Ziel = Das Aufzeigen des massiven staatlichen Zugriffs auf das „Private“, insbesondere in den Bereichen der Familie und der Sexualität (in der Ehe). Fragestellung • In welchem Maß unterschied sich die die Politik der Weimarer Republik von...
moreZiel = Das Aufzeigen des massiven staatlichen Zugriffs auf das „Private“, insbesondere in den Bereichen der Familie und der Sexualität (in der Ehe).
Fragestellung
• In welchem Maß unterschied sich die die Politik der Weimarer Republik von der des Kaiserreichs und des Nationalsozialistischen Regimes?
• Warum bekamen die Institutionen Ehe und Familie eine derartige politische Brisanz?
• Inwiefern hat die Bevölkerungspolitik in das Konzept „Familie“/ „Ehe“ eingegriffen?
• Inwiefern wurde in den Bereich der Sexualität eingegriffen?
• Hat die Bevölkerungs-/ Familienpolitik das Leben der Frau de facto verbessert und/ oder eingeschränkt?
Einleitung
Die Weimarer Republik war geprägt durch kriegsbedingte Lücken in der männlichen Bevöl-kerung, einem Frauenüberschuss und rückläufigen Geburtenraten, was Vorstellungen einer „demographischen Krise“ auslöste. Debatten über diese Krise bewirkten eine Fokussierung auf die Wiederherstellung des traditionellen Gebärverhaltens, sowie der herkömmlichen sozialen Strukturen. Die Institutionen Ehe und Familie mussten gestärkt werden.
„Die Ehe steht als Grundlage des Familienlebens und der Erhaltung und Vermehrung der Nation unter dem besonderen Schutze der Verfassung. Sie beruht auf der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter. Die Reinerhaltung, Gesundung und soziale Förderung der Familie ist Aufgabe des Staates und der Gemeinden. Kinderreiche Familien haben Anspruch auf aus-gleichende Fürsorge. Die Mutterschaft hat Anspruch auf den Schutz und Fürsorge des Staa-tes.“ (Artikel 119 der Weimarer Verfassung vom 11. August 1919)
In der Verfassung wurden die Ehe und die Familie stark gewichtet, auch wenn die Verwirkli-chung nur begrenzt möglich war, da der Verfassung die alten Gesetze des Kaiserreichs ent-gegenstanden, welche noch immer uneingeschränkt Gültigkeit besaßen (Anm. vor allem das Ehe- und Familienrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches von 1896).
Rahmenbedingungen
Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts rückte die Ehe als soziale und sexuelle Ge-schlechtergemeinschaft in das Blickfeld sozialreformerischer Bewegungen, professi-oneller Gruppen und der Medizin
Die Weimarer Reichsverfassung erkannte als erste deutsche Verfassung Ehe und Fa-milie als grundrechtlich geschützte Bereiche an.
Grundsätzlich herrschte unter sozialmedizinischen Experten Einigkeit über die Not-wendigkeit, die „Volksgesundheit“ zu verbessern, es ging nicht mehr um die Quanti-tät, sondern um die Qualität (d. h. selektive Geburtenregelung).
Die Rolle und der Status der Frau in der deutschen Gesellschaft wurden wieder auf traditionelle Muster reduziert.
Es kam zu einer Medikalisierung von Geburtenkontrolle.
Mit der Machtübernahme der Nat.soz. rutschte die Rassenhygiene ins Zentrum natio-nalsozialistischen Denkens und die NSDAP unterstützte die eugenischen Forderungen der Rassenhygieniker. Der Griff nach der Bevölkerung wurde nun mit staatlicher Ge-walt durchgeführt, was während der Weimarer Republik nicht möglich gewesen wäre, zudem wurden die rassenhygienischen Zwangsmaßnahmen ab 1933 sukzessive ver-schärft.
Thesen und Erläuterungen
Eine staatliche Bevölkerungspolitik der Weimarer Republik war vorhanden, auch wenn sie eine irritierende Mischung aus Kontinuität und Wandel, stark konträren An-sichten und großen Errungenschaften, aber auch Fehlschlägen darstellte.
Trotz der politischen Instabilität, ist die Weimarer Sozialpolitik als eine beachtliche Errungenschaft zu betrachten, vor allem was die Fortschritte im Bereich des Mutter-schutzes, der „Wochenhilfe“, dem Netz von Beratungsstellen uvm. betrifft.
Die Zuschreibungen von Geschlechterrollen erfolgten nicht ideologisch, sondern wa-ren Ergebnis einer durch medizinische Diagnostik und ärztliche Funktionsprüfungen in den Körper eingeschriebenen Politik.
Die Unterwerfung des sexuellen Verhaltens (insbesondere der Frauen) unter soziale Kontrollen führte zu einem latenten Konflikt zwischen gesellschaftliche behaupteten Gesamtinteressen und individuellen Interessen.
Der staatliche Eingriff in das Familienleben stellte nicht nur eine Beschneidung der individuellen Freiheit, sondern auch Vorteile für Familien dar, beispielsweise wurde der Mutterstatus aufgewertet.
Mutterschutzprogramme waren nicht nur ein Instrument der sozialen Kontrolle son-dern auch ein wichtiger Beitrag zur Frauenemanzipation.
Die Akzeptanz der Geburtenkontrolle wurde durch die wachsende Sorge um die Volksgesundheit und eine veränderte Frauenrolle beschleunigt und befreite Frauen von ungewollter Mutterschaft und ermöglichte Selbstbestimmung.
Die Sexualreformer hatten bei ihren Bemühungen, den Sexualtrieb zu rationalisieren und zu disziplinieren, nicht die Befreiung sondern die Stärkung der Institutionen Ehe und Familie im Sinne.
Die Institution der Ehe wurde seit Beginn des 20. Jahrhunderts sukzessive als recht-lich geschütztes, exklusives Privatverhältnis zugunsten eines sozialpolitisch motivier-ten Zugriffs ärztlicher Experten aufgelöst, es kam zu einer „Vergesellschaftung“, Verwissenschaftlichung und damit zu einer „Rationalisierung“ der Ehe.