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Transnationale Zivilgesellschaft und Organisationsentwicklung

2003, Forschungsjournal Soziale Bewegungen

Forschungsjournal Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen Gegründet 1988, Jg. 16, Heft 2, Juni 2003 Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft m.b.H. • Gerokstraße 51 • 70184 Stuttgart Fax 0711/242088 • e-mail: lucius@luciusverlag.com • www.luciusverlag.com NSB, Jg. 16, Heft 2, 2003 Inhalt zyxwvutsr Ludwig Pott Editorial zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Die Enquete-Kommission Konturen der Zivilgesellschaft 97 Zur Profilierung eines Begriffs 2 als soziales System Michael Opielka Call for Papers Bürgergesellschaft und Sozialpolitik Symbole, Ästhetik und Medien NSB herausgegeben von Dr. Ansgar Klein; Jupp Legrand; Dr. Thomas Leif zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Für die ForschungsgruppezywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA in sozialen Bewegungen 6 Entscheidungspfade grüner Sozialpolitik... 107 Redaktion: Nele Boehme, Berlin; Alexander Flohe, Düsseldorf; Dr. Ansgar Klein, Berlin; Ludger Klein, St. Augustin; Peter Kuleßa, Berlin; Jupp Legrand, Wiesbaden; Dr. Thomas Leif, Wiesbaden; Markus Rohde, Bonn; Dr. Jochen Roose, Leipzig; Dr. Rudolf Speth, Berlin Redaktionelle Mitarbeiter: Anja Corinna Baukloh, Berlin; Sabine Krüger, Berlin; Astrid Weiher, Berlin Verantwortlich für denThemenschwerpunkt dieser Ausgabe: Markus Rohde (v.i.S.d.R); Konzept: Dr. Ansgar Klein; vetantwortlich für Pulsschlag: Alexander Flohe, Remscheider Str. 18,40215 Düsseldorf, e-mail: alex.florie@web.de; fürTreibgut: Astrid Weiher, Im Krausfeld 30,53111 Bonn, e-mail: astridweiler@web.de; für Literatur:Ue\e Boehme, Graefestr. 14,10967 Berlin, e-mail: schand @ zedat.fu-berlin .de Beratung und wissenschaftlicher Beirat: Dr. Karin Ben2-Overhage, Frankfurt/M.; Prof. Dr. Andreas Büro, Grävenwiesbach; Volkmar Deile, Berlin; Dr. Warnfried Dettling, Berlin; Prof. Dr. Ute Gerhard-Teuscher, Frankfurt/ M.; Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach SJ, Frankfurt/M.; Prof. Dr. Robert Jungk (t); Ulrike Poppe, Berlin; Prof. Dr. Joachim Raschke, Hamburg; Prof. Dr. Roland Roth, Berlin; Prof. Dr. Dieter Rucht, Berlin; Wolfgang Thierse, Berlin; Dr. Antje Vollmer, Berlin; Heidemarie Wieczorek-Zeul, Berlin Redaktionsanschrift: Forschungsgruppe NSB, c/o Dr. Ansgar Klein, Mahlower Straße 25/26,12049 Berlin, email: ansgar.klein@snafu.de Hompepage: www.fjnsb.de Bezugsbedingungen: Jährlich erscheinen 4 Hefte. Jahresabonnement 2003: € 36,-/ sFr 62,-, für Studierende gegen Studienbescheinigung € 27,-/ sFr 47,30,-, Einzelheft € 13,50,-/ sFr 24,30,-, jeweils inkl. MwSt. (Versandkosten Inland € 4,-/Ausland € 8,-/ sFr 15,-.) Alle Bezugspreise und Versandkosten unterliegen der Preisbindung. Abbestellungen müssen spätestens 3 Monate vor Ende des Kalenderjahres schriftlich beim Verlag erfolgen. Abonnentenverwaltung (zuständig für Neubestellungen, Adressänderungen und Reklamationen) bitte direkt an die Verlagsauslieferung: Brockhaus/Commission • Postfach • 70803 Kornwestheim Tel. 07154/1327-37 • Fax 07154/1327-13 Anzeigenverwaltung beim Verlag (Anschrift wie oben) Es gilt die Anzeigenpreisliste vom 1. Januar 2002. © 2003 Lucius & Lucius Verlagsges. mbH, Stuttgart Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages vervielfältigt oder verbreitet werden. Unter dieses Vorbehalt fällt insbesondere die gewerbliche Vervielfältigung per Kopie, die Aufnahme in elektronischen Datenbanken und die Vervielfältigung auf CD-ROM und allen anderen elektronischen Datenträgern. Das Forschungsjournal wird durch SOLIS, IPSA (International Political Science Abstracts), IBSS (International Bibliography of the Social Sciences), sociological abstracts und BLPES (International Bibliography of Sociology) bibliographisch ausgewertet. Karikaturen: Gerhard Mester, Wiesbaden Umschlag: Nina Faber de.sign, Wiesbaden Satz: m.o.p.s. Klemm & Wenner, Mainz Druck und buchbinderische Verarbeitung: Rosch-Buch, Scheßtitz Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany ISSN 0933-9361 Essay/Aktuelle Analyse zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFED Pulsschlag Andreas Büro Christina Stecker/Annette Zimmer Friedensbewegung in Protest 7 Aktivierender Staat, Dieter Rucht Die Friedensdemonstranten Wer sind sie, wofür stehen sie? 10 15-jähriges Jubiläum des Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen Joachim Raschke Bewegung, Reform, Protest Blockaden und Veränderungen 14 Ansgar Klein Diskurspolitischer Interventionismus 24 Themenschwerpunkt Jürgen Kocka Zivilgesellschaft in historischer Perspektive 29 Paul Nolte Zivilgesellschaft und soziale Ungleichheit 38 Detlef Pollack Zivilgesellschaft und Staat in der Demokratie 46 Roland Roth Die dunklen Seiten der Zivilgesellschaft 59 Annette Zimmer Rahmenbedingungen der Zivilgesellschaft Helmut Anheier/Nuno Themundo/ Matthias Freise Transnationale Zivilgesellschaft und Organisationsentwicklung Ehrenamt und Frauen 115 OlafEbert/Birger Hartnuß Freiwilligenagenturen in Deutschland 120 Peter Wahl Die Dialektik des Erfolgs Das Dritte Weltsozialforum 125 Peter Ulrich Bounded Identity und Frameanpassung Die Mobilisierung nach Genua 127 Ingmar Cario/Thomas Leif Das Scheitern als Chance begreifen Überforderung der Politik durch die Informationsfreiheit 132 Esra Erdem Organisationen Anatolisch-Deutscher Frauen 136 Treibgut Materialien, Notizen, Hinweise 141 Literatur Gemeinwohl aus vier Perspektiven {Rudolf Speth) 146 Altes und Neues über Zivilgesellschaft {Roland Roth) 149 Solidarität in Bewegung 74 87 {Michael Krämer) 153 Annotationen 155 Aktuelle Bibliographie 158 Abstracts 162 2 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Editorial Editorial zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA nellen Klärungsbedarf aufmerksam. Vor diebar, die Gegensätze zwischen dem TugenddisKonturen der Zivilgesellschaft sem Hintergrund möchte das ForschungsjourZur Profilierung eines Begriffs zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA kurs der republikanischen Theorietradition und nal einen Beitrag nicht nur für die laufenden dem liberalen Interessendiskurs durch ein deKonzeptdiskussionen leisten, sondern auch die Der Begriff der Zivilgesellschaft hat seit den mokratietheoretisches Neuarrangement abzuanalytische Tiefenschärfe und die politischen 1980er Jahren eine steile Karriere durchlaufen. schwächen. Auf der demokratietheoretischen Implikationen der Konzeptdiskussion in den In den westlichen Demokratien haben in den Agenda steht mithin die Demokratisierung, der Vordergrund rücken. 1980er Jahren vor allem soziale Bewegungen liberalen Demokratie unter Einbezug nicht nur und NGOs die Diskussion bestimmt. Seit den der politischen, sondern auch der gesellschaftliAus Sicht eines soziohistorischen Zugangs be1990er Jahren beteiligen sich auch Verbände, chen Institutionen . Zivilgesellschaft steht in gründet Jürgen Kocka die Unterscheidung der Parteien, Wirtschaftsakteure sowie nationale, diesem Zusammenhang für eine Konzeption Zivilgesellschaft von Staat und Markt. Erst sie europäische und internationale Organisationen des Politischen, die sich nicht auf die staatliche ermöglicht die Analyse der wechselseitigen und Institutionen an dem Diskurs der Zivilge- Verfasstheit der Politik reduziert. Beeinflussung dieser drei gesellschaftlichen sellschaft. In der deutschen Diskussion hat in Wissenschaftlich schließt die Diskussion an Sektoren. Für Kocka ist das Konzept der Zivilden letzten beiden Jahren insbesondere die En- aktuelle Diskussionen in der politischen Theogesellschaft eng mit normativen Annahmen verquete-Kommission ,Zukunft des Bürgerschaft- rie, der Demokratietheorie, der politischen Sobunden, die es nicht nur kritisch zu prüfen, lichen Engagements' die reformpolitischen Po- ziologie und auch an zahlreiche Politikfeldanasondern auch analytisch fruchtbar zu machen tentiale der Zivilgesellschaft ausgeleuchtet und lysen an. Den normativ aufgeladenen Begriff gilt. Paul Nolte macht dies am Beispiel der den engen Zusammenhang von Engagement- der Zivilgesellschaft gilt es in diesem ZusamUngleichheitsproblematik deutlich: Die Zivilund Demokratiepolitik herausgearbeitet (En- menhang analytisch fruchtbar zu machen, ohne gesellschaft ist positiv wie negativ mit den Strukquete-Kommission 2002; Evers.a. 2002) . Das in schlechten Normativismus mit entsprechenForschungsjournal hat sich bereits mit mehre- den Blickverengungen zu verfallen. Reformpolitisch wird der Zusammenhang von ren Heften an dieser Diskussion beteiligt . Im normativen Zentrum des Diskurses steht ein Demokratiepolitik und Engagementpolitik ausFreiheitskonzept, das - so auch die aktuellen geleuchtet. Die demokratiepolitischen ZielsetDemokratietheorien mit Blick auf die Zivilge- zungen gelten einer weitergehenden Bürgerbesellschaft - das liberale Erbe des Rechtsstaats teiligung im institutionellen politischen Raum. mit dem republikanischen Erbe demokratischer An die Politik wird die Erwartung gerichtet, Selbstbestimmung verbindet. Allzu selbstver- Rahmenbedingungen und Infrastruktur des bürständlich wird jedoch zumeist auf politisch wie gerschaftlichen Engagements zu stärken. Als sozial integrative Effekte der Zivilgesellschaft- notwendig gilt auch eine Öffnung der geselldas berühmte,soziale Kapital' verwiesen. Nicht schaftlichen Institutionen für Beteiligungsannur die segregativen Effekte der Zivilgesell- sprüche der Zivilgesellschaft. schaft und die Gleichzeitigkeit ziviler wie unzi- Insgesamt ist zu beobachten, dass der Zivilgeviler Entwicklungen, sondern auch die Ungleich- sellschaftsdiskurs von den unterschiedlichen heiten in der Zivilgesellschaft werden dabei Akteuren und deren jeweiligen Perspektiven und Interessenlagen geprägt wird. Die begrifflioftmals unterschlagen. che Konjunktur von ,Bürgergesellschaft', ,ZiNach wie vor ist der Diskurs durch sehr vervilgesellschaft' oder ,civil society' in wissenschiedene Zugänge, unterschiedliche Konzepte schaftlichen wie politischen Debatten hat nicht und eine oftmals unscharfe Begrifflichkeit geunbedingt zu einer konzeptionellen Schärfung prägt. Die für unser Themenheft wichtigsten beigetragen. Die hohe Anschlussfähigkeit der Diskussionsstränge seien im Folgenden kurz öffentlichen Begriffsverwendung und oftmals erwähnt: vage und halbherzige politische SchlussfolgeInzyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA derdemokratietheoretischenDiskussion über rungen machen auf den steigenden konzeptiodie Zivilgesellschaft wird das Bemühen erkenn3 1 2 4 3 turen sozialer Ungleichheit verknüpft. Die Dominanz der Mittelschichten als soziale Trägergruppen der Zivilgesellschaft verdient erhöhte Aufmerksamkeit der Forschung wie auch der Politik. Die Frage der Gerechtigkeit ist auch für die Zivilgesellschaft zu stellen. Detlef Pollack plädiert für eine analytische Konzeption der Zivilgesellschaft und erläutert deren demokratietheoretische Anschlussfähigkeit unter Berücksichtigung der Auswirkungen der Zivilgesellschaft auf Input und Output des politischen Systems. Doch kommt auch er nicht ohne die normativen Mmimalbedingungen der Toleranz und des Gewaltverzichts aus. Normative Überhöhungen der Zivilgesellschaft, dies auch die These von Roland Roth, fuhren analytisch in die Irre. Sein Konzept der ,realen Zivilgesellschaft' demonstriert eindrucksvoll, dass die Zivilgesellschaft immer auch ,dunkle Seiten' auf- 4 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA weist. Sie werden erst im Zusammenspiel endogener und exogener Faktoren, also unter Berücksichtigung nicht nur der inneren Entwicklung der Zivilgesellschaft, sondern auch der sie prägenden politischen, sozialen und kulturellen gesellschaftlichen Kontexte deutlich. Der realistische Blick bewahrt vor Überschätzungen und Verklärungen der Zivilgesellschaft und bringt zentrale Probleme des gesellschaftlichen Kontextes in ihren Auswirkungen auf die Verfasstheit der Zivilgesellschaft wieder verstärkt ins Spiel. Zu den Problemen ,realer Zivilgesellschaften' gehören u.a. politische Segmentierung, subkulturelle Abschottung, soziale Abgrenzung, ungleiche Ressourcenausstattungund Durchsetzungskraft, Klientelismus und Korruption. Vor Augen tritt so die ,Jtonfliktträchtige Gleichzeitigkeit von zivilen und unzivilen Tendenzen und deren Zusammenspiel in realen Zivilgesellschaften" (Roth in diesem Heft). Die Entwicklung zivilgesellschaftlicher Organisationsformen behandelt unser Themenheft zum einen mit Blick auf die prägende Rolle nationalstaatlicher Rahmenbedingungen (Annette Zimmer) und einen entsprechenden Reformbedarf als auch mit dem Fokus auf den Organisationswandel von internationalen Nichtregierungsorganisationen und Netzwerken (Anheier u.a.). Editorial Editorial zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA lenAspekten der Zivilgesellschaft (Drittes Weltsozialforum und Mobilisierung nach Genua). Der Literaturteil bietet eine Sammelrezension zur Zivilgesellschaft, zu den 4 Bänden Gemeinwohl und Gemeinsinn' der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und zur globalisierungskritischen Bewegung. Die Beiträge des Themenschwerpunktes sind zum größten Teil aus dem Kongress Demokratie und Sozialkapital - die Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure' hervorgegangen. Der Berliner Kongress hatte drei inhaltliche Schwerpunkte: Neben (1) einer historischen Perspektive auf die Entwicklung von Bürgergesellschaft und ,civil society' standen (2) demokratietheoretische Analysen zur sozialen und politischen Integrationswirkung von Zivilgesellschaft und (3) Perspektiven des .Dritten Sektors' auf dem Programm. Diese inhaltliche Vielfalt findet sich auch im vorliegenden Themenheft. Noch in diesem Jahr werden die überarbeiteten Beiträge des Kongresses in drei Bänden im Verlag Leske+Budrich in der neuen Reihe ,Bürgergesellschaft und Demokratie' erscheinen . Der Kongress wurde im Juni 2002 von der Redaktion des Forschungsjournals gemeinsam mit den DVPW-Arbeitskreisen ,Soziale Bewegungen' und, Verbände'und dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung durchgeführt. Gefördert wurde er durch die BundeszenIn kritischer Reaktion auf einen Beitrag von trale für Politische Bildung, die Heinrich-BöllFrank Nullmeier im Forschungsjournal (Heft 4/ Stiftung, die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Hans02) plädiert Michael Opielka für eine SozialpoliBöckler-Stiftung, die Otto-Brenner-Stiftungund tik, die Fragen der gesellschaftlichen Umverteidas Wissenschaftszentrum für Sozialforschung lung als Voraussetzung einer Stärkung der ZivilBerlin. Ihnen sei an dieser Stelle für ihre Untergesellschaft versteht. Er zielt dabei insbesondere stützung gedankt . auf die sozialpolitischen Überlegungen der Grünen. Ludwig Pott gibt einen Inneneinblick in die Zusätzlich zum Themenschwerpunkt dieser Arbeit der Enquete-Kommission ,Zukunft des Ausgabe finden sich zwei Beiträge zur bundesBürgerschaftlichen Engagements'. deutschen Friedensbewegung von Andreas Büro Auch unsere Rubriken stehen diesmal ganz im und Dieter Rucht. Die Analysen unserer beiden Zeichen des Themenschwerpunkt. Hier finden Beiratsmitglieder gelten mit einem Fokus auf sich Analysen zum Verhältnis von aktivieren- Deutschland der Protestmobilisierung gegen den dem Staat, Frauen und Ehrenamt und zu Frei- im März 2003 begonnenen Krieg im Irak und willigenagenturen, aber auch zu transnationa- der Verfasstheit der Friedensbewegung. 5 6 5 zyxwvutsr 15 Jahre Forschungsjournal zivilgesellschaftliche Entwicklungen des sogeAnlässlich des 15-jährigen Jubiläums des Pro- nannten .Dritten Sektors' als intermediärer gejekts Forschungsjournal Neue Soziale Bewe- sellschaftlicher Sphäre zwischen Markt und gungen veranstaltete die Redaktion im Rahmen Staat. Konzepte, Forschungen und Fallstudien einer Fachtagung zu .Lobbyismus in Deutsch- zu nicht profitorientierten Organisationen stanland' im Januar 2003 einen Festakt in den Räu- den seinerzeit im Mittelpunkt. Zu Beginn des men der Heinrich-Böll-Stiftung . Der Festvor- Jahres 1994 erschien ein Themenheft zu den trag von Joachim Raschke - eines Weggefähr- demokratietheoretischen Implikationen des Ziten unserer Zeitschrift von Beginn an und Mit- vilgesellschaftsdiskurses. Heft 2 des Jahrgangs glied unseres Beirats - untersucht die Auswir- 1996behandelte Entwicklungen einer internatikungen sozialer Bewegungen seit der Studen- onalen Zivilgesellschaft. Analysiert wurden tenbewegung auf die Reformpolitik. Die rot- Arbeit, Funktionsweisen und Strukturen von grüne Bundesregierung ist ein später Sieg der Nichtregierungsorganisationen. Heft 1 des Folneuen sozialen Bewegungen, aber dieser Erfolg gejahrgangs 1997 untersuchte die Rolle zivilgekann rasch verspielt werden. Ansgar Klein be- sellschaftlicher Akteure in demokratischen schreibt das Selbstverständnis der Redaktion Transformationsprozessen in Südostasien, Laalseinen,diskurspolitischen Interventionismus'. teinamerika und Südeuropa. 15 Jahre ehrenamtliche Redaktionsarbeit sind Der Beitrag von Ingmar Cario und Thomas auch mit Blick nach vorn ein gewichtiger Grund Leif zur aktuellen Diskussion über das Informafür weitere Danksagungen. Diese gelten Herrn tionsfreiheitsgesetz gibt beispielhaft Einblicke von Lucius und seinem Verlagsteam, unseren in die beobachtbaren Widerstände gegen weiKolleginnen und Kollegen in der Redaktion, tergehender Demokratisierung. Volker Klemm im Satzbüro, Nina Faber für die In der aktuellen reformpolitischen Praxis etwa Titelgestaltung und unserem Karikaturisten spielt die Förderung von Zivilgesellschaft und Gerhard Mester. Und natürlich gilt unser Dank bürgerschaftlichem Engagement nur eine nachauch unseren Leserinnen und Lesern und unse- geordente Rolle. ren Autorinnen und Autoren. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA Jessen, Ralph/Reichardt, Sven/Klein, Ansgar 7 3 4 5 (Hg.): Zivilgesellschaft als Geschichte. Studien Ansgar Klein, Frankfurt/Berlin; Markus Rohde, zum 19. und 20. Jahrhundert; Ansgar Klein/ Kristine Kern/Brigitte Geißel/Maria Berger Bonn (für Herausgeber und Redaktion) (Hg.): Zivilgesellschaft, Demokratie und Sozialkapital. Herausforderungen politischer und Anmerkungen sozialer Integration; Karl Birkhölzer/Ansgar Mittlerweile sind im Verlag Leske+Budrich Klein/Eckhard Friller/Annette Zimmer (Hg.): auch alle 10 Gutachterbände der Enquete-Kom- Dritter Sektor/Drittes System: Theorie, Funktionswandel und zivilgesellschaftliche Perspekmission erschienen. Spätestens seitdem sich die reformorientierten tiven. Alle drei Bände erscheinen in der neuen Bürgerbewegungen während der ,samtenen Buchreihe „Bürgergesellschaft und DemokraRevolution' der 1980er Jahre in Osteuropa auf tie" (sie wird herausgegeben von Ansgar Klein, das Konzept der Zivilgesellschaft beriefen, er- Ralf Kleinfeld, Frank Nullmeier, Dieter Rucht, lebt der Begriff Bürger-/Zivilgesellschaft in der Heike Walk und Annette Zimmer). wissenschaftlichen wie politischen Diskussion Die Hans-Böckler-Stiftung hat durch einen eine Konjunktur. Schon 1992 analysierte das Zuschuss auch den Überumfang des vorliegenForschungsjournal Neue Soziale Bewegungen den Heftes ermöglicht. 1 2 6 6 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Forschungsjoumal NSB, Jg. 16, Heft 2, 2003 Editorial zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Andreas Büro Lobbyismus ist auch der Themenschwerpunkt Engagement: auf dem Weg in eine zukunftsfädes Heftes 3 dieses Jahrgangs. Der Heinrich- hige Bürgergesellschaft, Opladen. Böll-Stiftung danken wir für die Unterstützung Evers,Adalbert/Kortmann, Karin/Olk, Thomas/ unserer Festveranstaltung. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Roth, Roland 2002: Engagementpolitik als Demokratiepolitik: Reformpolitische Perspektiven für Politik und Bürgergesellschaft, 13 Thesen Literatur zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA und 13 politische Antworten. In: Georg LohDer 15. Februar 2003 war ein wichtiger Tag Enquete-Kommission „Zukunft des Bürger- mann (Hg.): Demokratische Zivilgesellschaft für die Friedensbewegung - Massendemonstschaftlichen Engagements "/DeutscherBundes- und Bürgertugenden in Ost und West. Frankrationen in Berlin und in der ganzen Welt. Sie tag (Hg.) 2002: Bericht: Bürgerschaftliches furt/M. u.a.: Peter Zang waren besonders dort stark, wo die Regierungen auf klarem Kriegskurs segeln, also in England, Italien und Spanien. Alle sind sich bewusst, dass der Stärkung der US-Friedensbewegung eine besondere Bedeutung zukommt, aber auch dass der europäische Protest dafür wichtig ist. Gab es schon früher bei den Ostermärschen eine internationale Synchronisation, so liegt hier ein weiterer Schritt vor, der im Gefolge des internationalen Protestes gegen die kapitalistische Globalisierung zu verorten ist. Die Friedensproblematik wird als wesentlicher Bestandteil einbezogen, wofür auch das starke Engagement von attac bei den ProtestdemonsTagungsankündigung/Call for Papers trationen steht. Die New York Times schrieb, es gäbe zwei Supermächte auf der Welt, die USA und die Weltöffentlichkeit. Symbole, Ästhetik und Medien in sozialen Bewegungen 7 7 Friedensbewegung in Protest Am 3./4. Oktober 2003 findet im Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung ein Workshop zum Thema: ,Symbole, Ästhetik und Medien in sozialen Bewegungen' statt. Symbole, Slogans, Kleidung und sonstige Ausdrucksformen von Werten, Positionen und Identitäten in sozialen Bewegungen und Protestgruppen werden oft nur als Beiwerk der eigentlich politischen und ,instrumenteilen' Praktiken des Protests gesehen. Der geplante Workshop soll diese zumeist wenig beachteten Ausdrucksformen in den Mittelpunkt rücken und ihre Bedeutung, ihre Funktionen und Variationen sichtbar machen. Gedacht ist dabei nicht an trockene akademische Vorträge, sondern vor allem an Präsentationen und Deutungen akustischen und/oder visuellen Materials, zum Beispiel von politischen Symbolen, Slogans, Plakaten, Filmen, Fotos, Karikaturen, Theaterstücken, freien Radios, Video-Gruppen, alternativen Mediengruppen sowie subversiv-ästhetischen Protestpraktiken. Erwünscht sind auch experimentelle Formen der Präsentation, die das Publikum aktiv einbeziehen. Erbeten werden neben eigenen Vorschlägen für Präsentationen bzw. Referate auch Hinweise auf mögliche Referentinnen und Referenten zu diesem Themenbereich. Kontakt: Prof. Dieter Rucht, Wissenschaftszentrum Berlin, Reichpietschufer 50,10785 Berlin, eMail: rucht@wz-berlin.de. Die Protestierenden kamen aus fast allen Schichten der Gesellschaft und Altersstufen. Das zeigt, wie sehr die Gesellschaft über den aufkommenden Konflikt beunruhigt ist. Zu erinnern ist, dass die Friedensbewegung auch in ihren früheren Stadien heterogen war. Im Protest der 1950er und 1960er Jahre trafen sich Linke aus allen Schattierungen mit Sozialdemokraten, liberalen Christen und Nationalkonservativen. So war es auch in den 1980er Jahren, als sich fast alle durch den NATO-Doppelbeschluß auf das Äußerste bedroht fühlten. In Berlin gab es eine zusätzliche Neuheit: Dort trafen sich erstmals zur Groß-Demonstration Menschen aus ,Ost und West', deren Friedenskultur sich in der früheren Zeit getrennt entwi- ckelt hatte. Aus dieser Breite der gesellschaftlichen Beteiligung ergab sich notwendig auch eine zusätzliche Breite unterschiedlicher Aussagen und Motivationen, denn einen gemeinsamen politischen und sozialen Lernprozess hatten diese Menschen bisher nicht durchlaufen. Zur Breite der Mobilisierung läßt sich eine weitere Aussage treffen: Soziale Bewegungen, zu denen die Friedensbewegung zweifellos gehört, setzen sich aus konzentrischen Kreisen von Menschen zusammen. Es gibt die .Sympathisierenden', die sich jedoch kaum beteiligen, allenfalls Geld spenden und Aufrufe unterschreiben. Näher stehen die ,Engagierten', die sich beteiligen und einzelne Arbeiten und Funktionen übernehmen, wenn die Kampagnen laufen. Der Friedensbewegung geben jedoch erst die , sensibel und dauerhaft Betroffenen' Kontinuität. Sie empfinden die Bedrohung aus den allgemeinen Entwicklungen, reagieren darauf und leisten dauerhaft Friedensarbeit. Sie bilden den Kern der Friedensbewegung auch in Zeiten geringer Mobilisierung. Wasser kommt in verschiedenen Aggregatzuständen vor: als Eis, flüssiges Wasser und Dampf. Auch die Friedenbewegung hat verschiedene Aggregatzustände: Vor allem ihr Kern betreibt analytisch-politische Arbeit professioneller Art. Sie engagiert sich auch in auswärtigen Konflikten, z.B. in Bosnien, der Türkei oder Palästina, was sehr wichtig ist, aber die Menschen in Deutschland nicht mobilisiert. Des weiteren mobilisiert sich die Friedensbewegung in mehr oder weniger großer Breite in Konflikten, durch die sich die Menschen im eigenen Lande direkt berührt fühlen. 8 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Andreas Büro zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Friedensbewegung in Protest In der gegenwärtigen Situation hat sich nun auch der äußerste Kreis, die Sympathisierenden', mobilisiert und sogar Aussenstehende am Protest beteiligt. 9 was nichts mit einem Sympathiebeweis für Sativationen, sonst ziehen die Menschen es vor, erhebliche Zeit zur Mobilisierung. Die ewige dam Hussein und sein Regime zu tun hatte. als Betrachter zu Hause zu bleiben. Die Moti- Frage, wo denn die Friedenbewegung bleibe, Beide Aussagen wurden vor dem Hintergrund ve sind oftmals nicht identisch mit den politi- die ja auch diesmal bis zum Überdruss von gemacht, dass es in der gegenwärtigen Situatischen Aussagen und Begründungen. Vielleicht den Medien gestellt wurde, beruht auf diesem on keine ernsthafte Bedrohung durch den Irak sind sie den Protestierenden selbst nicht voll- Unverständnis. Wir haben bisher noch in allen ständig bewusst. Sicher gehen sie auch auf Konflikten mit einer Jnkubationszeit' von eiFälschlicherweise wird die Friedensbewegung in gebe und also entsprechende Zeit für eine EntUnterbewusstes zurück, wie vielfach ebenfalls nigen Monaten bis zur Mobilisierung zu rechden ersten beiden Aggregatzuständen in der Öf- waffnung durch die Inspektoren zur Verfügung bei rational begründeten Aussagen. nen gehabt. fentlichkeit meist für ,tot' erklärt. Dabei wird stünde. Hinzu kam die Einschätzung, den USA verkannt, dass Friedensbewusstsein in der Be- ginge es um ganz andere Ziele, die nichts mit völkerung nicht zugleich bedeutet, die Menschen den offiziell im Sicherheitsrat diskutierten TheIch kenne keine gründlichen Untersuchungen Derzeit wird gefragt, ob es eine neue Friemüssten sich ständig in einem .mobilisierten Zu- men zu tun hätten. Eine grundsätzliche paziüber derzeitige Motivationen und muss speku- densbewegung gibt? Die Frage ist falsch gestand' befinden. Erst in Zeiten, in denen Krieg fistische Haltung kann danach sicherlich nicht lieren: Da ist das Mitgefühl für die zukünfti- stellt. Sie muss lauten: Wird aus der jetzigen droht, zeigt sich, wie weit Friedensbewusstsein allen Protestierenden unterstellt werden, wohl gen Opfer und Zerstörungen eines Krieges; Mobilisierung ein stärkeres, kontinuierliches und eine Kultur des Friedens verbreitet ist und aber eine Anti-Kriegshaltung. Dementspregibt es das Unverständnis für eine Forderung Engagement gegen Aufrüstung und militäriwie sehr die Menschen in konkreten Situationen chend werden viele zu der jüngsten EU-Resonach Krieg bei fehlender aktueller Bedrohung; schen Konfliktaustrag und für friedliche zivile lution, in der erneut der Krieg als letztes Mitbereit sind, dafür einzustehen. fragt man sich, warum wollen die USA und Konfliktlösungen entstehen? Für die Antwort tel genannt wird, eine unentschiedene Haltung England unbedingt Krieg, wenn es friedliche sind vor allem die Dauer des Konfliktes und Lösungsmöglichkeiten gibt? Warum darf Isra- der Mobilisierung, die dabei vollzogenen soziTrotz der Vielfalt im einzelnen standen am 15. haben. el alle Beschlüsse des Sicherheitsrats missach- alen Lernprozesse, die Bildung von lokalen Februar zwei gemeinsame Aussagen unverten und hat alle Massenvernichtungswaffen, Gruppen als ,Werkstätten des Friedens' und kennbar im Vordergrund: Das ,Nein' zu einer Sich an Demonstrationen zu beteiligen, erforwährend der Irak, der in beachtlichem Maß die Entfaltung vor Ort zu bearbeitender Promilitärischen Lösung des Irak-Konflikts und dert in der Regel, Hemmschwellen zu überabgerüstet worden ist, bombardiert werden soll? jekte mit längerer Perspektive entscheidend. das Ja' zu seiner friedlichen, zivilen Lösung, schreiten. Es bedarf hierzu also kräftiger Mo-zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA Viele fühlen sich durch die „Arroganz der Die Stärkung lokaler Gruppen liegt in der Hand Macht" (Fulbright) der USA gedemütigt, als der Friedensbewegung, die Länge und Intensisei es unehrenhaft für friedliche Konfliktlö- tät des Konflikts nicht. sung einzutreten. Dabei gehen Gefühle der Ablehnung der US-Rolle als Blockierer von Re- In dem Kultfilm ,Casablanca' befiehlt der Po1 formen im sozialen, ökologischen und interna- lizeichef nach dem politischen Mord an einem tional-rechtlichen Bereich ein. Man hofft auf SS-Offizier: „Verhaften sie die üblichen Verdie UN und versteht, wie sehr die unilaterale dächtigen!" Dieser Satz ist zu einem geflügel'S Kriegspolitik der USA, die sich über den Si- ten Wort für Rituale geworden, die nichts mit cherheitsrat stellt, diese beschädigen kann. Aber der realen Situation zu tun haben. Für die üblies ist auch die Angst vor den wirtschaftlichen che Diffamierung der Friedensbewegung könnund sozialen Folgen eines Krieges. Das alles te man ihn übersetzen: „Beschuldigen Sie die geht tief unter die Haut. Man will daher der Friedensbewegung des Anti-Amerikanismus!" rot-grünen Regierung den Rücken für ihre Ab- Das wird seitens der politischen Klasse nun sage an Kriegsbeteiligung stärken, obwohl man schon seit gut 50 Jahren wie ein Ritual ohne ihr in vielfacher Hinsicht nach dem Jugoslawi- Wirklichkeitsgehalt betrieben. Die zweite Krien-Krieg friedenspolitisch zutiefst misstraut. tik lautet, die Friedensbewegung habe keine Alternative. Sie ist genauso falsch, denn diese Da die Friedensbewegung kein bürokratischer hat seit ebenfalls 50 Jahren realpolitische KonApparat wie Ministerien oder Bundeswehr ist, zepte für friedliche Lösung entwickelt. Dies sondern auf der Meinungsbildung und Moti- gilt bis zur Gegenwart im Kampf um eine friedvation der Bürgerinnen beruht, benötigt sie stets liche Lösung des Irak-Konflikts. 10 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Forschungsjournal NSB, Jg. 16, Heft 2, 2003 Dieter Rucht zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA 1 Die Friedensdemonstranten Wer sind sie, wofür stehen sie? ,No war'. In vielen Sprachen formuliert, war dies der kleinste gemeinsame Nenner der Friedensdemonstrationen am 15. Februar 2003. Im Takt der Zeitverschiebung berichteten die Nachrichtensender über das sich nach Westen ausbreitende Lauffeuer von Demonstrationen. Es reichte von der Ostküste Australiens über Japan, Korea und Europa bis zur Westküste Nordamerikas - eine Globalisierung anderer Art. Je nach Quellen waren zwischen acht und vierzehn Millionen in zahlreichen Städten versammelt, um ihr Nein zu einem drohenden Krieg gegen den Irak zu bekunden. In Großbritannien, Italien und Spanien als den großen europäischen Ländern, deren Regierungen sich entgegen der überwiegenden Meinung ihrer Bevölkerung hinter die Bush-Regierung gestellt hatten, waren die mächtigsten Demonstrationen zu verzeichnen. Die Londoner Kundgebung gilt als die größte in der Geschichte des Landes. Berlin hatte in seiner bewegten Vergangenheit mehrfach größere Demonstrationen gesehen. Aber noch nie zuvor hatte in Deutschland ein auch nur annähernd so großer Friedensprotest wie am 15. Februar stattgefunden (500.000 Teilnehmer). päischen Ländern und drei Städten der USA eine Reihe von Sozialwissenschaftlern und zahlreiche Helfer unterwegs, um einen weitgehend standardisierten zehnseitigen Fragebogen in der jeweiligen Landessprache auszugeben. In einigen Städten wurden zusätzlich Hunderte von direkten Interviews am Ort der Demonstration durchgeführt. Die Berliner Befragung wurde logistisch und finanziell von Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) unterstützt. Rund dreißig freiwillige Helfer verteilten an drei Versammlungsorten insgesamt 1430 zehnseitige Fragebögen mit der Bitte, diese zu Hause auszufüllen und im beigegebenen frankierten und adressierten Umschlag zurückzusenden. Ergebnisse: Ein sehr spezieller Personenkreis Das Bild der Demonstranten als eines breiten Querschnitts der Bevölkerung erweist sich im Großen und Ganzen als falsch. Es handelt sich vielmehr um einen sehr speziellen Personenkreis, der keineswegs ein verkleinertes Abbild der Gesamtbevölkerung darstellt Abgesehen von der Überraschung über die Grö- Die Verteilung der Geschlechter unter den Deße des Protests wurde in den Medien vor allem monstranten (53 Prozent Frauen) entspricht seine gesellschaftliche Breite hervorgehoben. nahezu der in der Gesamtbevölkerung. GleiTrotz aller medialer Schlaglichter bleibt die ches gilt für die mittleren Altersgruppen von Frage: Wer hat hier demonstriert und wo ste- 25 bis 44 und 45 bis 64 Jahren. Dagegen sind die 15 bis 24jährigen unter den Demonstranhen diese Menschen politisch? ten in Relation zur Gesamtbevölkerung deutZusammen mit den Millionen von Demon- lich überrepräsentiert und die über 65jährigen stranten waren am 15. Februar in sieben euro- deutlich unterrepräsentiert. 97,7 Prozent der Die Friedensdemonstranten - Wer sind sie, wofür stehen sie? Befragten, und damit deutlich mehr als in der Gesamtbevölkerung (91,2 Prozent), besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft. Helfer der Untersuchung berichteten allerdings, dass einige ausländisch aussehende Angesprochene die Annahme des Fragebogens verweigert hätten. Frappierend ist der weit über dem Durchschnitt liegende Bildungsstand der Demonstranten. Nach ihrem höchsten Ausbildungsgrad befragt, nannten lediglich 1,4 Prozent die Haupt- oder Grundschule und 10,1 Prozent die Realschule oder Lehre. Dagegen hatten 17,2 Prozent das Abitur, weitere 50,8 Prozent einen Universitäts- oder Fachhochschulabschluss und zusätzliche 7,9 Prozent sogar eine Promotion. Zusammengerechnet beträgt somit der Anteil von Personen mit Abitur 75,9 Prozent. Arbeiter sind mit lediglich 4,4 Prozent vertreten, einfache Angestellte und Beamte mit 18 Prozent, Freiberufler mit 8,7 Prozent, Schüler, Studenten und Lehrlinge mit 32,5 Prozent und Arbeitslose mit 6,4 Prozent. Bei den beruflichen Tätigkeitsfeldern zeigt sich ein hohe Konzentration auf den Bereich Gesundheit, Erziehung, Pflege, Wohlfahrt und Forschung (31,8 Prozent). Schwach repräsentiert sind dagegen der traditionelle industrielle Bereich einschließlich der Bauwirtschaft mit 5 Prozent und die Landwirtschaft mit 1,1 Prozent. Der Anteil von Personen ohne Religionszugehörigkeit ist mit 65,5 Prozent außerordentlich hoch (Gesamtbevölkerung ca. 35 Prozent). Von den übrigen Befragten sind 23,2 Prozent evangelisch und lediglich 7,4 Prozent katholisch (Gesamtbevölkerung: 32,4 Prozent evangelisch und 32,6 Prozent katholisch). Ein weiteres, in dieser Deutlichkeit überraschendes Ergebnis ist die allgemeine politische Positionierung der Demonstranten. Unter denen, die an den letzten Bundestagswahlen n teilgenommen hatten, nannten lediglich ein Prozent die CDU/CSU und 1,4 Prozent die FDP. Alle übrigen Stimmen konzentrierten sich, teilweise in unterschiedlichen Kombinationen von Erst- und Zweitstimmen, auf SPD, PDS und Grüne sowie - zu einem sehr geringen Anteil - auf Kleinparteien (Tierschutzpartei, Graue Panther, Feministische Partei). Niemand der Befragten hatte seine Stimme einer rechtsradikalen Partei gegeben. Die Antworten auf die ,Sonntagsfrage' (,Wenn morgen Bundestagswahlen wären, für welche Partei würden Sie stimmen?') unterstreichen das Bild einer enorm starken Linkslastigkeit der Friedensdemonstranten. Die Grünen erhielten 52,9 Prozent, die SPD 20,8 Prozent und die PDS 19,8 Prozent der Stimmen. Dagegen landeten CDU/ CSU bei 1,7 Prozent und die FDP bei 1,2 Prozent. Die Selbsteinstufung auf der Links/ Rechts-Skala mit Positionen von 0 (ganz links) bis 10 (ganz rechts) weist in die gleiche Richtung. Das rechte Spektrum (Werte von 7 bis 10) ist mit 1,1 Prozent fast verwaist und der mittlere Bereich (Werte von 4 bis 6) mit 16 Prozent relativ schwach vertreten. Dem linken Spektrum ordnen sich insgesamt 82,9 Prozent zu; immerhin 6 Prozent belegen den äußersten linken Rand (Skalenwert 0). Mit einem Mittelwert von 2,7 auf der 11-Punkte-Skala weichen die Demonstrierenden weit vom bundesdeutschen Durchschnitt ab, der verschiedenen Umfragen zufolge ziemlich genau in der Mitte der Skala liegt. Die Demonstrationsteilnehmer sind in hohem Maße politisch interessiert (82 Prozent) und in diversen Zusammenhängen politisch aktiv. Lediglich 22,7 Prozent von ihnen hatten sich in den vergangenen fünf Jahren an keiner Demonstrationen beteiligt, darunter weniger Frauen als Männer. Die übrigen, befragt nach dem Anliegen von Demonstrationen, an denen sie teilgenommen hatten, nannten am häufigsten Frieden (65 Prozent), Anti-Rassismus (43,6 12 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Dieter Rucht zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Die Friedensdemonstranten - Wer sind sie, wofür stehen sie? Prozent) und soziale Anliegen einschließlich in andere gesellschaftliche Gruppen und Instigewerkschaftlicher Themen (36,1 Prozent), tutionen deutlich geringer (zum Beispiel BunSehr hoch ist auch die Beteiligung an anderen despräsident 45,5 Prozent, Rechtssystem 32,8 politischen oder sozialen Aktivitäten, etwa an Prozent, Gewerkschaften 23,4 Prozent). Das Verbraucherboykotten, Petitionen, Volksent- Schlusslicht bilden die politischen Parteien, scheiden und Spendenaufrufen. In Relation zur denen nur 3,4 Prozent viel Vertrauen und keiGesamtbevölkerung bezeichnen sich über- ner der Befragten völliges Vertrauen ausspredurchschnittlich viele Demonstranten (43,6 chen. Hinter den Vereinten Nationen (31,3 ProProzent) alszyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA aktives Mitglied einer Gruppe oder zent), der Europäischen Union (18,5 Prozent) Organisation, darunter einer Partei (9,7 Pro- und der Bundesregierung (13,6 Prozent) lanzent), einer Organisation für globale soziale det der Bundestag bei 12,5 Prozent. Gerechtigkeit (8,7 Prozent), einer Friedensorganisation (7,5 Prozent), einer Umweltorgani- Der Aussage ,Die meisten Politiker verspresation (7,1 Prozent), einer Organisation für chen viel, aber tun in Wirklichkeit nichts' Frauenrechte (4,7 Prozent) und/oder einer an- stimmt die Hälfte der Befragten zu (49,4 Protirassistischen Organisation (4,3 Prozent). zent). Noch mehr (52,1 Prozent) bejahen den Die durchaus vorhandene Akzeptanz des politischen Systems paart sich also mit einem außergewöhnlich höhen Misstrauen gegenüber Parteien und Politikern. Welche Positionen vertreten die Befragten im Hinblick auf die Irak-Krise und die beteiligten Regierungen? Obgleich die Bundesregierung generell kein hohes Vertrauen unter den Demonstranten genießt, urteilt doch die große Mehrheit der Befragten positiv über die Anstrengungen ihrer Regierung, einen Krieg zu verhindern. In dieser Hinsicht zeigen sich 58,4 Prozent zufrieden und weitere 9,7 Prozent völlig zufrieden. Als wichtigste Aufgabe wird der Bundesregierung aufgetragen, eine diplomatische Lösung im Irak-Konflikt zu suchen (44,5 Prozent sehen darin das wichtigste Ziel und weitere 19,3 Prozent das zweitwichtigste unter einer Reihe von Zielen). Satz .Politische Parteien sind nur an meiner Während rund drei Viertel (74,2 Prozent) aller Stimme, aber nicht an meinen Ideen und MeiBefragten ihre Sympathie für die Bewegung nungen interessiert'. Dennoch handelt es sich gegen neoliberale Globalisierung bekunden und bei den Demonstranten nicht nur um eine Anfast zwei Drittel (63,6 Prozent) sozialen Be-zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA Sammlung von Skeptikern. Lediglich 15 Prowegungen/Bürgerinitiativen viel oder völliges zent sind .überhaupt nicht zufrieden' mit dem Nicht überraschend ist dagegen die überwieVertrauen entgegenbringen, ist das Vertrauen Funktionieren der Demokratie in Deutschland. gend kritische Sicht auf das Mittel des Krieges und die Haltung der US-Regierung in der IrakFrage. Die Aussage, ein Krieg sei gerechtfertigt, um ein diktatorisches Regime abzuschaffen, lehnen 84,4 Prozent der Befragten ab. Dass Kriege immer falsch seien, glauben 76,1 Prozent. Ein fast gleicher Prozentsatz (75,9) lehnt konsequenterweise einen Krieg gegen den Irak auch dann ab, wenn dieser vom UN-Sicherheitsrat gebilligt würde. Dass die USA einen ,Feldzug gegen den Islam' fuhren, glauben 39 Prozent der Befragten; dass dieser Angriff erfolge, um die Ölversorgung der USA zu sichern, meinen 86 Prozent. Zugleich stimmen aber auch 47,2 Prozent der Aussage zu, das irakische Regime müsse zu Fall gebracht werden, um das Leiden des dortigen Volkes zu beenden, während 21,1 Prozent diese Aussage ablehnen. 13 der Demonstration, wobei freilich deutlich zwischen öffentlicher Wirkung und dem Effekt auf politische Entscheidungsträger unterschieden wird. Der Aussage, Demonstrationen verbesserten das Verständnis der Öffentlichkeit für die erhobenen Forderungen, stimmen 83,4 Prozent zu (davon 40,7 Prozent ,völlig'). Jedoch sind lediglich 7 Prozent .völlig' der Meinung, dass die politischen Entscheidungsträger die Forderungen, die auf großen Demonstrationen erhoben werden, auch berücksichtigen. Dagegen bleibt in dieser Hinsicht über die Hälfte der Befragten (54,5 Prozent) unentschieden oder skeptisch. Der Schlüsselfrage, ob die Demonstration die Chance einer Verhinderung des Krieges erhöhe, stimmen 42,1 Prozent zu und weitere 21,1 Prozent .völlig zu', während insgesamt 12 Prozent die Frage verneinen. Gleichwohl ist auch diese Gruppe von Pessimisten zur Demonstration gekommen. Auch sie haben teilweise lange Wege (29 Prozent nannten einen Anfahrtsweg von mindestens 150 Kilometern) und stundenlanges Herumstehen in beißender Kälte in Kauf genommen. Dieter Rucht ist Professor für Soziologie und Leiter der Arbeitsgruppe politische Öffentlichkeit und Mobilisierung' am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Kontakt: rucht@wz-berlin.de zyxwvutsrqponmlkjih Anmerkung 1 Leicht gekürzte Fassung eines Beitrags, der zuerst in der Frankfurter Rundschau vom 21. März 2003 erschienen ist. Das gesamte Projekt wurde initiiert von Prof. Stefaan Walgrave, Universität von Antwerpen. Die vergleichenden Befunde zu den USA (San Francisco, Seattle, Washington, DC), Belgien, Deutschland, Großbritannien (London und Glasgow), Überwiegend optimistisch zeigen sich die Teil- Holland, Italien, der Schweiz und Spanien wernehmer hinsichtlich der erwarteten Wirkung den erst in einigen Monaten vorliegen. 14 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Forschungsjournal NSB, Jg. 16, Heft 2, 2003 Joachim Raschke zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Bewegung, Reform, Protest Blockaden und Veränderungen Vortrag zum Festakt 15 Jahre Forschungsjournal NSB „Nichts kommt von selbst, und nur wenig ist von Dauer." Das ist nicht der Spruch eines Bewegungsaktivisten. Das sagte Willy Brandt am Ende eines langen politischen Lebens, 125 Jahre Sozialdemokratie im Rücken. Für Euch, die Erfinder und Macher des Forschungsjournals, gilt es auch. .Nichts kommt von selbst' das ist präzise die Sprache der Ehrenamtlichen. ,Nur wenig ist von Dauer' - vor dem Hintergrund sind 15 Jahre schon eine beeindruckende Zeit. Das ist möglich nur durch Transformationen, zumal wenn - wie bei Euch - der Ausgangspunkt soziale Bewegungen sind. Und über Transformationen muss ich sprechen, wenn ich über Bewegung und Reform etwas sagen soll. ser erkennbar wird jetzt auch ihr Fundament aus zwei gesellschaftlichen Mehrheiten: einer ökologisch-kulturellen Mehrheit und einer Mehrheit, die für soziale Gerechtigkeit eintritt - gegen eine dritte, ökonomische Mehrheit, die mit den bürgerlichen Parteien in Opposition gegangen ist. Bei den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen war zu erleben, wie diese andere, die ökonomische Mehrheit zum Zuge kommt; wegen der jämmerlichen Performance von Rot-Grün auf genau diesem Feld nach der Bundestagswahl. (Noch bei der Bundestagswahl kam Rot-Grün in Niedersachsen auf 56 Prozent, 15 Punkte Vörsprung vor Schwarz-Gelb!) Bewegung, Reform, Protest - Blockaden und Veränderungen nem Fragezeichen abgeliefert. Aber Verlage wollen Eindeutigkeit, jedenfalls bei den Auflagezahlen. Also wurde das Fragezeichen gestrichen. Die .andere Gesellschaft' - geht man nach den hochgestochenen Absichten der Bewegungsakteure - bleibt natürlich aus. Wenn kaum noch jemand weiß, was die ,neuen sozialen Bewegungen' (die NSB, wie das Fach sagt) einmal waren, erst dann tritt deren machtpolitisch wichtigste Wirkung ein. Ich werde Spätwirkung und Transformationen dieser Bewegungsinputs zum Ausgangspunkt nehmen für Überlegungen, die dann zu Chancen und Grenzen von Reformpolitik und zu Fragen einer blockierten Republik führen. 15 aler Bewegungen weisen die Alterskohorten. Erstmals 1972 schlug die Schubkraft der 68er zu Buche: Damals wählten 55 Prozent der 18- bis 24-jährigen die SPD. Viele von ihnen zugleich Willy- und APO-Wähler. Das waren fast 20 Prozent mehr als die Union bei den Jungwählern erreichte, 8 Prozent mehr als die sozialdemokratische Wählerschaft insgesamt. Der kurze Weg der Bewegung führte zur SPD. In den 80er Jahren wandten sich die von den NSB Inspirierten den Grünen zu. Die holte bei den unter 35-jährigen zweistellige Erfolge. Die abflachende Erfolgskurve der Grünen bei den Jüngeren in den 90ern ist auch Ausdruck nachDamit umgehe ich Spekulationen über die Zu- lassender Mobilisierung der NSB seit der zweikunft der vielleicht ersten eigenständigen Be- ten Hälfte der 80er Jahre. Die Wahrscheinlichwegung nach den NSB, die globalisierungs- keit, dass Jungwähler ihre erste Parteipräfekritische Bewegung. Zwar war die 68er Stu- renz beibehalten, ist generell sehr groß. Das dentenbewegung die erste globalisierte Bewe- erklärt, dass Rot-Grün heute in allen Altersgung in der Geschichte moderner Sozialbewe- gruppen bis 60 die Mehrheit stellt, am meisten gungen, die ungefähr zeitgleich fast weltweit bei den 35-50jährigen, deren Generationen auftrat. Aber die heutige Bewegung macht Glo- durch Bewegungen geprägt wurden. Erst die balisierung selbst erstmals zum kritischen The- Kumulation solcher Generationen über einen ma und sie agiert erstmals als globalisierter längeren Zeitraum schafft eine neue Mehrheit. Akteur. Für die NSB-Forscher endlich mal Das ,Ergrauen' der Grünen ist - so gesehen wieder eine Bewegung, die sich noch bewegt, kein Schwächezeichen, sondern eine Bedingung für die Spätwirkung der NSB. bei der alles offen ist. Die zwei Mehrheiten, auf denen Rot-Grün aufDer Sieg bei der Bundestagswahl am 22. Sep- baut, wollen: die offene, wirklich plurale Getember, sagt Gerhard Schröder seinen Genos- sellschaft, die ökologische Mäßigung der Ökosen, sei nur ihm zu verdanken. Genauso redet nomie, das Beharren auf sozialer GerechtigAls empirisch-analytischer Zeitgenosse weiß Joschka Fischer gegenüber seinen Parteifreun- keit auch unter Bedingungen globalisierter man nur wenig über die Zukunft. Aber man den. Als Politologen würden wir aber sagen: Konkurrenz, die Ablehnung von Krieg ohne kann erzählen und analysieren, wie es der VörMehr als anderes war es derzyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA späte Sieg der zwingende menschenrechtliche Gründe. Die läuferbewegung ergangen ist. Vielleicht lässt sozialen Bewegungen seit den 60er Jahren. Spuren der Bewegungen sind darin erkennbar: sich daraus ja etwas lernen über die WirkungsOhne die Studentenbewegung, vor allem ohne der Neuen Sozialen Bewegungen (NSB) und weise dieses neuen Typs postindustrieller Bedie sich anschließenden neuen sozialen Bewe- übrigens auch noch die der älteren, der Arbeiwegungen, mit dem wir es spätestens seit den gungen wären Schröder/Fischer nicht erfolg- terbewegung, aus denen die SPD hervorging 1960er Jahren zu tun haben. reich gewesen. An der rot-grünen Mehrheit mit den Wertorientierungen Anti-Krieg und wurde 30 Jahre gearbeitet. Wer nach der Wir- Pro-Gerechtigkeit. Es ist nicht einfach, Genaueres zur Wirkung kung sozialer Bewegungen fragt, muss sich sozialer Bewegungen zu sagen. Und die Wisauf lange Zeiträume einlassen. Als Zeitgenosse tappt man im Dunkeln. Karlsenschaft hat die Frage, was dabei letztlich Werner Brand und andere schrieben Anfang herauskommt, bisher weitgehend umgangen. Erst seit dem 22. September hat Rot-Grün ein der 80er Jahre ein Buch, Titel: ,Aufbruch in Einen Pfad für die Wirkungsgeschichte soziausdrückliches und verbindliches Mandat. Bes- eine andere Gesellschaft', dem Verlag mit ei- Ein zweiter Ursachenfaktor für rot-grüne Mehrheiten ist der postmaterielle Wertewandel. Im Zeitverlauf zeigt sich eine parallele Entwicklung zum Auf und Ab der NSB: ansteigend in den 70ern, Höhepunkte erreichend in den 80ern, abflachend in den 90ern, als Brot-undButter-Fragen auf dem Hintergrund von Massenarbeitslosigkeit wieder dominierten und zum Beispiel Umweltschutz aus der politischen Agenda weitgehend verschwand. Postmaterieller Wertwandel ist zwar zu erklären durch längere Phasen materieller und physischer Sicherheit und ist deshalb in prosperierenden Gesellschaften ein verbreitetes Phänomen. Star- Bewegung, Reform, Protest - Blockaden und Veränderungen 16 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Joachim Raschke zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA ke Bewegungen - wie in Deutschland - tragen aber zusätzlich zu seiner Stärkung bei. Nur relevante Bewegungen schaffen die Intensität öffentlicher Konflikte, die es braucht, um politisch geprägte Generationen hervorzubringen. Dies hat 20 Jahre lang, zwischen Ende der 60er und Ende der 80er Jahre, stattgefunden. Und das ist heute die Kernwählerschaft von Rot-Grün. Die Initialzündung wurde durch eine Verbindung von alternativem Praxisbeispiel und Konflikt ausgelöst. Ich greife nur ein Beispiel heraus. Ende der 60er Jahre gab es einige wenige Kinderläden hier in Berlin, eine provozierende Störung deutscher Ordnungsvorstellungen, es kommt zu breiten Debatten über anti-autoritäre Kindererziehung (ein Begriff, der 1972 70 Prozent der Bevölkerung geläuDie Logik der postindustriellen Bewegungen fig war, 45 Prozent dafür) - ein paar Dutzend ist doppelpolig. Sie ist zugleich auf Politik- Akteure mit einer kulturrevolutionären Wirund Gesellschaftswandel gerichtet: Wertwan- kung. Gefragt nach ihren Erziehungszielen del, Selbstveränderung, revidierte Lebenspra- hatten die Menschen jahrzehntelang der Antxis in der Gesellschaft, Einfluss- und Macht- wort .Selbständigkeit und freier Wille' einen gewinn im politischen System. Am Anfang niedrigen Stellenwert gegeben. In drei Jahren läuft alles durcheinander, mit der Zeit aber sind sprang die Zustimmungsrate von 31 Prozent Differenzierungen notwendig, weil insbeson- auf 45 Prozent (1969) - das ist bei Wertfradere das politische System über eine - macht- gen wirklich sensationell. Seit den 70er Jahgestützte - Speziallogik verfügt. Trotz aller ren ist dies der klare Mehrheitswert, .GehorDurchmischungen drängen sich Unterscheidun- sam und Unterordnung' wollte niemand mehr. gen inzyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA macht- und kulturorientierte Bewegungen auf. Die Friedensbewegung beispielsweise Die Millimeterarbeit des alltäglichen Feminisoperiert eher staatszentriert, weil zur unmittel- mus, die Ökologisierung des Alltags, die gebaren Erreichung ihrer Ziele die staatliche Mi- sellschaftliche Legitimierung gleichgeschlechtlitär- und Außenpolitik geändert werden müss- licher Lebensformen lange bevor daraus ein te, die Frauenbewegung orientiert sich stärker Gesetz wurde, Formen kritischen Konsums... auf sozio-kulturelle Veränderungen, weil wich- Der Wandel am Staat vorbei ist eine höchst tige ihrer Ziele nicht durch Gesetzesänderung effektive Wirkungsweise der postindustriellen erreicht werden können. Das Strategieproblem Bewegungen, gerade wegen ihrer beträchtlistellt sich für Bewegungen am stärksten dort, chen kulturorientierten Anteile. wo macht- und strategieorientierte Akteure das Feld bestimmen, im ausdifferenzierten politi- Allerdings kommt es auch auf dieser Ebene schen System; dazv später. mit der Zeit zu Abschwächungen und KcmZunächst zum Pfad, den kulturorientierte Bewegungen nehmen. Die antiautoritäre Studentenbewegung hatte einen kurzen Sommer von gut zwei Jahren, vollgepackt mit politischen Absichtserklärungen und Aktivismus. Es war leicht, sie hinterher besser zu verstehen als sie selbst sich verstehen konnte. Von ihren Hauptakteuren als hochpolitisch-machtorientiert deklariert, hatte sie ihre wichtigste Wirkung als kulturorientierte Bewegung. promissbildungen. Institutionalisierung hebt zwar die Bewegungen nicht auf, verringert aber ihre Dynamik. Kooperation wird wichtiger als Konflikt. Auch der postmaterielle Wertwandel selbst wandert, durch Abschwächung, vom Rand in die Mitte der Gesellschaft, wie zuletzt die Shell-Studie 2002 gezeigt hat. Wertsynthesen mit ökonomischen Eigeninteressen werden stärker seit den 90er Jahren, aber der Postmaterialismus behält seinen Einfluss auf das gesellschaftliche Wertprofil. Der kulturorientierte Wärmestrom der Bewegungen stärkt die Zivilgesellschaft. Gleichzeitig forciert er die Entkopplung und Entfremdung zwischen Zivilgesellschaft und politischem System. Zivilgesellschaft wirkt weder subversiv noch konformistisch gegenüber der organisierten Politik, sie geht ihren eigenen Weg. Klammer bleiben die nach wie vor hohe Wahlbeteiligung und gemeinsame Wertbezüge. Im übrigen verstehen sich Zivilgesellschaft und Politik immer weniger. Die gesellschaftliche Praxis der Zivilgesellschaft wird nicht Politik genannt, die etablierte Politik dagegen überzeugt die Bürger immer weniger. Konsequenz ist eine Doppelstrategie der Bürger, die in beachtlichem Umfang aktiv sind, sich aber aus den Organisationen des politischen Systems, den Parteien und Verbänden, zurückziehen. Auf der anderen Seite tritt eine Doppelstrategie der etablierten Politik zutage, die ihre umstrittenen Problemlösungen verschwinden lässt hinter Personalisierungs- und Kommunikationsstrategien. 17 men sein, Themen mit lebensweltlicher Präsenz und dem Potential, in die ganze Gesellschaft zu reichen. Dazu gehört aber auch die breitere Mobilisierung gegen ein nicht nur verständnisvolles, sondern auch repressives Establishment. Neben den Konflikten braucht es für den Erfolg Transformationsstrategien. An der Transformation wird von zwei Enden gearbeitet: von pragmatischen Bewegungsakteuren, die sich stärker auf die Bedingungen des politischen Systems einlassen, um Bewegungsziele durchzusetzen, am anderen Ende von innovativen, etablierten Politikakteuren, die ihre Macht im politischen System mit Hilfe der Bewegungen verbreitern wollen. Man kann solche Tranformations-Akteure benennen: Bewegungsorganisationen, die in den Grenzbereich zu Pressure-groups hineinwachsen (z.B. BUND); Oppositionsgruppen in etablierten Parteien (Beispiel: SPD-Linke); Parteiführer von im Wertehaushalt verwandten ParLängerfristig und bei linearer Entwicklung ist teien, die eine strategische Öffnung zu den in der Entkopplung von politisierter Zivilge- Bewegungen betreiben (z.B. Willy Brandts Einsellschaft und politischem System ein Krisen- ladung an die APO, später an die Friedensbepotential angelegt. Die berufsmäßigen Politik- wegung); schließlich eine neu gegründete Parakteure, die ihre Mehrheit früheren Bewegungs- tei (wie die Grünen). Da die neuen Bewegunmobilisierungen verdanken, sind bewegungs- gen ohne Zentrale sind, gibt es auch keine vergessen. Eine wesentliche Leistung zur Un- Möglichkeit zu einer vereinheitlichten Strateterstützung von Bürgerengagement ist der rot- gie. Aktivisten und Sympathisanten der Bewegrünen Bundesregierung nicht zuzuschreiben. gungen gehen deshalb auf eigene Faust alle Sie reklamiert die Bürgergesellschaft für sich diese unterschiedlichen Wege in das politische und nutzt sie für sozialpolitische Entlastungs- System. strategien, sie selbst hat aber kein wirkliches Förderungsprogramm für eine ,aktive Gesell- Revisionismus in Permanenz ist einer der schaft'. Preise für erfolgreiche Transformation. Die Grünen, wenn man sie als typisches BeiZurück zum Pfad machtorientierter Bewegun- spiel heranzieht, sind als Gegner - unter angen. Das Geheimnis des späten rot-grünen Er- derem - von Kapitalismus, Industrialismus, folgs der Bewegungen heißt Konflikt und Trans- Repräsentativdemokratie, staatlichem Geformation. Zuerst sind es die produktiven Kon- waltmonopol, Militär (und vielem anderem) flikte. Es müssen natürlich die richtigen The- gestartet. Heute würden sie all diese Struk- 18 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Bewegung, Reform, Protest - Blockaden und Veränderungen Joachim Raschke zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA turen schützen gegen Versuche, sie abzuschaffen. Ohne eigene Partei kann ich mir einen längerfristigen Interventionsversuch starker Bewegungen immer noch nicht vorstellen. Die ,Bewegungspartei' stabilisiert sonst flüchtige, mit den Bewegungen verbundene Potentiale. Vor allem verbreitert sie die Mobilisierungsbasis, arbeitet an Bündnissen und schafft Durchsetzungschancen - auch durch Verdünnung der Bewegungsziele. Sie verrät die Bewegungen, um zu retten, was von ihnen zu retten ist. Transformation erfolgt in Schritten von der Bewegungspartei über die parlamentarische Oppositions- zur Regierungspartei. Allerdings sind es andere Personen, die sich dabei durchsetzen. Authentische Bewegungseliten, die anfangs noch die Grünen bestimmten, wurden verdrängt von politischen Machteliten. Dabei hatten Vertreter dezidiert machtorientierter Bewegungsorganisationen einen besonderen Vorteil. Noch heute, 30 Jahre später, kommen von den sieben Spitzenvertretern der Grünen fünf aus dem Bereich der K-Gruppen bzw. des Frankfurter .Revolutionären Kampfes'. Trotz aller Anreize für Transformationsstrategien gibt es immer auch Kräfte, die die Autonomie der Bewegungen hochhalten. Sie am ehesten verfolgen die ursprüngliche Bewegungsstrategie: Konfliktmobilisierung und Aufbau externen Drucks. Je stärker allerdings Transformationsakteure innerhalb des politischen Systems am Werke sind, desto dringender wird auch für Bewegungsakteure eine bündnispolitische Orientierung. Mit der Zeit verschiebt sich der Schwerpunkt auch bei den Bewegungen in Richtung auf Kooperationsund Verhandlungsstrategien. Der richtige Schritt zur richtigen Zeit ist auch hier Ausdruck klugen strategischen Handelns. Fast hätte man schon 1966 eine neue Partei gegründet; sie wäre erbärmlich gescheitert. Wütend über die Bildung der Großen Koalition in Bonn kamen am 29. November 1966 hier in der Nähe, in der Neuköllner ,Neuen Welt', mehr als tausend enttäuschte SPD-Linke, Falken, Gewerkschafter, aber auch viele Akteure aus der frühen Studentenbewegung um Rudi Dutschke zusammen. Man war kurz davor, eine neue USPD zu gründen, um der SPD von links Beine zu machen. Es blieb beim Plan. Dutschke versprach sich mehr von einer unkonventionell operierenden, autonomen außerparlamentarischen Opposition. Die sozialdemokratische Linke wollte sich doch nicht von der Partei trennen. Noch hatte der Postmaterialismus nicht seine kritische Masse erreicht, die Bewegungsbasis war noch schmal, das Linkssozialistische war ein altes Thema all das hatte sich geändert, als man in den späten 70er Jahren an die Bildung grüner und alternativer Listen, dann auch der grünen Partei ging. Die Ahnung, dass man auch eine Partei zur Intervention in das politische System braucht, war schon 1966 richtig. Aber es stimmt: Die Situation muss reif dafür sein. 1980 war sie es. Bewegungen sind der Rohstoff von Politik. Erst durch Bearbeitung kann die für die gesamte Gesellschaft verträgliche Produktivkraft einer Bewegung entfaltet werden. I:l-Umsetzungen von Bewegungszielen sind selten wünschenswert. Manchmal müssen schon die Themen der Bewegungen übersetzt werden. Was war denn das Thema der 68er Studentenbewegung? Nun endlich der wahre Sozialismus - davon sprachen die Hauptakteure vom SDS. Das Rätesystem: Christian Semler, Bernd Rabehl, Rudi Dutschke 1968 glaubten wirklich, kurz vor dem politischen Zusammenbruch Westberlins und vor der Einführung der Räterepublik - zunächst mal auf Berliner Boden! - zu stehen. Willy Brandt hat sich mit solchen Neuinszenierungen aus dem sozialistischen Fundus nicht aufgehalten. Er hat von sich aus .Demokratisierung' als den Hauptnenner der gesellschaftlichen Bewegung definiert: .Mehr Demokratie wagen'. Das war seine Transformationsleistung, angesichts reichlich diffuser Motive gerade der außerparlamentarischen Opposition. Übrigens nicht in direkter Auseinandersetzung mit der APO, sondern nach der Lektüre eines Aufsatzes über Demokratisierung in der konservativen Zeitschrift ,Die Politische Meinung'. Dort fand er die These, Demokratie sei nicht ausweitbar, sie sei ebenso wenig in Gefängnissen wie in Betrieben möglich. Autor war Bruno Heck, damaliger Generalsekretär der CDU. 19 sel für Reform? Was bedeutet es für eine Reauch auf gierung, wenn sie ihren Stammbaumzyxwvutsrqponmlkj soziale Bewegungen zurückführen kann? Es gibt ihr Unterstützung - das haben wir gesehen -, die nicht nur aus Treibsand, sondern aus einem gemeinsamen Werthorizont besteht. Es liefert ihr zwei, drei Themen. Und es befrachtet sie mit eher hohen Erwartungen. Aber sonst? Die feste Überzeugung der 70er Jahre, dass eine Reformregierung nur unter dem Druck sozialer Bewegungen erfolgreich sein könne, war eine Verkürzung, um nicht zu sagen, sie war falsch. Die Variation von Reform und Bewegung ist viel größer. Es gibt ohne soziale Bewegungen erfolgreiche Reformpolitik, und unter dem Druck starker sozialer Bewegungen stehende Regierungen, wie die von 1918/19, können scheitern. Man kann es auch an einem aktuellen Thema verdeutlichen: der Irakfrage. Von einer Einszu-Eins-Umsetzung der Ziele der Friedensbewegung durch die rot-grüne Bundesregierung kann überhaupt nicht die Rede sein. Es ist natürlich keine pazifistische Position, kein Regierungs-Pazifismus, sondern eine mit den konkreten Folgen in diesem spezifischen Fall argumentierende, bedingte Ablehnung der Regierung. In anderen Fällen wird auch eine rotgrüne Regierung sich wieder an einem Krieg beteiligen. Es ist eine Position, die - so kann man hoffen - im Kern hart, die aber jetzt schon an den Rändern weich ist (Überflugsrechte, Awacs-Debatte und vieles andere). Man könnte sogar sagen: Die Position ist gleich weit von den Amerikanern wie von der Friedensbewegung entfernt. Und dennoch: Es gäbe selbst diese Form des Nein nicht ohne eine kumulative Geschichte von Friedensbewegungen in Deutschland. Soziale Bewegungen können günstige Voraussetzungen der Reform schaffen, für die Durchsetzung von Reformen bieten sie meist wenig Hilfe. Selbst wenn man, scheinbar bescheiden, nur ,Definitionsmacht' als die wichtigste Wirkungsebene sozialer Bewegungen betont, bleibt offen, wieweit ihnen damit Problemdeutung, Problemlösung oder doch vorzugsweise nur die Thematisierung eines Problems gelingt. Der Atomausstieg ist ein Beispiel dafür, dass es eine Bewegung schafft, Begründungen für das Thema, aber nicht die Kriterien für die Behandlung oder gar die Lösung des Problems durchzusetzen. Von der Atomenergie als (Über-)Lebensfrage mit möglichst kurzen Ausstiegsfristen zu einem ,entschädigungsfreien' Ausstieg über sehr lange Zeiträume führt, bei Lichte besehen, keine Brücke. Die Bewegungen haben Rot-Grün gemacht, aber was macht Rot-Grün mit seiner Mehrheit? Konflikt und Transformation waren das Geheimnis des Erfolgs, aber was ist der Schlüs- So ungewiss also der Wirkungsradius, so offenkundig ist das negative Erbe sozialer Bewegungen für die aus ihnen - in langen Zeitketten - hervorgehenden Regierungen. Struk- 20 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Bewegung, Reform, Protest - Blockaden und Veränderungen Joachim Raschke zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA tur-, Orientierungs- und Kommunikationsprobleme der Grünen haben hier ihre Wurzel. Noch Jahrzehnte später schwächen sie beim Regieren. Schließlich könnten auch Ambivalenzen rotgrüner Führungsstile auf Bewegungen zurückgeführt werden. Sozialdarwinismus unter A l tersgleichen, Situationismus, Überredungsrhetorik wären solche Beispiele. Robustheit und Glaubwürdigkeitsdefizite gehen dabei Hand in Hand. Ein weites Feld. Landtagswahlen, am Widerspruch zwischen verschärfter Parteienkonkurrenz- und unausweichlicher Verhandlungsdemokratie, an den heterogenen Großparteien oder am Zwang zu Koalitionsregierungen. Gegner und Verbündete haben gewechselt, aber die Reformen bremsende Grundstruktur ist die gleiche geblieben. Auch nicht neu, aber deutlich verstärkt wirken drei machtpolitische Rahmenbedingungen: das Gleichgewicht der parteipolitischen Lager, die neue Beweglichkeit unverändert sozialstaatlich orientierter Wähler und die Medien-Jagd, die Das alles war noch der Blick zurück, auf den überwiegend hinter dem neoliberalen Banner positiven und den negativen Input von Bewe- herläuft. Diese Bedingungen machen das Regungen für Reformregierungen. Beim Blick gieren zusätzlich schwerer, aber sie sind legitinach vorn, auf die ganze Gesellschaft, die durch mer, demokratischer Strukturwandel, mit dem die Reformregierung verändert werden soll, man leben muss. wechseln - für Akteure, die aus Bewegungen kommen - erst einmal die relevanten Refe- Theoretisch könnte eine Verfassungsreform, die renzpunkte. Bewegungen verlieren an Bedeu- vor allem den machtbremsenden Verflechtungstung bis hin zur Irrelevanz. Wie eng das aktive Föderalismus und die ihn begleitende FinanzBewegungssegment war, wird erst jetzt klar. ordnung verändern würde, auch zu einem größeren Spielraum der Bundespolitik führen. Eine Aus der Bewegungsperspektive erscheinen die grundlegende Reform des Föderalismus ist aber Herrschenden als die Leute mit dem falschen nur in einer Konstellation denkbar, wo es keiBewusstsein und dem schlechten Willen, un- ne große Oppositionspartei mehr gibt, die das fähig, richtig zu regieren. Später lernt man, Eigeninteresse verfolgt, über den Bundesrat dass die Bundesrepublik, schon aus institutio- mitzuregieren oder zu blockieren. Diese Konnellen Gründen, ein Land mit geringer Reich- stellation heißt große Koalition. Der ,Staat der weite der Reformpolitik ist: Immer schon und großen Koalition' könnte nur durch eine große ganz unabhängig von sozialen Bewegungen Koalition abgeschafft werden. Die ist nicht in oder Rot-Grün, ein ,Staat der großen Koaliti- Sicht, solange Rot-Grün seine Chance nutzt. on', wie Manfred Schmidt analysiert hat, ein ,halb-souveräner Staat', so Peter Katzenstein, Rot-Grün, das bedeutet dies auch, kann mit immer wieder zu Reformen fähig, aber nie zu der eigenen Mehrheit an den Rahmenbedingrundlegenden Veränderungen in einem Zu- gungen seines Regierens nichts, jedenfalls nicht griff. DerzyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA deutsche Reformweg heißt: kleine viel ändern. Also müssen, das ist die nächste bis mittlere Reformen über längere Zeit. Konsequenz, seine Akteure in besonderem Maße ,will and skill', politischen Willen und Nichts hat sich seit 1998 geändert am partei- strategisches Geschick entwickeln, um innerpolitisierten Föderalismus, an der Bremswir- halb dieser Strukturen erfolgreich Reformpokung des Verfassungsgerichts, am Einspruch litik zu betreiben. Erfolgreiche Reformpolitik der Pressure-groups, an der Terminstreuung von heißt in Deutschland: besonders intelligente keit. Beides gehört bisher nicht zu den Markenzeichen von Rot-Grün. Nun gibt es in der öffentlichen Debatte eine zuspitzende Kritik an struktureller Reformschwäche. Sie drückt sich aus in der Formel blockierte Republik. Dies ist die Neuauflage der .Unregierbarkeitsdebatte' Ende der 70er Jahre, die damals die Ernüchterung nach der Reformphase 1966-1974 aufarbeiten sollte. Seinerzeit konnte man eine konservative von einer progressiven Variante unterscheiden. Diesmal gibt es keine Blockade-Theorie von links. Im politischen Diskurs ist ,blockierte Republik' heute vor allem eine Antreiberformel des Neoliberalismus. 21 ten. Sie ist zugleich das Minimum, das eine Regierung der sozialen Mehrheit nicht unterschreiten darf, will sie nicht ihre gesellschaftliche Basis verlieren. Bei den ökologischen und kulturellen Reformen wurden die durchsetzbaren, genuinen Themen der Grünen in der ersten Periode abgehandelt. Diese Reformen hatten Themenbezug auf die NSB: Atomausstieg, Umwelt-, Zuwanderungs-, gleichgeschlechtliche PartnerschaftsReformen. Dem deutschen Politikmuster entsprechend, waren es Reformen mit geringer Eingriffstiefe. Bremser waren die Industrie, insbesondere die Atomindustrie, die Union sowie Schröder und Schily. Dabei haben die Grünen Konzessionen gemacht, blockiert haben Tatsächlich haben jeweils andere Akteure öko- hier andere (ohne dass es hier so genannt wurlogische, soziale oder wirtschaftliche Refor- de). men betrieben oder blockiert. .Blockade' bezeichnet keinen ,objektiven' Diskurs, sondern Größere Projekte auf den ökologisch-kulturel- in eigener Unschuld - immer den Vorwurf len Politikfeldern stehen in der zweiten rotan andere. Deshalb muss man fragen: welche grünen Periode nicht an. Dennoch war eine Blockierung? Wer blockiert wo und warum? Verlängerung des rot-grünen Mandats gerade Das heißt: welche Agenda, welche Akteure, für diese Bereiche notwendig. Bei einem Machtwechsel hätte es ein Roll-back gegeben welche Interessen? (beim Zuwanderungsgesetz ist es jetzt noch Die verschiedenen Politikfelder zeigen unter- möglich). Zum Andern ist eine größere Reschiedliche Reform- und Blockadeprofile. Seit formtiefe nur zu erreichen durch Verstetigung den ersten Gesetzen der rot-grünen Regierung (vor allem der ökologischen Reformen und der Anfang 1999 standen keine .sozialen' Refor- Energiepolitik) und durch Erweiterung des Bemen mehr auf der Tagesordnung, das heißt pro- gonnenen (Beispiele: Vereinbarkeit von Famiaktive Sozialrefcnnen, die mit dem Ziel initi- lie und Beruf für Frauen, wirtschaftlicher Veriert werden, mehr soziale Gerechtigkeit herzu- braucherschutz). Nur so ist diese Rcformlinie stellen. Solche Reformen sind schon allein zu sichern und zu vertiefen Die Weichen sind durch das bürgerliche Lager blockiert. Es galt gestellt, der Zug muss rollen. Nur wenn er die .Berücksichtigung', nicht das Forcieren so- lange genug rollt, gibt es Annäherungen an zialer Gesichtspunkte, also die reaktive Sozi- das Ziel. alreform. Die beansprucht, unter den Bedingungen der Globalisierung vom Sozialstaat zu Die Zukunft von Rot-Grün entscheidet sich retten, was zu retten ist. Soziale Gerechtigkeit nicht bei diesen grün- und ursprünglich beweist für Rot-Grün kein Projekt, sondern ein Kor- gungsnahen Themen. Auch ihr Schicksal ist, rektiv. Diese Anspruchsminderung muss man wieder einmal, die Ökonomie. Die Wettbebei aller Rhetorik der Akteure im Auge behal- werbs- und Wachstumsfähigkeit der Wirtschaft Bewegung, Reform, Protest - Blockaden und Veränderungen 22 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Joachim Raschke zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA zu steigern, das Beschäftigungs- und die sozialen Sicherungssysteme an die Bedingungen verschärfter Konkurrenz anzupassen, das sind die Hauptaufgaben des zweiten rot-grünen Durchgangs hier in Berlin. nicht zuletzt an dem, der in einer Bundesregierung die Weichen zu stellen hätte: dem Kanzler. Gerhard Schröder hat starke taktische Fähigkeiten, bei weitgehender Abwesenheit strategischer Politikorientierung. Er ist taktischer Situationist und hält ganz einfach nichts von Strategie in der Politik. Weil er sie nicht für möglich hält, sorgt er auch nicht für den Aufbau strategischer Kapazitäten. Der oft beobachtete Zick-Zack-Kurs ist durch ihn auch einer von Rot-Grün. Weil Schröder oft Glück gehabt und weil er wichtige Situationen gemeistert hat, fühlt er sich in seinem situativen, anti-strategischen PoliRandbemerkung: Ohne größere Streitfragen auf tikansatz bestätigt. Damit werden Potentiale ökologisch-kulturellen Feldern könnte die verschenkt, wird der Absturz riskiert, wie Funktion der Grünen verblassen - grüne Pro- nun schon zum dritten Mal in der kurzen Geschichte von Rot-Grün. Nicht immer bleme von morgen. schickt ein gnädiger Deus ex machina Flut Rot-Grün bleibt unter seinen Möglichkeiten, und Krieg. weil die Regierungsfähigkeit auf einer Skala von 0 bis 10 nur einen Wert von, sagen wir, Blockierung' klingt schlechter als ,checks and zwischen drei und fünf erreicht. Die Regier- balances'. Aber eigentlich ginge es um Gegenbarkeit der deutschen Verhältnisse - ,Schwer- und Gleichgewichte gegenüber einer moderregierbarkeit' genannt - liegt ebenfalls in der nen Gesellschaft, die immer in Gefahr ist, ihre unteren Hälfte einer Regierbarkeits-Skala. Zu- Balance zu verlieren. Die Behebung von Stösammen genommen ist vom Regieren in rungen des gesamtgesellschaftlichen GleichDeutschland nicht all zu viel zu erwarten. Und gewichts - das wäre die positiv gewendete Idee das ist auch die Grundeinstellung der Leute. von Blockierung. Die Rolle ist noch unbesetzt. Deswegen bleiben sie immer häufiger bei den Auf Grund ihrer sozialen und normativen VorZwischenwahlen zu Hause, schimpfen am aussetzungen wären die Grünen für die Aufgazustimmungspflichtige und nicht zustimmungsmeisten über die, die sie gewählt haben, geben ben einer modernisierungskritischen, zwischen pflichtige Teile, Quasi-Plebiszite über Blockaauf Fragen der Demoskopen - die schlech- den Polen vermittelnden linken Mitte prädestiden, zum Beispiel bei Landtagswahlen, das testen Noten, sind aber bei den Wahlen, auf niert wie sonst niemand. Auch dies ein VerAusnutzen vonzyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA .Windows of opportunity' bzw. die es wirklich ankommt - den Bundestags- such, die NSB wenn nicht besser, so doch Reformfenstern (wie bei der BSE- oder der wahlen - wieder zur Stelle - als Experten des anders zu verstehen als sie sich selbst. Das BfA-Krise) und schließlich die - allerdings Ende der Transformationen ist noch nicht erkleineren Übels, auf allen Seiten. aufwendige und ungewisse - Überzeugungsreicht... arbeit. Schwierige, ,schwer regierbare' Verhältnisse erforderten eigentlich eine besondere Re- Joachim Raschke ist Professor für PolitikwisDie wichtigste Strategie der kommenden Jahre gierungskunst. Die Strategiefähigkeit von senschaft an der Universität Hamburg und reaber wird die Kooperation mit den UnionsparRot-Grün aber ist begrenzt, und das liegt nommierter Parteienforscher. teien im Bundesrat auf den ökonomischen Feldern sein. Eine strategische Doppelkoalition liegt im Interesse der Grünen, vorausgesetzt es der neoliberalen Messlatte weit zurückbleiben, aber immer auch soziale Schutz- und Gewohnheitsinteressen massiv beeinträchtigen. Am .historischen Tiefstand' der Sozialdemokraten, den die Demoskopen derzeit messen, bei gleichzeitig relativ guten Werten Die anstehendenzyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA Reformen sozialer Markt- für die mitregierenden Grünen, wird ersichtwirtschaft haben einen dualen Charakter. Die lich, dass dies in ganz besonderer Weise ProErwartung des Wirtschaftswachstums wird der bleme der SPD sind. Union, die Erwartung sozialer Gerechtigkeit der SPD zugeordnet. Allerdings haben auch Es war nicht immer zu sehen, aber zu vermudie Arbeitnehmer, die von sozialen Sicher- ten, dass die NSB als Bewegungen von Besheitsinteressen bestimmt werden, mehr als sergebildeten später auch Besserverdienende eine Option. Sie können mit der Union deren hervorbringen würden. Die Wählerschaft der Wachstumsversprechen wählen, wenn sie da- Grünen - das sind heute die Besserverdienenrin den Schlüssel für materiellen Wohlstand den - stellt die Besonderheit einer zugleich sehen. Das haben bei der letzten Bundestags- marktorientierten wie solidarischen Trägergrupwahl insbesondere Arbeiter reichlich prakti- pe dar. Auch dies ist eine Spätwirkung der ziert. Die SPD kann größere Teile ihrer Wäh- postindustriellen Bewegungen, in denen das lerschaft nur gewinnen, wenn sie in deren Motiv sozialer Gerechtigkeit seit der StudenAugen über hinreichende ökonomische Kom- tenbewegung eine große Rolle spielte. Darin petenz verfügt. Allein soziale Kompetenz ist steckt eine Chance für die rot-grüne Reformauf Dauer nicht tragfähig. Sozialstaatsreform regierung mit dem Aufgabenprofil ihrer zweiund Wirtschaftsbelebung hängen sachlich, ten Phase. aber auch interessenpolitisch zusammen. Nur wenn es der SPD gelingt, mit ihrem Instru- Es gibt eine Reihe von Strategien gegen Blomentenkasten wirtschaftliche Dynamik vor- ckaden, unterhalb der Verfassungsreform, zum anzubringen, kann sie auch die Akzeptanz ih- Teil wurden sie auch angewandt, wie das Unrer Klientel beim Umbau der Sozialsysteme terlaufen einer drohenden Bundesrats-Blockagewinnen. de durch Aufspalten von Gesetzesprojekten in Die herrschende Wirtschaftstheorie dient, interessenpolitisch gesehen, wichtigen Teilen in der Klientel der bürgerlichen Parteien, bei bestenfalls - ungewissen Effekten für die gesamte Bevölkerung. Schon deshalb kann die Sozialdemokratie sich der neoliberalen Doktrin als Schlüsselkonzept nicht anschließen. Sie muss einen eigenen Mix entwickeln, in dem Effizienzsteigerungen, soziale Symmetrie (.sozial ausgewogene Belastungen') und die Verstärkung marktliberaler Instrumente (einschließlich stärkerer Eigenverantwortung) miteinander verbunden sind. Das wird hinter 23 geht darum, eine Reform von Sozialstaat und Ökonomie ohne neöliberalen Durchmarsch zu ermöglichen und das Zurückdrehen genuin grüner Reformen zu verhindern. Doppelkoalition heißt: Rot-Grün im Bundestag, Rot-GrünSchwarz im Bundesrat. Die letzte Konsequenz der rot-grünen Regierung, die als Bewegungsderivat verstanden werden kann, heißt also: die Politik des Bewegungsgegners zu übernehmen, um die bewegungs-bezogenen Themen zu sichern. Das ist nur dann zu ertragen, wenn es auf einem anderen Feld geschieht als auf dem der Ökologie und der kulturellen Freiheiten. 24 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Forschungsjournal NSB, Jg. 16, Heft 2, 2003 Ansgar Klein zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Diskurspolitischer Interventionismus Zum Selbstverständnis und Anspruch des Forschungsjournals Neue Soziale Bewegungen Das 15jährige Bestehen des Forschungsjournals bietet Anlass, das eigene Selbstverständnis und die eigenen Ansprüche zu reflektieren. Im Rahmen unserer Festveranstaltung am 15. Januar in der Heinrich Böll-Stiftung (Dank an sie und die Bundeszentrale für politische Bildung) habe ich den Versuch unternommen, für die Redaktion in einigen knappen Stichworten Perspektiven und Probleme der Arbeit zu skizzieren. Immer wieder sprechen wir für einen Themenschwerpunkt nicht nur die Bewegungsforschung, sondern auch die Forschungen zu NGOs, Verbänden und Parteien an. Wir greifen auch zu auf die politische Theorie, die Ökonomie, die Sozialpsychologie, die Philosophie oder die Medienwissenschaften. Die Separierung der Analyse zerschneidet die gegebenen Zusammenhänge und wirkt so auch kontraproduktiv. Dies gilt auch für das bisheriDas FJNSB ist 1988 entstanden, als der Mobi- ge Nebeneinander von wissenschaftlichen Dislisierungsgrad der NSB bereits rückläufig war. kursen zu Zivilgesellschaft und Drittem SekDas Wort von Hegel, dass die Wissenschaft tor, das die Zusammenhänge zwischen politider ,EuIe der Minerva' gleicht, die erst in der schen und ökonomischen Dimensionen soziaDämmerung ihren Flug beginnt, scheint auf ler Bewegungen, zwischen bürgerschaftlichem den ersten Blick auch für unsere Arbeit zuzu- Engagement und non-profit-Bereich ausblentreffen. Die wissenschaftliche Reflektion hinkt det. der Praxis hinterher, doch kann sie ihr - so unser nach wie vor bestehender politischer Optimismus - auch Impulse geben. Das FJNSB Den interdisziplinären Zugriff auf die Theorie hat sich den Platz zwischen Praxis und Theo- verbindet das FJNSB mit dem publizistischen rie ausgesucht und sich als Beobachter und Anspruch der Intervention in die politische PraKommentator gleichsam zwischen den Stüh- xis. Wir wollen - mit den beschränkten Mitteln unserer Zeitschrift - diskurspolitisch inlen eingerichtet. tervenieren. Das FJNSB hat sich schon sehr bald nach seiner Gründung von den blickverengenden Vorgaben der ausdifferenzierten Teil- und Bindestrichdisziplinen der Sozialwissenschaften gelöst. Mit Blick auf praxisrelevante Diskurse haben wir negativen Effekten der wissenschaftlichen Spezialisierung, die erst allmählich auch im eingefahrenen Wissenschaftsbetrieb als problematisch erkannt werden, gegenzusteuern versucht. Diskurspolitik ist ein sperriges Wort. Es verbindet die Diskurse in Wissenschaft und Öffentlichkeit - immer auch normativ aufgeladen, aber ebenso empirisch unterfuttert - mit dem Anspruch der Einflussnahme auf politische Gestaltung. Diskurspolitik zielt auf den Aufbau von Handlungsverbindlichkeiten entlang thematischer Fokussierungen. Aus Reden soll Handeln entstehen. Diskurspolitischer Interventionismus 25 Das FJNSB versteht sich selber als Akteur Dies möchte ich in den folgenden 5 Aspekten eines ,Diskurses der Zivilgesellschaft' und der Diskurspolitik ausführen. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcb einer gesellschaftspolitischen Reformpolitik. Der Raum des Politischen erschöpft sich aus Mediale Selektionsfilter und symbolische Verdieser Perspektive gerade nicht auf staatli- suchungen der Diskurspolitik: Diskurspolitiches Handeln, sondern bezieht auch die sche Interventionen wollen nicht nur öffentlinichtstaatlichen Akteure, ihre öffentlichen che Aufmerksamkeit, sondern benötigen diese Artikulationen und den intermediären Raum Aufmerksamkeit als Voraussetzung einer Einzwischen Zivilgesellschaft, Staat und Markt flussnahme auf politische Gestaltung. Doch das ein. Geschäft der Aufmerksamkeitsgewinnung ist schwieriger geworden: Der öffentliche Raum Entsprechend interessiert sich das FJNSB für hat sich gewandelt. Er ist segmentiert, komdas - oftmals konflikthafte - Zusammenspiel merzialisiert, vielfach komplex manipuliert. Ein der staatlichen und staatsnahen Akteure mit früherer Bundespräsident hat gar von einer ,Resozialen Bewegungen und anderen zivilgesell- feudalisierung' der Öffentlichkeit gesprochen. schaftlichen Protagonisten, berücksichtigt normative Bezüge der gesellschaftspolitischen Ak- Die Filter der medialen Aufmerksamkeit hateure undrichtetvor diesem Hintergrund auch ben längst dazu geführt, dass sich auch Beweden Blick auf einzelne Politikfelder, auf die gungsakteure an diese Selektionskriterien anInstitutionen der politischen Willensbildung passen. Ihre Chance, Öffentlichkeit zu erzeuund Entscheidungsfindung und die Strukturen gen, ist geringer geworden und es bedarf auf des öffentlichen Raums. Seiten aller Akteure einer professionellen Medienkompetenz, um diese Chance zu wahren. Mit einem aktuellen Beispiel möchte ich dies Doch geht es nicht nur um technische Nachkonkretisieren: Nicht nur aus der von unserer rüstung der Handlungsroutinen zivilgesellZeitschrift eingenommenen Perspektive wur- schaftlicher Akteure (Plazierung von Themen de etwa im Koalitionsvertrag der rot-grünen in den Medien, Prominenz, dramaturgische Bundesregierung und in der jüngsten Regie- Gesichtspunkte der Inszenierung etc.). rungserklärung des Kanzlers ein gesellschaftspolitisches Programm schmerzlich vermisst, Bedarf besteht insbesondere auch bei der Revom dem aus sich einzelne Maßnahmen des organisation der kommunizierten Inhalte entRegierungshandelns leiten lassen. lang medialer Aufnahmefähigkeit sowie bei der Fortentwicklung institutioneller Formen der Dies liegt auch an strukturellen Interventions- gesellschaftlichen und politischen Kommunischwächen und an Qualitätsschwächen von kation. praktizierter Diskurspolitik. Diskurspolitische Intervention sind nicht nur angewiesen auf ei- Die enorm gewachsene Bedeutung politischer nen funktionsfähigen öffentlichen Raum, son- Kommunikation hat bei den politischen Akdern sie sind auch angewiesen auf ein .respon- teuren die Wahl von Strategien symbolischer sives' Handeln politischer Akteure und Insti- Politik erhöht. Die Besetzung von Themen und tutionen, das diese Impulse aufnimmt und nach- Begriffen bedeutet jedoch keineswegs, dass vollziehbar in politische Gestaltung übersetzt. daraus politische Gestaltungsoptionen generiert Beide Voraussetzungen sind jedoch sehr an- werden. Oftmals erweist sich der symbolpolitische Schleier als Barriere politischer Gestalspruchsvoll. 26 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Ansgar Klein zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Diskurspolitischer Interventionismus tung, die es zu überwinden gilt. Ein mühsames Welcher intellektuelle Diskurs ist heute noch Institutionenpolitische Herausforderungen der und zumeist vergebliches Unterfangen. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA einflussreich? Die öffentliche Kritik am zuDiskurspolitik: Diskurspolitik will politische nehmenden und immer undurchschaubarer werGestaltung beeinflussen. Ohne aufgeschlosseInhaltliche Fokussierung als Antwort auf die denden Ausschuss- und Beratungswesen nicht ne politische Eliten, aber auch ohne eine intelInformationsflut und segmentierte Öffentlich- nur in Europa, sondern auch hierzulande macht ligente institutionelle Reformpolitik, die auf keit Es gibt eine wahre Flut an Informationen auf den Missstand aufmerksam, dass die Rolle einer weitere Demokratisierung der repräsenund Expertise und zugleich nimmt das Rau- des Intellektuellen in den Routinen des Politativen Demokratie zielt, wird Diskurspolitik schen der bloßen Unterhaltung in den Medien- tikberaters aufgesogen worden ist. blockiert. kanälen zu: Überangebote an Unterhaltungsangeboten, an Hobby und Regenbogen, Ac- Doch für diskurspolitische Interventionen beJoachim Raschke hat die strategischen Optiotion und Talk verstellen den Blick auf relevan- darf es weiterhin der Rolle des Intellektuellen, nen der rot-grünen Bundesregierung und ihte Informationen. Doch auch mit Blick auf Ex- seiner Intervention in öffentliche Angelegenren Anschluss an den Bewegungssektor in pertise und Analyse sind die Angebote kaum heiten mit dem Anspruch, wissenschaftliche Deutschland ausgeleuchtet (siehe sein Beizu überschauen. Viele gesellschaftspolitisch re- und praktische Gesichtspunkte zu verbinden. trag in diesem Heft). Ohne deutliche geselllevanten Themen werden heute in medialen Wer leistet dies heute noch? In den Wissenschaftspolitische Signale und eine klarere disParallelwelten diskutiert. Fachöffentlichkeiten schaften gelten Protagonisten, die auf öffentlikurspolitische Aufstellung, die sich nicht nur und Teilöffentlichkeiten haben es schwer, Im- chen Einfluss zielen, oftmals als bloßer Störan aktuellen Themenkonjunkturen orientiert, pulse jenseits ihrer gehegten Terrains zu pia- faktor. Die Elfenbeintürme haben ihre eigenen scheint rot-grün in eine Strategiefalle hinein zieren. Selbsterhaltungsmechanismen, die es kritisch zu laufen. Noch ist Zeit für nachholende Bezu beleuchten gilt. mühungen. Wo alles schon gesagt zu sein scheint, bedarf es der intelligenten Fokussierung der Argu- Es bedarf daher einer gezielten FortentwickKonzepte wie das der .deliberativen' oder der mente und Analysen. Nötig ist die Bündelung lung der Rolle des Intellektuellen. Jenseits der .reflexiven' Demokratie formulieren die Aninhaltlicher Zusammenhänge mit Blick auf Heroisierung großintellektueller Persönlichkeisprüche an institutionelle Öffnung für diskursmittelbar absehbaren politischen Gestaltungs- ten wird es darum gehen, Rollenmuster der politische Interventionen. Doch bergen bloße bedarf zentraler gesellschaftspolitischer Re- Diskurspolitik in den Institutionen und Orgainstitutionelle Ausweitungen politischer Beraformfelder. Notwendig ist auch der weitere nisationsformen der Zivilgesellschaft stärker tungsrunden und Kommunikationsnetzwerke Ausbau zivilgesellschaftlicher Kommunikati- zu etablieren - mit Rückendeckung also nicht das Risiko einer abgeschlossener Elitenkomonsnetze. nur der Hochschulen, sondern auch der Stifmunikation - wenn auch unter deutlicher Austungen, NGOs, Bewegungsorganisationen. Das weitung um zivilgesellschaftliche Akteure. Die Rekonstruktion der Rolle des Intellektuel- von Gramsci kommende Konzept des ,organilen: Die Figur des Intellektuellen scheint un- schen Intellektuellen' könnte hier durchaus eine Diskurspolitik bleibt darüber hinaus angewieaufhaltsam auf dem Rückzug zu sein - ist er zeitgemäße Reformulierung erfahren. sen auf die Impulse der .direkten' wie auch heute eine aussterbende Spezies wie weiland vor allem der .assoziativen' Demokratie. Gedie Dinosaurier? Der Intellektuelle unterscheidet sich vom Lobsellschaftspolitische Reformen und diskursthebyisten dadurch, dass er .public interests' anoretische Interventionen benötigen die RückenNamen wie Sartre, Bourdieu, Habermas oder spricht und sich - zumindest dem Anspruch deckung und die Resonanz einer ausgeweiteGrass scheinen wie ein verblassender Nach- nach - nicht an das Handeln einzelner Interesten Beteiligungspraxis der Bürgerinnen und klang heroischerer Zeiten, in denen der An- sengruppen bindet. Von daher erfahren BeweBürger. Daher gehören zu den Voraussetzunspruch der Diskurspolitik, zwischen Wissen- gungsorganisationen und NGOs, die public ingen gelingender Diskurspolitik engagementschaft und Praxis zu vermitteln, noch als Le- terests zu ihrem Anliegen machen, durch die politische und demokratiepolitische Reformen bensentwurf galt und es institutionelle Räume Fortentwicklung und die Pflege intellektueller - wie sie etwa von der Enquete-Kommission gab, die als Rückhalt und Ressource dienen Netzwerke eine nicht zu unterschätzende Rü,Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements' konnten. ckendeckung. vorgeschlagen worden sind. 27 Protest als Ausfallbürge von Blockaden diskurspolitischer Blockaden: Die Institutionalisierung des Bewegungssektors bedeutet eine Orientierung auf institutionelle Wege der Problemlösung und einen Abschied von antiinstitutionellen Selbstverortungen - eine Entwicklung, die ihrerseits den Weg öffnet für Formen einer reflexiven Institutionenpolitik. Kennzeichnend für den mittlerweile institutionalisierten Bewegungssektor erscheinen weiterhin die symbolische Integration (v.a. über Werte) und eine Ausrichtung auf öffentliche Einflussnahme. Die spezifische funktionale Stärke des Bewegungssektors liegt in der Fähigkeit zur öffentlichen Problemartikulation. Da soziale Bewegungen auf öffentliche Problemartikulation ausgerichtet sind, bleiben sie - von der Verwaltung der Macht enthoben - bezogen auf Wertfragen, diskursive Intervention und Expertise. Die Institutionalisierung des Bewegungssektors bietet durchaus Chancen dafür, Diskurse mit politischem Gestaltungsanspruch zu führen. Expertise und Professionalität sind hier unbestritten vorhanden. Rollenspezifikation und Organisation gehören mittlerweile zu den Kennzeichen dieses Bewegungssektors, der damit immer auch in der Gefahr steht, dass sich die neuen zivilgesellschaftlichen Organisationseliten von den mobilisierungsfähigen Sektoren der Gesellschaft abkoppeln. Absehbar ist jedoch ein Bedeutungsrückgang der Mobilisierung größerer Versammlungsöffentlichkeiten. Statt dessen werden professionelle Kampagnen und Aktionsformen an Gewicht gewinnen, die durch Inszenierung auf Medienselektion abzielen. Protest ist jedoch keineswegs mehr das identifizierende Merkmal sozialer Bewegungen. Insbesondere im transnationalen Kontext eu- 28 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Ansgar Klein zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Forschungsjournal NSB, Jg. 16, Heft 2, 2003 ropäischer Protestmobilisierung, aber auch im nationalen Kontext kommt es zu einer neuen Doppellogik kollektiven Handelns: ce für diskurspolitische Interventionen und sozialen wie politischen Wandel. 29 Jürgen Kocka Zivilgesellschaft in historischer Perspektive Die links-libertären Bewegungen sind Auf der einen Seite werden in den Institutio- mittlerweile zu etablierten Herausforderern genen die institutionalisierten Akteure des Be- worden, die ihre spezifische Stärke nach wie wegungssektors zu den Promotoren einer par- vor in der öffentlichen Problemartikulation enttizipatorischen Einflussnahme. Ihr Handlungs- falten und ihr diskurspolitisches HandlungsreWissenschaftliche Begriffe haben ihre Karrie- das Verhältnis von Zivilgesellschaft und Markt modus ist das deliberativ-argumentative, ad- pertoire den Anforderungen der Mediendemoren, publizistische Begriffe auch. Sie steigen wie über das Verhältnis von Zivilgesellschaft vokatorische Handeln. Auf der anderen Seite kratie anpassen. Sie sind jedoch keineswegs in auf, sie verbreiten sich manchmal wie Epide- und Staat gesprochen werden. (4) Des weitewird der Protest zum Handlungsmodus einer der Mitte der Politik angekommen - sie bleimien und sind dann in aller Munde, bevor sie ren werde ich diskutieren, was man braucht, populären Streitpolitik außerhalb der Instituti- ben Herausforderer. wieder an den Rand rücken und altmodisch um Zivilgesellschaft zu haben, also die Akonen - zuweilen durchaus auch instrumentell werden. In der Zeit ihrer Hochkonjunktur er- teure und Ressourcen der Zivilgesellschaft. von institutionellen Akteuren in den Dienst ge- Das Forschungsjournal Neue Soziale Bewefüllen sie viele Funktionen. In den Wissen- (5) Ich schließe mit Bemerkungen über Zivilnommen. Expertendissens und populärer Pro- gungen wird sich auch in der Zukunft bemüschaften dienen sie der Beschreibung und Ana- gesellschaft im Nationalstaat und in transnatest bilden das ambivalente Doppelgesicht des hen, diese Herausforderung mit seinen publilyse. In der öffentlichen Auseinandersetzung tionalen Zusammenhängen. Durchweg habe Bewegungshandelns, das sich in wie außer- zistischen Mitteln deutlich zu machen und bezeichnen sie Zugehörigkeiten und Frontstel- ich vor allem den deutsch-mitteleuropäischen halb der Institutionen bewegt. dabei die Rahmenbedingungen eines diskurslungen wie Banner, die ihre Anhänger hinter Weg im Auge, aber ich vergleiche mit Westpolitischen Interventionismus im Blick halten. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA sich versammeln und in die Schlacht führen. europa bis England und mit Osteuropa bis Trotz dieser Ambivalenz von Protest erscheint Die wissenschaftlichen und die publizistischen Russland. Protest weiterhin als unverzichtbare Ressour- Ansgar Klein für Herausgeber und Redaktion. Funktionen des Begriffs stehen einander manchmal im Weg. 1 Begriffsgeschichte Soziale Bewegungen e.V. - Verein der Freunde und Förderer politikwissenschaftlicher Publizistik und demokratischer Partizipation e.V. 1995 wurde der Verein Soziale Bewegungen e.V. - Verein der Freunde und Förderer politikwissenschaftlicher Publizistik und demokratischer Partizipation gegründet. Die Gründungsmitglieder waren damals Herausgeber und Redakteure des Forschungsjoumal Neue Soziale Bewegungen. Sie haben sich die Förderung politik- und sozialwissenschaftlicher Forschung und Publizistik im Bereich demokratischer Bürgerbeteiligung zum Ziel gesetzt. Der Verein unterstützt: die Forschungsgruppe Neue Soziale Bewegungen als Herausgeber des Forschungsjournal, sozialwissenschaftliche Publikationen im oben genannten Themenspektrum, Veranstaltungen von wissenschaftlichen Tagungen, Seminaren oder Studienreisen. Wir möchten Sie herzlich einladen, Mitglied in diesem Verein zu werden. Unterstützen Sie das ehrenamtliche Projekt Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen. Für einen Mitgliedsbeitrag von jährlich 63 € erhalten Sie gleichzeitig ein Jahresabonnement des Journals. Auch Spenden helfen dem Journal, das über keine institutionelle Anbindung verfügt. Da der Verein seit 1998 als gemeinnützig anerkannt ist, können Sie Spenden und Mitgliedsbeiträge von der Steuer absetzen. Kontakt: Ludger Klein, Im Erlengrund 1, 53757 St. Augustin, fon: 02241/330583, e-mail: lepus.lk@t-online.de; Spendenkonto: Soziale Bewegungen e.V., Konto-Nr: 7514607; BLZ: 380 500 00 Sparkasse Bonn. ,Zivilgesellschaft' ist so ein Begriff, der in den letzten fünfzehn Jahren sehr populär geworden ist und immer noch viel verwendet wird. Auf englisch spricht man von ,civil society', auf polnisch von ,spoleczenstwo obywatelskie', auf japanisch von ,shimin shakai' und auf deutsch von ,Zivilgesellschaft' oder,Bürgergesellschaft'. Ganz identisch sind die Bedeutungen dieser Worte in den verschiedenen Sprachen nicht. Überhaupt oszilliert der Begriff. Man hat ihn mit einem Pudding verglichen, der sich bewegt, wenn man ihn an die Wand nageln will. Der Begriff der Zivilgesellschaft ist alt, er gehört seit Jahrhunderten - als societas civilis in aristotelischer Tradition - zu den Zentralbegriffen europäischen Denkens über Politik und Gesellschaft. Seine Bedeutungen variierten. Aber fast immer bezog er sich auf gesellschaftlich-politisches Leben jenseits der Sphäre von Haus und Familie. Und er bezog sich auf Fragen des Zusammenlebens, auf das Gemeinwesen jenseits des Nur-Partikularen, auf das Allgemeine und Politische, oft normativ und emphatisch. Der Begriff - nun als civil society, societe civile, Zivilgesellschaft bzw. Bürgergesellschaft Um den Begriff dennoch wissenschaftlich ver- erhielt seine moderne Prägung im 17. und 18. wenden zu können, muss man sich (1) seine Jahrhundert, primär durch Autoren der AufGeschichte vergegenwärtigen und die Kon- klärung. John Locke, Ferguson, Montesquieu, stellationen nachzeichnen, die ihm zu seiner die Encyclopedisten, Immanuel Kant und vieVieldeutigkeit und Attraktivität verhalfen. (2) le andere haben Unterschiedliches dazu beigeMan muss ihn definieren. (3) Danach soll über tragen. 30 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Jürgen Kocka zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Zivilgesellschaft in historischer Perspektive ,Zivilgesellschaft' war im Aufklärungsprozess Hegel und Marx. Schärfer als vorher wurde positiv besetzt. Der Begriff stand für den ,Zivilgesellschaft' nun vom Staat abgesetzt und damals utopischen Entwurf einer zukünftigen als System der Bedürfnisse und Arbeit, des Zivilisation, in der die Menschen als mündige Marktes und der Partikularinteressen verstanBürger friedlich zusammen leben würden, als den, eher als .bürgerliche Gesellschaft' der Privatpersonen in ihren Familien und als Bür- Bourgeoisie denn als .Zivilgesellschaft' der CigerzyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA {Citizens) in der Öffentlichkeit, selbständig tizens. Im Deutschen wurde der traditionell pound frei, kooperierend, unter der Herrschaft sitive Begriff ,Zivilgesellschaft' oder .Bürgerdes Rechts, aber ohne Gängelung durch den gesellschaft' durch den Begriff .bürgerliche Obrigkeitsstaat, mit Toleranz für kulturelle, re- Gesellschaft' verdrängt, der bis ins späte 20. ligiöse und ethnische Vielfalt, aber ohne allzu Jahrhundert vor allem kritisch und polemisch große soziale Ungleichheit, jedenfalls ohne gebraucht worden ist. Im Englischen und Franständische Ungleichheit herkömmlicher Art. zösischen hielt sich die alte positive BedeuAllmählich definierte man ,Zivilgesellschaft' tung länger, z. B. bei Tocqueville. Doch in Absetzung vom Staat, vom damals meist insgesamt trat der Begriff ,Zivilgesellschaft' absolutistischen Staat, also mit anti-absolutis- auch in den anderen Sprachen in den Hintertischer Spitze. Dieser anti-absolutistische und grund und spielte bis ca. 1980 nur eine margianti-ständische ,Entwurf einer künftigen Ge- nale Rolle. sellschaft, Kultur und Politik war traditionskritisch und utopisch. Er war der Wirklichkeit Seit etwa 1980 erlebt der Begriff .Zivilgesellweit voraus und sollte es bleiben. schaft' ein fulminantes Comeback. Er wurde Unter dem Eindruck des sich durchsetzenden Kapitalismus und der beginnenden Industrialisierung kam es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer Umdefinition, z. B. bei zum Schlüsselbegriff anti-diktatorischer Kritik vor allem in Ostmitteleuropa, wo Dissidenten wie Havel, Geremek und Györgi Konräd mit dem Begriff gegen Parteidiktatur, sowjetische Hegemonie und totalitäre Herrschaft antraten: für Freiheit, Pluralismus und gesellschaftliche Autonomie. Entsprechendes war, teils schon früher, in Lateinamerika und Südafrika zu beobachten. Mittlerweile wird der Begriff weltweit verwandt, in verschiedenen politischen Milieus, in der politischen Mitte und links, bei Liberalen, Kommunitaristen und Globalisierungsgegnern, bei Sozialwissenschaftlern wie John Keane, Charles Taylor und Jürgen Habermas - durchweg mit positiver Konnotation. 31 Ins Deutsche wurde er als ,Zivilgesellschaft' Antwort auf die drängende Frage, was unsere rückübersetzt, unter Umgehung des kritisch- Gesellschaften denn überhaupt noch zusampolemisch festgelegten Ausdrucks bürgerliche menhält. Gesellschaft'. So erkläre ich mir die Attraktivität und die Offensichtlich erreichten am Ende des 20. Jahr- Aufladung des Begriffs in vielen öffentlichen hunderts Ideen des 18. Jahrhunderts neue Ak- Diskussionen heute. tualität. .Zivilgesellschaft' erlangte neue Attraktivität im siegreichen Kampf mit den Dik- Ich halte aus diesem kurzen begriffshistoritaturen, die im 20. Jahrhundert die eklatantes- schen Überblick zweierlei fest. Zum Einen: te Verneinung der Zivilgesellschaft dargestellt Von Anfang an und immer wieder haben sich hatten. in dem Begriff ,Zivilgesellschaft' normative und deskriptiv-analytische BedeutungsschichDoch auch in der nicht-diktatorischen Welt des ten verknüpft. Das gilt auch heute. Darin liegt Westens passte und passt der Begriff Zivilge- eher eine Chance als eine Belastung. Zum Ansellschaft in die politisch-intellektuelle Groß- deren: Die ,Hauptopponenten' des Begriffs hawetterlage. Erstens: Mit seiner Betonung ge- ben sich im Lauf der Zeit gewandelt, oder bessellschaftlicher Selbstorganisation und indivi- ser: es sind neue Opponenten dazu gekomdueller Eigenverantwortung reflektiert der Be- men, und ihr relatives Gewicht verschiebt sich griff die verbreitete Skepsis gegenüber der Gän- dauernd; mit den Hauptstoßrichtungen aber vergelung durch den Staat, der als Sozial- und schieben sich Bedeutungsumfang und BedeuInterventionsstaat auch im Westen nach Mei- tungsnuancen des Begriffs. Es hätte im 18. nung Vieler an die Grenzen seiner Leistungs- Jahrhundert, für Adam Smith und Ferguson, kraft gestoßen ist, der zu viel reguliert und keinen Sinn gemacht, die anti-absolutistische und anti-ständische Frontstellung des Begriffs sich damit überfordert. durch seine gleichzeitige Absetzung von der Zweitens verspricht ,Zivilgesellschaft', dem erst noch um ihre Geltung kämpfenden Marktsich unbändig entfaltenden, weltweit siegrei- wirtschaft zu schwächen. Im Gegenteil: Der chen Kapitalismus etwas entgegen zu setzen. Markt, die Wirtschaftsbürger, die Konkurrenz, Der Begriff reflektiert damit eine Kapitalis- der Kapitalismus - das waren Bündnispartner, muskritik neuer Art, denn die auf Diskurs, Kon- und ,Zivilgesellschaft' wurde von der Ökonoflikt und Verständigung setzende Logik der Zi- mie begrifflich nicht abgesetzt. Anders bei manvilgesellschaft verspricht andere Problemlösun- chen Autoren des späten 20. Jahrhunderts. Angen als die Logik des Marktes, die auf Wettbe- gesichts der siegreichen Ausbreitung der kapiwerb, Austausch und Optimierung des indivi- talistischen Marktwirtschaft in die fernsten Länder und die innersten Bezirke unseres Lebens duellen Nutzens beruht. ist zivilgesellschaftliches Handeln heute nicht nur gegen den gängelnden Staat sondern auch Schließlich gehört zum zivilgesellschaftlichen gegen den alles durchdringenden Markt zu beVerhalten das bürgerschaftliche Engagement, der Einsatz für allgemeine Ziele, so unter- haupten; entsprechend wird ,Zivilgesellschaft' schiedlich die auch definiert werden. In den oft von der Ökonomie abgegrenzt. Schließlich stark individualisierten und teilweise fragmen- steht heute die postmoderne Erfahrung weit tierten Gesellschaften des spät- und postindus- getriebener Individualisierung und Fragmentriellen Typs verspricht ,Zivilgesellschaft' eine tierung bereit, die noch in den 1960er und 32 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Zivilgesellschaft in historischer Perspektive Jürgen Kocka zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA 1970er Jahren eher marginal war. Im Gegen- denen Zivilgesellschaftlichen Akteure ganz VerProjekts ist, das von der Aufklärung bis heute zug betont man das Kommunitäre an der Zi- schiedenes unter dem allgemeinen Wohl veruneingelöste Züge enthält. Zivilgesellschaft vilgesellschaft, den durch Zivilgesellschaft ver- stehen mögen. bleibt insofern eine Utopie, ein immer noch mittelten Zusammenhalt, das Soziale mit neunicht voll erfülltes Versprechen, wenngleich er Emphase. Heutige Definitionen von .Zivil- Dominant ist dieser zivilgesellschaftliche Tydie Wirklichkeit heute in Europa diesem Entgesellschaft' sollten die Erinnerungen an diese pus sozialen Handelns nicht im Bereich des wurf, dieser Utopie sehr viel mehr entspricht Stoßrichtungen und Abgrenzungen nicht ein- Staates, nicht in der Wirtschaft und nicht in als früher. fach abschneiden, wenn sie nicht die Verbin- der Familie, sondern in einem sozialen Bedung zu jenen diskurs- und praxishistorischen reich oder Raum, der in modernen, ausdiffeDas bedeutet aber auch, dass Zivilgesellschaft Kontexten verlieren wollen, aus denen der Be- renzierten Gesellschaften .zwischen' Staat, niemals identisch mit real existierenden Gegriff seine Kraft und Attraktivität außerhalb Wirtschaft und Privatsphäre zu lokalisieren ist, sellschaften ist, weder früher noch heute. Vielder spezialisierten empirischen Forschung ge- in dem Raum der Vereine, Assoziationen, somehr bezeichnen wir mit ,Zivilgesellschaft' schöpft hat und schöpft. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA immer nur ein Moment, ein Strukturelement zialen Bewegungen und Non-Governmental real existierender Gesellschaften, die immer Organzations (NGOs), einem Raum, für den auch anderes enthalten: Staat, Markt und Intiein hohes Maß gesellschaftlicher Selbstorga2 Definition mität, aber auch Gewalt, Fanatismus und Chanisation kennzeichnend ist. Deshalb bezeichos. Gesellschaften unterscheiden sich nach dem Auf diesem Hintergrund bietet sich die Defini- net ,Zivilgesellschaft' nicht nur einen Typus Maß und der Art, in denen sie Zivilgesellschaft tion von ,Zivilgesellschaft' in dreifacher Wei- sozialen Handelns, sondern oft auch den selbstverwirklichen. se an:zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA erstens als Typus sozialen Handelns, organisierten, dynamischen, spannungsreichen, zweitens als Bereich zwischen Wirtschaft, Staat öffentlichen Raum der Vereine, Netzwerke, und Privatsphäre, drittens als Kern eines Ent- Bewegungen und Organisationen .zwischen' 3 Zivilgesellschaft, Kapitalismus wurfs oder Projekts mit immer noch utopi- Staat, Wirtschaft und Privatsphäre. und Staat schen Zügen. Ich habe die Logik der Zivilgesellschaft und Schließlich sollte man im Auge behalten, dass die Logik des Marktes analytisch getrennt, ZiZunächst meint ,ZiviIgesellschaft' einen spe- nach allen historischen Erfahrungen Zivilgevilgesellschaft vom Kapitalismus unterschiezifischen Typus sozialen Handelns - im Unter- sellschaft als Typus sozialen Handelns wie als schied zu anderen Typen sozialen Handelns, Bereich gesellschaftlicher Selbstorganisation den. Das ist wichtig, dabei soll es auch bleinämlich im Unterschied zu Kampf und Krieg, nur dann nachhaltig durchzusetzen und zu etaben. Aber eine Modifikation ist nötig. im Unterschied zu Tausch und Markt, im Un- blieren ist, wenn sie eingebettet ist in einen terschied zu Herrschaft und Gehorsam sowie Kranz sich wandelnder ökonomischer, soziaDenn zwischen Marktwirtschaft und Zivilgeim Unterschied zu den Eigenarten des privaten ler, politischer und kultureller Bedingungen, sellschaft besteht nicht nur Spannung, sondern Lebens. Als spezifischer Typus sozialen Han- deren Sicherung und Bekräftigung sie umgeauch Affinität. Die Entstehung, der Erfolg von delns ist ,Zivilgesellschaft' dadurch charakte- kehrt dient. Das zeigt sich daran, dass ZivilgeMarktwirtschaften wild von zivilgesellschaftrisiert, dass sie (1) auf Konflikt, Kompromiss sellschaft oft nur in Kritik an gegebenen oder lichen Strukturen zumindest erleichtert, wenn und Verständigung in der Öffentlichkeit aus- drohenden Verhältnissen durchgesetzt und benicht gar erst ermöglicht. Denn Marktwirtschaft gerichtet ist, dass sie (2) individuelle Selbstän- wahrt werden konnte, in Kritik - ich habe dies setzt einen gewissen sozialen Zusammenhalt digkeit und gesellschaftliche Selbstorganisati- erwähnt - an obrigkeitlicher Gängelung und voraus, sie braucht ein Minimum an Vertrauen on betont, dass sie (3) Pluralität, Differenz und Unterdrückung, in Kritik an überlieferten Forund sozialem Kapital, und das sind RessourSpannung anerkennt, dass sie (4) gewaltfrei, men der Ungleichheit, im Widerstand gegen cen, die die Zivilgesellschaft bietet. Umgekehrt friedlich verfährt, und dass sie (5) jedenfalls die Überwältigung durch den siegreichen Kabraucht Zivilgesellschaft den Markt. Fehlt die auch an allgemeinen Dingen orientiert ist, d.h. pitalismus wie im Gegenzug gegen die Fragfür funktionierende Marktwirtschaften typische von den je eigenen partikularen Erfahrungen mentarisierung und Entsolidarisierung der GeDezentralisierung von ökonomischen Entscheiund Interessen ausgeht und sich für das allge- sellschaft. Daran erweist sich, dass Zivilgedungen und ökonomischer Macht, hat die Zimeine Wohl engagiert, wenn auch die verschie- sellschaft Teil eines umfassenden Entwurfs oder vilgesellschaft schlechte Karten. In zentrali- 33 sierten Verwaltungswirtschaften gedeiht die Zivilgesellschaft nur schlecht, wie das Beispiel der sozialistischen Gesellschaftssysteme zeigt, die bis Anfang der 1990er Jahre in Mittel- und Osteuropa bestanden. Im internationalen historischen Vergleich beobachtet man viel Parallelität zwischen der Durchsetzung marktwirtschaftlicher Ordnung und dem Ausbau von Zivilgesellschaft. Diese Parallelität hat einen besonderen Aspekt: Historiker wissen, wie sehr Kaufleute und Fabrikanten in europäischen Städten des 19. Jahrhunderts zivilgesellschaftliche Akteure ersten Ranges gewesen sind, und zwar nicht nur in ihrer privaten Zeit, sondern gerade als Unternehmer. Das lässt sich an den Honoratioren in der Selbstverwaltung europäischer Städte vor der Revolution von 1848 ebenso zeigen wie am mäzenatischen Engagement von Großunternehmern in Berlin und St. Petersburg um 1900. Ich erinnere auch an die gegenwärtige Diskussion über ,Unternehmenskultur' und an das zivilgesellschaftliche Engagement heutiger Großunternehmen und ihrer Stiftungen. Nicht jede Form von Mäzenatentum reicher Individuen sollte als zivilgesellschaftliches Engagement gefeiert werden. Aber umgekehrt wäre es ebenso falsch, jeden Fall von .corporate citizenship' nur als ideologisch verbrämte Wahrnehmung rein partikularer Interessen abzutun und damit im Vorhof der Zivilgesellschaft abzulegen. Diese Beispiele sollen sagen: So sehr Unternehmer und Unternehmen sich primär nach der Logik des Marktes verhalten und verhalten müssen, so wichtig können sie als zivilgesellschaftliche Akteure sein. Andererseits gibt es Varianten des Kapitalismus, Typen von Kapitalisten und Formen des marktwirtschaftlichen Unternehmertums, die sich Uberhaupt nicht auf zivilgesellschaftliches Engagement einlassen und vom gesellschaftlichen Zusammenhalt zehren statt ihn zu stär- 34 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA ken. Diese Negativbeziehung zwischen Unternehmertum und Zivilgesellschaft findet sich wohl vor allem in besonders mobilen, räumlich fluiden, nirgends sesshaften Formen früheren und heutigen Unternehmertums, in der New Economy gestern und im internationalen Finanzkapitalismus heute. Es gibt Kapitalismus, der sich relativ zur Zivilgesellschaft parasitär verhält. Auch das Verhältnis zwischen Zivilgesellschaft und Staat ist kompliziert und ambivalent. Oben habe ich die Logik der Zivilgesellschaft und die Logik von Verwaltung und Herrschaft analytisch getrennt, also Zivilgesellschaft vom Staat unterschieden. Dabei soll es auch bleiben. Aber auch hierbei sind Modifikationen nötig. Zunächst ist zu bedenken, dass das Verhältnis von Zivilgesellschaft und Staat jeweils anders zu bestimmen ist, je nach dem ob wir den vordemokratischen Absolutismus des 18. Jahrhunderts, die antidemokratischen Diktaturen des 20. Jahrhunderts oder den demokratischen Rechts- und Verfassungsstaat von heute im Auge haben. Als kritische Idee und oppositionelle Kraft entstand die Zivilgesellschaft im Zeitalter des Absolutismus. Im Kampf gegen die Diktaturen des 20. Jahrhunderts gewann sie neue Attraktivität. Dagegen muss ihr Verhältnis zum Staat unter parlamentarisch-demokratischen Bedingungen anders bestimmt werden: als ein Verhältnis kritischer Partnerschaft und gegenseitiger Bestärkung. Liberale, kommunitaristische und sozialdemokratische Konzepte der Zivilgesellschaft unterscheiden sich in der Art, wie sie das Verhältnis von Zivilgesellschaft und Staat bestimmen. Aus sozialdemokratischer Sicht wird man betonen, dass eine starke Zivilgesellschaft einen starken Staat benötigt, und umgekehrt. Zivilgesellschaft in historischer Perspektive Jürgen Kocka zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA vilgesellschaft politische Institutionen, die die Kriterien des Rechts- und Verfassungsstaats erfüllen, demokratische Partizipation erlauben, Grundsatzfragen entscheiden, rechtliche Rahmenbedingungen setzen sowie schützend, fördernd und schlichtend eingreifen. Nur im demokratischen Rechtsstaat findet die in sich vielfältige Zivilgesellschaft ihre notwendige Einheit. Ohne einen politischen Rahmen dieser Art kann die Zivilgesellschaft nicht gedeihen. NGOs sind kein Ersatz für den demokratischen Staat, nirgendwo. Doch unter vordemokratischen Bedingungen - unter absolutistischer, autokratischer oder diktatorischer Herrschaft können zivilgesellschaftliche Anstöße die Demokratisierung vorbereiten und befördern (sofern die Diktatur nicht von einer Radikalität ist, die zivilgesellschaftliche Regungen verhindert oder zerstört, wie es unter Hitler und Stalin der Fall war). Andererseits ist es die Zivilgesellschaft, die den Rechts- und Verfassungsstaat prägt, mit Leben erfüllt, dynamisiert und zur Rechenschaft zwingt. Die dynamischen Teile der Zivilgesellschaft führen dem Gemeinwesen die nötige Energie und Beweglichkeit zu. Der Zugang zivilgesellschaftlicher Initiativen, Bewegungen und Organisationen zum politischen System ist deshalb eine zentrale Bedingung dafür, dass Zivilgesellschaft funktioniert. Durch Stärkung der Zivilgesellschaft stärkt der Staat auch sich selbst. Doch resultiert das gegenwärtige Interesse an der Zivilgesellschaft, jedenfalls im Westen, auch aus der Erfahrung, dass der Staat als Sozial- und Interventionsstaat überfordert ist, und dass er mehr als notwendig vorsorgt und gängelt; dass er sich schwächt, wenn er zuviel reguliert oder regulieren will; dass die Aufgabenverteilung zwischen Staat und Gesellschaft neu bedacht werden muss; dass ein starker Staat ein solcher ist, DennzyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA einerseits: Um sich voll entfalten und der sich konzentriert und vieles der Zivilgelangfristig erhalten zu können, benötigt die Zi- sellschaft überlässt. 35 Allerdings gibt es hier offene Probleme. Zum ständigkeit, ein spezifisches Familienmodell Einen: Wie und nach welchen Kriterien sind und besondere Kommunikationsformen gehördie Aufgaben zwischen Staat und Zivilgesell- ten. Von bürgerlicher Gesellschaft oder Bürschaft abzugrenzen? Wieweit trägt das Prinzip gergesellschaft sprach man aber auch mit Blick der Subsidiarität? Zum Anderen: In der Zivil- auf das Gesellschaftsmodell, das wir heute als gesellschaft gibt es auch Ansätze zum Egois- Zivilgesellschaft bezeichnen. Diese Doppeldeumus und zur Reformfeindlichkeit, zum Funda- tigkeit - Bürger steht eben für bourgeois und mentalismus und zum Ressentiment. Die Stär- für citoyen - ist kein semantischer Zufall. Es kung der Zivilgesellschaft durch einen sich zu- lässt sich vielmehr zeigen, dass jenes Projekt rücknehmenden Staat kann deshalb politisch einer zukünftigen Zivilgesellschaft damals vor sehr zweischneidig undriskantsein. Jedenfalls allem in den Logen, Vereinen und Netzwerdarf die Stärkung der Zivilgesellschaft nicht ken, in den Korrespondenzen und Kommunidazu führen, dass sich der demokratische Staat kationskreisen, den Bewegungen und Parteivor der Wahrnehmung seiner zentralen Aufga- en, in Milieu und Kultur des städtischen Bürben drückt. Im Übrigen bestehen in dieser Hin- gertums Unterstützung und Verbreitung fand sicht aufgrund unterschiedlicher Geschichte (einige Adlige und Kleinbürger eingeschlossen), während andere soziale Schichten und große Unterschiede von Land zu Land. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIH Klassen eher in Distanz zu jenem Projekt standen, oft auch geradezu ausgeschlossen waren 4 Zivilgesellschaft, Akteure und und wenig mit ihm anzufangen wussten, auch Ressourcen kaum von ihm profitierten. Wer kommt als Motor der Zivilgesellschaft in Frage? Wer sind die Träger? Welche Ressourcen braucht man, um zivilgesellschaftsfähig zu sein? Ich möchte dies am deutschen Fall diskutieren, und zwar historisch. Ich komme auf das Verhältnis von Zivilgesellschaft und Bürgertum. Blickt man auf das späte 18. und frühe 19. Jahrhundert im deutschsprachigen Mitteleuropa, dann beziehen sich die Begriffe Bürgertum' und bürgerlich' einerseits auf die kleine, städtische Sozialformation von Geschäftsleuten, Unternehmern, Bankiers und Direktoren einerseits, von akademisch gebildeten Beamten, Professoren, Gymnasiallehrern, Rechtsanwälten, Ärzten, Geistlichen und Journalisten andererseits, die sich als Bürgertum vom Adel, von der Masse des Volkes und von der Landbevölkerung unterschieden und vor allem durch eine gemeinsame Kultur zusammengehalten wurden: durch eine bürgerliche Kultur, zu der allgemeine Bildung, bestimmte Werte wie Selb- Diese frühe Affinität, die Allianz zwischen der Kultur des Bürgertums und dem Projekt der Zivilgesellschaft lockerte sich aber im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert auf. Teile des Bürgertums wurden konservativ und defensiv und wandten sich vom zivilgesellschaftlichen Projekt in wichtigen Hinsichten ab. Dieses aber gewann neue Sympathisanten, Verfechter und Träger in bisher ihm fern stehenden Schichten und Klassen, vor allem in der qualifizierten Arbeiterschaft und in der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung, die zu einer entscheidenden Triebkraft der weiteren Verwirklichung von Zivilgesellschaft wurde. Die Geschichte des Bürgertums und die Geschichte der Zivilgesellschaft begannen sich zu trennen. Zwar finden sich auch heute noch Reste jener alten Aufein3nderbezogenheit von bürgerlichen Mittelschichten und zivilgesellschaftlichem Engagement: Auch heute findet sich dieses in Form von Vereinen, Bürgerinitiativen und NGOs vor 36 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Jürgen Kocka zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Zivilgesellschaft in historischer Perspektive allem in den gebildeten, bürgerlichen Mittelschichten. Jedenfalls gilt das für Deutschland. Doch heutefindetdas zivilgesellschaftliche Projekt, das ,bürgerschaftliche' Engagement, breite Unterstützung in vielen Schichten. Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass diese enge Verbindung von Bürgertum und Zivilgesellschaft auch im 19. Jahrhundert nicht überall bestand. In Polen trat der kleine Adel an die Stelle des nur schwach entwickelten, zum Teil fremdnationalen Bürgertums. In England und Frankreich kam es zu viel engerer Verschmelzung von Bürgertum und Adel und damit zu einer breiteren sozialen Basis der sich entwickelnden Zivilgesellschaft. In Russland vor dem Ersten Weltkrieg finden sich zivilgesellschaftliche Tendenzen vor allem in den Mittelschichten der Städte, im kleinen und mittleren Bürgertum und in der kommunalen Politik. ökonomische und soziale Ungleichheit behindert und beschädigt. Untersucht man Mechanismen des zivilgesellschaftlichen Engagements, entdeckt man die entscheidende Rolle von einzelnen Personen, von zivilgesellschaftlichen .Unternehmern'. Die Rolle von Religion und Religiosität bei der Hervorbringung oder Behinderung von Zivilgesellschaftlichkeit stellt sich in verschiedenen Konstellationen ganz unterschiedlich dar. Das kirchliche Gemeindeleben nonkonformistischer Religionsgemeinschaften, beispielsweise der englischen und amerikanischen Quäker, war und ist eine Wurzel zivilgesellschaftlichen Engagements. Dagegen stehen die Prinzipien und Praktiken der großen Staatskirchen zivilgesellschaftlicher Selbstbestimmung meist abwehrend entgegen. Entscheidend ist, ob Religion und Kirche im Plural oder Singular auftreten. Schließlich noch eine Ressource: Zum zivilgesellschaftliche Engagement gehört ein Mindestmaß an Vertrauen: in sich selbst, in die Anderen, in die Zukunft. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser als zivilgesellschaftliches Motto taugt Lenins Spruch nicht. Theatergründungen, Bürgerbewegungen und andere gesellschaftliche Organisationen -, die sich im Rahmen etablierter Territorial- und Nationalstaaten entwickelten (so in Westeuropa), und solche, die es ohne akzeptierten staatlichen Rahmen bzw. gegen die gegebene Form von Staatlichkeit versuchten - so in Ostmitteleuropa und Südosteuropa, nämlich gegen die dort etablierten Reiche, gegen Habsburg, das Zarenreich, das Osmanische Reich, die zunehmend als Fremdherrschaft empfunden wurden. Der Befund ist nicht einheitlich. Zum Teil zeigten sich, etwa in Polen, zivilgesellschaftliche Initiativen ohne nationalstaatlichen Rahmen von besonderer Kraft. Zum Teil wirkte sich das Fehlen staatlicher Unterstützung aber als Schwäche aus. 37 Trotzdem bleibt die Zivilgesellschaft auch heute noch meist im nationalstaatlichen Rahmen. Wir sind weit von einer europäischen - gar von einer globalen - Zivilgesellschaft entfernt. Das hat viele Gründe, einen möchte ich nennen: Zivilgesellschaft ist eng mit dem öffentlichen Raum, mit Öffentlichkeit verbunden. Öffentlichkeit ist immer auch Kommunikation. Kommunikation braucht gemeinsame Sprache. Die Vielsprachigkeit Europas stellt ein schwer zu überwindendes Hindernis dar, das der Entstehung einer europäischen Zivilgesellschaft im Wege steht. Oder soll etwa die Zivilgesellschaft der Zukunft englisch sprechen? Die Idee der Zivilgesellschaft entstand in der Aufklärung. Sie ist ein Produkt des Westens. Aber ihre Grundsätze beanspruchen univerJedenfalls gab es zivilgesellschaftliche Initia- sale Geltung und wirken längst auch in andetiven, die sich im 19. Jahrhundert quer zu den ren Teilen der Welt. Innerhalb Europas ist die etablierten Formen der Staatlichkeit und ge- Idee von Westen nach Osten gewandert. Dabei Das gibt Anlass zur Frage, wer und was denn gen diese entwickelten, vor allem in Ostmit- aber hat sie sich geändert. Im Osten des Konan die Stelle des Bürgertums tritt, wenn es um tel- und Südosteuropa. Bis zu den National- tinents hat man sich durch Ideen des Westens den Aufbau einer Zivilgesellschaft in Regiostaatsgründungen um 1870 galt das auch für zwar inspirieren lassen, doch was man davon nen geht, die ihr Bürgertum verloren oder nie Deutschland und Italien. Politisch engagierte übernahm und übernimmt, war und ist keine so recht entwickelt haben, etwa im postkomTurner, Sänger und Wissenschaftler bauten na- bloße Imitation, sondern selektive Anverwandmunistischen Osteuropa seit der Umwälzung Aus all dem wird klar: Zivilgesellschaft lässt tionale Netzwerke lange vor dem Nationalstaat lung an die eigenen Bedingungen. Zivilgeum 1990. sich weder dekretieren noch einfach erfinden. auf. Es gab viele zivilgesellschaftliche Bewe- sellschaft entstand und entsteht auf unterSie ist historisch voraussetzungsvoll. Sie ist gungen, Netzwerke und NGOs mit transnatio- schiedlichen Wegen und in verschiedenen VaJedenfalls gilt für die Vergangenheit wie für immer auch ein Produkt der Geschichte. Man naler Reichweite. Beispiele dafür finden sich rianten, hier stärker, dort schwächer, hier früdie Gegenwart, dass bestimmte Sozialgruppen kann sie behindern, man kann sie befördern, in der Anti-Sklaverei-Bewegung, im Kampf für her, dort später, aber überall anders und zivilgesellschaftlich sehr aktiv und andere un- dekretieren und machen lässt sie sich nicht. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA das Frauenwahlrecht, in der internationalen bisweilen gar nicht - wobei man sich über terrepräsentiert sind.zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA Zivilgesellschaftsfähigkeit Arbeiterbewegung, im Kampf gegen Prostitu- die Grenzen hinweg gegenseirig beobachtet, ist ungleich verteilt: Zeit, Abkömmlichkeit, 5 tion oder Alkoholismus, dann auch - dies bis beeinflusst und prägt. Die Wirklichkeit in dem Zivilgesellschaft, Nation Auskömmlichkeit des Lebensunterhalts, Komheute - im Kampf für die Abrüstung und den einen Land kann nicht einfach als Modell für und Europa munikationsfähigkeit, Bildung und andere unFrieden. Erst recht hat es in der allerjüngsten die Entwicklung im andern Land genommen gleich verteilte Ressourcen sind entscheidend. Manchmal wird behauptet, dass ZivilgesellZeit Wellen der Transnationalisierung gegeben. oder empfohlen werden. Was ,best practice' Rechtliche Diskriminierung - von Frauen, eth- schaft und Nationalstaat Zwillinge sind und Die Zivilgesellsch.aft überschreitet heute nati- ist, variiert sehr stark und will kreativ auspronischen Minderheiten und Armen - erschwe- aufs Engste zusammengehören. Doch der hisonale Grenzen mit präzedenzloser Vehemenz biert werden, mit Sinn für Kontext und Geren zivilgesellschaftliches Engagement. Zivil- torische Befund ist komplizierter. und in neuen Politikbereichen - man denke an schichte. gesellschaft setzt zwar keineswegs soziale die Ökologie, die Menschenrechte und die KriGleichheit voraus. Aber sie entstand als Pro- Im innereuropäischen Vergleich zum 19. Jahrtik an der Globalisierung. Neue dezentrale For- Jürgen Kocka ist Historiker an der FU Berlin jekt gegen ständische Ungleichheit, und sie hundert beobachten wir zivilgesellschaftliche men und neue Kommunikationsmittel stehen und Präsident des Wissenschaftszentrums Berwird wohl auch heute durch sehr ausgeprägte Bestrebungen und Organisationen - Vereine, dafür zur Verfügung. lin für Sozialforschung. 38 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Forschungsjournal NSB, Jg. 16, Heft 2, 2003 Zivilgesellschaft und soziale Ungleichheit Paul Nolte zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA liehen und sozialphilosophischen Debatten im Dreieck von Zivilgesellschaft, ,Gemeinsinn' und Ungleichheit für diese Fragestellung aufzugreifen und fruchtbar zu machen. egalitären Zivilgesellschaft immer wieder entgegen. Zivilgesellschaft hat, so könnte man diese am Beispiel des Bürgertums entwickelten Überlegungen verallgemeinern, etwas mit der Klassenschichtung der modernen Gesellschaft zu tun, mit ihrem System sozialer Ungleichheit und dessen kultureller Deutung und Verarbeitung in der Gesellschaft selber. Wie dieses Verhältnis von Zivilgesellschaft und sozialer Ungleichheit bestimmt werden kann, ist aber noch keineswegs befriedigend geklärt, weder sozialtheoretisch noch empirisch und historisch. Die neuere Debatte über die Zivilgesellschaft folgt vielmehr oft einem anderen Motiv; ihr geht es weniger darum, was die Mitglieder einer Gesellschaft trennt, sondern eher um die Frage, „was denn moderne Gesellschaften letztlich zusammenhält. Nicht mehr die Erfahrung gesellschaftlicher Polarisierung (etwas durch Konflikte zwischen den Klassen), sondern die Sorge um den Verlust des sozialen Zusammenhalts aufgrund fortschreitender Individualisierung und Fragmentierung liegt insofern dem oft beschwörenden Diskurs über Zivilgesellschaft zugrunde." (Kocka 2001: 20) (Nelson 1969); damit zusammenhängend Verhaltensstandards der Höflichkeit und sittlichen Verfeinerung (.politeness'). Im weiteren Sinne ermöglicht die bürgerliche Klassengesellschaft dann auch die moralische Hinwendung zu den von ihr Benachteiligten und Ausgeschlosse1 Zivilgesellschaft und soziale Ungleichheit: Affinität und Spannung nen, zum Beispiel im Sinne von bürgerlicher Wohlfahrtspolitik und ,charity' (Haskell 1985). Um ein kompliziertes Geflecht zu entwirren, kann man eine .positive' und eine .negative' Zweitens, das ist damit schon angedeutet, gibt Seite des Verhältnisses von Zivilgesellschaft es eine empirisch-historische Parallelentwickund sozialer Ungleichheit unterscheiden: Bei- lung: Nicht nur in den ursprünglichen Entwürde Phänomene sind eng miteinander verknüpft; fen der Aufklärer, sondern auch in der (west-, und stehen doch in Spannung, teils auch in mittel-) europäischen und nordamerikanischen offenem Konflikt zueinander. Zunächst: Die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts entVermutung, dass eine funktionierende Zivilge- wickelt sich die Zivilgesellschaft parallel zum sellschaft soziale Ungleichheit (oder ein ge- Aufstieg von Klassengesellschaft, Marktgesellwisses Maß, eine gewisse Ausprägung davon) schaft und Kapitalismus; das gilt wiederum benötigt, ja, dass soziale Ungleichheit sogar für die Weiterentwicklung des normativen Proeine Bedingung der Möglichkeit von Zivilge- jektes ebenso wie für konkrete soziale Institusellschaft ist, lässt sich auf mindestens drei tionen wie .Vereine' oder das .benevolent empire' des bürgerlichen Sozialengagements. Ebenen verfolgen und begründen. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA Jedenfalls ist die Auflösung ständischer BinErstens auf einer ideen- und theoriegeschicht- dungen (und ihre Transformation in marktförlichen Ebene: Wenn man die Ursprünge des mige soziale Beziehungen) offensichtlich eine Konzeptes der Zivilgesellschaft im 18. Jahr- wichtige Voraussetzung für die Entstehung von hundert verfolgt, wie auch Jürgen Kocka das Zivilgesellschaft gewesen. Wo ständische Tragetan hat, kommt man an Entwürfen der ,civil ditionen fehlten oder der Siegeszug des Kapisociety' in der schottischen Aufklärung, zum talismus früh begann, wie in den USA bzw. Beispiel bei Adam Smith und Adam Ferguson, England, entstanden starke Strukturen der Zinicht vorbei (z.B. Ferguson 1986). Die .civil vilgesellschaft ebenfalls relativ früh und dausociety' entsteht hier, im Endpunkt eines idea- erhaft erfolgreich. Im Folgenden soll deshalb versucht werden, das spannungsvolle Verhältnis von Zivilgesellschaft und sozialer Ungleichheit ein wenig zu klären und zu präzisieren. In einem ersten Schritt geht es um eine grundsätzliche Annäherung an das Problem. Dazu mache ich einige begriffliche Vorschläge und führe Unterscheidungen ein, mit deren Hilfe man sich Affinität und Spannung zwischen diesen beiden Polen klar machen kann. Im zweiten Schritt wird versucht, die neueren sozialwissenschaft- lisierten historischen Stufenprozesses, als eine bürgerliche Klassengesellschaft, die auf den Prinzipien von allgemeinem Handel auf Märkten beruht. Sie ist deshalb sozial abgestuft, bringt aber zugleich eine Reihe von Strukturprinzipien und Verhaltensnormen hervor, die für den ,zivilen' - das heißt humanen, friedlichen, freiheitlichen - Charakter einer Gesellschaft unabdingbar sind: den Individualismus des ,economic achievement'; ,Vertrauen' als sozialen Mechanismus einer ursprünglich im Handel verallgemeinerten Brüderlichkeitsethik Zivilgesellschaft und soziale Ungleichheit Die Zivilgesellschaft ist ein schöner Traum, der Entwurf einer besseren Gesellschaft. Schon deshalb ist es nicht verwunderlich, dass das Projekt der Zivilgesellschaft häufig mit einer relativ egalitären Gesellschaft assoziiert wird: einer Gesellschaft nicht nur rechtsgleicher Bürgerinnen und Bürger, sondern auch relativ ausgeglichener ökonomischer Privilegien und Chancen. Dagegen steht jedoch die Realität verfestigter sozialer Strukturen, die Realität sozialökonomischer Ungleichheit. In Umkehrung des viele Jahrzehnte vorherrschenden säkularen Egalisierungstrends hat sich soziale Ungleichheit seit etwa 1980 in den meisten westlichen Gesellschaften sogar verschärft; Abstände sind wieder gewachsen. Bedeutet das Ende oder Aufgabe des Projektes der Zivilgesellschaft? Jedenfalls wird deutlich, dass Gefährdungen der Zivilgesellschaft nicht nur ,von außen', aus den Bereichen des .Marktes' oder des ,Staates', zu erwarten sind, sondern auch aus dem Binnengefüge sozialer Beziehungen, sozialer Gemeinschaften und sozialer Konflikte. Jürgen Kocka hat die Paradoxien entwickelt, die sich aus der Ambivalenz und Doppelbedeutung der .bürgerlichen Gesellschaft' als .civil society' einerseits, als ,bourgeois society' andererseits ergeben - grundsätzlich ebenso wie historisch seit dem späten 18. Jahrhundert. Zivilgesellschaft ließ sich von der Bürgerlichkeit im Sinne der Bindung an eine bürgerlichen Klasse nie völlig trennen, und doch wirkte gerade diese Form der Bürgerlichkeit mit ihren exklusiven und hierarchischen Tendenzen der Verwirklichung einer inklusiven und 39 Drittens schließlich könnte man auf ein kontrafaktisches Argument verweisen: Wo soziale Ungleichheit auf radikale Weise zu beseitigen versucht wurde - vor allem in politisch-ideologisch veranlassten gesellschaftlichen Großexperimenten des 20. Jahrhunderts -, waren die Chancen für die Entfaltung einer Zivilgesellschaft immer extrem schlecht. Die Vision einer homogenen, mehr oder weniger vollständig nivellierten Gesellschaft raubte ihr die inneren Antriebs- und Regenerationskräfte und 40 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA führte zumeist in Konformismus und den Verlust bürgerlicher Öffentlichkeit (Nolte 2000). Die Vorstellung einer Beseitigung von klassenmäßiger Ungleichheit war zudem, wie im Falle der deutschen ,Volksgemeinschaft', oft mit rigider Exklusion von , Anderen' auf rassischer, religiöser oder anderer Basis ganz eng verkoppelt, so dass auch insofern gilt: Die Zulassung und Ermöglichung von Differenz, einschließlich der Differenz materieller Positionen im Klassengefüge, scheint eine unabdingbare Voraussetzung für Zivilgesellschaft zu sein. Zivilgesellschaft und soziale Ungleichheit Paul Nolte zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Ungleichheiten dieser Art gehören zur Geschichte der Zivilgesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert dazu: ,Gewinne' für die Zivilgesellschaft konnten verbucht werden, während fast durchweg Frauen und in vielen Ländern ethnisch oder rassisch definierte Gruppen aus ihr, teils sogar mit zunehmender Schärfe, ausgeschlossen wurden.' 41 größert werden. Man kann diese Überlegung auch durch ein sozialtheoretisches bzw. sozialphilosophisches Argument abstützen, wie es etwa John Rawls in seiner Theorie der Gerechtigkeit entwickelt hat: Eine ,faire' Gesellschaftsordnung beinhaltet die gerechte Verteilung von sozialen und ökonomischen Gütern; Ungleichheit muss sich dadurch rechtfertigen können, dass sie auch den weniger Begünstigten Vorteile bringt (Rawls 1994; vgl. auch Sen 1983; Sen 2000). Justice' wird damit zu einer Leitkategorie der Zivilgesellschaft, die den öffentlichen Umgang mit sozialer Ungleichheit Für die hierarchische Ungleichheit ist nicht zu steuern vermag. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZ Anerkennung, sondern .Umverteilung' die adZivilgesellschaft heute - zwischen äquate zivilgesellschaftliche Ausgleichsstrate- 2 .Gemeinsinn' und zunehmender gie; durch eine politisch gesteuerte VerlageUngleichheit rung von Einkommen und Vermögen (klassisch durch Steuerpolitik und wohlfahrtsstaatlichen Transfer) sollen die sozialen Abstände Viel spricht dafür, dass wir am Anfang einer verringert und damit zugleich die zivilgesell- neuen Debatte über die gesellschaftlichen Funschaftlichen Ressourcen einer Gesellschaft ver- damente der Zivilgesellschaft stehen. Mit zwei angeregt werden könnten. Rückzug statt Engagement prägt dann das Verhältnis der ökonomischen Klassen zueinander. Das ist ein Muster, das typisch für viele .Schwellenländer', zum Beispiel in Lateinamerika, zu sein scheint. Aber es gibt auch Nationen wie die USA, in denen eine starke Zivilgesellschaft sich mit einem sehr großen Ausmaß an sozialökonomischer Ungleichheit offenbar verträgt. Welche Formen und Grade von Ungleichheit jeweils legitimierbar sind, ist historisch und kulturell höchst wandelbar. Aber auf lange Sicht ließ sich das nicht durchhalten, und erst recht von einem normativen Standpunkt aus verlangt die Zivilgesellschaft die Auflösung solcher exklusiver Dichotomien. Auflösung heißt hier freilich gerade nicht Aber man kann auch die Gegenrechnung auf- Gleichmachung (als Anpassung an das vorher machen: Zivilgesellschaft und soziale Un- dominante Muster); die gewissermaßen zivilgleichheit geraten in Spannung, ja in offenen gesellschaftliche adäquate Ausgleichsstrategie Widerspruch zueinander; soziale Ungleichheit, ist vielmehr die der .Anerkennung' (Fräser jedenfalls in bestimmten, extremen Formen, 2001). gefährdet das theoretische Konzept wie die soziale Praxis von Zivilgesellschaft. Um die- Demgegenüber ist das Prinzip hierarchischer sem Aspekt näher zu kommen, kann man zwei Ungleichheit anders, und ebenso unterscheidet Formen von sozialer Differenz und Ungleich- sich die Inklusions- oder Ausgleichsstrategie. heit in einer zunächst relativ abstrakten Weise Der klassische Fall hierarchischer (man könnunterscheiden: ,Dichotomie' und .Hierarchie'. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA te auch sagen: .gradierter') Ungleichheit ist Dichotomische Ungleichheit verweist auf bi- die Ungleichheit der sozialökonomischen Ponäre Codierungen der Zugehörigkeit, auf die sitionen (und der daraus resultierenden sozioInklusion des Einen und die prinzipielle Ex- kulturellen Chancen) von Individuen bzw. Faklusion des Anderen. Ein Beispiel ist die Di- milien im Schichtungs- und Klassensystem eichotomie der Geschlechter: Nicht die Verschie- ner Gesellschaft. Im Hinblick auf Risiken für denheit von ,gender'-Modellen (männlich vs. die Zivilgesellschaft heißt das: Werden die soweiblich) an sich läuft zivilgesellschaftlichen zialen Abstände zu groß, spreizt sich die soziGrundprinzipien zuwider, sondern die daraus ale ,Leiter' zu weit auseinander (wie man in abgeleitete Exklusion der von der Mehrheits- Deutschland seit dem späten 19. Jahrhundert kultur als minder vermögend bewerteten Grup- häufig sagte), dann ist eine Kommunikation pe. Ein solches Ungleichheitssystem muss nicht über diese Distanzen hinweg und damit eine strikt zweipolig sein; im Bereich kultureller Integration der Gesellschaft nicht mehr mögoder ethnischer Differenz, der Pluralität von lich. Die Reicheren oder auch die Mittelklasse Religionen usw. sind auch mehrpolige Abstu- werden sich den Armen (jedenfalls den traditifungen denkbar, die aber dennoch meistens onell als ,undeserving poor' bezeichneten) auf eine einzelne, politisch-kulturell dominan- nicht mehr mit Wohltätigkeit zuwenden; den te Seite der Inklusion bezogen sind, zum Bei- Armen fehlt eine Aufstiegsperspektive in die spiel die Herrschafts- und Elitensprache in ei- Mittelschicht, durch die sie zur Teilnahme an nem multiethnischen Staatswesen. Exklusive der Gesellschaft, zum Ergreifen von Chancen 42 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Schwerpunkten, die oft noch nicht genügend im Zusammenhang (und in ihrer jeweiligen historischen Dimension) bedacht werden, wird diese Debatte derzeit geführt: Es geht um den Zusammenhalt der Gesellschaft einerseits, um ,Gemeinsinn', ,Sozialkapital' und Bürgerengagement' - und um Trennlinien in der Gesellschaft andererseits, um Armut, Exklusion und soziale Ungleichheit (Nolte 2001). Zivilgesellschaft wird vermehrt im Hinblick auf das im bürgerschaftlichen Engagement oder auch nur in informellen sozialen Kontakten erworbene ,soziale Kapital' gesehen, wie in den einflussreichen Arbeiten des amerikanischen Politologen Robert Putnam (1999). Paul Nolte zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Zivilgesellschaft und soziale Ungleichheit System von Wohlfahrt und sozialer Sicherung ist der empirische Befund, wie es scheint eine gründliche Zwischenbilanz der Forschung steht noch aus - weniger eindeutig, doch mindestens in einzelnen Sektoren ist auch hier Ungleichheit neu entstanden, verfestigt oder verstärkt worden. Zentrale Stichworte sind hier vor allem Massenarbeitslosigkeit und Sozialhilfebedürftigkeit (ledige Mütter, Familien mit mehreren Kindern), aber auch - bisher noch weniger im Zentrum der Aufmerksamkeit die sozialstrukturellen Wirkungen der .Erbengeneration' und die neuen Unterschichtungen durch Immigranten und Flüchtlinge; schließlich der weite Bereich der Ungleichheit im WestOst-Vergleich seit 1989/90. Durch den ersten Dem steht jedoch ein zweiter Pol der sozial- Reichtums- und Armutsbericht der Bundesrewissenschaftlichen Diskussion gegenüber, der gierung hat die ungleiche Verteilung materielsich wiederum auf das Problem von Individu- ler Ressourcen in der deutschen Gesellschaft alismus und Zivilgesellschaft beziehen lässt: jüngst auch erhebliche politische Aufmerksamnämlich eine neu auflebende Debatte über so- keit erfahren (Bundesregierung 2001; vgl. auch ziale Ungleichheit in westlichen Gesellschaf- Böhnke2001). ten, welche den Blick zurücklenkt auf längere Zeit vernachlässigte Fragen von materieller Pri- Die entsprechenden empirischen Befunde sind vilegierung und Disprivilegierung, von Reich- zum Teil seit zwei Jahrzehnten durch Forschuntum und Armut, von sozialer Hierarchie und gen über Sozialstruktur, Wohlfahrtsstaat und Klassenschichtung. Den empirischen Hinter- Armut bekannt, verknüpfen sich aber erst seit grund dieser Debatte bildet das in zahlreichen kurzem mit zwei Trends in Sozialwissenschaft Untersuchungen immer wieder diagnostizierte und Öffentlichkeit, die diesen Befunden neue Phänomen einer seit den 70er, spätestens seit Durchschlagskraft zu verleihen geeignet sind. den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts (wieder) Erstens hat sich jene in der deutschen Sozialzunehmenden bzw. in neuen Formen ausge- wissenschaft eine zeitlang dominierende Neiprägten Ungleichheit. Dabei geht es noch nicht gung anscheinend erschöpft, welche in der Ineinmal um die Verschärfung eines Wohlstands- dividualisierung sozialer Lagen und sozialer gefälles im Sinne globaler und globalisierter' Schicksale das Hauptmerkmal gesellschaftliUngleichheit, sondern vorerst ,nur' um soziale cher Entwicklung am Ende des 20. JahrhunUngleichheit innerhalb westlicher Gesellschaf- derts sah. Damit wurden möglicherweise ten. In den USA hat sich diese Entwicklung einerseits Erfahrungen bestimmter Gruppen der besonders markant vollzogen (und ist schon gebildeten Mittelschicht vorschnell verallgefrüh diskutiert worden); Segmentierung des meinert, andererseits kultursoziologische BeoArbeitsmarktes, Polarisierung der Einkommen, bachtungen über eine Vervielfachung kulturelneue Armut und ,Underclass' sind Stichworte ler Statussymbole (zum Beispiel im Konsum) dafür. In der Bundesrepublik mit ihren ande- mit der Auflösung sozialer Lebensschicksale ren Traditionen und ihrem ganz verschiedenen verwechselt. Der Blick auf soziale Gruppen, auf kollektive Lagen und Erfahrungen, wird wieder frei. - Zweitens wird überhaupt - nicht nur in der empirischen Forschung, sondern auch in der Sozialtheorie, vielleicht auch wieder in der Sozialgeschichte - am Alleinvertretungsanspruch der seit den 80er Jahren dominierenden kulturalistischen Perspektive auf Gesellschaft gezweifelt. So groß der Gewinn war, Gesellschaft nicht nur über .soziale Ungleichheit', sondern ebenso über ,kulturelle Differenz' (zum Beispiel von ethnischen Gemeinschaften) zu verstehen, so deutlich wird auch auf der politischen Linken inzwischen die Rückbesinnung auf Kategorien der ökonomischen Lage und sozialen Ungleichheit gefordert. „Es sollte ein unumstößlicher Grundsatz sein", formuliert etwa Nancy Fräser (2001: 14), „dass kein ernsthaftes Nachfolgeprojekt für den Sozialismus die Verpflichtung auf soziale Gleichheit einfach zugunsten kultureller Differenz über Bord werfen kann". 43 sehkonsum, Erwerbsarbeit etc.), ohne dass diese sich irgendwie zu klassenspezifischen Verhaltensmustern aggregieren ließen -, schlägt eine von Putnam herausgegebene Studie zum internationalen Vergleich jüngst deutlich andere Töne an, so dass Putnam (2001: 787) selber am Ende bilanziert: ,L>ie Besorgnis über die Ungleichheiten - vor allem über wachsende Ungleichheiten im Bereich des Sozialkapitals - stellt den vielleicht wichtigsten gemeinsamen Faden dar, der sich durch die Länderstudien dieses Buches zieht". Die Verteilung des Sozialkapitals aber hängt nach den Befunden der Autorinnen und Autoren ganz maßgeblich von .klassischen' Verteilungsmechanismen ab: von der (ungleichen, oder sogar zunehmend ungleichen) Verteilung materieller Ressourcen wie Vermögen und Einkommen, nicht zuletzt auch von Bildung. Damit aber ist die Fähigkeit, Bindungen aufzubauen, sich in der und für die Gemeinschaft zu Diese doppelte Neuorientierung auf .Gemein- engagieren, also ,Zivilgesellschaft' zu betreisinn' wie auf ,Ungleichheit' ist in unserem ben und zu stärken, wesentlich an die Position Zusammenhang deshalb von so großer Bedeu- im Ungleichheitssystem - man könnte auch tung, weil sie der Diskussion über die Zivilge- sagen: an die Klassenlage - gekoppelt. Wie sellschaft, und von deren Nexus mit sozialer hat sich, so müsste man fragen, diese empiriUngleichheit, neue Perspektiven eröffnet. Die sche Korrelation von Klassenlage und Sozialüberwiegend von der quantitativen empirischen kapital in historischer Perspektive entwickelt? Sozialforschung geprägte Forschung über so- Peter Hall hat für Großbritannien gezeigt, dass ziale Ungleichheit verbindet sich auf diese Wei- sich die Differenzen zwischen der Mittelklasse auch konzeptionell mit der eher qualitativ- se und der Arbeiterklasse bezüglich Sozialkahermeneutischen, historischen und sozialtheo- pital und politischem Engagement seit den retischen Forschung über Zivilgesellschaft, 1950er Jahren nicht verringert haben, sondern Bürgerlichkeit und Gemeinschaftsbildung. sogar noch gewachsen sind: „Die beiden BeZwei aktuelle Beispiele können das illustrie- völkerungsgruppen, die in zunehmendem Maße ren: Während in der schon erwähnten Unter- aus der Bürgergesellschaft ausgeschlossen und suchung Robert Putnams über das amerikani- immer mehr marginalisiert werden, sind die sche Bürgerengagement und Sozialkapital dem Arbeiterklasse und die Jugend" (Hall 2001: Faktor,soziale Ungleichheit' und ,Klasse' noch 96). Und Theda Skocpol stellt für die USA eine auffallend geringe Bedeutung beigemes- einen Wandel zu mehr .oligarchisch' geprägsen wurde - so, als sei die Verteilung von So- ten Strukturen der Bürgergesellschaft fest. In zialkapital von einer Vielzahl von Einzelfakto- diesem neuen System werden reiche und geren des sozialen Verhaltens abhängig (Fern- bildete Amerikaner sehr viel stärker privile- 44 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA giert, als das in dem traditionellen bürgergesellschaftlichen System der „klassenübergreifenden Mitgliederverbände" der Fall gewesen war (Skocpol 2001: 646f.). Das zweite Beispiel ist Anthony Giddens' Versuch, die ,Frage der sozialen Ungleichheit' und das Problem der Zivilgesellschaft in einen gemeinsamen sozialtheoretischen Rahmen zu stellen (Giddens 2001). Giddens knüpft an die erwähnten empirischen Forschungen über die Zunahme sozialer Ungleichheit in den meisten Industrieländern seit den 70er Jahren an und versucht von hier aus, der wohlfahrtsstaatlichen Umverteilung wieder Aktualität zu geben. Aber die alte, ganz staatszentrierte Politik der Gerechtigkeit hat sich für ihn überlebt; die Zivilgesellschaft wird statt dessen zum zentralen Element seiner ,Politik des dritten Weges'. Mit dem Begriff der ,sozialen Exklusion' verknüpft Giddens die scheinbar auseinanderstrebenden Perspektiven von Ungleichheit und Gemeinschaftsbildung. Deshalb kann er nicht nur die Marginalisierung der Armen, sondern auch die ,Exklusion der Eliten', welche sich von der übrigen Gesellschaft abkapseln und sich aus dem zivilgesellschaftlichen Engagement zurückziehen, diagnostizieren. Man müsste jetzt an einzelnen Beispielen weiter, und mit mehr empirischer Konkretion, entwickeln, wie sich solche Perspektiven in fruchtbare Denk- und Forschungransätze über das Verhältnis von Zivilgesellschaft und sozialer Ungleichheit umsetzen ließen. Nicht zuletzt müsste man versuchen, Dimensionen von Ungleichheit jenseits der ,Klassenfrage' mit einzubeziehen (konzeptionell wie empirisch), also insbesondere die Geschlechterdifferenz und ethnisch-kulturelle Differenzierungen. Aber auch innerhalb des klassischen Bezugsrahmens primär sozialökonomisch induzierter Ungleichheit wären Einzelprobleme zu verfolgen, zum Beispiel - das soll hier noch kurz angedeutet wer- Zivilgesellschaft und soziale Ungleichheit Paul Nolte zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA 45 in weit geringerem Ausmaß zur klassenüber- Fräser, Nancy 2001: Die halbierte Gerechtigkeit. den - für das Bürgertum bzw. diezyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA Mittelklasse. greifenden Integration in der Lage, als das in Schlüsselbegriffe des postindustriellen Sozialstaats, Man kann, wie auch die Überlegungen von JürFrankfurt/M.: Suhrkamp. dem traditionellen Muster der Fall war. gen Kocka zeigen, den Aufstieg der ZivilgesellGiddens, Anthony 2001: Die Frage der sozialen schaft als normatives Projekt wie in der poliIn jedem Fall sollte deutlich geworden sein, Ungleichheit, Frankfurt/M.: Suhrkamp. tisch-sozialen Praxis in enger kausaler BezieHall, Peter 2001: Sozialkapital in Großbritannien. wie lohnend die Frage nach dem Problemzuhung zum Aufstieg des Bürgertums deuten. In: Robert D. Putnam (Hg.) 2001: Gesellschaft sammenhang von Zivilgesellschaft und sozia- und Gemeinsinn: Sozialkapital im internationalen Überspitzt gesagt, ist die Zivilgesellschaft seit ler Ungleichheit gerade jetzt ist. Die größten Vergleich, Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung, 45dem 18. und frühen 19. Jahrhundert vor allem Fortschritte bei den Antworten werden vermut- 113. ein Projekt der Mittelklassen gewesen, das spälich dann erzielt werden können, wenn die Haskeil, Thomas L. 1985: Capitalism and the Oriter, zum Beispiel in der klassischen ArbeiterbeGrenzen herkömmlicher Perspektiven und Dis- gins of Humanitarian Sensibility. In: The Ameriwegung, sozial ,nach unten' verallgemeinert ziplinen überschritten werden: dann, wenn em- can Historical Review, Vol. 90, 339-361, 437worden ist. Anthony Giddens hat darauf hingepirische Sozialforschung, Historische Sozial- 466. wiesen, dass auch heute für ,soziale Belange' wissenschaft und Gesellschaftstheorie ihre je- Kocka, Jürgen 2001: Zivilgesellschaft als historiund überhaupt für das Funktionieren einer Ziweiligen Erkenntnisse bündeln und gemein- sches Problem und Versprechen. In: Manfred Hilvilgesellschaft nicht so sehr die Reichen, sondermeier u.a. (Hg.), Zivilgesellschaft in Ost und sam produktiv werden lassen. dern vielmehr die ,lediglich Wohlhabenden' in West, Frankfurt/M.: Campus, 13-39. der Mitte der Gesellschaft, wo ökonomisches Nelson, Benjamin 1969: The Idea of Usury: From und soziales Kapital konvergieren, von zentraPaul Nolte ist Professor an der School of HuTribal Brotherhood to Universal Otherhood. Chiler Bedeutung sind (Giddens 2001:133). manities and Social Sciences der International cago: University of Chicago Press. University Bremen, p.nolte@iu-bremen.de zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONM Nolte, Paul 2000: Die Ordnung der deutschen GeLässt sich daraus im Umkehrschluss ableiten, sellschaft. Selbstentwurf und Selbstbeschreibung Anmerkung im 20. Jahrhundert, München: C H . Beck. Zivilgesellschaft ließe sich alleine mit einer Nolte, Paul 2001: „Klingeln Sie bei Ihrem Nachbürgerlich und politisch engagierten MittelklasMan kann sogar noch einen Schritt weiter gehen barn!" Die Rückkehr der Gesellschaft: Wie bürse herstellen? Diese Frage gewinnt in den letzund hier eine unmittelbare Korrelation feststellen: gerliches Engagement und soziale Gerechtigkeit ten Jahrzehnten in allen westlichen Ländern DierigidereExklusion nach dichotomischen Prin- zusammengedacht werden können. In: Literatuauf unvermutete Weise an Brisanz. Die traditizipien beförderte bzw. ermöglichte die Verallge- ren, September 2001, 92-96. onelle Arbeiterbewegungskultur, und mit ihr meinerung von Rechten und Zugangschancen in Putnam, Robert D. 1999: Bowling Alone: The die Unterschicht-Organisationen, die sich dem der jeweils anderen Teilgruppe. So war in den Collapse and Revival of American Community. bürgerlichen Modell der Zivilgesellschaft USA die Durchsetzung des allgemeinen Wahl- New York: Simon & Schuster. weithin angepasst hatten, lösen sich immer rechts für weiße Männer am Beginn des 19. Jahr- Pumam, Robert D. (Hg.) 2001: Gesellschaft und mehr auf bzw. verlieren an gesamtgesellschafthunderts eng mit dem endgültigen Ausschluss von Gemeinsinn: Sozialkapital im internationalen Verlicher Gestaltungskraft; neue Unterschichten Frauen und Schwarzen verknüpft. gleich, Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung. jenseits der klassischen Industriearbeiterschaft Rawls, John 1994: Eine Theorie der Gerechtigziehen sich aus Organisationen zurück und verkeit, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Literatur halten sich, wie der schichtenspezifische RückSen, Amartya 1983: Poverty and Famines: An Esgang der Wahlbeteiligung zeigt, politisch tenBöhnke, Petra 2001: Nothing Left to Lose? Po- say on Entitlement and Deprivation, Oxford: Oxdenziell indifferent oder apathisch. Andererseits verty and Social Exclusion in Comparison: Empi- ford University Press. sind die neuen Formen des Bürgerengagements, rical Evidence on Germany, Berlin (WZB-Paper Sen, Amartya 2000: Ökonomie für den Menschen. Wege zu Gerechtigkeit und Solidarität in der FS III 01-402). die in den letzten Jahrzehnten gegenüber der Bundesregierung 2001: Lebenslagen in Deutsch- Marktwirtschaft, München: Hanser. klassischen Vereins-, Verbände- und Organisaland. Der erste Almuts- und Reichtumsbericht der Skocpol, Theda 2001: Das bürgergesellschaftliche tionskultur an Bedeutung gewonnen haben Amerika - gestern und heute. In: Robert D. PutBundesregierung, 2 Bde., Berlin. (z.B. Bürgerinitiativen, Protestbewegungen), in nam (Hg.) 2001: Gesellschaft und Gemeinsinn: Ferguson, Adam 1986: Versuch über die Geschichauffällig hohem Maße durch eine postbildungste der bürgerlichen Gesellschaft (1767). Frank- Sozialkapital im internationalen Vergleich, Gübürgerliche Mittelklasse geprägt und vielfach tersloh: Bertelsmann-Stiftung, 593-654. furt/M.: Suhrkamp. 1 46 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Forschungsjournal NSB, Jg. 16, Heft 2, 2003 Zivilgesellschaft und Staat in der Demokratie Detlef Pollack zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA sich gegen Organisation und letztlich gegen den Staat richtet. Der Staat brauche die zivilgesellschaftlichen Ressourcen auf. Das politische System habe sich „längst zu einem obrigkeitlichen Sicherheitsstaat ausgewachsen, der immer wieder die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger einschränkt" (Roth 2002: 36). Der Staat wird als Barriere für die Entfaltung bürgerschaftlichen Engagements angesehen. Aber damit nicht genug. Statt die Entstehung einer Kultur des Bürgerengagements zu blockieren, sollten staatliche Akteure die Entwicklung einer solchen Kultur ermöglichen. Erste Voraussetzung dafür sei die Zurückhaltung des Staates: Nur wenn der Staat sich mehr und mehr aus der Erfüllung gesellschaftlicher Aufgaben zurückziehe, könne sich die Aktivitätsbereitschaft der Bürger entwickeln. Statt zu intervenieren, zu dirigieren und zu bevormunden, solle der Staat Voraussetzungen für die Vernetzung der unterschiedlichen Milieus des Ehrenamtes und der Freiwilligen-Szene schaffen, die brach liegenden Ressourcen aufschließen und unterstützen und Nähe zum Bürger herstellen. Zivilgesellschaft und Staat in der Demokratie Der Begriff der Zivilgesellschaft hat in den letzten Jahren an Attraktivität gewonnen. Wurde er zunächst im westlichen Kontext vor allem von politisch links orientierten Denkern zur Bezeichnung des radikal-demokratischen Projekts der Ausweitung von politischen Partizipationsmöglichkeiten und im Kontext der Diskussionen osteuropäischer Intellektueller als normativ und utopisch angereicherter Begriff zur Kennzeichnung der Zielvorstellungen von staatsoppositionellen Gruppierungen gebraucht, so wird er inzwischen auch von Vertretern des Kommunitarismus zur Einklagung republikanischer Tugenden wie bürgerschaftliches Engagement, individuelle Verantwortungsübernahme, Gemein wohlorientierung oder Toleranz benutzt. Ebenso verwenden ihn heute aber auch konservativ eingestellte Intellektuelle, die den Begriff einsetzen, um gegen den allgemeinen Werteverfall Front zu machen. Er hat auf diese Weise eine Bedeutungsvielfalt erlangt, die seine analytische Gebrauchsfähigkeit stark einschränkt. bezogener Aufgaben sei, so kann man allenthalben lesen, eine unverzichtbare Voraussetzung für das Funktionieren des Sozialstaates und der Demokratie (Münkler 2000: 24). Ohne aktive Nutzung der Bürgerrechte und soziale Teilhabe, ohne Bürgersinn und Gemeinwohlorientierung könne die Demokratie nicht überleben (Heuberger u.a. 2000: 3). Demgegenüber wenden die engagiertesten Vertreter des bürgerschaftlichen Engagements ein, dass das bürgerschaftliche Engagement, wenn seine spezifische Substanz bewahrt werden soll, nicht in seiner staatlichen, ökonomischen oder organisatorischen Vemutzung aufgehen darf. „Der Verdacht, dass Selbsthilfeaktivitäten und ehrenamtliche Tätigkeiten von Parteien, Regierungen und Verwaltungen nur deshalb gefordert und gefördert werden, weil an anderer Stelle Geld gespart werden soll", wäre „tödlich" für den Aufbau sozialen Kapitals (Offe 2002: 281). Das bürgerschaftliche Engagement müsse voi seiner Instrumentalisierung durch Organisationen geschützt werden. Eine solche Eine Erklärung für die überraschende Renais- Argumentation verwundert, denn auf der einen sance des Begriffs Zivilgesellschaft könnte man Seite soll der Staat das Bürgerengagement nicht zunächst darin suchen, dass in der entwickel- instrumentalisieren, auf der anderen Seite aber ten Moderne die Steuerungsfähigkeit des poli- werden die öffentlichen Aktivitäten engagiertischen Systems zurückgeht, der Sozialstaat an ter Bürger als notwendige Voraussetzung für die Grenzen seiner Belastbarkeit gerät, der Ar- ein funktionierendes demokratisches Gemeinbeitsmarkt vor schier unlösbaren Problemen wesen herausgestellt. Offenbar soll zivilgesellsteht und die demokratischen Institutionen an schaftliches Engagement ebenso notwendig wie Unterstützung und Legitimation verlieren. Bür- nicht instmmentalisierbar sein, also lediglich um gerschaftliches Engagement, Ehrenamt, Bür- seiner selbst willen betrieben werden. gerarbeit wären dann Aktivitäten, die notwendig sind, um die überforderten Institutionen zu Hinter dieser ethisch anspruchsvollen Arguentlasten. Die Bereitschaft zur Übernahme öf- mentation steht, wie Niklas Luhmann (1997: fentlicher Verantwortung und gemeinschafts- 844f) scharfsichtig beobachtet, ein Impuls, der Eine solche Haltung ist widersprüchlich, wird doch der Staat zunächst als herrschaftliche Bevormundungsinstitution kritisiert, dann aber sein Engagement als ,Ermöglichungsinstitution' eingefordert. Die Leistungen des Staates werden so in Anspruch genommen und seine Autorität gleichzeitig abgewehrt. Wenn man den Staat heraushalten will - was guter liberaler Tradition des politischen Denkens entspricht -, dann kann man seine Aktivität nicht im nächsten Moment wieder einfordern. Strukturen wirken restringierend und ermöglichend zugleich. Wenn man einen ermöglichenden Staat wünscht, dann wird man sich auch auf die von ihm ausgehenden Restriktionen einlassen müssen. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Offenbar fungiert hier Zivilgesellschaft als Gegenbegriff zum Staat. 47 Lauter werden allerdings die Stimmen, die kein Gegensatzverhältnis zwischen Zivilgesellschaft und Staat bzw. Markt wahrnehmen wollen. Warnfried Dettling (2000: 9) meint: „Die Idee der Bürgergesellschaft steht gegen den Etatismus der einen wie gegen den Ökonomismus der anderen, aber nicht in Konfrontation oder als Antithese, sondern als Versuch, eine neue Balance und Synergie herzustellen, welche die Teilordnungen in ihren Potentialen stärkt und zur Entfaltung bringt, ohne ihre Grenzen zu missachten." Die Bürgergesellschaft brauche auch einen handlungsfähigen Staat und eine leistungsfähige Wirtschaft. Auch wenn nach dem Ende der Blockkonfrontation die Möglichkeiten zum Entwurf utopischer und normativer Gesellschaftsmodelle so günstig wie seit Jahrzehnten nicht sind, kann anscheinend auch von Theorien der Zivilgesellschaft kaum noch grundsätzliche Systemkritik erwartet werden (Beyme 2000: 62). Die normative Theorie der Zivilgesellschaft hat sich teilweise so weit an die politische Realität der Systeme angenähert, dass sie ihren normativen Impetus in starkem Maße verloren hat. Sie warnt davor, zeitund kontextlose Wahrheiten zu verkünden, kritisiert die ethische Engführung politischer Diskurse und betont, dass in pluralistischen Gesellschaften ein Interessenausgleich durch ethische Diskurse allein nicht zu erreichen sei. Selbst bei Ulrich Beck sind, so Klaus von Beyme (2000: 62), die ,Gegengifte' gegen die technokratische Risikogesellschaft nur noch homöopathisch dosiert. Obwohl die normativen Entwürfe des zivilgesellschaftlichen Diskurses ihren systemkritischen Biss großteils eingebüßt haben, geben die Vertreter dieses Diskurses ihrezyxwvutsrqponm Staats-, markt- und systemkritische Einstellung jedoch nicht auf. Sie lassen die systemkritische Perspektive in ihre Überlegungen über die Notwendigkeit zivilgesellschaftlichen Engagements für das Funktionieren des demokrati- 48 Detlef Pollack Zivilgesellschaft und Staat in der Demokratie zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA i sehen Gemeinwesens einfließen, wenn auch oft nur noch verschämt als Frage, ob denn in dem Maße, wie die sozio-moralischen Gehalte des Bürgersinns erodieren, die „partizipatorische Demokratie in der Oligarchie der Spezialisten und Berufspolitiker verschwinde" (Münkler 2000: 23). Es handelt sich um einen Normativismus mit schlechtem Gewissen, der zwar an seinen Ursprungsimpulsen festhalten will, aber sie auch halb schon aufgibt und sich mit dem Anliegen begnügt, Staat und Wirtschaft nicht zu den allein dominierenden Kräften werden zu lassen. Mit der Übernahme des Konzepts der Zivilgesellschaft hat sich insofern das „vielbelächelte späte Bekenntnis der deutschen Linken zur Bonner Republik" vollzogen (Reese-Schäfer 2000: 76). Es ist dies der Versuch der Selbstintegration in die bürgerliche Gesellschaft bei gleichzeitigem Bemühen darum, die Vorbehalte gegenüber eben dieser Gesellschaft nicht preiszugeben. Mit diesen Bemerkungen ist nun natürlich nicht das Einklagen der weitgehend auf der Strecke gebliebenen normativen Ansprüche des zivilgesellschaftlichen Diskurses intendiert. Ebenso soll aber auch ein Denkgestus vermieden werden, der beansprucht, es immer schon besser gewusst zu haben, wie er etwa in manchen Äußerungen Niklas Luhmanns zu beobachten ist. Vielmehr geht es hier darum, zu einer Entpolarisierung der Positionen beizutragen und zu fragen, ob der Zurücknahme des systemkritischen Impulses nicht auch eine gewisse Logik innewohnt, die darauf gründet, dass die Verhältnisse eben nicht nur beklagenswert sind, und ob auf dem halb ungewollt eingeschlagenen Weg nicht weitergegangen und danach gesucht werden müsste, ein nicht-normatives Konzept von Zivilgesellschaft zu entwickeln, das analytisch für die sozialwissenschaftliche Arbeit fruchtbar gemacht werden kann. \im Namen desEigannuttes! 49 vorgeschlagenen Definition eine gesellschaftliche Sphäre jenseits des Staates, aber nicht jenseits des Politischen - insofern das Politi(1) Was ist Zivilgesellschaft, wenn man dar- sche das Öffentliche bezeichnet - gemeint. auf verzichten will, sie normativ zu defi- Während der Staat eine Sozialbeziehung darstellt, die durch die geregelte und als rechtmänieren? (2) Worin könnten ihre Funktionen bestehen, ßig anerkannte Möglichkeit der Einflussnahwenn man den ethischen Anspruch auf ihre me der Herrschenden auf die Beherrschten Notwendigkeit und ihre gleichzeitige Nicht- bis hin zur Möglichkeit des legitimen Gebrauchs physischer Gewalt - gekennzeichnet instrumentalisierbarkeit vermeiden will? (3) Worin bestehen die Bedingungen ihrer Mög- ist, üben zivilgesellschaftliche Assoziationen lichkeit, wenn man dem Widerspruch ent- keine politische Macht aus. Die Grundfunktikommen will, sowohl den Rückzug des Staa- on des politischen Systems besteht in der Herstellung kollektiv verbindlicher Entscheiduntes als auch sein Engagement zu fordern? zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPON gen und ihrer gesellschaftlichen Durchsetzung. Demgegenüber versuchen zivilgesellschaftliche 1 Was ist Zivügesellschaft? Organisationen, Gruppen und Gemeinschaften Unter Aufnahme unterschiedlicher Traditions- weder für die gesamte Gesellschaft verbindlilinien der Begriffsgeschichte soll hier ein nicht che Entscheidungen zu treffen noch ihre Impnormativ aufgeladener Definitionsvorschlag lementation zu erzwingen. Insofern sind sie von Zivilgesellschaft unterbreitet werden. Un- frei von staatlicher Macht. Sie stehen der Macht ter civil society sei hier verstanden die Ge- des Staates gegenüber und sind in diesem Sinsamtheit der öffentlichen Assoziationen, Ver- ne autonom. Das heißt freilich nicht, dass sich einigungen, Bewegungen und Verbände, in de- die Kommunikation in den zivilgesellschaftlinen sich Bürger auf freiwilliger Basis versam- chen Vereinigungen herrschaftsfrei vollzieht. meln. Diese Assoziationen befinden sich im In jeder Kommunikation, auch in der ZivilgeRaum der Öffentlichkeit und stehen prinzipiell sellschaft, wird Macht ausgeübt und Gegenjedem offen. Die in ihnen sich engagierenden macht provoziert. Aber die Akteure der ZivilBürger verfolgen nicht lediglich ihre persönli- gesellschaft verfügen nicht über die Möglichchen Interessen und handeln in der Regel koo- keit, verbindliche Entscheidungen herzustelperativ. Neben den bezeichneten Organisatio- len, um damit politische Macht auszuüben. nen und Assoziationen gehört auch ungebun- Allenfalls besitzen sie Einfluss. Diesen köndenes Engagement zum zivilgesellschaftlichen nen sie aber nur indirekt innerhalb des Staates Bereich, sofern es sich ebenfalls durch Frei- geltend machen. Auch wenn Staat und Zivilwilligkeit, Öffentlichkeit, Gemeinschaftlichkeit gesellschaft durch die Möglichkeit zur Prosowie die Transzendierung privater Interessen duktion kollektiv verbindlicher Entscheidunauszeichnet. Formen ungebundenen zivilgesell- gen voneinander unterschieden sind, gibt es schaftlichen Engagements sind zum Beispiel zwischen beiden fließende Übergänge. ParteiDemonstrationen, Streiks, Petitionen, Boykott- en zum Beispiel gehören, sofern sie keinen Zwangs- und Monopolcharakter haben, der Zimaßnahmen usw. vilgesellschaft an, sofern sie an der Produktion gesamtgesellschaftlich verbindlicher EntMit diesem Defmitionsvorschlag soll eine Abscheidungen beteiligt sind, aber auch dem pogrenzung nach mehreren Seiten hin vorgenomlitischen System (Welzel 1999: 210). men werden. Mit Zivilgesellschaft ist in der Im Folgenden wollen wir uns daher mit drei Fragen auseinandersetzen: 50 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Detlef Pollack zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Zivilgesellschaft und Staat in der Demokratie Mit der gegebenen Definition ist Zivilgesellschaft auch vom ökonomischen Markt und von der Familie abgegrenzt. Vom Markt ist sie dadurch unterschieden, dass sich ihre Akteure die Resultate ihrer Arbeit nicht privat aneignen, von der Familie dadurch, dass ihre Aktivitäten prinzipiell jedem zugänglich sind und in der Öffentlichkeit stattfinden. Aber auch hier sind die Übergänge fließend. So ziehen die Mitglieder zivilgesellschaftlicher Assoziationen aus ihren Aktivitäten häufig auch persönlichen materiellen Gewinn und verfolgen in ihnen auch persönliche Interessen. Allerdings nicht ausschließlich. Andernfalls müsste man sie aus dem definierten Gegenstandsbereich exkludieren. Wenn die Zivilgesellschaft von der politischen Macht und vom ökonomischen Markt getrennt ist, dann kann sie nicht die Gesellschaft im Ganzen repräsentieren. Die Zivilgesellschaft ist nicht das sich selbst organisierende Steuerungszentrum der Gesellschaft, in welchem sich die Strahlen der Gesellschaft im Ganzen bündeln, so wie es Rödel, Frankenberg und Dubiel (1989: 103, 162) unterstellen, die die Zivilgesellschaft als das Projekt einer sich selbst regierenden Bürgergesellschaft verstehen. Das kann sie nicht sein, da sie vom Staat getrennt ist. Die Zivilgesellschaft tritt daher auch nicht an die Stelle des Staates oder der Wirtschaft oder des Rechts oder anderer gesellschaftlicher Großsubjekte, sondern steht diesen gegenüber. Sie ist ein Teil der Gesellschaft, aber vermag nicht das Ganze widerzuspiegeln oder zu vertreten, obschon sie ein Ort der kritischen gesellschaftlichen Reflexion ist, allerdings nun auch wieder nicht ein privilegierter Ort der gesellschaftlichen Selbstbeobachtung, an dem das „reflexive Wissen der Gesamtgesellschaft" zu sich selbst kommt, wie Habermas (1985: 418) behauptet. Eine solche Vorstellung würde die Reflexionsfähigkeit von staatlichen Organisationen, Bürokratien und dem Rechtssystem unterschätzen. Bei einer genaueren Betrachtung der oben gegebenen Definition der Zivilgesellschaft fällt auf, dass in ihr der Bezug auf das Gemeinwohl, auf öffentliche Güter bzw. Kollektivgüter, der oft als Definitionsmerkmal angegeben wird, fehlt. Der Grund dafür liegt darin, dass viele Assoziationen und Initiativen, die zweifellos zur Sphäre der Zivilgesellschaft gehören, weitaus weniger weitreichende Ziele als die Herstellung von Kollektivgütem, von deren Genuss niemand ausgeschlossen werden kann, verfolgen. Zu denken ist dabei zum Beispiel an Stadtteilinitiativen oder Selbsthilfegruppen, die sich auf Grund eines sie persönlich betreffenden Problems zusammengefunden haben und sich bei der Lösung dieses Problems gegenseitig helfen wollen, oder an die Organisation von Schul- oder Betriebsfesten, die viele ausschließen und gleichwohl auf einem niedrigeren Niveau gemeinschaftsstiftend wirken. Denken kann man in diesem Zusammenhang etwa auch an die Aktivitäten der Freiwilligen Feuerwehr, die natürlich eine gemeinnützige Aufgabe erfüllt, die aber gleichzeitig ein Umschlagplatz für karriererelevante Informationen, Geschäfte, nützliche Kontakte und kleinstädtische Angelegenheiten sein kann (Offe 2002: 277). Selbst der Protest gegen den Ausbau eines Flughafens oder die Einrichtung eines Atommüllendlagers muss nicht unbedingt gemeinwohlmotiviert sein, auch wenn er sich natürlich in der Regel als gemeinwohiorientiert anbietet. In ihm kann es einem auch lediglich um die Bewahrung seiner persönlichen Ruhe und Sicherheit am eigenen Wohnort gehen. Ob der Flughafen oder das Atommülllager woanders gebaut werden, ist einem vielleicht ziemlich egal. Die hier vorgenommene Bestimmung des Begriffs der Zivilgesellschaft schlägt vor, auf die Angabe von allgemeingültigen kollektiven Zielen als Definitionsmerkmal von Zivilgesellschaft zu verzichten und sich stattdessen mit einer negativen Bestimmung zu begnügen: Die zivilgesell- schaftlichen Aktivitäten dürfen nicht ausschließlich auf die Verfolgung individueller Interessen orientiert sein. Wo dies nachweisbar ist, können sie nicht zur Zivilgesellschaft gezählt werden. 1 Wenn die zivilgesellschaftlichen Akteure nicht auf ein allgemein verbindliches Ziel oder Kollektivgut festgelegt werden können, dann ist die Zivilgesellschaft prinzipiell pluralistisch strukturiert. Aufgrund des Fehlens eines alle verbindenden Wertes oder Zielpunktes ist die Vielfalt von Vereinigungen, informellen Gruppen, Assoziationen und Kommunikationsforen innerhalb der Zivilgesellschaft unvermeidbar. Die Zivilgesellschaft ist keine handlungsfähige Einheit, kein kollektiver Akteur, sie hat kein Zentrum und lässt sich nicht zentral steuern. Vielmehr können sich im Raum der Zivilgesellschaft stets unterschiedliche soziale und politische Interessen und auch unterschiedliche Bestimmungen dessen, was allgemein gültig sein soll und als Kollektivgut angestrebt werden sollte, artikulieren. Konflikte, Auseinandersetzungen, Diskussionen, Spannungen sind also das Normale, nicht die Ausnahme. Zivilgesellschaftliche Organisationen und Zusammenschlüsse sind partikular, auch wenn sie sich auf universelle Werte beziehen, ja, sie stehen sogar in der Gefahr, umso partikularistischer zu sein, je höher ihr Universalitätsanspruch ist. Das schließt natürlich nicht aus, dass es innerhalb de Zivilgesellschaft immer wieder auch zu Kooperationen, zu Solidarität, Netzwerkbildungen und wechselseitiger Unterstützung oder auch zur Akzeptanz gemeinsamer Werte kommt. Aber typisch für die Zivilgesellschaft sind die Konkurrenz, der Streit der Interessen, Ideen und Meinungen, nicht der Konsens. Abgelehnt ist damit eine Vorstellung von Zivilgesellschaft, die diese als ein harmonisches Ganzes, das auf solidarischen Anerkennungsverhältnissen beruht, konzeptualisiert, wie dies teilweise im Kommunitaris1- 51 mus der Fall ist (Kneer 1997: 241). Der Zivilgesellschaft fehlt die Instanz, die kollektiv verbindliche Entscheidungen treffen und soziale Übereinstimmung herstellen könnte. Besitzt die Zivilgesellschaft kein einheitliches Ziel, kann sie auch nicht sagen, was eigentlich sein soll. Sie ist kein einheitliches normatives Projekt. Vielmehr werden in ihrem Raum die unterschiedlichsten Normen vertreten, was ihre allgemeinverbindliche normative Wirkung einschränkt. Zwar drückt sich in ihren Aktivitäten auch ein Misstrauen gegenüber den Selbstorganisationskräften des freien Marktes und den in ihm vorausgesetzten atomisierten Individuen aus. Zivilgesellschaftliches Engagement ist mehr als Kalkülrationalität und strategische Interessenverfolgung. Worin dieses Mehr jedoch besteht, lässt sich verbindlich nicht festlegen. Nicht einmal die Erwartung, dass es zu den Pflichten des Bürgers gehören sollte, sich zu engagieren und bürgerschaftliche Verantwortung zu übernehmen, kann als Norm formuliert werden, denn das hieße, Zwang auf den Einzelnen auszuüben und den freiwilligen Charakter des bürgerschaftlichen Engagements zu verletzen. Wohl aber kann gesagt werden, dass nur der zur Zivilgesellschaft gehört, der sich bürgerschaftlich engagiert. Zwischen Bürgergesellschaft, von der aufgrund der Gewährleistung liberaler Grund- und Freiheitsrechte kein Bürger ausgeschlossen werden kann, und Zivilgesellschaft wäre dementsprechend zu unterscheiden. Insofern ist es falsch, wenn Croissant u.a. (2000: 42, Anm. 5) behaupten, dass Zivilgesellschaft normativ definiert werden muss, um sie von Gesellschaft schlechthin unterscheiden zu können. Gehören aber alle, die sich politisch, sozial und kulturell engagieren, zur Zivilgesellschaft, auch diejenigen, die Konflikte schüren, Gewalt anwenden, Andersdenkende und Fremde 52 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA ausgrenzen und Menschenrechte und Gleichheitsprinzipien verletzen? Wie steht es mit Formen der Korruption, des Klientelismus und mafiosen Netzwerkstrukturen, die zweifellos ein kollektives Moment in sich tragen, aber der Allgemeinheit eher Schaden zufügen? Oder mit ethnischen Gemeinschaften, religiös fundamentalistischen Gruppierungen oder rechtsextremistischen Organisationen? Roland Roth (2002) spricht von den ,dunklen Seiten' der Zivilgesellschaft. Putnam (1993) unterscheidet zwischen ,bridging' und ,bonding social capital'. Während das erste bestehende soziale Grenzen überbrückt, richtet das andere Grenzen auf und befestigt sie durch Ansprüche auf Exklusivität. Habermas (1992) schließt aus dem zivilgesellschaftlichen Bereich Gruppierungen und Organisationen aus, die an vorgegebene Identitäten anschließen. Und in der Tat ist damit die Frage bezeichnet, der wir uns stellen müssen: ob Exklusivität beanspruchende, fundamentalistische, ethnisch zentrierte, gewaltbereite, konfliktschürende, das Gleichheitsprinzip verneinende Gruppen aus dem Bereich der Zivilgesellschaft ausgeschlossen werden müssen oder nicht. Meine Antwort lautet zunächst: Nein, denn die Grenzen zwischen exklusiven und inklusiven, zwischen gemeinschaftsbefördemden und konfliktproduzierenden, zwischen Gleichheit bejahenden und Gleichheit verneinenden Gruppen sind nicht immer streng zu ziehen. Gleichwohl könnte es sinnvoll sein, zwischen zentrischen Gruppen - d=.nen die Fähigkeit fehlt, das eigene Herkommen zu reflektieren, in einen weiteren Kontext zu stellen und damit zu relativieren - und azentrischen Gruppen, die diese Fähigkeit besitzen, zu unterscheiden (Plessner 1975: 291ff.). Ob zentrische Gruppierungen nicht zur Zivilgesellschaft gehören, möchte ich aus dem oben bereits erwähnten Grund der fließenden Übergänge zwischen den beiden Gruppentypen hier offenlassen. Wenn aber diese Unterscheidung aufgenommen wird, wäre dies eine Möglichkeit, festzuhalten, dass Zivilgesellschaft und Staat in der Demokratie Detlef Pollack zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA 53 hängig ist, etwa dem wirtschaftlichen Wohl- ob es für den Bereich der Zivilgesellschaft ein zur Zivilgesellschaft die Fähigkeit zur Selbstrefahrtsniveau, der Funktionalität des politischen funktionales Bezugsproblem gibt, auf das alle lativierung, zur Toleranz, zur Anerkennung des Institutionensystems, der Effektivität des Han- ihre Aktivitäten bezogen sind und das ihr insoanderen als gleichwertig und damit ein inklusidelns der politischen Eliten, der Verfügbarkeit fern ihre funktionale Einheit gibt. Dies scheint ves Demokratieverständnis gehört. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA von politischen Alternativen, so dass die zivil- nicht der Fall zu sein, was wohl auch damit gesellschaftlichen Strukturen nicht als hinrei- zusammenhängt, dass die Zivilgesellschaft kei2 Funktionen der Zivilgesellschaft chende Voraussetzung für die Konsolidierung nen systemischen, also durch klare Grenzen der Demokratie angesehen werden können. bezeichneten Charakter hat. Allerdings lässt Auf die Frage nach den Funktionen der ZivilEbenso ist zu konstatieren, dass das Vorhan- sich für einen Großteil der zivilgesellschaftligesellschaft wird in der Tradition von de Tocdensein einer Zivilgesellschaft noch nicht auto- chen Organisationen und Assoziationen sowie queville, Max Weber, Almond und Verba und matisch auch die Entstehung demokratischer In- des ungebundenen zivilgesellschaftlichen Enden Klassikern der Pluralismustheorie (Fraenstitutionen zur Folge hat. Die Zivilgesellschaft gagements ein Bezugsproblem ausfindig makel) häufig durch den Hinweis auf ihre Unververmochte die Machtergreifung des Faschismus chen, das diese beschäftigt: das Problem des zichtbarkeit für das Funktionieren der Demoweder in Deutschland noch in Italien zu verhin- Verhältnisses von Bürger und Staat. Im Verkratie geantwortet. Ohne die kulturelle Unterdern, und auch in Schweden wurde trotz seiner hältnis zwischen Bürger und Staat erfüllt die stützung der Demokratie, ohne Partizipation zivilgesellschaftlichen Infrastruktur die Demo- Zivilgesellschaft eine nach beiden Seiten hin an den demokratischen Institutionen, ohne die vermittelnde Funktion. Sie nimmt im Sinne kratie erst vergleichsweise spät eingeführt. Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme im von Habermas (1992: 443) gesellschaftliche demokratischen Gemeinwesen, ohne Vertrauen in die gesellschaftlichen Institutionen und Wenn also die Unverzichtbarkeit der Zivilge- Problemlagen aus den privaten LebensbereiKooperation mit ihnen würde der Demokratie sellschaft für die Stabilisierung und Konsoli- chen auf, kondensiert, diskutiert und verstärkt das kulturelle Fundament fehlen und die Stadierung der Demokratie noch nicht nachge- sie in der Öffentlichkeit und leitet sie an die bilität der Demokratie bedroht sein. Gern bewiesen ist, so ist doch weithin unbestritten, entsprechenden Kanäle des politischen Syszieht man sich in diesem Zusammenhang auf dass das Vorhandensein zivilgesellschaftlicher tems weiter. Insofern gibt sie einen Input in Putnam (1993), der für Italien die AbhängigInstitutionen, Verbände, Vereine und Assozia- die Prozesse der Politikgestaltung und der pokeit einer effizienten Regierung und Verwaltionen sowie die Ausbildung von Kooperati- litischen Entscheidungsfindung. Gleichzeitig tung und einer florierenden Marktökonomie onsbereitschaft und institutionellem Vertrauen trägt die Zivilgesellschaft mit ihren leistungsvon dem Ausbildungsgrad zivilgesellschaftliauf die Arbeit des politischen Systems eine starken Verbänden und Dienstleistungsorganicher Strukturen aufgewiesen habe. Jackman positive Wirkung ausüben. Anheier, Priller und sationen aber auch zur Politikimplementation und Miller (1996) machen gegen Putnam jeZimmer (2000: 72) sprechen in diesem Zu- bei und übernimmt damit auch Funktionen auf doch geltend, dass dieser Zusammenhang nur sammenhang von der Partizipations-, Integra- der output-Seite des politischen Systems (Annachzuweisen ist, wenn die zivilgesellschaftlitions-, Sozialisations- und Interessenartikula- heier u.a. 2000: 77). Man könnte die Vermittchen Einflüsse als ein Faktor behandelt wertionsfunktion. Croissant, Lauth und Merkel lungsfunktion in eine input-bezogene Sensorenden. Löst man sie dagegen in einzelne Variab(2000: l l f f ) machen eine Schutz-, Vermitt- und eine output-bezogene Implementationslen auf und untersucht man den Einfluss der lungs-, Sozialisierungs-, Gemeinschafts- und funktion unterteilen und die naheliegende Theeinzelnen Variablen auf das Funktionieren von Kommunikationsftmktion aus. Man könnte se aufstellen, dass das politische System wahrVerwaltung und Regierungshandeln, so weitere Funktionen, zum Beispiel eine Kritik- scheinlich umso implementierungs- und durchschwächt sich der Zusammenhang ab. Tatsächund Widerspruchs- oder eine Sensibilisierungs- setzungsfähiger ist, je sozial sensibler und relich ist ein schlüssiger Nachweis für die Unftmktion, benennen. Gewiss ist es aber nicht sponsiver es ist. verzichtbarkeit zivilgesellschaftlicher und sosinnvoll, die Liste möglicher Funktionserfülziokultureller Unterstützungsstrukturen für das lungen durch weitere zu ergänzen und nach Man muss allerdings einräumen, dass mit der Funktionieren der Demokratie noch nicht ernoch nicht erfassten Funktionen Ausschau zu Angabe der Vermittlungsfunktion nicht alle zibracht. Vielmehr muss gefragt werden, ob die halten. Vielmehr dürfte es für eine genauere vilgesellschaftlichen Assoziationen und InitiaStabilität der Demokratie nicht von einer VielBestimmung der Funktionen der Zivilgesell- tiven erfasst sind, da viele von ihnen nicht auf zahl nicht-zivilgesellschaftlicher Faktoren abschaft weiterführender sein, danach zu fragen, das politische System wirken, sondern zum [ 54 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Detlef Pollack zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA j Zivilgesellschaft und Staat in der Demokratie 55 Die sozialstrukturelle Verteilung des zivilgesellschaftlichen Engagements gibt einen weiteren Hinweis auf seine Entstehungsursachen. Unter den Engagierten sind Höhergebildete, Vollzeitbeschäftigte und Männer mittleren Alters überrepräsentiert, während sich Geringerqualifizierte, Arbeitslose und Jugendliche unterdurchschnittlich häufig engagieren (Agricola 1997; Braun 1997: 53; Otte 1998; Brömme/ Strasser 2001: 10). Es sind nicht vorrangig Um die Funktionsanalyse der Zivilgesellschaft, diejenigen, die in besonderen Notsituationen also die Erforschung des Zusammenhanges von in besonderen Deprivationssituationen steund Zivilgesellschaft und demokratischem politihen, die sich engagieren. Vielmehr sind es schen System, weiter voranzutreiben, scheint Merkmale wie materielle Sicherheit, geselles erforderlich zu sein, die Mechanismen der schaftliche Integration oder soziale Anerkenwechselseitigen Beeinflussung genauer zu unnung, die die Wahrscheinlichkeit bürgerschaftDie Gegenprobe zu der häufig geäußerten Thetersuchen. Solche Mechanismen könnten zum se, dass der Staat sich zurückhalten müsse, um lichen Engagements steigern. Verbandliche ParBeispiel sein: die Art der Rekrutierung politibürgerschaftliches Engagement nicht zu ver- tizipation ist insofern nicht ein Ersatz für manscher Eliten aus dem Bereich der Zivilgesellhindern, liefern die skandinavischen Wohl- gelnde gesellschaftliche Integration (Braun schaft, Netzwerkstrukturen, Agendasetting oder fahrtsgesellschaften (Joas 2001: 16). Bei ih- 2001: 4). Die Quellen bürgerschaftlichen Enauch Vertrauensbildung. In diesem Zusammennen handelt es sich zweifellos um Staaten, die gagements liegen nicht in der Krise der Gehang müsste dann auch untersucht werden, von sich für die Durchsetzung des Gemeinwohls sellschaft, sondern vor allem in der Gewährwelchen Faktoren die wechselseitige Beeineinsetzen, in denen aber gleichwohl die Vitali- leistung eines gewissen materiellen Wohlfahrtsflussbarkeit abhängt und worin mögliche Bartät der Bürgergesellschaft dadurch nicht unter- niveaus. rieren liegen. Eine mögliche Barriere für die miniert wird. Die einleuchtende These, dass Responsivität des Staates gegenüber zivilgeder Staat durch eine zu hohe Interventionsbe- Das trifft allerdings nur auf moderne Wohlsellschaftlichen Vereinigungen könnte zum reitschaft das Engagement der Bürger zurück- standsgesellschaften zu. Zwar gilt, so CroisBeispiel darin liegen, dass diese Vereinigundränge, muss also wohl relativiert werden. Die sant, Lauth und Merkel (2000: 27), internatiogenfinanziellzu stark vom Staat abhängig sind, Finanzierung der Organisationen des sogenann- nal im großen und ganzen, dass sich ein wachso dass ihnen eine glaubhafte exit-Option nicht ten Dritten Sektors erfolgt in Deutschland zu sender Differenzierungsgrad in gesellschaftlizur Verfügung steht. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA knapp zwei Dritteln aus dem Staatshaushalt che Pluralisierung umsetzt und zivilgesell(Bericht 2002: 31). Ohne die staatliche Unter- schaftlichen Gruppen bessere Entfaltungs- und 3 Ausbildung zivilgesellschaftlicher stützung würde die in den Verbänden und Ver- Einflussmöglichkeiten bietet. In einigen FälStrukturen einen geleistete Arbeit zusammenbrechen. len konvergiert die Entstehung und Gründung Im übrigen sollte man an dem eindeutig posiÜbrigens werden auch 60% der karitativen von zivilgesellschaftlichen Gruppierungen aber tiven Zusammenhang zwischen Demokratie Die Frage, der abschließend nachgegangen Leistungen der Kirchen in den USA vom Staat auch mit Entwicklungsblockaden und sozialen und Zivilgesellschaft durchaus Zweifel hegen, werden soll, lautet: Welche Umstände beförbezahlt (Monsma 2000: 99). Auch wenn das Krisen, so etwa in einigen Ländern Afrikas und zwar nicht nur, weil die Zivilgesellschaft dern die Entstehung von FreiwilligenorganisabürgerschaftHche Engagement gering sein soll- und Zentral- und Lateinamerikas (Croissant/ auch mit antidemokratischen Elementen durch- tionen, bürgerschaftlichem Engagement und te, muss dies also nicht mit den staatlichen Lauth/Merkel 2000: 28). Dort operieren die setzt sein kann (Lauth 1999), sondern weil - Ehrenamt und welche Rolle spielt der Staat Unterstützungsleistungen zusammenhängen. Selbsthilfe- und Nachbarschaftsorganisationen wie Almond und Verba sowie Huntington dabei? Ist es richtig, wie oft behauptet wird, Im Gegenteil: Zivilgesellschaftliche Gruppen oft als funktionaler Staatsersatz und gewinnen bereits in den sechziger Jahren herausstellten dass sich die Zivilgesellschaft um so eher entund Organisationen profitieren von den staat- aufgrund des Staatsversagens soziale Legiti- überbordendes Bürgerengagement die for- wickeln kann, je geringer die Einfluss- und lichen Strukturen, können sich an sie anlagern mität. Allerdings dürfte es wohl kaum berechmalen Institutionen der Demokratie überlasten Gestaltungsmöglichkeiten des Staates sind? und werden vom Staat finanziell unterstützt. tigt sein zu behaupten, dass die Wahrscheinund damit zur Destabilisierung des politischen Stellt die Zurückhaltung des Staates eine günsBeispiel lediglich Geselligkeits- und Gemeinschaftsfunktionen erfüllen. Insofern scheint es sinnvoll zu sein, zwischen einer politischen und einer vorpolitischen Zivilgesellschaft zu unterscheiden. Während der politischen Sphäre der Zivilgesellschaft die beschriebene Vermittlungsfunktion zukommt, nimmt die vorpolitische Sphäre der Zivilgesellschaft äußerst unterschiedliche Funktionen wahr, zum Beispiel Funktionen der musischen und künstlerischen Erziehung, der Körperertüchtigung, der Altenpflege, der religiösen Kommunikation, der Geselligkeit usw. Für den vorpolitischen Bereich scheint es schwer zu sein, eine spezifische Funktion für die Zivilgesellschaft ausfindig zu machen, die für alle ihre Aktivitäten typisch ist. Charakteristisch für diesen Bereich ist es offenbar vielmehr, dass sich die zivilgesellschaftlichen Aktivitäten kompensatorisch an die Erfüllung der Funktionen gesellschaftlicher Teilsysteme wie Kunst, Musik, Erziehung, Sport, Religion anlagern und mit den unterschiedlichen Kernfunktionen diffundieren. Insofern nimmt die Zivilgesellschaft in der Tat eine integrative Funktion wahr, wenn man auch sehen muss, dass moderne Gesellschaften auch andere, möglicherweise effektivere Formen der Integration bereithalten: wie etwa das Recht, die Anhebung des allgemeinen Wohlstandsniveaus, Chancen der geographischen und beruflichen Mobilität oder auch ihre Protest entmutigende Altemativenlosigkeit. Regimes beitragen kann (Welzel 1999: 209). Bürgerschaftliche Inaktivität kann ein Ausdruck von Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der demokratischen Institutionen sein, auch wenn gewöhnlich eine höhere soziale und politische Engagementsbereitschaft mit einem höheren Vertrauen in die politischen Institutionen einhergeht (Gabriel 2002: 154). tige Voraussetzung für ihre Stärkung dar? Die USA scheinen ein gutes Beispiel zu sein, um die These vom schwachen Staat bei starkem bürgerschaftlichen Engagement zu belegen. Wie die verwahrlosten und armen Stadtbezirke in den USA zeigen, lässt die Schwäche des Wohlfahrtsstaates jedoch nicht automatisch bürgerschaftliches - Engagement anschwellen (Joas 2001: 16). Karitative Bemühungen, politisches Engagement und zivilgesellschaftliche Selbsthilfe können trotz der Selbstbeschränkung des Staates auch ausbleiben. Das Verhältnis von Staat und Zivilgesellschaft ist kein Nullsummenspiel. 56 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA lichkeit der Herausbildung zivilgesellschaftlicher Strukturen um so höher ist, je größer die gesellschaftlichen Probleme sind. Gesellschaftliche Probleme, Restriktionen und Krisen setzen sich nicht unmittelbar in gesellschaftliches Engagement um. Notwendig ist ebenso das Vorhandensein materieller und ideeller Ressourcen wie Geld, Bildung oder Zeit. Zivilgesellschaft und Staat in der Demokratie Detlef Pollack zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Wertvermittlungsprozesse sind entscheidend für die Entstehung bürgerschaftlichen Engagements. Wichtig kann auch das Vorhandensein von gesellschaftlichen Anreizstrukturen sein. In dem Maße, in dem die Gesellschaft Möglichkeiten zu eigenverantwortlicher Gestaltung und zur Verantwortungsübernahme bereitstellt, finden sich einzelne häufig bereit, die ihnen zugemuteten Aufgaben zu erfüllen. In der Chancen- und Anforderungsstruktur liegt eine sozialisierende Kraft, die den Einzelnen zu fördern und zu fordern vermag. Aber auch die Fähigkeit, die eigene Situation als krisenhaft zu deuten, die Verantwortlichen für die Missstände ausfindig zu machen und Wege zur Bewältigung der Probleme zu erkennen, hat einen Einfluss auf die Engagementbe- Damit sind wichtige Bedingungen der Mögreitschaft. Um auf Probleme reagieren zu kön- lichkeit bürgerschaftlichen Engagements benen, muss die Situation des eigenen Handelns nannt. Man wird festhalten müssen, dass die gedeutet und begriffen werden. Empirische Bedingungen der Möglichkeit zivilgesellschaftUntersuchungen haben darüber hinaus gezeigt, lichen Engagements relativ komplex sind. Seidass die Bereitschaft zum bürgerschaftlichen ne Wahrscheinlichkeit wächst nicht automaEngagement mit dem Maß der sozialen Inte- tisch mit dem Ausmaß an sozialen, politischen gration in Familie, Nachbarschaft und Freun- oder ökonomischen Problemen, die sein Aufdeskreis wächst. Außerdem haben zweifellos kommen wünschenswert erscheinen lassen. die sozialisatorischen Erfahrungen, die das In- Vielmehr müssen für die Entstehung zivilgedividuum in seiner Herkunftsfamilie gemacht sellschaftlicher Aktivitäten Ressourcen an Zeit, hat, einen prägenden Einfluss auf die Bereit- Geld und Bildung verfügbar sein, die es erlauschaft zum bürgerschaftlichen EngaAlternativen SOZIALE SITUATION: Opportunitäten gement. Wenn MenRestriktionen schen in stabilen familiären Ordnungsstrukturen, in einer Atmosphäre intensiSituationsdeutung ver emotionaler Zuwendung aufwachsen, können Bezugspersonen Vörbildfunktionen erfüllen und auf diese Weise Wertbindungen erAkteur Bürgerschaftliches fahrbar machen • Ressourcen (Geld, Bildung, Zeit,...) (Klages 2001: 13). Engagement • soziale Integration Aber nicht nur diese, • Sozialisationserfahrungen sozialisatorischen Prägungen und 1 1 1 ben, auf die Probleme angemessen zu reagieren. Ebenso erhöht sich ihre Entstehenswahrscheinlichkeit, wenn der Einzelne sozial integriert und in soziale Netzwerke eingebettet ist und wenn zivilgesellschaftliche Werte wie Toleranz, Kompromissbereitschaft, Achtung vor dem andern oder Fairnis über die Sozialisation in der Herkunftsfamilie frühzeitig verinnerlicht und durch Vorbilder aus dem sozialen Nahbereich bestätigt wurden. Aber auch wenn günstige individuelle Voraussetzungen für die Ausbildung zivilgesellschaftlicher Verhaltensweisen gegeben sind, bildet sich bürgerschaftliches Engagement noch nicht unbedingt heraus. Es muss durch die politischen Opportunitätsstrukturen auch zugelassen und ermöglicht werden. Nur dort, wo sich politische Strukturen als beeinflussbar erweisen, besteht ein ausreichender Anreiz zum bürgerschaftlichen Engagement. Und natürlich wird es dort befördert, wo es sicherheitsdienstlich nicht unterdrückt oder verfolgt wird, sondern rechtsstaatlich geschützt ist. Zivilgesellschaftliche Aktivitäten erweisen sich so als durch vielfältige, teilweise durchaus widersprüchlich zusammengesetzte Voraussetzungen konditioniert. Individuelle Ressourcenausstattungen müssen mit situativen und gesellschaftliche Anreizen, Gelegenheitsstrukturen sowie einem gesellschaftlichen Bedarf zusammentreffen. Wirksam wird die Koinzidenz dieser äußeren und inneren Voraussetzungen nur dann sein, wenn das handelnde Individuum die äußeren Konstellationen auch als förderlich für die Umsetzung seiner politischen Intentionen interpretiert. Alles soziale Handeln ist durch Modelle von der Welt und der Rolle des Individuums in der Welt vermittelt und insofern kulturell gerahmt. Nur wenn eine solche Rahmung den Einsatz für nicht private Ziele als wünschenswert, machbar und effektiv erscheinen lässt, wird er zustande kommen. 5_7_ Wie man sich das Zusammenwirken der unterschiedlicher Faktoren bei der Herausbildung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten vorstellen kann, zeigt Schaubild auf der vorherigen Seite. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPON Detlef Pollack arbeitet seit 1995 als Professor für vergleichende Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). zyxwvutsr Anmerkungen 1 Dies ist bekanntlich äußerst schwierig, denn Motive können vorgeschoben werden, sich mit anderen Motiven vermischen, mehr oder weniger bewusst sein, sich im Laufe der Handlung verändern usw. (vgl. Weber 1972: 4f.). Literatur Agricola, Sigurd 1997: Vereinswesen in Deutschland, Stuttgart. Anheier, Helmut K./Priller, Eckhard/Zimmer, Annette 2000: Zur zivilgesellschaftlichen Dimension des Dritten Sektors. 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Vortrag auf der Workshoptagung „Dekehr zu traditionellen Werten? In: Aus Politik und mokratie und Sozialkapital: Die Rolle zivilgesellZeitgeschichte, B 29,7-14. schaftlicher Akteure", 28./29.6.2002. Siehe auch Kneer, Georg 1997: Zivilgesellschaft. In: Kneer, seinen Beitrag in diesem Heft. Georg/Nassehi, Armin/Schroer, Markus (Hg.): So- Roth, Roland 2002: Sondervotum. In: Bericht ziologische Gesellschaftsbegriffe: Konzepte mo- 2002, 36. derner Zeitdiagnosen. München, 228-251. Weber, Max 1972: Wirtschaft und Gesellschaft. Lauth, Hans-Joachim 1999: Strategische, reflexi- Grundriss der verstehenden Soziologie. Tübingen. ve und ambivalente Zivilgesellschaften: Ein Vor- Welzel, Christian 1999: Humanentwicklung und schlag zur Typologie von Zivilgesellschaften im der Phasenwechsel der Zivilgesellschaft: Ziviles Systemwechsel. In: Zinecker, Heidrun (Hg.): Un- Engagement in 50 Nationen. In: Lauth, Hans-Joavollendete Demokratisierung in Nichtmarktöko- chim/Liebert, Ulrike (Hg.): Im Schatten demokranomien. Amsterdam, 95-120. tischer Legitimität: Informelle Institutionen und Luhmann, Niklas 1997: Die Gesellschaft der Ge- politische Partizipation im interkulturellen Demosellschaft. Frankfurt/M. kratievergleich. Opladen, 207-236. 59 Roland Roth zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Die dunklen Seiten der Zivilgesellschaft Grenzen einer zivilgesellschaftlichen Fundierung von Demokratie 1 Zivilgesellschaft als Wundermittel Seit Robert Putnams Italien-Studie ,Making Democracy Work' (1993) ist ein verstärktes Interesse an den gesellschaftlichen Bedingungen für die Funktionsfähigkeit liberaler Demokratien zu beobachten. Im Zentrum steht dabei jene Sphäre jenseits von Markt und Staat', die mit solch unterschiedlichen Konzepten wie .Zivilgesellschaft', .Bürgergesellschaft', ,Netzwerkgesellschaft' oder .Dritter Sektor' beschrieben wird. .Social capital' Sozialkapital bzw. Sozialvermögen - ist dabei zu einem Schlüsselbegriff avanciert, der in unterschiedlichen Operationalisierungen in die historische und empirische Forschung Einzug gehalten hat. Die emphatische Wiederentdeckung Tocquevilles für die politische Theorie weist in die gleiche Richtung (Wolin 2001). Trotz der pessimistischen Grundstimmung von Putnams US-Diagnose .Bowling Alone' (1995; 2000) überwiegen heute positive Erwartungen. Die Sphäre bürgerschaftlicher Selbstorganisation ist zum Hoffnungsträger avanciert, während sie in konservativen wie in marxistischen Zeitdiagnosen der 1960er und 1970er Jahre eher argwöhnisch als Quelle von krisenhaften Entwicklungen betrachtet wurde. In Herbert Marcuses .eindimensionalem Menschen' wie in Daniel Beils Skizze der .postindustriellen Gesellschaften' zersetzten Bindungsverluste, Individualisierung und ein exzessiver Hedonismus bürgerschaftliche Orientierungen. Vorbei scheinen auch jene Zeiten, in denen die Rede über Zivilgesellschaft prinzipiellen Zweifeln im Sinne einer Phantomdebatte über ein ,postmodernes Kunstprodukt' ausgesetzt war (Heins 2002). Besonders seit der anhaltenden Karriere des Konzepts ,soziales Kapital' mit seinen zahllosen Anwendungsgebieten erleben wir eine empirische Wendung der Debatte, beflügelt von großen Erwartungen. Das bürgerschaftlich hervorgebrachte soziale Kapital soll im Ideal dreierlei gleichzeitig leisten: • soziale Integration durch verlässliche Beziehungen und soziale Netzwerke fördern, • ökonomische Entwicklung durch Kooperationsbereitschaft und Vertrauen jenseits von Vertragsveihältnissen unterstützen und •• demokratische Potentiale durch Selbstorganisation, Gemeinsinn und politisches Vertrauen stärken. Es ist nicht bei akademischer Wunschproduktion und Kritik geblieben. Auch wenn soziales Kapital nicht einfach wie eine Ware .produziert' werden kann, gibt es in der Hoffnung auf entsprechende soziale, ökonomische und politische Erträge inzwischen einen breites Spektrum von fördernden Handlungsstrategien, die in vielen Dienstleistungsberufen und Politikfeldern - vom betrieblichen Management bis zur Sozialarbeit - diskutiert und erprobt werden. So gehört die Netzwerkförderung heute bereits zum Standardrepertoire in der Ge- 60 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Roland Roth zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Die dunklen Seiten der Ziviigesellschaft meinwesenarbeit und der Gesundheitsprävention, aber auch in der staatlichen Unterstützung bürgerschaftlichen Engagements, wie in dem seit zehn Jahren geförderten Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement in Baden-Württemberg . Die Weltbank hat ihre Armuts- und Mikrokreditprogramme auf die Förderung sozialen Kapitals und EmpowermentStrategien abgestellt . Stärkung der Zivilgesellschaft lautet der gemeinsame Nenner der zahlreichen Programme und Maßnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, die nach dem Sommer 2000 in der Bundesrepublik aufgelegt wurden . Ob es nun um Armut, Alter oder Rechtsextremismus geht, gemeinsamer Nenner dieser wenigen Beispiele ist ihre zivilgesellschaftliche Orientierung. Bei genauerem Hinsehen stellt sich jedoch meist heraus, dass es eher wie ,China-Öl' benutzt wird: ein wenig davon könnte ja helfen, zumindest schadet es nicht und es wird gern genommen. Jedenfalls wird nicht auf flankierende .härtere' Medikamente verzichtet. Das Landesnetzwerk ist nur eine kleine bürgerschaftliche Insel in der .normalen' Landespolitik Baden-Württembergs, die Weltbank agiert noch stets in erster Linie als Bank, und die zivilgesellschaftliche Mobilisierung gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus ist von den Präventions- und Repressionsstrategien der staatlichen Sicherheitsapparate eingehegt. Liegt dieses begrenzte Vertrauen staatlicher Politik nur am eigenen Beharrungsvermögen und der notorischen Angst vor den Bürgerinnen und Bürgern oder kommt darin die berechtigte Skepsis zum Ausdruck, der dreiZivilgesellschaft und .soziales Kapital' haben, fache Synergieeffekt sozialen Kapitals sei einso könnte es scheinen, den Status eines Wun- fach zu schön, um wahr zu sein? Kann sich dermittels erreicht, einsetzbar für fast alle ge- der zivilgesellschaftliche Optimismus eigentlich auf wissenschaftliche Befunde stützen? sellschaftlichen Probleme. 1 2 3 Die erste Runde von Länder- und Bereichsstudien zur Wirkung sozialen Kapitals hat eher ambivalente Ergebnisse erbracht . Wer die zahlreichen empirischen Gutachten sichtet, die von der EnqueteKommission des Bundestags , Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements' in Auftrag gegeben wurden, lernt den Dritten Sektor als eine durchaus lebendige Sphäre kennen, die in einigen Berei4 61 chen eher auf Zuwachs angelegt, insgesamt Vertrauen in politische Institutionen (Newton aber keineswegs schwindsüchtig ist . Altes 2001; Gabriel et al. 2002). Die neuen Bundesstirbt ab, aber Neues kommt hinzu. Ökono- länder bieten hierfür ein brisantes Beispiel. Dort misch orientierte Analysen verweisen auf die hat die Assoziations- und Vereinsdichte nach steigende Bedeutung des Dritten Sektors für der Wende deutlich zugenommen, während das Beschäftigungszuwächse, aber auch seine soziale und politische Vertrauen drastisch abstrukturelle Abhängigkeit von Staat und Markt gesunken ist. Es wäre zu einfach, die Ursa(PriDer/Zimmer 2001). Längst haben zivilge- chen hierfür ausschließlich bei politischen Fehlsellschaftliche Akteure ihr nationales Laufställ- entscheidungen und ökonomischen Leistungschen verlassen und bevölkern in wachsender schwächen zu suchen. Eine wichtige Quelle Zahl die transnationale bzw. globale Ebene. dürfte in der Zivilgesellschaft selbst zu suchen Seit 2001 erscheint ein Jahrbuch .Global Civil sein. Society' (Anheier et al. 2001). Zivilgesellschaft - etwa gemessen an der Zahl der freiwilligen Demokratieförderliche bzw. demokratieverträgVereinigungen und Mitgliedschaften - ist also liche Wirkungen können erst dann angemesweder auf nationaler Ebene generell im Rück- sen erfasst werden, wenn auch die gegenläufizug, noch auf dieses Spielfeld begrenzt. Es gen anti-demokratischen und unzivilen Tengibt also die bunte, vielfältige, formenreiche denzen innerhalb ,realer Zivilgesellschaften' und dicht vernetzte Sphäre gesellschaftlicher ernsthaft berücksichtigt werden. Vor allem geht Selbstorganisation, die als notwendige Bedin- es dabei um die Überprüfung von zwei zentragung stabiler Demokratien angesehen wird. len Hypothesen der ,guten Zivilgesellschaft': Aber der Zusammenhang zwischen Zivilge- der Sozialisations- und der Transferhypothese: sellschaft und Demokratie erwies sich als nicht (1) Assoziationen sind für ihre Mitglieder Orte, so zwingend, wie dies Putnam und die Toc- an denen sie demokratische Tugenden lernen. queville-Tradition nahe legen. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIH (2) Diese zivilgesellschaftlich erworbenen Tugenden wirken sich positiv auf prosoziale Einstellungen, politisches Vertrauen und demokra2 Schattenseiten tische Beteiligung aus. Zunächst einige Beobder Zivilgesellschaft achtungen, die gegen diese Hypothesen spreOhne auf die theoretische Debatte einzugehen, chen: möchte ich mich vor allem auf konzeptionelle und empirische Schwächen konzentrieren, die 2.1 In schlechter Gesellschaft dann bedeutsam werden, wenn das normative Konzept Zivilgesellschaft - wie etwa in den Ohne Zweifel sind auch die ZivilgesellschafPutnam-Studien - zur Grundlage von Gesell- ten westlicher Demokratien von Gruppen und schaftsanalysen gemacht wird, d.h. wenn es Zusammenschlüssen bevölkert, die anti-zivile um die Erforschung ,realer Zivilgesellschaf- Werte vertreten und praktizieren. Dieser hässten' geht . In erster Linie geht es um die Zwei- liche Sektor der Zivilgesellschaft sozialisiert fel am demokratischen Mehrwert einer vitalen seine Mitglieder in Richtung ,bad civil socieZivilgesellschaft. .Interessant, aber unerheb- ty' (Chambers/Kopstein 2001). Hass, Intolelich', lautet eine wenig ermutigende Diagnose ranz, Rassismus, Antisemitismus gehören z.B. über den demokratischen Nutzen zivilgesell- zu den Botschaften von rechtsextremen Kaschaftlicher Vereinigungen (van Deth 2000). meradschaften in der Bundesrepublik, aber Soziales Kapital füttert nicht notwendig das auch der us-amerikanischen ,Nation of Islam' 5 6 62 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA eines Louis Farrakhan. Für ihre Mitglieder bieten solche Zusammenschlüsse einige der Segnungen des .sozialen Kapitals', denn sie schaffen möglicherweise Vertrauen, Geborgenheit und wechselseitige Unterstützung. Zentrale demokratische Tugenden wie Zivilität im Sinne von Toleranz, Anerkennung, Respekt und Gewaltfreiheit vermitteln sie jedoch nicht. Die Existenz von Gruppierungen einer ,bad civil society' wird in der Regel nicht geleugnet, aber analytisch nur unzureichend berücksichtigt. 7 Die von Putnam übernommene Unterscheidung von ,bonding' und ,bridging' social capital stellt einen ersten Versuch dar, dem Problem näher zu kommen. Das soziale Kapital, das durch enge Beziehungen (Familie, Freundschaften, abgeschlossene, exklusive Gemeinschaften etc.) gebildet wird (,bonding'), konzediert Putnam (2000: 22ff), muss nicht notwendig demokratieförderlich sein, während diese Leistung von heterogen zusammen gesetzten, offenen, freiwilligen, inklusiven Assoziationen (,bridging') erwartet werden kann. Mit zwei Argumentationsstrategien schiebt er allerdings die Schattenseiten des sozialen Kapitals an den Rand. Zum einen argumentiert er strikt funktional: bonding social capital sorge für die Hühnersuppe am Krankenbett, während bridging social capital bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz hilfreich sei. Dabei geht es doch gerade um dysfunktionale und nicht-intendierte Effekte sozialen Kapitals, mit denen immer auch gerechnet werden muss. Zum anderen bietet Putnam Makrodaten, wo es eigentlich um die Klärung von MikroZusammenhängen geht. Intolerante und exklusive Wirkungen von Zusammenschlüssen lassen sich nicht dadurch entkräften, dass auf der Makroebene Gegentendenzen wie z.B. ein Zuwachs an Toleranz (in der US-Gesellschaft seit den 1950er Jahren) oder zunehmende soziale Ungleichheiten (in den USA seit den 1980er Jahren) angeführt werden können (Putnam 2000: 350ff). Die dunklen Seiten der Ziviigesellschaft Roland Roth zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Gerade Deutschland bietet reichlich Anschauungsmaterial zum Thema ,bad civil society'. Das üppige Vereins- und Assoziationswesen des Kaiserreichs und der Weimarer Republik, schon von den Zeitgenossen als Vereinsmeierei verspottet, trug erheblich zur Stärkung antidemokratischer Tendenzen und schließlich zum Ende der ersten Republik bei. Die wilhelminische Vereinsmeierei reproduzierte in ihren geschlossenen Zirkeln nicht nur soziale Distanz, Standesdünkel und Reputationsgehabe, sondern prägte eine politikferne und herrschaftskonforme Untertanenmentalität . Die Vereine hatten zudem ihren Anteil am Alltag einer .satisfaktionsfähigen Gesellschaft', die den Reserveoffizier zu ihrem Leitbild erkoren hatte. Ihr Resultat lässt sich allenfalls mit der Paradoxie einer .militarisierten Zivilgesellschaft' beschreiben (Elias 1989; Reichardt 2001). In scharfem Kontrast zu den Annahmen der Tocqueville-Tradition kam aus diesem dichten Assoziationsgeflecht kein starker Impuls in Richtung auf ein demokratisches Gemeinwesen. 8 Während ältere, massentheoretisch inspirierte Deutungen davon ausgingen, es seien die isolierten Einzelnen gewesen, die für den Aufstieg der Nazis gesorgt hätten, kommt Sheri Berman mit Blick auf neuere historische Studien zu dem Ergebnis, dass gerade das blühende Assoziationswesen der Weimarer Republik den Aufstieg der NSDAP in den Jahren von 1928-1933 begünstigte: „The Nazis had infiltrated and captured a wide ränge of national and local associations by the early 1930s, finally bridging the gap between bourgeois civil society and party politics that had plagued Germany for half a Century" (Berman 1997: 424). Der politische Mehrwert, der in zivilgesellschaftlichen Zusammenschlüssen gebildet wird (Erwerb von politischen und sozialen Fähigkeiten, soziale Bindungen, Mobilisierungschancen, größere Bereitschaft zu kollektivem Han- 63 dein), kann offensichtlich in extrem gegensätz- kommen zu dem Ergebnis, es sei in demokratisch-menschenrechtlicher Hinsicht eher beliche politische Projekte investiert werden. grüßenswert, dass diese Spielarten des AssoDies muss jedoch nicht zum dem Schluss füh- ziationswesens zerfallen sind. zyxwvutsrqponmlkji ren, das Assoziationswesen sei ein politisch neutraler Verstärker, eine intermediäre Variab- 2.2 Reale Zivilgesellschaften le (so Berman 1997: 427). Beobachtungen von Max Weber Und Norbert Elias sensibili- Normative Porträts von Zivilgesellschaften lesieren stattdessen für die spezifische innere sen sich gelegentlich wie Neuauflagen der klasVerfassung von Zivilgesellschaften. Anti-de- sischen Pluralismustheorie. Vielfältige Intermokratische oder militaristische Orientierun- essenorganisationen und Assoziationen konkurgen sind nicht nur in rechtsradikalen Hass- rieren auf einem prinzipiell offenen Markt, gruppen zu hause , sondern lassen sich auch zahlreiche und wechselnde Mitgliedschaften im bürgerlichen Idealverein finden. Dass Ver- fördern Toleranz und andere demokratische eine selbst ein Herrschaftsverhältnis darstel- Tugenden. Dem widerspricht z.B. die deutlen und nicht davon suspendieren, war für sche Tradition des .organisierten Kapitalismus', Max Weber noch selbstverständlich (Weber der eine Reihe von starken, rechtlich privile1988: 444). Davon ist in idealisierenden so- gierten Vereinigungen hervorgebracht hat - ercial capital'-Konzepten, die Vereine heute pau- innert sei nur an das Parteienprivileg und die schal als freiwillige Vereinigungen mit de- institutionelle Subsidiarität, die den besondemokratischen Entscheidungsstrukturen und ren Status der deutschen Wohlfahrtsverbände ehrenamtlichem Engagement beschreiben und begründet. Da über diese Vereinigungen auch damit zur ,Schule der Demokratie' verklären, der Zugang zu wichtigen Teilarbeitsmärkten nichts mehr zu spüren (kritisch hierzu Braun geregelt wird, gerät die .freiwillige' Mitglied2003a). Es kommt offensichtlich doch auf den schaft nicht selten zur Fiktion (Tendenzbetriespezifischen Charakter des jeweiligen Asso- be, Ämterpatronage etc.). Vernachlässigte ziationswesens, auf die ihm eigene politische ,schwache' Interessen und neue Themen haKultur an, ob es in dem einen Fall liberale ben es unter diesen Bedingungen besonders Demokratien trägt und im anderen Fall auto- schwer (Willems/von Winter 2000). ritäre Regime begünstigt. Vielfältige, aber segmentierte, in politische Lager gespaltene, teils Die Vermachtung von Zivilgesellschaften auf subkulturell abgeschottete Zivilgesellschaften der Ebene der Assoziationen wird zudem durch - wie im deutschen Kaiserreich und der Wei- den Abstand zwischen ressourcenstarken und marer Republik - bieten offenbar keine Un- ressourcenschwachen Individuen gefördert. Der terstützung für die Tocqueville-These. Weder Mittelschichtsbias bürgerschaftlichen Engageder bürgerliche Idealverein noch die Politik ments ist nur eine von vielen Ausdrucksfordes proletarischen Lagers brachten jene Of- men dieser Asymmetrie. In der Folge gibt es fentlichkeitsformen hervor, die für Lernpro- nicht nur die normativ gewünschten offenen zesse in Richtung Demokratiefähigkeit för- Assoziationen, sondern auch mehr oder weniderlich gewesen wären . Nicht nur histori- ger exklusive Clubs. Lager, Klassen, Schichsche Studien zum Vereinswesen der Kaiser- ten und Milieus prägen auch das Assoziationszeit und der Weimarer Republik, sondern auch wesen (Braun 2003). Im .gehobenen' Bereich zu freiwilligen Vereinigungen in den USA am der Zivilgesellschaft wird auf Exklusivität, soEnde des 19. Jahrhunderts (Kaufman 2002) ziale Distanz und Distinktion geachtet und wer9 10 64 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA den diese durch Praktiken der sozialen Schließung gesichert. Dies gilt nicht nur für Rotary Clubs; hierarchisch strukturiert sind auch die weniger prätentiösen Welten der Kultur-, Freizeit- und Sportvereine. Das Assoziationswesen liegt nicht jenseits sozialer Ungleichheiten, sondern bietet ein spezifisches Terrain, auf dem milieuspezifische Lebensstile (Michael Vester u.a.), ,hidden injuries of class' (Richard Sennett/Jonathan Cobb) oder ,feine Unterschiede' (Pierre Bourdieu) gelebt und erlitten werden. Dass es dabei auch heute zu antagonistischen Lagerbildungen kommen kann, zeigt sich nicht nur an den gewaltintensiven Rändern von Jugendkulturen. Die Folgen sozialer Abgrenzungen und Schließungen für politische Lernprozesse dürften erheblich sein und markieren eine offene Flanke für das demokratische Potential von Zivilgesellschaften. Je stärker z.B. das Vereinswesen alltäglich als Ausdruck von Exklusivbürgerschaft erfahren wird, desto weniger kann es zur Entfaltung von Bürgertugenden beitragen. Eine komparative Studie hat jüngst gezeigt, dass Organisationen, deren Mitglieder auch in anderen Gruppen aktiv sind (.connected associations'), einen stark positiven demokratischen Einfluss haben, während ,isolated associations' einen stark negativen Einfluss aufweisen (Paxton 2002: 272). Die dunklen Seiten der Zivilgesellschaft Roland Roth zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA dern eine ähnliche politische Bedeutung zukommen soll wie z.B. der Mitarbeit in einer Bürgerinitiative oder der Teilnahme an einem Protestmarsch, lässt sich nur schwer begründen. Dass eine wachsende Zahl von Vereinen und Mitgliedschaften keineswegs das Vertrauen in die politischen Institutionen und Amtsinhaber stärken muss, zeigen die Befunde für die neuen Bundesländer, wo seit der Wende eine Scherenentwicklung zu beobachten ist. Aber die Transferannahme ist selbst innerhalb des Spektrums der politischen Beteiligung fraglich, denn die Zunahme unkonventioneller' Formen ist in vielen Ländern mit einer Abnahme konventionellen politischen Engagements (z.B. Parteimitgliedschaften) verbunden (Norris 2002). Freiwillige Vereinigungen und Selbsthilfegruppen agieren nicht in einem gesellschaftlichen Freiraum, sondern siedeln sich zumeist in besonderen institutionellen Umwelten - z.B. des Bildungs-, Sozial- und Gesundheitswesens an. Die innere Verfassung dieser institutionellen Orte (z.B. von Schulen), die je nach Lebensphase einen Großteil unseres Alltagslebens prägen, dürfte mit entscheidend für das spezifische politische Gewicht sein, das zivilgesellschaftlichen Assoziationen und Bürgerengagement zukommt. In der Auseinandersetzung mit Zum problematischen Erbe der Tocqueville- den - in der deutschen Tradition zumeist büroTradition gehört die Annahme, dass sich ge- kratischen - Organisationsumwelten entwickelt sellschaftliches Engagement positiv auf poli- sich die politische Kultur von Vereinigungen, tisches Vertrauen und Beteiligungsbereitschaft sei es in Opposition zu, sei es in der allmähliauswirkt. Die demokratieförderliche Wirkung chen Übernahme von bürokratischen Herrgesellschaftlicher Beteiligung - wie etwa am schaftsmustern bzw. ihrer Überwindung. So Vereinsleben - wird noch immer eher unter- ist in demokratiepolitischer Perspektive z.B. stellt als nachgewiesen (Braun 2003a). Die die ,innere' und ,äußere' Öffnung von Schuvorhandene empirisch vergleichende For- len eine wichtige Voraussetzung, um soziales schung hat den Zusammenhang zwischen As- Kapital und Bürgerengagement in diesem Besoziationsdichte und demokratischer Entwick- reich zu fördern (vgl. Enquete-Kommission lung nicht bestätigt (Gabriel et al. 2002: 264; 2002: 550ff). Wie bedeutsam solche institutiNorris 2002: 166). Warum einem Kuchenba- onellen Kontexte und die damit verbundenen sar oder dem Picknicken mit Vereinsmitglie- Traditionen für die Entfaltung und die politi- 65 Gefahren an den Grenzen sehen Wirkungen des Assoziations wesens sind, 3 machen die vorliegenden Länderstudien übereinstimmend deutlich. Nationale und regiona- Welche demokratisierende Wirkung zivilgesellle Traditionen prägen die spezifischen Entwick- schaftliche Organisationen entfalten können lungspfade von Zivilgesellschaften und brin- und wie es um ihre innere Verfassung bestellt gen durchaus unterschiedliche nationale Profi- ist, hängt nicht zuletzt von den Einflüssen ab, le hervor (Salamon et al. 1999; Putnam 2001; die von den nicht-zivilen Sphären auf die ZiPippa. 2002; Gabriel et al. 2002). Im Kontrast vilgesellschaft einwirken. Dies gilt für die Präzu generalisierten modernisierungskritischen gewirkungen des Staates, für die kapitalistisch Zerfallsaussagen im Sinne des Putnamschen verfasste Ökonomie, aber auch für eine famili,bowling alone' entwickeln sich nationale As- al dominierte Privatsphäre. Über alle drei soziationskulturen eher kontextspezifisch, frag- Grenzbeziehungen von Zivilgesellschaften mentiert und uneinheitlich (Pippa 2002: 144fF). existieren konträre Annahmen. Die klassische Religiöse Traditionen, Staatsnähe oder Staats- politische Theorie betrachtete vor allem in ihferne geben grobe Anhaltspunkte. Risto Ala- ren Vertragsmodellen den Staat (Hobbes), die puro (2002) spricht von einem national spezi- Marktökonomie (Mandeville) und die Familie fischen ,associational idiom', das vermutlich noch als konstitutiv für Zivilgesellschaft: ohne um regionale Differenzierungen erweitert wer- den wechselseitigen Gewaltverzicht der Bürden müsste. Sein Frankreich/Finnland-Ver- ger zugunsten der Staatsgewalt keine Zivilgegleich konstatiert, dass die unabhängigere, weil sellschaft, ohne die marktökonomische Veradministrativ blockierte französische Zivilge- wandlung von Leidenschaften in Interessen der sellschaft dem Ideal der staatsfernen Zivilge- konfessionelle Bürgerkrieg, ohne die Sozialisellschaft zwar näher komme, dies aber um sationsleistungen und Solidaritäten der Famiden Preis relativer Einflusslosigkeit (vgl. lien kein gesellschaftlicher Zusammenhalt. RaBarthelemy 2000). Dagegen sei in Organisati- tionalität, Kooperation, Selbstverantwortung onsgesellschaften, wie derfinnischen,die Ein- und Selbstkontrolle sind einige der zivilisiebindung zivilgesellschaftlicher Akteure in staat- renden Nebenprodukte, die kapitalistisch verliche Politik üblich, allerdings häufig auf Kos- fassten Ökonomien zugeschrieben wurden. Sie ten selbstbewusster, auch konfliktbereiter In- galten als die eigentlichen Produktionsstätten teressenartikulation. Das deutsche Beispiel ver- von Zivilität und damit als Grundlage von Ziweist auf die Möglichkeit des Nebeneinanders vilgesellschaft. Nicht nur Karl Marx, sondern von Einbindung und Protest, begleitet von ei- auch Antonio Gramsci schwärmte von den ziner entsprechenden Segmentierung der Zivil- vilisatorischen Leistungen des Kapitalismus gesellschaft in einen privilegierten und einen (Fordismus), ohne jedoch blind für die Kosten marginalen Sektor. Ohne es im einzelnen zu dieses ,Projekts' zu sein. Heute sind wir gewissen, können wir davon ausgehen, dass in- neigt, von den ,Rändern' der Zivilgesellschaft dividuelle Lernprozesse in Vereinigungen er- eher Bedrohungen für eine demokratisch geheblich vom ,associational idiom' einer Zivil- stimmte zivilgesellschaftliche Entwicklungen gesellschaft abhängen". Je korporatistischer die zu erwarten. Staat, Märkte und Familien werEinbindung zivilgesellschaftlicher Organisati- den zwar konzeptionell als Sphären jenseits onen ausfällt, desto weniger dürften sie den der Ziviigesellschaft behandelt, obwohl eine Idealen autonomer, selbstorganisierter und frei- wesentliche Leistung von Zivilgesellschaften williger Assoziation entsprechen und demo- - die Produktion von Sozialkapital bzw. Verkratische Lemorte anbieten. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGF trauen - keineswegs auf diese beschränkt ist. 66 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Roland Roth zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Die dunklen Seiten der Zivilgesellschaft Wir können vielmehr davon ausgehen, dass Förderung von benachteiligten Gruppierungen auch und gerade jenseits der Zivilgesellschaft (z.B. durch Gender-Mainstreaming) korrigie- vermutlich sogar in größerem Umfang und rend ein. Bürgerschaftlich engagierte Eltern nachhaltiger in den Wirkungen - Sozialkapital können als Vorbild für ihre Kinder wirken, pagebildet, zirkuliert bzw. verbraucht wird. Wir triarchale Familienstrukturen untergraben desprechen z.B. von ,low trust' und ,high trust' mokratische Kompetenzen, während familiaKooperationsmustern in Industriebetrieben, von ler Zusammenhalt noch immer eine wichtige amoralischem Familialismus, Klientelismus Ressource gegen soziale Exklusion sein kann. und individualisierten Aushandlungsbeziehun- Schon diese einfachen Beispiele machen deutgen, von bürokratischer Herrschaft oder von lich, dass über den zivilen bzw. unzivilen ChakooperativerzyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA Verwaltungskultur. Diese Alter- rakter von Zivilgesellschaften nicht nur endonativen verweisen nicht nur darauf, dass Märk- gene' Faktoren entscheiden, sondern Kräfte aus te, Arbeitsbeziehungen, Familien oder andere anderen gesellschaftlichen Bereichen wirksam Lebensgemeinschaften und der Staat bei der werden. Wie und in welchem Umfang, ist nicht Frage nach dem sozialen Kapital einer Gesell- zuletzt eine empirische Frage. Jedenfalls hilft schaft sinnvoller Weise berücksichtigt werden weder das Idyll einer prinzipiell ,guten' Zivilmüssen, sondern verdeutlichen auch, dass ihr gesellschaft, die es gegen schlechte Einflüsse Gewicht und die Richtung der Einflussnahme von außen abzuschotten gilt, noch das Gegenauf die Bildung und den Verschleiß von Sozi- bild einer Ansammlung von Ichlingen und boralkapital in zivilgesellschaftlichen Assoziatio- nierten Clubs, deren Egoismus nur durch staatnen keineswegs feststeht. Dies bedeutet, dass liche Rechtssetzung und Gemeinwohlverpflichdie Analyse ,realer Zivilgesellschaften' z.B. tung begrenzt werden kann. weder von der Kapitalismus- noch von der Genderfrage abstrahieren kann. Wenn von Schattenseiten der Zivilgesellschaft die Rede ist, werden vor allem die sichtbaren Alexander (1998: 8f) hat systematisch drei negativen Effekte - von der Mafia bis zur poliRichtungen der Einflussnahme aus den nicht- tischen Korruption, von internationalen Terzivilen Spären unterschieden: ermöglichende rornetzwerken bis zur Steuerflucht, vom E l Unterstützung, destruktives Eindringen und zi- lenbogenliberalismus der Wirtschaftseliten bis vile Reparatur (facilitating inputs, destructive zu den fremdenfeindlichen Attacken Jugendliintrusions, civil repair). So begünstigt gesicher- cher - thematisiert, die sich aus endogenen te Erwerbsarbeit im Rahmen von Normalar- wie aus exogenen Quellen speisen können. Von beitsverhältnissen in der Regel zivilgesell- , unziviler Gesellschaft' zu sprechen, setzt ein schaftliches Engagement. Arbeitslosigkeit und normatives Konzept voraus, das z.B. an WerArmut wirken hingegen destruktiv, während ten wie Friedfertigkeit, Freiwilligkeit, ÖffentArbeitsrecht und Sozialpolitik diese negativen lichkeit und Gemeinschaftlichkeit/Solidarität Auswirkungen »reparierend' abfedern sollen. (Lohmann 2003) orientiert ist und entsprechenDie staatliche Garantie von zivilen, politischen de Abweichungen als .unzivil' einstuft. Jenund sozialen Bürgerrechten trägt zur zivilen seits des Theaterdonners kurzatmiger SkandaSelbstorganisation bei, während sicherheits- lierung kann ihre Thematisierung dazu dienen, staatliche Einschränkungen von Bürgerrechten die Frage nach einer demokratieförderlichen (z.B. durch Versammlungs-, Demonstrations-, oder zumindest demokratieverträglichen EinParteien- und Organisationsverbote) destruktiv bettung und der inneren Verfassung gegenwärwirken können. Hingegen greift die gezielte tiger realer Zivilgesellschaften, die immer auch 67 mehr oder weniger unzivile Gesellschaften zur dritten Auflage eines internationalen Standardwerks an (Heidenheimer/Johnston 2002: sind, zu aktualisieren. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDC XI; vgl. auch Pieth/Eigen 1999). Unerwartet kam dieser Boom, weil es sich nach dem Alles wird gut? 4 Zweiten Weltkrieg eingebürgert hatte, politiHelmut Dubiel (2001) hat im Anschluss an sche Korruption wesentlich als ein gesellJeffrey Alexander den Versuch unternommen, schaftliches Entwicklungsproblem zu deuten. unzivile Erscheinungsformen zu systematisie- Mit der Modernisierung von Gesellschaften ren und in eine evolutionäre Perspektive zu verschwänden auch, so die zentrale Annahrücken. Am Anfang stehe die Barbarei, am me, die vormodernen Quellen von KorruptiEnde ein ziviler Zustand. Allerdings räumt er on (Klientelismus, Patronage etc.). Rationale ein, dass Regressionen jederzeit möglich sind. Bürokratien, Marktwirtschaft, RechtsstaatlichNicht nur die zivilisatorischen Katastrophen keit, Parteienkonkurrenz und eine wachsame des 20. Jahrhunderts sprechen jedoch gegen Öffentlichkeit würden dafür sorgen, dass Korjenen Fortschrittsglauben, der in evolutionäre ruption schließlich auf das Niveau individuKonzepte eingelagert ist. Angemessener scheint ell abweichenden Verhaltens (,schwarze Schaes mir, die konfliktträchtige Gleichzeitigkeit fe') schrumpfe. Davon kann jedoch keine von zivilen und unzivilen Tendenzen und de- Rede sein. Moderne ,Geschäftspolitiker' aus ren Zusammenspiel in realen Zivilgesellschaf- dem Norden und nicht die Mafia des Südens ten zu diskutieren. Denn einige der Schatten sorgten z.B. in Italien dafür, dass ein mehr wachsen offensichtlich parallel zu zivilgesell- als vier Jahrzehnte stabiles Parteiensystem imschaftlichen Aufbrüchen. Zwei Beispiele, die plodierte (della Porta/Vannucci 2002). Auch erhebliche Bedeutung für die demokratische in Sachen Korruption liegt die BRD auf weQualität von Zivilgesellschaften haben, sollen nig rühmlichen Pisa-Rängen, wenn man den jährlich vorgestellten Korruptionsperzeptionsgenügen. Indizes von Transparency International vertraut. In München und Frankfurt/M z.B. geht 4.1 Zunehmende die Zahl der Verfahren gegen Bedienstete der Korruptionsintensität Stadtverwaltung wegen Bestechlichkeit und Vorteilsannahme in die Hunderte, und das In den letzten drei Jahrzehnten erlebten viele OECD-Staaten nicht nur einen enormen Auf- ,System Kohl' hat mit seinen schwarzen Kasschwung demokratisch gestimmter neuer so- sen eine besondere Form der monetär gestützzialer Bewegungen und Bürgerinitiativen, die ten innerparteilichen Einflurspolitik sichtbar mit ihren untypischen Vereinigungen erheb- werden lassen. Dies sind nur zwei Beispiele lich zur Belebung nationaler Zivilgesellschaf- für die These, dass auch in der Bundesrepubten beigetragen haben. Gleichzeitig verzeich- lik politische Korruption ein Kontrolldelikt neten gerade auch gefestigte westliche De- ist: Dort, wo es zu Kontrollen kommt, wird mokratien einer unerwarteten Zuwachs an man auch fündig (Schaupensteiner 1999) politischer Korruption - darin sind sich die meisten wissenschaftlichen Beobachter dieses Feldes einig. „Probably no period has witnessed the birth of more publications on political corruption than the closing decade of the twentieth Century", hebt die Einleitung Über die Ursachen der wachsenden Korruptionsintensität ist viel gestritten worden. Die Suche geht dabei in für unser Thema symptomatische Richtungen, weil sowohl destruktive Einflüsse aus den nicht-zivilen Gesellschaftsbe- 68 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA reichen, aber auch unzivile Entwicklungen in der Zivilgesellschaft selbst ins Spiel gebracht werden: 4.1.1 Marktexpansion Übermächtig erscheinen die ökonomischen Determinanten politischer Korruption. Durch die neoliberale Globalisierung sind lokale und nationale institutionelle Einbettungen ökonomischer Prozesse geschwächt worden. Die Kommerzialisierung und Durchkapitalisierung aller Lebensbereiche schreitet ebenso voran wie die Privatisierung von vormals öffentlichen Aufgaben. Geld spielt folglich eine wachsende Rolle im politischen Prozess, wobei die Wahlkampfkosten nur ein besonders eindrucksvoller Posten sind. So kann es nicht verwundern, dass asiatische Unternehmen in den letzten US-Präsidentschaftswahlkampf investiert haben. Jedenfalls scheint es weniger denn je möglich, Politik und Geschäft zu trennen und die demokratischen Ansprüche der Zivilgesellschaft gegen die Übermacht ökonomischer Interessen zu verteidigen. 4.1.2 Staatsversagen Wer über die ökonomischen Einflüsse redet, darf über staatliche Politik nicht schweigen. In der jüngeren Geschichte der politischen Korruption fällt vor allem die geringe Bereitschaft zu einem .institutionellen Rigorismus' (Claus Offe) auf. Im Vergleich zu den meisten anderen Lebensbereichen (erinnert sei nur an das ,System der inneren Sicherheit') ist der Gesetzgeber in eigener Sache eigentümlich zurückhaltend, wenn es um die Verfolgung korrupter Praktiken ist. Immerhin brauchte es vierzig Jahre, um das Delikt der Abgeordnetenbestechung wieder in das Strafrecht einzuführen. Und dies in einer Variante, die - wie die gesetzlichen Regelungen der Parteienfinanzierung - das Prädikat ,soft Roland Roth zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Die dunklen Seiten der Zivilgesellschaft law' verdienen: Tatbestände werden so gefasst, dass sie kaum nachweisbar sind, Verfehlungen bleiben weitgehend straffrei, und die geringe Sanktionstiefe des Parteiengesetzes lädt förmlich zu illegalen Praktiken ein. ruptionsbeziehungen gehören, spielt offensichtlich nicht nur in Russland und vergleichbaren Regionen mit einer .schwachen' Z i vilgesellschaft eine Rolle (Rose 1999; Merkel 2000). 69 4.2.2 Staatsversagen Asyl- und Flüchtlingspolitik, Abschiebungen und Ausländerpolitik, Einwanderung, Staatsbürgerschaft und die gesellschaftliche Integration von Migrantinnen stecken einige der Politikfelder ab, die darüber entscheiden können, 4.2 Rechtsradikalismus, ob und in welchem Umfang rechtsradikale 4.1.3zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Versagen der Ziviigesellschaft Rechtspopulismus und Mobilisierungen erfolgreich sind. Dass staatliFremdenfeindlichkeit che Politik - gemessen an menschenrechtliPolitische Korruption nährt sich aus der Zivilgesellschaft selbst. Schließlich sind die Zu den bedrängenden antidemokratischen chen Maßstäben - häufig genug scheitert, ist großen politischen Mitgliederparteien von Tendenzen gehören sicherlich die verschie- nur eine Facette. Auch der proaktive staatliche ihren Ursprüngen her zivilgesellschaftliche denen Spielarten rechtsextremer, rassistischer, Beitrag darf nicht unterschätzt werden. Er reicht Zusammenschlüsse, auch wenn die Vermachantisemitischer und fremdenfeindlicher Ein- von der ,mobilization of bias' (,Das Boot ist tung und Kommerzialisierung der Parteiarstellungen, Verhaltensweisen, Mobilisierungen voll') bis zur verweigerten Bürgerschaft und beit dies vergessen machen. Nicht nur in der und Organisationen (vgl. Grumke/Wagner zum unzulänglichen Opferschutz - von den Berufspolitik fehlt es am nötigen Rigoris2002; Heitmeyer 2002). Mehr als ein halbes wenig demokratie- und toleranzfordernden Somus im Umgang mit demokratischen NorJahrhundert nach der Zerschlagung des histo- zialisationsbedingungen in Schulen, Vorschumen, sondern auch bei den einfachen Mitrischen Faschismus ist deren Aktualität nicht len und Behörden einmal ganz abgesehen. gliedern, Anhängern und Wählern. Am Sysmehr sinnvoll mit historischen Überresten und tem Kohl' und dem Ehrenwort an seine unmit Ewiggestrigen zu erklären. Vielmehr gibt 4.2.3 Versagen der Zivilgesellschaft genannten Spender war vor allem die schneles offensichtlich einen ,modernen' Rechtsrale Rehabilitierung des Hauptakteurs und seidikalismus und Rechtspopulismus, der als Re- Auch wenn zu den ökonomischen und politiner Entourage auffällig. Sie wurde nicht aktionsbildung auf aktuelle Erfahrungen zu schen noch sozialpsychologische Erklärungen zuletzt deshalb möglich, weil ,Parteivolk' begreifen ist. Auch für diese ,unzivilen' Ten- hinzugefügt werden, gibt es zahlreiche zivilund Wählerschaft signalisierten, dass für sie denzen existieren unterschiedliche Deutungs- gesellschaftliche Mängelanzeigen. Selbst die Zugehörigkeit zu einer erfolgreichen Zuangebote: rechtsradikale Kameradschaften sind freiwilligewinngemeinschaft bzw. zu einem politige Vereinigungen. Ihre Beifall spendenden Unschen Lager allemal bedeutsamer sind als terstützer kommen bekanntlich ,aus der Mitte 4.2.1 Marktexpansion demokratische Prinzipien. Wie stark Korrupder Gesellschaft'. Trotz gelegentlicher Ziviltionspraktiken in - allerdings exklusive - ziDie jüngste Welle rechtsextremer Mobilisie- courage und bürgerschaftlicher Gegenmobilivilgesellschaftliche Netzwerke eingebettet rungen hat einen ökonomischen Kern. Mit den sierungen schien es der Bundesregierung im sein können, macht der - in ähnlicher Form neoliberalen Globalisierungsprozessen und den Sommer 2000 ratsam, umfangreiche politische auch andernorts anzutreffende - .Kölner damit einhergehenden sozialen Ungleichhei- Unterstützungsprogramme für eine demokraKlüngel' deutlich. Bereits im Mittelalter urten haben Migration und Flucht erheblich zu- tisch schwächelnde Zivilgesellschaft aufzulekundlich erwähnt, hat dieser Typus lokaler genommen. Gleichzeitig geraten ökonomische gen (vgl. Roth 2003). Elitennetzwerke durch die aktuellen GlobaStandorte und die mit ihnen verknüpften sozilisierungsprozesse neuen Schwung erhalten alen Sicherheiten unter Konkurrenzdruck. Nicht 5 Fazit und Perspektiven (Rügemer 2002). Auch Klüngel, Seilschafnur potentielle Verlierer verlangen Schließunten und Klientelstrukturen sind soziale Netzgen, sondern bis in die gesellschaftliche Mitte Die skizzierten Beispiele machen deutlich, dass werke, die soziales Kapital hervorbringen. hinein gedeihen Ellenbogenmentalitäten und die Auseinandersetzung mit realen ZivilgesellDieses ,out-of-date social capital' oder ,antiWohlstandschauvinismus, die neopopulisti- schaften beides benötigt: einen nüchternen modern social capital', zu dem persönliche schen Politikunternehmern einen Resonanzbo- Blick auf die Verfassung der zivilgesellschaftAbhängigkeiten, Begünstigungen und Korden verschaffen. lichen Sphäre selbst, ihre zivilen wie ihre un- 70 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA zivilen und antidemokratischen Tendenzen, aber auch die Wahrnehmung von unterstützenden wie destruktiven Einflüssen aus den Umwelten der Zivilgesellschaft. Dies nötigt zum Abschied von zwei Fiktionen: der weitgehenden Eigenständigkeit wie der genuin demokratischen Substanz des zivilgesellschaftlichen Assoziationswesens. Unterscheidungen von zivilen und unzivilen Gruppierungen, von ,bridging' und ,bonding social capital' wie auch das Konzept .reale Zivilgesellschaften' geben Anlass, idealisierende Zuschreibungen im Sinne eines demokratischen Allheilmittels Zivilgesellschaft zu vermeiden. Dies erfordert, normative Ansprüche und empirische Aussagen klarer zu unterscheiden, als dies in der öffentlichen Debatte üblich ist. Die gewählten Beispiele machen zudem deutlich, dass .unzivile' Entwicklungen sowohl aus dem Herzen der Zivilgesellschaft kommen wie auf destruktive Einflüsse von Markt, Staat und Gemeinschaften verweisen. Konzeptionell erfordert dies zudem, den analytischen Status der Grenzziehungen zu beachten, mit denen der Raum der Zivilgesellschaft abgesteckt wird. Real-existierende zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse und Vereinigung sind heute in der Regel .hybride' Organisationen, die verschiedene Elemente kombinieren. So sind Sportvereine oft auch Wirtschaftsorganisationen mit gewerblicher Gastronomie, Fanshops etc. Gleichzeitig werden sie durch Übungsleiterpauschalen oder Steuervergünstigungen staatlich alimentiert und bieten dafür oft genug an, staatliche Programme (z.B. in der Gesundheitsförderung oder der Drogenprävention) umzusetzen. Die dunklen Seiten der Zivilgesellschaft Roland Roth zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA statieren. Jedenfalls scheinen reale Zivilgesellschaften weit davon entfernt, die Reichweite staatlicher und ökonomischer Imperative eigensinnig beschränken zu können. In dieser Perspektive lässt sich das gegenwärtige Interesse an der bürgerschaftlichen Selbstorganisation eher defensiv interpretieren. Gesetzt wird auf soziale Zusammenschlüsse und Protestbewegungen, die als ,movements of civil repair' (Alexander 2001) tätig werden. Zivilgesellschaftliche Assoziationen werden als Korrektiv für Fehlentwicklung und Leistungsgrenzen in nicht-zivilgesellschaftlichen Bereichen ins Spiel gebracht, ohne selbst eine Alternative anbieten zu können. „In fact, every movement of civil repair develops and is inspired by a dream of democratically correcting the relations in a particular non-civil realm, of redesigning some non-civil utopia to make it more compatible with the ideas of autonomy and solidarity at the center of democratic life" (Alexander 2001: 588). Mit Blick auf das parallele Wachstum der ,bad civil society' besteht die womöglich paradoxe Hoffnung, ,movements of civil repair' könnten stark genug sein, um die Selbstbeschädigung der normativen Ansprüche von Zivilgesellschaften in Grenzen zu halten. Dies wäre die gemeinsame Botschaft von .Transparency International' und lokalen Bündnissen gegen Rechts. Defensive Orientierungen, die mit den wachsenden zivilgesellschaftlichen Schattenseiten gestärkt werden, machen vergessen, dass die Wiederentdeckung von Zivilgesellschaft in den Oppositionsbewegungen Osteuropas und den neuen sozialen Bewegungen von einem radikalen Veränderungsschwung getragen war. AnDie Diagnose einer lebendigen Zivilgesell- gezeigt war z.B. ein institutioneller Umbau von schaft muss deshalb nicht Trendaussagen wi- staatlicher Politik, der dem gewachsenen bürdersprechen, die von einer weiteren , inneren gerschaftlichen Selbstbewusstsein entsprechen Landnahme' durch eine expansive kapitalisti- sollte, wie es vor allem in den neuen sozialen sche Ökonomie ausgehen bzw. eine weitere Bewegungen und Protestinitiativen zum AusDurchstaatlichung der Zivilgesellschaft kon- druck gebracht wird (Roth 1999). Die Demo- 71 teressiert (vgl. Sozialministerium Baden-Württemberg 2000). Dort findet sich auch die wohl umfangreichste Netzseite mit Beiträgen und Studien zu .social capital' (www.worldbank.org/poverty/scapital/ methods/index.htm). Einen ersten kritischen Überblick bietet eine für die Friedrich-Ebert-Stiftung angefertigte Expertise (Roth 2003). Vermutungen, Mitgliedschafts- und Engagementquoten indizierten den Zustand der gesellschaftlichen Integration, haben bislang 'eher metaphysischen als empirischen Charakter" (Friedrichs/Jagodzinski 1999: 14). Nach dem Abschlußbericht der Enquete-Kommission (2002) sind inzwischen auch zehn Gutachtenbände in einer Reihe des Verlags Leske + Budrich veröffentlicht worden. Konturen dieses Programms finden sich bei Alexander (1998) und Heins (2002:79ff). Offe und Fuchs haben hierfür die Begriff .negatives Sozialkapital' vorgeschlagen. Es entsteht in Gruppierungen, „die ihre Mitglieder in aggressive Nach dem 11. September lässt sich allerdings und ausschließliche Aktivitäten gegen den Rechtsim Tocquevilleschen Musterland eine weitere staat im Allgemeinen oder gegen genau bestimmMetamorphose der politischen Bedeutung so- te Zielsegmente der Gemeinschaft einbinden" zialen Kapitals beobachten. Überrascht und er- (Offe/Fuchs 2001:454). Ihre Beispiele sind rechtsfreut diagnostiziert Robert Putnam seither ein und linksextreme Gruppierungen. Die Engftihrung verstärktes ,bowling together' (2002) in der auf politischen Extremismus dürfte jedoch weder US-Gesellschaft. Terror und Krieg wirken ge- der Verbreitung .negativen Sozialkapitals' noch meinschaftsbildend. Die dadurch befestigte den vielen Abstufungen zum .positiven' Sozialkapital Rechnung tragen. Gemeinschaft erinnert allerdings stark an die In seiner Skizze zu einer Soziologie des VereinsWiederkehr einer im Innern angst- und gewesens parodierte bereits Max Weber 1910 die waltgeprägten, nach außen barbarischen ,ka- politische Wirkung von Gesangvereinen auf ihre sernierten Nation' (Heins 2002: 47), dem radi- Mitglieder. Aus ihnen werden sehr leicht .gute kalen Gegenbild von Zivilgesellschaft. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHG Staatsbürger' „im passiven Sinn des Wortes. Es ist kein Wunder, dass die Monarchen eine so groRoland Roth ist Professor für Politikwissen- ße Vorliebe für derartige Veranstaltungen haben" (Weber 1988:445). schaft an der FH Magdeburg. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHG Die schärfste Polemik gegen Putnam war der Hinweis, dass es wohl besser gewesen wäre, wenn Anmerkungen Timothy McVeigh, der ,Oklahoma-Bomber', alleine gekegelt hätte, statt sich mit seinen MittäDas Netzwerk startete mit der Förderung von tern zum gemeinschaftlichen Bowlen zu treffen. In diesem Zusammenhang lohnt eine neuerliche Seniorengenossenschaften, hat aber längst eine große Förderbreite erreicht und sich auch für die öko- Lektüre von Negt/Kluge (1972: bes. 341ff & nomische Bedeutung von Bürgerengagement in- 421ff). kratisierung liberaler Demokratien benötigt neue institutionelle Formen und kann sich nicht in der Anrufung der Zivilgesellschaft erschöpfen. In jüngster Zeit werden zudem die Stimmen lauter, die zur Überwindung unziviler Entwicklung weiter gehen, als Bildungs- und Förderprogramme für bürgerschaftliches Engagement zu fordern: Sie nehmen die ökonomische Ungleichheitsdynamik als zentrale Quelle für unziviles Engagement in den Blick (Nullmeier 2002). Dass eine demokratische politische Lagerung zivilgesellschaftlichen Lebens entsprechende materielle Bedingungen benötigt, ist banal. In einer Zeit neoliberaler Offensiven geht es darum, am Anspruch sozialer Gerechtigkeit festzuhalten. Die enormen Mobilisierungen der globalisierungskritischen Bewegungen machen deutlich, dass die ,soziale Frage' nicht mehr nur im nationalen Kontext gestellt werden darf. 2 3 4 5 6 7 8 9 1 10 72 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Roland Roth zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Die dunklen Seiten der Zivilgesellschaft 11 73 Warren (2001: 207ff) skizziert in seiner syste- della Porta, Donatella/ZVannuci, Alberto 2002: Newton, Kenneth 2001: Trust, Social Capital, Ci- Roth, Roland 1999: Neue soziale Bewegungen und matischen Studie zum Verhältnis von Demokratie Corrupt Exchanges and the Implosion of the Italivil Society, and Democracy. In: International Po- liberale Demokratie. Herausforderungen, Innovatiound Assoziationen die Merkmale von .democratic an Party System. In: Heidenheimer/Johnston, 717nen und paradoxe Konsequenzen In: Klein, Ansgar/ litical Science Review, Vol. 22, No. 2, 201-214. associational ecologies'. Entscheidend sei weni- 737. Nullmeier, Frank 2002: Vergesst die Bürgerge- Legrand, Hans-Josef/Leif, Thomas (Hg.): Neue Soger die singulare Vereinigung und ihre besonde- Dubiel, Helmut 2001: Unzivile Gesellschaften. In: sellschaft?! In: Forschungsjournal NSB, Jg. 15, ziale Bewegungen. Impulse, Bilanzen und Persren Ziele, sondern vielmehr die Existenz von kor- Soziale Welt, Jg. 52, 133-150. pektiven. Opladen: Westdeutscher Verlag, 47-63. Heft 4,13-19. rigierenden und opponierenden Gruppen, die eine Elias, Norbert 1989: Studien über die Deutschen. Offe, Claus/Fuchs, Susanne 2001: Schwund des Roth, Roland (unter Mitarbeit von Anke Benack) demokratische Öffentlichkeit hervorbringen und Frankfurt/M: Suhrkamp. Sozialkapitals. Der Fall Deutschland. In: Putnam, 2003: Bürgernetzwerke gegen Rechts. Evaluierung sogar eine demokratische Einbettung und Einhe- Enquete-Kommission .Zukunft des Bürgerschaftvon Aktionsprogrammen und Maßnahmen gegen 417-514. gung von Hass-Gruppen leisten können. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA lichen Engagements' 2002: Bürgerschaftliches Paxton, Pamela 2002: Social Capital and Demo- Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Engagement: auf dem Wege in eine zukunftsfäcracy: An Interdependent Relationship. In: Ameri- Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung. hige Bürgergesellschaft. Opladen: Leske + Budcan Sociological Review, Vol. 67, April, 254-277. Rügemer, Werner 2002: Colonia Corrupta. GloLiteratur zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA rich. Rieth, Mark/Eigen, Peter (Hg.) 1999: Korruption balisierung, Privatisierung und Korruption im Friedrichs, Jürgen/'Jagodzinski, Wolfgang 1999: im internationalen Geschäftsverkehr. Bestandsauf- Schatten des Kölner Klüngels. 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Zu der Thematik werden zahlreiche Symposien abgehalten und diverse Aufsätze und Sammelbände veröffentlicht. Zivilgesellschaft hat derzeit Konjunktur. Die Gründe für die Popularität der Zivilgesellschaftsthematik sind vielfältig. Konstitutiv ist allerdings die positive Zukunftssicht, die mit Zivilgesellschaft in Verbindung gebracht wird. Doch jenseits ihrer normativen Relevanz bedarf Zivilgesellschaft, wie jeder umfassende und gefühlsbeladene Begriff der Operationalisierung (von Beyme 2000: 68). Wie ist es um die Akteure der Zivilgesellschaft bestellt? Über welche Handlungsspielräume verfügen sie? Wie sind sie organisiert, wie werden sie finanziert? Welchen Handlungslogiken unterliegen sie? ßend werden vor dem Hintergrund der aktuellen Veränderung von Staatlichkeit Reformpotentiale und -restriktionen zivilgesellschaftlicher Organisationen in Deutschland thematisiert. Denn gerade „darin", so Michael Walzer, „liegt die Paradoxie des Arguments der zivilen Gesellschaft.... Er (der Staat) ist einerseits Rahmen für die zivile Gesellschaft, und nimmt andererseits einen Platz in ihr ein. Er legt die Grenzbedingungen und die grundlegenden Regeln aller Tätigkeiten in den Vereinigungen fest" (Walzer 1992: 89). 2 Ziviigesellschaft als Reformmotor Bei Zivilgesellschaft handelt es sich um ein traditionsreiches und normativ überwiegend positiv besetztes Konzept, das in jüngster Zeit deutlich an politischer sowie wissenschaftlicher Relevanz gewonnen hat (Enquete-Kommission 2002). Nach Sachße bezieht sich das Diese Fragestellungen verweisen auf den Kon- Konzept der Zivilgesellschaft maßgeblich auf text zivilgesellschaftlicher Aktivität sowie auf das kritische Selbstverständnis einer politischen die die zivilgesellschaftlichen Organisationen Gesellschaft (Sachße 2002: 23). Im aktuellen prägende Umwelt. Hierbei kommt dem Staat politischen sowie demokratietheoretischen Disals normensetzender Instanz insbesondere im kurs wird daher vor allem das in die Zukunft deutschen Kontext einer seit Hegel in hohem gerichtete dynamische Moment der ZivilgeMaße auf den Staat bezogenen Gesellschaft sellschaft und hier besonders auf ihr Potential eine wichtige Bedeutung zu. Diese Kontextab- zur Erarbeitung von Reformperspektiven herhängigkeit zivilgesellschaftlicher Organisati- ausgestellt. Dass Zivilgesellschaft diese Funkonstätigkeit soll im Folgenden thematisiert wer- tionszuschreibung als gesellschaftlicher Reden, wobei auf die Infrastruktur von Zivilge- formmotor wahrnehmen kann, setzt gesellsellschaft Bezug genommen und diese als durch schaftliche und politische ,Zivilität' voraus. gemeinnützige Organisationen geprägte gesell- Diese bezieht sich auf den ,zivilen Umgang' schaftliche Sphäre jenseits von Staat, Markt miteinander sowie auf ein bestimmtes Niveau Rahmenbedingungen der Zivilgesellschaft 75 ter Effektivität staatlichen Handelns, wobei demokratische Legitimation im nationalstaatlichen Kontext als Resultante des ZusammenDie derzeitige Attraktivität des Konzepts der spiels dieser beiden Komponenten gedacht Zivilgesellschaft ist insbesondere auf die Er- wird, so lassen sich derzeit Einbußen sowohl schöpfung der Innovationspotentiale von Markt an input-orientierter Authentizität sowie an outund Staat zurückzuführen. Nach dem Ende des put-orientierter Effektivität und damit ein massozialdemokratischen Zeitalters sowie nach sives Legitimationsdilemma des Staates Abflauen der neo-liberalen Markteuphorie der insgesamt feststellen. Auf praktisch konkreter 1980er Jahre werden Reforminitiativen und Ebene und bezogen auf die deutsche Situation weitergehende Perspektiven verstärkt wieder werden Legitimationsdefizite insbesondere zuin der Gesellschaft und hier wiederum in der rückgeführt auf die krisenhafte Entwicklung: zivilen Gesellschaft verortet. Als Reformperspektive und politisch-gesellschaftliche Zu- • der repräsentativen (Eliten-)Demokratie, die kunftskonzeption grenzt sich Zivilgesellschaft ihre gesellschaftliche Einbettung in Folge daher notwendigerweise vom Status-quo ab, der zunehmenden ,Parteien- und Politikvergleichzeitig ist Zivilgesellschaft, und zwar aufdrossenheit' sukzessive verliert, grund ihres Charakters als Gegenentwurf zu den herrschenden Verhältnissen', in hohem • des Wohlfahrtsstaates, dessen weiterer AusMaße kontextabhängig und insofern auf die bau aus fiskalischen sowie arbeitsmarktpoderzeitige Verfasstheit von Staat und Geselllitischen und gerechtigkeitstheoretischen schaft als kontextuelle Rahmenbedingung beGründen nicht mehr möglich ist, zogen. • des Neo-Korporatismus als eine spezifische Form der Entscheidungsfindung unter maßZweifellos sind Staat und Verwaltung jedoch geblicher Einbeziehung der Verbände, die aktuell in hohem Maße auf Veränderung angeinzwischen als ,,faktisch() korporative() Verlegt. Ohne auf die umfangreiche Literatur zur machtung der formalen Strukturen verfasKrise staatlichen Handelns, zum Re-Inventing sungsmäßig gewährleisteter demokratischer Government sowie zu den neuen GovernanceWillensbildung" (Sachße 2002: 23) charakStrukturen des Regierens auf lokaler, regionaterisiert wird. ler und internationaler Ebene einzugeben, wird übereinstimmend eine Entwicklung vom ehemals hoheitlich autoritativen hin zum koo- Mit Zivilgesellschaft als normativem Konzept perativen und aktivierenden Staat konstatiert wird somit die Hoffnung in Verbindung geund damit ein grundsätzlicher Wandel von bracht, ein Mehr an Demokratie und sozialer Staatlichkeit hinsichtlich der Funktions-, Rol- Gerechtigkeit wie auch an gesellschaftlicher len- und Aufgabenzuweisung staatlichen Han- Rückkoppelung politischer Entscheidungsfindelns theoretisch reflektiert und empirisch do- dungsprozesse zu garantieren. Angesichts dieses Erwartungshorizontes stellt sich die Frage kumentiert. nach den Akteuren der Zivilgesellschaft, die Folgt man der in den 1970er Jahren von Fritz für Entwicklung sowie Konkretisierung des in Scharpf eingeführten demokratietheoretisch Abgrenzung und als Gegenentwurf zum Staanalytischen Unterscheidung zwischen input- tus-quo zu konzipierenden gesellschaftlich-poorientierter Authentizität und output-orientier- litischen Konzeptes verantwortlich sind. der demokratischen Ausgestaltung der res publica. 76 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Rahmenbedingungen der Zivilgesellschaft Annetie Zimmer zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA 3 Zur zivilgesellschaftlichen Dritten-Sektor-Ansatz fehlt jedoch die normaInfrastruktur zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA tive Stoßrichtung und die für die Zivilgesellschaftsdebatte konstitutive Abgrenzung gegenDas gesellschaftliche Reformpotential wird über der aktuellen Verfasstheit von Staat und trotz unterschiedlicher disziplinarer und ideen- Gesellschaft. Während unter der Dritten-Sekgeschichtlicher Provenienz der Autoren über- tor-Perspektive sogar explizit auf die Kontexteinstimmend in einem Bereich verortet, der abhängigkeit der Organisationen Bezug genomals „Raum gesellschaftlicher Selbstorganisati- men und auch handfeste Indikatoren, wie etwa on zwischen Staat, Ökonomie und Privatheit" die Ressourcenausstattung, als Ergebnis histo(Kocka 2002: 16) definiert wird. So bildet für risch gewachsener gesellschaftspolitischer Jürgen Habermas „den Kern der Zivilgesell- Makro-Strukturen erklärt werden, besteht das schaft ... ein Assoziationswesen, das problem- Ziel des Zivilgesellschaftskonzeptes gerade lösende Diskurse zu Fragen allgemeinen Inter- darin, mittels Orientierung an einem in die Zuesses im Rahmen veranstalteter Öffentlichkeit kunft gerichteten ,utopischen Programm' (Duinstitutionalisiert" (Habermas 1992:443f.). Für biel 1994: 67) diesen Status-quo zu UberwinRalf Dahrendorf ist Zivilgesellschaft in klas- den. sisch-liberaler Tradition gekennzeichnet durch „die Existenz autonomer, d.h. nicht staatlicher Aus gutem Grund wird daher in den demokraoder in anderer Weise zentral geleiteter Orga- tietheoretischen Debatten zur Chancenstruktur nisationen" (Dahrendorf 1991: 262). Und Mi- und zum korrektiven Potential der Zivilgesellchael Walzer verweist insbesondere auf den schaft die institutionelle Einbettung der zivilNetzwerkcharakter der Zivilgesellschaft als gesellschaftlichen Akteure bzw. Organisatio„Raum von (zwischenmenschlichen) Vereini- nen meist ausgeblendet. gungen, die nicht erzwungen sind" (Walzer 1992: 65). Die Infrastruktur der Zivilgesell- Zweifelsohne ist aber die Infrastruktur von Zischaft wird danach durch das assoziative Mo- vilgesellschaft, das Assoziationswesen und Enment der Gesellschaft gebildet, wobei nach semble der Vereine, Verbände, Initiativen, Kocka der Begriff der Zivilgesellschaft meist NPOs und NGOs auch .abhängige Variable' mit ,positiven Assoziationen' verbunden wird der ökonomischen, politischen und rechtlichen (Kocka 2002: 17). Verfasstheit der jeweiligen Gesellschaft und Dieses assoziative Moment sowie die Verortung der Assoziationen zwischen Staat, Markt und Gemeinschaft bilden die Schnittmenge zwischen dem demokratietheoretisch-normativen Konzept der Zivilgesellschaft und dem empirisch-organisationssoziologisch orientierten Dritten-Sektor-Ansatz. Beide Perspektiven - Zivilgesellschaft und Dritter Sektor - nehmen Bezug auf jene Organisationen, die im Geleitzug der Modernisierung bei der Ausbildung der bürgerlichen Gesellschaft entstanden sind und deren konstituierendes Element auf Freiwilligkeit beruht (Anheier et al. 2000). Dem insofern in hohem Maße abhängig von den betreffenden gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen. Sobald Zivilgesellschaft nicht als normatives, sondern als deskriptiv-analytisches Konzept (Kocka 2002: 16) zur Beschreibung dieses spezifischen gesellschaftlichen Bereichs verwandt wird, kommt man um die Bestimmung der Kontextbedingungen der betreffenden Organisationen und damit um eine Analyse ihrer jeweiligen Umwelt in rechtlicher, ökonomischer und politischer Hinsicht nicht umhin. Zu beschreiben und analytisch in den Griff zu bekommen sind die jeweiligen institutionellen Rahmen- und Umweltbedingungen, das betreffende ,regulatory environment' zivilgesellschaftlicher Aktivität und Infrastruktur, und damit die hier anzutreffenden Organisations- und Rechtsformen sowie die steuerrechtlichen Anreize und Restriktionen einerseits sowie andererseits die spezifische Einbindung, die ,embeddedness' der Organisationen im Sinne von Granovetter (1985) und damit ihre historisch-gewachsene gesellschaftspolitische Funktions- und Aufgabenzuweisung, die in der Regel in bestimmten Leitbildern und -Vorstellungen - wie etwa dem der deutschen Subsidiarität, des britischen ,voluntarism' oder der französischen ,economie sociale' - auf den Begriff gebracht werden. Es dürfte klar sein, dass die Analyse der Kontextbedingungen zivilgesellschaftlicher Organisationen nicht auf eine Betrachtung ihrer Rechtsformen, Finanzierungs- und Leistungsstrukturen beschränkt werden kann. Vielmehr ist hiermit die Untersuchung der spezifischen Koppelungsmuster dieser Organisationen mit den beiden Konkurrenzsektoren angesprochen. Es geht um die Analyse des kritischen Potentials zivilgesellschaftlicher Organisationen gegenüber Staat und Wirtschaft, wie auch ihrer realen und potentiellen Kooperationen mit Organisationen der anderen beiden Bereiche. Bei diesen Koppelungsmustern handelt es sich um gewachsene Strukturen. Die gesellschaftspolitische Funktionswahrnehmung zivilgesellschaftlicher Organisationen, beispielsweise ihre Relevanz in der wohlfahrtsstaatlichen Leistungserstellung oder ihre Rolle als lebensweltlich eingebundene Integrationsinstanzen im Sinne des deutschen Vereinswesens, ist analog zur spezifischen gesellschaftspolitischen Einbindung von Gewerkschaften oder Parteien historisch gewachsen und Ergebnis zeitlich-gestreckter gesellschaftspolitischer Entwicklungen (zu Deutschland vgl. Zimmer 1997). Da im Rahmen der Zivilgesellschaftsdiskussion eine Systematisierung der Organisationen 77 im Hinblick auf ihre gesellschaftspolitischen Funktionszuweisungen bisher nicht vorgenommen wurde, wird im Folgenden auf eine im Rahmen der Dritten-Sektor-Forschung entwickelte und in erster Linie funktionale Kriterien berücksichtigende Typologie (Handy 1991) Bezug genommen, wobei es sich jedoch in erster Linie um eine analytische Unterscheidung handelt, die in der Realität in dieser Trennschärfe nicht anzutreffen ist. Danach lässt sich das Universum der zivilgesellschaftlichen Organisationen im Hinblick auf ihre Zielsetzung und gesellschaftlichen Funktionszuweisung einteilen in: • Mitgliederorganisationen, • Dienstleister, • Interessenvertretungsorganisationen für Mitglieder, • Interessenvertretungsorganisationen für Dritte sowie • Stiftungen bzw. Unterstützung zur Verfügung stellende Organisationen. Während den Mitgliederorganisationen als klassischen Vereinen die Handlungslogik der Reziprozität zu Grunde liegt und sie insofern als ,Sozialkapitalerzeuger' im Sinne von Putnam (1995: 67) zu charakterisieren sind, handeln Interessenvertretungsorganisationen entweder primär im Eigeninteresse ihrer Mitgliedschaft (Verbände und Gewerkschaften), oder aber sie sind themenanwaltlich im Dienst der Allgemeinheit sowie spezieller Gruppen und Anliegen tätig. Zu letzteren zählen sicherlich solche Gruppen und Initiativen wie Attac, ProAsyl, Greenpeace oder Amnesty International, auf die sich die aktuelle zivilgesellschaftliche Debatte vorrangig bezieht. Die Dienstleistungsorganisationen sind gemeinnützige bzw. Non- 78 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Annette Zimmer zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Rahmenbedingungen der Zivilgesellschaft profit-Unternehmen, die ein weites Spektrum von Tätigkeitsbereichen abdecken. Die Zugehörigkeit dieser Organisationen zur Zivilgesellschaft ist aufgrund ihres unternehmensähnlichen Charakters umstritten. Nicht zu bestreiten ist jedoch, dass die Mehrheit dieser Dienstleister ihre Existenz aufgrund zivilgesellschaftlicher und damit gegen den Status-quo gerichteten Initiativen verdankt, wie sich am Beispiel des Internationalen Roten Kreuzes, der Caritas oder auch des Y M C A zeigen lässt. Bei den Unterstützern handelt es sich im Wesentlichen um Stiftungen, denen als primär fördernde Einrichtungen (,funding intermediaries') zumindest international eine wichtige Rolle für die Unterstützung zivilgesellschaftlicher Aktivität, und zwar maßgeblich durch die Finanzierung von Initiativen und Projekten zukommt, die nicht von der öffentlichen Hand gefördert werden. Einige der großen amerikanischen Stiftungen, wie etwa die Ford oder die Carnegie Foundation, sind durchaus als Beispiele einer Stiftungspolitik zu nennen, die wesentlich zur gesellschaftlichen Akzeptanz innovativer Projekte, Ideen und Organisationen beigetragen haben. 79 gung, während die Themenanwälte und Advosource. Im Rahmen der gemeindlichen Selbst- tigtem Vollzeitpersonal. Wie die Ergebnisse der cacy Organisations mit z.T. umfänglichem Sorverwaltung bilden sie ein wichtiges Element Verbändeforschung zeigen, sind diese Organitiment von Verkaufsartikeln als Akteure am der Lokalpolitik wie auch der sozial-integrati- sationen in Deutschland in zentralen PolitikMarkt tätig sind. Schließlich weisen Stiftunfeldern ganz maßgeblich an der Politikformuven Gemeinschaft (Zimmer 1998). gen, vor allem die derzeit populäre Form der lierung beteiligt. Charakteristisch für DeutschBürgerstiftung oder Community Foundationen, land ist die neo-korporatistische Einbindung Dienstleister insofern eine gewisse Nähe zu klassischen Verder Interessenvertretungsorganisationen für einen auf, als auch sie VergemeinschaftungsDie unter dem Leitbild der Subsidiarität in ho- Mitglieder (Streeck 1999). Gemeint ist hiermit, und Identifikationsprozesse ermöglichen. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA hem Maße in die wohlfahrtsstaatliche soziale dass die Repräsentanten der InteressenvertreDienstleistungserstellung eingebundenen Mit- tungsorganisationen - entgegen einer eher plugliederorganisationen der Wöhlfahrtsverbände ralistischen Einbindungsstruktur - nicht nur 4 Zivilgesellschaftliche sind hier zu nennen. Siefinanzierensich haupt- als Lobbyisten oder als gleichberechtigte PartOrganisationen in Deutschland sächlich durch Leistungsentgelte der Kosten- ner an der Entscheidungsfindung und Politikträger (Sozialversicherungen, öffentliche Hän- implementation beteiligt sind, sondern der Staat Mit Hilfe des kategorialen Sets von Mitgliede). Spenden kommt demgegenüber eine ihnen in wichtigen Bereichen sogar die Entderorganisationen, Dienstleistem, Interessenvergleichsweise geringe Bedeutung zu. scheidungsfindung gänzlich oder zum Teil vertretungsorganisationen für Mitglieder und/ Insbesondere für die im Bereich soziale Dienst- überlässt bzw. überträgt. Als klassische Bereioder für Dritte sowie Stiftungen lässt sich auch leistungen tätigen Organisationen gewinnen che einer .Regierung der Verbände' sind die die zivilgesellschaftliche Infrastruktur Deutschdirekt am Markt und somit nicht über Leis- Tarifpolitik und bisher immer noch das Gelands hinreichend erfassen. Zudem ermöglitungsentgelte erwirtschaftete Einnahmen zu- sundheitswesen in Deutschland anzuführen. chen Angaben über die jeweilige Ressourcennehmend an Relevanz. Die Ehrenamtlichkeit ausstattung der Organisationen, wie sie im Rahist bei den Mitgliederorganisationen der Wohl- Interessenvertretungsorganisationen für men der Deutschlandstudie des Johns Hopkins fahrtsverbände im Vergleich zum lokalen Ver- Dritte Comparative Nonprofit Project ermittelt wureinswesen weniger ausgeprägt. Je nach Größe den (Priller/Zimmer 2001: 213), Rückschlüsse und Tätigkeitsbereich der Organisationen han- Hierzu sind die Themenanwälte oder Advocaauf die spezifische ,embeddedness' oder Eindelt es sich um hoch-professionalisierte Be- cy-Groups zu rechnen, die für Anliegen Dritbindungsstruktur der Organisationen und datriebe mit überwiegend Vollzeit-beschäftigten ter eintreten und vor allem in den Bereichen mit auf ihre historisch-gewachsenen gesellMitarbeitern. Spezifisch für die Dienstleister Internationale Aktivitäten, Menschen- und BürBei dieser Differenzierung handelt es sichzyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA auch schaftspolitischen Funktions- und Aufgabenin Deutschland ist ihre funktionale Einbindung gerrechte sowie Umwelt- und Naturschutz täinsofern um eine rein analytische, als sich zi- zuweisungen. Wendet man die beschriebenen in das ,duale System' der sozialstaatlichen tig sind, also in jenen Politikfeldern, die im Kategorien auf die zivilgesellschaftlichen Orvilgesellschaftliche Organisationen in der ReDienstleistungserstellung (Sachße 1995). Kontext der neuen sozialen Bewegung an Begel durch Multifunktionalität auszeichnen ganisationen in Deutschland an, so ergibt sich deutung und im Rahmen des Zivilgesellschafts(Zimmer/Priller 2001: 274f). Auch Mitglieder- das folgende Bild: diskurses an öffentlicher Aufmerksamkeit georganisationen sind als Interessenvertretungen Interessenvertretungsorganisationen wonnen haben. Im Hinblick auf Finanzierung tätig, wie insbesondere die Arbeiten der Com- Mitgliederorganisationen für Mitglieder sowie Mitarbeiterstrukturen bilden diese Ormunity Power Schule mit ihrem Akzent auf den lokalen freiwilligen Vereinigungen/Verei- Hierunter sind die lokalen Organisationen des Dieser Gruppe sind die berufsständischen In- ganisationen eine interessante Gruppe. Sie fine zeigen. Entsprechendes gilt für die Dienst- Vereinswesens des Kultur-, Hobby-, Freizeitteressenvertretungsorganisationen, die Wirt- nanzieren sich in zunehmenden Maße einerseits leister, die häufig aus Interessenvertretungsor- und Sportbereichs zu fassen. Mitgliederbeiträschaftsverbände sowie die Gewerkschaften zu- aus Einnahmen am Markt sowie andererseits ganisationen entstanden und auch nach wie ge sind ihre wesentliche Einnahmequelle, erzuordnen. Sie sind vorrangig mitgliederfinan- durch beachtliche Spendeneinnahmen. Allervor für spezifische Gruppen advokatorisch tä- gänzt durch Spenden- und Sponsoringgelder ziert. Weder Spenden noch Zuzahlungen der dings kommt mit Ausnahme der im Umwelttig sind. Wie aus der Gewerkschaftsforschung sowie kleinere Förderbeiträge der Kommune. öffentlichen Hand sind hier von Relevanz. Die und Naturschutz tätigen Organisationen der Fibekannt, stellen die mitgliederbasierten Inter- Ehrenamtliches Engagement ist für diese OrOrganisationen zeichnen sich durch einen ho- nanzierung durch die öffentliche Hand ebenfalls essenvertretungen in erheblichen Ausmaße ganisationen, die einen niedrigen Professionahen Grad an Professionalisierung aus und ar- eine erhebliche Bedeutung zu (Zimmer 2001: Dienstleistungen für ihre Mitglieder zur Verfü- lisierungsgrad aufweisen, eine zentrale Resbeiten überwiegend mit hauptamtlich beschäf- 341). Die Organisationen sind attraktiv für eh- 80 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Annette Zimmer zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Rahmenbedingungen der Zivilgesellschaft renamtliches Engagement. Gleichwohl zeichnen sie sich durch einen ganz beachtlichen Professionalisierungsgrad aus. Je nach Politikfeld und Tätigkeitsebene entspricht die gesellschaftspolitische Einbindung der Themenanwälte in Deutschland eher dem neo-korporatistischen oder aber dem pluralistischen Modell (Lobbying) der Interessenvermittlung und -Vertretung. Beispielsweise sind im Bereich Internationale Aktivitäten einige Organisationen, die in Krisenregionen humanitäre Hilfe leisten, bereits seit langem aktive Partner staatlicher Politikgestaltung. Vermittelt über ihre Dachorganisationen, wie etwa die Caritas bei Caritas International, besteht eine sehr enge Koppelung an staatliche Instanzen. Entsprechendes gilt nicht in gleichem Maße für jüngere Organisationen, die entweder in eine staatsnahe Funktionswahrnehmung erst hineinwachsen, oder die dies auch strikt ablehnen 1 81 und sich primär als Korrektiv staatlicher Entes in Deutschland praktisch nicht (Bertelsmann Schöffentätigkeit, der mit Honoratioren besetzten Ausschüsse, wie etwa den Jugendhilwicklungshilfe und -politik verstehen (Beispiele 1998). feausschüssen und den diversen Beiräten auf hierzu finden sich in Frantz/Zimmer 2002). Insgesamt lässt sich in Deutschland aber Das Ausmaß der Zivilität dieses Organisati- lokaler Ebene. Die Klagen über die zurückstaatlicherseits eine zunehmende Indienstnahonsspektrums, also inwiefern diese Organisa- gehende Bereitschaft zu zivilgesellschaftlime der Themenanwälte und damit eine flietionen in Deutschland aktuell „der Alltagsre- chem bzw. ehrenamtlichem Engagement in ßende Grenze zwischen Advocacy und Dienstalität unserer Verfassung gleichsam den Spie- Deutschland beziehen sich vorrangig auf dieleistungserstellung in staatlichem Auftrag festgel ihrer eigenen Ansprüche" vorhalten (Sach- sen Bereich der traditionell-staatsnahen Hostellen (vgl. Zimmer/Hallmann 2001). zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA ße 2002: 23) und dadurch implizit einen Ge- noratiorentätigkeit (Sachße 2000: 77). Histogenentwurf als .konkrete Utopie' zum Sta- risch verbunden hat sich dieser preußische tus-quo entwickeln, wird in der Literatur zwar Etatismus mit einem von der katholischen KirStiftungen unterschiedlich, in der Tendenz jedoch eher che und zunächst dem Zentrum und später skeptisch beurteilt. Nach Bauer unterliegt in der CDU/CSU gestützten sozialpolitischem Da in Deutschland überwiegend der Typ der Deutschland „das Assoziationswesen vor al- Engagement, das aber in seinem Ursprung Anstaltsstiftung anzutreffen ist, der keine Prolem staatlichen Steuerungsdirektiven" (Bauer wenig emanzipatorisch, sondern vorrangig pajekte fördert, sondern sein eigenes Stiftungs1997: 149). Aus der Sicht von Anheier et al. ternalistisch und sozial disziplinierend angeprogramm umsetzt, kommt Stiftungen als ,funsind zivilgesellschaftliche Organisationen ein- legt war (vgl. zur Jugendpflege zwischen ding intermediaries' eine vergleichsweise gegebettet in eine Tradition, die sich als Kom- „Schule und Kasernentor" Gängler 1995: ringe Bedeutung zu. Mit den großen .liberal bination aus preußisch-protestantischem Etat- 178). Bereits in der Weimarer Republik wurindependent foundations' der USA vergleichismus und katholischem Paternalismus cha- de in Grundzügen das ,duale System' des bunbare, innovative und fördernde Stiftungen gibt rakterisieren lässt (Anheier et al. 2000: 93). desdeutschen Wohlfahrtsstaates etabliert, woBezug genommen wird hierbei auf die Ein- ran Zentrum, Katholische Kirche sowie die bindung der Organisationen und der in ihnen auf Reichsebene erstarkende Sozialbürokragebundenen zivilgesellschaftlichen Aktivität tie maßgeblich beteiligt waren. Vermittelt über in den preußisch-hoheitlichen Verwaltungs- die Wohlfahrtsverbände ist diese Grundstrukvollzug. Frühzeitig wurde in Deutschland das tur der sozialen Dienstleistungserstellung in Potential zivilgesellschaftlicher Aktivität für zivilgesellschaftlicher Trägerform, aber in eine .Modernisierung von oben' erkannt. So staatlichem Auftrag und in enger staatlicher appellierte bereits Freiherr von Stein in der Anbindung in Deutschland nach wie vor inNassauer Denkschrift an die „Belebung des takt (Sachße 1995). Analog zur neo-korporaGemeingeistes und Bürgersinnes" (zitiert nach tistischen Einbindung von Gewerkschaften, Thamer 2000: 289). Und dies nicht ohne Hin- Berufsvereinigungen und Wirtschaftsverbäntergedanken. Im Zuge der preußischen Ver- den bildet die herausragendende Stellung der waltungsreform wurden die Bürger zur Über- Wohlfahrtsverbände ein konstitutives Element nahme „öffentlicher Stadtämter" verpflichtet, von Staatstätigkeit in Deutschland (Schmid ohne ein Entgelt dafür beanspruchen zu kön- 1996; Katzenstein 1987). Insofern werden nen (Sachße 2000: 75f). Die Stadt Elberfeld weder von den subsidiär eingebundenen Mitorganisierte in der zweiten Hälfte des 19. Jahr- gliederorganisationen der Wohlfahrtsverbänhunderts die öffentliche Armenpflege als zi- de als Dienstleistern und funktionalen Äquivilgesellschaftliche Aktivität. Die Ehrenmän- valenten sozialstaatlicher Einrichtungen, noch ner wurden aus der Gruppe der Besserver- von den Interessenvertretungsorganisationen dienenden' rekrutiert, die dieses Amt für drei für Mitglieder - den Gewerkschaften und VerJahre unentgeltlich auszuüben hatten. Fortge- bänden - als im Arrangement des ,korporasetzt wird diese Tradition u.a. in Form der tistischen Paktierens' (Bauer 1997: 149) fest 82 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA eingebundenen Akteuren, noch von den eher lebensweltlich orientierten und in den Strukturen der gemeindlichen Selbstverwaltung integrierten Vereinen vor Ort in großen Stil reformerische Impulse erwartet. Unter den gegebenen Kontextbedingungen werden zivilgesellschaftlich-reformorientierte Perspektiven vorrangig mit den Interessenvertretungsorganisationen für Dritte und damit mit den Themenanwälten und Advocacy Groups in Verbindung gebracht. Allerdings wird hier bei den größeren und älteren Organisationen ebenfalls eine zunehmende Inkorporierung in staatliche Leistungserstellung und damit eine Anpassung an den Status-quo konstatiert. Diese eher skeptische Bewertung der reformerischen Potentiale der zivilgesellschaftlichen Organisationen in Deutschland ergibt sich vor allem aufgrund der Einschätzung der historisch gewachsenen Kontextbedingungen, also der tradierten Verfasstheit von Staat und Gesellschaft. 5 Annette Zimmer zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Rahmenbedinqungen der Zivilgesellschaft Demokratisch, effizient, integrativ So werden mit der Zielsetzung der Steigerung der output-orientierten Effizienz staatlichen Handelns derzeit Gestaltung und Implementation von Politik verstärkt vergesellschaftet und in einem immer größer werdenden Umfang von zivilgesellschaftlichen Organisationen wahrgenommen. Hierdurch gewinnen diese als private, aber im öffentlichen Interesse arbeitenden Dienstleister weltweit einen immer bedeutenderen Stellenwert. Dies gilt für Politikbereiche, die den Kern der klassischen wohlfahrtsstaatlichen Dienstleistungserstellung ausmachen - wie Gesundheit, soziale Dienste und Erziehung - , ebenso wie für neue Politikfelder, die erst im Zuge der neuen sozialen Bewegungen sowie infolge zunehmender Globalisierung und Internationalisierung an Bedeutung gewonnen haben, wie etwa Umwelt- und Naturschutz, humanitäre Hilfen oder Menschenrechtspolitik (Frantz/Zimmer 2002). Im Geleitzug dieser Entwicklung werden an zivilDiese überkommenen Kontextbedingungen gesellschaftliche Organisationen, die als priwerden aber durch gravierende Änderung so- vat-gemeinnützige Dienstleister im öffentlichen wohl der Gesellschaft sowie auch von Markt Auftrag tätig sind, in hohem Maße Forderunund Staat, die meist mit den Stichwörtern Glo- gen herangetragen, die der New Public Mabalisierung/Internationalisierung sowie Indivi- nagement-Bewegung zuzurechnen sind. Die dualisierung auf den Begriff gebracht werden, Organisationen haben ihre betriebswirtschaftderzeit nachhaltig ins Wanken gebracht. Nicht liche Effizienz zu verbessern, ihre gesamtgezuletzt gewinnt der zivilgesellschaftliche Dis- sellschaftliche Effektivität zu erhöhen, sich zu kurs dadurch seine gesellschaftspolitische Re- professionalisieren und sich auf die wachsenlevanz, dass von den Organisationen der Zivil- de Konkurrenz sowohl am Markt der öffentligesellschaft weitergehende Reformperspekti- chen Aufträge als auch am Markt der Spenven hinsichtlich des Verlustes an output-orien- den- und Sponsoringgelder einzustellen. tierter Effizienz, input-orientierter Authentizität, an gesellschaftlicher Einbindung sowie Doch der Wandel von Staatlichkeit führt nicht RUckkoppelung staatlichen Handelns erwartet nur zu einer Intensivierung des Anforderungswerden. Konkret sollen die Organisationen u.a. profils an die Organisationen als Dienstleister, dazu beitragen, die Krise der repräsentativen sondern gleichzeitig zu einer Neubewertung (Eliten-) Demokratie, des Wohlfahrtsstaates ihrer politischen Funktion wie auch zu einem sowie der neo-korporatistischen Entscheidungs- Bedeutungsgewinn ihrer sozialintegrativen sofindungs- und Umsetzungsprozesse zu über- wie gemeinschaftsbildenden Potentiale. In diewinden. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA sem Kontext sind zivilgesellschaftliche Orga- nisationen als non-gouvernmentale einerseits und als sozialintegrative oder intermediäre andererseits bzw. als Interessenvertretungsorganisationen und Themenanwälte sowie als Mitgliederorganisationen gefordert. Themenanwälten/NGOs kommt als politischen Akteuren im Rahmen von Global Governance im Prozess internationaler Deliberation jenseits traditioneller Nationalstaatlichkeit eine wichtige Bedeutung zu. Infolge der Herausbildung des Mehrebenensystems der Politikgestaltung im europäischen Kontext haben zivilgesellschaftliche Akteure als hoch-professionalisierte Themenanwälte bzw. Lobbyisten gerade in Europa nachhaltig an Relevanz gewonnen. Zumal die Europäische Union sich aufgrund ihres eher kleinen Verwaltungsapparates mittels gezielter Finanzierung und damit strukturellen Aufbaus von in Brüssel basierten zivilgesellschaftlichen Organisationen ihr kritisches Potential strategisch selbst schafft. 83 soll mittels Engagement in zivilgesellschaftlichen Organisationen beigelegt werden. Insgesamt sieht sich die Infrastruktur der Zivilgesellschaft derzeit mit der dreifachen Anforderung konfrontiert, in Ergänzung der klassischen Legitimationsgaranten, nämlich repräsentative Parteiendemokratie und hoheitliche Verwaltung, dazu beizutragen sowohl outputorientierte Effizienz, input-orientierter Authentizität als auch gesellschaftliche Integration und affirmative Bindung der Bürger und Bürgerinnen an das politische Gemeinwesen sicherzustellen. Insofern werden unter den veränderten Kontextbedingungen zivilgesellschaftliche Organisationen mit multiplen Zuständigkeiten in Verbindung gebracht, und zwar indem sie gleichzeitig als Garanten von Sozial- sowie Systemintegration, effektiver Entscheidungsfindung und effizienter sozialer Dienstleistungserstellung betrachtet werden. Insbesondere im alltagspolitischen Diskurs wird mit zivilgesellDarüber hinaus wird mit Zivilgesellschaft und schaftlichen Organisationen gleich ein ganzes konkret mit den Mitgliederorganisationen die Bündel von Erwartungshaltungen in VerbinHoffnung verbunden, die gesellschaftliche Ein- dung gebracht. Gekoppelt werden diese Erbindung von Politikgestaltung zu gewährleis- wartungen häufig mit vertragstheoretischen ten. Indiz hierfür ist die intensiv geführte Dis- Überlegungen, wobei das Effizienzargument kussion zu Sozialkapital und bürgerschaftli- der New Public Management Bewegung mit chem Engagement. Da die mitgliedschaftliche der Argumentationsfigur der betriebswirtschaftBindung an Partei, Gewerkschaft und Kirche lichen Leistungsvereinbarung im Sinn des Konzurückgeht, die Wählerfluktuation zunimmt traktmanagements verbunden wird. Die Verund die Politiker- und Funktionärsklasse zu- bindung zum wohlfahrtsstaatlichen Gerechtignehmend professionalisiert, sollen der Verlust keitsdiskurs wird unter Bezugnahme auf John gemeinschaftlicher Orientierung sowie die Lo- Rawls und seine Konzeption einer gerechten ckerung der sozialen Netze und lokalen Bin- gesellschaftlichen Institutionenbildung konzepdungenzyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA auch ausgeglichen werden durch die tionalisiert. Schließlich wird im Hinblick auf Aktivierung der Zivilgesellschaft. Bürger und die Legitimationsdefizite des modernen InterBürgerinnen werden von der Politik aufgefor- ventionsstaates auf die klassische Konzeption dert, sich verstärkt zu engagieren, in Selbsthil- des Gesellschaftsvertrages Bezug genommen, fegruppen, Sportvereinen und Hobby-Initiati- wobei zivilgesellschaftliche Organisationen als ven zusammenzukommen, um dort Ge- an der Konstitution von politischer Herrschaft meinschaft einzuüben und im Sinne von maßgeblich beteiligte Vermittler zwischen Inde Tocqueville in die Schule der Demokratie dividuum und demokratischer Herrschaft chazu gehen. Politik- und Parteienverdrossenheit rakterisiert werden. 84 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Annette Zimmer zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Rahmenbedingungen der Ziviigesellschaft 85 Mehr Zivilgesellschaft wagen! zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA keit räumen zivilgesellschaftlichen Organisaihnen verbundenen Reformperspektiven auch der Gesamtbeschäftigung am ausgeprägtesten, tionen enge Grenzen im Hinblick auf die Eintatsächlich entwickeln und umsetzen, muss während die Vergleichsangaben für die Bereiche Allerdings wird in der zivilgesellschaftlich ori- Werbung steuerlich nicht zu veranlagender man diese auch hierzu in die Lage versetzen. Umwelt mit sechs Prozent und Bürger- und Verentierten Reformdebatte meist übersehen, dass Spendengelder ein. Entsprechendes gilt Doch auch hier hinkt Deutschland der inter- braucherinteressen mit drei Prozent eher bescheidie Organisationen auch in der Lage sein müs- insbesondere auch für die Einnahmen aus nationalen Entwicklung maßgeblich hinterher. den ausfallen. sen, diese weitergehenden Reformperspekti- wirtschaftlicher Tätigkeit. Eine QuerfinanzieWährend in den U S A und im europäischen ven zu verwirklichen, womit nicht zuletzt ihre rung zivilgesellschaftlicher Aktivität durch am Ausland inzwischen Kurse zu Themen wie Literatur Ressourcenabhängigkeit sowie die ihnen Markt erzielte Einnahmen ist in Deutschland etwa Philanthropie, Nonprofit-Mangement, durch die rechtlichen Rahmenbedingungen so gut wie unmöglich. Die Infrastruktur der Zivilgesellschaft, NGO und Governance zum Anheier, Helmut/Priller, Eckhardt/Zimmer, Anneteingeräumten Handlungsspielräume und -re- Zivilgesellschaft ist gemäß der preußisch-etauniversitären Alltag gehören, sucht man in te 2000: Zur zivilgesellschaftlichen Dimension des striktionen angesprochen sind (Betzelt 2001). tistisch sowie katholisch-paternalistischen TraDeutschland danach vergebens. Zunehmend Dritten Sektors. In: Klingemann, Hans-Dieter/ Ebenfalls wird kaum thematisiert, dass die dition Deutschlands sehr staatsnah konzipiert. eingerichtet werden dagegen Studiengänge an Neidhardt, Friedhelm (Hrsg.): Die Zukunft der Anforderungen an die zivilgesellschaftlichen Mit der Folge, dass abgesehen von StaatsFachhochschulen zum Bereich Sozialmanage- Demokratie, (WZB-Jahrbuch), Berlin: edition sigOrganisationen mit sehr unterschiedlichen, knete' kaum alternative Finanzressourcen zur ment, wobei eine einseitige Orientierung auf ma, 71-98. sich sogar einander ausschließenden Hand- Verfügung stehen. kommerzielle Aspekte und Konkurrenz imp- Bauer, Rudolph 1997: Zivilgesellschaftliche Gestaltung der Bundesrepublik: Möglichkeiten oder lungslogiken verbunden sind. So wird aktuell liziert ist. Eher enttäuschend verläuft auch Grenzen? - Skeptische Anmerkungen aus der Sicht der Anforderungskatalog an die zivilgesell- Es ist zu hoffen, dass die wachsende Zahl der die Debatte zum ,aktivierenden Staat' als Reder Nonprofit-Forschung. In: Schmals, Klaus M7 schaftlichen Organisationen von Seiten des Bürgerstiftungen zumindest auf der lokalen formperspektive mit Bürgerbeteiligung. Zivil- Heinelt, Hubert (Hrsg.): Zivile Gesellschaft. EntStaates kontinuierlich erweitert, ohne dass je- Ebene dazu beitragen wird, diese ausgepräggesellschaft und aktivierender Staat werden wicklung, Defizite, Potentiale, Opladen: doch gleichzeitig eine Erweiterung ihres te Abhängigkeit der zivilgesellschaftlichen Orhierbei in einschlägigen Publikationen nicht Leske+Budrich: 133-153. Handlungsspielraums vorgenommen oder ih- ganisationen von öffentlicher Förderung als sich ergänzende Bereiche, sondern gemäß Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) 2000: Handbuch Bürnen die Möglichkeit der Verbesserung ihrer zumindest ein Stück weit zu verringern (Berdeutscher Tradition in eine bestimmte Rang- gerstiftungen, Gütersloh: Verlag Bertelsmann StifRessourcenausstattung jenseits der Unterstüt- telsmann Stiftung 2000). Zudem gehen die ordnung gebracht. Danach stellt „das hoff- tung. zung durch die öffentliche Hand eingeräumt Zuschüsse der öffentlichen Hand an die zivilnungsbeladene Konzept einer Zivilgesellschaft Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) 1998: Handbuch Stifwürden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass gesellschaftlichen Organisationen infolge der ... für sich erst einmal keine Orientierung für tungen, Wiesbaden: Gabler Verlag. von Seiten der Organisationen der Staat als Finanzknappheit insbesondere der Kommueine grundlegende Staatsmodernisierung" dar. Betzelt, Sigrid 2001: Reformbedarf der rechüichen ihr größtes Problem angesehen und nen kontinuierlich zurück. Innovative LösunInsofern nimmt „der aktivierende Staat... sei- und ökonomischen Rahmenbedingungen des Dritinsbesondere der Mangel an politischen Kon- gen, wie sie z.B. in einigen osteuropäischen nen Anfang daher nicht in der Forderung nach ten Sektors. In: Priller, Eckhard/Zimmer, Annette zepten kritisiert wird (Priller/Zimmer 2001: Ländern inzwischen eingeführt wurden, wo Stärkung von Zivilgesellschaftlichkeit" (Lam- (Hrsg.): Der Dritte Sektor international. Mehr Markt - weniger Staat?, Berlin: edition sigma: 219). Die Dienstleister sind in ihrem Hand- Bürger und Bürgerinnen die Möglichkeit haping et al. 2002: 36). Im Sinne eines „Mehr 293-317. lungsspielraum u.a. begrenzt durch öffentli- ben, die Summe, die einem Prozent der indiZivilgesellschaft wagen" kann man nur hofBeyme, Klaus von 2000: Zivilgesellschaft - Von ches Dienstrecht und Einbindung in die Ka- viduell zu zahlenden Steuer entspricht, direkt fen, dass die Autoren nicht Recht behalten. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLK der vorbürgerlichen zur nachbürgerlichen Gesellmeralistik. Meist sind sie als eingetragener und ohne Einflussnahme des Staates als fischaft? In: Merkel, Wolfgang (Hrsg.): SystemVerein organisiert, obgleich dies keine geeig- nanzielle Förderung an individuell ausgewählwechsel 5. Zivilgesellschaft und Transformation, Annette Zimmer ist Professorin für Vergleichennete Organisationsform für unternehmerisches te zivilgesellschaftliche Organisationen zu Opladen: Leske + Budrich: 51-70. de Politikwissenschaft und Sozialpolitik am Handeln ist. Eine Organisationsform, die spe- transferieren, werden derzeit in Deutschland Dahrendorf, Ralf 1991: Die gefährdete Civil SoInstitut für Politikwissenschaft der Westfäliziell auf die am Markt tätigen Unternehmun- nicht diskutiert. Schließlich wird gänzlich auciety. In: Michalski, Krystoff (Hrsg.): Europa und schen Wilhelms-Universität Münster. gen, die aber im öffentlichen Interesse und ßer Acht gelassen, dass betriebswirtschaftlidie Civil Society, Castelgandolfo-Gespräche 1989, im Dienst des allgemeinen Wohls handeln, che Effizienz und demokratisch-zivilgesellStuttgart: 247-263. Dubiel, Helmut 1994: Ungewißheit und Politik, zugeschnitten ist, wie sie beispielsweise in schaftliche Effektivität auf der OrganisationsAnmerkung Frankfurt: Edition Suhrkamp. einigen osteuropäischen Ländern in Form der ebene unterschiedliche EntscheidungsprozesGemäß den Ergebnissen des Johns Hopkins Pro- Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaft,Public Benefit Company' zur Verfügung se und Managementphilosophien erfordern. jektes ist die Ehrenamtlichkeit bei den im Bereich lichen Engagements" (Hrsg.) 2002: Bürgerschaftsteht, ist in Deutschland unbekannt. Die steu- Wenn man staatlicherseits erwartet, dass die internationale Aktivitäten arbeitenden Organisati- liches Engagement und Zivilgesellschaft, Oplaerrechtlichen Regelungen der Gemeinnützig- zivilgesellschaftlichen Organisationen die mit onen mit einem Anteil von knapp 30 Prozent an den: Leske + Budrich. 6 1 86 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Forschungsjournal NSB, Jp. 16, Heft 2, 2003 Annette Zimmer zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA 87 (Hrsg.) 2002:Sachße, Christoph 2002: Traditionslinien bürgerFrantz, Christiane/Zimmer, AnnettezyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Helmut Anheier/Nuno Themundo/Matthias Freise zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSR Zivilgesellschaft international. Alte und neue schaftlichen Engagements. 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In: Priller, Eckhard/Zimmer, Annette (Hrsg.): In: Helmut Anheier/Wolfgang Seibel/Eckhard Prilhunderts zu entwickeln. INGOs befinden sich Der Dritte Sektor international: Mehr Markt - we- ler/Annette Zimmer (Hrsg.): Der Dritte Sektor in gegenwärtig in einem Prozess der Re-orga2 Die organisatorische Dynamik der niger Staat? Berlin: edition sigma: 199-228. Deutschland, Berlin: edition sigma: 75-98. nisation und versuchen einerseits, die sich transnationalen Zivilgesellschaft Putman, Robert D. 1995: Bowling Alone: Zimmer, Annette/Hallmann, Thorsten 2001: Idenneuen Möglichkeiten zu nutzen bietenden America's Declining Social Capital. 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Dazu gehörten etwa wissen- transnationalen Zivilgesellschaft zu bringen, Transnationale Zivilgesellschaft und Organisationsentwicklung 88 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Helmut Anheier/Nuno Themundo/Matthias Freise I zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Transnationale Ziviigesellschaft und Organisationsentwicklung sollen im Folgenden vier zentrale Thesen her- Herausforderungen gehören dabei insbesonnommen als von den Mitgliedern in den ausgearbeitet und diskutiert werden: zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA dere: zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA Ländern des Südens (Bauck 2001). Gleichermaßen haben Schichtzugehörigkeit 2.1 Wandel der Organisationsformen oder Geschlecht innerhalb verschiedener • Finanzierungsquellen: INGOs beziehen ihre Kulturen immense Auswirkungen auf Mafinanziellen Mittel von einer Vielzahl von These: Für zivilgesellschaftliche Organisationagement und Organisationsgebaren. Geldgebern (z.B. von Stiftungen, bi- und nen ist es in einer sich globalisierenden Welt multilateralen Behörden, Spendern etc.) soeine große Herausforderung, Symmetrie zwiwie aus anderen Quellen (z.B. durch Um• Lokale Responsivität, Konformität mit natischen Umweltbedingungen und Organisationssatzerlöse, Mitgliedsbeiträge und Gebühren), onalen Regeln und globale Relevanz: ENform herzustellen. Dies bedarf Innovation und deren Einwerbung sich in den einzelnen LänGOs arbeiten für sehr verschiedene ZielVielseitigkeit. dern sehr unterschiedlich gestaltet und typigruppen, die unterschiedliche Auffassungen scherweise eine geographische Aufteilung von einer ,guten Gesellschaft' haben und von Gebern und Empfängern zur Folge hat Beispiele für die Fülle an Organisationsfordamit diversifizierte Anforderungen an Ma(Edwards/Hulme 1995; Hansmann 1996). men unter INGOs finden sich leicht. Care nagement und Organisationsmodelle stellen. International etwa ist eine hochgradig profesDie effiziente Verbindung von lokalem und sionalisierte INGO mit über 10.000 haupt- • Hauptamtliche, Mitglieder und Ehrenamtliglobalem Bezugsrahmen ist für die Effektiamtlichen Mitarbeitern. Alleine die US-amevität von INGOs auf globaler Ebene von che: Hauptamtliche Mitarbeiter zivilgesellrikanische Sektion verfügt über ein Einkomessentieller Bedeutung (Edwards et al. schaftlicher Organisationen stammen häumen von etwa 450 Millionen Dollar. Friends 1999). fig aus verschiedenen Staaten. Mitglieder of the Earth (FoE) ist eine Konföderation von und Ehrenamtliche kommen z.T. sogar aus 66 nationalen Mitglieder-Organisationen. Die einer noch größeren Zahl von Ländern rund • Kommunikations- und OrganisationskosInternational Union for the Conservation of um den Erdball und machen unterschiedliten: Weite Teile der Erde haben einen nur Nature (IUCN) ist ein Dachverband von 735 che kulturelle Einflüsse geltend. sehr eingeschränkten Zugang zu den moNGOs, 35 Tochterorganisationen, 78 Staaten, dernen Kommunikationstechnologien. Die112 Regierungsbehörden und etwa 10.000 • Verschiedenartigkeit der Aufgaben: Vom se ,digitale Spaltung' zwingt INGOs, sich Wissenschaftlern und Experten aus 181 Staain verschiedenen Regionen im InformatiSchutz des Wattenmeeres über die Fördeten (IUCN im Internet). OneWorld.net onsmanagement unterschiedlich zu orgarung von Mikrokrediten bis hin zur Bereitschließlich ist eine rein internetbasierte Organisieren. So können etwa elektronische stellung humanitärer Hilfeleistungen in Krinisation. Netzwerke in weniger entwickelten Regiosenregionen: INGOs haben sich eine Vielnen häufig bei weitem nicht dieselbe Leiszahl von Aufgaben und Zielsetzungen getungsfähigkeit erreichen wie in technoloDie Organisationstheorie (Hannan/Freeman stellt. Abhängig von den lokalen Bedingungisch hoch entwickelten Staaten (Clark/ 1977; Aldrich 1999) besagt, dass die Varianten gen können innerhalb einer Organisation Themudo i.E.). an bestehenden Organisationsformen eine verschiedene Bestandteile des OrganisatiFunktion der vorherrschenden Umweltbedinonszieles auf Kosten anderer Ziele in den gungen sind, und dass sich jene OrganisatiMittelpunkt gestellt werden. Diese Faktoren konstituieren die sehr verschieonsformen als beständiger erweisen, die sich denen lokalen und globalen Umweltbedingundiesen Umweltbedingungen am besten anpas- • Lokale Auslegungen der globalen Mission: gen, denen sich INGOs ausgesetzt sehen und sen können. Eine solche Symmetrie zwischen Da INGOs unter sehr verschiedenen kultudie ihnen das Ereichen einer Symmetrie zwiOrganisationsform und Umweltbedingungen ist rellen Rahmenbedingungen arbeiten, müsschen Form und Umwelt schwer machen, was jedoch besonders schwer zu erreichen, wenn sen sie Antworten auf die z.T. recht unterzu der Anforderung führt, sich je nach lokalen Organisationen sich nicht nur einer einzigen schiedlichen Auslegungen des OrganisatiGegebenheiten unterschiedlich zu organisieren. sondern einer Vielzahl von Umwelten ausgeonsziels formulieren. So wurde etwa die So ist beispielsweise FoE in Schweden hochsetzt sehen, wie es bei INGOs im transnatioKampagne Jubiläum 2000 von ihren Mitgradig dezentral organisiert. Die Organisation nalen Raum der Fall ist. Zu diesen besonderen gliedern im Norden völlig anders wahrgekann dabei auf ein starkes nationales Assozia- 89 tionswesen zurückgreifen. Hingegen ist FoE in einem Land wie Mexiko sehr stark zentralisiert, wo es die Organisation mit einem lange eher abweisend gesinnten Staat, einer kleineren Mitgliederbasis und einer sehr begrenzten politischen Partizipationskultur zu tun hat (Interviews mit FoE-Vertretern). Auf verschiedene Umweltbedingungen reagieren INGOs aber nicht nur mit einer intrasondern auch mit einer interorganisatorischen Differenzierung (Anheier/Themudo 2002b). So haben Mitglieder in den verschiedenen Organisationen sehr unterschiedliche individuelle Mitbestimmungsrechte. Zum Teil unterscheiden sich diesbezüglich sogar die einzelnen nationalen Sektionen ein und derselben Organisation. Diese Variationen sind Ausdruck der verschiedenen historischen und rechtlichen Rahmenbedingungen, die die Leitungsebene jeder nationalen Einheit einer Organisation beeinflussen. Die Mitglieder von Greenpeace haben z.B. in den meisten nationalen Mitgliedsverbänden kein Wahlrecht. In den Vereinigten Staaten etwa ernennt sich der Vorstand von Greenpeace selbst. In Spanien dagegen haben die Mitglieder Wahlrecht und bestimmen den Vorstand demokratisch. Im Gegensatz zu Greenpeace orientieren sich die meisten der nationalen Sektionen von FoE am Prinzip der internen Demokratie, die Mitglieder verfügen über ein Wahlrecht. Ausnahme ist hier hingegen Kanada, wo die Mitgliedern von FoE nicht wählen dürfen und sich der Vorstand ebenfalls selbst bestimmt (Anheier/Themundo 2002a; Anheier/Themundo 2002b). 2.2 Angleichung der Organisationsformen These: Zivilgesellschaftliche Organisationen werden sich gleichzeitig ähnlicher und unähnlicher. 90 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Helmut Anheier/Nuno Themundo/Matthias Freise Trotz der bemerkenswerten Verschiedenartigkeit, die INGOs im transnationalen Raum charakterisiert, lassen sich doch ähnliche Entwicklungen ausmachen, die von der Organisationstheorie als isomorphe Tendenzen bezeichnet werden (Powell/DiMaggio 1991). Dementsprechend entstehen gegenwärtig auf globaler Ebene hauptsächlich Formen der Föderation mit betont dezentralen Organisationsmodellen. onen, Netzwerken und Bewegungen. Gegenwärtig lässt sich ein rasantes Ansteigen von Partnerschaften zwischen NGOs des Südens mit Organisationen des Nordens verzeichnen. Diese neuen Partnerschaften sind durch eine Aufgabenteilung gekennzeichnet: NGOs des Nordens sind dabei verantwortlich für die Einwerbung von Ressourcen in ihren Heimatländern, die NGOs des Südens sind dagegen zuständig für die Projektimplementation auf loAufgrund ihrer Flexibilität und Anpassungsfä- kaler Ebene. Diese Partnerschaften sind eher higkeit ist die Föderation zur gängigsten Orga- eine Arbeitsteilung zwischen Nord und Süd nisationsform geworden. Lindenberg und Do- als eine vertikale Ausbreitung nördlicher bel (1999) können diese Tendenz für große NGOs. Sie basiert einerseits auf Effektivität, INGOs im Tätigkeitsfeld der Entwicklungszu- ist anderseits aber auch den Anforderungen sammenarbeit nachweisen. Young et al. (1999) der Geldgeber geschuldet, die Kooperationen ermittelten einen ähnlichen Trend für interna- und Partnerschaften zwischen NGOs zunehtional tätige Advocacy-Organisationen. Gleich- mend zur Bedingung ihrer Spendenbereitschaft zeitig hat sich der Trend zu einer stärken inter- machen. organisatorischen Koordination anstelle von hierarchischer Kontrolle semi-autonomer Teil- In der internationalen Kampagnenarbeit sind einheiten verstärkt fortgesetzt (Anheier/The- Koalitionen mittlerweile zu einer sehr üblichen mudo 2002b). Dies ist der Weiterentwicklung Organisationsform von INGOs geworden. Koder Kommunikationstechnologie geschuldet, alitionen können dabei als strukturiertere Form die eine stetige Verringerung der Transakti- transnationaler Advocacy-Netzwerke bezeichonskosten bedingt. Im Ergebnis hat dies dazu net werden (Keck/Sikkink 1998). Smith (1997) geführt, dass Organisationen zum ,Downsizing' hat bereits für den Zeitraum zwischen 1973 tendieren, sich auf ihre Kerntätigkeitsfelder und 1993 ein beachtliches Ansteigen von Koakonzentrieren und ergänzende Tätigkeiten aus- litionen feststellen können. Es scheint durchaus gliedern (Hatch 1997; Powell 1990). Während plausibel, dass die Ausbreitung von Koalitiokleinere Organisationen noch immer darauf nen mit der Entwicklung der Kommunikatiangewiesen sind, einige ihrer Aktivitäten zu onstechnologie zusammenhängt. Der anhaltenglobalisieren, hält sie ihre geringe Größe davon de Erfolg und die weitreichende öffentliche ab, eine grenzüberschreitende Föderationsstruk- Wahrnehmung solcher Verbände wie etwa die tur in vielen verschiedenen Staaten aufzubau- Koalition für die Einführung des Internationaen. Statt dessen haben sich einige dieser Orga- len Strafgerichtshofes haben eindrucksvoll genisationen grenzüberschreitend in Form von zeigt, welches Potential sie als OrganisationsNetzwerken und Kooperationen zusammenge- form auf transnationaler Ebene entfalten könschlossen, um so die Vorteile der Globalisie- nen (Glasius 2002). rung zu nutzen. Die Kombination dieser Trends begünstigt auch das Ansteigen inter-organisatorischer Kooperationen in Form von Partnerschaften, Koaliti- Auch andere Faktoren führen zum Isomorphismus. Das Fehlen verbindlicher transnationaler Regeln für INGOs reduziert zwar im Vergleich zur nationalen Ebene den Zwang zur Anglei- zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Transnationale Zivilgesellschaft und Organisationsentwicklung ! j • , | j j ! j j { t | i I 91 chung. Meyer et al. (1997) haben aber nachgewiesen, dass sich INGOs in ihrem Erscheinungsbild dennoch und trotz aller Differenzierung stärker annähern. Grund hierfür ist zum einen die Herausbildung einer Art ,Weltkultur', die die Entstehung organisatorischer Blaupause zur Folge hat. Typischerweise sind es dabei westliche Organisationsformen, denen für die transnationale Ebene eine größere Legitimität zugesprochen wird als etwa chinesischen oder indischen Ansätzen. Im Zuge der Herausbildung einer Weltkultur lässt sich auch der Trend hin zu einheitlichen internationalen Eliten beobachten, die dem Trend zum Isomorphismus weiter Vorschub leisten, da sie offenbar dazu neigen, ihre INGOs Vorbildorganisationen anzupassen, die in ihren Augen erfolgreich arbeiten. einerseits und Förderorganisationen anderseits. Erhalten INGOs beispielsweise einen Großteil ihrer Ressourcen aus staatlichen Quellen, so sehen sie sich einem großen Zwang zur Bürokratisierung ausgesetzt (Edwards/Hulme 1995). Da staatliche Einrichtungen und private Förderorganisationen nationalen rechtlichen Rahmenbedingungen unterliegen, erlegen sie ihren geförderten Partnerorganisationen Rechenschaftspflichten entsprechend den nationalen Bestimmungen auf und , exportieren' damit nationale Regelungen in den transnationalen Raum. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTS Die isomorphen Tendenzen innerhalb der transnationalen Zivilgesellschaft werden weiterhin durch globale Finanzierungsstrukturen konstituiert. Die Abhängigkeit von einer begrenzten Zahl von Gebern erhöht die Möglichkeit des externen Einflusses auf die Organisationsform (Pfeffer/Salancik 1978). Es gibt durchaus Anzeichen, dass die Konkurrenz um knappe Ressourcen innerhalb der transnationalen Zivilgesellschaft zugenommen hat und auch weiter zunimmt (Foreman 1999; Lindenberg/Dobel 1999). Wettbewerb führt dabei nicht notwendigerweise zu einem Isomorphismus innerhalb der Organisationen, da Geber durchaus auch Innovationen und Vielfalt unterstützen. Dennoch gibt es eine allgemeine Tendenz dahingehend, dass Geber Effektivität höher bei ihrer Spendenentscheidung ansiedeln als Vielfalt und Innovation (Riddel 1998). Der Grad der Globalisierung von Organisationen lässt sich an zwei Indikatoren ablesen, nämlich zum einen am Verhältnis von einheimischen zu ausländischen Einnahmen. Zum anderen ist die Zahl der Länder, in der eine Organisation entweder programmatisch aktiv ist oder aber Geldquellen erschließt, wichtig für den Einfluss der Globalisierung auf die Organisationsform. Auf einem niedrigen ,Level' von Globalisierung entwickeln zivilgesellschaftliche Organisationen ein Gespür für internationale Themen. Hält die Internationalisierung weiter an, werden in zunehmendem Maße formale Beziehungen mit Organisationen in anderen Staaten etabliert, etwa in Form von Netzwerken, Koalitionen oder auch Partnerschaftsverträgen. Auf dem höchsten Level der Globalisierung wird die zivilgesellschaftliche Organisation zur transnationalen Organisationen, indem sie entweder als Franchisegeber in Erscheinung tritt oder aber selbst Tochterorganisationen im Ausland gründet. Darüber hinaus führt die Konkurrenz um finanzielle Ressourcen, die auf globaler Ebene von einer sehr begrenzten Zahl an Hauptgebern bereit gestellt werden, auch zu einer Angleichung der Beziehungen zwischen INGOs 2.3 Auswirkungen der Globalisierung These: Organisationsformen werden von der Globalisierung unterschiedlich stark geprägt. Welche Auswirkungen hat eine Veränderung des Grades der Globalisierung nun auf die 92 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Helmut Anheier/Nuno Themundo/Matthias Organisationsform? Die meisten INGOs entwickeln eine Mehrebenenstruktur die jeweils lokale, nationale und internationale Komponenten enthält und verbindet. Da die Umweltbedingungen zwischen den einzelnen lokalen Gruppierungen und der internationalen Ebene meist sehr unterschiedlich sind, bietet sich eine dezentralisierte Organisationsform an. Entscheidungen sollten dabei stets auf der Ebene getroffen werden, wo das Sachwissen in größtem Maße verfügbar ist - und das ist nicht notwendigerweise die Zentrale selbst. Gleichzeitig führt diese Organisationsform dazu, dass Ressourcen intern sehr ungleich verteilt sind und wichtige Aufgaben nicht die größte Form der Unterstützung erhalten. In Situationen, in denen Aufgaben und Ressourcen innerhalb einer geographisch gegliederten Organisation stark variieren, ist daher ein föderales Modell oder eine Föderation die beste Organisationsform. In diesem Ansatz kommen der Organisationszentrale vor allem drei Aufgaben zu, nämlich erstens die Aufrechterhaltung von Expertise auf der dafür angemessenen Ebene, zweitens die Koordination unter den Teileinheiten sowie drittens die Vermittlung eines kollektiven Auftretens gegenüber Dritten. Auf transnationaler Ebene wird die Organisationsform durch eine Reihe von Anforderungen an INGOs bestimmt. Dazu gehört Ressourceneinwerbung sowie die Einführung neuer Technologien (Lindenberg/Dobel 1999). Einheitliche oder korporative Modelle erleichtern einerseits die Koordination und ermöglichen es andererseits, das einheitliche Auftreten einer Organisation und damit ihre Identität aufrechtzuerhalten. Schwach koordinierte Netzwerke hingegen führen zu einem Höchstmaß an organisatorischer Autonomie und einer bestmöglichen Anpassung an die lokalen Gegebenheiten. Selbstverständlich ist die Globalisierung der Organisationsaktivitäten nicht die Freise Transnationale Zivilgesellschaft und Organisationsentwicklung zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA nisationen Spannungen, denen Mischformen einzige Formdeterminante. Neue Technologiam effektivsten begegnen. en, Zielsetzungen, sich verändernde Möglichkeiten der Ressourceneinwerbung und die jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen sind Dabei gilt es, zwei Hauptprozesse zu unterandere wichtige Faktoren, die die Organisatischeiden, nämlich erstens die Neuordnung und onsform im transnationalen Raum beeinfluszweitens die Neuzuweisung von Funktionen. sen können. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Die Neuordnung beinhaltet die Einführung neuer Elemente in eine existierende Organisationsform. Zivilgesellschaftliche Organisationen 2.4 Herausbildung organisatorischer haben viele Elemente von staatlichen InstitutiMischformen onen übernommen. So wurde beispielsweise die zielorientierte Projektplanung und -durchThese: Defizitäre Organisationsformen fuhren führung der Gesellschaft für Technische Zuzu Innovationen und hybriden Formen. sammenarbeit (GTZ) zum entwicklungspolitischen Maßstab der Antragsstellung vieler INDie Mischung von zwei Organisationsformen GOs (Riddel 1998). setzt die Kombination von Elementen mindestens zweier verschiedener OrganisationsforINGOs haben sich außerdem als Wegbereiter men voraus, aus denen dann eine dritte Form neuer Organisationselemente erwiesen, die heugeneriert wird (Romanelli 1991). Mit dieser te Eingang in viele Bereiche genommen haben Kombination wird der Versuch unternommen, und auch in anderen Sektoren Anwendung findie Stärken beider Ansätze zu maximieren den. Formen der Teilhabe im Bereich der Entund gleichzeitig ihre Schwächen möglichst wicklungszusammenarbeit wurden etwa von zu minimieren. Die Vermischung von OrgaINGOs entwickelt und werden heute vielfach nisationsformen ist eine wesentliche Strateauch innerhalb staatlicher Entwicklungsplagie von Organisationen, auf veränderte Umnung verwendet. Einige Autoren gehen sogar weltbedingungen zu reagieren. So haben so weit und sprechen von einer ,reverse agenbeispielsweise die verschiedenen kulturellen da', bei der INGOs neuerdings die internatiound regulativen Rahmenbedingungen, denen nale Entwicklungspolitik beeinflussen (Lewis INGOs begegnen, organisatorische Mischfor2001). men begünstigt. Aus drei Gründen tendieren INGOs zur Herausbildung organisatorischer Mischformen: Erstens sind ihre Umweltbedingungen sehr verschieden und unterliegen einem permanenten Wandel. INGOs sind deshalb in hohem Maße auf die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit angewiesen, die ihnen Organisationsmischformen bieten. Zum Zweiten müssen INGOs häufig Organisationsformen des öffentlichen und des erwerbswirtschaftlichen Sektors miteinander kombinieren, um erfolgreich arbeiten zu können. Zum Dritten erzeugt das globale Umfeld mit nationalen und internationalen Orga- 93 Der Prozess der Vermischung von Organisationsformen und der Innovation ist in den vergangenen Jahren sehr intensiv vonstatten gegangen, sodass einige Organisationen heute als eine Art Flickenteppich erscheinen. Das Auftauchen dieser organisatorischen PatchworkFormen mag die Schwierigkeit der Analyse formaler Organisationsstrukturen verdeutlichen. Nachdem die Kommunikationskosten im internationalen Raum dramatisch gefallen sind, sind verschiedene Formen von Netzwerken entstanden (Powell 1990; Anheier/Themudo 2002a). Formen der Zusammenarbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen im transnationalen Raum entstehen zumeist auf der Grundlage einer gemeinsamen Grundidee oder eines gemeinsamen Ziels (wie z.B. das gemeinsame Anliegen der Ächtung von Landminen). Solche Verhältnisse bauen dabei zumeist eher auf Vertrauen und Gleichheit als auf hierarchischen Machtstrukturen auf. Die gemeinsamen Zielsetzungen und die gegenseitigen Vorteile, die die Zusammenarbeit bietet, halten diese Formen der Zusammenarbeit zusammen. Hierin liegt auch die Chance einer langfristigen Zusammenarbeit. In den Mittelpunkt rückt dabei nun allerdings die Frage der Machtverteilung innerhalb dieser Netzwerke. Neuzuweisung von Funktionen bedeutet die Übernahme einer Organisationsform in einen Um einem Nord-Süd-Gefälle bei der Machtanderen Kontext zum Beispiel die Abwande- verteilung entgegenzuwirken, haben zahlreiche rung von Wirtschaftsbetrieben in Felder, die zivilgesellschaftliche Organisationen Neuerunursprünglich von Nonprofit Organisationen be- gen eingeführt. Ein Beispiel hierfür ist die setzt worden sind, so im Gesundheits- oder INGO Rainforest Movement, die mit der EinBildungswesen. Ein weiteres Beispiel hierfür richtung von zwei Hauptquartieren experimenist der Verlust staatlicher Legitimität im Rah- tiert hat - eines im Norden und eines im Sümen derzyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA New Policy Agenda (Edwards/Hulme den. Das Weltsozialforum versucht eine Art 1995), die es einigen INGOs im Feld der Ent- Ringstruktur mit rotierenden Hauptquartieren wicklungszusammenarbeit erlaubt, Aufgaben zu entwickeln, bei der sich jede Landesorganizu übernehmen, die lange Zeit von staatlicher sation für eine gewisse Zeit um die Rolle der Zentrale bewerben kann. Seite dominiert worden sind. 94 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Helmut Anheier/Nuno Themundo/Matthias Freise zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Transnationale Zivilgesellschaft und Organisationsentwicklung Mitgliederorganisationen haben demgegenüber | | das größte Demokratisierungspotential. Sie bie; ten demokratische Formen an, haben Mecha! nismen der Einbindung verschiedener beteili! ger Gruppen entwickelt, sprechen demokrai tisch interessierte Bürger an, und sie vertiefen ; die Pluralisierung der Gesellschaft (Seile/ t Str0msnes 1998). Trotzdem halten auch diese I Organisationen Fallstricke parat. Da sich immer ! einige Mitglieder stärker einbringen als andej re, kämpfen alle demokratisch aufgebauten j Mitgliederorganisationen stets mit dem Dilem' ma, entweder alle inaktiven Mitglieder in glei! chem Maße mitbestimmen lassen zu müssen | oder aber Eliten der Aktiven zu bilden. j i Das spannungsreiche Verhältnis zwischen Nord und Süd ist ein weiterer kritischer Be] Werden die aktuell verwendeten Organisatij reich der organisatorischen Infrastruktur der In den meisten Fällen handelt es sich jedoch onsformen dem Anspruch gerecht, demokraI globalen Zivilgesellschaft. Vianna (2000) nicht um völlige Neuerungen, viel häufiger ist tievertiefende Strukturen auf der Ebene der gloi macht diesbezüglich die Tendenz aus, dass es statt dessen die Einführung von Mischfor- balen Zivilgesellschaft zu implementieren? Um ; Nord-NGOs durch ihren privilegierten Zugang men oder die Übertragung und Modifikation darauf eine Antwort geben zu können, müssen von Ideen aus anderen Kontextbedingungen zwei Punkte in den Blick genommen werden, 1 zu den globalen Zentren der Macht die südlii zur Lösung ähnlicher Probleme, die zu inno- nämlich zum Einen die Frage nach den BesitzI chen NGOs in einer neuen Form des ,Policy verhältnissen und zum Zweiten nach der Art vativen Ansätzen bei INGOs führt. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA j Imperialismus' mitzurepräsentieren versuund Weise der Entscheidungsfindung innerhalb ' chen. Kennzeichnet die Beziehungen zwizivilgesellschaftlicher Organisationen. 3 Schlussbemerkung I sehen Nord und Süd also besser der Begriff j Hierarchie oder eignet sich doch der Begriff Die Dynamik der hier beschriebenen organisa- Zwei Formen von Besitzverhältnissen haben i der Partnerschaft? torischen Infrastruktur ist für die globale Zi- sich bei INGOs herauskristallisiert, nämlich i vilgesellschaft von großer Bedeutung. In zum Einen Mitglieder-basierte und zum Ande| Es lassen sich einige interessante neue AnsätSchlussteil sollen daher die Auswirkungen die- ren Unterstützer-basierten Formen. Der jewei! ze ausmachen, mit denen versucht wird, dem ser Dynamik auf die Effizienz von Organisati- lige Besitztyp hat dabei großen Einfluss auf Problem der ungleichen Machtverteilung zu onen und ihre Nachhaltigkeit, ihr Demokrati- Entscheidungsfindung, Rechenschaftslegung begegnen. Es scheint jedoch insgesamt, dass sierungspotential und die Nord-Süd-Spannun- und Legitimation (Anheier/Themudo 2002b). I auch INGOs nicht in der Lage sind, dieses Bei strenger Auslegung sind mitgliederlose gen kurz beleuchtet werden. Ungleichgewicht auszugleichen. Trotzdem NGOs Organisationen ohne Besitzer (Hanskönnten diese Innovationen durchaus Wirkung Für die Nachhaltigkeit der transnationalen Zi- mann 1996). In diesem Falle basiert die Entzeigen, wenn sie verstärkt Anwendung finden. vilgesellschaft ist die Existenz einer Vielzahl scheidungsfindung nicht auf demokratischen Dabei ist eine entscheidende Frage, ob südlivon Organisationsformen von zentraler Wich- Verfahren sondern auf dem Einfluss verschieI che Interessen besser in Organisationen mit tigkeit. Diese Verschiedenartigkeit ist eine Ab- dener Stakeholder. Ihr Beitrag zur Vertiefung i hierarchischer Struktur zur Geltung kommen sicherung gegen sich ändernde Umweltbedin- der Demokratie ist weitestgehend darauf bej oder ob nicht horizontale Verfahren der Koogungen, die Organisationen der einen Form schränkt, dass sie zur Pluralisierung der Ge! peration, wie etwa Partnerschaften und Koalinachhaltig zerstören können, während andere sellschaft beisteuern. ; tionen, in denen Machtungleichgewichte eher Einige INGOs wie z.B. Amnesty International dadurch zum Aufblühen gebracht werden könGlobal Democracy Gover- nen. Diese Vielfalt kann außerdem zu einer haben Formen derzyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA nance entwickelt, indem sie die Zahl der Ver- größeren Effizienz der Organisationen in ihrer treter eines Mitgliedslandes im Leitungsgre- Gesamtheit beitragen. Gleichzeitig kann diese mium der Mitgliederzahl der jeweiligen natio- Abwechslung aber auch verheerende Resultanalen Sektionen angepasst haben (Anheier/The- te zur Folge haben. Zahlreiche Experimente mudo 2002b). So soll das ansonsten in Föde- scheitern und führen zum Niedergang der Orrationen recht verbreitete Modell ,ein Land - ganisation. Der Druck zur Steigerung der Effiein Vertreter' umgangen werden. Andere IN- zienz kann damit auch zu einer Reduktion der GOs (z.B. FoE) haben wiederum Wahlsysteme Vielfalt beitragen, besonders wenn starke Konzur Bestimmung der Leitungsgremien einge- kurrenz zwischen den Organisationen herrscht führt, die grundsätzlich den Vertretern südli- und wenn Geber Kostenreduzierung über Incher Staaten eine Majorität einräumen, selbst novationspotential stellen. Unter diesen Konwenn diese in geringerem Maße Ressourcen ditionen führt Wettbewerb zu einer Auswahl beisteuern oder eine geringere Zahl an Mit- der .besten' Organisationsformen, und letztlich gliedern repräsentieren als die nördlichen Staa- zu einem Ansteigen des Isomorphismus. ten. 95 ad hoc ausgeglichen werden, die bessere A l ternative darstellen. Insgesamt scheint es, dass INGOs bei der Bekämpfung des Nord-SüdUngleichgewichtes intern selbst noch erheblichen Nachholbedarf haben. Helmut K. Anheier ist Professor an der Universität von Kalifornien, Los Angeles, Director des UCLA Center for Civil Society und Centennial Professor an der London School of Economics. Nuno Themudo promoviert am Centre for Civil Society der London School of Economics. Matthias Freise ist Doktorand am Institut für Politikwissenschaft der Universität Münster und Mitglied im Forschungscollegium des Maecenata Instituts für Dritte-Sektor-Forschung. Literatur Aldrich, Howard 1999: Organizations Evolving. 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Arbeits- 96 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Helmut Anheier/Nuno Themundo/Matthias Freise Forschungsjournal NSB, Jg. 16, Heft 2, 2003 zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA papier des Centre of Civil Society der London Lindenberg, Marc/Dobel, Patrick 1999: The ChalSchool of Economics. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA lenges of Globalization for Northern International Clark, John/Themudo, Nuno i.E.: Linking the Web Relief and Development NGOs. In: Nonprofit and and the Street: Internet ,dot-Causes' and the Anti- Voluntary Management Quarterly. Vol. 28(4), SupGlobalisation Movement. Arbeitspapier des Cen- plement: 2-24. tre of Civil Society der London School of Econo- Meyer, John et al. 1997: World Society and the mics. Nation State. In: American Journal of Sociology. 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Lewis, David 2001: Management of Non-Governmental Organizations. London. 97 Ludwig Pott zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Die Enquete-Kommission als soziales System Oder was sie ais Gruppe mit der Bürgergesellschaft zu tun hat Im Dezember 1999 hat der Deutsche Bundestag eine Enquete-Kömmission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements" eingesetzt. 11 Parlamentarier und 11 Sachverständige suchten nach Antworten auf die Frage, wie wir unser gesellschaftliches Zusammenleben demokratischer organisieren können und was dabei die Rolle der Bürgerinnen und Bürger im Sozialstaat sein soll. Die Kommission hat im Mai 2002 auftragsgemäß ihren Bericht vorgelegt, der ein umfassendes Bild der Vielfalt und Bedeutung des Bürgerengagements hierzulande zeigt. Vor allem aber beinhaltet er Entwicklungsperspektiven und politische Handlungsempfehlungen für die Stärkung von Bürgersinn und Demokratie. Der Bericht genießt seitdem gesteigerte Aufmerksamkeit in der bereits länger anhaltenden gesellschaftspolitischen Debatte über die Bürgergesellschaft als Leitbild für ein neues Zusammenspiel von Staat und Bürgern. die persönliche Courage, an gemeinwohlorientiertes Handeln und an soziale Kompetenzen der Bürgerinnen und Bürger formuliert wurde. Insofern kann man an das innere Geschehen gerade dieses Gremiums besondere Maßstäbe anlegen, es zumindest aber in einer speziellen Beziehung zu eben jenem Anforderungsprofil an Bürgerinnen und Bürger betrachten, ohne das eine funktionierende Bürgergesellschaft letztlich nicht auskommen kann. Das heißt, die Kommission selbst und ihre Umgangsformen sind Teil des Themas und als Spiel im Spiel zu begreifen. In einer vom Bundestagspräsidenten berufenen Kommission ist nichts außer Kraft gesetzt, was auch sonst die vertraute Dynamik in Gruppen mit all den damit einher gehenden Zuneigungen, Verstricktheiten und Unzulänglichkeiten charakterisiert. Auch hier geht es neben den Inhalten ebenso um Statusunterschiede, um die Verteilung von Rollen, um Macht und Ohnmacht, um Attraktivität und Autorität, um FühQuasi normal rung und Gefolgschaft, um Mechanismen der Als Kommissionsmitglied kommt man nicht Entscheidungsfindung, um vorgegebene und umhin, sich ein Bild davon zu machen, wie ein sich herausbildende Normen sowie um entsolches Gremium arbeitet und wie es als sozi- sprechende Sanktionen. ales System funktioniert. Hier treffen nicht nur unterschiedliche Persönlichkeiten mit ihren je- Das bringt selbst in einer Enquete-Kommissiweiligen Fähigkeiten und Neigungen zusam- on alles subtropisch zum Erblühen, wozu Menmen, sondern zugleich spielt sich viel von dem schen in einer auf längere Dauer angelegten ab, was man gemeinhin als Politik bezeichnet. Gruppe fähig sind: Man ist berührt von perDer Versuch, einen Einblick in die Arbeitswei- sönlichen Begegnungen und freundschaftlise eines solchen Gremiums zu geben, ist des- chem Handeln über Parteigrenzen hinweg und halb reizvoll, weil mit dem Thema dieser Kom- fühlt sich wiederum angewidert von charakmission ein anspruchsvoller Wunschzettel an terloser Raffinesse, mit der versucht wird, die noch ausbaufähigen Bürgertugenden, an durch die Hintertür politische Beute zu ma- 98 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA chen. Amüsant ist die mitunter hilflose Arroganz der Macht und der Facettenreichtum der Wichtigtuerei. Zugleich können viele kluge Gedanken, die dort geäußert und diskutiert wurden, tief beeindrucken. „Quasi normal" wird das im Rheinland genannt und so ist es wohl auch, zumal es bei aller Anstrengung immer wieder Anlässe zu gemeinsamer Heiterkeit gab. Eine Enquete-Kommission bietet neben ihren hochwertigen Ergebnissen eben auch Geschichten aus dem Leben, weil in ihr Menschen sitzen. Die Enguetekommission als soziales System Ludwig Pott zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Das Thema der Kommission Auch wenn es bei dem Thema „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements" im Kern um den freiwilligen und unentgeltlichen Einsatz der Bürgerinnen und Bürger für die Belange in ihrem Gemeinwesen geht, hat die EnqueteKommission diesen schon immer als ehrenamtliche Arbeit gezeigten Bürgersinn in einen neuen Bezugsrahmen gestellt. Im Mittelpunkt stand die soziale und politische Alltagskultur im Gemeinwesen als Entwicklungsperspektive für ein neues Zusammenwirken von Bürgern und Staat. Der Leitgedanke dafür heißt Was ist eine Enquete-Kommission? Bürgergesellschaft. Sie beruht auf VoraussetEnquete-Kommissionen setzt der Deutsche Bun- zungen, die mit politischen und sozialen Rechdestag ein, wenn ein gesellschaftspolitisch rele- ten verbunden sind. Das bedeutet Stärkung von vantes Thema von allen Fraktionen als so be- Eigenverantwortung und Partizipation. Wer sich deutsam eingeschätzt wird, dass man es jenseits bürgerschaftlich engagiert, handelt in der Zuder Tagespolitik und über Parteigrenzen hinaus gehörigkeit zum politischen Gemeinv/esen, ob vertieft behandeln möchte. Sie dienen der zeit- im traditionellen Ehrenamt, in informellen Inilich befristeten Politikberatung an Schnittstel- tiativen oder Selbsthilfegruppen, ob bei der gelen zwischen Politik, Wissenschaft und der Pra- selligen Freizeitgestaltung oder bei der Vertretung politischer Anliegen. xis im Sinne des gesellschaftlichen Alltags. Entsprechend ihrer Fraktionsstärke entsenden Wie man sich leicht vorstellen kann, ist das die Fraktionen dazu Parlamentarier und beru- Thema verführerisch und hoch anschlussfähig fen zudem Sachverständige von außen. Beide an alle denkbaren politischen und gesellschaftSeiten sollen in einem kontinuierlichen Dis- lichen Anliegen. Es ist wie ein chemisches Elekussionsprozess gleichberechtigt zusammen ment, das mit jedem anderen eine Verbindung arbeiten. Das Thema wird der Kommission vom eingehen kann. Mit Blick auf die Aufgabe der Bundestag für die Dauer einer Wahlperiode Kommission mag wohl deshalb der Bundesübertragen und enthält einen konkreten Auf- tagspräsident in seiner Begrüßungsrede vor der trag. Soweit es die Themenstellung sinnvoll Kommission Theodor Fontane zitiert haben: erscheinen lässt, kann eine Enquete-Kommis- „Ach Luise, das ist ein weites Feld". Das hat sion weitere Fachleute in ihre Arbeit einbezie- sich dann auch keineswegs als mitleidige Überhen, schriftliche Gutachten in Auftrag geben treibung erwiesen. Wer den Abschlussbericht sowie zu Anhörungen, Dialogveranstaltungen durchblättert, merkt rasch, wie groß dieses Theund zu Expertengesprächen einladen. Am menfeld angelegt ist und wie schnell man sich Schluss steht ein Bericht, der Gegenstand ei- da verlaufen kann. Die Feldgröße allein ist ner Aussprache im Parlament ist. Enquete- jedoch nicht so entscheidend. Vielmehr geht Kommissionen arbeiten auf der Rechtsgrund- es um die politische Musik' des Themas, für lage der Geschäftsordnung des Deutschen die es höchst unterschiedliche HörgewohnheiBundestages. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA ten und Vorlieben gibt. Die Idee der Bürgergesellschaft stellt eine Menge Freiheiten in Aussicht, verlangt aber auch aktive Bürgerinnen und Bürger, die außerhalb von Familie und Beruf mehr Verantwortung für die Gestaltung ihres Gemeinwesens übernehmen. Sie wird damit zur idealen Projektionsfläche, zum Sammelbecken für all das, was wir sonst im politischen Alltag nur noch schwer in den Griff bekommen. So gesehen sind die Grenzen zwischen einem anspruchsvollen Zukunftsprojekt der Gesellschaft und der Überforderung aller Beteiligten fließend. Gegen die Fülle der Visionen von Demokratie und Bürgergesellschaft nimmt sich der Alltag der Freiwilligkeit in den Vereinen, Initiativen und diversen Zusammenschlüssen eher bescheiden aus. Die gängige Praxis wird von Menschen verkörpert, die bereit sind, tagtägliche Verantwortung in den unterschiedlichsten Formen ehrenamtlicher Arbeit zu übernehmen, nicht nur in den Verbänden der Wohlfahrtspflege, ebenso im Sport, in der Schule, in der Kulturarbeit und der Feuerwehr, in berufsständischen Organisationen und kommunalen Gremien. Sie zerbrechen sich den Kopf, wie sie an Finanzmittel und neue Mitglieder kommen, wie sie ihre Vorstände besetzen sollen oder wie sie überhaupt Menschen zum Mittun gewinnen können. Oft haben sie bereits alles mögliche probiert und nicht wenige sind mit ihrem Latein am Ende. Wer finanziell mit dem Rücken zur Wand steht - ob als einzelner Bürger, ob als Projekt oder Verein - , für den hält sich der Jubel über den visionären Glanz der Bürgergesellschaft in Grenzen. Soziale Notlagen und knappe Kassen sind schlechte Ratgeber für das Thema. In der Enquete-Kommission wurde versucht, eine Brücke zu schlagen zwischen den unterschiedlichen Erscheinungsformen des gegenwärtigen Bürgerengagements und einer neuen Kultur bürgerschaftlichen Engagements, die 99 über die vertrauten Lippenbekenntnisse hinaus weist und den Bürgerinnen und Bürgern in mehr gesellschaftlichen Bereichen politische Mitwirkungs- und Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet als bisher. Zugleich wird ihnen mehr Eigenverantwortung zugemutet. Der Sozialstaat ist dabei nicht aus seiner Zuständigkeit entlassen. Die Kommissionsempfehlungen richten sich nicht allein an die Politik. Viele der Vorschläge sind ebenso an die öffentliche Verwaltung, an Vereine und Verbände adressiert. Dabei hat sich die Kommission von der Erkenntnis leiten lassen, dass - entgegen allgemeiner Einschätzung - die Engagementbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger nicht grundsätzlich nachgelassen hat. Vielmehr kommt es auf die konkreten Bedingungen zum Mitmachen an. Zu diesen Bedingungen zählt, dass bürgerschaftliches Engagement zunehmend an eine ausreichende Berücksichtigung eigener Bedürfnisse, Interessen und Zeitvorgaben gekoppelt ist. An Stelle eines lebenslangen Engagements nach dem gleichem Muster wächst die Neigung, in bestimmten Lebensphasen nach Bedarf und Möglichkeiten zu entscheiden. Damit stehen vertraute Vorstands-, Führungsund Vereinsrituale ebenso auf dem Prüfstand wie die Zusammenarbeit zwischen hauptamtlichen Kräften und Freiwilligen. Das gilt für Vereine und Verbände in allen gesellschaftlichen Bereichen ebenso wie für Parteien. Die Architektur der Kommission Da sind zunächst die 11 Parlamentarier: 5 von der SPD, 3 von der CDU/CSU, 1 von Bündnis 90/Die Grünen, 1 von der FDP und 1 von der PDS - und die gleiche Zahl von Vertretern. Zu ihnen haben sich in gleicher Menge und Relation die Sachverständigen gesellt, die 100 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Ludwig Pott zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Die Enquetekommission als soziales System jeweils von den Fraktionen im Bundestag benannt werden. Da auch eine parteiübergreifende Enquetearbeit nicht frei ist von der politisch-taktischen Aufstellung der Fraktionen, entscheiden diese sich in der Regel für Sachverständige, die in ihrer fachlichen Ausrichtung und Argumentation in die parteipolitische Programmatik passen. Hier ist die Politik sehr volksnah und holt sich nicht ohne Not Läuse in den eigenen Pelz. Innerhalb der Gruppe der Parlamentarier kristallisierte sich ein besonderer Kreis heraus, das sind die sogenannten Obleute. Sie werden von den jeweiligen Fraktionen gewählt und verarbeiten deren ferne Kommandos, d.h. sie vertreten die politischen Interessen der Fraktionen in der Kommissionsarbeit und haben die Bezüge zu anderen Politikfeldern im Auge. eine vertiefte Bearbeitung der Themenschwerpunkte (1.) Zivilgesellschaft, (2.) Sozialstaat und (3.) Erwerbsarbeit eingerichtet worden sind. Die Mitglieder der Kommission ordneten sich nach eigenen Arbeitsschwerpunkten jeweils einer der Berichterstattergruppen zu, wobei es für die politischen Fraktionen von Interesse war, in möglichst allen drei Gruppen personell vertreten zu sein. Natürlich spielten bei der Entscheidung auch persönliche Sympathien eine Rolle. Geleitet wurden die Gruppen von einem dafür gewählten Mitglied bzw. von seinem Stellvertreter. Dessen Aufgabe bestand u.a. darin, der Gesamtkommission über den Fortgang der Arbeit und über Entscheidungen oder Vorschläge zu berichten. Die Berichterstattergruppen entsprechen dem Die Obleute bilden das Obleute-Gremium, Typus von Kleingruppen und gewinnen schon sozusagen die politische Tafelrunde der Kom- deshalb eine vergleichsweise höhere soziale mission. Es stellt ein einflussreiches Subsys- Dichte. Von hier aus wurden - gewissermaßen tem in der Kommission dar, dem eine zentrale vom Rand her - auch die Ereignisse der GeBedeutung vor allem bei strittigen Sachlagen samtkommission verfolgt, das Vorgehen des und Verfahrensfragen zukommt. In Konfliktsi- Vorsitzenden kommentiert und Pläne geschmietuationen fällt ihnen eine wichtige Vermitt- det, Ärger geäußert und mitunter auch im Verlungsrolle zu, aber sie sorgen auch für den gleich mit den anderen Berichterstattergruppolitischen Abstimmungsbedarf zwischen den pen ein Gefühl von Einmaligkeit der eigenen Fraktionen im laufenden Geschäft. Das Ob- Zusammensetzung erzeugt. Punktuell von Konleute-Gremium ist sowohl das Verbindungs- kurrenz zwischen den Berichterstattergruppen glied wie auch eine systembedingte Bruchstel- zu sprechen, würden die Beteiligten aller Wahrle zwischen der mächtigen fraktionsübergrei- scheinlichkeit nach weit von sich weisen. Ich fenden Logik des Bundestages und den exter- bin aber sicher, dass mich dieses Gefühl nen Sachverständigen. Konkret kann das be- verschiedentlich nicht allein beschlichen hat. deuten, dass die Parlamentsgeschäftigkeit und nicht mehr die inhaltliche Debatte die Kom- Quer zu den Berichterstattergruppen wurden missionsarbeit dominiert. im weiteren Verlauf der Enquetearbeit noch drei weitere Arbeitsgruppen installiert. Eine Ein weiteres wichtiges strukturelles Element davon befasste sich mit der Vorbereitung des der Kommissionsarbeit waren die sogenann- Berichtes, entwickelte Gliederungsentwürfe ten Berichterstattergruppen. Es handelt sich und verfolgte die Stimmigkeit der Textvorladabei um drei Arbeitsgruppen, die durch ge- gen. Da die vereinbarten Zeitvorgaben mitunter meinsamen Beschluss in der Kommission für erheblichen Druck auf alle Beteiligten erzeug- ten und dabei auch der Acker einzelner Eitelkeiten betreten werden musste, verlief diese Arbeit notgedrungen nicht ganz splitterfrei. Das Ergebnis konnte sich dennoch sehen lassen. Dies hatte mit den Leistungen der Autorinnen und Autoren und der Arbeit des Sekretariats zu tun, vor allem aber auch mit der Tatsache, dass zur Kommission eine weibliche Sachverständige gehörte. Sie war die einzige Frau im Kreis der Sachverständigen und bildete die Keimzelle jener Gruppe, die den Bericht vorbereitet hat. 101 krete Empfehlungen an den Gesetzgeber erarbeiten. Von hier stammen jene Ergebnisse im Bericht, die am detailliertesten formuliert sind und deren politische Umsetzung deshalb am einfachsten überprüft werden können. Die dritte Arbeitsgruppe hat die Veröffentlichung aller Gutachten in einer elfbändigen Schriftenreihe der Kommission vorbereitet. Zusätzlich gab es Arbeitsgruppen in den jeweiligen Fraktionen zum Enquetethema. Streng genommen waren auch sie Teil der Die zweite Arbeitsgruppe erörterte Rechtsfra- Kommissionsarchitektur. Sie tagten fraktionsgen des bürgerschaftlichen Engagements, die intern zwischen den Sitzungen der Kommissich aus dem gesondert in Auftrag gegebenen sion und wurden üblicherweise von den jeRechtsgutachten ergeben hatten. Sie sollte kon- weiligen Obleuten geleitet. Daran nahmen die ©L. Pott Enquete-Kommission 2003 zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA "Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements" Fraktion SPD vutsonmlhedaJICA J Fraktion CDUCSU ObleuteGremium Vorsitzender Sekretariat / AG \ Enquetebericht ; Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen PARLAMENTARIER / SACHVERSTÄNDIGE 1\ Fraktion FDP J V Fraktion PDS AG empfehlungert/ Die Enquetekommission als soziales System 102 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Ludwig Pott zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA zugehörigen Parlamentarier und Sachverständigen sowie jene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fraktion teil, die auch von Fraktionsseite die Kommissionsarbeit organisatorisch und wissenschaftlich begleitet haben. Hier wurden politische Positionen der Enquetearbeit diskutiert, von Fachleuten aus den Ministerien Rat eingeholt und natürlich auch ein Auge auf die Strategie des politischen Gegenübers und seine offenen und verdeckten Operationen geworfen. eigenem Anlass Bericht über die Arbeit des Sekretariats. selbst ist. Andere sind einem dagegen nur ihrem Namen nach bekannt. Vorgefundene Beziehungen Das Sekretariat besaß den umfassendsten Überblick über Details der Arbeiten in allen Bereits zu Beginn der Kommissionsarbeit gab Teilsystemen. Es protokollierte die Sitzunes sogenannte vorgefundene Beziehungen. gen einschließlich der BerichterstattergrupDas gilt besonders für die Parlamentarier. Sie pen, organisierte die Anhörungen und leistekennen sich zum einen persönlich aus der te nicht zuletzt den entscheidenden Beitrag eigenen Fraktionsarbeit und wissen zudem dafür, dass diese Kommission fristgerecht meist sehr genau, was sie von den Kollegineinen Bericht vorlegen konnte. Die vom Senen und Kollegen auf der anderen Fraktionskretariat erbrachten schriftlichen Beiträge seite zu halten haben. Ähnlich sieht es bei Eine Schlüsselrolle spielte naturgemäß der Vor- und redaktionellen Arbeiten geraten leicht den Universitätslehrern aus, die über die Hälfsitzende. Er wurde in dieser Kommission ent- in Vergessenheit, da vorwiegend die Sachte der Sachverständigen gestellt haben. Sie sprechend der Fraktionsstärke von der sozial- verständigen die Texte für den Bericht gesind einander aus universitären Zusammendemokratischen Fraktion gestellt, seine Stell- schrieben haben. Hier musste für manches hängen bekannt oder haben zumindest aus vertreterin von der Union. Der Kommissions- der Rücken hingehalten werden, weil ehrder Literatur eine gegenseitige Einschätzung vorsitzende leitete die Sitzungen und konnte geizige Entscheidungen der Kommission unihrer wissenschaftlichen Gewichte. Auch die gedacht waren ter Zeitdruck nicht zu Ende sich aus seiner Leitungsfunktion jederzeit mit übrigen Mitglieder verfügten aus vorangeganeigenen Beiträgen in die inhaltliche Debatte oder aus parteipolitischem Kalkül hoch am genen Arbeitsgremien teilweise über Kennteinschalten, was mitunter richtungsbestimmend Wind gesegelt wurde. nisse voneinander. war und in der konkreten Ausgestaltung bisweilen zu Temperaturschwankungen im so- Das soziale Geschehen zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA zialen Gefüge der Gesamtequipe beigetragen in der Kommission Man war also in Teilsystemen verortet, nur im hat. Dies darf in struktureller Betrachtung Gesamtsystem Enquete-Kommission ist damit zumindest im Nachhinein - als ganz normaler Die Komplexität des sozialen Geschehens in eine der spannendsten gruppendynamischen Vorgang gewertet werden. Fragen nicht automatisch beantwortet: Wer bin dieser Kommission ist in ihrer Gesamtheit ich hier für die anderen? Erste Antworten darkaum darstellbar. Deshalb beschränke ich mich auf sind der Stoff für vertrauensvolle ZusamVon hohem Gewicht für eine erfolgreiche im Folgenden auf einige wenige, aber entscheimenarbeit und macht auch Mitglieder einer Kommissionsarbeit ist das Sekretariat der En- dende Begebenheiten: zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA Kommission erst zu Gefährten in gemeinsaquete-Kommission. Es gehört zur Verwaltung mer Sache. Genau dieser Vorgang kann nicht des Deutschen Bundestages und war besetzt Rituale per Abstimmung oder Geschäftsordnung geremit ausgewählten wissenschaftlichen Mitarbeigelt werden, weil er nicht Gegenstand einer terinnen und Mitarbeitern, die wiederum un- Die Sitzrituale in der Kommission deckten sich Vereinbarung sein kann. Er beruht ausschließterstützt wurden von einer Büroleitung, von mit den Gewohnheiten in jedem Vereins vorlich auf gegenseitigen Erfahrungen in der Areiner ersten und zweiten Kommissionssekretä- stand. Wir haben uns von Beginn an in jeder beit. rin, von Praktikantinnen und Praktikanten, von Sitzung fraktionsweise nach gleichem Muster Leasing-Kräften und studentischen Aushilfs- sortiert und auch immer wieder dieselben Stühkräften. An der Spitze des Sekretariats stand le aufgesucht. Damit blieben optisch die StandMacht und Einfluss der Leiter. orte und Perspektiven in der Gruppe und im Eine wichtige Gelegenheit zur Erprobung der Raum erhalten. Das hat besonders zu Beginn Zusammenarbeit bot die erste Klausurtagung. Während der Sitzungen der Enquete-Kommis- sehr dabei geholfen, in dem großen Gremium Alle Sachverständigen waren aufgerufen, hier sion hatte er seinen Platz zur Rechten des Vor- Orientierung zu schaffen. Gerade in der Anim großen Kreis ihre Statements zur Enquetesitzenden und erstattete auf Befragen oder aus fangszeit weiß man vielleicht noch, wer man 103 arbeit abzugeben und sich damit zugleich öffentlicher Wahrnehmung und Beurteilung auszusetzen. Von Schaulaufen zu sprechen, wäre der Veranstaltung nicht angemessen, aber ein bisschen davon hatte es schon. Danach waren jedenfalls die Bilder voneinander vollständiger, es bildeten sich mit den Berichterstattergruppen die ersten offiziellen Teilsysteme und manchem dämmerte es, dass man von jenem Strang, an dem alle gemeinsam ziehen sollen, noch weit entfernt ist. Die inhaltlichen Vorstellungen über den gesellschaftspolitischen Entwurf dieser Kommission lagen deutlich auseinander. Wie weit, zeigten verschiedene Beiträge von Enquetemitgliedern in Zeitungen und Zeitschriften, die in der Folgezeit erschienen und erste Zwischenbilanzen der Enquetearbeit darstellten. Ein Enquetekollege formulierte seinen Zweifel, dass in der Kommission womöglich doch nur der „Kriimmungswinkel der Banane" vermessen würde und man sich zu einer neuen Machtverteilung zwischen Bürgern und staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen wohl nicht werde durchringen können. Letztlich liefen die unterschiedlichen Auffassungen auf die Frage hinaus, ob das Engagementthema in der Kommission auf Formen der individuellen Ehrenamtsförderung mit attraktiven Steuerpauschalen und sozialen Absicherungen beschränkt bleibt, oder ob sich Entwürfe für eine demokratiefreundliche Politikentwicklung durchsetzen können. Der Argwohn richtete sich dabei vor allem auf die großen Parteien, denen die pragmatische Nutzung des Themas für den langsam anflutenden Wahlkampf jederzeit zugetraut wurde, um bei ihrem jeweiligen Klientel zu punkten. Es bestand die Gefahr der Domestizierung des Themas. In der Kommission hat das unausgesprochen die Frage nach der Defmitions- und Durchsetzungsmacht angestoßen. 104 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Ludwig Pott zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Die Enquetekommission als soziales System Ein Diskurs über die verschiedenen Interes- Enquete-Kommission von einer Abgeordneten zelne hervor, und zeigten entschlossen ihre senlagen der beteiligten Gruppierungen und und Kommissionskollegin unterstellt wurde, sie Ablehnung. Es reichte aber nicht zu einer BeSubsysteme ist nicht offen geführt worden. So seien offenbar von einer Partei „eingekauft" wegung, weil die Übrigen das Treiben heiter blieben z. B. auch Fragen nach den durchaus worden. Der Vorfall wurde fast zeitgleich durch melancholisch verfolgten. Das Gutachten wurmachtvollen Widerständen gegen mehr poli- einen weiteren Vorgang getoppt: Ein Abgeordde letztlich vergeben und liegt inzwischen als tisch ambitioniertes Bürgerengagement unbe- neter - ebenfalls Kommissionskollege - schrieb Sonderband in einer Schriftenreihe vor. Eine handelt. Aber im Nachhinein und mit Blick hinter dem Rücken eines Sachverständigen Arbeitsgruppe der Kommission hat daraus auf den Bericht würde ich heute sagen, dass kurzerhand einen Brief an dessen Vorgesetzwichtige Handlungsempfehlungen für die Podie Politik sich den Teil geholt hat, den sie ten, um ihn über das unpassende Abstimmungslitik entwickelt. Die Frage muss offen bleiben, brauchte. Der Einfluss der demokratiepoliti- verhalten des Sachverständigen ins Bild zu setob sie dasselbe auch ohne das Gutachten geschen Reformperspektive auf das Ergebnis ist zen. schafft hätte. dennoch weit größer gewesen, als es sich während der Kommissionsarbeit gezeigt hat. Es Diese Ereignisse blieben in der Kommission Einflüsse der Geschlechterrolle spricht vieles dafür, dass sich gerade die An- nicht ohne Wirkung. Damit waren die Regeln hänger einer eher traditionellen Herangehens- der Geschäftsordnung verletzt, und schon alBeim Rückblick auf die Kommissionsarbeit weise an das Enquetethema unterwegs viel von lein dies hat den Vorsitzenden zu einer formakommt mir die Rolle einer Kollegin in Erinnedem zu Eigen gemacht haben, was ihnen zu len Reaktion gezwungen. Entscheidender aber rung, die dem Kreis als einzige weibliche SachBeginn der Arbeit äußerst befremdlich erschien. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA war das persönliche Zusammenrücken aller verständige angehörte. Von ihr ging eine ungeSachverständigen, die instinktiv spürten, dass mein zähmende Wirkung auf Einzelne und auf es auch einen Anderen hätte treffen können. das Geschehen insgesamt besonders dann aus, Normen und Tabus der Zusammenarbeit wenn die Wögen schon mal etwas höher schluDie daraus resultierende Botschaft hieß: So gen. Selbst der Vorsitzende konnte sich diesen Natürlich hat sich in der Kommissionsarbeit nicht und zwar nie wieder. Es blieb auch bei Effekten nicht entziehen, was ihrer Rolle als auch Endrucksvolles zum Thema Normen und diesem Vorfall. Allen war deutlich geworden, potente Minderheit zusätzlich Profil verliehen Tabus abgespielt. In der ersten Vorstellungs- dass man sich kaum glaubwürdig für Prinzipihat. Sie war außer Konkurrenz. Keinem männrunde hatte ein sachverständiges Mitglied das en der Bürgergesellschaft ins Zeug legen und Thema Korruption in der Politik und das Sys- gleichzeitig solche unwürdigen menschlichen tem Kohl zur Sprache gebracht. Er unterstrich Umgangsformen praktizieren kann. Diese Erin diesem Zusammenhang die Bedeutung des fahrung der Sachverständigen hat nach meiner bürgerschaftlichen Engagements als wichtiges Einschätzung trotz mancher inhaltlicher BeGegengewicht zu krisenhaften Erscheinungen lastungsproben nicht nur Normen gesetzt, sonder Parteiendemokratie und trat damit in ein dern auch für die Kultur der Zusammenarbeit Fettnapf von beachtlichem Ausmaß. Das The- in der Enquetekommission Positives bewirkt. ma war tabu, was sich daran zeigte, dass sich niemand sonst für diesen plausiblen Gedanken Widerstand auch nur versuchsweise stark machte. Das hät- gegen die Autorität des Vorsitzenden te die Anstrengung gefährdet, möglichst alle Fraktionen für die Erledigung des Kommissi- Es hat nicht an Anlässen gefehlt, sich gegenonsauftrags ins Boot zu holen. Danach wuss- seitig auf die Finger zu schauen. Widerstand ten wir, dass es für die Bearbeitung des Kom- gegen die Amtsautorität zeigte sich z. B. bei missionsthemas heimliche Grenzen gibt, die der Vergabe eines umfangreichen Gutachtens, man nicht ungestraft überschreitet. das insbesondere der Vorsitzende favorisierte, an dem aber eine Mehrheit der Kommission Dramatischer war jedoch, als in einem Zei- keinen rechten Gefallen finden mochte. Aus tungsbeitrag zwei Sachverständigen aus der der Menge wagten sich immer wieder mal Ein- 105 lichen Sachverständigen oder Abgeordneten wäre es bei dem versammelten Potenzial unbeschadet gelungen, die Regie über die ersten Gliederungsentwürfe zu übernehmen und einen Konsens darüber in der Kommission herzustellen. Die Kollegin hat mit ihrer spezifischen Rolle in der Kommission eine integrative Wirkung entfaltet. Einflüsse des politischen Alltags Bei einigen Abgeordneten musste man immer auf eine Überraschung gefasst sein. Während die Sachverständigen nur an einzelnen Tagen zu den Kommissionsterminen anreisten und sonst ihren beruflichen Verpflichtungen nach gingen, war für die Parlamentarier das Geschäft auf allen übrigen Politikfeldern ununterbrochen weiter gelaufen. So konnte es passieren, dass sie die politische Gegnerschaft aus den letzten Tagen oder Wochen noch in der Kleidung hatten, wenn sie sich in der Kommission gemeinsam mit den Sachverständigen über das Zivile in der Bürgergesellschaft beugten. Es konnte eigentlich nicht verwundern, wenn plötzlich emotionale Reaktionen aufflammten, die sich aus dem aktuellen Thema in der Kommission nicht erklären ließen, sondern ihre Quelle im politischen Alltag hatte. zyxwvutsrqponmlkjihg Nachtrag „Wer Visionen hat, muss zum Arzt", hat mal ein österreichischer Bundeskanzler geäußert. Dass sich bürgergesellschaftliche Visionen nicht allein über 106 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Ludwig Pott zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Forschungsjoumal NSB, Jg. 16, Heft 2, 2003 die Erhöhung von Pauschalen und ähnlichem realisieren lassen, war allen Beteiligten in der Enquetekommission von Anfang an klar. Aber wie kompliziert mitunter die Rechtslage ist und wie umfangreich die dazu notwendigen Reformprozesse sind, das ist den meisten erst Zug um Zug deutlich geworden. Wie sich überhaupt für alle die Sicht auf das Thema verändert hat, was man klassischerweise als kollektives Lernen bezeichnet. Der Enquetebericht wurde gegen die Eitelkeit geschrieben. Kein Kapitel trägt einen Namen, abgesehen von den namentlichen Hinweisen im Vorwort auf jene Personen in der Kommission, die besondere Aufgaben beim strukturellen Aufbau des Berichts übernommen haben. Trotz gewachsener Normalität im Kommissionsbetrieb und in der Zusammenarbeit lag über allem der Hauch des Besonderen. Das Reichstagsgebäude ist für eine kurze Zeit zu einem Arbeitsplatz geworden, von dem eine sich stets erneuernde Faszination ausging. Gleichwohl war es ein Terrain der Parlamentarier, das die Sachverständigen an ihren Gaststatus erinnerte. Die Kommissionsarbeit hat wohl allen Sachverständigen differenziertere Eindrücke von der Berufspolitik vermittelt. Das Arbeitspensum vieler Abgeordneter steht im Gegensatz zu gängigen Urteilen in der Öffentlichkeit. Parlamentarier sind permanent gefragt und haben ständig Termine. Ihre andauernde Lobbypräsens und die hektische Betriebsamkeit der parlamentarischen Arbeit tragen dazu bei, dass sie ihren eher negativen Status in der Bevölkerung nicht zwangsläufig sehen müssen. Das kann zu einer erheblichen Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung führen. Politik bleibt stets in der Gefahr, sich selbstreferenziell zu bewegen und die Logik des Handelns aus den politikeigenen Labors zu beziehen. Die Folge ist, dass dem Bürgerpublikum oft das politische Stück zu schwer ist, weil es die BUhnensprache nicht mehr versteht und deshalb urteilt: Scheiß-Theater. Auch das Thema Bürgerengagement, bei dem eigentlich jeder mitreden könnte, zählt dazu. Wir Sachverständigen haben uns in Sachen Selbstreflexion allerdings auch nicht jederzeit mit Ruhm bekleckert. Der offensichtliche Themenlobbyismus Einzelner wie auch die Grenzen und Nöte der Verbändevertreter blieben unausgesprochen. 107 Michael Opielka zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Bürgergesellschaft und Sozialpolitik Entscheidungspfade grüner Sozialpolitik In einer Studie des Bremer ,Zentrums für Sozialpolitik' resümiert Andrea Gohr die Anfangsjahre der grünen Sozialpolitik: „Die Grünen können daher in den 80er Jahren als die Innovationspartei in dem eingefahrenen bundesrepublikanischen Allparteiensozialstaat gewertet Natürlich ist alles noch viel differenzierter, werden." (Gohr 2002: 3) Am selben Zentrum schöner, schlimmer und auch ganz anders geleitet unterdessen der Politologe Frank Nullwesen. Parlamentarier haben dazu vermutlich meier die Abteilung ,Theorie und Verfassung eine andere Einschätzung und andere Geschehdes Wohlfahrtsstaates', als Nachfolger von nisse in Erinnerung als Sachverständige. Und Claus Offe, der auf dem Gründungsparteitag die wissenschaftlichen Mitarbeiter im Enqueteder Grünen in Karlsruhe im Januar 1980 sprach sekretariat könnten Beobachtungen und Erlebund jene Anfangsjahre grüner Sozialpolitik mit nisse schildern, und sie kämen ebenfalls zu inspirierte. Handelt es sich bei den Grünen, so eigenen Schlüssen. In der Fachöffentlichkeit lautet die Frage, noch um eine Innovationsparverstehen viele etwas von dem Thema. Auch tei oder sind sie Teil jenes ,Allparteiensozialsie haben sich in Kommentaren ihr eigenes staats' geworden? Die Frage kann nicht nur Bild gemacht und mancher von ihnen wird die anhand von konkreten Politiken (politics) beKränkung der Nichtberufung in die Kommisantwortet werden, sondern erfordert zugleich sion gespürt haben. eine Analyse der die Politik prägenden und sie legitimierenden Leitbilder (polity). Auch NullDass die Bürgergesellschaft nicht auf dem meier ist mit den Grünen verbunden, er wurde Reissbrett erfunden werden kann, hat sich auch - neben der Vorsitzenden der Verbraucherzenin der Arbeit dieser Kommission gezeigt. Ihr trale, Edda Müller - aus dem Umfeld des kleiErgebnis ist beeinflusst und beschränkt durch nen Koalitionspartners für die Rürup-Kommissoziale Mechanismen, wie sie sich überall dort sion vorgeschlagen. Daher ist es von Interesse, zeigen, wo Menschen etwas miteinander zu wenn er unter dem provokativen Titel ,Vertun haben. Enquete-Kommissionen bilden da gesst die Bürgergesellschaft?!' grundsätzliche keine Ausnahme. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA Überlegungen zum deutschen Wohlfahrtsstaat anstellt (Nullmeier 2002). Ludwig Pott leitet den Fachbereich Verbandsentwicklung beim Bundesverband der ArbeiSoziale Ausgrenzung ais 1 terwohlfahrt und war sachverständiges Mitglied sozialpolitische Herausforderung der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Zukunft des Bürgerschaftlichen EnNullmeiers Thesen sind hilfreich, weil er zu gagements". den wenigen zeitgenössischen Sozialpolitikwis- senschaftlern zählt, die sich mit den theoretischen - und nicht nur den methodischen Grundlagen ihres Gebietes beschäftigt haben. In seiner ambitiösen Studie politische Theorie des Sozialstaats' rekonstruierte er die sozial- und politikphilosophischen Begründungen sozialpolitischer Interventionen und kommt, im großen Bogen von Hobbes, Rousseau, Nietzsche bis Honneth, zu einer interessanten Rekombination von Anerkennungs- und Differenztheorie: Rechtliche Anerkennung zielt auf Gleichheit, soziale Wertschätzung auf Unterschiede." (Nullmeier 2000: 403) Sein Ziel ist ein „Begriff eines Sozialstaats (...), der auf der Anerkennung komparativer Orientierungen als Bestandteil subjektiver Freiheit gründet und darauf mit der Schaffung von Bedingungen allgemeiner sozialer Wertschätzung als Vermittlung dieser Freiheit zur gleichen Freiheit aller reagiert." (ebd.: 421) Interessant ist die differenztheoretische Begründung - allerdings nicht im Sinne einer Hegeischen, dialektischen Differenztheorie, sondern schlichter, als Anerkennung von sozialer Ungleichheit innerhalb der sozialstaatlichen Struktur: „Sozialstaatliche Politik im Sinne einer Wertschätzungspolitik wird den Schwerpunkt nicht nur auf den unteren Sektor richten und vorrangig Mindest-, Basis- oder Grundsicherungen implementieren können." (ebd.: 420) Eine zeitgemäße sozialpolitische Theorie müsse - anders als beispielsweise John Rawls, der in seiner Gerechtigkeitstheorie von „in ihrer Selbstachtung befriedeten und dem sozialen Vergleich abschwörenden Personen" (ebd.: 82) ausgehe - die Persistenz des ,Sozialkomparativen' zur Kenntnis Bürgergesellschaft und Sozialpolitik 108 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Michael Opielka zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Kaufmann (zuletzt: Kaufmann 2002: 179ff), Anthony Giddens oder dem bereits erwähnten Claus Offe unter Signaturen wie ,Bürgergesellschaft', .Dritter Sektor' oder .Kommunitarismus' mit der komplexen Welt neben Markt und Staat beschäftigte (vgl. Münkler/Fischer 2002). Nun ist Nullmeier aus eigenen Arbeiten zur Verbände- und Regulierungsforschung vertraut, dass neben marktlichen und staatlichen zahlreiche weitere Institutionen und Organisationen existieren, die diesen beiden Steuerungsformen und den mit ihnen korrespondierenden gesellschaftlichen Subsystemen ,Wirtschaft' und ,Politik' nicht recht zugeordnet werden können, um nur einige zu erwähnen: das Bildungswesen, das Wissenschaftssystem, das Die politischen Folgen dieser politischen TheKunstsystem, die Medien und die von ihnen orie sind problematisch: Wer das .Sozialkommit konstituierte Öffentlichkeit, das komplexe parative' im Zentrum einer Sozialpolitiktheo(teils informelle) Hilfesystem von der Familie rie ansiedelt, wird die Peripherie der Sozialpoüber Netzwerke (Nachbarschaft, Freundschaft, litikwirklichkeit übersehen. Diese Peripherie Bekanntschaft), Vereine, Wohlfahrtsverbände, wiederum war bislang das Zentrum der grüdie Kirchen und Religionsgemeinschaften usf. nen Sozialpolitik: das Problem der Armut im Das alles macht - neben den im engeren Sinn Wohlfahrtsstaat, die Benachteiligung von Frauauf die Subsysteme Wirtschaft (wie Gewerken, die Verschattung des freiwilligen Engageschaften und Unternehmerverbände) und Poliments - als programmatische Lösungen dientik (wie Parteien) bezogenen Institutionen und ten Grundrente, Grundeinkommen und (als ersOrganisationen - die ,BürgergeseIlschaft' aus, ter Schritt) eine Grundsicherung, die Umverjedenfalls in der heute üblichen Begriffsverteilung der Arbeitszeit, die Entkopplung von wendung (vgl. Opielka 2002a). Nullmeiers VerSozialpolitik und Wirtschaftswachstum, Prädacht einer sozialpolitischen Schwäche des vention, Engagementförderung usf. Nun könnte (deutschen) Diskurses um die .Bürgergesellman eine rein akademische Debatte und hinter schaft' ist nicht unberechtigt, er begrenzt sich der politiktheoretischen Rehabilitierung von häufig genug auf das Problem der politischen Neid und Ungleichheit eine nötige Öffnung Partizipation, vor allem im sozialdemokratizum liberalen Denken vermuten. Doch das Proschen Milieu (z.B. Meyer/Weil 2002), oder des blem reicht weiter, es zielt auf die sozial-kulbürgerschaftlichen Engagements (Enqueteturellen Bezugssysteme grüner Sozialpolitik, Kommission 2002). Gewiss hat Nullmeier auch auf die ,Bürgergesellschaft'. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA recht, wenn er in diesem gemeinschaftlichen Überhaupt verwundert Nullmeiers Absehen von Subsystem der Gesellschaft - um mit Talcott 2 Abschied von der einer seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts Parsons (und Niklas Luhmann) zu sprechen vor allem in der politischen und der OrganisaBürgergesellschaft? nur schwer symbolisch generalisierte Interaktionssoziologie intensiv geführten, internatiotionsmedien' ausmachen kann, zumindest solNullmeier kommt es im eingangs erwähnten nalen steuerungstheoretischen Forschung und che, die einen vergleichbaren FormalisierungsText darauf an, den Mythos der .Bürgergesell- Debatte, die sich, schon früh inspiriert von grad besitzen wie Geld (im Markt) und Recht schaft' zu entlarven. Dem demokratischen Amitai Etzioni, mit Autoren wie Franz-Xaver nehmen und eben nicht, wie die Mehrheit der modernen politischen Theorie, ihre „Überwindung (...): ihrer Überführung in Interesse, Moralität oder Gemeinwohlorientierung" (ebd.: 329) erwarten. Neid, Ressentiment und ,Agonalität' erscheinen Nullmeier als Zentralkategorien einer angemessenen Sozialpolitiktheorie: „Im Sozialkomparativen hat der Sozialstaat seinen Antrieb wie seinen Gegenstand." (ebd.: 361) Soziale Gleichheit und auch ihre kleine Schwester Chancengleichheit' tritt damit hinter die - liberale - .Wertschätzung' subjektiver Freiheit und Differenz als Ziel von Politik zurück. .Staat' liege die Volkssouveränität und dem .Markt' die Konsumentensouveränität zu Grund, doch der Bürgergesellschaft nur eine ,Bürgersouveränität' - diese sei aber politisch völlig amorph: „Der Bürgergesellschaft mangelt es (..) an einem grundlegenden Selbststeuerungsmechanismus, was ihre Legitimationsprobleme - gegenüber Staat und Markt - erhöht (...). Ein gesellschaftlicher Kooperationsund Koordinationsprozess im eigentlichen Sinn findet nicht statt. Die Bürgergesellschaft ist die Ansammlung von mehr oder weniger organisierten Formen des Engagements, es fehlen Institutionen der Bündelung, der wechselseitigen Abstimmung und des Ausgleichs." (Nullmeier 2002: 15) Natürlich greifen bei der Erforschung der gemeinschaftlichen Sphäre der Gesellschaft - wie man die Bürgergesellschaft auch nennen könnte - weder die ökonometrischen Modelle der neoklassischen Markttheorien, noch der juristisch geschulte Institutionalismus der Politikwissenschaft ausreichend. Aber theoretische und methodische Herausforderungen sollten nicht dazu fuhren, einen Teil der Wirklichkeit abzukanzeln. Im übrigen hängt auch ökonomisches Markt-Handeln zentral von gemeinschaftlichen, moralisch-psychologischen Motiven ab, wie neben vielen der Nobelpreisträger 2002 in Ökonomie, Daniel Kahneman nachwies. Claus Offe und andere machten darauf aufmerksam, dass .Vertrauen' eine der Steuerungsformen der Bürgergesellschaft ist , Robert Putnam wies zuletzt in einem international vergleichenden Projekt auf das ,Sozialkapital' hin, das in der .Bürgergesellschaft' gebildet wird (Putnam 2001). 1 109 (im Staat). Neben dem erwähnten .Vertrauen' konkurrieren in dieser Sphäre .Liebe' (so Luhmann), .Einfluss' (so Parsons), ,Moral' (so Emile Dürkheim und Etzioni), ,Wertbindung' (so Parsons und Richard Münch), aber auch, worauf Jürgen Habermas hinwies, .Sprache' und .Sinn'. Die Koordinationsprozesse sind entsprechend komplex, aber doch keineswegs unüberschaubar, jedenfalls nicht für Soziologen. Vor dem Hintergrund des steuerungstheoretischen (Fehl-?)Urteils wird dann von Nullmeier die These untersucht, „Sozialpolitik bürgergesellschaftlich statt sozialstaatlich zu gestalten" (Nullmeier 2002: 13). Anhand dieses Pappkameraden (denn wer spricht ernsthaft von ,statt'?) wird dann das „Mengen-, Stetigkeitsund das Verteilungsproblem" erörtert und festgestellt, dass die Bürgergesellschaft an all diesen Problemen scheitere: „Sie wird mithin auf zyxwvuts Staats- (zentral) oder marktanaloge (dezentral) Koordinationsmechanismen zurückgreifen müssen. Die Bürgergesellschaft wäre damit von einem heteronomen Koordinationsmechanismus regiert." (ebd.: 16) Doch der Staat ist keineswegs nur .zentral', der Markt keineswegs nur .dezentral', der Code zentral/dezentral ist einer von vielen, aber keineswegs der zentrale in Sachen Gesellschaftstheorie. Weiter heißt es, dass die Bürgergesellschaft nach wie vor des, vor allem auch regulierenden Staates bedürfe - was nun kein ernsthafter Vertreter einer ,bürgergesellschaftlichen' Sozialpolitik je bestritten hat. Zurecht beobachtet Nullmeier eine „schleichende Transformation der Bürgergesellschaft" aufgrund umfassender „Vermarktlichungstendenzen" auf „Wohlfahrtsmärkten" (ebd.: 18). Fundraising wird zum Geschäft und auch die Wohlfahrtsverbände und Vereine vertrauen in den letzten Jahren zunehmend auf professionelle Managementmethoden und Public Relations. Nicht zuletzt als Folge des künftigen GATSzyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPO (General Agreement on Trades and Services) der WTO, das auch für soziale, f I 110zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Michael Opielka zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Bürgergesellschaft und Sozialpolitik gesundheitliche und Bildungsdienstleistungen einen globalen Freihandel durchsetzen möchte, befürchten manche Beobachter, dass die im Übergang zur modernen kapitalistischen Gesellschaft entstandene bürgergesellschaftliche Sphäre gemeinnützigen Non-Profit-Handelns zum Kehricht der Geschichte wird. Doch so weit ist es noch längst nicht - und so weit wird es dann nicht kommen, wenn die gesellschaftlichen Eliten ihre kommunitären und darin auch liberalen, weil auf die umfassende Freiheit des Individuums setzenden Leitbilder nicht aufgeben bzw. neu schärfen. Nullmeiers Urteil über die Bürgergesellschaft - „So kann sie immer nur ein - durchaus sympathischer - Nebenzweig der sozialpolitischen Lösungsstrategien mit beschränktem Wirkungskreis sein" (ebd.: 18) - gewinnt Plausibilität allein dann, wenn man seinen Annahmen folgt, wonach ihre Steuerungskompetenz defizitär, ihre Empirie degenerativ und ihr ideelle Grundlage diffus sei. Allerdings ist Nullmeier nicht grundsätzlich gegen die ,Bürgergesellschaft', zumal sie sowieso existiert. Er plädiert vielmehr für eine „politische Bürgergesellschaft (...), die in das Marktgeschehen aktiv einzugreifen vermag, die sich als Ausdruck gesellschaftlicher Kontrolle und Korrektur ökonomischen Geschehens versteht (...) und gerade dadurch ein Gegengewicht zu Staat und Markt böte" (ebd.: 19). Dieser Blick des Politologen auf die Gesellschaft übersieht gleichwohl - um Dürkheims ,nichtvertragliche Grundlagen des Vertrags' zu paraphrasieren -, dass auch die .Interpenetration' (Parsons) von gemeinschaftlichem und politischem Subsystem der Gesellschaft darauf basiert, dass das Gemeinschaftssystem, jenes Zentrum der ,Bürgergesellschaft', ausdifferenziert und vital bleibt bzw. vitalisiert wird. Während in despotischen Gesellschaften die ,Bürgergesellschaft' Solidarität aus Not und im Schatten organisiert, beansprucht sie in der liberalen Demokratie Gleichursprünglichkeit neben Wirtschaft und Politik. Allerdings darf man das nicht zu schematisch sehen, denn es geht nicht nur um institutionelle Sozialgeographie, sondern auch um logische Prinzipien, jene eingangs erwähnten Leitbilder: Das Prinzip der freien Vergemeinschaftung oder Assoziation findet sein politisches Komplement im Prinzip der Subsidiarität - während die humanistische, letztlich religiös begründete Idee der Menschenrechte ihre politische Antwort unter anderem in sozialen Bürgerrechten sucht. Eine politische Leitbildanalyse wird diese kulturelle Bedeutung der ,Bürgergesellschaft' für sozialpolitische Werte nicht unterschätzen. Was aber sonst als diese Werte richtet den von Nullmeier gewünschten „Regulationsstaat" (ebd.: 17) aus - wobei (mit Max Weber) Interessen und Werte immer dialektisch verschränkt sind. ausschließlich sozialpolitische Dominanz der Sozialdemokratie. Die Besorgnis der Grünen ist verständlich. So möchte Bundeskanzler Schröder die Sozialabgabenquote deutlich senken (auf unter 40%) und kündigt massive Einschnitte in das Gesundheitswesen und die Arbeitsverwaltung an. Die Vermutung lautet, dass - aufgrund des Traditionalismus der SPD-Sozialpolitik -jene, teils bereits realisierten Maßnahmen (z.B. ,Ich-AG') vor allem dazu beitragen sollen, den klassischen .Arbeitnehmersozialstaat' zu retten und damit das Leitbild der .Arbeitsgesellschaft', das jene traditionelle ,Allparteiensozialstaatskoalition' zusammenhält. m politischer Selbstartikulation mitzuwirken vornehmste Aufgabe der Grünen sein könnte. Dies ist übrigens kein Widerspruch zu einer pragmatischen und .realistischen' Politik, vielmehr ein urdemokratisches Anliegen - was die Grünen in ihren Anfangsjahren mit dem Begriff der ,Basisdemokratie' zwar gewollt, aber eher verunklart haben, weil sie ihn vor allem auf parteiinterne Organisationsfragen kaprizierten. Leider ist auch die Systemperspektive unklar. Die Arbeitsmarktpolitik der vergangenen Jahrzehnte wird derzeit seitens der Bundesregierung zugunsten einer Marktrationalität aufgegeben, einer Peripherisierung und Marginalisierung breiter Gruppen mit sozialen BenachHier wären nun die Grünen gefordert, wie teiligungen. Maßstab dafür sind Gerechtigkeitsschon in ihren Anfangsjahren. Zwei Aspekte und Gleichheitswerte, die am Beispiel der .Bein jenem grünen Strategiepapier machen deut- hinderten' offensichtlich sind: Der Sozialstaat Die sozialpolitiktheoretischen Überlegungen lich, warum die Grünen sozialpolitisch derzeit muss hier einer Ausgleichsfunktion nachkomvon Nullmeier wurden deshalb so ausführlich (auf Bundesebene) bedeutungsarm sind. Das men, um zumindest im Ansatz Chancengleichnachgezeichnet, weil diese Denkart unterdessen Erste ist die Akteursperspektive, das Zweite ist heit' herzustellen (nicht ,Ergebnisgleichheit'), aber auch um soziale Grundrechte unabhängig bei den grünen Eliten mehrheitsfähig gewordie Systemrationalität. von den konkreten Marktchancen zu sichern. den zu sein scheint. Ohne diese einseitige Konzeption von Bürgergesellschaft soziologisch zu Markus Kurth ist gegen die Ausgrenzung von Diese Werte werden von den Institutionen erweitern - was ich an anderer Stelle versuchbislang Erwerbslosen aus der Arbeitslosenver- Bundesanstalt für Arbeit, Kommunen, Legiste (Opielka 2002a) -, möchte ich ihre problesicherung. Er ist gegen einen ,Neuzuschnitt lative - zurecht eingeklagt. Nur: Neben diesen matischen Folgen an einem aktuellen Beispiel der Klientel' - ein folgenreicher Technokra- fundamentalen, humanistisch und religiös begrüner Sozialpolitik erörtern, dem Umgang mit tenjargon: In ihrer Frühzeit war es die vor- gründeten .dicken' Werten folgt jedes System, dem Problem der grassierenden Arbeitslosignehmste Aufgabe der Grünen, die getroffe- auch die Arbeitsverwaltung, .dünnen' Werten, keit. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA nen' selbst zum Sprechen zu bringen, ihnen vor allem der Effektivität und der Verfahrensein Forum zu geben. Heute würde dies bedeu- gerechtigkeit. Hier setzte die implizite Legititen, die Erwerbslosen selbst öffentlich wahr- mationsstrategie von Konservativen, Liberalen Beispiel Arbeitslosigkeit: 3 nehmbar zu machen, nicht nur als abstrakte und Teilen der Sozialdemokratie an, wenn GerDie Grünen zwischen AkteursZahl von knapp 5 Millionen, und nicht nur hard Schröder Anfang 2001 verkündete: ,Es und Systemrationalität über die Gewerkschaftsfunktionäre, die sich in gibt kein Recht auf Faulheit!'. Hier wird die Deutschland leider kaum für die Interessen von ,dünne' Systemrationalität - also das BekämpIn einem ,Integration statt Ausgrenzung' überErwerbslosen interessiert haben. Unglücklich- fen von Trittbrettfahrern und .Missbrauch' schriebenen Papier des sozialpolitischen Spreweise ist auch die Mehrheit der Abgeordneten zur Legitimation der Zerstörung des bisherichers der Bundestagsfraktion, Markus Kurth, des Deutschen Bundestags verbeamtet und hat gen Integrations-Systems, unter der Signatur werden die derzeitigen Trends in der Bundesanstalt für Arbeit und der Bundesregierung - wenn überhaupt - höchstens historische eines .aktivierenden Sozialstaats'. derart analysiert (vgl. Kurth 2003), dass sich Kenntnis von der Bedrohungslage Arbeitslodie Frage stellt, ob auf diesem Gebiet überhaupt sigkeit. Die .Klientel' sind konkrete Menschen, Denn natürlich gibt es .Missbrauch' im Syseine rot-,grüne'-Regierung existiert - oder nicht zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA die sich durchaus organisieren und an deren tem der Arbeitsverwaltung - wer als Arbeitge2 112 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Michael Opielka zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Bürgergesellschaft und Sozialpolitik ber einmal eine Reihe von Arbeitsamtskandidaten erlebt hat, die sich angetrunken vorstellen, der wundert sich nicht über die Erosion von Solidarität und Systemvertrauen. Ausländische Beobachter wundern sich in Deutschland, dass man auch mit höchst begrenzter Kreativität, Aktivität und Risikobereitschaft dank Sozialhilfe- und Arbeitslosenhilfestaat auskömmlich überleben kann - allerdings mit latenter Marginalisierung, was vor allem die Kinder solcher (meist unfreiwilligen) Müßiggänger leidvoll erleben müssen, die Kinderarmut ist in den vergangenen zehn Jahren allein deshalb so explosiv gewachsen. Dieser problematisch Befund wird durch die neuere dynamische Armutsforschung' unterstützt, die sowohl bei den Soziahilfeverwaltungen wie bei den Leistungsempfängern teils erhebliche Aktivitäten zur Befristung des Leistungsbezugs beobachtet, aber eben nicht bei allen (vgl. Schmid/ <^ J Buhr 2002). ,Missbrauch' ist freilich nie ganz auszuschalten, hier ist liberale Toleranz nötig. Das ,Systemproblem' scheint deshalb nicht der tatsächliche .Missbrauch', sondern das Denkmuster einer ,Arbeitsgesellschaft', die von den Arbeitsmarktteilnehmern - um den Preis ihrer Beleidigung als ,Faule' - Integration fordert, doch dafür zu wenig Chancen bietet. Hier setzt das Konzept des ,aktivierenden Sozialstaats' ein Zentralelement in Tony Blairs und Anthony Giddens' ,Third Way' - an und klagt Systemkonsistenz ein. Was aber hieße das für die grüne Sozialpolitik? Um es zuzuspitzen: Wenn sie unterdessen auch für einen .aktivierenden Sozialstaat' eintreten will, dann nur, wenn die Akteursperspektive auch würdevoll repräsentiert wird. Da genügt es nicht, in die Rürup-Kommission (von SPD-Seite) Gewerkschaftsfunktionäre und (von TU zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA .tun!! I 4 y 113 nelle und Interessenfundierung. Insoweit ist die ,Bürgergesellschaft' keineswegs eine „zutiefst defensive Konzeption", wie Nullmeier glauIn Sachen Systemrationalität kann man mit dem ben machen will (Nullmeier 2002: 19). Den Verweis auf .Behinderte' nicht die Drehtür- Grünen scheint heute sowohl ein politisch-prakStrukturen des ,2. Arbeitsmarktes' und der Wei- tisches Konzept zu fehlen, die .Bürgergesellterbildungslobby legitimieren, wie dies Mar- schaft' in zentralen sozialpolitischen Feldern kus Kurth tut - auch wenn man diese Argu- als Partner zu begreifen, und zwar die Grupmentation als Defensive verstehen kann. Hier pen und Organisationen, deren Artikulation prowären differenzierte und - vor allem - ehrli- grammatische Aufgabe der Grünen ist. Sie hache Vorschläge angezeigt, damit die Grünen ben in ihrem im Jahr 2002 erneuerten Grundgegenüber der Sozialdemokratie punkten kön- satzprogramm die Forderung nach .Bürgervernen. Strategisch müssten die Grünen eine neue sicherungen' eingestellt - das ist die gute NachKombination von Dienstleistungs- und Ein- richt. Die schlechte Nachricht ist, dass die Grükommensstrategie entwickeln, die einer Bür- nen schlicht das an der Idee der ,Lebensstangergesellschaft angemessen ist: Dienstleis- dardsicherung' orientierte Modell der deuttungsangebote (2. Arbeitsmarkt, Weiterbildung, schen Sozialversicherung darauf übertragen Coaching) als Ausdruck einer Dienstleistungs- wollen. So fehlt der zweite Schritt, den Frank und vor allem Wissensgesellschaft, die hoch Nullmeiers Theorie eben für unnötig hält: die komplexe Anforderungen an die Realisierung Einziehung von universalistischen Grundsichedes Bürgerstatus stellt - und klare, am Bürger- rungen in diese ,Bürgerversicherungen' (vgl. status anknüpfende Einkommensleistungen, die Opielka 2003). Sowohl bei der anstehenden Teilhabe ohne Armut garantieren (vgl. Opiel- Integration von .Arbeitslosenhilfe' und .Sozika 2002b). Es ist die politische Funktion der alhilfe' in einem .Sozialgeld', bei der nächsGrünen, die Idee der ,Bürgergesellschaft' ge- ten Rentenreform, wo eine ,Grundrente' angen die notwendig auch marginalisierende Idee stehen sollte, wie bei der Weiterentwicklung einer .Arbeitsgesellschaft' zu setzen - und zwar des Familienleistungsausgleichs würde eine nicht, weil die Arbeit .ausgeht' oder aus ande- ,bürgergesellschaftliche' Sozialpolitik auf soren naiven Vorstellungen heraus, sondern weil ziale Grundrechte setzen. eine Erweiterung des Arbeitsbegriffs, die die Familienarbeit und die informelle Arbeit sozi- Anstelle eines Polity-Diskurses über Leitbilalpolitisch einschließt, faktisch zu einer ,Bür- der könnte nun von Seiten der grünen Eliten gergesellschaft' führt (dazu ausführlich Kocka/ der Policy-Einwand kluger Strategie laut werOffe 2000). Die Differenzen und Unterschie- den: Die Grundsicherungsdebatte wird nur desde, die Nullmeier sozialpolitisch lobt, sind eine wegen nicht offensiv gefahren, weil sie Folge der Freiheit, wenn nicht eine anthropo- allenthalben auf Abbauniveau instrumentalisiert logische Tatsache - aber sie sollten nicht das würde. Da derzeit ein komplexes mehrstufiges Zentrum sozialpolitischer Interventionslogik Sicherungssystem durch unter anderem die sein, sofern sie nicht nur Ungleichheitsverhält- Zusammenlegung Arbeitslosenhilfe/Sozialhilnisse reproduzieren möchte. fe .vereinfacht' wird, würde das Grundsichegrüner Seite) die Verbraucherzentrale zu entsenden. Wie alle Ideen, benötigen auch die Zentralideen des modernen Wohlfahrtsstaates - Solidarität, Gleichheit, Freiheit - ihre institutio- rungsargument nur affirmativ in diesem Kontext instrumentalisiert. Die Gefahr mag bestehen, doch sie ist nicht neu. Seit Anfang der 80er Jahre, also seit Existenz der Grünen, wird 114 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Pulsschlag Michael Opielka zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA 115 maßgeblich. Ob man sich tatsächlich engagiert, mit der Warnung vor ,Sozialabbau' vor dem ZeS-Arbeitspapier Nr. 5/02, Bremen: Zentrum für ANALYSE hängt jeweils von den individuellen Möglich,Sozialumbau' gewarnt. So kann nur eine of- Sozialpolitik. keiten sowie den beruflichen und familiären fensive Diskussion über Qualität und Niveau Hartmann, Martin/Offe.Claus (Hg.) 2001: VerRahmenbedingungen ab. Während einige Beder Grundsicherung, die zugleich die politi- trauen. Die Grundlage des sozialen ZusammenAktivierender Staat, reiche des Engagements enge Bezüge zum besche Verwendung des Arguments reflektiert, halts. Frankfurt/New York: Campus. Ehrenamt und Frauen ruflichen Umfeld aufweisen (z.B. Arbeitnehdie Gegenwehr gegen die Instrumentalisierung Kaufmann, Franz-Xaver 2002: Sozialpolitik und Im Konzept des .aktivierenden Staates' wer- mervertretung, Betriebsräte, Frauenbeauftragbürgergesellschaftlicher Leitbilder organisieren. Sozialstaat: Soziologische Analysen. Opladen: Leske + Budrich. den Ehrenamt und freiwillige Mitarbeit als For- te), steht in anderen Feldern politische PartiziAnsonsten droht nämlich eine merkwürdige Kocka, Jürgen/Offe, Claus Offe (Hg.) 2000: Gemen der aktiven Beteiligung von Bürgerinnen pation und Verantwortungsübernahme in und Allianz aus Wirtschaftsliberalismus und Etatschichte und Zukunft der Arbeit, Frankfurt/New und Bürgern in einem breiten Aktivitätsspek- für die Kommune sowie für allgemeine Anlieismus, wie sie im Konzept des .aktivierenden York: Campus. trum, das von der Politik über die Verwaltung gen (Umweltschutz und Menschenrechte) im Sozialstaats' schon begrifflich angelegt ist - Kurth, Markus 2003: Integration statt Ausgrenbis hin zum Freizeitbereich reicht, in den Blick Vordergrund. Demgegenüber umfasst das soder Staat soll den Bürger .aktivieren'! Dage- zung, 24.2.2003. Ms., Bundestagsfraktion Bündgenommen (vgl. u.a. Zimmer 2000: 42ff). ziale Engagement sorgende und pflegende Tägen kann nur eine lebendige und mächtige nis90/Die Grünen. Gleichzeitig sind Ehrenamt und freiwillige Mit- tigkeiten sowie Aktivitäten im Bildungsbereich. .Bürgergesellschaft' helfen, die man deshalb Meyer, Thomas/Weil, Reinhard (Hg.) 2002: Die arbeit Lernfelder für berufliche Qualifikatio- Nicht zu vergessen sind schließlich die vielfälauf keinen Fall .vergessen' darf. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA Bürgergesellschaft. Perspektiven für Bürgerbeteinen und soziale Kompetenzen, wobei der enge tigen ehrenamtlichen Aktivitäten im Freizeitligung und Bürgerkommunikation. HerausgegeZusammenhang zwischen Erwerbsarbeit und bereich, wie etwa im Sport oder bei KulturverMichael Opielka Professor für Sozialpolitik an ben für die Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn: Dietz. bürgerschaftlichem Engagement im Zentrum einen (für einen Überblick Zimmer/Crede/ der Fachhochschule Jena, Geschäftsführer des Münkler, Herfried/Fischer, Karsten (Hg.) 2002: Gemeinwohl und Gemeinsinn. Rhetoriken und Persteht (vgl. u.a. Priller/Zimmer 2001a; Stecker Nährlich et al. 2000). Angesichts des breiten Institut für Sozialökologie (ISO) in Königsspektiven sozial-moralischer Orientierung. Berlin: 2001b, 2003). Spektrums der Engagementmöglichkeiten werwinter (e-mail: michael.opielka@isoe.org). zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Akademie Verlag. den auf der individuellen Ebene Fragen der Nullmeier, Frank 2000: Politische Theorie des SoDie Handlungsoptionen des aktivierenden Staa- biographischen Passung wie der Koordination Anmerkungen zialstaats. Frankfurt/New York: Campus. tes zur Förderung des bürgerschaftlichen En- und des Zeitmanagements verschiedener AufNullmeier, Frank 2002: Vergesst die Bürgergegagements werden im Folgenden aus zwei Per- gaben und Tätigkeiten relevant, wobei zwischen Vgl. Hartmann/Offe 2001; auf einer Konferenz sellschaft?! In: Forschungsjournal Neue Soziale des Wissenschaftszentrums Berlin im Dezember Bewegungen, Jg. 15, Heft 4, 13-19. spektiven diskutiert. Zunächst geht es um die bürgerschaftlichem Engagement und Erwerbs2002 hat Birger P. Priddat dies dahin erweitert, Opielka, Michael 2002a: Zur sozialpolitischen TheSicht von ,unten' und hier insbesondere um tätigkeit fließende Übergänge und wechselseidass er die Tauschprozesse in der Bürgergesell- orie der Bürgergesellschaft. In: Zeitschrift für Soindividuelle Motive und persönliches Zeitma- tige Verstärkungsmomente deutlich werden schaft mit dem Konzept des „third party enforce- zialreform, 5, 563-585. nagement. Daran anschließend werden aus der (vgl. Jakob 1993; Klenner/Pfahl 2001; Schument" geregelt und koordiniert sieht, das zwar Opielka, Michael 2002b: Sozialpolitik für eine Sicht von ,oben' staatliche Förderprogramme macher 1999; Stecker 2001a). zunächst vom Staat ausgehe, aber zu Selbstregu- Wissensgesellschaft. Weitere Begründungen für behandelt. Allerdings - so unsere These - weilierungen führe. Ein Beispiel dafür war der Kon- soziale Bürgerrechte. In: Heinrich-Böll-Stiftung sen beide Perspektiven einen ,blinden Fleck' Allerdings wird der Problematik der individuflikt zwischen Shell und Greenpeace. (Hg.): Gut zu Wissen. Links zur Wissensgesellauf, da sie als generelle Handlungsoptionen ellen Passung sowie der Kombination von BeZu weiteren Problemfeldern der grünen Sozial- schaft. Münster: Westfälisches Dampfboot, 150die Pluralisierung des bürgerschaftlichen En- rufstätigkeit und ehrenamtlichem Engagement, politikstrategie vgl. Opielka 2003. 162. gagements kaum berücksichtigen, die Infra- von Ausnahmen abgesehen, in der aktuellen Opielka, Michael 2003: Nachhaltigkeit und soziale struktur des Engagements - nämlich die Orga- Diskussion zum bürgerschaftlichen EngageSicherung. Risiken und Chancen grüner Sozialponisationen des Dritten Sektors - gänzlich aus- ment wie zum aktivierenden Staat kaum BeLiteratur litik. In: Gewerkschaftliche Monatshefte, 2,74-82. blenden und zugleich nur bedingt auf die spe- achtung geschenkt. In den Konzepten des aktiPutnam, Robert D. (Hg.) 2001: Gesellschaft und zifische Lebenssituationen von Frauen zuge- vierenden Staates wird die Pluralisierung der Gemeinsinn. Sozialkapital im internationalen Verschnitten sind. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA Engagementformen und -bereiche kaum in BeEnquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaft-gleich. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. tracht gezogen. Vielmehr wird nach wie vor lichen Engagements "/Deutscher Bundestag (Hg.) Schmidt, Achim/Buhr, Petra 2002: Aktive Klien2002: Bürgerschaftliches Engagement und Zivil- ten - Aktive Politik? (Wie) Lässt sich dauerhafte auf Generalstrategien und -appelle einer allge1 Die Perspektive von unten gesellschaft. Opladen: Leske + Budrich. Unabhängigkeit von Sozialhilfe erreichen? ZeSFür die Entscheidung zur Übernahme eines meinen Engagementförderung rekurriert. InsGohr, Antonia 2002: Grüne Sozialpolitik in den Arbeitspapier Nr. 8/2002, Bremen: Zenü-um für Ehrenamtes oder zur freiwilligen Mitarbeit sind besondere wird die besondere Situation von 80er Jahren - Eine Herausforderung für die SPD, Sozialpolitik. individuelle Motive und Handlungsgründe Frauen nicht berücksichtigt. Für diese stellt 1 2 116 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Pulsschlag Forschunpsiournal NSB, Jp. 16, Heft 2, 2003 zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA sich das Problem des Zeitmanagements inso- dingt zum Engagement zu motivieren sind. Da fernzyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA in besonderem Maße, als sie häufig gleich bürgerschaftliches Engagement einen deutlidrei Aktivitätsfelder - nämlich Erwerbstätig- chen ,Mittelstandsbias' aufweist, sind distrikeit, Kindererziehung und bürgerschaftliches butive Politiken unter Gerechtigkeitsaspekten Engagement - zu koordinieren und in ihre in- nicht zu legitimieren und als Anreiz zum Endividuelle Lebensgestaltung einzupassen ha- gagement eher ineffizient. Doch auch der Einben. In der Diskussion zum ehrenamtlichen satz Steuer- und sozialrechtlicher AnreizsysteEngagement wird hierauf kaum eingegangen. me - wie die Steuerfreistellung und SteuerabEntsprechendes gilt für die Empfehlungen an zugsfähigkeit oder die Berücksichtigung von den aktivierenden Staat, bürgerschaftliches En- ,Solidarzeiten' in der gesetzlichen Rentenvergagement attraktiver zu gestalten. Als Schluß- sicherung - ist zur Engagementsteigerung nicht folgerung ist hier festzuhalten, dass der Förde- uneingeschränkt zu empfehlen (Stecker 2001b, rung bürgerschaftlichen Engagements von 2002b). Die Anrechnung von EngagementzeiFrauen ein größerer Stellenwert eingeräumt ten auf Steuern oder Renten kann sogar konwerden und sich vor allem die Unterstützung traproduktiv wirken, und zwar wenn bürgerihres Engagements nicht in der Bearbeitung schaftliches Engagement, etwa in der Form frauenspezifischer Verhinderungsfaktoren er- der ,Bürgerarbeit', eine Spielart niedrigentlohnschöpfen sollte. Vielmehr sollte die Förderung ter Arbeit darstellt, oder aber wenn Engagedes ehrenamtlichen Engagements von Frauen ment infolge voraussetzungsvoller Zugangsgezielt mittels geeigneterzyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA Strategien erfolgen und Abgrenzungskriterien in die Nähe der Erund darauf abzielen, gerade auch Frauen den werbsarbeit rückt. Insofern scheint die klassiWeg in ehrenamtliche Leitungs- und Führungs- sche' Art staatlicher Förderung über Recht und positionen zu ermöglichen. Während somit ei- Geld für eine Aktivierungsstrategie bürgerner pauschalen staatlichen Förderung bürger- schaftlichen Engagements ungeeignet, zumal schaftlichen Engagements eine Absage zu er- auf Nichtengagierte kaum Anreizeffekte austeilen ist (Stecker 2002b), sollte der aktivie- geübt werden. rende Staat eine dezidierte Förderung von Frauen in Entscheidungs- und Leitungspositionen 2.2 Unterstützung lokaler und regionaler zivilgesellschaftlicher Organisationen - wie Infrastruktur etwa dem Deutschen Gewerkschaftsbund, der Der aktivierende Staat fordert als Initiator und Caritas oder dem Deutschen Sportbund - auf Auftraggeber zum einen Infrastrukturmaßnahseine politische Agenda setzen. men auf lokaler und regionaler Ebene. Bereits in den 1980er Jahren wurden von der Bundes2 Die Perspektive von oben ebene Modellprojekte mit Begleitforschung zur 2.1 Distributive Politik und Aktivierung der Selbsthilfe speziell im Gesundheits- und Sozialbereich aufgelegt. Auch die Anreizsysteme Der aktivierende Staat kann als Gesetzgeber Länder unterstützen seitdem Initiativen und versuchen, Engagement entweder mittels dis- Projekte im Selbsthilfe-, Frauen-, Gesundheitstributiver Politiken oder aber über Steuer- und und Behindertenbereich. Entsprechendes gilt sozialrechtliche Anreizsysteme zu fördern. für die kommunale Ebene. Zum anderen sind Allerdings zeigen empirische Studien, dass ge- Programme der direkten Engagementförderung rade diejenigen Personenkreise, die auf staatli- zu nennen, wie etwa das Freiwillige Soziale che Unterstützung angewiesen sind, eher un- Jahr (FSJ), das Freiwillige Ökologische Jahr terdurchschnittlich engagiert und auch nur be- (FÖJ), das im Rahmen des Konzepts .Soziale 117 Staat und Unternehmen ein bisher wenig beachtetes Thema. Erst in jüngster Zeit werden die fließenden Übergänge zwischen Erwerbsarbeit und bürgerschaftlichem Engagement im Konzept des Corporate Citizenship hervorgehoben. Konkret werden durch die Zurverfügungstellung von materiellen, infrastrukturellen, personellen oder fachlichen Ressourcen Synergieeffekte erwartet (vgl. Halley 1999; Janning/Bartjes 1999; Jakob 1999, Schöffrnann 2000, Mutz/Korftnacher/Arnold 2001). Arbeitsmarkt- und beschäftigungsrelevant werden diese Konzepte erst, wenn eine Freistellung der Mitarbeiterinnen im sogenannten .Secondment' Zweifellos ist die infrastrukturelle Förderung des für ein halbes oder ganzes Jahr durch gleichaktivierenden Staates insgesamt positiv zu be- zeitige Wiederbesetzung mit Arbeitsuchenden werten. Gleichwohl besteht die Gefahr einer zu erfolgen würde. starken Ausrichtung auf bestimmte ,Gruppen', wie etwa Jugendliche oder Senioren. Darüber Femer betreffen solche arbeitgeberinitiierten hinaus läßt sich die Etablierung von Doppelstruk- Anreiz- und Austauschsysteme nur das Engaturen feststellen, die letztlich zu Ineftizienzen füh- gement der Beschäftigten (Stecker 2001a) und ren. Die engagementbereiten Bürgerinnen und zielen zudem als Maßnahmen zur Förderung Bürger sehen sich inzwischen einem Überange- sozialer Kompetenzen vorrangig auf die Mabot an staatlichen und freigemeinnützigen Un- nagement- und Leitungsebene ab. Es scheint terstützungs- und Kontaktstellen von Selbsthil- einiges darauf hinzuweisen, dass es sich beim fe und freiwilliger Mitarbeit gegenüber. Corporate Citizenship um einen neuen ,USImport' handelt, der sich wiederum als reine Während die Bürger und Bürgerinnen sich ,nur' Modeerscheinung ohne Breitenwirkung erweiengagieren möchten, droht für den aktivieren- sen könnte. Als Grund, warum Unternehmen den Staat die Gefahr, sich im Gestrüpp der hierzulande bisher nicht in stärkerem Maße im Zuständigkeiten und Kompetenzabgrenzungen Sinne einer Stützung des bürgerschaftlichen zu verheddern. Von der Förderung bürgerschaft- Engagements tätig werden, ist vor allem auf lichen Engagements als Querschnittsaufgabe die noch ausstehende gesetzlich einheitliche von Staat und Verwaltung ist man noch weit Regelung der .Freistellung' zu verweisen. entfernt. Ob es hierzu jemals kommen wird, hängt wesentlich von der Bereitschaft von Po- 2zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQP .4 Der Dritte Sektor als litikern und Verwaltungen ab, Ressortdenken soziale Infrastruktur ein Stück weit aufzugeben und auch auf Kom- Gänzlich ausgeblendet wird im Rahmen der petenzen zu verzichten. Diskussion um den aktivierenden Staat der Dritte Sektor als Bereich der freigemeinnützigen Organisationen, der Vereine und lokalen 2.3 Unternehmen und Initiativen (vgl. Priller/Zimmer 2001b). ZweiCorporate Citizenship Unter dem Leitmotiv der Förderung bürger- fellos findet bürgerschaftliches Engagement schaftlichen Engagements ist das Verhältnis von schwerpunktmäßig in den Organisationen des Stadt' eingeführte Freiwillige Soziale Trainingsjahr (FSTJ), die Förderung des Engagements im ,Dritten Lebensalter' (vgl. u.a. Bundesarbeitsgemeinschaft Seniorenbüros (BAS) 1999) sowie in gewisser Weise auch die europäischen Freiwilligendienste. Für Jugendliche sind die hier erworbenen sozialen, organisatorischen und fachlichen Kompetenzen nicht zu unterschätzen. Zudem können sie nach diesem Jahr Arbeitslosengeld beziehen, so dass FSJ, FÖJ oder FSTJ auch für den .Übergang' und Einstieg in den Berufsalltag relevant sind (Stecker 2002a, 2002b). 118 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Pulsschlag Forschungsjournal NSB, Jg. 16, Heft 2, 2003 zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA sollte man die Potentiale des Corporate CitiBeteiligungsoptionen und Engagementformen zenship nicht überbewerten. Auch in den USA noch vor hundert Jahren relativ übersichtlich, tragen Unternehmen nur in begrenztem Umso ist angesichts der ausdifferenzierten Vielfalt fang zur Förderung des Engagements bei. Von heute von einerzyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA Pluralisierung des bürgerweitaus größerer Breitenwirkung wäre sicherschaftlichen Engagements auszugehen. Vor dielich die Modernisierung der Rahmenbedingunsem Hintergrund besteht für den aktivierenden gen von Dritte Sektor Organisationen als der Staat die Schwierigkeit der angemessenen Rewesentlichen Infrastruktur bürgerschaftlichen aktion. Staatliche Defizite zeigen sich sowohl Engagements (siehe zu verschiedenen Länderbezüglich der Schnittstelle zwischen Erwerbsbeispielen Zimmer/Stecker 2003). Doch hier arbeit und bürgerschaftlichem Engagement soverhält sich der aktive Staat bisher sehr zuwie insbesondere bei der Betrachtung frauenrückhaltend. Er gibt ungern Kompetenzen ab relevanter Aspekte. Auf der Ebene des indiviund toleriert eine aktive Zivilgesellschaft als duellen Engagements wie auch im Rahmen Kontrollinstanz staatlicher Maßnahmen kaum. sozialer Infrastrukturen gibt es keine inhaltlichen Programme des Staates, die der Notwendigkeit der Einpassung des Engagements in Christina Stecker, Dr. rer. pol., ist Volkswirtin persönliche Zeitstrukturen auch geschlechtsund Politologin und seit April Referentin beim spezifisch Rechnung tragen. Anders ausgeVerband Deutscher Rentenversicherungsträger drückt: Will man Engagement fördern, so soll(VDR), Frankfurt am Main. ten zumindest die besonderen Bedarfe und die Annette Zimmer ist Professorin für Sozialpolisich aufgrund der geschlechtsspezifischen Roltik und Vergleichende Politikwissenschaft am lenzuweisung ergebenden MehrfachbelastunInstitut für Politikwissenschaft an der Westfäligen der Mehrheit der Bevölkerung berücksichschen Wilhelms-Universität Münster. tigt werden. Literatur Betzelt, Sigrid 2001: Reformbedarf der rechtMit dem Einsatz klassischer Steuerungsinstrulichen und ökonomischen Rahmenbedingunmente im Dienst des bürgerschaftlichen Engagen des Dritten Sektors. In: Priller, Eckhard/ gements sollte der aktivierende Staat möglichst Zimmer, Annette (Hg.) 2001b. behutsam umgehen. Distributive Politiken und Bundesarbeitsgemeinschaft Seniorenbüros Steuer- und sozialrechtliche Anreize würden (BAS) 1999: Ansätze und Methoden der Engavor allem denjenigen zu Gute kommen, die gementförderung im Dritten Lebensalter. Prasich in gesicherten Verhältnissen befinden und xisbeiträge zum bürgerschaftlichen Engagediese Unterstützung eigentlich nicht nötig hament im Dritten Lebensalter, Band 5. Stuttben. Eine breit angelegte Ausrichtung auf Zielgart, Marburg, Erfurt: Peter Wiehl. gruppen kann zur Etablierung von DoppelstrukHalley, David 1999: Employee Community Inturen - wie z.B. Selbsthilfekontaktstellen und volvement. Gemeinnütziges ArbeitnehmerenFreiwilligenzentralen - führen und birgt somit 3zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA Resümee und Empfehlungen an den gagement. Köln: Fundus - Netz für Bürgerendie Gefahr der Ineffizienz und Ineffektivität. aktivierenden Staat gagement. Für den aktivierenden Staat bleibt viel zu tun, Ferner trägt ein kaum zu durchschauendes GeJakob, Gisela 1993: Zwischen Dienst und und zwar sowohl hinsichtlich der Berücksich- wirr von Dienststellen und Zuständigkeiten Selbstbezug. Biographie und Gesellschaft, tigung der individuellen Bedarfe von Bürgern kaum zur Förderung des Engagements bei. Band 17. Opladen: Leske & Budrich. und Bürgerinnen als auch hinsichtlich der MoJakob, Gisela 1999: Veränderungen der Ardernisierung seiner eher auf der Makro-Ebene Die Förderung einer engagementfreundlichen beitsgesellschaft und Perspektiven für freiwilansetzenden Steuerungsinstrumente. Waren die Unternehmenskultur ist zu unterstützen, jedoch Dritten Sektors statt (vgl. Zimmer/Priller 2001: 139). Längst ist auch bekannt, dass Vereine und gemeinnützige Organisationen unter rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen arbeiten, die staatlich stark reglementiert und insgesamt nicht mehr zeitgemäß sind. Die Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen (vgl. Betzelt 2001) als genuine Aufgabe des aktivierenden Staates würde wesentlich dazu beitragen, die Effektivität der Organisationen als zivilgesellschaftliche Infrastruktur und Ermöglicher von bürgerschaftlichem Engagement nachhaltig zu verbessern. Allerdings ist es eher fraglich, ob der aktivierende Staat den Sektor in die erforderliche Freiheit entlassen wird. Hierzu ist die Traditionslinie der staatlichen Reglementierung in Deutschland zu stark ausgeprägt. Während der aktivierende Staat die funktionale Indienstnahme von bürgerschaftlichem Engagement und Dritte Sektor Organisationen, wie etwa im Bereich der Selbsthilfe oder der Freizeit- und Hobbyaktivitäten, nachhaltig durch Modellprojekte und sonstige Fördermaßnahmen unterstützt, werden die zivilgesellschaftlichen Qualitäten des bürgerschaftlichen Engagements und des Dritten Sektors nämlich die Ausübung von Kontrollfunktionen gegenüber Staat und Verwaltung sowie die Wahrnehmung gesellschaftlicher Integrationsund Partizipationsfunktionen - eher mit Skepsis betrachtet und letztlich staatlicherseits überwacht. Als Beispiel hierfür ist die Arbeit der Vereine ausländischer Mitbürger und Mitbürgerinnen anzuführen, die als einzige Vereine zentral erfaßt werden. 119 liges Engagement. In: Stiftung MITARBEIT/ Bundesarbeitsgemeinschaft Freiwilligenagenturen (Hg.), Wozu Freiwilligen-Argenturen? Visionen und Leitbilder. Nr. 34. Bonn: Stiftung MITARBEIT, 51-71. Janning, Heinz/Bartjes, Heinz (Hg.) 1999: Ehrenamt und Wirtschaft. Beiträge zum Ehrenamt, Band 2. Stuttgart: Robert Bosch Stiftung. Kienner, Christina/Pfahl, Svenja 2001: (Keine) Zeit fürs Ehrenamt? Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und ehrenamtlicher Tätigkeit. In: WSI-Mitteilungen, 179-187. Mutz, Gerd/Korfmacher, Susanne/Arnold, Karen (Hg.) 2001: Corporate Citizenship in Deutschland. Internationales Jahr der Freiwilligen, Band 3. Frarikfurt/M.: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge. Priller, Eckhard/Zimmer, Annette 2001a: Bürgerschaftliches Engagement und Dritter Sektor. In: WSI-Mitteilungen, Heft 3,157-164. Priller, Eckhard/Zimmer, Annette (Hg.) 2001b: Der Dritte Sektor international. Mehr Markt weniger Staat? Berlin: Ed. Sigma. Schöffmann, Dieter 2000: Bürgerschaftliches Engagement durch Unternehmen und ihr Personal - eine Chance für Verbände und Einrichtungen. In: Bank für Sozialwirtschaft, Info, Artikelserie 03.-05.2000, jeweils 13-16. Schumacher, Ulrike 1999: Zwischen Ausgrenzung und neuen Potentialen. Die Modernisierung ehrenamtlicher Arbeit und der individuelle Mix von Tätigkeiten am Beispiel des Engagements in Berliner Umweltschutzorganisationen. In: WZB-Discussion Paper. Berlin. Stecker, Christina 2001a: Bürgerschaftliches Engagement im Bereich der Arbeitsmarktpolitik. In: Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit, Nr. 4, 129-134. Stecker, Christina 2001b: ,Solidarzeiten' für Ehrenamt und Engagement? Drei Modellrechnungen für die gesetzliche Rentenversicherung. In: Zeitschrift für Sozialreform, Heft 5, 526541 (zuerst erschienen als: AU-Intern Nr. 14/ 242, Enquete-Kommission „Zukunft des Bür- 120 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Pulsschlag Forschunpsiournal NSB, Jg. 16, Heft 2, 2003 zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA 121 geschäftlichen Engagements"). zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA sozialwissenschaftliche Studien durchaus guten genagenturen verweisen auf eine äußerst unpolitisch hat dieser Einrichtungstypus eine hohe Stecker, Christina 2002a: Nutzen und Risiko Aufmerksamkeit erfahren und wird spätestens RUcklaufquote von 42%. An der Befragung ha- terschiedliche finanzielle Ausstattung. Die bürgerschaftlichen Engagements für Arbeits- seit dem Abschlussbericht der Enquete-Komben Freiwilligenagenturen aus allen Bundeslän- Spannbreite des verfügbaren Jahresbudgets markt und Demokratie. In: http://www. mission Zukunft des bürgerschaftlichen Engadern teilgenommen. Dabei gibt es augenschein- reichte im Jahr 2001 dabei von 100 D M bis zu jugendsozialarbeit.de (Nr. 105, 04.11.2002). lich eine besondere Konzentration von Agentu- 380.000 DM. Dahinter stehen sowohl Einrichgements (Enquete-Kommission 2002) parteiStecker, Christina 2002b: Vergütete Solidarität übergreifend als notwendiger Teil einer zuren in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Bayern und tungen, die ausschließlich auf der Basis freiund solidarische Vergütung. Zur Förderung von kunftsfähigen engagementfördernden InfraBaden-Württemberg. In den anderen Ländern willigen Engagements tätig sind als auch inEhrenamt und Engagement durch den Sozial- struktur in Deutschland angesehen. handelt es sich überwiegend um einzelne oder zwischen hoch spezialisierte und mit hauptstaat. Opladen: Leske + Budrich. amtlichem Personal arbeitende Agenturen. Der aber einige wenige Einrichtungen. Stecker, Christina 2003: Zur Brückenfunktion Derzeit existieren in der Bundesrepublik knapp arithmetische Mittelwert im Jahresbudget liegt bürgerschaftlichen Engagements - Notwendige 200 Freiwilligenagenturen, die sich jedoch in Mit 85% arbeitet die Mehrheit der an der Be- bei 113.000 D M . Differenzierungsmomente. In: Hans-Böckler- ganz unterschiedlichen Entwicklungsstadien fragung teilnehmenden Agenturen in den alten Stiftung/Münchner Institut für Sozialforschung befinden. Die zunächst groß erscheinende Zahl Bundesländern. Über ein Drittel der bestehen- Die Zusammensetzung der Jahreshaushalte der (Hg.), Mehr Beschäftigung durch Eigenarbeit bedeutet aber keineswegs, dass es eine stabile den Agenturen sind allein in Nordrhein-West- Freiwilligenagenturen gleicht einem finanzielund bürgerschaftliches Engagement? (i.E.) und verlässliche bundesweite Infrastruktur der falen angesiedelt. In den neuen Bundeslän- len Flickenteppich. Sehr deutlich wird, dass es Zimmer, Annette 2000: Bürgerengagement, Zi- Engagementförderung gibt wie etwa in den dern gibt es demgegenüber noch einen ver- in der Regel keine Vollfinanzierung durch eivilgesellschaft und Dritter Sektor vor Ort - Niederlanden, anderen europäischen Ländern gleichsweise geringen Verbreitungsgrad von nen einzelnen Geldgeber gibt, sondern die fiStandortbestimmung und Entwicklungsperspek- oder den USA. Vielmehr sieht es so aus, dass nanziellen Mittel aus ganz unterschiedlichen Freiwilligenagenturen. tiven. In: Politische Bildung, Heft 4, 39-59. Quellen und Instanzen zusammengetragen werneue Einrichtungen entstehen, während beZimmer, Annette/Crede, Daniela/Nährlich, Ste- währte aufgrund mangelnder finanzieller MitFreiwilligenagenturen sind überwiegend sehr den. Dabei nehmen allerdings kommunale fan/Wiedenhöft, Katrin 2000: Bürgerengage- tel wieder schließen müssen (vgl. Jakob/Janjunge Einrichtungen. Lediglich 8 Agenturen (26%) und Landesmittel (19%) sowie Mittel ment auf dem Vormarsch. In: FJNSB, Heft 2, ning 2001). bestehen zum Zeitpunkt der Befragung länger der Arbeitsförderung (13%) eine zentrale Po126-132. als 5 Jahre. Ein Gründungs- und Entstehungs- sition in den Haushalten der Agenturen ein. boom hat ab dem Jahr 1997 eingesetzt. Knapp Auffällig ist des weiteren, dass der Bund und Zimmer, Annette/Priller, Eckhard 2001: Der Drit- Bislang fehlte ein fundierter zahlenmäßiger 90% der an der Befragung teilnehmenden Ein- die E U bislang so gut wie keine Rolle in der te Sektor in Deutschland: Wachstum und Wan- Überblick Uber die Strukturen, Arbeitsbedinrichtungen ist zwischen 1997 und dem Erhe- Finanzierung der Einrichtungen spielen. Der del. In: Gegenwartskunde, Heft 1,121-147. gungen und Entwicklungstrends der Freiwillibungszeitpunkt gegründet worden. Diese An- überraschend hohe Prozentanteil, anderer MitZimmer, Annette/Stecker, Christina (Eds.) 2003: genagenturen in Deutschland. Mit der von der gaben dürfen nicht über die hohe Dynamik in tel' (immerhin 24%), die allerdings nicht geStrategy Mix. Nonprofit Organisations - Ve- Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligendiesem Entwicklungsfeld hinwegtäuschen. nauer erfasst wurden, macht auf die offensichthicles for Social and Labour Market Integrati- agenturen (bagfa) in den Jahren 2001/2002 Zahlreiche Einrichtungen, die sich ebenfalls in lich notwendige Kreativität vieler Freiwilligenon. Berlin: Ed. Sigma (i.E.). zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA durchgeführten Studie Freiwilligenagenturen in diesem Zeitraum gegründet haben, mussten - agenturen in der Finanzplanung aufmerksam. Deutschland (BMFSFJ 2002) liegt nun erstmals vor allem aufgrund fehlender Finanzierungsempirisches Zahlenmaterial vor, das durch die möglichkeiten - inzwischen wieder schließen. Die Mitarbeiterstruktur der FreiwilligenagenVeröffentlichung in der Schriftenreihe des turen gestaltet sich folgendermaßen: 11 % der BMFSFJ einer breiten Fachöffentlichkeit zuFreiwilligenagenturen in gänglich gemacht wurde. Die Studie liefert Bezüglich der Trägerschaft zeichnen sich vier Agenturen arbeiten gänzlich ohne hauptamtliDeutschland zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA Datenmaterial zu den Struktur- und LeistungsModelle ab, die derzeit in der Praxis von Frei- ches Personal, also ausschließlich auf ehrenErgebnisse einer aktuellen empirischen merkmalen der Freiwilligenagenturen, zeigt willigenagenturen dominieren. 35% der Ein- amtlicher Basis, 40% der Agenturen haben bis Studie aber auch deren Defizite wie auch Entwickrichtungen werden in Trägerschaft eines Wohl- zu einer Personalstelle, 26% haben bis zu zwei In den letzten Jahren ist ein Gründungsboom lungspotenziale auf. fahrtsverbandes betrieben. 30% werden von ei- und 16% haben drei Personalstellen. Ein kleivon Freiwilligenagenturen zu beobachten, nem eigenständigen, z.T. eigens für diesen nerer Teil der Freiwilligenagenturen - 6% wodurch sich bundesweit mittlerweile ein be- Ausgewählte Ergebnisse der Studie Zweck gegründeten Verein getragen. 14% ste- beschäftigt mehr als drei Mitarbeiter. Man achtliches Netz solcher vergleichsweise neuen Von den insgesamt 190 angeschriebenen Einhen in Trägerschaft von Kommunen und 15% könnte also zu dem Schluss kommen, dass sich Organisationen zur Förderung des bürgerschaft- richtungen haben 80 den beantworteten Fragevon Trägerverbünden. Andere Trägerschaften - entgegen mancher Vermutung - die persolichen Engagements gebildet hat. Auch fach- bogen zurückgesandt. Das entspricht einer für sind die Ausnahme. Die befragten Freiwilli- nelle Situation der Agenturen gar nicht so pre2 1 122 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Forschungsjournal NSB, Jg. 16, Heft 2, 2003 zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Pulsschlag kär gestaltet. Dabei sagen diese Angaben allerdings noch nichts darüber aus, welcher Art diese Stellen sind. Aus der Zusammensetzung der Jahresbudgets ist ersichtlich, dass Maßnahmen der Arbeitsverwaltung einen nicht unerheblichen Stellenwert haben. Insbesondere aus den ostdeutschen Freiwilligenagenturen ist bekannt, dass diese in hohem Maße auf der Grundlage von A B M , S A M und auch BSHGStellen arbeiten (vgl. Ebert/Hesse 2003). Diese Faktoren haben einen erheblichen Einfluss auf die weitere Angebotsentwicklung und Profilschärfung von Freiwilligenagenturen. Fast alle Agenturen konzentrieren sich in ihrer Arbeit auf die drei Kernaufgaben: • Information, Beratung und Vermittlung von Freiwilligen (100%), • Öffentlichkeitsarbeit für das freiwillige Engagement (96%) sowie • Zusammenarbeit mit/Beratung von Organisationen (95%). Knapp die Hälfte der Freiwilligenagenturen hat bereits ein sehr breites inhaltlich-konzeptionelles Profil entwickelt, das über die genannten Bereiche hinaus auch Vernetzungsarbeit im kommunalen Raum, Fort- und Weiterbildung im Freiwilligensektor sowie besondere Projekte der Engagementförderung (z.B. bei Jugendlichen) umfasst. Dies steht insbesondere in Zusammenhang mit einer günstigeren finanziellen und personellen Ausstattung sowie dem Alter der Einrichtung. Lassen sich insgesamt zwar Unterschiede im inhaltlich-konzeptionellen Zuschnitt der Einrichtungen beschreiben, so ist doch erkennbar, dass Freiwilligenagenturen in ihrer Gesamtheit weit mehr sind als reine Vermittlungsstellen. Im konzeptionellen Selbstbild der Agenturen gibt es einen erkennbaren Entwicklungstrend zu einem umfassenderen Verständnis von Aufgaben und Tätigkeiten zur Förderung bürgerschaftlichen Engagements. Besondere Aufmerksamkeit richtet sich in der öffentlichen Diskussion auf die .Vermittlungsquote'. Dabei wird häufig vergessen, dass diesem ,messbaren' Erfolg in der Regel eine intensive Informations- und Beratungsarbeit vorausgeht, die deutlich seltener in die Beurteilung von Erfolg und Qualität der Arbeit einbezogen wird. Die Angaben zu Bürgerkontakten und persönlichen Beratungsgesprächen (in Fragen freiwilligen Engagements) dürfen daher nicht vernachlässigt werden, wenn sie auch schwieriger zu belegen sind und als eher .weiche' Kriterien für Erfolg und Qualität gelten. Im Durchschnitt konnten die befragten Einrichtungen in den vergangenen 12 Monaten 73 Personen in eine freiwillige Tätigkeit vermitteln. Die .Vermittlungsquote' variiert entsprechend Größe, Personal, Ressourcen und natürlich Tätigkeitsprofil der einzelnen Einrichtungen zwischen 4 und 420. Diese Quote verweist - bei aller gebotenen Vorsicht bei der Interpretation dieser Zahl als Erfolgsindikator von Freiwilligenagenturen - auf ein durchaus vorzeigbares Ergebnis im Bereich der Vermittlung von Freiwilligen. Die Anzahl der Vermittlungen - und damit letztlich der ,Erfolg' in diesem Tätigkeitsbereich der Agenturen steht in engem Zusammenhang mit der finanziellen und personellen Situation der Einrichtungen. Je besser die einzelne Agentur personell ausgestattet ist (dies drückt sich natürlich auch im Budget aus), desto intensiver kann auch der Aufgabenbereich .Information, Beratung und Vermittlung von Freiwilligen' wahrgenommen und gestaltet werden. Dies findet letztlich auch seinen Niederschlag in den Vermittlungszahlen. Darüber hinaus lässt sich nachweisen, dass mit dem ,Alter' bzw. der Zeit des Bestehens der Agenturen auch die Vermittlungsquote steigt. Die .älteren' Agenturen können auf deutlich höhere Vermittlungszahlen verweisen als die jüngeren'. 123 Die Einrichtungen benötigen also Zeit, um Er- insbesondere in Ostdeutschland - stehen. Erst fahrungen in diesem Feld zu sammeln und auf eine stabile Basisfinanzierung dieser Einrichdiese Weise an Profil, Öffentlichkeit und Pro- tungen erlaubt es, diesen Aufgabenbereich weifessionalität zu gewinnen. Dieses Ergebnis ver- ter auszubauen (vgl. Ebert 2003). weist auf die Bedeutung gesicherter Arbeitsbedingungen und der Verstetigung der vorhan- Die prekäre Personal- und Finanzsituation birgt denen, bislang meist ungesicherten Strukturen. derzeit die Gefahr des Zusammenbruchs der Nur auf einer stabilen Basis können sich fach- noch jungen Strukturen in sich. Die finanzielle liches Profil und Qualität entwickeln. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYWVUTSRPONMLKJI Unsicherheit, verbunden mit der - insbesondere in den ostdeutschen Freiwilligenagenturen häufig anzutreffenden kurzfristigen PersonalEntwicklungsperspektiven Die bagfa-Studie macht darauf aufmerksam, finanzierung über A B M und SAM, kann den dass es bislang nur einem Teil der Einrichtun- Aufbau einer bedarfsgerechten Infrastruktur zur gen gelungen ist, ein umfassendes Leistungs- Förderung bürgerschaftlichen Engagements in spektrum im Sinne von .Entwicklungsagentu- Deutschland nicht gewährleisten. Dies lässt sich ren' zur Förderung bürgerschaftlichen Enga- auf Dauer nicht ohne eine grundständige öfgements (Olk 2003) zu entwickeln. Hier gilt fentliche Finanzierung bewältigen. Das zeigen es künftig, sich nicht allein auf die Vermitt- die Erfahrungen der wenigen etablierten Freilungsarbeit zu beschränken, sondern stärker als willigenagenturen in Deutschland sowie auch bisher den Bereich der Beratung von Organi- der Blick in andere europäische Länder (vgl. sationen auszubauen, zu professionalisieren und Jakob/Janning 2001). So kommt auch die EnZukunft des Bürgerschaftnach außen zu kommunizieren. Ziel der kon- quete-KommissionzyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXW zeptionellen Weiterentwicklung der Freiwilli- lichen Engagements in ihrer Auseinandersetgenagenturen sollte es insbesondere sein, die zung mit den Freiwilligenagenturen zu dem zivilgesellschaftliche Umorientierung und Öff- Schluss, dass die Basisfinanzierung dieser Einnung von Organisationen und Einrichtungen richtungen eine Gemeinschaftsaufgabe von (Non-Profit-Organisationen, Schulen, Kinder- Bund, Ländern und Kommunen ist (vgl. Engarten, Verwaltungen u.ä.) für bürgerschaftli- quete-Kommission 2002: 316ff). ches Engagement zu fördern. Aufbauend auf einheitlichen fachlichen Grundstandards und Ein vergleichsweise kleiner, jedoch ebenso beKernaufgaben sollte sich das fachliche Profil deutender Schritt zur Etablierung von Freiwilder Freiwilligenagenturen an den konkreten lo- ligenagenturen ist deren Anerkennung im Rahkalen Bedarfen orientieren. Dies kann sich aus- men des Gemeinnützigkeitsrechtes (dies gilt drücken in ergänzenden Projekten der Enga- ebenso für Selbsthilfekontaktstellen, Seniorengementförderung von Arbeitslosen, von Ju- büros und andere engagementfördernde Infragendlichen, durch Unternehmen o.ä. struktureinrichtungen). Erst durch die Anerkennung der Gemeinnützigkeit ist es - unabEin in dieser Weise erweitertes Spektrum von hängig von den bislang sehr unterschiedlichen Aufgaben und Leistungen erfordert allerdings Trägerkonstruktionen - möglich, Spendengelauch spezifische Qualifikationsprofile der Mit- der einzuwerben und dafür steuerlich wirksaarbeiter/innen von Freiwilligenagenturen, die me Spendenquittungen auszustellen. Dies ist vielerorts noch nicht vorhanden sind und im vor allem deshalb so wichtig, weil sich FreiWiderspruch zur gegenwärtigen Personal- und willigenagenturen langfristig auf flexible MoFinanzsituation der Freiwilligenagenturen - delle der Mischfinanzierung einstellen müs- 124 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Forschungsjournal NSB, Jp. 16, Heft 2, 2003 zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Pulsschlag sen. Dabei können variable Anteile aus privaten Mitteln wie z.B. Spenden stabile öffentliche Finanzierungsanteile ergänzen. Literatur Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.)2002: Freiwilligenagenturen in Deutschland. Ergebnisse einer Erhebung Um eine wirkungsvolle Infrastruktur zur För- der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilliderung bürgerschaftlichen Engagements in genagenturen (bagfa). Schriftenreihe Band 227. Deutschland zu etablieren, bedarf es nicht Berlin: Kohlhammer. zuletzt auch einer starken überregionalen und Eben, Olaf/Hesse, Andreas 2003: Freiwilligenverbändeübergreifenden Interessenvertretung, agenturen in Ostdeutschland. Neue Hoffhungsdie auf Bundes- und Länderebene den Auf- träger der Engagementförderung? In: Backund Ausbau der Freiwilligenagenturen, deren haus-Maul, H./Ebert, O./Jakob, G./Olk, T. weitere Profilschärfting, Vernetzung und Qua- (Hg.), Bürgerschaftliches Engagement in Ostlitätsentwicklung unterstützt sowie für Politik deutschland. Opladen: Leske & Budrich, 219und Öffentlichkeit als Ansprechpartner zur Ver- 236. fügung steht. Es ist daher die Stabilisierung Ebert, Olaf2003: Freiwilligenagenturen: Pround Weiterentwicklung der Bundesarbeitsge- file, Erfolgskriterien, Probleme. Gutachten für memschaft der Freiwilligenagenturen (bagfa) die Enquete-Kommission „Zukunft des Bürals fachliche Vertretung der Freiwilligenagen- gerschaftlichen Engagements". In: Enqueteturen auf Bundesebene ebenso anzustreben wie Kommission (Hg.): Bürgerschaftliches Engaauch der Aufbau vergleichbarer Strukturen auf gement in den Kommunen. Band 8. Opladen: Länderebene (lagfazyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA 's). zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA Leske & Budrich. Enquete-Kommission „Zukunft des BürgerOlaf Eben, Geschäftsführer der Freiwilligen- schaftlichen Engagements" des Deutschen BunAgentur Halle-Saalkreis e.V., Vorstandsmitglied destages (Hg.) 2002: Bürgerschaftliches Ender Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilli- gagement: auf dem Weg in eine zukunftsfähigenagenturen (bagfa e.V.), Kontakt: olaf.ebert® ge Bürgergesellschaft. Band 4. Opladen: Leske + Budrich. freiwilligen-agentur.de Birger Hartnuß, Wissenschaft! Referent in der Jakob, Gisela/Janning, Heinz 2001: FreiwilliGeschäftsstelle des Bundesnetzwerks Bürger- genagenturen als Teil einer lokalen Infrastrukschaftliches Engagement (BBE), Kontakt: tur für Bürgerengagement. In: Heinze, R. G./ hartnuss@deutscher-verein.de Olk, T. (Hg.), Bürgerengagement in Deutschland. Opladen: Leske & Budrich, 483-507. Anmerkungen NAKOS 2002: Mit Profil im Netzwerk. SelbstTrotz zum Teil sehr unterschiedlicher Be- hilfekontaktstellen, Freiwilligenagenturen und zeichnungen (Freiwilligenagenturen, Ehren- Seniorenbüros. NAKOS-Extra 33, Berlin. amtsbörsen, Freiwilligen-Zentren u.ä.) verwen- Olk, Thomas 2002: Begleitkommentar zur bagden wir den Begriff Freiwilligenagenturen im fa-Studie. In: Bundesministerium für Familie, Folgenden synonym für die benannten enga- Senioren, Frauen und Jugend (Hg.) 2002: Freiwilligenagenturen in Deutschland. Ergebnisse gementfördernden Einrichtungen. Diese Agenturen stehen in Zusammenhang einer Erhebung der Bundesarbeitsgemeinschaft mit einem Förderprogramm in NRW, das der Freiwilligenagenturen (bagfa). Schrifteninzwischen eingestellt wurde. Daher ist zu ver- reihe Band 227. Berlin: Kohlhammer, 13-19. muten, dass ein Großteil dieser Agenturen ihre Arbeit nicht fortsetzen kann. 1 2 125 angereist, ebenso wie Greenpeace und der T A G U N G S B E R I C H T zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Dachverband der entwicklungspolitischen Die Dialektik des Erfolgs: Das Dritte Weltsozialforum Das Dritte Weltsozialforum (WSF) in Porto Alegre hat noch einmal eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr gebracht. Nicht nur quantitativ - die Teilnehmerzahl hat sich auf 100.000 verdoppelt. Auch die politische Außenwirkung und die Sichtbarkeit in den Medien hat noch einmal deutlich zugenommen. Dies ist umso bedeutender angesichts einer politischen Konstellation, die durch einen drohenden Krieg und die immer deutlicher zu Tage tretende Krisenhaftigkeit des Neoliberalismus gekennzeichnet ist. Eine zentrale Botschaft von Porto Alegre war denn auch: die Mehrheit der Menschen auf unserem Planeten ist gegen diesen Krieg. Das WSF 2003 hat gezeigt, dass die Kräfte gegen Krieg und Neoliberalismus stärker werden. Hilfswerke VENRO. Die stärkste Gruppe bildete freilich nach wie vor ATTAC mit 50 Personen. ATTAC dominierte auch die Medienwahrnehmung in Deutschland. Ob die neue Qualität deutscher Beteiligung wirklich politische Substanz hat, wird sich allerdings noch zeigen müssen, wenn es um die Kooperation in der Bundesrepublik geht. Politische Breite nimmt zu Die globalisierungskritische Bewegung ist im Laufe des vergangenen Jahres nicht nur zahlenmäßig stärker geworden. Auch ihre politische Zusammensetzung verändert sich. War es zunächst die Linke jenseits der Sozialdemokratie, die bisher die Hauptkraft ausmachte, integrieren sich jetzt auch zunehmend Sektoren, die bisher allenfalls als gemäßigte Kritiker der Globalisierung aufraten. So war die stärkere Präsenz von Gewerkschaften, Kirchen und etablierten Verbänden dieses Jahr in Porto Alegre auffällig. Die politische Basis der Globalisierungskritik wird breiter. Vielfalt - Stärke oder Schwäche? Gleichzeitig sind in Porto Alegre die Grenzen des Erfolgs sichtbar geworden. Wenn die Globalisierungskritik über die Kritik hinausgelangen und reale Veränderungen durchsetzen will, dann wird die klassische Linke allein nicht stark genug sein, auch wenn der Zustrom von vor allem jungen Leuten in linke Organisationen und eine wachsende Attraktivität grundlegender Gesellschaftskritik unverkennbar ist. Mit der Beteiligung neuer Akteure wächst die Pluralität der Bewegung. Die Herstellung politischer Handlungsfähigkeit wird komplizierter. Wird diese Situation entlang der traditionellen Reflexe bearbeitet - hier Angst vor Integration, dort vor Radikalisierung - , ist das Weitere abzusehen: machtpolitische Auseinandersetzung um Hegemonie, oder allenfalls eine Niedliche Koexistenz' von ansonsten unverbunden nebeneinander her agierenden Kräften. Ersteres wird schnell zu den sattsam bekannten zentrifugalen Effekten, sprich Spaltungs- und Verfallsprozessen führen, letzteres zu einem konsequenzenlosen ,Markt der Möglichkeiten'. Vielfalt als Schwäche also. Symptomatisch hierfür war auch die deutsche Delegation. Abgesehen davon, dass sich die Teilnehmerzahl im Vergleich zum Vorjahr von 100 auf 400 vervierfacht hatte, gab es dieses Mal eine starke Präsenz des DGB. Für die evangelische Kirche war Bischöfin Käßmann Eine Perspektive jenseits dieses Dilemmas läge darin, Vielfalt zu einer politischen Produktivkraft zu machen. Erste Voraussetzung ist dabei, die unterschiedlichen Position als Ausdruck eines objektiv pluralen politischen Feldes zu akzeptieren und die jeweils andere Position nicht 126 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Forschunpsiournal NSB, Jg. 16, Heft 2, 2003 zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Pulsschlag 127 als intellektuelles Unvermögen, moralisch min- Stiftung'. Hier saßen erstmals ein Vertreter des in der Provinz Rio Grande do Sul und die en auch ist. Sicher wird das Forum in Indien derwertig oder politische Perfidität zu bewer- IBFG und die argentinischen Piqueteros auf brasilianische Präsidentschaftswahl. Die orga- kleiner sein, aber das kann als Vorteil genutzt ten. Zweitens müsste die Bereitschaft zur dis- einem Podium und diskutierten miteinander, nisatorische Infrastruktur der Stadt, ohne die werden. Der kulturell völlig anders gelagerte kursiven Bearbeitung der Unterschiede vorhan- ebenso wie der internationale Metallarbeiterein solches Großereignis nicht zu machen ist, Kontext in Indien wird andere Sichtweisen, den sein und zwar so weit wie möglich ohne bund und die ANC-kritische Bewegung gegen war damit überfordert, zumal die PT die Pro- andere Erfahrungen einführen. Es werden dabei machtpolitische Hilfsmittel. Das heißt, Instru- die Privatisierung der Wasser- und Elektrizivinzwahlen verloren hatte. Da durch den Prä- sicher auch neue Probleme auftreten. Auf alle mente, Arbeitsformen und Verfahren zu entwi- tätsversorgung in den südafrikanischen Townsidentenwechsel in Brasilia über 20.000 Be- Fälle aber wird das WSF 2004 spannend. ckeln, die Dialog, Diskussion von Kontrover- ships, oder die brasilianische CUT und eine amte ausgewechselt werden und Porto Alegre sen ermöglichen. Dies setzt drittens voraus, indische Arbeiterin, die Gewerkschaft als sozials Hochburg der PT eine erkleckliche Anzahl Peter Wahl ist Mitarbeiter von WEED - Weltauf a priori feststehende Wahrheiten zu ver- ale Bewegung jenseits der Apparate begreift. von Leuten in die Bundesregierung entsendet, wirtschaft, Ökologie & Entwicklung und Mitzichten, die dem jeweils anderen nur noch zu Die Diskussion zeigte zwar eher die Schwiefehlte es plötzlich auch an erfahrenem Perso- glied des Koordinierungskreises von Attac. vermitteln sind. Es geht um die Entwicklung rigkeiten auf, als dass greifbare Ergebnisse henal. Aus all diesen Gründen gab es, anders als einer neuen politischen Kultur als Vorausset- rauskamen. Aber es war der Anfang eines Proim Vorjahr, zahlreiche organisatorische Problezung dafür, dass die globalisierungskritische zesses, der, wenn er denn konsequent weiter me, unter denen die kleinformatigen VeranF O R S C H U N G S B E R I C H T zyxwvutsrqponmlkjihgf Bewegung von einem spontan entstandenen geführt wird, vielversprechend ist. staltungsformen überdurchschnittlich litten. Sammelbecken zu einem eingriffsfähigen AlWenn das Risiko der Stagnation bei der inhaltBounded Identity und ternativprojekt zum Neoliberalismus wird. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA lichen und politischen Entwicklung des SoziA n die Grenzen gestoßen alforums vermieden werden soll - , ein Pro- Frameanpassung Eine soziale Bewegung braucht von Zeit zu blem, das auch beim europäischen Sozialfo- Die Mobilisierung nach Genua Der Luia-Effekt Zeit Großveranstaltungen wie das WSF. Nicht rum in Florenz im vergangenen November In der Literatur wird in bezug auf die sogeEiniges Anschauungsmaterial dafür, wie die- nur wegen der Außenwirkung, sondern auch bereits sichtbar wurde - , muss den kleinfor- nannten Globalisierungsgegnerinnen oder ses Projekt funktionieren könnte, findet sich wegen der identitätsstiftenden Wirkung nach matigen Veranstaltungen mehr Aufmerksam- Globalisierungskritikerlnnen gern von einem möglicherweise in der brasilianischen Erfah- innen. Allerdings hat das WSF 2003 auch die keit gewidmet werden. Langfristig werden die „Sammelsurium" (Rucht 2001) von Bewerung. Der Wahlsieg von Lula, der beträchtlich Grenzen solcher Mammutveranstaltungen klar gesprochen oder von einem Perspektiven der Bewegung davon abhängen, gungen zur internationalen Ausstrahlung des WSF bei- gemacht. So war eine gewisse Tendenz zum „buntefn] Haufen" mit „zum Teil ganz konob es gelingt, den Slogan zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA ,Eine andere Welt ist trug, verdient es, genauer analysiert zu wer- Manifestativen und Plakativen unübersehbar. möglich' in greifbaren, für größere Bevölke- trären Zielsetzungen" (Leggewie 2000: 3), den. Er ist nämlich das Resultat eines langen Das heißt nicht, dass nicht auch Großforen mit rungsgruppen attraktiven Alternativen mittle- „zu unspezifisch (...) um eine eigene IdentiProzesses der Bildung von Allianzen und des tausend und mehr Teilnehmern Wissen vermittät und Trennungslinien gegenüber den Gegrer Reichweite zu konkretisieren. produktiven Miteinanderauskommens unter- teln und interessante Diskussionen bieten könnern zu markieren" (Rucht 2001). Wie kann schiedlicher politischer Strömungen. Die Re- nen. Aber der andere Zweck des WSF - die genbogenkoalition der PT, der Partei Lulas, inhaltliche Auseinandersetzung, die konkrete Überlegenswert ist auch, ob nicht ein Zwei- dann aber ein so großer und schlagkräftiger muss ja nicht gleich als Modell für den Rest Vernetzung, die Entwicklung von Alternativen jahresrhythmus des globalen Forums Sinn Protest wie in Genua entstehen? Die empirider Welt genommen werden, aber die Tatsa- auf partizipativer Grundlage voranzubringen macht, alternierend mit den kontinentalen Fo- sche Untersuchung der Proteste gegen den che, dass sie es geschafft hat, eine Mehrheit funktioniert natürlich am besten in kleinen Forren, wie überhaupt über eine Entzerrung und G8-Gipfel in Genua im Juli 2001 zeigt, dass des bevölkerungsreichsten Landes Lateiname- maten. Zwar haben auch davon mehrere HunDezentralisierung nachgedacht werden muss. es den beteiligten Akteuren durchaus gelingt, rikas hinter sich zu bekommen, sollte uns neu- dert stattgefunden - viele durchaus mit Erfolg Letztlich wird das Gewicht der globalisierungs- die Heterogenität der Ideologien und Zielgierig darauf machen, wie dieser erstaunliche -, aber insgesamt haben sich die Gewichte etkritischen Bewegung nur so groß sein, wie vorstellungen nutzbringend zusammenzufühwas zu den großen Frontalveranstaltungen verErfolg zustande kam. ihre Mobilisierungsfähigkeit im nationalstaat- ren und unter identitätsstiftenden Symbolen (Logos und Slogans), aber auch mit inhaltlischoben. lichen Rahmen und vor Ort. chen Positionierungen (Flugblätter, ZeitunAllerdings, und hier liegt eine der Schwächen gen) unterschiedlichste Akteure zu bündeln. des Dritten WSF, hat diese Art von Diskussion Hauptursache für diesen Trend war der AnNächstes WSF in Indien Im Ergebnis kommt es zu mehr als nur dem noch zu wenig stattgefunden. Eine der rühmli- sturm von 100.000 Teilnehmern, der sich naDas nächste WSF wird in Indien stattfinden. schlichten Nebeneinanderher der „lose verchen Ausnahmen war eine Veranstaltung von türlich leichter in großen Veranstaltungen aufDas ist eine Bereicherung. Eine Fixierung auf knüpften, teils völlig unverbundenen Grup,Focus on the Global South' (die Organisation fangen lässt. Hinzu kamen drei Wahlkämpfe Porto Alegre führt auf Dauer zu Exklusivität, pen" (Rucht 2001). von Waiden Bello) und der .Friedrich Ebert in der zweiten Jahreshälfte 2002: kommunal, so sympathisch gerade uns Europäern Brasili1 2 Pulsschlag 128 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Forschunpsiournal NSB, Jg. 16, Heft 2, 2003 zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Welche Strategien benutzen die Mobilisierungsakteure bei der Verwirklichung ihrer wichtigsten Aufgaben, der strukturellen (organisatorischen) und inhaltlichen (ideologischen) Integration dieses heterogenen Akteurspotenzials? Zur Beantwortung dieser Frage untersuchte ich die Struktur der Mobilisierung und die verwendeten Framingstrategien , insbesondere sogenannte ,interpretative Masterframes', d.h. repräsentative Arten, den Protest samt seiner Gründe, Ziele, Adressaten, Erfolgsaussichten und Selbstlegitimierung der Beteiligten auf einen begrifflichen Nenner zu bringen (Gerhards 1992: 315). 3 129 als Hauptplattform für die internationale Koorganisierte als Bündnis eine Mobilisieden Mesomobilisierungsakteuren, also Bündordination, aber auch verantwortlich für die rungsveranstaltung, die einzelnen Gruppen nissen, die mit ihrer vielfältigen und großen konkrete Durchführung der Gegenaktivitäführten jedoch auch unabhängig voneinander Unterstützerschaft jeweils eine gewisse Reten und die Mobilisierung vor Ort (desweAktionen und Veranstaltungen durch. Statt präsentativität für Segmente der Bewegung gen glokal). Es organisierte im Vorfeld zwei eines eigenen Aufrufs veröffentlichte das beanspruchen können und deswegen hier vorinternationale Koordinierungstreffen. Ferner Bündnis einen Reader mit Aufrufen der gestellt werden sollen. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA stellte es Protestinfrastruktur (Medien, ÜberGruppen. nachtungsmöglichkeiten, Verpflegung etc.) Die hier beschriebene Baumstruktur bildet die Struktur der Mesomobilisierung bereit, versorgte Interessenten weltweit mit Basis der Protestorganisation. Sie ist aber nicht Die Unterscheidung von Mikro- und MesomoInformationen und veröffentlichte einen Auf- als hierarchisch zu misszuverstehen, sondern bilisierung geht auf Gerhards und Rucht (1992) ruf, in dessen Zeichen die Proteste stattfan- eingebettet in ein dezentrales Netzwerk, v.a. zurück. DiezyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA Mikromobilisierungsebene (vgl. den. Das GSF organisierte auch den parallel mit Überlappungen und vielen Beteiligten, die Snow et al. 1986) bilden die einzelnen Grupzur G8-Tagung stattfindenden Gegenkon- ,quer' zu diesen Strukturen agieren (bspw. Parpen und Personen, die in erster Linie versugress. In thematischer Hinsicht dominierten teien und Bewegungsorganisationen, die auf chen, Individuen zu mobilisieren, und dabei dort Globalisierungskritik, Dritte Welt, Men- allen drei Ebenen mitwirken oder lokale Grupan Mikromobilisierungskontexte (Freundschenrechte, Frieden und Umwelt , doch die pen, die beim internationalen, aber nicht beim schaftsnetzwerke u.ä.) anknüpfen. Die MesoPalette der vertretenen Angebote war schier nationalen Koordinationsgremium involviert mobilisierungsakteure und -gruppen sind auf unbegrenzt. waren usw.). In seiner segmentären Differender Ebene der Mobilisierungsbündnisse und anderer gruppenübergreifender Koordinationsb) Ein wesentlicher Pfeiler der Mobilisierungs- zierung orientiert es sich an bestehenden poliformen angesiedelt. Sie mobilisieren in erster struktur war die nationale Ebene. In Deutsch- tischen Raumeinheiten, v.a. dem nationalstaatLinie Gruppen und andere Multiplikatoren. land war es das sogenannte ,Kasseler Bünd- lichen Rahmen, durchbricht diese aber vielDiese Ebene lässt sich, wie später noch genis', welches alle überregional relevanten fach. Die hohe Bedeutung des nationalen Rahzeigt werden soll, mehrfach untergliedern. Die Vorbereitungen koordinierte. Dazu gehört mens legt jedoch die Kennzeichnung der Probestehenden politischen Netzwerke zwischen die Abstimmung von Bussen, Verhaltens- teste als international und nicht als transnatioGruppen, Parteien und Bewegungen - immer und Demonstrationsstrategien, Unterbrin- nal nahe. Auf allen Ebenen kommt eine ähnlimehr auch vermittelt durch Mailinglisten und gung und v.a. der Kontakt zum GSF und die che funktionsorientierte Aufgaben- (und RolDiskussionsforen im Internet - bilden den MeWeiterleitung von Informationen über eine len-) Differenzierung hinzu: Es müssen orgasomobilisierungskontext, an welchen die Meeigens eingerichtete Mailingliste und die vier nisatorische Aufgaben erledigt und es sollen somobilisierungsakteure anknüpfen. Die Akbundesweiten Koordinierungstreffen. Auch Inhalte transportiert werden. Dazu im folgenteure auf der Mesomobilisierungsebene leisten das Kasseler Bündnis schrieb einen Aufruf, den Abschnitt. die wesentlichen Beiträge zur strukturellen und der von 25 Gruppen unterzeichnet wurde, inhaltlichen Integration einer Protestkampagdie allerdings wiederum ein größeres Spek- Framingstrategien ne. Sie drücken der Mobilisierung ihren Stemtrum repräsentierten. All diese Bündnisse mussten als zweite Vorpel auf. Diese Analyse gilt insbesondere für c) Auf der regionalen und lokalen Ebene gab aussetzung für gelingende Protestmobilisierung transnationale Proteste wie in Genua. es ebensolche Bündnisse, zumindest in vie- auch gute Gründe liefern. Wie oben schon anlen größeren Städten (u.a. Berlin, Leipzig, gedeutet, war aber das interessierte Spektrum München, Harmover, Bremen, Frankfurt), hochgradig heterogen. Die Stichprobe bestand Auf drei Ebenen waren bei dieser Kampagne auch wieder mit Aufgabengebieten wie aus 42 Aufrufen von 20 Issue-Groups (darunter Mesomobilisierungsakteure wichtig: (a) gloTransport, Unterbringung, Informationsver- 6 heterogene Genua-Bündnisse, 4 Gewerkkal, (b) national und (c) regional/lokal, mittlung. Bei diesen Bündnissen kam es z.T. schaftsorganisationen, 3 Gruppen zu den Thea) Neben verschiedenen kommunistischen und auch zu direkten Mobilisierungsaktivitäten men Globalisierung/Neoliberalismus, 2 mal anarchistischen internationalen Bündnissen auf der Mikroebene. Der Übergang zwischen Migrantinnen/ Antirassismus und 2 mal Dritte spielte auf der übernationalen Ebene v.a. Mikro- und Mesoebene ist hier also flie- Welt, sowie je eine Studentinnen-, Umweltdas Genoa Social Forum (GSF) eine wichtißend. Das Leipziger Bündnis beispielsweise und kirchliche Gruppe) und 21 allgemeinpolige Rolle, in einer Doppelfunktion sowohl 4 Die Ergebnisse zeigen jedoch, dass das notwendige Maß an empfundener inhaltlicher Gemeinsamkeit für erfolgreichen Protest nicht sehr groß ist. Der bunte Haufen hat in ideologischer Hinsicht nur eine ,bounded identity'. Daten Grundlage der Studie waren v.a. qualitative Daten. In die Frameanalyse gingen Aufrufe, sich am Protest in Genau zu beteiligen, ein, darunter Flugblätter, Internetseiten und Parteibeschlüsse. Diese waren die Basis für eine Typologisierung des Spektrums in ideologischer und organisatorischer Sicht und für die Untersuchung ihrer anlassbezogenen interpretativen Masterframes und ihrer Globalisierungsvorstellungen. Des weiteren wurden viele Dokumente ausgewertet, aus denen sich die Struktur der Mobilisierung rekonstruieren ließ. Hauptquelle dafür waren Mailinglisten, mit deren Hilfe die Protestvorbereitungen koordiniert wurden, und SitzungsProtokolle von Vorbereitungstreffen der Mobilisierungsbündnisse, sowie Mobilisierungszeitungen, Presseerklärungen und Homepages. Hinzu kamen teilnehmende Beobachtung bei einem lokalen Genua-Mobilisierungsbündnis und Gespräche mit .Experten' aus der Bewegung. Der Hauptfokus lag auf 6 5 Pulsschlap 130 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Forschunpsiournal NSB, Jp. 16, Heft 2, 2003 zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA 131 Wie hier leider nur am Rande ausgeführt wer- die Zusammenarbeit .nachhaltig' beeinflusst den kann, zeigt sich, dass der mediengängige werden. Ebenso denkbar wäre auch, dass die Begriff,Globalisierungsgegner' nur einen Teil inhaltlichen Annäherungen ausschließlich takder Bewegung wirklich bezeichnet, weil Kritik tischer Art sind und somit keinen Einstellungseher in den Masterframes Neoliberalismus', wandel implizieren. Dies ist jedoch kein Ge.Kapitalismus' oder einfach .Ungerechtigkeit' genargument, denn massiv kommuniziert (in geübt wird. Das Konzept Globalität wurde den Tausenden verteilter Flugblätter) und damehrheitlich positiv besetzt wird, jedoch nicht mit Basis des Massenprotestes wurden ja eben im Hinblick auf die ökonomische Globalisie- nicht die Einzelmeinungen (ob nun geändert rung, sondern auf die ,Globalisierung von Ge- oder nicht), sondern die Kompromisse. rechtigkeit'. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA Peter Ullrich promoviert z.Zt. zum Thema .Politik und Identität. Zur Soziologie linker IdenFazit Die untersuchten Fälle zeigen, dass ideologi- tität in Deutschland'. Email: angina8@web.de sche Heterogenität kein Grund für das Nichtzustandekommen von Zusammenarbeit bzw. Anmerkungen Der GSF-Auffuf bspw. wurde von den verDer Artikel entsteht auf der Grundlage meieiner gemeinsamen, wenn auch begrenzten Proschiedensten Organisationen (fast 1200) von Weniger heterogen als die beiden bisher betestidentität ist. Die Protestbewegung - und in ner Magisterarbeit. Diese ist online verfügbar allen Kontinenten unterzeichnet. Das Dilem- schriebenen Bündnisse, aber trotzdem auch ihr besonders die radikale Linke - erwies sich und als Buch in Vorbereitung (Ullrich 2002a). ma, die große Vielfalt an Ideologien und The- von den Differenzen zwischen den beteiligbei dieser Kampagne als hochgradig kompro- Sämtliche hier nur kurzen Ausführungen sind menpräferenzen zu integrieren, löste das GSF ten anarchistisch-herrschaftskritischen, antimissfähig und flexibel. Dies steht in einem dort en detail nachlesbar. mit Formulierungen, die erstens sehr allgemein kapitalistischen und links-gewerkschaftlichen krassen Gegensatz zu fast zeitgleich geführten In diesem Rahmen kann ich leider nicht auf blieben und zweitens bewusst die .bewegte Gruppen geprägt war das Leipziger Bündnis. harten Auseinandersetzungen (bspw. zwischen die Symbole (z.B. die Weltkugel) und die KonVielheit' hervorkehrten. Die Problemdefiniti- Noch expliziter als bei den anderen BündnisAttac und autonomen Gruppen) um Antisemi- struktion einer gemeinsamen Geschichte (v.a. on war so keine Analyse im eigentlichen Sin- sen wird hier mit der Vielheit umgegangen. tismus und den Nahostkonflikt, die wohl von mit bezug auf die Zapatistenproteste, die Kamne, sondern das Beschreiben von Phänomenen Es war den Gruppen einerseits nicht möglich, stärker ausgeprägten, der Bewegung vorgela- pagne gegen das MAI und die Krawalle in wie z.B. Armut. Dem wurden als Ausweg, und sich auf einen gemeinsamen Aufruf zu einigerten Identitäten geprägt sind, in diesem Fall Seattle) eingehen, sondern konzentriere mich auch nur aufzählend, die vielfältigen Aktivitä- gen, andererseits waren sie alle von einer der nationalen Identität (Ullrich 2002b). auf die Analyse des Problemframings. ten gegenübergestellt, „mit denen wir uns en- zumindest strategischen, möglichst aber auch gagieren für internationale Kooperation, Öko- weiterreichenden Zusammenarbeit überzeugt. Zu den Strategien und Dimensionen des Fralogie, Bürgerinnen- und Arbeiterinnenrechte, So entschied sich das Bündnis, eine Art ZeiDie Gemeinsamkeit wird durch verschiedene mings vgl. Snow et al. (1986), Klandermans Förderung ethischer und solidarischer Wirt- tung herauszugeben, die Aufrufe mehrerer der Mechanismen hergestellt. Ein ganz wichtiger (1988), Gerhards (1992). schaftsmodelle (...)" usw. Die abschließende beteiligten Gruppen enthielt. Auf einer öfMechanismus der Identitätsstiftung ist, was ich Diese Rangfolge ergibt sich aus der quantita.Forderung' lautete: .Eine andere Welt ist mög- fentlichen Diskussionsveranstaltung mit dem mit Frameanpassung bezeichnen möchte. In tiven Themen-Analyse des Gegenkongresses. lich'. Das Wort Globalisierung kommt im üb- Ziel der Protestmobilisierung wurde den GrupMan bedenke, dass allein Attac auch noch für Fällen von Koordinierungsversuchen, in derigen in dem Aufruf nicht vor. Den Masterfra- penvertreterinnen ein kurzes Eingangsreferat nen ideologische Kongruenz von an dem The- seine Mitgliedsorganisationen BUND, ver.di me der Kritik nennt man am bestenzyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA Ungerech- ermöglicht, in welchem die gesehenen Gema G8-Gipfel Interessierten nicht bestand, kam (damals ÖTV und HBV), Jusos u.v.m. steht, te Weltordnung. meinsamkeiten beschrieben, aber auch Abes aus Gründen der inhaltlichen Integration und dass einige Gruppen die Erklärung im grenzungen vorgenommen wurden. Auch in zumindest zu Annäherungen. Allerdings argu- Wortlaut übernahmen, ohne sich auf die Unmentieren so entstehende Masterframes auf terzeichnerinnenliste setzen zu lassen. Auch das Kasseler Bündnis war ähnlich bunt diesem Bündnis spielte das Thema Globalisehr allgemeinem Niveau und kehren oft VielI.d.R. Vernetzung, Logistik (Transport, Unzusammengesetzt. Es umging die Probleme, sierung nur eine Nebenrolle. Im Zuge der lanheit und Differenz als Stärke heraus. Nachfol- terkunft, Verpflegung), Finanzen, Vorgehen/ die sich durch die ideologische Heterogenität gen Auseinandersetzungen um den Titel eigearbeiten müssten im Einzelfall untersuchen, Taktik und Rechtliches. ergeben, durch einen ,Trick' (der im übrigen nigte sich das Bündnis auf den hier als Masob und wie beispielsweise Problemdeutungen Von den Unterzeichner-Organisationen kaexplizit beschlossen wurde): Berichtend wur- terframe fungierenden Slogan, Gegen Ausbeuvon an Bündnissen beteiligten Gruppen durch men 1015 aus Italien, die anderen 170 verteilden in seinem Aufruf, der überall in Deutsch- tung und Unterdrückung'. tischen Gruppen/Parteien (darunter 14 radikale Linke und 7 sozialistische und kommunistische Organisationen). Diese Vielfalt betrifft alle Ebenen der Mobilisierung. Ein Beobachter von außen mag hier ein klassisch linkes Spektrum mit in erster Linie an das Wirtschaftssystem adressierten Forderungen erkennen. Innerhalb der Bündnisse erwiesen sich die Differenzen aber als ein ernstes Problem. Im Angesicht der gemeinsamen strategischen Interessen musste man deutsche Linksradikale, argentinische Umweltschützer, französische Bauern und baskische Nationalisten unter einen Hut bekommen. land verteilt wurde, die verschiedenen politischen Ansätze im Stil von .Einige stellen sich...', .anderen geht es...' oder ,und wieder andere...' nebeneinandergestellt, ohne dass klare Forderungen herauskamen. Die Forderungen beschränkten sich auf die Sätze ,Wir alle wollen, dass möglichst viele Menschen nach Genua fahren und dazu beitragen, dass die Aktionen dort zu einem Erfolg werden. Auf nach Genua!'. Globalisierungskritik kam nur als einer der aufgezählten Ansätze vor. Als Masterframe, der sowohl die (weitergehende) Kritik der radikalen als auch die der Reformer integriert (vgl. Pianta 2001: 190), fungierte die Kritik am Neoliberalismus. 9 1 7 2 3 4 8 5 6 7 132 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Forschungsjournal NSB, Jp. 16, Heft 2, 2003 zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Pulsschlap ten sich wie folgt: 72% Europa, 12% Südamerika, 7% aus Nord- und Mittelamerika, 5% aus Asien und 3% aus Afrika. Etwas anders gestaltet sich die geografische Herkunft der Referentinnen beim Gegenkongress. Von den im Programm eindeutig national zuzuordnenden kamen 44% aus Europa, 21% aus Asien, 16% aus Südamerika, 11% aus Nordamerika und 7% aus Asien. ,Unsere Ziele', Aufruf des GSF, www.genoag8.org/doc-ger.htm [23.01.2002] Noch einmal sei betont: Da sich eigentlich nur schwer begründen lässt, was objektiv große bzw. kleine ideologische Heterogenität ist, sei die Selbstwahrnehmung der Akteure zum Maß genommen, die die Schwierigkeiten mit den Differenzen ja offen thematisieren. schr/ezl201-6.htm [19.12.2001]. regierung, die den Vorgaben einzelner LobbySnow, David A./Rochford jun., Burk/Worden, gruppen und der Ministerialbürokratie nachSteven K/Benford, Robert D. 1986: Frame gab. Alignment Processes, Micromobilization and Movement Participation. In: American SocioVon Beginn an hatte der Regierung zu dem logical Review, 51, 464-481. ehrgeizigen Projekt der Mut gefehlt. Zwar hatUllrich, Peter 2002a: Gegner der Globalisiete Bundesinnenminister Otto Schily im Somrung? Organisation und Framing der Proteste mer 2001 einen Entwurf für ein Informationsgegen den G8-Gipfel in Genua, http://www. freiheitsgesetz vorgelegt. Doch schon dieser stud.uni-leipzig.de/~soz96jtv/ griff in den entscheidenden Punkten zu kurz. magisterarbeitdoc [11.03.2003], in VorbereiDer Entwurf ließ einen weiten Spielraum für tung als: Peter Ullrich 2003, Gegner der GloInterpretationen, die zu einer restriktiven Handbalisierung?, Leipzig. habung geradezu einluden. So sollte nach den Ullrich, Peter 2002b: Projektionsfläche Naher Plänen Schilys der Anspruch auf Zugang zu Osten. Palästinenserinnen, Israelis und die deutInformationen entfallen, wenn der „Kernbesche Linke bei der Selbstzerfleischung, In: Kulreich exekutiver Eigenverantwortung berührt" tursoziologie. Aspekte, Analysen, Argumente werde oder wenn es um Informationen aus 2-02, 109-125. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA „laufenden Verwaltungsverfahren" gehe. Dies Literatur zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA wäre widersinnig gewesen, da Verwaltungshandeln immer „exekutive Eigenverantwortung" Gerhards, Jürgen 1992: Dimensionen und Stratangieren kann und die Bürger sich natürlich tegien öffentlicher Diskurse. In: Journal für gerade für die Vorgänge interessieren, auf die Sozialforschung, Heft 3/4, 307-318. sie noch Einfluss nehmen können. Vollendete Gerhards, JUrgen/Rucht, Dieter 1992: Meso- Das Scheitern als Chance Tatsachen erfordern keine Nachfragen. Ein mobilization Contexts: Organizing and Framing schwer wiegendes Hindernis für die Informain Two Protest Campaigns in West Germany. begreifen zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA tionsfreiheit: das Fehlen einer Fristenregelung In: American Journal of Sociology 98 (3), 555- Überforderung der Politik durch die Informationsfreiheit? für die Auskünfte. Der Entwurf von Schilys 589. Referenten sah keine Zeiträume vor, innerhalb Klandermans, Bert 1988: The Formation and Als Gerhard Schröder und Joschka Fischer am derer die Anträge von Bürgern hätten bearbeiMobilization of Consensus, In: Klandermans, 20. Oktober 1998 mit viel Elan ihre Koalititet werden müssen. Die meisten InformatioB./Kriesi, H./Tarrow, S. (Hg.): International onsvereinbarung begossen, hatten auch die Benen sind jedoch nur hilfreich, wenn man sie Social Movement Research 1, Greenwich, Lon- fürworter der Informationsfreiheit Grund zu feiern. Erstmals wurde das Ziel einer bundesschnell und unkompliziert bekommt. Um wissdon: JAI Press, 173-198. begierige Bürger ganz abzuschrecken, setzte Leggewie, Claus 2000: David gegen Goliath: deutschen Regierung verankert, die Verwaltung Schilys Entwurf zudem auf die GebührenkeuSeattle und die Folgen. In: Aus Politik und des Bundes für die Bürger transparenter zu gestalten. In der Koalitionsvereinbarung hieß le. Der vorgesehene Höchstsatz für Auskünfte Zeitgeschichte, B48, 3-4. lag bei bis zu tausend Mark zuzüglich AuslaPianta, Mario (2001): Parallel Summits of Glo- es:„Durch ein Informationsfreiheitsgesetz wolgen - eine durchaus wirksame Regelung, um bal Civil Society. In: Anheier, H./Glasius, M . / len wir unter Berücksichtigung des DatenschutAuskunftsbegehren abzuwehren. Kaldor, M . (Hg.): Global Civil Society 2001, zes den Bürgerinnen und Bürgern Informationszugangsrechte verschaffen." Vier Jahre späOxford: Oxford University Press., 169-194. Rucht, Dieter 2001: Zwischen Strukturlosig- ter tauchte erneut ein solcher Passus im KoaliTrotz dieser weitgehenden Einschränkungen keit und Strategiefähigkeit. Herausforderungen tionsvertrag auf. Rot-Grün hatte es in vier Jahder Informationsfreiheit ging der Entwurf des für die globalisierungskritischen Bewegungen. ren Regierungszeit nicht geschafft, ein InforBundesinnenministers seinen Kollegen noch zu In: E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit, 12, mationsfreiheitsgesetz (EFG) auf den Weg zu weit. Er scheiterte schließlich am Widerstand Dezember, 358-360, http://www.dse.de/zeit- bringen - ein Armutszeugnis für die Bundesdes Finanz-, Verteidigungs- und Wirtschafts8 9 133 ministeriums und an der Lobbyarbeit des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). In einer internen Stellungnahme hatte das Bundesfinanzministerium im Frühjahr 2002 zu bedenken gegeben, dass fiskalisches Handeln grundsätzlich von der Informationsfreiheit ausgenommen werden müsse. Darüber hinaus hatte Finanzminister Eichel die Forderung aufrecht erhalten, dass die Gebühren für die Informationserstellung, -aufbereitung und -bereitstellung in voller Höhe und kostendeckend von den Informationssuchenden übernommen werden sollten, so dass selbst die Höchstgrenze von 1000 Mark hätte überschritten werden können. Auch das Bundesverteidigungsministerium und der dem Bundeskanzleramt untergeordnete Geheimdienstapparat wollten - gerade nach den Anschlägen des 11. September 2001 - ihre Bereiche interessierten Bürgern und Journalisten weiter verschließen. Den erbittersten Widerstand leistete aber das Bundeswirtschaftsministerium. Es hatte die Zustimmung der Betroffenen für jede Bereitstellung von Informationen gefordert, die den Geschäftsbereich kommerziell tätiger Unternehmen betreffen. Diese Regelung hätte nicht nur Bürgeranfragen, sondern auch der Korruptionsaufdeckung einen Riegel vorgeschoben. Der Bundesverband der Deutschen Industrie hatte hier erfolgreich seinen Einfluss ausgespielt und systematisch Zweifel in die Ministerialbürokratie gestreut. Ihre Lobbyarbeit wirkt bis heute nach. Die Angst vor der Offenlegung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, vor Wirtschaftsspionage und dem Verlust von Wettbewerbsvorteilen durch Informationsvorsprung machten den BDI zu einem gewichtigen Gegner der Informationsfreiheit. Und dass, obwohl Unternehmen in anderen europäischen Ländern mit Informationsfreiheitsgesetzen durchaus positive Erfahrungen gemacht haben und Pulsschlag 134 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Forschunpsiournal NSB, Jp. 16, Heft 2, 2003 zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA mehr Bürgerinformation durchaus als positive Standortfaktoren sehen. vom Senatsamt für Inneres erstellte Statistik zeigt, wurden zwischen Oktober 1999 und November 2000 in Berlin lediglich 164 Anträge Es war also die Mischung aus Lobby-Arbeit gestellt, darunter elf von Pressevertretern. Die der Industrie und Blockade-Arbeit der Minis- von Gegnern beschworene Lahmlegung der terialbürokratie, die das Informationsfreiheits- Ämter durch zahlreiche Bürgeranffagen hat gesetz zum Scheitern brachte. Die Fraktionen bisher in keinem der vier Bundesländer stattvon SPD und Grünen sahen sich außer Stande, gefunden. Stattdessen ist die bürgerfreundliden Bedenken der Ministerien entgegen zu wir- che Reform den meisten Menschen bisher unken und verzichteten auf die Verabschiedung bekannt geblieben, weil sie kaum aktiv über des Gesetzes in der vergangenen Legislaturpe- ihre Rechte aufgeklärt werden. riode. Der Bund hinkt mit seiner verzagten Politik den SPD-geführten Bundesländern Verantwortlich sind auch die Medien. Die VorSchleswig-Holstein, Brandenburg, Berlin und teile, die ein Informationsfreiheitsgesetz nicht Nordrhein-Westfalen weiter hinterher. Diese nur den Bürgern, sondern insbesondere auch verfügen bereits über Informationsfreiheitsge- Journalisten bei ihrer Arbeit bringt, sind nach setze und öffnen ihre Aktenschränke bei allen wie vor nur wenigen Medienschaffenden beBelangen, die von öffentlichen Stellen bear- kannt. Aus journalistischer Sicht ist das Inforbeitet werden. Das Informationsrecht erstreckt mationsfreiheitsgesetz wichtig, weil es die deutsich auf die Unterlagen der Landesbehörden sche Tradition der,Amtsverschwiegenheit' von genauso wie auf die Akten und Computerda- der Regel zur begründungsbedürftigen Ausnahteien der Kreisverwaltungen oder der Gemein- me macht und damit zu einem generellen Kliden. Gemeinsam ist den vier Landesgesetzen, ma der Offenheit beiträgt. Diese Umkehrung dass sie die Geheimhaltung amtlicher Akten ist überfällig, weil Journalisten immer wieder und Datensammlungen von der Regel zur be- durch verschlossene Behördenvertreter in der gründungsbedürftigen Ausnahme machen. Die Recherche behindert werden. Pressesprecher Antragsteller brauchen ihre Anliegen nicht zu deutscher Behörden erteilen Auskünfte nicht begründen und folglich keine eigene Betrof- selten nach Gutsherrenart, Informationsblockafenheit bei ihrem Informationswunsch nach- den sind an der Tagesordnung. weisen. Allerdings ist auch hier der Anspruch auf Informationsfreiheit eingeschränkt. Dies Besonders viele Beschwerden beziehen sich betrifft die Belange der Landesverteidigung, auf die Behördenwillkür besonders in ostdeutder Strafverfolgung, den Schutz von Geschäfts- schen Kommunen. Bislang haben die Journageheimnissen und die Vertraulichkeit von nicht listen nur einen besonderen Auskunftsanspruch abgeschlossenen behördlichen Entscheidungs- gegenüber Behörden, damit sie ihren Informaprozessen. tionsauftrag erfüllen können. Wenn ein Amt Als entscheidender Mangel hat sich in den betroffenen Bundesländern die geringe Bekanntheit der Akteneinsichtsrechte erwiesen. In Berlin hat die Alternative Liste, die seit Jahren ein solches Gesetz gefordert hatte, sogar Zeitungsanzeigen geschaltet, um die Bürger auf ihre neuen Rechte aufmerksam zu machen. Wie eine mauert und die Pressestelle nur dürftige Antworten gibt, bleibt Journalisten kaum eine Chance, ihre Position durchzusetzen: Der Gang vor das Verwaltungsgericht ist langwierig und für die aktuelle journalistische Arbeit nicht praktikabel. Und im Zweifelsfall muss ein Journalist sich mit mündlichen oder schriftlichen Aussagen des Pressesprechers zufrieden ge- ben - einen Anspruch auf Originaldokumente zu den Vorgängen, die ihn interessieren, hat er nach geltendem Recht nicht. Dieser ist jedoch in den bestehenden Informationsfreiheitsgesetzen festgeschrieben. Und da das BFG ein ,Jedermannsrecht' ist, braucht ein Journalist, der einer für die Behörde brisanten Angelegenheit auf der Spur ist, auch sein berufliches Interesse nicht gleich zu offenbaren. Es ist problemlos möglich, den IFG-Antrag als Privatperson zu stellen. Damit wird es für Behörden schwieriger, heikle Anfragen über die Pressestelle abzublocken. Das fehlende Wissen der Journalisten um die Relevanz und den Nutzen eines Informationsfreiheitsgesetzes für die Bürger und für die eigene Arbeit führte zu einer mangelnden Berichterstattung. In Nordrhein-Westfalen fand die Einführung eines landesweiten EFGs Anfang 2002 kaum Resonanz in den Medien - mit der Folge, dass bislang nur wenige Bürger die Möglichkeit zur Akteneinsicht genutzt haben. Das mangelnde Interesse der Bürger wiederum beflügelt das Desinteresse der Politik an der Umsetzung der Informationsfreiheit. 135 nen gemeinsamen Aufruf der Journalistenverbände initiiert, in dem das Netzwerk, der DJV und die DJU in Verdi eine sofortige Einführung des immer wieder verschleppten Gesetzes forderten. Doch auch auf diesen Aufruf hin hielt sich die mediale Resonanz in Grenzen. Ob die Informationsfreiheit in Deutschland noch einmal eine Chance bekommt, liegt daher nicht zuletzt daran, ob die Medien eine interessierte Öffentlichkeit schaffen, die den Entscheidungsdruck auf die Politik erhöht. Gleichzeitig müssten sie im Falle der Verabschiedung eines Informationsfreiheitsgesetzes den Bürgern den Nutzen ihrer neuen Rechte vermitteln. Wie wichtig die Einführung eines Informationsfreiheitsgesetzes wäre, zeigt sich beim Blick auf das Korruptionsranking der Anti-Korruptionsorganisation Transparency International (TI). Im vergangenen Jahr belegte Deutschland hier lediglich den 18. Platz. Aus diesem Grund fordert auch TI die rasche Einführung eines Informationsfreiheitsgesetzes. Staaten wie die skandinavischen Länder, die bereits über ein IFG verfügen und Transparenz im staatlichen Handeln zeigen, schneiden im Vergleich Die Folgen dieses Desinteresses werden beim deutlich besser ab, verfügen also über signifiGesetzgebungsprozess im Bund deutlich. We- kant weniger Korruption. der die Bundestagsabgeordneten noch die Bundesministerien verspürten den Druck, bundes- Die bisherigen Akteneinsichtsrechte reichen weit Informationsfreiheit zu ermöglichen. Bei nicht aus, um Korruption oder andere Misseinem Experten-Gespräch der Bertelsmann- bräuche in Behörden aufzudecken oder zu verStiftung im Sommer 2002 brachte der damali- hindern. Sie beschränken sich auf Bundesebege Staatssekretär im Bundesinnenministerium, ne nur auf einige wenige Spezialfälle. BetrofClaus Henning Schapper, diese Haltung auf fene können in eigener Sache nach dem Verden Punkt: Da kein Interesse und folglich kein waltungsverfahrensgesetz Auskunft begehren. Druck der Öffentlichkeit da gewesen sei, hät- Das Umweltinformationsgesetz, das von ten die Verantwortlichen auch keinen Druck Deutschland nur zögerlich aufgrund einer EUempfunden, das IFG politisch umzusetzen. Der Richtlinie in nationales Recht umgesetzt wurfehlende Druck der Öffentlichkeit lag nicht de, ermöglicht jedem Bürger, sich in deutschen zuletzt auch am mangelndem Engagement der Amtsstuben über umweltrelevante Belange Gewerkschaften und Verbände. Immerhin hat- kundig zu machen. Allerdings ist auch dieses te daszyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA Netzwerk Recherche im März 2002 ei- Gesetz kaum bekannt, und die Versuche von 136 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Forschungsjournal NSB, Jp. 16, Heft 2, 2003 zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Pulsschlag Umweltverbänden, sich mit seiner Hilfe über umstrittene öffentliche Bauplanungen zu informieren, wurden von den Ämtern derart häufig mit abschreckenden Kostenrechnungen für ein paar Kopien quittiert, dass sich schließlich sogar der Europäische Gerichtshof mit der deutschen Praxis beschäftigen musste. Die alte Gebührenordnung, bei der bis zu 10.000 Mark auf einen Fragesteller abgewälzt werden konnten, wurde erst gekippt, nachdem die E U die Notbremse gezogen hatte. Akteneinsichtsrechte gibt es außerdem nach dem Stasi-Unterlagen-Gesetz - seit der Klage von Helmut Kohl gegen die Herausgabe seiner Akte gilt allerdings eine restriktivere Praxis. Die Einführung eines bundesweiten Informationsfreiheitsgesetzes hätte Signalwirkung auch für die Bundesländer, die sich bislang trotzig der Informationsfreiheit verweigern: „Wollen wir denn unsere Hosen ganz runterlassen?", sagte erst kürzlich der sozialdemokratische Chef einer deutschen Staatskanzlei. Auf die Einführung eines bundesweiten Gesetzes gilt es daher die Kräfte von Gewerkschaften, Verbänden und NGOs zu richten. Die Vorraussetzungen dafür sind besser geworden. Zum einen haben die Grünen, die seit jeher ein IFG befürworten, durch die Bundestagswahl ihre Position in der Regierung gestärkt, zum anderen sitzt mit Wolfgang Clement ein Minister an der Spitze des Wirtschaftsministeriums, in dessen Regierungszeit in Nordrhein-Westfalen die Einführung eines Informationsfreiheitsgesetzes fiel. Die Tatsache, dass Deutschland zusammen mit Luxemburg bei der Informationsfreiheit das Schlusslicht in der E U ist, sollte daher nicht Anlass zur Resignation geben, sondern als Chance begriffen werden. Da aus praktisch allen westlichen Ländern bereits Erfahrungen mit Informationsfreiheitsrechten vorliegen, bietet sich die Möglichkeit, darauf aufzubauen und die bewährten Regeln zu übernehmen, um ein Die Dokumentation dieser feministischen Arbürgerorientiertes und j ournalistenfreundliches beit soll gleichzeitig dazu beitragen, ein verGesetz zu schaffen. Doch ohne besonderen Einnachlässigtes Stück Migrationsgeschichte hersatz der Befürworter einer aktiven Bürgergevorzuheben und somit das Bild der anatolischsellschaft wird sich nichts ändern. Der zuständeutschen Frau, die all zu oft als die unterdige (neue) Staatssekretär im Innenministeridrückte, hilflose Türkin wahrgenommen wird, um, Göttrik Wewer steht der Informationsfreizu verändern. Der in diesem Aufsatz verwenheit mehr als reserviert gegenüber. In einer dete Begriff ,anatolisch-deutsch' bezieht sich internen Runde in der Friedrich-Ebert-Stiftung auf die Community aller Zuwanderer aus der ließ der Verwaltungsmanager seiner Skepsis Türkei. Er reflektiert die ethnische Diversität freien Lauf. Zuviel Bürokratie, zu viele neue innerhalb der Community; gleichzeitig unterStellen und zuwenig Interesse in der Öffentstreicht er die Tatsache, dass sich der Lebenslichkeit. Die Kosten-Nutzen-Kalkulation erinmittelpunkt ihrer Mitglieder in Deutschland nert fatal an das Scheitern des Informationsbefindet. freiheitsgesetzes in der ersten Periode von rotgrün. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA In der englischsprachigen Literatur ist dem Engagement der schwarzen feministischen Bewegung großes Interesse entgegengebracht Ingmar Cario ist freier Journalist und Vorworden. So hat z.B. Sudbury 1998 durch eine standsmitglied des Netzwerk Recherche. detaillierte Studie autonomer schwarzer FrauThomas Leif ist Chefreporter Fernsehen des enorganisationen in Großbritannien dargelegt, SWR, Landessender Rheinland-Pfalz, und Vorwie dieses Engagement sowohl als Interessensitzender des Netzwerk Recherche. vertretung gegenüber der Mehrheitsgesellschaft gedient als auch die theoretische Auseinandersetzung mit der (weißen) feministischen Bewegung bewirkt hat. In der deutschsprachigen OrganisationenzyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA AnatolischLiteratur hingegen wurde die Rolle von Immigrantinnenvereinen lange Zeit fast ausschließDeutscher Frauen zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA lich aus der sozialpädagogischen Perspektive Eine Skizze Feministischen Engagements betrachtet. Zwar steht seit ca. zehn Jahren nun Organisationen türkeistämmiger Frauen spieauch die politisch und kulturell integrative Rolle len durch ihre feministische Arbeit eine beethnischer Vereine im Mittelpunkt der Unterdeutende soziale und politische Rolle in der suchungen. Aber gender hat dabei bislang als anatolisch-deutschen Community. Sie fungieKategorie politischer Organisation und politiren als Bindeglied zwischen der Community scher Analyse kaum Berücksichtigung gefunund den verschiedenen Institutionen des deutden. Anders formuliert: Immigrantinnen werschen Wöhlfahrtstaates. Vor allem aber erschafden immer noch nicht als kollektive Akteurfen sie einen ,dritten Raum' (third Space), den innen politischen Handelns anerkannt. Mirza wie folgt definiert: „a space which (...) overlaps the margins of the race, gender and class discourse and occupies the empty Spaces Durch eine vergleichende Skizze der feminisin between" (Mirza 1997:4). Dieser .dritte tischen Ansätze von zwei der ältesten autonoRaum' verleiht den auf der Migrationserfahmen Berliner Immigrantinnenprojekte, BTKB rung basierenden geschlechtspezifischen kolund TIO, soll dem entgegengewirkt werden. lektiven Erfahrungen politischen Ausdruck. Beiden Projekten ist gemeinsam, dass ihre 2 1 3 4 5 137 Gründung auf der frühen Erkenntnis der Notwendigkeit eines .dritten Raumes' basiert, auf der Erkenntnis nämlich, dass ihre Belange als Immigrantinnen weder innerhalb der deutschen feministischen Bewegung noch in den bereits existierenden, männlich dominierten Migrantenvereinen angemessen zum Ausdruck kamen. Das soziale und politische Klima in Berlin, das die Existenz dieser Projekte ermöglichte, wird ausführlich in Heinrich u.a. 1990 beschrieben. Durch ihr Engagement haben beide Vereine zur Bildung neuer politischer Identitäten beigetragen, die sich aus der alltäglichen Notwendigkeit entwickelten, sich gleichzeitig mit rassistischen, sexistischen und klassenspezifischen Strukturen in der deutschen Gesellschaft und innerhalb der Migranten-Community auseinander zu setzen. Wie im Folgenden näher erläutert werden soll, führten die unterschiedlichen Zielsetzungen und Strategien feministischen Engagements trotz gewisser Ähnlichkeiten zur Entstehung sehr unterschiedlich geprägter ,dritter Räume'. Türkischer Frauenverein Berlin (BTKB) Der 1975 gegründete Verein Berlin Türkiye Kadlnlar Birlii (BTKB - Türkischer Frauenverein Berlin) gilt in der anatolisch-deutschen Community als Vorreiterin feministischer Politik. Ziel der Gründungsmitglieder war es, Migrantinnen aus der Türkei im Rahmen einer „sozial fortschrittlichen und demokratischen Organisation" zusammenzubringen und durch die kollektive politische Mobilisierung von Migrantinnen zu ihrer „vollständigen Teilnahme im Kampf für Frieden, Demokratie und Gleichstellung beizutragen." Die Vereinsstruktur unterschied zwischen den Mitgliedern, die sich als ,organische Intellektuelle' im Sinne von Gramsci für die Belange von Immigrantinnen einsetzen, und dem Klientel, das den Verein als Anlaufstelle zur Beratung und zum Besuch von Kursen und Veranstaltungen benutzt. Dadurch wurden die Grundsteine für das 6 138 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Forschungsjournal NSB, Jg. 16, Heft 2, 2003 zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Pulsschlag auch heute noch praktizierte duale Konzept feministischer Intervention gelegt. 139 legte. Diese Entwicklungen waren zum einen Einen besonderen Schwerpunkt in der Zielgrup- Schlussfolgerungen die fortschreitende politische Demobilisierung pe bilden Migrantinnen, die durch die Famili- Anatolisch-deutsche Frauenorganisationen sind der sozialen Bewegungen Ende der 1980er Jahenzusammenführung nach Deutschland gezo- ein Beispiel dafür, dass Immigrantinnen nicht Dem feministischen Engagement des BTKB re sowohl in der Community der Migranten gen sind. Der Einsatz für die frauenspezifischen passive Opfer, sondern Akteure politischen lag zwar vor allem ein Diskurs der türkei- als auch in der deutschen Gesellschaft im all(wie z.B. Gewaltsituationen in der Familie) so- Handelns sind. Die zwei Dimensionen dieser stämmigen Migrantin als Mitglied der Arbei- gemeinen (gemäß Howard, Norval und Stavwie arbeits- und aufenthaltsrechtlichen Belange politischen Arbeit sind zum einen die Mobiliterklasse zugrunde, der die zunehmende Poli- rakakis 2000 eine Umbesetzung von ,points dieser Gruppe von Frauen aus wirtschaftlich sierung von Immigrantinnen zur eigenständitisierung der Frauenbewegung in der Türkei de capiton' ), zum anderen die sinkende Erschwachen Verhältnissen hat die Entwicklung gen Interessenvertretung, zum anderen die Krireflektierte. Doch entgegen der Heimatorien- werbsquote anatolisch-deutscher Frauen in Folvon TIO nachhaltig beeinflusst. So wurden ne- tik an diskriminierenden Gesellschaftsstruktutierung vieler Migrantenvereine agierte BTKB ge des Abbaus von Arbeitsplätzen im verarbeiben der Sozialberatung zwei Qualifizierungs- ren. Bereits die in dieser Skizze vorgestellten von Anfang an fest auf dem Boden deutscher tenden Gewerbe. Obwohl der BTKB weiterhin projekte (jeweils im Gesundheits- und Bürobe- zwei Richtungen der Vereine zeugen von einer Politik. Neben der ,Hilfe zur Selbsthilfe' für vor allem türkeistämmige Frauen der Arbeiterreich) ins Leben gerufen, die zur Förderung der lebhaften feministischen Debatte innerhalb eiMigrantinnen anhand verschiedener Angebo- klasse zur Zielgruppe hat, machen Arbeiteberuflichen Integration von Migrantinnen in den ner sehr heterogenen Migrantinnen Commute - wie z.B. Sozialberatung, Deutschkurse, rinnen inzwischen nur noch einen geringen nity. qualifizierten Arbeitsmarkt dienen. Alphabetisierungskurse - setzte sich der Ver- Anteil des Klienteis aus. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA ein in den Aktionen der 1970er und 1980er Im Laufe der Zeit durchlief TIO einen grund- Die unterschiedlichen Konzepte und IntervenJahre vor allem für die Belange von Migran- Treff- und Informationsort für Frauen aus legenden Wandel politischer Identität und es tionen haben zur Entwicklung von zwei intinnen auf der wirtschaftspolitischen Ebene der Türkei (TIO) erfolgte die interkulturelle Öffnung des Pro- haltlich unterschiedlichen ,dritten Räumen' geein. Beispiele hierfür sind der Kampf gegen Der 1978 von türkeistämmigen und deutschen jektes für Frauen aller Nationalitäten - sowohl führt. Zur Aufrechterhaltung des auf der Verethnische und geschlechtspezifische Diskri- Frauen zusammen gegründetezyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA Treff- und Inin Bezug auf die Zusammensetzung des Mitar- ankerung der Gender Identität in der Zugehöminierung auf dem Arbeitsmarkt, für die 35- formationsort für Frauen aus der Türkei (TIO) beiterinnenteams als auch des Klienteis. Es er- rigkeit zur Arbeiterklasse basierenden KonzepStunden-Woche und die Sicherung von Ar- wurde von Anfang an als eine interkulturelle folgte damit ein Wandel gemäß Stuart Hall: tes des BTKB bedurfte es nach der Verringebeitsplätzen. Organisation konzipiert. Damit kristallisierte Zum Kampf um die , relations of representati- rung des Arbeiterinnenanteils unter dem Klisich neben der Sozialberatung für Migrantinon' (d.h. der Darstellung von Migrantinnen) entel einer Umorientierung in Richtung nichtDie Unterstützung der Friedensbewegung in nen auch der Kampf für Chancengleichheit kam die Auseinandersetzung auf der Ebene erwerbstätiger Frauen. Die interkulturelle UmDeutschland stellte einen weiteren Schwer- und gegen rassistische Gesellschaftsstruktuder ,politics of representation' (d.h. die Aner- strukturierung erleichterte es dem H O , auch punkt feministischen Engagements des BTKB ren als Schwerpunkt ihres politischen Agiekennung der Diversität von Subjektpositionen die Interessen anderer Gruppen von Migrandar, denn ,,[w]ir Frauen, die der Menschheit rens heraus. innerhalb der Kategorie ,Migrantin') hinzu. Vor tinnen vertreten zu können. Inwiefern diese das Leben schenken, wollen nicht mit ansedem Hintergrund des quantitativen und politi- Interessenvertretung repräsentativ in Bezug auf hen, wie unsere Kinder zu Kanonenfutter ge- Auch bei TIO gilt das duale Konzept der femischen Gewichts türkeistämmiger Immigrantin- nicht im Verein aktive Immigrantinnen ist, ist macht werden." Zudem wurde der Kontrast nistischen Intervention. Die politische Kritik nen in Berlin ist eine solche Entwicklung noch eine mit der ,politics of representation' zuzwischen den hohen Aufwendungen im mili- an den diskriminierenden Strukturen der deutbedeutsamer. Der gemeinsame Kampf gegen sammenhängende Frage, die sich beide Vereitärischen Bereich und den unzureichenden In- schen Bürokratie und die konkrete Arbeit mit den alltäglichen und institutionellen Rassismus ne auch in der Zukunft stellen müssen. vestitionen im sozialen Bereich - unter denen den Klientinnen zur Erweiterung ihres indiviinnerhalb der deutschen Gesellschaft, aber auch vor allem die in strukturschwachen Gebieten duellen Handlungsspielraums im Alltag steldie Auseinandersetzung mit den unbewussten Das politische Engagement von TIO und konzentrierten Migrantenfamilien leiden muss- len die zwei Aspekte der feministischen Arbeit rassistischen Denk- und Handlungsformen in- BTKB wird durch diverse strukturelle Faktoten - kritisiert. nerhalb von TIO stellen unentbehrliche politi- ren stark beeinträchtigt. Trotz der nunmehr seit von TIO dar: „Immer haben wir es als einen sche Basisarbeit dar, die in Deutschland immer über 25 Jahren geleisteten erfolgreichen ArBestandteil unserer Arbeit angesehen, Öffentnoch Raritätswert hat. Die Bemühungen sei- beit ist ihre Existenz von ständiger finanzieller In den 1990er Jahren führten zwei Entwick- lichkeitsarbeit für die Belange der Frauen aus tens TIO, in Form von Veröffentlichungen und Unsicherheit geprägt. Die Perspektiven, die lungen dazu, dass sich viele ehrenamtlich täti- der Türkei zu machen, weil sich nur grundTagungen die öffentliche Diskussion zu die- dem Klientel angeboten werden können, stoge Mitglieder des BTKB zurückzogen und das sätzlich etwas an ihren Problemen ändern lässt, sem Thema anzuregen, stellen eine weitere Di- ßen sehr schnell an vom Ausländerrecht geProfil der Vereinsaktivitäten sich schwerpunkt- wenn sich die gesellschaftlichen Strukturen und mension des von ihnen geschaffenen ,dritten setzte rigide Grenzen. Die unterschiedlichen mäßig von wirtschaftspolitischen Interventio- das gesellschaftliche Bewusstsein ändern." Raumes' dar. Lebensbedingungen der anatolisch-deutschen nen auf die professionelle Sozialberatung ver- (Heinrich u.a. 1990: 151) 8 7 9 Treibgut 140 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Forschungsjournal NSB, Jg. 16, Heft 2, 2003 zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA und deutschen Frauen führen zudem dazu, dass Vortrag anlässlich des 8. März 1984 Europa und Ziviigesellschaft die Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit der Detaillierte Informationen über Europa unter siehe Howarth/Norval/Stavrakakis 2000. deutschen feministischen Bewegung eingedem Schwerpunkt Zivilgesellschaft bietet das siehe z.B. Heinrich u.a. 1990 schränkt sind. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA Europäische Bürger-Netzwerk EUROPA JETZT! mit der Verknüpfung zum .Ständigen Esru Erdem promoviert an der University of Literatur Forum der Zivilgesellschaft'. Massachusetts, Amherst im Fachbereich Berger, Maria'Galonska, Christian/KoopKontakt: www.europa-jetzt.org. Wirtschaftswissenschaften. mans, Ruud 2002: Political integration by e Kontakt: esra_erdem_de@yahoo.de zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA detour? Paper präsentiert auf der Tagung „Demokratie und Sozialkapital - die Rolle Remarque-Friedenspreis Anmerkungen zivilgesellschaftlicher Akteure". Berlin: Der palästinensische Autor Mahmud Darwisch Mein Dank gilt allen Mitarbeiterinnen von WZB. und der israelische Psychologie-Professor Dan BTKB und TIO, die sich die Zeit für die Inter- Dürkop, Marlis 1990: DurchsetzungsstrategiBar-On erhalten in diesem Jahr den Erich-Maviews genommen und mir Archivmaterial ver- en autonomer Frauenprojekte in Berlin. In: Berria-Remarque-Friedenspreis der Stadt Osnabfügbar gemacht haben. Für zahlreiche kriti- lin Forschung, Freie Universität. rück. Zu den bisherigen Preisträgern gehören sche Anregungen möchte ich mich bei Alev Fijalkowski, Jürgen/Gillmeister, Hellmut 1997: Lew Kopelew und Hans Magnus Enzensberger. Karata, Asiye Kaya und Neet Özevin bedan- Ausländervereine - ein Forschungsbericht. BerIn diesem Jahr hat sich die Jury mit Blick auf ken. lin: Hitit. den Konflikt im Nahen Osten entschieden, zwei Für eine Einführung siehe Mirza 1997. Gümen, Sedef 1998: Das Soziale des GeAuszeichnungen mit gleicher Dotierung zu verDie Zeitschrift .Migration und soziale Ar- schlechts. In: Das Argument, 224,187-202. leihen. beit' befasst sich schon seit langem regelmä- Hall, Stuart 1988: New Ethnicities. In: Black 9 ßig mit sozialpädagogischen Aspekten ethni- Film, British Cinema. ICA Documents, Nr. 7, Nachhaltig leben scher Selbstorganisation. 27-31. Haben Sie gewußt, dassTextilien immerbilliger siehe z.B. Berger/Galonska/Koopmans 2002; Heinrich, Karin u.a. 1990: Zwischen Alltagswerden, den sozialen und ökologischen Preis Özcan 1989; Fijalkowski/Gillmeister 1997; frust und Größenwahn. Weinheim: Deutscher aber andere bezahlen? Oder: dass die NavahoJonker 1997. Studien Verlag. Indianer mit 236 Gegenständen auskamen, wir Es sollte einschränkend darauf hingewiesen Howarth, David/Norval, Aletta JJStavrakakis, dagegen uns mit einer Warenwelt umgeben, die werden, dass in einem so kurzen Beitrag Yannis 2000: Discourse Theory and Political mehr als Hunderttausend Gegenstände zählt? keineswegs ein repräsentatives Bild des politi- Analysis. Manchester: Manchester University Diese und viele weitere brisante Fakten enthält schen Vereinslebens ttirkeistämmiger Immig- Press. die Publikation .Nachhaltig leben. 25 Vorschlärantinnen in Deutschland dargestellt werden Jonker, Gerdien 1997: Die islamischen Gemeinge für einen verantwortungsvollen Lebensstil'. kann. Insbesondere die Vielfalt an Frauenver- den in Berlin zwischen Integration und SegreThematisiert werden die Bereiche Landwirteinen die spezifische Subgruppen türkeistäm- gation. In: Leviathan, Heft 17, 347-364. schaft und Ernährung, Kleidung, Bauen und miger Immigrantinnen ansprechen, so z.B. die Laclau, Ernesto 1994: The Making of PolitiWohnen, Mobilität, Güterwohlstand, Nord-Südkurdischen oder islamisch geprägten Frauen- cal Identities, London: Verso. Solidarität und Reisen sowie nachhaltig arbeiorganisationen, bedarf einer eigenständigen Un- Mirza, Heidi Safla 1997: Black British Femiten. Der Autor Hans Holzinger, wissenschaftlitersuchung. nism. A Reader. London: Routledge. cher Mitarbeiter der Robert-Jungk-Bibliothek BTKB Vereinsbroschüre undatiert. Alle Zita- Özcan, Ertekin 1989: Türkische Immigrantenfür Zukunftsfragen, zeigt dabei auf, dass einzelte wurden von mir selbst aus dem Türkischem organisationen in der Bundesrepublik Deutschne isolierte Schritte noch kein nachhaltiges Verland. Berlin: Hitit. übersetzt. halten ausmachen. Vielmehr sei eine ganzheitliche Veränderung des eigenen Lebensstils gefordert. Oder - systematisch gesprochen - der Blick auf die Summe aller Spuren, die ich durch mein Leben hinterlasse. 7 8 9 1 2 3 4 5 6 141 zyxwvutsr Die Publikation kostet 12 Euro. Kontakt: Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen, Robert Jungk-Platz 1, A-5020 Salzburg, Tel.: (0043) 662 873 206, Fax : (0043) 662 873 206 14, eMail: jungk-bibliothek@salzburg.at. 9 Freiwilligendienste ,Für mich und andere' lautet der Titel einer neuen Broschüre des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zum Freiwilligen Sozialen Jahr und dem Freiwilligen Ökologischen Jahr sind viele Informationen, ein Wegweiser durch die Bestimmungen der gesetzlich geregelten Freiwilligendienste und Adressen von Anlaufstellen aufgelistet. Die Broschüre kann kostenlos bestellt werden. Kontakt: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Tel.: (0180) 532 93 29, eMail: broschuerenstelle@bmfsfj.bund.de, www.bmfsQ.de. Bürgerschaftliches Engagement in Ostdeutschland Zur Situation und Entwicklung des Ehrenamts und des bürgerschaftlichen Engagements liegen in einer neuen Publikation aktuelle empirische Befunde und theoretische und fachpolitische Beiträge vor, die eine differenzierte Engagementlandschaft sichtbar machen. Sie zeigen sowohl die fortwirkenden sozialkulturellen Traditionen aus DDR-Zeiten als auch unkonventionelle und neuartige Engagementerfahrungen aus den 90er Jahren auf. Der Sammelband wird von Holger Backhaus-Maul gemeinsam mit Olaf Ebert, Gisela Jakob und Thomas Olk herausgegeben und kostet 27,90 Euro. ISBN 3-81002855-X. Kontakt: Verlag Leske + Budrich, www.leskebudrich.de. 142 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Forschunpsiournal NSB, Jp. 16, Heft 2, 2003 zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Treibput Aktionsformen in der Arbeitswelt zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Tagung „Schwingungen 2003" chen Gruppen und Netzwerke engagierter Bür, Wer kämpft, kann verlieren - wer nicht kämpft, Der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) ger, die die herkömmlichen verkrusteten Instihat schon verloren! Aktiv gegen Rassismus - und die Arbeitgsgemeinschaft für sparsame tutionen der verfaßten Demokratie und politiAktionsformen für die Arbeitswelt' ist der Titel Energie- und Wasserverwendung (ASEW) verschen Parteien aufbrechen und das politische einer neuen Handreichung, die vom Bereich anstalten am 12./13. Juni 2003 in Düsseldorf Handeln zukunftsfähiger machen? Die Autoren Migration und Qualifizierung beim DGB Bil- eine Fachtagung zum Thema Schwingungen Rolf Kreibich und Christian Trapp geben Antdungswerk entwickelt wurde. Die Broschüre 2003 - Jugend - Zukunft - Stadtwerke'. Die wort: Die vielfältigen Einmischungen der Bürbildet den Grundstein bei der Errichtung eines Präsenz einiger großer Energieversorger in den gergesellschaft bieten zahlreiche Modelle, wie Good Practise Centers. Ziel ist es einerseits, Medien hinterlässt Spuren auch bei Kindern durch Wahrnehmung von Verantwortung und Aktivitäten gegen Fremdenfeindlichkeit und für und Jugendlichen. Die örtlichen VersorgungsKompetenz der Bürger ein höheres Maß an Chancengleichheit im Bereich der Arbeitswelt unternehmen bleiben deutlich dahinter zurück. zukunftsfähiger Entwicklung erreicht werden zu dokumentieren, um damit einen Anstoß für Dies zeigt, dass eine auf langfristigen Erfolg kann. Sie präsentieren Bürgerbeteiligungsvereigene Aktivitäten zu geben und andererseits angelegte Kommunikations- und Marketingfahren, bei denen sich Laien binnen kürzester eine Vernetzung zwischen den verschiedenen strategie Kinder und Jugendliche als die KunZeit kompetent machen und hochwertige BürInitiativen und Projekten herzustellen. Die Bro- den von Morgen nicht vernachlässigen darf. gergutachten erstellen und sie beschreiben, wie schüre kann kostenlos bestellt werden. Deshalb beschränken sich Stadtwerke längst durch kreative und innovative Bürger und BürKontakt: Der Setzkasten GmbH, Tel.: (0211) 40 nicht mehr auf traditionelle Informations- und ger-Netzwerke produktive zukunftsorientierte 800 90-0, Fax: -40, eMail: mail@setzkasten.de, Bildungsangebote, sondern gehen aktiv auf verArbeit geschaffen wird. Die Bürgergesellschaft www.migration-online.de. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA änderte Lebenswelten und Lernorte der jugendbietet somit mannigfaltige Ansätze für ein neues lichen Zielgruppen zu. Die Tagung soll dazu Miteinander von Politik, Wirtschaft und zivildienen, ein Zwischenresümee zu ziehen. In Vorgesellschaftlichen Aktivitäten. Die ZukunftsMaßnahmen der EU-Kommission gegen trägen werden neue Erkenntnisse der Jugendstudie Nr. 28 kostet 17 Euro und ist im NOMOS Diskriminierung forschung sowie Grundlagen des BeziehungsVerlag erschienen. ISBN 3-7890-8236-8. , Kampf um Gleichheit - Maßnahmen der Euro- marketings vermittelt und Praxisbeispiele der Kontakt: www. izt. de/pub likationen/zukunftspäischen Union zur Bekämpfung von Diskrimi- Wien/Energie Österreich sowie der Jugendinitistudien/buergergesellschaft_28.html. nierung' ist der Titel einer Broschüre, in der die ative re:spect von Aktion Mensch präsentiert. entsprechenden Richtlinien und das Aktions- Workshops widmen sich den Fachfragen aus programm vorgestellt werden. Eine Richtlinie der Praxis der Stadtwerke. Palästina droht Umwelt-Katastrophe (200/43/EG) verpflichtet zur Anwendung des Kontakt: Markus Eichert, Arbeitsgemeinschaft Die von Israel besetzten Palästinensergebiete Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unter- für sparsame Energie- und Wasserverwendung, sind ökologisch bedroht. Das ergibt ein Bericht schied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, Volksgartenstr. 22, 50677 Köln, Tel.: (0221) der UN-Umweltbehörde Unep. Allein 30 Millidie andere (2000/78/EG) legt einen allgemei- 931819-12, eMail: onen Kubikmeter Abwässer fließen demnach eichert@asew.de, nen Rahmen für die Verwirklichung der Gleich- www.asew.de direkt ins Mittelmeer oder sickern ins Grundbehandlung in Beschäftigung und Beruf fest. wasser. Gerade die Hälfte der israelischen SiedDas ,Aktionsprogramm zur Bekämpfung von lungen in den besetzten Gebieten reinige ihre Diskriminierung' fördert verschiedenste Initia- Bürgergesellschaft Abwässer zufriedenstellend. In den Gemeinden tiven und Projekte gegen Diskriminierung auf- Das Institut für Zukunftsstudien und Technoloder Palästinenser ist die Situation noch schlimgrund von Herkunft, Religion, Weltanschau- giebewertung (IZT) hat eine Studie zum Thema mer, zumal die israelische Armee vielerorts die ung, Behinderung, Alterund sexueller Orientie- ,Bürgergesellschaft. Floskel oder Programm' Wasserleitungen und Trinkwasserzisternen zerrung sowie für Gleichstellung. Die Broschüre herausgegeben. Immer lauter erschallt der Ruf stört hat. Da es praktisch keine Zusammenarbeit kann im Internet heruntergeladen werden. mehr zwischen israelischen und palästinensinach demokratischen Strukturen und ProzesK o n t a k t : w w w . e u r o p a . e u . i n t / c o m m / sen, die den großen Herausforderungen der schen Behörden mehr gibt, verschlechtert sich employment_social/fundamental_rights/pdf/ Gegenwart und Zukunft besser gerecht werden. die Situation nahezu täglich. pubdocs/equality_de.pdf. Ist es die Bürgergesellschaft, sind es die zahlrei- 143 Was geht?! Ob es darum geht, Seminare und Ausstellungen zu organisieren, Zeitungen zu machen oder Konzerte zu veranstalten: Bei der Arbeit von Jugendinitiativen kann eine ganze Menge schiefgehen. Ein neuer Ratgeber des Beratungsbüros profondo und der Stiftung MITARBEIT hilft Initiativen bei der Arbeit. Die Arbeitshilfe behandelt die Schwerpunktthemen Projektplanung, Öffentlichkeitsarbeit, Internationale Aktionen, Finanzierungsmöglichkeiten sowie Problemlösungen in der Gruppe. Das von Mathias Wiards und Jochen Butt verfaßte Buch ,WAS GEHT. Probleme lösen, mehr Durchblick bekommen, Projekte machen' ist im Verlag Stiftung MITARBEIT erschienen und kostet 6 Euro. ISBN 3-928053-77-9. Kontakt: Stiftung MITARBEIT, Bornheimer Str. 37,53111 Bonn, Tel.: (0228) 60424-0, Fax: -22, eMail: info@mitarbeit.de, www.mitarbeit.de. Kindersoldaten Nach wie vor werden rund 300.000 Kinder und Jugendliche in vielen Ländern der Erde zwangsrekrutiert und zum Kämpfen gezwungen. Darauf machte das Kinderhilfswerk terre des hommes anläßlich des ersten Jahrestages des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls zur UN-Kinderrechtskonvention über die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten aufmerksam, das den Einsatz von Kindersoldaten verbietet. Kinder würden sowohl als Kämpfer wie auch als Spione, zum Auffinden von Minen oder zur Befriedigung der sexuellen Bedürfnisse erwachsener Soldaten eingesetzt. Das Abkommen ist von mittlerweile 111 Regierungen unterzeichnet, doch erst 46 Länder haben es ratifiziert. 145 Treibgut 144 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Forschunpsiournal NSB, Jg. 16, Heft 2, 2003 zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Drogen zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Menschenrechte Das Handbuch ,Drogenpraxis, Drogenrecht, Die Organisation Human Rights Watch hat den Drogenpolitik' sammelt die Erfahrungen von 13. Jahresbericht zur weltweiten Situation der mehr als 40 Autoren unterschiedlicher Fachbe- Menschenrechte veröffentlicht. Der Berichtsreiche und gibt einen umfassenden und aktuel- zeitraum reicht von November 2001 bis Nolen Überblick über wichtige Bereiche des Dienst- vember 2002. Für Europa stellt die Menschenangebots, der Politik und der Rechtsprechung rechtsorganisation fest, dass die Situation sich zum Thema Drogen in Deutschland. Suchtthe- in den Mittel- und Osteuropäischen Ländern orien, grundlegende Behandlungs- und Bera- verbessert hat, während in vielen Nachfolgetungsansätze, Modelle für Dienstangebots- und staaten der Sowjetunion eine Verschlechterung Qualitätsmanagementfragen werden ebenso festzustellen sei. DerBerichtvonHumanRights behandelt wie der ganze Bereich von traditio- Watch steht im Internet (nur auf Englisch) zur nellen' Maßnahmen zur Drogenbekämpfung - Verfügung. von Primärpräventionen und Substitutionsthe- Kontakt: www.hrw.org/wr2k3. rapien bis hin zur beruflichen Rehabilitation und Wohnungsbeschaffungsprogrammen. Der Gruppenauseinandersetzungen von Lorenz Böllinger und Heino Stöver herausJugendliche werden nicht nur in Familien und gegebene Leitfaden für Drogenbenutzer, ElSchulen, sondern auch in Gleichaltrigengruptern, Drogenberater, Ärzte und Juristen kostet pen sozialisiert. Sie schließen sich zu Skatern, 14,90 Euro. ISBN 3-931297-59-4. HipHopern, Punks und Alternativen, aber auch Kontakt: www.fhverlag.deundwww.archido.de. zu Hools, Skins und Rechten zusammen. In den Gruppen finden sie Gemeinschaft und Unterstützung. Es kommt aber auch immer wieder zu Bürger- und Volksbegehren Die Bürgerinnen und Bürger mischen wieder Konflikten. Cliquen geraten mit anderen Gruphäufiger in der Politik mit. Die Zahl der neu pen und Jugendlichen, mit ihrer Nachbarschaft eingeleiteten kommunalen Bürgerbegehren und aneinander. Manchmal sind Interventionen von der landesweiten Völksbegehren hat 2002 zuge- Lehrern, Streetworkern bzw. Polizisten nötig. nommen. In diesem Jahr könnte es deshalb in Warum Konflikte entstehen und vor allem, wie mehreren Bundesländern zu Volksabstimmun- Jugendliche sie selbst be- und verarbeiten, ist gen kommen. Der .Volksbegehrens-Bericht eine Kernfrage des geplanten Forschungspro2002' berichtet über Trends, Themen, Akteure jektes Gruppenauseinandersetzungen. Nicht nur und Erfolge der direkten Demokratie, die Be- der Vergleich zwischen Ost und West sowie hinderung von Bürgerentscheiden und Refor- Stadt und Land, sondern auch die Bedeutung men in den Ländern. DerBerichtkann kostenlos von Gender innerhalb und zwischen den Juim Internet angesehen und heruntergeladen gendcliquen, die Wirkungen von Schulen und lokale Politik, den Einfluss von öffentlichen werden. Programmen auf die Jugendszene sollen in dieKontakt: www.mehr-demokratie.de/vbsem Projekt untersucht werden. Laufzeit: 2002bericht2002.htm. 2005. Kontakt: Hochschule Magdeburg-Stendal (FH), FB SGW, Forschungsprojekt Gruppenauseinandersetzungen, Dr. Peter-Georg Albrecht, Breitscheidstr. 2, 39114 Magdeburg, Tel.: (0391) 8864567. Bürgerstiftung Die Initiative Bürgerstiftungen informiert in regelmäßigen Abständen über Nachrichten aus dem Bürgerstiftungssektor. Ausführliche Informationen, Nachrichten und Veranstaltungshinweise finden sich im Internet. Ein Newsletter kann ebenfalls abonniert werden. Kontakt: Dr. Alexandra Schmied, Initiative Bürgerstiftungen, eMail: alexandra. schmied@buergerstiftungen.de, www. buergerstiftungen.de. Demokratiepreis Der Demokratiepreis der Monatszeitschrift ,Blätter für deutsche und internationale Politik' geht in diesem Jahr an die israelische Journalistin Amira Hass. Amira Hass ist Korrespondentin der israelischen Zeitung Ha'aretz und lebt seit vier Jahren freiwillig als erste und einzige israelische Journalistin im Gazastreifen und im Westjordanland, derzeit in Ramallah. Mit ihren Reportagen aus dem palästinensischen Alltag konfrontiert sie die israelische Gesellschaft mit den Folgen der Besatzungspolitik, ohne der Autonomiebehörde notwendige Kritik zu ersparen. Fähigkeit und Bereitschaft, sich in die Situation der ,anderen Seite' zu versetzen, die Amira Hass mit bewundernswertem Mut demonstriert, gehören zu den elementaren Voraussetzungen dafür, Konflikte lösbar und Demokratie möglich zu machen. Brücke zur islamischen Welt ,Qantara' ist das arabische Wort für Brücke. Mit dem Internerportal .Qantara.de' wollen die Bundeszentrale für politische Bildung, die Deutsche Welle, das Goethe-Institut Inter Nationes und das Institut für Auslandsbeziehungen eine Brücke zur islamischen Weltschlagen. DasPortal greift politische, kulturelle und gesellschaftliche Fragen auf. Auf Grund der aktuellen Lage informiert die Datenbank über die Entwicklung im Irak. Darüber hinaus behandelt,Qantara.de' Themen wie den EU-Beitritt der Türkei, Feminismus im Islam, einen Dialog der Religionen oder die Globalisierung. Kontakt: www.qantara.de e Iran-report Mit dem monatlich erscheinenden iran-report stellt die Heinrich-Böll-Stiftung der interessierten Öffentlichkeit eine Zusammenfassung ihrer kontinuierlichen Beobachtung relevanter Ereignisse im Iran zur Verfugung. Der Bericht kann kostenlos im Internet heruntergeladen werden. Kontakt: Heinrich-Böll-Stiftung, Hackesche Höfe, Rosenthaler Str. 40/41, 10178 Berlin, Tel.: (030) 285 34-0, Fax: -109, www.boell.de/ de/14_presse/1662.html Forschungsjournal im Jahr 2003 1/03 Bundestagswahl 2002 Analyse eines Zufalls 2/03 Konturen der Zivilgeselischaft Zur Profilierung eines Begriffs 3/03 Lobbyismus in Deutschland Fünfte Gewalt: unkontrolliert und einflussreich? 4/03 Alte Gefahr - Neue Wege. Was tun gegen Rechts? 146 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Forschungsjournal NSB, Jg. 16, Heft 2, 2003 Literatur 147 Lebensformen oder darum, wie Gemeinschaf- das Band zur sozio-moralischen Ressource des ten funktionieren. Auch im Mittelalter und in Gemeinsinns zerschnitten. Gemeinwohl wird der Antike war dies umstritten. Daher ist die entweder als Ergebnis eines Prozesses gesehen sei der republikanische Pathos fragwürdig, wenn Entscheidung der Herausgeber, den historischen oder es wird unterschiedlichen Akteuren zur es um Gemeinwohl im Singular geht. Gemeinwohl aus vier Semantiken dieses Leitbegriffs nachzuspüren, Aufgabe gemacht - dem Staat, den Regierenden, Dies macht auch gleichzeitig das AnspruchsPerspektiven zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA die Richtige. Die Formeln Gemeinwohl und der Beamtenschaft, dem Verfassungsgericht- es volle und das Unerreichbare des Unternehmens gemeiner Nutzen wurden in unterschiedlichen zu realisieren und zu bewahren. deutlich. In vier Bänden hat die ForschungsAbsichten benutzt und erfüllten in gesellschaft- Von Gemeinwohl aber wäre heute nicht mehr in Gemeinwohl und Gemeinsinn, zwei Begriffe gruppe vielfältige Positionen zum Thema aus lichen Interessenkonflikten eine legitimierende dem Maße die Rede, wenn es nicht doch einige aus der Jahrtausende alten Tradition des politi- historischer, ideengeschichtlicher, philosound delegitimierende Funktion. So zeigt der Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten gegeschen Denkens, sind heute immer noch zentrale phisch-normativer und juristischer Perspektive Historiker Peter Blicke wie die Formel .gemei- ben hätte, die das Verhältnis von Moral und Leitbegriffe des politischen Handelns. Dies will zusammengetragen. Herausgekommen ist ein ner Nutzen' seit dem 12. Jahrhundert half, die Politik neu justiert hätten. Da ist die aus AmeridieArbeitsgruppeder Berlin-Brandenburgischen Werk, das sicherlich als Standardwerk des Gekommunale Welt zu entwickeln und Begrün- ka kommende kommunitaristische Debatte soAkademie der Wissenschaften mit ihren vier meinwohldiskurses wird zählen dürfen. Gleichdungen für städtische Innenpolitik, Regulierun- wie die Suche in den prozeduralistischen Theogewichtigen Bänden unterstreichen. Bundes- wohl bleibt ein Unbehagen. Dieses drückt sich gen des Wirtschaftslebens und der kommunalen rien nach Designs für Institutionen, die moralikanzler Gerhard Schröder liefert für die These darin aus, dass aristotelische Bestimmung über Infrastruktur zu liefern. Der Begriff diente der sches Verhalten ermöglichen und prämieren. der Arbeitsgruppe immer wieder Belege. Wenn das Wesen des Menschen und der politischen Herausbildung kommunaler Selbstorganisati- Darüber hinaus gibt es auch in der MikroÖkonodie Interessengruppen allzu aufdringlich wer- Gemeinschaft neben einen habermasianischen on, weil er den .Gemeinen Nutzen' gegen den mie Ansätze, die sich Gedanken über die Senden, versucht er ihnen mit dem Begriff Gemein- Prozeduralismus gestellt werden. Das Unbehader Klöster und Grundherren richten konnte. kung von Transaktionskosten und erfolgreiche wohl die Grenzen aufzuzeigen: Seine Aufgabe gen drückt sich weiterhin darin aus, dass der Die Verstaatlichung des Gemeinwohls tritt erst Kooperation machen. Nicht zuletzt sind es aber sei es, am Gemeinwohl orientiert Politik zu republikanische Traum angesichts der Pluralisehr viel später mit der Staatsbildung auf. Den- die zivilgesellschaftlichen Debatten, die dem machen, während er sich die Anliegen der Lob- sierung und der Scheu gegenüber inhaltlichen noch kommt es in der Neuzeit zu einer Umpo- Nachdenken über Gemeinwohl und Gemeinbyisten zwar anhören, sie aber nicht zur Leitli- Gemeinwohlkonkretisierungen das Gemeinlung, die man auch als eine Ablösung vom alten sinn wieder neuen Auftrieb gegeben haben. Die nie seines Handelns machen dürfe. Politik habe wohl zu einer leeren Formel oder zu einem republikanischen Ideal deuten kann. Zu einer Zivilgesellschaft scheint heute als der besondedas Gemeinwohl zu realisieren - jenseits des ohnmächtigen Sollen werden lässt. Darüber higrundsätzlichen Veränderung kam es seit dem re Regenerationsraum für die sozio-moralischen Streits der Interessengruppen, so könnte der naus bleibt unter modernen Bedingungen unfrühen 18. Jahrhundert. Die Forschergruppe Ressourcen angesehen zu werden, ohne die Auftrag verstanden werden. Dennoch hat das deutlich, wie sich die Solidaritätshorizonte der deutet dies als ,semantischen Coup des Libera- Gemeinwohl lediglich ein blasses Sollen bleiVerhalten des Kanzlers hier etwas Irritierendes. verschiedenen Gemeinschaften untereinander lismus'. Mit Bernard de Mandeville, Adam Smith ben würde. Ist man doch eher von ihm ein pragmatisch- verhalten. Gewiss können wir nicht mehr wie und Immanuel Kant trat eine Argumentationsfisituationistisches Verhalten gewohnt und keine Aristoteles noch davon ausgehen, dass alle Gegur hervor, die das Eigeninteresse als den Gegen- Die Metamorphosen von Gemeinwohl Ausflüge in die Sphäre des politisch-morali- meinschaften Teileder staatlichen Gemeinschaft begriff des Gemeinwohls umdeutet und zum In historischer Perspektive ist es der Zusamschen Sollens. All zu oft bezieht sich der Kanz- sind. Diese Politik- oder Staatszentriertheit ist Ausgangspunktundzur Entwicklungsbedingung menhang von Assoziationen und Gemeinsinn, ler aber nicht auf das Gemeinwohl und schiebt heute obsolet. Doch wenn Gemeinwohl Gedes allgemeinen Wohls machte. Seitdem ist das den Alexis de Tocqueville in Amerika entdeckt auch keinen erläuternden Satz nach, denn der meinschaft voraussetzt, auf die es sich bezieht, Individuum mit seinem Eigeninteresse und sei- hat. In den geselligen Vereinigungen würden Zuhörer möchte dann doch gerne wissen, worin so sind doch unterschiedliche Gemeinschaften denkbar, deren Vorstellungen vom Gemeinwohl ner Freiheit der Ausgangspunkt der Begründung sich bürgerschaftliche Tugenden wie Gemeinnun das Gemeinwohl inhaltlich besteht. jeglicher politischer Ordnung geworden - und sinn bilden können. Dort würde die SelbstGemeinwohl, so versichern die Herausgeber, ist nicht immer deckungsgleich sind. So unternicht länger das an der Gemeinschaft orientierte sucht' und das in allen modernen Gesellschaf.normativer Orientierungspunkt sozialen Han- scheidet sich beispielweise das Wohl DeutschIndividuum. Und das Eigeninteresse muss nicht ten aufkeimende Eigeninteresse in zivilisierendelns' und Gemeinsinn ,die Bereitschaft des lands von einem europäischen und einem schlesimmer mit dem Gemeinwohl übereinstimmen. de und die Demokratie fördernde Formen versozialen Handelns, sich an diesem normativen wig-holsteinischen Gemeinwohl. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA Smith hat das mit der Metapher der .unsichtbaren wandelt. Was Stefan-Ludwig Hoffmann im ersIdeal tatsächlich zu orientieren, seinen Anspruch Hand' ausgedrückt und Kant mit der Formel, ten Band historisch entfaltet, untersucht Eckart auf soziale Verbindlichkeit in Verhalten und Die Historie des Begriffs wonach auch einem Volk von Teufeln (wenn sie Pankoke in soziologischer Perspektive im zweiHandeln umzusetzen'. Im Grunde, so Hasso Die inhaltliche Füllung des Gemeinwohls war nur Verstand haben) möglich sei, eine institutio- ten Band: Es geht um die Leistungen der OrgaHofmann sei dies der ,alte republikanische vermutlich immer schon umstritten. Geht es nalisierte Rechtsordnung zu gründen. Damit ist nisationsformen des Dritten Sektors. Diese OrTraum vom Gemeinwohl aus Gemeinsinn', der dort doch nicht um weniger als um bestimmte heute auf eine Wirklichkeit trifft, die für ihn REZENSIONEN zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA keinen günstigen Nährboden bereithält. Zudem 148 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Literatur Forschungsjournal NSB, Jg. 16, Heft 2, 2003 zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA ganisationsformen müssen sich verändern, weil Motivations- und Interessenlagen sich verändern. Pankoke sieht diese Vereinigungen als Produktionsstätten von,sozialem Kapital'. Damit wird die Bedeutung der mikropolitischen Praxis herausgestellt. Gemeinwohl entsteht nicht mehr an der Spitze, sondern an der Basis, in der Alltagspraxis der Bürgerinnen und Bürger. Aber soziales Kapital als öffentliches Gut wird heute nicht mehr selbstverständlich bereitgestellt. Robert Putnam und andere gehen gar von einem Schwund des sozialen Kapitals aus. Die Veränderungen in den zivilgesellschaftlichen Organisationsformen und die Prozesse der Globalisierung lassen ein zentrales Problem deutlich werden: Gemeinwohl und Gemeinsinn sind partikularistisch und beziehen sich immer auf konkrete Gemeinschaften. Weil der alte republikanisch-nationale Bezugsrahmen nicht mehr trägt und die Grenzen der Sozialverbände verschwimmen, wird es zunehmend schwieriger, den Referenzpunkt von Gemeinwohl zu bestimmen. Denn als ethisch-normatives Konzept bezieht sich das Gemeinwohl immer auf eine bestimmte Gemeinschaft. Zwar kann man, wie es Adloff und Joas nahe legen, immer noch von der Existenz sozialer Milieus ausgehen, unbestreitbar ist aber ein Aufweichen der Grenzen und Bindungswirkungen und ein Überlappen der Mitgliedschaften. Denn nur wenn es diese Gemeinschaften gibt, existiert auch eine Reproduktionsbasis für Werte. Fragen des Gemeinwohls und des Gemeinsinns sind als ethische Fragen nicht von den Kontexten bestimmter Lebensformen zu trennen, so Udo Titze in seinem Beitrag. Damit wird einer zivilgesellschaftlichen Orientierung sehr viel aufgeladen, denn wenn damit Belange kollektiver Identität aufgerufen werden, kann es damit keine verbindlichen Antworten mehr geben. Zudem wird Gemeinwohl damit unrettbar partikular und somit bestreitbar. ben dann auch zu Überlegungen derPluralisten geführt, das Gemeinwohl zu prozeduralisieren. Gerade die Juristen sehen darin eine Chance, mit diesem offenen normativen Begriff umzugehen. Schon Kant hat - in Fortsetzung der Lockeschen Tradition - auf die Rechtsordnung und den darin zentralen Prinzipien der Freiheit und Autonomie als Grundlage einer jeden politischen Ordnung verwiesen. Mit dem Rekurs auf das Verfassungsprinzip der Freiheit, der auch im Grundgesetz zum Tragen kommt, wird nun Gemeinwohl nicht mehr durch staatliche Aktivität erreicht. Es sind vielmehr die zahllosen Formen .individueller Entfaltung' und die .Autonomie der verschiedenen gesellschaftlichen Funktionssysteme', die zum Gemeinwohl beitragen, so Dieter Grimm. Grimm stellt daher auch fest, dass Gemeinwohl kein zentraler Begriff in der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts sei. Im Grundgesetz selbst sind aber Inhalte des Gemeinwohls festgelegt. Freiheit und soziale Gerechtigkeit zählen dazu wie auch die Sozialpfl ichtigkeit des Eigentums. Aber Gemeinwohl sei keine feststehende, substantielle Größe mehr, sondern notorisch unbestimmt. Das Recht ist ein Ordnungsrahmen, das die unterschiedlichen Leistungen der Gemein wohlbeträge ermöglicht. Im Grunde sind es die Interessen, die, geleitet durch das rechtsstaatliche Normengerüst, zu Gemeinwohlbeiträgen verschmolzen werden. Dass Gemeinwohlbeiträge nicht immer von Gemeinsinn inspiriert und getragen sind, das ist nicht nur bei marktförmigen Austauschprozessen so. Auch im zivilgesellschaftlichen Bereich bekunden immer öfters Engagierte, dass sie auch für sich etwas tun wollen, indem sie für andere tätig werden. Vermutlich war der Altruismus immer schon ein Randphänomen oder eine Erfindung der Philosophen. Vermutlich befinden wir uns nicht auf der schiefen Ebene des beschleunigten Verlustes der soSolche Probleme der Undeutlichkeit der Ziel- zio-moralischen Ressourcen durch Ausdehnung gruppe und der Diffusität des Allgemeinen ha- der Marktmechanismen und Globalisierung. 149 Vielmehr - so ist begründet zu vermuten - Arbeitsgruppe am Wissenschaftszentrum mit erzeugen Marktmechanismen, wenn sie klug diesem Schwerpunkt, aber auch die zahlreichen gewählt sind, auch normative Orientierungen selbsternannten Bürgerkommunen. Badenund Gemeinsamkeiten von strategischen Ak- Württemberg hat sich sogar als ,Bürgerland' teuren. Es hilft jedenfalls wenig, eine Politik der ausgerufen. Dass es sich bei dieser Sphäre zwiGemeinwohlappelle zu verfolgen, denn die Un- schen Markt, Staat und Familien nicht um ein scharfen dieses Konzepts sind beträchtlich und einheitliches Phänomen handelt und auch ihr die Verbindung des moralischen Sollens zum Eigensinn, ihre relative Autonomie keineswegs tatsächlichen Handeln sind nicht verlässlich. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGF unstrittig ist, steht dabei ebenso außer Frage wie der Umstand, dass es in dieser Debatte einen normativen Überhang gibt. Zivil- und BürgerRudolf Speth, Berlin zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA gesellschaft werden als etwas Gutes und Erwünschtes präsentiert, auch wenn ,reale ZivilBesprochene Literatur gesellschaften' selten wie ein demokratisches Forschungsberichte der interdisziplinären Ar- Wunschkonzert klingen. Überhaupt erinnert die beitsgruppe „Gemeinwohl und Gemeinsinn" Suche nach ,realen' Zivilgesellschaften (vgl. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der den Beitrag von Roland Roth über ,unzivile' Wissenschaften 2001/2002: Bände I-TV, Berlin: Gesellschaften in dieser Ausgabe) ein wenig an die Debatte über den ,realen' Sozialismus. Zu Akademie Verlag. Münkler, Herfried/Bluhm, Harald (Hg.): „Ge- hoffen ist, dass in diesem Fall nicht alles mögmeinwohl und Gemeinsinn". Historische Sem- liche real ist, nur nicht die Zivilgesellschaft und nicht erneut die Wirklichkeit eine Idee blamiert. antiken politischer Leitbegriffe. Münkler, Herfried/Fischer, Karsten (Hg.): „Ge- Ansgar Klein hat für den deutschsprachigen meinwohl und Gemeinsinn". Rhetoriken und Raum ein prämiertes Standardwerk über die Perspektiven sozio-moralischer Orientierung. theoretischen Debatten, politischen Akteure und Münkler, Herfried/Fischer, Karsten (Hg.): „Ge- gesellschaftlichen Umbrüche vorgelegt, die in meinwohl und Gemeinsinn im Recht". Konkre- den letzten zwei Jahrzehnten zu einer Revitalitisierung und Realisierung öffentlicher Interes- sierung des Diskurses über Zivilgesellschaft beigetragen haben. Gründlich, ungewöhnlich sen. belesen und theoretisch ambitioniert lädt uns Münkler, Herfried/Bluhm, Harald (Hg.): „Geder Autor zunächst zu einer Zeitreise ein, auf der meinwohl und Gemeinsinn". Zwischen Normawir zuerst den Dissidenten und Bürgerbewetivität und Faktizität. gungen in Osteuropa begegnen, dann geht es ffl zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFED zurück zur Neuen Linken, vorwärts zu den neuen sozialen Bewegungen, um schließlich Altes und Neues über höchst aktuell bei den transnationalen Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen anZiviigesellschaft zukommen. Im zweiten Teil des Buches präsentiert der Autor ideengeschichtliche Traditionen Das politische und wissenschaftliche Interesse und aktuelle theoretische Entwürfe, wobei er an Zivilgesellschaft bzw. Bürgergesellschaft sich vornehmlich mit zeitgenössischen Autoren zumeist werden beide Begriffe synonym gewie Jürgen Habermas, Ulrich Rödel, Günter braucht - hält an. Dies bezeugen Kanzlerreden Frankenberg, Helmut Dubiel und Rainer und eine Enquete-Kommission des Bundestags, Schmalz-Bruns befasst. eine neue historisch-sozialwissenschaftliche Literatur 150 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Forschungsjournal NSB, Jg. 16, Heft 2, 2003 zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Für all diese Themen und Ansätze erweist sich nierende Organisationsform europäischer Ge(Blickle 20001:115). Die Sicherung von Zivilität ist in der kommunalistischen Phase (noch) das Buch als wahre Fundgrube und solide Quel- sellschaften analysiert. Als Verfassung des Allle. Freilich hat auch Ansgar Klein auswählen täglichen rangiert Kommunalismus unterhalb nicht an die Staatsgewalt delegiert, sondern ein müssen. Es fehlt z.B. die DDR-Opposition, und der großen Epochenbegriffe (Feudalismus, wechselseitiges Versprechen der Bürger unterdie intensive Debatte über Bahras, Alternative'. Absolutismus). Er „umschließt Stadtgemeineinander und zum Schutze gegen Kriege und Ökonomische, gesellschaftliche und staatliche den und Landgemeinden als funktional und Fehden der Obrigkeit. Eine ähnliche DoppelBezüge der aktuellen Zivilgesellschaftsdebat- institutionell im Prinzip analog aufgebaute funktion erfüllt auch der Gemeine Nutzen.„Er ten werden nur spärlich beleuchtet. Kritische Verbände, geprägt durch Satzungskompetenz dient als Maß, um einerseits die konfligierenGegenentwürfe und gesellschaftsanalytische der Gemeinde beziehungsweise ihrer repräden Interessen in der Kommune abzugleichen, andererseits die kommunalen Interessen Alternativen zur Theorie-Linie der ,zweiten' sentativen Organe, Verwaltung im Rahmen des gegenüber der Herrschaft zu vertreten" (BlickFrankfurter Schule, wie z.B. die Arbeiten von von den Satzungen gedeckten Kompetenzbele 2000 II: 213). Blickle gelingt mit seiner Althusser, Poulantzas, Bourdieu, Foucault, Jes- reichs und Rechtsprechung im Rahmen des ungeheuer materialreichen, weniger systemasop oder Hirsch tauchen kaum auf. Es geht nicht gesatzten Rechts" (Blickle 2000 II: 1). Was tischen als fallorientierten Studie zweierlei: Er darum, andere Theorievorlieben ins Spiel zu sich hier sehr formal und trocken anhört, dekann zum Einen Kommunalismus als eine hisbringen, zumal Ansgar Klein für seine Autoren monstriert Blickle anschaulich an zahlreichen torische Epoche verfasster örtlicher Gemeinins Feld führen kann, jene gewählt zu haben, die regionalen und lokalen Beispielen. Es treten schaft vor der Herausbildung moderner Staatsich positiv auf den Begriff Zivilgesellschaft dabei die Umrisse einer wesentlich kommunal lichkeit verlebendigen, die in den notorisch beziehen. Aber der Autor hätte mit etwas mehr geprägten Welt hervor, die voll von lokalem Staats- und herrschaftsfixierten Geschichtseingebautem Widerspruch und größerer empiri- Eigensinn und regionalen Besonderheiten schreibungen kaum Erwähnung findet. Zum scher Bodenschwere einen deutlicheren Ak- steckt. Dennoch orientieren die sich weitgeZweiten präsentiert er historische und theorezent gegen jene Tendenz setzen können, die als hend selbst verwaltenden Bauern und Bürger tische Quellen einer ,kommunitaristischen' „Zähmung der Idee der Zivilgesellschaft" (Ba- an teils altmodisch klingenden, aber außerorUniversalie (,little Community'), die schon ker 1999) beklagt wird. dentlich ,modernen' Normen und Werten: „Zu Tocqueville nicht nur in Neuengland, sondern Wir haben uns daran gewöhnt, Zivilgesellschaft ihnen gehören Gemeiner Nutzen, Hausnotauch in der Alten Welt entdeckt hatte. Auch als eine moderne Erscheinung zu begreifen, die durft, Frieden, Gerechtigkeit sowie möglichst wenn man bei der Lektüre das Engagement für erst entsteht, wenn sich Staat, Ökonomie und freie Verfügbarkeit über die eigene Arbeitsdie Sache spürt, vermeidet Blickle weitgehend eine familiär geprägte Privatsphäre separieren. kraft und den Arbeitsertrag, was im vorgegeberomantisierende Rückblicke und konstatiert Dass die Begriffsgeschichte nicht nur facetten- nen herrschaftlichen System zu persönlicher nüchtern den Herrschaftscharakter einer auf reicher ist (vgl. Kocka et al. 2001), sondern auch Freiheit und Eigentum tendiert" (Blickle 2000 Haus- und Grundbesitzer gegründeten patriarbis heute darüber gestritten wird, welche Akteu- II: 2). Besonders ins Auge springt die Friechal geprägten Gemeinschaft. In Erinnerung re zur Zivilgesellschaft gehören (Schade 2002: densnorm, d.h. praktisch hatte vor allem die an Tocquevilles Diktum „Der Einwohner Neu34), mag nicht verwundern. Überraschend ist ländliche Gesellschaft immer wieder selbst für englands fühlt sich mit seiner Gemeinde verjedoch, dass wesentliche normative und prakti- die Friedenssicherung zu sorgen. „Jeder Bürbunden, weil sie stark und unabhängig ist..." sche Elemente, die heute mit dem Konzept ger und jeder Bauer war für den Frieden in wird auch die Schwäche heutiger, lokal meist Zivilgesellschaft verbunden werden, ihre Blü- seiner Kommune verantwortlich. Und dies in nur schwach begründeter Zivilgesellschaften tezeit in ,vormodernen' Zeiten hatten, also be- mindestens zweifacher Weise - er hatte den deutlich. Wesentliche zivilgesellschaftliche vor es den modernen Nationalstaat und die Frieden zu gebieten, die streitenden Parteien Elemente gab es offensichtlich bereits vor der kapitalistische Ökonomie gab. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA zu versöhnen oder vor Gericht zu bringen, und Herausbildung von Kapitalismus und moderzwar unter Einsatz seiner ganzen Person, was ner Staatsgewalt. Dieser historische Kommuunter Umständen j a durchaus lebensbedrohenDer Kommunalismus nalismus könnte durchaus Anregungen bieten, de Formen annehmen konnte, und er hatte an Peter Blickle hat ein beeindruckendes zweiwenn aktuell bei der Suche nach Alternativen der Urteilsschöpfung im Gericht mitzuwirken, bändiges Werk vorgelegt, in dem er mit dem zur neoliberalen Globalisierung über Formen, denn er konnte, wenn er für ein Richteramt Epochenbegriff ,Kommunalismus' die vom Bedingungen und Möglichkeiten eines dezennominiert wurde, ein solches nicht ablehnen" Spätmittelalter bis ins 19. Jahrhundert domi1 151 tralen Föderalismus nachgedacht wird (vgl. Heller 2002). Die Hybridisierung Eine ganz andere empirische Herausforderung für die Zivilgesellschafts-Debatte bietet eine Studie von Evers, Rauch und Stitz, die den Übergang von öffentlichen Einrichtungen zu sozialen Unternehmen analysiert. An jeweils einem halben Dutzend Beispielen von Einrichtungen aus den Bereichen Schule, Kultur und Sport, Altenpflege und Altenhilfe geht das Autorenteam schleichenden Veränderungen nach, die in der öffentlichen Debatte eher pauschal mit Begriffen wie Privatisierung und Liberalisierung verhandelt werden. Evers und sein Forschungsteam können an ihren Fällen zeigen, dass der meist durch Mittelkürzungen ausgelöste Druck auf öffentliche Einrichtungen eher zu hybriden Einrichtungen fuhrt, die Elemente von Staat, Markt und Zivilgesellschaft eigenwillig kombinieren. Solche Hybridisierung muss nicht notwendig instabile und prekäre Einrichtungen zur Folge haben. Vielmehr setzen die Autoren darauf, dass es gelingen könnte, die Vorteile der verschiedenen Leitprinzipien zu kombinieren. „Warum z.B. sollte eine Schule nicht mit eigenem Budget als selbständiges Unternehmen geführt werden, durch verlässliche staatlich festgelegte Standards und Zuwendungen sozialstaatlichen Qualitäts- und Gleichheitsansprüchen genügen und durch die Nutzung der Selbständigkeit zur Etablierung von Kooperationsbezügen mit Elternvereinen, der Jugendarbeit und der sozialen Wirtschaft zusätzliche Ressourcen und Qualitäten aktivieren können?" (Evers 2003:16). Ein wenig von solcher Vielfalt ist bereits in vielen Organisationen anzutreffen. Wie weit dieser Trend zu hybriden Organisationen allerdings vorangeschritten ist, könnenFallstudien nicht erhellen. Auch wenn sie ihr anspruchsvolles hybrides Ideal, das soziale Unternehmen, kenntlich machen, verweisen die Autoren auf Widerstände und gegenläufige Ent- 152 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Forschungsjournal NSB, Jp. 16, Heft 2, 2003 zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Literatur Wicklungen. Viele Anlagerungen von unternehmerischen und bürgerschaftlichen Elementen bleiben bloße Ornamente. Veränderungen vollziehen sich pfadabhängig, d.h. dort wo staatliche Autorität eine lange Tradition hat, wie z.B. im Schulwesen, fallen die Öffnungen eher bescheiden aus. Wo sich der Staat aus der Finanzierung stiehlt, wie z.B. in der kommunalen Kulturförderung, können sich hybride soziale Unternehmen nur selten halten. Vielmehr besteht dieGefahr.dassunterKbmmerzialisierungsdruck auch ihr kulturelles Spektrum verarmt. Ein besonderes Verdienst der Studie ist es, die demokratiepolitischen Aspekte dieser Veränderungstendenzen zu diskutieren. Selbst wenn die ökonomischen und beschäftigungspolitischen Probleme gelöst sind und die Öffnung zur Bürgerschaft gelingt, kann dies zur Klientel- und Klüngelbildung statt zur ,kleinen Demokratie' führen (Evers et al. 2002:228,256). Sollte der Trend zu hybriden sozialen Organisationen anhalten, steht die Zivilgesellschaftsdebatte vor einem massiven Problem: Wie soll sie mit solchen polymorphen Gebilden analytisch umgehen? sierungsprozess zu zivilisieren und zu demokratisieren. Neben Beiträgen zur konzeptionellen Debatte über globale Zivilgesellschaft gibt es eine Rubrik zu aktuellen Themen (u.a. AIDS, , humanitären Interventionen', corporate responsibility, internationaler Strafgerichtshof) und zur Infrastruktur (Aufsätze zur Internetverbreitung, zu Parallel- und Gegengipfeln, Spendenunterstützung für NGOs, .global cities' etc.). Ein informativer Daten teil (zur Weltwirtschaft, zu transnationalen Konzernen, Handelsströmen, Energieverbrauch, aber auch zu Internationalen Organisationen, NGOs oder Menschenrechtsverletzungen) mit einer Chronologie schließt das Werk ab. Die namentlich gezeichneten Beiträge sind zwar von unterschiedlicher Qualität und Originalität, aber alle sind von der redaktionellen Linie geprägt, einen möglichst hohen Informationsgehalt zu sichern (unter anderem durch Kästen, Statistiken, Schaubilder etc.). Dass die Herausgeberinnen nach den Anschlägen vom 11.9.2001 und dem späteren AfghanistanFeldzug dringenden Bedarf sehen, das zuvor eher hoffnungsfroh gestimmte Konzept einer globalen Zivilgesellschaft (Zuwachs an zivilgesellschaftlichen Akteuren, gestiegene BedeuZahlen, Daten, Fakten tung von Menschenrechten und internationalen Verdienstvoll ist das 2001 zum ersten Mal erAbkommen etc.) zu revidieren und auf wachschienene, ansprechend aufgemachte und nun sende globale Unterschiede einzugehen, spricht in zwei Ausgaben vorliegende Jahrbuch ,Glofür dieses Jahrbuch und begründet seinen enorbal Civil Society', das von einer Gruppe um die London School of Economics herausgegeben men informativen Gebrauchswert. wird. Dass sie keinen sicheren Grund, sondern Die Durchsicht der Beiträge und Daten beider eine konzeptionelle und empirische Entde- Jahrbücher verstärkt den Eindruck, dass wir erst ckungsreise anzubieten haben, an der sich die am Anfang eines Verständigungsprozesses über Leserinnen und Leser aktiv beteiligen mögen, die Umrisse dessen stehen, was heute sinnvoll versichern die Herausgeber gleich zu Beginn als .nationale'bzw. .internationale'Zivilgesell(2001: 3). Unsicherheiten kennzeichnen ein schaft gelten kann. Es wäre zu wünschen, dass Diskussionsfeld, das deutlich stärker zerklüftet künftig nicht nur Daten zu den verschiedenen und umstritten ist als auf nationaler Ebene. transnationalen Akteursgruppen angehäuft, sonInspiriert ist das Jahrbuch von den spektakulä- dern Themen, Akteure und politische Prozesse ren Mobilisierungen der globalisierungskriti- im Kontext strukturierter globaler Regime anaschen Bewegungen der letzten Jahre, sein er- lysiert werden. Auch eine stärkere Berücksichklärtes politisches Ziel ist es, der Zivilgesell- tigung der Schattenseiten von Globalisierungsschaft eine Stimme zu geben, um den Globali- prozessen (organisierte Kriminalität, Geldwä- 153 sehe, Korruption etc.) könnte nützlich sein, um gen anders denken! In: Theorie und Praxis der mitdemDemokratisierungsanspruch zumindest Sozialen Arbeit, Nr. 1,11-17. auf dem Niveau der Problemwahrnehmung ernst Heller, Patrick 2002: Den Staat in Bewegung zu machen. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA bringen: Die Politik der demokratischen Dezentralisierung in Kerala, Südafrika und Porto Alegre. In: Peripherie, Jg. 22, No. 87,337-377. Roland Roth, Magdeburg zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYWVUTSRPONMLKJIHGFEDC Kocka, Jürgen/Nolte, PauURanderia, Shalini/ Reichardt, Sven 2001: Neues über ZivilgesellAnmerkungen Erinnert sei an Niklas Luhmanns an Jürgen schaft aus historisch-sozialwissenschaftlichem Habermas gerichtete Polemik gegen die Karriere Blickwinkel, Berlin: WZB (P 01 - 801). des Begriffs Zivilgesellschaft:„Die heutige Wie- Luhmann, Niklas 2000: Die Politik der Gesellderaufnahme des Begriffs auf Grund historischer schaft. Frankfurt/M: Suhrkamp. Rekonstruktionen hat so deutlich schwärmeri- Nullmeier, Frank 2002: Vergesst die Bürgergesche Züge, dass man, wenn man fragt, was dadurch sellschaft?! In: Forschungsjournal NSB, Jg. 15, ausgeschlossen wird, die Antwort erhalten wird: 4,H. 4, 13-19. Schade, Jeanette 2002: „Zivilgesellschaft" die Wirklichkeit" (Luhmann 2000: 12). eine vielschichtige Debatte, Duisburg: INEFBesprochene Literatur Report, Heft 59. Anheier, Helmut/Glasius, Marlies/Kaldor, Mary m zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZ (eds.) 2001: Global Civil Society 2001, Oxford: Solidarität in Bewegung Oxford UP. Anheier, Helmut/Glasius, Marlies/Kaldor, Mary (eds.) 2002: Global Civil Society 2002, Oxford: Auf den Epochenbruch von 1989 folgte das Oxford UP. Gerede vom ,Ende der Geschichte', weltweit Blickle, Peter 2000: Kommunalismus. Skizzen schien der Durchmarsch des Neoliberalismus einer gesellschaftlichen Organisationsform. unaufhaltsam. Wer sich gegen Deregulierung, Band 1: Oberdeutschland; Band 2: Europa, Privatisierung und den Abbau von Sozialleistungen stellte, wurde schnell zum ,Altlinken' München: Oldenbourg. Evers, Adalbert/Rauch, Ulrich/Stitz, Uta 2002: abgestempelt, die meisten SolidaritätsbewegunVon öffentlichen Einrichtungen zu sozialen Un- gen verflüchtigten sich. Seit einigen Jahren zeigt ternehmen. Hybride Organisationsformen im sich aber immer deutlicher, dass die ökonomiBereich sozialer Dienstleistungen, Berlin: edi- sche Globalisierung mehr Verlierer als Gewinner kennt und die Strukturanpassungsprogramtion sigma. Klein, Ansgar 2001: Der Diskurs der Zivilge- me von IWF und Weltbank oder der von der sellschaft. Politische Hintergründe und demo- WTO propagierte Freihandel die Armut in den kratietheoretische Folgerungen, Opladen: Les- Ländern des Südens vergrößert statt sie zu beseitigen. Der Neoliberalismus ist selbst in die ke + Budrich. Krise geraten, allerorten regt sich Widerspruch. Spätestens die Proteste gegen die MilleniumsZitierte Literatur Baker, Gideon 1999: The Tamingof the Ideaof runde der WTO in Seattle im November 1999 Civil Society. In: Democratization, Vol. 6, No. haben deutlich gemacht, dass sich eine neue internationale Bewegung formiert. Der rasante 3, 1-29. Zulauf zu Attac zeigt, dass sich GlobalisieEvers, Adalbert 2003: Soziale Unternehmen die Zukunft öffentlicher sozialer Dienstleistun- rungskritik im Aufwind befindet. 1 Literatur 154 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Forschungsjournal NSB, Jg. 16, Heft 2, 2003 zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Die Einführung in die Ideengeschichte des Internationalismus von Josef Ffierlmeier setzt hier an. Der Autor, selbst seit vielen Jahren in internationalistischen Gruppen aktiv, will die Brüche und Kontinuitäten zwischen vergangenen internationalistischen Bewegungen und der neuen Protestbewegung aufzeigen. Er unterscheidet - neben einer Vorgeschichte des proletarischen Internationalismus - drei Phasen und stellt deren wichtigste Ideen in den jeweiligen zeitgeschichtlichen und gesellschaftlichen Kontext. Sein Schwerpunkt liegt deutlich auf (West-)Deutschland. Die erste Phase der revolutionären Ungeduld' entspricht in etwa der Zeit der Studentenbewegung und der Außerparlamentarischen Opposition' (APO) in den 1960er Jahren. Sie setzt mit der Kritik an der mangelnden Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus und den autoritären Tendenzen der westdeutschen Gesellschaft an und findet ihren internationalistischen Ausdruck in der Solidarisierung mit dem revolutionären Kampf in Vietnam. Im längsten und spannendsten Kapitel seines Buches stellt Hierlmeier die wichtigsten Debatten bis hin zum Bruch der APO mit der Kritischen Theorie von Horkheimer und Adorno dar und zeichnet die Argumentation der Befreiungstheoretiker Frantz Fanon, Lin Biao und Che Guevara nach. Aber er spart auch nicht mit Kritik an der verkürzten Faschismusanalyse wichtiger Vertreter der APO, die in Faschismusvorwürfen an die USA und Israel gipfelten, und präsentiert Beispiele für antisemitische Argumentationsmuster sich radikalisierender Gruppen. Die zweite Phase ab Mitte der 1970er Jahre sieht den Internationalismus in der Defensive. Auf die Hoffnungen auf Veränderung folgten die Militärdiktaturen Lateinamerikas und seit 1982 die Verschuldungskrise. Schwerpunkt der Solidaritätsbewegung war zweifelsohne Nicaragua, doch auch dort ging es mit Beginn der Aggression der Contras in erster Linie um die Verteidigung der sandinistischen Revolution und weni- ger um eine Ausweitung der Befreiungskämpfe auf den ganzen Kontinent, wie sie in den 1960er Jahren Che Guevara noch erträumte. Doch Hierlmeier beschreibt auch romatische Projektionen auf das so ganz andere (und scheinbar bessere) Leben in der .Dritten Welt', die aus dem Aufstieg der Alternativbewegung und ihrer Theoriefeindlichkeit seit Ende der 1970er Jahre resultierten während zeitgleich der Neoliberalismus zu seinem Siegeszug ansetzte. Diese mündeten in eine Entpolitisierung, die der Autor vor allem in den ersten Jahren der dritten Phase sieht, die mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Länder 1989 und der Abwahl der Sandinisten 1990 einsetzt. Vehement kritisiert der Autor die Kooperation von NGOs mit Regierungen und internationalen Organisationen und ihre Fixierung auf Lobby arbeit für die Zeit seit dem Umweltgipfel in Rio 1992. Ebenso kritisiert er Attac und andere dafür, dass sie sich auf den Staat als Adressaten ihrer Proteste und damit als Akteur der Veränderung konzentrieren. ANNOTATIONEN MEYER, THOMAS/WEIL, REINHARD (HG.) Die Bürgergesellschaft Perspektiven für Bürgerbeteiligung und Bürgerkommunikation Bonn: J.H.W. Dietz 2002 155 Zivilgesellschaft an. Die Kapitel diskutieren zunächst die theoretischen Grundlagen, danach die Wechselbeziehungen zwischen Staat und Zivilgesellschaft sowie handlungsorientierte Projekte aus dem politischen Bereich. Daran schließen sich Erörterungen der transnationalen Handlungsmöglichkeiten an. Die neuen Aufgaben bürgerschaftlichen Engagements in Städten sowie die Anforderungen an eine modernisierte politische Bildung, die sich den Herausforderungen der Zivilgesellschaft stellt, beschließen denBand. nb Der Sammelband ist ein Wegweiser durch den Dschungel der Zivilgesellschaftsdebatte. Die Basistexte zur Bürger- bzw. Zivilgesellschaft m wollen einen Beitrag zur Aktivierung des demokratischen Bürgerengagements und zur För- BUCHSTEIN, HUBERTUS/NEYMANNS, HARALD (HG.) derung der politischen Bildungsarbeit leisten, mit dem Ziel, diese verstärkt an den Kompe- Online-Wahlen tenzbedürfnissen für effektives Bürgerhandeln Opladen: Leske+Budrich 2002 auszurichten. So zeigen die Analysen, Praxisberichte und Handlungsempfehlungen Chan- Der Gang zum Wahlbüro könnte in Deutschland cen des politischen Handelns in der Bürgerge- schon bald der Vergangenheit angehören. An sellschaft auf. Die Aufsatzsammlung bündelt seiner statt trete dann der Mausklick von zu Entwicklungstendenzen sowie Probleme und Hause aus, um Volkes Stimme geltend zu maDas Schlusskapitel ist spannend, doch manchmal Herausforderungen der Zivilgesellschaft. Die chen: Click'n'Vbte - Vision oder nahe Zukunft, müsste Hierlmeier genauer differenzieren: So HerausgeberThomas Meyer und Reinhard Weil, Schaden oder Belebung für die Demokratie? verkennt er, dass sich NGOs in ihrer Ausrichzuständig für die Politische Bildungsarbeit der Der Sammelband Online-Wahlen versucht eine tung und Arbeit teils enorm unterscheiden. Auch Friedrich-Ebert-Stiftung, in deren Auftrag der Antwort zu geben. Bereits 2004 will das europäattestiert er Attac etwas zu vereinfachend ein Band entstanden ist, konnten die Wissenschaft- ische Parlament die Möglichkeit des Online.unkritisches Staatsverständnis', weil es pragler Helmut Anheier, Adalbert Evers, Peter Hen- Wählens anbieten und 2010 könnte auch die matische Reformansprüche formuliert. ning Feindt, Heiko Geiling, Hubert Heinelt, Wahl zum Deutschen Bundestag elektronisch Schließlich vermag er nicht schlüssig zu beAnsgar Klein, Sabine Krüger, Claus Offe, Eck- erfolgen. Zu bedenken ist dabei aber, dass „die gründen, weshalb die globalisierungskritische hardt Priller, Ulrich Rauch, Adrian Reinert, Einführung von Online-Wahlen weit mehr BeBewegung nicht auf eine Doppelstrategie des Roland Roth, Birgit Sauer, Uta Stitz, Norbert deutung als nur eine eher unbedeutende techniAufbaus von Gegenmacht ,von unten' und der Wohlfahrt, Annette Zimmer sowie die Politiker sche Veränderung in der Art und Weise haben Orientierung auf die Reform nationalstaatlicher Gerhard Schröder, Wolfgang Thierse, Michael kann, wie Bürger ihr Votum abgeben." Die und internationaler Politik setzen sollte. Trotz Bürsch und Karin Kortmann als Autoren ge- lange Geschichte der politischen Wahlen habe dieser Mängel bleibt das Buch eine sehr empwinnen. Der Band umfasst die Bereiche Ge- gezeigt, dass Reformen in der Technik des Abfehlenswerte und zudem gut lesbare Lektüre. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA schichte, Begriffe und Diskurs der Zivilgesell- haltens von Wahlen und Abstimmungen oft Michael Krämer, Berlin zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA schaft; Dritter Sektor und Zivilgesellschaft; Zu- auch zu Veränderungen im Wahlverhalten gesammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft; führt haben, so die Herausgeber. Das Buch Besprochene Literatur Geschlechterverhältnis, kultureller Pluralismus vermittelt einen Überblick über den bisherigen Hierlmeier, Jose/2002: Internationalismus. Eine sowie transnationale Demokratie und Zivilge- Stand der politischen, technischen und rechtliEinführung in die Ideengeschichte des Internasellschaft. Er bietet Praxisbeispiele, politische chen Entwicklungen sowie kontroversen Distionalismus von Vietnam bis Genua. Stuttgart: Konzepte sowie Strategien zur Förderung der kussionen zum Thema. Dabei werden u.a. die Schmetterling Verlag. 156 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Forschunpsiournal NSB, Jp. 16, Heft 2, 2003 zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Literatur politischen und demokratietheoretischen Fra- Das Buch ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten gen zu Online-Wahlen diskutiert, die Kompati- Abschnitt steht der Protestwähler und dessen bilität von Wahlgeheimnis und e-voting analy- Motivation im Mittelpunkt. Diese untersucht siert, erste Erfahrungen mit Online-Wahlen aus- Holtmann anhand einer Wahlanalyse der DVU gewertet sowie die Vor- und Nachteile von On- zu den individuellen Beweggründen der Proline-Wahlen dargestellt und die Unterschiede testwähler und den gesellschaftlichen Hinterzwischen Online-Wahlen zu Parlamenten und gründen der Wahlentscheidung. Im zweiten und in Vereinen oder Parteien untersucht. Der Sam- längeren Buchteil analysiert der Autor die Parmelbandes will die Diskussion über Online- lamentsarbeit der rechtsextremen Partei anhand Wahlen aus dem Schatten der Fachöffentlich- von Sitzungsprotokollen, Medienberichten sokeit herauslösen und einem breiten Publikum wie Expertengesprächen. Als Anti-Parteien-Parund Multiplikatoren zugänglich machen, tei gestartet, verlor die DVU alsbald ihre Kontunb zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA ren und rieb sich auf zwischen den Optionen von Protestpartei und konstruktiver Parlamentsm zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA opposition. Dies sei ein grundsätzliches Dilemma von Protestparteien, so Holtmann. Sein FaHOLTMANN, EVERHARD zit: Protestparteien unterliegen ,der Logik der Die angepassten Provokateure Selbstzerstörung'. Weder als Sprachrohr reinen Protests noch mit angepasster konventioneller Aufstieg und Niedergang der rechtsextreParlamentsarbeit könnten sich Protestparteien men D V U als Protestpartei im polarisierauf Dauer behaupten. Dennoch gehören sie zum ten Parteiensystem Sachsen-Anhalts bundesdeutschen Parteiensystem. Jüngstes BeiOpladen: Leske+Budrich 2002 spiel ist die Schill-Partei in Hamburg, nb In der Fallstudie Uber die DVU in Sachsenea Anhalt werden exemplarisch die Handlungsmuster einer Protestpartei im parlamentarischen Re- BUTTERWEGGE, CHRISTOPH gierungssystem untersucht. Holtmanns Analyse liegt die These zugrunde, dass Protestparteien Themen der Rechten mit ihrem Erfolg bereits den ,Keim des Nieder- Themen der Mitte gangs' in sich tragen. Denn der bloße Protestgestus tauge nichts für dauerhaften Zuspruch, da Zuwanderung, demografischer Wandel Wähler politische Taten sehen wollen. Dazu aber und Nationalbewusstsein müsse auch eine Protestpartei sich auf parlamen- Opladen: Leske+Budrich 2002 tarische Sacharbeit und Kooperation einlassen. Sie wird somit zum „angepassten Provokateur, War das Plädoyer für eine .deutsche Leitkultur' dernicht mehr kenntlich ist als Stachel imFleisch vom Ex-CDU-Fraktionsvorsitzenden Friedrich der Altparteien" (10). Bei den Landtagswahlen Merz eine Steilvorlage für die extreme Rechte? 1998 hatte die rechtsextreme DVU aus dem Oder hat dieser viel eher rechtsextreme Hetze Stand 13 Prozent der gültigen Wählerstimmen gegen eine multikulturelle Gesellschaft in mogeholt und zog mit 16 Abgeordneten in das derat verklausulierter Form aufgegriffen? Das Landesparlament ein. Nach dreieinhalbjähriger neunköpfige Autorenteam um Christoph Parlamentsarbeit trat die DVU nicht wieder an - Butterwegge untersucht anhand den Diskussiodie Begründung des Landesvorsitzenden: perso- nen in Wissenschaft und Medien zu Zuwandenelle sowie finanzielle Auszehrung. rung, Kultur, Nation und Volk, inwiefern die 157 bürgerliche Mitte sich den klassischen Themen von rechts außen öffnet. Umgekehrt wird vor diesem Hintergrund auch der Frage nachgegangen, inwiefern Rechtsextreme einen Konsens mit Verlautbarungen oder Kampagnen aus der etablierten Politik suchen. These des Sammelbandes: Es gibt immer mehr Überlappungen bzw. ideologische Schnittmengen zwischen den Themen der Rechten und denen der Mitte. Anhand folgender Debatten dokumentiert das vorliegende Buch dies: demographischer Wandel Stichwort ,Vergreisung oder Schrumpfung der deutschen Bevölkerung' - Anwerbung ausländischer Arbeiter - Stichwort ,Green Card' -, Reform des Staatsbürgerschaftsrechts - Stichwort .Doppelpass' - sowie der NationalstolzDebatte. Weitere Themen sind die Zuwanderung im Spiegel von Arbeitgeber- und Gewerkschaftspresse, der neue deutsche Opferdiskurs und die Rolle der Vertriebenenverbände. Der Sammelband ist aus einem von Butterwegge geleiteten Projektkurs zum Thema entstanden, nb Mehr Wahrheitssuche? (...) Mehr Demokratie? (...) Bessere Information? (...) Mehr Qualität? (...)." Prokop will „die historischen Interessenkonstellationen erforschen, die dafür verantwortlich sind, das es nicht mehr davon gibt (7)." Kritisch nennt Prokop sein Mediengeschichtsbuch, weil er die historischen Medienstrukturen sowie deren Existenz und Dauerhaftigkeit aus wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Interessenlagen erklären möchte. Ihn interessieren die Vorteile, die der Gesellschaft oder Teilen der Gesellschaft aus den entsprechenden Medienstrukturen erwachsen. Die Monographie beginnt mit der Antike, wo zwar noch nicht die Schrift, aber bereits öffentliche Bilder eine dominierende Rolle spielten. Anhand des Theaters bei den Griechen als erstem Massenmedium beschreibt Prokop die Entstehung der Kulturindustrie und den daraus resultierenden Medienkapitalismus im Mittelalter und dessen Entwicklung bis heute, dem Zeitalter von Multimedia, digitalem Femsehen, Internet, der RTL-Group, etc. nb ea ffi PROKOP, DIETER KRONAUER, MARTIN Der Kampf um die Medien Exklusion Das Geschichtsbuch der neuen kritischen Medienforschung Die Gefährdung des Sozialen im hoch entwickelten Kapitalismus Hamburg: VSA2001 Frankfurt a.M.: Campus 2002 Im Mittelpunkt von Prokops Geschichtsbuch steht das Interesse der Herrschenden an den Medien. Die Geschichte des Kampfes um die Medien ist einerseits die Geschichte vom Kampf um die Vorherrschaft der öffentlichen Wahrnehmung denn die Inszenierung von Macht braucht die Medien. Auf der anderen Seite ist sie aber auch eine Geschichte des Kampfes um Meinungsfreiheit und Emanzipation. Als Rechtfertigung für sein Geschichtsbuch schreibt Prokop: „Zurück zu gehen in die Geschichte hat den Sinn, zu überlegen, was anders hätte verlaufen können. Was ist Exklusion und was hat diese mit Demokratie zu tun? Der Begriff, am ehesten mit sozialer Ausgrenzung zu übersetzen, steht im Mittelpunkt von Kronauers Untersuchung. Ziel des Buches ist, „den Ausgrenzungsbegriff (...) zu schärfen, um ihn für weitere Analysen der Gegenwartsgesellschaften nutzen zu können" (7). Angesichts prekärer Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und Armut in Europa und den USA führe soziale Exklusion zur Herausbildung einer neuen städtischen Unterklasse (Underclass), die ausgeschlossen ist insbesondere von sozia- Literatur 158 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Forschunpsiournal NSB, Jp. 16, Heft 2, 2003 zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA len Rechten und informellen Netzwerken der Rechtsextremismus hat sich neu formiert, so die ,Mehrheitsgesellschaft'. Kronauer zieht histo- Hauptthese des Autors. Alte und starre Organisarisch begründet und theoretisch fundiert den tionsformen würden abgelöst von flexiblen AktiBogen vom gesellschaftlichen Umbruch der onsbündnissen, informell geplanten Projekten hoch entwickelten kapitalistischen Gesellschaf- und regionalen Neonazi-Kameradschaften. Der ten im 21. Jahrhundert hin zum Ausgrenzungs- Struktur nach sei der deutsche Rechtsextremisproblem sowie dessen Bedeutung für die Zu- mus mit den neuen sozialen Bewegungen gleichkunft der Demokratie, ihrem universalen Gel- zusetzen, so Pfeiffer. „Vernetzung mit allen tungsanspruch und ihren sozialen Grundlagen. technischen - Mitteln statt formaler Hierarchien Der Habilschrift liegt die These zu Grunde, das ist die Maxime. Die Ziele lauten: Gegenöffentes sich um „AusgrenzungzyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA in der Gesellschaft, lichkeit und kulturelle Hegemonie" (15). Pfeiffer als Gleichzeitigkeit des Drinnen und Draußen" analysiert anhand von neun Fallstudien die Me(Georg Simmel) handele (26). Exklusion und dienlandschaft von rechts außen. Dabei reicht Underclass führe zu neuen gesellschaftlichen deren Palette vom Flugblatt bis zur Homepage. Spaltungen. Kronauer unterteilt seine Analyse Nach einer genauen Positionsbestimmung und in vier Abschnitte: Im ersten setzt er sich mit den begrifflichen Differenzierung von RechtsextreBegriffen des gesellschaftlichen Umbruchs - mismus und der Darstellung der bestehenden Exklusion, Unterklasse -, und mit deren Ur- Rechtslage bzgl. Äußerungs- und Verbreitungssprüngen und Entwicklungen in Frankreich und delikten u.a in Computernetzen beschreibt und den USA, auseinander. Im zweiten Teil unter- vergleicht Pfeiffer das rechte Medien-Netzwerk sucht er nach einem historischen Rückblick das anhand der Kriterien Leserschaft, Anbieter, Ver,Neue' der Ausgrenzung durch Arbeitslosigkeit leger, Autoren, Nutzer, Vernetzungsleistung, Verund Armut am Übergang ins 21. Jahrhundert. Der breitung, Aufbau, Symbolische Integration und dritte Teil beschäftigt sich mit den theoretischen Professionalität. Er untersucht: den Sammelband Kontroversen um den Ausgrenzungsgedanken, .Deutschlands Rechte'; die rechtsintellektuelle u.a. mit den Problemen des dichotomischen Ex- Wöchenzeitung Junge Freiheit'; die Zeitschrift klusionsbegriffs und den Aporien des Exklusi- ,Nation&Europa', das älteste Organ des Rechtsonsbegriffs in der Systemtheorie. Der vierte Teil extremismus in Europa; die Gothic-Band, Weissschließlich analysiertdieAusgrenzungserfahrun- glut'; ,Nationale Infotelefone', die eine wichtige gen und gesellschaftliche Zugehörigkeit an Hand Rolle bei der Kommunikation der neonazistivon empirischen Ergebnissen, schen Szene spielen; ,Rocknord', das auflagennb stärkste deutsche Magazin für Skinhead-Musik; sowie die ,Zündelsite', die Vorbildcharakter für £Q zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA rechtsextreme Aktivisten hat. nb PFEIFFER, THOMAS Für Volk und Vaterland Das Mediennetz der Rechten Presse, Musik, Internet Berlin: AtV 2002 AKTUELLE BIBLIOGRAPHIE Altenhof, Ralf2003: Die Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestages. Wiesbaden: Westdeutscher. Was sind die Medien der neuen sozialen Bewegung von rechts? Welche Positionen, Strategien Auer, Karin 2002: Political Correctness. Ideolound Ziele werden in ihnen verfolgt? Der deutsche gischer Code, Feindbild und Stigmawort der 159 Rechten. 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Büro geht vor diesem Hintergrund auf die Motivlage der Demonstrationsteilnehmer ein. Er kommt zu dem Schluss, dass die Überführung dieses Mobilisierungserfolges in ein kontinuierliches Engagement von der Dauer des Konfliktes und der dabei vollzogenen Lernprozesse in lokalen .Werkstätten des Friedens' abhängt. Andreas Büro: Peace Movement in Protest, FJ NSB 2/2003, pp. 7-9 The analysis of the international peace movement was written before the war against iraq. Also in times of little mobilization the peace movement was kept alive by sensitive and concerned activists. In February 2003 when the war became likely it was possible to mobilize large parts of the population. Discussing the motivation of protesters Büro concludes that continuing engagement is dependent on the duration of the conflict and learning by local peace camps. Dieter Rucht: Die Friedensdemonstranten - Wer sind sie, wofür stehen sie? FJNSB 2/2003, S.10-13 Anlässlich der weltweiten Mobilisierung von Kriegsgegnern im Februar 2003 wurden in sieben europäischen Ländern und in den USA Befragungen von Friedensdemonstranten durchgeführt. Dieter Rucht präsentiert die Ergebnisse einer Fragebogenstudie, die am Rande der Friedensdemonstration in Berlin - mit 500.000 Teilnehmern das größte Anti-Kriegs-Protestereignis Deutschlands - stattfand. Die hochaktuellen Ergebnisse zeigen unter Anderem, dass die Mehrheit der Demonstranten aus jüngeren Bevölkerungsschichten mit vergleichsweise hoher Schulbildung entstammt, politisch engagiert ist, sich überwiegend dem linken politischen Spektrum zuordnen lässt und deutlich mehr Vertrauen in soziale Bewegungen und globalisierungskritische Organisationen setzt als in institutionalisierte politische Akteure. Dieter Rucht: Peace Protesters - Who are They, What do they Want? FJ NSB 2/2003, pp. 10-13 Düring the world wide protests to stop the war against Iraq, in seven countries surveys among activists were conducted. Dieter Rucht presents results from a questionnaire based study among protesters of the largest German peace rally in Berlin. The majority of the protesters is highly educated and young, politically active and oriented towards the left. They trust social movements and globalization critical organizations much more than established political actors. 163 Joachim Raschke: Bewegung, Reform, Protest - Blockaden und Veränderungen, FJNSB 2/2003, S. 14-23 In einem Festvorträg zum 15-jährigen Bestehen der Redaktion Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen untersucht Joachim Raschke Blockaden und Veränderungen linker Reformbewegungen und Proteste in der Bundesrepublik Deutschland. Entlang politischer Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zeigt er auf, dass die Studentenbewegung der 1960er Jahre und die daran anschließenden Neuen Sozialen Bewegungen (NSB) die Basis für die Wahlerfolge des rot-grünen Parteienbündnisses Ende der 1990er Jahre und im Herbst 2002bildeten. Die sozialen Bewegungen sind Ausgangspunkte für eine ökologisch-kulturelle sowie eine an sozialer Gerechtigkeit orientierte gesellschaftliche Mehrheit, welche den rot-grünen Wahlerfolg gegen eine ökonomische gesellschaftliche Mehrheit durchsetzen konnte. Anhand dieser aktuell vorliegenden Wählerschaften und Mehrheiten analysiert Raschke die Wirkungen der NSB. Als Motor dieser langfristigen Wirkungen politischen Engagements beschreibt der Autor die Dialektik von Konflikt und Transformation. Sowohl an der SPD seit Willy Brandt als auch an der Geschichte der Bewegungspartei Die Grünen weist Raschke politische Transformationsleistungen von Impulsen sozialer Bewegungen als wesentlichen Faktor späterer Wahlerfolge nach. Joachim Raschke: Movement, Reform, Protest - Blockades and Changes, FJNSB 2/2003, pp. 14-23 Düring the ceremony for the 15th anniversary of the Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen Joachim Raschke analyzes effects of the new social movements. The national electoral success of the red-green government 1998 and 2002 can be ascribed to the movements, which have been the basis for a majority oriented towards ecological goals and social justice. This part of the population was able to outnumber the economically oriented fraction. The movements have been the driving force for changes in the social democratic and the green party which were crucial for later electoral success. Ansgar Klein: Diskurspolitischer Interventionismus - Zum Selbstverständnis und Anspruch des Forschungsjournals Neue Soziale Bewegungen, FJ NSB 2/2003, S. 24-28 Zum 15-jährigen Jubiläum des Forschungsjournals Neue Soziale Bewegungen widmet sich der Herausgeber Ansgar Klein dem Selbstverständnis und dem Anspruch der Journalredaktion. Anhand von 5 Thesen zeigt er auf, wie sich die publizistische Arbeit des Forschungsjournals durch einen diskurspolitischen Interventionismus auszeichnet. Ansgar Klein: Discourse-Political Intervention - On the Goals of the Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, FJ NSB 3/2003, pp. 24-28 On the occasion of the 15th anniversary of the Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen the editor Ansgar Klein discusses the goals and selfdescription of the journal. At the core is the idea of political Intervention in the tradition of deliberative discourse politics. 164 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Abstracts Forschungsjournal NSB, Jg. 16, Heft 2, 2003 zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA Jürgen Kocka:zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Zivilgesellschaft in historischer Perspektive, FJ NSB 2/2003, pp. 29-37 Aus einer historischen Perspektive analysiert Jürgen Kocka den Zivilgesellschafts-Diskurs. Aufbauend auf seiner Untersuchung der Begriffsgeschichte schlägt er eine Definition von Zivilgesellschaft vor, welche drei Dimensionen berücksichtigt: einen spezifischen Typus sozialen Handelns, die Verortung zwischen den Sektoren Wirtschaft, Staat und Privatsphäre und die utopischen Züge des Begriffsverständnisses. Kocka analysiert das Verhältnis von Marktwirtschaft/Kapitalismus und Staat zu zivilgesellschaftlichen Strukturen. Sowohl marktwirtschaftliche Entwicklungen als auch Formen demokratischer Rechtsstaatlichkeit sind mit Zivilgesellschaft verbunden. Sie können sich wechselsaeitig jeweils fördern als auch behindern. In seiner historischen Analyse zivilgesellschaftlicher Akteure kann der Autor für Deutschland einefrüheAffinität zwischen der Kultur des Bürgertums und dem Zivilgesellschafts-Projekt nachweisen. Anfang des 20. Jahrhunderts schwächt sich diese Allianz jedoch zugunsten eines stärkeren zivilgesellschaftlichen Engagements qualifizierter und sozialdemokratisch geprägter Arbeiterschaft. Eine Analyse von Zivilgesellschaftsfähigkeit und Mechanismen zivilgesellschaftlichen Engagements zeigt, dass soziale Ungleichheit erschwerend wirkt und Vertrauen eine zentrale Ressource darstellt. Ebenso ergibt Kockas Untersuchung von Zivilgesellschaft und Nationalstaat, dass zwar transnationale Ansätze von Zivilgesellschaft erkennbar, wir jedoch noch weit von einer ,globalen Zivilgesellschaft' entfernt sind. Jürgen Kocka: Civil Society in Historical Perspective, FJ NSB 2/2003, pp. 29-37 The author analyzes the historical discourse on civil society and suggests a definition which combines three aspects: civil society denotes (1) a specific type of social action which is (2) located between the sectors economy, State, and privacy. Furthermore (3) it is an utopian concept. Jürgen Kocka discusses the relation between capitalism respectively State on the one hand and civil society on the other hand. Market development as well as democracy are related to civil society in a sense that they support or hinder each other. In Germany a long tradition of sympathy for the civil society project can be found among the bougeoisie. At the beginning of the 20th Century working class become more active in the civil society. Social inequality hinders the project of civil society and trust is a prerequisite. Transnational developments are only vague by now. Paul Nolte: Zivilgesellschaft und soziale Ungleichheit, FJ NSB 2/2003, S. 38-45 Die Auswirkungen sozialer Ungleichheit auf Zivilgesellschaft untersucht Paul Nolte. Er widerspricht der Auffassung, Zivilgesellschaften seien durch weitgehende Rechtsgleichheit und ausgeglichene ökonomische Privilegien gekennzeichnet. In seinem Beitrag beschreibt Nolte stattdessen das komplexe Verhältnis von Zivilgesellschaft und sozialer Ungleichheit. Er zeigt, dass soziale Ungleichheit sowohl positive, bedingende Wirkung für Zivilgesellschaft hat als auch ein nicht zu unterschätzendes Risikopotential beinhaltet. Dieses ambivalente Verhältnis zwischen Affinität und Spannung zeigt der Autor am Beispiel moderner westlicher Gesellschaften auf, in denen ,Gemeinsinn' und Sozialkapital ebenso wachsen wie soziale Ungleichheitsstrukturen. In seiner Interpretation sozialempirisch dominierter Studien zu sozialer Ungleichheit und sozialtheoretischer Forschung zu Zivilgesellschaft weist der Autor darauf hin, dass die Zivilgesellschaftsfähigkeit sozialer Akteure ganz wesentlich an ihre Position im Ungleichheitssystem gekoppelt ist. 165 Paul Nolte: Civil Society and Social Inequality, FJ NSB 2/2003, pp. 38-45 Civil societies are not characterized by juridical and economical equality. Social inequality has some positive effects on civil society but also puts the project at risk. This ambivilant relation can be found in modern societies where a spirit of Community developed hand in hand with increasing inequality. The potentiality of actors to become a part of civil society is related to their social Position. Detlef Pollack: Zivilgesellschaft und Staat in der Demokratie, FJ NSB, 2/2003, S. 46-58 In seiner Analyse von Zivilgesellschaft und Staat in der Demokratie versucht Detlef Pollack einen nicht-normativen Zugang zum Thema zu präsentieren. In seiner Analyse des in den meisten Zivilgesellschaftskonzepten als problematisch angelegten Verhältnisses von Staat und Zivilgesellschaft kommt der Autor zu dem Schluss, dass die Vertreter normativ geprägter Zivilgesellschaftskonzeptionen ihren staatskritisches Ansatz nicht aufgeben, obwohl - wie er konstatiert - ihre Entwürfe den normativen Impetus und den systemtheoretischen Biss bereits weitgehend verloren haben. Pollack plädiert vor diesem Hintergrund für ein nicht-normatives Konzept von Zivilgesellschaft, das prinizipiell pluralistisch angelegt ist und in dem die Differenz und die Auseinandersetzung prägender sind als Harmonie oder Konsens. Um die ,dunklen Seiten' der Zivilgesellschaft zu berücksichtigen, kennzeichnet er gleichwohl Toleranz und ein inklusives Demokratieverständnis als Bestimmungsmerkmale von Zivilgesellschaft. Er untersucht die (weitgehend positiven) Auswirkungen der Zivilgesellschaft auf die input- und output-Funktionen des politischen Systems und unterscheidet im Weiteren zwischen einer politischen und vorpolitischen Dimension der Zivilgesellschaft. Detlef Pollack: Civil Society and State in Democracy, FJ NSB, 2/2003, pp. 46-58 Detlef Pollack presents an approach to civil society which avoids normative connotations. Most normative concepts include implicitly a critical assessment of the State, though the criticism has declined in sharpness. According to the author civil society should by a plural concept which highlights difference and conflict over consent and harmony. To include the 'dark side' of civil society he wants to consider also tollerance and democracy as constitutive. Civil society is by and large supportive for the input- and output-function of the political System. Roland Roth: Die dunklen Seiten der Zivilgesellschaft, FJ NSB, 2/2003, S. 59-73 Die Schattenseiten von realen Zivilgesellschaften im Hinblick auf demokratische Prozesse untersucht Roland Roth. Er geht davon aus, dass demokratieförderliche Wirkungen der Zivilgesellschaft erst dann angemessen erfasst werden können, wenn auch die gegenläufigen antidemokratischen und unzivilen Tendenzen innerhalb ,realer Zivilgesellschaften' ernsthaft berücksichtigt werden. Roth zeigt auf, dass die Existenz von Gruppierungen einer ,bad civil society' analytisch nur unzureichend berücksichtigt werden. Je korporatistischer die Einbindung zivilgesellschaftlicher Organisationen ausfällt, desto weniger dürften sie den Idealen autonomer, selbst- Forschungsjournal NSB, Jp. 16, Heft 2, 2003 zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Abstracts 166 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA 167 Helmut Anheier/Nuno Themundo/Matthias Freise: Transnationale Zivilgesellschaft und organisierter und freiwilliger Assoziation entsprechen und demokratische Lernorte anbieten. Als Organisationsentwicklung, FJ NSB 2/2003, S. 87-96 Gefahren an den Grenzen von Zivilgesellschaft zu den Sektoren Markt und Staat diskutiertzyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA der Helmut Anheier, Nuno Themundo und Matthias Freise widmen sich in ihrem Beitrag OrganisatiAutor die Problematik zunehmender Korruption und von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. onen, die sie der ,transnationalen' Zivilgesellschaft zuordnen. Die Autoren untersuchen hierbei Seine Analyse macht deutlich, dass die Demokratisierung liberaler Demokratien neue institutioinsbesondere die Infrastruktur und die Organisationsentwicklung in internationalen Nichtregienelle Formen benötigt und sich nicht in der Anrufung der Zivilgesellschaft erschöpfen darf. rungsorganisationen (INGOs) und Netzwerken. Die organisatorische Dynamik der transnationalen Zivilgesellschaft sehen sie dabei geprägt durch eine Vielzahl von Faktoren in einer hochdynaRoland Roth: The Dark Side of Civil Society, FJ NSB, 2/2003, pp. 59-73 mischen und komplexen Umwelt. Die Notwendigkeit, umweltangemessene OrganisationsstrukThe assessment of civil societies in respect to democracy needs a look at the supportive but also turen zu entwickeln, führt zu teilweise widersprüchlichen und gegenläufigen Trends: INGOs the obstructive aspects. Groups of a 'bad civil socitey' are only seldom included in the research werden sich gleichzeitig ähnlicher und unähnlicher, sie werden in sehr unterschiedlichem Maße agenda. Also, the more corporatist the established structure the less civil society actors comply with von der Globalisierung geprägt und entwickeln innovative und hybride Organisationsformen. Die the expectations of autonomous, voluntary organizations. At the borders of civil society on the one Autoren zeigen in ihrer Studie, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Erscheinungsformen und die hand and market respectively State on the other hand racism and corruption are serious problems. Ungleichzeitigkeit organisationaler Entwicklungen die Infrastruktur der transnationalen ZivilgeThe democratization of liberal democracies needs new institutional structures. A call for civil sellschaft prägen. society is insufficient. Annette Zimmer: Rahmenbedingungen der Zivilgesellschaft, FJ NSB 2/2003, S. 74-86 Annette Zimmer plädiert in ihrem Beitrag für ein Zurückholen des Staates in die Zivilgesellschaftsdebatte. Sie skizziert ein Verständnis von Zivilgesellschaft als normativem, zukunftsgerichtetem Gegenentwurf zu herrschenden Verhältnissen, die insbesondere durch einen starken Legitimitätsverlust des Staates gekennzeichnet sind. Die Akteure dieser Zivilgesellschaft werden mithilfe der Verbindung demokratietheoretisch-normativen Konzeptes von Zivilgesellschaft und des empirisch-organisationssoziologischen Ansatzes des .Dritten Sektors' analysiert. Diese Akteure und ihre zivilgesellschaftlichen Aktivitäten lassen sich - so Zimmer - nicht angemessen untersuchen, wenn man die institutionellen Rahmenbedingungen nicht berücksichtigt. Die Autorin präsentiert eine Typologie zivilgesellschaftlicher Organisationen und beschreibt deren Strukturmerkmale und Handlungslogik sowie ihr Verhältnis zu staatlichen Aufgaben, Institutionen und Strukturen. Insbesondere weist sie auf die Rolle der zivilgesellschaftlichen Akteure als Garanten wohlfahrtsstaatlicher Effizienz, als Beschaffer demokratischer Authentizität sowie als Instanzen sozialer Integration hin. Sie kommt zu dem Schluss, dass eine realistische Zivilgesellschaftsdebatte die staatlichen Rahmenbedingungen für zivilgesellschaftliches Handeln stärker berücksichtigen muss. Annette Zimmer: Structural Conditions for Civil Society, FJ NSB 2/2003, pp. 74-86 The debate on civil society has paid too little attention to the State. Civil Society should be a normative utopian alternative to the current Situation in which legitimacy of the State is eroding. This concept should be based on theory of democracy and on the organisational sociology of the third sector. Research has to take structural conditions into account. Therefore Annette Zimmer presents a typology of civil society organizations which classifies them according to structural aspects, their relation to the State. The most important tasks of civil society actors are guarantor of welfare efficiency, democratic authenticity, and social integration. Helmut Anheier/Nuno Themundo/Matthias Freise: Transnational Civil Society and Organizational Development, FJ NSB 2/2003, pp. 87-96 The article presents information on infrastructure and organizational development of international non governmental organizations (INGOs) and networks. The organizational dynamic is driven by multiple factors in a highly dynamic and complex environment. This results in contradictory organizational changes. The scene is marked by various organizational types. Ludwig Pott: Die Enquete-Kommission als soziales System, FJ NSB 2/2003, S. 97-106 Die Frage, was die Enquetekommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements" mit der Zivilgesellschaft zu tun hat, untersucht Ludwig Pott in seinem Beitrag. In seiner Analyse des Systems Enquete-Kommission stellt er fest, dass es wie in anderen sozialen Systemen hier neben den Inhalten ebenso um Statusunterschiede, um die Verteilung von Rollen, um Macht und Ohnmacht, um Attraktivität und Autorität, um Führung und Gefolgschaft, um Mechanismen der Entscheidungsfindung, um vorgegebene und sich herausbildende Normen sowie um entsprechende Sanktionen geht. Er erläutert Thema, Funktion und Arbeits weise der Kommission und analysiert interne Rituale, Beziehungsmuster, mikropolitische Machtverhältnisse sowie Normen und Tabus der Arbeit. Pott kommt zu dem Ergebnis, dass Konzepte der Bürgergesellschaft nicht auf dem Reissbrett von Parlamentariern und Sachverständigen erfunden werden können. Er zeigt auf, wie das Ergebnis der Enquete-Kommission durch soziale Mechanismen beeinflusst und beschränkt ist. Ludwig Pott: The Enquete-Commission as Social System, FJ NSB 2/2003, pp. 97-106 Ludwig Pott revues the work of the enquete commission "Future of civil volunteering" which was established by the German Bundestag and now presents its results. The commission was not only structured around its task. As in other social contexts also role definitions, power differences, opinion leadership, and authority were decisive for decision making. The author describes the commission's task, function, and way of working and analyzes rituals, micropolitics, norms, and taboos. It becomes clear that concepts of civil society cannot be designedfromthe Scratch. Forschunpsiournal NSB, Jg. 16, Heft 2, 2003 zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYWVUTSRPONMLKJIHGFEDCBA 168 zywvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRPONMLKJIHFEDCBA Europäisierung nationaler Migrationspoiitik Eine Studie zur Veränderung von Regieren in Europa Michael Opielka:zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA Bürgergesellschaft und Sozialpolitik. Entscheidungspfade grüner Sozialpolitik, FJ NSB 2/2003, S. 107-114 Michael Opielka untersucht die Bezugnahme auf Grundlagen der ,Bürgergesellschaft' in der grünen Sozialpolitik. Er antwortet damit auf einen provokativen Beitrag des Sozialpolitikwissenschaftlers Frank Nullmeier im Forschungsjournal NSB (1/2003) in dem dieser das Konzept Bürger-/Zivilgesellschaft grundlegend kritisiert. Nullmeier fordert eine subjektive Freiheit und individuelle Differenz anerkennende sozialpolitische Theorie, die soziale Ungleichheit als Gegebenheit akzeptiert und nicht normativ deren Überwindung fordert. Nullmeier kritisiert einen bürgergesellschaftlichen Mangel an Selbststeuerungsmechanismen und entsprechenden Interaktionsmedien, über die Systeme Markt und Staat verfügen. Er schlussfolgert, dass die Bürgergesellschaft im Hinblick auf Sozialpolitik lediglich eine untergeordnete Rolle spiele. Opielka kritisiert diese Analyse als einseitig und unzutreffend und weist am Beispiel der Arbeitslosigkeit die negativen Auswirkungen dieses Verständnisses auf bündnisgrüne sozialpolitische Vorstellungen auf. Der Autor benennt die fehlende Akteursperspektive und die zunehmende Markt(system)rationalität der grünen sozialpolitischen Konzeption als Hauptursachen für deren aktuelle Bedeutungslosigkeit. Im Gegensatz zu Nullmeier kommt Opielka zu dem Schluss, dass nur die Bürgergesellschaft gegen einen .aktivierenden Sozialstaat' helfen kann, der auf wirtschaftsliberalen und etatistischen Grundlagen aufbaut. von Verönica Tomei 2001. 228 S. kt. € 24,90 / sFr 43,60. ISBN 3-8282-0156-3 (Forum Migration Band 6) Zu den Herausforderungen des 21. Jhts. gehören auch die internationalen Wanderungsbewegungen. Die Staaten der Europäischen Union sind zu einer der größten Einwanderungsregionen der Welt geworden, wobei die Bundesrepublik Deutschland als das bedeutendste Aufnahmeland hervorsticht. Die Studie untersucht die Strategien, die diese Staaten im Umgang mit internationalen Wanderungsbewegungen entwickeln. Es wird der Frage nachgegangen, wie sich die Bedingungen nationaler Politik durch eine multilaterale Kooperation im Politikfeld Migration verändern. Aus • • • utsonmlhedaJICA dem Inhalt: Ausgangslage: Motive und Bedingungen der Kooperation im Politikfeld Migration Europäisierung des Politikfeldes Migration Europäisierung nationaler Migrationspolitik zwischen Demokraüeerfordernissen und migrationspolitischen Herausforderungen The Integration of Immigrants in European Societies National differences and Trends of Convergence Friedrich Heckmann / Dominique Schnapper (eds.) Michael Opielka: Civil Society and Social policy. Green Social Policy at a Corssroads, FJ NSB 2/2003, pp. 107-114 2003. 261 S., kt. € 32,- / sFr 56,- (ISBN 3-8282-0181-4) In the last issue of the Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen (1/2003) Frank Nullmeier European societies have become Immigration countries. The Illusion of temporary irnmigracritized the concept of civil society. Michael Opielka answers on this article by analyzing green tion has disappeared, new groups of people have to be integrated. What policies of integrasocial policy. Opielka rejects the Suggestion to accept economic inequality as reality and the focus tion are being implemented in Europe? of social policy on seif engagement. To him such a perspective is the reason why green social policy Reseatchers from eight different European countries write about the mode of integration in is currently insignificant. The acceptance of market rationality and the lack of an actor perspective their respective nations. Is there a national mode of integration that could serve as a model is higly problematic. Civil society is the only balancing actor against a policy which is based on for other countries or the European Union? The book offers an answer to this important economically liberalism and State centered. zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA question. Contents Friedrich Heckmann/Dominique Schnapper: French Immigration and Integration Policy. A Complex Combination Dominique Schnapper/Pascale Krief/Emmanuel Peignard: From Ethnic Nation to Universalistic Immigrant Integration: Germany Friedrich Heckmann: Integration Policy in Great Britain John Rex: Immigration and Integration of Immigrants and their Descendants: The Swedish Approach I I If I I IQ LUCIUS Charles Westin/Elena Dingu-Kvrklund: Integration without Immigrant Policy: the Case of Switzerland Hans Mahnig/Andreas Wimmer Integration Policies Towards Immigrants and their Descendants in the Netherlands Jeroen Doomernik Towards the Development of an Integration Policy in Finland Eve Kyntäjä: Towards an Analysis of Spanish Integration Policy Rosa Aparicio/Andres Tornos: Conclusion ® * * "