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Metaphern im Film als Thema der interkulturellen Germanistik Barbara von der Lühe (Berlin/Chongqing) Kurzzusammenfassung: Können Metaphern nicht nur sprachlich, sondern auch filmisch dargestellt werden? Diese Frage bewegt sowohl Medienwissenschaftler als auch Germanisten. In der Theoriebildung zu visuellen Metaphern hat sich bisher kein Ansatz etabliert, der allen Aspekten visueller Metaphorik und den Fokusbildungen unterschiedlicher Disziplinen Rechnung tragen kann. Dieser Beitrag stellt exemplarische Positionen des medienwissenschaftlichen Diskurses über filmische Metaphorik vor. Der Text ist als erster Einstieg in die Thematik gedacht. Es geht um Definitionen und Grundbegriffe, die bereits in den Anfängen des Kinos formuliert und kontrovers diskutiert wurden. Für die Interkulturelle Germanistik ist diese Thematik besonders interessant, da beispielsweise anhand der vergleichenden Analyse von Literaturverfilmungen aus verschiedenen Ländern auch visuelle Metaphern und deren Bedeutung in verschiedenen Kulturen im Unterricht berücksichtigt werden können. Schon in den 1920er Jahren begann die Kontroverse über die Metaphorik im Film, die bis heute andauert. In der Stummfilmzeit konzentrierte sich die Diskussion primär auf die visuelle Ebene des Films, mit der Erfindung des Tonfilms 1927 kamen mit Sprache, Musik und Toneffekten und deren Beziehung zum Bild weitere Faktoren hinzu. Wegweisende Beiträge zur filmischen Metaphorik stammen von Lew Wladimirowitsch Kuleschow (1899-1970) und Sergej Eisenstein (1898-1948), die beide sowohl Filmregisseure als auch Filmtheoretiker waren. Beide entwickelten Techniken der Montage um beim Zuschauer Assoziationen und Gefühle zu evozieren: So schnitt Kuleshov das Bild des emotionslosen Gesichts eines Schauspielers mit drei verschiedenen Einstellungen, eines Mädchens, eines offenen Sarges mit einer toten Frau und eines Tellers Suppe. Obwohl die Mimik des Schauspielers auf den identischen Fotos stets gleich war, assoziierten die Zuschauer jeweils verschiedene Emotionen: Zuneigung, Trauer und Hunger („Kuleshov Effekt“, 1928). Der von Sergej Michailowitsch Eisenstein entwickelte Ansatz einer durch Montage realisierten Metaphorik führt weit über Kuleshov hinaus, dessen Theorien Eisenstein denn auch als „veraltet“ bezeichnete. Ihm ging es um weit mehr als Assoziationen: „Meiner Ansicht nach ist [...] Montage nicht ein aus aufeinanderfolgenden Stücken zusammengesetzter Gedanke, sondern ein Gedanke, der im Zusammenprall zwei255 er voneinander unabhängiger Stücke ENTSTEHT (‘dramatisches Prinzip’)“.1 Eisensteins „auf intellektuelle Synthese angelegte Montage von kontrastierenden, nicht zu einem gleichen Handlungszusammenhang gehörenden oder von diegetischen und extradiegetischen Einstellungen gilt denn auch als Archetyp spezifisch filmischer Metaphorik“.2 Seine Theorien verwirklichte Eisenstein in seinen Filmen, u.a. in Panzerkreuzer Potemkin (UdSSR 1925), Streik (UdSSR 1925) und Oktober (UdSSR 1927). Die berühmte „Götter-Sequenz“ in dem Film Oktober endet damit, dass Einstellungen verschiedener Gottheiten mit dem Bild eines Jesus am Kreuz in kurzen Abständen unterschnitten werden. So ergibt sich aus dem schockartigen Kontrast von Gottes-Darstellungen aus verschiedenen Kulturkreisen eine schrittweise Diskreditierung des Begriffs „Gott“. Ob man bei diesen, auf Montage basierenden Theorien von filmischer Metaphorik sprechen kann, wurde von Eisensteins Zeitgenossen Béla Balázs (1884-1949) und Rudolf Arnheim (1904-2007) bezweifelt. Letzterer setzte 1932 in seinem Buch „Film als Kunst“ mit dem Phänomen der filmischen Metaphorik grundsätzlich sehr kritisch auseinander, während der einflussreiche ungarische Filmtheoretiker und Regisseur Béla Balázs die Montagetheorie Eisensteins gänzlich verwarf und dessen Montagen als „Bilderrätsel“ bezeichnete.3 Boris Michailowitsch Ejchenbaum (1886-1959), ein Vertreter des russischen Formalismus, betonte schon 1927 die enge Abhängigkeit filmischer von sprachlicher Metaphorik. Seine Definition der Filmmetapher bezieht das Vorwissen der Zuschauer über sprachliche Metaphern mit ein4, womit letztlich auch der kulturelle Kontext der Metapher deutlich wird: „Die Filmmetapher ist eine Art visuelle Realisierung der Sprachmetapher. Als Material für Filmmetaphern können selbstverständlich nur geläufige Sprachmetaphern verwendet werden; der Zuschauer versteht sie gerade deswegen sofort, weil sie ihm vertraut sind [...]“.5 1 Sergej M. Eisenstein, Dramaturgie der Film-Form [1929], in: Franz-Josef Albersmeier (Hg.), Texte zur Theorie des Films. Stuttgart. 2003, S. 275-304. Hier: S. 280. 2 Ansgar Thiele, Schuss und Gegenschuss ist Krieg – Teil I: Überlegungen zu metaphorischen Prozessen im Film, S.135, abgerufen am 17.6.2015 unter: http://www.metaphorik.de/sites/www.metaphorik.de/files/journal-pdf/10_2006_thiel e.pdf. 3 Bela Balász, Zur Kunstphilosophie des Films [1938]. In: Albersmeier, S. 201-223. Hier: S. 223. 4 Boris Ejchenbaum, Probleme der Filmstilistik [1927]. In: Albersmeier, S. 97-137. Auch Sergej Eisenstein geht in seinem Essay ‚Film Form: New Problems‘ von einem engen Zusammenhang zwischen einer den bildlich-sinnlichen Strukturen eines prälogischen, mythisch-allegorischen Denkens aus. Vgl. Sergej M. Eisenstein, Film Form: New Problems [1935]. In: id.: Film Form. Essays in Film Theory. Hg. v. Jay Leyda. New York et al. 1949, S.122-149. 5 Ejchenbaum 1927, S. 134. 256 Ausgehend von Frankreich entwickelte sich in den 1970er Jahren ein filmtheoretischer Diskurs auf psychoanalytischer Basis, welcher die Wirkung des Films auf die Zuschauer in den Mittelpunkt setzte. Einen wesentlichen Beitrag dazu lieferte Christian Metz (1931-1993) mit seiner Publikation Le signifiant imaginaire. Psychoanalyse et cinéma.6 Metz unterschied hier zwischen syntagmatisierter und paradigmatisierter Metapher (métaphore mise en syntagme und métaphore mise en paradigme). Als syntagmatisierte Metapher bezeichnet Metz einerseits, darin Eisenstein folgend, eine auf der Montage zweier Einstellungen beruhende Metapher: So konfrontiert Charles Chaplin (1889-1977) zu Beginn seines Films Moderne Zeiten (USA 1936) eine Einstellung, in der eine Schafherde zu sehen ist, mit einer Einstellung, in der unzählige Menschen aus dem U-Bahneingang in Richtung eines Fabriktors drängen. Andererseits kann eine syntagmatisierte Metapher auch innerhalb einer Einstellung durch verschiedene Gegenstände konfrontativ dargestellt werden, die eine metaphorische Bedeutung haben: In dem Film Der große Diktator (USA 1940) tanzt Adenoid Hynkel (dargestellt von Charles Chaplin) mit der Weltkugel in Gestalt eines Luftballons, der schließlich zerplatzt – eine Metapher für den Wunsch nach dem Ende des NS-Regimes. Bei der paradigmatisierten Metapher wird nach Metz die metaphorische Bedeutung durch den Kontext des Dargestellten generiert. So gelten etwa loderndes Feuer oder die vom Sturm bewegten Wellen des Meeres als Metaphern für menschliche Leidenschaft (siehe unten). Fallende Blätter werden oft als Metaphern für Tod verwendet, wie beispielsweise am Ende von Jean Cocteaus Film Orpheus (FR 1949). Als weiteres Kriterium der filmischen Metapher kommt der Bezug der metaphorischen Phänomene auf den narrativen Ebenen des Films hinzu: Das heute in der Filmtheorie vorherrschende Verständnis von Diegese (diégèse) geht zurück auf die Forschungen Anne Souriaus und ihres Vaters Etienne Souriau (1892-1979) aus dem Jahr 1951.7 Das Konzept wurde von Christian Metz, Jacques Gerstenkorn und anderen weiterentwickelt und zählt zum film- und literaturwissenschaftlichen Basisvokabular. 8 6 Christian Metz, Le signifiant imaginaire. Psychanalyse et cinema. Paris. 1977. Deutsche Übersetzung: Der imaginäre Signifikant. Psychoanalyse und Kino (= Film und Medien in der Diskussion, Band 9). Münster 2000. 7 Souriau, Étienne: Die Struktur des filmischen Universums und das Vokabular der Filmologie. In: montage AV, 6/2/1997, S. 140-157, abgerufen am 18.6.2015 unter: http://www.montage-av.de/pdf/06_02_1997/06_02_1997_Etienne_Souriau_Die_Struktu r_des_filmischen_Universums_und_das_Vokabular_der_Filmologie.pdf. 8 Britta Hartmann, Diegetisieren, Diegese, Diskursuniversum. In: montage AV 1 6/2/2007, S. 54-69. Hier: S. 55, abgerufen am 18.6.2016 unter: http://www.montageav.de/pdf/162_2007/162_2007_Britta-Hartmann_Diegetisieren-Diegese-Diskursuniversu m.pdf. 257 In der filmanalytischen Praxis werden die Begriffe „diegetisch“ und „nicht-diegetisch“ verwendet, um die verschiedenen Elemente des Plots/Diskurses in zwei Gruppen einzuteilen. Demnach gelten die bewegten Bilder von Figurenhandlungen und Schauplätzen und die akustische Wiedergabe von in der erzählten Welt ausgeführten Dialogen, verursachten Geräuschen und Tönen als ‚diegetisch‘. Schriftliche Inserts, die etwa Auskunft über Handlungsort und/oder -zeit geben, oder die Voice-over eines ‚allwissenden‘ Erzählers, […] ebenso wie die Credits, als ‚nicht-diegetisch‘.9 Jacques Gerstenkorn unterscheidet in seiner Untersuchung La métaphore au cinéma im Bereich der Metapher zwischen „métaphores iconiques“, „greffes métaphoriques“ und „condensations allégoriques“. 10 An dieser Stelle möchte ich nur auf die Métaphores iconiques eingehen, die nach Gerstenkorn sowohl homodiegetisch als auch extradiegetisch sein können.11 Eine homodiegetische métaphore iconique wären beispielsweise das rauschende Meer und der Strand statt einer durch den Kontext suggerierten Liebesszene wie in Fred Zinnemans Film Verdammt in alle Ewigkeit (USA 1953). In den Verfilmungen von Theodor Fontanes Roman Effi Briest zählen die Szenen am Strand, in denen Effis Leidenschaft zu Major Crampas thematisiert werden, zu den zentralen Szenen der jeweiligen Filme12. Die Metapher Meer = Leidenschaft findet sich in chinesischen Filmen nicht, in Filmproduktion aus westlichen Ländern häufiger. Diesem Phänomen nachzugehen wäre ein interessantes Forschungsthema. Eine extradiegetische métaphore iconique wäre das von dem chinesischen Regisseur Zhang Yimou (1951 - ) in seinen Filmen wiederholt verwendete chinesische Zeichen für „Doppelglück“ als Metapher für eine Hochzeitsnacht, die nicht im Film gezeigt werden darf. Diese Metapher ist chinesischen Zuschauern geläufig, dem deutschen Publikum jedoch kaum bekannt. Auch Farben sind Gegenstand metaphorischer Gestaltung, denn sie sind in hohem Maße kulturell und symbolisch kodiert. Da Farben auch eine starke physische und psychische Wirkung haben, eignen sie sich, Kathrin Fahlen- 9 Anton Fuxjäger, Diegese, Diegesis, diegetisch: Versuch einer Begriffsentwirrun g. In: montage AV 16/2/2007, S. 17-37. Hier: S. 15, abgerufen am 17.6.2015 unter: h ttp://www.montage-av.de/pdf/162_2007/162_2007_Anton-Fuxjaeger_Diegese-Diegesisdiegetisch.pdf. 10 Jacques Gerstenkorn, La métaphore au cinéma. Les figures d’analogie dans les films de fiction, Paris. 1995. Zit. nach Thiele , Metaphorische Prozesse I, S. 147. 11 Ibid., S. 147. 12 Vgl. Fontane Effi Briest, Regie: Rainer Werner Fassbinder, BRD 1972/74, Effi Briest, Regie: Hermine Huntgeburth, BRD 2009. 258 bach zufolge, ausgezeichnet zur Inszenierung audiovisueller Metaphern.13 Dass die Farbwahrnehmung spezifischen Mustern und symbolischen Codes unterliegt, die in verschiedenen Kulturen unterschiedlich sein können, ist für eine interkulturelle visuelle Metaphernforschung von großer Bedeutung. So wies die Filmwissenschaftlerin Susanne Marschall mit ihrer Untersuchung über Farbe im Kino auf die konstituierende Bedeutung von Farben in der Filmgestaltung und Filmrezeption hin, sowohl im westlichen als auch im asiatischen Film.14 Besonders eindrucksvoll setzt der chinesische Filmregisseur Zhang Yimou, der seine berufliche Karriere als Kameramann begann, Farben in seinen Filmen ein. Marschall schildert am Beispiel von Zhangs epochalem Werk „Hero“ (VR China 2003) die Metaphorik der Farben Rot, Grün und Blau in diesem Film. Es geht um den ersten chinesischen Kaiser Qin Shihuangdi, der befürchtet, von seinen Feinden ermordet zu werden. Ein anonymer Krieger berichtet dem Kaiser, wie er dessen drei gefährlichste Gegner (zwei Männer und eine Frau) mit dem Schwert getötet habe. Die drei Episoden, aus drei verschiedenen Perspektiven erzählt, haben jeweils unterschiedlichen Farben als Leitmotive: So stellt beispielsweise die rote Episode die Geschichte als Liebes- und Eifersuchtsdrama dar, während es in der blauen Episode um die bedingungslose Treue der Protagonisten geht, und deren Bereitschaft, das eigene Leben einem höheren Ziel zu opfern. Ein bekanntes Beispiel für die metaphorische Verwendung der Farbe Rot ist auch Stephen Spielbergs Film „Schindlers Liste“ (USA 1993): In dem Schwarz-Weiß-Film genügt eine einzige Figur, ein kleines Mädchen in einem roten Mantel, um die Katastrophe des Holocaust vor der Kamera zu transzendieren. Die Farbe Rot ist eine Metapher für den bevorstehenden Tod, für Feuer und Zerstörung.15 Der kurze Überblick über einige exemplarische Theorien zur filmischen Metaphorik zeigte, dass sich im ikonischen Zeichen, wie im sprachlichen Zeichen, Denotation und Konnotation verbinden16. Dem Filmwissenschaftler Ansgar Thiele ist daher zuzustimmen, dass „Metaphorische Prozesse im Film […] ebenso wie solche der Sprache als Konterdetermination eines Textes durch seinen Kontext, als eine, vor allem die Ebene der Konnotationen aktivierende, Interaktion oder Projektion semantischer Bereiche beschrieben werden“17 können. Der Diskurs über Metaphorik im Film beschäftigt sich bislang allerdings bisher vorwiegend mit den visuellen oder kinematografischen Codes. Weitere Forschungen sollten sich auch mit der Konfrontation metaphorischer Prozesse der verschiedenen audio-visuellen Codes als einem 13 Kathrin, Fahlenbrach, Audiovisuelle Metaphern: Zur Körper- und Affektästhetik in Film und Fernsehen. Marburg. 2010. 14 Susanne Marschall, Farbe im Kino. Marburg. 2009. 15 Marschall 2009, S. 50 f. 16 Thiele I, S. 155. 17 Ibid., S. 155. 259 entscheidenden Charakteristikum metaphorischer Bedeutungskonstitution im Film beschäftigen. Hier eröffnet sich ein weites Forschungsfeld unter interkulturellen, vergleichenden Fragestellungen. 260