Location via proxy:   [ UP ]  
[Report a bug]   [Manage cookies]                

Die Langzeitarchivierung von digitalem Archivgut [2014]

2014

Diese Arbeit versucht, einen Überblick über das komplexe Gebiet der digitalen Langzeitarchivierung zu geben.

Institut für Geschichte SE 505.143 (Archive 2.0) WS 2013/14 Die Langzeitarchivierung von digitalem Archivgut Seminararbeit Elmar Chr. Harjung 1013034 Leitung: Univ.-Prof. Dr. phil. Ingo Kropač Dr. phil. Matthias Perstling 17. März 2014 SE 505.143 Langzeitarchivierung von digitalem Archivgut WS 2013/14 Inhalt 1 Einführung 2 2 Begriffsbestimmung und Problematik 3 2.1 Was verstehen wir unter der Archivierung digitaler Objekte? . . . . . . . 3 2.2 Weshalb ist die digitale Langzeitarchivierung notwendig? . . . . . . . . . . 5 3 Das OAIS-Referenzmodell 7 4 Problemfälle und derzeitige Lösungsansätze 9 4.1 Daten und Dateiformate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 4.2 Metadaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 5 Digitale Erhaltungsstrategien 12 5.1 Hardcopy Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 5.2 Hardwaremuseum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 5.3 Migration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 5.4 Emulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 6 Verwendete Literatur 15 1 SE 505.143 Langzeitarchivierung von digitalem Archivgut WS 2013/14 1 Einführung Wie in vielleicht keinem anderen Bereich des alltäglichen Lebens wird man sich als Individuum durch die sich rasant verändernde Computertechnologie bewusst, wie vergänglich alles Sichtbare ist.1 Disketten (3,5 Zoll, FAT-Dateisystem), mit denen man noch vor 20 Jahren gearbeitet hat, sind heute im Normalfall nicht mehr lesbar. Es sei denn man hat entweder Zugriff auf einen älteren Rechner, der noch ein zum Auslesen benötigtes Diskettenlaufwerk eingebaut hat, oder auf ein externes Diskettenlaufwerk, das über die USB-Schnittstelle an einen heutigen Rechner angeschlossen werden kann. Und selbst wenn das der Fall ist, sind die darauf gespeicherten Daten durch Alterungsschäden vielleicht nur partiell oder gar nicht mehr lesbar, da durch äußere Einflüsse wie UV-Strahlung, Staub, Feuchtigkeit, ein Magnetfeld u. a. die Bitfolge auf dem Datenträger unterbrochen worden bzw. nicht lesbar ist. Sollte man in der glücklichen Lage sein, einen unversehrten Datenträger auslesen und seinen Inhalt auf einen gängigen (Festplattenlaufwerk) kopieren zu können, so garantiert dies nicht die Interpretierbarkeit der darauf gespeicherten Dateien. Ist es beispielsweise gelungen, eine Microsoft Word-Datei aus dem Jahr 1993 (Word 6) verlustfrei auf eine Festplatte zu spielen, so kann sie mit einer rezenten Version von Microsoft Word nicht mehr geöffnet werden (von OpenOffice paradoxerweise jedoch schon),2 ist mit dieser inkompatibel. Zwar ist möglicherweise der Text in einem einfachen Texteditor lesbar – vorausgesetzt, er versteht die verwendete Zeichencodierung –, jedoch unter Verlust jeglicher Formatierung.3 Ausgehend von diesem simplen Problem des Alltags ist in dieser Arbeit der Versuch unternommen worden, möglichst einen Überblick über das komplexe Gebiet der digitalen Langzeitarchivierung zu geben (unter Ausklammerung einer Definition von ‚digitalem Archivgut‘, das vereinfacht als ‚digitale Objekte‘4 behandelt wird). Dass dies in der Kürze der Arbeit nur sehr eingeschränkt möglich ist, dürfte jedem, der sich ein wenig mit der 1 Für eine Zeitleiste der veralteten Medienformate, die zeigt wie rasant in diesem Bereich neue Technologien erstellt und verworfen werden, siehe bspw. die ‚Chamber of Horrors‘ http://dpworkshop.org/dpmeng/oldmedia/chamber.html [Abruf: 17.03.2014] als Teil des ‚English Tutorials‘ für ‚Digital Preservation Management‘ der Cornell University, die zeigt wie rapide neue Technologien ältere ablösen. Schon vor 2 000 Jahren war man sich der Vergänglichkeit alles Sichtbaren u. a. durch Rost, Motten und Diebe bewusst (siehe etwa Mt. 6:19; 2 Kor. 4:18). Zur Vorstellung eines berühmten englischen Dichters zum „gedruckten Wort“ in einem Gedicht, verglichen mit dessen ‚upgedateten‘ Version siehe „Figure 1: Shakespeare’s immortal Sonnet 18 and its digital equivalent“ in Rothenberg, Jeff: Ensuring the Longevity of Digital Information, S. 3. 2 Zumindest Bárány zufolge: Bárány, Balázs: Informationsverlust durch die Digitalisierung, S. 11. 3 Vergleiche diese Ausgangssituation als Herausforderung in: Altenhöner, Reinhard: kopal – ein kooperatives Archivsystem für die Langzeitarchivierung digitaler Objekte, S. 307. 4 Für Scheffel fallen alle „digitalen Objekte“ unter die „archivwürdigen Unterlagen“ (Scheffel, Regine: State of the Art. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 2:2). 2 SE 505.143 Langzeitarchivierung von digitalem Archivgut WS 2013/14 Langzeitarchivierung digitaler Daten beschäftigt hat, bewusst sein. Die Arbeit quasi „barely scratches the surface“. Obwohl aufgrund der Vielschichtigkeit der Problematik neben technischen Verfahren auch organisatorische und rechtliche Probleme zu lösen sind, liegt der Fokus dieser Arbeit im technischen Bereich. Soziale und finanzielle Aspekte werden nicht berücksichtigt. Vorangestellt sei, dass obwohl ein großer Teil des aktuellen Kulturgutes in Form digitaler Dokumente entsteht, „die langfristige, verfälschungsfreie Erhaltung und Wiedergabe ein noch nicht befriedigend5 gelöstes Informatik-Problem [ist].“6 2 Begriffsbestimmung und Problematik 2.1 Was verstehen wir unter der Archivierung digitaler Objekte? Zunächst erscheint es wichtig zu betonen, dass der Begriff ‚Archivierung‘ nicht mit ‚Backup‘ gleichzusetzen ist, wie im allgemeinen Sprachgebrauch üblich. Es handelt sich bei der digitalen Langzeitarchivierung7 (engl. ‚digital long-term preservation‘) nicht lediglich um die Datensicherung, die Umkopierung der Bitströme8 von einem Speichermedium zu einem anderen ohne jegliche Formatkonversion. Anders als bei der Archivierung im analogen Umfeld zieht die dauerhafte Aufbewahrung von ‚digitalen Objekten‘9 nicht auch deren dauerhafte Zugänglichkeit nach sich.10 Im Gegensatz zur Stele des Codex Hammurapi auf Stein, die etwa 3 800 Jahre alt ist, und die nicht nur gelesen, sondern auch übersetzt und interpretiert werden kann,11 oder dem Stein von Rosette, kann dies eine Datei aus dem Jahr 1980, wenn überhaupt, nur mit erheblichem technischen Aufwand. Es reicht nicht aus das digitale Objekt wie in einem Tresor zur sicheren Lagerung zu 5 Für Anforderungen an „die Ideallösung“ siehe Ohme, Sebastian: Konzeption von Dokumentenservern für Digitale Bibliotheken im Hinblick auf Langzeitarchivierung und Retrieval, S. 42–43. 6 Borghoff, Uwe / Rödig, Peter (u. a.): Langzeitarchivierung, S. 489. 7 „Der Begriff Langzeitarchivierung ist im Prinzip ein Pleonasmus, da Archivierung den Langzeitaspekt bereits impliziert“ (Wikipedia, Elektronische Archivierung). 8 Für den binären Aufbau eines „bit streams“ und das zu dessen Interpretation notwendige Wissen – er kann sich nicht völlig selbst erklären – siehe Rothenberg, Jeff: Ensuring the Longevity of Digital Information, S. 2–8, 16. 9 Für eine Beschreibung eines digitalen Objekts, das keinesfalls mit ‚Datei‘ gleichzusetzen ist, siehe von Suchodoletz, Dirk: Funktionale Langzeitarchivierung digitaler Objekte, Kapitel 2.3. Ein digitales Objekt kann eine Datei in einem spezifischen Dateiformat sein (Word-Dokument, PDF-Datei), aber auch ein komplexeres Objekt (Anwendungsprogramme, komplette Internetseite, durchsuchbare Datenbank oder gar ein Betriebssystem). (Funk, Stefan E.: Digitale Objekte und Formate. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 7:3). 10 Vgl. Brübach, Nils: Das Referenzmodell OAIS. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 4:4. 11 Vgl. Bárány, Balázs: Informationsverlust durch die Digitalisierung, S. 54. 3 SE 505.143 Langzeitarchivierung von digitalem Archivgut WS 2013/14 hinterlegen. Es muss permanent dem ‚State of the Art‘ angepasst, also gewartet werden. So schließt die Langzeitarchivierung „die Erhaltung der dauerhaften Verfügbarkeit und damit eine Nachnutzung und Interpretierbarkeit der digitalen Ressourcen mit ein“12 . Digitale Daten sind uns nur mittelbar zugänglich. Ohne die Hilfe von Maschinen (Hardware), Tools (Software) und Fachwissen sind die Daten für uns nutzlos.13 Eine Datei ist an sich beispielsweise kein Schriftstück, es beschreibt bzw. repräsentiert 14 lediglich ein Schriftstück das nur dann existiert, wenn die Datei von dem Programm, das sie erstellt hat, ausgeführt oder von einem die Datei ‚verstehenden‘ Programm ausgelesen wird.15 Von welchem Zeitraum sprechen wir, wenn wir über ‚Langzeit‘-Archivierung reden? Die Beobachtung, dass zwar einerseits „digitale Information“ aufgrund ihrer Reproduzierbarkeit theoretisch unverwundbar für die Zeichen der Zeit ist, andererseits es die sie enthaltenden Speichermedien aber nicht sind, lässt den Computerwissenschaftler Jeff Rothenberg seinen viel zitierten Satz schreiben: „Digital information lasts forever—or five years, whichever comes first!“16 Im Terminologieverzeichnis des Referenzmodells OAIS wird Langzeit definiert als: „This period extends into the indefinite future“.17 Liegmann und Neuroth definieren ihn folgendermaßen: ,Langzeit‘ ist die Umschreibung eines nicht näher fixierten Zeitraumes, währenddessen wesentliche, nicht vorhersehbare technologische und soziokulturelle Veränderungen eintreten; Veränderungen, die sowohl die Gestalt als auch die Nutzungssituation digitaler Ressourcen in rasanten Entwicklungszyklen vollständig umwälzen können.18 Wie Zifko in ihrer Diplomarbeit schreibt, ist im digitalen Bereich „ewiges Bewahren eines Originals in bester Qualität [. . .] bis dato Utopie“19 , was selbstverständlich gleichfalls für analoge Medien wie Steintafeln, Papyrusrollen, Pergamentcodices, oder auf keine Säure enthaltendem Papier gedruckte Bücher gilt. Was hiermit gemeint sein dürfte ist – Zifko ergänzt den soeben zitierten Satz digitale Objekte betreffend „[. . .] realisiert ist ihr Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 1:3. Vgl. Rothenberg, Jeff: Ensuring the Longevity of Digital Information, S. 2. 14 „[Ein digitales Objekt] liegt üblicherweise in Form einer Datei als abgegrenzte Menge digitaler Daten auf Datenträgern vor. Bei Daten handelt es sich um machinenles- [sic!] und bearbeitbare Repräsentationen von Informationen.“ (von Suchodoletz, Dirk: Funktionale Langzeitarchivierung digitaler Objekte, S. 247). 15 Vgl. Rothenberg, Jeff: Ensuring the Longevity of Digital Information, S. 10. 16 Ebda, S. 2. 17 CCSDS: Reference Model for an Open Archival Information System (OAIS), S. 1-12, vgl. S. 1-1. 18 Liegmann, Hans / Neuroth, Heike: Einführung. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 1:2. Hervorhebung hinzugefügt. 19 Zifko, Theresa Elisabeth: Retrospektive Digitalisierung und Verlinkung digitaler Kulturdokumente gezeigt am ersten Band des ersten Regensburger Urkundenbuchs, S. 47. 12 13 4 SE 505.143 Langzeitarchivierung von digitalem Archivgut WS 2013/14 zumindest zehn-jähriges Fortbestehen“20 –, dass diese vergleichsweise „ewig“ haltbar, lesbar und interpretierbar bleiben. An dieser Stelle noch ein paar wenige Gedanken zu digitalen Daten: Im Vergleich zu herkömmlichen Medien (Bücher, Gemälde etc.) sind digitale Daten höchst empfindlich. Im Gegensatz zu Schäden an analogen Medien wie eingerissene Buchseiten, können kleinste Informationsverluste (bspw. auf einer CD durch Kratzer direkt auf der Datenträgerschicht) dazu führen, dass die gespeicherte Information unbrauchbar ist. Andererseits haben digitale Daten den Vorteil, dass sie beliebig oft ohne Informationsverluste kopiert werden können. Jedoch können sie leicht manipuliert werden (Textdokument umschreiben, Digitalbild retuschieren). Besondere Maßnahmen zur Sicherstellung der Authentizität müssen getroffen werden.21 2.2 Weshalb ist die digitale Langzeitarchivierung notwendig? Der Mensch sollte bekanntlich aus seinen Fehlern schlau werden (obgleich seine Geschichte dies nicht zu zeigen scheint)22 . Zusätzlich zu dem in der Einführung genannten fiktiven Beispiel, sollen zwei weitere aus einem Bericht der Research Libraries Group die Gefahr23 veranschaulichen, wertvolles ‚kulturelles Gedächtnisgut‘ (cultural memories), durch das sich ständig ändernde technische Umfeld in seiner digitalen Form und damit – wenn es nicht zuvor rechtzeitig in analoge Form übergeführt worden ist oder Langzeitarchivierungsmaßnahmen getroffen werden – ganz zu verlieren: Als man sich 1976 des historischen Werts der US-Volkszählungsdaten von 1960 bewusst wurde, war das zur Speicherung der Daten verwendete Bandlaufwerk veraltet. Es kostete viel Aufwand – weltweit sollen zu dieser Zeit nur noch zwei Maschinen zum Lesen der Bänder einsatzbereit gewesen sein24 – und die Migration auf Bänder mit geltendem Industriestandard dauerte bis 1979. Von den ungefähr 1,5 Millionen Datensätzen konnten Zehntausend nicht wiederhergestellt werden. In den späten 1960ern wurde im Zuge des LUNR-Projekts (Land Use and Natural Resources Inventory Project) eine computergestützte Landkarte erstellt, die Flächennutzung und natürliche Ressourcen des US-Bundesstaates New York verzeichnete. Sie wurde für 20 Zifko, Theresa Elisabeth: Retrospektive Digitalisierung und Verlinkung digitaler Kulturdokumente gezeigt am ersten Band des ersten Regensburger Urkundenbuchs, S. 47. 21 Vgl. nestor: Langzeiterhaltung digitaler Daten in Museen. Tipps zur dauerhaften Bewahrung digitaler Daten. 22 Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) soll gesagt haben: „The only thing we learn from history is that people learn nothing from history“. 23 Einzelne Autoren sprechen von ‚digitalem Alzheimer‘ oder einem ‚digitalen dunklen Mittelalter‘ (Bárány, Balázs: Informationsverlust durch die Digitalisierung, S. 4). 24 Vgl. Committee on the Records of Government: Report, S. 9. 5 SE 505.143 Langzeitarchivierung von digitalem Archivgut WS 2013/14 umfangreiche Studien zur Landnutzung unter anderem für die Stadtplanung in dem dafür eigens entwickelten Geografischen Informationssystem dargestellt. Als in der Mitte der 1980er Jahre die New Yorker Staatsarchive Kopien der Bänder mit den Luftaufnahmen des LUNR-Projekts erhielten, waren die auftretenden Probleme unüberwindbar. Das LUNR-Projekt hatte spezialisierte Computerprogramme verwendet, um die Daten darzustellen und sie zu analysieren. Jedoch waren diese Programme nicht gemeinsam mit den Daten abgespeichert. Selbst wenn die Software zurückgehalten worden wäre, waren doch die zum Betrieb notwendige Hardware und das Betriebssystem nicht länger vorhanden. So sind Forscher auf diesem Gebiet auf Hardcopies (soweit vorhanden) angewiesen.25 Weiters sei noch der sogenannte ‚NASA-Effekt‘ erwähnt: Teilweise wegen mangelnder Zuordnung zu den jeweiligen Weltraummissionen und Projekten – die verwendeten Magnetbänder waren nicht oder nur notdürftig beschriftet26 – waren Mitte der 1990er Jahre mehr als 1,2 Millionen Magnetbänder mit Daten aus 30 Jahren Raumfahrt nicht mehr benutzbar.27 Derartige Manifestationen des ‚digitalen Vergessens‘ haben zu einem Umdenken geführt. Durch das Bewusstsein der Problematik28 hat es seit Mitte der 1990er Jahre erhebliche Bemühungen auf nationaler und internationaler Ebene gegeben, praktisch einsetzbare Verfahren zu finden und zu erproben.29 Ein Meilenstein dieser Bemühungen ist das als ISO-Norm 14721:2003 veröffentlichte Referenzmodell für ‚Open Archival Information Systems‘ (OAIS), das sich zunehmender Akzeptanz erfreut und auf das weiter unten noch eingegangen wird.30 Auch haben sich Organisationen herausgebildet, die sich speziell mit den Aspekten der digitalen Langzeitarchivierung auseinandersetzen. Im deutschsprachigen Bereich sei hier das 2003 als Projekt gestartete Kompetenznetzwerk nestor (Network of Expertise in long-term Storage and availability of digital Resources in Germany) im Zuge 25 Vgl. Preserving Digital Information. Report of the Task Force on Archiving of Digital Information, S. 2–3. 26 Vgl. Ohme, Sebastian: Konzeption von Dokumentenservern für Digitale Bibliotheken im Hinblick auf Langzeitarchivierung und Retrieval, S. 4. 27 Vgl. Payer, Margarete: Unterlagen zum Modul Digitale Bibliothek. Langzeitarchivierung, http://www.payer.de/digitalebibliothek/digbib02.htm [Abruf: 17.03.2014]. 28 Bárány schreibt die „wissenschaftliche Öffentlichkeit“ sei „erstmals 1995 durch den Artikel ‚Ensuring the Longevity of Digital Documents‘“ vom Computerwissenschaftler Jeff Rothenberg in der populärwissenschaftlichen Zeitschrift ‚Scientific American‘ auf das Problem aufmerksam gemacht worden (Bárány, Balázs: Informationsverlust durch die Digitalisierung, S. 4), dessen erweiterte Version von 1999 in der vorliegenden Arbeit verwendet wird. „In Deutschland wurde die Problematik ‚digitale Langzeitarchivierung‘ zum ersten Mal“ im selben Jahr „in einem Positionspapier ‚Elektronische Publikationen‘ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) aufgegriffen“ (Scheffel, Regine: State of the Art. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 2:3). 29 So wurde u. a. 1994 die ‚Task Force on Archiving of Digital Information‘ ins Leben gerufen (Kargl, Carina: Der Geschichte ein Gesicht geben, S. 21). 30 Vgl. Borghoff, Uwe / Rödig, Peter (u. a.): Langzeitarchivierung, S. 490. 6 SE 505.143 Langzeitarchivierung von digitalem Archivgut WS 2013/14 der Entwicklung einer nationalen Langzeitarchivierungs-Policy31 Deutschlands erwähnt, das „ein[en] Kooperationsverbund mit Partnern aus verschiedenen Bereichen [darstellt], die alle mit dem Thema ‚Digitale Langzeitarchivierung‘ zu tun haben.“32 Die UNESCO hat während ihrer 32. Generalkonferenz (2003) eine ‚Charta zur Bewahrung des digitalen Kulturerbes‘ verfasst, in deren Präambel anerkannt wird, dass „das Welterbe an Büchern, Kunstwerken und Denkmälern der Geschichte und Wissenschaft“ zunehmend in digitaler Form produziert, verbreitet, genutzt und erhalten wird. Damit entstehe ein „neues Vermächtnis“, genannt das „digitale Erbe“33 . Im 4. Artikel wird von einer „akuten Bedrohung“ des digitalen Kulturerbes gesprochen und damit zusammenhängend „Handlungsbedarf“ festgestellt. So solle in der Archivgesetzgebung auch das digitale Erbe enthalten sein (Art. 8).34 Aber nicht nur Archive, generell die Gedächtnisinstitutionen (Archiv, Bibliothek, Museum etc.), deren Ziel „die Erhaltung von als wertvoll erachteten Objekten und Informationen für die nächsten Generationen“35 ist, sollten das ‚digitale Kulturerbe‘ in ihre Bewahrung mit einschließen. 3 Das OAIS-Referenzmodell Wer sich mit der digitalen Langzeitarchivierung beschäftigt, kommt an dem Referenzmodell OAIS nicht herum. Es wurde, nachdem es 1999 erstmals als vollständige Textfassung vorgelegt wurde36 , 2002 von der ‚Data Archiving and Ingest Working Group‘ des CCSDS (Consultative Committee for Space Data Systems) unter Federführung der NASA (National Aeronautics and Space Administration)veröffentlicht. Obgleich das Modell relativ rasch Akzeptanz erfahren hat – vermutlich da es für die Praxis entworfen und die Frage nach der Anwendbarkeit vorab an konkreten Anwendungsfällen mit einbezogen worden „Bei einer Preservation Policy handelt es sich um den Plan zur Bestandserhaltung. Im Gegensatz zu einer Strategie, die festlegt, wie die Erhaltung erfolgen soll, wird von der Policy festgelegt, was und warum etwas für wie lange erhalten werden soll. Die Preservation Policy ist also notwendige Grundlage für jede Preservation Strategie.“ (Strathmann, Stefan: Rahmenbedingungen für die LZA digitaler Objekte. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 3:1–3:2). Ein Beispiel für eine solche Policy ist die unten genannte UNESCO-Charta. 32 nestor-Website, http://www.langzeitarchivierung.de/Subsites/nestor/DE/Home/home_node.html. Siehe auch die nestor-Informationsdatenbank: http://indi.langzeitarchivierung.de/nestor_on/index.php. Für weitere Projekte auf deutscher und internationaler Ebene siehe von Suchodoletz, Dirk: Funktionale Langzeitarchivierung digitaler Objekte, S. 30–37. 33 Dieses schließt neben Textdokumenten auch „Multimediadokumente und andere interaktive Formen wie Spreadsheets, Simulationen, evtl. sogar Computerspiele u.Ä.“ mit ein (Borghoff, Uwe / Rödig, Peter (u. a.): Langzeitarchivierung, S. 491). 34 Vgl. UNESCO: Charta zur Bewahrung des digitalen Kulturerbes, S. 2–3. 35 Steiner, Elisabeth: Kulturelles Erbe virtuell repräsentiert, S. 8. 36 Vgl. Brübach, Nils: Das Referenzmodell OAIS. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 4:4. 31 7 SE 505.143 Langzeitarchivierung von digitalem Archivgut WS 2013/14 ist37 – findet in den letzten Jahren verstärkt eine Diskussion zur Überarbeitung des Modells statt.38 Was ist unter einem ‚Open Archival Information System‘ zu verstehen: An Archive, consisting of an organization, which may be part of a larger organization, of people and systems, that has accepted the responsibility to preserve information and make it available for a Designated Community.39 Das OAIS versteht sich als ein offener Standard, der den Anspruch der Allgemeingültigkeit verfolgt. So verzichtet es auf eine Beschränkung auf bestimmte Datentypen, Datenformate oder Systemarchitekturen und will anwendungsfähig und skalierbar sein für eine Vielzahl bestimmter Institutionen.40 Das OAIS berücksichtigt Bestehendes. Es geht von den klassischen archivischen Arbeitsfeldern, Erfassen, Aussondern, Bewerten, Übernehmen, Erschließen, Erhalten und Zugänglichmachen aus, aber definiert sie für die Bedürfnisse digitaler Archivierung neu. So erhebt es den Anspruch, auf jedes Archiv anwendbar zu sein.41 Als Hauptkomponenten des OAIS werden der Archivar und der Nutzer gesehen, denn Archivierung ist nicht an Maschinen delegierbar. Es werden verschiedene Nutzergruppen (Designated Communities) unterschieden, die unterschiedliche Anforderungen an das Archiv haben und haben werden. Damit sind Anforderungen der Zukunft, die für die heutige Entwicklergeneration nicht voraussehbar sind, gewährleistet.42 Im Folgenden eine Kurzbeschreibung des Funktionsmodells.43 Das OAIS unterscheidet zwischen drei Informationsobjekten. 1. den vom Archiv übernommenen digitalen Unterlagen, SIPs (Submission Information Packages) 2. dieselben angereichert mit Metainformationen und umgeformt zu AIPs (Archival Information Packages), die langfristig aufbewahrt werden 3. den aus den AIPs für bestimmte Nutzergruppen, die rechtlichen Bedürfnisse einhaltenden, generierten DIPs (Dissemination Information Packages).44 37 Vgl. Brübach, Nils: Das Referenzmodell OAIS. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 4:3. 38 Vgl. Oßwald, Achim: Einführung. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 4:1–4:2. 39 CCSDS: Reference Model for an Open Archival Information System (OAIS), S. 1-13. 40 Vgl. Brübach, Nils: Das Referenzmodell OAIS. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 4:5. 41 Vgl. ebda, Kap. 4:7. 42 Vgl. Ebda, Kap. 4:6. 43 Für die schematische Darstellung der „OAIS Functional Entities“ siehe CCSDS: Reference Model for an Open Archival Information System (OAIS), S. 4-1. 44 Vgl. Brübach, Nils: Das Referenzmodell OAIS. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 4:7. 8 SE 505.143 Langzeitarchivierung von digitalem Archivgut WS 2013/14 Sechs Aufgabenbereiche werden im Rahmen des OAIS beschrieben: (1) Ingest: Es geht um die Übernahme des digitalen Archivguts, das in Folge einer Qualitätssicherungs-Prüfung unterzogen wird (Lesbarkeit, Verständlichkeit, korrekter Kontext) und in AIPs, die mit den Formaten und Standards des jeweils aufbewahrenden Archivs übereinstimmen, umgewandelt wird. (2) Archival Storage: Es umfasst den digitalen Speicher, seine Organisation und seinen Aufbau. Hier werden die AIPs in Empfang genommen, eingelagert und regelmäßig gewartet während ihre Wiederauffindbarkeit überprüft wird. Die zur Speicherung verwendeten Datenträger werden regelmäßig ‚refresht‘, die Daten redundant abgespeichert. (3) Datenmanagement: Die Verzeichnisinformationen werden gewartet, zugänglich gemacht und kontinuierlich ergänzt und aufbereitet. (4) Management: Es geht um die Regelungen zur Zuständigkeit für die Arbeitsvorgänge im Archivsystem, dass, was automatisierbar ist, wird von den Vorgängen getrennt, die von Menschen erledigt werden müssen. Auch die Qualitätssicherung, das Aushandeln von Verträgen zur Übergabe und Nutzung und die Prüfung der Informationspakete ist hier eingeordnet. (5) Preservation Planning: die Sicherstellung des Informationszugangs in Gegenwart und Zukunft. Es werden Empfehlungen abgegeben, in welchen Zeitzyklen Updates und die Migration in ein neues Standardformat zu erfolgen hat, was eine ständige Überwachung der Veränderung der Technologie und der Nutzungsgewohnheiten der Benutzer mit einschließt. (6) Access: der Benutzer wird beim Auffinden der entsprechenden elektronischen Informationen unterstützt, Anfragen werden entgegengenommen, Zugangsberechtigungen koordiniert, DIPs generiert und verteilt.45 4 Problemfälle und derzeitige Lösungsansätze Bárány stellt in seiner Diplomarbeit das Buch der Diskette gegenüber und stellt fest, dass ein hundert Jahre altes Buch ohne Probleme gelesen werden kann, eine zehnmal jüngere Diskette hingegen nicht. Als Schwierigkeiten, ein „altes digitales Originaldokument“ zu lesen, zählt er auf, dass: (1) der Datenträger noch in einem lesbaren Zustand sein muss (2) die passende Hardware in funktionsfähigem Zustand inklusive Schnittstelle zu einem funktionierenden Computer (3) die kleinste adressierbare Datenmenge eines bestimmten technischen Systems anders sein kann, bspw. 1 Byte = 7 Bit anstatt der heute üblichen 8 Bit (4) das Dateisystem interpretiert werden können muss, weiters (5) die Eruierung des Formats – welches bei einer „komplett unbekannten Datei [. . .] extrem aufwendig oder unmöglich sein“ könne –, die Kodierung der Datei bekannt sein müsse usw.46 Vgl. Brübach, Nils: Das Referenzmodell OAIS. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 4:9–4:12. 46 Vgl. Bárány, Balázs: Informationsverlust durch die Digitalisierung, S. 9–13. 45 9 SE 505.143 Langzeitarchivierung von digitalem Archivgut WS 2013/14 4.1 Daten und Dateiformate Vorangestellt sei, dass Formate ein wesentlicher Faktor für die Gefahr des technologischen Veraltens digitaler Informationen sind. Um noch einmal kurz auf die Bezeichnung eines digitalen Objekts einzugehen: „all das kann als ein digitales Objekt bezeichnet werden, das mit Hilfe eines Computers gespeichert und verarbeitet werden kann.“47 Es kann auf drei Ebenen beschrieben werden: (1) als physisches Objekt: die Menge der Zeichen, die auf einem Informationsträger gespeichert sind, quasi die rohe Manifestation der Daten auf dem Speichermedium. Die Art und Weise der physischen Beschaffenheit kann als ‚Pits‘ und ‚Lands‘ (CD-ROM), Übergänge zwischen magnetisierten zu nicht magnetisierten Teilchen (magnetische Datenträger) o. Ä. sein. Auf dieser Ebene wird nicht zwischen den Bits eines Texts oder den ein-Computerprogramm-beinhaltenden unterschieden. Alle enthalten binär codierte Information. (2) logisches Objekt: hierunter versteht man die Folge von Bits, die von einem Informationsträger gelesen und als eine Einheit angesehen werden können. Sie können von einer entsprechenden Software als Format erkannt und verarbeitet werden. Es geht nicht mehr rein um Bitstreams, das Objekt hat bereits ein definiertes Format. Der Bitstream muss vom Programm bspw. als Textdatei erkannt werden, um als Dateiformat interpretiert zu werden. Um dieser logischen Einheit ihren Inhalt zu entlocken, muss ihr Format genau bekannt sein. (3) konzeptuelles Objekt: es beschreibt die gesamte Funktionalität, die dem Benutzer des digitalen Objekts mit Hilfe von dazu passender Soft- und Hardware zur Verfügung steht (bspw. bei einem Computerspiel seine Spielbarkeit). Dieses Objekt ist die für den Betrachter bedeutungsvolle Einheit und ist für die Nachwelt zu erhalten. Treten Probleme bei der Sicherung auf den zwei unteren Ebenen auf, so ist auch eine Nutzung des Objekts auf konzeptueller Ebene nicht mehr möglich.48 Damit das Programm das Format genau kennen und interpretieren kann, muss die Format-Spezifikation bekannt sein Es handelt sich hierbei um eine Beschreibung der Anordnung der Bits, wie die Daten abgelegt und später interpretiert werden müssen, um das ursprüngliche Dokument zu erhalten. Dabei kann grob zwischen proprietären und offenen Dateiformaten unterschieden werden. Während bei proprietären Dateiformaten die Spezifikation oft nicht oder nicht ausreichend bekannt ist, ist sie bei offenen Formaten frei zugänglich und oft gut dokumentiert. Mit dem Wissen um Format und Spezifikation einer Datei kann die Information, selbst wenn das lesende Programm nicht mehr verfügbar ist, extrahiert werden, da mit der Spezifikation eine Anleitung zur semantischen Interpretation Funk, Stefan E.: Digitale Objekte und Formate. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 7:3. 48 Vgl. ebda, Kap. 7:3–7:6. 47 10 SE 505.143 Langzeitarchivierung von digitalem Archivgut WS 2013/14 vorhanden ist. Hat sich ein Format weithin einheitlich für eine bestimmte Nutzung durchgesetzt – entweder stillschweigend oder durch einen gezielten Normungsprozess der eine Veröffentlichung und Dokumentation der Spezifikation einschließt – so wird es zum Format-Standard.49 4.2 Metadaten „Für die Durchführung von substanzerhaltenden Maßnahmen werden Metadaten neuer Qualität benötigt, die zur automatischen Prozeßsteuerung eingesetzt werden können. Dies sind z.B. strukturierte und maschinell interpretierbare Angaben über Datenträgertypen, Materialarten und Produktionszeitpunkte.“50 „Ohne die Beschreibung eines digitalen Objektes mit technischen Metadaten dürften Strategien zur Langzeitarchivierung wie Migration oder Emulation nahezu unmöglich bzw. deutlich kostenintensiver werden.“51 Langzeitarchivierungsmetadaten sind strukturierte Informationen über digitale Objekte, ihre Kontexte, Beziehungen und Verknüpfungen, welche die Prozesse der digitalen Langzeitarchivierung ermöglichen, unterstützen oder dokumentieren.52 Im Folgenden drei etablierte Metadatenstandards: METS: Es handelt sich hierbei um ein abstraktes Modell – durch das METS-XMLSchema beschrieben –, mit dessen Hilfe sich Dokumente flexibel modellieren lassen und in das als Container Format verschiedene Standards eingebunden werden können. Es wird heute als De-facto-Standard für die Beschreibung komplexer Dokumente u. a. zur Beschreibung des AIPs genutzt. Das METS ‚Abstract Model‘ beinhaltet alle Objekte innerhalb eines METS Dokuments und beschreibt deren Verhältnis zueinander. Zentraler Bestandteil, und als einziges Element verpflichtend, ist die ‚structMap‘, die eine hierarchische Struktur mit einem Startknoten darstellt (bspw. Inhaltsverzeichnis einer Monographie). Verknüpfungen zweier Struktureinheiten werden in einer separaten Sektion, der ‚StructLink‘, gespeichert. Es werden deskriptive Metadaten (bibliographische Informationen) und administrative (Rechteinhaber, Nutzungsrechte, technische Informationen) berücksichtigt. Ein METS-Dokument kann als Container alle für ein Dokument notwendigen Dateien enthalten oder referenzieren.53 Vgl. Funk, Stefan E.: Digitale Objekte und Formate. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 7:7. 50 Ohme, Sebastian: Konzeption von Dokumentenservern für Digitale Bibliotheken im Hinblick auf Langzeitarchivierung und Retrieval, S. 40. 51 Liegmann, Hans / Neuroth, Heike: Einführung. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 1:5. 52 Vgl. Brandt, Olaf: PREMIS. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 6:9. 53 Vgl. Enders, Markus: Metadata Encoding and Transmission Standard. In: Neuroth, Heike / 49 11 SE 505.143 Langzeitarchivierung von digitalem Archivgut WS 2013/14 PREMIS: Es ist seit einiger Zeit ein offizielles Erweiterungsschema von METS. Das PREMIS Datenmodell kennt fünf grundlegende abstrakte Klassen von „Dingen“ (bspw. digitale Objekte), genannt Entities, nämlich: (1) Intellectual Entities, die als zusammenhängende Inhalte definiert eine Einheit beschreiben und eine Idee darstellen, wie einen Zeitschriftenband oder auch den digitalisierten Zeitschriftenband. Dieser kann wiederum weitere Intellectual Entities wie Zeitschriftenausgaben oder Artikel enthalten. (2) Object Entity, in der die zu archivierenden Daten mit relevanten Informationen für das Management und die Planung von Langzeitarchivierungsprozessen beschrieben werden. Sie kann unterschiedliche digitale Objekte beschreiben, nämlich Representations, Dateien und Bitstreams. (3) Events Entity, das eine identifizierbare Aktion oder ein Ereignis ist, in das mindestens ein Objekt einbezogen ist. In ihr werden Informationen über diese Aktionen oder Ereignisse und ihre Resultate beschrieben. Mit der lückenlosen Aufzeichnung der Ereignisse im Archiv kann die Geschichte und die Verwendung der digitalen Objekte im Archivsystem nachgewiesen werden. (4) Rights Entity, die Rechte zum Kopieren von Daten, die Umwandlung in andere Formate usw. beschreibt. (5) Agent Entity, mit der spezifische Informationen von Agenten (eine Person, Organisation oder Software, welche auf ein Ereignis im digitalen Archiv bezogen ist) beschrieben werden, die im Zusammenhang mit Langzeitarchivierungsereignissen und Rechtemanagement im Leben eines Datenobjekts auftreten.54 MIX: Es steht für ‚NISO Metadata for Images in XML‘ und ist ein XML-Schema für technische Metadaten zur Verwaltung digitaler Bildsammlungen. Aufgenommen werden allgemeine Informationen zu einer Datei, komplexe Informationen zu Bildeigenschaften, detaillierte Beschreibungen der technischen Werte der Erzeugungsgeräte (Scanner, Digitalkamera). Zusätzlich kann eine Veränderungshistorie in den Metadaten angeführt werden.55 5 Digitale Erhaltungsstrategien Im Folgenden werden die gängigsten Konzepte zur Langzeiterhaltung digitaler Daten vorgestellt. Migration, im weiteren Sinne, bezieht sich auf sämtliche Erhaltungsstrategien. Die Erhaltungsaufgabe zerfällt Borghoff (u. a.) zufolge in zwei unabhängige Teilaufgaben: Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 6:3–6:8. 54 Vgl. Brandt, Olaf: PREMIS. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 6:9–6:13. 55 Vgl. Steinke, Tobias: MIX. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 6:17. 12 SE 505.143 Langzeitarchivierung von digitalem Archivgut WS 2013/14 1. Erhalt des Dokumenteninhalts, d.h. der Bitfolge. Der Erhalt des ursprünglichen Datenträgers wird nicht gefordert. 2. Erhalt des Zugangs zum Dokument, so dass die künftige Wahrnehmung der heutigen so genau wie möglich entspricht. Die erste Teilaufgabe, die Grundlage aller Archivierungsaktivitäten ist – als Bitstream Preservation bezeichnet –, wird übereinstimmend als technisch gelöst betrachtet, wobei die Bits regelmäßig aufgefrischt (‚Refreshing‘) bzw. auf ein anderes Medium kopiert werden (‚Medienmigration‘).56 Dies geschieht unter Einbindung von Integritätsprüfungen, wie bspw. Prüfsummenvergleiche, zur Entdeckung etwaiger Kopierfehler.57 Um das Risiko äußerer Einflüsse wie Wasser- oder Brandschäden zu verringern, sollte die Aufbewahrung der Kopien räumlich getrennt erfolgen. Gegen Datenverlust durch menschliches Versagen oder Vorsatz ist die Aufbewahrung bei zwei unabhängigen organisatorischen Einheiten empfohlen. Zusätzliche Sicherheit ergibt sich durch das Speichern auf unterschiedliche Speichertechniken.58 „Wenn die Archivierung des Bitstreams sichergestellt ist, kann man beginnen, sich über die Archivierung und vor allem über die Nutzung von digitalen Objekten Gedanken zu machen.“59 Für die zweite Teilaufgabe, nämlich die der Wahrnehmung, sind lauffähige Programme auf sie unterstützenden Computersystemen notwendig.60 Es folgen gängige Lösungsansätze, wobei die zurzeit am häufigsten angewendete die Migration, gefolgt von der Emulation, ist. 5.1 Hardcopy Strategie Beim Hardcopy werden die digitalen Inhalte, als Reaktion auf die Unsicherheit über die Lebensdauer existierender Datenträger, entweder auf Papier oder Mikrofilm (Mikroverfilmung) transferiert. Leider geht dadurch jedoch die ‚digitale Natur‘ mit ihren Vorteilen und damit wichtige Information verloren (bspw. Hyperlinks). Weiters verursacht sie hohe Kosten. Vgl. Borghoff, Uwe / Rödig, Peter (u. a.): Langzeitarchivierung, S. 490. Vgl. Kargl, Carina: Der Geschichte ein Gesicht geben, S. 22 58 Vgl. Ullrich, Dagmar: Bitstream Preservation. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 8:5. 59 Funk, Stefan E.: Migration. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 8:10. 60 Vgl. Borghoff, Uwe / Rödig, Peter (u. a.): Langzeitarchivierung, S. 490. 56 57 13 SE 505.143 Langzeitarchivierung von digitalem Archivgut WS 2013/14 5.2 Hardwaremuseum Es verursacht hohe Kosten und besitzt nur eine begrenzte Lebensdauer. Auch ist speziell geschultes Personal für die Bedienung der Geräte und Software notwendig. Deshalb erweist sich diese Strategie – „abgesehen von exemplarischen Beispielen im musealen Kontext“61 –, als nicht praktikabel. 5.3 Migration Als Migration im engeren Sinne werden innerhalb der Langzeitarchivierungscommunity unterschiedliche Prozesse bezeichnet. Einerseits die Datenträgermigration, bei der Daten von einem Träger auf einen anderen kopiert werden (bspw. von CD-ROM auf HDD). Dies ist die Grundlage der Bitstream Preservation. Andererseits die Daten- oder Formatmigration, bei der Daten von einem Datenformat in ein aktuelleres, möglichst standardisiertes und offen gelegtes Format überführt werden. Damit verbunden ist möglicherweise ein Verlust an Information (es besteht die Gefahr, dass Teile der Daten verloren gehen). Eine verlustfreie Migration ist dann möglich, wenn sowohl das Originalformat wie auch das Zielformat eindeutig spezifiziert sind, diese Spezifikationen bekannt sind und eine Übersetzung von dem einen in das andere Format ohne Probleme möglich ist.62 5.4 Emulation Der Begriff der Emulation dürfte dem Privatanwender vor allem durch die Nachbildung von Spielekonsolen bekannt sein. Es ist so bspw. möglich Spiele des Nintendo 64 (N64) auf einem PC lauffähig zu machen. Mit der Emulation versucht man die auftretenden Verluste einer Datenformatmigration zu umgehen, indem man die originale Umgebung der archivierten digitalen Objekte nachbildet. sie kann auf drei Ebenen stattfinden: (1) auf der Ebene von Anwendungssoftware (2) auf der Ebene des Betriebsystems (3) auf der Ebene von Hardware-Plattformen. Bei der Emulation werden die originalen Objekte nicht verändert, jedoch ein Programm oder Betriebssystem – was eine sehr komplexe Sache ist – nachgebildet. Ein Emulator kann wiederum emuliert werden. Bei dieser Art von Emulation können Probleme bei der Performanz auftauchen. Ein elaborierter Ansatz der Emulation ist der Universal Virtual Computer (UVC) von Intel. Er ist ein wohldokumentierter virtueller Computer, der auf unterschiedlichen Architekturen nachgebildet werden kann.63 Semlak, Martina: Wissenschaftliche Terminologien zu netzbasierten Kunstformen, S. 75. Vgl. Funk, Stefan E.: Migration. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 8:11. 63 Funk, Stefan E.: Emulation. In: Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch, Kap. 8:16–8:21. 61 62 14 SE 505.143 Langzeitarchivierung von digitalem Archivgut WS 2013/14 6 Verwendete Literatur Altenhöner, Reinhard: kopal – ein kooperatives Archivsystem für die Langzeitarchivierung digitaler Objekte. In: Der Archivar, 60. Jg (2007), Hf. 4, S. 307– 313, http://www.archive.nrw.de/archivar/hefte/2007/Archivar_2007-4.pdf [Abruf: 17.03.2014]. Bárány, Balázs: Informationsverlust durch die Digitalisierung. Diplomarbeit (Wien 2004), http://tud.at/uni/diplomarbeit/diplomarbeit.pdf [Abruf: 17.03.2014]. Borghoff, Uwe / Rödig, Peter (u. a.): Langzeitarchivierung. In: Informatik Spektrum, 20. Jg. (2005), S. 489–492, DOI 10.1007/s00287-005-0039-7 [Abruf: 17.03.2014]. CCSDS: Reference Model for an Open Archival Information System (OAIS). Recommended Practice. Magenta Book (Juni 2012), http://public.ccsds.org/publications/archive/650x0m2.pdf [Abruf: 17.03.2014]. Committee on the Records of Government: Report. März 1985 http://files.eric.ed.gov/fulltext/ED269018.pdf [Abruf: 17.03.2014]. Kargl, Carina: Der Geschichte ein Gesicht geben. Die Modellierung und Aufbereitung der ‚Stamm- und Wappenbücher‘ der Stadt Regensburg. Masterarbeit (Graz 2012), http://ema2.uni-graz.at:8090/livelinkdav2/nodes/272307/Kargl_Carina%2021.12.2012.pdf [Abruf: 17.03.2014]. Neumann, Claudia: Nachhaltige Nutzung digitaler Dokumente. Diplomarbeit (Stuttgart 2003), http://opus.bsz-bw.de/hdms/volltexte/2003/243/pdf/diplomarbeit.pdf [Abruf: 17.03.2014]. Neuroth, Heike / Oßwald, Achim (u. a., Hgg.): nestor Handbuch. Eine kleine Enzyklopädie der digitalen Langzeitarchivierung. Version 2.3, http://nestor.sub.unigoettingen.de/handbuch/nestor-handbuch_23.pdf [Abruf: 17.03.2014]. Ohme, Sebastian: Konzeption von Dokumentenservern für Digitale Bibliotheken im Hinblick auf Langzeitarchivierung und Retrieval. Diplomarbeit (Potsdam 2003), http://ddi.cs.uni-potsdam.de/Examensarbeiten/Ohme2003.pdf [Abruf: 17.03.2014]. Preserving Digital Information. Report of the Task Force on Archiving of Digital Information commissioned by The Commission on Preservation and Access and The Research Libraries Group, Mai 1996, http://cdm15003.contentdm.oclc.org/utils/getdownloaditem/collection/p267701coll33/id/272/type/singleitem/filename/273.pdf/width/0/height/0/mapsto/pdf/filesize/195669/title/Preserving%20digital%20information%20:%20report%20of%20the%20Task%20Force%20on%20Archiving%20of%20Digital%20Information [Abruf: 17.03.2014]. Payer, Margarete: Unterlagen zum Modul Digitale Bibliothek. Langzeitarchivierung, 15 SE 505.143 Langzeitarchivierung von digitalem Archivgut WS 2013/14 2006, http://www.payer.de/digitalebibliothek/digbib02.htm [Abruf: 17.03.2014]. Rothenberg, Jeff: Ensuring the Longevity of Digital Information, Februar 1999, http://www.clir.org/pubs/archives/ensuring.pdf [Abruf: 17.03.2014]. Semlak, Martina: Wissenschaftliche Terminologien zu netzbasierten Kunstformen. Diplomarbeit (Graz 2010), http://ema2.uni-graz.at:8090/livelinkdav2/nodes/272307/Semlak_Martina%2001.06.2010.pdf [Abruf: 17.03.2014]. Steiner, Elisabeth: Kulturelles Erbe virtuell repräsentiert. Überlegungen zur Konzeption eines Digitalen Archivs der Stamm- und Wappenbücher der Stadt Regensburg. Masterarbeit (Graz 2012), http://static.uni-graz.at/fileadmin/Studien/euromachs/Dokumente/Masterarbeit_Steiner.pdf [Abruf: 17.03.2014]. von Suchodoletz, Dirk: Funktionale Langzeitarchivierung digitaler Objekte. Erfolgsbedingungen des Einsatzes von Emulationsstrategien. Dissertation (Freiburg im Breisgau 2008), http://files.d-nb.de/nestor/edition/01-suchodoletz.pdf [Abruf: 17.03.2014]. UNESCO: Charta zur Bewahrung des digitalen Kulturerbes. Inoffizielle Arbeitsübersetzung der UNESCO-Kommissionen Deutschlands, Luxemburgs, Österreichs und der Schweiz. 2003, http://www.unesco.at/kommunikation/basisdokumente/charta_digitales_kulturerbe_dt.pdf [Abruf: 17.03.2014]. Wikipedia, Elektronische Archivierung, http://de.wikipedia.org/wiki/Elektronische_Archivierung [Abruf: 17.03.2014]. Zifko, Theresa Elisabeth: Retrospektive Digitalisierung und Verlinkung digitaler Kulturdokumente gezeigt am ersten Band des ersten Regensburger Urkundenbuchs. Diplomarbeit (Graz 2009), http://ema2.uni-graz.at:8090/livelinkdav2/nodes/272307/Zifko_Theresa%20Elisabeth%2027.08.2009.pdf [Abruf: 17.03.2014]. 16