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Aufsehenerregender Fund in Dannau „Aufsehenerregender Fund Die Geschichte eines Schafskelettes Die Niederung um den Oldenburger Graben in Ostholstein gilt als Schleswig-Holsteins reichhaltigste Schatztruhe aus der Mittel- und Jungsteinzeit (Meso- und Neolithikum). Seit den 1970er Jahren werden dort diverse Siedlungsplätze mit wertvollen Funden und Befunden aus dem Spät- und Endmesolithikum (Ertebølle-Kultur) sowie dem Neolithikum (vor allem Trichterbecherkultur) entdeckt und sorgfältig untersucht. Dabei stand lange die denkmalpf legerische Notwendigkeit einer Ausgrabung und Funddokumentation im Mittelpunkt, denn ein regionaler Entwicklungsplan sieht die Wiedervernässung von weiten Teilen der vielfach künstlich trockengelegten Niederungslandschaft vor. Von diesen Renaturierungsplänen sind auch die bekannten mittelneolithischen Plätze bei Dannau, Kr. Plön, im westlichen Teil der Niederung betroffen. Als Probegrabungen durch Jürgen Hoika und seine Mitarbeiter vom Archäologischen Landesmuseum Schloss Gottorf in Schleswig (ALM) besonders auf dem Fundplatz Dannau LA 191 hervorragende Erhaltungsbedingungen nachwiesen, starteten dort 1979 und 1980 erste Ausgrabungskampagnen. Dabei wurde außer Befunden, Flint und Keramik auch organisches Material wie Pf lanzen- und Tierreste dokumentiert, denn J. Hoika war sich sicher: „Für den neolithischen Menschen [war] die natürliche Umwelt von ungleich größerer Bedeutung, als wir es heute ermessen können“. In der gleichen Tradition wurden diese erfolgreichen und vielversprechenden Untersuchungen 1996 und 1997 von Mitgliedern der „Forschungsgruppe Dannauer Graben“ unter Leitung von Joachim Kühl (Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein; ALSH) fortgesetzt. Auch hier traten neben archäologischen Befunden wie Siedlungsgruben, zahlreichen Pfostenlöchern und Feuerstellen Hunderte von Tierknochen zutage. Im Mittelneolithikum basierte die Fleischversorgung der Bevölkerung schon weitgehend auf Haustieren, während Fischerei und Jagd im Vergleich zur ältesten Trichterbecherkultur in der Region bereits wesentlich an Bedeutung verloren hatten. Deshalb verwunderte es nicht, dass die in Dannau entdeckten Funde vorwiegend von Rind, Schwein, Schaf und Ziege stammen. Stark zerschlagene Knochen mit zahlreichen Hieb- und Schnittspuren können als Schlacht- und Speisereste identifiziert werden. 82   Archäologische Nachrichten 2012 von Elena A. Nikulina und Ulrich Schmölcke Doch ein Fund erweiterte dieses Bild. In einer f lachen Grube unterhalb der steinzeitlichen Siedlungsschicht lag in einer Tiefe von 50 bis 100 cm ein vollständiges Skelett eines Schafs. „So etwas in seiner Komplettheit habe ich bislang noch nicht erlebt“, zitieren die Ostholsteinischen Nachrichten am 19. September 1997 unter der Überschrift „Aufsehenerregender Fund in Dannau“ den überraschten Ausgrabungsleiter J. Kühl. Seine Überraschung war umso größer, weil das Tier offenbar unmittelbar neben einer Steinpf lasterung, den Kopf auf die Steine gebettet, deponiert worden war. Damit deutete alles auf die Überreste einer Opferhandlung hin. Tieropferungen sind in unserem Raum besonders von der Bronze- oder Vorrömischen Eisenzeit bis ins frühe Mittelalter bekannt, bilden jedoch in der Steinzeit eine sehr seltene Ausnahme. So schien für den Fund ein prominenter Platz im Museum reserviert. Die Untersuchung des besonderen Fundes lief weiter. Wie üblich wurden auch naturwissenschaftliche Methoden herangezogen, insbesondere die 14C-Datierung. Als Pieter Grootes vom Leibniz Labor für Altersbestimmung und Isotopenforschung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel das Ergebnis der Radiokohlenstoffdatierung des Skelettes vorlegte, kam die Ernüchterung. Unter der Labornummer KIA 3608 teilte er mit, dass der datierte Knochen und damit das gesamte Skelett ein Radiokarbonalter von 150±30 Jahren aufweist. Unter Berücksichtigung der notwendigen Kalibrierung dieses Datums bedeutet dies, dass der „aufsehenerregende Fund“ aus der Zeit von 1810±108 stammt. Er ist damit wahrscheinlich napoleonisch, vielleicht sogar jünger. Damit war aus einer einmaligen steinzeitlichen Opferung ein neuzeitlich verscharrter Tierkadaver geworden, und anstatt einen prominenten Platz in der Ausstellung zu bekommen, verschwand das Skelett im Magazin des ALM. Erst im Jahr 2010, als am Zentrum für Baltische und Skandinavische Archäologie (ZBSA) ein Projekt zur Untersuchung der Kulturgeschichte der Schafe startete, geriet der vergessene Fund wieder in den Fokus der Forschung, denn obwohl das Datierungsergebnis bei den Steinzeitarchäologen nachvollziehbare Enttäuschung auslöste, ist der Fund aus zoologisch-haustierkundlicher Sicht durchaus von Interesse. Ein Vergleich mit Schaf knochen aus Dannau in Dannau“ – Das Dannau-Schaf in situ. Fotografie: Joachim Kühl, Jürgen Schüller   Archäologische Nachrichten 2012 83 Aufsehenerregender Fund in Dannau LITERATUR ALPAK u. a. 2009: H. ALPAK/V. ONAR/R. MUTUS, The relationship between morphometric and long bone measurements of the Morkaraman sheep. Turkish Journal of Veterinary Animal and Sciences 33, 2009, 199-207. HOIKA 1987: J. HOIKA, Das Mittelneolithikum zur Zeit der Trichterbecherkultur in Nordostholstein – Untersuchungen zu Archäologie und Landschaftsgeschichte (Neumünster). KÜHL 2003: J. KÜHL, Neolithischer Wohnplatz Oldenburg (-Dannau), LA 191. Offa 59/60, 2002/03, 257–326. MAY/TEICHERT 2001: E. MAY/M. TEICHERT, Berechnung der Widerristhöhe bei Schafen aus Extremitätenmassen mit Hilfe von Regressionsgleichungen oder Faktoren? In: H. Buitenhuis/W. Prummel (Hrg.), Animals and Man in the Past. Essays in honour of Dr. A. T. Clason emeritus professor of archaeozoology Rijksuniversiteit Groningen, the Netherlands (Groningen) 33-40. 84 aus der Zeit der ersten Einführung der Schafe um 4000 v. Chr. und mit 1000 Jahre alten Funden aus dem beinahe in Sichtweite liegenden Starigard ermöglicht einen Blick auf 6000 Jahre Schaf haltung in Ostholstein. Dazu stehen am ZBSA in Schleswig archäozoologische als auch molekulargenetische Methoden zur Verfügung. Mit ihrer Hilfe ist es möglich, dem Schafskelett aus Dannau wichtige Informationen zu entlocken. Schafe hatten in den Küstenregionen des baltischen Raumes und der Nordsee seit jeher eine relativ große wirtschaftliche Bedeutung. Trotz dieser herausragenden ökonomischen Stellung ist ihre kulturgeschichtliche Bedeutung im Vergleich zu anderen Haustierarten wie Pferden und Rindern wenig erforscht, und auch Untersuchungen ihrer alten DNA, die unter anderem Aussagen über ihre Nutzung, ihr Aussehen und ihre Verwandtschaft zu heutigen Tieren liefern könnten, liegen nicht vor. Die archäogenetische Forschung am ZBSA stellt daher die Untersuchung der Schafe in den Mittelpunkt ihrer Arbeit, um gezielt neue Erkenntnisse zur Geschichte der Schafnutzung in Nordeuropa zu gewinnen. Doch zunächst einige Angaben zum Skelett. Dank seines sehr guten Erhaltungszustandes ist sowohl eine Rekonstruktion der Körpergröße wie auch des Körpergewichtes des Tieres möglich. Demnach sind eine Schulterhöhe von 67–68 cm und ein Körpergewicht von 57–58 kg anzunehmen. Auch das Todesalter lässt sich anhand verschiedener Skelettmerkmale relativ genau bestimmen und kann ziemlich exakt auf 3,5 Jahre spezifiziert werden. Die Hornlosigkeit des Schädels weist das Tier als ein Weibchen aus, obwohl in einigen Schafrassen auch hornlose Männchen üblich sind. Aus tiermedizinischer Sicht interessant ist die Verwachsung zweier Brustwirbel, eine sog. Blockwirbelbildung. Bei Pferden sind solche Erscheinungen relativ häufig und werden auf Überlastung durch zu starkes oder zu frühes Reiten zurückgeführt. Bei Schafen oder auch beim Menschen sind sie sehr selten und ihre Ursachen oft nicht klar zu fassen. Vermutet wird, dass sie entweder angeboren sind oder durch Entzündungsprozesse bzw. Verletzungen entstehen. Als Folge von Knochenbrücken ist die Beweglichkeit im betroffenen Bereich reduziert, damit verbunden sind Veränderungen in der Körperhaltung. Schwerwiegendere Beschwerden dürfte das Dannau-Schaf wegen dieser Pathologie jedoch nicht gehabt haben. Damit bleibt die Todesursache unklar, zumal Tötungs- oder Verletzungsspuren fehlen. Eine rituelle Niederlegung dürfte wegen der neuzeitlichen Datierung unwahrscheinlich sein. Ein Tod durch Altersschwäche ist bei dem relativ geringen Lebensalter ebenfalls nicht anzunehmen. Vielleicht starb das Schaf infolge einer Infektionskrankheit. Dies könnte auch das sorgfältige Vergraben des Kadavers in 1 m Tiefe erklären.   Archäologische Nachrichten 2012 Aufsehenerregender Fund in Dannau Die genetische Untersuchung des Schafes bestätigte die Vermutung, dass es sich um ein Weibchen handelt. Für die Geschlechtbestimmung wurden Zellkerngene, sog. kodierende Zinkf ingerproteine (ZFX bzw. ZFY), die sich auf den X bzw. Y Geschlechtschromosomen bef inden, ermittelt. Untersucht wurde auch das mitochondriale Genfragment HVR1, ein in der populationsgenetischen Forschung verbreitet genutzter Marker. Dabei wurde festgestellt, dass das Schaf zu der in Europa häuf igsten genetischen Linie gehört. Die Dominanz dieses Haplotyps ist schon bei mesolithischen Populationen aus der untersuchten Gegend um Dannau zu sehen. Auch die Schafe aus dem nahen kaiserzeitlichen Hoby auf Lolland und dem mittelalterlichen Starigard (Oldenburg) sowie Tiere aus dem wikingerzeitlichen Kaliningrader Gebiet (Wiskiauten), aus der römerzeitlichen Siedlung Feddersen-Wierde bei Cuxhaven (Niedersachsen) und dem zeitgleichen niederländischen Jelsum gehören überwiegend zur selben genetischen Linie. So entsteht der Eindruck einer Kontinuität in der lokalen Schafpopulation über mehr als sechs Jahrtausende hinweg. Laufende genetische Unersuchungen ermöglichen zukünftig noch präzisere Rekonstruktionen vom Aussehen des Schafs. Es kann gelingen die Fellfarbe, die Wollbeschaffenheit und möglicherweise auch die Milchproduktivität zu bestimmen. Auf diese Weise wird es am Ende möglich sein, das Dannau-Schaf einer bestimmten Rasse zuzuordnen. Weil sich Rassenzucht erst in der frühen Neuzeit herausbildete, wird sich das Dannau-Schaf in diesem Punkt von stein- oder wikingerzeitlichen Schafen, deren Überreste zurzeit am ZBSA genetisch analysiert werden, unterscheiden. Damit war es letztlich doch ein „Aufsehenerregender Fund in Dannau“. Mitte:: Die Fundlage direkt neben einer Steinsetzung. Fotografie: Joachim Kühl, Jürgen Schüller Unten: Untersuchung des Schafs im Schleswiger Archäogenetiklabor.   Archäologische Nachrichten 2012 View publication stats 85