Über Gott und die Welt: Begegnungen eines alten Agnostikers mit einer jungen Pastorin
Von Michael Horowitz und Mira Ungewitter
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Über dieses E-Book
Michael Horowitz und Mira Ungewitter sind ein ungewöhnliches Gesprächspaar und sich doch zugetan. Der Agnostiker Horowitz, Fotograf und Schriftsteller, hat sein Leben lang den Austausch mit Vertretern der christlichen Kirche gesucht und gepflegt. Die studierte Theologin und praktizierende baptistische Pastorin Ungewitter ist eine passionierte Reisende, die sich für eine liberale und progressive Kirche einsetzt. In diesem Buch treten die beiden in einen Dialog auf Augenhöhe.
- Michael Horowitz und Mira Ungewitter diskutieren "Über Gott und die Welt"
- Agnostizismus und Glaube: Provokante Fragen und unkonventionelle Antworten
- Im Spiegel von Religion und Philosophie: Aktuelle gesellschaftliche Probleme
- Big-Talk statt Small-Talk über philosophische Fragen: Offen, tabulos und ehrlich
- Mit einfühlsamen s/w-Fotografien von Horowitz und Ungewitter an bedeutsamen Orten
Tiefgründiger Gedankenaustausch zu den Herausforderungen unserer Zeit
Horowitz und Ungewitter stellen einander die Fragen, die wir in jedem Small Talk tunlichst umgehen. Es geht um bewegende Momente im eigenen Leben, um Familiengeschichte und wie sie die nächste(n) Generation(en) prägt. Vor allem aber geht es in ihrem Dialog darum, mit welcher Haltung jede:r den vielschichtigen Fragestellungen unserer Zeit begegnet und wie wir eine positive Lebenseinstellung für das eigene Leben finden. Es ist eine Freude zu sehen, dass dieses 'Streitgespräch' auf beiden Seiten von einem echten Erkenntnisinteresse getragen ist, dem wir Lesende mit Gewinn folgen können.
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Buchvorschau
Über Gott und die Welt - Michael Horowitz
Vorwort
Göttliche Momente
Michael Horowitz
„Viel Erfolg wünsche ich Ihnen durch die Hilfe von oben" – ein handgeschriebener Weihnachtsbrief von Kardinal König, der seit vielen Jahren eingerahmt über dem Schreibtisch eines Agnostikers hängt. Über meinem Schreibtisch.
Eine kostbare Erinnerung von einer Autorität und Integrationsfigur Österreichs, einer moralischen Instanz des 20. Jahrhunderts. Seine Plädoyers für eine humane Asylpolitik wie 1993 der Aufruf gegen Ausländerfeindlichkeit vor 300 000 Menschen beim „Lichtermeer" am Wiener Heldenplatz bleiben in Erinnerung.
Ich durfte Kardinal Franz König immer wieder begegnen. Auch in außergewöhnlichen Situationen. Um ihn zu fotografieren, wie bei seinem wöchentlichen Fitnesstraining im Swimmingpool der Ordensschwestern in Ober St. Veit, oder um ihn zu begleiten, wenn er – immer am Mittwoch – vom Kahlenbergerdorf aus auf den Leopoldsberg spazierte. Einmal fragte ich ihn, ob er im dunklen Wald „mutterseelenallein nicht ängstlich sei. Kardinal Königs Antwort: „Man kann der Angst gegenübertreten, bis sie nachgibt und verschwindet.
In unseren Gesprächen versuchte er nie, mich von der Existenz Gottes zu überzeugen: „In der Religion gibt es keine Beweise wie in der Mathematik. Es gibt gute Gründe für den Glauben, aber letztlich muss jeder selbst entscheiden."
Auch mit dem rebellischen Theologen Adolf Holl habe ich immer wieder das Gespräch gesucht. Mehr als zwanzig Jahre lang war er katholischer Priester, bevor er es wagte, kirchliche Tabuthemen wie Sexualität und Zölibat öffentlich anzusprechen. Was er sagte und in Büchern wie im Bestseller „Jesus in schlechter Gesellschaft schrieb, sorgte bei vielen Gläubigen für Unverständnis, für Entsetzen. Schließlich wurde der „Kirchenrebell
vom Priesteramt suspendiert. Seine offene Art, über verpönte Themen der katholischen Kirche zu sprechen, hat mich immer schon fasziniert.
Jahre später suchte ich Kontakt zu einer anderen charismatischen Kirchenpersönlichkeit. Zu Leopold Ungar, der wie Kardinal König ein Leben lang für Verständnis und Toleranz im Umgang mit gesellschaftlichen Randgruppen kämpfte. Der Sohn eines jüdischen Weingroßhändlers – der 1935 nach der Promotion und Taufe in das Wiener Priesterseminar eintrat – baute als kämpferischer Präsident die Caritas von der „Tee- und Suppenküche für Arme" in fast vier Jahrzehnten zu einem Imperium der Nächstenliebe aus. Hunderttausenden in Not geratenen Menschen wurde geholfen. Unabhängig von sozialem Status, Staats- oder Religionszugehörigkeit.
Bereitwillig und voller Verve erzählte mir Leopold Ungar Mitte der 1980er-Jahre für mein Buch über Karl Kraus von seinen Begegnungen mit dem Satiriker. Für Ungar ist Kraus – der sich nicht ganz uneitel selbst als „Hohepriester der Wahrheit" bezeichnete – ein Idol. Im Alter von 16 Jahren besuchte Ungar das erste Mal eine Karl-Kraus-Lesung. Im Dezember 1930 lernte der 18-Jährige den bissigen Sprachkünstler persönlich kennen. Danach, bis zum Tod von Karl Kraus, trifft man sich sechs Jahre lang immer wieder, um Gedanken über Gott und Humanität, Krieg und Korruption auszutauschen.
Als ich 1989 das Magazin „freizeit gründete, fragte ich Leopold Ungar, ob er eine Kolumne schreiben wolle. Er sagte spontan zu und verfasste jahrelang Woche für Woche einen Beitrag für unser Magazin. Schon damals unter dem Titel „Über Gott und die Welt
.
Später habe ich immer wieder das Gespräch mit einem höchst emotionellen Jesuiten gesucht. Mit Georg Sporschill, der als junger Kaplan in Wien-Lainz drogensüchtige, obdachlose und strafentlassene Jugendliche betreute. In einem Haus, das ihm Leopold Ungar zur Verfügung stellte. Danach versuchte Sporschill, das Leid der Straßenkinder in Rumänien und Bulgarien zu minimieren. Und ihnen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Sein Lebensmotto aus dem Talmud „Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt" ist mir noch heute im Gedächtnis. Doch auch Georg Sporschill konnte mich nie von der Existenz Gottes überzeugen.
Die Kindheit, die Gespräche mit meinem Vater haben mich nie losgelassen. Denn mein ungläubiger Vater erklärte mir schon früh, dass die Existenz eines Gottes zwar angenommen werden kann, aber für ihn nicht zu erkennen ist. Bis zu seinem frühen Tod im Alter von 56 Jahren blieb er überzeugter Agnostiker.
Mein jüdischer Vater, der Sohn einer Schneiderin und eines fahrenden Händlers, der in einem staubigen „Schtetl" in Galizien, im äußersten Nordosten der eben zusammengebrochenen Donaumonarchie, zur Welt kam, erlebte während der Nazidiktatur eine Odyssee: 1938 flüchtete Oscar mit seiner Schwester Josefine über die Schweiz nach Frankreich, wo er einige Jahre im Untergrund überlebte.
1942 heuerte er in Marseille als „Freiwilliger bei der Fremdenlegion an. Es ist fast die einzige Chance für einen jüdischen Flüchtling, ohne Ausweispapiere zu überleben. In Marokko musste mein schmächtiger Vater Straßen errichten. Rund um die Königsstadt Fès und im Atlasgebirge bei Temperaturen von manchmal fast 50 Grad. Als Mitglied des RMVE – Régiment de Marche de Volontaires Etrangers, des „23. Fremdenmarschregiments
. 1944 desertierte Oscar Horowitz von der Fremdenlegion und schlug sich bis Paris durch, wo er das Ende des Krieges erlebte.
Als überzeugter Österreicher kehrte er sofort nach Wien zurück. Es fiel ihm, einem introvertierten Menschen, nicht leicht, meine Fragen nach unserer Familiengeschichte zu beantworten. Wie so viele verdrängte er die Erinnerungen an die grauenhafte Diktatur der Nationalsozialisten. Doch manchmal sprach er von seinen Ängsten. Von Schande, Schmach und Schikanen, die seine Familie und er erdulden mussten.
Meine Mutter Luise stammte aus einem biederen Berliner Mittelstandsmilieu. Protestantisch strenges Umfeld. Der ganze Stolz der Familie Hembach war, dass sie einen Kapitän als Vorfahren hatte. Nach dem Tod der Eltern schickte die Großmutter die 16-jährige Luise allein in das Wien der Nachkriegszeit. Zu Tante Mizzi.
Am Westbahnhof wurde meine Mutter, ein scheues, zartes Mädchen, abgeholt. Von der Tante und ihren treuen Begleitern Leo und Lilly. Den beiden Königspudeln. Grau, keifend und unerzogen. Tante Mizzi war eine walkürenhafte Erscheinung, Besitzerin einer „Puppenklinik in der Schönbrunner Straße. Einer wunderbaren Welt für Kinder, aber auch für ältere Damen, denen ihre Sammlung von „Kruse
- und „Schildkröt"-Puppen letzte Lustgefühle vermittelt.
Nach drei Jahren in Wien, in denen meine Mutter die Modeschule Michelbeuern absolvierte, erlaubte ihre Tante „Luischen erstmals, am Sonntagnachmittag allein in die Stadt zu fahren: Im Volksgarten liegt Musik in der Luft. Beim Fünfuhrtee mit Horst Winter, der Lieder zum Träumen, Melodien, die kleine Zärtlichkeiten erlauben, trällert. Wie seinen Evergreen „Ein kleiner Bär mit großen Ohren, der hat’s mir angetan
.
Bei diesem Lied lernt Luise in einem hübschen, selbst genähten Cocktailkleid am hintersten Tisch beim Rosenrondeau einen mehr als zehn Jahre älteren Mann kennen. Meinen Vater. Scheuer Blickkontakt. Der erste Tanz. Das erste gemeinsame Glas „Dürnsteiner Katzensprung". Der zweite Tanz. Das erste zarte Busserl. Wenige Monate später heiraten meine Eltern. Im Dezember 1950 komme ich zur Welt.
Viele Jahre später lese ich ein Zitat von Albert Einstein. Seit damals verstehe ich meinen Vater: „Es ist wie bei einem kleinen Kind, das in eine riesige Bibliothek eintritt. Es weiß, dass jemand die Bücher geschrieben hat. Es weiß aber nicht, wie das geschah. Es versteht die Sprache nicht, in der sie geschrieben wurden. Das Kind erahnt dunkel eine mysteriöse Ordnung in der Zusammenstellung der Bücher, weiß aber nicht, was es ist. Das ist nach meiner Meinung auch die Einstellung des intelligentesten Menschen gegenüber Gott."
Ein Interview mit einer jungen Pastorin aus Köln, die in Wien lebt, machte mich vor einigen Monaten neugierig. Ihre Antworten überraschten mich. Da war nichts von kirchlichem Klüngel, vom Versuch, Ungläubige von Gott zu überzeugen, zu erkennen. Offen sprach Mira Ungewitter – was für ein vielversprechender Name – über Probleme der Kirche. Die Idee für dieses Buch entstand. Wir wollen „über Gott und die Welt" sprechen.
Bereits bei unserem ersten Treffen, nach zwei, drei Gläsern Wein, spürten wir, wir können miteinander: „Der alte Agnostiker und die junge, freiheitliebende Pastorin", wie es der Verlag treffend formulierte.
Für Mira Ungewitter bedeutet das Leben Freiheit. Sie will ihre Unabhängigkeit genießen und sich jeden Tag neu herausfordern lassen. Die junge, unternehmungslustige Frau träumt als Pastorin von einer liberalen Kirche, in der Platz für kritische Fragen und revolutionäre Ideen ist. Sie hält Zweifel bis hin zum Verzweifeln am Glauben für normal und notwendig.
Um der Enge ihrer deutschen Heimat zu entfliehen, um ihren Horizont zu erweitern, unternahm sie früh Reisen in die Welt. In Honduras arbeitete sie als Tellerwäscherin auf dem Schiff „Carribean Mercy", einem schwimmenden Krankenhaus, und wird 15 Jahre später Pastorin.
Mira Ungewitter und ich. Zwei Menschen verschiedener Generationen, aus völlig gegensätzlichen Welten, mit unterschiedlichen Lebensgeschichten, begegnen einander. Eine Pastorin und Feministin im Gespräch mit einem Zweifler. Eine junge Frau mit beeindruckender Präsenz, die viele Antworten auf Fragen, die unser Leben bestimmen, hat. Erstaunlich ehrlich antwortet sie auf die Fragen eines Menschen, der nicht von der Existenz Gottes überzeugt ist.
Mira und ich, wir lieben beide das Leben und die Menschen. Und bleiben immer skeptisch. Jeder auf seine Weise. Durch unsere Gespräche, unsere Diskussionen – auch durch Meinungsverschiedenheiten – sind wir Freunde geworden.
Die junge Pastorin scheut keine Fragen. Auch nicht jene, die Atheisten, die Agnostiker, die ich ihr stelle: „Oft hört man von Geistlichen: ‚Nichts geschieht ohne Gottes Willen.‘ Wenn man diesen fragwürdigen Satz ernst nimmt, dann muss man Gott an den Holocaust erinnern. An all die Kriege der Welt. An all die tyrannischen Diktatoren. Und daran, dass mehr als 800 Millionen Menschen hungern und alle 13 Sekunden ein Kind unter fünf Jahren an Hunger stirbt."
Unser gemeinsames Buch versucht, Dingen auf den Grund zu gehen. In Gesprächen „über Gott und die Welt". Auch über aktuelle gesellschaftliche Probleme: Wie über die Pandemie, die unser Leben dramatisch beeinflusst hat: Angst, Ratlosigkeit dominierten und der Kontakt der Familien war kaum mehr möglich.
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, die überzeugt sind, dass „die Träume der Älteren nur selten Realität werden".
Dieses Buch entstand nach vielen mehrstündigen – oft auch bewegenden – Gesprächen. Über die Fragen des Lebens. In einem offenen und ehrlichen Wortwechsel. Voller Leidenschaft. Ohne Tabus. Provokante Fragen und unkonventionelle Antworten bestimmen die Dialoge über