Irmgard Keun

Markenwaren bilden nicht das profane ‚Andere‛ der Kultur. Vielmehr eröffnen sie der Literatur seit mehr als hundert Jahren neue poetologische Spielräume. Die Studie zeigt, wie Werke von Edmund Edel (Berlin W., 1906), Thomas Mann (Der Zauberberg, 1924), Irmgard Keun (Das kunstseidene Mädchen, 1932), Wolfgang Koeppen (Tauben im Gras, 1951) und Christian Kracht (1979, 2001) materielle, semiologische und kulturtheoretische Aspekte der Konsumkultur reflektieren und in literarische Verfahren überführen: von Warenhauskatalogen und Fetischisierungen bis zu kapitalistischen Zirkulationsprozessen und der Faszination glänzender Oberflächen. Die close readings öffnen den Blick für die kulturpoetologische Dimension literarischer Texte und für die Bedingungen von Kultur im Kapitalismus.

Die Arbeit wurde mit dem Tiburtius-Anerkennungpreis 2012 – Preis der Berliner Hochschulen ausgezeichnet (http://www.hu-berlin.de/pr/nachrichten/nr1212/nr_121210_01).

Aus den Rezensionen

“Weyands gründliche Studie im Stil des New Historicism dürfte auch dem letzten Kritiker, der Popliteratur mit ‘Geschmacksterrorismus’ assoziiert, deutlich machen: Kein Markenkult ist Zufall.  […] Der Literaturwissenschaftler kann sich nicht mehr herausreden, er muss Markenwelten genauso studieren wie klassische Mythen und Topoi.” Marc Reichwein, literaturkritik.de (05/2014)

“Björn Weyands materialreiche, mit beeindruckender Akribie erarbeitete und anschaulich verfasste Studie zur Poetik der Marke schließt eine signifikante Lücke in der literaturwissenschaftlichen Forschung zum Zusammenhang von Literatur und Ökonomie.” Annemarie Opp, Zeitschrift für Germanistik (3/2014)

Darf ich Ihnen hier Ypsi vorstellen, die kleine, sehr moder-ne Frau, die Sie gewiß schon tausendmal gesehen haben – bei Premieren, Rennen, Boxkämpfen und prominenten Leichengängnissen. Dies also ist Ypsi (leider sieht sie heute nicht vorteilhaft aus, den der Hut in Lindbergfasson steht ihr nicht, aber mein Gott, gnädige Frau, man muß die Mode doch mitmachen, nicht wahr)? […] Natürlich heißt Ypsi nicht Ypsi, sondern Karoline. […] Ypsi ist, um es kurz zu sagen, eine Kopistin. […]Sie macht. Sie kopiert. Was sie kopiert, fragen Sie, gnädige Frau? Nun einfach alles. Von ihrer Frisur bis zu ihrem Schoßhund, von ihrem Likörglä-sern bis zu ihren Ehekonflikten, von ihren Ohrringen bis zu ihren Träumen ist alles aus zweiter Hand, alles nachge-macht, alles Kopie. Das mit den Träumen kommt übrigens von der Mode her, sich psychoanalysieren zu lassen. (Baum 1927: 17) Vicki Baums Ypsi ist eine Kunstfrau im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit. Sportlich, adrett, begeisterungsfähig für alle neuen Mode-und LifeStyle Trends hat Ypsi ihren Beruf zur Fasson gemacht, sie kopiert die technisch reproduzierbaren Bilder insze-nierter Weiblichkeit aus der Welt der Reklame und des Films. Baums Sinn für die Parado-xien der veränderten Medienkultur zeigt sich nicht zuletzt in der Ambiguität des Publikati-onsorts: Der kleine, durchaus kritische Artikel erscheint 1927 in Die Dame, eine der meist-gelesenen Frauenzeitschriften der Weimarer Republik und die Plattform zur Distribution des neuen Frauenbildes schlechthin. Als mondäne Zeitschrift für Kultur, Mode und Gesellschaft bemüht sie sich um Einführung und Verbreitung des neuen Ideals einer fortschrittlichen, emanzipierten, eleganten sowie gebildeten Frau (vgl. dazu Ferber 1980). Die generischen Effekte einer illustrierten Frauenzeitschrift, die sich der Neuaushandlung weiblicher Rollenbilder widmet, birgt jedoch auch das Risiko einer ideologischen Verein-nahmung und Entpolitisierung dieser Bilder. Durch das für Genres typische Spiel mit

Seit der Antike ist die Liebe ein zentrales Thema der Literatur. Es ist die Liebe, die handlungstragende Konflikte auslöst. Die Liebe hält durch immer neu entstehende emotionale Verwicklungen den Erzählfluss in Gang. Gilt dies auch für eine literarische Epoche, die für ihre Gefühlskälte bekannt ist, die als ‚l'ordre frois' gilt, in der Emotionen, falls vorhanden, zumindest nicht nach außen getragen werden dürfen? Eine literarische Epoche, deren vornehmlichstes Kennzeichen ihre Anti-Romantik ist? Welche Rolle kann hier die Liebe spielen? Gar keine, oder höchstens eine nebensächliche? Weit gefehlt! Auch in den Texten der Neuen Sachlichkeit – vor allem in den Romanen – steht die Liebe häufig im Mittelpunkt: Einerseits in Gestalt einer spezifischen, neu-sachlichen Liebessemantik, andererseits aber auch in evolutionär älteren Formen, als leidenschaftliche, aufgeklärte oder als romantische Liebe, die in Kon-kurrenz zu dem neuen Modell stehen. Die traditionellen Liebesdiskurse irritieren die neusachlichen Figuren, stellen ihr Lieben in Frage, lassen Liebesideale wirksam werden, die ihrem neuen Lebensstil, ihren neuen Identitäten widersprechen und sie brüchig werden lassen. Eines der pro-minentesten Beispiele hierfür ist Irmgard Keuns 1931 erschienener Ro-manerstling Gilgi – eine von uns, der heute als einer der wichtigsten Texte der Neuen Sachlichkeit rezipiert wird.

Dieser Artikel widmet sich der Erstrezeption des Romans „Gilgi – eine von uns“, geschrieben von Irmgard Keun, erschienen 1931. Die Rezeption wird mithilfe von Rezensionen betrachtet, welche als öffentliche Rezeptionszeugnisse gewertet werden, und Leserinnenzuschriften, die als private Rezeptionszeugnisse gelten. Um den Roman und die Diskussion um den Roman zu verstehen und zeitgeschichtlich einordnen zu können, wird zunächst in einem Exkurs auf die Debatte über die Neue Frau zur Zeit der Weimarer Republik eingegangen. Dabei soll die Betrachtung des Frauenbildes in den Zeitschriften „Die Frau“ und „Der Querschnitt“ helfen, stellvertretend für die Repräsentation des Frauenbildes innerhalb der medialen Öffentlichkeit. Danach wird der Roman kurz vorgestellt, um schließlich die Rezeption auszuwerten.

In questo saggio si indagherà lo stato del Bildungsroman nella storia della Letteratura Tedesca, ripercorrendo la storia di questo genere romanzesco dalla sua genesi fino alla prima metà del Novecento. In un primo luogo si ripercorreranno i presupposti e le spinte che hanno fatto del romanzo di formazione una pietra miliare della letteratura occidentale. Si cercherà di guardare da vicino sia quei contesti storici, letterari e filosofici che hanno favorito la nascita e il successo di questo genere romanzesco, sia quei contesti che hanno portato al declino di quest’ultimo.

Abstract
This essay examines Irmgard Keun's novelDas kunstseidene Mädchen (1932) against the backdrop of Weimar-era discourses on the emancipatory potential of vision. While the narrative's thematization of vision has been productively analyzed from the perspective of feminist and film theory, less attention has been paid to its ties to contemporary discourses concerned with retooling a vision enhanced by new technologies like film into an instrument of emancipatory self-fashioning. As the article shows, Keun's novel reflects critically on these discourses by casting its heroine's sentimental journey in terms of an education in vision that leads to acknowledging the distance between the visual as a mode of inscription and the visible as a domain of perception. In so doing the novel delivers a critical commentary on contemporary discourses that located agency in a conquest of the visible attained by manipulating the visual.

This chapter examines the interrelation of cognitive-linguistic principles, specific textual and narrative strategies and – as a third domain – of contemporary poetological positions by means of an exemplary analysis of two novels of the German movement ‘Neue Sachlichkeit’ (‘New Objectivity’). It thereby aims to shed light on the strategies of perspectival embedding and points out its relevance for the characterization of modern literary aesthetics. After a first historical outline regarding the key status of perception and perspective in modernist aesthetics, the chapter discusses the cognitive-linguistic principle of perspectivization and the inherent potential of multiperspectivity in narrative that results from the constitutive double-layered structure of narrative discourse. This provides the basis to analyze the specific strategies of foregrounding multiperspectivity by means of viewpoint splitting and deictic shift, polyphony and multimodality in two modernist novels by Alfred Döblin and Irmgard Keun that can be understood as strategies of perspectival embedding and addressed as ‘aesthetics of observation’.

Keywords: perspectivization, multiperspectivity, viewpoint split, deictic shift, perspectival embedding, Neue Sachlichkeit, New Objectivity, polyphony, literary modernism

Die Studie unternimmt am Beispiel des deutschsprachigen Exilromans zur Zeit des ‚Dritten Reichs‘ den Versuch, die Ästhetik des Komischen als Teil einer modernen Exilpoetik zu etablieren. Sie berücksichtigt dabei das gesamte Spektrum komischer Schreibformen von der Satire über den Humor bis hin zum Grotesken, zum Pikaresken und zum Witz. In drei historisch-systematischen Grundlagenkapiteln und drei Fallstudien zu Alfred Döblin, Veza Canetti und Albert Vigoleis Thelen erfolgt die Analyse der Funktionen, Potentiale und Grenzen dieser komisierenden Erzählverfahren. Der Band versteht sich als Beitrag zur Rehabilitierung der komischen Dimension der Exilliteratur bzw. überhaupt erst zur Kenntlichmachung des Komischen als ernstzunehmender Schreibstrategie im Exil.

20. yüzyıl modernizminin coğrafyaları büyük kentlerdir. Baudelaire’in Paris’i, Dostoyevski’nin Petersburg’u, Freud’un Viyana’sı, Kafka’nın Prag’ı gibi Berlin de 20. yüzyılın cazibe merkezlerinden biridir. Berlin’in iki dünya savaşı arasında sunduğu imge çok katmanlı, kozmopolit bir kent görüntüsüdür. Daha 1. Dünya Savaşı’nın hemen ertesinde Berlin, modern çağın başat özelliği olarak kendini dayatan toplumsal düzensizliğin odak noktasıdır. Savaştan yenik çıkan Wilhelm Almanya’sı dağılmış, monarşik iktidarın sınıfsal istikrara dayanan yapısı yerini kimliklerin bulanıklaşıp rollerin değiştiği yeni, çoğunlukla da kaotik bir toplumsal alana ve bu alanın içinde hareket eden insanlara bırakmıştır. Bu çalışma, böylesi insan imgeleri üzerinden 1930’lar Berlin’inde gündelik yaşam deneyimlerine ve bu deneyimlerin toplumsal dinamikler içindeki rolüne iki farklı ulusal edebiyatın, Alman ve İngiliz edebiyatlarının penceresinden bakacaktır. Irmgard Keun’un Yalancı İpek Kız’ı (1932) ile Christopher Isherwood’un Hoşça Kal Berlin’i (1939), Weimar Cumhuriyeti’nin çöküş dönemiyle eş zamanlı Nasyonal Sosyalizm’in yükselişine ve bununla beraber Berlin’in geçirdiği dönüşümün boyutlarına şahitlik eder. Yalancı İpek Kız’da genç bir Alman kadının deneyimleri ile Hoşça Kal Berlin’de orta yaşlı bir İngiliz erkeğinin yaşantıladıkları arasındaki benzerlikler/farklılıklar, 1930’lar Berlin’inin kapsamlı bir portresini çizer. Bu iki romanı kent-birey etkileşimi bağlamında tartışmak, iki savaş arası modernizmin kıskacındaki bu metropolün, sakinlerini kimlik gözetmeksizin ötekileştirdiğini göz önüne sermektedir.
Anahtar Kelimeler: Modernizm, Berlin, kent sakini, Irmgard Keun, Christopher Isherwood

Die bestehende Forschung zur Neuen Sachlichkeit versteht ‚Dokumentarismus' und ‚Objektivierung' als wesentliche Kennzeichen neusachlicher Literatur. Wie aber zu zeigen ist, wird in Texten wie Irmgard Keuns Das kunstseidene Mädchen (1932), Alfred Döblins Großstadtepos Berlin Alexanderplatz (1929) aber auch dem dezidiert dokumentarischen Montageroman Heeresbericht (1930) von Edlef Köppen nicht eine einfache ‚Objektivierung' der narrativen Darstellung vorgenommen. Stattdessen lässt sich über die verschiedenen Subgenres wie Großstadt-, Zeit-und Antikriegsroman hinweg vielmehr eine spezifische Darbietung von Beobachterpositionen und multiperspektivischen Akten der ‚Beobachtung von Beobachtung' als wesentliche Text- und Erzählstrategie herausarbeiten. Der Vortrag beleuchtet anhand konkreter Textauszüge und Materialien, weshalb diese perspektivischen Überlagerungen sich als konstitutiv für die Ästhetik der Neue Sachlichkeit verstehen lassen – und in welcher Weise diese neusachliche ‚Ästhetik der Bobachtung' zugleich auf eine Text-Leser-Interaktion hin ausgerichtet ist, die die Leserin zur Ko-Beobachterin macht.

This essay argues that the protagonist of Irmgard Keun’s exile novel Kind aller Länder (1938) is an adaptation of Mignon from Johann Wolfgang von Goethe’s Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/96). Through the development of a narratological approach that distinguishes between diegetic and narrative forms of agency, the essay analyzes intertextual connections between the novels that reveal important insights into how intersecting aspects of the characters’ identities, including gender identity, age, linguistic ability, and migration status, limit and control their access to their Heimat and self-narration.

Vol. 113, No. 4