Der piemontesische Aufklärer Vittorio Alfieri steht in der italienischen Sattelzeit (1710-1870) paradigmatisch für die Tragödie als republikanisch inspiriertes, erhabenes Projekt. Im Spannungsfeld von radikaler Absolutismuskritik und...
moreDer piemontesische Aufklärer Vittorio Alfieri steht in der italienischen Sattelzeit (1710-1870) paradigmatisch für die Tragödie als republikanisch inspiriertes, erhabenes Projekt. Im Spannungsfeld von radikaler Absolutismuskritik und nationaler Selbstvergewisserung entwickeln norditalienische Intellektuelle wie Alfieri, der Veroneser Klassizist Scipione Maffei und der Gluck-Librettist Ranieri de’ Calzabigi die Gattung zum moralisch-ästhetischen Gegenmodell zu den in Italien populären Praxen der Barockoper und des Improvisationstheaters. Inspiriert durch die griechische Antike und französische Klassik, wird die Tragödie an der Schwelle von Aufklärung und Romantik, Revolution und Restauration zum Vexierbild von kulturellen und politischen Idealen, die den Weg in Richtung Nation und Nationaltheater weisen sollen. Unter dem Vorzeichen der Empfindsamkeit und der Genieästhetik spiegelt sie so den Wandel hin zu einem modernen Staats- und Geschlechterverständnis, auch wenn die ernste Gattung auf den italienischen Bühnen erst mit dem verdianischen Musiktheater eine breitenwirksame Realisierung erfahren wird.
Im Zentrum dieser Entwicklung, die das vorliegende Buch nachzeichnet, stehen neben Alfieri, Calzabigi und Maffei vor- und postrevolutionäre italienische Tragödienautoren und Theaterschaffende, allen voran Pietro Metastasio, Luigi Riccoboni, Francesco Saverio Salfi und Alessandro Manzoni. Kontrastive Lektüren von Texten Addisons, Gottscheds, Voltaires und Schillers eröffnen dabei eine europäische Perspektive auf das republikanische Tragödienprojekt der italienischen Sattelzeit.