SCHATZFUND ODER KOLLEKTIVFUND?
Die Münzreihe von Niederwerth –
Ein Schatzfund?
Ulrich Werz
I
n der März-Ausgabe 2019 des Numismatischen Nachrichtenblatts wurde
ein Fund von 27 Münzen von der Insel
Niederwerth vorgestellt, der im Jahre
1963 auf „einer eng begrenzten Fläche in
etwa 30 cm Tiefe“ gefunden wurde (Abb.
1). Dieses Ensemble wurde von Axel v.
Berg und Sven Günther als Schatzfund
gedeutet.1 Aufgrund der Zusammensetzung der Münzreihe scheint es mir jedoch gegeben, diesen Deutungsversuch
kritisch zu hinterfragen.
Die Münzreihe von Niederwerth
Die Stücke sind hier noch einmal aufgeführt, wobei die Gliederung nicht dem
Katalog von v. Berg und Günther folgt,
sondern sich nach der inneren Zusammensetzung der Münzreihe richtet
(Abb. 2). Zunächst sind die Prägungen
in Silber (Nr. 1–3) und danach die Münzen aus Bronze (Nr. 4–27) gelistet. In der
ersten Kolumne ist das Münzmetall aufgeführt. In der zweiten Spalte ist die laufende Nummer vermerkt, in der dritten
die Katalog-Nr. von v. Berg und Günther.
Es folgen Angaben zum Münztyp, das
Referenzzitat, die Prägezeit der Münze,
ihr Nominal und in der letzten Spalte
Bemerkungen. Hier sind nachträgliche
Eingriffe wie Gegenstempelung2 oder
Halbierung angegeben.
Phasen der Münzgeldversorgung
am Niederrhein
Entscheidend für die zeitliche Verortung
eines Münztyps ist neben dem Prägedatum dessen Umlaufdauer. Denare der
römischen Republik laufen noch aufgrund ihres vergleichsweise hohen Silbergehalts bis ins 2. Jahrhundert um.4
Die relativ seltenen augusteischen Quinare gehören ebenfalls noch zum Geldumlauf des ersten nachchristlichen JahrNNB 7/19
hunderts. Auf dem Martberg in Pommern gibt es Hinweise, dass noch in den
ersten nachchristlichen Jahrzehnten im
Heiligtum Quinare vom Typ „tanzendes
Männlein“ deponiert wurden.5 Die Silbermünzen aus dem Fund von Niederwerth am Niederrhein können also gemeinsam umgelaufen sein. Bevor nun
der Frage nachgegangen werden soll, ob
auch die Bronzemünzen alle gleichzeitig
umliefen oder verschiedenen Phasen des
Geldumlaufs zuzurechnen sind, müssen
wir uns die Beschränkungen bei der
Interpretation von Münzfunden klar
machen. Für die Fundmünzauswertung
eines Ortes ist nicht in erster Linie die
Anzahl der Münzen, sondern die innere
Zusammensetzung der Münzreihe entscheidend. Für eine fundierte Auswertung werden die Münzfunde zunächst in
zeitlich zusammenhängende Gruppen
zusammengefasst. Diese Gruppen können aus einzelnen Münztypen oder den
Prägungen eines Herrschers oder einer
bestimmten Phase bestehen. Wenn wir
die Fundmünzen eines Ortes auswerten,
so bedienen wir uns hierzu in der Regel
Balken- oder Kuchendiagrammen, in
denen der Anteil der einzelnen Münztypen verzeichnet ist. Zur zeitlichen Einordnung der Plätze vergleichen wir diese
Anteile und bringen sie in eine relative
Abfolge. Ist ein Ort über längere Zeit belegt, so haben wir in den Funden nicht
einen bestimmten Moment im Münzumlauf, sondern eine Phase abgebildet.
Wir wissen daher zunächst nicht, wie
schnell sich eine Münzreihe gebildet
oder verändert hat.
Abb. 3 soll die Problematik verdeutlichen. Vorhanden sind vier Münztypen:
Blau, Orange, Lila und Grün, die zu einem gedachten Münzumlauf der Jahre
zwischen 12 und 7 gehören. Jedes einzel-
ne Jahr wird in der Grafik durch einen
Münzstapel repräsentiert. Innerhalb von
sechs Jahren wechselt der Anteil der einzelnen Münztypen. Im Jahre 12 laufen
nur die Münztypen Blau, Lila und Orange um. Erst im folgenden Jahr kommt
der Münztyp Grün in Umlauf, gleichzeitig nimmt der Anteil der Münztypen
Blau und Lila ab, während der Münztyp
Orange zunimmt. War im Jahr 10 noch
der Typ Blau dominant, so ist er nach
wenigen Jahren fast verschwunden und
in seiner Bedeutung vom Münztyp Grün
abgelöst worden. Im Jahr 7 sind die
Münztypen Blau, Lila und Orange verschwunden, nur noch der Münztyp
Grün läuft um. Im Diagramm (Abb. 4)
wird die Münzmenge mit vier verschieden hohen Balken dargestellt, ohne dass
die unterschiedlichen Anteile der Münztypen in den verschiedenen Jahren erkennbar sind. Das Diagramm liefert also
nur das kumulative Ergebnis der Münzen, die über einen längeren Zeitraum in
den Boden gelangten. Daher erlaubt ein
Diagramm keine Rückschlüsse auf die
Anteile der einzelnen Münztypen, die zu
einem bestimmten Zeitpunkt gleichzeitig umliefen, denn es gibt lediglich den
Anteil der Prägungen innerhalb einer
bestimmten Phase wieder.
Um einen Eindruck zu bekommen, welche Münztypen gemeinsam umliefen,
können die Münzfunde aus archäologisch datierten Schichten einzelner Orte
herangezogen werden. Die Datierung
dieser Schichten erfolgt etwa über die
Keramik oder ortstypische Gegebenheiten wie z.B. Brandschichten. Von großer
Bedeutung sind auch die sogenannten
„Katastrophenfunde“, wie sie aus Pompeji oder Kalkriese auf uns gekommen
sind. Pompeji wurde in wenigen Stunden zerstört, in Kalkriese, sei es nun der
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Abb. 1: Münzreihe von Niederwerth
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Abb. 3: Anteil verschiedener Münztypen
im Umlauf der Jahre 12–7
Abb. 4: Balkendiagramm mit Anteilen
verschiedener Münztypen der Jahre 12–7
1. Oberaden, n = 325
2. Anreppen, n = 265
Abb. 2: Münzreihe aus Niederwerth3
Ort der Varusschlacht oder nicht, wurde
eine Vielzahl römischer Soldaten, die ihre Barschaft bei sich trug, im Kampf
innerhalb weniger Tage getötet. Neben
dem archäologischen Fundkontext
kommt Börsenfunden ebenfalls eine
wichtige Bedeutung zu, denn sie geben
ein Abbild des Münzumlaufs zu einem
bestimmten Zeitpunkt.
Die Silber- und Bronzemünzen aus dem
Fund von Niederwerth wurden innerhalb eines Zeitraumes von rund 130 Jahren geprägt, wobei die Silbermünzen allesamt älter sind als die Bronzeprägungen. Die älteste Münze ist ein Denar des
Quintus Titius aus dem Jahre 90 v. Chr.
Der Quinar des Augustus gehört in die
Anfangszeit seiner Alleinherrschaft, als
der erste römische Kaiser bestrebt war,
seine Macht zu stabilisieren. Die keltischen Gepräge mit dem „tanzenden
Männlein“, die als Quinare anzusprechen
sind, gehören in die Stufe Latène D2b,
somit in die Jahre etwa zwischen 60 und
40 v. Chr.6 So wurde ein Exemplar beispielsweise im Belagerungsgraben von
Alesia, den Caesar im Jahre 52 v.Chr. anlegte, gefunden.7
Während der Regierung des Augustus
wurden große Mengen an Bronzemünzen ausgegeben, deren Prägezeit sich
NNB 7/19
nicht direkt über die Münzlegende erschließt. Um die Herstellung dieser
Münztypen zeitlich einzuordnen, helfen
die Münzfunde aus historischen und/
oder naturwissenschaftlich datierten
Plätzen. Wichtig ist jedoch, dass die zum
Vergleich ausgewählten Plätze möglichst
die gleiche Funktion haben und innerhalb eines Gebietes liegen. Daher werden
hier zunächst nur die Münzfunde aus
Oberaden8, Anreppen9 und Kalkriese10
herangezogen (Abb. 5). Oberaden wird
aufgrund von dendrochronologischen
Untersuchungen und historischen Überlegungen in die Jahre 12 bis 9 v. Chr. datiert. Anreppen war wohl das Winterlager des Tiberius während des bellum immensum und datiert dendrochronologisch in die Jahren 4/5 n. Chr. Kalkriese
gehört in die letzten Regierungsjahre des
Augustus. Obwohl wieder heftig diskutiert, gibt es meines Erachtens bislang
keine hinreichenden Belege, um von der
Datierung in das Jahr 9 n. Chr. abzuweichen.
Die in Niederwerth entdeckten Bronzeprägungen lassen sich in mehrere Phasen unterteilen. Die neun Stücke der 1.
Serie von Nemausus gehören in die Zeit
der ersten Okkupation des rechtsrheinischen Germaniens unter Drusus und Ti-
3. Kalkriese, n = 449
Abb. 5: Anteil einzelner Münztypen
in den Fundorten Oberaden, Anreppen und
Kalkriese
berius, somit in die Jahre 12 bis 7 v. Chr.
Dies geht deutlich aus den Münzfunden
von Oberaden hervor, wo diese Stücke
den Münzumlauf fast vollständig dominieren (Abb. 5,1). Die auf den Geprägen
angebrachten Gegenstempel sind ebenfalls dieser Zeit zuzuweisen. In diesen
zeitlichen Horizont gehören auch die
Halbstücke dieses Münztypus. Die Besonderheit dieser Halbierungen besteht
darin, dass die Stücke auseinandergebrochen wurden. Unklar muss bleiben, wie
dies geschah, da sich auf den Münzen
selbst keinerlei Spuren von Werkzeugen,
etwa Zangen, gefunden haben. Um das
Umlaufgebiet der Halb- und Ganzstücke
zu erschließen, wurden die Anteile dieser Prägungen in 80 ausgewählten Fundorten untersucht. Die herangezogenen
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SCHATZFUND ODER KOLLEKTIVFUND?
Abb. 6: Anteile der 1. Serie von Nemausus (Ganzstücke) in ausgewählten Fundorten
Abb. 7: Anteile der 1. Serie von Nemausus (Halbstücke) in ausgewählten Fundorten
Abb. 8: Inhalt einer in Mainz gefundenen Börse aus dem Jahre 14 n. Chr.12
Plätze liegen zumeist in den Niederlanden, in Frankreich, Belgien, Luxemburg,
Deutschland und in der Schweiz. Deutlich erkennbar ist, dass sich die Ganzwie die Halbstücke der 1. Serie von Nemausus sowohl im Rheingebiet wie auch
in ganz Gallien finden (Abb. 6 und 7).
Unterschiedliche Umlaufgebiete in Gallien oder Germanien sind hier nicht auszumachen.
Das Gros der Nemaususmünzen der 1.
Serie lief bis zum Ende des 1. Jahrhunderts v. Chr. um. In Anreppen (Abb. 5,2)
ist ihr Anteil bereits stark rückläufig.
Unter den Funden von Kalkriese spielen
sie nur noch eine untergeordnete Rolle
258
(Abb. 5,3). Vergleichen wir den Anteil
der Nemausus-Prägungen in beiden
Fundorten, so wird deutlich, dass sie bereits zu Beginn des ersten nachchristlichen Jahrhunderts aus dem Münzumlauf verschwinden. Ein ähnliches Bild
vermittelt ein in Mainz gefundener
Geldbeutel, der in das Jahr 14 n. Chr. zu
datieren ist.11 Auch hier sind keinerlei
Prägungen aus Nemausus mehr vorhanden (Abb. 8).
Die nächste Phase wird von zwei halbierten Assen der 1. Lyoner Altarserie und
neun Kleinerzen gebildet, die als „Aduatuci“ bezeichnet werden. Die Asse der
1. Lyoner Altarserie wurden in den Jahren
zwischen 7 und 3/2 v. Chr. hergestellt13
und lösten die Nemausus-Prägungen ab.
Aufgrund der Münzreihen von Oberaden, Anreppen und Kalkriese kann gelten, je höher in einem Fundort der Anteil der Nemausus-Prägungen der 1. Serie im Vergleich zu dem der 1. Lyoner
Altarserie ist, desto älter ist er.
Auch die Asse der 1. Lyoner Altarserie
wurden halbiert. Im Gegensatz zu den
Nemausus-Stücken wurden die Münzen
jedoch mit einem scharfen Gegenstand,
etwa einem Meißel, durchtrennt. Um das
Umlaufgebiet dieser Halbierungen zu erschließen, wurden wiederum die Anteile
halbierter Prägungen in den rund 80
Fundorten untersucht (Abb. 9). Deutlich
erkennbar ist, dass halbierte Asse der 1.
Lyoner Altarserie fast ausschließlich in
den Fundorten entlang des Rheins und
nicht in Gallien begegnen. Halbierungen
waren also nur noch innerhalb eines bestimmten Gebietes notwendig. Da die
Plätze entlang des Rheines zu einem großen Teil in einem vom Militär geprägten
Kontext stehen und sich in den zivilen
Siedlungen in Gallien so gut wie keine
dieser Halbierungen gefunden haben,
wird ihr militärischer Zusammenhang
deutlich.
Die „Aduatuci“ wiegen rund 3 Gramm
und fungierten im augusteischen Nominalsystem als Quadranten, d.h. Viertelstücke, und waren damit die unterste
Werteinheit im Geldumlauf. Die Zuweisung an den keltischen Stamm der Aduatuci ergab eine Gleichstellung der Legende AVAVCIA mit ADVATVCI durch
den französischen Numismatiker Félicien de Saulcy (1807–1880), dessen Benennung bis heute beibehalten wird,
auch wenn nun diese Stücke mit dem
keltischen Stamm der Tungerer, die ihr
Siedlungsgebiet beim heutigen Tongern
(Belgien) hatten, in Verbindung gebracht
wird.14 Die Aduatuker-Kleinerze sind in
Oberaden (Abb. 8,1) und Kalkriese
(Abb. 8,3) nur sehr schwach vertreten,
während sie in dem römischen Militärlager von Anreppen (Abb. 8,2) zahlreich
vorkommen.15 Daher wird ihre Ausprägung grob in die Jahre zwischen 10 v.
Chr. und 10 n. Chr. datiert. Die AduatuciPrägungen laufen im Gebiet rechts und
links des Niederrheins um,16 wobei die
hier berücksichtigten Fundorte an
Rhein, Lippe und Weser fast alle militärisch geprägt sind (Abb. 10). Zusammen
mit den ganzen Assen, von denen kein
Exemplar im Fundgut von Niederwerth
vertreten ist, und deren Halbstücken bilden die Aduatuci in den Fundorten zwischen Rhein, Main und Weser ein abgeNNB 7/19
SCHATZFUND ODER KOLLEKTIVFUND?
Abb. 9: Anteile halbierter Asse der 1. Lyoner Altarserie in ausgewählten Fundorten
Abb. 12: Münzmeister-As mit den Gegenstempeln CAESAR 63 und IMPAVC 113
Abb. 10: Anteile der Aduatuci-Prägungen in ausgewählten Fundorten
Abb. 11: Anteile halbierter Asse der 2. Lyoner Altarserie in ausgewählten Fundorten
stuftes Kleingeldsystem, welches aus
Ganz-, Halb- und Viertelstücken besteht.
Unklar muss vorerst bleiben, wann mit
der planmäßigen Halbierung der Lyoner
Asse begonnen wurde. Da die Halbierungen zu einem in sich abgestuften
Kleingeldsystem gehören, scheint es mir
nicht unwahrscheinlich, diese Maßnahme in Verbindung mit dem bellum immensum zu bringen17, der in den Jahren
zwischen 1 und 5 n. Chr., geführt wurde.
Denn die Einrichtung eines funktionierenden Kleingeldsystems ging mit militärischen Aktionen oftmals Hand in
Hand.18
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Die dritte Phase wird durch die Prägungen der 2. Lyoner Altarserie bestimmt,
die in den Jahren 9 und 14 n. Chr. ausgegeben wurden. Der Semis datiert aufgrund der in der Legende genannten 7.
Tribunicia Potestas in das Jahr 14 n. Chr.19
Die halbierten Asse der 2. Lyoner Altarserie finden sich fast ausschließlich in
den Plätzen entlang des Rheingebietes
(Abb. 11). Somit entspricht ihr Umlaufgebiet denen der 1. Serie, auch wenn nun
wesentlich weniger Münzen halbiert
wurden. Die gezielte Halbierung dieser
Stücke könnte mit den Feldzügen des
Germanicus der Jahre 14 bis 16 in Ver-
Abb. 13: Halbiertes As der 2. Lyoner
Altarserie mit imitiertem Gegenstempel
TIBIM 210
bindung gebracht werden. Der Rückgang der Halbierungen und das Fehlen
der Aduatuci-Kleinerze in dieser Phase
des Münzgeldumlaufs kann vielleicht
mit einer Verteuerung von Waren erklärt
werden,20 die dann aber bereits am Ende
des ersten Jahrzehntes einsetzte, da in
Kalkriese der Anteil der halbierten Asse
der 1. Lyoner Altarserie und der Aduatuker-Kleinerze im Vergleich mit Anreppen wesentlich geringer ausfällt.
Auf der unteren Stufe der Ämterlaufbahn stand das Amt der III viri monetales, welche für die Organisation und
Durchführung der Münzprägung Sorge
zu tragen hatten. Da auf den rückseitigen Legenden immer der Name mindestens einer der zuständigen Münzmeister
erscheint, werden diese Stücke in der
Forschung Münzmeister-Prägungen genannt. Wie die Funde aus Anreppen und
Kalkriese zeigen, waren MünzmeisterAsse in geringen Mengen bereits Bestandteil des augusteischen Münzumlaufs im Okkupationsgebiet. Große
Mengen von Münzmeister-Assen gelangten aber erst nach dem Tode des Augustus im Jahre 14 n. Chr. ins Rheingebiet und wurden dort teilweise mit den
Schlagmarken IMPAVC, TIBIM, TIB259
SCHATZFUND ODER KOLLEKTIVFUND?
Abb. 14: Anteile der Münzmeister-Asse in ausgewählten Fundorten
Abb. 15: Phasen des augusteisch-frühtiberischen Aesumlaufs
AVC und CAESAR kontermarkiert.21
Diese Münzmeister-Asse waren bereits
längere Zeit zuvor in Italien umgelaufen.
Unklar muss bleiben, wo und unter welchen Umständen die Asse dem italischen
Geldumlauf entnommen worden waren.
Das vorliegende Münzmeister-As (Katalog-Nr. 26) trägt je eine Einstempelung
der Schlagmarke CAESAR und IMPAVC (Abb. 12). Das halbierte As der 1.
oder 2. Lyoner Altarserie (Katalog-Nr.
24) wurde, nachdem es einige Zeit zirkuliert war, mit einem Stempeleisen kontermarkiert, welches die Schlagmarke
TIBIM zum Vorbild hatte und die Buchstaben teilweise spiegelverkehrt wiedergibt (Abb. 13).
Die vier Schlagmarken CAESAR und
IMPAVC, TIBIM sowie TIBAVC wurden gleichzeitig verwendet. Entscheidend für die zeitliche Einordnung ist der
Gegenstempel TIBAVC, der als Tiberius
Augustus aufzulösen ist, denn er bezieht
sich auf Tiberius und kann erst nach seinem Herrschaftsantritt im Jahre 14 n.
Chr. verwendet worden sein. Die Anbringung der Gegenstempel steht im Zusammenhang mit dem Legat des Augustus und den Unruhen am Nieder- und
Mittelrhein des Jahres 14 n. Chr. Nach
dem Tode des Augustus brach unter den
Soldaten eine Meuterei aus, wobei
hauptsächlich gegen die lange Dienstzeit
und die schlechte Besoldung aufbegehrt
wurde. Der Oberbefehlshaber der rheinischen Legionen Germanicus wurde in
das Krisengebiet geschickt und schaffte
es mit Diplomatie, Zwang und Geldzahlungen, die Situation wieder zu beruhigen. Die niedergermanischen Legionen
260
erhielten Geld aus seiner eigenen Kasse.
Diese Zahlungen markierte Germanicus
mit dem Gegenstempel CAESAR. Die
Soldaten am Oberrhein ließen bald von
der Meuterei ab und beschworen ihre
Treue zu Tiberius. Diese erhielten zur
Belohnung ebenfalls Geldgeschenke, die
teilweise mit den Schlagmarken IMPAVC,
TIBIM und TIBAVC versehen wurden.
Mit dem Gegenstempel TIBAVC wurde
das Geldgeschenk als eine Gabe des
TIB(erii) AVC(usti) markiert und mit
TIB(erii) IM(peratori) ausgesagt, dass
der neue Kaiser das imperium proconsulare, also den militärischen Oberbefehl, hatte. Überdies wird diese Summe
durch die Stempelung IMPAVC als Auszahlung aus dem Erbteil seines Vaters,
des IMP(eratoris Caesaris divi filii)
AVC(usti), gekennzeichnet. Die Beschickung mit Altgeld und deren Kontermarkierung bilden somit die vierte Phase. Die Münzmeister-Prägungen sind am
stärksten in den Orten entlang des Rheines, zu geringen Teilen aber auch in den
Plätzen in Gallien zu finden (Abb. 14).
Das Vesta-As des Caligula darf einer
weiteren Phase zugerechnet werden,
auch wenn nicht vollkommen klar ist, ob
diese Prägung ursprünglich zu den übrigen Münzen gehörte. Mit Caligula gelangen in den Jahren zwischen 37 und 41
große Mengen dieses Münztypus ins
Rheingebiet.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die in Niederwerth belegten
Bronzemünzen vier Phasen des frühkaiserzeitlichen Geldumlaufs am Niederrhein entstammen (Abb. 15). Die Nemausus-Prägungen sind das Kleingeld
der Okkupationszeit unter Drusus und
Tiberius, prägten den Kleingeldumlauf
der Jahre 12 bis mindestens 7 v. Chr. und
verschwinden danach. Dies ist ein Prozess, der sich über mehrere Jahre hinzieht, wie die Münzen aus den datierten
Fundplätzen vor Augen führen. Die sogenannten Aduatuci laufen gemeinsam
mit den Assen der 1. Lyoner Altarserie
um. Die Aduatuci sind offenbar in den
rechtsrheinischen militärischen Anlagen
nur relativ kurze Zeit im Umlauf und
verschwinden aus der Zirkulation gegen
Ende des ersten Jahrzehnts des ersten
nachchristlichen Jahrhunderts. Ein gemeinsamer Umlauf von Aduatuker-Kleinerzen und Prägungen von Nemausus fand
in genauso geringem Umfang wie mit
den Prägungen der 2. Lyoner Altarserie
statt. Ab dem Jahre 9 wird der Kleingeldumlauf mit Prägungen der 2. Lyoner Altarserie gespeist. In der vierten Phase gelangten kurz nach dem Herrschaftsantritt des Tiberius im Jahre 14 n. Chr. große Mengen an Münzmeister-Assen ins
Rheingebiet, wie deren Gegenstempel
IMPAVC, TIBIM und TIBAVC zeigen.
Bis auf die Stücke der 1. Serie von Nemausus ist das Umlaufgebiet der übrigen
in Niederwerth belegten Münzen in einem
weitgehend militärisch geprägten Kontext
zu sehen. Dies passt sehr gut zu der Bedeutung, die der Fundort im Zusammenhang mit den kriegerischen Operationen
im Okkupationsgebiet hatte.
Art des Fundes
In der Fundnumismatik wird zwischen
Einzel-, Weihe- und Schatzfunden unterschieden.22 Entscheidend für die Zuweisung an eine der Fundgattungen ist die
Beobachtung der Fundumstände. Einzel- und Weihefunde gelangen über einen längeren Zeitraum in den Boden,
während Hortfunde zu einem bestimmten Zeitpunkt niedergelegt werden. Einzelfunde sind unabsichtlich verlorene
und nicht wieder gefundene Prägungen.
Weihefund sind bewusst an einem sakralen Ort dauerhaft niedergelegt worden. Münzenweihungen, die mit Absicht,
aber nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern über einen längeren Zeitraum dargebracht wurden, werden als
Kollektiv- oder Komplexfunde bezeichnet.23 Schatz- oder Hortfunde bestehen
aus Prägungen, die bewusst verborgen
wurden, um später einmal wieder geborgen zu werden. Die Münzen wurden dazu in einem Behältnis aufbewahrt und
sorgfältig deponiert. Oftmals wurden
den Münzen zusätzlich noch pflanzliche
Materialien beigegeben, um KondensNNB 7/19
SCHATZFUND ODER KOLLEKTIVFUND?
wasser aufzunehmen.23 Bei allen Schatzfunden handelt es sich also um Funde,
die der ehemalige Besitzer, aus welchen
Gründen auch immer, nicht wieder heben konnte. Bei den Hortfunden muss
wiederum zwischen Zirkulations- und
Depothorten unterschieden werden. Bei
Zirkulationshorten entsprechen die
Münztypen denen, die zur Zeit der Verbergung in Umlauf waren. Der Hort ist
also innerhalb eines kurzen Zeitraumes
dem Geldumlauf entnommen worden.
Demgegenüber bestehen Depothorte aus
Münzen, die über einen längeren Zeitraum zusammengetragen wurden. Depothorte können daher auch Münzen
enthalten, die zum Zeitpunkt der Verbergung nicht mehr in Umlauf waren.
Allen Schatzfunden, gleich welcher Art
sie sind, ist jedoch eigen, dass sie höhere
Nominale beinhalten und fast immer
nur aus Edelmetall- oder Bronzeprägungen bestehen. Gemischte Horte sind selten und in der Regel sind die verschiedenen Münzmetalle dann getrennt und in
verschiedenen Behältnissen aufbewahrt
worden.
Bei dem Münzfund von Niederwerth
wäre von vorne herein aus archäologischer Sicht eine Einzelfundreihe trotz
der „eng begrenzten Fläche“, auf der diese Prägungen entdeckt wurden, nicht
auszuschließen. Denkbar wäre nämlich
eine sekundäre Verlagerung der Münzen
bereits in antiker Zeit. Sie könnten aus
Abraum stammen, der nach seiner Entnahme an der heutigen Fundstelle angeschüttet wurde. Die beiden Verfasser
vermuten in dem Fund „womöglich eine
verlorengegangene Barschaft“.25 Doch
diese Interpretation ist wohl auszuschließen, da die Aesprägungen aus verschiedenen Phasen des Kleingeldumlaufs
stammen und somit kein Abbild des
Geldumlaufs zu einem bestimmten Zeitpunkt liefern.
Da die Fundstelle der Münzen aber an
einer Furt liegt, ist die Möglichkeit sehr
groß, dass es sich hier um einen Weihefund handelt.26 Die Art der Deponierung
und Zusammensetzung der Gepräge
spricht für einen Kollektivfund, da die
Münzen offenbar über einen längeren
Zeitraum niedergelegt wurden und auffällig nahe zusammenlagen. Für diese
Deutung als Kollektivfund spricht auch
das Fehlen der für einen Schatzfund typischen Kriterien. So sind im Fund von
Niederwerth Edelmetall- und Bronzemünzen vermischt und ein Behältnis zur
Aufbewahrung ist nicht belegt. Letzteres
könnte aber, besonders wenn es aus vergänglichem Material wie Holz oder LeNNB 7/19
der war, bei den Erdarbeiten nicht bemerkt worden sein.
Fazit
Die 27 Münzen, die im Jahre 1963 in
Niederwerth auf einer engen Fläche, zusammen gefunden wurden, sind nicht
als Schatzfund oder Geldbörse zu deuten. Die innere Zusammensetzung der
Münzreihe spricht dagegen. Da der
Fundort eine ehemalige Furt ist, handelt
es sich mit großer Wahrscheinlichkeit
um einen Kollektivfund, dessen Münzen
im Laufe von rund drei Jahrzehnten bewusst niedergelegt wurden.
Anmerkungen
1 von Berg, Axel; Günther, Sven: MFRP 35: Der
frührömische Münzschatz von der Insel
Niederwerth und die Germanenfeldzüge am
Rhein. In: Numismatisches Nachrichtenblatt
68, 2019, S. 81–87.
2 nach Werz, Ulrich: Gegenstempel auf Aesprägungen der frühen römischen Kaiserzeit im
Rheingebiet – Grundlagen, Systematik, Typologie. Winterthur 2009.
3 Craw = Crawford, Michael Hewson: Roman
Republik Coinage. Cambridge 1974; RIC2 = Sutherland, Carol Humphrey Vivian: The Roman
Imperial Coinage I. Revised Edition From 31
BC to AD 69. London 1984; Scheers = Scheers,
Simone: Traité de numismatique celtique II. La
Gaule Belgique. Paris 1977.
4 Gilles, Karl-Josef: Ein frühaugusteischer Münzschatz aus Gusterath, Kreis Trier Saarburg. In:
Trierer Zeitschrift 54, 1991, S. 101–102.
5 Freundliche Mitteilung David Wigg-Wolf
(Frankfurt am Main), vgl. auch Loscheider, Robert: Untersuchungen zum spätlatenezeitlichen
Münzwesen des Trevererlandes. In: Archaeologia Mosellana 3, 1998, S. 92–93.
6 Wigg, David G.; Riederer, Josef: Die Chronologie der keltischen Münzprägung am Mittelrhein. In: Peter, Ulrike (Hrsg.): stephanos numismatikos. Edith Schönert-Geiss zum 65. Geburtstag. Berlin 1988, S. 667–668; Kaczynski,
Boris Thomas: Produktion, Zirkulation und
Funktion antiker Münzen in Nordgallien: die
keltischen und römischen Fundmünzen vom
Castellberg bei Wallendorf (Kr. Bitburg-Prüm).
Frankfurt am Main 2018, S. 249–250, 255.
7 Colbert de Beaulieu, Jean-Baptiste: Numismatique celtique d'Alesia. In: Revue Belge de Numismatique, 1955, S. 66 Nr. 178.
8 Ilisch, Peter: Münzen aus den Ausgrabungen
im Römerlager Oberaden. In: Kühlborn, Johann-Sebastian: Das Römerlager in Oberaden
III. Münster 1992, S. 175–201 [Bodenaltertümer Westfalens, Bd. 27].
9 Ilisch, Peter: Die Münzen aus dem Römerlager
Anreppen. In: Jahrbuch für Numismatik und
Geldgeschichte 66, 2016, S. 57–85.
10 Berger, Frank: Kalkriese 1. Die römischen
Fundmünzen. Mainz 1996 [Römisch-Germanische Forschungen, Bd. 55]; ders.: Die Münzen von Kalkriese: Neufunde und Ausblicke.
In: Wiegels, Rainer (Hrsg.): Die Fundmünzen
von Kalkriese und die frühkaiserzeitliche
Münzprägung. Akten des wissenschaftlichen
Symposions in Kalkriese, 15.–16. April 1999.
Möhnsee 2000, S. 11–45 [Osnabrücker Forschungen zu Altertum und Antike-Rezeption,
Bd. 3].
11 Gorecki, Joachim: Rheinland-Pfalz 1. Nachtrag
1 Stadt Mainz, Mainz am Rhein 2006, Nr. 1243
[Die Fundmünzen der römischen Zeit in
Deutschland, Bd. IV Nr. 1N1].
12 Zu den verwendeten Abkürzungen siehe Anm.
3.
13 van Heesch, Johan: Proposition d’une nouvelle
datation des monnaies en bronze à l’autel de
Lyon frappées sous Auguste. In: Bulletin de la
Société Française de Numismatique 48, 1993,
S. 535–538.
14 Aarts, Joris G.; Roymans, Nico: Tribal emission
or imperial coinage? Ideas about the production and circulation of the so-called AVAVCIA
coinages in the Rhineland. In: van Heesch, Johan, Heeren, I. (Hrsg.): Coinage in the Iron
Age. Essays in honour of Simone Scheers. London 2009, S. 1–17.
15 Werz, Ulrich: Die Kleingeldversorgung augusteischer Zeit in Gallien und Germanien –
Überlegungen zu den Kleinerzen aus dem römischen Marschlager von Wilkenburg. In:
Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte
87, 2018, S. 167–182.
16 Aarts/Roymans (Anm. 14), Fig. 3.
17 Johne, Klaus-Peter: Die Römer an der Elbe: Das
Stromgebiet der Elbe im geographischen Weltbild und im politischen Bewusstsein der griechisch-römischen Antike. Berlin 2006, S. 115–
132.
18 Heinrichs, Johannes: Überlegungen zur Versorgung augusteischer Truppen mit Münzgeld.
Ein neues Modell und daraus ableitbare Indizien für einen Wandel in der Konzeption des
Germanienkriegs nach Drusus. In: Mooren,
Leon (Hrsg.): Politics, Administration and Society in the Hellenistic and Roman World. Proceedings of the International Colloquium, Bertinoro 19–24 July 1997. Leuven 2000, S. 164
[Studia Hellenistica, Bd. 36].
19 Faoro, Davide: Nota sulla cronologie delle acclamazioni imperatorie XV–XXI di Augusto e
II–VII di Tiberio Cesare. In: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 199, 2016, S. 208–
212.
20 Doppler, Hugo W.; Peter, Markus: Vindonissa
aus numismatischer Sicht. In: Jahresbericht Gesellschaft Pro Vindonissa, 1998, S. 51.
21 Werz 2009 (Anm. 2) Band II, 301–307.
22 Ausführlich zu den verschiedenen Fundgattungen Thüry, Günther Emerich: Die antike Münze als Fundgegenstand : Kategorien numismatischer Funde und ihre Interpretation. Oxford
2016.
23 R.-Alföldi, Maria: Rheinland-Pfalz 3.1 Trier
(3001–3002), Berlin 1970, S. 9 [Die Fundmünzen der römischen Zeit in Deutschland, Bd. IV
Nr. 3.1]; dies.: Rheinland-Pfalz 3.2 Stadt und
Regierungs-Bezirk Trier; die sogenannten Römerbauten (3003–3020), Mainz am Rhein 2006
S. 22 [Die Fundmünzen der römischen Zeit in
Deutschland, Bd. IV Nr. 3.2].
24 Klee, Marlies: Analyse der botanischen Makroreste. In: von Kaenel, Hans-Markus (Hrsg.):
Der Münzhort aus dem Gutshof von Neftenbach. Antoniniane und Denare von Septimius
Severus bis Postumus. Zürich und Egg 1993, S.
72–81 [Zürcher Denkmalpflege Archäologische Monographien, Bd. 16].
25 von Berg/Günter (Anm. 1) 86.
26 Zur Problematik der Gewässerfunde siehe etwa
Bursche, Aleksander: Münzen der römischen
Kaiserzeit aus Flüssen. Ein Beitrag zur Quellenkritik. In: von Carnap-Bornheim, Claus, Friesinger, Herwig (Hrsg.): Wasserwege: Lebensadern – Trennungslinien. 15. Internationales
Symposion Grundprobleme der frühgeschichtlichen Entwicklung im mittleren Donauraum.
Schleswig 30. November – 4. Dezember 2002.
Neumünster 2005, S. 307–317 [Schriften des
Archäologischen Landesmuseums, Bd. 3].
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