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Bloom am Fluß Zu Klaus Reichert, Die unendliche Aufgabe ‐ Zum Übersetzen1 Es gibt wohl keine sprachschöpferische Prosa, die so viele Sprachen ineinander flicht, so viele Bedeutungsebenen auf einmal verschlüsselt, semantisch so vieldeutig, so dunkel ist wie James Joyces Finnegans Wake, und es gibt wohl keinen Gelehrten im deutschsprachigen Raum, der sich mit diesem Text so genau auseinandergesetzt und so hell über ihn geschrieben hat wie Klaus Reichert. Ein Schlüsselessay seines Buchs Vielfacher Schriftsinn – zu „Finnegans Wake“ ist Die Struktur des Hebräischen und die Sprache von „Finnigans Wake“; er wirkt mit seinem Vergleichen der poetischen Techniken des Wake mit den grammatischen Möglichkeiten des Hebräischen wie die linguistische Essenz des intellektuellen Weges, der Reichert von Joyce über Shakespeare zum Übersetzen aus dem biblischen Hebräisch (Das Hohelied Salomos) geführt hat. Diesen zeichnen die nun in der glänzenden Aufsatzsammlung Die unendliche Aufgabe – zum Übersetzen erschienenen Essays ‐ ursprünglich Vorträge ‐ nach, allerdings nicht chronologisch, sondern thematisch „vom mehr Allgemeinen zum Spezielleren, Technischen“ angeordnet. Streng genommen fängt dieser Weg, soweit ihn Buchpublikationen dokumentieren, mit Lewis Carroll an, und so läßt Reichert die literarische Gegenwart auch bei diesem beginnen, in Zur Technik des Übersetzens amerikanischer Gedichte, dem letzten Aufsatz dieser Sammlung: „Die Unmöglichkeit, das Ganze zu übersetzen, ist die Prämisse jeder Übersetzung. Es fragt sich, wo der Verlust, optimal, am geringsten ist, in der Prosa oder im Gedicht. Für die Literatur der Vergangenheit läßt sich das unschwer zugunsten der Prosa beantworten. Aber heute? Und das heißt, ziemlich genau gerechnet, ab Lewis Caroll, bei dem erstmals die Sprache (Wortspiele usw.) den Verlauf der Handlung bestimmt.“ Man nehme von der Rede vom Weg irregeführt nun ja nicht an, daß dieser schmal sei, daß sich Reicherts Fokus auf einige wenige Werke beschränkt, seien diese auch Wurzel – wie die Bibel – oder Synthese – wie Finnegans Wake – unserer Kultur‐ und Sprach(geschicht)en. Abgesehen von seinen Verdiensten für die Rezeption zeitgenössischer Autoren wie Friederike Mayröcker oder H.C. Artmann macht sich in seinen Schriften vielmehr eine unfassliche Belesenheit breit, die, wenn sie vom Übersetzen handeln, die Septuaginta und Hieronymus’ Vulgata, Luthers Bibelübersetzung und die von Rosenzweig/Buber, Wielands Shakespeare und den von Schlegel, Voß’ Homer und Hölderlins Sophokles, die (Übersetzungs)theorie Schleiermachers oder Herders Abhandlungen über die Sprache ebenso berücksichtigen wie die englische Übersetzungsgeschichte, also beispielsweise „Drydens Oben‐Unten‐Modell der Literatursprachen“, Goldings Ovid, Marlowes Lukan, Miltons Psalmenübersetzung oder Chapmans Homer. Gleich im Vorwort nennt Reichert zwei Auseinandersetzungen, die in seinen Aufsätzen ausgespart bleiben, die eine ist die mit Walter Benjamins Thesen aus Die Aufgabe des Übersetzers, die andere – und das ist bei einem Wake‐Experten und Analytiker von Sprach‐ (bzw.Oberflächen‐)strukturen überraschender ‐ ist die Auseinandersetzung mit der „von Ernst Jandl so genannten Oberflächenübersetzung. (Aus Wordsworths „My heart leaps up when I behold“ macht er „mai hart lieb zapfen eibe hold“.)” Als zweites Beispiel für einen Oberflächenübersetzer führt Reichert den amerikanischen Dichter Louis Zukofsky an. 1961 hat dieser mit seiner Frau Celia Z. den ganzen Catull transponiert („By reading his lips, that is 1 Hanser Verlag, München, Wien 2003 while pronouncing the Latin words, the translation – as his lips shape – tries to breath with him“), und in seinem Hauptwerk „A“ (9) findet sich eine an den Lautverteilungen orientierte, resemantisierende Doppelübersetzung von Guido Cavalcantis Canzone Donna mi priegha .... Nach dem Namen Zukofsky wird man in der deutschen Essayistik sonst vergeblich fahnden. Eine grundlegende Unterscheidung, die Reichert in seinen Essays trifft, ist die von Alltagssprache und poetischer Sprache, wobei sich Alltagssprache dadurch auszeichne, daß ihre Hierarchisierungen stabil wie in der Grammatik seien, und sich Bedeutung vor allem durch den konventionellen Sinn der Worte und Sprachwendungen (den „referentiellen Sinnbezug“) erschließe, während in der poetischen Sprache alle Eigenschaften von Sprache – wie Lautverteilung, Zeilenumbrüche, Wörter und Wortstellung, Metrum, Rhythmus etc. ‐ Bedeutungsträger seien, nichts an ihr als Ornament und als austauschbar verstanden werden könne. Als herausragendes Beispiel für Hierarchieunabhängigkeit und poetische Sprache gilt Reichert eben Finnegans Wake: „In dem Maße wie die Sprache selber Thema und Gegenstand der Prosa wird, fällt der referentielle Sinnbezug, sagen wir ruhig auch: die Handlung, zwar nicht heraus, aber er verliert seine traditionell prominente Stellung und wird zu einem Bedeutungsträger unter anderen. ... In der Sprache von Finnegans Wake schließlich findet sich ein totaler Hierarchieabbau, wodurch es unmöglich wird, überhaupt Dominanzen zu setzen, was ja noch in den dunkelsten Passagen des Ulysses gelingt.“ Hand in Hand mit der Unterscheidung von Alltags‐ und poetischer Sprache geht bei Reichert jene von Oberflächen‐ und Tiefenstruktur. Jene, die, wenn es um Sprachverstehen geht, der Tiefenstruktur (im Sinne Chomskys) anhängen, also die linguistische Sünde gegen Saussure begehen und den Gedanken von seiner sprachlichen Darstellung trennen, sind nicht nur hoffnungslos den Konventionen der Alltagssprache verfallen, sondern nach Reichert die schlechteren Übersetzer, da alles, was an der Sprache bedeutet, an ihrer Oberfläche liege, seien es die Wurzeln der Bedeutung, die in den Phonem‐ und Silbenanordnungen zu suchen sind, sei es die Spannung, die durch die Syntax, die Wortstellung erzeugt wird, oder die rhythmische Dynamik. Der Wurzelsinn, von dem aus Buber und Rosenzweig die Bibel zu übersetzen suchten, kommt im Hebräischen gerade wegen der syntaktischen und begrifflichen Armut zum Tragen; deswegen ist diese Sprache so wichtig für Reicherts Verständnis poetischer Sprache: „Das ist etwas, was wir uns in unseren Grammatiken nicht vorstellen können: in einem Paradigma konjugiert heißt das Verb z.B. „zerbrechen“, in einem anderen heißt das gleiche Verb „zerschmettern“ und in einem dritten Paradigma heißt es „töten“. Das basiert alles auf ein und derselben Wurzel, und das ist eine Möglichkeit, die sich sehr schwer – oder eher gar nicht – im Übersetzen wiederholen läßt. Herder hat in dem Zusammenhang vom „Wurzelsinn“ des Hebräischen gesprochen. Die Wurzel, das ist ein Kondensat, das die unterschiedlichsten semantischen Ausfaltungen in sich enthält.“ Für die Oberflächengebundenheit von Syntax steht dagegen Shakespeares dramatische Begabung Modell. In Anwendung eines Titels von Kleist betont Reichert, was die Dramatik betrifft, den Vorrang von Syntax gegenüber dem mit dem Wurzelsinn vermählten Wortspiel oder Klangfiguren wie den Reim: „Denken wir hinzu, daß auch die Syntax ein wichtiger Bedeutungsträger ist – es kann entscheidend für den ‚Sinn’ sein, in welcher Abfolge die Wörter gesetzt sind, weil, zumal in Shakespeares Sprechtexten, die ‚allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden’ mehr zur Charakterisierung einer Figur aussagt als ein gewissermaßen im voraus konstruierter Satz ‐, denken wir also die Syntax (oder auch die Idiomatik) hinzu, so wird klar, daß wir damit – wie auch etwa bei der strikten Reproduktion der Verwendungsart eines Metrums – an die Grenzen der Übersetzbarkeit stoßen.“ So lobt Reichert auch Wielands Prosaübersetzungen Shakespeares trotz ihrer moralisch motivierten Weglassungen dafür, Shakespeares Dramatik als erstes den Deutschen nahegebracht zu haben. „Da tut Wieland etwas, das der Poesie Shakespeares den Garaus macht, aber den Dramatiker Shakespeare zum Sprechen bringt ...“ Bei Shakespeares Sonetten kann, fällt auch die Dramatik weg, deren komplexe Syntax zugunsten von Prosaübersetzung ins Feld geführt werden. Reichert tendiert, was die Unterteilung Prosa / Gedichte anbelangt, die ja nicht mit der von Alltagssprache / poetischer Sprache zusammenfällt, zur Prosa (zumindest, wie schon aus einem Zitat hervorgegangen ist, wenn es um die Übersetzung alter Texte geht). In Die unendliche Aufgabe widmet ihr Reichert einen Aufsatz, einen populären Buchtitel Umberto Ecos parodierend: Im Namen der Prose. Angesichts der vielen Parameter, die beim Übersetzen von poetischer Sprache zu beachten sind, kann beim Übersetzen poetischer Formen Prosa ‐ bei Konzentration auf den Wurzelsinn ‐ der bessere Kompromiß sein. Reichert begründet seinen Vorbehalt z.B. gegenüber dem Reim mit der Gefahr, daß beim „Erfüllen bestimmter Eckdaten“ die Form nur parodiert würde, vielleicht schwingt auch ein generationsbedingtes Vorurteil mit, das den Reim als altertümelnd empfinden lässt. Der Konzentration auf die Sprachoberfläche ist dieser Vorbehalt auf jeden Fall gegenläufig, und das Argument von der „Reimarmut des Deutschen“ ist, wenn nicht zweifelhalft, zumindest des statistischen Vergleichs bedürftig. So wie Reichert zwischen den Textschichten, seien sie nun klanglich‐zeichenhafter, syntaktischer oder metrisch‐rhythmischer Natur, Spannungsverhältnisse und Widersprüche als poetische Darstellungsmittel bejaht („Warum muß es ein unumstößliches Gesetz in unseren modernen Sprachen sein, daß der Wortakzent im Vers der gleiche zu sein hat wie in der Prosa?“), scheut er auch in seinen übersetzerischen Kriterien und Orientierungen weder Spannung noch Gegensätze. Er dekretiert „Kein Übersetzen ohne eine Theorie des Übersetzens“ und besteht gleichzeitig darauf, daß jede Theorie nur für die Dauer einer bestimmten Übersetzung Geltung habe, Übersetzungstheorie per se pragmatisch, vorläufig sei. Er behauptet, daß Übersetzungsbeispiele jeder Übersetzungstheorie schädlich seien und bringt selbst eine Menge interessanter und überzeugender Beispiele. Sein eigenes Tun beschreibt er dann auch (im Essay Erich Fried als Übersetzer) als ein „Hindurchsegeln zwischen der Skylla der Theorie und der Charybdis der Beispielketten“, wobei sein Kurs eher nahe an Charybdis bleibt. Eine wichtige Grunddichothomie, die dem Nachdenken über das Übersetzen zugrundeliege, finde sich das erste mal bei Goethe formuliert: „Es gibt zwei Übersetzungsmaximen: die eine verlangt, daß der Autor einer fremden Nation zu uns herüber gebracht werde, dergestalt, daß wir ihn als den Unsrigen ansehen können; die andere hingegen macht an uns die Forderungen, daß wir uns zu dem Fremden hinüber begeben und uns in seine Zustände, seine Sprachweise, seine Eigenheiten finden sollen.“ (Für Reichert kommen als Emanation der ersten Maxime im Deutschen nur Luthers Bibel und Schlegels Shakespeare in Frage, Milton, der bei seinen Psalmenübersetzungen die lateinische Syntax im Englischen nachzubilden versuchte, oder Voß und Hölderlin mit ihrem griechischen Deutsch hätten sich der zweiten Maxime verschrieben.) Als „ein Beispiel zum syntaktischen Ablauf“ bringt Reichert einen Satz, der beschreibt, was Bloom, der am Fluß steht, beobachtet; der Name für den Gegenstand von Blooms Beobachtung ist dem Beschreibungssatz nachgestellt. Vielleicht läßt sich der Kleist‐Titel, den Reichert für dieses Beispiel variiert, auch auf seinen eigenen Theoriebezug übertragen: „die allmähliche Verfertigung des Sehens beim Schauen“. Letztlich läßt Reichert jeden Ansatz gelten, wenn das Resultat (Möwen) sich aus beobachtbaren Merkmalen herleiten lässt. Wie Poesis die Oberflächenstrukturen der dichterischen Höhenflüge generiert, ohne beim Übersetzen zu stückeln, überläßt er den Tiefenstrukturen der Albatrosse. „Nur ein Übersetzen aus dem hohlen Bauch, ein Draufloswurschteln mit dem Wörterbuch als einzigem und letzthinnigem Auskunftmittel, das halte ich für unzulässig oder nur vertretbar zur Deckung eines bestimmten Konsumbedarfs.“