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Cornel Zwierlein Tod und Leben Das Reichskammergericht und die Lebensversicherung im 18. Jahrhundert* Dass die Lebensversicherung über weite Perioden der Frühen Neuzeit hinweg durch die meisten Staaten und Hafenstädte Europas explizit verboten war, ist schon vielfach als bemerkenswert hervorgehoben worden: Die Wissenschaftsgeschichte hat um 1990 herum einerseits gerade die „probabilistische“ Revolution zum Thema gemacht.1 Andererseits stellte sie fest, dass das Phänomen, das am ehesten mit den Mitteln von Probabilistik gewinnbringend zu optimieren gewesen wäre – die Lebensversicherung – entweder nach etwa 1600 ganz verboten war, oder zuvor in den wenigen Ländern, in denen sie weiter praktiziert wurde – wie in England jedenfalls bis 1774 –, weitgehend ohne Verbindung zur immer stärker verfeinerten mathematischen Wahrscheinlichkeitsrechnung florierte (sogenannter anti-statistical bias). Mit etwas anderer zeitlicher Konturierung auf der Basis des damaligen Forschungsstandes wurde dieses Phänomen 1988 so zusammengefasst: „By the end of the seventeenth century, life insurance was illegal almost everywhere in Europe except in Naples and England, and remained so until the nineteenth century. In eighteenth-century England life insurance and betting remained intertwined until the Gambling Act of 1774. There is no evidence of any systematic interest in age and mortality in the pricing of these policies, which were almost always for periods of a year or less.“2 Geoffrey Clark hat die englische Sonderkultur des 18. Jahrhunderts nachgezeichnet, die bis zum Gambling Act von 1774 durch hohe Vertrautheit mit der Institution (Lebens-)Versicherung und durch einen wettähnlichen Umgang mit dieser charakterisiert war.3 In der deutschsprachigen Forschung ist auf die vermeintlich verblüffende explizite Gestattung der „Lebensversicherung“ in der Hamburger „Assecuranz- und Haverey-Ordnung“ (1731) hingewiesen worden (Titel X „Von Assecuranz für * Für eine genaue Lektüre und wichtige Hinweise gerade zum Teil, der die spätmittelalterlichen Verhältnisse berührt, danke ich Benjamin Scheller herzlich. 1 Ian Hacking: The Emergence of Probability. A Philosophical Study of Early Ideas about Probability, Induction and Statistical Inference. Cambridge 1976; Lorenz Krüger u. a. (Hg.): The Probabilistic Revolution. Cambridge, MA 1987. 2 Lorraine J. Daston: Classical Probability in the Enlightenment. Princeton 1988, S. 123. 3 Geoffrey Clark: Betting on Lives. The Culture of Life Insurance in England, 1695–1775. Manchester/New York 1999. https://doi.org/10.1515/9783110622386-009 148 Cornel Zwierlein Türcken Gefahr und auf der Menschen Leben“).4 Man wird aber fragen müssen, ob es sich nicht um faux amis handelt: Ist hiermit die Prämien-Lebensversicherung im Sinne der englischen Praxis und/oder die Lösegeld-Versicherung gemeint, gehören beide demselben Entwicklungsstrang zu? Doch ist in den Hamburger Gerichtsakten tatsächlich ein „echter“ Lebensversicherungsfall mit Police von 1755 überliefert, der mit der Sklaven-Freikaufs-Versicherung nichts zu tun hat, sondern der englischen Praxis und der Praxis von einjährigen Einzel-Lebensversicherungs-Policen entspricht.5 Für Hamburg sind aus dem 17. Jahrhundert oder aus anderen Jahren des 18. Jahrhunderts weder weitere Gerichtsfälle zu EinzelPrämien-Lebensversicherungen überliefert, noch ist deren Praxis anderweitig dokumentiert. Dass die Einzel-Prämien-Lebensversicherung in den allermeisten Handelsorten Europas im 17. und 18. Jahrhundert verschwand, kann als markantester Ausweis eines spezifisch neuzeitlichen Umgangs mit Risiko – im Sinne der Verfügbarkeit sogar des eigenen Lebens als Objekt von wirtschaftlichem Zukunftskalkül und seiner Ökonomisierung – gelten. Von der Lebensversicherung in der Form des Prämienvertrags zu trennen sind die weitverbreiteten renten- oder tontinenförmigen Institutionen6 sowie die kameralistischen Witwen- und Waisenkassen im Reich: Diese hier nicht im Fokus stehenden Institutionen scheinen geradezu aufgrund des herrschenden „Tabus“ gegenüber der Einzel-Prämien-Lebensversicherung auch als eine Art Ausweg gewählt worden zu sein, um einerseits im Sinne der finanziellen Interessen des kameralistischen Territorialstaats, andererseits im Appell an das allgemein bestehende Gefühl des Verantwortungsbewusstseins für karitative Nächstenvorsorge gleichsam camouflierte funktionale Äquivalente zu institutionalisieren.7 Diese kurzen Beobachtungen legen es nahe, im Fol4 Mit Bezug auf den handschriftlich überlieferten Entwurf von 1722 und genannten Tit. X der AHO schrieb Thomas Dreyer: Die „Assecuranz- und Haverey-Ordnung“ der Freien und Hansestadt Hamburg von 1731. Frankfurt a. M. u. a. 1990, S. 153: „Dort ist die Lebensversicherung – man gewinnt den Eindruck: wie selbstverständlich [sc. seiner Ansicht nach verblüffenderweise angesichts der Verbote] erlaubt. VE 2 Art. 2 betritt damit assekuranzrechtliches Neuland.“ 5 StA Hamburg, Best. 211-2 Reichskammergericht, B 57 [im Folgenden: RKG, B 57]. Ich hatte Magnus Ressel in unserem schon länger währenden fruchtbaren Dialog zwischen einstigem Doktorvater und Doktoranden – nun Kollegen – auf diese Akte hingewiesen und zu Recht notierte Magnus Ressel: Die Genese und der Fall des Verbotsdogmas von Lebensversicherungen in der Frühen Neuzeit. In: Christoph Kampmann/Ulrich Niggemann (Hg.): Sicherheit in der Frühen Neuzeit. Köln u. a. 2013, S. 400–417, hier: S. 415, Anm. 77: „Dieser Prozess würde eine eingehende Untersuchung verdienen.“ Diese erfolgt hier mit leichten Akzentverschiebungen in den Schlussfolgerungen. 6 Unter „Tontine“ versteht man ein nach dem neapolitanischen, in Frankreich sehr erfolgreichen Arzt Lorenzo Tonti (1630–1695) benanntes Spar- und Gewinnverteilungssystem: Einzahlungen der „Lebensversicherer“ in festgelegter Höhe erfolgten in einen Fonds, aus dem in regelmäßigen Abständen rentenförmig proporzmäßig unter den noch Überlebenden Auszahlungen erfolgten, was die länger Lebenden gegenüber den früher Sterbenden begünstigte. Vgl. auch Anm. 34. 7 Zur Tontinen-Einführung in Frankreich vgl. die hilfreichen Quellenabdrucke bei Didier Pouilloux: Mémoires d’assurances. Recueil de sources françaises sur l’histoire des assurances du XVIème au XIXème siècle. Mayenne 2011, S. 107–244. Zu den verschiedenen Formen der institutionalisierten kameralistischen Personenversicherung, unter denen die Witwen- und Waisenkassen die wichtigsten waren, vgl. schon die relativ umfangreiche und repräsentative Erfassung der kameralistischen Tod und Leben 149 genden zunächst zwischen verschiedenen, oft in der Forschungsliteratur, zuweilen aber auch in den Quellen, miteinander vermengten Formen von „Lebensversicherung“ zu unterscheiden und zu rekonstruieren, welche Charakteristika, Erscheinungsformen, differenten Ursprünge auszumachen sind und welche Einordnungen dieser Phänomene in welche Kontexte bei den Zeitgenossen vorlagen: Kann man hier das, was isomorph erscheint, als ganz unterschiedliche Praktiken ausweisen, die spät zusammengeführt wurden? Dies ist auch eine Art Plädoyer dafür, antiteleologisch das eigene Vorverständnis von „Versicherung“ und „Risiko“-Konzepten auszublenden und historistisch offen für die Andersartigkeit und die Alterität der Semantisierung gegebenenfalls gleicher Wortkörper und Institutionenformen zu sein. Die kurze Darstellung, wie der Rechtsfall der Lebensversicherung von 1755 in Hamburg und am Reichskammergericht verhandelt wurde, mag illustrieren, wie jedenfalls auf Juristenseite „Lebensversicherung“ ein eher fremder, sich der Integration in herkömmliche Muster sperrender Gegenstand in einer Übergangsphase war. Abschließend soll gefragt werden, wie das Versicherungsprinzip am Ende des 18. Jahrhunderts in der mitteleuropäisch verwurzelten Kameralistik eine enorme Erweiterung erfuhr und sich so auch eine „Eingemeindung“ der Prämien-Lebensversicherung andeutete, auch wenn sie auf der Ebene des Rechts noch im 19. Jahrhundert in der Kodifikationsbewegung nur schwer einzuordnen war. Die frühe Prämien-Lebensversicherungspraxis (bis etwa 1600) Gestützt auf das Genoveser Notariatsarchiv, verschiedene Florentiner Archivbestände und das Datini-Archiv in Prato hatte schon Federigo Melis für die spätLiteratur bei Carl Neumann: Die deutsche Versicherungsliteratur des 18. Jahrhunderts. In: Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft 12 (1912), S. 967–985. Die späteren Spezialbibliografien sind demgegenüber weniger spezifisch; vgl. Magdalene Humpert: Bibliographie der Kameralwissenschaften. Köln 1937; Friedrich Ebel: Quellennachweis und Bibliographie zur Geschichte des Versicherungsrechts in Deutschland. Karlsruhe 1993. Die allgemeinere Literatur zur deutschen Kameralistik hat wiederum die Kassen weniger im Blick gehabt; vgl. Pierangelo Schiera: Il cameralismo e l’assolutismo tedesco. Dall’arte di governo alle scienze dello stato. Mailand 1968; Keith Tribe: Governing Economy: The Reformation of German Economic Discourse 1750–1840. Cambridge u. a. 1988; Marcus Sandl: Ökonomie des Raumes. Der kameralwissenschaftliche Entwurf der Staatswirtschaft im 18. Jahrhundert. Köln 1999; Ulrich Adam: The Political Economy of J. H. G. Justi. Oxford 2006. Ein allgemeinerer, Kameralismus im Sinne der Gouvernementalitätsperspektive internationalisierender Ansatz bei Pascale Laborier u. a. (Hg.): Les sciences camérales. Activités pratiques et histoire des dispositifs publics. Paris 2011. Vgl. zu den Kassen hingegen spezieller Wilhelm Ebel: Über die Professoren-Witwen- und Waisenkasse zu Göttingen. In: Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft 59 (1970), S. 535–559; Bernd Wunder: Pfarrwitwenkassen und Beamtenwitwen-Anstalten vom 16.–19. Jahrhundert. In: ZHF 12 (1985), S. 429–498; Eve Rosenhaft: Secrecy and Publicity in the Emergence of Modern Business Culture. Pension Funds in Hamburg 1760–1780. In: Anne Goldgar/Robert I. Frost (Hg.): Institutional Culture in Early Modern Society. Leiden 2004, S. 218–243; dies.: Did Women Invent Life Insurance? Widows and the Demand for Financial Services in Eighteenth-Century Germany. In: David R. Green (Hg.): Family Welfare. Westport 2004, S. 163–194. Für Austausch zum Thema sowie die Lektüre des Textes „LifeContingent Contracts and the Political Economy of Speculation“ danke ich Christine Zabel. 150 Cornel Zwierlein mittelalterliche Praxis des mediterranen Handels, der bekanntlich Ursprung der maritimen Transport-Prämienversicherung ist, auf die Praxis und Überlieferung von Prämien-Versicherungsverträgen auf das Ableben eines einzelnen für generelle wie für spezifizierte Todesursachen hingewiesen.8 Ebenso hatte er das frühe Vorkommen von Wettversicherungen auf den Tod einer berühmten Persönlichkeit (Päpste, Herrscher) aufgezeigt. Bei einer privaten Lebensversicherung aus dem Florenz des Jahres 1465 lautete die Police in Übersetzung: Es sei hiermit kund für jedermann, der das vorliegende Schreiben sieht, dass Benedetto d’Antonio Salutati für 150 Dukaten die Sicherheit über das Leben des Francesco di Domenicho di Barnaba degli Agli übernimmt; das heißt, der benannte Benedetto möchte versichert sein, dass der obengenannte Francesco degl’Agli leben wird und lebendig sei vom Tag des 1. März, der da kommen wird 1465 bis hin zum 1. März 1466, wie auch immer sich dieser Francesco bewegt oder vor Ort bleibt oder zu Pferd reist, zu welchem Ort oder welchen Weg oder welches Land er bereist; und die Versicherer, die diese Versicherung gewähren, müssen für ihr Risiko, das sie eingehen, heute jeder 4 % erhalten. Und das Risiko, das diese Versicherer, die diese Sicherheit geben, tragen hinsichtlich des Lebens von diesem Francesco degli Agli, […] [umfasst] den Tod durch Feuer oder Wasser, den Tod durch Gift oder Pest, den Tod durch Dolchstoß oder jede andere Eisenwaffe, den plötzlichen Tod und den natürlichen oder Unfallstod und jede andere Todesart, an der er sterben könne oder gestorben sein kann, ob am Tag oder nachts, und auch jede Todesart, die man sich gar nicht vorstellen noch erdenken kann – von welchem Tod ihn der Herrgott beschütze! All diese Todesarten tragen die Versicherer als Risiko und nehmen sie auf sich, vom 1. 3. 1465 bis zum 1. 3. 1466, wie gesagt ist.9 8 Federigo Melis: Origini e sviluppi delle assicurazioni in Italia (secoli XIV–XVI). Rom 1975, Appendice II, doc. 24–31, S. 212–218. 9 „Copia di una scritta dell’asichuramento facemo sopra la vita di Francescho di Domenicho di Barnaba degl’Agli, da dì primo di marzo 1465 per infino a dì primo di marzo 1466. – Sia manifesto, a ogni persona che vedrà la presente scritta, chome Benedetto d’Antonio Salutati piglia sichurtà, per f. (150), sopra la vita di Francescho di Domenicho di Barnaba degli Agli: sicché il detto Benedetto vuole esser asichurato che’l sopra detto Francescho degl’Agli viverà, e vivo fia, da dì primo di marzo, che de’ venire, millequatrocentosessantacinque, per infino a tutto dì primo di marzo millequattrocentosessanzei, andando e stando et chavalchando, detto Francescho, per qualunche luogho o via o paese; e gli asichuratori, che faranno questa sichurtà, debono avere per loro rischio, hora al presente, ciaschuno, f. (4) per cento. E ’l rischio ch’e’ detti asichuratori, che faranno questa sichurtà, chorrono in sulla vita di detto Francescho degli Agli, sia de dì primo di marzo, che de’ venire, 1465, per infino a tutto di primo di marzo 1466, chome detto è, sia di morte di fuocho o d’acqua, e di morte di veleno o di pistolemza, e di morte di choltello e d’ogni altro ferro, e di morte subitana e di morte naturale o accidentale, e d’ogni altra morte di che potessi morire o fussi morto, o di dì o di notte, ed ezian di morte di che non si potessi immaginare né pensare, della quale morte Iddio ghuardi! Tutti gli chorono, tutti gli portano detti rischi, i detti asichuratori, sopra di loro, da dì primo di marzo 1465 per infino a tutto dì primo di marzo 1466, chome detto è.“; Melis: Origini (wie Anm. 8), Tod und Leben 151 Wettversicherungen auf gekrönte Häupter – wie dieses Florentiner Beispiel – hatten die Form, dass der Policen-Nehmer und Prämienzahler gegen Zahlung der Prämie von einem oder einer Mehrzahl von Versicherern zugesichert erhielt, dass, sofern innerhalb eines Jahres vom genauen Datum des Policen-Schlusses an gerechnet, die berühmte Person, zum Beispiel Papst Nikolaus V., sterben werde, er eine bestimmte Summe (zum Beispiel 200 Dukaten) ausgezahlt bekäme. Bliebe er am Leben, erhielte er diese Summe nicht, und seine Prämienzahlung käme den „Versicherern“ zugute.10 Die Forschung zur Versicherungspraxis des 15. bis 16. Jahrhunderts seit den 1950er-Jahren bis jüngst – etwa Rossis Werk zum „London Code“11 – haben gezeigt, dass diese Formen der Lebensversicherung fast an allen Hafen- und Handelsplätzen, an denen die maritime Transportversicherung praktiziert wurde, auch nachweisbar ist, in der Ausbreitungsform, wie sie der Braudel-Schüler Boiteux schon aufgezeigt hatte:12 von Italien über die französischen südlichen Mittelmeerhäfen in den Norden. Allerdings wurde zugleich deutlich, dass diese Formen der Einzel-Prämien-Lebensversicherungen stets ein kleiner Geschäftsbereich blieben und relativ marginal neben dem Kerngeschäft der Transportversicherung waren. Nur 96 (= 1,9 %) der für das 16. Jahrhundert überlieferten Policen des Konsulats von Burgos,13 zentral für den maritimen Versicherungsmarkt der Zeit, betrafen Lebensversicherungen. Für England sind vor 1600 nur drei Policen überliefert.14 Auch für die Niederlande sind unsere Kenntnisse hier spärlich: Die Leibrentenpraxis ist zwar seit dem 13. Jahrhundert belegt, kontinuierlicher etwa für Dordrecht im 15. Jahrhundert. Huygens und Johan de Witts Beiträge zur Probabilistik, zu Sterbetafel- und Leibrenten-Berechnungen sind bekannt,15 aber zur Prämien-Lebensversicherungspraxis fehlen Belege und existiert entsprechend kaum Forschung. Wettversicherungen wurden praktiziert, aber auch sie sind nur spärlich überliefert beziehungsweise erwähnt.16 Dies spricht daS. 213; Übersetzung hier und an allen weiteren Stellen, wenn nicht ausdrüklich anderes genannt ist, durch den Verfasser. 10 Ebd., Nr. 28, S. 215. 11 Guido Rossi: Insurance in Elizabethan England. The London Code. Cambridge 2016. 12 Louis A. Boiteux: La fortune de mer. Le besoin de sécurité et les débuts de l’assurance maritime. Paris 1968. 13 Hilario Casado Alonso: El Mercado Internacional de Seguros de Burgos en el Siglo XVI. In: Boletin de la Institución Fernán González 219 (1992), S. 277–306, hier: S. 285; Rossi: Insurance (wie Anm. 11), S. 414. 14 Rossi: Insurance (wie Anm. 11), S. 415 mit Anm. 27. 15 Ida H. Stamhuis: Levensverzekeringen 1500–1800. In: Jacques van Gerwen/Marco H. D. van Leeuwen (Hg.): Studies over Zekerheidsarrangementen. Risico’s, risicobestrijding en verzekeringen in Nederland vanaf de Middeleeuwen. Amsterdam/Den Haag 1998, S. 141–156. 16 Vgl. Johan Petrus van Niekerk: The Development of the Principles of Insurance Law in the Netherlands from 1500 to 1800. 2 Bde. Kapstadt 1998, hier: Bd. 1, S. 111 f. Er erwähnt Wettversicherungen auf gekrönte Häupter auch für das 17./18. Jahrhundert für die Niederlande, allerdings auf die gelehrte Jurisprudenz, nicht auf entsprechendes Aktenmaterial gestützt; die Darstellung der Abgrenzung von der Prämienversicherung über das Kriterium des schützenswerten Interesses enthält weitere Anklänge an die vorliegende Problematik, aber keine direkte Erwähnung einer florierenden Prämien-Lebensversicherungspraxis. Zu den Edikten vgl. Frank Spooner: Risk at 152 Cornel Zwierlein für, dass deren Verbot durch die Amsterdamer Ordnung von 1598 (auch in der Neufassung von 1744) ebenso wie durch die Ordnungen von 1604 und 1621 für Rotterdam, für Middleburg (1600) und auch für Frankreich (1681) durchgehalten wurde, und zwar gerade an den Orten, an denen potenziell am ehesten Interesse und Expertise für den Geschäftstyp vorhanden war. Für die Forschungen zu Venedig,17 zu Florenz18 und zu Ragusa (Dubrovnik)19 gilt, dass Prämien-Lebensversicherungs-Policen wie die oben genannten meist gar nicht erwähnt sind und vermutlich in den Akten nicht auftauchen. Versichertes „Leben“ kommt immer wieder in Bezug auf Sklaven und deren Tod vor, doch diese waren gemäß der geltenden Rechtsauffassung als Dinge im Sinne des Sachenrechts zu betrachten, weshalb diese Sklavenversicherung ein schlichter Unterfall der Sachen-Transportversicherung ist20 – auch wenn Geoffrey Clark in jüngster Zeit doch ein in der Praxis sich einübendes Bewusstsein für die Nähe zur „Lebensversicherung“ aus solchem Quellenmaterial hat ablesen wollen.21 Der „London Code“ sah eine besonders scharfe Trennung zwischen der Versicherung eines Kredits oder einer Rente – die durch Tod des Schuldners gegebenenfalls zunichte wurde – und der Lebensversicherung als solcher vor, kannte also beide Praktiken.22 Wenn in der zeitgenössischen Theorie über die Erlaubtheit der Lebensversicherung gestritten wurde, so wurde gerade diese Unterscheidung oft nicht durchgehalten: Sylvester Mazzolini Sea. Amsterdam Insurance and Maritime Europe, 1766–1786. Cambridge 1983, S. 40 f., S. 127; Sabine Go: Marine Insurance in the Netherlands 1600–1870. A Comparative Institutional Approach. Amsterdam 2009, ist ganz auf die maritime Transportversicherung konzentriert und erwähnt nur einmal (S. 144) das zögerliche Aufkommen von Feuerversicherungen in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Demgegenüber gab es in den Niederlanden neben der ab 1744 nachgewiesenen Einzel-Feuerversicherungspolice auch Ansätze, die Feuerversicherung zu institutionalisieren, die ab 1663 zunächst den Hamburger Brandkontrakten ähnelte, die dort schon im 16. Jahrhundert gängig waren: Hendrik Gerrit Schuddebeurs: Onderlinge brandverzekeringsinstellingen in Nederland van 1663 tot 1948. Rotterdam 1948; Johannes Petrus Vergouwen: De Geschiedenis der makelaardij in assurantiën hier te lande tot 1813. Den Haag 1945, S. 69; Abraham Balthazar van der Vies: Bijdragen voor de geschiedenis der verzekering in Nederland voornamelijk de brandverzekering. Amsterdam 1904, S. 23–32, S. 86–97. 17 Karin Nehlsen-von Stryk: Die venezianische Seeversicherung im 15. Jahrhundert. Ebelsbach 1986, S. 195–198, erwähnt Fälle von versichertem Tod von Sklaven als Handelsgüter. 1419 wurden die securatitates super persona pape verboten; Giovanni Stefani: L’assicurazione a Venezia dalle origini alla fine della Serenissima. Triest 1956, Nr. 20. 18 Giovanni Ceccarelli: Un mercato del rischio. Assicurare e farsi assicurare nella Firenze rinascimentale. Venedig 2012; ders.: Coping with Unknown Risks in Renaissance Florence: Insurers, Friars and Abacus Teachers. In: Cornel Zwierlein (Hg.): The Dark Side of Knowledge. Histories of Ignorance, 1400 to 1800. Leiden/Boston 2016, S. 117–138, erwähnt gar keine Formen der Lebensversicherung. 19 Alberto Tenenti: Il prezo del rischio. L’assicurazione mediterranea vista da Ragusa (1563– 1591). Rom 1985. 20 Dies hatte schon Wilhelm Ebel: Über Sklavenversicherung und Sklavereiversicherung. In: Zeitschrift für die Versicherungswissenschaften 52 (1963), S. 207–230, klarzustellen versucht. 21 Geoffrey Clark: Slave Insurance in Late Medieval Catalonia. In: Kampmann/Niggemann (Hg.): Sicherheit (wie Anm. 5), S. 418–429. 22 Rossi: Insurance (wie Anm. 11), S. 413. Tod und Leben 153 etwa begründet 1506 (Erstdruck 1514/1515) die Unerlaubtheit der Lebensversicherung mit den zwei Argumenten, dass der Wert des menschlichen Lebens unschätzbar sei und dass Lebensversicherungen (zugunsten eines Dritten) zu Totschlag verleiten könnten.23 Wenn Francisco García das erste Argument 1583 damit widerlegt, dass zwar nicht der Wert des Lebens als ganzer, aber wohl der entstehende Schaden etwa aus der nicht erfolgenden Rückzahlung eines Kredits oder einer sonstigen Obligation durch den Tod eines Schuldners klar quantifizierbar sei, so vermengt er die reine Lebensversicherung auf Todesfall wie in obiger Police praktiziert (und wohl von Prieras gemeint) mit jener Kredit- oder Rentenversicherung.24 Die zeitgenössische kirchenrechtliche, moraltheologische und legistische Theorie war hinsichtlich der Diskussion der Lebensversicherung unentschieden: Viele Autoren behandelten sie nicht; von den Autoren der Spätscholastik, insbesondere der Schule von Salamanca, wurde sie im Wesentlichen hinsichtlich der allgemeinen Frage nach der Erlaubtheit diskutiert.25 Ein meist auf ein 23 [Silvestro Mazzolini:] Summa ab […] Sylvestro Prierate […] edita. Antwerpen 1578, s. v. „negotium“ n. 4, S. 238: Et tertio [assecuratio] fit in personis […] cum certatur super futura morte, aut vita alicuius, & unus obligat se ad decem danda, si tali tempore non fuerit vivus: & similiter alius, si eodem tempore non fuerit mortuus: & secundum Arch. hoc lucrum licitum non videtur: quia nulli vtilitati, sed soli cupiditati deseruit, & potest dici turpe lucrum: & datur via ad mortem optandam alicuius: & pauperibus erogandum est. 24 Francisco Garcia: Trattato di tutti i contratti […]. Brescia 1589, cap. 39, n. 13, S. 661–663. 25 Der früheste Einzeltraktat Pedro Santerna: Tractatus de assecurationibus et sponsionibus, [1488]. Venedig 1552, behandelt die assecuratio ohnehin insgesamt unter „De sponsionibus mercatorum“, erörtert aber die Prämien-Lebensversicherung eines Privatmanns noch nicht (pars IV, n. 67, S. 560, betrifft den Todesfall nur innerhalb der Frachtversicherung). Bei Vitoria wird der Versicherungsvertrag als Unterfall des Problems der Sündhaftigkeit von Wucher (De peccato usurae) abgehandelt und in etwas undeutlicher Formulierung eine Praxis in Valladolid von 10-jährigen Lebensversicherungsverträgen auf das Leben eines Dritten zwischen Versicherer und Versichertem ebendort; Francisco Vitoria: (In Secunda Secundae Comment.) De Justitia. Hg. von Vicente Beltrán de Heredia. Bd. 2. Madrid 1934, IIa IIae, qu. 78, art. 2, bes. Nr. 61, S. 178–180, S. 222. Bei Soto wird die Frage der Erlaubtheit des Lebensversicherungsvertrags noch innerhalb der quaestio septima „De contractu assecurationis“ abgehandelt mit Rekurs auf Sylvestro Mazzolini; Domingo de Soto: De iustitia et iure. Lyon 1582, fol. 207v. Bei Molina wird zwar der Lebensversicherungsvertrag innerhalb des assecuratio-Abschnitts verhandelt, aber explizit verwendet der Autor nicht mehr den assecuratio-Begriff, sondern wechselt zur generelleren Frage Utrum autem licitus sit contractus, quo quis securam reddat vitam alicuius pro pretio aliquo […]; vgl. Ludovicus Molina: De iustitia et iure. Bd. 1. Antwerpen 1615, disp. 507, p. 491, n. 12. Lessius behandelt die Versicherungen insgesamt als Unterfall der aleatorischen Verträge und die Lebensversicherung hierbei nicht explizit; vgl. Wim Decock: Theologians and Contract Law. The Moral Transformation of the Ius Commune (ca. 1500–1650). Leiden/Boston 2013, S. 173. Zur kanonischen und moraltheologischen Erfassung von assecuratio allgemein vgl. zur Lebensversicherung Christoph Bergfeld: Die Stellungnahme der spanischen Spätscholastiker zum Versicherungsvertrag. In: Paolo Grossi (Hg.): La Seconda scolastica nella formazione del diritto privato moderno: incontro di studio. Florenz 1973, S. 457–471; Giovanni Ceccarelli: Risky Business. Theological and Canonical Thought on Insurance from the Thirteenth to the Seventeenth Century. In: The Journal of Medieval and Early Modern Studies 31 (2001) 3, S. 607–658 (geht auf die Lebensversicherungen nicht ein); James Franklin: The Science of Conjecture. Evidence and Probability before Pascal. Baltimore 2001, S. 258–288 (zu den aleatorischen Verträgen, 13.–17. Jahrhundert). 154 Cornel Zwierlein Jahr geschlossener Lebensversicherungsvertrag in seiner quasi-wettförmigen Art reduzierte die Zahlung der Versicherungssumme auf das Eintreten/Nicht-Eintreten eines Ereignisses, was als Wahrheit/Nicht-Wahrheitsstatus der Aussage „A ist tot/ist nicht tot“ konzipiert werden konnte, weshalb es nahe lag, sie nach der gängigen Definition der sponsio auch als Wette zu erfassen. Die gängige Definition lautete: [sponsio est] contractus, in quo duo de veritate vel eventu alicuius rei contendentes sibi vicissim aliquid spondent, ut id eius sit, qui veritatem fuerit assecutus,26 und dieser Wahrheitsbegriff (veritas) wird noch in dem im Folgenden analysierten Rechtsfall ein Hauptstreitpunkt sein. Bei der Verbreitung der Praktiken und ihrer theoretischen Behandlung nach Nordeuropa scheint sich dann nicht erst durch die Verbote, sondern schon vorher eine Art Verengung vollzogen zu haben: So tauchte typischerweise bei einem der wichtigsten Autoren der entstehenden Sonder-Handelsrechts-Literatur, dem auch in Nordeuropa zeitversetzt nachgedruckten und viel rezipierten Straccha, die Lebensversicherung eben nicht unter assecuratio, sondern unter sponsio (als verbotenes Geschäft) auf, wenn er in seinem „Tractatus de mercatura“ zwei eigene Untertraktate einerseits „De assecurationibus“, andererseits „De sponsionibus“ widmete. Sie unterfiel so der römischrechtlichen Prüfung der boni mores von Verträgen.27 Die Juristen des frühhandelsrechtlichen Ius commune übertrugen hier die Lehren von der Sittenwidrigkeit von Verträgen über die künftige Erbschaft eines noch lebenden Dritten aus dem Kontext der römischrechtlichen donatio mortis causa auf Lebensversicherungen28 – vergleichbar einer heutigen Prüfung eines Rechtsgeschäfts am Maßstab von § 242 BGB.29 In den folgenden juristischen Erörterungen des 17. und 18. Jahrhunderts zur assecuratio wurde die Lebensversicherung ausführlicher nur noch 26 Leonardus Lessius: De iustitia et iure. Lyon 1653 [Erstauflage 1605], lib. 2, cap. 26 „De Ludo & Sponsionibus“, dub. I, S. 283. 27 Benvenuto Straccha: Tractatus de sponsionibus. In: ders.: Tractatus de mercatura, seu mercatore, omnia […]. Venedig 1556, S. 175–207, quarta pars, n. 1–9 (Sponsio facta, quod imperator, vel pontifex hoc anno morietur, an valeat, late disputat, & valere ait), S. 187–190, während er in seinem „Tractatus de assecurationibus“ die Lebensversicherung nicht behandelt; ders.: Tractatus duo de assecurationibus et proxenetis […]. Amsterdam 1668. 28 Vgl. Reinhard Zimmermann: The Law of Obligations. Roman Foundations of the Civilian Tradition. Oxford 1996, S. 712; aus dem klassischen römischen Recht ist einschlägig Dig. 39, 5, 29, 2, der nachklassische locus ist Cod. 2, 3, 30. David Rüger: Die donatio mortis causa im klassischen römischen Recht. Berlin 2011, behandelt diesen Fall nicht. 29 Caeterum, si super morte privati hominis fieret sponsio, maxime animadvertendum arbitror, finge enim inimicissimum alterius contrahentis, rectius igitur fecerunt mercatores, si se a sponsione proxime relata abstinuerint, sed si is super cuius morte facta est sponsio voluntatem suam accomodauerit, ratam sponsionem existimo, propter l.fi<nalem> C. de pac. [Cod. 2.3.30] quam in illa parte, in hac etiam conuentione, & stipulatione puto locum habere, & cur diuersum statuendum sit, non video; Benvenuto Straccha: Tractatus de sponsionibus. In: ders.: Tractatus de mercatura seu mercatore. Lyon 1556, pars IV, n. 8, S. 189. Er verweist auf Lodovico Gozzadini: Consilia seu responsa. Venedig 1571, Nr. 98, S. 165–167. Bei Garcia: Trattato (wie Anm. 24), S. 658, wird die assecurazione des Lebens als vierter Gegenstand neben Transport, Geld und Freiheit gestellt: Dies weist einerseits in die Richtung eines allgemeinen Versicherungsbegriffs, andererseits beruht es auf dem bei ihm eingeschränkten Begriff von „Leben(sversicherung)“. Tod und Leben 155 einmal mit Blick auf die in Neapel übliche Praxis behandelt.30 Bei den etwa dreißig ermittelbaren auf Nordeuropa bezogenen Werken, insbesondere juristischen Einzeldissertationen, taucht die Prämien-Lebensversicherung bis auf Einzelausnahmen nur noch quasi als „Erinnerung“ an die südeuropäische Praxis und Literaturbehandlung auf.31 Wie für andere Versicherungsbereiche auch ist die entscheidende Epochenschwelle um 1700 – der Übergang zur „sicheren Normalgesellschaft“ der Frühaufklärung in meiner am Feuerversicherungsbeispiel entwickelten Lesart32 – primär und entscheidend durch den Faktor der Institutionalisierung des Prinzips gekennzeichnet, während die Versicherung zuvor vor allem als Einzelvertrag und Geschäftstyp zwischen zwei Personen oder maximal einem Versicherten und einer gewissen Mehrzahl von anteilig an einem Einzelvertrag beteiligten Versicherern vorkam. Eine solche Institutionalisierung findet dann aber in verschiedenen Formen statt.33 Sterbefall-Tontinen mit Auszahlung von Pauschalbeträgen an Hinterbliebene und Begünstigte von Tontinen-Mitgliedern bei deren Ableben als Unterart der seit 1652 praktizierten Tontinen zugunsten der überlebenden Mitglieder einzelner Alterskohorten sind eine Form von Lebensversicherung ohne Prämienprinzip und ohne gegebenenfalls anwachsenden Versicherungswert, sind 30 Vgl. Francisco Rocco: Responsorum legalium cum decisionibus centuria prima […]. Neapel 1655, responsio XXIII, S. 56 f. 31 Vgl. die Spezialtraktate des 17. und 18. Jahrhunderts zur assecuratio, die im Anhang I bei Zwierlein: Prometheus (wie Anm. 32), S. 369 f., aufgelistet sind. In diesen wird eher selten zentral auf die spätscholastische Literatur zurückgegriffen, vielmehr stammen die Hauptreferenzen von den südlichen Autoren Santerna und Straccha, erst in zweiter Instanz beziehen sich die nordeuropäischen Autoren auf die eigene Literatur. Rutger Rulant: Tractatus de commissariis […] pars IV. De interrogatoriis. Frankfurt a. M. 1617, S. 89, tradiert schon mit Verweis auf die Ordonnanz Philipps II. von 1563 für die Niederlande die Verbotenheit des Objekts „Leben“ und schreibt sonst nichts mehr über die Lebensversicherung. Schaffshausen (1638), Schragius (1642), Brandes (1664), Lederer (1667) behandeln sie nicht. Heinrich Hahn: Observata theoretico practica, Ad Matthaei Wesenbecii in L. libros Digestorum Commentarios […] Pars Prior. Helmstedt 1659 [zum Digestentitel 19], S. 1088, erwähnt sie in vier Zeilen; Reinhold Curicke: Diatriba de assecurationibus. In: Johann Gottlieb Heineccius (Hg.): Scriptorum de iure nautico et maritimo fasciculus. Magdeburg 1740, S. 827–838, hier: S. 833, erwähnt sie semantisch gleichgestellt als adsecurationes in vitam hominis, aut in sponsiones itinerum, et similes inventiones als verboten durch die Amsterdamer Ordnung, notiert aber: Hodie tamen nil frequentius fieri solet. Es folgen keine weiteren Ausführungen zu ihr. Hiernach kommt die Lebensversicherung gar nicht mehr in den erfassten Assekurationstraktaten vor. Zuweilen wird zwischen assecuratio maritima und assecuratio terrestris unterschieden. Die Definitionen, die als Objekt des Vertrages die Übernahme des periculum nennen, wären an sich verallgemeinerbar und übertragbar, aber de facto war der Begriff eng an die maritime Transportversicherung geknüpft. Man hätte für die Erfassung von funktionalen Äquivalenten im Rechtsdiskurs ganz auf die Behandlung von Wetten und Glückspielverträgen zurückgreifen müssen. Im vorliegenden Hamburger Fall geschieht nicht einmal das, es erfolgt keine Behandlung des Sachverhalts dezidiert als sponsio. 32 Cornel Zwierlein: Der gezähmte Prometheus. Feuer und Sicherheit zwischen früher Neuzeit und Moderne. Göttingen 2011, S. 262–314. 33 Zur Institutionalisierung als entscheidendes Moment einer Versicherungsgeschichte in allgemeiner Hinsicht vgl. Cornel Zwierlein: Ein frühneuzeitliches Erfolgsmodell: Sicherheit durch Versicherung. In: Kampmann/Niggemann (Hg.): Sicherheit (wie Anm. 5), S. 383–399. 156 Cornel Zwierlein aber schon ein auf eine Versichertenmehrheit übertragenes funktionales Äquivalent zum Einzel-Lebensversicherungsvertrag.34 Die dann auf Poveys Plan beruhenden Formen verschiedener mutual life insurance societies sowie der stock companies, die, wie die 1710 gegründete „Sun“,35 zu einer Experimentier- und Gründungswelle einer Vielzahl von frühen Lebensversicherungsgesellschaften von 1695 bis 1720 führte, von denen dann einige größere sich am Markt hielten, sind bekannt.36 Das ganz anders geformte Pendant mit Lebensversicherungsähnlichkeit auf dem Festland sind die kameralistischen Witwen- und Waisenkassen. Nur die englischen Versicherungsgesellschaften bedienten sich in kumulativer Form der Prämien-Lebensversicherungs-Policen-Praxis. Tod in Hamburg Wenden wir uns vor diesem Hintergrund der Analyse des Hamburger Falles von 1755 zu, der 1767 zum Abschluss kam:37 Er betrifft eine vom Kläger Marsilius Stander abgeschlossene Lebensversicherung mit der Versicherungssumme von 8 500 Mark oder 2 833 1/3 Reichstalern hinsichtlich des Lebens des Wettschreibers Nikolaus Christoffer Wolters bei den Beklagten. Diese hatten als vier Parteien die Assekuranz gezeichnet – eine ganz typische Mehrheit von Versicherern für einen Versicherten. Es handelte sich im Einzelnen um die Gebrüder Brentano, die für 3 000 Mark Courant [die Hamburger Rechnungswährung] gezeichnet hatten, Wilhelm Stolle (1 000 Mark), Joachim Kähler junior (1 500 Mark) und Theodorus Lavezzari (3 000 Mark). Die Police wurde von dem Makler Johann Christian Schierhorn am 19. August 1755 mit Stander geschlossen, die Versicherer trafen 34 Für die Vertragspraxis und die Institutionengeschichte der Tontinen vgl. Pouilloux: Mémoires (wie Anm. 7); für die Diskussion über ihre Bedeutung für den öffentlichen Kreditmarkt und gegebenenfalls den säkularen englisch-französischen Wettbewerb um die Potenz der Staatsfinanzen und die staatliche Kreditaufnahmefähigkeit im North/Weingast/Brewer’schen Modell vgl. David R. Weir: Tontines, Public Finance, and Revolution in France and England, 1688–1789. In: JEH 49 (1989) 1, S. 95–124; Philip T. Hoffman/Gilles Postel-Vinay/Jean-Laurent Rosenthal (Hg.): Des marchés sans prix. Une économie politique du crédit à Paris, 1660–1870. Paris 2001, S. 38 et passim. 35 Peter G. M. Dickson: The Sun Insurance Office, 1710–1960. London 1960, S. 17–31. 36 Clark: Betting (wie Anm. 3). 37 Für die Sachverhaltsdarstellung sind zentral die facti species im Rahmen der Nullitäts-KlageErhebung durch den Anwalt von Zwierlein im Libellus nullitatum earumque simpliciter insanabilium et gravaminum summarius, cum petito humillimo legali in Sachen Brentani Gebrüder und Consorten contra Marselius Stander, StA Hamburg, RKG, B 57, Teil 1, Nr. 6, fol. 1r–40v (prod. Wetzlar, 3. 10. 1763) und beklagtenseitig der Vortrag des Anwalts Ruland Exceptiones in Sachen Gebrüder Brentani u. Cons. contra Marsilium Stander, 16. 2. 1765, StA Hamburg, RKG, B 57, Teil 2, Nr. 37. Ebd., Teil 2, Nr. 34a, liegen als Konvolut von 735 Seiten die Producta in Sachen Marselius Stander, Klägers, contra Brentani Gebrüder, Wilhelm Stolle, Jochim Kähler iun. und Theodor Lavezzari, Beklagte (prod. Wetzlar, 17. 3. 1764) vor, die in den vorherigen Akten als Acta priora bezeichnet werden, allerdings schon in die Zeit des Reichskammergerichts hineinreichen und nur teilweise darüber hinaus Hamburger obergerichtliche Akten abschriftlich, zum Teil auch in Dopplung die gleichen Aktenstücke wie in Teil 1 enthalten. Tod und Leben 157 also, wie häufig, weder den Versicherungsnehmer (Stander) noch den, dessen Leben „versichert“ war (Wolters).38 Anders als heute meist gängig, schloss nicht Wolters, sondern der potenzielle Nutznießer Stander den Vertrag. Der Makler ließ die Versicherer dann gegenzeichnen, was am 20. und 21. August geschah, womit das Geschäft zunächst einmal rechtsgültig war. Jeder der Versicherer erhielt 2 % Prämie auf seinen Anteil an der Versicherungssumme: [Alle vier bestätigten…] ein jeder für hierunter gezeichnete Summa 2 Procento Premie Neu Hamburger Courant empfangen zu haben, wofür wir uns verpflichten, daß wenn vorgedachter Nicolaus Christoffer Wolters, in Eines Jahres frist, zu rechnen von den zwey und zwanzigsten August Anno Eintausend Sieben Hundert fünf und funfzig bis den zwey und zwanzigsten August Anno Eintausend Sieben Hundert Sechs und funfzig inclusive, von dem Höchsten Gott durch ein oder andern Zufall, jedoch eines natürlichen Todes, sollte abgefordert werden, Wir als dann ein jeweder daß gezeichnete Capital, mit Acht und Neunzig Procento, innerhalb 2 Monathe nach deßen Absterben bezahlen wollen, und da Gott verhüte, daß dito Wolters sollte mit Tode abgehen, an keinen andern die Zahlung ohne Exception zu entrichten, als an obbemeldten Herrn Marselius Stander oder deßen Erben, womit [sic] friedlich. Ubrigens erkennen, Wir dieses Engagement von solcher Würde und Gütigkeit, als wenn dazu eine eigne eingerichtete Police wäre, und wünschen den Geassecurirten langes und gesundes Leben. Geschloßen durch den beeidigten Mäckler Johann Christian Schierhorn Hamburg Anno 1755 d. 19. Aug. 1755.39 Wenige Tage später starb Wolters und wurde schon am 30. August 1755 begraben.40 Stander forderte von den Versicherern nun die 8 500 MC. Doch diese ver38 Klägerseitig wurde dem RKG eine Kopie der Police zum Beleg beigefügt (StA Hamburg, RKG, B 57, Teil 1, Nr. 7), deren Authentizität beklagtenseitig aber bestritten wurde, vgl. Anm. 55. Es herrschte die Praxis, dass die Makler mit den Assekuradeur-Geschäftspartnern teilweise nur jährlich abrechneten, sodass die geschlossenen Verträge erst dann überhaupt inhaltlich bekannt wurden; vgl. Dreyer: „Assecuranz- und Haverey-Ordnung“ (wie Anm. 4), S. 35, S. 197. Zur Rolle der Makler außerhalb Hamburgs vgl. für London Rossi: Insurance (wie Anm. 11), S. 253–257; für die Niederlande Go: Marine Insurance (wie Anm. 16), S. 70–95; Niekerk: Development (wie Anm. 16), S. 756–758. 39 StA Hamburg, RKG, B 57, Teil 1, Nr. 7. In den Acta priora ist die Police noch einmal in Kopie enthalten, in der durchgestrichen auch Peter Greve mit einem Versicherungsanteil von 1 500 MC am 4. 8. 1755 zeichnete (StA Hamburg, RKG, B 57, Teil 2, Nr. 34a, S. 15–22). 40 Auch dies wurde im Prozess als Indiz für die Betrugsintention von Stander und Schierhorn interpretiert, denn: „Nun war Stander kein Jude, so wie Wolters kein Jude gewesen war; und hier pflegen die Christen, wie die hiesigen Leichbitter und Todtengräber alle bezeugen können, 5, 6 ordinair 8, Tage nach ihrem Tode beerdiget zu werden.“ Angesichts des raschen Begräbnisses, das eine Obduktion verhinderte, wurde seitens der Versicherer eine Art „Vertuschungsabsicht“ vermutet: StA Hamburg, RKG, B 57, Teil 1, Nr. 5; Zeugnis des Leichenbitters Joachim Dietrich Stegen, 20. 6. 1761, StA Hamburg, RKG, B 57, Teil 1, Nr. 9. 158 Cornel Zwierlein weigerten die Zahlung mit der Begründung, dass der Grad der Schwindsucht des Versicherten nicht hinreichend belegt gewesen sei, andernfalls hätten sie die Versicherung nicht abgeschlossen. Das Hamburger Obergericht jedoch verurteilte die Versicherer zur Auszahlung der zugesicherten 98 % von 8 500 MC nebst Zinsen. Daraus wird deutlich, dass der üblichen Praxis entsprechend die 2 % Prämie nicht realiter gezahlt worden waren, da sie in Abzug gebracht wurden. Zahlbar war der Betrag innerhalb von vier Wochen ab dem 11. März 1761.41 Gegen dieses Urteil, dem schon eine erste Verhandlung am Obergericht sowie eine Appellation an den Reichshofrat vorausgegangen war,42 legten die Versicherer Klage beim Reichskammergericht ein. Dass dies überhaupt möglich war, wurde damit begründet, dass die Summe des Privilegs de non appellando durch den Versicherungswert überschritten sei und dass es sich auch nicht der Sache nach um eine „Versicherung“ im Sinne des üblichen Handelsrechts handele, die sonst ja allein am Admiralitätsgericht zu verhandeln gewesen wäre,43 „sondern als die oben gedachte Summen gethane Assecuranz nicht über das Leben eines Seemans oder in mercantie-Sachen (wovon die in dem Hamburgischen Privilegio gemelte assecuranzien doch lediglich zu verstehen sind) sondern auf das Leben eines Wutteschreibers seinem Schwager einem Kirchspiel Läuffer zum besten geschehen und dahero auch von diesem nicht in dem Admiralitaets-Gericht, sondern gleich anfangs im Obergericht zu Hamburg eingeklaget worden ist; im übrigen aber vermögen selbst die privilegia de non appellando illimitata nicht, den Recours an die höchste Reichs Gerichte in caussis nullitatum“ zu verbieten.44 Dieser anwaltliche Vortrag des bekannten Reichskammergerichtsadvokaten Johann Jakob von Zwierlein (1699– 1772)45 – mit dem ich nicht verwandt bin – hinsichtlich der formellen Zulässigkeit 41 StA Hamburg, RKG, B 57, Teil 1, Nr. 15. Die nachträgliche Prämienzahlung bzw. „Verrechnung“ war auch im Transportgeschäft ein traditionelles Rechtsproblem, das zu den ersten größeren Rechtsstreiten in Deutschland über Versicherungsrecht überhaupt und zum ersten deutschsprachigen Beitrag der gelehrten Jurisprudenz zur Versicherung durch Rutger Ruland führte; vgl. Zwierlein: Prometheus (wie Anm. 32) S. 59–63. 42 Der Reichshofrat hatte die Berechtigung der Appellation verneint (StA Hamburg, RKG, B 57, Teil 2, S. 455–459; Rescriptum Caesareum, vom 20. 6. 1760 [nach reiflicher „der Sachen Erwegung die gebettnen processus anheute abgeschlagen worden“], hatte also zu materiellrechtlichen Fragen nicht erkennbar Stellung genommen. 43 Zum Admiralitätsgericht und seiner Rechtsprechung gerade hinsichtlich maritimer Versicherungen vgl. Eva-Christine Frentz: Das Hamburgische Admiralitätsgericht (1623–1811). Frankfurt a. M. u. a. 1985, S. 135–163. Zur Rechtsprechung des Reichskammergerichts hinsichtlich der Statthaftigkeit des Rechtsmittels der Appellation gegen Urteile des Obergerichts vgl. Andreas EbertWeidenfeller: Hamburgisches Kaufmannsrecht im 17. und 18. Jahrhundert. Die Rechtsprechung des Rates und des Reichskammergerichts. Frankfurt a. M. u. a. 1992, S. 29–69. 44 StA Hamburg, RKG, B 57, Teil 1, Nr. 5, Instrumentum rite interpositae ac intimatae Appellationis et Provocationis, nec non Requisitionis actorum cum rationibus decidendi ut et oblationis ad praestandum solemnia (prod. 3. 10. 1763). 45 Von Zwierlein war Sohn eines Barbiers und Chirurgen, leitete in Wetzlar als Prokurator auch einen Zirkel zur Anlernung neuer Assessoren und Prokuratoren, wurde 1752 vom Kaiser erblich geadelt und hatte sich mit der Reform des Gerichts mehrfach auseinandergesetzt; Johann Jakob (von) Zwierlein: Concept der auf kaiserl. und des Reichs Befehl im Jahr 1613 verbesserten Tod und Leben 159 der Appellation steht in der Tradition der länger und immer wieder umstrittenen Frage, welche Rechtsgeschäfte als „Handelsstreitigkeiten“ im Sinne zunächst des Privilegs von 1634 zu deuten waren und ab welchem Grad der Widerrechtlichkeit eines Urteils die Nullitätsklage statthaft war.46 In anderen Fällen, in denen das Reichskammergericht auf Zulässigkeit entschied, obwohl vom Sachverhalt her durchaus Handelsgeschäfte dominierten, wurde dem anwaltlichen Vortrag etwa dann gefolgt, wenn es um allgemeine zivilrechtliche Fragen ging (um die Beweisfähigkeit eines nichtigen Gutachtens, nicht aber um das dahinterstehende Zuckerhandelsgeschäft; um einfach-zivilrechtliche Eigentumsfragen, auch wenn sie zwischen Kaufleuten ausgetragen werden) oder – selten – wenn man in Wetzlar dem Argument folgte, dass „Handelsstreitigkeiten“ im Sinne des Appellationsprivilegs nur solche seien, die einen öffentlich-rechtlichen Charakter hätten, es also um die Beurteilung des Magistrats und die Involvierung der handelsrechtlichen Sondersphäre der Hamburger Handelswelt als solche gehe.47 Diese Rechtsprechung zum Begriff der „Handelsstreitigkeit“ im Hamburger Appellationsprivileg war Teil der allgemeineren Diskussion über die lex mercatoria in der Frühen Neuzeit, denn de facto schützte das Privileg die Sphäre der Sonderkompetenz insbesondere des Admiralitätsgerichts in Handelssachen, deren Ratio das nur vor Ort vorhandene besondere Handelswissen war.48 Sie ist aber zugleich enger und spezifischer, da die materiellrechtliche Frage der Abgrenzung zwischen Handels-Sonderrecht und allgemeinem Zivilrecht in die Form des Appellationsprivilegs gegossen war, das Kammergerichtsordnung […]. Gießen 1744; ders. (Hg.): Georgii Melch. de Ludolf: Imperialis Camerae Assessoris, de jure Camerali commentatio systematica. Wetzlar 1741. Sein Sohn Christian Jakob von Zwierlein ist als Reichsreform-Autor bekannt; vgl. Wolfgang Burgdorf: Reichskonstitution und Nation. Verfassungsreformprojekte für das Heilige Römische Reich deutscher Nation im politischen Schrifttum von 1648 bis 1806. Mainz 1998, S. 242 f.; Sigrid Jahns: Das Reichskammergericht und seine Richter. Verfassung und Sozialstruktur eines höchsten Gerichts im Alten Reich. Bd. 1. Köln 2003, S. 521, S. 543. 46 Zur Statthaftigkeit der Nullitätsklage Ebert-Weidenfeller: Kaufmannsrecht (wie Anm. 43). 47 Beispiele ebd., S. 46–50. 48 Die derzeitige Debatte über die „Existenz“ einer allgemeinen lex mercatoria, die in normativer Absicht im Sinne eines internationalen Handelsrechts argumentiert und dafür historische Ursprünge bis weit ins Hochmittelalter reklamiert und die in der rechtshistorischen Forschung meist auf Ablehnung stößt, hat eine andere, berechtigte teleologiekritische Stoßrichtung, die für die Beurteilung der vorliegenden frühneuzeitlichen Fälle des Pochens auf Rechtssphären-Trennung aber eher wenig austrägt. Freilich sind Gründungen wie der englische „admirality court“ des 14. Jahrhunderts durchaus als Vorbildinstitution für die Hamburger anzusehen; vgl. Frentz: Admiralitätsgericht (wie Anm. 43), S. 279; Magnus Ressel: Zwischen Sklavenkassen und Türkenpässen. Nordeuropa und die Barbaresken in der Frühen Neuzeit. Berlin u. a. 2012, S. 104–113, für den Kontext der Barbaresken-Piraterie im Gründungsjahr der Admiralität 1623. Zur lex-mercatoria-Diskussion vgl. Karl Otto Scherner: Lex mercatoria – Realität, Geschichtsbild oder Vision? In: ZRG, GA 118 (2001), S. 148–167, hier: S. 159–166; Charles Donahue: Medieval and Early Modern Lex mercatoria: An Attempt at the probatio diabolica. In: Chicago Journal of International Law 5 (2004) 1, S. 21–37; Albrecht Cordes: Auf der Suche nach der Rechtswirklichkeit der mittelalterlichen Lex mercatoria. In: ZRG, GA 118 (2001), S. 168–184; Emily Kadens: The Medieval Law Merchant: The Tyranny of a Construct. In: Journal of Legal Analysis 7 (2015) 2, S. 251–289. 160 Cornel Zwierlein auch, insbesondere über die Streitsummengrenze, ganz allgemein den Schutz der Jurisdiktionsrechte der ständischen Gerichte vor überschießenden „mutwilligen“ Appellationen bedeutete.49 Das erste Argument von Zwierleins, die Lebensversicherung sei kein Handelsgeschäft im Sinne des Appellationsprivilegs, ist insoweit also bedeutsamer als der Rückgriff auf die Nullitätsklage: Es zeigt – wie oben für das Verständnis von assecuratio und sponsio im Spätmittelalter und im 16. Jahrhundert gezeigt – erneut eine bis ins 18. Jahrhundert fortwirkende strikte begrifflich-konzeptuelle Differenz zwischen den Formen maritimer Transportversicherungen und diesem Typ einer Prämien-Lebensversicherung, die ex post kontraintuitiv erscheint. Und in der Tat folgte das Reichskammergericht hier der Argumentation von Zwierleins: Es erließ die „Temporal Inhibition“, also die einstweilige Verfügung, in dieser Sache „gäntzlich innen zu halten“ und nicht weiter zu exekutieren und erkannte damit die Zulässigkeit des Falles vor dem Reichskammergericht an, und zwar ausdrücklich deswegen, weil die Appellation eben bezüglich eines Falles erfolge der „keine Handelsschaffts Assecurance betreffe“.50 Dass dies kein nur aus der Prozesssituation heraus ex promptu erfundenes Argument war, sondern dass man damit an ein lange vorhandenes traditionelles Verständnis anknüpfte, ist schon daraus zu folgern, dass es bereits 80 Jahre früher bei Leibniz auf der Ebene des gelehrten Schrifttums im Übergang zwischen Frühkameralismus und dem mathematiktheoretischen Nachdenken über Vertragsformen mit Zeit- und Risikobezug nachgewiesen werden kann: Leibniz verwandte assecuratio nahezu ausschließlich als terminus technicus für maritime und Feuerversicherung; thematisierte er Leibrenten und lebensversicherungsnahe Geschäfte und Kalküle, um die es ihm dann in den viel ausführlicher überlieferten theoretischen Traktaten, die in der Vorgeschichte der Wahrscheinlichkeitsrechnung berücksichtigt werden, ging, schrieb er entweder von Formen des Kaufes, der emptio, oder eben von Annuitäten und Renten.51 Im vorliegenden Rechtsfall wurde diese zunächst vielleicht von geringer Bedeutung erscheinende Unterscheidung zu einem entscheidenden Rechtsargument hinsichtlich der Appellabilität und damit hinsichtlich der Frage, welchen lebensweltlichen Sphären man das eine und das andere Rechtsgeschäft zuordnen sollte. Für die Unterscheidung konnte von Zwierlein weder auf Litera- 49 Zu den privilegia Ulrich Eisenhardt: Die kaiserlichen Privilegia de non appellando. Köln/Wien 1980. 50 Decret, sambt Verordnung und Temporal Jnhibition des Reichskammergerichts, 24.7. 1761 „in Consilio“, Kopie genommen 31. 7. 1761 (prod. 3. 10. 1763), StA Hamburg, RKG, B 57, Teil 1, Nr. 21. 51 Insofern kann man die Frage stellen, ob die Separatedition Gottfried Wilhelm Leibniz: Hauptschriften zur Versicherungs- und Finanzmathematik. Hg. von Eberhard Knobloch/J.-Matthias Graf von der Schulenburg. Berlin 2000, diese Texte, die im Sinne von Leibniz ganz verschiedenen Arten von Gegenstandsbereichen zugehörten, zu Recht in einem Band vereinte; vgl. Cornel Zwierlein: Katastrophe und Prävention – Leibniz, Brandgefahr und Versicherung. In: Friedrich Beiderbeck/Irene Dingel/Enchao Li (Hg.): Umwelt und Weltgestaltung. Leibniz’ politisches Denken in seiner Zeit. Göttingen 2015, S. 433–468, hier: S. 434–438, S. 448–458. Tod und Leben 161 tur noch auf Präzedenzfälle verweisen, während er für die Frage der NullitätsKlagenzulässigkeit hier durchaus auf gesichertem Boden stand.52 Materiellrechtlich machte von Zwierlein für seine Mandanten nun zunächst geltend, dass schon aus dem Faktum der ungewöhnlich niedrigen Prämie ablesbar sei, dass diese auf keinen Fall von einer Krankheit des Wolters Kenntnis gehabt haben könnten, da „verkehrsüblich“ ein einjähriger Lebensversicherungsvertrag für 5–6 %, nicht aber nur für 2 % Prämie abgeschlossen würde.53 Er verwies dabei auf das Standardwerk der Zeit, Nikolaus Magens „Versuch über Assecuranzen, Havereyen und Bodmereyen“ (Hamburg 1753).54 Der Versicherungsmakler habe nicht nur die Krankheit des Wolters, wenn sie denn den Versicherern bekannt gemacht worden sei, nicht in die Police setzen lassen, sondern hiervon auch nichts in seinem Maklerbuch vermerkt – das, ähnlich wie die Hauptbücher der Kaufleute, im Prozess beweisfähig war. 52 Er zieht zur Statthaftigkeit der Nullitätsklage trotz bestehenden Appellationsprivilegs heran: Andreas Gaill: Practicarum observationum, tam ad processum judiciarium praesertim Imperialis Camerae, quam causarum decisiones pertinentium, libri duo. Köln 1721 [Erstaufl. 1578], Obs. 135, num. 3, S. 234 f. (Appellatione remota, an nullitas sublata censeatur); Wilhelm Roding: Pandectae juris cameralis […]. Wetzlar 1750 [Erstaufl. 1598] lib. 1, tit. 19, §§ 47 f., S. 280; Georg Melchior de Ludolf: De jure camerali commentatio systematica. Wetzlar 1741, sectio 1, § 14, Nr. 7, S. 142–145: die Nullitätsklage kann auch nicht per Appellationsprivileg ausgeschlossen werden; David Mevius: Decisiones super causis praecipuis ad summum Tribunal Regium Vismariense […]. Frankfurt a. M 1712, decisio 177, S. 68; von Zwierlein allegiert zudem weitere ungedruckte Hamburger Präzedenzfälle. 53 Man mag aus diesem Faktum herauslesen, dass der Makler Schierhorn die „gierigen“ Versicherer in den Vertrag „lockte“, da bei einer Prämie von nur 2 % die Versicherer dem Makler selbst nach Hamburger Maklerrecht (Assecuranz- und Haverey-Ordnung von 1731) keine Provision zahlen mussten (Art. XXXIII, 5). In der Tat war an sich bei Wettversicherungen die Prämie gerade aufgrund des fehlenden Interesses immer besonders hoch. 54 „Nun wird ordinäir das Leben einer nicht Kräncklichen Person von 20 bis 50 Jahren für 5 procentum Prämie auf ein Jahr versichert, und einer nicht Kräncklichen Person von 50 bis 60 Jahren für 6 procentum Prämie, wie aus Magens bekantem Buche von Assecuranzen, und sonst erweislich ist.“; StA Hamburg, RKG, B 57, Teil 1, Nr. 5; Nicolaus Magens: Versuch über Assecuranzen, Havereyen und Bodmereyen insgemein […]. Hamburg 1753, S. 33. Alles spricht daher dafür, dass sowohl die rudimentäre Praxis der Prämien-Lebensversicherung im Hamburg dieser Zeit wie ihre ansatzweise konzeptuelle Erfassung dem englischen Vorbild folgte (Magens schrieb als „Londoner Kaufmann“ für das Hamburger Publikum). Magens nimmt auf S. 34 in der Anmerkung auf die Hamburger Assekuranzordnung Bezug, und schreibt, dass diese „auch“ die Lebensversicherung erlaube. Er behandelt aber die Türkengefahr-Versicherung und die Versicherung des Lebens von Seefahrern, wie sie als Annex der Transportversicherung kaufmännisch gängig war, in diesem Abschnitt gar nicht, sondern sie taucht nur in den abgedruckten internationalen Assekuranzordnungen auf (S. 811, S. 867 f., S. 1034, S. 1120). Richtig interpretiert Ressel: Lebensversicherungen (wie Anm. 5), S. 414 f., die Praxis der privaten Lebensversicherung von Seeleuten als das von der Hamburger Ordnung Gemeinte; Magens verbindet dies im Horizont der Zeit gleichsam „falsch“ mit der Londoner Praxis. Dass 1759, gerade während bzw. nach dem vorliegenden „echten“ Lebens-Wettversicherungs-Fall dieselbe verboten wurde, zeigt, dass auch in Hamburg weiter eine Differenz zwischen dieser gängigen spezifischen Seemannspraxis und der allgemeineren englischen Form gesehen wurde, wie sie Clark untersucht hat. Es führt also keine direkte Linie von der Türkengefahr-Versicherung zur verallgemeinerten Form der Lebensversicherung im deutschen Sprachraum. 162 Cornel Zwierlein In der Erwiderung wird primär auf die materiellrechtlichen Aspekte geantwortet, hier wird schon die Richtigkeit der von den Nullitätsklägern eingebrachten Policen-Kopie angefochten.55 Das mit Verweis auf Magens vorgebrachte Argument wird damit entkräftet, dass Magens sich primär auf die englische Praxis beziehe: Dies ist insofern bemerkenswert, als aus den fehlenden weiteren Präzedenzfällen bei von Zwierlein und diesem einzigen Verweis unter den Parteien in Wetzlar geschlossen werden kann, dass offenbar über einen in Hamburg eher weniger geläufigen Fall gestritten wurde.56 Dann konzentriert sich der materiellrechtliche Sachvortrag auf die Probleme der Wahrheits- und Glaubwürdigkeitserfordernisse, die im Rahmen des Vertragsschlusses gegeben und gegebenenfalls verletzt worden waren, und wie diese einzuschätzen seien. Die vom Richter zu entscheidende Frage über die „Wahrheit“ von rechtserheblichen Tatsachen und eines zu beurteilenden Ereignisablaufes war um 1700 in Verschmelzung der Theorien, wie sie für Geschichtsschreibung, Geschichtsgebrauch und die historische Wahrheitsfindung entwickelt worden waren, mit der juristischen Methodenlehre kriteriologisch ausdifferenziert worden.57 Thomasius hatte den Erfahrungsbegriff der rationalistischen Philosophie in die Jurisprudenz eingebracht, rekurrierte aber für die eher praktische Frage der Wahrheitsfindung im Prozess auf die frühere Form von „Empirismus“ im humanisti55 Ein fünfter Versicherer, der für weitere 1 500 Mark aufgekommen sei, Peter Greve, der damals Ratsmann gewesen, nun Bürgermeister sei, fehle auf der Kopie. Dieser habe aber auch sofort die Summe an Stander ausgezahlt und damit die Korrektheit des Anspruchs zugestanden, während die anderen sich nun „querulantisch“ gegen eine Zahlung wehrten; StA Hamburg, RKG, B 57, Teil 2, Nr. 37, fol. 4r–5r; vgl. Anm. 39. 56 „Dann nicht zu gedencken, daß dasjenige, was Magens von der Weise in Engeland anführet, in Hamburg keine Regul ausmachet: so hätten die Appellanten nach diesem Auctore, wann sie Wolters zehnmal für vollkommen gesund gehalten hätten, doch nicht unter fünf pro Centum zeichnen sollen. Und gleichwol haben sie es zu 2 pro Cent gethan. Ist es aber des Appellanten oder Mäklers Schuld, daß die Assecuradeurs sich so sehr gegen Magens Tractat versündiget haben?“; StA Hamburg, RKG, B 57, Teil 2, Nr. 37, fol. 5v–6r. 57 Bei Christian Thomasius [präs.]: Dissertatio de fide juridica, def. Matthäus Lupin. Halle 1750, wird zwischen einer fides philosophica, metaphysica, logica, physica, ethica, politica, mathematica, ja sogar medica unterschieden, um die fides historica im engeren Sinne als die praesumptio veritatis de eo, quod homines accidisse, vel ab iis gestum esse dicitur, orta ex conjecturis circumstantiarum, quae non saepe fallere solent, nullis tamen ab hominibus inventis aut praescriptis regulis adstricta, sed liberae cujusvis ratiocinationi, a praejudiciis tamen vacuae, relicta (ebd., I, § 44, S. 24). Die fides juridica, die juristische Wahrheit, unterteilte Thomasius nun in einerseits diejenige von der im corpus iuris und in den Gesetzen sowie durch die Jurisprudenz gehandelt wird, andererseits aber in die Aussagewahrheit im Prozess: Die letztere gehöre in vielerlei Hinsicht, trotz einiger Unterschiede, im Wesentlichen zur fides historica (ebd., II, § 1, S. 35). Thomasius bezieht sich hinsichtlich der auf „Historie“ bezogenen Methodenlehre auf die späthumanistische tacitistische Praxis und auch die Theorie de arte legendi historiam, wie in der Engführung von Bodins Methodus, Tacitus-Text-Analyse und dann der Gradeinteilung von historischer verosimilitudo (S. 67) deutlich wird. Zu der mit dieser Bezugnahme durch Thomasius gemeinten Konzeption der Geschichtsanalyse bei Bodin vgl. bes. Marie-Dominique Couzinet: Histoire et méthode à la Renaissance: une lecture de la Methodus ad facilem historiarum cognitionem de Jean Bodin. Paris 1996. Tod und Leben 163 schen Sinne.58 So gab Thomasius dem Richter drei generelle Regeln an die Hand, um die verosimilitudo eines Faktums zu beurteilen; das Fundament derselben war aber im Kern die frequentia aut raritas von Ereignissen und Üblichkeiten; letztlich wurden also durchaus – nicht fern dem Kern der Erfahrungsbasis der vor allem englischen rationalistischen Philosophie (Locke) – „common sense“ und Alltagserfahrung in ihrem Evidenzwert systematisiert und so bestimmt,59 was der juristische Wahrheits- und Wahrscheinlichkeitsbegriff war. Im konkreten Fall bezog Stander sich darauf, dass, wenn auch die Police nicht die Schwindsuchtskrankheit erwähnt habe, doch am Tag vor Unterzeichnung der Police der Arzt Wolters, Dr. Gerlach, in einem Gespräch mit einem Christian Gottfried Wieprecht die allgemein bekannte Krankheit Wolters besprochen hätte; dies sei angegeben worden, und hiernach galt, dass, wenn jemand das Alter von 30 Jahren mit der Krankheit erreicht habe, dieser leicht 50 bis 60 Jahre alt werden könne. Nun sei dies aber nicht in die Vertragsschluss-Kommunikation eingegangen und außerdem habe der Makler Schierhorn, wenn überhaupt, dann nur von einer „maladie auf der brust“ Nachricht gegeben,60 was alles Mögliche habe bedeuten können. Dieser Vortrag ist allerdings nur eine Argumentationslinie, da er nur zu einem Regressanspruch gegen den Makler, nicht aber zur Ungültigkeit der Police und des Anspruchs Standers geführt hätte. Darüber, dass die Krankheit den Versicherern vor Vertragsschluss bekanntgemacht worden war, hatten der Makler und Stander im Verlauf des erstinstanzlichen Prozesses einen Eid abgeleistet („mit ausgestrecktem Arm und aufgerichteten Fingern, zu Gott dem Allmächtigen und seinem heiligen Worte wirklich schwerend“).61 58 Zur Entwicklung des Konzepts von Wahrscheinlichkeit, die nur über Erfahrungswissen im Wege des Faktenzeugnisses, nicht schlicht im Wege des Autoritätsrekurses zu erreichen ist, im Rahmen der Reform der juristischen Methodenlehre bei Thomasius vgl. Jan Schröder: Recht als Wissenschaft. Geschichte der juristischen Methodenlehre in der Neuzeit (1500–1933). München 22012, S. 129, mit Hinweis auf das Verhältnis zur gleichzeitigen Parallelentwicklung im Prozessrecht; ders.: Christian Thomasius und die Reform der juristischen Methode. Leipzig 1997, S. 22 f. 59 Thomasius: De fide juridica, §§ 52–54, S. 28–30. Thomasius, dessen Lehren inzwischen schon zwei Juristengenerationen rezipiert und verbreitet hatten, wird im Prozess B 57 nicht direkt zitiert, aber die vom Anwalt der Versicherer von Zwierlein allegierten Referenzjuristen Mitte des 18. Jahrhunderts zeigen die Präsenz gerade seiner Lehre von Wahrheit und Wahrscheinlichkeit; vgl. zum Beispiel Johann August Hellfeld: Iurisprudentia forensis secundum pandectarum ordinem in usum auditorii proposita. Jena 21766, § 1149, S. 726: Probatio suscipitur eo fine, ut fides fiat de veritate facti […] Utraque probatio raro veritatem efficit mathematicam, sed plerumque aliquam secum fert incertitudinem […folgen weitere Ausführungen, mit Bezug auf Thomasius De fide]. 60 Diesbezüglich ist dem Akt auch das Zeugnis von Schierhorn vom 11. 9. 1755 beigelegt, in dem es heißt: „Auf erfordern, bezeuge hiemit nach meinem gethaenen Mackler-Eide, daß die Herren assecuradeurs vor zeichnung der Police auf das Leben von Nicolaus Christoffer Wolters El. Raths Wette Schreiber, die Maladie auf der Brust, so zu dererzeit nicht gefährlich gewesen ist, und selbiger wenn Gott vor bösern Zufällen bewahrte, er ein Mann von sechzig bis siebenzig Jahre werden kann, nach dem mündlichen zeugnis des Herrn Doct. Gerlach, gesaget habe.“; StA Hamburg, RKG, B 57, Teil 1, n. 10. Ebenso findet sich ein notariell beglaubigtes Verhör von Christian Gottfried Wieprecht und Dr. Gerlach über das im August geschehene Gespräch und diese Diagnose; ebd., n. 11. 61 Eid-Audienzen-Protokoll in Sachen Marselius Stander Klägers contra Brentani Gebrüder, 25. 10. 1760, ebd., n. 14. Die Versicherer hatten mehrere Prozess- und Beweisaufnahmetermine 164 Cornel Zwierlein An diesem Punkt heben von Zwierleins Ausführungen und entsprechend der anwaltliche Gegenvortrag auf den rechtlich nötigen Grad von Wahrheit und Glaubwürdigkeit ab. Die 1760 erfolgte „Beröhmung“ ex post als formale Form der Beweiserhebung durch Eidesablegung ist dabei ein Verfahrensschritt, der in der juristischen Kommentarliteratur – von Zwierlein bezieht sich hier vor allem auf die „Meditationes“ des Helmstedter Juristen Augustin Leyser62 – als Frage des iuramentum suppletorium diskutiert wurde: Wenn bei einem Vorgangsteil des Sachverhalts die Wahrheit strittig war, konnte ein feierlicher Eid als Beweismittel dienen. Diese alltägliche Problematik des Beweisrechts betraf Fälle wie diesen. Die Versicherer würden (und wurden) dann letztlich nur aufgrund der Eidesablegung der selbst interessierten Gegenpartei verurteilt. Der Schwur, dass die Krankheit Wolters bei Policen-Abschluss bekanntgegeben war, trat gleichsam als wahres Faktum an die umstrittene Lücke der Tatsachenaufnahme. Der eidliche Parteibeweis stellte vor dem Admiralitäts- und Obergericht in Hamburg „ein absolut subsidiäres Beweismittel dar, das erst nach Erschöpfung aller Möglichkeiten des Beweises durch Urkunden und/oder Zeugen herangezogen werden durfte“.63 Es war in diesem Fall notwendig, da der Makler von dem Vertragsabschluss keinerlei Notiz in seinem Maklerbuch aufgenommen hatte. Unterschieden wurde in der Jurisprudenz zwischen einem Schwur de credulitate und de veritate, worauf von Zwierlein eingeht. Dabei geht es auch um die Frage, welche der beiden Parteien bei einer eventuell vorliegenden Eidkollision – daher auch Schwur-Kollision (Schwur und Gegenschwur der Parteien) – welches Maß an „Wahrheit“ schwörend erreichen muss. Der Schwur de credulitate – an sich „Glaubwürdigkeit“, hier und in anderen Fällen aber häufig eher „Wahrscheinlichkeit“ in einem juristischen, nicht statistischen Sinne – betraf Fakten, die im alltäglichen Umgang mit Sicherheit kaum zu wissen waren, wie etwa das Alter, lang vergangene Taten und Ereignisse oder für Dritte unklare Verwandtschaftsund Beziehungsverhältnisse.64 Der Eid des Maklers Johann Christian Schierhorn umfasste nun zwei Gegenstände: zum Ersten schlicht das Faktum, dass er die Krankheit Wolters überhaupt angegeben habe; zum Zweiten aber auch die Übermittlung der Prognose des Arztes Gerlach, dass ein solchermaßen, nach Schierverstreichen lassen, zögerten das Verfahren immer wieder hinaus, konnten aber keinen konkreten Gegenbeweis führen, sodass die Beeidigung der ursprünglichen „Beröhmung“ schließlich für das Urteil entscheidend wurde; Rationes decidendi des Senats an das Reichskammergericht, 23. 11. 1763, StA Hamburg, RKG, B 57, Teil 2, Nr. 35. 62 Augustin Leyser: Meditationes ad pandectas […]. Vol. 3–4, Leipzig 1743, v. a. Spec. 141–146. In diesen Behandlungen verschiedener Unterfälle der juristischen Erfassung des Eids liefern vor allem Helmstedter Aktenversendungs-Konsilien von 1703–1720 die wesentlichen Argumentationslinien. Diese waren zeitlich noch relativ nah am vorliegenden Fall, während die sonst üblicherweise zitierte gemeinrechtliche Literatur meist bis ins 16. und 17. Jahrhundert zurückreichte. 63 Frentz: Admiralitätsgericht (wie Anm. 43), S. 100. 64 Für Beispiele aus der Zeugenverhörpraxis vgl. etwa Ralf-Peter Fuchs: „Ob Zeuge wisse, was das Burggraftum Nürnberg sei?“ Raumkenntnisse frühneuzeitlicher Untertanen. In: Achim Landwehr (Hg.): Geschichte(n) der Wirklichkeit. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte des Wissens. Augsburg 2002, S. 93–114. Tod und Leben 165 horns Eidtext „leicht Kranker“, 60 bis 70 Jahre alt werden könne. Der Sachvortrag von Zwierleins trennt diese Ebenen kaum und behandelt beides als ein Problem, ob de veritate oder de credulitate zu schwören sei. Zudem gab der Makler ja auch ganz bewusst nur das prognostische Urteil des Arztes seiner ex post 1755 beschworenen Aussage von 1753 als Kommunikation einer Aussage eines Dritten an. Aus der versicherungshistorischen Perspektive sind an diesem Fall letztlich nicht die Details der gemeinrechtlichen Argumentation in Hamburg und Wetzlar aufschlussreich, sondern umgekehrt ist bemerkenswert, dass die – im Übrigen durchaus filigrane juristische – Differenzierungstechnik des gemeinrechtlichen Prozess-, Beweis- und in diesem Fall Eid-Rechts die verschiedenen Ebenen von Wahrheits- und Wahrscheinlichkeitserfordernissen, die bei diesem Lebensversicherungsvertrag im Spiel waren, nicht wirklich zu entzerren vermochte. In der Diskussion über die verkehrsübliche Prämienhöhe für einen (wie genau?) kranken Menschen nach Magens und auf diesem Wege quer in die englische Praxis hinein und im Einbezug der Gerlach’schen sehr allgemeinen Erfahrungsprognose wird ein grundsätzliches Bewusstsein für den einen infrage stehenden Wahrscheinlichkeitswert deutlich, nämlich letztlich das durch die natürliche Lebenserwartung im Allgemeinen und die eines schwindsüchtigen Menschen im Besonderen bestimmte „Risiko“. Die vorgelagerte Frage, ob überhaupt die Krankheit erwähnt worden war oder nicht, wird hiermit im Prozessverlauf gleichsam vermengt, teils aus der Kommunikationssituation, dass die Versicherer der Überzeugung waren, betrogen worden zu sein und entsprechend auf jeder Ebene des Vertragsschlusses der Betrugscharakter der Aussagen nachgewiesen oder angedeutet werden sollte; teils aber auch, weil hier letztlich mit einem rein juristischen Konzept von Wahrheit/ Wahrscheinlichkeit die Besonderheit des Lebensversicherungsvertrages und seines komplexen Gegenstandskerns „Nichtwissen über zukünftige Ereignisse“ behandelt wird.65 Für die frühe Phase der Probabilistik-Geschichte ist darauf hingewiesen worden, dass Autoren wie Huygens – Ähnliches gilt auch für Leibniz – ihrerseits noch starke Anleihen bei der juristischen Terminologie und Semantik von Gerechtigkeits-„Balancen“ nahmen und diese erst zugunsten einer Mathematisierung um 1700 herum transzendierten.66 Hier wird um 1750 eine Vertragspraxis deutlich, bei der bei keiner der Prozessparteien Hinweise auf vertiefteres Bewusstsein für die Anwendbarkeit oder gar das Know-how von Kalkulation der Prämien mithilfe von Wahrscheinlichkeitsrechnung auf der Basis von Lebenserwartungswerten erkennbar sind, obwohl die Berechtigung der Ansprüche aus einem solchen Vertrag bis in die letzte Spruchinstanz bestritten wurde: Man könnte an sich erwarten, dass, wenn eine solche Vertragspraxis derart umstritten ist, zu65 Es sei hier auf die Möglichkeit verwiesen, Risiko- und Versicherungsgeschichte noch allgemeiner als Teil einer Historisierung von Praktiken des Umgangs mit Nichtwissen zu behandeln; vgl. den Band Zwierlein (Hg.): Dark Side of Knowledge (wie Anm. 18). 66 Daston: Classical Probability (wie Anm. 2); für Leibniz vgl. Zwierlein: Katastrophe (wie Anm. 51). 166 Cornel Zwierlein nehmend eine möglichst angemessene Risikoberechnung, die für beide Seiten „gerecht“ erscheint, Evidenz hätte. Dieses Fehlen probabilistischer Sensibilisierung gilt für Hamburg offenbar noch mehr als für England.67 Auch die Juristen – Reichskammergerichtsadvokaten wie von Zwierlein gehörten durchaus zu den bestausgebildeten ihrer Zunft zu dieser Zeit – gingen nicht nur in erwähnter Weise mit dem rein juristischen Zugriff auf die fides juridica im Sinne der Tatsachenerhebung vor, sie zogen zudem nicht einmal die gelehrt-juristische Literatur über den Versicherungsvertrag heran, wie sie sich seit den Postglossatoren des Spätmittelalters entwickelt hatte. Es gab zwar eine reiche Assekurations-Jurisprudenz, diese betraf aber nur den maritimen Transportvertrag und vor allem die Frage der Klassifikation desselben; zum Lebensversicherungsvertrag enthielt die entsprechende Literatur des 18. Jahrhunderts kaum etwas. Der Hamburger Prozess ist daher nicht nur archivalisch ein Solitär – vermutlich werden solche Verträge in Hamburg Anfang des 18. Jahrhunderts durchaus mit einiger Regelmäßigkeit, wenn auch nicht sehr häufig abgeschlossen worden sein –,68 sondern er zeigt, dass die Lebensversicherung in ihrer Prämienform aus juristischer Sicht an sich ein erratischer Gegenstand war, im Niemandsland oder bestenfalls auf einem terminologischen Stand, der im 15. Jahrhundert schon hinsichtlich der Ausführungen zum berechtigten und unberechtigten Interesse erreicht gewesen war, stattfand, obwohl gleichzeitig immer ausgefeilter von Mathematikern über die Kalkulation von Wetten und Gewinnspielen nachgedacht wurde. Auf dem Weg zu einem allgemeinen Versicherungskonzept Die Sonderstellung des Falls lenkt aber zugleich, gleichsam im Zerrspiegel der Ausnahme und mit Hinsicht auf das 19. Jahrhundert, in dem im stets konservativen Bereich der Rechtssemantik bis in die Zeiten des BGB über die richtige Stellung von Versicherungen im Glückspiel-Teil des Besonderen Schuldrechts der allgemeinen Zivilrechtskodifikationen oder in einem eigenen Versicherungsvertragsgesetz diskutiert wurde,69 den Blick auf die Frage, wie am Ende des 18. Jahr67 Das berühmte Beispiel ist die schon früh mit Prämienkalkulation arbeitende „Society for Equitable Assurances on Lives and Survivorships“ von 1762. 68 Über Stander selbst wird in den Hamburger obergerichtlichen rationes decidendi erwähnt, dass der Lebensversicherungsabschluss erfolgte, „gleichwie er solches schon seit einigen Jahren zu thun gewohnet gewesen“; Rationes decidendi des Hamburger Senats, übersandt an das Reichskammergericht, 23. 11. 1763, StA Hamburg, RKG, B 57, Teil 2, Nr. 35. Frentz: Admiralitätsgericht (wie Anm. 43), S. 146, erwähnt einen Fall von Wettassecuranz (allerdings als Wette auf eine maritime Transportversicherungssache) von 1655 und einen nicht vor Gericht gelangten Fall von 1799. Lebensversicherungen erscheinen darüber hinaus im heutigen RKG-Bestand des StA Hamburg sowie dem des Admiralitätskollegiums nicht. Auch in den gesamten Akten B 57 wird an keiner Stelle auf einen konkreten anderen Fall und allein auf Magens einschlägiges Werk verwiesen; vgl. Anm. 60. 69 Louis Pahlow: Ein „Geschöpf der ganzen civilisirten handeltreibenden Welt“. Der Versicherungsvertrag im Deutschland des 19. Jahrhunderts. In: ZNR 29 (2007), S. 18–46. Tod und Leben 167 hunderts nun ein allgemeiner (Prämien-)Versicherungsbegriff gebildet wurde und eine Verallgemeinerung auch des damit verbundenen individualisierten Risikokonzepts stattfand. Während wie erwähnt für die mittelalterlichen Juristen sponsio und assecuratio der Tendenz nach getrennt blieben, während noch Leibniz assecuratio in den 1670er-Jahren und bis um 1700 nur für Versicherung von Mobilien bei Zerstörungs- und Transportgefahr verwandte, nicht aber für „Leben“, während noch der kurz vorgeführte Hamburger Prozess von 1755–1760 nur deshalb überhaupt am Reichskammergericht entschieden werden konnte,70 weil die Lebensversicherung letztlich nicht als Handelsgeschäft im Sinne der privilegia de non appellando und als assecuratio im Sinne der Spruchkompetenz des Admiralitätsgerichts angesehen wurde, lässt sich in den 1790er-Jahren dann doch eine Entwicklung hin zu einer Ineinssetzung der Konzepte und der Erfassung auch dieser anderen Gegenstände wie „Leben“ als „Versicherung“ in der Tat nachweisen. Der vorliegende Fall ist ja bemerkenswert, weil er trotz der erwähnten Argumentation hinsichtlich der Handelsgeschäftseinordnung zunächst durchaus von der „Assekuranz […] auf Leben“ spricht, beide Seiten also zunächst ganz unproblematisch von einem solchen Prämien-Lebensversicherungsgeschäft ausgehen. Schon in den 1760er-Jahren deutete sich an, dass sogar die Juristen, die sonst besonders streng auf die Unterscheidung von Benennung und Sache achteten, bewusst den Analogtransfer des Versicherungsprinzips auf andere Bereiche begrifflich ausformulierten.71 Es wur70 Zugunsten der Nachkommen des Versicherungsnehmers Stander sprach das Gericht das Urteil aus: „In Sachen Gebrüder Brentani und Cons. appellanten eins, wider Marselium Stander appellaten anderen theils ist allem an- und Vorbringen nach zu Recht ervunnden daß durch Richtern voriger Instanz wohl geurthailt, übel davon appellirt, dahero solchen Urtheil zu confirmiern und zu bestättigen, auch di sache zu gedachten Richtern voriger Instanz zu remittiren und weisen seyn; als wir hiermit confirmieren und bestättigen auch remittiren und weisen, appellanten in die Gerichtskosten.“ Dieser Vermerk ist in der Vorlaufakte von StA Hamburg RKG, B 57, Teil 1 aufgenommen; er ist in anderer Registrator-Handschrift als der Rest der Kladdeneinträge verfasst und wird beschlossen mit einem „completum 6. Oct. 1808“. Als Datum des Urteils ist wohl aber der vorherige Expeditionsvermerk „18. 11. 1767“ zu verstehen, der allerdings entgegen der sonstigen Notatpraxis vorangestellt ist. Der letzte mit „completum 2. 4. 1767“ beschlossene Eintrag 1767 bezieht sich noch auf die Deposition weiterer Akten „mit bitte auf derselben Innhalt in judicando gerechtest zu reflectiren“. Das Reichskammergericht betrachtete sich zwar für NichtMitglieder des Rheinbunds zunächst auch nach Abdankung des Kaisers als Gericht des „RestReiches“ und das Reichspersonal war 1808 noch mit der Regelung der eigenen Versorgungsansprüche beschäftigt, die Kanzlei noch nicht aufgelöst, doch dürfte ein so spätes Urteil unwahrscheinlich, der „completum“-Vermerk also als finaler Aktenschlussvermerk zu interpretieren sein; vgl. Eric Mader: Die letzten „Priester der Gerechtigkeit“. Die Auseinandersetzung der letzten Generation von Richtern des Reichskammergerichts mit der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Berlin 2005, S. 191, S. 250–266; vgl. auch das Gutachten zum Selbstverständnis des RKG nach Abdankung des Kaisers ebd., S. 392, S. 395. Ich danke Wolfgang Burgdorf und Eric Mader für eine Diskussion über die Interpretation der Laufakten-Vermerke. 71 Omnis assecuratio porro est vel mercatoria, vel oeconomica [unter „mercatoria“ wird nun die über Jahrhunderte hinweg klassische Transportversicherung gefasst] Oeconomicam e contrario, vel si mavis, politicam & politico-oeconomicam, ego quidem appellarem omnem illam assecurationem, qua earum modo rerum periculum suscipitur & damnum praestatur, quibus ad peragendam 168 Cornel Zwierlein den hier offensichtlich die vorher nebeneinander geführten Vertragspraktiken verbunden. In den Texten ökonomischer Aufklärer im kameralistisch-deutschen Gewand wird diese Universalisierung von „Versicherung“ greifbar, meist eher in Vorworten, Einleitungs- und Definitionsteilen zu Versicherungsplänen und Texten, die anderen Spezialgebieten gewidmet sind.72 Jenseits der älteren juristischen Diskussion darüber, wie der Vertrag in das überkommene römischrechtliche Klassifikationsschema von Verträgen von Nominat- oder Innominatkontrakten einzuordnen sei, wird bei den ökonomischen Kameralisten das Prinzip nun verallgemeinert: Der „Wunsch, unser Glük und unsere Ruhe nicht durch die Folgen [eines] Zufalls gestört zu sehen“, habe zu einer Vervielfältigung des Prinzips geführt und daher sei „[d]iese Voraussicht […] zu keiner Zeit so sehr, als in der unsrigen, durch Assecuranzen aller Art zu einer Gewisheit gebracht worden, welche unsere Väter nicht kannten. Es sind nur noch wenige Unfälle in Geschäften des bürgerlichen Lebens übrig, für welche nicht in diesem Wege gesorgt werden kann, und nicht, wenigstens scheinbar, Raht geschafft werden könnte und worden wäre. Gilt denn auch gegen den Tod selbst keine Assecuranz, so hat man doch die nachteiligen Folgen desselben“ versichert.73 Mit dem letzten Satz bezog sich der Autor dieser Zeilen, Johann Georg Büsch, auf die Witwenkassen. Er kritisierte gerade deren Einrichtung im Zusammenhang mit einem Entwurf für eine privatwirtschaftliche Versicherungscompagnie (für Feuer), sodass er das staatliche Zwangsversicherungsprinzip insgesamt infrage stellte und damit die Prämienversicherung auch für diesen Bereich anriet.74 Ideen für die Versicherung verschiedenster Bereiche des privaten und öffentlichen Lebens kursierten nun in den ökonomisch-kameralistischen Zeitschriften, und teilweise wurden unter das inzwischen etablierte und funktionierend institutionalisierte Dach der Feuerversicherung ganz andere Mobilien eingemeindet, man erweiterte diese zu einer Gesamt-Eigentums- und Hausratsversicherung und näherte damit den Bereich der privaten Lebenswelt und den der sorgsam geschiedenen Handelswelt mit der maritimen Transportversicherung einander an.75 Büschs Dialogpartner in Hamburg, Johann Elert Bieber, feliciter, hoc est, tranquille & commode, vitam praesertim civilem […] apprime opus est. […] nemo tamen inficias ire poterit, assecurationem illam […] quam […] contractum assecurationis vocant, in polizzam plerumque redigi solitum, uti inventum mere mercantile & marinum, Hispano-Belgicum, […] nec vero, nisi generaliori quodam argumento & analogice ad vitam communem transferri & oeconomiae politicae adplicari posse (Hervorhebung im Schlussabschnitt durch den Verfasser); Godfried Daniel Hoffmann: Dissertatio politico iuridica de assecuratione aedium. Tübingen 1761, S. 15 f. Dies ist hier freilich zunächst nur mit Blick auf die Gebäudeversicherung, aber doch ganz generell formuliert, sodass die Prinzip-Übertragbarkeit nun auch versicherungsrechtlich in den Blick kommt. 72 Für eine Übersicht über einschlägige Traktate vgl. Neumann: Versicherungsliteratur (wie Anm. 7) und Zwierlein: Prometheus (wie Anm. 32), Anhang III, S. 373–376. 73 Johann Georg Büsch: Allgemeine Uebersicht des Assecuranz-Wesens […]. Hamburg 1795, S. 4 f. 74 Ebd., S. 5. 75 Vgl. die Vielfalt von Objekten, die man in Thüringen bei der „Ökonomischen Brand-Versicherungs-Anstalt“ versichern konnte: Sie reichten von Weizen und Erbsen über Haushaltsgeräte, Schiffe und Geschirr bis zu Häusern; Reichs-Anzeiger 1795, Bd. 1, S. 1003 f. Tod und Leben 169 sah das Versicherungsprinzip ebenfalls schon als ein ganz allgemeines: Transport, Feuer, Hagel seien versicherbar – und versichert.76 Die „Liebe zur Selbsterhaltung“77 ist als positives Prinzip nun längst anerkannt und daraus folgt als gesellschaftliches Prinzip auch die Pflicht zur Eigenvorsorge: die Versicherung des eigenen Hab und Guts. Versicherungen werden als Handlungen aus dem Gesellschaftsvertrag einer Nation hergeleitet, und dann gilt: „Alle Arten nun, die innere Sicherheit durch wechselseitige Versicherungen zu vermeren, so sehr sie auch auf natürliche Billigkeit gegründet seyn mögen, erfordern dennoch immer die Festsetzung der Verbindlichkeit auf eine ausdrückliche Art.“ 78 Jeder einzelne Versicherungsvertrag ist so gleichsam ein mikroskopisches Replikat und Ausfluss des allgemeinen Gesellschaftsvertrags, wie er auch in Württemberg nach Rousseau 1780 rezipiert war. Beim Berner Autor Brückner wird das Versichern als staatliche wie bürgerliche Tätigkeit in Anlehnung an die Rezeption des englischen Philanthropismus als Teil des großen Aufklärungsprozesses und des Epochenwechsels in Revolutionszeiten gedeutet: „Ein ganzer Welttheil wie Europa vergesellschaftet sich gleichsam zu gleichen Aussichten, gleichen Unternehmungen und gleichem Interesse. Von seinen äussersten Enden theilt er sich Kenntnisse und Aufklärungen mit.“79 Doch noch immer gibt es eine gewisse Tendenz, Lebensversicherung noch nicht aus der kameralistischen Staatsplanungsperspektive „zu sehen“. Dies lag zunächst an einem weiteren, neuen epistemischen Hinderungsgrund: war in der Kanonistik und der spätmittelalterlichen wie frühneuzeitlichen juridico-theologischen Lehre das Problem der Lebensversicherung einerseits ihre Nähe zum Wucher, andererseits die Anstößigkeit des „Spiels“ mit dem Lebens-Wert, also ein moralisches, so lag in der Kameralistik die epistemische Grenze in der eudämonistischen Zielausrichtung des gesamten staatlich-administrativen Handelns. „Versicherung“ konnte insoweit verallgemeinert werden, als sie auf ein unmittelbares Gegenstück zur erstrebten Glückseligkeit von allen (Untertanen, Gemeinwesen und Herrscher) bezogen war, auf Unglücksfälle, wie letztlich die Lehnübersetzung des einst römischrechtlichen casus fortuitus in die kameralistische Sprache lautete. Als „Anstalten wider die Unglücksfälle“80 war das Versicherungsprinzip auf alle 76 Vgl. für einen der Bereiche Frank Oberholzner: Institutionalisierte Sicherheit im Agrarsektor. Die Entwicklung der Hagelversicherung in Deutschland seit der Frühen Neuzeit. Stuttgart 2015. 77 Bieber: Entwurff eines Plans zur Errichtung einer möglichst vortheilhaften Versicherungs Compagnie für Feuers-Gefahr [Hamburg 1795], StA Hamburg, A 456–810, S. 1. 78 Ferdinand Friedrich Pfeiffer: Gedanken über Versicherungs-Anstalten […]. Stuttgart 1780, S. 4. 79 Johann August Brückner: Abhandlung über Errichtung einer Brand-Assekuranz-Casse im Canton Bern. Zürich 1790, S. 8. 80 „Die Unglücksfälle, so die einzeln Privat-Persohnen betreffen, sind dem gesamten Nahrungsstande im Lande überaus schädlich.“; Vorschlag zu Assecuranz-Anstalten gegen die Wasser- Hagel- und andere Schaden an den Feld- und Wiesen-Früchten. In: Johann Heinrich Gottlob von Justi: Oeconomische Schriften über die wichtigsten Gegenstände der Stadt- und Landwirthschaft. Bd. 2. Berlin/Leipzig 1760, S. 473. Ähnlich ist das Kapitel „Von denen Anstalten, wieder die Hinternisse eines blühenden Nahrungsstandes“ – solche „Hinternisse“ sind als „Unglücksfälle“ oder als „Fehler und Mängel in denen Policey-Anstalten“ definiert; Johann Heinrich Gottlob von 170 Cornel Zwierlein auf die materielle Sicherheit des „Nahrungsstandes“ bezogenen Widrigkeiten ausweitbar, es konnte als Hauptinstrument einer kontrafaktisch stabilisierten „sicheren Normalgesellschaft“ fungieren. Den Tod des einzelnen und ein kalkulierendes Gewinn- oder jedenfalls Wertsicherungsgeschäft hierauf konnte man aber aus der herrschenden Perspektive des Eudämonismus, der die irdische von der jenseitigen Glückseligkeit schied und beide in einem Korrespondenzverhältnis sah, den Tod aber gerade nur als Moment des Übergangs zwischen beiden Sphären konzipierte, kaum zu diesen Unglücksfällen zählen, gegen die die kameralistische Policeywissenschaft und -praxis Anstalten zu treffen hatte.81 Selbst bei Beimischung einer Verbindung des Eudämonismus mit einer an Locke erinnernden Konzeption von Eigentums-Schaffung durch Arbeitsleistung wären Versicherungen als Werterhaltungsinstrument für das durch Arbeit in Eigentum Transformierte und der Gesamtgesellschaft und dem Staat Dienliche denkbar. Auch in einem solchen gedanklichen Rahmen stieß die Eingemeindung der Lebensversicherung in den allgemeinen Versicherungsbegriff aber im deutschen Sprachraum immer noch, gleichsam unbewusst, auf eine epistemische Grenze.82 Gleichzeitig notierte man Justi: Grundsätze der Policey-Wissenschaft […]. Göttingen 1756, S. 178. „Der allgemeine Gegenstand der Policeiwissenschaft gehet dahin, die Wohlfart der einzelnen Familien mit dem allgemeinen Beßten in einer ohnunterbrochnen Verbindung und genauen Zusammenhang zu setzen; da nun die Glückseligkeit der Menschen zwey Hauptgegenstände hat, nemlich ihre eigene moralische Beschaffenheit, und dann die Glücksgüter; so muß auch die Policei […] ihre ganze Aufmerksamkeit […] [den] sowohl beweglichen als unbeweglichen Vermögen [der Menschen] schenken. […weshalb die Einrichtung der] Anstalten wider mancherley Unglücksfälle“ zu einem ihrer Hauptgegenstände zählt; Natürliche aus dem Endzweck der Gesellschaft entstehende Allgemeine Policeiwissenschaft. Frankfurt a. M. 1779, S. 8 f. Zum kameralistischen Eudämonismus aus versicherungshistorischer Perspektive vgl. Cornel Zwierlein: Glück und Sicherheit in der Politik der Aufklärung und der Gegenwart. In: André Holenstein u. a. (Hg.): Glück. Bern u. a. 2010, S. 53–81 mit weiterer Literatur. 81 „Der Tod ist keine Lücke in dieser Kette: Er ist ein Ring, welcher die beyden Leben, oder die zween Theile der Kette miteinander verbindet […]. Es folgt also aus diesen Grundsätzen, welche die Vernunft sich selbst macht, daß der Grad der [sc. diesseits] erlangten Vollkommenheit ein Grad der Glückseligkeit oder Herrlichkeit in dem künftigen Leben bestimmen soll, den jedes Individuum erreichen wird.“; Charles Bonnet: […] [P]hilosophische Untersuchung der Beweise für das Christenthum. Samt desselben Ideen von der künftigen Glückseligkeit des Menschen. Übers. u. mit Anm. hg. von Johann Caspar Lavater. [ED 1769]. ND Frankfurt a. M. 1774, S. 284–331, hier: S. 328 f. Vgl. Cornel Zwierlein: Das Glück des Bürgers. Eine begriffsgeschichtliche Skizze zur optimistischen Grundmentalität der Aufklärung. In: Hans-Edwin Friedrich/Fotis Jannidis/ Marianne Willems (Hg.): Bürgerlichkeit im 18. Jahrhundert. Tübingen 2006, S. 71–113. 82 Ueber die Mängel der Assekuranz-Anstalten. In: Deutsches Magazin 12 (1796), S. 603–660: Der unbekannte Autor leitet das Assekuranz-Wesen zwar nun denkbar allgemein aus den Interessen der Einzelnen wie des Staates, dem „Wunsch unser Eigenthum uns und unsern Erben auch gegen unvorhergesehene Zufälle zu sichern“ her (S. 604) und gemeindet ebenso allgemein unter den Assekuranz-Begriff alles von der maritimen Transportversicherung, über Immobiliar-, Mobiliar-, Vieh-, agrarische „Misswachs“(i. e. Ernte)- und Überschwemmungsversicherung ein. Dies geschieht aus der Perspektive des Staatsnutzens wie seit Leibniz gängig auch mit dem Argument, dass so arbeits- und steuerzahlungsfähige Bürger erhalten würden. Die „Assekuranz des Lebens einer Person“ wird zwar nun auch so verstanden und potenziell als gleich behandelbar erkannt, aber aus eben derselben Perspektive des Staatsnutzens nun anders als in mittelalterlicher Zeit für Tod und Leben 171 jedoch geflissentlich, kommentar- und wertungslos, dass in England „1) Die London-Assurance-Company […] Menschenleben versichert. 2) Die sogenannte Amicable Society, ebenda, assecurirt aufs Leben. 3) Die equitable Society, zeichnet Versicherungen auf Leben und Längstlebende“.83 Am Horizont stand also die Legitimation von „Lebensversicherung“ mithilfe des Verweises auf den Wert des Arbeits- oder Verdienstpotenzials eines Lebenden. Das ist zwar eine semantisch wesentlich weitere, makroökonomische Perspektive als im alten individualvertraglichen Argument des 15. Jahrhunderts angelegt, bei dem der Lebenswert mit dem Kredit-Rückzahlungs-Ausfall-Wert gleichgesetzt wurde, aber die Lebensversicherung kann doch so weiter nur als akzidentiell und als Ausnahme zu den Kernbereichen von Versicherung erscheinen. Der letztlich jenseits dieser Korrelation messbarer Werte liegende, a priori ganz willkürlich gesetzte oder setzbare Prämienbetrag und damit Lebenswert einer Wett-Lebensversicherung, die sie dem Kern nach weiter zu einem Wett- und Spekulations-Geschäft machte, war hiermit nach wie vor schwer zu erfassen. Historiografisch ist es insoweit bemerkenswert, dass sich die Wissenschaftsgeschichte seit den 1970er-Jahren in ihrem Interesse für die mathematikhistorischen Entwicklungen der Statistik und Probabilistik vor allem und zuerst auf die Lebensversicherung als Signum des 18. Jahrhunderts konzentriert hat. Dabei ließ sie jedoch das zunächst vorgängige Phänomen der Universalisierung des Versicherungskonzepts auf alle denkbaren materiellen Unglücksfälle weitgehend unbeachtet oder delegierte es an die engere Wirtschaftsgeschichte. Diese vorgängige Ausweitung des Konzepts war aber zentral, um letztlich schlicht jedes um ein definierbares kalkulierbares Risiko als Gegenstand konzentriertes Geschäft als „Versicherung“ zu bezeichnen, womit man die Lebensversicherung in diesen Bereich eingemeinden konnte. Der insoweit höchst bemerkenswerte, von der Überlieferung her meines Wissens in Deutschland solitäre Fall einer Prämien-Lebensversicherung in der Form der Wettassekuranz im 18. Jahrhundert kann damit auf mehreren Ebenen zu einer Versicherungsgeschichte als Teil einer allgemeinen Sicherheitsgeschichte des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit, nicht nur als Teil der engeren Wirtschaftsgeschichte, beitragen: Eine solche muss sich heuristisch auf die Bereiche der Institutionalisierung, des Eigenvorsorge-/Individualitäts-„Trainings“, der Raum- und Zukunftshorizont-Prägung, der Universalisierung/Pluralisierung konzentrieren und verstrebt so die Versicherungsgeschichte mit ganz allgemeinen Problemen der historischen Entwicklung.84 Es gab freilich vor dem 19. Jahrhundert in Deutschland keine Institutionalisierung der Prämien-Lebensversicherung wie in England. Wohl aber zeigt der Fall gut, wie die Formen der Individualisierung und des Vorverbotswürdig erachtet, weil sie einen an sich unrechtmäßigen Vorteil und die Bereicherung einzelner aufgrund „schädliche[r] Spekulazionen“ darstellten, was für den auf arbeitswillige Untertanen angewiesenen Staat nicht günstig sei (S. 620–623). 83 Art. Assecuranzkammer, oder Assecuranzcompagnie [sic, als Synonym erachtet]. In: Carl Günther Ludovici/Johann Christian Schedel: Neu eröfnete Academie der Kaufleute, oder encyclopädisches Kaufmannslexicon […]. Teil 1. Leipzig 1797, Sp. 1066–1070, hier: Sp. 1067. 84 Zwierlein: Erfolgsmodell (wie Anm. 33). 172 Cornel Zwierlein sorgeprinzips hier in der trilateralen Situation der Lebensversicherung zugunsten des Dritten Stander eine bemerkenswerte Ökonomisierung eines risikobehafteten Lebens seitens der Parteien und auch gerade seitens des noch Lebenden aufweisen: Auch wenn die Gerichte am Ende die Versicherer zur Zahlung verurteilten, sprechen doch in der Tat viele Indizien des Falles dafür, dass Wolters und sein Schwager, der Makler Schierhorn, sehr gut wussten, wie es gesundheitlich um Wolters bei Abschluss der Versicherung stand. Beide kamen aus dem innersten Expertenmilieu des Assekuranzgeschäftes; sie benutzten ein Vertragsinstrument, dessen positiver Eigenvorsorgeimpetus zugleich mit einem starken Spekulationsanteil gepaart war. Die spekulative Kartierung individueller Zukunftshorizonte war damit jedenfalls in diesem Hamburger Milieu in einer Form schon Normalität und Alltag geworden, die zeitgleich in anderen Städten noch nicht der Fall war; dies zeigt auch die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen solcher langsam, regional und auch ständebezogen sich erst mit Zeitverzug und in unterschiedlicher Form durchsetzender Praktiken, Konzepte und der damit verbundenen Erwartungshorizonte.85 Der angedeutete Punkt des späten Einbezugs der Lebens-Wettversicherung in einen allgemeinen Versicherungsbegriff an der Wende zum 19. Jahrhundert ist dann ein guter Beleg für das dialektische Widerspiel von Universalisierung und Pluralisierung von Sicherheitsvorsorge und Versicherungsprinzip. Die unterschiedlichen epistemischen Grenzen, die der Lebensversicherung im spätmittelalterlichen wie im kameralistischen Kontext nacheinander die Eingemeindung in ein allgemeines Konzept von „Versicherung“ verwehrten, kann man insofern als Teil auch einer Geschichte von Versicherbarkeit in einem generalisierten Sinne verstehen: Hier folgen unterschiedliche normative Grenzen von „Versicherbarkeit“ aufeinander. Für die Hoch- und Spätmoderne hingegen werden inzwischen das Zusammenspiel und die Überblendung normativer und funktional-kalkulierender Versicherbarkeitsmaßstäbe als heuristisches Instrument zur Historisierung von Risikohorizonten fruchtbar gemacht.86 85 Für einen theoretischen Ansatz der Verallgemeinerung dieses Problems jenseits der älteren „Ungleichzeitigkeits“-Terminologie Bloch’scher Deszendenz vgl. Cornel Zwierlein: Return to Premodern Times? Contemporary Security Studies, the Early Modern Holy Roman Empire, and Coping with Achronies. In: GSR 38 (2015) 2, S. 373–392. 86 Cornel Zwierlein: Grenzen der Versicherbarkeit als Epochenindikatoren? Von der europäischen Sattelzeit zur Globalisierung des 19. Jahrhunderts. In: GG 38 (2012), S. 423–452; zur Aushandlung von „Versicherbarkeit“ zwischen privater und öffentlicher Hand (das „Flood Insurance Program“ als Adaptationstechnik) nach Hurricane Betsy vgl. die Analyse bei Eleonora Rohland: Hurricanes in New Orleans, 1718–1965. A History of Adaptation. Diss. masch. Bochum 2015, S. 263–313. Christoph Wehner: Die Versicherung der Atomgefahr. Risikopolitik, Sicherheitsproduktion und Expertise in der Bundesrepublik Deutschland und den USA, 1945–1986. Göttingen 2017, zeigt, wie das Konzept von „Versicherbarkeit“ aus dem Milieu eher technischer Versicherungstheorie als Kampfbegriff in die Sphäre der Anti-AKW-Bewegung und von dort in das theoretische Terminologiegerüst der Risikosoziologie wanderte. Das heuristische Werkzeug hat so selbst seine Wurzeln in der Quellenebene. Tod und Leben 173 Abstract The history of late medieval and early modern premium life insurance in Europe is marked by a significant gap: Until around 1600, insurances as wagers on famous public persons were practiced, as there was also a constant though – compared to maritime transport insurance – usually small practice of individual premium life insurance contracts for private persons since the fourteenth century. Lawyers and theologians were usually condemning that practice though acknowledging its existence, but in any case, canon and early merchant law experts usually distinguished between all kinds of wager and gambling (sponsio) and insurance, reserving for the maritime transport insurance the term assecuratio; sometimes they used sponsio as the general term for both. During the sixteenth century a series of territorial prohibitions of life insurance were enacted which led to a quite complete disparition around 1600 of the practice and its treatment in learned discourse at least as far as sources hitherto uncovered by research can tell. The only exception since the early eighteenth century of a revitalization of individual premium life insurance as usual every-day business seems to have happened in England, in most other countries, research only accounts for the emergence of life insurance business during the nineteenth century. An exceptional case from Hamburg, luckily transmitted due to an appeal process brought for the Imperial Chamber Court in Wetzlar (1753–1767) shows that there must have been also some life insurance practice in Hamburg, probably imitating the English practice since the early eighteenth century until 1759. This case is analysed in the present contribution with the purpose to show the developments of the concept of “insurance” in general: the case bears proof that there was for centuries something like an invisible epistemic barrier to let emerge a universal concept of insurance covering all different realms and objects as it is known today. It seems that only at the end of the eighteenth century within the macroeconomic thought and perspective of German cameralism a vision on “insurance” became possible that narrowed it more and more to such a universalized concept – though, still, during the nineteenth century discussions remained strong whether to classify “insurance” as part of the gambling contracts or as a genuine form and part of new positivist codification law. Behind those developments in legal classification systems, larger trends of social history become visible: future oriented self-care instead of public post-factum charity, individualization instead of collective conceptualization of the collective, economization even of human life and the recognition of universal principles and concepts as common to practices and ideas that were hitherto treated as distinct and separated.