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IM FOKUS | 11 Urner Wochenblatt | 144. Jahrgang | Nr. 98 | Mittwoch, 9. Dezember 2020 Geschichtsprofessorin | Silvia Berger Ziauddin ist derzeit die einzige Urnerin auf einer solch hohen Wissenschaftsposition Von Seuchen und dem Kalten Krieg – und Faszination und Leidenschaft Silvia Berger ist Professorin für Schweizer und Neuste Allgemeine Geschichte. Sie forscht vor allem zur Geschichte von Seuchen und Bunkern. Wie wichtig Leidenschaft für Wissenschaft und Freude für Erfolg ist. Elisa Hipp «Extrem.» Silvia Berger Ziauddin strahlt auf dem Zoom-Bildschirm. «Mein Beruf macht mir extrem Freude. Ich habe jeden Tag das Gefühl, ich kann genau das machen, was mich umtreibt, was mich wirklich interessiert, was mich beflügelt.» Diesen Sommer erhielt Silvia Berger Ziauddin den Ruf auf die Professur für Schweizer und Neueste Allgemeine Geschichte an der Universität Bern. Sie dürfte damit derzeit die einzige Urnerin auf einer solch hohen Wissenschaftsposition sein. Wie kommt man an diese Spitze? «Ich würde niemandem sagen, ich kenne den Weg zum Erfolg. Aber ich glaube, ohne Authentizität, ohne die Freude an der Forschung und das unbändige Wissen-Wollen geht es nicht. Und das muss man auch weitergeben.» «Karriere machen stand bei mir nie an erster Stelle» Silvia Berger Ziauddin ist in Schattdorf aufgewachsen, hat das Kollegi besucht und danach Allgemeine Geschichte, Politikwissenschaft und Völkerrecht an der Universität Zürich und an der Humboldt Universität in Berlin studiert. «Ich habe mich immer wahnsinnig interessiert für das Fach Geschichte, für die Auseinandersetzung mit Quellen. Ich bin auch jemand, der sehr gerne schreibt und sich mit einem Thema lang und intensiv auseinandersetzt und sich dort in einer Art und Weise hineinkniet, wie es viele ein wenig schräg finden», sagt sie und lacht. «Karriere machen stand bei mir nie an erster Stelle, sondern diese Faszination.» Darum promovierte sie nach dem Lizentiat – zur Geschichte der Bakteriologie Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Es war der Anfang zu einem ihrer Forschungsschwerpunkte – «Geschichte der Seuchen». Konkret lautete der Titel der Doktorarbeit «Bakterien in Krieg und Frieden. Eine Geschichte der medizinischen Bakteriologie in Deutschland, 1890–1933». «Das war die Zeit, als die Bakteriologie zur grossen Leitwissenschaft wurde, als in Frankreich Louis Pasteur und in Deutschland Robert Koch die grossen Lichtgestalten waren», erklärt sie. «In meiner Doktorarbeit hat sich gezeigt, dass damals die grosse Hoffnung bestand, dass Infektionskrankheiten besiegt werden können, dass die Welt irgendwann seuchenfrei sein kann. Und der Glaube an die Ausrottung von Infektionskrankheiten hat sich bis weit ins 20. Jahrhundert hinein weitergezogen – bis in den 1970er- und 1980er-Jahren Aids und andere neue Infektionskrankheiten aufkamen.» Die Geschichtswissenschaft könne keine Handlungsanleitungen bieten, sagt Silvia Berger Ziauddin. Ein Bunker aus dem Kalten Krieg. Was macht ein solcher Raum mit den Menschen? Welche Vorstellungen von Sicherheit stehen dahinter? Fragen wie diese beantwortet Silvia Berger Ziauddin als Professorin für Schweizer und Neuste Allgemeine Geschichte an der Universität Bern wissenschaftlich. FOTO: ARCHIV UW Aber es sei wichtig, historisch informiertes Wissen bereitzustellen, um aktuelle Phänomene, Probleme und Krisen besser deuten zu können. «Damit man sie nicht in einem luftleeren Raum betrachtet, sondern versteht, wie und warum man dort hingekommen ist. Denn man kann die heutige Situation nicht als etwas Isoliertes anschauen. Sie ist ganz massiv geprägt durch Traditionen, durch Deutungsmuster, Denkhaltungen und Mentalitäten. Alles hat eine Geschichte.» Ihr Forschungsschwerpunkt Seuchengeschichte erlaubt es Silvia Berger Ziauddin, aus einem besonderen Wissensschatz heraus über die jetzige Pandemie-Situation nachzudenken. Was ist die Geschichte dieser Pandemie? Welche sprichwörtlichen Geschichten stecken dahinter? Und wie kann man die Pandemie einordnen? «Die Zeit jetzt ist ein Kippmoment, sowohl im Hinblick auf die Schweizer Geschichte als auch auf die Geschichte der Seuchen», sagt sie. Reflexionen könne sie liefern zur Situation, für Forschungsergebnisse ist es noch zu früh. «Versicherungsland» Schweiz Letztendlich sei in der wissenschaftlichen Community klar gewesen, dass irgendwann wieder eine Pandemie komme. Die Frage war nicht ob, sondern wann. Und die Schweiz sei «ein Versicherungsland», man sei auf alles vorbereitet, habe für alles Pläne, der Umgang mit dem Ernstfall sei bis ins letzte Detail durchgeplant. «Das sind Denkmuster, die darauf abzielen, dass man die Krise verhindert, indem man sie plant», sagt Silvia Berger Ziauddin. «Und ich habe das Gefühl, die Schweiz kann Krise nicht. Ihr fehlt es an einem Ad-hoc-Krisenmanagement, am spontanen und flexibel Reagieren. Stattdessen hat sie einen Erfahrungsschatz, der ihr sagt, ‹wir sind immer durchgekommen›. Und in dieser Corona-Pandemie macht die Schweiz jetzt die Erfahrung, dass sie schlechter dasteht als viele andere in Europa. Und das ist eine Verletzung des Selbstbilds. Das ist ein Einbruch der Realität, aber auch von Vorstellungen, dass alles planbar ist.» Die Schweiz müsse vom Selbstbild der Unberührbarkeit Abstand nehmen, mehr ein Selbstbild leben, in dem man auch Verletzlichkeit starkmacht. Und Krise lernen – lernen, dass einem auch einmal die Kontrolle entgleiten kann. Der Gedanke, man könne den Ernstfall planen Dass Silvia Berger Ziauddin die Schweiz als Versicherungsland bezeichnet, eins, das mit einer «Planungsmanie» ausgestattet ist, kommt nicht von ungefähr. In ihrer Habilitation hat sie sich dem Thema der Zivilschutzbunker im nuklearen Zeitalter gewidmet. Als sie ein Kind war, in Zeiten des Kalten Kriegs, habe ihre Mutter sie regelmässig in den Bunker geschickt, um Vorräte zu holen, die dort gelagert waren. Der Raum liess sie nachdenken. Jahrzehnte später kniete sie sich dann mit der ihr eigenen Art Silvia Berger Ziauddin FOTO: ZVG wissenschaftlich hinein. Und beantwortete nun Fragen wie: Was macht ein Bunker mit einem Menschen? Wie entsteht er? Welches technische Wissen braucht es dafür? Aber auch: Welche Vorstellungen von Sicherheit, von Bewältigbarkeit von Krisen stecken dahinter? «Ein Bunker ist wie ein Emblem für den Gedanken, man könne Krisen und den Ernstfall planen, dass man vorbereitet ist», sagt Silvia Berger Ziauddin. «In den Bunkern ist alles bis ins kleinste Detail normiert und geregelt gewesen. Das vermittelt das Gefühl, alles ist bewältigbar. Und es entbindet vom Gedanken, es könnte einem die Kontrolle entgleiten.» Sowohl das Thema Seuchengeschichte als auch das Thema Bunker sprechen letztlich sehr existenzielle Themen an: die Bedrohung der eigenen Gesundheit, die Bedrohung durch einen Atomkrieg. Das verbindet die beiden Forschungsschwerpunkte. Aber auch, dass sie verschiedene Sphären vermischen. «Bei beiden Themen vermischen sich gesellschaftliche, politische und kulturelle Sphären, und ich versuche die Interaktion zwischen den verschiedenen Sphären aufzuzeigen», sagt sie. Das ist sowieso etwas, was sie so gerne mag an der Geschichtswissenschaft: dass dort auch andere Disziplinen wie Geografie, Politologie, Anthropologie oder Soziologie eine Rolle spielen. Befristete Arbeitsverhältnisse und Beharrlichkeit Beharrlichkeit brauche es schon in der Wissenschaft, sagt Silvia Berger Ziauddin. Bei so langen Arbeiten wie einer Doktorarbeit, wie einer Habilitation, gebe es immer wieder frustrierende Phasen, in denen man nicht weiterkomme. In denen man meist in befristeten Arbeitsverhältnissen steckt und finanzielle Belastungen hat. Sie hielt durch. Und erhielt nach zahlreichen wissenschaftlichen Stationen im August 2018 die Assistenzprofessur für Ge- schichte des 19. und 20. Jahrhunderts an der Universität Bern. Von dort erhielt sie dieses Jahr den Ruf auf die Professur für Schweizer und Neueste Allgemeine Geschichte, ebenfalls an der Uni Bern. Als Professorin hat sie im Wesentlichen drei Arbeitsfelder. Da ist zum einen die Lehre, in dem sie Vorlesungen und Seminare hält und Proseminararbeiten bis Dissertationen betreut. Dann ist da die Forschung, wo sie neue Schwerpunkte entwickelt und bestehende weiterentwickelt, Drittmittel einwirbt, Netzwerke bildet und Publikationen herausgibt. Und nicht unerheblich ist die Verwaltung der Universität, wo Professorinnen und Professoren in Gremien und Arbeitsgruppen am Betrieb «Universität» arbeiten. Kooperation mit Urner Institut Zum Kanton Uri hat Silvia Berger Ziauddin noch immer engen Kontakt, sei es zu ihren Eltern, sei es zu Kolleginnen und Kollegen. «Ich komme immer gerne in den Kanton Uri, es ist ein wunderschöner Kanton», sagt sie. Umso mehr freut sie sich, dass sie nun auch wissenschaftliche Verbindungen in den Kanton Uri aufbaut. Die Universität Bern und das Urner Institut Kulturen der Alpen, das Teil der Universität Luzern ist, haben nämlich Kooperationen vereinbart. «Wir denken über gemeinsame Aktivitäten und Projekte nach. Ich würde gerne gemeinsame Forschungsprojekte zur Urner Geschichte etablieren», sagt sie. Das sei vor allem auch für Urner Studierende interessant. Die habe sie zwar auch – aber sie wünschte sich, es würden noch mehr von ihnen nach Bern kommen. «Unser Institut bietet ein extrem breites Angebot an Themen, aber gleichzeitig auch eine enge Betreuung. Die Lehre wird extrem hoch gewichtet», sagt sie und setzt dann lachend hinzu: «Und es gibt spannende Dozierende.» Man glaubt es ihr aufs Wort.