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Arkanes Hamburg: Fluch aus der Tiefe
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Arkanes Hamburg: Fluch aus der Tiefe
eBook285 Seiten3 Stunden

Arkanes Hamburg: Fluch aus der Tiefe

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Über dieses E-Book

Willkommen in einer Hansestadt voller Geheimnisse und Magie – dem arkanen Hamburg.
Nixen und Vampire schmieden finstere Pläne gegeneinander und spielen mit den Bewohnern der Metropole ein undurchschaubares Spiel. Elwine, die rachsüchtige Herrin der Elbe, windet sich unruhig in ihrem Grab. Eigentlich war sie dazu verdammt, auf ewig zu schlummern ...
Willkommen zu einer Anthologie, die im eigentlichen Sinn keine ist. Jede Kurzgeschichte ist andersartig, aber mit der darauffolgenden verknüpft, und so erzählt dieses Buch eine gemeinsame Geschichte. Wiederkehrende Figuren, Schauplätze und Pläne offenbaren Hamburgs Mysterien. Niedergeschrieben haben diese Geheimnisse Marco Ansing, Nils Krebber, Stefanie Mühlenhaupt, Katja, Rostowski, Gordon L. Schmitz, Charlotte Weber und Vincent Voss.
SpracheDeutsch
HerausgeberEpyllion Verlag
Erscheinungsdatum7. Nov. 2021
ISBN9783947805884
Arkanes Hamburg: Fluch aus der Tiefe

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    Buchvorschau

    Arkanes Hamburg - Nils Krebber

    Impressum

    Lektorat: Calin Noell https://ww.calin-noell.de

    Korrektorat: Roland Blümel www.roland-bluemel.de

    Cover-Illustration: Saskia Lackner https://www.saskia-illustration.de

    Umschlaggestaltung: Julia Strauch

    ISBN 978-3-947805-88-4 (E-Book)

    ISBN 978-3-947805-91-4 (Print)

    1. Auflage, 2021

    © Epyllion Verlag – alle Rechte vorbehalten.

    Epyllion Verlag

    Jochen G. Fuchs

    Ludwigstraße 23

    76709 Kronau

    info@epyllion.de

    www.epyllion.de

    Einleitung

    Moin, moin, liebe Leserinnen und Leser, willkommen in einem Hamburg voller Geheimnisse.

    Haben Sie jemals von den Elbgeistern gehört, die das Wasser des wichtigsten Flusses Hamburgs gegen die Deiche jagen? Oder von den Nixen, die immer wieder am Ufer gesehen werden? Und dann gibt es noch die unheimlichen Geschöpfe, die den Fischern in die Netze gehen. Unzählige Sagen und Geschichten ranken sich um die Freie und Hansestadt Hamburg.

    Feenwesen, Kreaturen der Elemente, sind in Hamburg schon lange bekannt. Und daher stützen wir uns bei unseren sieben Geschichten auf die Legende: „Die Elbjungfer", die als wunderschönes, junges Mädchen regelmäßig auf dem Markt der Stadt einkaufen geht. Und wie das so ist in einem Märchen, dauert es nicht lange, bis ein junger Mann vollkommen von ihrem Anblick verzaubert ist. Er wagt es, sie anzusprechen und beide sind einander schnell zugetan. So erfährt er, dass sie die Tochter des Elbkönigs ist und gemeinsam mit ihm und ihren Brüdern im Wasser des mächtigen Flusses,Ұ 㭑der Elbe, lebt.

    Da sie sich weigert, bei ihm an Land zu bleiben, schlägt er schwer verliebt vor, mit ihr gemeinsam in der Tiefe zu leben. Angetan von seinem Angebot taucht die junge Nixe hinab, um ihren Vater um Erlaubnis zu bitten. Sehnsüchtig erwartet der junge Mann das verabredete Zeichen: Einen an der Wasseroberfläche aufsteigenden Apfel als Zusage, dass er seiner Geliebten folgen darf. Stattdessen aber färbt dunkles Blut die Elbe und berichtet von ihrem grausamen Tod durch den Zorn ihrer Brüder. Aus dem jungen Mann wird zwar ein reicher Kaufmann, doch sein Herz gehört für immer der getöteten Elbjungfer.

    Damit ist die Geschichte jedoch noch nicht beendet. In der Sage „Die zornigen Wassergeister" heißt es, dass die Geschöpfe des Meeres den Tod der Elbjungfer an den Menschen rächen. Nixen locken Schwimmer und Spaziergänger an und reißen sie in die Tiefen der Elbe. Bauten am Ufer werden durch auftauchende Meermänner zerstört, und auch die Elbgeister machen den Hamburgern durch Flutkatastrophen das Leben immer wieder schwer ...

    Diese Legenden sind wunderbare Grundlagen, um über die Geheimnisse der Hansestadt zu schreiben. Denn obwohl Hamburg als „Tor zur Welt", mit einem berühmten Hafen und durchzogen von unzähligen Kanälen – auch Fleete genannt – so modern wirkt, offenbaren diese Sagen eine ganz andere Seite der Stadt.

    Aus diesem Grund trägt diese Anthologie den Titel: „Arkanes Hamburg", denn arkan bedeutet geheim bzw. Geheimnis.

    Das größte Geheimnis ist allerdings keines: In Wirklichkeit handelt es sich gar nicht um einen Kurzgeschichtenband, sondern um einen Episodenroman. Alle Geschichten sind miteinander verknüpft und stehen doch für sich. Jede einzelne bringt Sie ein Stück näher an die wahren Machenschaften hinter Deichen, in den Kontoren und Kaufmannshäusern, auf den Brücken und in den Fleeten: Alles dreht sich um Elwine, die Elbjungfer.

    In der Geschichte von Nils Krebber, „Phantome in Altona", untersucht Kommissar Jan Smit den Selbstmord mehrerer Kinder, die dem Augmented Reality-Spiel XCess verfallen waren und nahe der Elbe verschwunden sind.

    Stefanie Mühlenhaupt erzählt in „Pock! Pock! Pock!" Die Geschichte des Naturwissenschaftlers Professor Doktor Schlacker. Spukt es in seinem Anwesen? Und was planen die nassen Bewohner des Nebenhauses?

    Die Protagonistin Sirena in „Das rote Horn" von Charlotte Weber ist eine Meerjungfrau, die in Hamburg das rote Horn sucht. Einer Legende nach soll es magische Fähigkeiten besitzen, und schnell wird der jungen Frau klar, dass es niemals in die falschen Hände geraten darf, wenn ihre menschlichen Freunde überleben sollen.

    Vincent Voss lenkt in „Hamburger Deckel" zwei Beamte der Finanzbehörde zur Baustelle der Autobahn A7. Der Deckel wird gebaut, doch weshalb wurden dafür Unmengen an Salz bestellt? Und wieso sind vor Ort immer wieder Herren in schwarzen Anzügen zu sehen?

    In meiner Geschichte „Das Blutopfer" wird klar, dass die wahren Herrscher Hamburgs die Vampirfamilien sind. Doch als eines ihrer Mitglieder, der Exekutor Jonathan, eine merkwürdige Flüssigkeit untersucht, stellt sich plötzlich die Frage, ob das Machtgefüge so bleiben wird.

    Wer einmal unter Elwines Bann gestanden hat, wird für immer die Elbe lieben. So ergeht es auch Katja Rostowskis Hauptfigur in „Sehnsucht nach der Elbe". Doch als Anja ein Handel aufgezwungen wird, der diese große Liebe in Gefahr bringt, steht sie plötzlich vor der Frage, wem sie eigentlich vertrauen kann.

    In Gordon L. Schmitz’ Geschichte „Die letzte Reise der Balthasar" begleitet der Student Finn eine Expedition: Es soll nach dem Wrack der Gottfried getaucht werden, einem Zweimaster, der 1822 vor Cuxhaven gesunken ist. Dann aber geschehen seltsame Dinge an Bord und die Besatzung scheint nirgendwo mehr sicher zu sein.

    Genug geschnackt. Treten Sie ein, machen Sie es sich gemütlich, tauchen Sie hinab und entdecken Sie die Geheimnisse dieser wunderschönen Hansestadt.

    Viel Spaß mit „Arkanes Hamburg: Fluch aus der Tiefe".

    Tschüss

    Marco Ansing (Herausgeber)

    Arkanes Hamburg

    Fluch aus der Tiefe

    Ein Episodenroman

    Nils Krebber

    Stefanie Mühlenhaupt

    Charlotte Weber

    Vincent Voss

    Marco Ansing

    Katja Rostowski

    Gordon L. Schmitz

    Willkommen in einer Hansestadt voller Geheimnisse und Magie.

    Phantome in Altona

    von Nils Krebber

    Die Begegnung mit den Eltern zehrte an Jan Smit. Er war heilfroh, dass seine Kollegin Linda Pöhl ihn begleitete, denn er selbst wusste nie, was er in solchen Fällen sagen sollte. Seine eigene Tochter war knapp ein Jahr nach dem Tod seiner Frau ebenfalls ins Wasser gegangen. Das machte es kein Stück einfacher, es anderen zu erklären.

    Und das Grausamste dabei: Er musste in den Gefühlen der Eltern herumpfuschen, ihnen Hoffnung machen, wo es fast keine gab. Denn nachdem Taucher, Hubschrauber und Wärmebildkameras nichts gefunden hatten, lag die Chance, dass ihr Sohn noch lebte, quasi bei null.

    Danach würden die Schuldzuweisungen folgen, weil sich jeder wünschte, dass es sich nicht um Suizid handelte, und dass es irgendjemanden gab, den man verantwortlich machen konnte.

    Bei ihm waren es die Dealer gewesen. Er hatte da ganz harte Saiten aufgezogen und seinen Zuständigkeitsbereich einige Male erheblich überschritten. Aber geholfen hatte es ihm nicht, nur seine Karriere ruiniert.

    Wenn dann nichts dabei herauskam, war das Erwachen noch furchtbarer: die Erkenntnis, dass der Mensch einen verlassen hatte. Denn danach fing man an, sich selbst zu beschuldigen.

    Jeder, der glaubte, dass Suizid nur ein einziges Opfer forderte, hatte noch nie mit Hinterbliebenen gesprochen.

    Aber zu Smits Überraschung gab es diesmal tatsächlich eine Spur, etwas Greifbares.

    „Es hat bestimmt mit diesem Spiel zu tun. Er ging jede Nacht raus, rannte durch die ganze Stadt und traf sich mit anderen Kids. Wer weiß, was die da treiben?" Daran klammerte sich der Vater. Er stammte aus Smits Generation, Mitte vierzig. Zu alt, um ein digitaler Eingeborener zu sein, aber jung genug, um die Gefahren sozialer Medienphänomene zu erfassen.

    „Kennen Sie einen von diesen Kids?", hakte Pöhl nach. Sie war Vollprofi. Warum sie sich mit einem Versager wie ihm abgab, würde Smit nie verstehen.

    „Eigentlich nicht. Die haben alle so komische Spitznamen." Er nannte einige nichtssagende Kürzel und Zahlenkombinationen. Smit notierte sie trotzdem. Pöhl setzte die Befragung fort, führte das Gespräch vorsichtig weg von ihrer Besessenheit mit dem Handyspiel und klapperte die anderen typischen Anzeichen ab: Mobbing, Schulleistungen, Drogen. Sie machte sich nicht grade beliebt, aber im Gegensatz zu Smit konnte sie ihre Gefühle in solchen Momenten im Zaum halten. Sie ließ die Wut, Angst und schließlich die Verzweiflung der Eltern nicht an sich heran.

    Als sie gingen, fiel auch Pöhls Fassade. Im Dienstwagen legte sie die Stirn ans Lenkrad und atmete einmal tief durch.

    „Verdammt, Jan, das ist doch alles Scheiße!" Sie richtete sich wieder auf, strich sich die blonden Haare aus dem Gesicht und anschließend eine verirrte Träne aus dem Augenwinkel. Dann klappte sie die Sonnenblende herunter, um ihr Make-up zu kontrollieren. Smit wusste, dass sie darunter blass war, auch wenn sie das gut kaschierte. Aber an den geröteten Augen war wenig zu machen.

    Pöhl nahm man das Nordlicht ab, obwohl sie aus Gelsenkirchen kam. Smit mit seinen schwarzen, krausen Haaren und seinem kaffeefarbenen Teint glaubte das kein Mensch, ungeachtet der Tatsache, dass seine Familie seit über hundert Jahren in Hamburg lebte.

    „Hoffentlich sind wir da nicht tatsächlich an so eine Suizidcommunity geraten, murmelte sie. „Blue Whale machte doch grade Schlagzeilen.

    Jan schnaubte verächtlich. „Es gibt keine Beweise, dass diese Spiele wirklich zu Suiziden geführt haben."

    „Allein der Medienrummel ist schon ein Problem. Jugendsuizid ist bei uns zwar nicht so häufig wie in anderen Ländern, aber jeder Fall ist einer zu viel. Und wenn man dann noch über soziale Medien dazu ermutigt wird ... Sie verstummte und schaute ihn kurz an. „Sorry, ich ...

    „Ist okay. War es nicht, und das musste ihr klar sein. Doch selbst unter Partnern ließ man einige Dinge ungesagt. „Lass uns diese Freunde aushorchen. Wenn ich das hier richtig lese, gibt’s heute Abend ein Treffen. Er hielt sein Smartphone hoch, auf dem ein Google Hangouts Termin zu sehen war.

    XCess Emerald Knights – Chapter Altona.

    „Wie hast du die so schnell gefunden?"

    „Sie sind alle bei Google+"

    „Google+?"

    Er zuckte mit den Schultern. „Als Vater war es wichtig, ein Auge auf sowas zu haben. Man gewöhnt sich schnell dran."

    „Ja, aber Google+ – das nutzt doch keine Sau, oder?"

    Jan ignorierte die Spitze und nannte Pöhl die Adresse.

    Sie trafen die Gruppe abends am Straßenpflaster, einem Jugendclub in der Altonaer Altstadt. Im Hof warfen ein paar Jungs Körbe, auf der Straße davor stand eine Gruppe, bei der sie vermuteten, dass es sich um die Emerald Knights handelte. Es war eine überraschend gemischte Truppe. Eine weiße Frau mit Kopftuch und ein hellhäutiger Mann mittleren Alters, drei Teenager und ein vielleicht zehn- oder elfjähriges Mädchen befanden sich vor dem Clubgebäude. Sie wischten auf ihren Mobiltelefonen herum und unterhielten sich währenddessen leise. Viele von ihnen trugen einen Stecker im Ohr und hatten die Smartphones noch an tragbare Akkus angeschlossen. Sie beachteten die beiden Polizisten erst, als diese direkt vor ihnen stehen blieben.

    „Gehe ich recht in der Annahme, dass das hier das Treffen der Emerald Knights ist?", fragte Smit.

    Die Frau lächelte ihn an und nickte. „Und wer seid ihr? Galvatron? Nekroskop? Oder ganz Neue?" Während sie sprach, fingerte sie weiterhin auf dem Smartphone herum, musste aber anscheinend gar nicht mehr auf das Display schauen.

    „Weder noch. Pöhl, mein Name. Mordkommission. Sie zückte ihren Ausweis und hielt ihn hoch. „Das ist mein Partner, Kommissar Smit. Die Teenager zuckten zusammen. Der hellhäutige Mann sah sie misstrauisch an. Dann hob er sein Smartphone, machte erst ein Foto ihres Ausweises und dann von ihnen.

    „Was soll das?", fragte Smit genervt.

    „Kann ja erstmal jeder behaupten, dass er von der Polizei ist. Und so ein Ausweis ist schnell ausgedruckt und einlaminiert. Er tippte auf seinem Telefon herum. „Hm, sieht auf den ersten Blick gut aus, aber eine Onlineüberprüfung gibt’s immer noch nicht. Ehrlich, ihr hängt ein bisschen hinterher, was die neuen Technologien angeht.

    Pöhl blieb ruhig, Smit kochte innerlich. Er war es gewohnt, dass ihm niemand den Polizisten abnahm. Das hatte er mit Pöhl gemeinsam. Eine Blondine und ein Schwarzer, das ging doch gar nicht. Andererseits gab es wirklich genug Betrugsfälle mit falschen Beamten. Ein gesundes Misstrauen begrüßte er, solange es nicht jedes Mal aufgrund seiner Hautfarbe aufkam.

    „Wenn Sie uns nicht glauben, wählen Sie einfach 110 und fragen nach."

    Leere Blicke folgten als Antwort.

    „Ihr habt da doch alle Smartphones in der Hand, dann ruft halt an. Dafür ist die Nummer da."

    Die Frau schien peinlich berührt. „Nein, ist schon in Ordnung. Ich glaube, wir können den beiden vertrauen, Leute."

    Die Jugendlichen murmelten miteinander und spielten weiter auf ihren Smartphones herum, dann kicherten sie.

    „Also, Herr und Frau Kommissar, wie können wir Ihnen helfen?"

    Pöhl kam direkt zur Sache. „Wann haben Sie Markus Schierenbeck das letzte Mal gesehen?"

    Wieder die leeren Blicke. Dann, ohne von seinem Telefon aufzublicken, meldete sich einer der Teenager, ein asiatisch aussehender Junge mit einem langen Pony, der ihm ins Gesicht fiel. „Er meint Phantomjäger."

    Das schien den Anwesenden etwas zu sagen.

    „Ach so – der war seit zwei Wochen nicht mehr bei den Treffen", erklärte die Frau, anscheinend die Sprecherin der Gruppe. „Leider! Er ist Level 15, davon haben wir nicht viele. Aber er hat die Sache mit dem Phantom zu ernst genommen." Sie schüttelte den Kopf und seufzte. „Ich heiße Fatima, Fatima Ata. Die anderen kennen mich als LaLeLu." Sie stellte den Rest der Knights vor, die sich mit ihren Spitznamen aus dem Spiel ansprachen. Der ältere Herr war Klaus Kramski, bekannt als Exilbremer, die Jungs nannten sich Craccer2k, Biterolf und IcePeak, während die Kleine einfach nur PrettyPony hieß.

    Fatima schaute Pöhl besorgt an. „Was ist denn mit Markus? Hat er Ärger?"

    „Markus Schierenbeck wird seit gestern Nacht vermisst. Er wurde das letzte Mal beim Dockland gesehen. Dort ist er in die Elbe gestürzt. Warum, ist noch unklar, ebenso, was er da wollte. Sein Vater gab uns den Tipp, mal bei Ihnen nachzufragen. Laut seiner Aussage waren Sie oft miteinander unterwegs", skizzierte Pöhl den Fall.

    Fatima war bleich geworden, und die Kids starrten Smits Kollegin jetzt ungläubig an. Der Exilbremer schlug die Hände vor sein Gesicht.

    Die junge Frau fasste sich zuerst. „Das stimmt, wir waren oft gemeinsam unterwegs, um Portale zu hacken und Muster zu bauen, aber wir passen aufeinander auf. Seit Markus hinter dem Phantom her war, haben wir ihn kaum noch gesehen. Sie drehte sich zu den Kids um. „Jemand von euch?

    Die Jungs schüttelten den Kopf, die Kleine schaute zu Boden. Exilbremer antwortete: „Gesehen ist zu viel gesagt, aber er war nachts unterwegs. Ich habe seine Portalhacks verfolgt, doch auf den Chat hat er nicht reagiert."

    „Portalhacks?", hakte Smit nach.

    „Darum geht es in XCess. Wir erobern Portale für unsere Fraktion und versuchen, so viel Gebiet wie möglich abzudecken."

    Pöhl und Smit wechselten einen skeptischen Blick.

    Fatima lächelte. „Das hört sich komplizierter an, als es ist. Wir wollten grade los. Kommen Sie doch mit, dann können wir unterwegs über Markus sprechen und Sie kriegen gleich einen Eindruck, um was es bei XCess und den Knights geht. Sie wandte sich an die Gruppe. „Wenn das für euch okay ist? Wenn einer von euch nach Hause will, ist das in Ordnung. Sie kniete sich neben das Mädchen, das tapfer gegen seine Tränen ankämpfte. „Ich bin sicher, Phantomjäger geht es gut. Er wurde nur noch nicht gefunden. Bestimmt ist er irgendwo elbabwärts an Land geschwommen." Sie sah die Polizisten hilfesuchend an.

    Smit sah weg, als Pöhl die üblichen Phrasen herunterratterte: Noch ist nichts sicher, viele verschwundene Jugendliche tauchen wieder auf, und so weiter und so fort.

    Seit er all das selber hatte hören müssen, konnte er es nicht mehr ertragen.

    Pöhls Smartphone summte. Sie nahm das Gespräch sofort entgegen. Nach einem kurzen Wortwechsel verzog sie das Gesicht, als hätte sie einen beherzten Bissen von einer Zitrone genommen. Sie legte auf und nahm Smit zur Seite.

    „Geh du mit ihnen. Böhmer hat mich zu einer Sonderbesprechung abberufen. Nargov hat ihm wieder irgendeinen Floh ins Ohr gesetzt."

    Smit verdrehte die Augen. „Diese Sondereinsätze von Nargov stinken zum Himmel."

    „Ich pass auf mich auf. Schau du, was du hier noch rausfinden kannst."

    Smit stimmte zu. Wenn ihm das einen Einblick in das übliche Umfeld des Jungen gab, konnte das nur helfen.

    Sie verabschiedete sich mit einem Boxhieb gegen seine Schulter und eilte zum Wagen. Smit ging zurück zu Fatima.

    „Okay, dann zeigen Sie mir mal, was Markus und Sie so gemacht haben."

    Fatima winkte den anderen zu, und die Kids liefen los. Exilbremer und LaLeLu blieben auf Smits Höhe.

    Der Mann blieb meist still, während Fatima Smit erklärte, was sie eigentlich taten.

    Zunächst gingen sie in Richtung einer kleinen Kirche nahe dem Fischmarkt, eine schöne Nebenstraße, überschattet von dichten Baumkronen. Eine bunte Mischung an Hamburgern war unterwegs. „Da vorn wurde Louis Gurlitt geboren, wussten Sie das?" Fatima deutete auf ein Eckhaus. Tatsächlich prangte eine Plakette daran, die das Geburtshaus des Landschaftsmalers kennzeichnete.

    „Sie interessieren sich für Malerei?" Smit war beeindruckt.

    „Nicht besonders, aber das ist das Schöne an XCess: Man entdeckt viel und lernt etwas über seine Umgebung." Sie zeigte ihm ihr Smartphone. Auf dem Display schwebte über dem Haus ein blauer Kristall, daneben ein Bild der Plakette und einige Zeilen Beschreibung.

    „Die Portale sind von ganz normalen Menschen erstellt worden, die sich einfach umgesehen und interessante Orte markiert haben. Daraus besteht die Welt von XCess. Sie lenkt spielerisch den Blick auf Dinge, die man im Alltag schlicht ignoriert."

    Sie tippte auf das Portal, die Kids und der Exilbremer taten anscheinend dasselbe. Grüne Strahlen umspielten den Kristall auf dem Display, und nach kurzer Zeit änderte das Portal seine Farbe in Smaragdgrün.

    „Und jetzt haben Sie gesehen, wie die Knights ein Portal für die Defender eingenommen haben. Das ist unsere Fraktion, unsere Mannschaft, wenn Sie so wollen. Wir verteidigen den Planeten gegen die Eindringlinge, die die Invader in unsere Welt bringen wollen. Dazu müssen wir die Portale kontrollieren."

    Während sie weitergingen, tippte die junge Frau ein paarmal auf ihr Display. Statt des Kamerabildes erschien jetzt eine Karte der Umgebung. Grüne und blaue Punkte waren darüber verteilt, viele von ihnen verbanden sich durch farbige Linien. Wo die Linien geschlossene Muster bildeten, nahm das Gebiet darunter die entsprechende Farbe an.

    Sie erreichten die Kirche und überquerten die Straße, die zu einem kleinen Park führte. Fatima zeigte ihm weitere diverse Portale. Mal handelte es sich um offensichtliche Dinge wie der Eingang der Kirche oder eine große Pelikanfigur, mal um kleinere, verstecktere Orte, wie zum Beispiel ein Graffito an der Unterführung oder ein Gedenkstein, der an das jüdische Leben erinnerte, fast vollständig verdeckt von den umliegenden Büschen.

    Smit war erstaunt, wie viele Dinge ihm das Spiel zeigte, die er ohne diese Hinweise sicherlich übersehen hätte.

    „So, jetzt müssen wir aufpassen. Es kann jederzeit zu Feindkontakt kommen."

    „Sie haben Feinde?" Smit horchte auf.

    Fatima lächelte verschmitzt. „Nur im Spiel. Der Fischmarkt und die Umgebung sind traditionell Invadergebiet. Kommt wohl von den vielen besetzten Häusern und dem Hafenklang."

    „Die Invader sind Linke?"

    „Na ja, im Spiel sind die Invader diejenigen, die den Status quo über den Haufen werfen wollen, während die Defender für die Regierungen der Welt arbeiten. Ich denke, Sie verstehen, warum die linke Szene eher Invader spielt. Sie zwinkerte ihm zu. „Sie dagegen wären klassischer Defender, wie wir Knights.

    „Was hat es mit dieser Phantomgeschichte auf sich?", fragte Smit.

    „Es kursiert das Gerücht, dass nicht alles im Spiel dokumentiert ist. Immer wieder gibt es Posts von Spielern, die behaupten, andere Dinge gesehen zu haben. Es gibt Screenshots, aber nie Aufzeichnungen im Spielelog. XCess dementiert das und behauptet, es gäbe keine Easter Eggs. Zumindest nicht in Form eines Phantoms, das nur nachts und nur für kurze Zeit über die Augmented Reality zu sehen ist, nur, um dann wieder zu verschwinden."

    Sie waren inzwischen an der Elbe angelangt. Der Blick auf das andere Ufer wurde kurz von einem gewaltigen Kreuzfahrtschiff verdeckt. Fetzen von Animationssprüchen und Partymusik wehten herüber, während sich der Fischgeruch der neuen Auktionshalle auf Smits Nasenwände legte.

    Smit kratzte sich am Kopf. „Sorry, alter Mann hier. Augmented Reality? Easter Eggs?"

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