Die Frohe Botschaft aus der Kloake
Religiöse Funde aus Bremen
Dieter Bischop
In der Bremer Altstadt war bis zur frühen Neuzeit das Martiniviertel durch
die Weser und den rechten Flussarm, die Balge, gleich einer Insel vom
restlichen Stadtgebiet abgetrennt. Primär vom dortigen Südrand beziehungsweise den Auffüllschichten am Weserufer des spätmittelalterlichen
Schlachtehafens an der Weser stammen Fundobjekte, die schlaglichtartig
die Religiösität der mittelalterlichen Bremer Stadtbürger beleuchten.
Als bedeutendstes und umfangreichstes Zeugnis der privaten Frömmigkeit sind die generell seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts
nachzuweisenden Pilgerzeichen aus Blei beziehungsweise einer Blei-ZinnLegierung zu nennen. Sie waren als Nachweis einer vollzogenen Wallfahrt
am Pilgerort gekauft und nach Hause mitgebracht worden.1 Die kleinen
Plaketten dienten zu Hause als Zeichen für die erfolgte Wallfahrt, sollten
aber auch mit den übrigen Ausstattungsstücken ein Schutzmittel auf dem
Heimweg sein.2 Die meist in Schiefer- oder anderen Steinformen gegossenen Zeichen wurden mittels seitlicher Ösen auf der Kleidung befestigt.
Geweihtes und somit ebenfalls als Schutz dienendes Wasser konnte auch
in Pilgerflaschen aus Ton mitgeführt worden sein.
Durch das Tragen der Pilgerzeichen war der Wallfahrer als solcher
zu erkennen. Er genoss einen besonderen Schutz und hatte prinzipiell
Anrecht auf die Werke der Barmherzigkeit, wie Beherbergung, Speise und
Trank, egal, ob er sich auf einer Bußwallfahrt befand oder testamentarisch
der Besuch eines entsprechenden Wallfahrtortes verfügt worden war oder
um einen Ablass zu erwerben.3
In Bremen kamen allein zwischen 1908 und 1947 bei Baggerarbeiten
am Weserufer über 74 Pilgerzeichen zu Tage. Bremen wies somit lange
Zeit eine der größten Sammlungen Deutschlands auf; die meisten Stücke
befinden sich heute im Bremer Focke-Museum.4 Die ältesten, meist im
Gitterguss aus einer Blei-Zinn-Legierung gegossenen Bremer Zeichen aus
dem 13. Jahrhundert stammen aus dem Rhein-Maas-Raum, aus Orten wie
Aachen, Köln, Trier und Maastricht (Abb. 2).5
Aus Aachen stammen nicht nur ein den thronenden Karl den Großen
darstellendes, gegossenes Pilgerzeichen aus einer Balgeverfüllung nahe
der Bremer Schlachte,6 sondern auch mehrere Bruchstücke von sogenannten tönernen Aachhörnern. Eines liegt als Streufund ebenfalls von
der Schlachte vor.7 Je ein weiteres Fragment wurde in der Baugrube am
Atlantic Hotel am Bredenplatz und eines bei der Grabung „Radio Bremen“
im Stephaniviertel gefunden. Die von Pilgern bei der im siebenjährigen
Turnus stattfindenden Großen Heiltumsschau geblasenen, tönernen Hörner wurden häufig mit nach Hause gebracht und hier als Erinnerungsstücke aufbewahrt. Die Hörner treten ansonsten fast ausschließlich im
Bereich westlich der Weser auf.8
Nur die der heiligen Ursula zuzuweisenden Pilgerzeichen aus Köln
mögen bereits aus dem 13. Jahrhundert stammen, die vier weiteren in
Bremen gefundenen Kölner Plaketten der dort seit 1167 bis heute verehrten Heiligen Drei Könige stammen bereits aus dem Spätmittelalter.
Früh, das heißt ebenfalls noch im 13. Jahrhundert, führten die Fernwallfahrten der Bremer über den Rhein-Maas-Raum weiter in den Westen
hinaus, wie ins nordspanische Santiago de Compostela oder vielleicht
auch nach Saint-Josse-sur-Mer.9
Kammmuscheln als Wallfahrtszeichen sind seit dem 11. Jahrhundert typisch für den Ort Santiago de Compostela, in dem der hl. Apostel
Jakobus verehrt wird.10 Das Jakobusgrab in Santiago wurde zum bedeu-
1 Wittstock 1998, 87.
2 Schmauder 1991, 74.
3 Wittstock 1998, 87.
4 Wittstock 1998, 89.
5 Wittstock 1998, 94–97.
6 Rech 2004, 309, Abb. 318.
7 Rech 2004, 309, Abb. 319.
8 Haasis-Berner 1994, 26, Abb. 2.
9 Rech 2004, 310; Wittstock 1998, 104.
10 Thier 1993, 331 ff.
51
Abb. 1: Fundstellen der Bremer Devotionalien.
tendsten Ziel europäischer Wallfahrer überhaupt und die Pilgerzüge erreichten bereits im 11. und 12. Jahrhundert ihren Höhepunkt und ein
Pilgerstraßennetz mit weiteren Wallfahrtsorten erstreckte sich über ganz
Europa. In zahlreichen Städten, wie in Bremen, Lübeck, Hamburg und
Lüneburg, bildeten sich Jakobusbruderschaften, die die Wallfahrt der
Mitglieder wie auch die Versorgung durchreisender Pilger organisier ten.11
Jakobsmuscheln
11 Für Bremen vgl. Schwarzwälder 2002, 356–358. Vgl.
allgemein zu den Jakobspilgern aus dem Hanseraum:
Favreau-Lilie 1999.
12 Köster 1984, 210.
13 Rech 2004, 307 f.
14 Bischop 2008a, Abb. 19:13.
15 Zu den Grabfunden vgl. Haasis-Berner 1995.
16 Lindhorst 1990.
17 Rech 2004, 308.
52
Bereits seit der Frühzeit der Wallfahrten wurden die in einiger Entfernung
von Santiago an der Atlantikküste gefundenen Kammuscheln (Pecten
jacobaeus) als Andenken und Nachweis der Anwesenheit in Santiago
mitgenommen. Ab dem 12. Jahrhundert sind dort Händler nachweisbar,
die den Pilgern die Muscheln zum Kauf anboten.12 Als Erkennungszeichen
am Mantel, am Hutband des Pilgerhuts oder am Gürtel getragen, sollte sie
auch später noch an den Besuch des Grabs des heiligen Jakobus erinnern.
In Bremen wurden Fragmente von mehreren echten Jakobsmuscheln in spätmittelalterlichen Aufschüttungen der nördlichen und südlichen Uferseite des Teerhofs geborgen.13 An diesen Muscheln ist jedoch
nur in einem Fall eine Durchbohrung zum Befestigen an der Pilgerkleidung
nachgewiesen. Der Rest einer weiteren Jakobsmuschel wurde 2003 im
Fundzusammenhang mit einem 1274/75 erbauten Bohlenweg unter der
Böttcherstraße entdeckt.14 Ein anderes Jakobsmuschelbruchstück lag
in spätmittelalterlichem, durch Grabschächte gestörtem Fundgut, das
2010 auf dem Liebfrauenkirchhof geborgen werden konnte. Auch wenn
es keinem bestimmten Grab zugeordnet werden kann, so dürfte es sich
hierbei um den ersten Fund einer Pilgermuschel handeln, die ursprünglich
einem Bremer Pilgergrab zuzuweisen ist.15 Die Tatsache, dass ansonsten
aus Bremen, anders als zum Beispiel in Osnabrück, wo außerhalb der
Marienkirche im Grab eines Pilgers im Hüftbereich eine Muschel lag, die
vermutlich früher auf einer Tasche aufgenäht war,16 keine durch den Beifund einer Jakobsmuschel als Pilgergrab identifizierte Bestattung vorliegt,
ist nur durch die fehlende Erforschung der mittelalterlichen Friedhöfe
der Hansestadt erklärbar.17 Denn sicher ließen sich auch einige Bremer
Jakobspilger, denen die zur Schau gestellte Muschel nach der Rückkehr
in die Heimatstadt ein beachtliches Ansehen unter ihren Mitbürgern
sicherte, die Pilgermuschel ins Grab legen.
Durch die großen Massenwallfahrten etablierte sich die Muschel
seit dem späten 13. Jahrhundert zum allgemeinen Pilgerattribut, das sich
nicht mehr allein auf Santiago bezog und zum Synonym der christlichen
Wallfahrt schlechthin wurde.18
So wurden auch andere Devotionalien wie zum Beispiel Rosenkränze
mit dem Muschelemblem versehen. Ein kleiner Beschlag in Muschelform
und die Miniaturdarstellung einer Jakobsmuschel des 13. Jahrhunderts
aus einer Blei-Zinn-Legierung, die auf der Schauseite ein von einer Rundmauer geschütztes Liebespaar zeigt, fanden sich ebenfalls im Bereich der
kleinen Weser, an der Süduferseite des Teerhofs.
Unweit davon wurde 1978 eine große Perle aus Gagat aufgelesen, die
umlaufend drei Jakobsmuscheln zeigt. Diese Perle mag eine Pater-NosterPerle gewesen sein und zu einem Rosenkranz gehört haben, der je abwechselnd schwarze und weiße Gesätze aufwies. Ein Rosenkranz besteht
aus 15 Gesätzen mit je einem Vaterunser und zehn Ave Maria.19 Der Rosenkranz kam im norddeutschen Raum am Ende des 14. Jahrhunderts auf
und fand im späten 15. Jahrhundert durch die Dominikaner eine enorme
Verbreitung. Er beruht auf einer Marienminne des 13. Jahrhunderts. Nach
ihr nahm die Gottesmutter einem Mönch die Ave-Grüße in Rosenform
von den Lippen und fasste sie zu einem Rosenkranz zusammen.
Meist werden Perlen aus Gagat, insbesondere solche, die wie die
Perle vom Teerhof als Besonderheit eine Muscheldarstellung tragen,
Santiago de Compostela zugewiesen, wo Rosenkränze aus dem vor Ort
gewonnenen Gagat hergestellt wurden.20 Die bitumenreiche Kohleart
Gagat lässt sich aufgrund der geringen Härte gut schnitzen, drechseln
und polieren. Sie ist nach dem kleinasiatischen Ort Gagis benannt, wurde
jedoch hauptsächlich in Nordwestspanien und in England nahe Whitby in
Yorkshire abgebaut. Seit dem Spätmittelalter wurde Gagat jedoch auch
in Süddeutschland, das heißt auf der Schwäbischen und Fränkischen Alb
gewonnen, wo ihn die sogenannten Kügeleinmacher seit dem 18. Jahrhundert verstärkt als Material für Trauerschmuck nutzten. Im Languedoc
existierte bis in das 17. Jahrhundert hinein eine besondere Zunft von
Rosenkranzdrechslern, die ihre Rosenkranzperlen aus Gagat herstellten
(patenotriers en jais).
Einzelne Perlen mit Muscheldarstellungen sind aus Minden oder
Rostock bekannt.21 Mit Muscheln verzierte, aber auch einfache unverzierte
Perlen treten an Rosenkränzen aus einem Friedhof in Hameln und aus
dem Lüneburger Rathaus auf.22 Schlichte Gagatperlen gehören hin und
wieder zu Rosenkranz-Grabbeigaben des 15./frühen 16. Jahrhunderts
auf, beispielsweise in Äbtissinnengräbern an der Überwasserkirche in
Münster oder in einem Grab der ehemaligen Benediktinerabtei Marienthal
in Norden.23 Entsprechend dürften auch die weiteren schlichten Bremer
Gagatperlen vom Teerhofufer, dem Bredenplatz oder dem Bremer Dom
als Ave-Maria-Perlen des Rosenkranzes anzusprechen sein.
Gagatperlen
Die schwarzen Gagatperlen passen als Farbkontrast sehr gut zu den hellen,
aus Knochen gedrechselten Perlen. Gebetsketten aus Knochenperlen
sind bereits im 13. Jahrhundert nachgewiesen. Reststücke der Knochenperlenherstellung fanden sich mehrfach in der Bremer Altstadt, zuletzt
auf dem Liebfrauenkirchhof 2010, wo nahebei der Werkplatz eines Knochenschnitzers beziehungsweise Paternosterers vermutet werden kann.
Mit der Ablehnung von Marienverehrung und Rosenkranz durch Martin Luther brach dieses besondere Kennzeichen spätmittelalterlicher
Religiösität fast vollkommen zusammen,24 und so dürften auch die
Bremer Gagat- und manche Knochenperlen der vorreformatorischen
Zeit angehören.
Knochenperlen
18 Wittstock 1998, 86.
19 Ritz 1975, 74 ff.
20 Holze-Thier 1999, 91.
21 Zum Beispiel Mulsow 2005, Abb. 11.
22 Humburg/Schween 2000, 363; Wittstock 1982,
197 f., Abb. 11.
23 Potthoff 2005, 129–132, Abb. 4.
24 Steiner 1984, 42 f.
53
Abb. 2: Herkunft der in Bremen gefundenen
Pilgerzeichen des 13. Jahrhunderts.
Kruzifixe
Teils ebenfalls noch in das 13. Jahrhundert gehören mehrere in der Weser
gefundene Kruzifixe aus der typischen Blei-Zinn-Legierung. Für eine der
Kreuzigungsdarstellungen, bei der die Kreuzarme in Lilien enden, vermutete Grohne eine französische Herkunft.25 Bei einem fragmentarischen
Viernagelkreuz, bei dem der hagere Gekreuzigte ein langes Gewand
trägt, ist die Herkunft aus dem toskanischen Lucca anzunehmen.26 Ein
schlichtes Kruzifix aus Blei-Zinn wurde 2009 in einer Verfüllungsschicht
des Weserarmes Balge am Bredenplatz entdeckt.
Plaketten
Von in den Südosten führenden Fernwallfahrten stammen eindeutige französische Devotionalienplaketten. Ein Pilgerzeichen aus der Mitte des 14.
Jahrhunderts, das St. Theobald thronend zeigt, ist dem oberelsässischen
Thann zuzuweisen. Thann und der schweizerische Wallfahrtsort Einsiedeln
liegen auf dem Weg zum Hauptpilgerort Rom, der aber durch die aus der
Weser geborgenen metallenen Zeichen mit Vera ikon-Darstellung nicht
sicher nachgewiesen ist.27 Ebenso unsicher ist, ob ein spätmittelalterliches
Pilgerzeichen mit einer Madonna zwischen zwei Engeln aus dem italienischen Loreto an der Adria stammt.
Klar zuweisbar ist jedoch ein vielleicht noch ins 14. Jahrhundert
datierendes, jüngst in einem Steinhaus am Bremer Bredenplatz entdecktes
Pilgerzeichen des hl. Leonhard, der im über 1000 km von Bremen entfernten Saint-Léonard-de-Noblat bei Limoges verehrt wurde und wird.28
Im hochrechteckigen Bildfeld steht der Heilige frontal, mit Nimbus, im
langen, bis zu den Füßen reichenden Gewand (Abb. 3 unten). Seine rechte
Hand hält ein Buch vor die Brust, die Linke ergreift eine von oben herabhängende Kette, deren Kettenglieder aufgebogen sind. Am rechten
oberen Bildrand sind an einer Querstange zwei Handfesseln erkennbar.
Auf der rechten Seite kniet ein nackter, magerer Betender, vermutlich ein
Gefangener. Oben ist das Zeichen durch Zinnen begrenzt gewesen, unter
denen eine Inschrift den Namen des Heiligen verrät. Bisher sind in Norddeutschland nur drei weitere Pilgerzeichen aus Saint-Léonard-de-Noblat
bekannt, eines von der Marktplatzgrabung in Schleswig, eines vom Weinberg bei Hitzacker29 und ein Neufund von einem Acker bei Soest-Erwitte.30
25 Grohne 1929, 954, Abb. 31:2.
26 Grohne 1929, 95 f. mit Abb. 4; Haasis-Berner 2003, 152.
27 Wittstock 1998, 91.
28 Bischop 2011.
29 Haasis-Berner 2003, 105; Köster 1983, 25.
30 Freundliche Auskunft von P. Ilisch, Landesmuseum
Münster.
54
Abb. 4: Pilgerzeichen aus Wilsnack. Die drei
Scheiben mit Darstellungen der Passion und
der Auferstehung Christi symbolisieren die drei
blutenden Hostien, die in Wilsnack nach einem
Brand aufgefunden worden waren.
Abb. 3: Fundstücke aus einem Steinhaus
am Bremer Bredenplatz. Oben: Pilgerzeichen
aus Wilsnack; unten: Pilgerzeichen aus SaintLéonard-de-Noblat, vermutlich Ende 14. Jahrhundert.
Dieses Pilgerzeichen fand sich unweit einem zweiten aus Wilsnack im
Schutt eines mittelalterlichen Kaufmannshauses zwischen Breden- und
Böttcherstraße. Ob diese beiden Plaketten als kleine Kultobjekte zum
Schutz des Anwesens sichtbar oder verborgen im Haus aufbewahrt worden waren, ist nicht zu klären.
Pilgerzeichen waren auch für breitere Kreise erschwingliche Bilder,
die wie eine Abbildung von Pilgerzeichen aus Blomberg und Wilsnack auf
einem in Amsterdam gefundenen hölzernen Täfelchen beziehungsweise
Schrein zeigen, die die Funktion von Andachtsbildern haben konnten.31
Aus apotropäischen Grund finden sich Abgüsse von Pilgerzeichen auf
vielen spätmittelalterlichen Glocken.32
Die meisten anderen Pilgerzeichen aus Blei-Zinn, die in Bremen
zutage kamen, stammen von norddeutschen, meist östlich oder südlich
von Bremen gelegenen Wallfahrtsorten, die in nur wenigen Tagen zu erreichen waren. Nördlich von Bremen im Land Hadeln liegt der Ort St. Joost,
zu dessen Joostkapelle zwei aus der Weser stammende Jodokus-Pilgerzeichen gehören dürften.33 Südlich von Bremen liegen die Wallfahrtsorte
Verden, Paderborn, Jakobsberg und Elende. Östlich von Bremen können
durch Pilgerzeichen die Wallfahrtsorte Königslutter, Magdeburg und als
bedeutendster Wilsnack (Abb. 4) identifiziert werden. Die Wallfahrt nach
Wilsnack in der Mark Brandenburg gehörte zu den wichtigsten kleineren
Wallfahrten im Spätmittelalter. Der Grund war die Entdeckung dreier
unversehrter, blutender Hostien nach einem Brand am 16. August 1383.
Kurz darauf schon vom Papst als Wunder anerkannt, pilgerten mehr als
170 Jahre lang hunderttausende Gläubige nach Wilsnack, um das Heilige
Blut zu besuchen. Die Pilgerbewegung fand erst im Jahre 1552 ein Ende,
als der erste evangelische Pfarrer von Wilsnack, Joachim Ellefeld, die Reste
der Wunderbluthostien verbrannte.
Die Pilgerzeichen aus Wilsnack zeigen die drei Hostien als drei gleichgroße Kreise, die ein auf der Spitze stehendes Dreieck bilden und durch
ein auf der Basis stehendes Dreieck hinterlegt sind. In den Bildfeldern
der Hostien sind Darstellungen der Passion und der Auferstehung zu
sehen: unten Christus an der Geißelsäule, links oben der Gekreuzigte,
31 Wittstock 1998, 88; Wittstock 1982, 196.
32 Wittstock 1998, 88.
33 Wittstock 1998, 102 f., Abb. 22; Göhler 1998/99,
108–112.
55
rechts oben der aus dem Grab auferstehende Christus mit Siegesfahne.
Die beiden oberen Hostien sind mit je einem Kreuz bekrönt. Alle sieben
bisher in Bremen gefundenen Pilgerzeichen aus Wilsnack34 wurden nahe
der Martinikirche gefunden. Ein achtes wurde nur etwa 50 m von der
Kirche entfernt zusammen mit dem erwähnten Saint-Léonard-Zeichen
in einem Steinhaus gefunden (Abb. 3 oben).
Nicht ganz geklärt ist die Frage, warum die meisten Pilgerzeichen
im Weseruferbereich gefunden wurden. Lange wurde als Grund angenommen, dass die Zeichen nach erfolgreicher Heimkehr auf dem Seeweg aus Dankbarkeit der Weser überantwortet worden seien.35 Ähnliche
Fundsituationen sind bei den Flüssen Seine, Themse, Marne und Tiber
überliefert. Echte Flussopfergaben scheinen aber selten gewesen zu sein.
Auffällig ist für Bremen jedoch, dass alle Wilsnackzeichen oder einige
andere Devotionalien am Weserufer nahe der Martinikirche und der Gertruden-Herberge geborgen wurden, die sich östlich neben dem Chor der
Martinikirche befand. Die Gertruden-Herberge war eine testamentarische
Stiftung, die als Herberge und Verpflegungsstation für durchreisende
Pilger 1366 vom Rat anerkannt worden war. Aus diesem Pilgergasthaus
stammt eine Jakobusstatue von 1490, eine Figur mit breitem Pilgerhut,
an dessen Krempe sich eine Jakobsmuschel befindet, die heute im FockeMuseum steht.36 Dass Bremen bereits im Hochmittelalter eine gewisse
Bedeutung als Pilgerzwischenstation besaß, belegt die Überlieferung,
dass 1147 Pilger aus Westfalen und aus Niedersachsen von hier aus per
Schiff zu einer Pilgerfahrt ins Heilige Land aufbrachen.
Die Bremer Devotionalien dürften zusammen mit Abfall am nahen
Weserufer entsorgt worden sein. Auch die Pilgerzeichen aus Bremen selbst,
die hier am Weserufer gefunden wurden, sprechen gegen ein Flussopfer.
Bremen als Wallfahrtsort
Bremen sollte schon in der Frühzeit seiner Christianisierung als Reliquienstandort beziehungsweise Pilgerort herausgestellt werden. So ist wohl
der 860 geweihte Domneubau als Pilgerstätte zu sehen.37 Die Berichte
über Wunderheilungen am Grab des ersten Bremer Bischofs Willehad38
sollten schon früh dafür sorgen, das Vertrauen der gerade erst christianisierten Bevölkerung in den neuen Glauben zu stärken und Bremen
als Wallfahrtsort und somit auch als zusätzlichen Anziehungspunkt für
Händler zu etablieren.39 Seit 851 gab es nach der Überführung der Gebeine des hl. Alexander eine Konkurrenz im nahen Wildeshausen, auf die
859 Bischof Ansgar mit der Überführung der wundertätigen Gebeine
seines Vorgängers Willehad in den Dom reagierte. Pilgerzeichen für den
hl. Willehad sind jedoch nicht überliefert oder identifizierbar. Erzbischof
Adaldag erhöhte die Anziehungskraft des Bremer Doms zusätzlich im Jahr
965 durch den Import von Reliquien der Märtyrer Cosmas und Damian
sowie der hl. Corona aus Rom. Von den wenigen Bremen zuzuweisenden
Pilgerzeichen beziehen sich immerhin zwei auf die hl. Corona und ein
weiteres auf eine Palmsonntagwallfahrt in Bremen.40
Sakrale Tonfiguren
Auch Heiligenfigürchen aus Pfeifenton können als Devotionalien in Wallfahrtsorten, aber auch in Bremen selbst erworben worden sein. Auffällig
ist bei den in Bremen recht zahlreich gefundenen religiösen Tonfigürchen – ähnlich wie bei den Pilgerzeichen – die Nähe zur Weser. Einzelne
Figürchen entstammen der Stadtgrabenverfüllung an der Adamspforte
im Westen der Stadt. Die Fundorte Teerhof oder Weserufer sind nur mit
Schuttauffüllungen aus dem inneren Stadtgebiet zu erklären, mit denen
das Ufer im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit angeschüttet wurde.
Die Figuren mögen in Privathäusern der Hansestadt in Hausaltärchen aufgestellt worden sein und dienten hier zur Andacht. Manche
konnten – zu Szenen zusammengestellt – eine Einheit gebildet haben. So
könnte etwa die Figur einer Maria Magdalena mit Salbbüchse (Abb. 5,6)
sehr gut zu einer kleinen Kreuzigungsszene passen. Auch ein ursprünglich
34 Dettmann 1937, 9; Grohne 1929, Abb. 31; Wittstock
1998, 98; Wittstock 1982, 195 mit Abb. 5.
35 Rech 2004, 208. Als Wallfahrtsdevotionalien
sind weiterhin bestimmte Typen der sogenannten
Alsengemmen anzusprechen. Ein Exemplar fand sich
ebenfalls im Weseruferbereich. Vgl. Rech 2004, 315,
Abb. 328.
36 Rech 2004, 307.
37 Brandt 1982, 65.
38 Anskarii vita s. Willehadi, bes. Kap. 30 ff.
39 Hägermann 1989, 14–20.
40 Wittstock 1998, 104; Löhr 1988, 56.
56
Abb. 6: Engel mit Kelch. Fragment eines Pfeifentonreliefs, 16./17. Jahrhundert.
Abb. 5: Figuren aus Pfeifenton. 1: thronende
Madonna; 2: Antlitz Christi mit Kreuznimbus,
umseitig vermutlich das Johannes des Täufers;
4: Madonna mit dem Christuskind; 5: Knabe als
Beifigur der hl. Dorothea; 6: Maria Magdalena
mit Salbbüchse.
recht großformatiger Engel ließe sich etwa als Verkündigungsengel in
einen größeren szenischen Zusammenhang bringen.41
In direktem Zusammenhang mit einer Kirche oder dem erwähnten
Gertruden-Gasthaus könnte eine thronende Madonnenfigur stehen
(Abb. 5,1), die wie viele Pilgerzeichen am Weserufer bei der Martinikirche gefunden wurde. Vielleicht war sie eine Votivstatuette, die nach dem
Zerbrechen einfach am nahen Flussufer entsorgt wurde. Die in zwei Exemplaren vorliegende, stehende Madonna mit Kind (Abb. 5,4) scheint aufgrund modelgleicher Parallelstücke aus Westdeutschland zu stammen.42
Überdies sind mehrere Jesuskindfigürchen aus den Weseraufschüttungen
geborgen worden. Aus Deutschland, der Nordschweiz und dem Elsass gibt
es insgesamt weit mehr als 200 ähnliche Exemplare. Sie scheinen primär
im Rheingebiet, jedoch auch in anderen Städten Mittel- und Süddeutschlands hergestellt worden zu sein. Dargestellt sind zumeist gut genährte
Kleinkinder. Häufig hält das Jesuskindfigürchen bestimmte Attribute in
den Händen: Die Weltkugel mit oder ohne Kreuz oder ein Apfel stehen
für die von ihm beherrschte Welt, ein Vogel für die Seele. Auch in Bremen
sind diese verschiedenen Varianten geläufig.43
Die kleinen Figürchen sind zum neuen Jahr, bei der Geburt eines
Kindes oder anderen Ereignissen verschenkt worden. Einige spätgotische
Graphiken, die den meist nackten, sitzenden oder stehenden Jesusknaben
zeigen, wie er Vögel oder die Weltkugel in Händen hält, deuten darauf hin,
41 Dettmann 1937, Abb. 4; Bischop 2008c, 262, Abb. 18.
42 Bischop 2008c, Abb. 2.
43 Bischop 2008c, 255 f.
57
Abb. 7: Stehende Figur mit Kapuzenmantel.
Die zum Gebet erhobenen Arme sind abgebrochen.
Ein häuslicher Klappaltar
44 Robels 1970, 136.
45 Neu-Kock 1993, 24 f.
46 Kammel 2000, 364.
47 Bischop 2008c, 261, Abb. 16.
48 Bischop 2008b, 262, Abb. 20.
49 Peine 1993, 183; Austermann 2004, 52; Grönke/
Weinlich 1998, Anm. 97.
50 Bischop 2008c, 255 f.
51 Bischop 2008c, 256; Both 1997, 275 f. Vgl. zu den
Klöstern Schulz 1995 und Hucker 1995.
52 Bischop 2009.
58
dass solche Figürchen als Neujahrsgaben dienten:44 Die Blätter weisen
Spruchbänder auf, die Neujahrs- und Segenswünsche oder Sinnsprüche
enthalten.45 Die Geschenke fanden vermutlich Eingang in das private
Hausaltärchen. Vielleicht können wir in den Christkindfigürchen sogar
den Ursprung unserer Krippenfiguren sehen.46 Ein nackter Knabe mit Blütenkorb und der an seinem linken Bein herab gleitenden Blütengirlande
(Abb. 5,5) ist nicht mit dem Jesuskind gleichzusetzen, sondern als Beifigur
der hl. Dorothea, einer im Spätmittelalter sehr beliebten frühchristlichen
Märtyrerin, zu deuten.47
Zu einem Andachtsbild des 16./17. Jahrhunderts gehört ein Fragment eines flachen Pfeifentonreliefs, das wahrscheinlich Jesus Christus
als Hauptbild zeigt.48 Von ihm ist nur noch der Strahlenkranz in Resten zu
erkennen. Vollständig erhalten ist ein rechts heranschwebender Engel, der
mit beiden Händen einen Kelch umfasst (Abb. 6). Solche Andachtsbilder
waren zunächst in Frauenklöstern weit verbreitet, dienten dann aber auch
allgemein als Devotionalien für die private Andacht.49 Ihre Themen sind
häufig Maria oder – wie hier auf dem Bremer Teerhof – Jesus Christus. Die
hauptsächlichen Produktionszentren lagen vermutlich ebenfalls am Rhein.
Ein medaillonartiges Stück mit Kopfdarstellungen auf beiden Seiten
mag Bestandteil von einem Rosenkranz gewesen sein. Es besitzt eine
Längendurchlochung, die nicht primär zur Befestigung diente. Auf der
einen Seite scheint eine Vera Icon (das ‚Wahre Antlitz Christi‘) dargestellt
zu sein (Abb. 5,2). Die andere Seite zeigt vermutlich das Haupt Johannes
des Täufers in der sogenannten Johannesschüssel.50
Abgesehen von den Pfeifentonfiguren scheint auch ein Figurentyp
aus faststeinzeugartig hart gebranntem Ton sakralen Hintergrund zu besitzen. Die kleine Figur (Abb. 7) stammt aus dem Schutt eines um 1200
zerstörten Gebäudes, das 2003 bei der Grabung im Bremer Stephaniviertel
aus Anlass des Neubaus von Radio Bremen aufgedeckt wurde. Es handelt
sich um eine kleine stehende Figur im weiten Kapuzenmantel, ähnlich
einer Mönchskutte. Der Figur mit offenbar zum Gebet erhobenen Armen
sind die Hände weggebrochen. Mittlerweile gibt es eine kleine Gruppe
von relativ identischen Figürchen dieses Typs. Von den bisher bekannten
Figuren kommen immerhin zwei aus dem Umfeld eines Klosters – eine aus
dem Benediktinerinnenkloster in Bassum und die andere aus dem Zisterzienserinnenkloster Marienwerder in der Uckermark.51 Möglicherweise
mag die Bremer Figur einen Bezug zum unweit gelegenen Klerikerbereich
der nahen Stephanikirche haben. Sehr viel feiner ist ein Köpfchen einer
weiteren Figur aus feinem beigegrauem Ton gearbeitet, das von einer
spätmittelalterlichen Wurt in Bremen-Strom stammt.
Wozu diese Figürchen genau dienten, ist leider auch durch die anderen Funde Norddeutschlands nicht zu klären. Vielleicht dienten sie als
Stellvertreter des Anbetenden oder Fürbitten-Sprechenden und waren
bei großen Heiligenfesten oder dem Weihnachtsfest in kleineren Hausaltären aufgestellt.
Das Fragment eines kleinen privaten Klappaltars kam aus einer hölzernen
viereckigen Kloake eines Hauses des 13. Jahrhunderts an der Bredenstraße im Martiniviertel zu Tage (Abb. 9). Der viereckige, einem Dendrodatum nach bald nach 1222 errichtete Kloakenschacht enthielt ansonsten
Scherben von großen Kugeltöpfen, einem Siegburger Steinzeugkrug und
mehreren Daubenschalen.52
Erkennbar sind auf der 8 cm breiten und noch 10 cm hohen Tafel
die zueinander gewandten, nimbierten Köpfe zweier Figuren, die das
gerahmte Bildfeld nahezu vollkommen ausfüllen. Die rechte Figur hält eine
Art Schriftrolle. Es könnte sich bei dieser Figur um den Verkündigungsengel handeln, der Maria, links von ihm, die Frohe Botschaft überbringt.
Bei der links gegenüberstehenden Figur scheint diagonal ein Strich oder
Farbstreifen hinunterzulaufen. Doch aufgrund der schlechten Erhaltung
Abb. 9: Fragment einer Bildtafel, vermutlich
die Darstellung der Verkündigung Mariae.
Abb. 8: Fragmente von Ofenkacheln mit
Darstellungen biblischer Szenen. 1: Erschaffung Evas; 3: Darstellung eines Bischofs, verm.
einer der Kirchenväter; 4: Samson; 6: Christus
als Weltenrichter; 7: Geißelung Jesu; 8: Jesus
vor Kaiphas.
der noch nicht untersuchten Farben des Bildes und dem Fehlen weiterer
erkennbarer Attribute ist die Szene letztendlich nicht sicher zu deuten, zumal normalerweise der Verkündigungsengel an Maria von links herantritt.
Trotzdem stellt das ins letzte Viertel des 13. Jahrhunderts zu datierende
Täfelchen eine Besonderheit dar, da im archäologischen Befund kleine
private Hausaltärchen in Form von Klappaltärchen kaum erhalten sind.
Ein kleiner spätmittelalterlicher Hausaltar aus Ulm mit größeren Flügeln
(28 13,5 cm) befindet sich im Historischen Museum Basel. Er zeigt auf
der Außenseite die Verkündigung Mariens.53
Bibelszenen sind ab dem späten Mittelalter auch in Bremen häufig auf
Ofenkacheln zu finden. Im Lauf des 16. Jahrhunderts entstanden Bildprogramme, die plakativ die religiösen Vorstellungen und Bibelfestigkeit
des Hausbesitzers widerspiegeln konnten. Noch in das späte Mittelalter
gehört eine große Nischenkachel mit der Darstellung von Christus als
Weltenrichter (Abb. 8,6).54 In spätere Zeiten datieren Einzeldarstellungen
alttestamentarischer Personen, wie Samson (Abb. 8,4), der Evangelisten oder spätantiker Kirchenväter wie Hieronymus. Kachelbilder des
16./17. Jahrhunderts mit größeren Szenen beziehen sich ebenfalls auf
Stellen aus der Bibel beziehungsweise deren künstlerischer Ausdeutung.
Einer Kachel mit dem Thema „Die Vertreibung der Hagar und des Ismael“
liegt ein Kupferstich des Georg Pencz von 1543 zugrunde.55 Motive wie
„Die Erschaffung der Eva“, die auf von Hans Berman signierten Kacheln
vorkommen, waren in Bremen ebenfalls beliebt (Abb. 8,1).56
Am Ofendekor eines Bremer Hausherrn konnte bei entsprechend
eindeutigen Motiven die katholische oder eben protestantische Gesinnung des Besitzers abgelesen werden. Eine besondere Stellung nimmt
in diesem Zusammenhang der sogenannte Reformationsofen ein. Sein
Bildprogramm zeigt häufig Szenen aus dem Alten und Neuen Testament
kombiniert mit dem Apostolischen Glaubensbekenntnis und mit dem
Vaterunser. Solch offensiv protestantische Öfen, die ein explizit anti-
Ofenkacheln mit religiösen Motiven
53 Boockmann 1986, 65, Abb. 105.
54 Bischop 2008d, Taf. 17:3.
55 Ring 1998, 85.
56 Bischop 2008d, 279.
59
Abb. 10: Geprägter Ledereinband einer Erbauungsschrift der frühen Reformationszeit. Vorderseite: Jesus als Salvator mundi; Rückseite:
Sündenfall.
katholisches Bildprogramm zeigen, konnten archäologisch bisher in Bremen durch Ofenkachelmotive nicht nachgewiesen werden.57
Für das Mittelalter bilden das Alte und Neue Testament noch eine
gleichwertige Einheit im Sinn von Vorbereitung und Vollendung der
christlichen Heilserfahrung. Zentrale Motive der Reformation stellen besonders die Passion (Leiden und Sterben Christi), das Sündenverhängnis
und die Erlösung dar. In diesen protestantischen Dogmenbildern stehen
der Sündenfall, der Tod und das Gesetz im Gegensatz zur Gnade, dem
Ewigen Licht und der Erlösung. Der Protestantismus drückt so mehr eine
Konfrontation zwischen dem Alten und Neuen Testament aus. Der Mensch
steht mit seiner Verantwortung und Entscheidung dazwischen.58
Kacheln mit dem Thema der Passion Christi sind im Bremen des
17. Jahrhunderts häufig. Zwei Fragmente zeigen Jesus im Garten Gethsemane, Jesus vor Kaiphas (Abb. 8,8), die „Geißelung“ und „Kreuztragung“
Christi (Abb. 8,7). Nur ein bei der Marktplatzgrabung 2002 gefundenes
Fragment ist einer Auferstehungsszene zuzuweisen.59
Ein Fragment einer Kachel mit dem Thema „Kirchengemeinde beim
Hören der Predigt“ geht auf einen Holzschnitt von Lucas Cranach d. Ä. zurück, der die dritte Bitte des Vaterunsers in Luthers „Großem Katechismus“
illustriert. Es ist vermutlich die älteste künstlerische Darstellung eines
evangelischen Gottesdienstes.60
Lederner Bucheinband
57 Hallenkamp-Lumpe 2006, 214 ff.; Bischop 2004.
58 Ring 1996, 78.
59 Bischop 2008d, 279–281.
60 Grohne 1936; Müller 2002, 240 ff.; Bischop 2008d,
282.
61 Bischop 2008b, 175 f.
60
Ein mit Leder überzogener hölzerner Bucheinband einer kleinen Erbauungsschrift der frühen Reformationszeit, gefunden 2007 im Stadtgraben
nahe der Adamspforte (Abb. 10), hat ebenfalls „Gesetz und Gnade“ zum
Thema.61 Die Bilder des Einbandleders wurden von einer doppelseitig
gravierten Platte geprägt. Auf der Rückseite ist der Sündenfall dargestellt:
Eva, überredet von der Schlange, greift nach der Frucht des ihr verbotenen
Baumes und gibt Adam eine andere. Auf der Vorderseite ist das nackte,
den Kopf einer Schlange zertretende Christuskind mit einer Gloriole zu
sehen, wie es – als Salvator – das Kreuz und zugleich den Reichsapfel
trägt. Hier wird das Wort vom Zertreten der Schlange durch den Menschen (1. Mose 2,14) als eine Ansage auf den endgültigen Erlöser von der
Sünde verstanden. Die Beischriften der Plattenseiten zitieren Passagen
aus dem Paulus-Brief an die Römer (5,19), in welchem Adam und Christus
gegenübergestellt werden.
Identische Prägungen mit dieser Platte sind nicht bekannt. Da das
Motivpaar der Platte reformatorischen Ursprungs ist und die Platten die-
ser Art in Deutschland erst seit 1530 gebraucht worden sind, stammt der
Einband wahrscheinlich aus dem nahen Weserraum oder Bremen selbst,
wo 1534 die Reformation eingeführt worden ist. Die Gegenüberstellung
von Sündenfall und Auferstehung oder Adam und Eva und Christus waren
gerade in der Reformation ein beliebtes Thema.
Dass in Bremen einzelne Familien durch ihr Hausinventar sich selbst und
den Besuchern des Hauses dokumentieren wollten, dass sie die lutherische
Botschaft angenommen hatten, zeigen zum Beispiel einige erhaltene
Truhen des 16. Jahrhunderts. Diese sogenannten Bremer Truhen tragen
als ein Hauptmotiv das Thema „Gesetz und Gnade“, ein typisch reformatorisches Bildmotiv.62
All diese Objekte, wie Pilgerzeichen, Rosenkränze, Heiligenstatuetten, Hausaltärchen, Tonreliefs und Ofenkacheln als Bildträger, sind Zeugen
von Fern- und Nahpilgerreisen sowie vom alltäglichen, festen Glauben im
mittelalterlichen und reformierten Bremen.
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Dr. Dieter Bischop
Landesarchäologie Bremen
An der Weide 50c, D-28195 Bremen
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Abbildungsnachweis
62
Abbildungen 1 und 2: D. Bischop
Abbildung 3: T. Töbe und E. Schindler
Abbildung 4: Focke-Museum Bremen
Abbildungen 5, 8 und 10: E. Schindler
Abbildungen 6, 7 und 9: C. C. von Fick