Institut für Geschichte
SE 505.143 (Archive 2.0)
WS 2013/14
Die Langzeitarchivierung von digitalem Archivgut
Seminararbeit
Elmar Chr. Harjung
1013034
Leitung:
Univ.-Prof. Dr. phil. Ingo Kropač
Dr. phil. Matthias Perstling
17. März 2014
SE 505.143
Langzeitarchivierung von digitalem Archivgut
WS 2013/14
Inhalt
1 Einführung
2
2 Begriffsbestimmung und Problematik
3
2.1
Was verstehen wir unter der Archivierung digitaler Objekte? . . . . . . .
3
2.2
Weshalb ist die digitale Langzeitarchivierung notwendig? . . . . . . . . . .
5
3 Das OAIS-Referenzmodell
7
4 Problemfälle und derzeitige Lösungsansätze
9
4.1
Daten und Dateiformate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
4.2
Metadaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
5 Digitale Erhaltungsstrategien
12
5.1
Hardcopy Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
5.2
Hardwaremuseum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
5.3
Migration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
5.4
Emulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
6 Verwendete Literatur
15
1
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1 Einführung
Wie in vielleicht keinem anderen Bereich des alltäglichen Lebens wird man sich als Individuum durch die sich rasant verändernde Computertechnologie bewusst, wie vergänglich
alles Sichtbare ist.1 Disketten (3,5 Zoll, FAT-Dateisystem), mit denen man noch vor
20 Jahren gearbeitet hat, sind heute im Normalfall nicht mehr lesbar. Es sei denn man
hat entweder Zugriff auf einen älteren Rechner, der noch ein zum Auslesen benötigtes
Diskettenlaufwerk eingebaut hat, oder auf ein externes Diskettenlaufwerk, das über die
USB-Schnittstelle an einen heutigen Rechner angeschlossen werden kann. Und selbst wenn
das der Fall ist, sind die darauf gespeicherten Daten durch Alterungsschäden vielleicht
nur partiell oder gar nicht mehr lesbar, da durch äußere Einflüsse wie UV-Strahlung,
Staub, Feuchtigkeit, ein Magnetfeld u. a. die Bitfolge auf dem Datenträger unterbrochen
worden bzw. nicht lesbar ist. Sollte man in der glücklichen Lage sein, einen unversehrten
Datenträger auslesen und seinen Inhalt auf einen gängigen (Festplattenlaufwerk) kopieren zu können, so garantiert dies nicht die Interpretierbarkeit der darauf gespeicherten
Dateien. Ist es beispielsweise gelungen, eine Microsoft Word-Datei aus dem Jahr 1993
(Word 6) verlustfrei auf eine Festplatte zu spielen, so kann sie mit einer rezenten Version
von Microsoft Word nicht mehr geöffnet werden (von OpenOffice paradoxerweise jedoch
schon),2 ist mit dieser inkompatibel. Zwar ist möglicherweise der Text in einem einfachen
Texteditor lesbar – vorausgesetzt, er versteht die verwendete Zeichencodierung –, jedoch
unter Verlust jeglicher Formatierung.3
Ausgehend von diesem simplen Problem des Alltags ist in dieser Arbeit der Versuch
unternommen worden, möglichst einen Überblick über das komplexe Gebiet der digitalen
Langzeitarchivierung zu geben (unter Ausklammerung einer Definition von ‚digitalem
Archivgut‘, das vereinfacht als ‚digitale Objekte‘4 behandelt wird). Dass dies in der Kürze
der Arbeit nur sehr eingeschränkt möglich ist, dürfte jedem, der sich ein wenig mit der
1 Für eine Zeitleiste der veralteten Medienformate, die zeigt wie rasant in diesem Bereich neue Technologien erstellt und verworfen werden, siehe bspw. die ‚Chamber of Horrors‘ http://dpworkshop.org/dpmeng/oldmedia/chamber.html [Abruf: 17.03.2014] als Teil des ‚English Tutorials‘ für ‚Digital Preservation
Management‘ der Cornell University, die zeigt wie rapide neue Technologien ältere ablösen. Schon vor 2 000
Jahren war man sich der Vergänglichkeit alles Sichtbaren u. a. durch Rost, Motten und Diebe bewusst
(siehe etwa Mt. 6:19; 2 Kor. 4:18). Zur Vorstellung eines berühmten englischen Dichters zum „gedruckten
Wort“ in einem Gedicht, verglichen mit dessen ‚upgedateten‘ Version siehe „Figure 1: Shakespeare’s
immortal Sonnet 18 and its digital equivalent“ in Rothenberg, Jeff: Ensuring the Longevity of Digital
Information, S. 3.
2 Zumindest Bárány zufolge: Bárány, Balázs: Informationsverlust durch die Digitalisierung, S. 11.
3 Vergleiche diese Ausgangssituation als Herausforderung in: Altenhöner, Reinhard: kopal – ein
kooperatives Archivsystem für die Langzeitarchivierung digitaler Objekte, S. 307.
4 Für Scheffel fallen alle „digitalen Objekte“ unter die „archivwürdigen Unterlagen“ (Scheffel, Regine:
State of the Art. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 2:2).
2
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Langzeitarchivierung digitaler Daten beschäftigt hat, bewusst sein. Die Arbeit quasi
„barely scratches the surface“.
Obwohl aufgrund der Vielschichtigkeit der Problematik neben technischen Verfahren
auch organisatorische und rechtliche Probleme zu lösen sind, liegt der Fokus dieser Arbeit
im technischen Bereich. Soziale und finanzielle Aspekte werden nicht berücksichtigt.
Vorangestellt sei, dass obwohl ein großer Teil des aktuellen Kulturgutes in Form digitaler
Dokumente entsteht, „die langfristige, verfälschungsfreie Erhaltung und Wiedergabe ein
noch nicht befriedigend5 gelöstes Informatik-Problem [ist].“6
2 Begriffsbestimmung und Problematik
2.1 Was verstehen wir unter der Archivierung digitaler Objekte?
Zunächst erscheint es wichtig zu betonen, dass der Begriff ‚Archivierung‘ nicht mit ‚Backup‘
gleichzusetzen ist, wie im allgemeinen Sprachgebrauch üblich. Es handelt sich bei der
digitalen Langzeitarchivierung7 (engl. ‚digital long-term preservation‘) nicht lediglich
um die Datensicherung, die Umkopierung der Bitströme8 von einem Speichermedium
zu einem anderen ohne jegliche Formatkonversion. Anders als bei der Archivierung im
analogen Umfeld zieht die dauerhafte Aufbewahrung von ‚digitalen Objekten‘9 nicht
auch deren dauerhafte Zugänglichkeit nach sich.10 Im Gegensatz zur Stele des Codex
Hammurapi auf Stein, die etwa 3 800 Jahre alt ist, und die nicht nur gelesen, sondern auch
übersetzt und interpretiert werden kann,11 oder dem Stein von Rosette, kann dies eine
Datei aus dem Jahr 1980, wenn überhaupt, nur mit erheblichem technischen Aufwand.
Es reicht nicht aus das digitale Objekt wie in einem Tresor zur sicheren Lagerung zu
5 Für Anforderungen an „die Ideallösung“ siehe Ohme, Sebastian: Konzeption von Dokumentenservern
für Digitale Bibliotheken im Hinblick auf Langzeitarchivierung und Retrieval, S. 42–43.
6 Borghoff, Uwe / Rödig, Peter (u. a.): Langzeitarchivierung, S. 489.
7 „Der Begriff Langzeitarchivierung ist im Prinzip ein Pleonasmus, da Archivierung den Langzeitaspekt
bereits impliziert“ (Wikipedia, Elektronische Archivierung).
8 Für den binären Aufbau eines „bit streams“ und das zu dessen Interpretation notwendige Wissen –
er kann sich nicht völlig selbst erklären – siehe Rothenberg, Jeff: Ensuring the Longevity of Digital
Information, S. 2–8, 16.
9 Für eine Beschreibung eines digitalen Objekts, das keinesfalls mit ‚Datei‘ gleichzusetzen ist, siehe
von Suchodoletz, Dirk: Funktionale Langzeitarchivierung digitaler Objekte, Kapitel 2.3. Ein digitales
Objekt kann eine Datei in einem spezifischen Dateiformat sein (Word-Dokument, PDF-Datei), aber auch
ein komplexeres Objekt (Anwendungsprogramme, komplette Internetseite, durchsuchbare Datenbank
oder gar ein Betriebssystem). (Funk, Stefan E.: Digitale Objekte und Formate. In: Neuroth, Heike /
Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 7:3).
10 Vgl. Brübach, Nils: Das Referenzmodell OAIS. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.):
nestor Handbuch, Kap. 4:4.
11 Vgl. Bárány, Balázs: Informationsverlust durch die Digitalisierung, S. 54.
3
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hinterlegen. Es muss permanent dem ‚State of the Art‘ angepasst, also gewartet werden. So
schließt die Langzeitarchivierung „die Erhaltung der dauerhaften Verfügbarkeit und damit
eine Nachnutzung und Interpretierbarkeit der digitalen Ressourcen mit ein“12 . Digitale
Daten sind uns nur mittelbar zugänglich. Ohne die Hilfe von Maschinen (Hardware),
Tools (Software) und Fachwissen sind die Daten für uns nutzlos.13 Eine Datei ist an
sich beispielsweise kein Schriftstück, es beschreibt bzw. repräsentiert 14 lediglich ein
Schriftstück das nur dann existiert, wenn die Datei von dem Programm, das sie erstellt
hat, ausgeführt oder von einem die Datei ‚verstehenden‘ Programm ausgelesen wird.15
Von welchem Zeitraum sprechen wir, wenn wir über ‚Langzeit‘-Archivierung reden?
Die Beobachtung, dass zwar einerseits „digitale Information“ aufgrund ihrer Reproduzierbarkeit theoretisch unverwundbar für die Zeichen der Zeit ist, andererseits es die sie
enthaltenden Speichermedien aber nicht sind, lässt den Computerwissenschaftler Jeff
Rothenberg seinen viel zitierten Satz schreiben: „Digital information lasts forever—or five
years, whichever comes first!“16 Im Terminologieverzeichnis des Referenzmodells OAIS
wird Langzeit definiert als: „This period extends into the indefinite future“.17 Liegmann
und Neuroth definieren ihn folgendermaßen:
,Langzeit‘ ist die Umschreibung eines nicht näher fixierten Zeitraumes, währenddessen
wesentliche, nicht vorhersehbare technologische und soziokulturelle Veränderungen eintreten;
Veränderungen, die sowohl die Gestalt als auch die Nutzungssituation digitaler Ressourcen
in rasanten Entwicklungszyklen vollständig umwälzen können.18
Wie Zifko in ihrer Diplomarbeit schreibt, ist im digitalen Bereich „ewiges Bewahren
eines Originals in bester Qualität [. . .] bis dato Utopie“19 , was selbstverständlich gleichfalls
für analoge Medien wie Steintafeln, Papyrusrollen, Pergamentcodices, oder auf keine
Säure enthaltendem Papier gedruckte Bücher gilt. Was hiermit gemeint sein dürfte ist –
Zifko ergänzt den soeben zitierten Satz digitale Objekte betreffend „[. . .] realisiert ist ihr
Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 1:3.
Vgl. Rothenberg, Jeff: Ensuring the Longevity of Digital Information, S. 2.
14 „[Ein digitales Objekt] liegt üblicherweise in Form einer Datei als abgegrenzte Menge digitaler Daten
auf Datenträgern vor. Bei Daten handelt es sich um machinenles- [sic!] und bearbeitbare Repräsentationen
von Informationen.“ (von Suchodoletz, Dirk: Funktionale Langzeitarchivierung digitaler Objekte, S.
247).
15 Vgl. Rothenberg, Jeff: Ensuring the Longevity of Digital Information, S. 10.
16 Ebda, S. 2.
17 CCSDS: Reference Model for an Open Archival Information System (OAIS), S. 1-12, vgl. S. 1-1.
18 Liegmann, Hans / Neuroth, Heike: Einführung. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a.,
Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 1:2. Hervorhebung hinzugefügt.
19 Zifko, Theresa Elisabeth: Retrospektive Digitalisierung und Verlinkung digitaler Kulturdokumente
gezeigt am ersten Band des ersten Regensburger Urkundenbuchs, S. 47.
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zumindest zehn-jähriges Fortbestehen“20 –, dass diese vergleichsweise „ewig“ haltbar,
lesbar und interpretierbar bleiben.
An dieser Stelle noch ein paar wenige Gedanken zu digitalen Daten: Im Vergleich zu
herkömmlichen Medien (Bücher, Gemälde etc.) sind digitale Daten höchst empfindlich. Im
Gegensatz zu Schäden an analogen Medien wie eingerissene Buchseiten, können kleinste
Informationsverluste (bspw. auf einer CD durch Kratzer direkt auf der Datenträgerschicht) dazu führen, dass die gespeicherte Information unbrauchbar ist. Andererseits
haben digitale Daten den Vorteil, dass sie beliebig oft ohne Informationsverluste kopiert
werden können. Jedoch können sie leicht manipuliert werden (Textdokument umschreiben,
Digitalbild retuschieren). Besondere Maßnahmen zur Sicherstellung der Authentizität
müssen getroffen werden.21
2.2 Weshalb ist die digitale Langzeitarchivierung notwendig?
Der Mensch sollte bekanntlich aus seinen Fehlern schlau werden (obgleich seine Geschichte dies nicht zu zeigen scheint)22 . Zusätzlich zu dem in der Einführung genannten
fiktiven Beispiel, sollen zwei weitere aus einem Bericht der Research Libraries Group
die Gefahr23 veranschaulichen, wertvolles ‚kulturelles Gedächtnisgut‘ (cultural memories), durch das sich ständig ändernde technische Umfeld in seiner digitalen Form und
damit – wenn es nicht zuvor rechtzeitig in analoge Form übergeführt worden ist oder
Langzeitarchivierungsmaßnahmen getroffen werden – ganz zu verlieren:
Als man sich 1976 des historischen Werts der US-Volkszählungsdaten von 1960 bewusst
wurde, war das zur Speicherung der Daten verwendete Bandlaufwerk veraltet. Es kostete
viel Aufwand – weltweit sollen zu dieser Zeit nur noch zwei Maschinen zum Lesen der
Bänder einsatzbereit gewesen sein24 – und die Migration auf Bänder mit geltendem
Industriestandard dauerte bis 1979. Von den ungefähr 1,5 Millionen Datensätzen konnten
Zehntausend nicht wiederhergestellt werden.
In den späten 1960ern wurde im Zuge des LUNR-Projekts (Land Use and Natural Resources Inventory Project) eine computergestützte Landkarte erstellt, die Flächennutzung
und natürliche Ressourcen des US-Bundesstaates New York verzeichnete. Sie wurde für
20 Zifko, Theresa Elisabeth: Retrospektive Digitalisierung und Verlinkung digitaler Kulturdokumente
gezeigt am ersten Band des ersten Regensburger Urkundenbuchs, S. 47.
21 Vgl. nestor: Langzeiterhaltung digitaler Daten in Museen. Tipps zur dauerhaften Bewahrung digitaler
Daten.
22 Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) soll gesagt haben: „The only thing we learn from history
is that people learn nothing from history“.
23 Einzelne Autoren sprechen von ‚digitalem Alzheimer‘ oder einem ‚digitalen dunklen Mittelalter‘
(Bárány, Balázs: Informationsverlust durch die Digitalisierung, S. 4).
24 Vgl. Committee on the Records of Government: Report, S. 9.
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umfangreiche Studien zur Landnutzung unter anderem für die Stadtplanung in dem dafür
eigens entwickelten Geografischen Informationssystem dargestellt. Als in der Mitte der
1980er Jahre die New Yorker Staatsarchive Kopien der Bänder mit den Luftaufnahmen
des LUNR-Projekts erhielten, waren die auftretenden Probleme unüberwindbar. Das
LUNR-Projekt hatte spezialisierte Computerprogramme verwendet, um die Daten darzustellen und sie zu analysieren. Jedoch waren diese Programme nicht gemeinsam mit den
Daten abgespeichert. Selbst wenn die Software zurückgehalten worden wäre, waren doch
die zum Betrieb notwendige Hardware und das Betriebssystem nicht länger vorhanden.
So sind Forscher auf diesem Gebiet auf Hardcopies (soweit vorhanden) angewiesen.25
Weiters sei noch der sogenannte ‚NASA-Effekt‘ erwähnt: Teilweise wegen mangelnder
Zuordnung zu den jeweiligen Weltraummissionen und Projekten – die verwendeten
Magnetbänder waren nicht oder nur notdürftig beschriftet26 – waren Mitte der 1990er
Jahre mehr als 1,2 Millionen Magnetbänder mit Daten aus 30 Jahren Raumfahrt nicht
mehr benutzbar.27
Derartige Manifestationen des ‚digitalen Vergessens‘ haben zu einem Umdenken geführt.
Durch das Bewusstsein der Problematik28 hat es seit Mitte der 1990er Jahre erhebliche
Bemühungen auf nationaler und internationaler Ebene gegeben, praktisch einsetzbare
Verfahren zu finden und zu erproben.29 Ein Meilenstein dieser Bemühungen ist das als
ISO-Norm 14721:2003 veröffentlichte Referenzmodell für ‚Open Archival Information
Systems‘ (OAIS), das sich zunehmender Akzeptanz erfreut und auf das weiter unten noch
eingegangen wird.30 Auch haben sich Organisationen herausgebildet, die sich speziell mit
den Aspekten der digitalen Langzeitarchivierung auseinandersetzen. Im deutschsprachigen
Bereich sei hier das 2003 als Projekt gestartete Kompetenznetzwerk nestor (Network of
Expertise in long-term Storage and availability of digital Resources in Germany) im Zuge
25 Vgl. Preserving Digital Information. Report of the Task Force on Archiving of Digital Information, S.
2–3.
26 Vgl. Ohme, Sebastian: Konzeption von Dokumentenservern für Digitale Bibliotheken im Hinblick auf
Langzeitarchivierung und Retrieval, S. 4.
27 Vgl. Payer, Margarete: Unterlagen zum Modul Digitale Bibliothek. Langzeitarchivierung,
http://www.payer.de/digitalebibliothek/digbib02.htm [Abruf: 17.03.2014].
28 Bárány schreibt die „wissenschaftliche Öffentlichkeit“ sei „erstmals 1995 durch den Artikel ‚Ensuring
the Longevity of Digital Documents‘“ vom Computerwissenschaftler Jeff Rothenberg in der populärwissenschaftlichen Zeitschrift ‚Scientific American‘ auf das Problem aufmerksam gemacht worden (Bárány,
Balázs: Informationsverlust durch die Digitalisierung, S. 4), dessen erweiterte Version von 1999 in der vorliegenden Arbeit verwendet wird. „In Deutschland wurde die Problematik ‚digitale Langzeitarchivierung‘
zum ersten Mal“ im selben Jahr „in einem Positionspapier ‚Elektronische Publikationen‘ der Deutschen
Forschungsgemeinschaft (DFG) aufgegriffen“ (Scheffel, Regine: State of the Art. In: Neuroth, Heike /
Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 2:3).
29 So wurde u. a. 1994 die ‚Task Force on Archiving of Digital Information‘ ins Leben gerufen (Kargl,
Carina: Der Geschichte ein Gesicht geben, S. 21).
30 Vgl. Borghoff, Uwe / Rödig, Peter (u. a.): Langzeitarchivierung, S. 490.
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der Entwicklung einer nationalen Langzeitarchivierungs-Policy31 Deutschlands erwähnt,
das „ein[en] Kooperationsverbund mit Partnern aus verschiedenen Bereichen [darstellt],
die alle mit dem Thema ‚Digitale Langzeitarchivierung‘ zu tun haben.“32
Die UNESCO hat während ihrer 32. Generalkonferenz (2003) eine ‚Charta zur Bewahrung des digitalen Kulturerbes‘ verfasst, in deren Präambel anerkannt wird, dass
„das Welterbe an Büchern, Kunstwerken und Denkmälern der Geschichte und Wissenschaft“ zunehmend in digitaler Form produziert, verbreitet, genutzt und erhalten wird.
Damit entstehe ein „neues Vermächtnis“, genannt das „digitale Erbe“33 . Im 4. Artikel
wird von einer „akuten Bedrohung“ des digitalen Kulturerbes gesprochen und damit
zusammenhängend „Handlungsbedarf“ festgestellt. So solle in der Archivgesetzgebung
auch das digitale Erbe enthalten sein (Art. 8).34 Aber nicht nur Archive, generell die
Gedächtnisinstitutionen (Archiv, Bibliothek, Museum etc.), deren Ziel „die Erhaltung
von als wertvoll erachteten Objekten und Informationen für die nächsten Generationen“35
ist, sollten das ‚digitale Kulturerbe‘ in ihre Bewahrung mit einschließen.
3 Das OAIS-Referenzmodell
Wer sich mit der digitalen Langzeitarchivierung beschäftigt, kommt an dem Referenzmodell OAIS nicht herum. Es wurde, nachdem es 1999 erstmals als vollständige Textfassung
vorgelegt wurde36 , 2002 von der ‚Data Archiving and Ingest Working Group‘ des CCSDS
(Consultative Committee for Space Data Systems) unter Federführung der NASA (National Aeronautics and Space Administration)veröffentlicht. Obgleich das Modell relativ
rasch Akzeptanz erfahren hat – vermutlich da es für die Praxis entworfen und die Frage
nach der Anwendbarkeit vorab an konkreten Anwendungsfällen mit einbezogen worden
„Bei einer Preservation Policy handelt es sich um den Plan zur Bestandserhaltung. Im Gegensatz
zu einer Strategie, die festlegt, wie die Erhaltung erfolgen soll, wird von der Policy festgelegt, was und
warum etwas für wie lange erhalten werden soll. Die Preservation Policy ist also notwendige Grundlage für
jede Preservation Strategie.“ (Strathmann, Stefan: Rahmenbedingungen für die LZA digitaler Objekte.
In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 3:1–3:2). Ein Beispiel für
eine solche Policy ist die unten genannte UNESCO-Charta.
32 nestor-Website, http://www.langzeitarchivierung.de/Subsites/nestor/DE/Home/home_node.html.
Siehe auch die nestor-Informationsdatenbank: http://indi.langzeitarchivierung.de/nestor_on/index.php.
Für weitere Projekte auf deutscher und internationaler Ebene siehe von Suchodoletz, Dirk: Funktionale
Langzeitarchivierung digitaler Objekte, S. 30–37.
33 Dieses schließt neben Textdokumenten auch „Multimediadokumente und andere interaktive Formen
wie Spreadsheets, Simulationen, evtl. sogar Computerspiele u.Ä.“ mit ein (Borghoff, Uwe / Rödig,
Peter (u. a.): Langzeitarchivierung, S. 491).
34 Vgl. UNESCO: Charta zur Bewahrung des digitalen Kulturerbes, S. 2–3.
35 Steiner, Elisabeth: Kulturelles Erbe virtuell repräsentiert, S. 8.
36 Vgl. Brübach, Nils: Das Referenzmodell OAIS. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.):
nestor Handbuch, Kap. 4:4.
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ist37 – findet in den letzten Jahren verstärkt eine Diskussion zur Überarbeitung des
Modells statt.38 Was ist unter einem ‚Open Archival Information System‘ zu verstehen:
An Archive, consisting of an organization, which may be part of a larger organization, of
people and systems, that has accepted the responsibility to preserve information and make
it available for a Designated Community.39
Das OAIS versteht sich als ein offener Standard, der den Anspruch der Allgemeingültigkeit verfolgt. So verzichtet es auf eine Beschränkung auf bestimmte Datentypen,
Datenformate oder Systemarchitekturen und will anwendungsfähig und skalierbar sein
für eine Vielzahl bestimmter Institutionen.40 Das OAIS berücksichtigt Bestehendes. Es
geht von den klassischen archivischen Arbeitsfeldern, Erfassen, Aussondern, Bewerten,
Übernehmen, Erschließen, Erhalten und Zugänglichmachen aus, aber definiert sie für
die Bedürfnisse digitaler Archivierung neu. So erhebt es den Anspruch, auf jedes Archiv
anwendbar zu sein.41 Als Hauptkomponenten des OAIS werden der Archivar und der
Nutzer gesehen, denn Archivierung ist nicht an Maschinen delegierbar. Es werden verschiedene Nutzergruppen (Designated Communities) unterschieden, die unterschiedliche
Anforderungen an das Archiv haben und haben werden. Damit sind Anforderungen der
Zukunft, die für die heutige Entwicklergeneration nicht voraussehbar sind, gewährleistet.42
Im Folgenden eine Kurzbeschreibung des Funktionsmodells.43 Das OAIS unterscheidet
zwischen drei Informationsobjekten.
1. den vom Archiv übernommenen digitalen Unterlagen, SIPs (Submission Information
Packages)
2. dieselben angereichert mit Metainformationen und umgeformt zu AIPs (Archival
Information Packages), die langfristig aufbewahrt werden
3. den aus den AIPs für bestimmte Nutzergruppen, die rechtlichen Bedürfnisse einhaltenden, generierten DIPs (Dissemination Information Packages).44
37 Vgl. Brübach, Nils: Das Referenzmodell OAIS. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.):
nestor Handbuch, Kap. 4:3.
38 Vgl. Oßwald, Achim: Einführung. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor
Handbuch, Kap. 4:1–4:2.
39 CCSDS: Reference Model for an Open Archival Information System (OAIS), S. 1-13.
40 Vgl. Brübach, Nils: Das Referenzmodell OAIS. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.):
nestor Handbuch, Kap. 4:5.
41 Vgl. ebda, Kap. 4:7.
42 Vgl. Ebda, Kap. 4:6.
43 Für die schematische Darstellung der „OAIS Functional Entities“ siehe CCSDS: Reference Model for
an Open Archival Information System (OAIS), S. 4-1.
44 Vgl. Brübach, Nils: Das Referenzmodell OAIS. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.):
nestor Handbuch, Kap. 4:7.
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Sechs Aufgabenbereiche werden im Rahmen des OAIS beschrieben:
(1) Ingest: Es geht um die Übernahme des digitalen Archivguts, das in Folge einer
Qualitätssicherungs-Prüfung unterzogen wird (Lesbarkeit, Verständlichkeit, korrekter
Kontext) und in AIPs, die mit den Formaten und Standards des jeweils aufbewahrenden
Archivs übereinstimmen, umgewandelt wird. (2) Archival Storage: Es umfasst den digitalen Speicher, seine Organisation und seinen Aufbau. Hier werden die AIPs in Empfang
genommen, eingelagert und regelmäßig gewartet während ihre Wiederauffindbarkeit überprüft wird. Die zur Speicherung verwendeten Datenträger werden regelmäßig ‚refresht‘,
die Daten redundant abgespeichert. (3) Datenmanagement: Die Verzeichnisinformationen werden gewartet, zugänglich gemacht und kontinuierlich ergänzt und aufbereitet.
(4) Management: Es geht um die Regelungen zur Zuständigkeit für die Arbeitsvorgänge
im Archivsystem, dass, was automatisierbar ist, wird von den Vorgängen getrennt, die
von Menschen erledigt werden müssen. Auch die Qualitätssicherung, das Aushandeln
von Verträgen zur Übergabe und Nutzung und die Prüfung der Informationspakete ist
hier eingeordnet. (5) Preservation Planning: die Sicherstellung des Informationszugangs
in Gegenwart und Zukunft. Es werden Empfehlungen abgegeben, in welchen Zeitzyklen
Updates und die Migration in ein neues Standardformat zu erfolgen hat, was eine ständige Überwachung der Veränderung der Technologie und der Nutzungsgewohnheiten
der Benutzer mit einschließt. (6) Access: der Benutzer wird beim Auffinden der entsprechenden elektronischen Informationen unterstützt, Anfragen werden entgegengenommen,
Zugangsberechtigungen koordiniert, DIPs generiert und verteilt.45
4 Problemfälle und derzeitige Lösungsansätze
Bárány stellt in seiner Diplomarbeit das Buch der Diskette gegenüber und stellt fest, dass
ein hundert Jahre altes Buch ohne Probleme gelesen werden kann, eine zehnmal jüngere
Diskette hingegen nicht. Als Schwierigkeiten, ein „altes digitales Originaldokument“ zu
lesen, zählt er auf, dass: (1) der Datenträger noch in einem lesbaren Zustand sein muss
(2) die passende Hardware in funktionsfähigem Zustand inklusive Schnittstelle zu einem
funktionierenden Computer (3) die kleinste adressierbare Datenmenge eines bestimmten
technischen Systems anders sein kann, bspw. 1 Byte = 7 Bit anstatt der heute üblichen
8 Bit (4) das Dateisystem interpretiert werden können muss, weiters (5) die Eruierung
des Formats – welches bei einer „komplett unbekannten Datei [. . .] extrem aufwendig oder
unmöglich sein“ könne –, die Kodierung der Datei bekannt sein müsse usw.46
Vgl. Brübach, Nils: Das Referenzmodell OAIS. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.):
nestor Handbuch, Kap. 4:9–4:12.
46 Vgl. Bárány, Balázs: Informationsverlust durch die Digitalisierung, S. 9–13.
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4.1 Daten und Dateiformate
Vorangestellt sei, dass Formate ein wesentlicher Faktor für die Gefahr des technologischen
Veraltens digitaler Informationen sind. Um noch einmal kurz auf die Bezeichnung eines
digitalen Objekts einzugehen: „all das kann als ein digitales Objekt bezeichnet werden,
das mit Hilfe eines Computers gespeichert und verarbeitet werden kann.“47 Es kann auf
drei Ebenen beschrieben werden: (1) als physisches Objekt: die Menge der Zeichen, die auf
einem Informationsträger gespeichert sind, quasi die rohe Manifestation der Daten auf
dem Speichermedium. Die Art und Weise der physischen Beschaffenheit kann als ‚Pits‘ und
‚Lands‘ (CD-ROM), Übergänge zwischen magnetisierten zu nicht magnetisierten Teilchen
(magnetische Datenträger) o. Ä. sein. Auf dieser Ebene wird nicht zwischen den Bits
eines Texts oder den ein-Computerprogramm-beinhaltenden unterschieden. Alle enthalten
binär codierte Information. (2) logisches Objekt: hierunter versteht man die Folge von
Bits, die von einem Informationsträger gelesen und als eine Einheit angesehen werden
können. Sie können von einer entsprechenden Software als Format erkannt und verarbeitet
werden. Es geht nicht mehr rein um Bitstreams, das Objekt hat bereits ein definiertes
Format. Der Bitstream muss vom Programm bspw. als Textdatei erkannt werden, um
als Dateiformat interpretiert zu werden. Um dieser logischen Einheit ihren Inhalt zu
entlocken, muss ihr Format genau bekannt sein. (3) konzeptuelles Objekt: es beschreibt
die gesamte Funktionalität, die dem Benutzer des digitalen Objekts mit Hilfe von dazu
passender Soft- und Hardware zur Verfügung steht (bspw. bei einem Computerspiel seine
Spielbarkeit). Dieses Objekt ist die für den Betrachter bedeutungsvolle Einheit und ist
für die Nachwelt zu erhalten. Treten Probleme bei der Sicherung auf den zwei unteren
Ebenen auf, so ist auch eine Nutzung des Objekts auf konzeptueller Ebene nicht mehr
möglich.48
Damit das Programm das Format genau kennen und interpretieren kann, muss die
Format-Spezifikation bekannt sein Es handelt sich hierbei um eine Beschreibung der
Anordnung der Bits, wie die Daten abgelegt und später interpretiert werden müssen, um
das ursprüngliche Dokument zu erhalten. Dabei kann grob zwischen proprietären und
offenen Dateiformaten unterschieden werden. Während bei proprietären Dateiformaten die
Spezifikation oft nicht oder nicht ausreichend bekannt ist, ist sie bei offenen Formaten frei
zugänglich und oft gut dokumentiert. Mit dem Wissen um Format und Spezifikation einer
Datei kann die Information, selbst wenn das lesende Programm nicht mehr verfügbar ist,
extrahiert werden, da mit der Spezifikation eine Anleitung zur semantischen Interpretation
Funk, Stefan E.: Digitale Objekte und Formate. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.):
nestor Handbuch, Kap. 7:3.
48 Vgl. ebda, Kap. 7:3–7:6.
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vorhanden ist. Hat sich ein Format weithin einheitlich für eine bestimmte Nutzung
durchgesetzt – entweder stillschweigend oder durch einen gezielten Normungsprozess der
eine Veröffentlichung und Dokumentation der Spezifikation einschließt – so wird es zum
Format-Standard.49
4.2 Metadaten
„Für die Durchführung von substanzerhaltenden Maßnahmen werden Metadaten neuer
Qualität benötigt, die zur automatischen Prozeßsteuerung eingesetzt werden können. Dies
sind z.B. strukturierte und maschinell interpretierbare Angaben über Datenträgertypen,
Materialarten und Produktionszeitpunkte.“50 „Ohne die Beschreibung eines digitalen
Objektes mit technischen Metadaten dürften Strategien zur Langzeitarchivierung wie
Migration oder Emulation nahezu unmöglich bzw. deutlich kostenintensiver werden.“51
Langzeitarchivierungsmetadaten sind strukturierte Informationen über digitale Objekte, ihre Kontexte, Beziehungen und Verknüpfungen, welche die Prozesse der digitalen
Langzeitarchivierung ermöglichen, unterstützen oder dokumentieren.52 Im Folgenden drei
etablierte Metadatenstandards:
METS: Es handelt sich hierbei um ein abstraktes Modell – durch das METS-XMLSchema beschrieben –, mit dessen Hilfe sich Dokumente flexibel modellieren lassen und
in das als Container Format verschiedene Standards eingebunden werden können. Es
wird heute als De-facto-Standard für die Beschreibung komplexer Dokumente u. a. zur
Beschreibung des AIPs genutzt. Das METS ‚Abstract Model‘ beinhaltet alle Objekte
innerhalb eines METS Dokuments und beschreibt deren Verhältnis zueinander. Zentraler Bestandteil, und als einziges Element verpflichtend, ist die ‚structMap‘, die eine
hierarchische Struktur mit einem Startknoten darstellt (bspw. Inhaltsverzeichnis einer
Monographie). Verknüpfungen zweier Struktureinheiten werden in einer separaten Sektion, der ‚StructLink‘, gespeichert. Es werden deskriptive Metadaten (bibliographische
Informationen) und administrative (Rechteinhaber, Nutzungsrechte, technische Informationen) berücksichtigt. Ein METS-Dokument kann als Container alle für ein Dokument
notwendigen Dateien enthalten oder referenzieren.53
Vgl. Funk, Stefan E.: Digitale Objekte und Formate. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a.,
Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 7:7.
50 Ohme, Sebastian: Konzeption von Dokumentenservern für Digitale Bibliotheken im Hinblick auf
Langzeitarchivierung und Retrieval, S. 40.
51 Liegmann, Hans / Neuroth, Heike: Einführung. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a.,
Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 1:5.
52 Vgl. Brandt, Olaf: PREMIS. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch,
Kap. 6:9.
53 Vgl. Enders, Markus: Metadata Encoding and Transmission Standard. In: Neuroth, Heike /
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PREMIS: Es ist seit einiger Zeit ein offizielles Erweiterungsschema von METS. Das
PREMIS Datenmodell kennt fünf grundlegende abstrakte Klassen von „Dingen“ (bspw.
digitale Objekte), genannt Entities, nämlich: (1) Intellectual Entities, die als zusammenhängende Inhalte definiert eine Einheit beschreiben und eine Idee darstellen, wie
einen Zeitschriftenband oder auch den digitalisierten Zeitschriftenband. Dieser kann
wiederum weitere Intellectual Entities wie Zeitschriftenausgaben oder Artikel enthalten.
(2) Object Entity, in der die zu archivierenden Daten mit relevanten Informationen für
das Management und die Planung von Langzeitarchivierungsprozessen beschrieben werden. Sie kann unterschiedliche digitale Objekte beschreiben, nämlich Representations,
Dateien und Bitstreams. (3) Events Entity, das eine identifizierbare Aktion oder ein
Ereignis ist, in das mindestens ein Objekt einbezogen ist. In ihr werden Informationen
über diese Aktionen oder Ereignisse und ihre Resultate beschrieben. Mit der lückenlosen
Aufzeichnung der Ereignisse im Archiv kann die Geschichte und die Verwendung der
digitalen Objekte im Archivsystem nachgewiesen werden. (4) Rights Entity, die Rechte
zum Kopieren von Daten, die Umwandlung in andere Formate usw. beschreibt. (5) Agent
Entity, mit der spezifische Informationen von Agenten (eine Person, Organisation oder
Software, welche auf ein Ereignis im digitalen Archiv bezogen ist) beschrieben werden,
die im Zusammenhang mit Langzeitarchivierungsereignissen und Rechtemanagement im
Leben eines Datenobjekts auftreten.54
MIX: Es steht für ‚NISO Metadata for Images in XML‘ und ist ein XML-Schema für
technische Metadaten zur Verwaltung digitaler Bildsammlungen. Aufgenommen werden
allgemeine Informationen zu einer Datei, komplexe Informationen zu Bildeigenschaften,
detaillierte Beschreibungen der technischen Werte der Erzeugungsgeräte (Scanner, Digitalkamera). Zusätzlich kann eine Veränderungshistorie in den Metadaten angeführt
werden.55
5 Digitale Erhaltungsstrategien
Im Folgenden werden die gängigsten Konzepte zur Langzeiterhaltung digitaler Daten
vorgestellt.
Migration, im weiteren Sinne, bezieht sich auf sämtliche Erhaltungsstrategien. Die
Erhaltungsaufgabe zerfällt Borghoff (u. a.) zufolge in zwei unabhängige Teilaufgaben:
Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 6:3–6:8.
54 Vgl. Brandt, Olaf: PREMIS. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch,
Kap. 6:9–6:13.
55 Vgl. Steinke, Tobias: MIX. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch,
Kap. 6:17.
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1. Erhalt des Dokumenteninhalts, d.h. der Bitfolge. Der Erhalt des ursprünglichen
Datenträgers wird nicht gefordert.
2. Erhalt des Zugangs zum Dokument, so dass die künftige Wahrnehmung der heutigen
so genau wie möglich entspricht.
Die erste Teilaufgabe, die Grundlage aller Archivierungsaktivitäten ist – als Bitstream
Preservation bezeichnet –, wird übereinstimmend als technisch gelöst betrachtet, wobei
die Bits regelmäßig aufgefrischt (‚Refreshing‘) bzw. auf ein anderes Medium kopiert
werden (‚Medienmigration‘).56 Dies geschieht unter Einbindung von Integritätsprüfungen,
wie bspw. Prüfsummenvergleiche, zur Entdeckung etwaiger Kopierfehler.57 Um das Risiko
äußerer Einflüsse wie Wasser- oder Brandschäden zu verringern, sollte die Aufbewahrung
der Kopien räumlich getrennt erfolgen. Gegen Datenverlust durch menschliches Versagen
oder Vorsatz ist die Aufbewahrung bei zwei unabhängigen organisatorischen Einheiten
empfohlen. Zusätzliche Sicherheit ergibt sich durch das Speichern auf unterschiedliche
Speichertechniken.58 „Wenn die Archivierung des Bitstreams sichergestellt ist, kann man
beginnen, sich über die Archivierung und vor allem über die Nutzung von digitalen
Objekten Gedanken zu machen.“59
Für die zweite Teilaufgabe, nämlich die der Wahrnehmung, sind lauffähige Programme
auf sie unterstützenden Computersystemen notwendig.60
Es folgen gängige Lösungsansätze, wobei die zurzeit am häufigsten angewendete die
Migration, gefolgt von der Emulation, ist.
5.1 Hardcopy Strategie
Beim Hardcopy werden die digitalen Inhalte, als Reaktion auf die Unsicherheit über die
Lebensdauer existierender Datenträger, entweder auf Papier oder Mikrofilm (Mikroverfilmung) transferiert. Leider geht dadurch jedoch die ‚digitale Natur‘ mit ihren Vorteilen
und damit wichtige Information verloren (bspw. Hyperlinks). Weiters verursacht sie hohe
Kosten.
Vgl. Borghoff, Uwe / Rödig, Peter (u. a.): Langzeitarchivierung, S. 490.
Vgl. Kargl, Carina: Der Geschichte ein Gesicht geben, S. 22
58 Vgl. Ullrich, Dagmar: Bitstream Preservation. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.):
nestor Handbuch, Kap. 8:5.
59 Funk, Stefan E.: Migration. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch,
Kap. 8:10.
60 Vgl. Borghoff, Uwe / Rödig, Peter (u. a.): Langzeitarchivierung, S. 490.
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5.2 Hardwaremuseum
Es verursacht hohe Kosten und besitzt nur eine begrenzte Lebensdauer. Auch ist speziell
geschultes Personal für die Bedienung der Geräte und Software notwendig. Deshalb
erweist sich diese Strategie – „abgesehen von exemplarischen Beispielen im musealen
Kontext“61 –, als nicht praktikabel.
5.3 Migration
Als Migration im engeren Sinne werden innerhalb der Langzeitarchivierungscommunity
unterschiedliche Prozesse bezeichnet. Einerseits die Datenträgermigration, bei der Daten
von einem Träger auf einen anderen kopiert werden (bspw. von CD-ROM auf HDD). Dies
ist die Grundlage der Bitstream Preservation. Andererseits die Daten- oder Formatmigration, bei der Daten von einem Datenformat in ein aktuelleres, möglichst standardisiertes
und offen gelegtes Format überführt werden. Damit verbunden ist möglicherweise ein
Verlust an Information (es besteht die Gefahr, dass Teile der Daten verloren gehen).
Eine verlustfreie Migration ist dann möglich, wenn sowohl das Originalformat wie auch
das Zielformat eindeutig spezifiziert sind, diese Spezifikationen bekannt sind und eine
Übersetzung von dem einen in das andere Format ohne Probleme möglich ist.62
5.4 Emulation
Der Begriff der Emulation dürfte dem Privatanwender vor allem durch die Nachbildung
von Spielekonsolen bekannt sein. Es ist so bspw. möglich Spiele des Nintendo 64 (N64)
auf einem PC lauffähig zu machen. Mit der Emulation versucht man die auftretenden
Verluste einer Datenformatmigration zu umgehen, indem man die originale Umgebung der
archivierten digitalen Objekte nachbildet. sie kann auf drei Ebenen stattfinden: (1) auf
der Ebene von Anwendungssoftware (2) auf der Ebene des Betriebsystems (3) auf der
Ebene von Hardware-Plattformen. Bei der Emulation werden die originalen Objekte nicht
verändert, jedoch ein Programm oder Betriebssystem – was eine sehr komplexe Sache ist –
nachgebildet. Ein Emulator kann wiederum emuliert werden. Bei dieser Art von Emulation
können Probleme bei der Performanz auftauchen. Ein elaborierter Ansatz der Emulation
ist der Universal Virtual Computer (UVC) von Intel. Er ist ein wohldokumentierter
virtueller Computer, der auf unterschiedlichen Architekturen nachgebildet werden kann.63
Semlak, Martina: Wissenschaftliche Terminologien zu netzbasierten Kunstformen, S. 75.
Vgl. Funk, Stefan E.: Migration. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor
Handbuch, Kap. 8:11.
63 Funk, Stefan E.: Emulation. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch,
Kap. 8:16–8:21.
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6 Verwendete Literatur
Altenhöner, Reinhard: kopal – ein kooperatives Archivsystem für die Langzeitarchivierung digitaler Objekte. In: Der Archivar, 60. Jg (2007), Hf. 4, S. 307–
313, http://www.archive.nrw.de/archivar/hefte/2007/Archivar_2007-4.pdf [Abruf:
17.03.2014].
Bárány, Balázs: Informationsverlust durch die Digitalisierung. Diplomarbeit (Wien
2004), http://tud.at/uni/diplomarbeit/diplomarbeit.pdf [Abruf: 17.03.2014].
Borghoff, Uwe / Rödig, Peter (u. a.): Langzeitarchivierung. In: Informatik Spektrum,
20. Jg. (2005), S. 489–492, DOI 10.1007/s00287-005-0039-7 [Abruf: 17.03.2014].
CCSDS: Reference Model for an Open Archival Information System (OAIS). Recommended Practice. Magenta Book (Juni 2012), http://public.ccsds.org/publications/archive/650x0m2.pdf [Abruf: 17.03.2014].
Committee on the Records of Government: Report. März 1985 http://files.eric.ed.gov/fulltext/ED269018.pdf [Abruf: 17.03.2014].
Kargl, Carina: Der Geschichte ein Gesicht geben. Die Modellierung und Aufbereitung
der ‚Stamm- und Wappenbücher‘ der Stadt Regensburg. Masterarbeit (Graz 2012),
http://ema2.uni-graz.at:8090/livelinkdav2/nodes/272307/Kargl_Carina%2021.12.2012.pdf [Abruf: 17.03.2014].
Neumann, Claudia: Nachhaltige Nutzung digitaler Dokumente. Diplomarbeit (Stuttgart 2003), http://opus.bsz-bw.de/hdms/volltexte/2003/243/pdf/diplomarbeit.pdf
[Abruf: 17.03.2014].
Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch. Eine kleine Enzyklopädie der digitalen Langzeitarchivierung. Version 2.3, http://nestor.sub.unigoettingen.de/handbuch/nestor-handbuch_23.pdf [Abruf: 17.03.2014].
Ohme, Sebastian: Konzeption von Dokumentenservern für Digitale Bibliotheken im
Hinblick auf Langzeitarchivierung und Retrieval. Diplomarbeit (Potsdam 2003),
http://ddi.cs.uni-potsdam.de/Examensarbeiten/Ohme2003.pdf [Abruf: 17.03.2014].
Preserving Digital Information. Report of the Task Force on Archiving of Digital Information commissioned by The Commission on Preservation and Access and The Research
Libraries Group, Mai 1996, http://cdm15003.contentdm.oclc.org/utils/getdownloaditem/collection/p267701coll33/id/272/type/singleitem/filename/273.pdf/width/0/height/0/mapsto/pdf/filesize/195669/title/Preserving%20digital%20information%20:%20report%20of%20the%20Task%20Force%20on%20Archiving%20of%20Digital%20Information [Abruf: 17.03.2014].
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Steiner, Elisabeth: Kulturelles Erbe virtuell repräsentiert. Überlegungen zur Konzeption
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Zifko, Theresa Elisabeth: Retrospektive Digitalisierung und Verlinkung digitaler Kulturdokumente gezeigt am ersten Band des ersten Regensburger Urkundenbuchs. Diplomarbeit (Graz 2009), http://ema2.uni-graz.at:8090/livelinkdav2/nodes/272307/Zifko_Theresa%20Elisabeth%2027.08.2009.pdf [Abruf: 17.03.2014].
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