Institut für Europäische Ethnologie

Die Debatte über Intersektionalität hat in Deutschland Hochkonjunktur (siehe feministische studien 1, 2009; Klinger, Knapp und Sauer 2007; Klinger und Knapp 2008; Knapp und Wetterer 2003; Walgenbach et al. 2007; Bührmann 2009; Casale und Rendtorff 2008). Mit unserer Tagung „Celebrating Intersectionality ? Debates on a Multi-Faceted Concept in Gender Studies“, die am 22. und 23. Januar 2009 an der Frankfurter Goethe Universität stattfand und mit 300 TeilnehmerInnen ausgezeichnet besucht war, hatten wir offenbar einen Nerv der Zeit getroffen. Der vorliegende Sammelband ist das Resultat der in Frankfurt geführten Debatten. Er versucht, die angestoßenen Kontroversen und Übereinstimmungen aufzunehmen und neben einer Bestandsaufnahme auch zukünftige Entwicklungslinien aufzuzeigen. Wir beginnen deshalb mit einem Rückblick, der die Frage nach den Anfängen der Debatte noch einmal aufgreift, in der Absicht, frühe Forschungen sichtbar zu machen, die in der aktuellen Debatte in der Regel vernachlässigt werden (Gründungsnarrative); im Anschluss folgt die Darstellung der unterschiedlichen (europäischen) Verortungen und disziplinären Felder, in denen Intersektionalität auftaucht (Stand der Debatten), und schließlich werden unsere Vorstellungen zu zukünftigen Entwicklungen und möglichen Bewegungen der feministischen Intersektionalitätsforschung diskutiert. Die Einleitung schließt mit kurzen Vorstellungen der einzelnen in diesem Band versammelten Beiträge.

In vielen Staaten weltweit werden Ethnizitätsdaten routinemäßig im Zensus erhoben, so zum Beispiel auch in Britannien seit den 1990er Jahren: Die britische Bevölkerung wird erfasst als „Weiß“, „Schwarz/Afrikanisch“, „Asiatisch“, „Mixed“ oder „Andere“, Damit stellt Britannien innerhalb der Europäischen Union allerdings einen Ausnahmefall dar: Hier werden in einigen Staaten spezielle statistische Konstrukte wie „Personen mit Migrationshintergrund“ in Deutschland oder „westerse“/ „niet-westerse allochthonen“ in den Niederlanden gebildet, die auf Daten der Staatsangehörigkeit sowie des Geburtsortes basieren, nicht auf Zugehörigkeit zu einer ethnischen „Gruppe“ im engeren Sinne. In Frankreich wurde die Einführung von „Diversitätsstatistiken“ zwar bereits heftig diskutiert, erfasst wird jedoch nur die Staatsangehörigkeit. Im direkten Vergleich offenbaren die verschiedenen nationalen Praxen innerhalb der EU einige Arbitrarität. So erfasst (und unterscheidet) die Statistik hier Migrant_innen/Alteingesessene, dort ethnisch diverse Einwohner_innen, und anderswo Staatsangehörige/Ausländer_innen.
Diese Studie untersucht den Sonderfall der britischen amtlichen Statistik vor dem Hintergrund der neuen EU-Antidiskriminierungsrichtlinien. Die Erfassung von rassifizierten/ethnisierten Subjekten und Bevölkerungen durch die amtliche Statistik beschreibe ich dabei mit Michel Foucault als biopolitisch-gouvernementale Technologie, die regier- wie (für die empirische Sozialforschung) beforschbare Subjekte erst hervorbringt. Der Staat hat sowohl als Wohlfahrtsstaat wie als Sicherheitsstaat Interesse an Daten, um Migration und Integration beobachten und messen zu können und „Probleme“ identifizieren zu können.
Durch die zu Beginn dieses Jahrtausends in der EU implementierte Nicht-Diskriminierungsgesetzgebung, die auch vor „indirekter“ Diskriminierung aufgrund von „Rasse“/Ethnizität schützen soll, gibt es eine neue Legitimation, und damit verstärkten Forschungs- und Diskussionsbedarf bezüglich der Erhebung von Ethnizitätsdaten (zur Messbarmachung von Diskriminierung anhand statistischer Vergleichsgruppen), die den Erhebungsbedarf stärker an das Interesse und Wohl der Menschen selbst bindet, die hier erfasst, vermessen und beobachtet werden sollen. Die statistische Erfassung von „Rasse“/Ethnizität, so die zentrale These dieser Studie, hat zwar gewisse unvermeidlich rassifizierende Effekte, sie macht Rassismus als strukturelles Problem (auch) europäischer Gesellschaften jedoch auch thematisierbar, sichtbar und gezielt bekämpfbar.

Several EU member states have been called upon by the Fundamental Rights Agency of the EU to provide statistics to help secure protection against discrimination of people living in the EU. Of the older EU member states (EU 15), only Britain and Ireland collect data on the Ethnicity of their populations, as do the most of the newer eastern and middle European member states. Though official statistical practices of making ethnic diversity visible in the EU is very diverse, this paper is going to contrast the British and the German practice as two examples of contradictory ways of conceptualising diversity inside a national territory. Human Rights and Non-Discrimination experts suggest for all EU member states to collect data on self-identified ethnicity on a voluntary basis. In most western European states, a concept comparable to that of the “ethnic group” in British statistics does not exist. In addition, in the German debate on anti-discrimination law and politics, a position became quite influential that suggests a postcategorical approach to fight discrimination and disadvantage. Regarding racist discrimination, this would have the adverse impact to strengthen the dominant approach in Germany and other EU member states to either silence the socio-political relevance of racialized difference, and to deny racism as structural phenomenon. I argue that the post categorical approach has much to offer regarding legal strategies and argumentations. But this does not mean that categoriality of ‘race’/ethnicity could yet be entirely overcome.

Das Konzept „Personen mit Migrationshintergrund“, eingeführt in die amtliche Statistik in 2005,  hat sich binnen zehn Jahren für die bürokratische Praxis, Wissenschaft und Forschung, und nicht zuletzt für die gesellschaftliche Selbstwahrnehmung im medialen und auch alltäglichen Diskurs zur wichtigsten Leitdifferenz entwickelt. Es reicht jedoch nicht aus, „ethno-natio-kulturelle“ gesellschaftliche Vielfalt und Pluralität in einer binären Logik von „uns“ und den „Anderen“ zu repräsentieren. Zivilgesellschaftliche Bündnisse auf europäischer wie  nationaler Ebene, ebenso wie die EU und internationale Übereinkommen fordern bzw. empfehlen die statistische Erfassung von Ethnizität per subjektiver Selbstauskunft, losgekoppelt von Staatsangehörigkeit und Migrationsstatus, wie dies zum Beispiel in Großbritannien seit ca. 30 Jahren Praxis ist. Selbstauskunft, wie am Fall Großbritanniens gezeigt werden kann, gewährt dabei den zu Erfassenden einen bedeutenden Freiheitsraum, bleibt jedoch bezogen auf Fremdzuschreibung und rassistisches Stigma. Für Antidiskriminierungs- und Gleichstellungspolitiken bieten auf Selbstauskunft basierende statistische Daten das Instrumentarium, um institutionellen und strukturellen Rassismus, Ungleichheit und Benachteiligung identifizieren und bekämpfen zu können.

Menschen lässt es nicht gleichgültig, in welche Schublade sie gesteckt werden. Was heißt es, deutsch zu sein, Deutscher oder Deutsche zu sein? Wer ist deutsch, fühlt sich selbst (-verständlich) als deutsch und wird von anderen Deutschen als deutsch wahrgenommen, und damit in Deutschland als „eine_r von hier“ oder „eine_r von uns“ angenommen und akzeptiert? Aus welchen Gründen wird jemand nicht als deutsch angesehen, und warum nicht, an welchen Kriterien wird das Deutschsein festgemacht? Klar regelt das Staatsangehörigkeitsrecht diese Fragen. Im Alltag spielen aber für unser Selbstbild und Fremdbild noch weitere Faktoren eine Rolle; unter anderem auch, wie wir für die Statistik erfasst werden. Wir möchten in diesem Beitrag zeigen, dass die amtliche Statistik eine ambivalente Rolle in gesellschaftlichen Ein- und Ausschlussmechanismen innehat und dass sie gesellschaftliche Teilgruppen zum Teil künstlich produziert und sichtbar macht, deren Sichtbarmachung keinem nützlichen Zweck dient, jedoch die Erfassten stigmatisiert. Es werden einerseits zum Teil andere Personen erfasst, als gemeint sind. Andererseits bleiben gesellschaftliche Teilgruppen, nämlich insbesondere Deutsche of Color , die von rassistischer Diskriminierung betroffen sind, durch die Definition des Migrationshintergrunds unsichtbar. Für die Bekämpfung von rassistischer Diskriminierung und Benachteiligung auf struktureller und institutioneller Ebene ist das Konzept „Migrationshintergrund“ daher kaum geeignet.

Mit dieser im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes erstellten Expertise wird eine Bestandsaufnahme zum Thema Diskriminierung in 20 sozialwissenschaftlichen Wiederholungsbefragungen in Deutschland vorgelegt. Die politische Diskriminierungsberichterstattung ebenso wie die Diskriminierungsforschung benötigen Daten, um das Ausmaß und die Entwicklung von Diskriminierung in Deutschland in Bezug auf die durch das AGG geschützten Kategorien Geschlecht, ethnische Herkunft/rassifizierende Zuschreibung, Religion/Weltanschauung, Behinderung/Beeinträchtigung, Lebensalter und sexuelle Orientierung bestimmen zu können. Die Bestimmung des Ausmaßes von Diskriminierung ist nur im Rahmen von repräsentativen, mit sozialwissenschaftlichen Methoden durchgeführten statistischen Erhebungen möglich, und die Entwicklung von Diskriminierung kann durch Wiederholungsbefragungen, besser noch Panelbefragungen beobachtet werden, bei denen denselben Personen in bestimmten Abständen dieselben Fragen wiederholt gestellt werden.
Ziel der Expertise ist es, einen Gesamtüberblick zu geben – der bisher fehlte –, welche Daten zu Diskriminierung derzeit bereits zur Verfügung stehen und welche fehlen oder sich zur Diskriminierungsmessung nicht eignen. Hier gibt die Expertise Empfehlungen für die Weiterentwicklung der Wiederholungsbefragungen.
Es wurden 20 Wiederholungsbefragungen ausgewählt, die deutschlandweit in Bezug auf klar definierte Grundgesamtheiten und möglichst große Stichproben regelmäßig stattfinden und unterschiedliche Lebensbereiche (z. B. Bildung, Arbeit, Wohnen und Gesundheit) abdecken, in denen Diskriminierung stattfinden kann. Untersucht wurden beispielsweise der Mikrozensus, das Sozio-oekonomische Panel (SOEP), der ALLBUS, der Deutsche Alterssurvey (DEAS), das Nationale Bildungspanel (NEPS), die Gesundheitsstudie (DEGS) und weitere. Diese Expertise stellt dar, welche Fragen zur subjektiven Erfahrung und zu weiteren Aspekten von Diskriminierung in den Wiederholungsbefragungen derzeit enthalten sind und wie die vor Diskriminierung geschützten im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) genannten Kategorien in den Befragungen erfasst werden. Es wird untersucht, ob die AGG-Kategorien zum Zweck der Diskriminierungsmessung zielführend operationalisiert sind.

Václavské náměstí v „dlouhém“ 20. století -
I. Václavské náměstí v 1. polovině 20. století: Národní symbol, místo shromážďování, setkání i konfrontace
II. Václavské náměstí v druhé polovině 20. století: Symbol občanského odporu a brána do světa

[English Abstract see below ]
Analýza sekularizovaných slovních spojení mezi lexikonem, gramatikou a diskurzem: případ Noemovy archy a Ducha svatého
[„Analyse säkularisierter Wortverbindungen zwischen Lexikon, Grammatik und Diskurs: Der Fall von Arche Noah und Heilger Geist]
Klíčová slova: Duch svatý, Noemova archa, banka; kognitivní sémantika, teolingvistika, kulturní lingvistika, (meta-) lexikografie, metodologie, korpusová lingvistika, hypertextová lexikální databáze
Schlüsselwörter: Heiliger Geist, Arche Noah, Bank; Kognitive Semantik, Theolinguistik, Kulturlinguistik, (Meta-) Lexikographie, Methodologie, Korpuslinguistik, Lexikalische Hypertextdatenbank
Abstract
This paper provides a side view into the ongoing work on the linguistic research project The Secularization of Religious Vocabulary against the Background of Social Change – Polish, Czech, Slovak and German an English description of which is to be found online: <http://www.slawistik.hu-berlin.de/member/anagorko/secularization>. I reflect methodical and theoretic questions regarding the influence of other layers of description as grammar and discourse on lexical and semantic research by studying two complex sacral nouns as Noah´s ark and The Holy Spirit. In order to analytically sharpen the problem, I raise the question if Noah´s ark can mean a gene bank in contemporary Czech.
Keywords: Noah´s ark, The Holy Spirit, Bank; cognitive semantics, theolinguistics, cultural linguistics, (meta-) lexicography, methodologies, corpus linguistics, hypertextual lexical databases

Johannes Heinke, Humboldt-Universität zu Berlin
(Badatelský Projekt Sekulárizace naboženské slovní zásoby za pozadí společenských změn, Vedení Prof. Dr. Alicja Nagórko, Katedra západoslovanských jazyků na Ustavě slavistiky, Filosoficka fakulta II)

Cílem příspěvku je stanovení klíčových parametrů k analýze pragmasémantických a pragmasociologických změn komplexních nominálních výrazů v češtině.

Klíčová slova: Duch svatý, Noemova archa, banka; kognitivní sémantika, teolingvistika, kulturní lingvistika, (meta-) lexikografie, metodologie, korpusová lingvistika, hypertextová lexikální databáze

Der Sammelband präsentiert Beiträge der inzwischen dritten internationalen Tagung, die von der DFG-geförderten Forschergruppe im Institut für Slawistik der Humboldt-Universität zu Berlin durchgeführt wurde. Thematisch behandelt werden Fragen der sprachlichen Säkularisierung, die aus Blickwinkeln verschiedener Disziplinen betrachtet werden: der kognitiv orientierten Semantik, Lexikographie, Pragma- und Theolinguistik, Religionssoziologie und nicht zuletzt der Kulturwissenschaft. Die jahrelange Forschung bestätigt die Schwierigkeit, den religiösen Wortschatz zu bestimmen. Die Lexikographie verwendet zum Beispiel Merkmale wie kult. (= kultisch) oder rel. (= religiös), die nahelegen, dass es sich hierbei um einen Fachwortschatz handelt. Eine solche Schlussfolgerung ist dennoch falsch. Religionsforscher gehen längst davon aus, dass dem Menschen eine angeborene Intuition von Sacrum eigen ist. In dem während der Tagung diskutierten Säkularisierungsprojekt wird von religiösen Schlüsselwörtern (der sog. Berliner Key-Words-Liste) ausgegangen, die im Online-Lexikon (www2.hu-berlin.de/sacrumprofanum/index.html) lexikographisch bearbeitet werden. Die meisten Autoren knüpfen in ihren Beiträgen an bestimmte Lemmata aus dieser Liste an, zugleich aber machen sie auf text- und diskursspezifische Mechanismen ihres Gebrauchs aufmerksam, ganz nach dem Motto der Konferenz „Semantik und Pragmatik (der Säkularisierung)“.