Location via proxy:   [ UP ]  
[Report a bug]   [Manage cookies]                
Matthias Hüning und Philipp Krämer Standardsprachenideologie als Exportprodukt Zur Rolle europäischer Standardsprachen in postkolonialen Kontexten Abstract: Most postcolonial societies make use of the language(s) of the former colonial power(s) and, additionally, of one or several local or Creole languages. This article analyses the complex linguistic relationships within postcolonial societies. As a hypothesis, we assume that the language ideologies in former colonies take a shape similar to those in Europe and we discuss the possibility that these ideologies were brought to the colonies along with the linguistic dominance of European colonialism. In particular, so-called ‘standard language ideology’ has had a considerable influence upon the way these societies deal with multilingualism. Following an introduction of key concepts, we discuss the individual linguistic situations in four case studies (Suriname, Cape Verde, Mauritius, ABC islands) and outline a comparison of the consequences that standard language ideology entails in the different societies. Keywords: standard language ideology, standardization, colonialism, postcolonial societies, language policy and planning, Creole languages 1 Einleitung Postkoloniale Kontexte zeichnen sich in der Regel durch ein Nebeneinander verschiedener Sprachen aus. Neben den Sprachen der Kolonisatoren werden typischerweise autochthone Sprachen sowie häufig eine oder mehrere Kreolsprachen gesprochen. Hinzu kommen internationale Sprachen wie Englisch oder Spanisch, die in einer globalisierten Welt auch in postkolonialen Zusammenhängen an Bedeutung zunehmen. || Matthias Hüning: Freie Universität Berlin, Institut für Deutsche und Niederländische Philologie, Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin. E-Mail: matthias.huening@fu-berlin.de Philipp Krämer: Freie Universität Berlin, Institut für Deutsche und Niederländische Philologie, Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin. E-Mail: philipp.kraemer@fu-berlin.de https://doi.org/10.1515/9783110561210-011 Brought to you by | Freie Universität Berlin Authenticated Download Date | 1/20/18 10:54 AM 2 | Matthias Hüning und Philipp Krämer In diesem Beitrag möchten wir exemplarisch einige Konstellationen dieses Nebeneinanders verschiedener Sprachen untersuchen. Die zentrale These ist, dass die sprachlichen Situationen in ehemaligen europäischen Kolonien von den gleichen ideologisch verankerten Annahmen über (den Wert von) Sprachen geprägt sind wie die in Europa. Insbesondere die so genannte „Standardsprachenideologie“ spielt nicht nur in Bezug auf die europäischen Nationalsprachen eine große Rolle, sondern eben auch im Hinblick auf die Entwicklungen in postkolonialen Kontexten. Dazu werden – nach einführenden Überlegungen zu Standardsprachen und Standardsprachenideologie im folgenden Abschnitt – in Paragraph 3 verschiedene postkoloniale Konstellationen grob skizziert und im Hinblick auf das Verhältnis der Sprachen zueinander diskutiert. Im abschließenden Paragraph 4 werden einige Konsequenzen dieses Vergleichs diskutiert. 2 Standardsprachen und Standardsprachenideologie Die Herausbildung der Standardsprachen wird häufig – zu Recht – als eine großartige kulturelle Leistung gesehen, weil sie zur Kohäsion größerer Diskursund Kommunikationsräume beitragen können. Schon Otto Jespersen war Anfang des vorigen Jahrhunderts dieser Meinung: The greatest and most important phenomenon of the evolution of language in historic times has been the springing up of the great national common languages – Greek, French, English, German, etc. – the ‘standard’ languages which have driven out, or are on the way to drive out, the local dialects. (Jespersen 1925: 45) Die europäischen Standardsprachen sind in den vergangenen Jahrhunderten durch die Koppelung von Sprache und Staat in vielen Fällen zu Nationalsprachen geworden, häufig sogar per Gesetz zu solchen erklärt worden. Die Hochschätzung der einheitlichen Standardsprachen als Ideal hat im 19. und 20. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreicht, zunächst in Bezug auf die Schriftsprache, dann immer mehr auch in Bezug auf die gesprochene Sprache (vgl. hierzu unter anderem Hüning et al. 2012). Diese Entwicklung und die Herausbildung unseres heutigen Sprachbegriffs beginnen in der Renaissance. Burke (2004) spricht in diesem Zusammenhang von der frühen Neuzeit als dem „Zeitalter der Entdeckung von Sprache“. Im Laufe der Zeit haben sich die Position und der gesellschaftliche Status dieser Sprachen immer weiter entwickelt, so dass Sprache und Standardsprache im zwanzigsten Jahrhundert nahezu zu Synonymen geworden sind. Es hat sich Brought to you by | Freie Universität Berlin Authenticated Download Date | 1/20/18 10:54 AM Standardsprachenideologie als Exportprodukt | 3 eine „Standardsprachenideologie“ herausgebildet (vgl. u.a. Gal 2006), mit Konsequenzen für die Bewertung von Abweichungen und nicht-standardsprachlichen Varietäten. Letztlich werden erst durch ideologische Auffassungen bestimmte Sprachformen überhaupt als Standard wahrgenommen. Deumert (2003) fasst sie entsprechend als ritualisierte Konventionen auf, die zur sozialen Kohäsion einer Sprechergemeinschaft beitragen: Their ontological status within the architecture of varieties is defined first and foremost by a specific ideological construction which makes reference to notions such as uniformity, authority and superiority as well as national identity and community. (Deumert 2003: 33) Erst in dieser ideologisch verankerten Position kann ein Standard breite Anerkennung erlangen und entsprechend auch Objekt der gegenwärtigen und historischen Diskurse über Sprache und Sprachverfall werden. Obgleich es so scheint, als seien die Existenz eines sprachlichen Standards und dessen ideologische Überhöhung untrennbar miteinander verbunden oder gar gegenseitige Bedingung, so ist die Standardisierung eigentlich zunächst nur ein struktureller Prozess: [T]he process of standardization works by promoting invariance or uniformity in language structure. [...] standardization consists of the imposition of uniformity upon a class of objects. (Milroy 2001: 531) Die Klasse von Objekten ist von ihrer Natur her nicht uniform, sondern variabel. In der Sprache betrifft dies ihre Strukturen wie grammatische Regeln und – häufig damit verwoben – auch den Wortschatz, die orthographische Repräsentation von Sprache oder Ansichten zur stilistischen Angemessenheit des Sprachgebrauchs. Die Standardisierung zielt darauf ab, diese Variabilität zu reduzieren und Einheitlichkeit herzustellen. Dass diese vereinheitlichte Form von Sprache in der Regel ein höheres Prestige trägt als andere Varietäten, ist keine inhärente Eigenschaft, sondern sie bezieht ihr Prestige von sozial anerkannten und dominanten Sprechergruppen (Milroy 2001: 32). Diese haben umgekehrt den stärksten Einfluss darauf, welche Varianten als standardsprachlich gelten dürfen und welche vom Standard und damit vom Prestige ausgeschlossen werden. In manchen Sprachgemeinschaften wird dieses Prestige durch Institutionen verliehen, die ihrerseits stark an die sozial dominanten Sprechergruppen angebunden sind bzw. ihre Mitglieder aus diesen Gesellschaftsschichten rekrutieren (z. B. die Académie Française oder die Real Academia Española). Die Ideologie, die an die Sprache herangetragen wird, ist also letztendlich zwar verknüpft mit gewissen Normen in der Sprache, erhält ihre Legitimation aber dennoch von der Menschengruppe, mit der sie assoziiert wird. Die Standardsprachenideologie ist im Grunde eine Stan- Brought to you by | Freie Universität Berlin Authenticated Download Date | 1/20/18 10:54 AM 4 | Matthias Hüning und Philipp Krämer dardsprecherideologie, obwohl normalerweise niemand in der gesprochenen Sprache alle Normen des Standards einhält: [Standard languages] are not vernaculars, and no one speaks them exactly: the standard ideology decrees that the standard is an idea in the mind – it is a clearly delimited, perfectly uniform and perfectly stable variety – a variety that is never perfectly and consistently realized in spoken use. (Milroy 2001: 543) Entscheidend ist, dass die als Standardsprecher betrachteten Gruppen dem Ideal des Standards näherkommen als andere Sprechergruppen – nicht zuletzt weil sich die Merkmale des Standards meist selbst wiederum aus den Varianten der prestigereichen Sprechergruppen herleiten. Dies ist ausreichend, um sie als Standardsprecher zu identifizieren. So wird „das Ideal mehr und mehr für die Wirklichkeit gehalten“ (van der Horst 2008: 146). Die Kehrseite dieses Ideals ist die Ablehnung all jener Formen, die nicht als standardsprachlich gelten. The primacy of standard languages is a result of complex ideology formation processes. At the core of standard language ideology stand, on the one hand, beliefs about language correctness; on the other hand, it is characterized by a strong belief in ‘the one best variety’ and a general denigration and rejection of all other (non-standard) varieties. (Vogl 2012: 13) Unterschiede werden in Hierarchien überführt. Mögen diese Unterschiede oberflächlich nur sprachliche Merkmale betreffen, sind sie letztendlich doch einflussreiche Indikatoren für die soziale Zugehörigkeit von Sprechern. Die Hierarchisierung von Sprachformen geht einher mit der Hierarchisierung von Sprechergruppen. Eine solche Standardsprachenideologie prägt seit langer Zeit ganz wesentlich das europäische Sprachdenken (Milroy 2001, Gal 2006, Vogl 2012, Hüning 2013). An dieser Stelle empfiehlt sich eine kurze, wenn nicht verkürzte, Unterscheidung zwischen Standardsprachenideologie und Standardsprachendiskurs: If ‘discourse’ and ‘ideology’ both figure in accounts of the general field of social action mediated through communicative practices, then ‘discourse’ focuses upon the internal features of those practices, in particular their linguistic and semiotic dimensions. On the other hand, ‘ideology’ directs attention towards the external aspects of focusing on the way in which lived experience is connected to notions of interest and position that are in principle distinguishable from lived experience. (Purvis & Hunt 1993: 476; Hervorh. d. Autoren) Im Fall der Standardsprachenideologie und des Standardsprachendiskurses ist das Feld sozialer Handlungen (the „field of social action“) hier die Etablierung, Anerkennung oder Anwendung sprachlicher Normen sowie die Unterscheidung Brought to you by | Freie Universität Berlin Authenticated Download Date | 1/20/18 10:54 AM Standardsprachenideologie als Exportprodukt | 5 zwischen Sprachformen, bei denen solche Normen überhaupt vorliegen sollen und solchen, bei denen sie als unangemessen gelten. Ein Diskurs gibt Muster des Sagbaren vor, während durch Äußerungen im Rahmen der Muster sowohl der Diskurs als auch die ideologischen Überzeugungen stabilisiert werden. Unter Ideologie kann man demnach ein erworbenes Inventar von Überzeugungen fassen, die von einer Gruppe geteilt werden, und die strukturiert und hierarchisierbar sind (van Dijk 2001: 11f.). Ganz grundlegend umfasst die Standardsprachenideologie eine Reihe unhinterfragter Haltungen (im Sinne von attitudes, van Dijk 2001: 16) zu konkreten Eigenschaften von Sprache, die miteinander verbunden sind, einander gegenseitig die Grundlage liefern und so eine Struktur bilden. Dazu gehört zunächst die Auffassung, Standardsprachen seien fixiert und normiert, so dass anhand eines verbindlichen und vor allem vollumfassenden Regelwerks jederzeit festgestellt werden kann, ob eine bestimmte Äußerung korrekt oder unkorrekt ist. Diese vermeintlich stabile Fixiertheit des Standards spiegelt sich wider in der Ansicht, dass Sprachen als klar umrissene Einheiten voneinander abgrenzbar seien (van der Horst 2008: 148 spricht von „zählbaren Fiktionen“). Unterstützt wird eine solche Sichtweise durch die Koppelung von Sprache und Staat, welche besonders im 19. Jahrhundert an Kraft gewann: Wenn Sprachen zählbar sind und jeder Nation genau eine Sprache zugeordnet wird, dann sind auch Nationen zählbar, also voneinander eindeutig abgrenzbar und können somit auf Basis eines vermeintlich objektiven soziokulturellen Kriteriums ihre Souveränität legitimieren. Unterfüttert wird ein solcher Souveränitätsanspruch von der vermeintlichen Dauerhaftigkeit des Standards, dem eine langlebige Stabilität gegenüber den volatilen Nichtstandardvarietäten zugeschrieben wird – eine Stabilität, die auf die politische Einheit „Nation“ bzw. „Nationalstaat“ abstrahlen soll. Legitimationskraft nach innen verleiht die Standardsprache durch ihre Verbindung mit „Kultiviertheit“ und Bildung, also letztlich mit den Eliten der Gesellschaft. Obwohl diese Eliten in der europäischen Geschichte in der Regel meist mehrsprachig waren, etwa Latein oder Französisch als Bildungssprache ebenso beherrschten wie die jeweils lokalen Dialekte, kristallisierte sich das Bild des üblicherweise einsprachigen Sprechers heraus. Die (vermeintliche) Einsprachigkeit der Sprechergemeinschaft schafft wiederum ein Bild der Sprache als einigendes Element der Nation. Bis heute hält sich diese Sichtweise des Monolingualismus als Normalfall, der inzwischen als „monolingualer Habitus“ erfasst wird (Gogolin 2006), also als mit sozialen Wirkungen behaftetes Verhaltensmuster, das mit der Sozialisierung erworben wird und sich dadurch fortsetzen kann. Brought to you by | Freie Universität Berlin Authenticated Download Date | 1/20/18 10:54 AM 6 | Matthias Hüning und Philipp Krämer Die Definitionshoheit der sozial dominanten Gruppen über das, was als Standard gelten darf, bringt es mit sich, dass die Standardsprache als kulturelle Errungenschaft betrachtet wird, welche es zu erhalten und zu schützen gilt. Der Schutzreflex wird von einem spezifischen Inventar an Begriffen und Metaphern begleitet, das nicht selten bis hin zur Kampfrhetorik geht, wenn der Standard „verteidigt“ werden soll, weil ihm andernfalls „Schaden droht“. Als Teil dieses Schutzes sollen bestimmte Verwendungsbereiche insbesondere des öffentlichen Lebens wie der Bildungssektor, die Politik, die Kulturszene oder die Medien dem Standard vorbehalten bleiben.1 Letztendlich münden all diese Überzeugungen in ein Verschmelzen der Konzepte Sprache und Standard: Die Einzelsprache, die mit Bezeichnungen wie Deutsch oder Französisch belegt ist, wird in eins gesetzt mit den jeweiligen Standardformen, während alles andere als Dialekte des Deutschen oder als Varietäten des Französischen aufgefasst wird. Auch weite Teile der modernen Linguistik stellten lange Zeit die nationalen Standardsprachen in den Mittelpunkt ihrer Forschung. Davon zeugt beispielsweise die oben genannte und in der Sprachwissenschaft keineswegs unübliche Bezeichnung Varietäten des Französischen. Mit dem Aufschwung der synchronen Betrachtung sprachlicher Systeme in der Nachfolge beispielsweise von Saussure wird Variation für viele Linguisten zu einem störenden Faktor in der Sprachbeschreibung und für die Sprachtheorie. linguistic theory has been largely dependent on, and modelled on the properties of, uniform and standardized varieties [...] the idea of what is believed to constitute a ‘language’ can hardly escape the influence of the standard ideology. (Milroy 2001: 539) Als weiteres typisches Element der Standardsprachenideologie übernahm die Linguistik zudem lange Zeit das Bild des einsprachigen Sprechers. Die Effekte von Sprachkontakt und Mehrsprachigkeit wurden in der Mainstream-Linguistik weitestgehend ausgeklammert zugunsten eines homogenen Sprachbildes des „idealen Sprechers und Hörers“, der zwar nur eine Sprache beherrscht, dafür aber vollständig und in ihrer reinen Standardform. Multilingualism was considered to be the consequence of some kind of disturbance in the ‘language order’, such as migration or conquest, which brought language systems into some kind of unexpected and ‘unnatural’ contact with one another, often leading to struc- || 1 Vgl. Trabant (2002: 91ff.) über das Beispiel der „defensiven“ Sprachpolitik Frankreichs mit dem Versuch, die als besonders relevant betrachteten Verwendungsdomänen weiterhin für das Französische zu sichern. Brought to you by | Freie Universität Berlin Authenticated Download Date | 1/20/18 10:54 AM Standardsprachenideologie als Exportprodukt | 7 tural simplification (which, in the language ideology of the 19th century, usually implied degeneration). (Auer & Wei 2009: 2) Als Reaktion auf solche Standpunkte und als Alternative zu diesen vereinfachenden Annahmen wird inzwischen immer häufiger Mehrsprachigkeit und Sprachkontakt als zentrales Element eines angemessenen Verständnisses von Sprache und insbesondere von Sprachwandel gesehen. So stellt beispielsweise der Ansatz der ecology of language explizit nicht nur die außersprachlichen sozialen Gegebenheiten, sondern auch die gegenseitige Beeinflussung von Sprachen in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung (vgl. Mufwene 2008). 3 Standardsprachenideologie im (post)kolonialen Kontext Viele der großen europäischen Sprachen wurden durch die Kolonialisierung in der Welt verbreitet. Diese Ausdehnung des sprachlichen Einflusses fällt zeitlich zusammen mit der Periode, in der die Standardisierung an Fahrt gewann. Dies ist kein Zufall, gehen doch kolonialer Anspruch und Behauptung der Nation nach innen ebenso zusammen wie die Forderung nach nationalem und sprachlichem Zusammenhalt. Die Hochphase der Standardisierung im 19. Jahrhundert überlappt damit ganz klar mit der Hochphase der kolonialen Expansion. Mit der Kolonialisierung etablierten die Europäer in den eroberten Gebieten auch mitgebrachte Wertesysteme, die sie mit dem vermeintlichen Recht des Stärkeren und der mission civilisatrice durchsetzten. Nach der Unabhängigkeit wurden nicht selten entscheidende Teile dieses Wertegefüges in das Selbstbild der postkolonialen Nationen integriert und übernommen.2 Es lässt sich also plausibel vermuten, dass die Europäer nicht nur ihre Sprachen, sondern auch ihre Sprachauffassungen in die Kolonien exportiert haben, wo sie sich in vielen Fällen bis in die postkoloniale Ära hinein halten konnten. Präkoloniale Sprachen ebenso wie die in der Kolonialzeit entstandenen Kreolsprachen begannen nicht als Standardsprachen, sondern sie waren verknüpft mit sozial niedrigeren Sprechergruppen und hatten entsprechend wenig Definitionshoheit über die Gültigkeit von Normen. Da aber die Etablierung einer Standardsprache in aller Regel mit Standardsprachideologie einhergeht und diese Ideologie von den || 2 Vgl. Ennis & Pfänder (2013: 39f.) für den Fall der lateinamerikanischen Staaten nach der Unabhängigkeit, für Haiti siehe Müller (2012: 34ff.). Brought to you by | Freie Universität Berlin Authenticated Download Date | 1/20/18 10:54 AM 8 | Matthias Hüning und Philipp Krämer sozial dominanten Sprechern ausgeht, fällt insbesondere in der ausgeprägten und dauerhaft gefestigten sozialen Ungleichheit kolonialer Gesellschaften die Standardsprachideologie auf fruchtbaren Boden. Zu diskutieren ist jedoch die Frage, ob die ideologischen Muster tatsächlich gemeinsam mit der Sprache in die Kolonien gebracht wurden, oder ob sie sich aufgrund des von den Kolonialmächten etablierten Wertegefüges nur parallel zueinander entwickelt haben. Zwei Argumente spielen hier eine Rolle: Zum einen ist die Standardsprachenideologie keineswegs eine exklusiv europäische Erscheinung. Ähnliche Haltungen finden sich beispielsweise in Bezug auf das Chinesische3 oder das Arabische.4 Zum anderen ist die Kolonialzeit jene Periode, in der auch die europäischen Sprachnormen sich erst nach und nach etablieren. Die von den Kolonialherren in die Welt getragenen Sprachen waren in der Regel gerade nicht die literarischen Hochformen der Schriftnorm, sondern soziolektal und dialektal geprägte Varietäten, zum Beispiel die Dialekte der jeweiligen Herkunftsregionen (Mufwene 2005: 24, Chaudenson 1992: 66ff.). Dies schließt aber nicht aus, dass die Kolonialherren und Siedler die Ansichten über sprachliches Prestige verinnerlicht hatten und in den Kolonien wiederum in die Praktiken sozialer Hierarchien gegenüber der lokalen Bevölkerung und deren Sprachen überführten. Waren sie im Kontext ihres Herkunftslandes sprachlich noch der weniger einflussreichen Gruppe zugerechnet worden, so bot sich mit den Machtverhältnissen in der Kolonie und den dortigen Sprachkonstellationen nun die Möglichkeit, sich an die Spitze der Hierarchie zu setzen. Ein verfestigtes Bild von sprachlicher Diversität prägt bis heute die Sprachreflexion und die Sprachenpolitik auch in postkolonialen Zusammenhängen. In der Zeit nach der Unabhängigkeit wurde diese ideologische Sicht auf Sprache in sehr unterschiedlichem Grad beibehalten, abgelegt oder umgelenkt. || 3 Vgl. Tan (2012) zur Sprachideologie in Singapur gegenüber dem chinesischen StandardMandarin (Putonghua). 4 Vgl. den historischen Überblick in Hachimi (2013: 273ff.) seit der Ausbreitung des Arabischen und den damit verbundenen ideologisch gefestigten Gegensatz zwischen Arabisch im Maghreb und im Maschrek. Stadlbauer (2010) sieht wiederum die britische Kolonialzeit in Ägypten als entscheidende Periode, in der die ideologischen Zuschreibungen an den arabischen Standard zur antikolonialistischen Emanzipation herangezogen wurden. In diesem Kontext wäre die Standardsprachenideologie weniger europäisches Exportprodukt im Kolonialismus, als vielmehr Reaktion auf den Kolonialismus. Brought to you by | Freie Universität Berlin Authenticated Download Date | 1/20/18 10:54 AM Standardsprachenideologie als Exportprodukt | 9 3.1 Spannungsfeld zwischen verschiedenen Sprachen In den postkolonialen Gesellschaften sind die europäischen Standardsprachen in der Regel nicht die einzigen, sondern sie fügen sich ein in Geflechte verschiedener Sprachen und haben aus soziohistorischen Gründen jeweils einen bestimmten Platz im Sprachengefüge. Dabei entfalten die ideologischen Auffassungen von Sprache deutliche Wirkungen und schaffen so ein Spannungsfeld zwischen den vorhandenen Sprachen. Die folgende Grafik macht dieses Spannungsfeld anschaulich. Internationale Sprache(n) Europäische Lokaler Standard? Kolonialsprachen (Plurizentrismus) Lokale (Kreol-)Sprachen Abbildung 1: Postkoloniale Sprachkonstellationen. Die Pfeile geben an, ob bzw. dass eine Verschiebung von Verwendungsdomänen festzustellen ist. Die dominante Kolonialsprache verliert Funktionen und Verwendungsbereiche in verschiedene Richtungen, was unter den Prämissen der Standardsprachenideologie als problematisch erfahren werden kann. Kernfrage ist dabei, ob die Standardsprachenideologie den europäischen Standard schützt, oder einen bestehenden oder entstehenden lokalen Standard. Hinzu tritt die Überlegung, welche Auswirkungen die ideologischen Prämissen auf den Umgang mit lokalen Sprachen haben, seien es indigene Sprachen aus der präkolonialen Zeit, im Zuge der Kolonialherrschaft entstandene Kreolsprachen oder auch später hinzugekommene, sozial weniger prestigeträchtige Sprachen wie etwa jene asiatischer Vertragsarbeiter. Dies lässt sich anhand einiger Fallbeispiele illustrieren, bei denen diese Konstellationen sehr unterschiedlich ausfallen. Brought to you by | Freie Universität Berlin Authenticated Download Date | 1/20/18 10:54 AM 10 | Matthias Hüning und Philipp Krämer 3.1.1 Suriname Die ehemalige niederländische Kolonie Suriname an der Nordostküste des südamerikanischen Kontinents ist seit 1975 unabhängig. Offizielle Sprache ist das Niederländische, als gesprochene Lingua Franca ist zusätzlich Sranantongo verbreitet (häufig auch kurz Sranan genannt), eine englischbasierte Kreolsprache. Daneben werden ungefähr 20 weitere Sprachen gesprochen. Das Niederländische hat in Suriname eine sehr gefestigte Position und scheint in seinem Status als offizielle Prestigesprache unbestritten (Diepeveen & Hüning 2016). In der Bevölkerung ist die Beherrschung aber sehr unterschiedlich. Für manche Bevölkerungsgruppen ist Sranan die einzige Verkehrssprache, während sie keinen Zugang zum Niederländischen haben. Dies führte bisher immer wieder zu Debatten über die Frage, ob man die Funktionsdomänen des Sranan ausweiten solle, beispielsweise indem eine standardisierte Form auch als Bildungssprache genutzt oder generell eine verbindliche Schriftnorm eingeführt würde. Zugleich steigt der Druck auf das Niederländische durch die internationalen Sprachen, insbesondere Englisch (und in weit geringerem Maße Spanisch und Portugiesisch). Die Forderung nach einer verstärkten Nutzung des Englischen kann unterfüttert werden mit der Tatsache, dass Sranan aus dem Englischen hervorgegangen ist, so dass für große Teile der Bevölkerung die sprachliche Distanz zwischen ihrer Alltagssprache und der möglichen Verkehrsoder Bildungssprache geringer würde.5 Bisher wurden solche Überlegungen jedoch in Sprachenpolitik und -planung noch nicht umgesetzt. Stattdessen ist die momentan stärkste Reaktion auf die vorherrschenden Ansichten zum Sprachgefüge Surinames, einen eigenen lokalen Standard des Niederländischen anzuerkennen und auszubauen, der sich an einigen Stellen vom europäischen Niederländisch unterscheidet (vgl. hierfür beispielsweise De Kleine 2013). Entscheidend für die Situation von Suriname ist damit, dass einerseits die Standardsprache nach europäischem Vorbild an Bindungskraft verliert, indem andere Varianten zugelassen und als korrekt angesehen werden. Andererseits wird dieser lokale Standard wiederum von denselben ideologischen Prämissen gestützt, welche auch in Ansichten über die europäischen National- und Standardsprachen wirksam werden. || 5 Hierbei muss allerdings berücksichtigt werden, dass die englisch-basierten Kreolsprachen in Suriname sich strukturell stärker vom Englischen entfernt haben als jene in anderen anglokreolischen Gebieten, vgl. Schneider (2013: 492). Brought to you by | Freie Universität Berlin Authenticated Download Date | 1/20/18 10:54 AM Standardsprachenideologie als Exportprodukt | 11 Englisch (Spanisch, Portugiesisch) Niederländisch Surinamisches Niederländisch Sranantongo ca. 20 andere Sprachen Abbildung 2: Postkoloniale Sprachkonstellation in Suriname. Dem Sranan wird entsprechend kein Platz eingeräumt, weil Prestige und sozialer Einfluss weiterhin mit einer möglichst guten Beherrschung des niederländischen Standards – wenn auch in seiner surinamischen Ausprägung – verknüpft bleibt.6 Die Standardsprachenideologie ist damit in Suriname fest verankert und äußert sich insbesondere in einem starken Festhalten am Niederländischen, wenn auch die Ansichten, was genau als Standard zu betrachten ist, im Augenblick einem deutlichen Wandelprozess unterliegt. Anderen Sprachen des Landes kommt dieser Wandelprozess jedoch bislang nicht zugute.7 3.1.2 Kapverden Ebenso wie Suriname erlangten auch die Kapverden 1975 die Unabhängigkeit. In der ehemaligen Kolonie Portugals ist das Portugiesische bisher unumstritten die offizielle Sprache des Staates, des öffentlichen Lebens und der Bildung. Man orientiert sich dabei am europäischen Standard, wendet den Blick aber zunehmend auch nach Brasilien. Als internationale Prestigesprachen gelten, insbe- || 6 In der Grafik wird dies durch die dünnere Pfeillinie symbolisiert. 7 Anfang 2015 schlug der damalige Bildungsminister Ashwin Adhin vor, alle ca. 20 Sprachen Surinames als offizielle Sprachen des Landes anzuerkennen. Umgesetzt wurde das Vorhaben bislang nicht. Die konkreten Konsequenzen einer solchen Anerkennung sind zurzeit nicht absehbar. Brought to you by | Freie Universität Berlin Authenticated Download Date | 1/20/18 10:54 AM 12 | Matthias Hüning und Philipp Krämer sondere in der Wirtschaft, das Englische und zu einem geringeren Anteil auch das Französische als bedeutend. Gemeinsam mit dem Portugiesischen wird diesen Sprachen vor allem die Rolle als Bindeglied zu den Ländern des afrikanischen Kontinents und zu Brasilien zugeschrieben. Während das Portugiesische in seiner Rolle also nicht in Frage steht, diskutiert man seit einigen Jahren über den Status der portugiesisch-basierten Kreolsprache (Kabuverdianu). Vor allem aus antikolonialistisch und politisch links stehenden Teilen der Bevölkerung wird gefordert, das Kreolische auszubauen und zu standardisieren, um es anschließend auch im Bildungssystem einzusetzen.8 Bereits seit Ende des letzten Jahrhunderts ist die Etablierung des Kreolischen erklärtes Staatsziel: Es soll als Schulsprache und als offizielle Amtssprache neben das Portugiesische treten. Umgesetzt wurde das Ziel aber noch nicht. Bisher wurde lediglich eine orthographische Norm staatlich anerkannt,9 deren Regelungen aber weiterhin in der Diskussion bleiben und mit neuen Vorschlägen ergänzt werden.10 Grammatische Normen wurden noch nicht allgemeinverbindlich festgelegt. Die Situation auf den Kapverden ist von zweierlei Faktoren geprägt.11 Zum einen ist die Frage nach einer Aufwertung und Standardisierung des Kreolischen stark politisch aufgeladen und stets auch mit Haltungen zur Regierungspolitik, zur Behauptung der Kapverden gegenüber dem dominanten portugiesischen Kulturmodell und zur Rolle eines kleinen Landes in der Welt verknüpft. Diese grundsätzlichen Fragen werden auch mit einzelnen Regelungen sprachlicher Normen verknüpft. So erhält beispielsweise das Graphem <k> eine spezielle Bedeutung dadurch, dass es in den großen romanischen Sprachen kaum benutzt wird und entsprechend durch seine Einführung in der kreolischen Orthographie die Eigenständigkeit der Sprache deutlich sichtbar gemacht werden kann.12 || 8 Zur Sprachpolitik der Kapverden seit der Unabhängigkeit vgl. den Überblick in Torquato (2011). 9 Vgl. Decreto-Lei No. 67/98 und Resolução No. 48/2005 mit der staatlichen Anerkennung des Alfabeto Unificado para a Escrita do Caboverdiano (ALUPEC, Einheitliches Alphabet für die Schreibung des Kapverdischen). 10 Vgl. etwa den auf dem ALUPEC basierenden, weitergehenden Vorschlag in Silva (2014). Zur Variationsbandbreite des Kreolischen der Kapverden siehe Lang (2014). 11 Zur soziolinguistischen Situation der Kapverden vgl. umfassend Lopes (2011). 12 Dies ist nicht nur beim Kapverdischen der Fall, sondern auch in Diskussionen um die Schreibung vieler französisch-basierter Kreolsprachen, vgl. Strobel-Köhl (1994: 63). Brought to you by | Freie Universität Berlin Authenticated Download Date | 1/20/18 10:54 AM Standardsprachenideologie als Exportprodukt | 13 Englisch Portugiesisch Kabuverdianu Abbildung 3: Postkoloniale Sprachkonstellation der Kapverden. Zum anderen stehen das Portugiesische und das Kreolische sich historisch sehr nah. Dies kann den Erwerb des Portugiesischen für kreolische Muttersprachler erleichtern, führt aber wie in allen Sprachkontaktsituationen auch zu Interferenzen und Entlehnungen. Diese werden in der Sprachgemeinschaften als „Mischformen“ abgelehnt und gelten weniger als Phänomen zweier offener Systeme, die sich gegenseitig befruchten können, sondern eher als Zeichen mangelhafter Beherrschung des Portugiesischen. Dementsprechend schwierig ist die Etablierung eines lokalen portugiesischen Standards, da die spezifisch kapverdischen Elemente in aller Regel auf Kreolismen zurückzuführen wären und deshalb gerade nicht für standardtauglich gehalten werden. Umgekehrt wird auch auf der pro-kreolischen Seite ein allzu deutlicher Einfluss des Portugiesischen etwa durch Entlehnungen oder die Übernahme von als „unkreolisch“ empfundenen, akrolektalen Strukturen abgelehnt, um den Ausbau nicht durch eine standardportugiesische Überformung zu gefährden und die Eigenständigkeit des Kreolischen auch durch grammatische wie lexikalische Distanz zu signalisieren. Auf den Kapverden wird als Element der Standardsprachenideologie also vor allem die Forderung nach Reinhaltung der Prestigesprache und Trennung zwischen den Sprachen wirksam. Brought to you by | Freie Universität Berlin Authenticated Download Date | 1/20/18 10:54 AM 14 | Matthias Hüning und Philipp Krämer 3.1.3 Mauritius Die Insel Mauritius im Indischen Ozean war lange Zeit französische Kolonie, bis sie im frühen 19. Jahrhundert an Großbritannien fiel. Die Unabhängigkeit erlangte das Land im Jahr 1968. Trotz der langen britischen Kolonialzeit blieb das Französische fast unverändert präsent. Sowohl Englisch als auch Französisch sind de facto offizielle Sprachen, ohne dass dies jedoch gesetzlich ausführlich geregelt wäre. Das Englische spielt dabei vor allem in Politik und Justiz eine Rolle, während das Französische eher in Medien und Kultur bedeutsam ist und weiterhin als wichtige Bildungssprache angesehen wird. In jüngster Zeit erhalten die beiden europäischen Sprachen zunehmend Konkurrenz, seit das Kreolische an Verwendungsdomänen hinzugewinnt. Bisher wirkte die Bedeutung des Morisyen als französisch-basierte Kreolsprache eher stabilisierend vor allem für die Verwendung des Französischen, das als historisch verwandte Sprache leichter vermittelbar war als das Englische. Inzwischen ist das Kreolische aber im öffentlichen Leben immer stärker akzeptiert, und es wurde 2012 als Schulsprache eingeführt (Stein 2012). Dazu wurde in den vorausgehenden Jahren eine verbindliche Norm erstellt, die nun gelehrt und im Unterricht genutzt wird. Zwar wurde in den Schulen schon seit langer Zeit auch Kreolisch gesprochen – eine Praxis, die akzeptiert war –, es gab allerdings keine systematische Begleitung und Förderung des schulischen Sprachgebrauchs etwa durch Schrifterwerb. Die Sprachen der im 19. Jahrhundert verpflichteten Vertragsarbeiter wie beispielsweise Chinesisch oder das indische Bhojpuri können als Wahlfächer belegt werden, sind ansonsten aber vor allem innerhalb der jeweiligen Community relevant. Zur gruppenübergreifenden Verständigung dient üblicherweise das Kreolische, das von praktisch allen Bevölkerungsschichten und -gruppen beherrscht wird (Stein 1982: 127ff.). Ein lokaler Standard der beiden Kolonialsprachen hat sich in den vergangenen Jahrhunderten nie herausgebildet. Ähnlich wie auf den Kapverden waren auch hier die europäischen Normen maßgebend, und lokale sprachliche Einflüsse wurden als Interferenzen abgelehnt. Durch die Stärkung und Förderung des Kreolischen könnte es in Zukunft zu einer Umlenkung der Standardsprachenideologie kommen. Schützt diese im Augenblick noch die Verwendung des Englischen und Französischen, so ist bereits jetzt eine wachsende Unterstützung des Kreolischen spürbar. Mit der Schaffung eines eigenen kreolischen Standards könnten damit mittelfristig dieselben Forderungen an das Morisyen gerichtet werden, die gegenwärtig die europäischen Sprachen treffen. Brought to you by | Freie Universität Berlin Authenticated Download Date | 1/20/18 10:54 AM Standardsprachenideologie als Exportprodukt | 15 Englisch & Französisch Kreolisch Chinesisch, Bhojpuri etc. Abbildung 4: Postkoloniale Sprachkonstellation in Mauritius. 3.1.4 Aruba, Bonaire, Curaçao (ABC-Inseln) Die drei karibischen Inseln Aruba, Bonaire und Curaçao vor der Küste Venezuelas waren lange Zeit niederländische Kolonien. Heute sind Aruba und Curaçao jeweils eigene autonome Länder als Glieder des Königreichs der Niederlande, während Bonaire inzwischen eine niederländische Gemeinde mit Sonderstatus ist. Nicht nur in der politischen Anbindung, sondern auch in der soziolinguistischen Konstellation unterscheiden sich die Inseln zum Teil erheblich. Niederländisch und die iberoromanisch-basierte Kreolsprache Papiamentu sind offizielle Sprachen, daneben spielt das Englische als Wirtschafts- und Tourismussprache und zunehmend auch das Spanische als Sprache der umliegenden lateinamerikanischen Länder eine wichtige Rolle (Mijts 2007). Auf Aruba hat inzwischen das Englische in vielen Bereichen das Niederländische fast verdrängt, während das Spanische vor allem auf Curaçao stark ist. Das Niederländische ist am stabilsten auf Bonaire, welches politisch am stärksten an die Niederlande angebunden ist. Das Papiamentu hat in den meisten Verwendungsbereichen gegenüber den europäischen Sprachen deutlich an Raum gewonnen. Mit einer jeweils unterschiedlichen Orthographie ist es standardisiert und fest etabliert,13 sowohl im öffentlichen Leben als auch in Politik, Medien und Bildung. Die Stellung des Papiamentu wird kaum noch in Frage gestellt. Dies hat zur Folge, dass das Prestige und die Dominanz insbesondere des Niederländischen immer weiter abnehmen. Die Standardsprachenideologie ist inhärent davon || 13 Unter anderem ist auch die Schreibweise der Sprachbezeichnung verschieden: Auf Aruba schreibt man Papiamento, auf Bonaire und Curaçao Papiamentu. Brought to you by | Freie Universität Berlin Authenticated Download Date | 1/20/18 10:54 AM 16 | Matthias Hüning und Philipp Krämer abhängig, dass der vermeintlich höherwertigen Sprache gewisse Gebrauchsdomänen exklusiv zustehen. Englisch, Spanisch Niederländisch Papiamentu/o Abbildung 5: Postkoloniale Sprachkonstellation der ABC-Inseln. Nur so lässt sich begründen, dass der Standard einen Wertvorsprung gegenüber anderen Sprachformen hat, die in den gesellschaftlich relevanten Bereichen nicht einsetzbar sind. Dringt nun eine neue Sprache mit neu etabliertem Standard in diese Bereiche vor, kann diese Exklusivität nicht mehr aufrecht erhalten werden. Stattdessen kann aber durchaus die ideologisch bedingte Wertzuschreibung auf lange Sicht umgelenkt werden und zukünftig eher dem Papiamentu anstelle des Niederländischen zugutekommen. 3.2 Unterschiedliche Kräfteverhältnisse und Konstellationen In keinem der Fälle ist eine Kolonialsprache die einzige verwendete Sprache. Dadurch wird die Standardsprachenideologie in einem ihrer Hauptfaktoren besonders problematisch: Da (post)koloniale Gesellschaften in der Regel immer von intensivem Sprachkontakt geprägt sind, gerät die Forderung nach Reinhaltung des Standards – ein zentrales Element der Standardsprachenideologie (Brunstad 2003) – in erhebliche Schwierigkeiten. Waren die sozialen wie sprachlichen Hierarchien in der kolonialen Ära stets klar und starr festgelegt, in vielen Fällen auch durch Gewaltanwendung fixiert, so wandeln sich seit der Dekolonialisierung die Gesellschaften rapide und tiefgreifend. Damit gerät auch das Sprachengefüge in Bewegung. Auf den ABC-Inseln ist dieser Wandel bereits so weit fortgeschritten, dass die Standardsprachenideologie für das Niederländische praktisch nicht mehr aufrecht erhalten werden kann: Dem Exklusivitäts- Brought to you by | Freie Universität Berlin Authenticated Download Date | 1/20/18 10:54 AM Standardsprachenideologie als Exportprodukt | 17 anspruch der „alten“ Standardsprache steht nun die Präsenz der „neuen“ Standardsprache entgegen, die sich längst in vielen Diskursdomänen bewiesen und bewährt hat. Auf Mauritius und den Kapverden ist ein solcher Prozess in verschiedenen Stadien auf dem Weg: Mit der Standardisierung des Morisyen und dessen Einführung in der Schule steht die Dominanz der europäischen Norm des Französischen und Englischen deutlich in Frage. Die Förderung des Kabuverdianu dagegen scheint seit einiger Zeit zu stagnieren, wobei die Dominanz des Portugiesischen dennoch längst nicht unhinterfragt bleibt. In Suriname ist ein derartiger Wandel praktisch nicht wahrnehmbar. Nur eine sanfte Verschiebung der ideologischen Haltung vom europäischen zum surinamischen Standard des Niederländischen scheint denkbar. Vorschläge einer Kodifizierung und Stärkung des Sranan hatten bisher keinen Erfolg und genießen wenig Unterstützung. Die Diskussionen um eine Aufwertung bisher nicht standardisierter und häufig nur mündlich gebrauchter Sprachen teilen üblicherweise eine Reihe von Kernfragen. Dies beginnt mit der Überlegung, ob nicht-standardisierte Sprachen überhaupt als „echte“ Sprachen gelten dürfen. Terminologisch werden sie häufig mit Bezeichnungen wie Dialekt, patois oder Idiom abgegrenzt, während der Begriff Sprache von der Standardisierung und schriftlichen Verwendung abhängig gemacht wird. Wird dagegen der Ausbau und die Normierung der bisher weniger prestigeträchtigen Sprachen angestrebt, bleibt stets zu klären, wer die Legitimität besitzt, Normen zu schaffen, und welches Ziel damit verfolgt werden soll. Im Mittelpunkt steht dabei meist der Einsatz im Bildungssektor, um im jungen Alter das Lernen und den Schrifterwerb in der Erstsprache zu ermöglichen, anstatt Kinder sofort mit einer für sie wenig vertrauten Sprache zu konfrontieren.14 Welche Diskursdomänen für eine neue Standardsprache freigegeben werden, ergibt sich je nach gesellschaftlicher Konstellation auf unterschiedliche Weise. So nutzt etwa die gedruckte Presse der ABC-Inseln inzwischen umfassend das Papiamentu, während das Morisyen bisher noch wenig in den schriftlichen Medien angekommen ist, sondern nur im Rundfunk in nennenswertem Umfang vorkommt. Auch das Gegenstück der Standardsprachenideologie, nämlich die Natürlichkeitsideologie, lässt sich in Europa und Nordamerika ebenso nachweisen wie in den (ehemaligen) Kolonialgebieten. Man geht davon aus, dass die legitime || 14 Zentral ist hier u.a. die Bereitstellung geeigneter Lernmaterialien, die wiederum von Ausbau und Standardisierung abhängig ist. Vgl. hierzu die Initiative zur Erstellung von Unterrichtsmaterialien für Mathematik und naturwissenschaftliche Fächer auf Kreolisch in Haiti (DeGraff 2013). Brought to you by | Freie Universität Berlin Authenticated Download Date | 1/20/18 10:54 AM 18 | Matthias Hüning und Philipp Krämer und „eigentliche“ Sprache die unverfälschte, im täglichen Gebrauch durch Muttersprachler ohne einengende Normierung etablierte Form sei. Gerade den Muttersprachlern, die ohne unmittelbare Reflexion aufgrund ihres Sprachgefühls unbeeinflusst von Regelvorgaben sprechen, kommt dabei die Rolle der Referenzgeber zu. Nicht selten wird deshalb diese Natürlichkeitsideologie auch als „native speaker ideology“ bezeichnet. Dies ist beispielsweise beobachtbar bei der Betrachtung des Afrikaans im 19. Jahrhundert und den Diskussionen um seine Standardisierung. In diesem Prozess wurde angeführt, dass die Schriftsprache sich an der gesprochenen Sprache orientieren und deren steten Wandel mit vollziehen müsse, anstatt umgekehrt das Gesprochene dem Geschriebenen zu unterwerfen. Deshalb solle ein neuer Standard des Afrikaans sich nicht am Schriftgebrauch des literarischen Niederländischen Europas orientieren, sondern aus der zeitgenössischen Alltagssprache neu hervorgehen. Dennoch wird auch hier die Entstehung einer „Kultursprache“ mit Verschriftlichung gleichgesetzt und die Aufwertung und Anerkennung einer Sprache mit deren Erhebung in den Stand der Schriftsprache verknüpft. Bei dieser Etablierung grundlegender Sichtweisen auf einen neu zu schaffenden Standard fungierten, wie Noordegraaf (2010: 62) es ausdrückt, die Niederländer als „Durchreiche für internationale Vorstellungen davon, was Sprache ist“. Diese Entwicklung in den Ansichten über Afrikaans im 19. Jahrhundert zeigen, wie grundlegende Sprachkonzeptionen nicht nur im kolonialen Kontext transferierbar sind, sondern auch bei der Verschiebung von Prestige und der Schaffung neuer Normen auf eine andere Sprachform übergehen können. Für den Fall der kürzlich standardisierten Kreolsprachen wie Papiamentu und Morisyen ebenso wie für das Standardniederländische von Suriname sind Parallelen zu diesem Prozess gut denkbar. Widerstände gegen eine Aufwertung der nicht-standardisierten Sprachen werden nicht selten auch mit Argumenten untermauert, welche diesen Sprachen zunächst sehr zugewandt scheinen. Die genannte Natürlichkeitsideologie liefert dabei wichtige Grundlagen: So wird etwa vorgebracht, dass die lokalen Sprachen in einem ursprünglichen, „natürlichen“ Zustand erhalten werden sollten, anstatt sie durch vermeintlich künstliche Normen und unübliche Verwendungsbereiche zu verfälschen. In diesem Falle wird eine Entwicklung, wie sie die Befürworter eines oralitätsbasierten Standards des Afrikaans vorsahen, als unmöglich oder unerwünscht betrachtet. Die Furcht vor einer Gefährdung der Natürlichkeit wird insbesondere mit der Verschriftlichung verbunden, die den Standardsprachen zwar zu ihrer notwendigen Dauerhaftigkeit verhelfen soll, den vermeintlich „natürlicheren“ Spra- Brought to you by | Freie Universität Berlin Authenticated Download Date | 1/20/18 10:54 AM Standardsprachenideologie als Exportprodukt | 19 chen dagegen ihren Freiraum raube. Ebenso wie die kolonialen Standardsprachen sollen auch die lokalen Sprachen von fremden Einflüssen freigehalten werden – darunter zählen vor allem Neologismen oder Entlehnungen, insbesondere wenn beispielsweise eine Kreolsprache mit der Kolonialsprache historisch verbunden ist und dadurch der Wortschatz für gegenseitige Einflüsse besonders gut zugänglich ist. Die Argumentation enthält nicht selten ein offenkundig tautologisches Element: Die lokalen Sprachen seien für die Funktionen einer Standardsprache nicht geeignet, weil sie zu variabel seien. Ihnen fehle also die Einheitlichkeit einer Standardsprache etwa aufgrund dialektaler Variation oder ständigen Wandels. Dies gilt als Hindernis für die Etablierung von Normen, welche eigentlich die Variation überdachen sollen. Derartige Haltungen erscheinen den präkolonialen oder kreolischen Sprachen gegenüber zwar vordergründig sehr geneigt, durchbrechen aber letztendlich trotzdem nicht die etablierte Hierarchie. Soweit den nicht-standardisierten Sprachen ein Wert zugestanden wird, bleibt dieser stets auf einer folkloristischen Ebene. Die lokalen Sprachen haben zwar ihre Berechtigung, jedoch nur mit Einschränkungen: Sie sollen ihren ursprünglichen Verwendungskontexten vorbehalten bleiben und keine Ausdehnung auf Kosten der dominanten Standardsprachen erfahren.15 Mit derartigen Einschränkungen wurde bereits im 19. Jahrhundert operiert, wenn etwa das aufkommende wissenschaftliche Interesse an Kreolsprachen gerechtfertigt wurde, ohne die Vorherrschaft des Französischen oder Englischen in Frage zu stellen (Krämer 2014: 48, Walicek 2014: 63f.). 4 Fazit In Europa scheint sich in vielen Gesellschaften das Sprachgefüge dergestalt zu verändern, dass die nationalen Standardsprachen durch die Stärkung internationaler Sprachen ebenso wie durch Einflüsse regionaler und multiethnischer Variation an Terrain verlieren könnten. Davon ausgehend sieht van der Horst (2008) polemisch das „Ende der Standardsprachen“ als mögliches Zukunftsszenario. Ein eingängiges Beispiel ist das Englische, dessen Standard schon lange nicht mehr exklusiv mit Received Pronunciation, BBC und der Königin verknüpft wird. Am Aufstieg der World Englishes haben postkoloniale Gesellschaften erheblichen Anteil. Dies gilt nicht nur für den „inneren Kreis“ der inzwischen || 15 Prudent (1999: 135ff.) spricht am Beispiel von Martinique vom Widerspruch zwischen „créolophilie“ und „créolophobie“. Brought to you by | Freie Universität Berlin Authenticated Download Date | 1/20/18 10:54 AM 20 | Matthias Hüning und Philipp Krämer fraglos anerkannten Varietäten des Englischen etwa in den USA, in Irland oder Australien. Auch die jeweils individuellen Standardvarietäten der im 20. Jahrhundert entkolonialisierten Nationen wie Indien, Südafrika oder der karibischen Länder gewinnen an Legitimität (Bolton 2009: 304, Deuber 2013). Die ehemals „zählbare“ Sprache wird immer mehr unzählbar (van der Horst 2008: 263ff.), sie erhält mehrere Standards, die zwar einen gemeinsamen Kern haben, aber dennoch unverwechselbar regional sind – durchaus auch affirmativ unter Aufnahme von Kontaktphänomenen. Mag auch der sprachliche und kulturelle Zentralismus Frankreichs noch stark bleiben, unterliegt dennoch das Französische ähnlichen Tendenzen. Leichter fällt es anscheinend den Niederlanden und Portugal als im europäischen Kontext mittelgroße Nationen, diesen Verlust an Deutungshoheit über ein Sprach- und Kulturmodell zu akzeptieren. Die weltweiten plurizentrischen Sprachen sind häufig mit Kolonialgeschichte verbunden. Der Begriff plurizentrisch verweist bereits darauf, dass es verschiedene Schwerpunkte gibt, an denen Prestige und Normen zugewiesen werden, die sich durchaus spürbar voneinander unterscheiden können (Clyne 2004). Auf diese Weise wird mit der Entstehung des surinamischen Standards das Niederländische ebenfalls deutlich plurizentrisch über den europäischen Kontext Belgiens und der Niederlande hinaus. Das Hinzutreten eines zusätzlichen standardsprachlichen Zentrums der ABC-Inseln ist dagegen weniger wahrscheinlich. Dies gilt auch für das Portugiesische der Kapverden und Englisch sowie Französisch auf Mauritius, sofern der Ausbau der dortigen Kreolsprachen sich erfolgreich fortsetzt: Eine gefestigte, standardisierte Kreolsprache könnte auch dort der Entwicklung eines lokalen Standards des Englischen, Französischen oder Portugiesischen entgegenwirken, weil eine solche Varietät als Symbol nationalsprachlicher Eigenständigkeit dann nicht mehr unbedingt gebraucht wird. Man muss sich dabei jedoch vor Augen führen, dass ausgehend von den verschiedenen Zentren die Ränder unscharf bleiben. So sehr also auch in manchen postkolonialen Gesellschaften klare Standardsprachideologien vorherrschen, die klare Konturen und verbindliche Regeln suggerieren, sind doch die Übergänge häufig fließend: Das Niederländische von Suriname mag sich als eigener Standard gegenüber dem Niederländischen der Niederlande etablieren – dies ändert jedoch nichts daran, dass surinamisches Niederländisch deutlich wahrnehmbar auch in Europa gesprochen wird. Ähnliches gilt für das Portugiesische und Kreolische der Kapverden, denn beide Sprachen werden von einer zahlenmäßig starken Diaspora in Europa und Nordamerika benutzt, während die Strahlkraft Brasiliens mittelfristig das Portugiesische im Land stark beeinflussen dürfte. Brought to you by | Freie Universität Berlin Authenticated Download Date | 1/20/18 10:54 AM Standardsprachenideologie als Exportprodukt | 21 In solchen Sprachkonstellationen bleibt die Standardsprachenideologie mit einem deutlich vereinfachenden Bild der sprachlichen Kräfteverhältnisse klar hinter den Realitäten zurück. Dennoch ist sie nicht nur ein theoretisches Konstrukt, sondern sie hat spürbare Konsequenzen für die Bevölkerung: Bestehende soziale Hierarchien werden gefestigt und bestätigt. Das offensichtlichste Beispiel ist die Schulbildung von Kindern, die aufgrund der weiterhin wirksamen Vorstellung von den europäischen Standardsprachen als Bildungs- und Kulturträger in den Schulen Surinames oder der Kapverden in einer Sprache unterrichtet werden, die sie in ihrer Familie bis dahin praktisch nie kennengelernt haben und höchstens passiv beherrschen. Dies ändert sich erst langsam dort, wo man die tatsächlichen Erstsprachen der Kinder in den Schulen zur Wissensvermittlung nutzt und erkannt hat, dass man mithilfe dieser Sprachen auch die Beherrschung weiterer Sprachen wie etwa der europäischen besser fördern kann (Unesco 2008). In den verschiedenen postkolonialen Nationen besteht dabei ein deutlicher Zusammenhang zwischen dem Status der jeweiligen Kreolsprachen und dem Fortschreiten des Ausbaus und der Standardisierung. Dort, wo der Standard inzwischen eingeführt ist und sich bewähren konnte, ist die Kritik deutlich zurückgegangen, wie es sich am Beispiel der ABCInseln erkennen lässt und auch in Mauritius andeutet. Diese Unterschiede zeugen von der „Machbarkeit“ der sprachlichen Situationen, auch über die (sprach)ideologischen Barrieren hinweg. Nicht nur im Regelwerk des jeweiligen Standards ist Sprache ein „Menschenwerk“ (van der Sijs 2004), sondern auch Status, Prestige und Reichweite von Sprachen sind beeinflussbar und gestaltbar. Bleiben die Überzeugungen sprachlicher Hierarchien unangetastet, dann wird auch ein sozialer Wandel unwahrscheinlich. Werden die Überzeugungen jedoch hinterfragt und beispielsweise notwendige sprachliche Normen – seien es jene der europäischen Standardsprachen oder jene der neuen Ausbausprachen – von Wertunterscheidungen gelöst und als zweckmäßiges Mittel zur Überbrückung von Variation anerkannt, so kann auch der Abbau von sprachgebundenen sozialen Unterschieden gelingen. In einem solchen Prozess fällt nicht zuletzt der Linguistik eine entscheidende Rolle zu. Sie kann klären, welche Sprachideologien in den verschiedenen postkolonialen Sprechergemeinschaften vorherrschen, und welche Wirkungen sie dort entfalten. Sie kann zudem untersuchen, ob es einen gemeinsamen ideologischen Kern der Standardsprachenideologie gibt. Dies ist insbesondere wichtig für die Klärung der Frage, welche Verantwortung den europäischen Nationen zufällt. Gegebenenfalls kann der Abbau ideologischer Muster in den postkolonialen Gesellschaften unterstützt werden, indem auch in den ursprünglichen (oder ehemaligen) Zentren des Standards daran gearbeitet wird, Sprach- Brought to you by | Freie Universität Berlin Authenticated Download Date | 1/20/18 10:54 AM 22 | Matthias Hüning und Philipp Krämer hierarchien aufzulösen und sich vom Bild der überlegenen Normsprache zu distanzieren. Vor allem aber muss die Sprachwissenschaft sich dann der Frage stellen, ob sie selbst ebenfalls ideologisch gefestigte Standpunkte vertritt und unwillkürlich als Prämissen der eigenen Arbeit übernimmt.16 So ist es beispielsweise nicht unüblich, in der Dokumentation außereuropäischer Sprachen ebenfalls die möglichst „natürliche“ Varietät zu suchen und zu untersuchen, so dass auch hier erst die maximale Distanz von anderen Sprachen – vor allem der eigenen Standardsprachen – den Status des Untersuchungsobjekts als eigenständig bedingt. Nur wenn es gelingt, ein ausreichendes Maß an Selbstreflexion über die epistemologischen Apriori in die Forschungspraxis zu integrieren, kann die Linguistik in den sprachpolitischen Entscheidungen der Gegenwart mit der notwendigen Autorität auftreten. Die Sprachwissenschaft muss beweisen, dass sie selbst in der Lage ist, sich von den eingefahrenen Grundannahmen der Standardsprachenideologie zu lösen. Nur dann kann sie in der breiteren gesellschaftlichen Debatte glaubwürdig darauf hinwirken, dass die sprachpolitischen und soziolinguistischen Realitäten sich ändern. Literatur Auer, Peter & Li Wei (eds.) 2009. Handbook of multilingualism and multilingual communication. Berlin/New York: Mouton de Gruyter. Bolton, Kingsley. 2009. Varieties of world Englishes. In Braj B. Kachru, Yamuna Kachru & Cecil L. Nelson (eds.), The handbook of world Englishes, 289–312. Malden et al.: Wiley-Blackwell. Brunstad, Endre. 2003. Standard language and linguistic purism. Sociolinguistica 17. 52–70. Burke, Peter. 2004. Languages and communities in early modern Europe. Cambridge: Cambridge University Press. Chaudenson, Robert. 1992. Des îles, des hommes, des langues. Langues créoles – cultures créoles. Paris: L’Harmattan. Clyne, Michael G. 2004. Pluricentric languages. In Ulrich Ammon, Norbert Dittmar, Klaus J. Mattheier & Peter Trudgill (eds.), Sociolinguistics. An international handbook of the science of language and society, vol. 1, 296–300. Second edition. Berlin/New York: Walter de Gruyter. De Kleine, Christa. 2013. Dutch in Suriname. In Frans Hinskens & Johan Taeldeman (eds.), Language and space: Dutch, 841–858. Berlin/Boston: De Gruyter Mouton. DeGraff, Michel. 2013. Men anpil, chay pa lou: an nou sèvi ak lang kreyòl la pou bon jan edikasyon ak rechèch ann Ayiti. In Renauld Govain & Komite pou tabli Akademi Kreyòl || 16 Vgl. Krämer (2013) zu historisch ererbten Mustern in der heutigen Forschung zu Kreolsprachen. Brought to you by | Freie Universität Berlin Authenticated Download Date | 1/20/18 10:54 AM Standardsprachenideologie als Exportprodukt | 23 Ayisyen (eds.), Akademi kreyòl ayisyen: Ki pwoblèm? Ki avantaj? Ki defi? Ki anvi? Ak kòlòk entènasyonal sou Akademi Kreyòl Ayisiyen an, 133–166. Port-au-Prince: Éditions de l’Université d’État d’Haïti. Deuber, Dagmar. 2013. Towards endonormative standards of English in the Caribbean: A study of students’ beliefs and school curricula. Language, Culture and Curriculum 26(2). 109–127. Deumert, Ana. 2003. Standard languages as civic rituals – theory and examples. Sociolinguistica 17. 31–51. Diepeveen, Janneke & Matthias Hüning. 2016. The status of Dutch in post-colonial Suriname. In Daniel Schmidt-Brücken, Susanne Schuster & Marina Wienberg (eds.), Aspects of (post)colonial linguistics: Current perspectives and new approaches, 131–155. Berlin: De Gruyter Mouton. Dijk, Teun A. van 2001. Discourse, ideology and context. Folia Linguistica 35(1/2). 11–40. Ennis, Juan Antonio & Stefan Pfänder. 2013. Lo criollo en cuestión. Filología e historia. Buenos Aires: Katatay. Gal, Suzan. 2006. Migration, minorities and multilingualism: Language ideologies in Europe. In Clare Mar-Molinero & Patrick Stevenson (eds.), Language ideologies, policies and practices: Language and the future of Europe, 13–27. Basingstoke: Palgrave Macmillan. Gogolin, Ingrid. 2006. Linguistic habitus. In Keith Brown (ed.), Encyclopedia of language and linguistics, 194–196. Oxford: Elsevier. Hachimi, Atiqa. 2013. The Maghreb-Mashreq language ideology and the politics of identity in a globalized Arab world. Journal of Sociolinguistics 17(3). 269–296. Horst, Joop van der. 2008. Het einde van de standardtaal. Een wisseling van Europese taalcultuur. Amsterdam: Meulenhoff. Hüning, Matthias. 2013. Standardsprachenideologie. Über Sprache als Mittel zur Ab- und Ausgrenzung. In Emmeline Besamusca, Christine Hermann & Ulrike Vogl (eds.), Out of the Box: Über den Wert des Grenzwertigen, 105–122. Wien: Praesens Verlag. Hüning, Matthias, Ulrike Vogl & Olivier Moliner (eds.). 2012. Standard languages and multilingualism in European history. Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins. Jespersen, Otto. 1925. Mankind, nation and individual from a linguistic point of view. Oslo: Instituttet for Sammenlignende Kulturforskning. Krämer, Philipp. 2013. Creole exceptionalism in a historical perspective – from 19th century reflection to a self-conscious discipline. Language Sciences 38. 99–109. Krämer, Philipp. 2014. Die französische Kreolistik im 19. Jahrhundert. Rassismus und Determinismus in der kolonialen Philologie. Hamburg: Buske. Lang, Jürgen. 2014. Esboço de uma geografia linguística do crioulo caboverdiano. In Jürgen Lang (ed.), A variação geográfica do crioulo caboverdiano, 253–306. Erlangen: FAU University Press. Lopes, Amália. 2011. As línguas de Cabo Verde. Uma radiografia sociolinguística. Lissabon: Universidade de Lisboa (Tese de doutoramento). Mijts, Eric. 2007. Het Nederlands in de Nederlandse Antillen en Arube. In Jane Fenoulhet, Arie J. Gelderblom, Marja Kristel, Josine A. Lalleman, Lut Missinne & Jan Pekelder (eds.), Neerlandistiek in contrast. Bijdragen aan het Zestiende Colloquium Neerlandicum, 509– 518. Amsterdam: Rozenberg. Milroy, James. 2001. Language ideologies and the consequences of standardization. Journal of Sociolinguistics 5(4). 530–555. Brought to you by | Freie Universität Berlin Authenticated Download Date | 1/20/18 10:54 AM 24 | Matthias Hüning und Philipp Krämer Mufwene, Salikoko S. 2005. Créoles, écologie sociale, évolution linguistique. Paris: L’Harmattan. Mufwene, Salikoko S. 2008. Language evolution: Contact, competition and change. London: Continuum Press. Müller, Gesine. 2012. Die Koloniale Karibik. Transferprozesse in hispanophonen und frankophonen Literaturen. Berlin: De Gruyter. Noordegraaf, Jan. 2010. De bril van de taalkundige. Taalbeschouwing als overdracht van culturele waarden. In Marijke van der Wal & Eep Francken (eds.), Standaardtalen in beweging, 49–66. Münster: Nodus. Prudent, Lambert-Félix. 1999. Des baragouins à la langue antillaise. Analyse historique et sociolinguistique du discours sur le créole. Paris: L’Harmattan. Purvis, Trevor & Alan Hunt. 1993. Discourse, ideology, discourse, ideology, discourse, ideology… British Journal of Sociology 44(3). 173–499. Schneider, Edgar W. 2013. Contact Englishes and Creoles in the Caribbean. In Raymond Hickey (ed.), The handbook of language contact, 478–497. Malden etc.: Wiley-Blackwell. Sijs, Nicoline van der. 2004. Taal als mensenwerk: Het ontstaan van het ABN. Den Haag: Sdu. Silva, Tomé Varela de. 2014. Alfabétu Káuberdiánu. Un prupósta di skrita ku stória voltádu pa futuru. Praia: Instituto da Investigação e do Património Culturais. Stadlbauer, Susanne. 2010. Language Ideologies in the Arabic Diglossia of Egypt. Colorado Research in Linguistics 22. http://www.colorado.edu/ling/CRIL/Volume22_Issue1/paper_STADLBAUER.pdf. Stein, Peter. 1982. Connaissance et emploi des langues à l’îles Maurice. Hamburg: Buske. Stein, Peter. 2012. „Pourquoi et comment élaborer une orthographe pour des langues romanes non encore codifiées? Quelques réflexions comparatives à propos de la codification du ladin des Dolomites et du créole mauricien“ – und was sich in 20 Jahren geändert hat. In Carola Köhler & Fabio Tosques (eds.), (Das) diskrete Tatenbuch. Digitale Festschrift für Dieter Kattenbusch zu seinem 60. Geburtstag, 288–293. Berlin: Humboldt-Universität, Institut für Romanistik. Strobel-Köhl, Michaela. 1994. Die Diskussion um die „ideale“ Orthographie: Das Beispiel der Kreolsprachen auf französischer Basis in der Karibik und des Französischen im 16. und 20. Jahrhundert. Tübingen: Narr. Tan, Sherman. 2012. Language ideology in discourses of resistance to dominant hierarchies of linguistic worth: Mandarin Chinese and Chinese ‘dialects’ in Singapore. Australian Journal of Anthropology 23. 340–356. Torquato, Clóris Porto. 2011. As políticas linguísticas oficias em Cabo Verde pós-Independência: a construção da nação. Letras 21(42). 151–184. Trabant, Jürgen. 2002. Der gallische Herkules. Über Sprache und Politik in Frankreich und Deutschland. Tübingen/Basel: Francke. Unesco. 2008. Mother tongue matters: Local language as a key to effective learning. Ed. by. Dörthe Bühmann & Barbara Trudell. Paris: Unesco. Vogl, Ulrike. 2012. Multilingualism in a standard language culture. In Matthias Hüning, Ulrike Vogl & Olivier Moliner (eds.), Standard languages and multilingualism in European history, 1–42. Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins. Walicek, Don E. 2014. Thomas Russell’s grammar of ‘a stubborn and expressive corruption’. In Philipp Krämer (ed.), Ausgewählte Arbeiten der Kreolistik des 19. Jahrhunderts, 55–64. Hamburg: Buske. Brought to you by | Freie Universität Berlin Authenticated Download Date | 1/20/18 10:54 AM