeitsessen runden das Bild der nichtexistenten reinen Freizeit ab. Da AG international tätig ist, gibt es nicht die typischen Orte innerhalb Berlins. Für sein geschäftliches Tun sind die virtuellen Räume die wichtigen. Bei internationalen Akteuren ist der Standort des Dienstsitzes nicht mit dem Standort der Aktion gleichzusetzen. Bei seinen überregionale Tätigkeiten gelten für ihn globale Räume. L hält sich überwiegend in Mitte im Café Einstein oder in Regierungsgebäuden auf; außerdem innerhalb des Dreiecks begrenzt vom Kurfürstendamm, Spandau und Falkensee. Er hält sich so gut wie nie nördlich des Tegeler Flughafens ebenso wie südlich des Kurfürstendamms HSP hat seinen Arbeitsraum zu Hause und hält sich daher sehr häufig in Tiergarten auf. Netzwerke knüpft er in Kommissionen, bei wissenschaftlichen Vorträgen, bei Bücherreisen und Festen. Betrachtet wird nun die Arbeitszeit außerhalb Berlins: 30 bis 40% der Arbeitszeit von AG findet gar nicht in Berlin statt. In dieser Zeit bereist er die ganze Nordhalbkugel. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin L fährt ca. ein Mal pro Woche nach München. GG bewegt sich beruflich häufig außerhalb Berlins, international überwiegend in Fernost. Einen Standortnachteil sieht er in der Anbindung Berlins an die Metropolen der Welt. Es sind viel zu große Zeitverluste durch Gabelflüge, Verspätungen, usw. vorhanden; dies stützt die Tendenz einiger Unternehmen sich von Berlin abzuwenden. Der HSP verlässt Berlin nur sehr ungern und äußerst selten, er sprach lediglich von einer Lesereise die außerhalb Berlins stattgefunden hat. Empfinden Sie ihren Beruf als Belastung? Dadurch dass bei GG ein gewaltiges Arbeitspensum vorherrscht, ist ein Arbeitstag von 12 bis 15h für 6 Tage in der Woche anzusetzen. „Durch die beratende Tätigkeit und die dabei benötigte räumliche Nähe und Interaktion, ist große Flexibilität von Nöten. Jetlag und körperliche Beeinträchtigungen sind schon alltäglich.“ Auf diese Frage hat AG mit einem klaren Nein geantwortet. „Wenn das zur Belastung würde, dann würde ich es nicht machen. Das sind Dinge, die fallen in den Rahmen der freiwilligen Grenze zwischen Freizeit und Beruf. Muss ich dahin oder will ich, wann ist es Freizeit, wann ist es der Beruf? Das lässt sich schwer abgrenzen. Ich kann die Grenze selbst nicht richtig ziehen. Zu meinem Beruf gehört auch, dass man eine Beziehung zur Musik hat, und nicht nur die Sache mit dem Vorstand im Symphonieorchester.“ Nachdem AF vor drei Jahren einen Zusammenbruch erlitt, ist er kürzer getreten. „Ich musste mich dazu zwingen, Freizeitverhalten zu entwickeln. Und jetzt habe ich eine gute Balance. Es ist ganz freiwillig. Ich bewundere insgeheim Leute, die eine Firma mit 2000 Angestellten haben und einschlafen können. Alleine wenn ich an die Finanzdecke denke, wird mir schlecht.“ Der Grund warum er so viel gearbeitet hat, lag auch darin, dass er aus seiner „Berufung seinen Beruf“ gemacht hat. Nur: „Man vereinsamt und die Freunde lassen einen fallen. Spätestens um 19h bin ich eigentlich weg und dann beginnt Freizeit.“ L empfindet seinen Beruf keineswegs als Belastung. „Der Job macht Spaß.“ HSP verspürt keine Last durch seinen Beruf. Als Professor arbeite er auch sehr viel allein. Man müsse aber deutlich zwischen Einsamkeit und Vereinsamung durch den Job unterscheiden: „Vereinsamung ist negativ, aber Einsamkeit ist ein Glücksgefühl der Menschheit. Wenn sie nachts um drei mit brennenden Augen über dem Neuen Testament gebeugt sitzen, und sie wollen diesen Text in einen Aufsatz bringen. Sie fühlen sich schon allein. Aber das ist an sich nichts Schlimmes. Es ist schon einsam, aber ich bin gerne einsam.“ Berliner Funktionseliten Stellt ihr Beruf eine Belastung für den Freundeskreis dar? L verstand unter Freunde zunächst Familie. Mit Bekannten sei es aber schwierig, denn sie lüden einen kaum noch ein, da man sowieso oft absagte. Viele Bekannte seien aber über Deutschland verteilt. Man trifft sich unregelmäßig, aber die Beziehungen bleiben bestehen. AF betont, dass gerade Freunde, die nicht selbstständig arbeiten, es nicht verstünden, dass er oft absagen muss. „Ich habe richtig gute, langjährige Freunde knallhart verloren. Und Neue dazu gefunden, durch die Erweiterung des Freizeitverhaltens, das man dann auf irgendwelche Galas geht und Freiberufler trifft und auch über deren Nöte spricht und sich dann fast zwangsverfreundschaftet. So Solidarfreundschaften entstehen dann eher dadurch.“ Daher sind seine Freunde auch überwiegend aus dem kreativen Bereich (Maler, Schriftsteller und Autoren. Er versucht sie untereinander zu verknüpfen auf Galaveranstaltungen, auf denen er die Leute einander vorstellt: „Das Networking finde ich immer ganz spannend.“ Ähnliche Erfahrungen hat auch HSP gemacht. Unter dem Veröffentlichungsdruck von Büchern litten Kontakte. Nach der Frage über die Belastung. Was ist ihnen bei gesellschaftlichen Anlässen wichtig? L erhält pro Abend zehn Einladungen. Persönlich geht er zwar lieber in Philharmonie als zu einem Diskussi- Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 45 Berliner Funktionseliten 46 onsabend mit Hans Eichel, aber der dienstliche Nutzen einer Veranstaltung hat Vorrang. Wichtig ist es für ihn andere in der Diskussion im kleinen Kreis zu überzeugen und ihnen Denkanstöße zu geben. Größere Veranstaltungen besucht er nicht hauptsächlich um sich Vorträge anzuhören, sondern um Fragen einzuwerfen und einer großen Ansammlung von Menschen neue Einsichten zu vermitteln. AF erklärt, dass man zu vielen Galas eingeladen wird und sich nicht selbst anmelden kann. Diese Veranstaltungen kosten dann meist um die 600 Euro. Diese Veranstaltungen besucht er aber selten, weil er den Preis und das Drumherum für überzogen hält. „Es gibt aber auch sehr viele Veranstaltungen, die kostenlos sind, und die ich schätze und mag, zum Beispiel Vernissagen.“ Feste und „gesellschaftliche Anlässe“ besucht HSP nicht sehr häufig. Er teilt sich diese Aufgabe mit seinen beiden Kollegen. Sein Problem sei, dass man ihm schnell ansehe, wenn er sich langweilt. AG besucht zwei bis drei Mal im Monat Galaveranstaltungen oder Empfänge. Die Gelegenheit dazu hat er aber noch wesentlich öfter: „Ich glaube Berlin ist da wie München, Hamburg und andere Großstädte ein eigenes Biotop. Es gibt Veranstaltungen, die im weitesten Sinne öffentliche Anlässe sind, wo immer die gleichen Leute sind. Ich gehe nicht dahin, um dann in der Zeitung zu stehen, aber es gibt eben Anlässe, wo man weiß, welche Zielgruppe angesprochen wird und wo man entscheiden kann, ob man hingeht oder nicht.“ L besucht den Lions Club aus rein privatem Interesse. Das ist keine Arbeit, sondern dort findet man auch Aufgaben und Freunde für die Zeit nach dem Berufsleben. Das gesellschaftliche Drumherum (Spenden und Weihnachtsgeschenke für Clubmitglieder) gehöre dazu. AF besucht die Veranstaltungen aus beruflichem und persönlichem Interesse. „Das klingt ein bisschen berechnend, aber ich bin jemand der sehr gerne zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt und wenn ich weiß es gibt irgendwo eine Vernissage, wo man einen Kollegen trifft, dann ist das ja auch eine Wertschätzung, die man jemanden gibt: Ja, ich schau mir deine Arbeit, deine Ausstellung an. Es bilden sich ja sowieso immer Grüppchen und man sitzt zusammen und quatscht ganz viel. Ich mag diese Anlässe ganz gerne. Das ist ein schöner Rahmen. Ich mag es auch gerne wenn Kunst um mich ist. Lasst Kunst um mich sein.“ Er kritisiert aber auch, dass sich auf solchen Veranstaltungen auch Leute bewegen, die man in der Soziologie als Yuppies charakterisieren würde: „Dieses blöde ‚Schein und Sein’, geht mir sowieso die ganze Zeit auf den Senkel. Alle Leute bluffen und es ist nicht viel dahinter wenn man sie abklopft, aber die, die am meisten rasseln, kriegen die größten Jobs.“ AG nutzt diese Veranstaltungen ebenfalls zur Kontaktpflege: „Teilweise sind es Veranstaltungen, die mich wirklich interessieren, wo ich sage, da gehe ich gerne hin, weil ich weiß, dass jemand geehrt wird und einen Preis bekommt, von dessen Leistung ich selbst überzeugt bin. Teilweise gibt es Anlässe, wo man denkt, da geht Du besser hin, weil Du auch mal in diesen Kreisen mit bestimmten Leuten wieder zusammentreffen willst und das Gespräch suchst, oder weil Du weißt, dass andere das Gespräch suchen und erwarten, dass Du da bist. Ich weiß auch, dass teilweise Andere den Kontakt suchen.“ Er weist allerdings darauf hin, dass man den Zusammenhang von gesellschaftlichen Anlässen und Netzwerken nicht zu mechanisch sehen darf. Weiterhin gibt es große Unterschiede zwischen dem Aufbau und der Pflege eines Netzwerks. Das persönliche Interesse steht dann oft im Vordergrund. Der Zeitaufwand, sähe man diese Treffen unter reiner Arbeitszeit extrem hoch, verglichen mit dem Nutzen. Trotzdem kommt niemand ohne Netzwerke aus. Die Bewertung ist schwierig, Zusammenhänge eher interpenetrant als kausal voneinander abhängig. HSP geht durchaus zu Veranstaltungen, weil er weiß, dass er dort jemanden treffen kann. „Ich bin auch durchaus auf einige Sachen aus, wo man denkt: Aha, da ist etwas wofür er sich interessiert, da bin ich nur da, weil ich weiß, da werde ich jemanden treffen den ich notfalls mal anrufen kann wenn mal was ist. Das finde ich, ist wirklich Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin gesellschaftlich Kennen, das ist eben so ein System, was ich nicht verachte aber eben auch nicht so toll finde - man spricht sich selten, tauscht aber e-Mails aus.“ PRIVATE FREIZEITAKTIVITÄTEN- EINE „REINE FREIZEIT“? Auf die Frage ob Hobbies existieren und gepflegt werden bzw. ob Freizeitaktivitäten essentieller Bestandteil der Wochenplanung seien, folgten folgende Aussagen: HSP pflegt sich mit der Lektüre von guten Büchern zu erholen und genießt auch unwissenschaftliche Literatur zum Zeitvertreib. Spaziergänge durch den Tiergarten und Cafébesuche runden das Bild seiner Freizeitgestaltung ab. Bevorzugtes Hobby bleibt seines Erachtens aber sein Beruf. L sieht in seiner Familie den idealen Rückzugsraum und verweist darauf, dass seine knapp bemessene Freizeit mit Aktivitäten im Kreise seiner Familie ausgefüllt wird. AF baute sich in Berlin einen Freundeskreis auf, der sich jedoch immer seltener spontan zu einem Kneipenbesuch durchringen kann. Dafür hat sich die Tradition der Wochenendtagesausflüge gefestigt; hierbei wird das Berliner Umland mit Freunden erkundet und die Eine oder Andere Inspiration aufgenommen. Sonntage sind für ihn zudem der ideale Tag um ohne Begleitung Ausstellungen zu besuchen, da die Besucherströme sich in Grenzen halten, und er etwas Zeit für sich findet. Zudem sucht er in sportlicher Betätigung einen Ausgleich der einseitigen Belastung; unregelmäßiges Schwimmen dient einerseits der körperlichen Fitness, ermögliche aber darüber hinaus Abstand zur Arbeit zu gewinnen und Stress abzubauen. Auf die Frage mit wem und an welchen Orten die freie Zeit verbracht wird, folgten folgende Aussagen: HSP verfügt über einen breit gefächerten Bekanntenkreis und liebt es neue Leute kennen zu lernen. Ob Akademiker oder einfache Leute; zu seinen Geburtstagen findet sich eine bunte Mischung an Menschen ein, mit denen er gerne kommuniziert. AG verbringt seine Freizeit bevorzugt im Kreise seiner Familie, versucht aber auch Zeit in Freundschaften zu investieren. Räumlich betrachtet dominieren Freizeitaktivitäten, die sich außerhalb Berlins abspielen; insbesondere befreundete Familien, die auch über Kinder verfügen seien gute Gesprächspartner. Der Familienurlaub muss nicht unbedingt im Ausland angesiedelt sein; kurze Distanzen zum Urlaubsort werden bevorzugt, um den sehr jungen Nachwuchs nicht zu strapazieren. AF genießt es mittlerweile sehr, wenn er überraschenderweise einen Abend völlig für sich allein in seiner Wohnung verbringen kann. Kreative Köpfe trifft er sehr gerne auf Galas und Ausstellungseröffnungen im Berliner Raum. Hierbei ist allerdings die Verschränkung von Freizeit und aktivem Netzwerke-Knüpfen wieder gegeben. Echter Urlaub, also über mehrere Wochen hinweg der Arbeit zu entsagen und den Aufenthaltsort zu wechseln, sagt ihm weniger zu. Kurze Wochenendtrips sind ihm wichtiger geworden und reißen ihn nicht nachhaltig aus dem Arbeits- und Schaffensprozess heraus. L bevorzugt es, freie Zeit zu Hause zu verbringen. Bei Gartenarbeit wird körperlicher Ausgleich gesucht. Der Sonntag wird mit einer entspannten Zeitungslektüre genossen. Berliner Funktionseliten Wo liegt der Wohnraum der Befragten und welche Gründe bestimmten die Wohnortwahl? AG lebt im Süden der Stadt Berlin. Er ist sukzessive über Steglitz, Lichterfelde nach Zehlendorf intra-urban migriert, was sicherlich nicht in unerheblichem Maße einkommensabhängig zu begründen ist. Das Hauptaugenmerk bei der Wahl des Wohnortes liegt einerseits in der durchgrünten und ruhigen Lage begründet, andererseits in der relativ guten Anbindung an das Geschäftszentrum der Stadt. L zog es in den engeren Verflechtungsraum der Stadt, in ein Dorf westlich von Berlin gelegen. Hier herrscht ein grünes, gepflegtes Umfeld vor, das zum Entspannen und Verweilen einlädt, dabei aber über eine gute Anbindung an das Zentrum der Hauptstadt verfügt. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 47 Berliner Funktionseliten AF richtete sich in demselben Haus, in dem sein Atelier liegt eine Wohnung ein. Die räumliche Nähe zum Arbeitsort ist gezielt gesucht worden und ermöglicht ihm ein unkompliziertes und flexibles Arbeiten. Seiner Meinung nach ist es auf diese Weise für ihn einfacher, kreative Eingebungen sofort umzusetzen und eine Zeitersparnis zu erzielen, die ihm mehr Zeit für intensives Arbeitsund Freizeitverhalten ermöglicht. HSP lebt mit einer Katze und einem Untermieter in einer großzügigen Altbauwohnung in zentraler Lage im alten Hansaviertel. Seiner Meinung nach liegt seine Wohnung ruhig und zugleich sehr zentral, so dass er sich binnen kürzester Zeit im Zentrum Ost oder Zentrum West befindet. Die Mitmieter sind recht homogen bezüglich der Sozial- und Einkommensstruktur anzusetzen. Auch die Straße ist weitgehend als bürgerlich einzuschätzen. 4. AUSWERTUNG IN KARTEN Um eine Visualisierung der erhobenen Aussagen bezüglich der Arbeits- und Wohnräume unserer Interviewpartner zu gewährleisten, die nicht nur auf einer eingeschränkt repräsentativen Stichprobe beruht, wurde das Buch „TOP 500 Hauptstadt Berlin“ als Datenquelle aufgearbeitet. Es enthält, wie es der Titel bereits andeutet, 500 Personen, die der Elite Berlins zugeschrieben werden mitsamt der Adresse ihres jeweiligen Arbeitsortes. Abb. 1: Wohnräume der Funktionseliten innerhalb Berlins 48 Von diesen 500 Personen entnahmen wir jenen, die einen Namen von A bis M trugen, sämtliche Arbeitsorte und ordneten diese nach Postleitzahlen den Berliner Bezirken zu. Im Ganzen umfasste dieser Datensatz 243 Personen. Im darauf folgenden Schritt recherchierten wir die Wohnorte der jeweiligen Personen und sortierten jene wiederum nach Postleitzahlen. Die Bildung von Klassen anhand der einzelnen Postleitzahlen hätte jegliche Übersichtlichkeit genommen. Eine Zusammenfassung der Postleitzahlen nach den zur Zeit existenten Bezirken der Stadt Berlin, bietet dagegen eine nicht zu klein- oder großräumige Aufschlüsselung, die dem Betrachter eine schnellere Identifikation von Datenmaterial und bekannter Stadtteilstrukturen ermöglicht. Die Karte, die die Verteilung der Wohnorte im Raum Berlin beschreibt, umfasst allerdings nur jene 94 Wohnsitze der 243 Funktionsträger, die wir einwandfrei nach eingehender Recherche zuordnen konnten oder öffentlich verfügbar sind. Offensichtlich ist ein Großteil der Funktionsträger nicht gewillt, seine Privatadresse der Öffentlichkeit publik zu machen. Ein Großteil gibt in Publikationen und Telefonbüchern keine Adresse an, oder bietet fantasievolle Wohnorte feil, die nicht existieren. Kompliziert stellte sich auch eine Zuordnung von Personen dar, die über mehrere Namensvettern verfügten, da sie nicht mehr einer Privatadresse zuzuordnen waren. Sie mussten entfallen und trugen zur Ausdünnung der Datensätze im Bereich der Wohnorte bei. Trotzdem wir also nur etwa 40% der Wohnorte verorten konnten, ist eine Tendenz in der räumlichen Ausprä- Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin gung zu erkennen, die sich in ihrer Ausprägung, selbst bei Vollständigkeit der Wohnorte, wohl nicht sonderlich gewandelt hätte. Als problematisch bei der Vorgehensweise stellte sich zudem die Zuordnung der Postleitzahlen entsprechend den Wohn- und Arbeitsstätten heraus. Es existieren einige wenige Postleitzahlen, die nicht nur einem Bezirk zugeordnet werden können, sondern für zwei Bezirke Gültigkeit besitzen. Diese Gefahrenquelle wurde zwar weitestgehend gebannt, indem wir Adressen auf dem Berliner Stadtplan lokalisierten und uns im Anschluss für die Zuordnung in einen Bezirk entschieden; dennoch ist eine geringe Fehlerquote nicht auszuschließen. geringfügig in Frage stellt. Ein Wohnorteband, das sich vom Südwesten der Stadt in nordnordöstlicher Richtung durch die Stadt zieht, beschreibt am nachvollziehbarsten die räumliche Konzentration der Wohnorte der Berliner Funktionselite. Auffallend sind die absolut gering ausfallenden Werte in den Berliner Ostbezirken mit der Ausnahme Pankows, sowie das Meiden der „Problembezirke“ Neukölln und Kreuzberg. Berliner Funktionseliten Trotz der bereits angeführten Probleme und Unsicherheiten, ist es uns in der visuellen Umsetzung der Daten gelungen deutliche Disparitäten im Berliner Raum aufzuführen. Die bevorzugte Lage des Arbeitsortes scheint ohne Frage der Bezirk Mitte mit fast 35% der Arbeitsorte, der mit deutlichem Abstand vor allen anderen Bezirken eine Spitzenreiterrolle einnimmt. Nimmt man den zweiten Bezirk, also Charlottenburg- Wilmersdorf mit rund 22% der Arbeitsorte hinzu, so sind fast 60% der Arbeitsorte bereits zugeordnet. Ein gedrehtes Tortenstück ausgehend vom Zentrum Berlins mit südwestlicher Ausrichtung, welches nur Teile von Friedrichshain-Kreuzberg, Tempelhof-Schöneberg und SteglitzZehlendorf umfasst, beschreibt die räumliche Konzentration der Arbeitsorte der Funktionselite innerhalb Berlins wohl am besten. Die Wohnorte der Berliner Funktionselite lassen sich nicht so leicht in ein Schema pressen. Hier fällt SteglitzZehlendorf mit etwa 34%, sowie Charlottenburg-Wilmersdorf mit fast 22% der Wohnorte als Schwerpunkte auf. Die Dominanz der Wohnlagen im Südwesten der Stadt, die zusammengenommen weit über die Hälfte der erhobenen Wohnorte umfasst, täuscht allerdings nicht darüber hinweg, dass beispielsweise Pankow als drittplatzierter Bezirk mit 11% die südwestliche Dominanz durch die eigene Nordlage Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Abb. 2: Arbeitsräume der Funktionseliten innerhalb Berlins 49 Berliner Funktionseliten 4.1 FREIZEITSTANDORTE: GESELLSCHAFTLICHE RÄUME IN BERLIN Wirtschaftsnetzwerke, die regelmäßig zu gesellschaftlichen Anlässen einladen 1 American Chamber of Commerce in Germany Charlottenstr. 42 MI 2 Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer (ASU) Reichstr. 17 CW 3 Berlin Capital Club Mohrenstr. 30 MI 4 Berlin Lounge Sybelstr. 6 MI 5 Bundesverband junger Unternehmer Reichstr. 17 CW 6 Business Angels Club Bundesallee 210 CW 7 China Club Berlin Behrensstr. 72 MI 8 Club Berliner Wirtschaftsjournalisten Fasanenstr. 85 CW 9 Collegium c/o BMW Group Unter den Linden 42 MI 10 Pegasus Wirtschafts- und Kulturkreis Markgrafenstr. 36 MI 11 Private Thursday Novalisstr. 11 MI 12 Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung CDU Leipziger Str. 65 MI 13 Women‘s Business Club Fasanenstr. 28 CW 14 Interface! Potsdamer Str. 96 MI Gesellschaftliche Netzwerke 50 15 Lions Club Knesebeckstr. CW 50 16 Clemes Witt Rotaract Club Pfalzburger Str. 57 CW 17 Rotary Club Bismarckstr. 36a SZ 18 Women‘s International Zionist Organization Fasanenstr. CW 19 Aktive Bürgerschaft Albrecht-str. 23 MI 20 Global Panel Kurfürstendamm 196 CW 21 Berliner Presse Club Friedrichstr. 169 MI 22 Initiative Hauptstadt Berlin Radickestr. 48 TK 23 Tönissteiner Kreis Breite Str. 26 MI 24 Zukunft Berlins Tiergartenstr. 35 MI 25 Ambassadors Club Jägerstr. 60 MI 26 Atlantik Brücke e.V. Kupfergraben 7 MI 27 Das Corps Friedrichstr. MI 28 International Club Berlin Thüringer Allee 11 CW 29 Preußische Gesellschaft Berlin-Brandenburg Mohrenstr. 36 MI 30 Institute for Cultural Diplomacy Greifswalder Str. 36a PA Cafés, Restaurants, Clubs (Gespräche, gesellschaftliche Veranstaltungen) 31 Café Einstein Unter den Linden 42 MI 32 Pomp Duck and Circumstance Möckernstr. 26 FK 33 Restaurant Borchardt Französische Str. 46 MI 34 90 Grad Dennewitzstr. 37 MI 35 Adagio Marlene-Dietrich-Platz 1 MI Hotels (gesellschaftliche Veranstaltungen, regelmäßiger Treffpunkt von Clubs) 36 Ritz Carlton Am Potsdamer Platz 3 MI 37 Hotel Interconti Budapester Str. 2 CW 38 Schlosshotel Vierjah- Brahmsstr. 10 SZ reszeiten 39 Adlon Unter den Linden 77 MI 40 Hyatt Marlene-Dietrich-Platz 2 MI 41 Hotel Savoy Fasanenstr. 9 CW 42 Grand Hyatt Marlene-Dietrich-Platz 2 43 Dorint Rudower Chaussee 15 44 Hilton Mohrenstr. 30 MI 45 Novotel Fischerinsel 12 MI 46 Steigenberger Los-AngelesPlatz 1 CW Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin TK 47 Marriot Inge-Beisheim-Platz 1 MI 48 Victor‘s Residenz Hotel Am Friedrichshain 17 PA Kulturstätten 49 Hamburger Bahnhof - Spiegel Party Invalidenstr. 26 MI 50 Deutsches Historisches Museum - Party von Aga Khan Unter den Linden 2 MI 51 Friedrichstadtpalast - Goldene Henne Friedrichstr. MI 52 Deutsche Oper - Aids Gala Bismarckstr. SZ 53 Berlinale Palast Marlene-Dietrich-Platz MI 54 Theater am Potdamer Platz Marlene-Dietrich-Platz MI 55 Berlinale Palast - Berlinale Marlene-Dietrich-Platz MI 56 Konzerthaus am Gendarmenmarkt - Goldene Kamera Gendarmenmarkt MI MI Kategorie Netzwerkatlas, in der Orte genannt wird, an denen man wichtige Leute treffen kann. Unsere Auswahl gründet sich nicht auf einer simplen Übernahme dieser Orte, sondern beschränkt sich auf diejenigen, die zu gesellschaftlichen Anlässen einladen. Informationen über die Programme der Clubs, Stammtische und Vereine stammen aus Telefonaten und den jeweiligen Internetseiten. Oft gibt es nach einer Lesung oder einem Film ein Buffet. „Da kann man dann gezielt mit den richtigen Leuten sprechen,“ bemerkt L. Ähnliche Aussagen machten auch AF, AG und HP. Die Orte sind für unsere Untersuchung somit relevant. Berliner Funktionseliten Sonstige Orte 57 Atrium Friedrichstr. 60 58 Schweizer Botschaft Otto-von-Bis- MI marck-Allee 4 59 Schloss Bellevue Spreeweg 1 60 Eventagentur Die Brandenburgs Hubertusallee CW 37 61 Mercedes Welt am Salzufer Salzufer 1 CW 62 Ullstein Halle Kochstr. MI 63 Gänge des Bundestages Platz der Republik MI 64 Seniorenresidenz Uferpalais Brauereihof 2 SP 65 Golf- und Landklub Wannsee Bismarckstr. SZ 66 Ronald McDonald Haus Seestr. MI 4.2 ERLÄUTERUNGEN ZUM FREIZEITRAUM MI Die Auswahl der Freizeiträume oder gesellschaftlichen Räume basiert auf Auswertungen unserer Interviews, Auswertung der Internetseiten von Clubs wie dem Rotary Club und dem „TOP 500 Berlin“. Dort gibt es die Hotels und Nachtclubs werden übernommen, sobald sie regelmäßig Veranstaltungen von wichtigen Ereignissen austragen. Wie zum Beispiel das Hotel Vierjahreszeiten. Dort lädt jedes Jahr Ulla Klingbeil zu ihrer traditionellen Hut-Party. Abb. 3: Verteilung der gesellschaftlichen Räume in den Berliner Bezirken Der Zarenball oder die Berlinale Party sind andere ähnliche Ereignisse. Entweder kostet der Eintritt zu solchen Festen astronomische Preise im vierstelligen Bereich oder es gibt eine strenge Gästeliste. „Lobbyisten sind nicht erwünscht“, heißt es auf der Internetseite des Sabine Christiansen Medientreffs, einer ein Mal jährlich stattfindenden Charity Party. Vielleicht ein Anzeichen, wie schwierig es ist, in Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 51 Berliner Funktionseliten Berlin ein großes gesellschaftliches Fest ohne Netzwerker zu veranstalten. Im Dorint Hotel in Adlershof trifft sich wiederum in regelmäßigen Abständen der Rotary Club Adlershof. Insgesamt gibt es 41 Rotary Abteilungen in Berlin und Brandenburg. Mitglied kann nur werden, wer von einem anderen Mitglied vorgeschlagen wird. Direkt aus den Interviews stammen zum Beispiel die Orte Café Einstein und die Gänge des Bundestages. L trifft dort wichtige andere Entscheider und versucht Prozesse in fremden Institutionen zu beeinflussen. Die Atmosphäre bei einem Café kann die Stimmung durchaus auflockern und das Gespräch anders beeinflussen als in einem Büro. L macht sich die zu nutzen, sein Gesprächspartner ebenfalls. 5. FAZIT „Freizeit“ ist ein zentraler Begriff unserer Untersuchung. Erst wenn man versteht, was die Befragten unter Freizeit verstehen, kann man überhaupt eindeutig Arbeits-, Freizeit- und Versammlungssräume (Mischräume) feststellen. Es zeigte sich, dass die Befragten nicht wirklich eindeutig zwischen Arbeit und Freizeit unterscheiden können: „Das sind Dinge, die fallen in den Rahmen der freiwilligen Grenze zwischen Freizeit und Beruf. Da streiten sich die Gelehrten. Muss ich dahin oder will ich, wann ist es Freizeit, wann ist es der Beruf? Das lässt sich schwer abgrenzen. Ich kann die Grenze selbst nicht richtig ziehen. Zu meinem Beruf gehört auch, dass man eine Beziehung zur Musik hat, und nicht nur die Sache mit dem Vorstand im Symphonieorchester.“ (AG) AG nannte die Frage, wann er arbeite und wann er frei habe, „eine typische Arbeitnehmerfrage.“ Es bleibt dabei zunächst offen, inwieweit der von Fukuyama geprägte Begriff der Sozialnorm als Handlungsmotiv für diese fehlende Unterscheidung gilt. Es folgen vor allem zwei weitere große Fragen. Zum einem, was sich hinter dem Sozialkapital versteckt, dass zur aufopferungswilligen Arbeitseinstellung führt und die Auswirkungen auf die Familie und den Freundeskreis. Gerade zu Personen, die deutlich zwischen Arbeit und Freizeit unterscheiden, scheint der Kontakt schwierig zu sein. AF gibt an „Freunde verloren zu haben“. Sie hätten es nicht verstanden, dass er seine Freizeit nicht so planen könne wie sie. L man wer- 52 de nicht mehr eingeladen, wenn man häufig absagen müsste. Als Ersatz findet AF bei anderen Freiberuflern mehr Verständnis und in ihnen neue Freunde. L sucht im Rotary Club nach Gleichgesinnten. Die verheirateten L und AP berichten, dass ihre Ehen nur halten, da sie ihre Partner als tolerant und verständnisvoll einschätzen. Beide Ehefrauen waren zuvor in ähnlichen Arbeitspositionen tätig, in denen man wohl ein ähnliches Maß an Sozialkapital benötigt. Wer Sozialnormen einhält, besitzt nach Fukuyama Sozialkapital. Dieses versucht er dadurch näher zu erklären, dass Individuen sich durch eine starke Organisationsstruktur mit den Zielen ihres Unternehmens oder ihrer Organisation identifizieren. Wichtig hierfür ist die emotionale Bindung an das Unternehmen. Im Bezug auf „gesellschaftliche Räume“ hat das zwei Auswirkungen. Auf der einen Seite muss diese Identifikation erreicht werden, damit man überhaupt erst motiviert ist, und Raum und eigentlich „freie Abende“ für die Firma verbringt (wobei es dann nicht mehr für die Arbeit, sondern für einen selbst getan wird). Die befragten Experten, wiesen alle eine Affinität für ihre spezielle Stelle auf. AF nannte seine Atelier beispielsweise sein „Baby“, AP führte uns durch die Geschäftsräume und präsentierte, nicht ohne Stolz, die Leistungen der Firma und auch HSP gab an, er habe die Stelle unbedingt gewollt und konnte sich nicht erinnern jemals eine andere Arbeit als seiner jetzige gewünscht zu haben. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Auf der anderen Seite benötige man diese Begeisterung aber auch, um beim „netzwerkeln“ glaubwürdig zu erscheinen. Ohne Passion und Sympathie für Partner, funktioniere es kaum, bestätigte AP. Gleichzeitig weisen ja gerade Netzwerke eine extrem niedrige Spezifizität auf, d.h. die Leistungen des Einzelnen sind kaum zu bewerten und nachzuvollziehen. Daher lassen sich einfache Kosten-Nutzen-Analysen kaum erzielen. Sozialkapital ist daher als Antrieb zu verstehen, sich in Netzwerke einzubringen. Die von uns aufgeworfene Frage, wie sich ein Kontaktnetz über die Stadt verteilt können wir exemplarisch anhand unserer Karten aufweisen. Es zeigt sich, dass die Arbeitsräume und gesellschaftlichen Räume eine hohe räumliche Korrelation aufweisen. Die Wohnräume dagegen liegen oft sowohl von gesellschaftlichen, wie auch von den Arbeitsräumen entfernt (für nähere Erläuterungen, siehe Texte zu den Karten). Es gibt überall in der Stadt kleine Cluster von wichtigen Treffpunkten, meist auffällig in der Nähe zu Arbeitsorten. Dabei ist aber kein linearer Übergang zu erkennen. Gesellschaftliche Räume und Arbeitsplätze liegen dabei vor allem an historisch oder geographisch relevanten Orten, wie Unter den Linden oder dem Potsdamer Platz. So scheint das Sozialkapital, dass ein Ort spendet, wie Bourdieu vermutet, in Berlin durchaus relevant zu sein. fragten allesamt überdurchschnittlich viel arbeiten und ihre Arbeit als Passion verstehen. Es lastet ein Druck auf den Familie und Freundeskreis ausgesetzt werden, dem kann aber durch Sozialnormen, durch gleiche Erfahrungen entgegen gewirkt werden. Somit selektieren die Befragten, ob freiwillig oder nicht, ihren Freundeskreis auf Menschen mit ähnlicher sozialer Normierung. Eine Ausnahme bildet einzig HSP, der von seiner Geburtstagsfeier mit „dem Maurer und der Bardame“ erzählt. Einige Kollegen erstaune das aber schon, gibt er zu. Berliner Funktionseliten Menschen mit ähnlichem sozialen Status oder mit ähnlicher Norm lernt man über die Zeit auch an gesellschaftlichen Orten kennen. Somit besitzen diese Orte, auch wenn dort Geschäfte betrieben werden, ebenfalls eine Freizeitkomponente, die vom Eventcharakter der Veranstaltung selbst abweicht. Die Wohnorte scheinen indes der wahre Rückzugsraum für das Abspannen vom Arbeitsalltag zu sein. Trotzdem geschieht dort Geschäftliches, wenn man Vorarbeit leistet oder im Büro anruft bzw. von zu Hause oder vom Urlaubsort aus Arbeit dirigiert. Dies wird allerdings nicht als Belastung empfunden, was wiederum mit der Passion und der Liebe zur Arbeit verbunden ist. Der Wohnort kann als reiner Freizeitraum gewertet werden. Ob sozial Andersartige verdrängt werden, kann man trotzdem nicht bestätigen, aber auch nicht eindeutig verneinen. Viele interessanter wäre es ohnehin, mittels einer Ortsbegehung zu untersuchen, ob es lineare Abschwächung von sozialkapitalstarken Bauten in den Wohngebieten der „reichen“ Berliner gibt oder ob man sozusagen eine „Berlin School of Postmodernity“ eröffnen kann, die zeigt, dass neben einem Villenviertel ein sozialer Brennpunkt liegt. Aus der Statistik allein kann man das nicht beweisen.Die Anhäufung von Wohnorten in der Umgebung lässt aber darauf schließen, dass es in Berlin eher moderne Stadtmuster gibt. Es lässt sich feststellen, dass die BeGeographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 53 Berliner Funktionseliten 6. LITERATUR Monographien & Zeitschriften Bourdieu, Pierre (1997): Ortseffekte. In: ders. u.a.: Das Elend der Welt, Konstanz, S. 159- 167 Dahrendorf, Ralf ( 1965): Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, München Dangschat, Jens (1997): Reichtum und Wohlstand auf Kosten der Armen, in: Huster, E.-U. (Hrsg.): Reichtum in Deutschland, Frankfurt a.M./New York, S. 321- 355 Espenhorst, Jürgen (1993): Reichtum als gesellschaftliches Leitbild, in: Huster, E.U. (Hrsg.): Reichtum in Deutschland, Frankfurt a.M./New York, S.132-143 Fukuyama, Francis (2004): Staaten bauen. Die neue Herausforderung internationaler Politik, Washington, Berlin. Geißler, Rainer (2002): Die Sozialstruktur Deutschlands, Wiesbaden 54 Geschka, Horst (1997): Einsam an der Spitze. Perspektiven für die Arbeitsund Lebensweisen des Topmanagers, Berlin/Heidelberg Girtler, Roland (1990): Die feinen Leute Hartmann, Michael (1997): Die Rekrutierung von Topmanagern in Europa, in: Europäisches Archiv für Soziologie 38, S. 3- 37 Marcuse, Peter (1994): Wohnen in New York – Segregation und fortgeschritten Obdachlosigkeit in einer viergeteilten Stadt, in: Häußermann, H. (Hrsg.): New York. Strukturen einer Metropole, Berlin, S. 205 – 238 Prahl, Hans-Werner (2002): Soziologie der Freizeit. Paderborn Sassen, Saskia (1997): Metropolen des Weltmarktes. Die neue Rolle der Global Cities, Berlin/New York Varian, Hal R. (2003): Grundzüge der Mikroökonomie, München/New York Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin PHÄNOMENOLOGIE VON LUXUSWAREN EIN FELDFORSCHUNGSBERICHT NICO BENEDICT | BEATRICE ELSNER | JOSEFINE HERRMANN BENJAMIN MÜLLER | JENNIFER SCHÄFER 1.1 EINLEITUNG Im Rahmen des Seminars über Reichtum in Berlin entschloss sich unsere Gruppe sich näher mit den speziellen Aspekten von Konsum im Zusammenhang mit Reichtum zu beschäftigen. Wir gingen von der Grundannahme aus, dass sich der Konsum im Segment der Luxuswaren vom alltäglichen Konsum des durchschnittlichen Bürgers unterscheidet und sich deshalb eine nähere Betrachtung lohnen würde. Im Folgenden soll der Ablauf der Arbeit und dabei die angewandten Methoden vorgestellt werden. Anhand von zwei Beispielen werdenanschließend die besonderen Aspekte des Luxuswarenkonsums dargestellt und die Ergebnisse der durchgeführten Untersuchung präsentiert. Im Allgemeinen gab es keine umfangreiche Literatur zum Thema Reichtum. Eine Literaturauswahl mit speziell auf Berlin bezogenen Texten, die sich allgemein mit dem Thema Reichtum beschäftigen oder aber auch zur Thematik des Warenkonsums, gab es nicht. Bezug nahmen wir unter anderen auf einen Text von Jürgen Espenhorst. Der Text „Reichtum als gesellschaftliches Leitbild“ beschäftigte sich vor allem mit dem psychologischen Hintergrund von Reichtum, warum also nach Reichtum gestrebt wird, sowie mit der Funktion von Besitz und Statussymbolen. Das Buch „Europäische Konsumgeschichte“ lieferte wichtige Details über die Ursprünge der Konsumgesellschaft, zu Luxus und Luxusdebatten, über die Funktion des Luxus mit Bezug auf Veblen und die Ambivalenz von Luxusartikeln. Nachdem wir uns für die Beispiele Juweliere und Autohändler des Hochpreissegments entschieden hatten, befassten wir uns mit Texten über den kulturwissenschaftlichen Hintergrund speziell von Uhren und Automobilen. Hier wurde der „Weg“ vom Luxusobjekt zur Massenware skizziert. 1.2 HERANGEHENSWEISE UND ARBEITSAUFTEILUNG Hinsichtlich der dürftigen Literaturlage zu selbst einfachen Fragen zur Thematik, entschieden wir uns erst einmal von einer allgemeinen Fragestellung auszugehen. Wesentlich dazu erschienen uns die Punkte wer konsumiert wo und wie in Berlin. Wichtig hierbei war es die zentralen Orte von Konsum in Berlin zu finden, die Konsumenten zu identifizieren und deren Konsumverhalten zu charakterisieren. Außerdem sollte ermittelt werden, wie groß der Einfluss der allgemeinen wirtschaftlichen Situation auf die Nachfrage nach Luxusprodukten ist. Abschließend sollten Fragen zur Warenpräsentation und Konsuminszenierung beantwortet werden. Von diesen Fragestellungen leiteten wir Thesen ab, die wir in unseren Interviewergebnissen teilweise bestätigt fanden, die aber zum großen Teil auch deutlich abwichen. Nachdem wir uns für zwei Untersuchungsgebiete entschieden hatten, bot es sich an unsere Gruppe aufzuteilen, damit sich jede Gruppe auf ein Gebiet spezialisieren konnte. Bei der Auswertung und Darstellung der Ergebnisse wurde diese Aufteilung beibehalten. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 55 Phänomenologie von Luxuswaren 1.3 METHODISCHE ANSÄTZE In einer ersten Überlegung entschieden wir uns für einen standardisierten Fragebogen. Es war geplant, diese Fragebögen an verschiedene Anbieter von Luxuswaren bzw. Luxusdienstleistungen zu verschicken. Angedacht waren Galerien, Hotels, Immobilienhändler und exklusive Clubs des Hochpreissegments. Wir gelangten dann allerdings zu der Überzeugung, dass die Rücklaufquote nicht ausreichend wäre, um effektiv damit arbeiten zu können, bzw. das die Fragebögen erst gar nicht die entscheidenden Personen erreichen könnten. Ein weiterer wesentlicher Fakt war das breite Spektrum, in denen wir unsere Recherchen durchführen wollten. Auch die Auswahl der von uns angedachten Objekte gestaltete sich sehr schwierig. Wir entschieden uns stattdessen für Konsumgüter aus der Juwelier- und Autobranche. Hier wendeten wir die direkte Methode der Befragung in Form von Interviews mit einem flexiblen Leitfaden an. Der Vorteil dieser Methode war die direkte Verfügbarkeit der Daten. Außerdem konnte man auf den Interviewpartner besser eingehen. Missverständliche Fragen konnten erklärt werden und eine ganze Menge an Zusatzinformationen konnte aus Beobachtungen gewonnen werden oder aber die Interviewpartner sprachen bereitwillig mehr als geplant über das Thema. In den von uns ausgewählten Untersuchungsgebieten rund um den Kurfürstendamm und in der Friedrichstraße gingen wir meist zu zweit in die Geschäfte. Dort trugen wir unser Anliegen vor. Entweder konnten wir unser Interview sofort ausführen oder aber wir vereinbarten einen Termin. Die Befragung führte einer der Interviewer aus, der andere schrieb und beobachtete. Allerdings konnte der Schriftführer natürlich auch ergänzende Fragen stellen. Abschließend fotografierten wir einige Objekte, allerdings von außen. Wegen der Sicherheitsbestimmungen konnte vor allem in Juwelieren nicht im Inneren fotografiert werden. 56 Allerdings gab es auch Absagen entweder aus Sicherheitsgründen oder aus Zeitmangel. Wenn die Interviews aber durchgeführt wurden, erwiesen sich unsere Gesprächspartner doch recht kooperativ und informationsfreudig und die von uns angegebene Zeit von ca. 20 min wurde immer überschritten. EXKURS 1: LUXUS, NEID UND SOZIALE NACHAHMUNG Luxus: Dieser Begriff steht für das, was sich nur eine Minderheit leisten kann. Luxus bezeichnet Dinge, die überflüssig sind, also jenes, was keiner Notwendigkeit entspringt. Aber trotzdem ist Luxus auch ein relativer Begriff, denn mit steigendem Wohlstand wurde vielfach verschwenderisch bezeichneter Luxus notwendig empfundener Konsum. In diesem Zusammenhang sprach Max Weber von einer „Demokratisierung des Luxus“, in der er die „entscheidende Wendung des Kapitalismus“ sah. Über Luxus wurde vielfach debattiert. Besonders im 18. Jhd. wurden „Luxusdebatten“ durchgeführt. Diese befassten sich mit dem Verhältnis der Kommerzialisierung der Wirtschaft, der gesellschaftlichen und der politischen Ordnung. In England wurde befürchtet, dass man in Folge von Verschwendung und übermäßigen Konsum modisch bedingter Luxusartikel und Extravaganzen in allen Volksschichten dem Untergang entgegensteuert. Begründet wurde dies damit, dass der ungewohnte Wohlstand Schwäche, Dekadenz und Verweichlichung nach sich zieht. Die Bedrohung des sozialen und politischen Status wurde im sozialen Nachahmungsdrang gesehen. Luxus wurde als ein „subversives Element in einer gottgewollten Ordnung“ angesehen und mit dem Niedergang der Sitten, der Stabilität und der Vernunft gleichgesetzt. Aber es gab auch Fürsprecher für das Konsumstreben. Man sah den Geist der Gleichheit in der die verschiedenen Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin gesellschaftlichen Ränge aufgeweicht werden. Es entwickelte sich eine neue Wirtschaftsethik, die in der Verurteilung zur Armut einen Widerspruch in den Leitsätzen einer sich auf den Handel stützenden Nation sah. Die Ökonomen wurden zu Verfechtern des luxusorientierten Konsums, die einen wirtschaftlichen Nutzen im Nachahmungsdrang und in den Klassenrivalitäten sahen. Mit der Ausbreitung des Luxus von den oberen zu den unteren Rängen, verlagerten sich auch die Angriffspunkte der Kritiker. Anfangs wurde der Luxus der Aristokratie angeprangert, es folgte der des bürgerlichen Finanzadels, dann der des mittleren Bürgertums, gefolgt vom Luxus der Arbeiter und zu guter letzt auch der Luxus der Armen. Thorstein Veblen liefert zu dem Thema des Konsums wichtige Kernthesen. Er behauptet, dass Konsum eine soziale Tätigkeit sei und Besitzbedürfnis die Funktion des sozialen Status ist. Die Motivation nach Besitz hat seine Wurzeln im Nachahmungsdrang. Dieser Prozess durchläuft die Gesellschaft von oben nach unten. Zwischen benachbarten Sozialschichten gestalten sich die Rivalitäten besonders heftig, denn die Besitzverhältnisse und das Konsumverhalten weisen nur graduelle Unterschiede auf. Laut Veblen hat die Anhäufung von Eigentum das Ziel mit der übrigen Gesellschaft ökonomisch gleichrangig zu sein. Nach Freud beeinflusst die Reinlichkeitserziehung durch die Eltern die Einstellung der Kinder zu Geld. Er sieht die Fäzes als ersten Besitz des Kindes und vergleicht deren Zurückhaltung als erste Art der Sparsamkeit und diese ist nach Freud eine Grundvorrausetzung zur Ausbildung von Reichtum. Phänomenologie von Luxuswaren Freud bezeichnet dies als den analen Zwangscharakter des Geldes. Im Kern bedeutet das, dass die Einstellung zu Geld und das Streben nach Reichtum durch die Erziehungsmethoden der Eltern maßgeblich beeinflusst werden. Wenn die Kinder dann später erwachsen sind, erziehen sie ihre Kinder meist nach ihrem eigenen oder dem Bild der Eltern und bewirken so, dass diese erzieherische Tradition eine Gesellschaftsordnung schafft, die den Charakter der ersten Generation perpetuiert. „Das Streben nach Besitz ist demnach kein ursprünglicher, sondern ein erziehungsbedingtes Verhalten.“ (Espenhorst 1997, S.135). Als treibende Kraft sieht er die Mode, denn diese signalisiert den sozialen Status durch Kleidung und private Gebrauchsgegenstände. Die Zuschaustellung von Gütern dient somit der Image-Gestaltung eines Jeden, Gegenstände werden zu Statussymbolen. EXKURS II: DAS STREBEN NACH REICHTUM Auch der bekannte Psychoanalytiker S. Freud hat sich seine Gedanken zum Thema Reichtum gemacht und eine sehr eigene Erklärung für das Streben der Menschen nach Besitz gefunden. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 57 Phänomenologie von Luxuswaren 2. DAS AUTOMOBIL IN DEUTSCHLAND VOM LUXUSGUT ZUM GEBRAUCHSGEGENSTAND Ökonomisch gesehen wirkten bei der Entwicklung vom Luxusgut zum Gebrauchsgegenstand zwei Faktoren zusammen: Wohlstandssteigerung und Kostenreduzierung. Im Gebrauchswert hat das Auto den Nutzen Personen und Güter von A nach B zu transportieren, er bietet dem menschlichen Bewegungsdrang somit eine motorische Verstärkung. Symbolisch gesehen spiegelt das Auto auch das Einkommen und den Stand des Besitzers wider. Im Folgenden werden drei dominierende sich historisch überlagernde Nutzungsweisen des Automobils betrachtet, nämlich als Sport- und Spielzeug, als Repräsentationsfahrzeug und als Gebrauchsgegenstand. Die Anfangsphase des Automobilzeitalters wurde durch das Motto „wenig fahren - viel basteln“ geprägt. Die Zuverlässigkeit der Fahrzeuge war begrenzt und auch die Infrastruktur war noch nicht für Autos ausgelegt. Der Verbrauch an Benzin, Kühlwasser und Öl war enorm hoch. Die Reinigung und Wartung des Fahrzeuges erforderte viel Zeit. Außerdem erforderte das Autofahren viel Geschick und Kraft. Zeitgenössisch wurden Autofahrer als exzentrisch belächelt. Das Auto in dieser Ära war Sport- und Spielzeug. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erreichte das Automobil ein repräsentatives Äußeres und auch die Zuverlässigkeit stieg an. Die Aufgaben der Wartung und Reparaturen wurden an einen Chauffeur delegiert. Aber noch mehr als der Chauffeur symbolisierte der Wagen selbst Wohlstand und Reichtum. Diese Luxuswagen, ein zeitgenössischer Begriff, überschritten nach der Jahrhundertwende die Zehntausend- Mark Grenze, der Maximalpreis lag bei DM 30.000. Das allerdings waren nur die Anschaffungskosten. Dazu kamen dann noch die jährlichen Unterhaltskosten, die ca. die Hälfte des Anschaffungspreises betrugen. Die Au- 58 tomobilkäufer kamen aus der Gruppe derjenigen, die ein Jahreseinkommen von über DM 10.000 hatten. Damals waren das ca. 2% der Bevölkerung. Diese Einkommensgruppe wurde nicht mit dem Preis beworben, man wies lediglich auf andere hochgestellte Automobilbesitzer hin. Der symbolische Wert des Autos wurde vorangestellt, es war Repräsentationsfahrzeug. Mit dem Anwachsen der Funktionssicherheit wurde das Automobil für die geschäftliche und berufliche Nutzung interessant. Der Prozess setzte kurz nach der Jahrhundertwende ein. Einige Berufsgruppen und Gewerbe interessierten sich für das Auto: Motortaxen traten an die Stelle der Pferdedroschken, Landärzte, Versicherungsvertreter, Zeitungsverlage, Bäckereien und Milchgeschäfte bedienten sich der Motorkutsche. Mit der Zeitersparnis konnte der Umsatz angehoben werden. Mit der Zeit erhöhte sich der Anteil der Gebrauchswagen immer weiter. Die wichtigste Käuferschicht kam nun aus dem gewerblichen Mittelstand. Das Auto war nun nicht mehr primär „Konsumgut“ sondern „Produktionsmittel“. Die Motive der Sportlichkeit und des Prestiges zur Anschaffung für ein Wagen bestanden weiter, aber sie hatten an Dominanz eingebüßt. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden Begriffe wie „Allgemeingut“, Gebrauchsobjekt“ und „Gebrauchsartikel“ für das Auto relevant. In der bundesdeutschen Wohlstandsgesellschaft wurde das Auto schließlich zum Freizeitverkehrsmittel. Die Massenmotorisierung setzte Anfang der 1950er Jahre ein. Das Auto wurde zum Freiheitssymbol. Seit 1960 wurden im PKW mehr Kilometer in der Freizeit zurückgelegt als beruflich. Der PKW war somit kein Investitionsgegenstand mehr, es wurde zum Konsumgut. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Mit zwei zentralen Schlagworten lässt sich die Entwicklung im 19. und 20. Jahrhunderts beschreiben: Wachstum und Individualisierung. Das Auto ist zum dominierenden Verkehrsmittel geworden und dient überwiegend dem privaten Freizeitkonsum. 2.1 AUSWERTUNG DER INTERVIEWS IN DER AUTOMOBILBRANCHE Der Grund, aus dem wir das Auto zum Gegenstand unserer Untersuchungen über den Luxuswaren-Konsum in Berlin gemacht haben, ist der folgende: Das Auto verkörpert das klassische Beispiel für Luxus-Konsum. Das Auto gilt als das Statussymbol schlechthin, gerade in Deutschland, und in der Regel kann man aus dem Auto auch auf den Wohlstand seines Besitzers schließen. Grundlage für die nachfolgenden Ausführungen sind drei Interviews, die in Autohäusern der Marken Porsche, Ferrari und Maserati sowie Bentley durchgeführt wurden. Ursprünglich wurden mehr Interviews durchgeführt, diese konnten jedoch aus verschiedenen Gründen (Unvollständigkeit aufgrund des Zeitmangels der Interviewpartner etc.) leider keine Berücksichtigung finden. Folglich haben wir drei erfolgreich durchgeführte Interviews ausgewählt. Warum haben wir uns gerade für diese Autohäuser entschieden? Bei der Auswahl unserer Interviewpartner sind wir zum einen danach gegangen, was wir persönlich als Edel-Automarken erachten. Die Auswahl erfolgte also nach unserem persönlichen Bild und gewissen damit verbundenen Erwartungen, wie zum Beispiel hohen Preisen und der Assoziation mit Luxus. Zum anderen haben wir versucht, uns in Anlehnung an unsere These, nach welcher der Kurfürstendamm und die Friedrichstraße als Standorte für Anbieter von Luxuswaren prädestiniert sind, auf Autohäuser an eben diesen Straßen oder zumindest in deren Umgebung zu stützen. So haben wir uns für ein Autohaus an der Friedrichstraße/Unter den Linden entschieden, welches unter anderem Bentley vertritt. Des Weiteren haben wir das Porschezentrum BerlinCharlottenburg und einen Ferrari- und Maserati-Händler im Meilenwerk in Tiergarten ausgewählt. Phänomenologie von Luxuswaren Die Fragen des Interviews orientierten sich dabei vornehmlich an den zu Beginn des Projekts aufgestellten Fragestellungen. So gliederte sich der Interviewleitfaden in drei große Blöcke mit Fragen zum Geschäft selbst, zu den Produkten und zu den Kunden. Die fünf zu Beginn aufgestellten Grundfragen spiegeln sich also deutlich in diesen Blöcken wieder. Im Allgemeinen kann man sagen, dass sich die Mitarbeiter der Autohäuser uns gegenüber sehr freundlich und teilnahmebereit zeigten. Im Fall des Bentley-Autohauses führte uns der Mitarbeiter sogar in die sonst unzugänglichen, sehr exklusiven Verkaufsräume. Was die Inneneinrichtung der Autohäuser bzw. die Gestaltung der Präsentationsräume allgemein betrifft, so kann man sagen, dass sich die Exklusivität der Produkte auch in einer aufwendigen und sehr edlen Gestaltung widerspiegelt, zum Beispiel durch die Verwendung edler Materialien. Auffällig war in allen Geschäften auch die Präsentation von allerhand exklusivem und hochpreisigem Zubehör, wie zum Beispiel passendem Gepäck oder sonstigen Accessoires, von denen das wohl kurioseste ein Bentley-Campingstuhl war. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Abb. 1: Campingstuhl und weitere Accessoires der Marke Bentley 59 Phänomenologie von Luxuswaren Abb. 2: exklusive Verkaufsräume und Ausstellungsstücke Bezüglich der Standorte der Luxus-Autohäuser lässt sich zusammenfassend folgendes festhalten. Im Gegensatz zu Juweliergeschäften zeichnen sich die Autohäuser nicht durch eine räumliche Konzentration auf die Friedrichstraße und den Kurfürstendamm aus, was allein schon auf Grund der branchenspezifischen Platzansprüche erklärbar ist. Dennoch kann man auch hier von einer relativen Konzentration sprechen. Es ist erkennbar, dass die Autohäuser die räumliche Nähe zum Kurfürstendamm als ehemalige City-West suchen. So ist ein Clustering von Luxus-Autohäusern in Charlottenburg und Tiergarten zu beobachten. Eben diese Konzentration von Autohäusern, zu denen unter anderem Maybach, Mercedes, Audi und Chrysler gehören, veranlasste nach Aussage unseres Interviewpartners auch das Porschezentrum Berlin, sich hier niederzulassen. Als Grund für diese Konzentration in räumlicher Nähe zur City-West wurde genannt, dass die Kundschaft im Westteil der Stadt wohne und somit dort das Geld zu holen sei. Der Ferrari- und Maserati-Händler, der sich räumlich gesehen ebenfalls in diesem Cluster befindet, sagte zwar von sich aus, dass der Stadtteil für ihn bei der Standortwahl eine eher untergeordnete Rolle spielte, betonte aber, dass er sich auf gar keinen Fall im Ostteil der Stadt angesiedelt hätte, da dort kein Geld vorhanden sei und die Kundschaft sowieso im Westteil wohne. Die einzige Ausnahme bildet hierbei das Bentley-Autohaus, das sich ganz bewusst für den Standort Friedrichstraße/ Unter den Linden im ehemaligen Ostteil 60 der Stadt entschieden hat. Grund hierfür sei die einmalige und weltbekannte Adresse, die von sich aus schon für Repräsentativität stehe. Auf die Frage, ob man sich den Standort auch in einem anderen Stadtteil Berlins vorstellen könne, betonte man hier die außerordentliche Wichtigkeit dieses Stadtteils, seine Stellung als einziges Luxus-Autohaus im alten Zentrum Berlins und antwortete ganz entschieden mit nein, da die Repräsentanz das Ausschlag gebende Kriterium sei. Insgesamt jedoch betonten alle befragten Autohändler die Wichtigkeit ihres Standortes in Berlin. Obwohl sie auch in allen anderen großen deutschen Städten Vertretungen hätten, und diese, wie im Fall der Porschevertretung in Hamburg unter Umständen aufgrund deutlich höherer Umsätze auch wesentlich größer seien, sei der Standort in Berlin aufgrund der guten Nachfrage und des Hauptstadteffektes von enormer Wichtigkeit für den Konzern. Bezüglich der Produkte der Luxus-Autohäuser und vor allem ihrer Kunden hat sich in den Interviews folgendes ergeben. Die Preisspanne der Luxusgefährte liegt in den drei von uns befragten Autohäusern zwischen € 50.000 (für einen Porsche) und € 1.160.000 (für einen Bentley). Preislich befinden wir uns hierbei also im absoluten Hochpreissegment, was von den Autohändlern auch immer wieder betont und als sehr wichtig für die Exklusivität bezeichnet wurde. Der Mitarbeiter des Bentley-Autohauses ging sogar so weit, bei einem Bentley Continental für € 160.000 von einem „Schnäppchen“ und „Massenware“ zu sprechen. Auf die Frage, wie sie denn ihre Kunden auf die Produkte aufmerksam machen, reagierten die Autohändler verschieden. Bentley und Porsche gaben an, ihre Produkte durch Anzeigen in Printmedien wie Automobilzeitschriften und Diplomatenzeitschriften, aber auch im Radio und durch Direktwerbung vorzustellen. Das Ferrari- und Maserati-Autohaus gab hingegen an, dass Print-Werbung nicht nötig sei. Sie setzen eher auf exklusive Kundenveranstaltungen, die Verteilung von Informationen an Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin ausgewählte Kunden oder die direkte Ansprache bestimmter Kunden. Insgesamt spiele Werbung aber für alle drei befragten Autohäuser keine so große Rolle, da 60 bis 70% ihrer Kunden „Wiederholungstäter“, das heißt Stammkunden seien. Alle Autohäuser gaben an, dass diese Stammkundschaft eine enorme Bedeutung für sie habe und sie hauptsächlich davon leben würden. Auf die Frage, ob es denn den typischen Kunden gebe, antworteten die Interviewpartner unterschiedlich. Während der Ferrari- und Maserati-Händler meinte, den durchschnittlichen Kunden gibt es nicht und von einer sehr heterogenen Käuferschaft sprach, lassen sich die Aussagen des Bentley- und des Porsche-Händlers bezüglich ihrer Kunden folgendermaßen zusammenfassen. Der Durchschnittskunde, ist (zumindest bei Bentley zu 98%) männlich, zwischen 45 und 58 Jahren alt und beruflich als Arzt, Rechtsanwalt oder ähnliches erfolgreich. Oder wie man bei Bentley meinte, sind es eher die älteren, die das nötige Kleingeld haben. Dazu eine kleine Anekdote: Während unseres Interviews mit dem BentleyMitarbeiter wurden wir auch prompt mehrmals von einem älteren Kaufinteressenten im Gespräch unterbrochen, mit der Begründung, dass wir ja eh nur unwichtige, schulische Fragen stellen würden und er ja wenigstens Interesse an dem Wagen hätte. Laut unserer Interview-Partner kommen die Kunden aus der Region Berlin-Brandenburg, dabei jedoch vor allem aus Westberlin und besitzen in der Regel schon einen kleinen Fuhrpark bestehend aus 4 bis 8 Autos, darunter immer ein Mercedes, BMW, Porsche, Aston Martin, Jaguar oder Rolls Royce. Bezüglich des Konsumverhaltens der Kunden konnten wir folgende Feststellungen machen: Die verschlechterte wirtschaftliche Situation in Deutschland hat keinerlei Auswirkungen auf den Absatz der Luxus-Automobile. Der Grund hierfür liegt darin, dass mit steigender Exklusivität der Produkte die Kunden zunehmend unabhängiger von der allgemeinen wirtschaftlichen Lage werden. Der Mitarbeiter des Bentley-Autohauses meinte sogar, dass es sich bei der verschlechterten wirtschaftlichen Situation um reinen Populismus handele, so etwas gebe es gar nicht. Die Nachfrage sei nach wie vor ungebrochen. So werden bei Ferrari und Maserati 4.900 Autos pro Jahr produziert, es gibt jedoch doppelt so viele Anfragen. Bei Bentley ist die Nachfrage sogar so groß, dass Teile der Produktion von Manchester nach Dresden ausgelagert werden mussten. Phänomenologie von Luxuswaren Eine weitere Erkenntnis ist, dass es Unterschiede zum Kaufverhalten der Kunden in Hamburg gibt. In Berlin kaufen die Kunden eher spontan und nehmen dabei gern auch Wartezeiten von 1 bis 2 Jahren in Kauf. Der Preis spielt dabei keine Rolle. Selbst bei Preisen jenseits der € 200.000, was einem Einfamilienhaus entspricht, werden die Kaufentscheidungen relativ spontan gefällt. Dabei hat der Autokauf fast nichts mehr mit Vernunft zu tun. Die Anschaffung des Automobils erfolgt dabei in der Freizeit, in Ruhephasen und dient oft als spontane Belohnung für den Kunden selbst. Als Gründe für den Kauf vermuteten die Autohändler zwar zum einen die Qualität und Wertstabilität der Produkte. Andererseits spielen aber auch Status und der Neidfaktor eine große Rolle. Nach Meinung des Bentley-Mitarbeiters ist diese Neidkultur eine typisch deutsche Erscheinung. Ein weiterer wichtiger Anschaffungsgrund ist der des Sammelns. Viele Kunden erwerben Luxus-Autos als Sammlerstücke, so dass man fast von Spielzeugen für „große Kinder“ sprechen kann. EXKURS III: DIE GESELLSCHAFTLICHE FUNKTION DES REICHTUMS In seinem 1899 erschienenen Buch „The Theory of the Leisure Class“ beschreibt Thorstein Veblen die gesellschaftliche Funktion des Reichtums als sichtbares Zeichen von Erfolg. dadurch wird Besitz zur Grundlage von Prestige und Ansehen. Und wer sich so einen guten Namen gemacht hat sieht sich in der Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 61 Phänomenologie von Luxuswaren Folge gezwungen, diesen durch weiteren Erwerb und die Vermehrung seines Besitzes zu sichern. „Ist Besitz einmal zur Grundlage des öffentlichen Ansehens geworden, so bildet er alsbald die Vorraussetzung für jenes selbstgerechte Gefühl, dass wir als Selbstachtung bezeichnen. In jeder Gesellschaft, die das Privateigentum kennt, muss der Einzelne im Interesse seines inneren Friedens mindestens ebensoviel besitzen, wie jene mit denen er sich auf eine Stufe stellt. Im demonstrativen Müßiggang und Konsum, in einem speziellen Aufwand für die Lebenshaltung, […] und im Glauben an sein Glück realisiert sich das besondere Lebensgefühl der Reichen.“ (Veblen 1899) Das Ableiten von Prestige aus dem angehäuften Besitz ist allerdings nur durch die Konkurrenz und den Neid der Gruppenmitglieder möglich und nach einer Untersuchung von Hermann Schoeck von 1980 entwickelt sich dieser Neid erst in sozialer Nähe. Die Durchschnittsbevölkerung sieht sich nicht in Konkurrenz zu den Superreichen der Gesellschaft, sondern in erster Linie zu seinen Nachbarn und zu den Menschen die auf der gleichen sozialen Stufe wie sich selbst sieht. 3. UHRENLUXUS - LUXUSUHREN Im Folgenden soll die Geschichte der ambivalenten Bewertung von Gebrauchsgegenständen skizziert werden. Die Faszination an Luxusuhren ist immer noch ungebrochen, aber die Uhr heutzutage ist zu einem Massenartikel und sogar schon zu einem Wegwerfartikel geworden. Man hat nicht mehr nur eine Uhr, man hat eine Uhr zu jeder Gelegenheit. Der Gebrauchswert der Uhr liegt in der Zeitanzeige. Der Zusatzwert der Uhr, also der Luxus, lässt sich hingegen schwerer fassen. Heutzutage ist bei fast allen Zeitmessern im privaten Gebrauch die Grenze zwischen Gebrauchswert und Zusatzwert fließend. Der Uhrenluxus lässt sich einerseits hinsichtlich der Ausstattung und der Dekoration des Gehäuses, an dem verwendeten Edelmetallen und Edelsteinen betrachten (Kunstgeschichte, Juwelierkunst), also an Dingen, die nicht direkt mit der Zeitindikation und Zeitmessung zu tun haben. Andererseits zählen aber auch technische Innovationen, technische Verfeinerungen und Raffinessen als Luxus. Historisch betrachtet wird hier die Ambivalenz des Luxusbegriffes deutlich. 62 Luxusuhren sind nicht nur wegen ihrer hohen Preise exklusiv, sondern wegen ihrer geringen Stückzahl. Die Herstellung solcher Spitzenprodukte kann bis zu einem Jahr dauern und das trotz modernster Konstruktionsund Produktionsmethoden. Die hoch qualifizierte handwerkliche Arbeit ist immer noch ein wichtiger Bestandteil der Produktion. Die Stückzahlen bleiben gering und lassen sich auch nicht aus verschiedenen Gründen erhöhen. Durch Zuteilungsriten von den Firmen wird die Exklusivität der besten Uhren noch mehr unterstrichen. So kann auch ein Krösus nicht mehrere Uhren gleichzeitig bestellen, auch er muss warten. Bei der Betrachtung der langen Geschichte der Uhr sollte man sich von der Auffassung trennen, dass der Uhrenkonsum überwiegend privater Natur war. Im frühen Mittelalter wurden einfache Wasserauslaufuhren zum Wecken benutzt. Seit der Jahrtausendwende versah man diese Wasseruhren mit mechanischen Signalgebern, es folgten wohlklingende kleine Glocken, dann melodiöse Glockenspiele. An der immer aufwendiger werdenden Ausstattung klösterlicher Uhrwerke wurde schon Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin im 13. Jahrhunderts Kritik geübt. Es wurde Zuverlässigkeit statt Kostbarkeit und überflüssiges Beiwerk gefordert. Ende des 13. Jahrhundertsfolgten Automatenensembles (Figurenspielwerke, Mondphasenanzeigen, Festtagskalender), die ihre Vorbilder im islamischen Raum hatten. Hier war die Uhrenkunst schon hunderte Jahre früher ausgeprägt worden und Europa war dagegen technisch rückständig. Die in Europa gebauten Automaten dienten meist nur nebenbei der Zeitanzeige, viel wesentlicher waren ihre repräsentativen und didaktisch- demonstrativen Zwecke. Im 14. Jahrhunderts übernahm Europa die technologische Führungsrolle und wurde zum Exporteur mechanischer Uhren. Uhren befanden sich in umfangreichen Sendungen von Luxuserzeugnissen, sie waren diplomatische Geschenke oder auch Tribute, v. a. an das Osmanische Reich, um an die Einhaltung des vereinbarten Waffenstillstandes zu erinnern. Mit der Einführung der gleichlangen Stunden und der Erfindung der automatischen Stundenschlagwerke werden intensiv öffentliche Uhren an Kirch- und Stadttürmen angebracht. Dazu wird jeder erdenkliche Aufwand betrieben. Die Städte versuchen sich untereinander mit der Ausstattung der Uhren zu überbieten (Statusrepräsentation, Prestigekonkurrenz). Anhand aufwendiger Uhreninstallationen wurden die Ehre einer Stadt und ihr Rang im Städteumfeld gekennzeichnet. Ansätze von „Luxusdebatten“ hat es im öffentlichen Raum bzw. im Bereich öffentlicher Investitionen nicht gegeben. Ordnungen zur Einschränkung des „unziemlichen Aufwandes in der Öffentlichkeit“ erlassen. Der Luxus in der häuslichen Sphäre hingegen wurde nicht von der Obrigkeit reguliert. Das 16. und 17. Jahrhundert ist die Zeit der ausgesprochen luxuriösen, technisch aber kaum noch innovativen Uhren aus Nürnberg und Augsburg (zum Beispiel das „Nürnberger Ei“). Diese waren auch Gegenstände des privaten Konsums und sehr teuer, wurden aber nicht dem Luxus zugeordnet. Könige, Adlige und Wohlhabende aus höheren Ständen ließen sich gern mit kunstvoll gefertigten Taschenuhren portraitieren. Man würdigte die ungewöhnliche Technik und konnte mit diesen Objekten auf ein tugendhaftes Leben, auf ein geordnetes Leben nach der Zeit, verweisen. Im weiteren Verlauf der Entwicklung konnten Uhren durch Arbeitsteilung besser und billiger hergestellt werden. So waren im 18. Jahrhundert. in London über einhundert verschiedene Gewerbe mit der Herstellung von Uhren beschäftigt. Die Uhr im 18. Jahrhundert blieb zwar immer noch Luxusartikel und Statussymbol, war aber für größere Gruppen als Gebrauchsgegenstand zugänglich. Es wurden in dieser Zeit schon Plagiate von Luxusuhren mit billigeren Materialien hergestellt. Im 15. Jahrhundert werden die Uhren kleiner und transportabler. Eine neue spezialisierte Berufsgruppe, die des Kleinuhrmachers, entwickelt sich. Zu den Kunden des Kleinuhrmachers zählen nun auch Angehörige des Bürgerstandes. Man findet Uhren in Kontoren, in Zunftstuben, in Schulräumen und Hörsälen. Anhand der Miniaturisierung der Uhr wird die handwerklich-technische Herausforderung deutlich, mit dem dazugehörigen Prestige konnte der Preis noch weiter in die Höhe getrieben werden. In dieser Zeit werden Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Phänomenologie von Luxuswaren Abb. 3: Maria Theresia von Österreich Abb. 4: aus William Hogath: Der Lebenslauf einer Dirne 63 Phänomenologie von Luxuswaren Im 18. Jahrhundert war Luxus eines der wichtigsten Gesprächsthemen. Die Luxuskritik gab sich moralisch und erklärte ihn zur Quelle sozialer Missstände. So billigte man z. B. Bauern keine Uhren zu, da ihr Lebensrhythmus durch das Vieh und die Tageszeit vorgegeben wird. Durch Luxusverbote versuchte man der Lage Herr zu werden, was letztendlich aber scheiterte, denn spätestens im 18. Jahrhundert war „das Leben nach der Uhr“ zu einem positiven Leitbild geworden. Die Amerikaner konnten durch die maschinelle Herstellung von auswechselbaren Rohteilen die Preise der Taschenuhren so reduzieren, dass sie gegen Ende des 19. Jahrhunderts in jedermanns Händen war. Die schweizerische Uhrenindustrie behält den Luxusmarkt und konnte um 1900 wieder die Führung in der Branche übernehmen. Die asiatische und amerikanische Produktion von billigen Quarzuhren war bis 1980 dominant, wurde aber durch die Entwicklung von Swatch wieder eingedämmt. Gegenwärtig bilden Luxusuhren ein schmales Marktsegment. So werden im deutschen Fachhandel jährlich 75.000 Uhren zu einem Preis von mehr als € 1.500 verkauft. 3.1 AUSWERTUNG DER INTERVIEWS MIT DEN JUWELIEREN Im Folgenden soll über die Herangehensweise an den Untersuchungsschwerpunkt, die Erarbeitung dessen sowie die Auswertung der Ergebnisse reflektiert werden. Dabei fiel die Entscheidung für eine qualitative Informationsbeschaffung auf die Form des Interviews. Es bot die Möglichkeit konkrete, gegenwärtige Informationen, Eindrücke und Tendenzen aus „erster Hand“ zu erfahren. Vorab wurde das Untersuchungsgebiet verortet. Die Entscheidung fiel auf Friedrichstraße und Kurfürstendamm, da sich in diesem Bereich eine zahlreiche Ansammlung von Geschäften im Hochpreissegment vorfinden lässt. Kennzeichnend hierfür waren zum einen der Verweis auf Markennamen 64 entlang der Straßenzüge, zum anderen die Dekoration und Ausstattung der Schaufenster mit Produkten im hohen Preissegment. Zum anderen leben diese beiden Straßenzüge von dem Image der „Luxusmeile“, welches sich im Laufe der Stadtgeschichte mehr und mehr festigte und auch heute noch Geltungsanspruch besitzt. Anliegen ist es, exemplarisch das Konsumverhalten von Käufern von Luxusartikeln zu charakterisieren. Des Weiteren ist die Frage, inwieweit sich das Konsumverhalten von Luxusware in Berlin von dem in anderen Städten unterscheidet. Zum anderen soll geklärt werden, ob und inwieweit die wirtschaftliche Situation Berlins sich auf das Angebot und das Konsumverhalten von Luxusgütern auswirkt. Bei den befragten Personen handelte es sich um Geschäfts- bzw. Filialleiter von Juwelierläden und Galerien. Das Verkaufspersonal war nicht befugt auf die erfragten Informationen einzugehen. Das direkte Gespräch mit den Geschäftsführern bot die Möglichkeit Einblicke über die Geschäftsentwicklung der vergangenen Jahre in Berlin und das Konsumentenverhalten zu erhalten. Im Voraus wurde die Zustimmung zum jeweiligen Interview eingeholt. Die Mehrheit der Probanten stimmte zu, d.h. ein Interview kam direkt nach der Anfrage zustande oder durch eine Terminvergabe. Die Zustimmung der Interviewpartner war zum einen durch deren persönliches Interesse am Forschungsschwerpunkt zu begründen, zum anderen exemplarisch Angaben bzw. Reflektionen über das Konsumverhalten von Luxusgütern in Berlin zu liefern. Es gab auch eine Zahl von potentiellen Interviewpartnern, die eine Auskunft, aufgrund von Diskretion und Datenschutz verweigerten. Die Zeitspanne der Interviews lag zwischen 30 und 90 min. Die Interviews wurden nicht in Anwesenheit von Kunden durchgeführt. Jede der befragten Personen nahm sich die Zeit, auf die gesamten Fragen mehr oder weniger ausführlich zu antworten. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Laut World Wealth Report 2004 (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 12.06.2005, S. 42) leben in Deutschland 7,6 Mio. Privatpersonen, mit einem Finanzvermögen von mehr als einer Million Dollar. Da liegt die Vermutung nahe, dass jene Millionäre die Konsumentengruppe sind, für die allein der Markt der Luxuswaren zugänglich ist. Doch der Großteil der Befragten erklärte, dass seine durchschnittlichen Kunden aus dem Kreis des gehobenen Mittelstandes seien. Auch wenn dieser nur noch schwer zu finden ist, sind es im Allgemeinen die Kunden mit einem gehoben Einkommen und einem höheren Bildungsniveau. Dabei muss es sich nicht unbedingt um einen Millionär handeln. Einen Teil dieser Kunden bildet die Stammkundschaft, die für die Geschäfte sehr wichtig sind. Die Beziehungen zu diesen Kunden wird gepflegt, es ist das jahrelang aufgebaute Vertrauen zwischen Verkäufer und Käufer, was geschätzt wird. Es sind die besonderen Ansprüche, auf die jedes Geschäft eingehen kann. „Die Verkäuferin, der Verkäufer sind deshalb entscheidende Faktoren, mit Luxus wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen. Verkäufer müssen „Komplizen“ des Luxus-Kunden sein. Sie müssen individuelle Wünsche erkennen, Details kommunizieren und über eine Produkt-Story den Käufer gewinnen“ (siehe unter: www.luxusund-krise.de) Der Kunde ist der selbst bewusste Individualist, es geht hierbei nicht um einen Mainstream, sondern um die Einzigartigkeit und die Zeitlosigkeit einiger Produkte, darauf sind die Geschäfte spezialisiert. Im Zeitalter des Massenkonsums versteht sich Luxus als Einzigartigkeit denn, so wie viele Produkte für den Massenkonsum bestimmt sind, so sind auch viele Produkte allein dem Zugang einer höheren Schicht bestimmt und erfüllen somit den Reiz der Individualität. Aufgrund dieser Spezialisierungen haben diese Geschäfte auch eine überregionale Bedeutung und beziehen ihre Kunden nicht nur aus Berlin, dies trifft aber allein auf die Geschäfte am Kurfürstendamm und der Friedrichstraße zu. Die Konsumenten stammen zum Großteil aus Deutschland, hier insbesondere aus Hamburg und München und dem europäischen Ausland. Auch der Tourist spielt eine zunehmende Rolle für die Geschäfte, auch wenn er nur im unteren Preissegment kauft, macht es hier letztendlich die Masse. Phänomenologie von Luxuswaren Ein Grund für den Kauf von Luxuswaren ist zum einen die schon erwähnte Individualität und Qualität der Produkte, zum anderen ist es die Selbstbelohnung und die Anlage von Geld (hier insbesondere bei Galerien). Es sind aber, wenn auch nur unterschwellig erwähnt, immer noch Statussymbole der Kunden. Einen nicht unwesentlichen Teil der Geschäfte in denen die Befragungen statt fanden, sind Teil einer Kette von mehren Filialen. Ein Rückschluss auf die Verteilung der Filialen lässt vermuten, dass Berlin durchaus einen Markt für Produkte im oberen Preissegment ist. Dabei zeichnet sich aber auch deutlich eine räumliche Differenzierung innerhalb der Stadt ab. So sind sich alle Probanden einig, dass allein die Friedrichstraße und der Kurfürstendamm die Standorte in Berlin für Waren im Luxusbereich sind. Auf die Frage ob sie sich einen anderen Standort als den jetzigen vorstellen könnten und, wenn ja, wo, fielen allein die Namen dieser beiden Straßen. Abb. 5: Luxusuhren der Extraklasse in der Friedrichstraße Ein Teil der Interviewten versuchte Berlin im Vergleich zu anderen deutschen Städten zu sehen, meistens zu Hamburg oder München. Dabei wurde deutlich, dass es durchaus Unterschiede im Konsumverhalten zwischen diesen Städten gibt. Wo dieser Unterschied letztendlich wirklich liegt und warum dieser so ist, kann hier aber aufgrund von unzureichenden Informationen nicht offen gelegt werden. Da ein Zugang zum Thema und den Interviews die Preise der jeweiligen Produkte waren, wurde auch zu diesem Bereich befragt. Dabei ging es insbesondere um die Preisspannen der angebotenen Waren und um die Nachfrage nach bestimmten Preissegmenten. Hierbei wurde sehr deutlich, dass die Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 65 Phänomenologie von Luxuswaren Abb. 6: Exklusive Geschäfte und Fahrzeuge in der Friedrichstraße 66 Geschäfte nicht allein auf den „Millionär“ setzen. So lassen sich durchaus Waren in den Juwelieren finden, die unter € 10 liegen und somit eine breite Masse an Konsumenten erfreuen. Die ist aber nur ein kleiner Teil der Produktpalette und schaut man sich die Obergrenzen einiger Produkte an, wird klar, welches Klientel hier angesprochen ist. Bei den Juwelieren wurde deutlich, dass es nach oben kaum Grenzen gibt, dennoch wurden Preise in Bereichen zwischen € 50.000 und 250.000 genannt, um eine mögliche Wertvorstellung zu diesen Waren geben zu können. In etwa 30 bis 50% der Kunden fragen Produkte im Bereich zwischen € 500 bis 10.000 nach, eine Aussage darüber welchen Anteil diese Kunden an Umsatz haben, lässt sich nicht sagen, denn es ist durchaus möglich das 20% von allen Kunden in etwa 80% des Umsatzes machen. Im Fragenbereich zum Kaufverhalten und dem Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Lage Deutschlands und dem Absatz der Produkte gab es eine Vielzahl von unterschiedlichen Aussagen. So gab ein Teil der Befragten an, dass durchaus ein Zusammenhang zwischen der ökonomischen Lage des Landes und dem Kaufverhalten besteht. Dieser zeichnet sich durch einen hohen Rückgang an Kunden und dem damit verringerten Umsatz aus. Der Kunde nimmt sich mehr Zeit für den Kauf, der Spontan-Kauf bestimmt nicht das Geschäft. Auch die neuen Zahlungsangebote wie z.B. Ratenkauf zeigen deutlich die veränderten Rahmenbedingungen und die Neuorientierung am Markt. Hier stellt sich aber die Frage, wenn Finanzierung möglich gemacht wurde, wer ist es dann noch der sich es leisten kann in bar zu zahlen? Es ist heute mehr und mehr die Spezialisierung und die Individualität, die ein Geschäft dem Kunden bieten muss, um einen gewisses Umsatzbereich erfüllen zu können. Denn nur die Geschäfte die eine Spezialisierung hatten, trafen die Aussagen, dass es keinen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Umsatzentwicklung gibt. Wenn man die Friedrichstraße und den Kurfürstendamm betrachtet, so lässt sich eines sagen, sie sind Orte in Berlin, wo sich eine Verbindung zu Reichtum finden lässt, sie sind Orte für die Präsentation von Luxuswaren und sie sind die Orte, die von Menschen mit höherem Einkommen aufgesucht werden. Trotzdem befinden sich diese Straßen in einer Mischnutzung und sind nicht allein der Zielgruppe der Reichen vorbehalten. Genau wie die Stadt selbst sind die Straßen von einer Flexibilität, Spontanität und Individualität bestimmt. Betrachtet man die am Anfang genannten Zahlen zu den Millionären in Deutschland, so ist es schwierig zu sagen, wie diese Entwicklung im Zusammenhang zu den Ergebnissen der Interviews steht. Denn die Zahl der Millionäre in Deutschland hat sich im Vergleich zu 2003 (7,56 Mio. Millionäre) durchaus erhöht. Dennoch scheint die Nachfrage im Bereich der Luxusgüter zumindest in den vorliegenden Fällen zu stagnieren. Das lässt die Vermutung entstehen, dass die „Reichen“ vielleicht in anderen Städten einkaufen und weniger in Berlin. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Phänomenologie von Luxuswaren FAZIT Die Motive für Luxuskonsum und das Interesse an Luxus sind im Bedürfnis nach einer hedonistischen Selbsterhöhung, im Wunsch des „Andersseins“ und im „Bessersein als die Anderen“ sowie in der Freude an Perfektion zu suchen. Für den Luxus des 21. Jahrhunderts spielen Zuschauer und Zaungäste keine Rolle mehr, man genießt ihn für sich selbst. „Das Genießen dieser Gegenstände ist Teil einer Lebenskunst, die sich zusammenfassend als Kunst der Begegnungen bezeichnen lässt: als Fähigkeit, den Gegenstand als etwas Besonderes zu erleben. Das Luxuserlebnis ist wesentlich eine subjektive Konstruktion. Luxusgegenstände sind gekennzeichnet durch Einigartigkeit, durch symbolische Anreicherung und durch Zeitlosigkeit.“(siehe unter: www.luxus-und-krise-de) Spätestens mit dem Aufkommen des „multioptionalen Verbrauchers“ in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts hat Massen-Marketing sich mehr und mehr zum zielgruppenspezifischen Marketing verändern müssen. Dazu haben inzwischen auch Megatrends wie Globalisierung oder Individualisierung ihren Teil beigetragen. Somit ist Marketing heute durchaus gewöhnt, auf die unterschiedlichsten Situationen und Strömungen reagieren zu müssen bzw. sie nach Möglichkeit vorwegzunehmen. Und genau dies ist auch bei Luxus erkennbar: Antizipation, Kommunikation, Aufmerksamkeit und Intelligenz gepaart mit Idealismus und Risikobereitschaft. Luxus verlangt ein ebenso zielgruppenspezifisches Marketing. 4. LITERATUR Monographien & Zeitschriften Espenhorst, J. (1997): Reichtum als gesellschaftliches Leitbild, In: Huster (Hrsg.): Reichtum heute, S. 132-153, Frankfurt/M. Veblen, T. (1899): The Theory of the Leisure Class, London Siegrist, H.; Kaelble, H.; Kocka, J. (1997): Europäische Konsumgeschichte, Campus Verlag, Frankfurt/M. Reith, R; Meyer, T. (2003): Luxus und Konsum - eine historische Annäherung, Waxmann-Verlag, Münster Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 12.06.2005, S.42 Internet http://www.luxus-und-krise.de http://cartoon.iguw.tuwien.ac.at/christian/ globalisierungz3.html http://www.krisis.org/e-lohoff_dialektikmangel-ueberfluss_k21.html http://www.prokla.de/archiv/ed138.htm Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 67 68 Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin KARTOGRAPHIE DES REICHTUMS REPRÄSENTATIONSFORMEN AUF DER FRIEDRICHSTRAßE (BERLIN) PATRICIA BERNHARDT | SIMON BRIEGER | ULRIKE MACKRODT 1. THEMATISCHE ANNÄHERUNG AN DAS FORSCHUNGSTHEMA Die Auseinandersetzung mit dem Stadtraum Friedrichstraße im Kontext von Reichtumsuntersuchungen in Berlin begründete sich für uns aus zwei verschiedenen Blickwinkeln heraus, die im Folgenden dargelegt werden sollen. Zusammen leiteten sie unsere Forschungsarbeit und bildeten das Fundament der empirischen Arbeit. 1.1 ANSATZ 1: RELATION DER REICHTUMSERSCHEINUNGEN ZUR ARMUTSTHEMATIK/BEZUG ZUM SOZIALSTRUKTURATLAS Im Sozialstrukturatlas (2004) wird der Berliner Raum bzw. die Bevölkerung in den einzelnen Bezirken nach bestimmten Strukturmerkmalen, wie Arbeitslosigkeit, Sozialhilfebezug, Lebenserwartung, Bildungs- und Ausbildungsstruktur, sowie Einkommenslage untersucht. Ziel dieser alle vier Jahre erscheinenden Analyse ist es, sozialräumliche Disparitäten aufzudecken und die zeitlichen Veränderungen der Sozialstruktur zu erfassen. Der Fokus dieses Atlas’ liegt besonders auf Gebieten, die eine schlechte bzw. unterdurchschnittliche Ausprägung der sozialen Strukturmerkmale aufweisen. Durch gebietsbezogene soziale und gesundheitliche Förderungsmaßnahmen soll den Defiziten in diesen Gebieten entgegengewirkt werden. Die Gebiete mit überdurchschnittlichen Sozialindizes dienen dabei als Vorbild, aber werden in ihrer Sozialstruktur nicht weiter thematisiert. Der Sozialstrukturatlas beleuchtet somit nur eine Seite unserer zunehmend polarisierten Gesellschaft und zwar die der relativen Armut, während die andere Seite der Medaille, die des Reichtums, größtenteils unbeleuchtet bleibt. An diesem Schwachpunkt setzt unser Forschungsansatz an, das Phänomen Reichtum in Berlin stärker unter die kartografische Lupe zu nehmen. Während im Sozialstrukturatlas das gesamte Berliner Stadtgebiet auf Bezirksebene zum Untersuchungsgegenstand gemacht wird, wählten wir im Rahmen unserer Forschungsarbeit exemplarisch einen Ort in Berlin aus, der in der Öffentlichkeit ein Image von Reichtum besitzt: die Friedrichstraße. Unsere leitenden Fragestellungen für unsere Forschung waren: Was macht diesen Ort zu einem reichen Ort? Stimmt das Image/Bild des Reichtums mit den tatsächlichen Situation oder Gegebenheiten vor Ort überein oder gibt es Diskrepanzen? Wo manifestiert er sich in der kleinräumigen Analyse? Wie lässt sich Reichtum kartieren? Ausgehend davon, dass sich durch eine Kartographie der Friedrichstraße die räumliche Manifestierung von Reichtum und ihre kleinräumige Beziehung zu „normalen" Orten besser untersuchen und darstellen lässt, machten wir diese zur Grundlage unseres Forschungsprojektes. Nach dem Beispiel des Sozialstrukturatlas, der Armut durch die räumliche Akkumulation von schlechten Sozialindizes thematisiert, wollten wir uns dem Reichtum in der Friedrichstraße durch die räumliche Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 69 Kartographie des Reichtums Analyse von Reichtumsindikatoren nähern und deren räumliche Ausprägung durch Kartographie verdeutlichen. 1.2 ANSATZ 2: DIE FRIEDRICHSTRAßE ALS BRENNGLAS GESELLSCHAFTLICHER ENTWICKLUNGEN Das Erscheinungsbild der Friedrichstraße, und dabei vor allem das des ehemals „östlichen" Teils der Straße, wurde nach dem gesellschaftlichen Umbruch 1989 stark verändert und neu beschrieben. Neue Gebäude wurden errichtet, die bestehenden Gebäude saniert oder auch abgerissen. Die Nutzungsstruktur, die Bevölkerungsstruktur und das Image der Straße haben sich seit dieser Zeit gravierend verändert. Die Friedrichstraße ist zu einem Ort des Reichtums geworden, was sich in Form von Immobilien- und Miet- preisen sowie citytypischen Nutzungen zeigt. In dieser Neubeschreibung des Raumes Friedrichstraße zeigt sich eine Handlungslogik, die Ausdruck des neoliberalen gesellschaftlichen Selbstverständnisses ist. Sharon Zukin zeigt in ihrem Buch „The Cultures of Cities" (1995) anhand kleinräumiger Analysen im New York der 1990er Jahre die Privatisierungs- und Militarisierungstendenzen im städtischen, öffentlichen Raum auf, und diente uns mit dieser Herangehensweise als Vorbild für unsere Forschungsarbeit. Die Friedrichstraße soll für unsere Ausführungen als Brennglas für das heutige Verständnis von städtischem Raum und der Rolle eines Stadtzentrums dienen. Dabei wird sich zeigen, dass die auf der Friedrichstraße entstandenen Strukturen der Logik von wirtschaftlicher Macht und Potenz entsprechen. THEORETISCHE VORÜBERLEGUNGEN 2.1 ASPEKTE DER RAUMWAHRNEHMUNG Kasten 1: Veränderung der Bewohnerstruktur auf der Friedrichstraße „Im Jahre 1895 lebten in dem Haus mit der Adresse Friedrichstraße 17 folgende Mieter: ein Wächter, ein Sattler, ein Kellermeister, eine Krankenwärterin. Zwei Jahre später liest sich die Berufsliste der Bewohner wie folgt: ein Rechtsanwalt, zwei Kaufmänner, ein Zigarrenhändler, ein Zahnkünstler..." (vgl. HOPPE, S. 48) 70 Die Friedrichstraße bildet für die Raumwahrnehmung der Berliner Innenstadt aufgrund ihrer physischen Erscheinungsform eine Schlüsselrolle. In Anwendung der Perzeptionstheorie von Kevin Lynch - nach der der Mensch seine physische Umwelt in Wege, Bereiche, Grenzlinien, Brennpunkte und Merkzeichen einteilt und strukturiert - stellt die Friedrichstraße durch ihren geraden Verlauf und ihre Länge von über drei Kilometern eine optische Fluchtlinie dar, die als Weg und als Grenzlinie wahrgenommen werden kann. In diesem Kontext fungiert die Straße als markanter Weg städtischen Gesamtbild. Diesen Mechanismus in der menschlichen Wahrnehmung können sich Politik und Wirtschaft während des Stadtumbaus zunutze machen, um die Straße als Anziehungspunkt im gesamtstädtischen Bild zu etablieren. 2.2 REHISTORISIERUNG UND MUSEALISIERUNG ALS KONZEPT DER NEUBEBAUUNG Ebenso wie die politische Wende in der DDR auf Makroebene zu einer Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten führte, brachte sie gleichzeitig im kleinräumigen Kontext der Friedrichstraße eine erneute Zusammenführung der bis dahin getrennten nördlichen und südlichen Straßenhälften mit sich. In Anknüpfung an die „Goldenen Zwanziger" Jahre - eine Zeit, in der die Friedrichstraße im Stadtbild Berlins die Rolle einer eines eleganten Boulevards einnahm – sollte die Friedrichstraße zu neuem Glanze kommen, wobei die Neubebauung der durch Kriegsschäden entstandenen Baulücken dem Leitbild der kritischen Rekonstruktion auf der kartografischen Grundlage des Schwarzplans folgen sollte. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 2.3 HISTORISCHER RÜCKBLICK Kartographie des Reichtums Die Rückbesinnung auf das historische Bild des Stadtraums Friedrichstraße bildet also eine der Hauptkomponenten in der Herausbildung eines reichen Ortes seit der Wiedervereinigung im Jahr 1990. Der Vollständigkeit halber soll diese Vergangenheit an dieser Stelle kurz beleuchtet werden, um die Argumentation abzurunden. Die Entwicklung des Reichtums auf der Friedrichstraße ist eng an die Gründerzeit zum Ende des 19. Jahrhunderts geknüpft. Der wirtschaftliche Aufschwung dieser Zeit fand vornehmlich in Berlin, der seit 1871 ausgerufenen Reichshauptstadt des Deutschen Reichs, statt. Auf der Friedrichstraße wurden diese Veränderungen in Form vieler repräsentativer Neubauten (vgl. Abb. 1) sowie einer Veränderung der Nutzungsstruktur sichtbar. Einrichtungen des Einzelhandels, der Gastronomie sowie Dienstleistungsunternehmen prägten zunehmend das Erscheinungsbild der Straße. Damit einhergehend wandelte sich die Bewohnerstruktur (vgl. Kasten 1). Abb. 1: Neubau der Gründerzeit auf der Friedrichstraße Die Friedrichstraße war um 1900 zu einer Prachtstraße innerhalb der City avanciert, die durch einen hohen Publikumsverkehr gekennzeichnet war (vgl. Abb. 2). Abb. 2: Kreuzung Friedrichstr. / Unter den Linden (Foto von 1908) Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 71 Kartographie des Reichtums 3. METHODISCHES VORGEHEN Mit dem Ziel, die Manifestierung des Reichtums in der Friedrichstraße kartografisch aufzuzeigen, überlegten wir in einem ersten Schritt, an welchen Gesichtspunkten wir das Phänomen Reichtum thematisieren bzw. in der Karte sichtbar machen könnten. Viele verschiedene Aspekte, wie z.B. die Stadterneuerungspolitik, die Geschäftsstruktur, das Angebot von höherwertigen Dienstleistungen, Gebäudewerte und ihr repräsentativer Wert, Gewerbeund Wohnmieten, soziale Merkmale der Bewohner bzw. der Besucher- und Konsumentenströme oder auch die tägliche und nächtliche Frequentierung wurden angesprochen und diskutiert. Schließlich legten wir uns aufgrund der unterschiedlichen Aussagkraft der Themen über Reichtum und des komplizierten Datenzugangs auf drei Gesichtspunkte fest, die Reichtum auf der Friedrichstraße anhand seiner städtebaulichen und architektonischen Manifestation analysieren und in seinen sozialen Wirkungsweisen bezüglich des Wohnens und sich Versorgens kritisieren: 1.) die Bauinvestitionen seit 1990, 2.) die Mietpreisstruktur und 3.) die Hochwertigkeit des Konsums. Die Bauinvestitionen seit 1990 Stadtpolitik gibt insofern einen Rahmen für die Bebauung innerhalb des Stadtzentrums vor, indem sie Voraussetzungen für eine bestimmte Entwicklung schafft und später ausgewählten privatwirtschaftlichen Investitionen stattgibt. Das Leitbild der Stadtentwicklungspolitik nach der Wiedervereinigung war durch die „kritische Rekonstruktion des historischen Zentrums" geprägt. Die Maßnahmen zur Stadterneuerung sollten sich an der räumlichen Qualität des Zentrums aus der Vorkriegszeit orientieren. Dementsprechend befassten wir uns mit der geschichtlichen Entwicklung der Friedrichstraße und versuchten zu beantworten, welchen Einfluss die damalige Situation auf die rezenten Bauprojekte sowie die heutige Nutzungsstruktur hat (vgl. 2.2/ 2.3). Die Höhe der Bauinvestitionen nach der Wende, sowie deren architektonische Konzeption waren für uns Indikatoren 72 dafür, welche Qualität in der Nutzungsstruktur der Friedrichstraße offiziell angestrebt werden sollte und welches Prestige damit nach außen verkauft werden sollte. Bei der Recherche stießen wir immer wieder auf Daten und kartographische Darstellungen, die zwar die Nutzungsstruktur der Friedrichstraße zum Gegenstand hatten, aber keine Hinweise auf die Qualität und Rentabilität der Nutzungen gaben, wie z.B. der Zentrenatlas von Berlin. Nachdem auch unsere Anfragen bei Wirtschafts- und Gewerbeämtern, sowie der IHK, nur gegen Vergütung bearbeitet werden konnten, stützten wir uns schließlich auf den verfügbaren Büroflächenbericht von 1995. Dieser gab uns Auskunft über die getätigten Bauinvestitionen Mitte der 1990er Jahre im Gewerbeund Büroflächenbereich, sowie über die Architekten, die mit der Planung beauftragt waren. Die Mietpreisstruktur Ein weiterer wichtiger Aspekt, der Aussagen über den Reichtum eines Ortes macht, sind die Bewohner und die Qualität des Wohnungsbestandes. Für die Analyse der Sozialstruktur der Bewohner in der Friedrichstraße war eine erste Anlaufstation das statistische Bundes- und Landesamt. Die Recherche in deren Datenbanken zeigte jedoch, dass für uns nützliche Daten über die soziale Struktur der Bewohnerschaft nur auf großräumlicher Ebene des Bezirkes erfasst wurden und kleinräumigere Analysen nur durch einen hohen Zeitaufwand und gewisse finanzielle Mittel realisiert werden konnten - zumal die Friedrichstraße zwei Bezirken angehört. Dennoch konnte uns der aktuelle Mietspiegel (2003), der von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung veröffentlicht wurde, detaillierte Informationen über die Wohnlagen in der Friedrichstraße im Vergleich zu ganz Berlin liefern. Intensives „Stöbern" in Anzeigen des Wohnungsmarktes gaben uns schließlich konkrete Informationen über das Wohnungsangebot und Beispiele für tatsächliche Mietkosten entlang der Friedrichstraße, die Hinweise auf die soziale Zusammensetzung der Bewohnerschaft geben. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Die Hochwertigkeit des Konsums Das Konsumangebot auf der Friedrichstraße zeichnet sich durch eine auf Luxus ausgerichtete Struktur aus. Die Schaufenster namhafter Geschäfte wie Gucci, Louis Vuitton, Boss, etc. fallen bei einem Besuch der Friedrichstraße zuerst ins Auge und vermitteln den Eindruck, dass hier vermögende, also reiche Leute konsumieren. Das hochpreisige und -qualitative Angebot dieser Einrichtungen des Einzelhandels tragen zum großen Teil zu ihrem Image als exklusive Orte, die Reichen vorbehalten sind, bei. Inwiefern sich dieses Bild bei einer genaueren Betrachtung der Geschäfts- und Angebotsstruktur widerspiegelt, stand bei dieser Teilforschung im Vordergrund. Eine vollständige Analyse der Art und des Umfangs der dort angebotenen Güter sprengte den zeitlichen und analytischen Rahmen unseres Projekts. Deshalb wählten wir exemplarisch einen Geschäftstyp aus. Die Wahl fiel auf die Bekleidungsbranche, da sie mit 41% die Einzelhandelsflächen auf der Friedrichsstraße dominiert (vgl. Se- natsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen 2004, S. 34). Kartographie des Reichtums Die reine Datenerhebung stellte einen erheblichen Teil unserer empirischen Arbeit dar. In den Schaufenstern von allen Modegeschäften, wurde je ein Kleidungsstück bzw. -ensemble fotografiert und der entsprechende Preis notiert. Wir haben darauf geachtet, dass die Kleidungsstücke miteinander vergleichbar waren. Wir bedienten uns zur Dokumentation der Fotografie, da fotografische Abbildungen es vermögen, viele Informationen über einen Gegenstand kompakt und anschaulich wiederzugeben. Außerdem konnten wir auf diese Weise dem Bild konkrete Zahlen – sprich den Preis des angebotenen Outfits - gegenüberstellen. Darüber hinaus ermittelten wir durch Befragung vor Ort sowie Internetrecherche, wie viele weitere Standorte die einzelnen Geschäfte in Berlin besitzen und wo sich diese befinden, um so herauszufinden, inwiefern der Standort auf der Friedrichstraße Ausdruck von Exklusivität ist. EMPIRISCHE ERGEBNISSE 4.1 BAUEN AUF DER FRIEDRICHSTRAßE Zu Beginn der 1990er Jahre stellte der ehemals auf DDR-Territorium sich befindende Teil der Friedrichstraße ein städtebauliches und funktionales Vakuum dar. Die Straßenflucht der Straße war durch kriegsbedingte Baulücken gekennzeichnet, die vorhandene Bausubstanz weitgehend sanierungsbedürftig und die infrastrukturelle Ausstattung in westlichen Maßstäben unzureichend. Staat und Kommune hatten ein gemeinsames Interesse, diesen Missstand zu beseitigen und den Stadtraum wieder zu beleben. Dies ist vor allem im Kontext der Hauptstadtentscheidung zugunsten Berlins vom 20. Juni 1991 zu sehen. Die zukünftige Hauptstadt Berlin sollte wieder ein neu- es Zentrum erhalten, das allein durch den Standort an den Mythos der vergangenen City Berlins erinnert. Durch die Rekonstruktion der Friedrichstraße in Anlehnung an die Nutzungs- und Stadtstrukturen der „Goldenen Zwanziger Jahre" sollte dieses Vorhaben in die Realität des wiedervereinigten Berlins umgesetzt werden. Das Leitbild „Kritische Rekonstruktion" würde extra für diese Phase der Stadtentwicklungen aufgestellt/angewandt. In den Jahren 1994 bis 1998 wurden unter Berücksichtigung dieses Leitbilds beiderseits der Friedrichstraße über 6 Milliarden DM verbaut (Gewand 1999, S. 148). Die Bautätigkeit beschränkte sich dabei fast vollständig auf den ehemaligen „Ost-“ bzw. Nordteil der Straße, da der „westliche" bzw. südliche Teil bereits in den 1980er Jahren komplett erschlos Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 73 Kartographie des Reichtums S + U Bhf.฀Friedrichstr. Georgenstr. 96 147 148 149 94 Dorotheenstr. 150 91 151 90 Miroslav Volf (Dussmann) 152 125 Mio Mittelstr. 153 154 155 156 Unter฀den฀Linden C.Mäckler 84 157 500 Mio (Lindencorso) 300 Mio Rosmarinstr. 164 Jürgen Böge u. Lindner 83 Behrenstr. 168 170 550 Mio 82 165 81 166 Kleihues 80 167 169 79 Französische฀Str. U 172 450 Mio Jean Nouvel 78 171 (La Fayette) 76 Jägerstr. Henry Cobb 71 (Quarti (Quartier 206) 176-179 Taubenstr. 70 180 Prof. Ungers 181 182 750 Mio (Quartier 205) 67 183 184 Mohrenstr. 350 Mio Kleihues 186 187 188 800 Mio 63 62 Kronenstr. Gerkan, Mark & Partner 61 125 Mio van den Valentyn U 191 250 Mio (Atrium) 60 Leipziger฀Str. 100 Mio (Haus Friedrichstadt) 58 194 56 Krausenstr. 55 50 200 Schützenstr. 48 204 47 205 Zimmerstr. 206 45 207 44 208 43 209 Kochstr. 210 41 U 212 40 39 213 214 215 216 38 34 217 218 219 33 31 221 30 Puttkammerstr. Besselstr. 224 225 226 23 22 21 Hedemannstr. 20 231 19 232 18 17 234 16 235 e Hoffmann-Promenad 236 14 237 g-Promenade Rahel-Vamha 13 12 11 10 9 Franz-Klühs-Str. 245 4 Investitionsvolumen (Stand 1995): 50 Millionen DM Name des Architekten (Name des Gebäudes) 3 246 1+2 sen worden war. Die in der Karte dargestellten Investitionssummen stellen dabei nicht alle getätigten Investitionen dar, da nach 1995 geplante Objekte nicht mit in die Datenrecherche einbezogen werden konnten. Die Merkmale der Neubauten: Trotz der im Leitbild angedachten Aufteilung der einzelnen Straßenblocks in Parzellen, die jeweils von privaten Eigentümern bebaut werden sollten, wurden beinahe alle Quartiere von einem einzigen Investor gekauft und als Großblock mit einem Objekt bebaut. „Ein Denken in Parzellen […] wäre anachronistisch, der heutigen Immobilienwirtschaft nicht angemessen." (Bodenschatz 1995, S. 217). Die geplante Nutzung nach der Fertigstellung sollte vor allem hochwertigen Einzelhandel und Dienstleistungen sowie Büronutzung umfassen. Die neu errichteten Bauten wurden in der Erwartung errichtet, dass die Friedrichstraße an ihre Bedeutung in den 1920er Jahren anknüpfen werde. Diese Vision wurde von Wirtschaft und Politik gleichermaßen geteilt. Als deren Ausdruck ist auch die Verwendung hochwertiger Baumaterialien bei den Neubauten zu verstehen. Der großflächige Einsatz von Naturstein (in den Richtlinien der „Kritischen Rekonstruktion" vorgegeben) und Glasfassaden werden hier als Repräsentationsmittel des Reichtums verwendet. Als weiteres Indiz für die gewollte Exklusivität der Bauprojekte sind die mit der Planung beauftragten Architekten zu sehen. Büros wie Henry Cobb, Oswald M. Ungers und Hans Kleihues sind weltweit agierende und bekannte Architekten, die zumeist Projekte von Prestige errichten und deren Name allein bereits Aufmerksamkeit auf ein Projekt richten kann. Im Zuge der Neubebauung der Brachflächen in den 1990er Jahren wurde somit eine bestimmte Nutzung und Raumwahrnehmung der Friedrichstraße vorbestimmt und in den städtischen Raum eingeschrieben. Mehringplatz Abb. 3: Bauen auf der Friedrichstraße 74 Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Kartographie des Reichtums 4.2 WOHNEN IN DER FRIEDRICHSTRAßE S + U Bhf.฀Friedrichstr. Georgenstr. 148 Die Dominanz der gewerblichen Nutzung: Gemäß der marktwirtschaftlichen Logik, dass gewerbliche Raumnutzung teurer bezahlt werden muss als private Nutzung, wird Wohnraum von Standorten verdrängt, an denen sich gewerbliche Nutzung bevorzugt konzentriert. Auf der Friedrichstraße ist dies vor allem im nördlichen Bereich zwischen dem S-Bahnhof und Leipziger Straße der Fall. 149 150 91 151 90 152 Mittelstr. 153 154 155 156 Unter฀den฀Linden 84 157 Rosmarinstr. 164 83 Behrenstr. 82 165 168 170 81 166 80 167 169 79 Französische฀Str. U 78 171 172 76 ฀฀฀฀฀฀฀฀฀฀Wohnungsanzeige: Jägerstr. Exclusiv฀Wohnen฀i.฀Quartier฀205: Genießen฀sie฀gediegenen฀Wohnkomfort฀im฀obersten฀Geschoss des฀Quartieres฀205฀im฀Herzen der฀Stadt฀...Tauchen฀Sie฀ein฀in das฀pulsierende฀Leben฀der Passagen.฀Mit฀wenigen฀Schritten sind฀Konzerthäuser,Theater, das฀Lafayette฀und฀die Restaurants฀in฀Berlin's Mitte฀erreichbar. Ausstattung: ฀฀฀-฀Kirschbaumparkett ฀฀฀-฀Fussbodenheizung ฀฀฀-฀Französische฀Fenster ฀฀฀-฀Marmorbad 71 176-179 Taubenstr. 70 180 181 182 67 183 184 Mohrenstr. 186 187 188 Miete: 14,50€/qm Mietspiegel:฀4,15€/qm Differenz:฀+฀10,35€ 63 62 Kronenstr. 61 U 191 60 Leipziger฀Str. 58 194 Die Verteilung der Wohnnutzung entlang der Friedrichstraße: Aus Beobachtungen und Literaturanalyse muss eine Nord-Süd-Trennen in Bezug auf die Verteilung der Wohnnutzung festgestellt werden: Im nördlichen Teil der Straße ist die Wohnnutzung stark unterrepräsentiert und wenn sie gegeben ist, nur in den obersten Etagen der Gebäude vorzufinden. Im Gegensatz dazu spielt die Wohnnutzung im südlichen Teil der Friedrichstraße eine weitaus wichtigere Rolle. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 94 Dorotheenstr. Laut den Festlegungen der „Kritischen Rekonstruktion" wurde für nach 1990 errichtete Bauten (vgl. 4.1) eine Mindestnutzung für Wohnfunktion von 20% der Gesamtnutzfläche festgeschrieben. Die in den Großquartieren verorteten Wohnungen zeichnen sich durch einen überdurchschnittlichen Mietpreis aus, der weit über den Empfehlungen des Mietspiegels liegt. Während der Teilung Berlins wurde die südliche Friedrichstraße durch stadtplanerische Entscheidungen zu einer fast ausschließlichen Anwohnerstraße, da die Nutzung als Durchgangsstraße verlegt und der Mehringplatz zu einer Fußgängerzone umgewandelt wurde. Die Straße stellte quasi eine beidseitige Sackgasse dar: im Norden endete sie an der Mauer, im Süden vor dem Mehringplatz. Ihre überregionale Bedeutung ging dadurch verloren und sie entwickelte sich zu einer vorrangigen Wohnstraße. Die in dieser Zeit errichteten Gebäude waren demnach reine Wohngebäude und bedingen auch deren heutige Funktion. 96 147 56 Krausenstr. 55 50 200 Schützenstr. 48 204 47 205 Zimmerstr. 206 45 207 44 208 43 209 Kochstr. 210 41 U 212 40 39 213 214 215 216 38 34 217 218 33 31 221 ฀฀฀฀฀฀฀฀฀฀฀Wohnungsanzeige: Gut฀geschnittene฀2-Zimmerwhg: Besselstr. 224 ฀฀฀฀฀฀฀฀฀WG-geeignet ฀฀฀฀฀฀฀฀฀gepflegter฀Neubau ฀฀฀฀฀฀฀฀฀großer฀grüner฀Innenhof ฀Ausstattung: ฀฀฀฀฀฀฀฀฀-฀helle,฀sonnige฀Wohnung ฀฀฀฀฀฀฀฀฀-฀Balkon ฀฀฀฀฀฀฀฀฀-฀Einbauküche ฀฀฀฀฀฀฀฀฀-฀Warmwasser฀über ฀฀฀฀฀฀฀฀฀฀฀฀Zentralheizung 30 Puttkammerstr. 225 226 23 22 21 Hedemannstr. 20 231 19 232 Miete:฀5,21€/qm Mietspiegel:฀6,17€/qm Differenz:฀-฀0,96฀€ 18 17 234 16 235 ade Hoffmann-Promen 236 14 237 g-Promenade Rahel-Vamha 13 12 11 10 9 Franz-Klühs-Str. 245 4 Wohnlage: (nach฀Mietspiegel฀2003) gut mittel einfach 3 246 1+2 Mehringplatz Ausschnitt฀der฀Friedrichstraße฀=฀3km Abb. 4: Wohnen in der Friedrichstraße 75 Kartographie des Reichtums Die durch die Farbgebung in der Karte dargestellte Unterteilung gibt die Wohnlage der jeweiligen Adresse wieder. Die Wohnlage ist Teil des Berliner Mietspiegels, der alle zwei Jahre empirisch erhoben wird und die durchschnittlichen Quadratmeterpreise für Wohnraum in Berlin angibt. Die Wohnlage ist dabei Teil des Kriterienkatalogs, der auf jede Wohnung angewendet wird, um die ortsübliche Vergleichsmiete zu ermitteln. Die anzuwendenden Kriterien sind Wohnfläche, Baualter des Gebäudes, Ausstattung und eben die Wohnlage. Diese wird entweder als „einfach", „mittel" oder „gut" eingestuft. Die Festlegung erfolgt durch eine Kommission, die mit dieser Aufgabe vom Senat betraut wird. Die Wohnlage teilt also den Stadtraum in verschiedene Qualitätsstufen ein, die wiederum Grundlage für die anzusetzende Durchschnittsmiete sind. Neben den verschiedenen Miethöhen und Wohnlagezuordnungen kann im Bereich des Wohnens ein weiterer Unterschied ausgemacht werden: die Sicherheitseinrichtungen an und damit verbunden die Zugänglichkeit zu den Gebäuden. Die Klingelschilder der benachbarten Hauseingänge der Friedrichstraße Nr. 56 und 58 weisen sowohl in der technischen als auch ästhetischen Gestaltung der Klingelanlagen qualitative Unterschiede auf, die eine Aussage über Exklusion und Abgrenzung beinhalten. 4.3 KAUFEN IN DER FRIEDRICHSTRAßE Mit einer Verkaufsfläche von ca. 41.400 m² prägt der Einzelhandel in der Friedrichstraße nicht nur die Raumstruktur, sondern trägt auch zur überregionalen Bedeutung der Straße bei (vgl. Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen 2004, S. 34). Besonders die Geschäfte im nördlichen Teil, die sich im Zuge des Investitionsboom der 1990er Jahren dort etablierten, führten zu ihrem Ruf einer luxuriösen Einkaufsstraße in Berlin. Das Produktangebot besteht zum größten Teil aus Waren des aperiodischen Bedarfs, insbesondere Bekleidung und Schmuckwaren global agierender Modehäuser werden hier offeriert. Vorzufinden sind vor allem namhafte Boutiquen mit einem überdurchschnittlichen Preisniveau. Der südliche Teil ist dagegen durch die dominierende Wohnfunktion der Gebäude geprägt. Die bei weitem weniger entwickelte Einzelhandelsstruktur setzt sich hier vorwiegend aus Geschäften des alltäglichen Bedarfs zusammen. Die wenigen Geschäfte mit periodischem Bedarf stehen in einem großen Kontrast zu der Angebotsqualität bzw. zu dem Preisniveau im nördlichen Teil der Straße. Die rasante Entwicklung im Norden scheint somit keine Veränderungen im südlichen Teil bewirkt zu haben. Oder hat der räumliche Gegensatz zum südlichen Teil die Entwicklung im Norden etwa verstärkt bzw. beeinflusst? Für unsere Untersuchung des hochwertigen Konsums wurde exemplarisch das Schaufensterangebot der Kleidungsgeschäfte im Mai 2005 dokumentiert. Die Fotos und Preisangaben sprechen für sich, der nördliche Teil der Friedrichstraße ist die Einkaufsadresse nicht nur für Personen mit einem „gewissen Geldbeutel", sondern auch mit einem extravaganten, individuellen Modestil. Viele der dort ansässigen Geschäfte haben nur noch wenige andere Standorte in Berlin. Diese befinden sich zum größten Teil im KaDeWe, in 76 Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin der Fasanenstraße und auf dem Kurfürstendamm, also weitere Standorte der Exklusivität und mit Prestige (vgl. hierzu 7.). Betrachtet man die Preisangaben genauer, fällt auf, dass es zwischen all den Nobelgeschäften jedoch auch Geschäfte mit einem „bezahlbaren" Angebot gibt. Der preisliche Unterschied der auf der östlichen Seite befindlichen Geschäfte ist in diesem Bezug sehr groß. Bourdieus These, dass hochwertige Güter erst durch den Vergleich oder auch die physische Nähe zu niedrigwertigen Güter in ihrem Wert richtig eingeschätzt werden, kann hier durchaus verifiziert werden (Bourdieu 1997, S. 161). Liegt nicht auch in dieser These eine Begründung für den Unterschied zwischen nördlichem und südlichem Teil der Friedrichstraße? Diese Kartierung bestätigt das reiche Image der Friedrichstraße, zeigt aber auch, dass Luxus und Prestige erst durch den räumlichen Gegensatz wirksam werden. Kartographie des Reichtums S + U Bhf.฀Friedrichstr. Georgenstr. 185€ 159€ 199€ Dorotheenstr. Mittelstr. Evelin Brandt Crimes M.Mode Unter฀den฀Linden 627€ Rosmarinstr. 59€ Behrenstr. 284€ Boss H&M Roeckl St.Germaine U 1249€ Max & Co Hermès 114€ Benetton UpArt Mode Jägerstr. 2520€ 472€ 140€ Französische฀Str. Escada Gucci 3470€ Frankonia Jagd 7300€ Louis Vuitton Taubenstr. Berliner Klamotten Stefanel Max Mara 598€ Mohrenstr. 205€ 129€ Kronenstr. 225€ U 459€ Leipziger฀Str. Tandem & Transit Becon Wille Kuhn-Maßkonfektion 269€ 193€ Krausenstr. 314€ 339€ Schützenstr. Zimmerstr. Kochstr. U Puttkammerstr. Besselstr. Motzladen 5€ 25€ Hedemannstr. no name Modegeschäft e Hoffmann-Promenad nade mhag-Prome Rahel-Va Franz-Klühs-Str. Geschäfte mit nur exklusiven Standorten Mehringplatz Ausschnitt der Friedrichstraße = 3 km Stand: Mai 2005 Abb. 5: Kaufen in der Friedrichstraße Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 77 Kartographie des Reichtums REFLEXION DER ERGEBNISSE Unsere Ergebnisse beruhen auf der Vorannahme eines bestimmten Reichtumskonzepts, das in dieser Arbeit noch nicht thematisiert wurde und nun explizit angegeben werden soll. Als Indikatoren für Reichtum dienten uns vor allem Preislagen, die sich oberhalb eines angenommenen Durchschnitts befanden, d.h. dass sich unser Reichtumsbegriff fast ausschließlich auf eine materielle sprich finanzielle Ebene bezieht. Diese Sichtweise stellt im akademischen Kanon jedoch nur eine Ausdrucksform des Reichtums dar. Nach dem französischen Soziologen Bourdieu drückt sich Reichtum nicht nur in dem von uns untersuchten materiellen Kapital, sondern des Weiteren in einem sozialen und kulturellen Kapital aus. Soziales und kulturelles Kapital sind meist an Personen gebunden, und entzogen sich daher unserem Ansatz, in dem der Raum als Träger von Reichtum verstanden wurde. Die Ergebnisse zur räumlichen Ausprägung von Reichtum sind demnach nur innerhalb der Vorannahme gültig, dass Reichtum gleichbedeutend mit Geldbesitz ist, und müssen demnach systemintern gedeutet werden. Auf Basis der bisherigen empirischen Ergebnisse wäre es nun interessant, den Blickwinkel, der sich bisher vor allem auf die vorhandenen Ausprägungen von Reichtum im Raum gerichtet hatte, zu wechseln und sich der Wahrnehmung von Reichtum im Raum zuzuwenden. Als ideales empirisches Instrument würden sich hierzu „mental maps" anbieten. Die Zielstellung wäre, zu überprüfen, ob das von uns gezeichnete Bild von Reichtum auf der Friedrichstraße deckungsgleich mit der Wahrnehmung verschiedener Akteursgruppen ist. Als solche Akteursgruppen haben wir bisher Anwohner, Arbeitspendler und Touristen ausgemacht, deren Bild sicherlich die eine oder andere Variante von Reichtum beinhalten wird. 78 7. LITERATUR Monographien & Zeitschriften Auge, Marc (1994): Orte und NichtOrte. Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit, Frankfurt Bodenschatz, Harald; Emgstfeld, H.-J; Seifert, Carsten (1995): Berlin – Auf der Suche nach dem verlorenen Zentrum, Berlin Bourdieu, Pierre (1997): Ortseffekte. In: ders. et. al.: Das Elend der Welt. Konstanz, S. 159-167 Bourdieu, Pierre (1983): Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, in: Kreckel, Reinhard (Hrsg.): Soziale Ungleichheiten, Sonderband 2 der Sozialen Welt, Göttingen 1983, S. 190f. Ettlich, Wolfgang (1996): Kapitalismus macht Spaß: Berlin Friedrichstrasse (Video), München Flick, Uwe u.a. (Hrsg.) (2003): Qualitative Forschung. Ein Handbuch Internet www.friedrichstraße.de www.immobilienscout24.de www.stadtentwicklung.berlin.de/ wohnen/mietspiegel Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 8. ANHANG Tabelle 1: Berliner Standorte der Bekleidungsgeschäfte auf der Friedrichstraße Geschäft Anzahl der Berliner Standorte Auflistung der Berliner Standorte neben der Friedrichstraße Evelin Brandt 4 Savignyplatz Schloßstraße Ring-Center Crimes 2 Bleibtreustraße M.Mode 1 Boss 4 KaDeWe Peek & Cloppenburg (Ku‘damm) Airport Tegel Roeckl 2 Ku‘damm St. Germaine 2 Ku‘damm H&M 22 ... Hermès 2 Ku‘damm UpArt 2 Steglitz Max & Co 2 Ku‘damm Benetton 8 Potsdamer Platz Gesundbrunnencenter Spandau Arcaden Ku‘damm P & C Steglitz P & C (Ku‘damm) Tauentzienstraße Escada 3 Ku‘damm KaDeWe Gucci 3 KaDeWe Fasanenstraße Louis Vuitton 3 Ku‘damm KaDeWe Max Mara 2 Ku‘damm Frankonia 1 Stefanel 2 Ku‘damm Becon 4 k.A. Kuhn Maßkonfektion 1 Tandem & Transit 2 Wille 1 La Fayettes Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 79 80 Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin REICHTUM UNTER MIGRANTEN EINE EMPIRISCHE UNTERSUCHUNG ÜBER TÜRKISCHSTÄMMIGE UNTERNEHMER IN BERLIN DOROTHEE VON AUER | ROBERT GÖLZ 1. ZUR HERANGEHENSWEISE AN DAS FORSCHUNGSTHEMA „REICHTUM UNTER MIGRANTEN“ In unserer Arbeitsgruppe stellten wir uns die Frage, inwiefern das Seminarthema „Reichtum“ mit in Berlin lebenden Migranten in Zusammenhang steht. Die Wahl dieser Thematik leitete sich neben dem Interesse an der Türkei und türkischstämmigen Migranten allgemein auch aus unserem Eindruck ab, dass Migranten im öffentlichen Diskurs vor allem mit Problembereichen wie Armut und mangelnder Integration in Verbindung gebracht werden. Unsere Absicht war es daher, statt der Thematisierung des Mangels (an finanziellen Mitteln, Integration o.ä.) einmal den Blick auf die Ausstattung von Migranten, somit also auf Reichtum, zu richten. Ein erheblicher Anteil der migrantischen Bevölkerung Berlins (und somit auch der türkischstämmigen) befindet sich also in einer schwierigen ökonomischen Lage, womit sich erklären lässt, warum auch wissenschaftliche Arbeiten über Migranten häufig Problembereiche wie ihre Stellung auf dem deutschen Arbeitsmarkt (vgl. Seifert 2000 oder Kley 2004) oder die Gründe für Segregation (vgl. Häußermann; Siebel 2001) thematisieren. Versteht man hierunter jedoch lediglich die materielle Ausstattung und betrachtet die Datenlage bezüglich Arbeitslosigkeit und Haushaltseinkommen von Migranten in Berlin, scheint dieser Ansatz zunächst wenig herzugeben. Statt Hinweise auf vorhandenen Reichtum finden sich dort eher Anzeichen für ökonomische Notlagen. So ist, wie Abb.1 zeigt, die Arbeitslosigkeit in der türkischen Bevölkerung Berlins mit 40% im Jahre 2001 weit höher als in der Gesamtbevölkerung. Auch verfügen Berliner Haushalte mit ausländischer Bezugsperson im Vergleich zu den Haushalten insgesamt weitaus seltener über ein hohes Einkommen und sind im Gegenzug häufiger von niedrigen Einkommensverhältnissen betroffen, wie Abb.2 verdeutlicht. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Abb. 1: Arbeitslosenquoten von Ausländern und Deutschen in Berlin und der BRD 81 Reichtum unter Migranten Materieller Reichtum unter Migranten ist dagegen eher ein Randphänomen, das in Berlin aufgrund zu kleiner Stichprobengrößen quantitativ (also beispielsweise über eine Untersuchung migrantischer Einkommensverhältnisse nach Bezirken) kaum zu erfassen ist. Wir entschieden uns daher dafür, das Thema mittels qualitativer Interviews zu bearbeiten. Um nun wohlhabende türkischstämmige Personen ausfindig zu machen, hielten wir uns an die These, dass man in Deutschland nur noch als Selbständiger zu Reichtum gelangen kann (vgl. Uchatius 2004). Zwar ist nicht jeder Selbständige automatisch reich, doch wenn Reichtum erlangt wird, dann auf dem Wege der Selbständigkeit. Unsere Zielgruppe bestand daher aus türkischstämmigen Unternehmern, die inzwischen in ganz Deutschland in verschiedenen Verbänden wie dem TDU (Türkisch-Deutschen Unternehmerbund) in Berlin organisiert sind. Monatl. HH-Nettoeinkommen ausländischer und deutscher Haushalte in Berlin Anteil an jeweils allen Haushalten (%) Anzahl der Haushalte (in 1000) 30 2000 1800 25 1600 1400 20 1200 15 1000 800 10 600 400 5 200 0 0 Berlin mit deutscher Bezugsperson mit ausländischer Bezugsperson unter 500 EUR 500-900 EUR 900-1300 EUR 1300-1500 EUR 1500-2000 EUR 2000-2600 EUR über 2600 EUR Haushalte insgesamt Freunde und Familie oder eine bereits vorhandene eigene Kapitalausstattung, die zum Wohlstand verhalfen, oder hing der Erfolg primär von exogenen Faktoren wie gesetzlichen Bestimmungen oder dem Zugang zu Krediten ab? An welchem Punkt müssten folglich Maßnahmen ansetzen, die auch einem breiteren Kreis von Personen mit migrantischem Hintergrund einen Zugang zum Erfolg ermöglichen würden? Aus den Antworten auf solche Fragen wollten wir Möglichkeiten zur Erlangung von Wohlstand als Komplement zur Armut oder ökonomischer Not ableiten. Im Laufe der Auseinandersetzung mit dem Thema „Reichtum unter Migranten“ verlagerte sich unser Fokus jedoch stärker auf die Persönlichkeit des wohlhabenden Migranten, in unserem Falle also des türkischstämmigen Unternehmers, und seine Beziehung zum Erfolg: Was wird überhaupt unter Erfolg verstanden, was ist das Motiv zum erfolgreich sein und welche Auswirkungen hat Erfolg auf das Verhalten, vor allem bezüglich sozialer Verantwortung? Mit diesem Ansatz stand somit nicht mehr der Weg zum Erfolg, sondern dessen Bedeutungen und Auswirkungen im Mittelpunkt. Wir nahmen damit auch Abstand von einer rein materiellen Definition des Reichtums und bezogen soziales Kapital, das sich in gemeinsamen Werten, Netzwerken und stabilen Beziehungen widerspiegelt (vgl. Weltbank 2003, S. 21), sowie die Nutzung von Ressourcen in unser Reichtumsverständnis mit ein. Grundlage für diese Überlegungen bildet die sogenannte Entsolidarisierungshypothese, auf die im Folgenden genauer eingegangen werden soll. Quelle: Eigene Darstellung nach Ergebnissen des Mikrozensus 2003, Statistisches Landesamt Berlin Abb. 2: monatliches Netto-Haushaltseinkommen nach Bezugsperson 82 Inhaltlich konzentrierte sich unser Interesse zunächst auf die Frage, auf welchem Wege türkischstämmige Migranten in Berlin zu Wohlstand gelangen. Gerade angesichts der schwierigen ökonomischen Lage, in der sich ein beträchtlicher Teil der migrantischen Bevölkerung in Berlin befindet, lag unser Augenmerk auf den nötigen Voraussetzungen, aber auch Hindernissen auf dem Weg zum Wohlstand. Waren es mehr endogene Faktoren wie die Schulbildung, Unterstützung durch Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Reichtum unter Migranten THEORETISCHE GRUNDLAGEN UND VORGEHEN 2. THEORETISCHE GRUNDLAGE: DIE ENTSOLIDARISIERUNGSHYPOTHESE Solidarität ist nach Friedhelm Hengsbach ein Steuerungsinstrument zum Ausgleich von Ungleichheiten innerhalb einer Gesellschaft. Es funktioniert, indem die weniger Schwachen für Schwächere einstehen und weniger Arme für die Ärmeren, und zwar jeweils entsprechend der eigenen Leistungsfähigkeit bzw. Bedürftigkeit (vgl. Hengsbach 2003, S. 2). Diese Solidarität wird nach Hengsbach jedoch im Zuge eines gesellschaftlichen und politischen Wandels zunehmend demontiert: Die Steuerung durch Solidarität, die den Wohlfahrtsstaat ausmacht, wird durch diejenige des Marktes ersetzt. Asymmetrische Einkommens- und Vermögensverteilungen werden dabei immer weniger korrigiert, da sowohl die ökonomischen als auch die politischen Eliten sich dieser Verantwortung entziehen. Auch die Versorgung der Bevölkerung wird ungleicher, da auf dem Markt nur gewinnbringende Versorgungsleistungen erbracht werden, so dass es zu einer wachsenden sozio-ökonomischen Polarisierung der Gesellschaft kommt (vgl. Häußermann 2002, S. 5). Lebensrisiken werden allgemein individualisiert und privatisiert (vgl. Hengsbach 2003, S. 4). Die Entsolidarisierung basiert somit auf einer abnehmenden Bereitschaft von Eliten, Verantwortung für ihr gesellschaftliches Umfeld zu übernehmen. Der Staat, der dieser Entwicklung entgegentreten könnte, hat sie vielmehr noch gefördert: Basierend auf der Schumpeter’schen Annahme, gesellschaftliches Wohlergehen über den Weg der Innovationsfähigkeit von Unternehmern, die wiederum von deren Gewinnen abhängig ist, zu erreichen, wurden bei Steuerreformen vor allem die oberen Einkommensschichten entlastet. Im Gegenzug ging man von einer erhöhten Investitionsbereitschaft der Begünstigten aus, so dass Arbeits- plätze, Kulturgüter und Wohltätigkeitseinrichtungen entstehen würden, was anschließend auch Angehörigen unterer Einkommensschichten zugute kommen sollte. Ob sich dieser Zusammenhang jedoch tatsächlich einstellt, ist nicht belegbar (vgl. Huster 2002, S. 102). Die Frage nach der Verantwortungsübernahme durch Eliten ist angesichts der Positionierung der Parteien für den Wahlkampf 2005 wieder sehr aktuell. Der Forderung nach einer Millionärssteuer auf der einen Seite steht die Sicht gegenüber, auf diese Weise bedeutsame Wirtschaftskräfte des Landes zu vergraulen. Außer Acht gelassen wird bei letzterer Sichtweise die Frage, ob die Eliten ihre Steuergeschenke denn tatsächlich in höhere Investitionen umsetzen oder sich dieser „Verantwortung“ entziehen, weil sich auch andere gewinnbringende Verwendungsmöglichkeiten dafür finden lassen – zumal dem Kapital im Zuge der Globalisierung und Kapitalmarktliberalisierung kaum noch Grenzen gesetzt sind. Die von Hengsbach aufgestellte Hypothese der Entsolidarisierung von Eliten soll für unser Thema „Reichtum unter Migranten“ zur Formulierung von Forschungsfragen dienen. Es soll überprüft werden, ob die für die deutsche Gesellschaft beschriebenen Annahmen auch auf Personen mit migrantischem Hintergrund übertragen werden können. 3. FORSCHUNGSFRAGEN Unsere erste Forschungsfrage befasst sich zunächst mit dem Motiv für die Unternehmensgründung. Zwar gehen wir davon aus, dass Reichtum nur über den Weg der Selbständigkeit erreicht werden kann, und so vermuten wir, dass auch türkischstämmige Berliner mit ihrer Unternehmensgründung das Ziel des Reichtumserwerbs verfolgen. Doch muss auch die Tatsache berücksichtigt werden, dass sich ein großer Teil von ihnen in einer ökonomischen Notlage befindet und das Unterneh- Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 83 Reichtum unter Migranten mertum daher auch als einziger Ausweg aus dieser Not verstanden werden kann (vgl. Pütz 2003, S. 29). Die erste Frage lautet daher: 1. Steht das Ziel, „reich zu werden“ für türkische Unternehmer bei ihrer Unternehmensgründung hinter dem vorrangigen Motiv, Arbeitslosigkeit zu vermeiden? Wie bereits erwähnt, wandten wir uns im Zuge der Änderung des inhaltlichen Schwerpunkts auf die Bedeutung und Auswirkung des Reichtums auch der Möglichkeit zu, Reichtum über soziales Kapital, also auf eine nicht-materielle Weise zu definieren, zu. Um zu erfahren, wie türkischstämmige Unternehmer diese Definition vornehmen, formulierten wir unsere zweite Forschungsfrage entsprechend: 2. Wie wird „Erfolg“ von türkischen Unternehmern definiert? Statt „Reichtum“ wählen wir den Begriff „Erfolg“, um die Möglichkeit, eine nicht-materielle Definition im Sinne sozialen Kapitals vorzunehmen, offen zu lassen. Im Zusammenhang mit der oben erläuterten Entsolidarisierungshypothese lautet unsere dritte Forschungsfrage: 3. Ist bei türkischen Unternehmern ein höheres Verantwortungsbewusstsein gegenüber ihrer gesellschaftlichen Umgebung vorhanden als bei Eliten in Deutschland insgesamt? Gemessen werden soll dies anhand des gesellschaftlichen und sozialen Engagements türkischer Unternehmer. Der Vergleich mit deutschen Eliten ist dabei jedoch nur theoretisch vornehmbar, da wir mit Vertretern dieser Gruppe keine Interviews geführt haben. Wir können uns daher nur auf die Literatur beziehen, in der wie oben beschrieben von mangelnder Verantwortung die Rede ist. Finden wir also türkische Unternehmer, die sich sozial engagieren und somit Verantwortung übernehmen, sehen wir dies als positive Antwort auf diese dritte Forschungsfrage. 4. ZUM METHODISCHEN VORGEHEN Wie eingangs bereits erwähnt, lässt sich „Reichtum unter Migranten“ in Berlin – zumindest in seiner rein materiellen Variante - aufgrund zu kleiner Stichprobengrößen nicht über quantitative statistische Methoden bearbeiten. Es stellte sich für uns daher lediglich die Frage, welche der vielen qualitativen Erhebungsmethoden für die empirische Überprüfung unserer Thesen am geeignetsten wäre. Zu Beginn unserer Überlegungen, als unser Ansatz sich wie oben beschrieben noch auf den Weg zum Erfolg (und somit auf andere Forschungsfragen) konzentrierte, entschieden wir uns für die Methode des Leitfadeninterviews. Auf entsprechende Weise führten wir unseren Pretest mit einem ungarischen Unternehmer durch. Aufgrund der Ergebnisse dieser Testphase nahmen wir jedoch die erwähnte Konzeptänderung vor, um uns eher auf die Bedeutung und Auswirkungen von Reichtum auf den Unternehmer zu konzentrieren. Zur Bearbeitung dieser veränderten Schwerpunktsetzung schien uns geeigneter, mittels biographisch-narrativer Interviews vorzugehen. In solch einem Interview wird der Gesprächspartner durch eine Erzählaufforderung dazu gebracht, einen bestimmten Abschnitt seines Lebens zu schildern. Aus dieser Erzählung, die gegebenenfalls durch Nachfragen ergänzt wird, lassen sich anschließend Antworten auf Fragen finden, die nicht explizit gestellt worden sind. Zu vermeiden sind dabei die sogenannten W-Fragen („Weshalb machten Sie damals…? Warum öffneten Sie diese Filiale?“), da diese meist mit Argumenten und Sichtweisen, die der Gesprächspartner zum heutigen Zeitpunkt vertritt, beantwortet werden. Im narrativen Interview geht es jedoch um die Einbettung von Geschehnissen in den Kontext der Lebensgeschichte, mit dem Ziel, Motive und Einschätzungen des Gesprächspartners ganzheitlich erfassen zu können (vgl. FischerRosenthal; Rosenthal 1997, S. 414). Zur Überprüfung unserer Thesen interessierte uns vor allem die Geschichte der Unternehmensgründung unserer 84 Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Gesprächspartner, die Motive dazu sowie die Auswirkungen, die sich daraus auf ihr Leben ergeben haben. Das Gespräch war daher in folgende Phasen zu gliedern: Einen weiteren Interviewtermin, ebenfalls mit einem TDU-Mitglied, bekamen wir zudem über private Kontakte übermittelt, so dass wir insgesamt vier Interviews durchführen konnten. 1. Die Erzählaufforderung: „Erzählen Sie uns doch einmal Ihre Lebensgeschichte von dem Zeitpunkt an, als Sie zum ersten Mal darüber nachdachten, ein Unternehmen zu gründen, bis zum heutigen Tag.“ Bei den Interviews selbst machte sich vor allem an den ersten beiden Terminen unsere Unerfahrenheit in der Gesprächsführung bemerkbar. So vereinbarten wir für das erste Gespräch als Treffpunkt ein Café, wo der Lautstärkepegel so hoch war, dass unser Aufnahmegerät nicht einsetzbar war. Zudem waren statt nur einem zeitweise drei Gesprächspartner anwesend, die durcheinander Antworten gaben. Es kristallisierte sich zwar ein Hauptgesprächspartner heraus, doch war es in dieser Situation besonders schwierig, das Gespräch in die gewünschte Richtung zu lenken. 2. Während der Haupterzählphase sollte nicht unterbrochen werden, stattdessen notiert man sich, in welchen Bereichen man anschließend noch einmal genauer nachfragen möchte. 3. Falls unser Gesprächspartner von selbst nichts dazu sagen würde, waren folgende Zusatzfragen vorgesehen: „Erzählen Sie uns doch einmal von einer Situation, in der Sie einen besonderen Erfolg verzeichnen konnten!“ Durch diese Formulierung wollten wir die Einstellungsfrage „Was ist Erfolg?“ vermeiden und diese Frage stattdessen durch eine Situationsschilderung beantworten lassen. 4. „Engagieren Sie sich privat oder im Rahmen des Unternehmens im gesellschaftlichen Bereich (sozial, für die Umwelt, im Bereich der Zivilgesellschaft…)? Erzählen Sie uns doch einmal, wie es dazu kam.“ 5. PROBLEME UND BESONDERHEITEN IN DER FELDPHASE Die ersten Probleme tauchten auf, als wir versuchten, potentielle Gesprächspartner ausfindig zu machen. Zwar hatten wir idealerweise den Kontakt zu einem wichtigen Ansprechpartner des TDU übermittelt bekommen, der uns eine Liste potentieller Interviewpartner geben wollte. Da sich diese Übermittlung jedoch sehr verzögerte, stand uns für die Feldphase schließlich nicht mehr viel Zeit zur Verfügung. Von den letztlich übermittelten zehn Kontakten erreichten wir nur die Hälfte, von denen zwei absagten. Drei waren jedoch sehr aufgeschlossen und sofort dazu bereit, einen Termin mit uns zu vereinbaren. Reichtum unter Migranten Ein ähnliches Problem stellte sich im zweiten Gespräch, als die Erzählaufforderung unglücklich formuliert wurde. Unser sehr engagierter Gesprächspartner berichtete daraufhin detailliert über die allgemeine Lage türkischer Unternehmer, über die er durch seine Tätigkeit einen guten Überblick hatte. Das Gespräch war dadurch nicht weniger interessant, nur trafen wir damit nicht ganz die Anforderungen für unsere Methode (nämlich seine persönliche Lebensgeschichte zu erfahren) und zudem wurde es schwieriger, seine Aussagen mit denen der anderen Unternehmer zu vergleichen. Auch gelang es nicht immer, sich an die Regel zu halten, keine W-Fragen zu stellen sowie nicht zu früh zu intervenieren. Einwandfreie biographisch-narrative Interviews, wie sie in der Literatur beschrieben sind, waren daher nur unsere beiden letzten Gespräche, in denen wir bereits mehr Übung hatten. Diese Erhebungsmethode war also in der Praxis weitaus schwieriger durchzuführen, als wir anfangs angenommen hatten. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 85 Reichtum unter Migranten ERGEBNISSE 6.1 DIE MOTIVE ZUR UNTERNEHMENSGRÜNDUNG In den Erzählungen über die Unternehmensgründung wurden folgende Motive erkennbar: Erstens war das Motiv zur Firmengründung ein lang gehegter Wunsch, sozusagen das Verwirklichen eines Kindheitstraumes. Auch Unzufriedenheit mit dem vorherigen Job wurde als Grund für den Schritt in die Selbständigkeit genannt. Die stabile wirtschaftliche Situation in den 1980er und 1990er Jahren bot dann die Möglichkeit, dieses Vorhaben Realität werden zu lassen. Durchaus kritisch sahen alle Gesprächspartner die gegenwärtige wirtschaftliche Lage. Neue Unternehmensgründungen seien heute weitaus schwieriger geworden. Reich könne man damit heut zutage nicht mehr werden, hieß es. Zweitens wurde das Interesse an finanziellem Erfolg als Beweggrund in den Vordergrund gestellt. Arbeiten müsse man in einem Angestelltenverhältnis auch sehr viel, also könne man auch gleich für sich selber viel arbeiten und dabei mehr verdienen. Ein dritter, nicht unwichtiger Punkt scheint uns die Verpflichtung gegenüber der Familie. Ein Interviewpartner stellte die Verantwortung, die er gegenüber seiner Familie, insbesondere seinen Eltern verspüre, als sehr wichtig heraus. Alle Gesprächspartner waren der Meinung, dass die Selbständigkeit im Laufe der letzten Jahre aber auch immer häufiger als Ausweg aus der Arbeitslosigkeit gewählt worden sei. Sie schätzten die Erfolgsaussichten für kleine Unternehmen jedoch als niedrig und ihre Zukunftsfähigkeit als wenig aussichtsreich ein. Für unsere unter Punkt 3 formulierte erste Forschungsfrage nach dem Motiv für die Wahl der Selbständigkeit lässt 86 sich somit festhalten, dass unsere Gesprächspartner weniger etwas vermeiden wollten (nämlich Arbeitslosigkeit) als vielmehr die Erreichung eines Ziels vor Augen hatten, welches sowohl materieller (finanzielle Verbesserung) als auch immaterieller Art (persönliche und familiäre Vorstellungen betreffend) sein konnte. Doch liegen diese Unternehmensgründungen bereits 10-20 Jahre zurück. Bei jüngeren Gründungen scheint die Vermeidung von Arbeitslosigkeit ein immer gewichtigeres Motiv zu werden. 6.2 DIE BEDEUTUNG VON „ERFOLG“ Die Definition von Erfolg wurde sehr unterschiedlich vorgenommen. Erstens wurde Erfolg einzig über die finanziellen Ergebnisse der Unternehmenstätigkeit definiert, konkret wurde die Verdopplung der Auftragssumme genannt. Zweitens war es vielmehr das Gefühl, etwas geschafft und aufgebaut zu haben, was als Erfolg bezeichnet wurde. Ein Gesprächspartner sagte, es mache ihn unheimlich stolz, eine ehemalige Arbeitnehmerfamilie zu einer Arbeitgeberfamilie gemacht zu haben. Hier steht also ein nicht-materielles Verständnis von Erfolg im Vordergrund, ähnlich wie auch bei der dritten Definition, nämlich anderen Unternehmern durch die eigene Beratungstätigkeit zu einer eigenständigen Existenz verholfen zu haben. Im vierten Fall wurde Erfolg als ein Zusammenspiel von materiellen und ideellen Werten verstanden: Anderen zu helfen mache glücklich und führe gleichzeitig auch zu ökonomischem Unternehmenserfolg. Nur einer unserer Gesprächspartner definierte Erfolg ausschließlich über finanzielle Größen, bei allen anderen spielten auch nicht-materielle Werte eine oder die ausschließliche Rolle. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 6.3 DAS VERANTWORTUNGSBEWUSSTSEIN TÜRKISCHSTÄMMIGER UNTERNEHMER Bezüglich dieser Frage erhielten wir ein sehr einheitliches Bild der Unternehmer, da sie alle gesellschaftlich engagiert sind. Ob als Präsident eines Fußballvereins, der soziale Projekte zur Bekämpfung der Jugendkriminalität initiiert, als Durchführender von Projekten zur Aufwertung des öffentlichen Raums oder als Mitglied in verschiedenen wirtschaftlichen Beiräten des Senats und Vorstand eines Unternehmerverbandes, der seine Mitglieder richtiggehend dazu erzieht, neue Ausbildungsplätze zu schaffen - Alle unsere Gesprächs- partner betrachteten es als nahezu selbstverständlich, sich für ihr Umfeld einzusetzen und in unterschiedlicher Weise in dessen Verbesserung zu investieren. Reichtum unter Migranten Eine Entsolidarisierung im Sinne der Nicht-Wahrnehmung von sozialer Verantwortung, wie sie für Unternehmer in Deutschland insgesamt angegeben wird, konnten wir nicht feststellen. Dies deutet darauf hin, dass türkischstämmige Unternehmer in Deutschland sich gegenüber anderen durch ein ausgeprägteres Verantwortungsbewusstsein unterscheiden. Dies sollte jedoch ebenso wie die Gründe hierfür in einer umfassenderen Untersuchung überprüft werden. FAZIT Während materieller Reichtum unter Migranten ein Randphänomen darstellt, konnten wir durch unsere empirische Untersuchung eine andere Art von Reichtum bei türkischstämmigen Unternehmern feststellen: Sie scheinen in beträchtlichem Maße über soziales Kapital zu verfügen, welches sich in gelebten gemeinsamen Werten, Netzwerken und Ressourcenverwertung widerspiegelt. Das hieraus resultierende Engagement für das eigene Umfeld spricht eindeutig gegen Entsolidarisierungstendenzen unter türkischstämmigen Unternehmern, wie sie für Eliten in Deutschland insgesamt postuliert werden. Am Verständnis der Unternehmer von „Erfolg“ wird deutlich, dass dieser zwar eng mit materiellen Werten zusammenhängt, jedoch nicht ausschließlich davon bestimmt wird. Im Umkehrschluss sind türkische Unternehmer auch in wirtschaftlich schlechten Zeiten nicht zwingend als erfolglos zu bezeichnen, selbst wenn finanzielle Ergebnisse wie Umsatz und Gewinn dies vermuten lassen würden. 8. LITERATUR Monographien & Zeitschriften Fischer-Rosenthal, Wolfram; Rosenthal, Gabriele (1997): Warum Biographieanalyse und wie man sie macht. In: Zeitschrift für Sozialisationsforschung und Erziehungssoziologie, Jg. 17, H. 4, S. 405-427 Huster, Ernst-Ulrich (2002): Reich – schön – gut, in: Huster, Ernst-Ulrich; Volz, Fritz Rüdiger (Hrsg.): Theorien des Reichtums. Hamburg Kley, Stefanie (2004): Migration und Sozialstruktur. EU-Bürger, Drittstaater und Eingebürgerte in Deutschland. Berlin Pütz, Robert (2003): Unternehmer türkischer Herkunft in Deutschland. „Gründungsboom“ aus makroanalytischer Perspektive, das Beispiel Berlin. In: Geographische Rundschau 55 (2003) 4, S. 26-31 Seifert, Wolfgang; Bender, Stefan (2000): Zur beruflichen und sozialen Integration der in Deutschland lebenden Ausländer. In: Alba, Richard et al.: Deutsche und Ausländer: Fremde, Freunde, Feinde? Wiesbaden, S. 55-92 Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 87 Uchatius, Wolfgang (2004): Wo stehen die Reichen? In: Die Zeit, Nr. 40/2004 Weltbank (Hrsg., 2003): Weltentwicklungsbericht 2003: Nachhaltige Entwicklung in einer dynamischen Welt: Institutionen, Wachstum und Lebensqualität verbessern. Washington Internet Häußermann, Hartmut; Siebel, Walter (2001): Soziale Integration und ethnische Schichtung: Zusammenhänge zwischen räumlicher und sozialer Integration, in: www.schaderstiftung.de/docs/haeussermann_siebel_gutachten.pdf 88 Häußermann, Hartmut (Hrsg.) (2002): Soziale Ungleichheit und politische Integration: Vier Berliner Quartiere im Vergleich. Ergebnisbericht eines Projektseminars am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin, in: www2.rz.hu-berlin.de/stadtsoz/lehre/ Lehrforschungsprojekte/Soziale%20Un gleichheit%20pol.%20Integration.pdf Hengsbach, Friedhelm (2003): Solidarität schmilzt nicht von selbst. – Wird sie fahrlässig demontiert?, in: www.flegel-g.de/hengsbach_ fundam.html Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin ARBEITSBERICHTE Geographisches฀Institut,฀Humboldt-Universität฀zu฀Berlin ISSN 0947 - 0360 Heft 96 H. Schröder, E. Neubarth und H. Munack (Hrsg.): Kasachstan. Die südöstliche Region. Bericht zur Hauptexkursion 2003. Berlin 2004 Heft 97 M. Schulz (Hrsg.): Geographische Exkursionen in Berlin. Teil 2. Berlin 2004 Heft 98 S. Kinder und J. Korn (Hrsg.): Polen. Bericht zur wirtschaftsgeographischen Hauptexkursion 2003. Berlin 2004 Heft 99 N. Lanfer (Hrsg.): Stadtklimatische Untersuchungen im Südosten Berlins. Ergebnisse eines Projektseminars. Berlin 2004 Heft 100 H.-D. Schultz (Hrsg.): ¿Geographie? Teil 3 (Ergänzungsband zu Heft 88 und 89): Antworten vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Berlin 2004 Heft 101 N. Zahnen und W. Endlicher (Hrsg.): Spanien – Bericht zur Hauptexkursion 2003. Berlin 2004 Heft 102 L.฀Ellenberg (Hrsg.): Die Oder. Ergebnisse eines Oberseminars. Berlin 2004 Heft 103 T. Becker: Nutzungskonflikte auf Binnenwasserstraßen. Landschaftsökologische und sozialgeographische Aspekte einer Fahrrinne auf dem Gr. Müggelsee (Berlin). Berlin 2005 Heft 104 T. Luley und C. Nobis (Hrsg.): Mobilitätsforschung: Fragestellungen und empirische Analysen von Mobilitätsdaten. Ergebnisse eines Projektseminars zum Mobilitätsverhalten der Berliner Bevölkerung. Berlin 2005 Heft 105 A.฀Hoorn: Die deutsch-polnische Grenze: Grenz(er)leben und Zukunftsperspektiven von Jugendlichen in Guben – Gubin. A. Nieszery: Projekt solidarische Stadt. Das französische Gesetz der städtischen Solidarität und Erneuerung als Strategie gegen die sozialräumliche Spaltung der Stadt. Berlin 2005 Heft 106 S. Kinder und E. Kulke (Hrsg.): Südostasien. Bericht zur wirtschaftsgeographischen Hauptexkursion 2004. Berlin 2005 Heft 107 K. Rehak: Morphometrische Analyse eines aktiven Kontinentalrandes – Cordillera de Nahuelbuta (Chile) -. Berlin 2005 Heft 108 H. Schröder, W. Raschke & C. Kliche (Hrsg.): Mecklenburg-Vorpommern. Bericht zur Exkursion 2004. Berlin 2005 Heft 109 U. Eidam & J. Böhner฀ (Hrsg.): Relief, Klima, Landschaft: Methoden der Generierung, Darstellung und Vermittlung komplexer Zusammenhänge im Hochgebirge. Berlin 2005 Heft 110 T. Bürk-Matsunami u.a. (Hrsg.): Sozialgeographien des Reichtums in Berlin. Ergebnisse eines Projektseminars. Berlin 2005