Location via proxy:   [ UP ]  
[Report a bug]   [Manage cookies]                

Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Ab $11.99/Monat nach dem Testzeitraum. Jederzeit kündbar.

Tulpentanz: Kriminalroman
Tulpentanz: Kriminalroman
Tulpentanz: Kriminalroman
eBook433 Seiten5 Stunden

Tulpentanz: Kriminalroman

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Leonhard Bux, der junge Geliebte der Firmenchefin Helena Eichenhaun, wird am Bodenseeufer tot aufgefunden. Zeitgleich verschwindet in Aalen die Pfeife des Spions - eines Wahrzeichens der Stadt. Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Fällen? Alexandra Tuleit und Kommissar Ole Strobehn enthüllen eine unglaubliche Geschichte, die tief in die Vergangenheit führt. War Leonhard nicht der, für den er sich ausgab? Wer ist der Maulwurf, der Helenas Firma fast in den Ruin trieb? Und dann gibt es noch eine Leiche …
SpracheDeutsch
HerausgeberGmeiner-Verlag
Erscheinungsdatum1. Juli 2013
ISBN9783839241387
Tulpentanz: Kriminalroman
Autor

Eva-Maria Bast

Eva-Maria Bast, Jahrgang 1978, ist Journalistin, Autorin und Leiterin des Journalistenbüros „Büro Bast&Thissen“. Ihre Schwerpunkte sind Geschichten über Menschen in besonderen Lebenssituationen, Themen mit historischem Bezug, Politik und Brennpunktberichterstattung. Sie initiierte und schrieb die Buchreihe „Geheimnisse der Heimat“, die 2011 in der edition SÜDKURIER startete und rasch zu einem regionalen Bestseller wurde. Die Reihe wird seither laufend erweitert. Zeitgleich begann sie ihr Studium der Geschichte. Eva-Maria Bast hat drei Kinder und lebt mit ihrer Familie in Überlingen am Bodensee. „Vergissmichnicht“ ist ihr erster Krimi.

Mehr von Eva Maria Bast lesen

Ähnlich wie Tulpentanz

Titel in dieser Serie (2)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Tulpentanz

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Tulpentanz - Eva-Maria Bast

    cover-image.png

    Eva-Maria Bast

    Tulpentanz

    Kriminalroman

    336364.png

    Impressum

    Personen und Handlung sind frei erfunden.

    Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

    sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

    Besuchen Sie uns im Internet:

    www.gmeiner-verlag.de

    © 2013 – Gmeiner-Verlag GmbH

    Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

    Telefon 0 75 75/20 95-0

    info@gmeiner-verlag.de

    Alle Rechte vorbehalten

    Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

    Herstellung: Mirjam Hecht

    E-Book: Julia Franze

    Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

    unter Verwendung eines Fotos von: © suze / photocase.com

    ISBN 978-3-8392-4138-7

    Für meine Oma Anneliese Bast, an deren Tür auch immer ein Kehrwoche-Schild hing. Die Stunden bei der Urschwäbin mit »Greeschde Nudla ond Kardofflsalad« sind mir unvergessen. Mögest Du in Frieden ruhen, liebste Oma.

    Und für meine Eltern Lena und Alfred Bast, die mich im tiefsten Schwabenland so aufgezogen haben, dass ich des Schriftdeutschen mächtig wurde. Mächtiger als des Schwäbischen, wie ich gestehen muss. Was mir, als ich ins Badische zog, eine echte Chance gab. Hätte mich mein Dialekt gleich als Schwäbin gekennzeichnet – ich weiß nicht, ob man mich dann so herzlich aufgenommen hätte, wie das der Fall war.

    Erstes Kapitel

    Konstanz

    Er ließ das Fernglas sinken und zog die Mundwinkel in einer Mischung aus Gier, Verachtung und Faszination herab. Sie fesselte ihn ebenso, wie sie ihn abstieß: Am Fenster stand Helena Eichenhaun, 48 Jahre alt und eine der erfolgreichsten Unternehmerinnen am See, ach was, in ganz Baden-Württemberg. Sein Atem malte Wolken in die Luft, die an diesem Frühlingsmorgen noch so kalt und klar war wie im Winter. Es gefiel ihm, die Wölkchen zu betrachten, die aus seinem Mund in Richtung Himmel quollen. Sie waren so real. Etwas, das man greifen konnte und das ihm zumindest einen Hauch dessen verlieh, was er nicht besaß: Identität. Fasziniert stieß er weitere Atemwolken hinterher. Puff, puff, puff.

    Drüben an der Villa, einem prachtvollen Haus im Konstanzer Musikerviertel, regte sich etwas. Helena hatte die Haustüre geöffnet. Er hatte erwartet, dass sie in dem gleichen strengen Designerkostüm zur Tür heraustreten würde wie gestern. Ach was, nicht im gleichen. Frauen wie sie trugen niemals das gleiche, schon gar nicht an zwei aufeinander folgenden Tagen. Aber in einem ähnlichen. Er beobachtete sie schon eine ganze Weile. Wenn sie ins Büro ging, trug sie immer denselben Stil: Außer den strengen Kostümen befanden sich in ihrem Kleiderschrank, das wusste er aus eigener Anschauung, noch ebenso streng geschnittene Hosenanzüge. Dazu trug sie stets Pumps und manchmal, an kühleren Tagen, auch Stiefel, was ihm ausnehmend gut gefiel. Es machte sie jünger, fand er. Wobei Helena Eichenhaun ohnehin nicht aussah wie Ende 40. Vor allem dann nicht, wenn sie ihre schulterlangen, silberblonden Haare offen ließ, statt sie im Nacken zu einem strengen Knoten zu stecken. Oder wenn sie sie auf dem Hinterkopf zu einem praktischen Pferdeschwanz zusammenband, so wie jetzt.

    Sie begann schon an der Haustüre zu laufen. Flüchtig blickte sie in seine Richtung und er duckte sich rasch hinter einen großen Busch. Was ein Glück, dass Helenas Haus nicht näher am Zentrum stand, sondern so abgelegen lag, dass die Bebauung lückenhafter wurde und die umliegende Natur ausreichend Möglichkeiten bot, sich zu verstecken. Kurz hinter ihrem Grundstück wurde der Uferweg zu einem weichen Waldweg – und es waren hier auch längst nicht mehr so viele Menschen unterwegs wie im vorderen Uferteil. Schon gar nicht an diesem frischen Morgen. Nur einige Frühsportler trabten durch die Kühle und erweiterten das vom See her kommende Geräuschspektrum – Möwengeschrei und das leise Plätschern der Wellen, wenn ein Boot vorüberkam – um vereinzeltes Ächzen und das rhythmische Klopfen ihrer Füße auf dem weichen Waldboden.

    Bumm, bumm, bumm.

    Auch Helena joggte an ihm vorbei, in Richtung Fähre. Sie hatte ihn nicht gesehen. Gott sei Dank. Es wäre schlimm, wenn sie ihn entdecken würde. Sie würde Fragen stellen, unangenehme Fragen. Erklärungen von ihm verlangen, die er ihr nicht geben konnte. Und dann würde sein Plan scheitern, verflucht noch mal. Bock darauf hatte er nicht. Er wollte keine krummen Dinger mehr drehen. Und ihn wollte er eigentlich auch in Ruhe lassen. Er war ruhiger geworden in den letzten Jahren, und deshalb tat es ihm leid, dass er ihn nun wieder piesacken musste. Aber was blieb ihm anderes übrig, das Leben hatte es nicht gut mit ihm gemeint. Und wenn er vom lieben Gott schon nicht mit Attributen und erst recht nicht mit Geld gesegnet worden war – anscheinend hatte ihn der Heiland schlichtweg vergessen –, dann musste er eben selbst dafür sorgen, dass er etwas vom Kuchen abbekam. Bisher war ihm das auch ganz gut gelungen.

    Seine grauen Augen folgten Helenas schmaler Gestalt, die in Jogginghosen und einer pinkfarbenen, engen Joggingjacke steckte. Es irritierte ihn immer noch, dass sie joggte. Er hatte sie bisher nie joggen sehen. Und das, obwohl er alles über sie, die zwölf Jahre ältere Lady, wusste. Was sie am liebsten aß, wie sie tickte, welche Unterwäsche sie trug. Er strich sich durch die wilden, braunen Haare. Ob sie wegen ihm joggte? Wollte sie schöner sein für ihn? Schlanker, durchtrainierter?

    Ein Lächeln spielte um seine Mundwinkel, doch gleich darauf erlosch es wieder. Die Sache war heiß, die Frau war heiß. Er durfte jetzt auf keinen Fall einen Fehler machen.

    Zweites Kapitel

    Friedrichshafen

    »Scher dich zum Teufel!« Die eisige Stimme Helena Eichenhauns klang wie ein Peitschenhieb. Sie knallte gegen das künstlerische Herz ihres Sohnes und hinterließ dort blutige Wunden.

    »Verschwinde. Und wage es nicht wieder aufzutauchen, bis du mir etwas Vernünftiges vorlegen kannst. Und nicht solche … solche … solche …« Helena betrachtete angewidert eines der Papiere, auf die Christian seine neuesten Entwürfe gezeichnet hatte. »Solche langweiligen, unkreativen, ideenlosen Schmierereien«, fuhr sie fort.

    Mit spitzen Fingern, als wolle sie sich die Hände nicht mit derart niveaulosem Zeug beschmutzen, packte sie das Papier an der äußersten Ecke und ließ es in den schwarzen, glänzenden Designmülleimer segeln, der aussah wie eine edle Bodenvase.

    Sodann hob sie ihr perfekt geschminktes Gesicht, zog die sorgsam ausgerissenen und mittels Stift wieder aufgemalten Augenbrauen ein paar Millimeter nach oben und richtete ihren kühlen Blick auf die zusammengepressten Lippen ihres Sohnes Christian. »Du brauchst gar nicht so beleidigt zu tun«, sagte sie streng. »Du weißt, dass wir es nur so weit gebracht haben, weil ich uns keinen, aber auch absolut keinen Fehler erlaube.«

    Helena Eichenhaun stand an der Spitze der in Friedrichshafen ansässigen Modefirma Saphir!, die in einer Liga mit Gucci, Chanel und Louis Vuitton spielte. Sie hatte das Imperium aus den Händen ihres Schwiegervaters übernommen – ihr Mann, da war sie sich mit ihrem Schwiegervater einig gewesen, taugte nichts. Zwischenzeitlich war ihr Gatte Albert verstorben und sie musste ihn nicht mehr mitschleppen. In den vergangenen zehn Jahren hatte sie hart gearbeitet, jede Sekunde ihrer Zeit in ihre Firma gesteckt und die Erziehung der pubertierenden Kinder wechselnden Hausmädchen überlassen. Jetzt waren sie erwachsen und teilweise in der Firma tätig. Was sie einander keineswegs näher gebracht hatte. Helenas Verhältnis zu ihren Kindern war von jeher kühl und distanziert. Wie sie eigentlich allen Menschen kühl und distanziert gegenüberstand. Mit Ausnahme von Leonhard. Ein Lächeln spielte um ihre Mundwinkel, als sie an ihn dachte. Leonhard. Der neue Mann in der Designabteilung. Sie hatten sich auf einer Vernissage kennengelernt, seiner Vernissage.

    Doch als sie dann dort war, war jede schlechte Laune vergessen. Schon als sie den Ausstellungsraum betrat, wurde sie von der intensiven Stimmung, die von den Bildern ausging, gefangen genommen. Die Werke schienen zu einem einzigen großen Gesamtkunstwerk zu verschmelzen. Einem Kunstwerk, das genau das atmete, was Helena in ihrer Firma haben wollte und nie hatte zum Ausdruck bringen können. Weder in Entwürfen, noch in Kleidern oder Accessoires und auch nicht in Worten. Sie hatte nie beschreiben können, wonach sie suchte. Sie hatte ein Bild im Kopf, eine Stimmung im Blut, aber sie konnte anderen nicht erklären, wie dieses Bild aussah und wie sich die Stimmung anfühlte, die sie in ihrer Mode widergespiegelt haben wollte. Deshalb verschlug es ihm buchstäblich den Atem, als sie es nun so deutlich vor sich sah: Lebendigkeit, Charme, Detailverliebtheit, ein Hauch von Prunk und Eleganz.

    Leonhard Bux, der Künstler, war wie seine Werke. Extravagant, schmeichelhaft, anders. Sie, die eiserne Lady, schmolz unter seinem grauen, leicht verschleierten Blick und seinen warmen Worten, mit denen er sie begrüßte, regelrecht dahin. Noch am selben Abend landeten sie im Bett. Dass er zwölf Jahre jünger war als sie, störte sie nicht. Und das, obwohl sie eigentlich gesteigerten Wert auf Konventionen legte. Was die Leute dachten, war ihr wichtig, also verhielt sie sich so, dass die Leute nur das Beste dachten – oder eher: Ihr keine Verfehlungen und Ausrutscher nachsagen konnten. Denn dass viele Menschen sie wegen ihres sehr kühlen Wesens nicht mochten, war ihr klar. Und irgendwie wollte sie das auch so. Sie wollte perfekt sein. Und sie wollte die Leute auf Abstand halten. Keiner sollte ihr zu nahe kommen.

    Doch dieses Mal waren ihr die Leute und der Tratsch egal. Dieses Mal ging es nur um sie selbst. Und um ihn. Vor allem um ihn.

    Seither hatte Leonhard einen festen Platz in ihrem Leben. Sie hatte ihn gewollt – ihn, den Mann und ihn, den Künstler. Und sie hatte ihn bekommen. Zumindest den Künstler, Leonhard war inzwischen Mitglied der Designabteilung von Saphir! und er machte seine Sache sehr, sehr gut. Des Mannes konnte sie allerdings nicht wirklich habhaft werden. Er schaffte es wieder und wieder, sich ihr zu entziehen. Nie konnte sie ihn ganz greifen, nie das Gefühl haben, sich seiner sicher zu sein, ihn zu besitzen oder gar einen Anspruch auf ihn zu haben. Das irritierte und faszinierte sie gleichermaßen und es machte ihn umso reizvoller.

    Leonhard arbeitete in der Designabteilung unter Christian. Die beiden Männer mochten sich nicht. Oder besser gesagt: Christian mochte Leonhard nicht. Er sah in ihm eine permanente Bedrohung und fand es so lächerlich wie peinlich, dass sich seine Mutter mit einem zwölf Jahre Jüngeren eingelassen und ihn obendrein noch eingestellt hatte. »Du verhältst dich wie König Karl, der hat seinen Geliebten auch immer einen Job besorgt«, ätzte er nun und deutete auf die Türme der Schlosskirche, die man vom Friedrichshafener Firmengebäude aus sehen konnte. Das einstige württembergische Königspaar Karl I. und Olga hatte das Häfler Schloss gern als Sommerresidenz genutzt und besonders Olga war bei den Einwohnern Friedrichshafens sehr beliebt gewesen – vor allem wegen ihrer sozialen Ader und weil sie schon zwei Jahre vor ihrer Thronbesteigung den Riedlewald gerettet hatte, indem sie ihn einfach kaufte und damit eine Abholzung verhinderte.

    Es war klar, dass Christian auf den 30-jährigen Amerikaner Charles Woodcock anspielte, zu dem der wesentlich ältere Karl nicht nur – wie zu seinen vorigen Liebhabern – eine enge Bindung gehabt hatte, sondern den er auch zum Baron Woodcock-Savage ernannte und mit einem stattlichen Vermögen beglückte. Woodcocks Einfluss auf den König war sehr groß, was man Karl allgemein übel nahm, es kam zu einem Skandal, teils war sogar von einer Absetzung des Königs die Rede. Karl gab die Beziehung zu Woodcock schließlich auf.

    »Ich nehme an, dass du die Beziehung zwischen dem König und Baron Woodcock-Savage meinst«, sagte die belesene Helena da auch schon. »Aber ich kann dich beruhigen: Erstens bin ich naturgemäß nicht schwul, zweitens habe ich nicht vor, ihn zum Baron zu machen und drittens ist der Altersunterschied zwischen Leonhard und mir geringer als der zwischen dem König und dem Baron.«

    Aber ihr Sohn hatte schon recht mit seinen Sorgen, dachte Helena im Stillen. Leonhard war eine Bedrohung für Christian. Nicht weil Leonhard ihr Geliebter war. Sondern weil er der Beste war. Christian sah sich selbst zwar gern als Künstler, war aber schlichtweg keiner. Ihm fehlte der Tiefgang, er war oberflächlich und das Einzige, was ihn interessierte, war das Geld, das seine Entwürfe abwerfen konnten, weil er auf einen berühmten Namen und eine große Maschinerie zurückgreifen konnte. Und das merkte man seinen kalten, seelenlosen Entwürfen an. Jetzt presste er wütend hervor: »Würde unter diesem Entwurf Leonhard Bux stehen, würdest du ihn absegnen.«

    Helena musterte ihn abschätzig. Verweilte mit ihrem kühlen Blick auf seinem sonnengebleichten, schulterlangen Haar, sah in seine wässrigen, blauen Augen, taxierte das viel zu gebräunte Gesicht – eine Bräune, die sich wie eine Plastikmaske über die Haut ihres Sohnes legte. Er wirkte unecht, stellte sie mit einem leisen Anflug von Bedauern fest. Unecht und inhaltslos.

    »Irrtum, mein Lieber«, sagte sie. »Wenn Leonhard Bux mir einen solchen Entwurf vorlegen würde, würde ich ihn hinauswerfen. Und das sollte ich mit dir eigentlich auch tun.«

    Christian beugte sich über die Tischplatte und sah seine Mutter drohend an. Spucketröpfchen der Empörung, leise und fein, segelten schwerelos durch die Luft und landeten kaum merklich auf Helenas Gesicht. »Das kannst du nicht, Mutter. Schon vergessen, dass du mich brauchst? Dass ich Anteile an der Firma habe? Und eines Tages werde ich auch deine erben.«

    Obwohl Helena selbst kühl und berechnend war und obwohl sie die immer ein wenig anmaßende Art ihres Sohnes kannte, musste sie angesichts der Dreistigkeit seiner Worte nach Luft schnappen. Kurz tat es weh, ein scharfer Stich ganz nah am Herzen. Dann aber siegte die Wut. »So?«, fragte sie scharf und beugte sich ebenfalls über den Tisch, dem ungeliebten Sohn entgegen. »Sei dir da mal nicht so sicher. Ich habe vor, Leonhard zu heiraten. Er kann die Firma hundert Mal besser in die Zukunft führen als du. Und dann passt auch dein komischer Vergleich mit König Karl: Dann werde ich meinem Geliebten nämlich auch ein stattliches Vermögen zukommen lassen.«

    »Das wagst du nicht«, zischte Christian. »Und wenn du es doch tust, dann wird dir das sehr, sehr leid tun. Und ihm auch.« Mit hastigen Fingern sammelte er die Papiere ein, die er auf dem Schreibtisch seiner Mutter ausgebreitet hatte, zumindest diejenigen, die sie noch nicht in ihrem Mülleimer hatte verschwinden lassen. Er stopfte sie achtlos in seine große, schwarze Mappe und verließ mit wütenden Schritten das Zimmer, ohne Helena noch einen Blick zu gönnen.

    Helena blieb reglos sitzend zurück und starrte noch auf die weiße, gepolsterte Tür, nachdem sie sich längst hinter ihrem Sohn geschlossen hatte. Bis auf wenige Farbakzente, wie zum Beispiel den schwarzen Mülleimer oder die feuerrote Couch, war ihr Zimmer ganz in Weiß gehalten. Weiße Regale, die mit unzähligen Büchern über Mode und Design gefüllt waren, ein weißer nierenförmiger Schreibtisch, weiße Stühle. Es war, das erkannte sie jetzt voller Entsetzen, ein schrecklicher Fehler gewesen, ausgerechnet Christian von ihren Heiratsplänen zu erzählen – noch dazu, bevor Leonhard selbst davon erfuhr. Aber er hatte sie so wütend gemacht mit seiner selbstherrlichen Arroganz, so unglaublich wütend. Was hatte sie geschuftet, um die Firma dorthin zu bringen, wo sie jetzt war. Es widerstrebte ihr, sie in die Hände dieses geldgierigen Mannes zu geben. Ob er nun ihr Sohn war oder nicht. Mit seinem Talent hätte er den Laden innerhalb eines Jahres in den Ruin getrieben, da war sie sich sicher. Leonhard hingegen … Wieder malte sich dieses verträumte Lächeln in ihr Gesicht.

    Die Firma war nicht der einzige Grund, warum sie ihn heiraten wollte. Sie wollte ihn besitzen. Es irritierte sie, dass er nicht nach ihrer Pfeife tanzte. So korrekt, pünktlich und zuverlässig er beruflich war – privat konnte sie ihn einfach nicht greifen. Leonhard versetzte sie, reagierte nicht auf Anrufe und SMS, um im nächsten Moment wieder unglaublich liebevoll und romantisch zu sein. Damit verhinderte er – vielleicht, nein, wahrscheinlich ohne es zu wissen, dass sie ihren Unmut ihm gegenüber zum Ausdruck brachte. Weil sie die Momente, in denen er charmant und zärtlich war, aufsaugte wie ein Schwamm und sie nicht mit ihren Vorwürfen über nicht beantwortete Mails und SMS zerstören wollte. Leonhard war ein Freiheitsvogel. Und genau das machte ihn so reizvoll.

    Drittes Kapitel

    Überlingen

    Alexandra erwachte von einem markerschütternden Schrei. Sie fuhr auf und versuchte, sich in der Dunkelheit zu orientieren. Es war Ole, der da so herzzerreißend schrie. Schon wieder. Zum dritten Mal in dieser Woche. Sie tastete im Dunkeln nach dem Lichtschalter, knipste hastig die Lampe an, beugte sich über ihn, packte seine Schulter und rüttelte ihn sanft. »Ole, Schatz. Aufwachen. Du träumst wieder schlecht.« Ole schlug wild um sich und traf sie hart an der Wange. Erschrocken presste sie ihre Hand auf die schmerzende Stelle. Ole erwachte von dem Schlag und starrte sie aus riesengroßen, schreckgeweiteten Augen an. Es dauerte, so kam es Alexandra vor, ewig, bis das Entsetzen dem Erkennen wich und erst Erleichterung, dann Zärtlichkeit und schließlich Liebe durch seine Augen zog. All das geschah innerhalb von Sekunden. Und dann glitt jener Ausdruck über sein Gesicht, den sie so fürchtete: Oles Miene verschloss sich. Schloss sie aus, aus seiner Welt, wies sie ab, schickte sie fort.

    Sie war schleichend gekommen, die Veränderung in ihrer sonst so glücklichen Beziehung. Alexandra hatte sie zunächst gar nicht bemerkt. Zu sehr, das warf sie sich jetzt vor, war sie mit sich selbst beschäftigt gewesen. Da waren die wöchentlichen Therapiesitzungen mit ihrer Psychologin, in denen sie den Mord an Elisabeth Meierle aufarbeitete, einer alten Dame, die sie im vergangenen Frühsommer mit durchgeschnittener Kehle auf einer Parkbank gefunden hatte. Dann war da ihre Arbeit an ihrem Buch ›Geheimnisse der Heimat‹. Vor zwei Wochen war das Werk herausgekommen und sie hatte in den Monaten davor wirklich schuften müssen. Ole hatte die ganze Zeit über an ihrer Seite gestanden. Ruhig, unerschütterlich und, so hoffte sie, auch ein wenig stolz auf seine erfolgreiche Freundin. Er war ihr Fels in der Brandung. Aber irgendwo in all dem Trubel hatte sie den Zugang zu ihm verloren. Wie sich ein Fels nie regt und rührt, nie etwas von den Geheimnissen preisgibt, die vielleicht in seinem großen, mächtigen Leib schlummern, hatte auch Ole immer mehr über sein Innenleben geschwiegen, war buchstäblich versteinert. An ihrer Seite. Und sie hatte es nicht bemerkt.

    Etwa zu dieser Zeit hatten seine Alpträume begonnen. Wieder und wieder wachte er nachts schreiend auf und wollte ihr dann, auf ihre drängenden Fragen hin, nicht erzählen, was er geträumt hatte. Was ihn so umtrieb. Warum es ihm so schlecht ging. Warum sie dabei war, ihn zu verlieren.

    Sie vermutete, dass es die Erinnerung an jene Tage war, in denen er gefangen im Keller eines Konstanzer Einfamilienhauses gelegen hatte. Ole hatte seinerzeit im Fall der toten Elisabeth Meierle ermittelt, so hatten sie sich kennengelernt. Die Mörderin der alten Dame hatte ihn in eine Falle gelockt und ihn tagelang mit der Tochter der Toten in einem Keller festgehalten. Alexandra ahnte, dass es Ole ziemlich in seinem Stolz gekränkt hatte, ihr in die Falle gegangen zu sein. Zumal er sich damals zu allem Überfluss auch noch unprofessionell verhalten und seine Kollegin nicht über seine Ermittlungen in Kenntnis gesetzt hatte. Es war ein unerlaubter und unverantwortlicher Alleingang gewesen und nur weil er ihr, Alexandra, gegenüber erwähnt hatte, wo er hingehen würde und sie dies später seinen Kollegen mitteilte, konnten er und die Tochter der Toten schließlich gerettet werden.

    »Ist es wegen des Kellers?«, wiederholte sie nun die Frage, die sie jedes Mal stellte wenn er schlecht geträumt hatte, und legte vorsichtig eine Hand auf seinen Arm. Er war schlafwarm und ein wenig feucht. Ein Schweißfilm hatte sich über seine Haut gelegt, Tau der Angst und des Entsetzens.

    »Nein, das habe ich dir doch schon so oft gesagt«, fuhr Ole sie barsch an. Er machte eine abrupte Bewegung und schüttelte dabei ihre Hand ab. »Es ist alles gut, es war nur ein Alptraum, okay? Mach bitte nicht so ein Theater deswegen. Und jetzt lass uns weiterschlafen, ich muss morgen früh raus.« Seine Stimme, die sonst so schmeichelnd, so weich und warm war, klang hart und aggressiv. Und sie wurde noch härter, als er anfügte: »Ich habe kein so lockeres und leichtes Leben wie ihr Redakteure, die ihr erst um halb zehn Uhr bei der Arbeit erscheinen müsst.« Alexandra spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. Es tat weh, dass er so mit ihr sprach, schmerzte, dass er sich derart vor ihr verschloss. Sie wandte den Kopf ab, um ihre Tränen zu verbergen. Er sollte nicht merken, wie sehr er sie verletzte. Vermutlich würde er sie dann für eine Heulsuse halten. Doch Ole hatte ihr ohnehin schon den Rücken zugedreht und sich die Decke über den Kopf gezogen. »Machst du das Licht noch aus?«, bat er und war Minuten später eingeschlafen.

    Alexandra aber konnte nicht schlafen, zu vieles ging ihr wieder und wieder im Kopf herum. Ole und sie waren so glücklich gewesen. Sie hatte das Gefühl gehabt, dass sie einander mit Haut und Haaren gehörten, ohne sich dabei gegenseitig einzuengen. Bedingungslose Liebe, bedingungsloses Vertrauen. Und jetzt lag plötzlich ein ganz anderer Mann neben ihr im Bett. Auf ihre Verletztheit folgte Wut. Wut, dass er sich derart gnadenlos vor ihr zurückzog, Wut, dass er ihr nicht einmal die Chance gab, ihn zu verstehen. Am liebsten hätte sie ihn an der Schulter gepackt, ihn geschüttelt und ihn gezwungen, mit ihr zu reden. Doch sie wusste, dass es nichts bringen würde. So charmant Ole oft war – er konnte auch ungemein stur sein. Und er mochte es überhaupt nicht, wenn man ihn unter Druck setzte. Stattdessen musste sie versuchen, sein Vertrauen zu gewinnen. Es kränkte sie tief, dass sie es noch nicht hatte. Sie hatte eigentlich gedacht, dass sie sich alles sagten, alles voneinander wussten. Zumal sie sich in einer Zeit kennengelernt hatten, als sich ihrer beider Leben im Umbruch befanden. Ole war frisch nach Überlingen gezogen und sie hatte gerade die Leiche am Bodenseeufer gefunden. Bei ihrer ersten Begegnung war sie in Ohnmacht gefallen, bei ihrer zweiten weinend in seinen Armen zusammengebrochen. Sie war immer davon ausgegangen, dass diese schwere Zeit sie besonders aneinander geschweißt hatte. Dass die Liebe wuchs, wenn man gemeinsam, Seite an Seite, harte Zeiten durchstand. Dass es gut war, alles voneinander zu wissen und den anderen in seinen tiefsten und finstersten Stunden erlebt zu haben.

    Nun gestand sie sich ein, dass eigentlich immer nur sie ihr Wesen offenbart hatte. Ole war immer da gewesen, war immer stark gewesen. Der Gestalt gewordene Beschützer. Und sie, sie hatte sich dankbar fallen lassen, sich angelehnt. Denn wenn sie eigentlich auch eine starke und selbstständige Frau war, so sehnte sie sich doch nach der starken Schulter eines Mannes. Und die hatte Ole. Definitiv.

    Als der Morgen über Überlingen heraufdämmerte, hatte sie viele schlaflose Stunden hinter sich. Sie stand leise auf und ging mit nackten Füßen über den Holzdielenboden hinüber in Oles Küche. Auch wenn sie nicht zusammenwohnten, gab es kaum eine Nacht oder eine freie Stunde, die sie nicht gemeinsam verbrachten. Er lebte halb bei ihr und sie hatte die Hälfte ihres Hausrats zwischenzeitlich bei ihm deponiert. Alexandra wünschte sich, dass das so blieb. Oder dass sie sogar ganz zusammenziehen würden. Sie wollte ihn und sie liebte ihn. Über alles. Das war ihr in den langen Stunden dieser Nacht mit schmerzlicher Gewissheit klar geworden – natürlich hatte sie es auch vorher schon gewusst, aber als sie vorhin, wieder einmal von ihm zurückgewiesen, dagelegen und gegrübelt hatte, hatten sich ihre Gefühle für ihn mit einer Macht offenbart, die beinahe wehtat. Und mit der schwindenden Nacht war auch ihre Wut über sein Verhalten verraucht. Alexandra holte sich einen Beutel Yogitee mit Schokogeschmack aus dem Hängeschrank über der Spüle und setzte Wasser auf. Während der Schnellkocher die Flüssigkeit auf die richtige Temperatur brachte, trat sie ans Fenster und blickte auf die Stadt hinunter, die langsam aus ihrem Nachtschlaf erwachte. Dort unten fuhr ein Mann mit Hut auf dem Fahrrad durch das Franziskanertor und die Franziskanerstraße hinunter. Der Nachbar von schräg gegenüber, der in dem Eckhaus zur Christophstraße lebte, verließ mit seiner Aktentasche unter dem Arm hastig sein Haus und eilte in Richtung Bahnhof. Im Gehen zog er sich noch seine Jacke über, wobei ihn die Aktentasche augenscheinlich störte. Er blieb stehen, stellte sie auf dem Boden ab, schlüpfte in seine Jacke, griff wieder nach der Aktentasche und hetzte weiter. Sie wusste, dass er nach Friedrichshafen fuhr, wo er bei einer Bank als Individualkundenberater arbeitete.

    Vom See her kam der orangefarbene Kleinlaster des städtischen Bauhofs – bis obenhin mit Müll beladen – gefahren. Einer der Müllmänner stand hinten auf der Ladefläche und blickte grimmig in den heraufziehenden Tag. Ich könnte mir auch etwas Schöneres vorstellen, als den Müll anderer Leute wegzuräumen. Und das dann auch noch um diese Uhrzeit, dachte Alexandra.

    Hinter ihr klickte der Wasserkocher, der sich automatisch abgeschaltet hatte, nachdem das Wasser den Siedepunkt erreicht hatte. Alexandra riss ihren Blick von dem frühmorgendlichen Geschehen unten auf der Straße los und ging zur Küchenzeile hinüber. Und als sie die kochende Flüssigkeit über ihren Teebeutel goss, beschloss sie, sich nicht weiter darüber zu grämen, dass sie Oles Vertrauen anscheinend verloren hatte. Stattdessen wollte sie versuchen, es wieder zu erlangen. Es zu verdienen. Ja, sie wollte um ihre Liebe kämpfen.

    Viertes Kapitel

    Friedrichshafen

    Helena fuhr erschrocken zusammen, als die Tür zu ihrem Büro ruckartig aufgerissen wurde. Sie hatte gerade über ihren Bilanzen gesessen und besorgt festgestellt, dass die Umsätze immer weiter in den Keller gingen. Sie musste sich etwas einfallen lassen und zwar schnell. Ihrer Assistentin hatte sie gesagt, dass sie auf keinen Fall zu sprechen wäre. Umso ungehaltener war sie nun über die Störung. Doch das änderte sich rasch. Herein stürmte Leonhard mit zerzausten braunen Haaren und blitzenden grauen Augen. Er trug, wie immer bei der Arbeit, Jeans und ein eng anliegendes Sweatshirt, das seinen flachen Bauch und seine muskulösen Oberarme betonte. An seinem Shirt hatten sich zwei Stofffetzen verfangen, die nun wie bunte Fähnchen hinter ihm herwehten. Helena konnte nicht verhindern, dass sich – trotz der offensichtlichen und beunruhigenden Verärgerung, die tiefe und dunkle Schatten in Leonhards Gesicht warf – ein strahlendes Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete, als sie seiner ansichtig wurde. Und ihrer verzweifelten Sekretärin, die Leonhard ins Zimmer gefolgt war und stammelnd um Entschuldigung für dessen unangemeldetes Auftauchen bat, warf sie einen ihrer äußerst seltenen freundlichen Blicke zu. »Schon gut, Lisa«, sagte sie milde. »Lassen Sie uns allein.«

    »Was kann ich für dich tun?«, fragte sie, als sich die Tür hinter Lisa geschlossen hatte. Sie stand auf, ging um ihren Schreibtisch herum und streckte die Arme nach Leonhard aus, voller Sehnsucht nach seiner starken und auch ein wenig dominanten Umarmung. Doch noch bevor sie ihn erreicht hatte, machte Leonhard eine grobe, abwehrende Handbewegung und drehte sich von ihr weg. Helena ließ die ausgebreiteten Hände wieder sinken und blieb mit hängenden Armen stehen. Eine für sie mehr als untypische Geste.

    »Wann gedachtest du mir mitzuteilen, dass du mich heiraten möchtest? Sollte ich es über einen Aushang am Schwarzen Brett erfahren?«, fauchte er. »Oder wolltest du erst die Gesellschafter in der nächsten Konferenz darüber informieren?«

    »Leonhard, ich …«, begann sie.

    »Was?« Er fuhr herum und starrte sie finster an.

    »Es tut mir leid. Mir ist das einfach so rausgerutscht. Es weiß bisher keiner außer Christian. Er hat mich so provoziert, und da …«

    »Da kam ich gerade recht, um ihm eins auszuwischen, ja?«, fragte Leonhard bitter.

    »Nein, so ist es nicht. Das darfst du nicht glauben«, versicherte Helena und wunderte sich selbst darüber, wie flehend, wie bettelnd ihre Stimme klang. Sie hasste sich dafür.

    »Wie ist es dann?«, fragte Leonhard mit einer Strenge, die so gar nicht zu ihm passen wollte.

    »Ich liebe dich«, sagte sie und ihre Stimme war leise wie ein Hauch.

    Stille folgte ihren Worten. Sie dehnte sich aus, wurde breiter, größer, nahm immer mehr Raum ein, verdrängte alles andere. Helena hatte ihren Blick zum Boden gerichtet und wagte kaum zu atmen, wagte nicht, ihn anzusehen. Noch nie in ihrem Leben hatte sie diese Worte zu jemandem gesagt, nicht einmal ein ›ich hab dich lieb‹ zu ihren Kindern war über ihre Lippen gekommen. Und nun sagte sie diesem Mann, der vor zwei Monaten wie ein Wirbelwind in ihr Leben gerauscht war, dass sie ihn liebte.

    Sie spürte, dass er sich ihr näherte. Und dann fühlte sie seine Finger an ihrem Kinn. »Hey«, sagte er sanft, zwang sie, den Blick zu heben und ihn anzusehen. Sie hob die Augen. Sein eben noch so hartes und angespanntes Gesicht war mit einem Mal weich und zärtlich. »Hey«, sagte er noch einmal. Dann beugte er sich vor, um sie zu küssen. Sein Kuss war hart, fordernd und besitzergreifend. Seltsamerweise gefiel ihr das, denn es trieb sie in eine Welt, die ihr bisher völlig fremd gewesen war. Eine Welt, in der jemand anderes die Führung übernahm. In der sie sich nur anzupassen, anzuschmiegen brauchte. Eine Welt, in der sie weich sein konnte. Frau sein durfte.

    Helena gab sich seiner Umarmung hin – und deshalb war es, als stieße er sie ins kalte Wasser, als er sie plötzlich und unvermittelt losließ. Finster starrte er sie an. »Glaub bloß nicht, dass ich dir verziehen habe, nur weil ich dich küsse. Ich bin immer noch stinksauer.«

    Mit diesen Worten drehte er ihr den Rücken zu und eilte mit großen Schritten zur Tür. In dem Geräusch, das entstand, als er sie schloss, lag seine ganze Verärgerung.

    Von: Helena Eichenhaun

    Gesendet: 25. April 2013, 11.18 Uhr

    An: Leonhard Bux

    Betreff: Heiratsantrag

    Liebster, es tut mir unendlich leid, ich wollte Dich nicht verärgern. Ich wollte Dich eigentlich mit meinem Heiratsantrag überraschen. Heute Abend bei einem schönen Essen. Und dann ist mir das einfach so rausgerutscht, ausgerechnet Christian gegenüber. Machst Du mir die Freude und gehst mit mir essen? Und kannst Du dann so tun, also wüsstest Du von nichts und ganz überrascht sein, wenn ich Dir heute Abend den Heiratsantrag mache? Bitte!

    Helena Eichenhaun

    Saphir!

    Geschäftsführende Gesellschafterin

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1