Ursula Stöger, Fritz Böhle, Norbert Huchler, Marc Jungtäubl,
Vera Kahlenberg, Margit Weihrich
Arbeitszeitverkürzung als
Voraussetzung für ein neues
gesellschaftliches Produktionsmodell
Expertise
Augsburg und München, August 2015
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E-Paper des ISF München
Download: www.isf-muenchen.de/pdf/Arbeitszeitverkuerzung_als_Voraussetzung.pdf
Empfohlene Zitierweise:
Stöger, Ursula; Böhle, Fritz; Huchler, Norbert; Jungtäubl, Marc; Kahlenberg, Vera;
Weihrich, Margit (2015): Arbeitszeitverkürzung als Voraussetzung für ein neues gesellschaftliches Produktionsmodell. Expertise. München: ISF München. E-Paper, zugänglich
unter: www.isf-muenchen.de/pdf/Arbeitszeitverkuerzung_als_Voraussetzung.pdf
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2
Inhalt
Vorwort ...................................................................................................................................... 4
Einleitung .................................................................................................................................. 5
Teil I Bewältigung gesellschaftlicher Probleme und Förderung neuer Entwicklungen
durch Arbeitszeitverkürzung ...................................................................................... 9
1.
Abbau der Arbeitslosigkeit ........................................................................................... 11
2.
Schutz und Förderung der physischen und psychischen Gesundheit und
Entlastung des Gesundheitssystems ............................................................................. 17
3.
Entlastung des Rentensystems durch die Verlängerung der Lebensarbeitszeit............ 22
4.
Mehr Zeit für Care- und Pflegearbeit ........................................................................... 25
5.
Bessere Betreuung der Kinder ...................................................................................... 28
6.
Mehr Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern ................................................ 31
7.
Entlastung und Würdigung der Arbeit des Alltags....................................................... 34
8.
Stärkung der Zivilgesellschaft – mehr Zeit für Ehrenamt und
politische Partizipation ................................................................................................. 39
9.
Gerechtere Partizipation am sozialen und kulturellen Leben ....................................... 44
10.
Mehr Zeit für (besseren) Konsum ................................................................................ 48
11.
Mehr Zeit für Eigenarbeit und neue Ökonomien ......................................................... 53
12.
Gesamtgesellschaftliche kurz-, mittel- und langfristige Wirkungen ............................ 57
Teil II Förderung der Produktivität durch Arbeitszeitverkürzung .................................. 60
1.
Positive Rückwirkungen der gesellschaftlichen Effekte einer Verkürzung
der Arbeitszeit auf Betriebe .......................................................................................... 62
2.
Neue Flexibilisierung von Arbeit ................................................................................. 62
3.
Neue Formen der Nutzung der Arbeitskraft ................................................................. 63
4.
Neue Formen der Arbeitsteilung und Ausweitung der Beschäftigung ......................... 64
Literatur .................................................................................................................................... 66
Kontakt ..................................................................................................................................... 78
3
Vorwort
„Man darf aber deshalb nicht glauben, dass die Utopier gleich Lasttieren sich vom
frühen Morgen bis spät in die Nacht vor die Arbeit spannten. Ein solches für Geist
und Körper gleichermaßen nachteiliges Leben wäre ärger als Tortur und Sklaverei. Und gleichwohl ist dies überall anderswo das traurige Los des Arbeiters!
Die Utopier teilen die Zeit eines Tages und einer Nacht in vierundzwanzig gleiche
Stunden. Sechs Stunden werden für materielle Arbeiten in Anspruch genommen;
dabei herrscht folgendes Verhältnis:
Drei Arbeitsstunden am Vormittag; danach wird gespeist. Am Nachmittag zwei
Ruhestunden, drei Arbeitsstunden und hierauf folgt das Souper.“
Aus: Thomas Morus: Utopia. Kapitel: Von den Künsten und Handwerken
Was im Jahr 1516, als Thomas Morus seinen Roman veröffentlichte, nur in der von ihm erfundenen, idealen Gesellschaft möglich war, wird heute, beinahe 500 Jahre später, aufgrund
der fortgeschrittenen Produktivkraftentwicklung nicht nur zu einem erreichbaren Ziel, sondern – angesichts von Massenarbeitslosigkeit, hohen Arbeitsbelastungen und vielfältigen gesellschaftlichen Problemen – zu einer Notwendigkeit.
Dies ist die zentrale These der vorliegenden Expertise über Arbeitszeitverkürzung, die wir an
der Universität Augsburg, Forschungseinheit für Sozioökonomie der Arbeits- und Berufswelt
und am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V. in München von Herbst 2014 bis
Sommer 2015 verfasst haben. Die Expertise setzt sich mit den Folgen einer radikalen Arbeitszeitverkürzung auseinander. Arbeitszeitverkürzung wird als substanzielles Element eines
neuen gesellschaftlichen Produktionsmodells betrachtet.
Wir bedanken uns bei Rainer Gith, der zu dieser Expertise den Anstoß gegeben hat und uns
mit seinem Wissen über Konzepte der Arbeitszeitverkürzung sowie mit seinen Erfahrungen
bei der Umsetzungen der Arbeitszeitverkürzung in der Papierindustrie als Experte unterstützt
hat.
Unser ganz besonderer Dank gilt Dr. Georg Haindl, der mit seiner Zuwendung das Entstehen
dieser Expertise ermöglicht hat.
Augsburg und München, im Sommer 2015
Ursula Stöger
Fritz Böhle
Nobert Huchler
Marc Jungtäubl
Vera Kahlenberg
Margit Weihrich
4
Einleitung
Die Steigerung der Arbeitsproduktivität und die Entwicklung der Industriegesellschaft sind
eng verbunden mit einer schrittweisen Reduzierung der Arbeitszeiten. Mit der Einführung des
Acht-Stunden-Tags wurde nicht nur eine wichtige Forderung der Arbeiterbewegung erfüllt,
sondern auch die Voraussetzung für das industriegesellschaftliche Produktionsmodell geschaffen. Erst auf dieser Basis wurde die Intensivierung der Nutzung menschlicher Arbeitskraft durch eine strenge Arbeitsteilung und das Drei-Schicht-System möglich.
Mitte der 1980er Jahre gelangte die Reduzierung der kollektiven Arbeitszeit an ein vorläufiges Ende. Zwar fand zunächst der Einstieg in die 35-Stunden-Woche in einzelnen Industriezweigen wie der Metall- und Druckindustrie statt. Langfristig scheiterte jedoch die Durchsetzung der 35-Stunden-Woche. Durch die Flexibilisierung der individuellen Arbeitszeiten aufgrund von Arbeitszeitkonten und Vertrauensarbeitszeit verlängerten sich die Arbeitszeiten
von Vollzeitbeschäftigten faktisch wieder. Gleichzeitig nahm die Teilzeitarbeit zu
(Holtrup/Spitzley 2008: 119). Im Zuge dieser „Verbetrieblichung der Arbeitszeitpolitik“
(Schmidt/Trinczek 1999) kam es auch zu einer Ausweitung von atypischen Arbeitszeiten wie
Nacht- und Wochenendarbeit.
In Folge dieser Entwicklungen verloren Forderungen der Gewerkschaften nach einer kollektiven Arbeitszeitverkürzung an Bedeutung. Der von den Gewerkschaften angestrebte positive
Effekt einer kollektiven Arbeitszeitverkürzung, der Abbau der Massenarbeitslosigkeit, wurde
ebenso wenig erreicht, wie sich die Hoffnungen der Beschäftigten auf eine Reduzierung von
Arbeitsstress erfüllt haben. Durch die Intensivierung und Flexibilisierung des Arbeitskräfteeinsatzes in den Unternehmen wurden diese Effekte konterkariert (siehe auch Hickel 2008:
18). Beschäftigte, die sich kürzere Arbeitszeiten wünschen, suchen heute nach individuellen
Lösungen in Form von Teilzeitarbeit. Dies ist allerdings eine Option, die nach wie vor überwiegend Frauen wahrnehmen.
Mittlerweile werden wieder Forderungen nach einer wöchentlichen Arbeitszeitverkürzung
formuliert. Die Akteure, die mit dieser Forderung an die Öffentlichkeit treten, sind jedoch
aktuell nicht nur die Gewerkschaften, sondern sogar vorwiegend Vertreter und Vertreterinnen
aus anderen Bereichen wie etwa der Wissenschaft oder andere politische Akteure, z. B. aus
Nichtregierungsorganisationen.
Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik forderte in ihrem letzten Memorandum aus
dem Jahr 2015 (Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik 2015: 210) die Einführung der
30-Stunden-Woche als neuen Vollzeitstandard neben einer differenzierten Arbeitszeitverkürzung in bestimmten Lebenslagen. Seitens der Gewerkschaften werden Forderungen nach kürzeren Arbeitszeiten derzeit erst wieder vereinzelt öffentlich vertreten. So sieht Jörg Hofmann,
der zweite Vorsitzende der IG Metall unter der griffigen Parole „die Arbeit muss ein gesundes
Maß bekommen“ Arbeitszeitverkürzung als das richtige Mittel, um die Beschäftigung zu sichern und um Arbeit und Privatleben besser in Einklang zu bringen (Hofmann 2014). Kürzere
Arbeitszeiten werden auch unter gleichstellungspolitischen Gesichtspunkten diskutiert. Sozialwissenschaftlerinnen stellen die These auf, dass von kürzeren Arbeitszeiten sowohl Frauen
als auch Männer profitieren können (z. B. Allmendinger 2014). Als eine Nichtregierungsor5
ganisation fordert Attac kürzere Wochenarbeitszeiten. Eine dort gegründete Arbeitsgruppe
(AG ArbeitFairTeilen) hat bereits eine Initiative zur Umverteilung der Arbeit durch die Einführung der 30-Stunden-Woche gestartet (Krull et al. 2009).
Auch in Regierungskreisen ist das Thema derzeit wieder populär, auch wenn hier zunächst
nur ausgewählte Personen als Zielgruppe von möglichen Arbeitszeitverkürzungen genannt
werden. So sorgte unlängst die Forderung von Arbeitsministerin Andrea Nahles nach einer
kurzen Vollzeit für junge Eltern für Schlagzeilen.
An Konzepten für eine Arbeitszeitverkürzung mangelt es nicht. Sie alle verfolgen das Ziel,
mit einer Umverteilung der bezahlten Arbeit die Massenarbeitslosigkeit abzubauen und setzen
sich mit Fragen zur Umsetzung und zur Finanzierung einer Arbeitszeitverkürzung sowie zu
den Initiatoren auseinander. Teilweise unterscheiden sie sich auch in einigen Aspekten (siehe
Krull et al. 2009; Bontrup/Massarrat 2011; Gith 2015).
Dass das Thema Arbeitszeitverkürzung nicht nur in einigen politischen oder wissenschaftlichen Kreisen eine Rolle spielt, sondern auch für Erwerbstätige einen hohen Stellwert hat, zeigen Umfragen unter Beschäftigten zu deren Arbeitszeitwünschen. Viele Vollzeitbeschäftigte
würden lieber kürzer, Teilzeitbeschäftigte hingegen mehrheitlich lieber länger arbeiten (siehe
Holtrup/Spitzley 2008: 133f.; Pickshaus 2009: 83). Während viele vollzeitbeschäftigte Männer kürzere Arbeitszeiten bevorzugen, wünschen sich die meisten teilzeitbeschäftigten Frauen
längere Arbeitszeiten (Allmendinger 2014).
Die Begründungen für kürzere Arbeitszeiten konzentrieren sich in der Regel auf zwei zentrale
Argumente: Die Bedeutung der Arbeitszeitverkürzung für die Beseitigung der Arbeitslosigkeit und – etwas seltener – für die Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben
bzw. die Geschlechtergleichstellung. Eine Ausnahme bildet die Arbeitsgruppe von Attac, die
Arbeitszeitverkürzung als Lösung für unterschiedliche gesellschaftliche Probleme vorschlägt.
Des Weiteren wird in den meisten Konzepten ein Lohnausgleich zumindest für die unteren
und mittleren Beschäftigtengruppen angestrebt. Es werden unterschiedliche Vorschläge gemacht, wie die durch den Lohnausgleich entstehenden zusätzlichen Belastungen durch tarifliche oder staatliche Umverteilungsmaßnahmen (teilweise) ausgeglichen werden können. Ein
gut ausgearbeitetes Konzept hierzu hat Gith (2015)1 vorgelegt.
Die hier vorliegende Expertise stellt demgegenüber das Thema in einen größeren Argumentationszusammenhang. Arbeitszeitverkürzung wird im Rahmen einer gesamtgesellschaftlichen
Perspektive diskutiert. Es wird davon ausgegangen, dass Arbeitszeitverkürzung eine Voraussetzung für ein neues gesellschaftliches Produktionsmodell bildet, auf dessen Basis sich das
Zusammenleben in der Gesellschaft grundlegend verändert. Erst in diesem Gesamtzusammenhang können die positiven Effekte einer Arbeitszeitverkürzung umfassend wirksam und
die unterschiedlichen gesellschaftlichen Probleme gelöst werden. Zugleich ergeben sich neue
und erweiterte Möglichkeiten für eine Finanzierung der Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnverluste und eine Ausweitung der Beschäftigung.
1
Siehe hierzu auch die Homepage von Rainer Gith: http://rainer-gith.de/startseite.html (zuletzt aufgesucht am
01.07.2015).
6
Unter einem gesellschaftlichen Produktionsmodell wird die Art und Weise verstanden, wie
Menschen ihr Zusammenleben organisieren, welche Formen der Produktion und Reproduktion sie entwickelt haben und wie die einzelnen gesellschaftlichen Teilsysteme, z. B. das Erwerbssystem, das System der sozialen Sicherung und das kulturelle System aufeinander abgestimmt sind. Der Begriff des gesellschaftlichen Produktionsmodells wird in Anlehnung an
Antonio Gramscis Begriff der Produktionsweise verwendet. Gramsci verstand unter einer Produktionsweise die Einheit zwischen der materiellen Basis einer Gesellschaft, also ihre materielle Produktion und der gesellschaftlichen Form. Er übernahm den Begriff der Produktionsweise von Marx, fasste ihn allerdings weiter, indem er neben der Sphäre der Produktion auch
die der Reproduktion einbezog. Gramsci hat exemplarisch die gesellschaftliche Produktionsweise des amerikanischen Fordismus analysiert und kam zu der Auffassung, dass zwischen
der fordistisch-tayloristischen Produktionsweise, ihren konkreten Arbeitsformen und den
Formen des gesellschaftlichen Lebens ein enges und notwendiges Verhältnis besteht und beschrieb diesen Umstand folgendermaßen: „Die neue Art und Weise zu arbeiten ist nicht loszulösen von einer bestimmten Art zu leben, zu denken, das Leben zu erfahren (und es zu
„produzieren“); es lassen sich keine Erfolge auf einem Gebiet erreichen ohne greifbare Ergebnisse auf einem anderen (Gramsci 1990-1999: 2164, zitiert nach Bechtle/Sauer 2004: 50).2
In der Expertise wird Bezug auf die Perspektive von Gramsci genommen und davon ausgegangen, dass die Auswirkungen von Arbeitszeitverkürzungen nicht auf die Sphäre der Erwerbstätigkeit und das Familienleben beschränkt bleiben, sondern sich die gesamte Gesellschaft und damit auch die spezifischen Vorstellungen, die sich Menschen über die Gesellschaft und die Form ihres Zusammenlebens machen, wandeln werden. Diese Veränderungsprozesse begründen ein neues gesellschaftliches Produktionsmodell.
Dabei wird im Gegensatz zur derzeitigen vorherrschenden Meinung Arbeitszeitverkürzung
nicht als Hemmnis für die wirtschaftliche Entwicklung von Unternehmen und der Gesellschaft gesehen, sondern umgekehrt als eine wichtige Voraussetzung für eine zukünftige positive wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung.
Im Folgenden werden die (positiven) Effekte einer Arbeitszeitverkürzung für das soziale Zusammenleben und für die Unternehmen herausgearbeitet.
Die Argumentation erfolgt dabei auf der Basis von zwei Grundannahmen: Zum Ersten wird
von einer kollektiven wöchentlichen Arbeitszeitverkürzung im erheblichen Umfang (etwa auf
2
Mit der Frage nach der Produktionsweise befassen sich unterschiedliche politökonomische Theorien, die sich
u. a. auch auf Gramsci beziehen; so z. B. die auf Aglietta (1997) zurückgehende Regulationstheorie, die die
Frage in den Mittelpunkt stellt, wie im krisengeprägten kapitalistischen Produktionssystem Phasen der Stabilität möglich sind. Beispielhaft wurde das fordistische Akkumulationsregime und die darauf bezogene Regulationsweise, unter der Aglietta die „Gesamtheit von Vermittlungen [versteht, d. Verf.], die die von der Kapitalakkumulation hervorgerufenen Verwerfungen so eingrenzen, dass sie mit dem sozialen Zusammenhalt
innerhalb der Nation vereinbar sind“ (Aglietta 2000: 11). Charakteristisch für das fordistische Akkumulationsregime sind die Massenproduktion von standardisierten Produkten, Vollbeschäftigung und ein relativ hohes Lohnniveau der männlichen Beschäftigten. Auch andere Theorien befassen sich mit der Frage nach der
Vermittlung zwischen der Produktionssphäre und den jeweiligen gesellschaftlichen Institutionen. Diese
Theorien gehen auf Hall und Soskice (2001) zurück und untersuchen unterschiedliche Formen von Kapitalismen („Varieties of Capitalism“) und deren Funktionsweise. Sie unterscheiden etwa zwischen dem liberalen
und dem koordinierten marktwirtschaftlichen Modell.
7
30 Stunden pro Woche) ausgegangen. Eine genaue Festlegung erfolgt nicht, da sich die faktische Stundenzahl erst durch detaillierte Problemanalysen festlegen lässt. Zum Zweiten wird
von einer Reduzierung der Arbeitszeit ohne Einkommensverluste sowie einer Ausweitung
von Beschäftigungsmöglichkeiten ausgegangen.
Im ersten Teil werden die Wirkungen einer Arbeitszeitverkürzung für die Beschäftigten und
die Gesellschaft insgesamt dargestellt. Dabei werden unterschiedliche gesellschaftliche Probleme aufgegriffen und gezeigt, in welcher Weise die Verkürzung der Arbeitszeit zu deren
Bewältigung beiträgt und neue Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet. Dies reicht von der Reduzierung der Arbeitslosigkeit und Kosten im Gesundheitswesen bis hin zur Stärkung der Zivilgesellschaft.
Der zweite Teil der Expertise beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Arbeitszeitverkürzung auf die Entwicklung der Produktivität und Beschäftigung. Es wird unter anderem argumentiert, dass die derzeitige betriebliche Nutzung des Arbeitsvermögens in vielen Tätigkeitsfeldern nur dann bestmöglich erfolgen kann, wenn die Arbeitszeit verkürzt wird. Die Verkürzung der Arbeitszeit und die Umverteilung von Arbeit bilden eine Voraussetzung für weitere
Produktivitätssteigerungen. Weiter wird argumentiert, dass Unternehmen auch dann von Arbeitszeitverkürzungen profitieren können, wenn sie keine unmittelbare Produktivitätssteigerung zur Folge hat. Arbeitszeitverkürzung bildet somit eine wichtige Voraussetzung für die
Herausbildung eines neuen, zukunftsweisenden betrieblichen Produktionsmodells, das neue
Formen der Wertschöpfung erst dauerhaft ermöglicht.
Der folgende Text bezieht sich auf Ergebnisse zum ersten Teil der Expertise. Zum zweiten
Teil wird zunächst lediglich der Argumentationsrahmen vorgestellt.
8
Teil I
Bewältigung gesellschaftlicher Probleme und
Förderung neuer Entwicklungen durch
Arbeitszeitverkürzung
9
Bei der folgenden Darstellung der Auswirkungen der Arbeitszeitverkürzung auf unterschiedliche gesellschaftliche Lebensbereiche werden Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt, im
Gesundheitsbereich, in der Alterssicherung, in der Pflege, in der Betreuung von Kindern, in
Bezug auf die Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern, in der Arbeit des Alltags, in
der Zivilgesellschaft, im Bereich der Partizipation am sozialen und kulturellen Leben und im
Bereich des Konsums, der Eigenarbeit und neuer Ökonomien sowie einige übergreifende gesellschaftliche Effekte behandelt.
In der Argumentation werden jeweils Probleme in diesen Bereichen angesprochen und gezeigt, inwieweit die bisherigen gesellschaftlichen Lösungsansätze an Grenzen stoßen. Vor
diesem Hintergrund wird schließlich dargestellt, in welcher Weise die Verkürzung der Arbeitszeit grundlegende Neuorientierungen in diesen gesellschaftlichen Bereichen und ihrem
Zusammenwirken ermöglichen bzw. hierfür eine zentrale Voraussetzung bildet.
Abbau der
Arbeitslosigkeit
Mehr Zeit für
Eigenarbeit und
neue Ökonomien
Schutz der
Gesundheit
Mehr Zeit für
(besseren)
Konsum
Verlängerung der
Lebensarbeitszeit
Arbeitszeitverkürzung
30-Stunden-Woche
Gerechtere
soziale und
kulturelle
Teilhabe
Mehr Zeit für
Care- und
Pflegearbeit
Bessere
Betreuung der
Kinder
Stärkung der
Zivilgesellschaft
Entlastung der
Arbeit des
Alltags
Mehr
Chancengleichheit
Gesamtgesellschaftliche kurz-, mittel- und langfristige Wirkungen
10
1.
Abbau der Arbeitslosigkeit
Durch eine allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit kann eine Umverteilung der Erwerbsarbeit
eingeleitet und ein grundlegender Beitrag zur Überwindung der (Massen-)Arbeitslosigkeit
geleistet werden. Eine Teilhabe am Erwerbsleben wird zukünftig, selbst bei einem kulturellen
Bedeutungsverlust von Erwerbsarbeit, eine wesentliche Voraussetzung nicht nur für die ökonomische Existenzsicherung sondern auch die gesellschaftliche Inklusion insgesamt sein.
Ausgangslage/ Problemstellung
Die Arbeitszeiten in Deutschland entwickelten sich in den vergangenen Jahrzehnten sehr unterschiedlich und sind heute durch eine starke Polarisierung gekennzeichnet. Auf der einen
Seite wurden in einigen Branchentarifverträgen die Arbeitszeiten verlängert, etwa in der
Bauwirtschaft oder im öffentlichen Dienst. Und auch in denjenigen Branchen, in denen die tariflichen Arbeitszeiten unverändert blieben, arbeiten viele Vollzeiterwerbstätige aufgrund von
Überstunden zum Teil deutlich länger als es der Tarifvertrag vorsieht. Auf der anderen Seite
nehmen kurze Arbeitszeiten, d.h. Teilzeitarbeit und geringfügige Beschäftigung zu. Unternehmen nutzen spätestens seit den 1990er Jahren die Arbeitszeit verstärkt, um ihre Produktion
an die Markterfordernisse anzupassen. Seitdem nehmen auch flexible Arbeitszeiten im Rahmen von (Jahres-)Arbeitszeitkonten, Vertrauensarbeitszeit etc. und Schichtarbeit zu (Seifert
2008: 38ff.). Im Jahr 2010 arbeitete in Deutschland mehr als jeder zweite abhängig Beschäftigte auch in der Nacht, am Wochenende oder in Wechselschicht (Seifert 2011: 5).
Nach Angaben des statistischen Bundesamtes verringerte sich in den letzten Jahren die durchschnittliche Arbeitszeit in Deutschland. 1991 lag die wöchentliche Arbeitszeit bei 38,4 Stunden, im Jahr 2012 bereits bei 35,5 Stunden. Damit ist die Arbeitszeit in Deutschland etwas
kürzer als im europäischen Durchschnitt von 37,3 Stunden. Der allgemeine Rückgang der Arbeitszeit ist jedoch eben gerade nicht auf tarifliche Arbeitszeitverkürzungen bei Vollzeitbeschäftigten, sondern auf die Zunahme der Teilzeitbeschäftigung zurück zu führen. Der Anteil
der Teilzeitbeschäftigten an allen Erwerbstätigen stieg in den Jahren 1991 bis 2012 von 14 auf
27 Prozent. Überdies ging bei den Teilzeitbeschäftigten die durchschnittliche Stundenzahl sogar noch etwas zurück, nämlich von 20 auf ca. 18 Stunden. Die Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten blieb hingegen nahezu unverändert; sie lag 2013 mit durchschnittlich 41,9 Wochenstunden in etwa so hoch wie 1991 (Statistisches Bundesamt 2015).
Die Verkürzung der durchschnittlichen Arbeitszeit ist auf ein sinkendes Arbeitsvolumen zurückzuführen. Von 1991 bis 2013 reduzierte sich die Zahl der Arbeitsstunden von 60,1 Milliarden auf 58,1 Milliarden. Die Zahl der Erwerbstätigen stieg jedoch im gleichen Zeitraum von
rd. 38,7 auf 41,8 Millionen an (Statistisches Bundesamt 2014: 349ff.). Ebenso nahm die Zahl
der Erwerbslosen3 von 2,2 auf 2,3 Millionen leicht zu, wobei sie in den Jahren dazwischen
teilweise deutlich höher lag. Die Erwerbslosenquote war 2013 mit 5,3 Prozent etwas geringer
als 1991 (5,5 Prozent) (ebd.: 355).
3
Zu den Erwerbslosen zählen alle Erwerbspersonen, die innerhalb von zwei Wochen für die Aufnahme einer
Erwerbstätigkeit zur Verfügung stehen, unabhängig davon, ob sie sich bei der Arbeitsagentur als arbeitsuchend gemeldet haben (siehe Statistisches Bundesamt 2013a: 7).
11
Mittlerweile ist hinlänglich belegt, dass Arbeitslosigkeit für die hiervon Betroffenen nicht nur
ökonomische Risiken beinhaltet sondern zur sozialen Exklusion führt. Für die Gesellschaft
entstehen dadurch sowohl ökonomische als auch soziale Kosten. Auf die Folgen von Arbeitslosigkeit für die soziale Einbindung in die Gesellschaft wird in Teil I, Kap. 9 näher eingegangen. Auch andere Untersuchungen verweisen auf die hohe Bedeutung einer Erwerbsarbeit nicht nur für die ökonomische Existenz sondern auch als Quelle von Anerkennung, Identitätsbildung und die soziale Einbindung der Individuen. Dies gilt auch dann, wenn andere
Lebensbereiche an Bedeutung gewinnen (Straus/Höfer 1994).
Grenzen aktueller Lösungsansätze
Die aktuelle Arbeitsmarktpolitik konnte ihr Ziel, die Verminderung der Arbeitslosigkeit, nicht
erreichen. Arbeitsmarktforscher stellten fest, dass die Erwerbstätigkeit nach den sogenannten
Hartz-Reformen nicht stärker gestiegen ist als in den Jahren davor. Während der Krise
2008/2009 nahm die Beschäftigung zwar leicht zu. Die Wissenschaftler führen diesen erstaunlichen Effekt allerdings weniger auf die Reformen der Agenda 2010, sondern vielmehr
auf die staatlichen Konjunkturprogramme, die erweiterte Kurzarbeit und die betrieblichen Arbeitszeitkonten, die eine zeitweise Verkürzung der Arbeitszeiten ohne Einkommenseinbußen
ermöglichen, zurück (Horn/Herzog-Stein 2013; Sturm/van Treeck 2010).
Auch Knuth (2014) hält die Wirkung der Hartz-Reformen für überschätzt. So wird beispielsweise die schnellere Arbeitsvermittlung als ein wesentliches Ziel der Reformen benannt.
Dennoch fanden nur diejenigen Erwerbslosen, die kürzer als sechs Monate keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgingen, schneller wieder eine Anstellung. Bei denjenigen, die länger als ein
Jahr erwerbslos waren, hat sich die Abgangsrate in Erwerbstätigkeit durch die Reformen nicht
erhöht. Das anvisierte Ziel des „Forderns und Förderns“ war bei dieser Personengruppe also
kaum erfolgreich. Insgesamt blieb der Anteil der zuvor Arbeitslosen an den Neueingestellten
nach den Hartz-Reformen unverändert gegenüber der Zeit vor den Reformen.
Eine Folge der Arbeitsmarktpolitik der vergangenen Jahre ist hingegen eine Zunahme der
Einkommensungleichheit. Seit Mitte der 1990er Jahre haben sich (mit Ausnahme der jüngsten
Einkommenszuwächse) die Realeinkommen kaum erhöht. Lediglich die oberen Einkommensgruppen konnten in den vergangenen Jahren höhere Realeinkommen erzielen. Die Ausweitung der prekären Beschäftigung und insbesondere der größer werdende Niedriglohnsektor
verstärkten stattdessen die Ungleichheit zwischen den Armen und den Reichen. Überdies trägt
die Ausweitung von Befristungen und Leiharbeit wohl eher zu einer Verunsicherung der Beschäftigten als zur Stabilität am Arbeitsmarkt bei.
Arbeitszeitverkürzung als Lösungsweg
Die Entwicklung der Arbeitsmarktzahlen – insbesondere des Arbeitsvolumens und der Arbeitszeiten – liefert Hinweise darauf, dass die Arbeitslosenzahlen in den letzten Jahren gerade
aufgrund der Zunahme der Teilzeittätigkeit auf einem gleichbleibenden, vergleichsweise niedrigem Niveau gehalten werden konnten. Bei sinkendem Arbeitsvolumen kann die Erwerbstätigkeit nur ansteigen oder zumindest auf einem stabilen Niveau verharren, wenn die Arbeitszeiten zurück gehen. Diesem Umstand trugen die Tarifvertragsparteien bis Mitte der 1980er
12
Jahre Rechnung, indem die tariflichen, d.h. kollektiven Arbeitszeiten von Vollzeitbeschäftigten schrittweise mit dem Produktivitätsfortschritt abgesenkt wurden. Spätestens seit den
1990er Jahren ist dieser Prozess jedoch zum Stillstand gekommen. Seither wird die Arbeitszeitverkürzung durch eine divergierende Entwicklung der Arbeitszeiten – Verlängerung der
Arbeitszeiten bei den Vollzeitbeschäftigten und gleichzeitige Zunahme von Teilzeitarbeit –
realisiert.
Aufgrund dieser Entwicklungen kann der Abbau der Arbeitslosigkeit und die (Wieder-)Herstellung von Vollbeschäftigung langfristig nur dann realisiert werden kann, wenn die Arbeitszeiten der Vollzeitbeschäftigten verkürzt werden. Dadurch könnten sich die Arbeitszeiten von
Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten schrittweise annähern und mittelfristig vollständig angleichen. Kurze Vollzeit für alle wäre dann der allgemeine Standard.
An dieser Stelle darf nicht verschwiegen werden, dass dieser Sichtweise auch Gegenpositionen gegenüberstehen (siehe z. B. Flassbeck 2013). Aus einer neoklassischen Perspektive gilt
umgekehrt sogar eine Arbeitszeitverlängerung als Weg zum Abbau der Arbeitslosigkeit bzw.
zu mehr Beschäftigung. Theorien dieser Richtung gehen – vereinfacht gesagt – davon aus,
dass eine Verlängerung der Arbeitszeiten zu einem Rückgang der Arbeitskosten führt, was
auch ein Absinken der Preise zur Folge hätte. Die Realeinkommen bleiben konstant, und der
Export würde aufgrund der gestärkten internationalen Wettbewerbsfähigkeit steigen.
Diese Argumentation setzt allerdings eine hohe Preiselastizität, eine unveränderte Stundenproduktivität sowie eine unmittelbare Anpassung der Preise und der Nachfrage voraus (siehe
Seifert 2008: 44). Derartige Idealbedingungen sind jedoch lediglich in den theoretischen Modellannahmen anzutreffen. Überdies lässt diese Argumentation die globale Entwicklung unberücksichtigt. Wenn Arbeitsplätze in Deutschland aufgrund eines, durch sinkende Preise bedingten, steigenden Exportüberschusses entstehen, bedeutet dies immer, dass an anderen Orten Arbeitsplätze verloren gehen, solange die weltweite Nachfrage nicht ansteigt. D.h., selbst
wenn - die realen Rahmenbedingungen außer Acht gelassen - eine Arbeitszeitverlängerung im
Inland tatsächlich zu neuen Arbeitsplätzen verhelfen würde, wären die Folgen für die Entwicklung der Weltwirtschaft insgesamt negativ.
Generell lässt sich eine Auswirkung der Entwicklung der Arbeitszeit auf die Arbeitslosigkeit
unter den gegebenen Rahmenbedingungen schwer nachweisen. Darauf weist Seifert (2008:
43) hin und betont, dass die Zusammenhänge von unterschiedlichen Einflussfaktoren abhängen. Neben der Entwicklung der Produktivität und der Arbeitskosten müssten auch die Entwicklung der Angebotsseite auf dem Arbeitsmarkt und makroökonomische Rahmenbedingungen berücksichtigt werden. So konnten beispielsweise die Unternehmen die Arbeitszeitflexibilisierungen seit den 1990er Jahren nutzen, um ihre Produktion flexibel an die Nachfrage anzupassen. Sie konnten zusätzliche Kosten vermeiden, da bei flexibilisierten Arbeitseinsätzen Überstundenzuschläge wegfielen bzw. Lehrlaufzeiten vermieden werden konnten.
Die allgemeine Arbeitszeitverkürzung wurde folglich nicht im gleichen Umfang in Neueinstellungen umgesetzt.
Die Erfahrungen in der letzten Krise haben jedoch gezeigt, dass gerade die Arbeitszeitverkürzung eine positive Wirkung auf die Beschäftigung haben kann. So wurde in vielen Industrie13
bereichen im Jahr 2009 Kurzarbeit eingeführt, wodurch der Arbeitsmarkt insgesamt entlastet
und Beschäftigung gesichert werden konnte (Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik
2014: 39). Ebenso wird weitgehend anerkannt, dass sich durch die Ausweitung von Teilzeitarbeit positive Beschäftigungseffekte ergeben können (Seifert 2008: 47). Absenger et al.
(2014) führen an, dass der Anstieg der Beschäftigtenzahlen in den letzten Jahrzehnten wesentlich auf eine Arbeitsumverteilung zurückzuführen ist. So ist durch die zunehmende Erwerbsbeteiligung der Frauen und durch Einwanderung das Arbeitsangebot deutlich gestiegen.
Die Verkürzung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit durch die Ausweitung von Teilzeitarbeit hat in dieser Zeit jedoch zu einer Sicherung der Arbeitsplätze beigetragen
(Absenger et al. 2014).
Diese Entwicklung hat allerdings auch eine Kehrseite. Schreiber (2015) nennt hier den hohen
Anteil an Teilzeitarbeit und Minijobs in Deutschland, die überwiegend von Frauen ausgeübt
werden. Der hohe Anteil an Teilzeitarbeit in Deutschland ist durch die Statistik gut belegt.
Wird die hohe Erwerbstätigkeit in Deutschland in Vollzeitstellen umgerechnet, nimmt
Deutschland im europäischen Vergleich keine Spitzenstellung bei der Erwerbsquote ein. In
Vollzeitäquivalenten weist Deutschland eine Erwerbsquote von etwa 66 Prozent auf und steht
damit im europäischen Vergleich auf dem elften Platz (gegenüber einer offiziellen Quote von
77,4 Prozent und dem fünften Platz im europäischen Vergleich). Ein Teil der Teilzeitbeschäftigten übt Teilzeitarbeit unfreiwillig aus, d.h. diese Beschäftigten würden gerne mehr Stunden
arbeiten und stünden hierfür auch dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. (Schreiber 2015). Teilzeitarbeit bedeutet immer Einkommenseinbußen gegenüber Vollzeitarbeit und macht für viele
Beschäftigte eine eigenständige ökonomische Existenz unmöglich.
Eine Voraussetzung für die positive Beschäftigungswirkung von Arbeitszeitverkürzung ist,
dass Betriebe für frei werdende Arbeitsstunden zusätzlich Personal einstellen (siehe Teil II
der Expertise). Von einem Abbau der Massenarbeitslosigkeit durch die Umverteilung der Erwerbsarbeit sind unter diesen Voraussetzungen weitere positive Effekte zu erwarten:
Durch eine Verkürzung der Arbeitszeiten kann das Erwerbspersonenpotential besser ausgeschöpft werden, da bereits bei einem gleichbleibenden Arbeitsvolumen mehr Arbeitsplätze
zur Verfügung stehen und mehr Menschen einer Erwerbstätigkeit nachgehen können.4 Durch
die verstärkte Erwerbsbeteiligung, z. B. von Frauen, kann ein wichtiger Beitrag zur Behebung
des Fachkräftemangels geleistet werden.
Zumindest dann, wenn sie länger andauert, zieht Arbeitslosigkeit auch eine Verkümmerung
von erworbenem Arbeitsvermögen nach sich. Durch den Abbau der Arbeitslosigkeit können
das gesellschaftliche Arbeitsvermögen und insbesondere die kreativen und schöpferischen
Potentiale der bislang arbeitslosen Menschen besser genutzt und für die Bewältigung wichtiger gesellschaftlicher Aufgaben eingesetzt werden. Eine Gesellschaft, deren wichtigste Res-
4
Zumindest kurz- bis mittelfristig ist jedoch sogar mit einem Anstieg des Arbeitsvolumens zu rechnen, da
durch die höhere Erwerbsbeteiligung die Nachfrage nach Konsumgütern steigt und damit die Produktion
ausgeweitet werden kann. Erst langfristig würden Rationalisierungsstrategien der Unternehmen wieder zu
einem Rückgang des Arbeitsvolumens führen. Dies würde jedoch wiederum eine weitere Arbeitszeitverkürzung ermöglichen.
14
source die menschliche Arbeitskraft und die Qualifikation der Menschen ist, kann nur davon
profitieren, diesen Ressourcenreichtum für den gesellschaftlichen Fortschritt zu nutzen.
Durch den Anstieg der Erwerbseinkommenssumme fließen in die öffentlichen Haushalte höhere Steuereinnahmen auch ohne eine Anhebung von Steuersätzen. Eine steigende Erwerbstätigkeit bedeutet auch steigende Einkommenssteuererträge. Durch den vermehrten Konsum
der früher arbeitslosen Erwerbstätigen ergeben sich ebenfalls höhere steuerliche Einnahmen
über die Mehrwertsteuer und andere indirekte Steuern. Darüber hinaus führen die höheren Sozialbeiträge zu einer Entlastung der Sozialkassen in der Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Umgekehrt gehen die Aufwendungen für staatliche Transferleistungen zurück, die aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit vor allem für das Arbeitslosengeld I und
II, aber auch für andere staatliche Transferleistungen wie z. B. das Wohngeld aufgewendet
werden müssen.
Arbeitslosigkeit geht immer mit einer Belastung der öffentlichen Haushalte einher. Laut den
Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) lagen die fiskalischen Kosten für Arbeitslosigkeit im Durchschnitt der Jahre 2001 bis 2011 bei etwa 74 Milliarden Euro im Jahr. Pro Arbeitslosen schwankten die Kosten in den einzelnen Jahren zwischen 17.100 und 19.200 Euro. Die Bundesagentur für Arbeit trug im Jahr 2011 mit ca. einem
Drittel (knapp 18 Milliarden Euro) den größten Teil der Kosten. Auf den Bund entfielen
knapp 14 Milliarden und die Kommunen knapp sieben Milliarden Euro. Der Beitrag der
Kranken- und Rentenversicherung lag bei etwa vier bzw. neun Milliarden Euro (siehe Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik 2013: 81ff.). Diese doch recht beträchtlichen Aufwendungen können mit einer Umverteilung der Erwerbsarbeit zu einem großen Teil eingespart werden.
Die Umverteilung der Erwerbsarbeit hat jedoch auch mittelbare volkswirtschaftliche Auswirkungen. Durch die Arbeitslosigkeit wird der private Konsum eingeschränkt, da die dem Individuum zur Verfügung stehenden Sozialeinkommen niedrig sind. Der mit dem Rückgang der
Arbeitslosigkeit verbundene Anstieg des verfügbaren Einkommens führt deshalb auch zu einem höheren Konsum und damit zu einem Wachstum der inländischen Nachfrage. Steigt die
Nachfrage an, so können die bestehenden Produktionskapazitäten besser ausgelastet werden
und die Chancen für Neuinvestitionen nehmen zu. Das durch die verstärkte Inlandsnachfrage
angeregte Wachstum verringert die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft vom Export. Sofern auch die Löhne und Gehälter stärker ansteigen und damit deutsche Produkte im Ausland
teurer werden, bieten sich Chancen für den Rückbau der deutschen Exportüberschüsse, da andere Länder besser mit den deutschen Produkten konkurrieren können. Dadurch kann
Deutschland einen Beitrag zu ausgeglichenen europäischen Handelsbilanzen und zur gesamteuropäischen Stabilität leisten.
Eine Arbeitszeitverkürzung ohne Einkommensverluste, die zu Neueinstellungen führt, bedeutet zunächst für die Unternehmen höhere Kosten. Zur Bewältigung dieser Mehrbelastung
werden in der bisherigen Diskussion unterschiedliche, auf Umlagefinanzierung (z. B. Subventionierung, steuerliche Entlastung etc.) abzielende Finanzierungskonzepte vorgeschlagen.
15
Einen sehr ausgearbeiteten Vorschlag zur Finanzierung der Arbeitszeitverkürzung hat Gith
(2015) entwickelt.
Der hier verfolgte Ansatz richtet sich demgegenüber auf mögliche positive volkswirtschaftliche (Steigerung der Nachfrage) und fiskalische (vermehrte Steuereinnahmen) Effekte sowie
auf betriebliche Produktivitätsfortschritte, die durch eine Arbeitszeitverkürzung entstehen.
Damit können die zusätzlichen Lohnkosten sowohl von der Privatwirtschaft als auch dem öffentlichen Beschäftigungssektor selbst getragen werden.
Im Folgenden werden zunächst weitere positive Effekte der Arbeitszeitverkürzung auf die
Gesellschaft beschrieben. Die positiven Auswirkungen der Arbeitszeitverkürzung auf die betriebliche Produktivitätsentwicklung werden im zweiten Teil der Expertise angesprochen.
16
2.
Schutz und Förderung der physischen und psychischen
Gesundheit und Entlastung des Gesundheitssystems
Durch eine Verkürzung der Arbeitszeit und eine Umverteilung der Erwerbsarbeit wird die
Gesundheit der Beschäftigten geschont. Die Reduzierung von (arbeitsbedingten) Erkrankungen entlastet das Gesundheitssystem.
Ausgangslage/ Problemstellung
Entgegen der einstigen Hoffnungen, dass die wirtschaftliche und technische Entwicklung zu
einer umfassenden Humanisierung des Arbeitslebens führt, entstehen heute in der Erwerbsarbeit neue Formen der Belastung. Gleichzeitig sind auch traditionelle Belastungen keineswegs
aus dem Arbeitsleben verschwunden. Die sozialwissenschaftliche Forschung hat in den vergangenen Jahren eine Reihe unterschiedlicher Arbeitsbelastungen, denen Beschäftigte ausgesetzt sind, aufgedeckt und untersucht:5
Auf der einen Seite ist, trotz vielfältiger Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, ein Fortbestand traditioneller Arbeitsbelastungen feststellbar, etwa durch Lärm oder
Gefahrenstoffe. Körperliche Zwangshaltungen in der Produktionsarbeit, aber auch im
Dienstleistungsbereich haben sogar noch zugenommen. In den Fabriken haben sich teilweise Prozesse einer Retaylorisierung der Arbeitsorganisation vollzogen mit der Folge,
dass repetitive, kurztaktike Arbeitsvollzüge mit den traditionellen Gesundheitsgefährdungen wieder zugenommen haben. Daneben zeigen sich aber auch verstärkt psychosoziale
Belastungen infolge einer zunehmenden Arbeitsintensivierung. Die Folge hiervon ist u. a.
ein zunehmender arbeitsbedingter Stress (Pickshaus/Urban 2002; Nöllenheidt/Brenscheidt
2015: 33). Für viele Beschäftigte stellen insbesondere der starke Termin- und Leistungsdruck sowie häufige Arbeitsunterbrechungen eine starke Arbeitsbelastung dar
(Nöllenheidt/Brenscheidt 2015: 27).
Auf der anderen Seite sind auch hochqualifizierte, selbstverantwortliche Arbeitsbereiche
keineswegs belastungsarm. Die mit den neuen Arbeitsformen einhergehende „Subjektivierung von Arbeit“ (vgl. Moldaschl/Voß 2003) bringt für die Beschäftigten zwar erweiterte
Handlungsspielräume an hoch anspruchsvollen Arbeitsplätzen mit sich; diese stellen jedoch gleichzeitig neue Belastungsquellen aufgrund der Gefahr der Selbstüberforderung dar
(siehe z. B. Pickshaus/Urban 2002: 633ff.; Glißmann 2002; Becke et al. 2010; Ahlers
2010).
Weiterhin lassen sich Belastungen feststellen, die mit besonderen Anforderungen an die
Flexibilität der Beschäftigten in Bezug auf die Arbeitszeiten und/oder die Arbeitsorte einhergehen, so etwa durch überlange Arbeitszeiten (Wirtz 2010), Nacht- oder Schichtarbeit
(Beermann 2008; Wirtz 2010; Struck et al. 2014) oder durch wechselnde Arbeitsorte bei
mobiler Arbeit (Maschke et al. 2014).
Darüber hinaus geraten zunehmend Belastungen in den Blickpunkt der Forschung, die
durch Tätigkeiten mit spezifischen Anforderungen entstehen. So ergeben sich etwa bei der
5
Zu einem Überblick über die Entwicklung der Belastungsforschung siehe Böhle 2010.
17
Arbeit mit und an Menschen (Interaktionsarbeit) Belastungen u. a. aus der Zusammenarbeit mit Kundinnen und Kunden (Böhle et al. 2015). Hierzu zählen beispielsweise Belastungen infolge verstärkter psychischer Beanspruchungen durch Kunden (für die Pflege
auch Büssing/Glaser 1999 und 2003), Belastungen im Zusammenhang mit der Kontrolle
und Beeinflussung der eigenen Emotionen (vgl. als Überblick auch Zapf 2002) oder Belastungen durch erhöhte Anforderungen bei der zur Erfüllung der Arbeit notwendigen Kooperation unter Anwesenheit von Kunden (Böhle et al. 2015).
Und schließlich zeigen sich in der Erwerbsarbeit neue Belastungen, die mit der
Prekarisierung der Arbeit einhergehen. Untersuchungen deuten darauf hin, dass in diesen
Beschäftigungsverhältnissen zum einen traditionelle und neue Formen der Arbeitsbelastung kumulieren (Pickshaus/Urban 2002). Zum anderen stellt die Unsicherheit prekärer
Arbeit einen eigenen Belastungsfaktor dar (Kleibrink 2014), der die Gefahr gesundheitlicher Beschwerden erhöht (Kroll/Lampert 2012).
In der neueren Belastungsforschung wird heute nicht mehr allein zwischen unterschiedlichen
Belastungsquellen in der Erwerbsarbeit unterschieden, sondern auch auf die unterschiedliche,
personenspezifische Betroffenheit durch Arbeitsbelastungen Bezug genommen, so z. B. auf
das Geschlecht, das Alter, den Wohnort oder die aktuelle Lebenssituation (siehe z. B. Techniker Krankenkasse 2013). Für eine Beschäftigtengruppe, die von Arbeitsbelastungen in besonderer Weise betroffen ist, steht die bislang wenig beachtete Gruppe der hochsensiblen Menschen: Hochsensible haben ein sensibleres Nervensystem als normalsensible Menschen. Dies
bedeutet, dass sie Reize stärker wahrnehmen, mehr Reize die Wahrnehmungsschwelle überschreiten und ins Bewusstsein gelangen und diese auch tiefer verarbeitet werden. Diese intensivere Reizwahrnehmung bezieht sich sowohl auf äußere als auch auf innere Reize wie Körperempfindungen oder Emotionen. Diese Disposition wird unter dem Namen sensory processing sensitivity erforscht (vgl. Aron/Aron 1997; Aron et al. 2012).6
Die Folgen der Belastungen in der Arbeitswelt für die Beschäftigten sind vielfältig und seien
hier nur beispielhaft angeführt: In den letzten Jahren zeigt sich eine Zunahme von physischen
sowie insbesondere auch psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Burnout. Immer
mehr Beschäftigte leiden unter Stress und jeder Zweite von ihnen nennt als Hauptursache
hierfür die Arbeit (Techniker Krankenkasse 2013: 9). Belastungen durch Stress führen zu einem allgemein schlechteren gesundheitlichen Befinden der Betroffenen und zu höheren Beschwerden wie Rückenschmerzen, Schlafstörungen, Erschöpfung oder Migräne (ebd.: 33f.).
Beschäftigte mit überlangen Arbeitszeiten sind einem erhöhten Unfallrisiko ausgesetzt, zeigen
ab einer bestimmten Arbeitsdauer einen Leistungsabfall und haben ein erhöhtes Risiko für
Herzerkrankungen sowie für gastrointestinale sowie muskulo-skelettale Beeinträchtigungen.
Überdies gehen überlange Arbeitszeiten häufig mit einem erhöhten Konsum von Alkohol und
Zigaretten, einer Gewichtszunahme aufgrund falscher Ernährung und mangelnder Bewegung
einher (Wirtz 2010). Nachtarbeiter, deren Zahl in den letzten Jahren angestiegen ist, leiden
6 Hochsensibilität ist angeboren und genetisch bedingt (Chen et al. 2011), findet sich bei ca. 15-20 Prozent der
Bevölkerung und ist eine Eigenschaft, die man entweder hat oder nicht hat. Sensory processing sensitivity ist
also kein normalverteiltes Merkmal, sondern die Gruppe der Hochsensiblen unterscheidet sich deutlich vom
Rest der Bevölkerung (Borries/Ostendorf 2012).
18
häufiger unter Schlafstörungen, Magen-Darm-Beschwerden, Nervosität, Reizbarkeit, Burnout
und Herzproblemen als Menschen, die tagsüber arbeiten (Struck et al. 2014).
Durch die gesundheitlichen Probleme der Beschäftigten werden enorme, u. a. durch Krankheitsausfälle bedingte Kosten für die Krankenkassen und auch die Rentenversicherung verursacht. So hat die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin für das Jahr 2012 53
Millionen Krankheitstage allein durch psychische Probleme der Erwerbstätigen erfasst
(Kleinbrink 2014). Nach Ermittlungen von Bödeker und Friedrichs beliefen sich die Kosten
für psychische Erkrankungen, die durch Arbeitsbelastungen verursacht oder negativ beeinflusst wurden, im Jahr 2008 auf 7,1 Milliarden Euro (Bödeker/Friedrichs 2011). Die jährlichen Kosten für alle arbeitsbedingten Erkrankungen (physische und psychische Erkrankungen) und Frühverrentungen belaufen sich nach Bödeker (2008) auf insgesamt knapp 44 Milliarden Euro.7
Erhöhte gesundheitliche Probleme treten jedoch nicht nur aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen auf. Auch wer keine Arbeit hat, leidet unter höheren gesundheitlichen Belastungen.
So führen der psychosoziale Stress, Angststörungen und depressive Erkrankungen, die soziale
Desintegration und die fehlende Motivation und ein häufig daraus folgendes gesundheitsgefährdendes Verhalten bei Arbeitslosen nicht nur zu vermehrten Krankheitstagen, sondern sogar zu einer durchschnittlich geringeren Lebenserwartung gegenüber Menschen, die im Erwerbsleben stehen (Kroll/Lampert 2012).
Für eine steigende Zahl an Menschen ist das Bemühen um die eigene Gesundheit zu einem
zentralen Bestandteil ihrer Lebensführung geworden. Zeitliche und finanzielle Investitionen
werden nicht gescheut, um sich selbst und seiner geistigen und körperlichen Gesundheit was
Gutes zu tun. Die in den letzten Jahren stark angestiegene Zahl an Wellnessangeboten,
Wellnesshotels und Fitnessstudios belegen die hohe Nachfrage nach gesundheitsförderlichen
Angeboten. Sowohl der Gang zu Ärzten und Therapeuten als auch der Besuch von WellnessEinrichtungen erfordern jedoch Zeit und Muße. Gesundheit ist zu einem kostbaren Gut geworden; die hierfür nötigen zeitlichen Investitionen und finanziellen Ausgaben sind viele bereit zu tragen, vorausgesetzt, die Möglichkeiten hierfür bestehen. Allerdings stehen dem die
realen zeitlichen Anforderungen in der Erwerbstätigkeit häufig entgegen.8
Grenzen aktueller Lösungsansätze
Der klassische Ansatz bei der Gestaltung von Arbeitsbedingungen bezieht sich auf den Arbeitsschutz und wird im Arbeitsschutzgesetz geregelt. Ziel ist die Vermeidung von Arbeitsun7
8
Enthalten sind direkte (Behandlungskosten) und indirekte Kosten (Kosten für Verlust an Erwerbsjahren). Die
Zahlen basieren auf Daten des Statistischen Bundesamtes, des Verbands deutscher Rentenversicherungsträger
und der Krankenkassen. Sie wurden auf Basis der letzten verfügbaren Daten von 2004 aktualisiert (siehe
Bödeker 2008).
Gleichzeitig werden an den Einzelnen auch hohe Erwartungen an das Gesundheitsverhalten gestellt. Wer
einen schlechten Gesundheitszustand zu beklagen hat, muss sich häufig fragen lassen, ob er nicht genug für
seine Gesundheit getan hat. Schließlich liegen heute zahlreiche Informationen über Krankheiten, über eine
richtige, d.h. gesundheitsförderliche Lebensweise und krankmachende Faktoren vor. Dadurch besteht aber
auch die Gefahr, dass Krankheit oder ein schlechter Allgemeinzustand zu stark in den Verantwortungsbereich
des Individuums gelegt und krankmachende gesellschaftliche Faktoren – nicht nur in der Erwerbsarbeit sondern beispielsweise auch aufgrund eines ungesunden Wohnumfeldes – unterbewertet werden.
19
fällen und Berufskrankheiten. In den letzten Jahren wird jedoch auch der Einfluss von neuen
Techniken auf die Arbeitsbedingungen, das soziale Zusammenleben im Betrieb sowie die
ökonomische Sicherheit der Beschäftigten in den Arbeitsschutz einbezogen
(Nöllenheidt/Brenscheidt 2015: 5).
Die Politik und immer mehr Unternehmen erkennen die Bedeutung eines weit umfassenderen
betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes und setzen weitreichende Maßnahmen um. Es
werden verstärkte Anstrengungen zur Verbesserung der Gesundheit der Beschäftigten unternommen. So beziehen einige Unternehmen inzwischen die Beschäftigten bei umzusetzenden
Maßnahmen im Rahmen eines partizipativen Arbeits- und Gesundheitsschutzes ein und erkennen deren Kompetenzen bei der Beurteilung von belastenden Arbeitsbedingungen an.
Auch werden verstärkt vorbeugende Maßnahmen zum Gesundheitsschutz, beispielsweise Rückenschulungen oder Yogakurse, in den Unternehmen selbst angeboten. Im Rahmen eines
betrieblichen Gesundheitsmanagements wird die betriebliche Gesundheitsförderung von Unternehmen zur Chefsache erklärt und als ganzheitlicher Ansatz betrieblich institutionalisiert.
Auch das Bundesgesundheitsministerium hat sich des Themas angenommen und unterstützt
Unternehmen bei der betrieblichen Gesundheitsförderung.9 Den psychischen Belastungen in
der Arbeit und ihrer Vermeidung wird inzwischen auf gesetzlicher Grundlage verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt und das Arbeitsschutzgesetz wurde dahingehend erweitert. In den
Katalog der zu beurteilenden Arbeitsbedingungen wurden nun auch die psychischen Belastungen aufgenommen (§ 5 Abs. 3 Nr. 6).
Die Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sind notwendig, um die Beschäftigten
vor Arbeitsbelastungen sowie deren Folgen zu schützen bzw. um mehr Ressourcen zu deren
Bewältigung im Arbeitsleben bereit zu stellen. Insofern sind derartige Interventionen generell
positiv zu bewerten und müssen in Zukunft auch weiter ausgebaut werden. Dennoch zeigt
sich, dass die Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes die traditionellen und neuen
Belastungen nicht vollständig abschaffen können. So ist beispielsweise Nachtarbeit, trotz der
vielfältigen Entlastungen im Bereich körperlicher Tätigkeiten in den vergangenen Jahren,
grundsätzlich gesundheitsbelastend. Auch die emotionale Belastung etwa bei der Arbeit in der
Pflege kann durch unterstützende Hilfsangebote, wie beispielsweise Coaching, nicht vollständig beseitigt werden. Viele tätigkeitsspezifische Belastungen lassen sich auch gar nicht beseitigen, da ihre Ursachen strukturell bedingt sind und die Tätigkeit gerade mit charakterisieren.
Dies ist etwa bei vielen qualifizierten, selbstverantwortlichen Tätigkeiten der Fall. So resultieren die Belastungen in der Arbeit mit Kunden gerade aus den spezifischen Anforderungen bei
der Interaktion, wie beispielsweise der Emotionsarbeit. Interaktionsarbeit ist jedoch ohne
Emotionsarbeit gar nicht möglich (Böhle et al. 2015). Ein vollständiger Abbau der Belastungsfaktoren wäre also nur möglich, wenn der Kern der Tätigkeit, in diesem Fall die Interaktion, selbst abgeschafft würde.
Um die Beschäftigten vor den vielfältigen Belastungen im heutigen Arbeitsleben möglichst
umfassend zu schützen und damit einen wirksamen Beitrag zum Gesundheitsschutz zu leisten,
9
Siehe: http://www.bmg.bund.de/themen/praevention/betriebliche-gesundheitsfoerderung.html (zuletzt aufgesucht am 02.07.2015).
20
sind folglich weitere Maßnahmen erforderlich. Eine solche Maßnahme stellt Arbeitszeitverkürzung dar.
Arbeitszeitverkürzung als Lösungsweg
Arbeitszeitverkürzung verbessert die individuellen Voraussetzungen für die Bewältigung von
arbeitsbedingten Belastungen. Als eine verhältnisbezogene Maßnahme des Arbeits- und
Gesundheitsschutzes kann Arbeitszeitverkürzung in doppelter Weise positiv auf die Gesundheit wirken: als Präventivmaßnahme, die Belastungen reduziert, sowie als Ressource, die hilft,
Belastungen besser zu bewältigen.
Durch Arbeitszeitverkürzung sind die Beschäftigten den belastenden Faktoren in geringerem
zeitlichem Umfang ausgesetzt, so dass sich diese verringern. Eine Verkürzung der Arbeitszeit
stellt somit eine Maßnahme zur Prävention von Belastungen dar. So ist Nachtarbeit weniger
belastend, wenn sie seltener ausgeübt wird. Zudem können kürzere Arbeitszeiten den Bedürfnissen besonderer Personengruppen besser gerecht werden – wie etwa Hochsensiblen, deren
Reizextension hierdurch gelindert wird. Die negativen Wirkungen von Körper und Geist belastenden und überstrapazierenden Faktoren wie zu hohes Arbeitspensum, Zeit- und Termindruck, störende Elemente am Arbeitsplatz oder Tätigkeiten in Verbindung mit dem Tragen/Heben schwerer Lasten können durch kürzere Arbeitszeiten insgesamt verringert werden.
10
Darüber hinaus vergrößert Arbeitszeitverkürzung die Ressourcen zur Bewältigung der Arbeitsbelastungen. Kürzere Arbeitszeiten verlängern die Zeit ohne Erwerbsarbeit, die für die
Regeneration von Körper und Geist genutzt werden kann. Die Folgen von Nachtarbeit, wie
Störungen des Biorhythmus und damit einhergehende Schlafstörungen, Müdigkeit, Erschöpfung etc. werden mit verkürzter Arbeitszeit zwar nicht vollständig verhindert, doch haben betroffene Beschäftigte mehr arbeitsfreie Zeit, in der sie von ihren beruflichen Tätigkeiten Abstand nehmen, sich regenerieren und mehr Zeit für ihr Privatleben aufwenden können. Eine
kürzere Wochenarbeitszeit ist unter diesem Aspekt also abermals eine angemessene Alternative, da hierdurch mehr Zeit für Freizeit, nicht-berufliche Arbeiten wie Pflegearbeit gegeben
ist und zudem die gesundheitliche Belastung durch das Arbeiten gesenkt wird. Darüber hinaus
kann bei kürzeren Arbeitszeiten mehr Zeit für die Selbstsorge genutzt und der Gesundheitszustand selbst gepflegt werden: durch Arztbesuche oder gesundheitsförderliche Aktivitäten wie
Sport und Wellness.
10
Da hochsensible Personen in denselben Situationen viel mehr „Wahrnehmungs-Input“ bekommen und auswerten müssen als andere, sind ihre Wahrnehmungskapazitäten viel schneller erschöpft und in der Folge
überreizt (Aron 2010). Kommen weitere Risikofaktoren hinzu, besteht ein erhöhtes Risiko, an einer psychischen Krankheit wie Depression oder Angststörungen zu erkranken (Aron et al. 2005; Liss et al. 2005).
Gleichzeitig haben hochsensible Personen durch ihre Wahrnehmungsintensität eine Disposition für viele
Fähigkeiten, die normalsensible Menschen nicht oder nur weniger ausgeprägt haben – sofern sie unter Bedingungen leben und arbeiten, die sie nicht überlasten.
21
3.
Entlastung des Rentensystems durch die Verlängerung der
Lebensarbeitszeit
Durch eine Verkürzung der Arbeitszeit werden Frühverrentungen seltener und die Beschäftigten können länger im Erwerbsleben verbleiben. Dadurch werden auch die Rentenkassen
entlastet.
Ausgangslage/ Problemstellung
Aufgrund von physischen und psychischen Belastungen, die nicht selten schon in frühen Phasen des Erwerbslebens auftreten, steigt die Zahl der Frühverrentungen an. Auch wenn die
Zahl der über 55-jährigen Erwerbstätigen insgesamt zugenommen hat11, ist bereits heute eine
Vielzahl an Erwerbstätigen nicht mehr in der Lage, bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter
berufstätig zu sein oder zumindest in ihrem erlernten und ggf. lange ausgeübten Beruf zu arbeiten. Dies führt dazu, dass die betroffenen Erwerbstätigen entweder in andere Tätigkeiten –
häufig auch im Rahmen von Umschulungen – wechseln, Minijobs annehmen oder aber gar
vorzeitig in Rente gehen (müssen). Im Jahr 2009 gingen gut 80.000 Frauen und über 90.000
Männer aufgrund einer krankheits- oder unfallbedingten Verminderung ihrer Erwerbsfähigkeit vorzeitig in Rente. Das waren etwa 14 Prozent aller Rentenzugänge (Kroll et al. 2011: 5).
Aufgrund der gesundheitlichen Belastungen in der Arbeitswelt (vgl. Teil I, Kap. 2.) verwundert es wenig, dass die Hoffnungen der Erwerbstätigen teilweise sehr verhalten sind, das gesetzliche Renteneintrittsalter überhaupt zu erreichen (Trischler/Kistler 2010: 2). Hohe physische Belastungen führen in vielen Tätigkeiten langfristig dazu, dass nicht bis ins gesetzliche
Rentenalter hinein gearbeitet werden kann (Holler/Trischler 2010). Neben diesen physischen
Faktoren tragen auch psychische Faktoren zu einer vorzeitigen Beendigung des Erwerbslebens bei. Besonders dramatisch ist die Situation bei denjenigen Beschäftigten, bei denen unterschiedliche Belastungsfaktoren zusammenkommen. Zwei Drittel der Beschäftigten, die
unter physischen und psychischen Belastungen arbeiten und die gleichzeitig wenig berufliche
Entwicklungsmöglichkeiten haben, gehen davon aus, dass sie ihren derzeitigen Job nicht bis
zum gesetzlichen Renteneintrittsalter durchhalten werden (Trischler/Kistler 2010: 2). Und
selbst bei den höher qualifizierten Beschäftigten planen mehr als die Hälfte aufgrund der hohen Leistungsanforderungen in der Arbeit vorzeitig in Rente zu gehen (Behr/Hänel 2013:
102). Generell gilt: Auch wenn das durchschnittliche Rentenzugangsalter in den letzten Jahren angestiegen ist, ist es dennoch weit von der Regelaltersgrenze entfernt (Brussig/Ribbat
2014: 2).
Das vorzeitige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben ist in unterschiedlicher Hinsicht problematisch. Zum einen fehlen die älteren Beschäftigten am Arbeitsmarkt, da weder auf ihre Qualifikationen noch ihre Erfahrungen verzichtet werden kann. Dadurch wird der Fachkräftemangel zusätzlich verstärkt. Zum anderen stellt die hohe Zahl an Frühverrentungen ein Problem
für das Sozialversicherungssystem dar. Die Rentenkassen werden dadurch übermäßig belastet.
11
Dies lässt sich u. a. darauf zurückführen, dass nun eine Generation in den Bereich des gesetzlichen Renteneintrittsalters kommt, in der Frauen häufiger erwerbstätig sind und nun einen höheren Anteil an den älteren
Erwerbstätigen im Alter von 55 Jahren und mehr stellen (Brussig/Ribbat 2014: 2).
22
Und schließlich ist es auch für die betroffenen Beschäftigten selbst problematisch. Sie erhoffen sich, gesund in die Rentenphase einzutreten, und viele von ihnen würden auch gerne länger arbeiten, sofern die Bedingungen hierfür gegeben wären.
Grenzen aktueller Lösungsansätze
Der derzeit verfolgte politische Weg zur Entlastung des Rentenversicherungssystems zielt auf
eine Erhöhung des Renteneintrittsalters ab. Da dadurch für viele Beschäftigte der tatsächliche
Renteneintritt noch weiter vom gesetzlichen Eintrittsalter entfernt liegt, können durch diese
Maßnahme nur vermeintlich Kosten eingespart werden. Die erhofften Einsparungen in der
Rentenkasse gehen mit steigenden Ausgaben für Sozialleistungen an anderen Stellen einher.
Die Entwicklungen am Arbeitsmarkt tragen zu einem Anstieg der Altersarmut bei. Oftmals
wird aufgrund häufiger prekärer Beschäftigungsverhältnisse im Erwerbsverlauf und zu geringer Beitragsjahre zu wenig in die Rentenkasse eingezahlt, um eine existenzsichernde Rente zu
erhalten. Hiervon sind nicht nur Frauen besonders betroffen, sondern zunehmend auch ehemals gut abgesicherte Beschäftigtengruppen. Die aufgrund der geringen Renten von Altersarmut Betroffenen sind auf staatliche Unterstützungsleistungen angewiesen, die ihrerseits
wiederum hohe Sozialausgaben zur Folge haben. Die Leidtragenden der Anhebung des Renteneintrittsalters sind die Beschäftigten und die Steuerzahler, die die Kosten für die Grundsicherung im Alter zu tragen haben.
Die Probleme der Frühverrentung und des Fachkräftemangels haben inzwischen verstärkte
Anstrengungen in den Unternehmen zur Behebung dieses Missstandes hervorgerufen. Mit
speziellen Maßnahmen soll die Gesundheit der Beschäftigten geschont und gleichzeitig auch
eine bessere und längere Nutzung des Arbeitsvermögens älterer Beschäftigter ermöglicht
werden. Es werden Maßnahmen unter den Begriffen alters- bzw. alternsgerechtes Arbeiten in
den Betrieben eingeführt.12 Auch wenn bei der Umsetzung von Maßnahmen für altersgerechtes Arbeiten noch erheblicher Nachholbedarf besteht (bei den Maßnahmen für alternsgerechtes Arbeiten sieht es besser aus), liegen mittlerweile eine Reihe von Handlungsempfehlungen
vor, wie Arbeitsbedingungen aussehen können, um die Anforderungen an alters- und alternsgerechtes Arbeiten zu erfüllen. Sie beziehen sich auf die Personalpolitik, die Arbeitsorganisation und –gestaltung, die Arbeitszeitgestaltung, die Qualifizierung, das Gesundheitsmanagement und die Führung sowie die Unternehmenskultur (Tullius et al. 2012: 114f.).
Die Hoffnung, dass durch den Wandel der Arbeit insgesamt Belastungen reduziert und eine
langfristige Erhaltung der Arbeitsfähigkeit gefördert wird, hat sich bislang nicht erfüllt. Neben
Maßnahmen einer alterns- und altersgerechten Arbeitsgestaltung sind deshalb weitere Maßnahmen notwendig, um einen längeren Verbleib im Erwerbsleben zu ermöglichen bzw. ein
vorzeitiges Ausscheiden zu vermeiden.
12
Als altersgerecht werden Arbeitsbedingungen bezeichnet, wenn sie den Anforderungen und Bedürfnissen
älterer Beschäftigter entsprechen; alternsgerecht sind sie, wenn sie so gestaltet sind, dass sie über die gesamte
Erwerbsbiografie ausgeführt werden können und die Beschäftigen gesund, produktiv und motiviert das
Rentenalter erreichen und erleben können (siehe Tullius 2012: 114).
23
Arbeitszeitverkürzung als Lösungsweg
Arbeitszeitverkürzung wirkt sich positiv auf die Gesundheit der Beschäftigten aus, da Belastungen zurückgehen bzw. besser kompensiert werden können. Dies wurde im vorhergehenden
Kapitel dargestellt. Der verbesserte Gesundheitszustand trägt dazu bei, dass Beschäftigte länger im Erwerbsleben verbleiben können und die Zahl der Frühverrentungen zurück geht. Unternehmen profitieren hiervon insofern, als sie länger auf die Erfahrungen und das Wissen der
älteren Beschäftigten zurückgreifen können (Heidling et al. 2015). Für die Rentenversicherung ist dies von Vorteil, da die Aufwendungen für die Renten zurück gehen und gleichzeitig
das Beitragsvolumen insgesamt ansteigt, da mehr Erwerbstätige über einen längeren Zeitraum
Beiträge in die Rentenkasse einzahlen.
Wenn mehr Menschen länger im Erwerbsleben verbleiben können, gehen auch die Aufwendungen für Sozialleistungen zurück, die nicht von den Sozialversicherungen, sondern über
Steuern finanziert werden. So verringern sich beispielsweise die Ausgaben für die Leistungen
aus dem SGB XII zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, da die Anzahl der
armen Seniorinnen und Senioren abnimmt. Dadurch werden die öffentlichen Haushalte geschont und gleichzeitig steigen auch die finanziellen Spielräume für andere sozialstaatliche
Aufgaben, da mehr Gelder im Sozialhaushalt verbleiben. Damit kann ein wichtiger Beitrag
zur sozialen Sicherheit und zum Wohlbefinden der Menschen geleistet werden, da die Angst
vor einem sozialen Abstieg in Folge von Altersarmut zurückgeht. 13
13
Je mehr sozialstaatliche Absicherung, desto weniger leiden potenziell Betroffene bzw. Bedürftige unter
Sorgen vor Altersarmut (Siegrist et al. 2012).
24
4.
Mehr Zeit für Care- und Pflegearbeit
Durch eine Verkürzung der Arbeitszeit verbleibt mehr Zeit für die Sorge- und Pflegearbeit.
Die Qualität privater Betreuung und Pflege steigt. Das Gesundheitssystem wird entlastet,
wenn mehr Menschen ihre pflegebedürftigen Angehörigen selbst betreuen. Überdies kann bei
kürzeren Arbeitszeiten aller Beschäftigten die Sorgearbeit besser zwischen den Geschlechtern
verteilt werden.
Ausgangslage/ Problemstellung
Im Jahr 2011 gab es in Deutschland insgesamt 2,5 Mio. Pflegebedürftige. Von ihnen wurden
1,76 Mio. (70 Prozent) zu Hause und davon wiederum 1,18 Mio. von Angehörigen und
576.000 zusammen mit bzw. durch ambulante Pflegedienste gepflegt (Statistisches Bundesamt 2013b: 5). In den letzten Jahren ist die Zahl der Pflegebedürftigen in allen Bereichen gestiegen: in den Pflegeeinrichtungen, in der Angehörigenpflege und in der ambulanten Pflege.
Am stärksten war der Anstieg allerdings bei denjenigen Pflegebedürftigen, die zu Hause von
den Angehörigen gepflegt werden (ebd.: 7).
Pflegepersonen, die Pflegebedürftige betreuen, sind überwiegend weiblich. Bis zum Jahr 2005
war die Zahl der Frauen, die ihre Angehörigen pflegen, mindestens zehnmal so hoch wie die
der Männer. In den letzten Jahren ging die Zahl der pflegenden Frauen im erwerbsfähigen
Alter zurück, während die Zahl der pflegenden Männer anstieg. Allerdings beteiligen sich
Männer erst im höheren Alter verstärkt an der Pflegearbeit (Rothgang et al. 2013: 104ff.) Am
Ende des letzten Jahrtausends hatten deutlich mehr Frauen als Männer ihre Erwerbstätigkeit
für Pflegetätigkeiten eingeschränkt oder sogar ganz aufgegeben (Rumpf 2010: 118).
In den letzten Jahren stiegen sowohl die Einnahmen als auch die Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung an. Der Einnahmeanstieg ist auf Erhöhungen der Beitragssätze zurückzuführen. Diese wurden vorgenommen, um bestehende Defizite in der sozialen Pflegeversicherung
auszugleichen (siehe Rothgang et al. 2013: 125ff.).
Allen Prognosen zufolge wird sich in Zukunft die Pflegesituation verschärfen. Zum einen
wird mit einem weiteren Anstieg der Pflegebedürftigen gerechnet. Auf der anderen Seite
nimmt aufgrund des Rückgangs der Personen im erwerbsfähigen Alter das Arbeitskräfteangebot in der Pflege ab. Dadurch ergibt sich eine Lücke in der Versorgung von pflegebedürftigen
Menschen. Um diese zu schließen, müssen innovative Versorgungskonzepte entwickelt werden: z. B. die Stabilisierung der Pflege durch Angehörigenpflege oder durch den Ausbau des
zivilgesellschaftlichen Engagements (Rothgang et al. 2012: 10f.).
Grenzen aktueller Lösungsansätze
Die politischen Empfehlungen zur Lösung der Versorgungsproblematik weisen vor allem in
Richtung eines Ausbaus der häuslichen Pflege und der Förderung der Pflegebereitschaft der
Angehörigen. Dies ist das Anliegen der Pflegeversicherung (Rothgang et al. 2013: 100). Nach
der rechtlichen Grundlage des § 43 Abs. 1 SGB XI ist der häuslichen und teilstationären
Pflege Vorrang vor der vollstationären Unterbringung einzuräumen. Pflegebedürftigen soll
25
möglichst lange eine Pflege zu Hause ermöglicht werden. Überdies dient die häusliche Pflege
der Kosteneinsparung. Die ambulante Pflege ist in der Regel kostengünstiger als die Betreuung in Pflegeheimen – nicht zuletzt deshalb, weil Angehörige einbezogen werden.
Häusliche Pflege durch Angehörige ist jedoch mit einem hohen Zeitaufwand für die Pflegepersonen verbunden. Der Familienbericht gibt hierzu an, dass nach einer Befragung aus dem
Jahr 2010 der Zeitaufwand für die Pflege eines stark Pflegebedürftigen im Durchschnitt dem
Zeitaufwand für eine Vollzeiterwerbstätigkeit entspricht. Der Aufwand für weniger stark
Pflegebedürftige überschreitet immer noch die Belastung durch eine klassische Teilzeitbeschäftigung (BMFSFJ 2012: 56).
Mit dieser Problematik, so die Einschätzung des Familienberichtes, werden Familien alleine
gelassen. Während sich Pflegepersonen und Pflegebedürftige an die Zeitstrukturen von anderen Institutionen anpassen müssen, so etwa an die Vorgaben der Erwerbsarbeit, wird umgekehrt keine Rücksicht auf die zeitlichen Belange und Bedürfnisse der Familien genommen.
Die dabei entstehenden zeitlichen Konflikte müssen die Pflegepersonen alleine lösen
(BMFSFJ 2012: 35). Auch der Rechtsanspruch auf unbezahlte Pflegezeit bietet hier keinen
Ausweg, da die Pflegezeit nur diejenigen in Anspruch nehmen können, die über ausreichend
finanzielle Ressourcen verfügen, damit sie nicht nur für die Zeit der Pflege, sondern auch im
Alter abgesichert sind (Rumpf 2010: 161).
Andere Lösungsvorschläge zur Behebung der Versorgungslücke und zur Deckung der steigenden Kosten zielen auf einen Ausbau des ehrenamtlichen Engagements ab. Allein durch
professionelle Pflege könnten die zukünftigen Anforderungen nicht bewältigt werden. Deshalb sollen beispielsweise ältere Menschen, Nachbarn und Freunde der Pflegebedürftigen in
die Pflege einbezogen werden (Rothgang et al. 2012: 79).
Dieser Vorschlag ist insofern mit Problemen behaftet, als das ehrenamtliche Engagement für
eine häusliche Pflege zunächst nicht unbedingt gegeben ist. So schlägt auch der Familienbericht vor, verstärkt ältere Menschen in den Bundesfreiwilligendienst einzubeziehen, um die
Nachfrage zu befriedigen, merkt dabei aber gleichzeitig an, dass sich derzeit vor allem jüngere Menschen vor dem Einstieg ins Berufsleben am Bundesfreiwilligendienst beteiligen
(BMFSFJ 2012: 159). Unabhängig davon, dass sich ältere Menschen oder Nachbarn nicht so
leicht für eine ehrenamtliche Pflege aktivieren lassen, kann die für eine gute Pflege notwendige emotionale Zuwendung, die ja gerade bei der häuslichen Pflege gesucht wird, nicht verordnet werden.
Ein anderer Lösungsweg, auf den viele Familien angewiesen sind, besteht darin, sich bei der
Pflege von Angehörigen Unterstützung durch ausländische Pflegekräfte, die von Pflegeagenturen vermittelt werden, zu holen. Problematisch ist hierbei u. a., dass dadurch niedrig entlohnte und prekäre Beschäftigungsverhältnisse gefördert werden; zudem fehlen diese Personen in ihrer Heimat – als Arbeitskräfte und in ihren Familien.
26
Arbeitszeitverkürzung als Lösungsweg
Ein wichtiges Kriterium für Pflege ist die emotionale Zuwendung an die Pflegebedürftigen.
Sie ist ausschlaggebend für die Qualität der Pflege. Darüber hinaus ist die aufgewendete Zeit
ein Bestandteil der Pflegetätigkeit selbst (Worschech 2011). Als volkswirtschaftlicher Beitrag
wird diese Form der Arbeit jedoch kaum oder zumindest nicht entsprechend ihrer tatsächlichen Leistung anerkannt. Dabei ist Pflegearbeit in der Familie, wie es Rumpf (2010: 107)
formuliert, ein „unsichtbares“ und „unentgeltliches“ Fundament der kapitalistischen Gesellschaft. Care-Arbeit ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass bezahlte Arbeit überhaupt erledigt werden kann.
Pflegearbeit bedarf eines besonderen Schutzes und einer besonderen Förderung (vgl. hierzu
das Care-Manifest der Initiative Care Macht Mehr).14 Die für eine gute Pflege notwendige
Zeit muss durch die Gesellschaft bereitgestellt werden. Ein wichtiger Beitrag, der nicht nur
die Versorgungslücke verkleinert, sondern auch die Situation von Pflegebedürftigen verbessert, wäre deshalb eine Reduzierung der Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten. Eine Vollzeiterwerbstätigkeit ist im Regelfall die Voraussetzung für eine eigenständige Existenz. Auf der
Basis von existenzieller Unsicherheit kann aber kaum eine gute Pflege von Angehörigen geleistet werden. Deshalb sind durch Arbeitszeitverkürzung die Voraussetzungen dafür zu
schaffen, dass Menschen sich ihr Leben auch dann eigenständig finanzieren können, wenn sie
andere Menschen pflegen. Auf dem Weg einer kürzeren Arbeitszeit könnten zudem sowohl
Männer als auch Frauen ihren Beitrag zur Pflege von Angehörigen leisten und sich gleichberechtigt an der häuslichen Pflege beteiligen. Auch davon würde die Qualität der Pflege profitieren.
14
Siehe: http://care-macht-mehr.com/ (zuletzt aufgesucht am 01.07.2015)
27
5.
Bessere Betreuung der Kinder
Bei kürzeren Arbeitszeiten haben Eltern mehr Zeit für die Betreuung ihrer Kinder. Die Betreuungsaufgaben können dann gerecht zwischen beiden Elternteilen aufgeteilt werden. Dies
steigert die Qualität der Betreuung und entspricht auch dem Wunsch von immer mehr Eltern.
Außerdem können beide Elternteile gleichberechtigt einer Erwerbstätigkeit nachgehen und
ihre Kinder betreuen.
Ausgangslage/ Problemstellung
Kindererziehung wird in Deutschland immer noch überwiegend von Frauen übernommen. Im
ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung wird die Beharrungskraft traditioneller
Rollenverteilungen zwischen den Geschlechtern hervorgehoben. Diese ist unabhängig vom
Bildungsstand und vom Wohnort und zeigt sich auch in Partnerschaften, in denen eine gleichberechtigte Aufteilung der anfallenden Sorgearbeiten angestrebt wird, sogar dann, wenn die
Frauen selbst vollzeiterwerbstätig sind. Während sich vor der Geburt des ersten Kindes noch
80 Prozent der Paare die Verantwortung für den Familienalltag teilen, ist spätestens 34 Monate später mehr als die Hälfte der Mütter hierfür alleine zuständig. Männer investieren mehr
Zeit in ihre berufliche Entwicklung und übernehmen die Rolle des Familienernährers
(BMFSFJ 2011: 174 ff.).
Eine der Hauptursachen, warum sich Väter bei der Übernahme von Betreuungsaufgaben zurückziehen, stellen die langen betrieblichen Arbeitszeiten dar. Die tatsächlichen Arbeitszeiten
von Vätern liegen bei durchschnittlich 44 Wochenstunden (BMFSFJ 2011: 179). Dabei arbeiten gerade junge Väter direkt nach der Geburt des Kindes am längsten. Männer, die die
traditionelle Rollenverteilung ablehnen und ihren Beitrag zur Kinderbetreuung leisten wollen,
haben vielfach Probleme, ihre Ansprüche auf kürzere Arbeitszeiten in den Unternehmen
durchzusetzen. Nicht nur die Vorgesetzten, sondern auch viele Kollegen und Kolleginnen stehen ihnen bei diesem Ansinnen negativ gegenüber. Die Kollegen müssen die anfallenden
Mehrarbeiten übernehmen, da die freiwerdenden Stellen häufig nicht nachbesetzt werden.
Eine gleichberechtigte Mitwirkung von Vätern an der Kinderbetreuung wird aber auch durch
das alte Rollenmuster erschwert, nach dem Teilzeitarbeit nicht dem Selbstverständnis eines
„richtigen“ Mannes entspricht. Teilzeitarbeit wirkt heute immer noch als Karrierebremse
(Steinrücke 2009: 56).
Das in Europa einzigartige System der Halbtageskinderbetreuung und die männlich geprägte
Langzeitarbeitskultur in den Betrieben machen es für Menschen mit Kinderbetreuungspflichten schwer, sich beruflich weiter zu entwickeln oder gar eine Karriere anzustreben. Häufig
wird das Problem durch Überstunden, teilweise lange Fahrtzeiten und manchmal sogar durch
Arbeit am Abend oder am Wochenende noch größer (Steinrücke 2009: 54f.).
Dabei wollen immer mehr junge Väter eine aktive Rolle bei der Erziehung ihrer Kinder übernehmen. Hierfür würde ein Viertel von ihnen auch ihre Arbeitszeiten reduzieren (BMFSFJ
2011: 179). Internationale Studien über die Zeitverwendung von Männern für Haus-, Familien- und Erwerbsarbeit belegen den Wunsch vieler Väter, sich an der Kindererziehung zu
28
beteiligen. In Deutschland ist der zeitliche Aufwand der Väter für die Kinderbetreuung stärker
gestiegen als der für Hausarbeit und Kochen (Boll et al. 2011: 59).
Grenzen aktueller Lösungsansätze
Derzeit werden vor allem zwei Lösungsansätze diskutiert und umgesetzt, um die Vereinbarkeit einer Berufstätigkeit mit der Betreuung von Kindern zu verbessern. Zum einen wird ein
weiterer Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen angestrebt. Es fehlen insbesondere
Ganztagesbetreuungsplätze und auch Plätze für Kinder unter drei Jahren (Steinrücke 2009:
58). Nach den Regelungen des Sozialgesetzbuchs haben Eltern zwar einen rechtlichen Anspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz nach individuellem Bedarf, d.h. er kann also auch
dem zeitlichen Umfang eines Vollzeitarbeitsplatzes entsprechen. In der Praxis sieht dies jedoch anders aus: Die Öffnungszeiten der Kinderbetreuungseinrichtungen sind meistens begrenzt, weshalb in vielen Fällen einer der beiden Elternteile Teilzeit arbeiten oder sogar ganz
zu Hause bleiben muss. Eltern, die mehr Betreuung brauchen als angeboten, müssten sich ihr
Recht auf gerichtlichem Weg erstreiten. Von dieser Möglichkeit machen nur wenige Eltern
Gebrauch, nicht zuletzt deshalb, weil die Hürden hierfür hoch sind (Frankfurter Allgemeine,
online-Ausgabe vom 9. März 2015).15
Aber selbst dann, wenn die Kinderbetreuungszeiten ausgedehnt würden, entstünden dadurch
neue Probleme. Bei der Dauer der Betreuungszeiten müssten auch die Zeiten für Fahrtwege,
für Überstunden und im Extremfall sogar für Nachtarbeit oder Arbeit an den Wochenenden
einbezogen werden. Dadurch würden sich wiederum die Arbeitszeiten in den Kinderbetreuungseinrichtungen zum Teil erheblich verlängern. Überdies wünschen sich unabhängig
hiervon die meisten Eltern sicherlich auch gar nicht, dass ihre Kinder so lange in Betreuungseinrichtungen untergebracht werden.
Ein zweiter Lösungsansatz, der auf eine häusliche Betreuung der Kinder setzt, wird mit dem
Elterngeld verfolgt. Ein Ziel des Elterngeldes ist es, Väter stärker in die Betreuung der Kinder
einzubeziehen. Die Anspruchsberechtigung erhöht sich deshalb um zwei Monate, wenn beide
Elternteile zeitweise aus dem Erwerbsleben aussteigen. Das Elterngeld wird als staatliche
Ausgleichsleistung für den Einkommensausfall gewährt und stellt eine einkommensabhängige
Sozialleistung dar. Jedoch wurde es bald nach seiner Einführung kritisiert. Da seine Höhe
nach dem Einkommen berechnet wird, fördert es die soziale Ungleichheit. Überdies zeigt sich
bislang, dass zwar mehr als ein Viertel aller Väter Elternzeit in Anspruch nehmen, jedoch
nutzen die meisten Männer das Elterngeld nur für die geforderte Mindestzeit von zwei Monaten (Zeit Online vom 27. Mai 2013). In einer Untersuchung wurde herausgefunden, dass 71
Prozent der Väter, die die Elterngeldförderung in Anspruch nehmen, für maximal zwei Monate Elterngeld beziehen und nur fünf Prozent zwölf oder mehr Monate zu Hause bleiben
(Pfahl et al. 2014: 6). Den größten Teil der Elternzeit nehmen Frauen in Anspruch, da Familien in der Regel auf den meist höheren Verdienst der Väter angewiesen sind. Das Elterngeld
stellt somit keine hinreichende Maßnahme dar, um Männer und Frauen gleichberechtigt in die
Kinderbetreuung einzubeziehen.
15
So werden beispielsweise relativ lange Anfahrtswege als zumutbar erachtet.
29
Arbeitszeitverkürzung als Lösungsweg
Eltern brauchen ausreichend Zeit, um sich um die Betreuung ihrer Kinder zu kümmern. Nur
dann ist eine Gleichberechtigung von außerhäuslicher und Eigenbetreuung möglich. Kinder
brauchen beides, eine Betreuung in einer Gruppe mit anderen Kindern und eine Betreuung
durch die Eltern. Ein Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen ist richtig, stellt jedoch keinen ausreichenden Weg zur Verbesserung der Kinderbetreuung dar.
Das Hauptproblem, das einer gleichberechtigten Betreuung der Kinder durch beide Elternteile
im Wege steht, sind die langen Arbeitszeiten. Auch der erste Gleichstellungsbericht verweist
darauf, dass bei Arbeitszeiten von mehr als 40 Stunden in der Woche ein erfülltes Familienleben mit den zeitlichen Anforderungen für Haus- und Sorgearbeit nicht möglich ist. Überdies
entsprechen diese langen Arbeitszeiten auch nicht den Wünschen der Eltern. Neben einem
Ausbau von Teilzeitmodellen, bei denen die Arbeitszeiten zwischen Vätern und Müttern
gleichmäßig verteilt werden könnten, wird im Gleichstellungsbericht eine familienbewusste
Unternehmenskultur gefordert, um den Ausstieg von Vätern aus dem Berufsleben zu erleichtern (BMFSFJ 2011: 166 ff.).16
Eine Verkürzung der Arbeitszeiten von Vollzeitbeschäftigten ist notwendig, damit Kinder
durch beide Elternteile betreut werden können. Dies sollte jedoch nicht im Rahmen eines individuellen Anspruchs auf Teilzeitarbeit, sondern durch eine allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit für alle Vollzeitbeschäftigten umgesetzt werden. Mit einem vollen Lohnausgleich
können Einkommenseinbußen vermieden werden, die bei Teilzeitarbeit entstehen und die Eltern in den unteren Einkommensgruppen selten verkraften können. Mit einer allgemeinen
Verkürzung der Arbeitszeit sind eine Vollzeiterwerbstätigkeit beider Eltern und eine gleichberechtigte Kinderbetreuung möglich. Überdies würde die Qualität der Kinderbetreuung steigen,
wenn sich beide Eltern daran beteiligen. In einer Untersuchung über den Elterngeldbezug bei
Vätern konnte gezeigt werden, dass durch Elternmonate von Vätern sowohl die Intensität der
Vater-Kind-Beziehung als auch die Gleichberechtigung in der Partnerschaft gestärkt werden und dies umso mehr je mehr Elterngeldmonate die Väter in Anspruch nahmen (Pfahl et al.
2014: 4).
16 Auch der Familienbericht macht Vorschläge für die Gestaltung einer familienfreundlichen Zeitpolitik und
nennt rechtliche und institutionelle Ansatzpunkte. Es geht hierbei darum, die Zeitsouveränität von Eltern zu
erhöhen, z. B. durch eine Effizienzsteigerung der gesellschaftlichen Zeitstrukturen, eine Umverteilung der
Zeit im Lebensverlauf zwischen den Geschlechtern und den Generationen sowie eine Verbesserung der
individuellen Zeitkompetenz (BMFSFJ 2012: 136).
30
6.
Mehr Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern
Kürzere Arbeitszeiten erhöhen die Chancengleichzeit zwischen den Geschlechtern, da Frauen
und Männer einer existenzsichernden Vollzeiterwerbstätigkeit nachgehen können. Dies ermöglicht sowohl Frauen als auch Männern eine eigenständige, unabhängige Existenz und
bietet ihnen die Möglichkeit für einen beruflichen Aufstieg auch dann, wenn Kinder und andere Personen versorgt werden müssen. Gleichzeitig kann auch Haus- und Sorgearbeit gerechter verteilt werden, wenn beide Partner einer kürzeren Vollzeiterwerbstätigkeit nachgehen.
Ausgangslage/ Problemstellung
Eine wesentliche Bedingung für Chancengleichheit ist ökonomische Unabhängigkeit. Insofern
besteht Einigkeit darüber, dass die Frauenerwerbstätigkeit einen notwendigen Schritt auf dem
Weg zur Geschlechtergleichstellung darstellt. Viele der in den letzten Jahren ergriffenen
Maßnahmen zum Abbau der Benachteiligung von Frauen zielten auf eine Integration der
Frauen in den Arbeitsmarkt ab. Ein Großteil der Frauen erachtet es heute als selbstverständlich, erwerbstätig zu sein. Seit den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts stieg die Frauenerwerbsbeteiligung zwar langsam, aber dennoch kontinuierlich an. Insbesondere die Zahl verheirateter Mütter nahm in den letzten Jahr(zehnten) stark zu. Heute liegt die Frauenerwerbsquote in Deutschland über dem Durchschnitt der Europäischen Union. Nach Angaben des
Statistischen Bundesamtes waren im Jahr 2012 71,5 Prozent der Frauen im Alter zwischen 20
und 64 Jahren erwerbstätig. Im EU-Durchschnitt waren dies nur 62,3 Prozent. Nur die Niederlande, Dänemark, Finnland und Schweden weisen noch höhere Quoten als Deutschland auf
(Statistisches Bundesamt 2012).17
Die Frauenerwerbsquote allein gibt jedoch noch keine hinreichende Auskunft über das tatsächliche Ausmaß der Chancengleichheit im Erwerbsleben. Wichtig hierfür sind überdies eine
gute Qualifikation als Voraussetzung für eine gut bezahlte Tätigkeit, die Chance, in eine Führungsposition zu gelangen sowie die Höhe des Einkommens. Werden diese Aspekte berücksichtigt, stellt sich die Lage der Frauen im Erwerbsleben deutlich weniger gleichberechtigt
dar. Der erste Gleichstellungsbericht der Bundesregierung stellte fest, dass Frauen die Männer
bei den Bildungsabschlüssen bereits überholt haben, jedoch wesentlich seltener in einer Führungsposition zu finden sind. Auch gehört die Einkommensdiskrepanz mit um 22 Prozent geringeren Einkommen der Frauen zu den höchsten im Vergleich der Länder der Europäischen
Union (Barloschky 2009:103). Ein Grund hierfür ist u. a., dass Frauen häufig kürzere Arbeitszeiten haben. Die Erwerbsintegration von Frauen hat sich sehr stark über Teilzeitarbeit und in
den letzten Jahren auch verstärkt über „Minijobs“ vollzogen. Die Zunahme der Zahl und des
Anteils der erwerbstätigen Frauen ging nicht mit einer Ausweitung des von Frauen geleisteten
Arbeitsvolumens einher. Die von Frauen insgesamt abgeleisteten Arbeitsstunden haben sich
kaum verändert, sie verteilen sich lediglich auf mehr Frauen. Wird die Frauenerwerbsquote in
sog. Vollzeitäquivalenten gemessen, liegt sie nur knapp über dem Durchschnitt in der Euro17
Die Erwerbsquote der Frauen liegt jedoch immer noch erheblich unter der Quote der Männer, die im Jahr
2012 81,8 Prozent betrug.
31
päischen Union (BMFSFJ 2011: 109ff.). Wenn Kinder zu versorgen sind, liegen die Arbeitszeiten von Frauen und Männern besonders weit auseinander. Es gelingt offenbar trotz veränderter Rollendefinition und neuer soziokultureller Orientierungen nicht, dass die Versorgung
und Erziehung der Kinder von Männern und Frauen gleichermaßen übernommen wird. Männer arbeiten im Regelfall umso länger, je mehr Kinder sie haben; bei Frauen ist dies genau
umgekehrt. Aber selbst bei Frauen ohne Kinder haben sich die Arbeitszeiten stärker reduziert
als bei Männern ohne Kinder (BMFSFJ 2011:114).
Grenzen aktueller Lösungsansätze
Die derzeitigen politischen Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen im
Erwerbsleben sind keine ausreichenden Instrumente, um die tatsächliche Benachteiligung von
Frauen zu beseitigen. So dient das Teilzeit- und Befristungsgesetz dazu, die Übernahme einer
Teilzeittätigkeit zu erleichtern. Dies soll Müttern helfen, nach der Kinderpause wieder ins
Erwerbsleben einzusteigen. Das Gesetz sichert individuelle Ansprüche auf kürzere Arbeitszeiten, ermöglicht allerdings nur eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich (Steinrücke
2009: 63). Mit diesem Gesetz wird die Teilzeittätigkeit von Frauen gefördert, jedoch nicht die
Chancengleichheit. So geht insbesondere eine berufliche Karriere meist mit langen Arbeitszeiten einher. Von Führungskräften wird eine hohe zeitliche Verfügbarkeit für die Erwerbsarbeit, die Bereitschaft zur Ableistung von (unbezahlten) Überstunden und ein hohes Maß an
zeitlicher Flexibilität verlangt. Der Gleichstellungsbericht verweist darauf, dass sich Vollzeitarbeit positiv, Teilzeitarbeit und familienbedingte Erwerbsunterbrechung hingegen negativ
auf die berufliche Karriere auswirken (BMFJFS 2011: 126). Frauen und insbesondere Mütter
können die an eine berufliche Karriere gestellten Anforderungen seltener als Männer erfüllen,
da sie meistens die Sorgearbeit in der Familie übernehmen oder mindestens die Hauptlast
hierbei tragen. Sie sind deshalb häufig auf die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit angewiesen.
Auch andere Maßnahmen zur Förderung der Gleichberechtigung von Frauen im Erwerbsleben, etwa die Quotenregelung zur Erhöhung der Zahl der weiblichen Führungskräfte oder der
sog. Girls’ Day, mit dem das Interesse der Frauen an besser bezahlten, bislang jedoch
überwiegend von Männern ausgeübten Berufen geweckt werden soll, stellen keine ausreichenden Beiträge zur Geschlechtergleichstellung dar. Denn die derzeitigen Arbeitszeiten ermöglichen eine Vollzeittätigkeit oder gar eine berufliche Karriere nur dann, wenn die Beschäftigten von der notwendigen Haus- und Sorgearbeit entlastet werden. Die Bereitstellung
von Kinderbetreuungsplätzen ist zwar notwendig; jedoch wäre eine flächendeckende Entlastung der Familien, die die bisherige Vollerwerbstätigkeit für beide ermöglicht, nur durch eine
starke Erweiterung der Kinderbetreuungszeiten über die bislang maximalen Öffnungszeiten
hinaus gegeben. Abgesehen von den Kosten widerspricht dies auch dem Wunsch und dem
Recht von Frauen und Männern, die Versorgung und Erziehung ihrer Kinder im persönlichen
Kontakt mit ihnen zu gestalten und zu erleben (siehe auch Teil I, Kap. 5). Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass staatliche Maßnahmen zur Förderung der Familie überflüssig wären.
Wichtig wäre vielmehr ein Zusammenspiel von Maßnahmen, die eine (kurze) Vollzeit beider
Elternteile und eine gleichberechtigte Beteiligung an der Kindererziehung ermöglichen.
32
Arbeitszeitverkürzung als Lösungsweg
Chancengleichheit in der Erwerbsarbeit setzt eine gleichberechtigte Übernahme der (familiären) Sorgearbeit voraus. Eine wirksame Maßnahme, mit der die Gleichstellung der Geschlechter im Erwerbsleben gefördert und negative Folgen umgangen werden können, ist eine
allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten. Damit wird die Voraussetzung geschaffen, dass sowohl Männer als auch Frauen eine Vollzeiterwerbstätigkeit ausüben
und sich die Haus- und Sorgearbeit gleichberechtigt teilen können. Frauen sind nicht mehr
gezwungen, zur Versorgung und Erziehung der Kinder einer Teilzeittätigkeit oder einer anderen prekären Beschäftigung nachzugehen, da die Kinderbetreuung arbeitsteilig von Frauen
und Männern gleichermaßen übernommen werden kann. Die Arbeitszeiten von Teilzeit- und
Vollzeitbeschäftigten werden sich mittelfristig annähern mit der Folge, dass alle Beschäftigten
einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgehen können. Auch eine familienbedingte Erwerbsunterbrechung ist freiwillig, d.h. nur dann erforderlich, wenn dies von einem der beiden Elternteile
gewünscht wird. Schließlich hätten auch Männer durch kürzere Arbeitszeiten die Chance, sich
an der Kindererziehung zu beteiligen.
Eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung allein stellt zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Verwirklichung der Geschlechtergleichstellung im Erwerbsleben
dar. Weitere Maßnahmen, so etwa die Aufwertung und bessere Bezahlung von sogenannten
Frauentätigkeiten oder etwa der Abbau von ‚unsichtbaren’ Karrierehemmnissen für Frauen (z.
B. die sogenannte gläserne Decke bzw. die bekannten und häufig kritisierten Männerseilschaften) sind erforderlich. Überdies erfordert eine gleichberechtigte Verteilung der familiären Arbeiten zunächst ein Umdenken bei vielen Männern und auch Frauen. Eine kollektive
Arbeitszeitverkürzung schafft jedoch erst die Voraussetzungen für eine gleichberechtigte Beteiligung am Erwerbsleben und an der häuslichen Sorgearbeit. Erst auf ihrer Basis können
Umdenkprozesse stattfinden, damit Frauen und Männer eine existenzsichernde Beschäftigung
aufnehmen und diese im Einklang mit den Anforderungen an ihre alltägliche Lebensführung
ausüben können.
33
7.
Entlastung und Würdigung der Arbeit des Alltags
Durch eine Arbeitszeitverkürzung verbleibt den Beschäftigten mehr Zeit für diejenigen Tätigkeiten, die zur Organisation des Alltags notwendig sind. Die alltägliche Lebensführung kann
leichter und stressfreier bewältigt werden. Es verbleibt auch mehr Zeit für das arbeitsfreie
Privatleben (Familie, Freunde, Muße, Hobbies etc.). Erwerbsarbeit und Privatleben können
insgesamt besser in Einklang gebracht werden.
Ausgangslage/ Problemstellung
Sein Leben zu führen, ergibt sich nicht von selbst. Vielmehr gilt es, all die unterschiedlichen
und zum Teil auch widersprüchlichen Anforderungen „auf die Reihe zu bekommen“, die sich
Tag für Tag in den unterschiedlichen Sphären des Alltags stellen: in der Erwerbsarbeit und im
privaten Leben, das seinerseits wiederum von Arbeiten aller Art durchsetzt ist. Die Unterscheidung zwischen „Arbeit“ und „Freizeit“ kann die gesellschaftliche Wirklichkeit schon
lange nicht mehr beschreiben. Denn zum einen ist die Organisation des Alltags so komplex
und aufwändig geworden, dass sie inzwischen selbst zur Arbeit geworden ist: zur „Arbeit des
Alltags“ (Jurczyk/Rerrich 1993). Und auch das vieldiskutierte Problem der „Vereinbarkeit
von Arbeit und Familie“ trifft nur einen Ausschnitt der Anforderungen, um die es im Folgenden gehen wird. Es sind keineswegs nur Familien, die sich vor komplexe Anforderungen bei
der Vereinbarung von „Arbeit und Leben“ gestellt sehen. Brinkmann (2014) hat soeben den
„Seiltanz zwischen Privat- und Erwerbsleben“ von Personen untersucht, die keine Kinder haben (siehe hierzu auch Weihrich 1998).
Mit dem Konzept der „alltäglichen Lebensführung“ (Projektgruppe „Alltägliche Lebensführung“ 1995; Voß/Weihrich 2001; Jurczyk et al. 2015) nimmt die Soziologie die praktische
Organisation des Alltags in den Blick. Sein Leben auf die Reihe zu bringen, wird als eine
Leistung eigener Art betrachtet, die im gesellschaftlichen Modernisierungsprozess immer
mehr zur Herausforderung geworden ist. Das Konzept betont, dass hierfür zum einen Veränderungen in der Sphäre der Erwerbsarbeit und im Verhältnis der Geschlechter die zentrale
Rolle spielen; zum anderen wird dort nicht nur untersucht, was organisiert werden muss, sondern auch, wie das geschieht.
„Alte“ Lösungen wie die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, in der der Mann der Familienernährer war und die Frau für Haushalt und Kinderbetreuung zuständig war, tragen nicht
mehr, auch weil sich die Lebensorientierungen und Lebenspläne insbesondere von Frauen
verändert haben und weiter verändern. In der Folge ist die Aufteilung von Haus- und Familienarbeit zur Abstimmungs- und Aushandlungsfrage geworden, die immer wieder neu beantwortet werden muss. Gleichzeitig sind sowohl der „Normalarbeitstag“ mit seinem organisierenden Zeitkorsett als auch das „Normalarbeitsverhältnis“ schon lange nicht mehr Normalität. Die Flexibilisierung der Arbeitszeiten wirft zeitliche Koordinationsprobleme mit anderen
Anforderungen auf (man denke etwa an die zeitliche Kollision der Arbeitszeit mit den Öffnungszeiten anderer Einrichtungen); die Erodierung verlässlicher Beschäftigungsverhältnisse
stellt die Lebensplanung unter einen unsicheren Stern.
34
Doch auch die einzelnen Aufgaben der Arbeit des Alltags nehmen zu und differenzieren sich
aus – man denke nur an die vielfältigen Leistungen, die die Person in verschiedenen Institutionen wie Banken, Versicherungen, Verkehrseinrichtungen, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen zu erbringen und zu verknüpfen hat, sowie an das voraussetzungsreiche Treffen
von Konsumentscheidungen. In all diesen Bereichen sind immer mehr Leistungen von den
Kunden oder Bürgerinnen selbst zu erbringen (siehe hierzu die Figur des „Arbeitenden Kunden“ von Voß/Rieder 2005) und auf die Reihe zu bringen (zur „Kundenlebensführung“ siehe
Hoffmann/Weihrich 2012). Die Digitalisierung und der Zwang, die entsprechenden Tools zu
nutzen und sich hierfür zu qualifizieren, tragen noch einmal entscheidend zur Verschärfung
dieser Entwicklung bei.
Bei all dem gilt es, eigene Wünsche und Bedürfnisse mit den Erwartungen anderer abzustimmen, mit unerwarteten Lebenssituationen und neuen Aufgaben zurechtzukommen, und nicht
zuletzt möchte man der eigenen Biografie einen Sinn verleihen – all das sind Aufgaben, die
im Rahmen der „alltäglichen Lebensführung“ bewältigt werden müssen.
Damit besteht das elementare Problem alltäglicher Lebensführung „in der Vereinbarkeit dessen, was man selber möchte, mit dem, was von einem erwartet wird oder einem zugemutet
wird, mit dem, was – gemessen an bestimmten Standards – notwendig ist und schließlich mit
dem, was einem selbst möglich ist“ (Kudera 1995: 345). All das, was in den verschiedenen
Sphären des Alltags zu tun ist, muss zu einem lebbaren Ganzen zusammengefügt werden. Das
Konzept der alltäglichen Lebensführung stellt nun diesen ‚Zusammenhang‘ in den Mittelpunkt und zeigt auf, dass die Lebensführung einer Person eine bestimmte Gestalt hat: Sie lässt
sich mit einem selbstgewebten roten Faden vergleichen, der all die Tätigkeiten einer Person
verbindet und ihr die Entscheidung darüber erleichtert, was in einer bestimmten Situation zu
tun ist. Da dieses „System“ eine Eigenlogik hat und tendenziell stabil ist, hält es die Person,
aber auch die Gesellschaft zusammen und erfüllt damit wichtige soziale Funktionen.
Die Lebensführungsforschung hat gezeigt, dass historische Entwicklungen im Bereich der
Erwerbsarbeit eng verbunden sind mit komplementären Veränderungen in der Konsum- bzw.
Privatsphäre. Vor allem aber macht sie darauf aufmerksam, dass diese Veränderungen in der
Person zusammenkommen und von der Person prozessiert werden müssen.
Grenzen aktueller Lösungsansätze
Sein Leben zu führen, wird als eine individuell und privat zu leistende Aufgabe betrachtet. Es
ist die einzelne Person, die dafür zu sorgen hat, dass dies gelingt; und es ist auch die Person,
die für sich selbst Sorge zu tragen hat, wenn die entsprechenden Belastungen überhand nehmen. Doch es zeigt sich, dass Lebensführung auch scheitern kann, wenn es der Person einfach
nicht mehr gelingt, all die Anforderungen „auf die Reihe zu bringen“.
So setzen aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen wie die Entgrenzung und Subjektivierung von Arbeit (Huchler et al. 2007) die Lebensführung immer weiter unter Druck. In
der Folge treiben Personen die Rationalisierung ihrer Lebensführung immer weiter voran,
so dass diese eine neue Qualität erreicht: Die effiziente Optimierung der alltäglichen Lebensführung ist zum anspruchsvollen Programm geworden (und bevorzugtes Thema einer
35
unüberschaubaren Menge von Ratgeberliteratur). So arbeitet man als „Unternehmer seiner selbst“ an einer „Verbetrieblichung der Lebensführung“ – und kann in der Folge nicht
mehr situativ und flexibel auf Unbestimmtheiten reagieren.
Eine weitere Folge ist die Individualisierung der Lebensführung: Die ganze Gesellschaft
wird weithin auf „Selbst-Erledigung“, „Selbst-Zuständigkeit“ oder die „Selbst-Verantwortung“ von Berufstätigen, Bürgern, Patienten, Konsumenten usw. umgestellt (siehe
hierzu Voß 2012). Es gibt nicht nur immer mehr zu tun, sondern die Person wird in bisher
so nicht gekannter Intensität und Reichweite in einen Strudel der Verausgabung und
Vernutzung ihrer selbst hineingezogen. Auch hier wirken Vermarktlichung und Subjektivierung in der Erwerbsarbeit und die Individualisierung der Lebensführung zusammen
und verstärken sich.
Auch was die Egalisierung der Geschlechterverhältnisse betrifft, steht die Organisation
der Erwerbsarbeit einer Vereinbarkeit weiterhin entgegen, so dass es nicht Wunder
nimmt, wenn sich eine traditionale geschlechtsspezifische Arbeitsteilung als die ‚entspanntere‘ Lösung gegenüber dem Zeitstress bei vollzeitnaher Berufstätigkeit beider
Partner erweist. So schreiben sich geschlechtsspezifische Einkommensunterschiede fort,
und über alle Konstellationen hinweg bleiben Hausarbeit und die Koordination der Familie weitgehend Sache der Frauen (siehe hierzu Heiden/Jürgens 2013).
Während die Ansprüche an Selbstorganisation in der Erwerbsarbeit steigen, lässt sich
komplementär eine massive „Verarbeitlichung des Alltags“ feststellen: Das Zusammenfügen der eigenlogischen Aktivitätsbereiche, die gesellschaftlich auseinanderdriften, wird
zur aufwändigen und anspruchsvollen Aufgabe. Die Menschen müssen ihre Arbeits- und
Lebensbedingungen noch aktiver in die Hand nehmen und sind stärker als bisher gezwungen, ihr gesamtes persönliches Potenzial zu mobilisieren und einzusetzen. Um den
Anforderungen der modernen Arbeits- und Lebenswelt zu entsprechen, müssen sie über
weitreichende Kompetenzen verfügen.
Eine dieser Kompetenzen ist die „Selbstsorge“. Folgt man Voß und Weiß (2013), so lassen sich Depressionen, Angststörungen und Burnout als „Leiterkrankungen“ im Übergang zum 21. Jahrhundert interpretieren. Gleichzeitig lassen sie sich auch als Krisen der
Lebensführung in einer entgrenzten Gesellschaft lesen, in der die Integration nicht mehr
gelingt. Voß und Weiß sehen eine gefährliche Mischung von Selbst-Entfaltung und
Selbst-Überforderung am Werk: Man will die neuen Freiheiten nutzen, Arbeit und Leben
als befriedigend erleben und Spaß am Beruf haben – und engagiert sich entsprechend mit
maximalem Einsatz sowie hoher intrinsischer Motivation. Aber man gerät dabei auch
massiv unter Druck: Man weiß nicht mehr, wann und wie man den ausufernden Anforderungen und Belastungen Grenzen setzen kann und interpretiert jedes Scheitern als selbstverursacht und reagiert mit noch größeren Anstrengungen.
In der Folge ist die „Selbst-Reproduktion der Person“ (Heiden/Jürgens 2013) gefährdet –
eine Anforderung, die zu den reproduktiven Leistungen hinzukommt, die Menschen tagtäglich und über die Zeit hinweg zu erbringen haben, um ihre berufliche Leistungsfähigkeit und ihre soziale Einbindung zu erhalten. Die Ressourcen für „Care“ – als leibliche
und emotionale Fürsorge für sich und für andere – werden unter den Bedingungen zunehmender Belastung und Erschöpfung aufgebraucht. Wie Dunkel und Augustin (2012)
36
aufgezeigt haben, haben Erwerbstätige, die ihre Angehörigen zu Hause pflegen, oft alle
zeitlichen Ressourcen aufgebraucht, so dass überhaupt keine Freiräume mehr bleiben.
Unter solchen Umständen steht nicht nur die individuelle Lebensqualität, sondern auch
das gesellschaftliche Verhältnis von Reproduktion und erwerbsförmiger Arbeit in Frage.
In der Folge lässt sich eine „Reproduktionskrise“ diagnostizieren (Jürgens 2010) und – in
Weiterführung des „erschöpften Selbst“ (Ehrenberg 2004) – eine „erschöpfte Gesellschaft“ (Voß 2010, Voß/Weiß 2013).
Alltägliche Lebensführung wird an ihre Grenzen geraten, wenn sich die Anforderungen des
Alltags in der beschriebenen Richtung weiterentwickeln, so dass eine Integration gar nicht
mehr gelingen kann. Das Arrangement, das sich die Person erarbeitet hat, kann dann an den
Auswirkungen der gesellschaftlichen Organisation von Arbeit und Leben zerbrechen – mit
desaströsen Auswirkungen nicht nur für die Person, sondern auch für die Gesellschaft.
Fragt man konkret nach Maßnahmen einer gesellschaftlichen Absicherung und Unterstützung
der alltäglichen Lebensführung, so lässt sich zum einen konstatieren, dass die „Arbeit des
Alltags“ kaum Beachtung findet – sie führt ein Schattendasein, während die Erwerbsarbeit im
Rampenlicht steht. Auch die derzeit beworbene „Work Life Balance“ ändert daran nichts
Grundsätzliches. Sie ist ein betriebliches Instrument, das es den Beschäftigten erleichtern soll,
ihr Privatleben an die Erwerbsarbeit anzupassen – nicht umgekehrt! So müssen Behördengänge, Einkäufe, Arztbesuche und Informationsbeschaffung um die Erwerbsarbeit herum organisiert werden. Wer kleine Kinder zu betreuen oder pflegebedürftige Angehörige zu versorgen hat (und das sind in der Regel weiterhin die Frauen), schafft dies bei einer Vollzeitbeschäftigung nicht, geht deshalb auf Teilzeit zurück und nimmt die finanziellen Einbußen und
deutlich schlechteren Karriereaussichten in Kauf. Auch viele Dienstleistungen, die Entlastung
von der Alltagsarbeit versprechen, wirken sich nicht immer nachhaltig auf die alltägliche Lebensführung aus. Denn solche Dienstleistungen ziehen (abgesehen davon, dass sie finanziert
werden wollen) wiederum Aushandlungsbedarf und Interaktionsarbeit nach sich – Notwendigkeiten, für die man wiederum Zeit brauchen würde, die man nicht hat (Dunkel/Weihrich
2013).
Zum anderen – und vor allem – wird nicht gesehen, dass die alltägliche Lebensführung eine
Arbeit eigener Art ist, die Anerkennung verdient und Unterstützung braucht. Die Angebote
und Unterstützungsleistungen, die es gibt, setzen nur an einzelnen Anforderungen an die Lebensführung an. So können kommunale und betriebliche Institutionen der Kinderbetreuung
die „Vereinbarkeit“ von Beruf und Familie verbessern, konkrete Dienstleistungsangebote die
Durchführung bestimmter Alltagsaufgaben erleichtern und Ratgeber effektivere Prozeduren
vermitteln. All das entlastet die Person aber nicht davon, all die Tätigkeiten, die in den einzelnen Sphären des Alltags anfallen, zu einem lebbaren Ganzen zusammenzubinden. Diese
Leistung braucht umfassende Ressourcen – schließlich ist sie der Kitt der Gesellschaft.
37
Arbeitszeitverkürzung als Lösungsweg
Es wurde gezeigt, dass Entwicklungen im Bereich der Erwerbsarbeit tiefgreifende Folgen für
die „Arbeit des Alltags“ nach sich ziehen. Welche Auswirkungen hat eine radikale Arbeitszeitverkürzung auf die alltägliche Lebensführung?
Die Alltagsorganisation vereinfacht sich, weil die Koordinationsanforderungen reduziert
werden. Vor allem aufgrund der zeitlichen Entzerrung kollidiert Erwerbsarbeit und Privatleben (mit allen seinen arbeitsförmigen Inhalten) nicht mehr so stark; gleichzeitig erweitern sich die Handlungsspielräume für die Koordination.
Eng im Zusammenhang damit vergrößern sich die Zeitressourcen, die die Person für eine
gelingende alltägliche Lebensführung und eine „gute“ Alltagsorganisation braucht. Das
hat auch gesamtgesellschaftliche Folgen in Richtung einer Entschleunigung des Alltags.
Das (notwendige) Bedürfnis nach Muße wird besser erfüllt, und es steht mehr Zeit für
Ambitionen jenseits von Erwerbs- und Alltagsarbeit zur Verfügung.
In der Folge werden die oben beschriebenen stressbedingten Belastungssyndrome
zurückgehen; positiv gewendet werden die Voraussetzungen für die Reproduktion der
„Lebenskraft“ (Jürgens 2006) und die Gelegenheiten, Selbstsorge zu betreiben, verbessert
(siehe hierzu auch Teil I, Kap. 2).
Die Chancen auf eine geschlechtergerechte Verteilung der „Arbeit des Alltags“ erhöhen
sich. Aufgrund steigender Zeithoheit für beide Geschlechter geraten unhinterfragte wie
auch bewusst gewählte geschlechtsspezifische Arbeitsteilungsmuster noch mehr unter
Rechtfertigungsdruck. Im Ergebnis entlastet dies vor allem die Frauen, die bislang hauptsächlich für die Alltagsorganisation zuständig sind, und geschlechtsspezifische Ungleichheiten verringern sich – auch in der Erwerbsarbeit (siehe hierzu auch Teil I, Kap. 6).
Vor allem aber bricht eine radikale Arbeitszeitverkürzung den unbedingten Primat der Erwerbsarbeit und die Wertschätzung der „Arbeit des Alltags“ und deren soziale Bedeutung
steigen. Es wird ersichtlich, dass die alltägliche Lebensführung als relativ stabiles Handlungssystem, als „roter Faden“ für das Treffen von Alltagsentscheidungen oder als selbst
erstelltes Gerüst, das letztendlich die Person zusammenhält, einen Schutzraum vor den
oben beschriebenen Optimierungszumutungen bietet, Grenzziehungen ermöglicht und
damit zur „Selbstsorge“ der Person beiträgt. Der Schutzraum, den die alltägliche Lebensführung hierfür selbst benötigt, wird im Zuge einer radikalen Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit geschaffen.
Doch es besteht auch eine Gefahr: Der Trend, die Menschen in allen Lebensbereichen immer
mehr einzuspannen und dazu zu zwingen, Tätigkeiten (inklusive der Verantwortung dafür)
selbst zu übernehmen (Umstellung der Gesellschaft auf Selbsterledigung), wird auch durch
eine radikale Arbeitszeitverkürzung nicht gebrochen. Im Gegenteil vergrößert sich der Spielraum, um das Handeln außerhalb der Erwerbsarbeit noch effektiver in die Wertschöpfungskette einzubinden. Es sei denn, die Menschen nutzen den gewonnenen Freiraum dafür, sich
dagegen zur Wehr zu setzen – und können auf gesellschaftspolitische und betriebliche Maßnahmen zurückgreifen, die eine solche Vernutzung verhindern.
38
8.
Stärkung der Zivilgesellschaft – mehr Zeit für Ehrenamt und
politische Partizipation
Kürzere Arbeitszeiten schaffen mehr Zeit für ein Ehrenamt und für politische Partizipation.
Mehr Menschen können sich an den Willensbildungsprozessen beteiligen und ihre eigenen
Interessen angemessen vertreten. Bislang am politischen Prozess kaum beteiligte Personengruppen haben durch kürzere Arbeitszeiten und eine gerechtere Verteilung der Erwerbsarbeit
mehr Chancen, sich politisch zu betätigen. Dies erhöht die gesellschaftliche Integration und
stärkt die Demokratie.
Ausgangslage/ Problemstellung
Demokratische Gesellschaften brauchen die ehrenamtliche und politische Betätigung ihrer
Bürgerinnen und Bürger. Ehrenamt und politische Partizipation fördern den gesellschaftlichen
Zusammenhalt. Viele gesellschaftliche Einrichtungen wie Sportvereine, der technische Hilfsdienst und die freiwillige Feuerwehr könnten ohne das Ehrenamt nicht überleben. Selbst
Schulen und Kindergärten sind zur Erfüllung ihrer Aufgaben immer mehr auf die unentgeltlichen Aktivitäten von Eltern angewiesen.
In demokratietheoretischen Konzepten wird die ehrenamtliche und politische Beteiligung der
Bürger und Bürgerinnen unter dem Begriff der Zivilgesellschaft diskutiert. Die Konzepte gehen von der Annahme aus, dass die politische Betätigung der Gesellschaftsmitglieder für den
Erhalt und die Förderung des Gemeinwesens notwendig ist. Der politische Beitrag eines zivilgesellschaftlichen Engagements ist nach einigen Ansätzen vor allem in der politisch-kulturellen Sozialisation der Individuen zu suchen. Andere theoretische Ansätze betonen hingegen die
Bedeutung von ehrenamtlicher und politischer Betätigung für das staatliche Handeln. Ein
funktionierender Staat braucht das zivilgesellschaftliche Handeln als Ergänzung und für die
Sicherung staatlicher Stabilität. Überdies leistet es einen wichtigen Beitrag zur sozialen Inklusion der Individuen und zur Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts (siehe
Heitzmann et al. 2009: 41; Klein 2001: 311ff.).
Empirische Untersuchungen über die ehrenamtliche Betätigung von Erwerbstätigen in
Deutschland verweisen auf einen positiven Entwicklungstrend. So hat in den letzten beiden
Jahrzehnten nicht nur die ehrenamtliche Tätigkeit der abhängig Beschäftigten, sondern auch
das ehrenamtliches Potenzial stark zugenommen. Heute wollen sich deutlich mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ehrenamtlich engagieren als noch am Ende des letzten Jahrtausends. Die meisten Beschäftigten suchen dabei eine Betätigung im Bereich des Sports, gefolgt von einem Engagement bei kirchlichen Einrichtungen. Ein negativer Trend zeigt sich
allerdings bei der politischen Beteiligung. Dies ist der einzige untersuchte Bereich, in dem die
ehrenamtliche Aktivität in den letzten Jahren zurück gegangen ist (Seifert et al. 2012: 7f.).
Ungleiche Verteilung des ehrenamtlichen und politischen Engagements
Die Untersuchungen belegen allerdings eine nach wie vor bestehende soziale Ungleichheit bei
der ehrenamtlichen und politischen Partizipation. So sind Männer häufiger ehrenamtlich tätig
39
und verbringen auch mehr Zeit mit Ehrenämtern als Frauen. Eine Ursache hierfür wird insbesondere darin gesehen, dass Frauen in der Regel immer noch die weitgehend alleinige Verantwortung für Haus- und Familienarbeit übernehmen. Deutlichere Unterschiede beim ehrenamtlichen Engagement lassen sich allerdings hinsichtlich der Qualifikation erkennen. Mit
steigender schulischer und beruflicher Ausbildung nimmt auch das ehrenamtliche Engagement zu. Bei den gut- und hochqualifizierten Beschäftigten stieg es in den letzten Jahren sogar
noch an, während sich die niedrig qualifizierten Beschäftigten heute kaum mehr ehrenamtlich
betätigen als noch vor eineinhalb Jahrzehnten (Seifert et al. 2012: 7f.).
Auch die Einkommenshöhe wirkt sich auf das ehrenamtliche und politische Engagement aus.
Arme übernehmen deutlich seltener als Wohlhabende ein Ehrenamt und beteiligen sich auch
seltener an der politischen Arbeit in Parteien oder Bürgerinitiativen (Böhnke 2011: 21). Die
geringere politische Partizipation der ärmeren Bevölkerungsteile ist dabei unabhängig von
den unterschiedlichen Beteiligungsformen (wie z. B. Mitarbeit in einer Partei, Beteiligung an
öffentlichen Diskussionen, Mitarbeit in Bürgerinitiativen, Teilnahme an Unterschriftensammlungen oder Onlineprotesten, Teilnahme an Demonstrationen und Beteiligung an Wahlen). Allgemein lassen sich die Unterschiede auch beim politischen Interesse feststellen. Wirtschaftliche Ausgrenzung führt also zumindest in Deutschland nicht zu mehr politischem Protest oder politischem Engagement, sondern fördert eher die Apathie der Betroffenen (Bödeker
2012: 5f.).
Insofern verwundert es auch nicht, dass Arbeitslose selten unter den ehrenamtlich Tätigen zu
finden sind. Auch wenn die Zahl der ehrenamtlich engagierten Arbeitslosen in den letzten
Jahrzehnten angestiegen ist, sind Arbeitslose immer noch weniger ehrenamtlich tätig als der
Durchschnitt der Bevölkerung. Und diejenigen Arbeitslosen, die ein Ehrenamt ausüben, taten
dies meistens bereits vor ihrer Arbeitslosigkeit. Die Zunahme von ehrenamtlich tätigen Arbeitslosen ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass der Anteil der besser Qualifizierten,
die sich generell eher engagieren, unter den Arbeitslosen angestiegen ist. Kühnlein und Böhle
(2002: 91f.) sehen einen Grund für die allgemeine Zurückhaltung von Arbeitslosen beim bürgerschaftlichen Engagement darin, dass hierfür neben ausreichender Zeit auch finanzielle
Mittel, fachbezogenes Wissen und sogenannte soft skills erforderlich sind. Wer seine Arbeit
verloren hat, richtet überdies sein Engagement zuallererst auf den Wiedereinstieg ins Erwerbsleben. Freie Zeit allein ist demnach also keine hinreichende Voraussetzung für die
Übernahme eines Ehrenamtes (vgl. Kühnlein/Böhle 2002: 92).
Das Interesse für das Gemeinwohl und die Fähigkeit, sich für seine eigenen Belange zu engagieren, sind gering ausgeprägt, wenn existenzielle Sorgen den Alltag belasten. Dies wurde in
unterschiedlichen Studien festgestellt. Möhring-Hesse (2004: 140) verweist darauf, dass Beteiligung in einer demokratischen Gesellschaft auch eine materielle Dimension hat. Wenn alle
Menschen die Möglichkeit haben sollen, ihre eigenen Interessen in den relevanten gesellschaftlichen Fragen zu vertreten, müssen auch alle über ausreichende Ressourcen hierfür verfügen. Auch Bourdieu (2000: 102) betonte die Bedeutung von materieller Sicherheit für die
Herausbildung einer politischen Einstellung. In seiner Untersuchung über die algerische
Übergangsgesellschaft stellte er heraus, dass ein Mindestmaß an sozialer Sicherheit gegeben
sein muss, damit Menschen ihren Wünschen und Orientierungen eine klare Richtung geben
40
können. Und Bödeker (2012: 2f.) stellte eine desillusionierte Einstellung bei einkommensschwachen Gruppen fest. Deren Überzeugung, Einfluss auf politische Prozesse nehmen zu
können, ist gering ausgeprägt. Politik wird von ihnen als eine Veranstaltung von Eliten gesehen. Eine Folge dieser pessimistischen Sichtweise ist der Selbstausschluss aus politischen
Prozessen.
Auswirkungen der Arbeitszeit auf das ehrenamtliche und politische Engagement
Neben den oben beschriebenen Voraussetzungen ist die zur Verfügung stehende Zeit eine
wichtige Voraussetzung für die Ausübung eines Ehrenamtes bzw. für politisches Engagement.
Es ist deshalb zu erwarten, dass sich auch die Länge der Arbeitszeit auf das zivilgesellschaftliche Engagement auswirkt, denn Ehrenamt und politische Aktivität müssen mit den zeitlichen Anforderungen der Erwerbsarbeit koordiniert werden. Für das Ausmaß der Betätigung
spielt nicht nur die Länge der Arbeitszeit, sondern auch deren Verteilung eine wichtige Rolle.
Von der Bedeutung der Arbeitszeit für die ehrenamtliche Aktivität zeichnen Untersuchungen
allerdings ein zunächst unerwartetes Bild. Erstaunlicherweise sind Beschäftigte mit kurzen
Arbeitszeiten unter 21 Stunden seltener ehrenamtlich engagiert als Beschäftigte mit Arbeitszeiten über 40 Stunden. Selbst der Zeitaufwand für die ehrenamtliche Tätigkeit nimmt mit der
Wochenarbeitszeit sogar noch leicht zu (Seifert et al. 2012: 9f.). Dieses Ergebnis erstaunt jedoch weitaus weniger, wenn die Unterschiede näher beleuchtet werden. Kürzere Arbeitszeiten
werden insbesondere von Frauen geleistet. Sie arbeiten meistens gerade dann in Teilzeit,
wenn sie neben ihrer Erwerbsarbeit die Arbeiten im Haushalt und der Familie übernehmen.
Erwartungsgemäß verbleibt ihnen dann auch nur wenig Zeit für ein Ehrenamt (vgl. ebd.).
Lange und/oder ungünstige Arbeitszeiten, wie Nacht-, Schicht- oder Wochenendarbeit bereiten den Befragten größere Probleme für die Ausübung eines Ehrenamts als kürzere Arbeitszeiten und Arbeit zu den sogenannten Normalzeiten (Klenner et al. 2001; Seifert et al. 2012:
13f.). Flexible Arbeitszeiten wirken sich hingegen positiv auf die Ausübung eines Ehrenamtes
aus. Beschäftigten mit Ansprüchen auf flexible Arbeitszeitgestaltung, etwa im Rahmen von
Arbeitszeitkonten, fällt es leichter, ein Ehrenamt auszuüben. Mehr Zeitsouveränität begünstigt
also eine ehrenamtliche Betätigung (Seifert et al. 2012: 13ff.).
Die zeitlichen Belastungen werden von den Beschäftigten als einer der häufigsten Gründe für
die Einschränkung oder sogar Aufgabe eines Ehrenamtes genannt. Hier zeigen sich jedoch
Unterschiede nach dem Familienstand der Befragten. Für Menschen, die in einer Partnerschaft
leben, stellen die zeitlichen Belastungen den wichtigsten Grund für die Einschränkung ihrer
Betätigung dar. Menschen, die als Single leben, geben hingegen eine berufliche Veränderung
als wichtigste Ursache für die Einschränkung ihres Engagements an (Seifert et al. 2012: 14).
Grenzen aktueller Lösungsansätze
Insbesondere nach Wahlen mit einer geringen Wahlbeteiligung wird das mangelnde politische
Interesse der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger beklagt. Die Zurückhaltung in der Wahlbeteiligung wird dann meist in Talkshows thematisiert, zu denen neben Politikerinnen auch
Wissenschaftler, darunter häufig Jugendforscher eingeladen werden. Die Ursachen für die
politische Enthaltsamkeit werden von ihnen in der Regel in den mangelnden Beteiligungs41
möglichkeiten, den fehlenden Unterschieden in der politischen Ausrichtung der etablierten
Parteien, aber auch in der zurückgehenden politischen Bildung der potenziellen Wähler gesucht. Oft wird in diesem Zusammenhang vor einer vermeintlichen oder tatsächlichen Radikalisierung der vom politischen System enttäuschten Jugendlichen gewarnt. Die Lösung für
das Problem sehen die Experten und Expertinnen vor allem in einer Verbesserung der politischen Bildung, insbesondere an den allgemeinbildenden Schulen. Darüber hinaus werden
mehr Transparenz bei politischen Entscheidungen, ein besserer Einbezug der Bürgerinteressen und mehr Beteiligungsmöglichkeiten vor allem im Bereich der Kommunalpolitik gefordert. Zudem wird auf moralische Verfehlungen einzelner Persönlichkeiten aus der Politik hingewiesen, die, so wird vermutet, von den bereits Entpolitisierten verallgemeinert werden und
damit einen weiteren Beitrag zur Entpolitisierung und/oder Radikalisierung leisten.
Auch wenn die Diagnosen für die politische Enthaltsamkeit richtig sind, so ist ihre Behebung
allein sicher nicht ausreichend, um die soziale Ungleichheit bei der Partizipation an Ehrenamt
und Politik zu korrigieren und den Rückgang des politischen Engagements bzw. das zunehmende politische Desinteresse aufzuhalten. Ein wesentlicher Grund für die mangelnde Beteiligung von armen und arbeitslosen Menschen ist in deren prekärer materieller Lage zu suchen.
Eine wirksame Maßnahme zur Förderung des Ehrenamtes und der politischen Beteiligung ist
deshalb ein Abbau der sozialen Ungleichheit in der Gesellschaft.
Arbeitszeitverkürzung als Lösungsweg
Die soziale Ungleichheit kann durch Arbeitszeitverkürzung und einer damit einhergehenden
Umverteilung der Erwerbsarbeit verringert werden. Gleichzeitig bekommen diejenigen Beschäftigten, die einer bezahlten Tätigkeit nachgehen, durch eine Arbeitszeitverkürzung die
Möglichkeit, zusätzliche zeitliche Ressourcen für ein zivilgesellschaftliches Engagement aufzubringen. Dies trifft auf diejenigen zu, die bislang aufgrund überlanger Erwerbsarbeitszeiten
Schwierigkeiten haben, ihre Erwerbstätigkeit mit einem Ehrenamt oder einer politischen Tätigkeit zu vereinbaren. Eine allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit unterstützt aber auch diejenigen, die aufgrund der Belastung durch Sorgearbeit nicht Vollzeit arbeiten können. Sie bekämen durch eine kurze Vollzeit für alle die Chance, sich die Sorgearbeit mit dem Partner zu
teilen und könnten dann selbst Zeit für ehrenamtliche oder für politische Betätigung aufbringen.
Diejenigen Bevölkerungsgruppen, die aufgrund von Arbeitslosigkeit von einer politischen
und allgemein ehrenamtlichen Beteiligung ausgeschlossen sind bzw. sich selbst ausschließen,
bekommen durch die Arbeitszeitverkürzung die Chance auf einen Wiedereinstieg in die Erwerbstätigkeit und damit auf ein höheres zur Verfügung stehendes Einkommen (siehe Teil I,
Kap. 1.). Eine Erwerbstätigkeit bietet zwar noch keine Garantie für eine politische und zivilgesellschaftliche Beteiligung von bislang ausgeschlossenen Gruppen an der Lösung gesellschaftlicher Probleme und zukünftiger Aufgaben. Sie verleiht ihnen jedoch den Status von
Staatsbürgern und -bürgerinnen, die mit gleichen Rechten und Pflichten ausgestattet sind, und
bildet damit eine Voraussetzung für die ehrenamtliche und politische Beteiligung. Dadurch
eröffnen sich Chancen, dass auch bislang ungehörte Meinungen und Interessen in den politi42
schen Prozess eingebracht werden. Dies stärkt die Zivilgesellschaft und trägt zu ihrer Weiterentwicklung bei.
43
9.
Gerechtere Partizipation am sozialen und kulturellen Leben
Kürzere Arbeitszeiten fördern die Chancengleichheit bei der Beteiligung am sozialen und
kulturellen Leben. Erwerbstätige mit langen Arbeitszeiten haben dadurch mehr Zeit für soziale Kontakte und für Kulturkonsum. Für Arbeitslose bedeutet eine Erwerbstätigkeit häufig
den ersten Schritt aus der sozialen Isolation. Sie haben mehr Geld für den Besuch kultureller
Veranstaltungen und für Treffen mit Freunden zur Verfügung.
Ausgangslage/ Problemstellung
„Ein Leben ohne Feste ist ein langer Weg ohne Herbergen“ (Demokrit). Schon der Grieche
Demokrit, der auch als lachender Philosoph bezeichnet wurde, wusste über die Bedeutung
von Freizeit, Muße und Feiern für das Menschsein und postulierte sie in seinem Werk. Art. 27
Abs. 1 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verweist darauf, dass jeder Mensch das
Recht hat, am kulturellen Leben der Gemeinschaft teilzunehmen und sich an den Künsten zu
erfreuen.
Die Lebensqualität der Menschen lässt sich nicht allein am materiellen Wohlstand und einer
sinnvollen Arbeit bemessen. Diese Erkenntnis ist Allgemeingut, dennoch ist die Möglichkeit
der Teilhabe an kulturellen Errungenschaften und am sozialen Leben nicht immer ausreichend
gegeben; insbesondere sind die Chancen der Teilhabe ungleich verteilt:
Zu viel Arbeit wirkt sich negativ auf die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben aus.
Eine von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin herausgegebene Untersuchung weist darauf hin, dass mit steigender wöchentlicher Arbeitszeit die Häufigkeit von
Freizeitaktivitäten, darunter auch kulturellen Aktivitäten, abnimmt (Wirtz 2010: 155ff.).
Aber auch Arbeitslosigkeit hat einen Rückgang der kulturellen Teilhabe und darüber hinaus
der sozialen Beziehungen zur Folge. Hartz-IV-Bezug senkt nicht nur den Lebensstandard;
sondern geht oftmals mit einer Auflösung sozialer Netzwerke und dem Verlust von Freundschaften einher. Insbesondere dann, wenn Kinder vorhanden sind, kommt es zu Einschränkungen bei der Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben. Mit der Dauer der Arbeitslosigkeit und dem Bezug von Grundsicherung verschärft sich dieser Zustand (Christoph/Lietzmann
2013).
Umgekehrt können die positiven Wirkungen einer Erwerbstätigkeit auf die soziale und kulturelle Teilhabe belegt werden. Dies zeigt der 2007 nach dem zweiten Sozialgesetzbuch eingeführte Beschäftigungszuschuss für Langzeitarbeitslose „JobPerspektive“. Die damit einhergehende neue Perspektive einer Erwerbstätigkeit vermittelt den Geförderten das Gefühl, gebraucht und anerkannt zu werden, d.h. eine Aufgabe zu haben und nicht überflüssig zu sein.
Sie können sich eher als Mitglieder der Erwerbsgesellschaft betrachten und nicht als abhängige Hilfeempfänger. Die Folge sind mehr soziale Kontakte, ein verändertes Konsumverhalten sowie ein gestiegenes Selbstwertgefühl (Hirseland et al. 2012: 98ff.).
Über die Entstehung von Kultur und ihre Bedeutung für die Menschen gibt es unterschiedliche Theorien. Ob Kultur als Reaktion auf die menschlichen Grundbedürfnisse (Malinowski
1944) oder als Lust am Erschaffen von Neuem und als symbolische Interpretation der Welt
44
(Cassirer 2001-2002) gesehen wird, oder ob ihre Bedeutung in der Gesellschaft kritisch hinterfragt wird, wie dies z. B. in der marxistischen und der Kritischen Theorie der Fall ist: Einigkeit besteht darin, dass Menschen nicht ohne Kultur und soziale Beziehungen existieren
(können).
Einer, der die Bedeutung von Kultur und Kulturkonsum für die Herausbildung und Festigung
von sozialer Ungleichheit untersuchte, war Pierre Bourdieu. Bereits in den 1970er Jahren arbeitete er in seiner Studie über die französische Gesellschaft die unterschiedlichen Lebensstile
der Menschen heraus und maß diesen einen entscheidenden Beitrag für die Konstitution sozialer Klassen bei. Nach Bourdieu unterscheiden sich soziale Klassen in modernen kapitalistischen Gesellschaften ganz wesentlich durch ihre jeweiligen Formen des Kulturkonsums. Die
elementare Unterscheidung verläuft zwischen legitimer Kultur auf der einen und reinem Genuss, der den unteren Klassen „vorbehalten ist“, auf der anderen Seite. Kunst und die Formen
des Kunstkonsums sind nicht nur Folge sozialer Unterschiede, sondern „rechtfertigen“ diese
umgekehrt auch maßgeblich. Es sind nach Bourdieu (1982) gerade diese „feinen Unterschiede“, die Menschen unterscheiden und nach denen sie sich selbst unterscheiden. Neben
den Lebensstilen entscheidet aber auch das soziale Kapital der Menschen – damit meint
Bourdieu die Beziehungen, die die Menschen eingehen (können) – über ihre soziale Stellung
innerhalb der Gesellschaft. Das soziale Kapital übernimmt damit eine wichtige Funktion bei
der Zuweisung individueller Erfolgschancen und für den sozialen Aufstieg (Bourdieu 1983).
Grenzen aktueller Lösungsansätze
Die ungleiche Verteilung kultureller und sozialer Teilhabechancen der Menschen ist selten
Thema politischer Interventionen. Sofern Ideen zur Heranführung der unteren sozialen
Schichten an gesellschaftliche Kulturangebote gemacht werden, beziehen sich diese auf eine
materielle Unterstützung sozial ausgegrenzter Gruppen, wie Arbeitslose oder andere auf Sozialhilfe angewiesene Personen. Forderungen nach Einführung eines „Kulturtickets“, das verbilligte Eintrittspreise für kulturelle Veranstaltungen bietet, werden zwar erhoben, bislang jedoch kaum umgesetzt.
Andere politischen Maßnahmen zielen auf spezielle kulturelle Angebote für Menschen aus
sozialen Brennpunkten oder armen Milieus ab. Solche Angebote, die teilweise auch mit sozialpädagogischer Begleitung stattfinden, sollen bildungsferne Schichten an Kultur heran führen. Das Theaterprojekt für Jugendliche „Rhythm is it“, das durch den gleichnamigen Film
bekannt wurde, ist ein Beispiel für einen positiven Ansatz, der an die konkrete Lebenswelt der
Adressaten anknüpft. Derartige Projekte haben sich allerdings generell mit der Schwierigkeit
auseinanderzusetzen, dass einer der Hauptgründe der kulturellen Abstinenz der Menschen in
sozialen Randlagen häufig in deren finanzieller Situation zu suchen ist, die individuellen Bildungs- und sonstigen Voraussetzungen (Alter, Interessen etc.) für den Kulturkonsum jedoch
sehr unterschiedlich sind und eine Vereinheitlichung deshalb kaum möglich ist (siehe auch
Knopp 2009: 147f.).
Die geschilderten Maßnahmen sind grundsätzlich positiv zu bewerten; sie sind jedoch allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein. Sie kommen den Menschen zu Gute, die aus der Arbeitsgesellschaft ausgegrenzt sind, können das Grundproblem jedoch nicht beseitigen.
45
Und für diejenigen, deren lange Arbeitszeiten eine sozial und kulturell erfüllte Freizeit verhindern, existieren bislang keine politischen Maßnahmen oder auch nur Forderungen zur Behebung dieses Missstandes. Ihnen verbleibt im Gegensatz zu den sozial Ausgegrenzten jedoch
immerhin die Möglichkeit, den kulturellen und sozialen Mangel durch vermehrten Konsum
bzw. durch den Konsum von Luxusgütern zu kompensieren. Doch auch hierfür ist Zeit notwendig.
Arbeitszeitverkürzung als Lösungsweg
Ein wirksamer Beitrag zur Lösung des Problems kann folglich nur darin bestehen, die Arbeitszeiten zu verkürzen und die bezahlte Erwerbsarbeit umzuverteilen. Damit können sowohl
für Beschäftigte mit langen Arbeitszeiten als auch für die Erwerbslosen positive Wirkungen
erzielt werden:
Erwerbstätige verfügen über mehr Zeit, die sie für soziale Kontakte und für kulturelle Aktivitäten nutzen können. Arbeitslose haben durch eine Erwerbstätigkeit mehr Geld, das notwendig ist, um soziale Kontakte zu pflegen oder kulturelle Angebote wahrzunehmen. Wenn sich
mehr Menschen aus unterschiedlichen Milieus für Kultur interessieren, die entsprechenden
Angebote in Anspruch nehmen oder sich selbst künstlerisch betätigen, nehmen auch das kulturelle Angebot und die kulturelle Vielfalt zu. Dadurch entstehen Chancen für neue oder Alternativkulturen, die ihrerseits wiederum einen positiven Einfluss auf die traditionelle Kultur
der Eliten ausüben oder den Anstoß für Veränderungen der vermarkteten Mainstreamkultur
geben können.
Nicht zuletzt wirkt sich ein erweitertes Kulturangebot positiv auf die Beschäftigungssituation
von Kultur- und Kunstschaffenden aus. Es entstehen in diesem Wirtschaftszweig neue Arbeitsplätze und gleichzeitig bieten sich mehr und neue Möglichkeiten für die Entwicklung einer sogenannten Laienkunst. Kulturkonsum und eigene kulturelle Betätigung fördern die Kreativität. Die Gesellschaft braucht die kreativen, oft verschütteten und verborgenen Potentiale
der Menschen, um wichtige gesellschaftliche Probleme zu bearbeiten, auch indem z. B. kreative, unkonventionelle Lösungen hierfür gefunden werden. Dies bietet auch die Chance, den
Blick für alternative gesellschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten zu öffnen.
Durch den Ausbau der sozialen Beziehungen werden die sozialen Kompetenzen der Menschen gestärkt, z. B. indem Empathie und der Umgang mit Konflikten gelernt werden. Gut
ausgebaute und funktionierende soziale Netzwerke leisten auch einen wichtigen Beitrag, dem
undemokratischen Potential in der Gesellschaft den Boden zu entziehen. Und nicht zuletzt
können gut ausgebaute soziale Netzwerke zum Teil Funktionen des Sozialstaats übernehmen,
etwa wenn gegenseitige Hilfe unter Freunden oder nachbarschaftliche Hilfsprojekte (siehe
auch Teil I, Kap. 11) die Leistungen von professionellen Hilfsangeboten ergänzen oder sogar
ersetzen. Hierfür lassen sich zahlreiche Beispiele finden. Das Gespräch unter Freunden, das
mitunter den Gang zu einer professionellen Beratungseinrichtung überflüssig machen kann
oder gegenseitige nachbarschaftliche Unterstützung und Beratung bei Mietproblemen sind nur
zwei von vielen. Dadurch stehen für soziale Probleme, die nicht im Rahmen freundschaftlicher oder ehrenamtlicher Unterstützung gelöst werden können, mehr finanzielle und fachliche
46
Ressourcen zur Verfügung, wodurch nicht zuletzt auch die Qualität der professionellen Hilfsangebote steigen würde.
47
10. Mehr Zeit für (besseren) Konsum
Kürzere Arbeitszeiten fördern den Konsum und damit die private Nachfrage. Erwerbstätige
mit langen Arbeitszeiten haben dadurch mehr Zeit für Konsum; Arbeitslose, die durch die
Verkürzung der Arbeitszeiten in den Arbeitsmarkt integriert werden, können mehr Geld für
Konsumgüter ausgeben. Zudem steigt die Qualität des Konsums, da Waren und Dienstleistungen sorgfältiger ausgewählt und mit mehr Muße konsumiert werden können. Verändert
sich die Nachfrage, verändert sich auch das Angebot.
Ausgangslage/ Problemstellung
Konsum lässt sich – wirtschaftswissenschaftlich – als „Ausgaben privater Haushalte“ bezeichnen. In dieser Funktion wird Konsum positiv bewertet, da es für die wirtschaftliche Entwicklung erfreulich ist, wenn die Verbraucher „kaufen“. Aus soziologischer Perspektive ist
Konsum ein in mehrerer Hinsicht elementarer gesellschaftlicher Mechanismus. Er ist ein
„Grundbestandteil der gesellschaftlichen Ordnung und des Lebens der meisten Menschen in
der westlichen Welt“ (Hecken 2010: 9). Konsum ist auch eine voraussetzungsvolle Tätigkeit
und damit viel mehr als ein reiner Tauschakt. Konsum ist Arbeit, macht aber – jenseits aller
Notwendigkeit – auch Spaß. Dennoch hat Konsum auch eine ‚schlechte Presse‘. Er wird als
eine „unproduktive“ Tätigkeit wahrgenommen und vor allem in einer bestimmten Form, der
des Massenkonsums, heftig kritisiert. Konsum ist also eine janusköpfige Angelegenheit.
Spätestens seit Karl Marx sind Produktion und Konsumption zwei Seiten ein- und derselben
Medaille. Ein Kleid wird erst ein Kleid, indem es getragen wird; das Konsum-Bedürfnis bestimmt die Produktion (Marx 1974: 11ff.). Dennoch hat sich die Arbeits-, Wirtschafts- und
Organisationssoziologie immer schwerpunktmäßig auf die Produktion konzentriert. In der
Folge haftet der Sphäre der Konsumption etwas Passives und Unproduktives an – eine Wahrnehmung, die z. B. auch auf das gesamte Feld der Dienstleistung abfärbt (vgl. z. B. Offe
1984).
Parallel hierzu hatte Konsum schon immer eine Gender-Perspektive (vgl. hierzu z. B.
Wagenführ 1957: 208ff.). Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung mit ihren Zuschreibungsprozessen sieht Frauen auch heute noch für den Konsum im Haushalt zuständig. Allerdings
hat sich der häusliche Konsum verändert: Frauen haben, da sie heute viel häufiger erwerbstätig sind, weniger Zeit (mehr) dafür und sehen sich hierfür auch nicht mehr alleine zuständig.
Insgesamt gilt, dass die Zeit für klassische Haushaltstätigkeiten durch die Beschleunigung in
Erwerbsarbeit und Freizeit und durch die Entgrenzung dieser beiden Bereiche knapper geworden ist. Im Zuge dessen werden immer mehr häusliche Tätigkeiten durch Dienstleistungen
ersetzt (z. B. Restaurantbesuche) oder an Dienstleisterinnen (vor allem an andere Frauen) delegiert.
Gleichzeitig wird auch die Affinität zum Luxus den Frauen zugerechnet. Schon in Flauberts
Madame Bovary erscheint Konsum – die Stadt mit den Warenhäusern, das Lesen – als gefährlich und liederlich.
48
Konsum und die Art und Weise des Konsumierens bestimmen die gesellschaftliche Ungleichheit mit bzw. konstituieren sie.18 Konsum ist eine zentrale Praxis der sozialen Distinktion, der
Zugehörigkeit und der gesellschaftlichen Verortung. Zum Konsum als Distinktionsmechanismus gehört aktuell auch der milieugebundene Konsumverzicht. Dahinter steckt nicht „kein
Konsum“ und auch nicht unbedingt „weniger Konsum“, sondern ein „anderer Konsum“, mit
dem man sich vom „Massenkonsum“ abgrenzt.
Wirtschaft und Politik wissen, dass die Marktwirtschaft auf den „Verbraucher“ angewiesen
ist; die Käufe einzelner Privatpersonen machen einen wesentlichen Teil des Bruttoinlandsprodukts aus. Marktakteure bestimmen gemeinsam über den (sozialen) Wert von Produkten und
darüber, was weiterhin produziert wird, indem sie bestimmte Produkte kaufen und andere
keinen Absatz finden. Gleichzeitig ist der Verbraucher aber auch als Person produktiv: Er ist
ein wichtiges Glied in der Wertschöpfungskette. Konsum ist deshalb auch Arbeit. Man muss
sich informieren, Entscheidungen treffen und Zeit für den Kaufakt, vor allem aber für die Aneignung, Umwandlung und Nutzung von Produkten investieren.
Aktuell nimmt die Arbeit der Konsumenten/Kunden zu, wie in den Forschungen zum Arbeitenden Kunden, zur interaktiven Arbeit und zum Prosumer gut dokumentiert ist.
Konsumenten (Voß/Rieder 2005) übernehmen Tätigkeiten, die vorher die Beschäftigten
geleistet haben und werden damit selbst zu Mitarbeitern, ohne hierfür auf Arbeitszeitregelungen zurückgreifen zu können, eine Bezahlung zu erhalten oder einen adäquaten Arbeitsplatz zur Verfügung zu haben. Zusätzlich lastet auch Verantwortung auf dem Verbraucher. Er ist verpflichtet, sich über Produkteigenschaften zu informieren, in einem Feld
gezielter Desinformation die richtigen Entscheidungen zu treffen und seine Daten zu
schützen. Die Arbeit der Arbeitenden Kunden wird immer aufwendiger und erfordert in einem hohen Maße Selbstqualifikation.
Auch in der interaktiven Arbeit mit Beschäftigten ist der Verbraucher als ein aktiver
Mitspieler gefordert (Dunkel/Weihrich 2012). Kunden brauchen interaktive Kompetenzen
und müssen auch ihre Kundenlebensführung managen (siehe Teil I, Kap. 7). Schließlich
haben sie mit vielen verschiedenen Dienstleistern zu tun – und sind in vielen verschiedenen Dienstleistungsbeziehungen, die sich in ihren Logiken unterscheiden, aktiv
(Hoffmann/Weihrich 2012).
Der Prosumer (Toffler 1980) ist kreativ und produziert das Produkt mit, das er letztlich
konsumiert – oft gemeinsam mit anderen, wie etwa bei Internetdienstleistungen. Dies lässt
sich nicht nur auf Kunden beziehen, die sich ihre Turnschuhe selbst designen, eine Müslimischung kreieren oder Hotelbewertungen schreiben, sondern auch auf die notwendigen
Aneignungsprozesse bei der „Konsumption“ von Kunst oder Literatur oder auf die kreativen Akte bei der Wohnungseinrichtung mit IKEA-Möbeln.
Die Praktiken des Konsums und die Dinge selbst prägen und formen auch die Menschen. Das
gilt, wie Schivelbusch (2015) zeigt, auch umgekehrt. So ist Konsum nicht nur eine wichtige
18
Siehe hierzu Veblens Theorie der feinen Leute (1986) und Bourdieus Analyse über „die feinen Unterschiede“
(Bourdieu 1982).
49
Vergesellschaftungsinstanz, sondern auch – vermittelt über die Aneignung von Dingen – ein
Mechanismus der Subjektwerdung und der Identitätsbildung.
In den Wissenschaften gibt es jedoch auch eine massive Kritik des Konsums, zumindest des
sogenannten Massenkonsums. Er gilt als Ablenkungsmanöver des Kapitalismus, das Gesellschaftskritik verhindert und die Bevölkerung ruhigstellt, und, aus bildungsbürgerlicher Perspektive, schlechten Geschmack bzw. Marcuses eindimensionalen Menschen (Vorgaukeln
von Freiheit, Verhinderung von Kritik) hervorbringt.
Dem ließe sich nun entgegenhalten, dass Konsum nicht nur notwendig ist, sondern auch Spaß
macht. Das gilt aber auch für die sog. Massenkultur mit der ihr unterstellten materialistischen
Haltung. „Eine materialistische Haltung, die sich ans Angenehme, Unterhaltende, Sinnliche,
recht unmittelbar Reizvolle, greifbar Gegebene hält, besitzt … wenig intellektuelle Fürsprecher, vor allem wenn diese Annehmlichkeiten und Reize in der (Waren-)Form von Konsumgütern einfach und ohne große Anstrengung erworben werden können“ (Hecken 2010: 228).
Dieser Autor möchte sich der dahinterstehenden „Verachtung des privaten, unspektakulären
Alltags“ (ebd. 229) nicht anschließen. Warum nicht eine „genussvolle Konsumhaltung“ gut
heißen und sie stärker auf das Ziel ausrichten, „das private, bequeme, konsumierende Leben
zu garantieren und auszuweiten“ – zumal für all diejenigen mit einem „normalen“ Einkommen? Worin ist der Vorrang von „höheren Werten, allseitiger Mitwirkung, großer Intensität
… erhabenen Ideen, reiner Kultur“ (ebd. 229) usw. begründet?
Man mag hier einwenden, dass der Gegensatz aktuell woanders liegt. Nun stehen dem Massenkonsum nicht mehr intellektuell-geistige Ideale entgegen, sondern die Orientierung am
nachhaltigen, faireren und ökologisch unbedenklicheren Konsum. Der Adressat der Konsumkritik (die „unteren Schichten“) indes bleibt derselbe.
Aus diesen Punkten kann die These abgeleitet werden, dass ein neuer Arbeitsbegriff benötigt
wird, damit Konsum gewürdigt werden kann. Wolfgang Schivelbusch (2015: 25) z. B. stellt
der Lebens- und der Arbeitskraft die „Verbrauchskraft“ an die Seite: „Verbrauchskraft ist,
was im Vorgang der Konsumption zwischen dem Gut und dem Konsumenten geschieht“,
„eine Art wechselseitigen Einander-Abarbeitens.“ Ein neuer Arbeitsbegriff ist auch deshalb
notwendig, weil sich der herkömmliche Arbeitsbegriff auf den instrumentellen Umgang mit
materiellen und immateriellen Objekten bezieht. Leitend hierbei ist das Konzept der „Naturbeherrschung“ (Ernst/Kopp 2011: 262). Ein solcher Arbeitsbegriff vernachlässigt das Subsistenzsichernde, Bewahrende und Sorgende: die ursprüngliche „Arbeit“ des Sammelns (Stichwort: Jäger- und Sammlerinnen) ebenso wie die dem Weiblichen zugeschriebene haushaltsund körpernahe Seite des Konsums (vgl. hierzu Teil I, Kap. 4 und 11).
Grenzen aktueller Lösungsansätze
Konsum wird in seiner Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklung, für das Wohlbefinden
und in seinem zeitlichen und Arbeitssaufwand nicht angemessen gewürdigt. Lediglich als
Käufer und damit als Garant für den Absatz von Produkten und damit den Unternehmensgewinn kommt dem Menschen eine entsprechende Anerkennung zu. Diese gilt ihm aber nur als
50
Konsument, der Geld in die Taschen der Produzenten bringt und der mittels Werbung zum
Kaufen motiviert werden kann, nicht als Individuum mit seinen Bedürfnissen.
In den Sozialwissenschaft überwiegt die oben dargestellte Konsumkritik, die Kritik am Warenfetischismus, der für die kapitalistische Zurichtung des Individuums (mit) verantwortlich
gemacht wird. Gleichzeitig wird der sogenannte Verbraucher mit der ganzen Kundenarbeit
alleine gelassen; er bekommt nicht die „Arbeitsmittel“ und den „Arbeitsplatz“, die er braucht;
zusätzlich wird ihm auch noch die Verantwortung für sein Handeln aufgebürdet – und auch
die Rolle des kritischen Konsumenten, der dazu beizutragen hat, dass die Herstellung von
Konsumgütern nicht durch Ausbeutung oder Raubbau geschieht.
Arbeitszeitverkürzung als Lösungsweg
Durch eine Verkürzung der Arbeitszeiten hätten die Erwerbstätigen mehr Zeit für Konsum zur
Verfügung und Arbeitslose, die durch Arbeitsumverteilung erwerbstätig werden, können mehr
Geld für Konsumgüter ausgeben. Dies würde die Inlandsnachfrage stärken, hätte aber darüber
hinaus noch weitergehende positive Auswirkungen:
Konsumenten hätten mehr Zeit für Einkäufe während der sogenannten Normalarbeitszeiten
zur Verfügung. Sie müssten nicht mehr in den Abendstunden einkaufen. Dadurch wäre eine
Trendumkehr der immer weiteren Ausdehnung der Ladenöffnungszeiten möglich. Die Konsumenten hätten darüber hinaus auch mehr Zeit, um sich Informationen über die Produkte
einzuholen, z. B. könnten sie sich nach ökologischen oder im fairen Handel vertriebenen Produkten umsehen. Dies hätte mittelfristig auch Rückwirkungen auf die Produktion, wenn vermehrt nachhaltige, faire und langlebige Produkte, die ggf. selbst repariert werden können,
nachgefragt werden.
Mehr Zeit für Konsum verbessert auch dessen Qualität und steigert den Genuss. Dies wird besonders in der Lebensmittelbranche oder der Gastronomie deutlich. Die Menschen können
qualitativ hochwertige Nahrungsmittel kaufen und diese selbst zubereiten, und so würde auch
die Nachfrage nach Fast Food zurückgehen. Der arbeitende Kunde bekommt mit einer Arbeitszeitverkürzung Arbeitszeit zur Verfügung gestellt, die er in seinem Sinne nutzen kann.
Viele „Konsumakte“ setzen hoch komplexe Aneignungsprozesse voraus. Dies benötigt Zeit,
z. B. beim Kauf und beim Umgang mit technischen (digitalen) Geräten oder bei der Nutzung
von Internetdienstleistungen. Nicht zuletzt erfordert der Konsum selbst Zeit. Menschen werden neue Produkte nur dann kaufen, wenn sie genügend Zeit haben, diese überhaupt zu nutzen. Dies gilt besonders für Konsumgüter, die der Unterhaltung dienen, darunter insbesondere
für den Konsum von Kulturgütern wie das Lesen von Büchern oder den Theaterbesuch. Bei
Zeitmangel wird hierauf am ehesten verzichtet.
Und nicht zuletzt geht es auch darum, einen neuen Konsumbegriff zu befördern, der den Konsum aus dem Bereich der zwar notwendigen, aber gleichzeitig abgewerteten menschlichen
Betätigungen herausholt und aufwertet. Notwendig wäre eine Würdigung des Konsums als
eine wichtige Sphäre der Wirtschaft, der Gesellschaft und des Alltags. Dies würde eine Kritik
der Konsumkritik, so wie z. B. Hecken (2010) sie vorgenommen hat, befördern, eine Würdigung der Dinge und ihrer Gebrauchswerte für den Menschen bedeuten und damit auch das
51
menschliche Leben als leiblich-sinnliches, an die Natur und das Materielle gebundenes Tun
aufwerten.
52
11. Mehr Zeit für Eigenarbeit und neue Ökonomien
Bei kürzeren Arbeitszeiten haben Erwerbstätige mehr Zeit für Eigenarbeit. Sie können sich
neben ihrer Erwerbstätigkeit anderen Formen der Arbeit widmen, z. B. handwerklichen oder
künstlerischen Projekten oder der eigenen Bildung. Mehr freie Zeit bietet überdies die Möglichkeit für das Ausprobieren von neuen Formen der Ökonomie, so z. B. für genossenschaftliche Projekte oder Tauschhandel. Dies fördert den gesellschaftlichen Zusammenhalt und bietet
Ansatzpunkte für nachhaltige Projekte (z. B. vermehrter Konsum von regionalen Produkten).
Ausgangslage/ Problemstellung
In der Wirtschaftssoziologie wird Eigenarbeit in Abgrenzung zur Erwerbs- bzw. Lohnarbeit
definiert und bezeichnet Tätigkeiten zum unmittelbaren Unterhalt der eigenen Person, der eigenen Familie bzw. des eigenen Haushalts (sog. Hausarbeiten, Heimwerken, Kleingärtnerei,
Betreuen und Pflegen u. a.). Innerhalb der Marktökonomie erhält Eigenarbeit tendenziell den
Charakter geschlechtsspezifischer Restarbeit. In der Kritik der Arbeitsgesellschaft (z. B. Gorz
1989) und Entwürfen alternativen Wirtschaftens bildet Eigenarbeit dagegen auf Grund ihrer
sog. Gebrauchswertorientierung ein positives Gegenbild zur Erwerbsarbeit (vgl.
www.wirtschaftslexikon.co).
Unter Eigenarbeit fallen:
Reproduktive Tätigkeiten: Hausarbeit, Familienarbeit (Erziehung, Pflege, Beziehungen)
Subsistenz-Tätigkeiten: z. B. Gartenbau, Brot backen, Früchte/Pflanzen sammeln, Reparatur und Instandhaltung, handwerkliche Tätigkeiten, Kleidung herstellen sowie
der Aufbau und die Pflege sozialer Netzwerke
In Konzepten, die auf eine Förderung der Eigenarbeit abzielen, wird Eigenarbeit primär als
Alternative zur Erwerbsarbeit gesehen. Zu nennen sind insbesondere Konzepte der Tätigkeitsgesellschaft, bei denen Eigenarbeit als Ersatz im Hinblick auf die Reduzierung von bzw.
die Ausgliederung aus Erwerbsarbeit gesehen wird (Gorz 1989, Mutz 1997).
Demgegenüber könnte Eigenarbeit aber auch eine individuell und gesellschaftlich sinnvolle
produktive Ergänzung von Erwerbsarbeit sein im Sinne einer wechselseitigen Verschränkung
und eines „Sowohl-als-Auch“. Eine solche Perspektive wird derzeit ansatzweise auch in Konzepten der Postwachstumsgesellschaft anvisiert (vgl. Paech 2013). Es könnte dies aber durchaus auch im Rahmen einer weiteren Wachstumsgesellschaft positive Effekte hervorbringen,
indem industriell erzeugte Produkte durch Eigenarbeit verändert oder ergänzt werden und so
auf individuelle Bedarfe abgestimmt werden.
Grenzen aktueller Lösungsansätze
Im Zuge der Industrialisierung wurde es als Fortschritt angesehen, Eigenarbeit weitmöglichst
zu reduzieren. Die Zurückdrängung von Eigenarbeit verschärft sich insbesondere bei Erwerbstätigen durch eine zunehmende Belastung durch die „Arbeit des Alltags“ (vgl. Teil I,
Kap. 7) sowie die Arbeit als Konsument/Kunde (Teil I, Kap. 10). Auch die Aufhebung der
klassischen Rollenverteilung der Geschlechter, in der der Mann der Erwerbsarbeit nachgeht
53
und die Frau der Eigenarbeit, führte zu einer Abnahme der Eigenarbeit, da Frauen heute in der
Regel auch berufstätig sind (vgl. Teil I, Kap. 6). Die zunehmende Anzahl der Single-Haushalte bricht ebenfalls die klassische Rollenverteilung zwischen Erwerbs- und Eigenarbeit auf.
So wurde die klassische Reproduktionsarbeit bereits drastisch reduziert und rationalisiert und
teilweise durch entsprechende Konsumgüter (z. B. Fertiggerichte, Spülmaschine, Wäschetrockner) oder Dienstleistungen (z. B. Putzhilfe, Gastronomie, Kinderbetreuung, Pflegeheim)
ersetzt bzw. automatisiert. Arbeiten wie Brot backen oder Marmelade kochen, Einkochen,
Gartenbau oder Kleidung reparieren fallen meist ganz weg, da die damit hergestellten Produkte in der Regel fertig gekauft werden.
Arbeitszeitverkürzung als Lösungsweg
Durch eine radikale Arbeitszeitverkürzung würden zeitliche Kapazitäten geschaffen, um die
verschiedenen Arten von Eigenarbeit wieder vermehrt ausüben zu können und sie in neuer
Weise mit Erwerbsarbeit zu verbinden.
Reproduktionsarbeit und Subsistenzproduktion
Zunächst würde die Haus- und Familienarbeit mehr zeitlichen Raum bekommen. So würde
die „Doppelbelastung“ von berufstätigen Frauen reduziert bzw. die Reproduktionsarbeit zwischen den Geschlechtern besser verteilt werden können (vgl. Teil I, Kap. 6). Die Situation in
Familien, aber auch in kinderlosen Haushalten würde sich zeitlich entspannen und
„entstressen“ und bestimmte Aufgaben, die bislang „wegrationalisiert“ wurden oder zu kurz
gekommen sind, könnten wieder aufgenommen werden. Auch wäre mehr Zeit für Kinderbetreuung und -erziehung vorhanden, sowie zur Pflege und Betreuung von Angehörigen (vgl.
Teil I, Kap. 5 und 4).
Mehr Zeit für Eigenarbeit kann sich insbesondere auf die Ernährung auswirken: Anstatt auf
Fertiggerichte, konservierte Lebensmittel oder „Fast Food“ zurückzugreifen, wäre mehr Zeit
für die Herstellung gesunder, vielfältiger und schmackhafter Nahrung verfügbar. Dies betrifft
das Einkaufen von frischen Produkten, das Zubereiten, Kochen und Backen. Weiterhin könnte
die Ernährung durch Subsistenz-Tätigkeiten wie Gartenbau, Kleintierhaltung, Sammeln von
Früchten und Wildpflanzen, Einkochen oder Brot backen ergänzt werden. Nicht zuletzt ist so
auch Zeit vorhanden, sich z. B. durch Bücher oder Kurse mit dem Thema Ernährung auseinanderzusetzen. Eine bessere Ernährungssituation würde sich positiv auf den Gesundheitszustand der Gesellschaft auswirken. Darüber hinaus sind gemeinsame Mahlzeiten sowie deren
Herstellung und Zubereitung wichtige Lern- und Gemeinschaftserfahrungen in Familien.
Des Weiteren können Subsistenz-Tätigkeiten wie handwerkliche Tätigkeiten oder die Herstellung, Reparatur und Instandhaltung von Gebrauchsgegenständen (z. B. Kleidung) wieder
vermehrt aufgenommen werden. Diese werden in heutigen Industriegesellschaften nur noch in
geringem Maße betrieben.
Es ist davon auszugehen, dass viele Menschen sich mehr Zeit für Subsistenz-Tätigkeiten wünschen, da diese Tätigkeiten oft manuell und kreativ sind, Naturbezug herstellen und ggf. mit
sozialem Kontakt einhergehen. Eigenarbeit wirkt hier in zweifacher Hinsicht einer Entfremdung entgegen. Zum einen geht es darum, sich die Konsumprodukte des täglichen Bedarfs
54
wieder anzueignen, anstatt sie fertig zu kaufen, ohne Bezug zum Produktionsprozess, oftmals
sogar ohne Kenntnis über diesen. So können die eigenen Produkte auch nach ganz individuellen Vorstellungen gestaltet werden.
Zum anderen geht es darum, der Entfremdung in Bezug auf das eigene Tun entgegenzuwirken. Es wird als befriedigend erlebt, (auch) mit den eigenen Händen etwas zu erschaffen,
selbst entscheiden zu können, wie man ein Produkt zum Eigengebrauch gestaltet, kreativ wirken zu können, sicht- und greifbare Ergebnisse zu produzieren und die Natur als Quelle der
eigenen Versorgung zu erfahren. Diese Art von Erfolgserlebnissen kommt in der modernen
Arbeitswelt in der Regel zu kurz. So kann Eigenarbeit auch ein Zugang zur Körperlichkeit
werden, um sich selbst und den eigenen Körper mehr wahrzunehmen. Mit sich selbst und der
Natur in Kontakt zu kommen, wird von vielen Menschen als sinnstiftend erlebt. Auch kann so
eine Vielfalt von Tätigkeiten und Tätigkeitsarten ausgeübt und erlebt werden. Auch wird „altes Wissen“ über Eigenarbeit bewahrt und weitergegeben.
Hinwendung zu zwischenmenschlichen Beziehungen, soziale Fürsorge
Soziale Beziehungen erfordern – neben ihrem rekreativen Aspekt – auch eine eigene Art von
Arbeit und sind zeitintensiv. Durch Arbeitszeitverkürzung würde mehr Zeit für Gespräche
und Zusammensein mit Mitmenschen zur Verfügung stehen. Neben den Familienmitgliedern
können dies auch Freunde, Bekannte, Nachbarn, Vereinsmitglieder, Kollegen etc. sein. Häufig steht in Familien der Kontakt zu Menschen aus dem weiteren Umfeld aus zeitlichen Gründen im Hintergrund.
Hierbei geht es jedoch nicht um reine Freizeitgestaltung, sondern um die Hinwendung zum
Mitmenschen im Hinblick auf Gemeinschaft und Zugehörigkeit, auf Lebensthemen und
-fragen, auf Problem- und Notlagen. Auch diese Art der Arbeit ist heute zumindest teilweise
auf professionelle Dienstleister wie Coaches, Berater, Seminaranbieter, Psychotherapeuten
oder Ärzte verlagert worden. Dies könnte durch Beziehungsarbeit zu einem gewissen Grad
wieder in den Bereich der Eigenarbeit zurückverlagert werden, indem ein verstärktes Füreinander-zur-Verfügung-stehen in persönlichen Anliegen den Bedarf an diesen Dienstleistungen reduziert, nicht zuletzt im Sinne einer Prävention in Bezug auf psychische und physische
Gesundheit. Dies ist zunehmend in einer Gesellschaft relevant, in der Familien- und Nachbarschaftsstrukturen immer weniger Stabilität und Zusammenhalt bieten.
Häufig ist „Beziehungsarbeit“ kaum sichtbar oder greifbar, dafür aber umso mehr fühlbar. Sie
spielt eine wichtige Rolle für die psychische Gesundheit, den sozialen Zusammenhalt sowie
den immateriellen Wohlstand einer Gesellschaft.
Teilnahme an alternativen und lokalen Ökonomien
Nicht zuletzt ist Eigenarbeit auch eine wichtige ergänzende Wirtschaftstätigkeit, die zum
Wohlstand der Haushalte sowie der Gesellschaft beiträgt und eine nachhaltige und umweltverträgliche Produktionsweise darstellt.
Beispielsweise würde nicht jede Person jede Art von Eigenarbeit ausüben wollen, sondern individuelle Schwerpunkte nach persönlichen Interessen und Fähigkeiten setzen. Durch die
Teilnahme an Tauschringen können diese Tätigkeiten dann auch für andere im lokalen Um55
feld angeboten werden und Eigenarbeit anderer kann im Gegenzug in Anspruch genommen
werden.
Eigenarbeit kann als ein Beitrag zum Aufbau einer neuen und zukunftsfähigen Ökonomie gesehen werden. Hierbei ergänzt Eigenarbeit industrielle Produktion und Dienstleistungen und
verschränkt sich mit ihnen. Durch ökonomische Strukturen, die Subsistenzproduktion und lokale Wirtschaftsbeziehungen einschließen, ist auch eine größere Robustheit gegenüber Wirtschafts-, Finanz- und Versorgungskrisen gegeben.
56
12. Gesamtgesellschaftliche kurz-, mittel- und langfristige
Wirkungen
Die Verkürzung der Arbeitszeit hat – über die beschriebenen Folgen hinaus – auch weiter
reichende gesamtgesellschaftliche Wirkungen. Diese sind nicht immer unmittelbar auf die
Umverteilung der Erwerbsarbeit zurückzuführen und teilweise ergeben sie sich erst mitteloder sogar langfristig. Darüber hinaus kann Arbeitszeitverkürzung auch positive gesellschaftliche Entwicklungen anstoßen oder unterstützen. Zu den gesamtgesellschaftlichen Effekten gehören u. a.:
Positive volkswirtschaftliche und fiskalische Effekte
Mit den zu erwartenden positiven gesellschaftlichen Effekten einer Arbeitszeitverkürzung gehen positive volkswirtschaftliche und fiskalische Effekte einher. Diese wurden z. T. in den
einzelnen Kapiteln beschrieben und seien hier nochmals zusammengefasst, jedoch keineswegs abschließend aufgezählt:
Von einer Arbeitszeitverkürzung und der hierdurch möglichen Arbeitsumverteilung sind
positive Effekte für die öffentlichen Haushalte zu erwarten. Mit dem Rückgang der Arbeitslosigkeit erhöhen sich die Steuereinnahmen im Bereich der Einkommenssteuer, aber
auch der Umsatzsteuer und anderer indirekter Steuern, da die Gesamtsumme der Einkommen und der private Konsum ansteigen.
Durch die gestiegene Nachfrage nach Konsumgütern und kulturellen Gütern ergeben sich
positive Effekte für das wirtschaftliche Wachstum.
Der Abbau der Arbeitslosigkeit führt zu einer Entlastung der Arbeitslosenversicherung.
Auch die staatlichen Ausgaben, die für die Bewältigung der Folgen von Arbeitslosigkeit
aufgewendet werden müssen (z. B. für Ausgaben für spezielle sozialpädagogische Maßnahmen) gehen zurück.
Der mit der Arbeitszeitverkürzung einhergehende verbesserte Gesundheitszustand der Beschäftigten und der ehemals Arbeitslosen trägt zur Kosteneinsparung im Gesundheitswesen
bei. Gleichzeitig werden die Rentenkassen entlastet, weil Erwerbstätige länger im Erwerbsleben verbleiben. Dadurch sinken auch die Kosten für staatliche Transferleistungen
an arme Rentnerinnen und Rentner.
Die Kosten für externe Kinderbetreuung werden reduziert, wenn sich beide Eltern um die
Kinder kümmern können und sich dadurch die Kinder über kürzere Zeiträume in externen
Kinderbetreuungseinrichtungen aufhalten.
Neubewertung von Arbeit
Durch eine Arbeitszeitverkürzung ergeben sich Chancen für eine neue Bewertung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit. Viele Arbeiten, die für Privathaushalte erbracht werden – an
erster Stelle sind hier die Sorgearbeiten für die Familie, aber auch andere reproduktive Tätigkeiten zu nennen – fallen entweder nicht in den Bereich der entlohnten Tätigkeiten oder werden, sofern sie als Erwerbsarbeit ausgeführt werden, gering bezahlt, wie sich am Beispiel der
57
Erzieherinnen zeigt. Sie werden als unproduktive Tätigkeiten gesellschaftlich weniger anerkannt als Tätigkeiten in der industriellen oder für die industrielle Produktion. Gerade die reproduktiven Tätigkeiten bilden jedoch das Fundament der Gesellschaft. Ohne sie könnten die
produktiven Tätigkeiten erst gar nicht geleistet werden.
Zu den Ursachen für die geringere Wertschätzung der reproduktiven Sorgearbeiten gehen die
Auffassungen auseinander. Eindeutig ist jedoch auf alle Fälle, dass es sich bei einem Großteil
dieser Tätigkeiten um Arbeiten handelt, die vorwiegend von Frauen ausgeübt werden. Diese
Arbeiten können eine Aufwertung erfahren, wenn sich hieran im Zuge einer Arbeitszeitverkürzung zukünftig verstärkt Männer beteiligen. Dadurch kann auch ein Bewusstwerdungsprozess in Gang gesetzt werden, der zu einem generellen Umdenken über den gesellschaftlich
anerkannten Arbeitsbegriff führt. Ein neuer Begriff von Arbeit könnte entstehen, der nicht nur
planende, produktive und schöpferische, sondern auch fürsorgliche und bewahrende Tätigkeiten einbezieht.
MehrWohlergehen und Zufriedenheit durch mehr Gleichheit
Schließlich trägt der Rückgang der Arbeitslosigkeit auch dazu bei, die soziale Ungleichheit in
der Gesellschaft abzubauen und damit das Wohlergehen aller Gesellschaftsmitglieder zu fördern. Unterschiedliche Studien und Statistiken belegen einen Anstieg der sozialen Ungleichheit in Deutschland, insbesondere auch eine anhaltend hohe ungleiche Vermögensverteilung
sowie eine Zunahme von Armut (z. B. Grabka/Westermeier 2014; Behringer et al. 2014;
Krause et al. 2014). Die steigende Ungleichheit ist nach Pickett und Wilkinson (2013) hauptverantwortlich für viele gesellschaftliche Probleme und trägt zur Unzufriedenheit der Menschen bei. Eine von der Autorin und dem Autor durchgeführte Untersuchung zeigt, dass Menschen umso zufriedener sind, je stärker das Ausmaß der sozialen Gleichheit ist. Die sozialen
Probleme in einer Gesellschaft wie z. B. Kriminalität, Gewalt, Drogenkonsum, Übergewicht
oder psychische Erkrankungen sind in denjenigen hochentwickelten Industriegesellschaften
geringer, in denen auch das soziale Gefälle geringer ist. Als Ursache führen Pickett und
Wilkinson an, dass in ungleichen Gesellschaften Menschen stärker unter Statusunsicherheit
leiden, das gegenseitige Vertrauen geringer ist und die sozialen Beziehungen schlechter sind.
Ab einem bestimmten gesellschaftlichen Einkommensniveau ist nicht mehr die absolute Einkommenshöhe für das Wohlergehen der Menschen verantwortlich, sondern das Ausmaß der
sozialen Gleichheit. Soziale Gleichheit trägt zum Wohlbefinden der Menschen bei. Sie stärkt
den sozialen Zusammenhalt und damit die Stabilität einer Gesellschaft.
Die bislang aufgezeigt, positiven Folgen einer radikalen Arbeitszeitverkürzung stellen sich sicherlich nicht immer von alleine und auch nicht von heute auf morgen ein. Ein neues gesellschaftliches Produktionsmodell, das auf einer Arbeitszeitverkürzung und –umverteilung beruht, braucht neben kollektivvertraglichen Regelungen weitere, flankierende Rahmenbedingungen. So ist ein Umdenken in der staatlichen Politik notwendig, um die Umsetzung zu unterstützen. Schutzrechte für Beschäftigte (z. B. das Arbeitszeitgesetz) und andere Gesetze (z.
B. das Steuerrecht mit den Möglichkeiten des Ehegattensplittings) müssen ausgebaut bzw. geändert werden. Ebenso ist eine Anpassung von gesellschaftlichen Institutionen (z. B. ein Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen oder des ÖPNV) an die neuen Anforderungen erfor58
derlich. Überdies ist in vielen Bereichen ein gesellschaftliches Umdenken notwendig, damit
die dargestellten Auswirkungen angestoßen werden.
59
Teil II
Förderung der Produktivität durch
Arbeitszeitverkürzung
60
Im zweiten Teil der Expertise werden Auswirkungen einer Arbeitszeitverkürzung für die Unternehmen geschildert. Kürzere Arbeitszeiten setzen der zeitlichen Nutzung der Arbeitskraft
durch die Unternehmen engere Grenzen. Dies kann für die Unternehmen zunächst höhere
Kosten verursachen, insbesondere dann, wenn zusätzliche Arbeitskräfte eingestellt werden
müssen. Dennoch wären aufgrund der oben beschriebenen Effekte für die Unternehmen mittelfristig positive Effekte zu erwarten.
In der folgenden Ausarbeitung werden die positiven Rückwirkungen der gesellschaftlichen
Effekte einer Arbeitszeitverkürzung auf die Betriebe beschrieben. Darüber hinaus werden die
positiven Effekte skizziert, die durch eine neue Flexibilität von Arbeit, durch neue Formen der
Nutzung von Arbeitskraft sowie durch neue Formen der Arbeitsteilung und die Ausweitung
der Beschäftigung entstehen. Hierbei wird argumentiert, dass diese Effekte zu einer neuen
Produktivitätssteigerung führen können. Es werden hier zunächst lediglich die Perspektiven in
einem Argumentationsrahmen umrissen, die in weiteren Arbeiten ausgebaut werden.
61
1.
Positive Rückwirkungen der gesellschaftlichen Effekte einer
Verkürzung der Arbeitszeit auf Betriebe
Die in Teil I beschriebenen Auswirkungen auf die Gesellschaft haben mittelfristig auch positive Auswirkungen auf die Unternehmen bzw. können in dieser Weise von den Unternehmen
genutzt werden.
2.
Eine Arbeitszeitverkürzung wirkt sich positiv auf die physische und psychische Gesundheit der Beschäftigten aus. Auch für die Unternehmen ist es von Vorteil, wenn die Beschäftigten gesünder sind, da der Krankenstand sinkt und die Anwesenheitszeiten steigen.
Diese Kosteneinsparungen müssen berücksichtigt werden, wenn die höheren Personalkosten durch Neueinstellungen in Rechnung gestellt werden (Hickel 2008: 33).
Unternehmen können bei kürzeren Arbeitszeiten länger vom Wissen und der Erfahrung
der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen profitieren, da davon auszugehen ist, dass die Beschäftigten aufgrund eines besseren Gesundheitszustandes länger im Berufsleben bleiben
und der Renteneintritt nach hinten verschoben wird.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würden die durch Arbeitszeitverkürzung gewonnene
Zeit auch für die eigene Weiterbildung nutzen. Durch die stärkere Beteiligung am Ehrenamt, am Familienleben und einem stärkeren politischen Engagement würden auch die sozialen und kommunikativen Kompetenzen sowie die Kreativität der Beschäftigten steigen. Die neu erworbenen Qualifikationen nutzen auch den Unternehmen. Die Beschäftigten wären überdies zufriedener und leistungsstärker.
Unternehmen können ein höheres Angebot an Fachkräften nutzen, da durch kürzere
Arbeitszeiten und eine Umverteilung der Arbeit mehr Personen dem Arbeitsmarkt zur
Verfügung stehen. So würden mehr qualifizierte Frauen einer Erwerbstätigkeit nachgehen, die unter den derzeitigen Bedingungen keinen Arbeitsplatz finden, der mit den Anforderungen an ihre alltägliche Lebensführung vereinbar ist.
Auch wenn Arbeitszeitverkürzung für Unternehmen mit zusätzlichen Personalkosten verbunden ist, bildet sie eine Voraussetzung dafür, dass viele Tätigkeiten für Beschäftigte
attraktiv bleiben. Dadurch stehen hierfür auch zukünftig ausreichend Arbeitskräfte zur
Verfügung. Dies gilt insbesondere für den Bereich der „bad jobs“.
Neue Flexibilisierung von Arbeit
Es ist zu fragen in welcher Weise durch eine Verkürzung der Arbeitszeit die Flexibilisierung
des Arbeitskräfteeinsatzes erhöht werden kann. In vielen Industriezweigen nimmt die Tendenz bzw. der Zwang zur Entgrenzung der Betriebszeit zu. Gründe hierfür sind nicht nur hohe
Kapitalausstattung sondern insbesondere auch die internationale Vernetzung. Durch eine Verkürzung der Arbeitszeit kann eine Ausdehnung der Betriebszeit sozial verträglich gestaltet
werden.
62
3.
Neue Formen der Nutzung der Arbeitskraft
In qualifizierten, selbstverantwortlichen Tätigkeitsfeldern stellt sich die Frage, ob die bisherige Länge der Arbeitszeit nicht zu einem Hemmnis für eine weitere Produktivitätsentwicklung der Arbeit wird und die Verkürzung der Arbeitszeit sogar eine Voraussetzung für die
Steigerung der Produktivität und somit ein unmittelbarer Vorteil für die Unternehmen ist:
Wissenschaftliche Untersuchungen verweisen auf die sich heute abzeichnende Tendenz einer
neuen Nutzung der Arbeitskraft, die sich mit Begriffen wie Flexibilisierung bzw. Entgrenzung, Vermarktlichung, Nutzung subjektiver Potentiale, intensivere Nutzung der Qualifikationen oder Nutzung der Arbeitskraft der Kunden und Kundinnen beschreiben lässt. Neue
Formen der betrieblichen Leistungssteuerung setzen auf die Selbststeuerungs-, Selbstverantwortungs- und Selbstoptimierungspotentiale der Beschäftigten in hochqualifizierten Tätigkeiten. Unternehmen erkennen, dass derartige Formen einer „indirekten Steuerung“ besser für
die Bewältigung von unvorhersehbaren und sich ständig verändernden Marktanforderungen
geeignet sind als traditionelle Formen betrieblicher Herrschaft. Hierfür werden in den Unternehmen Hierarchien abgebaut und den Arbeitskräften weitreichende Gestaltungs- und Entscheidungsbefugnisse übertragen. Flexible Arbeitsformen und ein flexibler Arbeitskräfteeinsatz versprechen im Zusammenhang mit einer ergebnisorientierten Leistungs- und Entgeltpolitik die höchste Produktivität. In diesen neuen Arbeitsformen nutzen die Unternehmen nicht
mehr allein die Qualifikation und die physische Arbeitskraft der Beschäftigten, sondern den
ganzen Menschen mit seiner vollständigen Persönlichkeit. Die Subjektivität der Beschäftigten
gilt nicht mehr länger als Störgröße, die es zu kontrollieren und beherrschen gilt, sondern gerade diese entpuppt sich als äußerst produktiver Faktor (Sauer 2010: 555ff.).
Es ist zu vermuten, dass die Nutzung dieser neuen Form einer qualitativen Intensivierung der
Arbeit an zeitliche Schranken stößt und ein profitabler Einsatz der Beschäftigten somit nur in
einem begrenzten zeitlichen Rahmen möglich ist. Bedingung für die optimale Nutzung der
Arbeitskraft wären dann kürzere Arbeitszeiten sowie eine bessere Anpassung der Arbeitszeiten an die individuellen Bedürfnisse der Beschäftigten. Die starke Zunahme von Burnout und
Depressionen in den letzten Jahren liefert einen ersten Hinweis auf die Richtigkeit dieser
Vermutung.
Es stellt sich somit die Frage, ob durch Arbeitszeitverkürzung der Weg für ein neues betriebliches Produktionsmodell bereitet wird, das eine qualitative Intensivierung der Arbeit nutzt
und damit zusätzliche schöpferische Potentiale der Arbeitskraft freisetzt? Zur
Plausibilisierung der These können u. a. folgende Argumente angeführt werden:
Die neuen Formen der betrieblichen Leistungssteuerung und die Nutzung der subjektiven
Potentiale der Beschäftigten bergen neben positiven Aspekten für die Beschäftigten auch
neue Gefahren in sich, die in Teil I, Kap. 2 unter dem Stichwort „Selbstüberforderung“
bei qualifizierter Arbeit beschrieben wurden. Dadurch ergeben sich neue Belastungen, die
sich negativ auf den Gesundheitszustand der Beschäftigten auswirken können.
Unabhängig hiervon ist davon auszugehen, dass in hochqualifizierten Tätigkeitsfeldern
die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten nach einer gewissen Zeit63
4.
spanne nachlässt, die Fehlerhäufigkeit über ein tolerierbares Maß hinaus ansteigt und die
Kosten für Fehler den Nutzen der Arbeitskraft übersteigen werden.
Kurze Arbeitszeiten wirken sich positiv auf die Leistungsfähigkeit und die Motivation der
Beschäftigten aus. Arbeitshetze und lange Arbeitszeiten hingegen behindern eine qualitativ hochwertige Arbeit und wirken demotivierend. So ist erwiesen, dass Teilzeitarbeitskräfte produktiver sind als Vollzeitarbeitskräfte. Sie arbeiten durchschnittlich schneller.
Es ist anzunehmen, dass viele der spezifischen Anforderungen in hochqualifizierten,
selbstbestimmten Tätigkeiten generell nur in einem begrenzten zeitlichen Rahmen geleistet werden können und anschließend längere Reproduktionsphasen notwendig sind.
So ist es leicht nachvollziehbar, dass Beschäftigte nicht über die gesamte Dauer von acht
Stunden die maximale Kreativität und Konzentration aufbringen können. Dies gilt im Besonderen für Berufe, in denen am Menschen gearbeitet und Interaktionsarbeit geleistet
wird. Interaktionsarbeit ist eine hoch anspruchsvolle Tätigkeit, die eine besondere Arbeitsgestaltung braucht, um Belastungen abzubauen und die Qualität der Arbeit zu gewährleisten. Zu diesen Gestaltungsmaßnahmen gehört auch eine zeitliche Begrenzung
dieser Arbeit (Böhle et al. 2015).
Wenn durch eine Arbeitsumverteilung die Zahl der Beschäftigten in den jeweiligen
Arbeitsbereichen bzw. –gruppen zunimmt, erhöhen sich das kreative Potential sowie die
Erfahrung der Arbeitsgruppe als Ganzes. Unternehmen können folglich auch eine größere
Vielfalt an Qualifikationen und Erfahrungen nutzen. Dies erleichtert Arbeitsvollzüge und
bietet organisatorische Vorteile. Beispielsweise sind Arbeitsgruppen seltener auf externes
Wissen angewiesen, wenn im Team mehr Qualifikationen vorhanden sind und gegenseitiger Erfahrungsaustausch möglich ist.
Neue Formen der Arbeitsteilung und Ausweitung der
Beschäftigung
Durch die Ausweitung der Anzahl der Beschäftigten ergeben sich neue Möglichkeiten, einer
produktivitätshemmenden Konzentration von Arbeitsaufgaben entgegenzuwirken. So zeigt
sich in der Praxis, dass gerade bei selbstverantwortlicher Arbeit zunehmend Konflikte zwischen der Kernarbeit und anderen Aufgaben wie Verwaltung, Koordination usw. auftreten. Es
ist daher danach zu fragen, in welcher Weise hier neue Formen der Arbeitsteilung und wechselseitigen Entlastung möglich werden und somit auch Alternativen zur Politik der pauschalen
Personalreduzierung als Rationalisierungsinstrument entwickelt werden.
Damit die Effektivitätsgewinne durch eine Arbeitszeitreduzierung in hochqualifizierten Tätigkeitsfeldern wirksam werden, müssen neue arbeitsorganisatorische Wege gegangen werden. Neue Ideen hierfür wären zunächst zu entwickeln. So kann es beispielsweise sinnvoll
sein, Tätigkeiten wieder auf Kernarbeiten zu reduzieren bzw. von „berufsfremden“ Arbeitsanteilen zu befreien (z. B. Verwaltungsaufgaben) und hierfür neue Arbeitskräfte zu beschäftigen.
64
Um die vorgestellten Thesen zu verfestigen, wären in einem weiteren Forschungsschritt derartige Tätigkeiten in unterschiedlichen Arbeitsbereichen und Branchen in den Blick zu nehmen. In einem praxisorientierten Projekt wären Unternehmen zu suchen, die bereit wären,
eine Arbeitszeitverkürzung umzusetzen. Diese Unternehmen könnten den Anstoß für eine
neue Offensive einer Arbeitszeitverkürzung geben.
65
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Kontakt
Dr. Ursula Stöger
Universität Augsburg
Philosophisch Sozialwissenschaftliche Fakultät
Forschungseinheit für Sozioökonomie der Arbeits- und Berufswelt
Eichleitnerstraße 30
86159 Augsburg
Tel.: +49 (0)821 598 – 4094 (Sekretariat)
Mobil: +49 (0)151 708 126 44
E-Mail: ursula.stoeger@phil.uni-augsburg.de
Prof. Dr. Fritz Böhle
Universität Augsburg
Philosophisch Sozialwissenschaftliche Fakultät
Forschungseinheit für Sozioökonomie der Arbeits- und Berufswelt
Eichleitnerstraße 30
86159 Augsburg
Tel.: +49 (0)821 598 – 4094 (Sekretariat)
E-Mail: fritz.boehle@phil.uni-augsburg.de
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