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! CLEEBRONN, KREIS HEILBRONN Das frühmittelalterliche Gräberfeld zum abgegangenen Dorf Niederramsbach bei Cleebronn Während der archäologischen Rettungsgrabungen im Industriegebiet „Langwiesen IV“ auf Gemarkung Cleebronn (vgl. die Beiträge S. 70 ff. und S. 118 ff.) wurde ganz im Westen im Gewann „Rahnspacher Straße“ ein frühmittelalterlicher Bestattungsplatz erfasst. Mit insgesamt 80 Bestattungen in 73 Gräbern konnte dieser durch die Firma ArchaeoConnect vollständig ergraben werden (Abb. 165). Zur Anlage des Friedhofs war bewusst ein Gebiet mit Keuperfließerden gegenüber den üblicherweise vorherrschenden Löss- DAS FRÜHMITTELALTERLICHE GRÄBERFELD ZUM ABGEGANGENEN DORF NIEDERRAMSBACH BEI CLEEBRONN 223 165 " Cleebronn, Rahnspacher Straße. Gesamtplan des Gräberfeldes mit Markierung verschiedener Bestattungsweisen. 166 # Cleebronn, Rahnspacher Straße. Steinkistengrab 6. Bestattung eines Mannes mit Spatha, Gürtelschließe, Sporn und Knochenkamm. 224 FRÜHMITTELALTER sedimenten ausgewählt worden. Der weniger ertragreiche, steinige Boden bedingte jedoch eine sehr wechselhafte Knochenerhaltung. Sofern 14C-Proben genommen werden konnten, liegen die Altersbestimmungen noch nicht vor. Eine zeitliche Einordnung ist dennoch möglich, wenn auch viele Bestattungen ohne Beigaben niedergelegt wurden und andere alt beraubt waren. Funde und verschiedene Befundmerkmale sprechen für eine vergleichsweise kurze Belegungsdauer zwischen dem Beginn des 7. und dem Übergang zum 8. Jahrhundert. Der Übersichtsplan zeigt das Bild einer in Auflösung begriffenen Reihengräberstruktur. Wie viel Aufwand für ein Grab? Alle Toten waren in West-Ost-Richtung in gestreckter Rückenlage beigesetzt. Eine große Vielfalt zeichnete sich demgegenüber im Grabbau ab. Besonders fallen zwei Steinplatten- und zehn Steinkistengräber aus Handquadern auf, die sämtlich trocken gemauert waren (Abb. 166). Inschriftfragmente und weitere Spolien belegen den römischen Ursprung der Bausteine, die wohl überwiegend in einem nahebei gelegenen römischen Grabbezirk aus einem monumentalen Grabbau gewonnen worden waren (Abb. 167). Einmal sind drei Steinkisten unmittelbar aneinander gebaut worden (Gräber 5, 12, 26), was einen verwandtschaftlichen Bezug der Bestatteten nahelegt, zumal sich darunter ein Kindergrab befand. Zwei Individuen wurden in geräumigen Holzkammern beigesetzt. In dem überwiegenden Teil der Gräber fand sich hingegen lediglich ein schlichter Holzsarg oder es wurde auch auf ein solches Behältnis verzichtet. Gerade die letzteren, in der Regel beigabenlosen Gräber waren häufig nur flach eingetieft. Durch ihre Lage unmittelbar unter dem Pflughorizont waren sie oft stark gestört, sodass davon auszugehen ist, dass ehedem wohl noch deutlich mehr Gräber vorhanden waren. Nachbestattungen kommen bei einfachen Erdgräbern ebenso wie bei Steinkisten vor. In einem Grab (Grab 70–71) lagen zwei ungestörte Individuen ohne trennende Erdschicht unmittelbar übereinander, sodass man von einer gleichzeitigen Niederlegung ausgehen muss. Nach der vorläufigen anthropologischen Bestimmung handelte es sich um eine erwachsene Frau, die über einem erwachsenen Mann bestattet wurde. Noch einige weitere enge paarweise Zuordnungen von Männer- und Frauengräbern fallen bei Betrachtung des Friedhofsplans ins Auge. 167 $ Cleebronn, Rahnspacher Straße. Fragment eines römischen Reliefs, das sekundär in dem Steinkistengrab 26 verbaut war. Spuren des Reichtums Die Qualität mancher Beigaben in den nicht oder nicht vollständig beraubten Bestattungen spiegelt, ebenso wie der hohe Aufwand DAS FRÜHMITTELALTERLICHE GRÄBERFELD ZUM ABGEGANGENEN DORF NIEDERRAMSBACH BEI CLEEBRONN 225 168 $ Cleebronn, Rahnspacher Straße. Ohrringe aus Frauengräbern des merowingerzeitlichen Gräberfelds. 169 # Cleebronn, Rahnspacher Straße. Scheibenfibel aus Eisen und Bronze, die mit Silber- und Messingfäden tauschiert ist. Dm. ca. 7 cm. 226 FRÜHMITTELALTER für die Errichtung von Steinkisten- und Steinplattengräbern, die Herausbildung des Adels im alamannischen Gebiet während des 7. Jahrhunderts wider. Die Waffenausstattungen der Männer oder der Schmuck der Frauen zeugen von großer handwerklicher Güte und damit verbundenem Wohlstand und Prestige der Verstorbenen. Es kann somit nicht überraschen, dass diese Dinge schon bald nach der Beisetzung Begehrlichkeiten unter den Lebenden weckten, bevor die Beigabensitte unter dem fortdauernden Einfluss der Christianisierung im frühen 8. Jahrhundert allmählich erlosch. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang ein goldener Bommelohrring, der in dem eher unauffälligen Frauengrab 3 verblieben war und an das Ende des 7. bzw. den Übergang zum 8. Jahrhundert datiert werden muss. Aus Grab 78 stammt ein Ohrringpaar aus Silberdraht mit Amethystanhängern (Abb. 168). Auch eine mehrfarbig tauschierte eiserne Scheibenfibel aus Grab 55 sticht heraus (Abb. 169). Aufwendig ist eine mehrteilige, im Tierstil verzierte Gürtelgarnitur aus Kupferlegierung gearbeitet, die in Grab 30 gefunden wurde und die in die Mitte des 7. Jahrhunderts einzuordnen ist. Obgleich Knochen und weitere Beigaben des erwachsenen Mannes durch Grabraub sehr in Unordnung geraten waren, der Tote gar auf den Bauch gedreht wurde, fanden sich noch Sax, Spatha, Messer, Lanzenspitze, weitere Beschlagteile sowie eiserne Schnallen. Unter den weiteren Funden war noch manches Kuriosum. Acht Silices, darunter eine gestielte Pfeilspitze, die ein Mann zusammen mit einem Feuerschläger aus Eisen in seiner Gürteltasche trug (Grab 58), gehören sicher dazu. Zu den Beigaben der besonderen Art zählt auch ein Hund, der über den Beinen eines auffällig großen Mannes niedergelegt worden war (Grab 65). her waren aus der Anfangszeit von Niederramsbach lediglich 14 frühmittelalterliche Bestattungen bekannt, die sich rund 200 m östlich des Dorfs innerhalb des bereits genannten, ursprünglich römischen Grabbezirks befanden. Später, nach Aufgabe der beiden externen Gräberfelder, wurde im Ort um eine kleine, dem Heiligen Dionys geweihte Kirche bestattet, deren Lage ebenfalls bekannt ist (Abb. 170). Inwiefern bereits ältermerowingerzeitliche Siedlungsspuren in der Umgebung vorhanden waren, bedarf ebenso noch der Klärung wie auch der Bezug zu einem römischen Fernhandelsweg und weiteren römischen Siedlung – Gräberfelder – Kirche Das Gräberfeld, das nach derzeitigem Kenntnisstand ab dem 7. Jahrhundert belegt wurde, fällt in eine Phase der Binnenkolonisation im alamannischen Raum. Es kann kaum Zweifel bestehen, dass es mit der Gründung von Niederramsbach, einer etwa 300 m östlich gelegenen spätmittelalterlichen Wüstung, in Verbindung steht. Diese Siedlung wurde in mehreren Kampagnen zwischen 2001 und 2015 bereits zu großen Teilen erforscht und ist nach Ausweis der ältesten Funde und Befunde der späten Merowingerund frühen Karolingerzeit zuzuordnen. Bis- 170 # Cleebronn. Das Dorf Niederramsbach und sein Umfeld. Vereinfachte Darstellung der aus den Grabungskampagnen gewonnenen mittelalterlichen Befundensembles. Cleebronn, Industriegebiet Langwiesen Fürtlesbach Zaber Dorf Niederramsbach römischer Grabbezirk Kirche St. Dionys Grabungsflächen 2001-2019 Gräber frühes Mittelalter Vorgeschichtliche Befunde Röm erw eg Vorgeschichtliche Befunde Vorgeschichtliche Befunde DAS FRÜHMITTELALTERLICHE GRÄBERFELD ZUM ABGEGANGENEN DORF NIEDERRAMSBACH BEI CLEEBRONN 227 Überresten in der näheren Umgebung. Beachtenswert sind noch zwei spätmerowingerzeitliche Einzelgräber (Abb. 165), die in 62 m bzw. 110 m Entfernung vom Gräberfeld und voneinander isoliert lagen. Die Erdgräber wiesen keine Besonderheiten auf und standen nicht als Hofgrablegen mit zeitgleichen Siedlungsspuren in Zusammenhang. Die Untersuchung des Jahres 2019 schließt somit eine Lücke in der in einmaliger Quellendichte überlieferten mittelalterlichen Besiedlungsgeschichte der Gemarkung Cleebronn und des Zabergäus insgesamt. Zugleich unterstreicht sie das hohe Potenzial des Ensembles für landschaftsarchäologische Studien zwischen Römerzeit und spätem Mittelalter. 228 FRÜHMITTELALTER Bei der Winzergenossenschaft CleebronnGüglingen und dem Bauhof der Stadt Güglingen möchten wir uns für logistische Unterstützung bedanken. Der Layher GmbH und Messmer Consult danken wir für die stets gute Zusammenarbeit. Hauke Kenzler, Andrea Neth LITERATURHINWEISE A. Neth/B. Duchniewski, Niederramsbach – eine ländliche Siedlung des frühen bis späten Mittelalters bei Cleebronn. Arch. Ausgr. Baden-Württemberg 2015, 224–228 (mit älterer Lit.); I. Stork, Als Persönlichkeit ins Jenseits. Bestattungssitte und Grabraub als Kontrast. In: Die Alamannen. Ausstellungskat. Stuttgart 1997 (Stuttgart 1997) 418–432; M. Knaut, Die Alamannen. In: Die Franken. Wegbereiter Europas. Ausstellungskat. Mannheim 1996 (Mainz 1996) 298–307.