Das Thema Salafismus wird in Deutschland nunmehr seit Jahren in den Medien diskutiert. Grund hierfür ist die Tatsache, dass der Salafismus auch in Deutschland angekommen ist und Fuß gefasst hat. Insbesondere seit der Ausrufung des...
moreDas Thema Salafismus wird in Deutschland nunmehr seit Jahren in den Medien diskutiert. Grund hierfür ist die Tatsache, dass der Salafismus auch in Deutschland angekommen ist und Fuß gefasst hat. Insbesondere seit der Ausrufung des Kalifats der Terrororganisation „Islamischer Staat“ wächst die Angst vor salafistischer Bedrohung und seit hunderte deutscher Staatsbürger auswanderten, um sich jener Terrororganisation anzuschließen, sich an Kampfhandlungen beteiligten und teilweise gar als Selbstmordattentäter für ihre Ideologie und Überzeugungen in die Luft sprengten, wirkt die Gesamtproblematik bedrohlicher und greifbarer denn je.
Lange Zeit glaubte man, dass in einer säkularisierten aufgeklärten Welt ein Widererstarken und eine Rückkehr der Religionen nicht möglich sei, da der Modernisierungsmythos lehrte, eine fortschreitende Säkularisierung und Privatisierung der Religion zu erwarten. Laut Olivier Roy besteht jedoch „ein enges Band zwischen Säkularisierung und religiösem Wiedererweckungsglauben; Letzterer ist nicht Abwehr der Säkularisierung, sondern ihr Produkt. Die Säkularisierung bringt das Religiöse hervor. Es gibt keine ‚Rückkehr‘ des Religiösen, sondern eine Veränderung.“
Die Entstehung des Salafismus lässt sich wie die Entstehung aller großen religiösen evangelikalen Erweckungsbewegungen ins 18. Jahrhundert zurückdatieren und ist ebenfalls keine schlichte „Rückkehr“ des Religiösen, sondern eine Erweckungsbewegung, welche den muslimischen Glauben an Gott und die Glaubenspraxis tiefgreifend veränderte. Da er wie alle Erweckungsbewegungen der Moderne besonderen Wert auf Purismus legt, ist sein Konzept der religiösen Neuerung, Bidʿa, sowie der Umgang mit jener ein zentraler Bestandteil des innersalafistischen Diskurses und ideologischer Marker. Daher beschäftigt sich vorliegende Arbeit mit dem Begriff Bidʿah, dem Begriff der religiösen Neuerung, seiner Definition im salafistischen Diskurs sowie den hieraus erwachsenden Folgen, und stellt dem auch knapp den sunnitisch-orthodoxen Standpunkt gegenüber, um jene ideologische Veränderung deutlich zu machen. Dabei beschränkt sich der Autor auf neo-salafistische, konservative Strömungen des Salafismus, obgleich sich der modernistische Salafismus in vielen Punkten ideologisch nicht von erstgenannten Strömungen unterscheidet.
Diese Arbeit setzt sich zum Ziel, den Begriff Bidʿa und weitere Begrifflichkeiten zunächst zu definieren, sodann einen kurzen historischen Überblick zum Thema Salafismus und seiner Hauptströmungen zu bieten, um hiernach auf Methoden und die Lehre des Salafismus in diesem Bezug einzugehen. Im Kapitel über die Lehre bezüglich dem Begriff Bidʿa im Salafismus wird das salafistische Verständnis der Primärquellen aufgezeigt, da vor allem im innerislamischen Diskurs dem Salafismus als religiöse Ideologie nur auf theologischer Ebene beigekommen werden kann, weshalb ein tiefgreifendes Verständnis dieser Lehre und auch Kenntnis um die sunnitisch-orthodoxe Gegenposition, unabdingbar sind, um Differenzieren zu können. Die sunnitisch-orthodoxe Lehrmeinung wird teils im Fließtext, teils als eigener Unterpunkt knapp zusammengefasst dargestellt, um dem Leser einen direkten Vergleich zu ermöglichen. Hiernach wird auf den Gebrauch des Begriffs Bidʿa als ideologischen Marker zur gezielten Abgrenzung eingegangen, sowie auf die salafistische Legitimation jener Abgrenzung und einige ihrer theologischen Folgen. Anschließend wird die Frage erörtert, ob das salafistische Verständnis von Bidʿa allein der Grund für die puristische Haltung des Salafismus ist, oder sie bereits im salafistischen Gottes- und Glaubensverständnis wurzelt. Nachdem der Begriff Bidʿa theologisch aus salafistischer und sunnitisch-orthodoxer Sicht erläutert und seine Verwendung dargestellt wurde, wird auf einige direkte und indirekte praktische Folgen jenes Verständnisses eingegangen und schlussendlich ein Blick auf Prävention und Deradikalisierung geworfen.