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Linien und Punkte
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eBook265 Seiten2 Stunden

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Über dieses E-Book

In diesem Band hat der Heinz-Albert Heindrichs Texte über sein Werk zusammengestellt. Es sind Texte über sein musikalisches Werk, über seine aus dem Notenschreiben entstandenen Grafiken, über seine wissenschaftlichen Texte zur Märchenforschung und über seine Gedichte. Neben eigenen Vorträgen und Aufsätzen finden sich in dem Band auch Beiträge von Heiner Stachelhaus, Georg Scherer, Peter Rose, Martin Feltes, Johannes K. Glauber, Hans Jörg Loskill, Bernd Aulich, Anneliese Knorr, Jürgen Kisters, Otto Betz, Elias Betz, Marcellus M. Menke und Ursula Heindrichs.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum19. Juni 2019
ISBN9783749460212
Linien und Punkte
Autor

Heinz-Albert Heindrichs

Heinz-Albert Heindrichs, geboren 1930 in Brühl, Studium an der Universität Bonn (Germanistik, Musik-und Kunstwissenschaft) sowie an der Musikhochschule Köln Komposition (bei Rudolf Petzold und Frank Martin) und Dirigieren. Berufliche Stationen: Filmkomponist in München, Kapellmeister in Essen und Wuppertal, freier Bühnen- und Hörspielkomponist; Lehrer für Komposition am Konservatorium Dortmund, für Schauspielmusik an der Folkwang-Hochschule Essen; seit 1966 Dozent und seit 1971 Professor und von 1975-80 Dekan des Fachbereichs "Kunst, Design, Musik" an der Universität Essen; ab 1983 Professor für "Musik und ihre Komposition" an der Universität und zugleich an der Folkwang-Hochschule Essen. Seit 1996 ist Heinz-Albert Heindrichs im Ruhestand. Seit 2008 erscheinen seine Gedichte, inzwischen sind es 20 Bände, im Rimbaud-Verlag, Aachen.

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    Buchvorschau

    Linien und Punkte - Heinz-Albert Heindrichs

    Texte von Heinz-Albert Heindrichs, sowie ausgewählte Beiträge von Heiner Stachelhaus, Georg Scherer, Peter Rose, Martin Feltes, Johannes K. Glauber, Hans Jörg Loskill, Bernd Aulich, Anneliese Knorr, Jürgen Kisters, Otto Betz, Elias Betz, Marcellus M. Menke und Ursula Heindrichs.

    Edition HIC<

    Linien und Punkte

    Es ist faszinierend, die Linien zu sehen, an denen entlang sich das Werk eines Künstlers entwickelt. Auf und entlang dieser Linien gibt es Punkte von Verdichtung und Konzentration, an denen sich Kernaussagen herauskristallisieren.

    Es war ein kulturhistorisch großer Schritt, als Menschen anfingen ein System zu entwickeln, mit dem sie zunächst ihre Sprache, dann auch ihre Musik, in Zeichen kodieren konnten. Keilschrift und Hieroglyphen, das Auf-lesen der Buchenholzstäbchen – Buch-Staben – und die Linienbögen der Neumen, schließlich die Notenschrift mit ihren zwischen und auf Linien gesetzten Punkten.

    Die in diesem Buch von Heinz-Albert Heindrichs zusammengestellten Texte und Zeichnungen geben die Möglichkeit, den Entwicklungslinien eines Künstlers zu folgen, der sich aus der ersten intensiven Begegnung mit Musik dazu entschieden hat, Komponist zu werden und der bis heute auf faszinierende Art und Weise dabei geblieben ist, Klang, Farbe, Form und Sprache zusammenzustellen, zu komponieren, in immer neuen Variationen, um einen Blick auf das Wesen des Seins in der Welt zu werfen.

    Dass sich in diesem Band nicht nur seine eigenen Texte finden, sondern auch von ihm ausgewählte Beiträge anderer Autoren, weitet den Blick auf dieses faszinierende synästhetische Werk noch einmal in ganz besonderer Weise.

    Marcellus M. Menke im Mai 2019

    Inhalt

    Linien und Punkte

    Heinz-Albert Heindrichs: Mein Werk

    Gedichte

    Zur Klaviersonate 1955

    Zum Klavierfragment 1959

    Zur Entstehung der Liederbücher

    Zum intermedialen Programm

    Gesammelte Gedichte

    Zur Entstehung der Gesammelten Gedichte

    Musik: Expression oder tönend bewegte Form?

    „Es war, als hätt der Himmel…"

    Zum Programm „Entgrenzungen"

    Spiritualität und Postmoderne

    Zauber Märchen Utopie

    Was wussten die Grimms vom goldenen Schnitt?

    Märchen als Brücke vom Hören zum Sehen

    Komposition Zeichnung Gedicht

    Ausgewählte Beiträge über das Werk von Heinz-Albert Heindrichs

    Nach der Musik

    Zeitraum – Analogie – Transzendenz

    „No-tationen, Gedichte, Palimpseste"

    Entgrenzungen: Bilder – Musik – Gedichte

    Zeitungsartikel

    Zerbrechliches in Musik und Sprache

    Ein Gleichnis der Welt

    Sprachmusik und Notengespinste

    Symbolkraft der Strukturen

    Ungreifbar wie das Flirren des Lichts

    Gedichtbesprechungen

    Otto Betz: Schatten einer unsichtbaren Welt

    Elias Betz: Coda

    Ursula Heindrichs: Blindzeichen

    Ursula Heindrichs: Sanctus

    Ursula Heindrichs: Zwei Gedichte

    Ursula Heindrichs: Geburtstag

    Marcellus M. Menke: Wechselseitige Inspiration:

    Vier Honiggedichte für Joseph Beuys

    Schlüsselgedichte

    Die Schlüsselgedichte in den Bänden der Gesamtausgabe

    Werkverzeichnis

    Lyrik

    Gesammelte Gedichte:

    Einzelausgaben

    Bühne

    Sprechtheater und Performances nach eigenen Gedichten:

    Anthologie

    Herausgeberschaften

    Märchenforschung

    Kompositionen

    Die Liederbücher

    Bilder

    Ausstellungen

    Über Werk und Autor

    Lexikonartikel

    Auszeichnungen

    Heinz-Albert Heindrichs:

    Mein Werk

    Texte aus den Jahren 1938 bis 2018

    Gedichte

    Es war im Frühjahr 1938, an einem Sonntagmorgen, als mich meine Eltern bis zum Mittag allein im Hause ließen, was sonst nie geschah; sie versorgten mich mit Kinderbüchern, Malstiften und Papier, und eine Zeitlang las und malte ich auch. Doch die ungewohnte Stille im Haus ließ mich mehr und mehr auf das Draußen, aber wohl auch auf mich selbst hören – und ich kann nicht sagen warum: auf einmal begann ich, ohne jeden ersichtlichen Grund ein Gedicht zu erfinden, mein erstes Gedicht, und das überraschte, freudig erregte Gesicht meines Vaters, als er das Blatt entzifferte, ließ mich ahnen, dass etwas Wichtiges in mir passiert war. Nach Vaters Tod fand ich das Blatt, zusammen mit seiner datierten Abschrift, in seinem Schreibtisch wieder. Als ich 1998 noch einmal daran ging, die Jugendgedichte neu zu fassen und sie um ein Drittel zu kürzen, entstand das nebenstehende Gedicht, das ich wie keines sonst meinem Vater widmen möchte; denn er war es, der mir die Spur gelegt und sie gesichert hat.

    Andere Gedichte aus dieser frühen Zeit sind im Krieg verloren gegangen; es mag aber auch sein, dass sie durch ein musikalisches Ereignis in Vergessenheit gerieten: Im Herbst 1938 trafen sich Vater und seine drei Brüder, um ihres ältesten Bruders Albert zu gedenken, der Musik studieren wollte, aber 1918 im Krieg gefallen ist. Ich war dabei, als sie per Schallplatte gemeinsam die Musik hörten, die er zuletzt für eine Aufnahmeprüfung geübt hatte; Schuberts Sinfonie h-moll, die Unvollendete. Es war eine Art Initiation, denn seit dieser Stunde wollte ich nichts anderes mehr als Komponist werden. Ich begann Klavier zu üben und Noten zu schreiben; aber der Krieg verhinderte bald jedes musikalische Fortkommen.

    Vater hatte sich, um seine Einberufung zu verhindern, als Lehrer früh in der ‚Kinderlandverschickung‘ engagiert, und so war die Familie, ab dem ersten Bombenangriff auf Köln, mit ihm und wechselnden Kölner Schulklassen dreieinhalb Jahre in KLV-Lagern unterwegs – zuerst in Schlesien bei Glogau, dann in Nideggen in der Eifel, schließlich bis Kriegsende im damaligen Sudetenland, zuletzt in einem Dorf zwischen Saaz und Komotau, wo ich, vierzehnjährig, zukunftslos und abgeschnitten von aller Musik, nun so intensiv wie nie zuvor begann, Gedichte zu schreiben, während um mich schreckliche Dinge passierten: Rückzug der Front, Einmarsch der Russen, Plünderungen der Tschechen, drei Monate Flüchtlingstreck durch Ostdeutschland, schließlich das zerstörte Köln.

    Im Jahr 1970 schrieb Marie Luise Kaschnitz ihren Prosatext „Schrott und Schrott (in: Steht noch dahin), der genau meinen damaligen Zustand betrifft. In einer Kunstausstellung, die in der Nachfolge von Popart und Happening schrottreife Objekte zur Schau stellt, kommt ihr folgendes in den Sinn: „Ich erinnere mich an die Zeichnungen einer Schulklasse aus dem Taunus, die man nach der Zerstörung der Stadt Frankfurt in das verwüstete Zentrum geführt und der man die Aufgabe gestellt hatte, ihre Eindrücke nach eigenem Ermessen wiederzugeben. Auf den Blättern dieser Kinder, die nichts als Schrott, Brandschutt und Ruinen gesehen hatten, standen alle Häuser aufrecht bis zum Gesims, schwangen die zerstörten Brücken sich unversehrt von Ufer zu Ufer, erhoben sich die zerfetzten Bäume makellos in vollem Laub.

    Was kannte ich damals schon, ein paar Goethe-, Claudius-, Eichendorff-Verse; offenbar hielt ich mich inmitten der Trümmer und falschen Parolen an sie, an ihre Unversehrtheit; und es gehört somit ganz unbedingt zu meiner Vita, die frühesten Gedichte nicht zu verleugnen. Als Obdachloser habe ich ein halbes Jahr in einer Gartenwirtschaft auf einem Billardtisch geschlafen und auf einem ausgedienten Wirtshausklavier wie besessen zu komponieren angefangen, bis wir Ostern 1946 in eine Notwohnung nach Bonn ziehen konnten und ein Leben mit neuen Perspektiven begann, für mich vor allem mit der Entdeckung von Kunstströmungen, die uns als entartet verschwiegen worden waren. Sechzig Jahre später erinnert ein Gedicht an diese Aufbruchzeit:

    1946

    sah ich / zum erstenmal

    Klee und Kandinsky

    verschlang Trakl und Benn

    ich war fünfzehn

    dem Chaos / gerade entronnen

    und die wahren Botschaften

    drangen durch mich / wie Feuer

    seither / dem Unbekannten

    ruhelos auf der Spur

    Seitdem zeigen die Jugendgedichte verschiedene Stationen der Aneignung von Sprache, Ausdruck und Form, ohne indessen in eine epigonale Abhängigkeit zu geraten. Als Pennäler des Bonner Beethoven-Gymnasiums trat das Komponieren nun freilich mehr und mehr in den Vordergrund; hinzu kam die Auseinandersetzung mit bildender Kunst und Theater; ich begann zu malen, spielte größere Rollen in Laienspielgruppen und in der Schultheater-AG, so zum Beispiel den Karl Moor in Schillers Räubern; ich inszenierte Stücke und schrieb zugleich die Bühnenmusik zu ihnen; und so wurde ich auch, als Primaner und ohne Student zu sein, auf dem Neudeutschen Studententag 1951 in Würzburg eingeladen, die Hauptrolle des Hiob in einem gleichnamigen Bühnenstück zu übernehmen. Dort begegnete ich Ursula Wiegers, sie studierte Germanistik im vierten Semester, war im Stück die Souffleuse, ist seit 1958 meine Frau, aber ab Würzburg schon die eigentliche Muse und untrügliche Kritikerin aller meiner Arbeiten. Als wir 2001 für unsere Beiträge zur Märchenforschung gemeinsam den Europäischen Märchenpreis erhielten, sagte ich in meiner Dankesrede: „Heute denke ich: wäre sie eine Pianistin geworden, hätte ich, wie Schumann, wohl vorwiegend Klaviermusik geschrieben; da sie aber in der Sprache zu Hause ist, hat sich der Schwerpunkt meiner künstlerischen Arbeit wie von selbst dahin ausgerichtet und ist nun sicher in den dreißig Lieder- und Chorzyklen auf zeitgenössische Dichter sowie in den vielen eigenen Gedichten zu suchen, … und ich denke, dies war meine Möglichkeit, das ununterbrochene Gespräch mit ihr fortzuschreiben."

    Als ich 1952 tatsächlich begann, in Köln Musik und vor allem Komposition zunächst bei Rudolf Petzold, dann bei Frank Martin zu studieren, rieten mir die Lehrer, alle anderen künstlerischen Ambitionen vorerst einmal sein zu lassen. „Musik, so meinten sie, „ist eine Spezialbegabung, und wer sich darauf nicht voll konzentriert, wird es zu nichts bringen. Ich habe mich daran gehalten, und so ist auch das Schreiben von Gedichten nach 1952 versiegt; ich legte sie in eine Schublade, es waren 160, und glaubte das Kapitel für immer abgeschlossen.

    1954 erhielt ich den Kölner Kompositionspreis (hauptsächlich für das Erste Liederbuch nach Sappho, Litaipe und Langston Hughes), 1958 den Brüsseler Kammermusikpreis (fürs zweite Streichquartett). Aber wenn Anfragen an die Kölner Hochschule kamen, wer denn wohl eine Bühnen- oder Kulturfilmmusik schreiben könne, dann fiel mein Name; und so kam es, dass ich mir das Studiengeld durch Bühnenaufträge in Bonn, Köln und Umgebung verdiente, was dazu führte, dass ich 1957 als Leiter der Schauspielmusik ans Essener, 1961 ans Wuppertaler Theater verpflichtet wurde und dann freischaffend bis 1972 an die 300 Bühnen-, Hörspiel- und Filmusiken geschrieben habe: ich saß am Regiepult und erfand Musik auf sprachliche und visuelle Abläufe, und ich lernte, was mir kein Lehrer erklärt hat, nämlich dass meine „Spezialbegabung" eine synästhetische ist, eine, die auf den Zusammenhang von Hören und Sehen zielt. Es war eine spannende Zeit, ja erst die eigentliche Lehrzeit; und trotzdem versuchte ich, im Verlauf der sechziger Jahre, aus dem Karussell des Kulturbetriebs, in dem ich rotierte, wieder herauszukommen; ich fühlte mich ausgenutzt, sah meine künstlerischen Ziele fremdbestimmt und verraten, und in dieser Not begann ich 1963, erst mühsam, aber dann zunehmend sicherer, erneut Gedichte zu schreiben – und sie wurden für mich, statt der Musik, zum Freiraum, in dem ich künstlerisch nicht zu vereinnahmen war.

    Heinz-Albert Heindrichs, Faksimile des Klavierfragments 1959,

    Takt 109 bis 118.

    Zur Klaviersonate 1955

    Toccata – Elegie – Toccata

    Als ich die Sonate schrieb, war ich 24 Jahre alt und noch Student der Kölner Musikhochschule. Ein paar Monate zuvor, im Dezember 1954, hatte ich für mein erstes Liederbuch überraschend den Kölner Kompositionspreis erhalten, und das war wohl der Grund dafür, dass die Universität Köln bei mir anfragte, ob ich für ein Konzert mit Uraufführungen von Kölner Komponisten ein Stück schreiben könne.

    Ich sagte zu, schrieb die Sonate im Verlauf des Frühjahrs und spielte sie Ende Juni in der Aula der Kölner Uni selbst. Ich hätte sie niemand anderem übergeben können, denn das Stück wurde erst zwei Tage vor der Aufführung fertig, und da ich keinen Abstand hatte, war ich mir, vor allem bei den Schlüssen, nicht ganz sicher. So hatte ich in der Nacht vor dem Konzert eine Art Alptraum: ich saß am Flügel, spielte die zweite Toccata, wusste das Ende nicht und schlug, um es gewaltsam zu erreichen, den Klavierdeckel mit aller Kraft zu – und dabei wachte ich auf.

    In der Tat ist es so, dass beide Toccaten, wie auch die Elegie, keine Schlüsse haben, sondern sozusagen ins Offene stürzen; so steht es auch als Spielanweisung über den Noten. Das ist bei vielen Arbeiten bis heute so, vor allem auch bei meinen Gedichten und Bildern. Sie entstehen zum einen in der Vorstellung, aus einem geschlossenen Kulturkreis ins Offene zu geraten, zum andern komme ich in ihnen den eigenen Lebensanfängen auf die Spur, die durch eine schwierige Zangengeburt geprägt sind, wofür ich ein Gedicht aus den achtziger Jahren zitieren möchte:

    Trauma

    Im trunkenen Dunkel

    presst dich

    wehes Erkennen

    du musst

    mit Zangen der Angst

    deine Geburt wiederholen

    du musst deinen Kopf

    in Bilder entbinden

    du musst hinaus

    Dass dem so sein könnte, wusste ich zur Zeit der Sonate zwar nicht, unbewusst ist es ihr aber eingegeben – und so verstehe ich auch das Zitat des alten Minnesangliedes „Ich wollt, daß ich daheime wär", das in der zweiten Toccata von ganz ferne herüberklingt, ehe die Sonate dann vollends ins Offene stürzt. Wie bei dem zitierten Gedicht, so ist das auch bei den Sätzen der Sonate schon so: sie haben ihre Spannungskurven wie bei geschlossenen Formen, aber ihren

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