Rezension zu: Becker, N. (2018). Die goldenen
Siegelringe der Ägäischen Bronzezeit. Heidelberg: Heidelberg University Publishing. 666 S.,
3 Taf., 49 Abb. u. 46 Tafeln. ISBN: 978-3947732128.
Fritz Blakolmer
Der zu besprechende Band behandelt die Gattung
der minoisch-mykenischen Goldsiegelringe nicht
nur in umfassender Weise, sondern auch nach allen heute gängigen Fragestellungen. Er stellt die
publizierte Version der 2015/2016 an der Universität Heidelberg abgeschlossenen Dissertation
von Nadine Becker dar, baut auf dem dort beheimateten Corpus der minoischen und mykenischen
Siegel (CMS) auf und bildet eine nahezu erschöpfende Darstellung und Analyse dieser prestigeträchtigsten, vielseitigsten und somit ‚krönenden’
Gattung der frühägäischen Siegelglyptik.
Diese sehr systematische Studie beginnt mit
einleitenden Überlegungen (Kapitel I) zu Material,
Fragestellungen und verwendeten Methoden sowie
einer Forschungsgeschichte, wobei die zahlreichen
Eigenheiten von goldenen Siegelringen als frühägäische Fundgattung deutlich vor Augen geführt
werden. Dazu zählt etwa das Spezifikum, dass Metallringe – ähnlich wie auch Siegelsteine – einerseits
in corpore überliefert, andererseits in noch größerer
Zahl als Abdrücke auf Tonplomben bezeugt sind.
Folgende Kriterien für die Zuweisung von Siegelabdrücken an metallene Ringschilde werden von
Verf. definiert: ovale Siegelform, konkave Bildachsen, Abdrücke von Ringbügel oder Metallstiften
und detailreiche Treibarbeit in flachem Relief (S.34–
37). Dadurch gelingt es Verf., die Primärevidenz
von 99 ägäischen Siegelringen (R 1–99) um nicht
weniger als 252 Ringabdrücke (A 1–252) zu erweitern, wie dies bereits in der bisherigen Forschung
versuchsweise unternommen wurde.
Auf technologischer Grundlage nähert sich
Verf. in Kapitel II Fragen zur Herstellungstechnik
an und gliedert die frühägäischen Siegelringe typologisch grob in vier Gruppen: massive Ringe, Ringe
mit Intaglio, Ringe mit Hohlkern und bimetallische
Ringe. Überzeugend wird für eine Entstehung der
Goldringe aus den älteren Bronze- und Silberringen im MM II-zeitlichen Kreta argumentiert. Die
Typologie nach der Gestaltung des Ringbügels
(Reif) – gut veranschaulicht durch die Synopse auf
S. 80 – ist logisch durchdacht, auch wenn mehrere
Bügelvarianten bislang nur durch ein Exemplar bezeugt sind. Durchwegs überzeugend sind die vorgenommenen Zuweisungen von zwei oder mehr
Ringen zu einer Werkstatt, basierend auf folgenden
Kriterien: nur geringe Abweichungen in Größe, GeEingereicht: 25. Juli 2019
angenommen: 6. August 2019
Rezensionen
online
publiziert: 10. Aug. 2019
wicht, Materialzusammensetzung und Bügeldekor,
Kontextnähe und eine stilistische Ähnlichkeit der
Motivgestaltung (S. 87). Von besonderem Interesse
sind die Beobachtungen von Verf. zu vereinzelten
Vorzeichnungen in Form fein geritzter Linien auf
mehreren Goldringen (S. 100–104).
In Kapitel III (Kontextanalyse) wird eine Annäherung an den Besitzer bzw. die Besitzerin eines
Siegelringes durch die Fundkontexte versucht.
Dies betrifft primär sepulkrale Kontexte mit ihren
vielfältigen Auswertungsmöglichkeiten, aber auch
das Auftreten von Ringen in Horten sowie im minoischen Heiligtum von Kato Symi. Die Diskussion
zu den Beispielen aus Grabkontexten bestätigt nach
detaillierter Auswertung, dass Goldringe Angehörigen der minoischen und mykenischen Elite zuzuordnen sind. Auch wenn dies noch nie in Zweifel
gezogen wurde, macht eine solche Überprüfung
durchaus Sinn und führt uns einmal mehr die
Probleme einer konkreteren Kontextualisierung
ägäischer Preziosen vor Augen. In der simplifizierenden Sichtweise, dass alle in Gräbern bezeugten
Siegelringe in der Verwaltung an der jeweiligen
Stätte zum Einsatz kamen (S. 119), wird man Verf.
nicht folgen können.
Kapitel IV (Funktionsanalyse) ist Ringabdrücken auf diversen Typen von Tonplomben und
deren Verständnis in unterschiedlichen ‚Archiven’ und verwandten administrativen Kontexten gewidmet. Nach Fundorten gegliedert wird
der Wandel in der Siegelnutzung vom MM IIBzeitlichen Kreta bis zum palastzeitlichen mykenischen Festland verfolgt. Die quantitative Auswertung im neopalatialen Kreta veranschaulicht
gut die Heterogenität des Fundmaterials sowie
die Variabilität der Plombentypen (S. 216). Der
Vorschlag, die Abdrücke der sog. ‚Knossos-Replikenringe’ aus SM IB-Kontexten in Sklavokampos, Agia Triada, Kato Zakros und Chania seien
wegen des Fehlens von Abnützungsspuren und
Nachgravuren gleichen Datums wie jene im SM
IA-zeitlichen Akrotiri und folglich in den jeweiligen Verwaltungsräumen Jahrzehnte hindurch
aufbewahrt worden (S. 235), ist zwar originell,
doch wirft dieses Modell mehr Probleme auf als
die Annahme eines längeren Nutzungszeitraums
der Ringe. In diesem Zusammenhang ist nachzutragen, dass mit dem in der Bibliografie nicht
aufgeschlüsselten Sigel „Goren – Panagiotopoulos
2009“ wahrscheinlich der Artikel Panagiotopoulos & Goren 2008 gemeint sein dürfte.
Die Bildmotive ägäischer Goldringe werden,
nach Motivgruppen geordnet, in Kapitel V chronologisch abgehandelt und dabei Bildthemen, Kompositionsweisen und stilistische Details vergleichend
Archäologische Informationen 42, 2019, 342-345
CC BY 4.0
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Becker, N. (2018). Die goldenen Siegelringe der Ägäischen Bronzezeit.
erörtert. Ein solcher Survey durch die Ikonographie
der Ringmotive birgt in diesem Rahmen die Gefahr
eines ziellosen Flanierens durch die Darstellungen
mit beliebigem Schwerpunkt, und die weitgehende
Beschränkung auf Goldringe erweckt den falschen
Eindruck, als läge hier eine von den anderen frühägäischen Bildgattungen unabhängige Ikonographie vor. Dieses das Thema abrundende Kapitel
vermittelt einen gewissen Überblick über das motivische und thematische Spektrum sowie Tendenzen
der Entwicklung dieser Bildgattung.
Dem Problem einer „Unterscheidung zwischen
minoischen und mykenischen Siegelringen anhand von
Stildifferenzen“ ist Kapitel VI gewidmet. Es beginnt
mit dem Herausarbeiten ‚minoischer’ und ‚mykenischer’ Spezifika (VI 1): Vor allem basierend auf
den Beobachtungen von J. Hooker, I. Pini und W.D. Niemeier definiert Verf. Unterschiede in der
Figurengestaltung, der Bildkomposition, den Bildthemen wie auch in Form und Größe der Ringe. Im
zweiten Teil dieses Kapitels (VI 2) werden chronologische Einordnung und Zuweisung der einzelnen Ringe (auch der durch Abdrücke überlieferten
Ringe) zu ihrer möglichen Ursprungsregion (Kreta, mykenisches Festland) und an die Entwicklungsperioden von MM III bis SM/SH IIIB vorgenommen, und zwar summarisch sowie teils auch
unter Abwägung der Argumente, wobei ein verblüffend lebendiges Bild gezeichnet wird; warum
dies verblüfft, wird hier später erklärt. Dabei werden etwa die beiden Goldringe aus Schachtgrab IV
in Mykene wegen bzw. trotz minoischer Herstellungstechnik und Gravur als von einer minoischen
Werkstatt auf dem Festland „auf Wunsch einer mykenischen Klientel“ produziert (S. 303) und drei der
vier Ringe aus dem Grab des ‚Griffin Warrior‘ in
Pylos als ‚mykenisch‘ (S. 286, 299) klassifiziert.
Im letzten, mit „Fazit“ überschriebenen Kapitel
werden aus den vorangegangenen Beobachtungen
abgeleitete Überlegungen zum individuellen bzw.
gruppenspezifischen Prestigewert frühägäischer
Siegelringe (und ihrer Bildmotive) angestellt. Die
Objektgattung wird per se palatialen Werkstätten
zugewiesen und die ‚Knossos Replikenringe’ als
Beamtensiegel mit langer Verwendungszeit interpretiert, d. h. anders als in Kapitel IV von Verf.
angenommen. Aus der Abdruckhäufigkeit wird
eine solche exklusive Rolle überzeugend auch einer Gruppe von Ringmotiven, die eine Prozession
von männlichen und weiblichen Würdenträgern
zeigen (A 124–134), zugewiesen (S. 320; dazu auch
Blakolmer, 2018). Als interessanter weiterführender Aspekt wird abschließend die Bedeutungsmöglichkeit eines Goldringes als verliehene Amtsinsignie thematisiert.
Der umfangreiche Katalogteil enthält alle wesentlichen Informationen, Literatur sowie eine
kurze Erörterung individueller Diskussionspunkte. Der Katalog wie auch der darauf folgende
Abbildungsteil präsentieren die Siegelringe und
Ringabdrücke nach ikonographischen Motivgruppen und darin nach chronologischer Zuordnung,
was ebenso mutig wie sinnvoll und im Interesse
der Benutzer/innen ist und lediglich den Nachteil
aufweist, dass Ringe aus demselben Kontext weit
entfernt voneinander aufscheinen. Die Bibliografie
ist auf dem aktuellen Stand. Auch wenn neueste
Funde wie jene aus dem Grab des ‚Griffin Warrior’
in Pylos in der Arbeit mitbehandelt werden, fehlt
der aufschlussreiche Goldring aus Mylopotamos
(PaPadoPoulou, 2011). Eine Konkordanz mit den
CMS-Nummern beschließt den Band.
Diesem Band kommt das große Verdienst einer
ganzheitlichen Untersuchung der frühägäischen
Goldringe unter Berücksichtigung von Aspekten
wie Technologie, Ringtypologie, Plombentypen,
Ikonographie und Stil sowie der Einordnung der
Beispiele zu, und dies mit umfangreichem Einsatz
statistischer Methodik. Hervorzuheben ist dabei die
mutige Zuweisung gestempelter Tonplomben an
Goldringe, da die Zuordnung von Abdrücken an
Metallringe oder Siegelsteine in der Forschung stets
sehr uneinheitlich ausfiel (dazu z. B. S. 179 mit Anm.
747 und S. 195). Die erstellten Typologien der Ringund Bügelformen sowie die handwerklichen Beobachtungen an einzelnen Stücken bilden wohl die
wichtigsten Ergebnisse dieser Studie. Die Stärken
der Verf. liegen in der Darlegung der Forschungsprobleme, dem systematischen Zusammentragen
der Informationen und der bisherigen Ideengeschichte sowie ihren Beobachtungen im Zuge der
Materialautopsie. Die Behandlung der Ikonographie und der zahlreichen damit verbundenen Fragestellungen steht nicht im Vordergrund dieser Studie, und entsprechende Kapitel weisen eine Reihe
von Schwachstellen auf. Dessen ungeachtet gelingt
es Verf. mit diesem Band, ein komplexes, zeitgemäßes Bild dieser Gattung zu präsentieren und dieses durch eigene Beobachtungen zu bereichern.
Der Problematik von Fälschungen ist zwar
kein eigenes Kapitel gewidmet, doch wird im
Katalogteil fallweise dazu Stellung genommen.
Interessant ist, dass die Echtheit von R 98 mit
‚Epiphanieszene’ in Berlin (CMS XI, Nr. 28) angezweifelt wird (S. 66, Anm. 188, 448–489). Der sog.
‚Nestor-Ring’ wird als genuin ‚minoisch’ beurteilt
(S. 311, 389–390). Nach Ansicht des Rez. ist die
Authentizität des als ‚mykenisch’ klassifizierten
Goldringes R 77 (CMS II3, Nr. 326) aus ikonographischen Gründen nach wie vor zweifelhaft.
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Fritz Blakolmer
Auch wenn der vorliegende Band in Themenstellung und Ausführung von großem Engagement der Verf. zeugt, weist er inhaltliche Mängel,
argumentative Schwachstellen und sprachliche
Eigenwilligkeiten auf, und zwar in einem Ausmaß, dass in einer Rezension nicht darüber hinweggegangen werden kann. Unverständlich ist,
warum die minoischen und mykenischen Steinsiegel (und ihre Abdrücke) als Informationsquelle in dieser Studie weitgehend ungenutzt bleiben.
Selbst bei Fragen zur Ikonographie zieht Verf.
eher Vergleiche mit anderen Bildgattungen als
mit Siegelsteinen, obgleich hier – abgesehen von
der Technik – in vielerlei Hinsicht die größte Gattungsnähe besteht. So ist etwa das Phänomen,
dass Goldsiegelringe paarweise als Set einzelnen
Bestatteten beigegeben werden konnten (S. 138),
auch für Siegelsteine in Zweier- und Dreier-Gruppen in Elitegräbern der Peloponnes bezeugt (rehak & Younger, 2000, bes. 293). Die Terminologie
wird in dieser Arbeit oft eigenwillig und inkonsistent verwendet, wenn etwa unter dem Begriff
der kretischen ‚Neupalastzeit’ die Perioden MM
III bis SM IIIA2 subsumiert oder ‚minoische’ und
‚mykenische’ Siegelringe als zwei unterschiedliche „Gattungen“ oder „Stile“ (S. 298) bezeichnet
werden. Bisweilen erscheint die Argumentation
skizzenhaft, vor allem beim Umgang mit Statistiken bei geringer Datenmenge. Tiryns mit seinen zwei Goldringen aus einem jüngeren Hortfund kann schwerlich gemeinsam mit Mykene als
Zentrum der festländischen Produktion von Siegelringen gelten (S. 121–122). Da sich die quantifizierende Auswertung durch alle Untersuchungsschritte dieser Arbeit zieht, wäre die Aufnahme
einer größeren Zahl synoptischer Tabellen der
Veranschaulichung und Transparenz der Ergebnisse dienlich gewesen. Die Schlussfolgerung aus
Fundkontext und (selbst erstellter) Ringtypologie
auf die Entstehungszeit eines Stückes (z. B. S. 259)
birgt die Gefahr eines Zirkelschlusses. Wenn etwa
bei einigen Ringmotiven aus Sklavokampos „eine
sehr feingliedrige Linienführung und eine gekonnte
Bildkomposition“ als Indizien für die Herstellung
in Knossos formuliert werden (S. 206), so könnte
Verf. damit zwar durchaus das Richtige treffen,
doch vermag eine solche Argumentation heute
schwerlich zu überzeugen. Wenig glaubhaft ist,
dass Köpfe, die nicht anikonisch wiedergegeben
sind, von Verf. pauschal als Indiz für eine ‚mykenische‘ Arbeit gewertet werden, selbst wenn bloß
mit der „deutliche[n] Ausarbeitung der Nasenpartie“
argumentiert wird (S. 304). Zuweisungen an eine
„mittelhelladische Formensprache“ (S. 250, 294, 303)
dürften auf einem Missverständnis beruhen. Be-
Rezensionen
urteilungen wie jene, dass das Siegelbild A 145
„beim Betrachter ein sofortiges Gefühl des Mitleids
hervorruft“ (S. 264), hätten selbstkritisch hinterfragt werden sollen. Auch die beiden Rinder auf
A 162 (CMS II6, Nr. 58) als Rindergespann (ohne
Wagen) zu interpretieren (S. 265), ist wenig glaubhaft. Widersprüchliche Aussagen, wie jene, dass
Registerszenen, achtförmiger Schild, Kultknoten,
Tierköpfe und ‚Snake frame’ „ohne Zweifel mykenischer Natur [sind], obwohl alle Motive offensichtlich
bereits in der Kunst der Periode SM I bekannt waren“
(S. 293), lassen den Leser ratlos zurück.
Wissenschaftlich ungelenk sind Formulierungen und Schlussfolgerungen wie jene aus dem
spärlichen Auftreten von Siegeln in sakralen Kontexten, „dass Weihungen von Siegeln in Heiligtümern
also wahrscheinlich nicht die Regel waren“ (S. 156).
Irreführend ist die für isolierte Tiere als Bildmotiv gewählte Bezeichnung „Einzeltierszenen“ (z. B.
S. 199). Wenn Verf. auf S. 224 davon spricht, dass
„Kampfdarstellungen den Hauptteil der überlieferten
Siegelbilder“ der mykenischen Siegelringe ausmachen, sollte bedacht werden, dass es sich bei den
betreffenden sieben Beispielen aus Pylos nahezu
ausschließlich um die Konfrontation unbewaffneter Männer mit Löwen oder Greifen und nicht
um kriegerische Szenen handelt. Keineswegs humoristisch dürften Formulierungen wie „Stierspringer im Landeanflug“ (u. a. S. 231) oder die Zuteilung von Ringen an ihre Besitzer als „persönliche
Grabbeigaben“ (S. 320) gemeint sein, welche in ihrer
Häufigkeit das Textverständnis erschweren. Das
Tragen von Ringen mit geringem Reifdurchmesser
an Ketten als „schlichtweg falsch“ abzutun (S. 99),
hätte eine klare Begründung oder eine weniger
apodiktische Formulierung verdient. Auch steht es
nicht der Autorin zu, sondern sollte der Leserschaft
vorbehalten sein, ob die eigene erstellte Typologie
als „verständlichere und klarere Unterteilung“ (S. 66)
zu würdigen sei. Durch nochmalige kritische Lektüre und eine redaktionelle Überarbeitung wären
viele Fehler dieser Art vermeidbar gewesen.
Mit der über weite Strecken der Arbeit zu verfolgenden starren Gleichsetzung des Fundkontextes eines Stempelabdrucks mit der Entstehungsperiode des betreffenden Siegelringes unterschätzt
Verf. die vielfältigen Möglichkeiten einer individuellen Objektbiographie von Preziosen wie Goldringen. Die Problematik der sog. ‚Erbstücke’, worunter in der Forschung ganz allgemein ältere Objekte
in jüngeren Kontexten verstanden werden, diskutiert Verf. unter dem Aspekt einer „Vererbung von
Siegelringen“ im wörtlichen Sinn (bes. S. 143) und
spricht von einer bloßen „Erbstücktheorie“. Auf die
aufschlussreiche Evidenz der Ringabdrücke auf
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Becker, N. (2018). Die goldenen Siegelringe der Ägäischen Bronzezeit.
Tonplomben wird erst in einem späteren Kapitel
eingegangen (S. 199), was zu einander widersprechenden Ergebnissen führt. Auch dass Goldringe
nicht ausschließlich zum Stempeln und keineswegs zum kontinuierlichen Stempeln verwendet
werden brauchten, wird erst im Laufe der Arbeit
in Betracht gezogen. Das Phänomen der ‚Erbstücke’ lässt sich bei Preziosen in der gesamten
Frühägäis beobachten; I. PInI (1997, 82–91) konnte
etwa anhand der SH IIIB-Tonplomben aus Pylos
argumentativ darlegen, dass eine beträchtliche
Zahl der zum Stempeln verwendeten Siegel und
Siegelringe älteren Datums ist und teils sogar aus
dem neopalatialen Kreta stammt.
Verblüffend ist nun, dass im letzten Kapitel
VI 2 plötzlich, wenn auch auf der Basis der erarbeiteten Argumente, eine regionale und zeitliche
Einordnung von Ringen vorgenommen wird, bei
der sich Verf. über all ihre bisherigen starken Bedenken gegenüber ‚Erbstücken‘ und Importen
aus Kreta auf das mykenische Festland hinwegsetzt und ihre Zuordnungen – mit gehäuftem
Verweis auf Vorschläge von I. Pini und in den
CMS-Bänden – wesentlich lebendiger und plausibler erscheinen als das oft eingeschränkte Bild,
das sich auf den vorangegangenen 300 Seiten abzeichnete. Auch von der sich über die gesamte
Arbeit erstreckenden, simplifizierenden Gleichung ‚1 Siegel = 1 individueller Siegelbesitzer’
löst sich Verf. erst im abschließenden ‚Fazit’ und
bringt Siegelringe zu Recht teils mit Ämtern und
Funktionen in Verbindung.
Zusammenfassend sei festgehalten, dass dieser Band unverkennbar die Publikation einer sehr
engagiert verfassten Dissertation ist, der jedoch
ein gewisses ‚Setzen-Lassen‘ und eine (selbst-) kritische Distanz der Verf. zum Geschriebenen gutgetan hätte. Inhaltliche Homogenität und Konsistenz,
argumentative Linien und möglicherweise auch Ergebnisse hätten sich nach einem solchen Reifungsprozess wohl anders präsentiert. Dennoch bildet
dieses Buch zu einer bedeutenden Fundgattung der
Frühägäis eine grundlegende, vielseitig beleuchtende und anregende Studie, die für alle Forscher
auf dem Gebiet der minoisch-mykenischen Siegel
und Siegelringe von hoher Relevanz ist.
CMS I-XIII. F. Matz & I. Pini (Hrsg.) (1964-2009).
Corpus der minoischen und mykenischen Siegel. Berlin:
Mann.
Panagiotopoulos, D. & Goren, Y. (2008). Die Herren
der Ringe. Was gesiegelte Tonplomben über das
Herrschaftssystem des minoischen Kreta verraten.
Ruperto Carola, 3. http://www.uni-heidelberg.de/
presse/ruca/ruca08-3/dieh.html [15.7.2019].
Papadopoulou, E. (2011). Gifts to the Goddess. A Gold
Ring from Mylopotamos, Rethymnon. Mitteilungen
des Deutschen Archäologischen Instituts, Athenische
Abteilung, 126, 1-27.
Pini, I. (1997). Die Tonplomben aus dem Nestorpalast von
Pylos. Mainz: von Zabern.
Rehak, P. & Younger, J. G. (2000). Minoan and
Mycenaean Administration in the Early Late Bronze
Age: an Overview. In M. Perna (Hrsg.), Administrative
Documents in the Aegean and their Near Eastern
Counterparts, Proceedings of the International Colloquium
Naples, February 29-March 2, 1996 (S. 277-301). Torino:
Centro internazionale di ricerche archeologiche
antropologiche e storiche.
Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Fritz Blakolmer
Institut für Klassische Archäologie
Universität Wien
Franz Klein-Gasse 1
A - 1190 Wien
Fritz.Blakolmer@univie.ac.at
https://orcid.org/0000-0002-3215-7534
Literatur
Blakolmer, F. (2018). A ‘Special Procession’ in Minoan
Seal Images: Observations on Ritual Dress in Minoan
Crete. In P. Pavúk, V. Klontza-Jaklová & A. Harding
(Hrsg.), EUDAIMON. Studies in Honour of Prof. Jan Bouzek
(S. 29-50). Prag: Charles University, Faculty of Arts.
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