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Vom Tanzboden ins Web 2.0

Identität und Ethnizität im bolivianischen Tanz, untersucht im Web 2.0 Diplomarbeit (ein erster Untersuchungsschritt)

Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Vom Tanzboden ins Web 2.0 Identität und Ethnizität im bolivianischen Tanz, untersucht im Web 2.0 Diplomarbeit von Eveline Rocha Torrez [Sigl] Studienrichtung: Kultur- und Sozialanthropologie Universität Wien Betreuerin: Prof. Elke Mader I Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung .................................................................................................................... 1 2 Cyber-Anthropology ................................................................................................... 4 2.1 Stand der Forschung .............................................................................................. 4 2.2 Allgemeines............................................................................................................. 4 2.3 Theoretische Konzepte ........................................................................................... 6 2.3.1 Das Internet als sozialer Raum ...................................................................... 6 2.3.2 Das Internet als kulturelles Artefakt und soziale Praxis ............................... 7 2.3.3 Internet und Identität .................................................................................... 9 2.3.4 Internet und Konflikt ....................................................................................11 2.3.5 Internet, nationale Identität und Diaspora- Gemeinschaften ......................13 2.4 Forschungsfeld Web 2.0 ........................................................................................15 2.4.1 Allgemeines ...................................................................................................15 2.4.2 Social Network Sites (SNS) ...........................................................................17 2.5 2.4.2.1 MySpace ................................................................................................19 2.4.2.2 Facebook ...............................................................................................19 2.4.2.3 Orkut .....................................................................................................20 2.4.2.4 YouTube ...............................................................................................20 2.4.2.5 Skype.....................................................................................................20 Feldforschung im Internet ....................................................................................21 2.5.1 Allgemeines ...................................................................................................21 2.5.2 Zeitlicher Rahmen und persönliche Involviertheit ......................................22 2.5.3 Anonymisierung und Schutz der InformantInnen, Privatsphäre vs Öffentlichkeit .............................................................................................................23 II 2.5.4 Online-offline-Problematik ...........................................................................24 2.5.5 Eigene online Identität..................................................................................27 2.5.6 Methoden.......................................................................................................27 2.5.6.1 Lurking .................................................................................................27 2.5.6.2 Teilnehmende Beobachtung ................................................................28 2.5.6.3 Standardisierte Online Befragungen ....................................................30 2.5.6.4 Individualisierte Online Befragungen per email .................................31 Eveline Sigl 3 Kultur, Identität und Ethnizität .................................................................................34 3.1 Stand der Forschung .............................................................................................34 3.2 Triangulation von Identität, Ethnizität und Kultur ..............................................34 3.3 Identität, Differenz und Alterität...........................................................................35 3.3.1 Baumanns Grammars of Identity/Alterity .....................................................36 3.3.2 Identifikation .................................................................................................37 3.4 Begriffsdefinitionen.......................................................................................38 3.4.2 Ethnische Grenzziehungen (ethnic boundaries)...........................................39 3.4.3 Entstehung und Kommunikation ethnischer Klassifizierungen .................41 3.5 Ethnizität, Nationalismus und Rassismus .............................................................43 3.6 Ethnizität, Kultur und Tradition ...........................................................................47 3.6.1 Sichtweisen von Kultur .................................................................................47 3.6.2 Ethnizität, Kultur und (Bi-, Multi-) Kulturalismen ......................................49 3.6.3 Tradition ........................................................................................................51 Tanz als Ausdruck von Kultur, Identität, Ethnizität .............................................53 3.7.1 Tanz als kulturell determiniertes Verhalten und Mittel der Abgrenzung ...53 3.7.2 Bedeutung in urbanen Zentren ....................................................................55 3.7.3 Tanz, Sexualität und Gender-Rollen ............................................................55 3.8 Diaspora-Identitäten ..............................................................................................57 Qualitative Forschungsmethoden..............................................................................64 4.1 Allgemeines............................................................................................................64 4.2 Datenerhebung ......................................................................................................64 4.2.1 Problemzentriertes Interview ........................................................................64 4.2.2 online Befragung ...........................................................................................64 4.3 5 Ethnische Identität, Ethnizität ..............................................................................38 3.4.1 3.7 4 Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Auswertung auf Basis der Grounded Theory ........................................................65 4.3.1 Theoretische Grundlagen .............................................................................65 4.3.2 Vorgangsweise ...............................................................................................66 Vorgehensweise .........................................................................................................71 5.1 Erste Schritte und Orientierung in den online SNS ............................................71 3 Eveline Sigl 6 Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 5.2 Weitere Vorgehensweise .......................................................................................75 5.3 Analyse von Youtube-Kommentaren ....................................................................75 5.4 Präsenz in den SNS und individualisierte online Befragungen ..........................77 5.5 Interviews per MSN ...............................................................................................81 5.6 Interviews per Skype/Telefon ................................................................................83 5.7 Face to face Interviews ..........................................................................................84 5.8 Problematische Punkte bei der Cyber-Ethnografie ..............................................85 5.8.1 online-offline-Problematik ............................................................................85 5.8.2 Konstruktion einer eigenen online Identität ................................................87 5.8.3 Möglichkeiten der Teilnahme .......................................................................89 5.8.4 Knüpfen engerer online Beziehungen ..........................................................90 Analyse .......................................................................................................................91 6.1 Anmerkungen zu Analyse und Präsentation der Daten........................................91 6.2 Allgemeines zum bolivianischer Umzugstanz, seiner Bedeutung für die Identität der TänzerInnen und seiner Rolle in den diasporic public spheres .................................92 6.3 6.3.1 Tanz und gemeinsame Abstammung ............................................................93 6.3.2 Abgrenzung über Schicht, Status und Ethnizität.........................................95 6.3.3 Nationaler „Tanzkonflikt” zwischen Bolivien, Peru, Chile und Argentinien100 6.3.4 Regionalismen – Cambas und Collas .......................................................... 113 6.3.5 Abgrenzung über die Vorstellung des Anderen ......................................... 116 6.4 4 Bolivianischer Umzugstanz und ethnische Identität .............................................93 6.3.5.1 Exotismus und Fremdheit .................................................................. 116 6.3.5.2 Indigene und afro-bolivianische Andere ........................................... 118 6.3.5.3 Unterschiede bei den TänzerInnen .................................................... 120 6.3.5.4 Peruanische und chilenische Andere ................................................. 124 Bolivianischer Umzugstanz und kulturelle Identität ........................................... 126 6.4.1 Tanz als Teil der bolivianischen Kultur ...................................................... 126 6.4.2 Tanz als Teil eines ewigen Kreislaufs ......................................................... 128 6.4.3 Bezüge zu den Indigenen ............................................................................ 132 6.4.4 Bezug zu Religion und Ritual ...................................................................... 135 6.4.5 Kulturelle Gemeinsamkeiten und Differenzen ........................................... 136 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 6.5 Tanz und Gender-Identitäten .............................................................................. 137 6.6 Tanz, „persönliche“ und Diaspora-Identitäten ................................................... 145 6.6.1 Tanz als Mittel zur persönlichen Entwicklung ........................................... 146 6.6.2 „Fremde” und „eigene” Identitäten ............................................................ 147 6.6.3 Erste und zweite Diaspora-Generation, Halfies .......................................... 150 6.7 Tanz als Werkzeug für Interkulturalität, Integration und soziale Kontakte ....... 156 7 Nachwort zur methodologischen Vorgangsweise ................................................... 163 8 Quellen ..................................................................................................................... 164 9 8.1 Literatur ............................................................................................................... 164 8.2 Weblinks zur theoretischen Diskussion .............................................................. 168 8.3 Weblinks zu den bolivianischen Tanzgruppen außerhalb Boliviens .................. 169 Anhang ..................................................................................................................... 172 9.1 Vollständige Code-Liste der Auswertung mit atlas.ti ..................................... 172 9.2 Fragebogen/Interview-Leitfaden ......................................................................... 177 9.2.1 Deutsch ....................................................................................................... 177 9.2.2 Spanisch ...................................................................................................... 178 9.3 Tänze .................................................................................................................... 180 9.3.1 Caporales ..................................................................................................... 180 9.3.2 Morenada ..................................................................................................... 182 9.3.3 Tinku ........................................................................................................... 184 5 Eveline Sigl 0 Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 1 Einleitung Der bolivianische Tanz hat eine lange Tradition, die sich bis in die Zeit vor der spanischen Eroberung zurückverfolgen lässt. Viele der heute populären Umzugs- und Bühnentänze entstanden während der Kolonialzeit (bis 1825) bzw. in der nachfolgenden republikanischen Phase und waren schon damals wichtige Symbole für Identität und Ethnizität. Zu einem regelrechten Massenphänomen mit starken Bezügen zum postrevolutionären Nation State Building entwickelte sich die bolivianische Folklore jedoch erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als auch bis dahin nicht in das Tanzgeschehen involvierte Gesellschaftsschichten begannen, an den Tanzumzügen teilzunehmen. Populäre Tänze wie Morenada, Diablada, Tinku, Taquirari und ganz besonders Caporales sind heute anerkannte Symbole von „lo nuestro“ („dem Unseren“) und ein wichtiger Bestandteil der staatlich und medial propagierten Narrativen einer heroischen indigen-mestizischen Vergangenheit und Tradition. Die Auseinandersetzung mit dem Tanz als Teil des „Eigenen“ bzw. als Mittel der Abgrenzung gegenüber den „Anderen“ hat in den letzten Jahren nicht nur innerhalb der Landesgrenzen, sondern auch in den bolivianischen Diaspora-Gemeinden auf der ganzen Welt stark an Bedeutung gewonnen. Bedingt durch die technische Entwicklung des Internets fanden die Tänze außerdem Eingang in die online sozialen Netzwerke des Web 2.0, wo sich der transnationale Diskurs zum bolivianischen Tanz in Kommentaren zu den etwa 5.000 relevanten YouTube-Videos, auf etlichen Webseiten und in den Profilen von Facebook, Orkut und MySpace manifestiert. In Anlehnung an Appadurai (1996) betrachte ich mein Untersuchungsfeld als Schnittpunkt transnationaler Ethnound Mediascapes, in denen die bewegten Bilder und Imaginationen von bolivianischem Tanz auf die ebenso mobilen TänzerInnen und Interessierten treffen. Mit der Frage nach der Rolle, die die bolivianischen Straßentänze bei der Konstruktion von Identität und Ethnizität in der bolivianischen Diaspora online und offline spielen, soll die vorliegende Arbeit einen kleinen Ausschnitt des Phänomens bolivianischer Tanz näher beleuchten und dabei der Untrennbarkeit von online und offline Kontexten 1 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 insofern gerecht werden, als sie die behandelte Thematik in beiden Räumen untersucht. Um den Rahmen der Untersuchung nicht zu sprengen, habe ich meine Analyse wie folgt eingegrenzt: Tanzgruppen in Bolivien selbst wurden ausgeklammert, ebenso Kommentare zu YouTube-Videos oder Webseiten/Online Social Network Sites von bolivianischen Tanzgruppen oder Tanzumzügen in Bolivien. Es geht im Folgenden also nicht um eine Binnenanalyse der Tänze und ihrer Bedeutung für Identität und Ethnizität, sondern um eine Analyse des sie begleitenden Diskurses, d.h. konkret um eine Untersuchung von Kommentaren, Nachrichten und Informationstexten im Web 2.0, die durch online Fragebögen sowie face-to-face und Skype-Interviews ergänzt wurde. Der Fokus auf die bolivianische Diaspora wurde insofern beibehalten, als ich nur Personen befragt habe, die außerhalb von Bolivien leben, in den meisten Fällen BolivianerInnen erster und zweiter Generation sowie Halb-BolivianerInnen. Da in manchen auslandsbolivianischen Tanzgruppen die Anzahl der nicht bolivianischen TänzerInnen überwiegt und gerade diese TänzerInnen interessante zusätzliche Perspektiven in Bezug auf Identität und Ethnizität in den Tanz und die von ihnen besuchten Tanzgruppen einbringen, habe ich mich entschlossen, auch diese Personengruppe über Interviews und Befragungen in mein Forschungsvorhaben einzubinden. Meine Vorgangsweise hat sich stark an den vorgefundenen emischen Aussagen orientiert, aus denen heraus ich die inhaltliche Struktur der Arbeit entwickelt habe. Um ein „Suchen“ nach der Bestätigung theoretischer Konzepte und eine damit verbundene Voreingenommenheit zu vermeiden, begann ich mit der theoretischen Aufarbeitung des kodierten und zusammengefassten Materials erst nach Abschluss der Analysephase. Ethnografische Untersuchungen sind meines Erachtens trotz häufiger Forderungen nach „Objektivität“ besonders dann immer etwas sehr Subjektives, wenn man es wirklich geschafft hat, „Teil“ des Feldes zu werden und nicht nur als unbeteiligte Beobachterin „von außen“ zuzusehen. Als Gründerin und Leiterin einer eigenen bolivianischen Tanzgruppe, die eine der umfangreichsten Webseiten zu diesem Thema erstellt hat und deren YouTube-Videos zum Thema über 100.000 Mal gesehen wurden, geht meine eigene Position im Feld jedoch sicher über die einer „gewöhnlichen“ 2 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 teilnehmenden Beobachterin hinaus, so dass ich hiermit explizit auf meine Position im Feld hinweisen möchte. Auch wenn ich selbst keine Bolivianerin bin, so habe ich doch das Gefühl, in dieser Arbeit etwas untersucht zu haben, dass für mich zu einem Teil des „Eigenen“ wurde und mir deshalb besonders wichtig erscheint. 3 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 2 Cyber-Anthropology 2.1 Stand der Forschung Wenn die Situation mittlerweile auch nicht mehr ganz so krass ist, wie sie Birgit Bräuchler (2005: 11) schildert, so erstaunt es doch nach wie vor, wie wenig cyberethnografische bzw. cyber-anthropologische Studien trotz der rasanten Verbreitung des Internets vorliegen. Werke wie Castells Network Society (1996) erscheinen mit ihrer Unterscheidung zwischen „realen“ und von diesen abgegrenzten „virtuellen“ Welten überholt. Auch Hakkens cyborgs@cyberspace hat seit 1999 einiges an Aktualität eingebüßt. Was die technische Entwicklung anbelangt, trifft das zwar auch auf Hines Virtual Ethnography, Bayms Tune In, Log on und The Internet: an ethnographic approach von Miller und Slater zu, doch sind diese drei Werke aus dem Jahr 2000 vor allem aufgrund ihres praktisch-ethnografischen Zugangs bis heute lesenswert und können nach wie vor eine Menge wertvoller Anregungen liefern. Die 2005 von Christine Hine herausgegebenen Virtual Methods bieten wertvolle methodische Hinweise. Für den deutschen Sprachraum sind vor allem die Dissertationen von Bräuchler (2005) und Zurawski (2004) sowie die Publikationen von Kremser und Budka zu erwähnen. Da die von mir untersuchten bzw. für die Untersuchung genutzten Web 2.0-Technologien erst seit wenigen Jahren existieren (z.B. YouTube seit 2005, MySpace seit 2003, Facebook seit 2004), musste ich mich bei meiner diesbezüglichen Literatursuche allerdings vorwiegend auf Internet-Quellen stützen. Besonders erwähnenswert erscheinen mir hier die Arbeiten von Danah Boyd und Patricia Lange. 2.2 Allgemeines Die folgenden theoretischen Ausführungen zur Cyber-Anthropologie erheben keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit und sollen primär dazu dienen, die im empirischen Teil der Arbeit verwendeten Begriffe, Konzepte und Methoden vorzustellen und auf einige besonders wichtige Eigenschaften von Web 2.0 und online Social Network Sites (SNS) hinzuweisen. Aus diesem Grund habe ich auch darauf verzichtet, einen geschichtlichen 4 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Abriss zur Entstehung des Internets bzw. der Cyber-Anthropologie zu geben oder auf technische Details einzugehen. 5 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 2.3 Theoretische Konzepte 2.3.1 Das Internet als sozialer Raum Das Internet wirft eine Reihe wichtiger Fragen auf – etwa danach, welche Bedeutung sein Gebrauch für die NutzerInnen hat, welches Zielpublikum über Internet-basierte Kommunikation angesprochen werden soll, wie sich soziale Beziehungen durch den Internet-Gebrauch in ihrer zeitlichen und räumlichen Struktur verändern oder wie Authentizität und Autorität im Internet konstruiert werden (Hine 2000: 8). In der vorliegenden Arbeit folge ich Hakkens (1999: 5) bzw. Bräuchlers (2005: 15) Auffassung und verwende die Begriffe Internet und Cyberspace synonym für einen sozialen Raum, dessen konkrete „Orte“ der sozialen Interaktion aus Web-Sites, Blogs, Foren, Chatrooms, Social Network Sites, mail-Servern und Ähnlichem bestehen, der jedoch nie losgelöst von der offline Realität gesehen werden darf (ebd: 17). Die innerhalb dieses Raums uni-, bi- und multidirektional, synchron oder asynchron ablaufende Kommunikation kann sowohl dem Informationsaustausch als auch der Schaffung von Identitäten dienen und erweitert als „medial vermittelter Erfahrungshorizont“ die Realität des Menschen (Bräuchler 2005: 14 f). Aufgrund ihrer überholten Abrenzung zwischen „real“ und „virtuell“ sind Castells Konzepte von der zeitlosen Zeit (timeless time) und dem Raum der Ströme (space of flows) (Castells 2004[1996]: 466 ff, 485 ff) zwar kritisch zu betrachten, doch ist Hine der Ansicht, dass sich die imaginierte Räumlichkeit des Cyberspace trotz lokaler Bezüge und geografisch eindeutiger Zuordenbarkeit von Webspaces eher an den Verbindungen als an physischen Distanzen orientiert. Suchmaschinen und Browser tragen mit ihrer Strukturierung und Sichtbarmachung der Web-Inhalte dazu bei, dass sich die UserInnen in den multiplen zeitlichen und inhaltsbezogenen Räumen zurechtfinden (Hine 2000: 106, 108, 112, 114, Jones 1998: 7). Sowohl für Baym (1998: 40) als auch für Miller und Slater erlangt das Internet seine Bedeutung erst durch die Einbettung in soziale Räume, die außerhalb des Internets, also im offline Bereich, angesiedelt sind. Durch die fließenden Übergänge zwischen online und offline entsteht so ein inhomogener Raum, in dem die verschiedensten Techniken von den verschiedensten 6 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Leuten an den unterschiedlichen geografischen Orten genutzt werden (Miller und Slater 2000: 1). An die Stelle eines Dualismus zwischen lokal und global tritt dabei eine komplexe dialektische Beziehung zwischen diesen beiden Polen (ebd: 7). - Die NutzerInnen werden als Teil von translokalen Netzwerken zu AkteurInnen zusehends globaler Szenarien, in denen die Grenzen von Märkten, Nationen, Kulturen und Technologien immer durchlässiger werden (ebd: 18 f). Das Internet kann bei all diesen Prozessen durchaus transformative Wirkungen haben, aber sicher nicht in einem „abgeschlossenen“ Cyber-Raum existieren (Miller und Slater 2000: 5). Vielmehr werden die neuen sozialen Räume in das tägliche Leben integriert und dazu genutzt, eigene Werte zu verwirklichen. Das Internet selbst muss also gleichermaßen als symbolisches Ganzes wie als Vielzahl verschiedener Praktiken gesehen werden, in dem neue persönliche Freiheiten möglich werden (ebd: 16), traditionelle Grenzen und Teilungen aufgehoben werden können (ebd: 45) und es zu einer Dezentralisierung und einem Verschwimmen von Autorität und Macht kommt (ebd: 18). Trotz der rasanten Ausbreitung des Internets kann von einer flächendeckenden Versorgung keine Rede sein. Der Zugang zu den neuen Informationstechnologien wird durch Faktoren wie soziale Schicht, Gender und Ethnizität bestimmt und eingeschränkt (Buckingham: 5), wobei Hakken annimmt, dass diese alten Hierarchien sozusagen unterbewusst „hineinprogrammiert“ werden (1999: 89). Wenn die resultierenden Internet-Gemeinschaften auch genauso ausschließend, starr und isoliert sind wie ihre „alten“ Vorgänger sein können (Jones 1998: 8), so bieten sie gleichzeitig jedoch auch vielen benachteiligten Gruppen symbolische Ressourcen, um Identitäten auszudrücken (Buckingham: 5). 2.3.2 Das Internet als kulturelles Artefakt und soziale Praxis Der Cyberspace kann jedoch nicht nur als sozialer Raum, sondern auch als Kultur (Hakken 1999: 1) oder kulturelles Artefakt betrachtet werden (Hine 2000: 64). Hier muss bedacht werden, dass auch im „Informationszeitalter“ alle Daten zweifach kulturell kodiert werden: bei der Wahrnehmung und bei der Verarbeitung innerhalb komplexer 7 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Symbolsysteme (Hakken 1999: 20 f). Das Internet ist ein Repräsentationswerkzeug, das Einfluss darauf nimmt, wie Kultur generiert und reproduziert wird (ebd: 44). Als Teil der materiellen Kultur beeinflusst das Internet die Menschen, für die der Umgang mit dieser Technologie etwas Selbstverständliches wird, das sie als Objekt verstehen und nützen (Miller und Slater 2000: 3). Umgekehrt beeinflussen soziale Akteure und Institutionen die Auswirkungen des Internets, indem sie bestimmen, wo, wann, wie und wozu diese Technologien von wem verwendet werden. Diese Praxis widerspricht natürlich dem bei weitreichenden technologischen Neuerungen (wie etwa der Einführung von Buchdruck und Telefon) periodisch wiederkehrenden Determinismus, der Technologien als neutrale Produkte der Wissenschaft darstellt und ihnen eine transformierende Rolle in Bezug auf große Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens zuschreibt. In Analogie zu den Diskussionen um die Einführung neuer Technologien vor hundert Jahren oszilliert die aktuelle Diskussion über das Internet zwischen Euphorie und Paranoia: Während die einen im Internet neue Formen von Gemeinschaft und Zivilgesellschaft ermöglicht sehen, die zu persönlicher Freiheit und verstärktem Empowerment führen können, weisen die anderen auf die Gefahr neuer Formen von Ungleichheit und kommerzieller Unterdrückung hin (Buckingham 2008: 11 f, Hine 2000: 4 ff, 29, Hakken 1999: 66). Wie McLuhan in seiner Medium Theory postuliert, können neue Medien auch bestimmte Formen des Bewusstseins und damit der sozialen Organisation beeinflussen. Theorien der multimodalen Kommunikation gehen ebenfalls davon aus, dass die Veränderungen in den dominanten Kommunikationsmodi zu Veränderungen in den sozialen Beziehungen führen. Buckingham kritisiert an den letztgenannten Ansätzen allerdings, dass sie dazu tendieren, die verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten dieser Medien ebenso wie die komplexen Beziehungen zwischen den Veränderungen der Medien und sozialen Kräften vernachlässigen (Buckingham 2008: 11 f). Ebenfalls häufig vernachlässigt wird die Kontinuität und Interdependenz zwischen „neuen“ und „alten“ Medien (ebd: 14). 8 Eveline Sigl 2.3.3 Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Internet und Identität Bräuchler sieht das Internet als „Austragungsort kollektiver Identiätsprojekte“, über die sich die jeweiligen Gemeinschaften definieren, alte Mitglieder halten und neue anwerben bzw. generell nach außen auftreten (Bräuchler 2005: 28). Das angesprochene Publikum spielt dabei eine wichtige Rolle, in der die Grenzen zwischen „passiver“ Rezeption und „aktiver“ sozialer Praxis oft zu verschwimmen scheinen: In der von Baym untersuchten Usenet-Community bauen Soap-Opera-Fans aus aller Welt trotz meist fehlender face-to-face Kontakte eine soziale Welt auf, in der die Rolle des Zusehers (audience) selbst zur einer sichtbaren sozialen Praxis wird, die interpersonelle Beziehungen und damit ein Gefühl von Gemeinschaft ermöglicht (Baym 2000: 197, 215). Das heisst, dass die online Identitäten nicht nur von anonymen, sondern auch von nicht anonymen Mitgliedern verschiedener Internet-Communities aktiv durch die kommunikative Praxis geschaffen werden (Baym 1998: 54). Die Arbeit von WebDesignerInnen kann insofern als „kollektives Identitätsprojekt“ gesehen werden, als sie sich einerseits stark an den imaginierten Präferenzen und Interessen der potentiellen BesucherInnen orientiert (Hine 2000: 88) und andererseits eine Möglichkeit der SelbstRepräsentation darstellt, die Stolz und Anerkennung innerhalb der Zielgruppe bringt (ebd: 93). Page Views und Links auf die eigene Web-Präsenz sind dabei Maßstäbe für den Erfolg (ebd: 149). Viele Personen und Gruppen hätten ohne das Internet nie die Möglichkeit gehabt, sich über geografische, soziale und politische Grenzen hinaus zusammenzufinden und mit ihren Anliegen ein potentiell weltweites Publikum anzusprechen. Nicht beantwortet ist damit allerdings die Frage, ob ihre „Stimme“ im Netz überhaupt gehört wird bzw. inwieweit diese „Stimme“ das ebenso verstreute Publikum ansprechen, beeinflussen oder gar manipulieren kann bzw. ob sie mit den großen Medienorganisationen in Konkurrenz treten kann (Bräuchler 2005: 40, 322, Hine 2000: 73). Wie im offline Bereich so werden auch online Identitäten im Spannungsfeld zwischen Gleichheit (sameness) und Differenz konstruiert (vgl. Gingrich 2004: 4, 6), Vorgänge der Stereotypisierung oder „kognitiven Simplifizierung“, die eine leichtere Unterscheidung zwischen Selbst und Anderen ermöglichen (Buckingham 2008: 6) stehen also auch hier an der Tagesordnung. Zusätzlich kommt es zu einer wachsenden 9 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Verstrickung von lokalen Identitäten mit globalen Prozessen (Bräuchler 2005: 33, Hine 2000: 59). Internet-Gemeinschaften und Einzelpersonen wie die von Miller und Slater untersuchten TrinidaderInnen nutzen die von ihnen mit Ort, Kultur und Nationalität assoziierte Differenz, um sich im Internet zu positionieren (Miller und Slater 2000: 98). Bei online Interaktionen muss die Abwesenheit bestimmter Identitätsmarker des offline Lebens durch andere Faktoren kompensiert werden (Buckingham 2008: 6). Dabei stellt sich bald heraus, wie sehr der Körper dazu verwendet wird, durch Bewegungen, Kleidung, Rede und Gesichtsausdruck Informationen über einen selbst preiszugeben und wie sehr dieser Körper als etwas Selbstverständliches angesehen wird. Trotz der technischen Einschränkungen fanden hier aber schon die Benutzer des Web 1.0 Möglichkeiten, dieser Problematik zu begegnen und ihre online Identität so zu individualisieren, dass die eigene Stimme von den anderen unterscheidbar wurde (Baym 2000: 171). Heute können nicht nur email-Signaturen, Nicknames, ASCII-Illustrationen, Text und Homepages, sondern auch Bilder, Blogs, Avatare, Audio- und Video-Dateien der digitalen Identitätskonstruktion dienen, wobei sich sich diese Art der Selbstdarstellung von der in face-to-face Kontexten gelebten weiterhin unterscheidet. In mancher Hinsicht sind die Kontrollmöglichkeiten bezüglich der Selbst-Repräsentation größer als offline und das Internet ermöglicht eine Individualisierung, die es erlaubt, anderswo stigmatisierte oder verleugnete Facetten der Identität auszuleben bzw. mit Identitäten zu spielen. Gleichzeitig kommt es allerdings auch leichter zu Mißverständnissen (Buckingham 2008: 6, Boyd 2008: 128 f, Baym 2000: 147 ff). Das gilt auch für die in den verschiedenen Arten elektronischer Kommunikation (email, Chat, SNS) häufig elektronische anzutreffende, Parasprache, für in Außenstehende der Emoticons, oft nur absichtliche schwer entzifferbare Rechtschreibfehler, Abkürzungen, Wortwahl, Schreibstruktur, Wort-Kreationen und Mischungen aus Großund Kleinschreibung zu einem Ausdruck emotionaler Prozesse werden und auf die sich online ForscherInnen einstellen müssen. Die solcherart personalisierten Worte drücken Identität und Kultur stärker aus als es Worte im offline Gebrauch tun. Im Internet wird mitunter sogar ihr Inhalt unwichtig: nämlich dann, wenn nur die bloße Äußerung innerhalb eines geteilten kulturellen Umfelds zählt (Boyd 2006 in URL 4, Bräuchler 2005: 35, Baym 2000: 169, Kivits 2005: 40). 10 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Um die Normen der eigenen online Gemeinschaft zu stärken, werden Verstöße gegen das gruppeninterne Wertsystem mit strukturellen und sozialen Sanktionen geahndet bzw. erwünschtes Verhalten gestärkt (Baym 2000: 138 [nach Mnookin 1996 und Reid 1991], 171). Das Fehlen gemeinschaftlicher Objekte im Cyberspace steigert die Wichtigkeit derartiger Normen (ebd: 141), die einerseits das Verhalten der Mitglieder solcher online Communities formen, andererseits aber auch selbst einem ständigen, durch Anwendung und Interpretation bedingten Wandel unterliegen (Hine 2000: 116). Miller und Slater sehen das Internet als einen Teil der materiellen Kultur, der es ermöglicht, eigene Grundwerte, Praktiken und Identitäten auszuleben. Im Zuge einer „expansive realization“ formen die Menschen das Internet nach ihren Vorstellungen und benutzen es dazu, „das zu werden, was sie glauben, in Wirklichkeit zu sein“. Viele der von den Autoren untersuchten TrinidaderInnen sehen so eine Möglichkeit, ihre Werte als Teil eines weltumspannenden Netzwerks zu leben (Miller und Slater 2000: 10 f). Die Internet-Literalität heranwachsender Generationen erzeugt nicht nur neue Wege, Identitäten zu formen, sondern auch neue Persönlichkeitsformen. Trotzdem ist eine Romantisierung fehl am Platz: Nur eine kleine Minderheit der Internet-UserInnen verwendet das Netz dazu, globale Verbindungen herzustellen, politisch aktiv zu werden oder multimediale Produktionen zu erstellen (Buckingham 2008: 14). Der Vollständigkeit halber erwähnt seien an dieser Stelle noch die umfangreichen Arbeiten von Sherry Turkle, deren Fokus auf den multiplen Identitäten von MUDComputerspielen und der Identitätskonstruktion in einer Simulationskultur liegt (Hakken 1999: 87). 2.3.4 Internet und Konflikt Bräuchler unterscheidet bei den immer häufiger weltweit über das Internet ausgetragenen Konflikten zwischen den Cyber Wars (physische Angriffe auf strategische Computer eines Netzwerks) und Flame Wars (online Wortgefechte). Während Cyber Wars u.a. das Schließen von Websites durch Provider-Manipulationen, Virusattacken und Mailbomben beeinhalten (Bräuchler 2005: 264), konzentrieren sich die Flame Wars auf das Versenden äußerst aggressiver Nachrichten und Postings. Diese wüsten Beschimpfungen (Flaming) werden häufig durch die ausschließliche Verwendung von 11 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Großbuchstaben (als Synonym für das Schreien) unterstrichen. Einige AutorInnen gehen davon aus, dass der fehlende face-to-face Kontakt zu einer Enthemmung und damit zum Gebrauch eines zutiefst beleidigenden Vokabulars führt (z.B. Hine 2000: 16 unter Bezugnahme auf Sproull und Kiesler), was Lange in ihren YouTubeUntersuchungen jedoch stark anzweifelt. Statt dessen geht sie davon aus, dass das Flaming soziale Gründe hat und bestimmten offline Konfliktformen wie dem Einschüchtern (bullying) ähnelt (Lange 2007 in URL 7). Weiters können Flames (Hasstiraden) einerseits bewusst zur Provokation eingesetzt werden und andererseits auch helfen, die eigene Gemeinschaft gegenüber den „Anderen“ abzugrenzen (Bräuchler 2005: 63, Hine 2000: 18 in Anlehnung an Smith 1999, Franco et al 1995, Phillips 1996) bzw. die innerhalb einer online Gemeinschaft vorhandenen Regeln explizit zu machen (Baym 2000: 185). Hine ist der Meinung, dass Flames auch dazu dienen können, ein möglicherweise als Zustimmung interpretiertes Schweigen zu einem kontrovers diskutierten Thema zu vermeiden: Solange die Beschimpfungen andauern signalisieren die Konfliktparteien, dass sie nicht mit den Argumenten ihrer KontrahentInnen einverstanden sind (Hine 2000: 135). Im Zuge dieser Abgrenzung zwischen dem „Wir“ und den „Anderen“ kommt es zu Dichotomisierungen, bei denen die Konfliktparteien versuchen, glaubwürdig und unvoreingenommen zu erscheinen und ihr Publikum mit über den Meinungen stehenden „Fakten“ zu überzeugen (Bräuchler 2005: 220, Hine 2000: 131). Unterschiede werden dahingehend konstruiert und essentialisiert, dass (gewaltsame) Auseinandersetzungen als einzig mögliche Alternative erscheinen (Bräuchler 2005: 223). Wie Bräuchler unter Bezugnahme auf Juergensmeyer (2000) feststellt (ebd: 227) und wie auch die Daten meiner Untersuchung belegen, wird die eigene Autorität dabei gern durch geschichtliche Bezüge untermauert. Lokale Integrations- und Ausschlussmechanismen „werden in den Cyberspace übertragen und strategisch ergänzt“, wobei immer betont wird, dass man sich selbst nur gegen die Angriffe der gegnerischen Gruppe verteidige und dass Ungerechtigkeiten der Vergangenheit ausgeglichen werden müssen (ebd: 260 f). „Aussagen und Argumente der jeweils anderen Seite werden aufgegriffen, kritisiert und widerlegt, Mitglieder „der anderen“ und ihre Aktionen im Online- wie im Offline-Bereich werden kommentiert und angeprangert“ (ebd: 264). Im Zuge derartiger Konflikte kann das Internet helfen, 12 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 „bestehende Gemeinschaften zu erweitern und zu idealisieren, die auf der lokalen Ebene durchaus nicht so homogen und vereint sind“ (ebd: 319). 2.3.5 Internet, nationale Identität und DiasporaGemeinschaften Im Gegensatz zu früheren Zeiten, in denen abgegrenzte Territorien als Grundlage für die nationale Identität angesehen wurden, ist es heute keine Selbstverständlichkeit mehr, dass Menschen, die sich mit einer Nation identifizieren, denselben geografischen Raum bewohnen. Entgegen anders lautender Prophezeiungen von einer Fragmentierung und nie dagewesenen kulturellen Differenzierung in einem „globalen Zeitalter“ der Deterritorialisierung wurde das Internet dabei jedoch ein Werkzeug, um nationale Identitäten zu stärken. Besonders wichtig ist das Internet für landlose Nationen und Nationen mit großen temporären und permanenten DiasporaPopulationen. Das Studium seiner Rolle bei der Konstruktion und Erhaltung nationaler Identitäten kann dazu dienen, das Verständnis nationaler Mythen und Symbole zu verbessern (Eriksen 2006 in URL 2). Die meisten nicht-europäischen Einwanderer sind bzw. werden nie voll in die Aufnahmegesellschaft integriert und konstruieren entsprechend komplizierte gekoppelte Identitäten. Transnationale Netzwerke mit Landsleuten können hier als Alternative oder Ersatz zu einer Voll-Mitgliedschaft in einem der beiden Länder dienen. So findet zwar in manchen Bereichen tatsächlich eine kulturelle Homogenisierung statt (Ausbildung, Technik), die aber gleichzeitig dazu eingesetzt wird, die Differenzierung in anderen Bereichen (Religion, Glaubensvorstellungen, emotionale Bindungen) aufrecht zu erhalten (Eriksen 2006 in URL 2). Wie Eriksen es ausdrückt: „... the more similar we become, the more we try to remain different“ (ebd). Die neuen Kommunikations- und Informationstechnologien eröffnen neue Möglichkeiten für das kollektive Identitätsmanagement und erweisen sich besonders in Bezug auf stark verstreute Gemeinschaften als sehr effizient. Durch die mühelose Überwindung räumlicher und zeitlicher Distanzen kann das Internet leicht dazu genutzt werden, Identitäten in einem Ausmaß zu stärken und aufrecht zu erhalten, das früher 13 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 nicht möglich gewesen wäre (Eriksen 2006 in URL 2). So kommt es zu einer transnationalen Ausdehnung lokaler Phänomene und einer Vernetzung von DiasporaGemeinschaften mit ihrer Heimat, die weitreichende Folgen für die Menschen hat (Bräuchler 2005 in URL 1). Chatrooms, Newsgroups und blogs erzeugen den Eindruck von direkter Interaktion, Bekanntheit und Vertrautheit, das weit verstreuten DiasporaGemeinschaften ein integratives Gemeinschaftsgefühl verleiht (Eriksen 2006 in URL 2). Diese angenehme, effiziente und vor allem sehr kostengünstige Art der Kommunikation ermöglicht ausgedehnte und regelmäßige Kontakte, die dazu beitragen, dass verwandtschaftliche Funktionen auch in der Diaspora beibehalten bzw. durch die Migration vernachlässigte verwandtschaftliche Bande reaktiviert werden können (Miller und Slater 2000: 56). Dabei variiert der Bezug zum Nationalismus: Während manche Gruppen vor allem versuchen, persönliche Kontakte aufrecht zu erhalten oder bestimmte kulturelle und religiöse Aspekte ihres Herkunftslandes pflegen wollen, nutzen es andere vorwiegend für politische Zwecke. Diese Netzwerke können sich sozusagen auf Kosten der Netzwerkverbindungen zum Heimatland – auch sehr stark innerhalb des Aufnahmelandes entwickeln (Eriksen 2006 in URL 2). Diasporische Situationen führen zu einer Spannung zwischen den vorrangigen Zugehörigkeitsprinzipien menschlicher Gemeinschaften, Kinship und Territorium. Bestimmte Bedürfnisse können nur im Aufenthaltsland abgedeckt werden, virtuelle Nationen dienen vor allem dazu, eine Identität aufzubauen, die sozial, politisch und wirtschaftlich genutzt werden kann, oft aber zu einem Konflikt mit dem territorialen Staat führt (ebd). Die von Miller und Slater befragten Exil-TrinidaderInnen nutzen das Internet, um Kontakt mit anderen „Trinis“ zu knüpfen, über Trinidadsche Dinge zu sprechen und ihr Trinidadertum online auszuleben. Das Internet diente den TrinidaderInnen dazu, sich einerseits selbst als RepräsentantInnen Trinidads im Netz zu bewegen und andererseits Repräsentationen von Trinidad (z.B. in Form von Webseiten) zu erzeugen (2000: 85 ff). Diese kollektive Identitätsarbeit kann letztlich zu einer Deterritorialisierung und Vergrößerung der existierenden Nationen und damit zu einem virtuellen Nationalismus führen. Bezug nehmend auf die staatliche Unterstützung exilchilenischer InternetPräsenzen verweist Eriksen auf die Möglichkeit staatlich gesponserter Internet-Nationen, 14 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 die (in Anlehnung an Gellners Nations and Nationalism) eine Kongruenz kultureller und politischer Grenzen ermöglichen, selbst wenn beide völlig deterritorialisiert sind. Dieser deterritorialiserte, virtuelle Nationalismus definiert sich sehr stark durch die Orientierung am Rest der „global village“, dem die Schönheiten und Stärken der eigenen Nation näher gebracht werden sollen (Eriksen 2006 in URL 2). Ein konkretes Beispiel für diesen deterritorialisierten Nationalismus geben Miller und Slater mit der Idealisierung Trinidads im Internet, wo es sowohl den auf der Insel lebenden als auch den ausgewanderten Trinis besonders wichtig war, sich als „wahrhafte/r“ Trini darzustellen (2000: 92 f). Beim Chatten konnten Trinis ihre „Trini-ness“ auch direkt über die Verwendung von lokalem Dialekt, lime und ole talk ausleben. Die Autoren weisen im Zusammenhang mit diesen Chats auch auf eine Aufhebung der üblicherweise mit Dialekt und englischer Hochsprache assoziierten Klassenunterschiede hin. Durch den emailund ICQ-Kontakt bleiben Trinis in der Diaspora über das tägliche Geschehen in Trinidad informiert und fühlen sich ihrem Land näher. Eine besonders wichtige Rolle spielt der von vielen Exil-Trinis besuchte oder zumindestens im Internet mitverfolgte Karneval: Webseiten zu den Karnevalsgilden, Kostümschneidereien und Musikgruppen präsentieren das Geschehen ebenso wie die eigens installierte live Webcam (ebd: 94 f). Nationalismus wird vielfach als Teil der eigenen Identiät gelebt und über die entsprechenden Symbole (Nationalflagge und –Hymne, Karneval, Calypso und Soca, Carib Bier und Trinidadsche Persönlichkeiten) in online Präsenzen eingebaut. Dabei gibt es Privatleute, die regelrechte Nationalhomepages aufgebaut haben (ebd: 105 f). Bei der Positionierung in den online Netzwerken ist der Nationalismus laut Miller und Slater der am stärksten ausgeprägte Parameter, wobei Formen der kulturellen Identität häufig mit nationaler Identität gleichgesetzt werden (ebd: 114 f). 2.4 Forschungsfeld Web 2.0 2.4.1 Allgemeines Der Übergang vom Web 1.0 zum Web 2.0 vollzog sich schrittweise durch eine Vielzahl von Neuerungen, die das Wesen des World Wide Web in Summe stark veränderten. 15 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Höhere und günstigere Bandbreiten bei den Internetzugängen, Open Source Software und nicht zuletzt die bereits erfahrener gewordenen NutzerInnen waren wichtige Voraussetzungen für diese Entwicklung (Alby 2007: 1 f, 10 f). Ein entscheidendes Merkmal des Web 2.0 ist die starke Partizipation der NutzerInnen, die die Web-Inhalte nicht nur konsumieren, sondern in einem immer stärkeren Maß auch selbst produzieren (Beer und Burrows 2007 in URL 5). Das folgende Schema von Beer und Burrows (URL 5) gibt die Unterschiede zwischen dem Web 2.0 und seinem Vorgänger in prägnanter Form wieder: 16 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Dimensions of Difference Web 1.0 Web 2.0 (1993-2003) (2004- Mode... Read Write and Contribute Primary Unit of Content... Page Post/record State... Static Dynamic Viewed through... Web Browser Anything Content created by... Web Coder Everyone Domain of... Web Designers and Geeks A new culture of public research? Abb. 1: Gegenüberstellung von Beer und Burrows (URL 5) Damit zählen de.wikipedia.org) User-generierte oder Mashups Blogging-Applikationen (hybride ebenso Applikationen, die wie Wikis (z.B. zwei oder mehr Technologien zu etwas Neuem kombinieren) ebenso zu den Charakteristika des Web 2.0 wie die Social Network Sites (s. u.). Wie schon das Web 1.0 (Baym 2000: 159, 162) so eignet sich auch dessen Nachfolger mit seinen Social Network Sites, (Video)-Blogs, Verteilerlisten, Fotoarchiven und Suchfunktionen zum Aufbau neuer Formen von kulturellem Kapital und von Sozialkapital (Alby 2007: 112). Das widerspricht früheren Annahmen, die eine gestiegene Anzahl von online Kontakten mit einem Verlust von offline Kontakten assoziierten (Ellison et al 2007 in URL 6). 2.4.2 Social Network Sites (SNS) Die für die Untersuchung genutzten Tools MySpace, Orkut, FlickR und Facebook gehören zu den hunderten von Social Network Sites, die täglich von Millionen NutzerInnen aufgerufen werden. Danah Boyd definiert diese Netzwerke als „web-based services that allow individuals to (1) construct a public or semi-public profile within a bounded system, (2) articulate a list of other users with whom they share a connection, and (3) view and traverse their list of connections and those made by others within the system“ (Boyd in URL 3). Laut Boyd stellen die SNS eine Netzwerk-Öffentlichkeit dar, die sich durch die vier Merkmale „persistence, 17 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 searchability, replicability and invisible audiences“ von face-to-face-Öffentlichkeiten unterscheidet und damit die menschliche Interaktion verändert (Boyd 2008: 120). Dabei dienen SNS zwar vorwiegend dazu, bereits bestehende soziale Netzwerke zu pflegen, ermöglichen es aber natürlich auch, Gleichgesinnte zu einem bestimmten Thema kennenzulernen und das eigene soziale Netzwerk für Außenstehende sichtbar zu machen, was ebenfalls zu neuen Kontakten führen kann. Als Grundlage solcher SNS dienen persönliche Profile, in denen die als „Friends“ identifizierten Kontakte aufscheinen und mithilfe derer eine online Identität kreiert werden kann. Boyd zitiert hier den treffenden Ausspruch Sundéns (2003: 3) des „type oneself into being“. Die Möglichkeiten, die Sichtbarkeit und den Zugang zu den persönlichen Profilen zu gestalten, gehören zu den wichtigsten Unterscheidungsmerkmalen der verschiedenen SNS. Bei den meisten SNS ist eine beiderseitige Willensübereinstimmung nötig, um zu einem „Friend“ zu werden. Als Friend erhält man Einblick in die Friends-Liste eines Kontakts und kann sich so in dem bestehenden Netzwerk weiterhanteln. Meist gibt es innerhalb der SNS die Möglichkeit, Kommentare oder persönliche Nachrichten zu übermitteln; bei manchen können auch Fotos, Videos und Kurznachrichten verschickt oder Einträge auf persönlichen Blogs hinterlassen werden (Boyd in URL 3). Obwohl sich die SNS oft an ein breites Publikum richten, findet häufig eine nicht von den HerstellerInnen intendierte Segregation nach Nationalität, Alter, Bildungsniveau etc. statt. Trotzdem ist Boyd der Ansicht, dass SNS vorwiegend Personen- und nicht Interessens-zentriert sind und spricht sogar von „egozentrischen“ Netzwerken, die stark auf Selbstpräsentation und Impression Management aufbauen. Das Zeigen von Friendship-Netzwerken dient hier als Orientierungshilfe in einer vernetzten sozialen Welt, kann die über die eigene Person gebotene Information validieren helfen und stellt für die UserInnen ein imaginiertes Publikum bzw. einen Kontext dar (Boyd in URL 3). Im Gegensatz zu den Weblinks sind Links in den SNS durch einen hohen Grad an Reziprozität ausgezeichnet. Typisch ist auch die Konzentration um einige stark verbundene high degree nodes, die von vielen kleinen Clustern schwach verbundener Knoten umgeben sind (Mislove et al 2007: 29). SNS sind nicht nur ein Mittel gegen „friendsickness“, das beim Verlassen des alten Wohnortes auftritt (ein typischer Fall beim Eintritt in US-Colleges), sondern können auch zum Erhalt sogenannter weak oder latent 18 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 ties benutzt werden, die mit den eingebauten Funktionen von Facebook (wie etwa die automatische Erinnerung an Geburtstage) besonders leicht zu pflegen sind und die bei Bedarf jederzeit (stärker) aktiviert werden können (Ellison et al 2007 in URL 6). 2.4.2.1 MySpace MySpace wurde 2003 entwickelt und diente in seiner Anfangszeit vor allem als Forum für Musikgruppen, die sich hier sowohl selbst präsentieren als auch mit ihren Fans Kontakt aufnehmen konnte. Seit 2004 wird MySpace massiv von Jugendlichen genutzt, die gerne von der Möglichkeit Gebrauch machen, ihre online Profile grafisch komplett umzugestalten, was z.B. in Facebook in dieser Form nicht möglich ist. MySpace hat immer wieder mit Sicherheitsfragen und illegalen pornografischen Inhalten zu kämpfen, so dass sogar die eigenen MySpace-UserInnen der Sicherheit ihrer Profile weniger trauen als dies bei Facebook-AnwenderInnen in Bezug auf ihre Profile der Fall ist (Boyd in URL 3). Das Publikum für MySpace-Profile besteht hauptsächlich aus Bekannten, mit denen man hauptsächlich durch offline Aktivitäten verbunden ist, also etwa Personen aus der Schule, Kirche und Sport-Teams (Boyd 2008: 129). 2.4.2.2 Facebook Im Gegensatz zu MySpace war die Verwendung von Facebook lange Zeit einem geschlossenen Kreis von AnwenderInnen vorbehalten: Zu Beginn diente es ausschließlich der Vernetzung von Mitgliedern der Harvard University, ab 2005 wurden Schulzugänge ermöglicht und erst seit 2006 kann sich jede/r einen Facebook-Account zulegen. Diesem Profil können externe Anwendungen angegliedert werden, die verschiedene Formen der Interaktivität (z.B. das Teilen von Video-Clips) ermöglichen (Boyd in URL 3). Außerdem können die Mitglieder auf gemeinsamen Interessen basierenden Gruppen beitreten. Facebook repräsentiert den beschriebenen offline nach online – Trend, bei dem die AnwenderInnen vor allem versuchen, offline Kontakte online weiter zu pflegen und dem Knüpfen neuer online Kontakte eine geringere Bedeutung beimessen. Zwei Drittel der Mitglieder nutzen Facebook täglich; wobei die Aufenthaltsdauer im System typischer Weise 20 Minuten beträgt (Ellison et al 2007 in URL 6). 19 Eveline Sigl 2.4.2.3 Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Orkut Das von Google entwickelte Orkut konnte sich vor allem in Brasilien und Indien etablieren (Boyd in URL 3), eine Tatsache, die auch im Rahmen meiner Arbeit schnell zutage trat: Die meisten gefundenen Kontakte mit Bolivien-Bezug waren physisch in Brasilien angesiedelt. 2.4.2.4 YouTube YouTube, die größte online Video-Tauschplattform der Welt, entstand im Februar 2005, verzeichnet täglich 100 Millionen Video-Ansichten und wächst jeden Tag um 65.000 neue Kurzvideos. Die AutorInnen versehen ihre Videos mit Tags (thematisch relevante Bezeichnungen oder Ausdrücke), so dass ihre Beiträge nicht nur über Links oder die eigene Channel-Seite, sondern auch direkt gesucht werden können (Gill et al 2007: 15). Das Publizieren und Kommentieren selbst hat soziale Funktionen; die technische Qualität der Beiträge ist dabei nicht unbedingt wichtig (Lang 2008: 363). Wie in den bereits beschriebenen SNS MySpace, Facebook und Orkut kann das Posten von Videos und Kommentaren dazu dienen, bereits bestehende soziale Netzwerke zu pflegen. Gleichzeitig können Videos und „intelligente“ Kommentare zu neuen Kontakten führen (ebd: 367). Laut Halvey und Keane tendieren die UserInnen allerdings eher dazu, fremde Videos anzusehen und an das eigene Profil anzufügen als selbst Videos hochzuladen. Interessanter Weise scheint der Großteil der YouTubeAnwenderInnen die Social Network-typischen Funktionen wie Favoriten, VideoAbonnements, Friends oder Gruppen gar nicht zu nutzen. Die Minderheit der NutzerInnen, die sich dieser Werkzeuge bedient, tut das allerdings häufig (Halvey und Keane 2007: 1273). So sind nur 8% der YouTube-Mitglieder einer Gruppe beigetreten, wobei die meisten Gruppen sehr klein, aber dafür stark verbunden sind (Mislove et al 2007: 39). 2.4.2.5 Skype Alby zählt auch die Voice-Over-IP-Telefonie zu den Charakteristika des Web 2.0. Diese wächst immer mehr mit anderen SNS-Funktionen zusammen (Alby 2007: 91 f), so dass man heute über Skype bereits gleichzeitig telefonieren, chatten und Dateien verschicken 20 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 kann. Da Skype das Versenden sehr großer Dokumente erlaubt, ersetzt es mitunter sogar den email-Kontakt. 2.5 Feldforschung im Internet 2.5.1 Allgemeines Prinzipiell ist zwischen einer Anthropologie der Datenverarbeitung (also z.B. einer „Cyber-Kultur“) und der Datenverarbeitung in der Anthropologie (wie etwa neuer Methoden der Datenanalyse und –Aufzeichnung) zu unterscheiden (Hakken 1999: 44). Das Forschungsfeld selbst konzentriert sich im Internet nicht so sehr auf physische Orte und Grenzen, sondern auf die delokalisierten Verbindungen von Netzwerken, so dass sich der ethnografische Fokus vom „dort gewesen sein“ auf das „dorthin kommen“ verschiebt (Hine 2000: 61 f, 64, Jones 1998: 20). Hakken definierte 1999 fünf Forschungsfelder, die es der Cyber-Ethnografie erleichtern sollten, das Internet von der Mikro- bis zur Makro-Perspektive zu durchleuchten: Grundcharakteristika der Träger (entities) des Cyberspace, von diesen Trägern geformte Identitäten, soziale Beziehungen der Träger auf dem Mikro-Niveau (z.B. zu PartnerInnen und Freunden), soziale Beziehungen der Träger auf dem Meso-Niveau (z.B. zur Gemeinde und Region), makro-soziale Beziehungen (auf nationaler und transnationaler Ebene) und politisch-wirtschaftliche Strukturen, die durch die Cyberspace-Träger produziert, reproduziert und eingeschränkt werden (Hakken 1999: 7). Für Birgit Bräuchler handelt es sich bei der Internet-Feldforschung um keine neue Methode, sondern um eine durch das Phänomen der Globalisierung bedingte Weiterentwicklung früherer Methoden. Gemeinschaften entwickeln sich immer öfter zu weltweiten Netzwerken und es ist einfach unmöglich, an allen involvierten physischen Orten Feldforschung zu betreiben. Bei der kombinierten Arbeit in online und offline Kontexten sollten nach Ansicht Bräuchlers vor allem die relevanten sozialen Knotenpunkte abgedeckt werden (Bräuchler 2005 in URL 1). Für die qualitative Internet-Feldforschung müssen die ForscherInnen die Fähigkeit entwickeln, online soziale Beziehungen zu knüpfen und aufrecht zu erhalten. Das Eintauchen in das online 21 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Leben der InformantInnen und das Erkennen der offline Verbindungen soll Räume schaffen, in denen die Beforschten ihre Erfahrungen mit den ForscherInnen in einer entspannten Atmosphäre teilen können, was natürlich weit über die Fähigkeit, emails zu versenden, hinausgeht (Hine 2005: 17 f). Neue Anwendungen und Möglichkeiten wie etwa Web-Ringe, die über eine online Abbildung von offline Trends hinausgehen, werden neue Forschungsmethoden erfordern. Online Ethnografien sind schon allein aufgrund der zu bewältigenden Datenmengen weit von einem „quick fix“ entfernt (Landzelius 2005 in URL 1). Außerdem ist das Internet mittlerweile ebenso wie Flugzeuge und Telefone ein Teil der „realen“ Welt geworden und spielt eine wichtige Rolle bei politischen Konflikten und Migrationsbewegungen, weil die Beforschten dort aktiv werden (Ardèvol 2005 in URL 1). 2.5.2 Zeitlicher Rahmen und persönliche Involviertheit In Anspielung auf den von ihr untersuchten Molukken-Konflikt weist Bräuchler darauf hin, dass die teilnehmende Beobachtung auch in online Kontexten eine langfristige sein muss, um die Erfahrungsintensität der online Gemeinschaft teilen zu können. Ebenso wie offline können enge Kontakte erst im Verlauf der Zeit aufgebaut werden. Außerdem ist zu bedenken, dass sich die Mitglieder eines online Netzwerks oft schon vor dessen Entstehen persönlich kennen und diese Identitäten nicht erst online ausverhandelt werden müssen (Bräuchler 2005 in URL 1). Auch Miller und Slater betonen die Wichtigkeit von Langzeit-Studien, die sich verschiedener ethnografischer Methoden bedienen und damit ein tiefes Eintauchen in den untersuchten Fall ermöglichen (Miller und Slater 2000: 21). Die Tatsache, dass ForscherInnen und Beforschte nicht mehr den gleichen Zeitrahmen teilen müssen bzw. soziale Beziehungen zeitlich nicht mehr nach dem chronologischen Zeitverständnis strukturiert werden müssen (Hine 2000: 23, 85), kann Vor- und Nachteile haben. 22 Eveline Sigl 2.5.3 Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Anonymisierung und Schutz der InformantInnen, Privatsphäre vs Öffentlichkeit Fragen der Privatsphäre und der Anonymität haben einen starken Einfluss auf die Forschungsmethoden im Internet: Details aus der intimen Privatsphäre werden unter dem Schutz der Anonymität leichter preisgegeben (Joinson 2005: 26). Das trifft für webbasierte online Umfragen sicherlich zu, doch wie Hine feststellt, ergeben sich im Internet auch neue Probleme bezüglich der Anonymisierung: Zitierte Postings können sehr leicht gefunden werden (2000: 24). Inzwischen ist die Anzahl solcher emischer Aussagen im Internet natürlich enorm gestiegen, gleichzeitig denke ich, dass z.B. den VerfasserInnen von YouTube-Kommentaren sehr wohl klar ist, dass sie ihre Aussagen in einem (potentiell) für jedermann zugänglichen Raum machen und dass sie diese Öffentlichkeit auch suchen. Durch geschützte Bereiche, auf die nur „Friends“ Zugriff haben und themenrelevante „Listen“ haben die Video-AutorInnen außerdem sehr wohl die Möglichkeit, den Grad der Öffentlichkeit ihrer Videos zu steuern und so graduelle Abstufungen zwischen „öffentlich“ und „privat“ zu erzielen (Lange 2008: 377). YouTubeMitglieder, die ihren vollen Namen als Benutzerkennung verwenden, signalisieren m.E. sehr deutlich, dass sie und ihre Beiträge eindeutig zuordenbar sein sollen. Dass Kommentare und andere Postings heute so leicht ausfindig gemacht werden können, hat wohl auch Vorteile: Wer solche Inhalte zitiert, muss damit rechnen, dass es hier sehr schnell zu einem Dialog mit den AutorInnen und der involvierten online Gemeinschaft einerseits und einer interessierten LeserInnenschaft andererseits kommen kann und sich die Beforschten u.U. auch gegen Darstellungen zur Wehr setzen, mit denen sie nicht einverstanden sind. Im Gegensatz zu früher, wo es für ForscherInnen leichter war, dadurch Autorität zu konstruieren, dass sie „dort“ waren, wo ihr Publikum nicht war bzw. wohin ihr Publikum nicht gelangen konnte (Hine 2000: 44) erschließen sich im Rahmen von Internet-Ethnografien weitaus mehr Möglichkeiten für das Teilen und Zurückgeben. Im Unterschied zu Zitaten von Äußerungen auf frei zugänglichen Webseiten halte ich das nicht anonymisierte Zitieren von Aussagen aus SNS ohne ausdrückliche Genehmigung für bedenklich, da es sich hier um eine „geschützte“ Teilöffentlichkeit handelt und man nicht davon ausgehen kann, dass die SNS-AutorInnen ihre Inhalte 23 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 über diese hinaus namentlich erkennbar publizieren wollen. Hier sollte auch noch berücksichtigt werden, ob die zitierten Inhalte durch Suchabfragen im Web bzw. in den SNS selbst gefunden werden können. Die beschriebene generell leichtere Auffindbarkeit emischer Aussagen bzw. Sichtweisen ließ Hine bereits 2000 Möglichkeiten für die Beseitigung der früheren Ungleichgewichte annehmen, die zur privilegierten Stellung von Ethnografien führten (2000: 55 ff) und auch ich denke, dass die Feldforschung im Internet der postmodernen Forderung nach Polyphonie leichter Rechnung tragen kann als dies in offline Kontexten der Fall ist. 2.5.4 Online-offline-Problematik Christine Hine sieht das Problem nicht darin, Methoden von offline in online Kontexte zu transferieren, sondern darin, für eine sinnvolle methodische Kontinuität zwischen den beiden Bereichen zu sorgen. In einer tief gehenden Analyse kann keiner der beiden Räume unbeachtet bleiben. Weiters erscheint es ihr wichtig, keine a-priori Präferenzen für face-to-face oder online Interaktionen festzulegen, da sich die Auswahl der Methoden wohl eher am Untersuchungsgegenstand und nicht an bereits im Vorfeld getroffenen Entscheidungen der ForscherInnen orientieren sollte. Sowohl das Zielpublikum für die Ergebnisse als auch praktische Überlegungen können die Methodenauswahl entscheidend mitbestimmen. Eine reine online Untersuchung bietet sich in Kontexten an, in denen die Beforschten ebenfalls nur online interagieren und eine offline Komponente nur die Symmetrie zwischen Forscher und Beforschten stören würde (Hine 2005 in URL 1, 2000: 48). Hier teile ich allerdings Bräuchlers Ansicht, die eine solche Situation am ehesten für MUDs und spezielle Chatforen gegeben sieht, ansonsten aber eher von einer starken Bedingtheit der online durch offline Ereignisse ausgeht und es daher als meist sinnvoll bis notwendig erachtet, online durch offline Recherchen zu ergänzen (Bräuchler 2005: 49). Dabei ist es allerdings besonders wichtig, zu bedenken, dass die Interaktion online und offline verschieden abläuft und daher auch unterschiedliche „Texte“ produziert (Orgad 2005: 64). Miller und Slater kombinierten in ihrem ganzheitlichen und sehr umfassenden 24 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Ansatz die Analyse von Webseiten und Chatforen mit offline Fragebögen, Interviews, informellen Gesprächen und der persönlichen Teilnahme an relevanten Aktivitäten wie z.B. Herumhängen in Internet-Cafés oder stundenlangem Chatten (Miller und Slater 2000: 22). Online und offline Welten sind über komplexe Beziehungen intensiv ineinander verwoben – egal, ob es um die Verwirklichung älterer Identitätskonzepte oder das Knüpfen neuer sozialer Beziehungen geht. So können etwa virtuelle Postkarten einerseits die traditionelle Praxis des Schenkens beeinflussen, andererseits aber auch die sozialen (Verwandtschafts-)Beziehungen stärken, in die diese Form des Schenkens eingebettet ist (ebd: 82 f). Weder der online noch der offline Bereich alleine ist ein Garant für „authentische“ Forschungsergebnisse (Hine 2005 in URL 1), denn: die in der Frühphase der CyberAnthropologie propagierte Unterscheidung zwischen virtuell und real kann nicht aufrechterhalten werden (Baym 2000: 205). Online und offline sind gleichermaßen „real“ (Hine 2000: 39), das zeigt sich auch an den starken Emotionen, die online Aktivitäten bei Internet-UserInnen auslösen können (Jones 1998: 5). Beide Bereiche spielen in den jeweils anderen hinein (ebd: 144) bzw. sind Teil derselben Realität (Baym 2000: 152 ff, 205), wobei jeder dieser Teile eine Menge Möglichkeiten bietet, die im anderen nicht vorhanden sind (Bräuchler 2005 in URL 1). Insofern ist Bayms Beobachtung, dass die von ihr untersuchten Usenet-AutorInnen versuchten, eine Kongruenz zwischen online und offline Identität zu schaffen und ihre offline Lebenssituation auf verschiedene Art und Weise in den online Diskurs einbrachten ebenso aktuell wie ihre Kritik an den Ansätzen, die primär von anonymen, zwischen multiplen Identitäten hin und her wechselnden UserInnen ausgehen (Baym 2000: 154). Außerhalb der Spielwelten von MUDs und MOOs sind diese vielfach thematisierten „multiplen“ Identitäten auch kein per se neues oder Internet-spezifisches Phänomen (Bräuchler 2005: 29 ff). Online und offline stehen in einem ständigen Wechselspiel und sind in die bestehenden Praktiken und Machtbeziehungen des Alltags eingebettet. Die sozialen online Räume gehen dabei jedoch über ein Abbild oder Erweiterungen der offline Realität hinaus und bieten eigene, im offline Bereich nicht vorhandene Möglichkeiten der sozialen Kontaktaufnahme und Identitätskonstruktion (Bräuchler 2005: 19 f, 25, 28, 32, Baym 2000: 152 ff, 158), die nicht nur für Diaspora-Gemeinschaften eine Möglichkeit 25 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 bieten, weiter eng mit ihrer lokalen Herkunftsgemeinschaft in Verbindung zu bleiben (Bräuchler 2005: 23), sondern es auch Personen der gleichen Örtlichkeit ermöglichen, Menschen mit gleichen Interessen kennenzulernen, die sie sonst nicht kennengelernt hätten (Baym 2000: 208). Hier zeigt sich die Wichtigkeit des thematischen Bezugs, der die online Gemeinschaften organisatorisch mindestens ebenso beeinflusst wie das Medium selbst (Baym 2000: 200). Orgad sieht online Interviews als „biased toward the textual“ während sie die offline Gesprächssituation als „biased toward the visual“ und in den körperlichen Ausdruck eingebettet erlebte. Eine Kombination der beiden Bereiche hilft daher, die Analyse ganzheitlicher zu gestalten. Denn: Das, was ForscherInnen über den von ihnen untersuchten Kontext berichten, hängt stark von den darin erlebten Interaktionen ab (Orgad 2005: 62 f). Außerdem wird die Beziehung zwischen online und offline häufig als eine zwischen Phänomen und Kontext dargestellt, in der der offline Bereich dazu herangezogen wird, den online Bereich zu erklären. Ein Wechsel zwischen online und offline hilft also, diese Dualität zu überwinden (Slater 2002: 544 in Orgad 2005: 63). Forschungsansätze, die online mit offline Erhebungen kombinieren, zeigen, dass eine derartige Ausrichtung sehr wohl Sinn macht. So konnte Orgad feststellen, dass sich manche frühere online InformantInnen während des face-to-face Interviews besser ausdrücken konnten bzw. ganz andere Schwerpunkte als in ihren emails setzten. Außerdem läuft die synchrone Kommunikation während eines persönlichen Gesprächs viel ungeordneter ab und die GesprächspartnerInnen haben viel weniger Kontrollmöglichkeiten. Ein derartiger Methodenwechsel birgt allerdings auch Gefahren: Etwa, dass nur bereits vorhandenes Wissen reproduziert wird oder dass es durch die online Vorgeschichte zu einem starken Vorurteil gegenüber der interviewten Person kommt (Orgad 2005: 60 ff). Diese beiden möglichen Schwachpunkte scheinen mir jedoch nicht nur für den Wechsel von online zu offline, sondern auch für den Wechsel zwischen verschiedenen online Werkzeugen relevant: Wie ich selbst bemerken konnte, können beide Probleme auch bei einem Wechsel von der email-Korrespondenz zum real-time Chat auftreten. 26 Eveline Sigl 2.5.5 Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Eigene online Identität Die Bereitschaft von InformantInnen, etwas mitzuteilen, kann stark davon abhängen, wie sich ForscherInnen selbst bzw. ihre Projekte präsentieren. Diesbezügliche Diskrepanzen zwischen der online und offline Selbstrepräsentation können die Forschungsergebnisse ebenfalls beeinflussen (Hine 2005: 18). Im Zuge dieser Identitätskonstruktion kann es auch problematisch werden, wenn man soviel Kompetenz innerhalb des Untersuchungsfeldes erwirbt, dass man von den Beforschten zwar als Insider, damit aber gleichzeitig auch als KonkurrentIn angesehen wird (Hakken 1999: 57) 2.5.6 Methoden 2.5.6.1 Lurking Lurking bedeutet so viel wie „Lauern“ und wird häufig als Bezeichnung für das unangekündigte Beobachten von online Interaktionen verwendet (Thompson 2001: 35 in Bräuchler 2005: 55). Auch wenn dieses unbemerkte Mitlesen für AnthropologInnen vielleicht etwas Unbehagen verursacht, so muss man sich doch vergegenwärtigen, dass auch der Großteil der übrigen BesucherInnen von Foren, Newsgroups und anderen „Orten“ im Cyberspace lurker sind, die nie oder nur höchst selten selbst aktiv werden. Baym thematisiert diese Tatsache bei den von ihr untersuchten Newsgroups (2000: 120, 144), ich selbst konnte bei den von mir analysierten YouTube-Kommentaren feststellen, dass nur 0,1-2,2% der Video-BetrachterInnen diese auch kommentiert hatten (z.B. 277 Kommentare bei 23.767 Views = 1,2%). Dafür sind die Leute, die posten, oft umso aktiver: Baym beschreibt, dass 10% der aktiven Usegroup-Mitglieder die Hälfte aller Beiträge verfassten (2000: 145) und auch ich konnte auf YouTube eine Konzentration von Schreibfreudigen zu bestimmten Themen erkennen. In Foren und dergleichen sind somit nur die wenigen, die selbst posten, sichtbar (Orgad 2005: 58). Diese Tatsachen sollte man jedenfalls im Auge behalten, wenn man die durch lurking gewonnenen emischen Sichtweisen und „in vivo“-Codes weiter verarbeitet. Meine eigene Untersuchung ergab zwar eine (für mich teilweise überraschende) Übereinstimmung mit den Aussagen von Interviews und schriftlichen Befragungen, doch wurde auch bald klar, 27 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 dass manche Aspekte in den „lurking-fähigen“ Video-Seiten, Homepages und SNS überhaupt nicht thematisiert wurden. Während Web-Sites häufig ein ziemlich umfassendes Bild ergeben und damit auch Kontext-Informationen liefern, ist es bei der Analyse von YouTube- oder Forenkommentaren (selbst bei Zurückverfolgen der Diskussionen bzw. genauerer Beobachtung einzelner PosterInnen) oft schwierig, den Kontext der einzelnen Aussagen zu erkennen. In diesem Sinne sind die auch von den Beforschten gern genutzten online Archivierungsmöglichkeiten zu sehen, die es erlauben, Diskussionen und Ereignisse lange zurückzuverfolgen (Postill 2005 in URL 1). Durch das neu Aktivieren alter Threads und kreuzweise Verweise entsteht hier allerdings ein dichtes, zeitlich nicht lineares Geflecht (Highfield 2005 in URL 1), das neu Hinzugekommenen als Orientierungshilfe dient und einen Enkulturationsprozess ermöglicht. Es handelt sich bei online Archiven sozusagen um ein kollektives Gedächtnis der jeweiligen Internet-Gemeinschaft (Bräuchler 2005 in URL 1). 2.5.6.2 Teilnehmende Beobachtung Wie in offline Kontexten bedeutet teilnehmend beobachten, präsent zu sein und als Mitglied der Gemeinschaft zu fungieren, also die persönlichen Erfahrungen im Umgang mit einer bestimmten Software in einem bestimmten sozialen Umfeld teilen (Ardèvol 2005 in URL 1). Für Hine bedeutete das im Jahr 2000, dass ForscherInnen durch die Verwendung der gleichen Medien wie ihre InformantInnen lernen sollten (2000: 10). Gewisse Ähnlichkeiten der online Beziehungen mit offline sozialen Kontakten, die Nähe und Respekt signalisieren, lassen dabei leicht ein Gefühl von Freundschaft entstehen (Baym 2000: 129), manchmal wird man nach der ersten Kontaktaufnahme sogar gleich in den „Freundeskreis“ aufgenommen: „Besitos tu nuevo amigo“ (Erstkontakt über SNS, 15.04.08). Werden derartige online Bekanntschaften intensiviert, so ist diese Tatsache unter Umständen auch in der öffentlichen Internet-Kommunikation (z.B. durch gegenseitige Namensnennungen) zu erkennen. (Baym 2000: 134 f, analysierte YouTubeKommentare). Teilnehmende Beobachtung allein durch Chat, email-Korrespondenz und das 28 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Mitlesen in Newsgroups und auf Homepages (Bräuchler 2005: 46, Hine 2000: 73 ff) zu definieren, erscheint mir überdenkenswert, handelt es sich bei Chat und email letztlich meist um unidirektionale Kommunikationswerkzeuge, die für verschiedene Arten der Befragung genutzt werden. Da teilnehmend Beobachten auch im offline Kontext eine aktive Position in möglichst vielen Belangen des Feldes bezeichnet und sich sicher nicht nur auf ein Befragen oder Interviewen der InformantInnen beschränkt (vgl. Hakken 1999: 39), ist die Bezeichnung teilnehmend für mich hier eher irreführend und nur dann gerechtfertigt, wenn z.B. im Chatroom „mitgeplaudert“ wird, selbst auch thematisch gepostet / kommentiert / hoch-geladen wird oder der email-Verkehr Teil einer online Petition o.Ä. ist. Diese kritische Sichtweise soll keineswegs die Wichtigkeit von online Befragungsmöglichkeiten schmälern, möchte aber einer allzu großen Euphorie bezüglich der Teilnahmemöglichkeiten im Netz vorbeugen. SNS, bei denen die Forscherin ein eigenes Profil anlegen muss, in dem sie ihre eigenen Präferenzen und Standpunkte ebenso wie die Profile und Aktivitäten der eigenen Friends offenlegt (Beer und Burrows 2007 in URL 5), scheinen jedenfalls weitaus größere Möglichkeiten für teilnehmende Beobachtungen zu bieten. Sie eignen sich eher für ein multidirektionales, multimediales, gleichzeitig synchrones und asynchrones, für die übrigen Akteure sichtbares Agieren, das über bloße Befragungen hinausgeht. Wie bei jeder Feldforschung ist mit einem solchen Vorgehen natürlich auch die Frage nach der Beeinflussung der Beforschten durch die ForscherInnen aufzuwerfen. Hakken weist hier darauf hin, dass nicht nur das, was beforscht wird, sondern auch wie es beforscht wird, durch die Situation, InformantInnen und einen selbst mit konstruiert wird (1999: 40). Boyd bringt mit der „eingebetteten“ Beobachtung einen interessanten Aspekt ein, der m. E. auch für größere Bereiche der online Feldforschung nutzbar gemacht werden kann: Sie weist darauf hin, dass sich die DesignerInnen von SNS in einer Situation der permanenten und tief in das Feld eingebetteten Beobachtung befinden und versuchen, die Praktiken und Perspektiven der AnwenderInnen zu verstehen. – Nur so können sie auf die Bedürfnisse, Vorlieben und Beschwerden der BenutzerInnen reagieren und den Erfolg ihrer Software sichern (Boyd 2006 in URL 4). Ich denke, dass ForscherInnen, die eigene Webseiten/Blogs etc betreiben und/oder aktiv in den SNS vertreten sind, 29 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 durchaus auch Möglichkeiten haben, auf Ereignisse zu reagieren und zu einer stärkeren Interaktion beizutragen. Eine denkbare Möglichkeit wäre die Diskussion von während der Feldforschung erlebten Ereignissen, anonymisierten Aussagen von InformantInnen oder Forschungs(teil)ergebnissen mit den Beforschten, deren Ergebnisse den weiteren Verlauf der Untersuchung beeinflussen oder sogar bestimmen könnten. Dass eine solche Diskussion Schwierigkeiten und Probleme (u.a. in Bezug auf die Anonymität) aufwerfen kann, liegt auf der Hand, andererseits könnte sie zur Gleichberechtigung der Beforschten beitragen und helfen, ihre „Stimme“ direkter zu Wort kommen zu lassen. An dieser Stelle muss allerdings auch Hines Argument berücksichtigt werden, nachdem besonders auskunftsfreudige InformantInnen oft keine „typischen“ Mitglieder des Felds sind, sondern eventuell aufgrund einer privilegierten Rolle oder aber auch als Außenseiter eine Sonderstellung einnehmen (Hine 2000: 90). Die Forscherin ist aufgefordert, sich soweit über den sozialen Kontext ihrer InformantInnen zu informieren, dass sie „atypische“ Fälle identifizieren kann, wobei gerade dieser Kontext eine Brücke zwischen online und offline schlägt (ebd: 124). 2.5.6.3 Standardisierte Online Befragungen Im Rahmen seiner Studie konnte Joinson nachweisen, dass offene Mitteilungen über den Forscher selbst mit breiteren, nicht aber tieferen Antworten durch die Befragten honoriert wurden als dies bei weniger Selbstoffenbarung des Forschers der Fall gewesen war und nennt dieses Phänomen Reziprozitätseffekt. Auch die Art der Adressierung zeigte Auswirkungen auf den Rücklauf: Beim Versenden von Massenmails, bei denen alle AdressatInnen im An-Feld aufscheinen, kam der 1970 von Latane und Darley beschriebene Diffusionseffekt der Verantwortung zum Tragen. Die Angeschriebenen verließen sich offenbar darauf, dass unter den vielen AdressatInnen wohl genug Leute antworten würden, was die Antwortwahrscheinlichkeit generell reduzierte (Joinson 2005: 27f). Laut Freedman und Fraser sind derartige online Befragungen erfolgreicher, wenn ihnen eine Kurzbefragung vorgeschaltet wird (ebd: 28). Ein zu starker sozialer Bezug zwischen ForscherInnen und Befragten kann allerdings auch negative Konsequenzen haben: Je persönlicher die Begegnung ausfällt, 30 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 desto stärker werden die Beforschten zu einem Impression Management motiviert. Machtbeziehungen zwischen den Beforschten und den ForscherInnen bzw. deren Mittelsleuten (etwa dem Rektorat einer Universität), aber auch die wahrgenommenen Reaktionen von InterviewerInnen können zu einer Verzerrung in Richtung soziale Erwünschtheit führen. Eine Strategie, die Ausrichtung der Befragten auf ein imaginiertes Publikum (audience) zu verringern, ist der Hinweis darauf, dass die Daten für eine geografisch sehr weit entfernte Stelle gesammelt werden (ebd: 29, 33). Asynchrone Beantwortungsmodi verleiten nach Walther (1996) sowie Fox und Schwartz (2002) auch eher dazu, gezielt Impression Management zu betreiben als dies bei zeitlich begrenzten und streng chronologisch zu beantwortenden Fragebögen der Fall ist (ebd: 32). 2.5.6.4 Individualisierte Online Befragungen per email Bei den online Befragungen per email geht es um mehr oder minder stark individualiserte Kontakte, die keinesfalls nur als billiges, Reisen und Transkriptionen unnötig machendes „Schnellwerkzeug“ gesehen werden sollten (Kivits 2005: 36). Analog zu offline Feldforschungssituationen geht es hier darum, eine persönliche Beziehung zu den InformantInnen aufzubauen. Sowohl Kivits als auch Orgad betonen, dass die angestrebte vertrauliche Kommunikationssituation erst im Verlauf eines längeren Zeitraums aufgebaut werden kann und den InterviewerInnen sehr viel Feingefühl abverlangt (Kivits 2005: 37 f, Orgad 55 f). Gegen diese Vorgangsweise ist zwar prinzipiell nichts einzuwenden, doch glaube ich, dass sie nicht jeder online Feldforschungssituation entspricht. Beide Autorinnen kontaktierten teilweise schwer kranke Menschen, bei denen es zweifellos weitaus größere Hemmungen gab, oft sehr leidvolle und deprimierende persönliche Erfahrungen preiszugeben als dies etwa bei meinem Thema der Fall war. Hier stellt sich für mich die sowohl von Kivits als auch von Orgad thematisierte Frage nach der Angemessenheit der Beziehung zwischen ForscherIn und InformantIn. Die email-Korrespondenz kann ständig zwischen Interview und informellem Plaudern schwanken, so dass es an der Forscherin liegt, hier die richtige 31 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Balance zu finden (Kivits 2005: 43). Wie Orgad treffender Weise schreibt, können diese Kontakte sehr schnell sehr persönlich werden. - Man wird unter Umständen schneller als FreundIn angesehen als einem das lieb ist und steht dann eventuell vor dem Problem, plötzlich eine große Menge freundschaftlicher Korrespondenz zusätzlich zum eigentlichen Forschungsprojekt „mittragen zu müssen“, die die eigenen zeitlichen Ressourcen übersteigt . Auf der anderen Seite ist klar, dass gerade das Interesse an den persönlichen Belangen der InformantInnen und das Zuhören-Können zu den größten Anreizen gehört, mit denen ForscherInnen ihre Kontakte zu einer kontinuierlichen Informationsweitergabe motivieren können. Dazu gehört auch, die InformantInnen kontinuierlich über den Fortgang des Forschungsprojekts am Laufenden zu halten, ihnen evtl. bereits publizierte Zwischenergebnisse zuzusenden (Orgad 2005: 56 f) bzw. ihnen einfach zu signalisieren, dass man noch „da“ ist. Je nach Antwortstil sind daher mehr oder weniger, kürzere oder ausführlichere mails in sehr unterschiedlichen Zeitabständen notwendig (Kivits 2005: 42 f). Manche InformantInnen müssen immer wieder mit Erinnerungen zum Beantworten der Fragen animiert werden, bei anderen erweist es sich überhaupt als sinnvoller, vom online in den offline Interview-Modus zu wechseln (ebd: 45 f). Die Asynchronität in der Beantwortung der individualisierten mails bringt nicht nur die erwähnten Probleme bezüglich Impression Management, sondern auch große Vorteile: Beide Seiten können ihre Antworten in Ruhe überdenken, auf frühere Gedanken zurückgreifen oder bereits begonnene Diskussionen fortführen und vertiefen. Zusätzlich können beide Seiten ihre Korrespondenz durch das Zusenden von Artikeln, Links usw. ergänzen (ebd: 47), wie das im Zuge meiner Feldforschung ebenfalls häufig der Fall war. Die von Organd angesprochene Problematik des schriftlichen Ausdrucks (2005: 59) erscheint mir hier höchst relevant: Besonders, wenn es nicht möglich ist, die gleiche Person sowohl online als auch offline zu befragen, kommt es hier zweifellos zu sprachlichen und indirekt wohl auch bildungsabhängigen Verzerrungen. Auch der Zeitfaktor kann hier eine große Rolle spielen: Manche Personen haben einfach weder Zeit noch Lust, lange Erzählungen in korrekter Schriftsprache niederzuschreiben und antworten im Telegrammstil. Wenig Schreibfreudige oder Schreibgewandte werden vermutlich gänzlich darauf verzichten, einen derartigen Fragebogen auszufüllen, sofern 32 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 ihnen keine anderwertigen Anreize dafür geboten werden. Man kann also davon ausgehen, dass die sprachbedingte Verzerrung bereits bei der Gesamtheit der solcherart Befragten schlagend wird. 33 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 3 Kultur, Identität und Ethnizität 3.1 Stand der Forschung Im Gegensatz zu Cyber-Anthropology und Tanzethnologie gehören Fragen der Identität und Ethnizität seit Jahrzehnten zu den Schwerpunktthemen der Kultur- und Sozialanthropologie, so dass eine sehr große Anzahl von Publikationen existiert, aus der ich eine meiner Fragestellung möglichst gut entsprechende Auswahl zu treffen versuchte. Barths Sammelband Ethnic Groups and Boundaries (1969), Andersons Imagined Communities (1983), Appadurais Modernity at Large (1996) und Hannerz´ Transnational Connections (1996) fließen daher als Standardwerke ebenso in die Analyse ein wie die Arbeiten von Stuart Hall, Manning Nash und Gerd Baumann. In Bezug auf die sogenannte „erfundene“ Tradition erschienen mir die gegensätzlichen Meinungen von Sahlins (1993) und Hobsbawn (1983) besonders relevant. 3.2 Triangulation von Identität, Ethnizität und Kultur Nicht nur im theoretischen Diskurs, sondern auch in der von mir untersuchten Praxis der auslandsbolivianischen Tanzgruppen sind die Begriffe Identität, Ethnizität/Nationalität und Kultur stark ineinander verwoben. „Die“ Kultur stellt meist den oder zumindestens einen wesentlichen inhaltlichen Bestandteil von Identität und Ethnizität dar, der die Unterscheidung zwischen dem Wir und den Anderen ermöglicht und der den Menschen trotz seiner ständigen Weiterentwicklung Kontinuität vermittelt (vgl. Baumann 1996: 193). Erazo-Heufelder betrachtet die kulturelle und ethnische Identität als zwei einander ergänzende Teilbereiche eines Phänomens. Der Begriff der kulturellen Identität ist dabei vor allem für die individuellen Erfahrungen und deren Einbettung in das symbolische Gefüge innerhalb der ethnischen Gemeinschaft relevant; die ethnische Identität wird eher im gesellschaftlichen Kontext (also in der Interaktion mit anderen Gruppen) bedeutend (1994: 19, 38, 76). Ich schließe mich dieser Auffassung von einer dialektischen Beziehung zwischen Identität, Ethnizität und Kultur an und 34 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 versuche daher, bei der Besprechung der folgenden Kapitel immer wieder auf die Überschneidungen und Interaktionen hinzuweisen, die sich aus der Dreiecksbeziehung von Identität, Ethnizität und Kultur ergeben. 3.3 Identität, Differenz und Alterität Gingrich unterscheidet in der Identitätsdebatte zwei große Strömungen, wobei die eine Identität vor allem über Differenz definiert und die andere ihren Schwerpunkt auf Zugehörigkeit legt (2004: 4). Eine derartige Dichotomisierung entspricht jedoch nicht der komplexen Realität, in der „sameness and differing, belonging and othering“ sowie Identität und Alterität in einem dialogischen Verhältnis stehen bzw. sich gegenseitig konstituieren. Identitäten sind multidimensional, widersprüchlich und basieren auf Selbst- und Fremdzuschreibungen, die ihrerseits wieder von Fragen der Macht beeinflusst werden. Außerdem haben Identitäten einen prozessualen Charakter, der u.a. von Emotion, Kognition und Sprache bestimmt wird (ebd: 6, 13). Auch für Stuart Hall ist der Begriff der Identität ein relationaler Terminus, der nicht allein durch seine „positive Präsenz“ bestimmt werden kann, sondern sich auch negativ durch das definieren lassen muss, was er nicht ist (2004: 218). Hall sieht kulturelle Identitäten als komplexe, über vereinfachende Binärstrukturen hinausgehende „instabile Identifikationspunkte oder Nahtstellen, die innerhalb der Diskurse über Geschichte und Kultur gebildet werden“, die durch Brüche und Diskontinuitäten gekennzeichnet sind und deren Grenzen sich analog zu Barths ethnic boundaries in ihrer Position verschieben lassen (1994: 29 ff). Identität wird im Dialog oder auch Kampf in Bezug auf die Dinge, die wichtige Andere in uns sehen wollen, definiert (Taylor 1994 in Baumann 1999: 107) und ist daher ein ständig im Fluss befindlicher, nie abgeschlossener Prozess, der immer kontextuell betrachtet werden muss. Als Trägerin der gemeinsamen Geschichte und der geteilten kulturellen Codes ist die kulturelle Identität ein Referenz- und Bedeutungsrahmen, der den Menschen Halt gibt. Trotzdem ist Identität keine unveränderbare Essenz, sondern etwas, das über Erinnerung, Fantasie, Erzählungen und Mythen ständig neu konstruiert wird und damit eine Kontinuität zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft schafft (Hall 1999 [1990]: 300 ff). Buckingham 35 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 definitiert Identität als etwas, das für jeden von uns einzigartig ist und das uns von anderen Menschen unterscheidet. Gleichzeitig weisen Begriffe wie nationale, kulturelle oder Gender-Identität darauf hin, dass es bei der Identität um das geht, was mit anderen geteilt wird oder wodurch man sich zumindestens teilweise mit anderen identifizieren kann. Diese Identität steht im Spannungsfeld zwischen Eigen- und Fremdzuschreibung und muss sich an die verschiedensten Kontexte anpassen. Phänomene wie die fortschreitende Globalisierung und soziale Mobilität und das wachsende Gefühl einer Fragmentierung und Unsicherheit, in der die traditionellen Ressourcen für die Entwicklung von Identitäten an Bedeutung verlieren, spielen dabei eine wichtige Rolle (Buckingham 2008: 1). 3.3.1 Baumanns Grammars of Identity/Alterity Für Baumann sind selfing und othering die zwei Seiten eines einzigen Prozesses, den er mit Hilfe dreier Grammars of Identity/Alterity zu beschreiben versucht. Diese drei Grammatiken entstanden auf der Basis der ethnografischen Standardwerke Orientalism von Edward Said (1978), The Nuer von E. E. Evans-Pritchard (1940) und Homo Hierarchicus von Louis Dumont (1980), die Baumann zu diesem Zweck adaptiert und neu interpretiert hat (2004: 19). Baumanns „Grammatik der Orientalisierung“ oder des Zurückspiegelns basiert auf der Beobachtung, dass der Orientalismus über eine plumpe binäre Gegenüberstellung von „wir = gut“ und „sie = schlecht“ hinausgeht und stattdessen folgenden Sachverhalt ausdrückt: Was bei uns gut ist, ist bei ihnen (noch) schlecht, doch was bei uns nicht mehr in Ordnung ist, ist bei ihnen (noch) im Lot. Die Erfindung des Anderen ermöglicht eine implizite Kritik des Selbst, wie sie etwa in gängigen Stereotypen von „weisen“ indigenen Ritualspezialisten und dem „natürlichen Rhythmus“ lateinamerikanischer TänzerInnen (s.u.) zum Ausdruck kommt. Der „Westen“ ist zwar „vernünftig“, demokratisch und säkulär, trauert aber insgeheim um die Sponanität, Üppigkeit und Mystik der des „Orients“. Was folgt, ist ein komplexes Geflecht aus Projektionen von guten und schlechten Eigenschaften in die jeweils entgegengesetzte Position oder, wie es Baumann ausdrückt, ein „double-edged, potentially subtle, and at times even dialectical way of selfing one´s own and othering the alien“ (Baumann 2004: 20 f). 36 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Occident Positive Orient Negative Rational Irrational Enlightened Superstitious Technological Backward Occident Negative Orient Positive Calculating Spontaneous Sober Luxuriant Materialist Mystical Abb 2: The Grammar of Orientalization or Reverse Mirror-Imaging (Baumann 2004: 20) Das segmentäre Gesellschaftsmodell der Nuer und die daraus folgende „segmentäre Grammatik“ definiert Zugehörigkeiten kontextabhängig; die Verschmelzung und Spaltung einzelner Teile der Gesellschaft und die damit verbundene Konstruktion von Identität und Differenz ist situationsabhängig und entspricht keinen absoluten Kriterien (ebd: 23). Die aus dem Homo Hierarchicus abgeleitete „Grammatik des Umfassens“ (encompassment) ist weder situations- noch kontextbezogen, sondern zielt auf eine Aneignung einzelner Teilbereiche der Alterität (otherness) ab. Eine Verschiebung des Blickwinkels ermöglicht es hier, Dinge in einem größeren Zusammenhang zu sehen und Differenzen insofern zum Verschwinden zu bringen, als sie einem höher stehendem Ganzen untergeordnet werden. Die drei von Baumann beschriebenen Grammatiken schließen einander nicht aus und können von verschiedenen Personen in ein und derselben Situation bzw. von den gleichen Personen in verschiedenen Situationen in unterschiedlicher Abfolge angewandt werden (ebd: 25 ff). 3.3.2 Identifikation Der Prozess der Identifikation verweist einerseits auf mit anderen geteilte Merkmale und Eigenschaften, andererseits aber auch auf die Übereinstimmung mit einem Ideal und 37 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 dient dazu, soziale Beziehungen auf der Grundlage einer der beiden Faktoren zu knüpfen. Der angestrebte Prozess der Verschmelzung führt jedoch nicht zur völligen „Deckungsgleichheit“ mit dem Ideal, sondern immer zu einem „zu viel“ oder „zu wenig“, zu einer Differenz, die im Diskurs und im Ziehen symbolischer Grenzen aufgearbeitet wird (Hall 2004: 169). Das soziale Leben besteht jedenfalls aus einem elastischen und sich überschneidenden Netz multipler Identifikationen (Baumann 1999: 139). 3.4 Ethnische Identität, Ethnizität 3.4.1 Begriffsdefinitionen Hauptmerkmale ethnischer Gruppen sind laut Smith (1986) der gemeinsame Name, der Mythos einer gemeinsamen Entstehungsgeschichte und Vergangenheit, eine Verbindung zu einem (nicht notwendigerweise physischen) Heimatland und ein Solidaritätsgefühl (Hutchinson und Smith: 1996: 6 f). Dazu kommt bei den essentialistischen Ansätzen noch ein Fokus auf gemeinsame kulturelle Elemente wie etwa Verwandtschaftssysteme, Religion, Sprache und phänotypische Merkmale (Schermerhorn 1996 [1970]: 17). Max Weber verbindet mit ethnischen Gruppen Menschen, die ein ähnlicher Habitus, ähnliche Sitten und/oder die Erinnerung an Kolonisation und Wanderung an eine gemeinsame Abstammung glauben lässt, was eine Konstruktion von Gemeinsamkeiten ermöglicht (Weber in Zurawski 2000: 23). Der Begriff der Ethnizität wird seit den 1950er Jahren verwendet und kann in der Tradition von Herder und Boas entweder die „Essenz“ einer ethnischen Gruppe darstellen bzw. die Zugehörigkeit zu einer solchen Gruppe bezeichnen, oder aber als relationaler Terminus bei der Unterscheidung zwischen dem Wir und den Anderen in interethnischen Beziehungen verwendet werden (Hutchinson und Smith 1996: 4, Baumann 1999: 24 f). Für Fishman ist Ethnizität schlicht und einfach die Weltanschauung einer ethnischen Gruppe (1996[1980]: 66). Im Gegensatz zu den PrimordialistInnen, die Ethnizität aus der Perspektive ihrer InformantInnen als etwas von außen „Gegebenes“, stark Emotionales schildern, stellen die InstrumentalistInnen 38 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 die soziale Konstruktion und den bewußten Einsatz von Ethnizität bei der Konstruktion von Identitäten in den Vordergrund (Hutchinson und Smith 1996: 8 f, 32 f, Eller und Coughlan 1996[1993]: 45). Aus heutiger Sicht handelt es sich bei Ethnizität meist um einen relationalen Begriff, der nur durch den Kontakt zwischen den Gruppen mit Sinn erfüllt wird. Wichtig für die beiderseitige Abgrenzung sind die als in der sozialen Interaktion bedeutsam wahrgenommenen kulturellen Unterschiede, ganz gleich, ob diese für Außenstehende groß und/oder wichtig erscheinen (Eriksen 2002 [1993]: 12, 58, Tonkin et al 1996 [1989]: 24) oder ob es sich um dominante oder dominierte Mehrheits- bzw. Minderheitsgruppen handelt (Schermerhorn 1996 [1970]: 17). Je nach Kontext wechseln Menschen zwischen verschiedenen ethnischen Identitäten hin und her und oft überlagern sich diese auch mit anderen Identitäten wie z.B. Gender und Klasse (Hutchinson und Smith 1996: 7). Im Zuge der Ethnopolitik (Rothschild 1981) wird Ethnizität seit den 1960ern immer öfter zu einem Werkzeug im Kampf um knappe Ressourcen. Dazu werden vermeintliche kulturelle Differenzen betont, ideologisiert und solcherart neu geschaffen, dass sie nicht mehr als klassifikatorische Grenzmarker, sondern als „natürlich gegebenes“ Erbe einer Gruppe erscheinen und damit helfen, Ungleichheiten rechtzufertigen. Es kommt hier zu einem Prozess der Verdinglichung (reification), bei der vom Menschen induzierte Gegebenheiten als autonom (und z.B. naturgegeben, als biologisch determinierte „Sache des gemeinsamen Blutes“) dargestellt werden (Baumann 1999: 60 ff, 66 f). Bedeutend und identitätsstiftend werden ethnische Kategorien erst im Kontext wirtschaftlicher und politischer Interessen. Bemerkenswerterweise werden aber gerade solche menschengemachte Differenzierungen regelmäßig als „Reinheit“ dargestellt, die es zu erhalten bzw. von fremden Einflüssen zu befreien gilt (ebd: 64 f), wobei die AktivistInnen Leute, sind, die weit entfernt von dem leben, was sie zu „ethnischen Identitäten“ stilisieren wollen (ebd: 66). 3.4.2 Ethnische Grenzziehungen (ethnic boundaries) Fredrik Barth hat in seinem Klassiker Ethnic groups and boundaries (1969) das Augenmerk 39 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 auf die Grenzziehungen zwischen ethnischen Gruppen gelenkt und mit seiner Sichtweise einen Paradigmenwechsel eingeleitet. Im Vorwort zu seinem Sammelband hielt er u.a. folgende Punkte fest: Ethnische Gruppen sind Gruppen, die kulturelle Werte teilen und sich nicht nur selbst als eine unterscheidbare Gruppe erleben, sondern auch von anderen als solche angesehen werden, also durch Identifikation und Zuschreibung entstehen. Die zugehörigen ethnischen Kategorisierungen sind keinesfalls statisch und erlauben soziale Prozesse von Aufnahme und Ausschluss, also ein „Durchsickern“ von Personen auf beiden Seiten ebenso wie einen regelmäßigen Kontakt zu anderen Gruppen, denen häufig auf Basis eines dichotomisierten ethnischen Status begegnet wird (1970 [1969]: 9ff, 21). Für Barth war klar, dass sich sowohl die kulturellen Charakteristika der Mitglieder ethnischer Gruppen als auch deren Begrenzung (boundary) verändern konnten, die Kontinuität dieser Gruppen jedoch durch das Faktum der Grenzziehung selbst gegeben wurde. Denn: Die Dichotomisierung zwischen Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern der ethnischen Gruppe blieb trotz kultureller Veränderungen konstant (1970 [1969]: 14). Fazit: „The critical focus of investigation from this point of view becomes the ethnic boundary that defines the group, no the cultural stuff that it encloses“ (ebd: 15). Hier muss man sich allerdings fragen, worin die „ethnische Grenze” besteht bzw. was zu untersuchen wäre, wenn nicht der „cultural stuff“. Eriksen verwendet in seiner Kritik sogar die Metapher des empty vessel (in Zurawski 2000: 37). Manning Nash bezeichnet die Mechanismen zur Erhaltung derartiger Grenzen als kulturelle Differenzmarker, die als Indizes sowohl für die Mitglieder als auch für die Nicht-Mitglieder einer Gruppe leicht zu erkennen und zu verstehen sein müssen. Sie stellen die Synthese der weniger sichtbaren, tiefer liegenden Werte einer Gruppe dar und definieren, wer dazu gehört und wer nicht (Nash 1996 [1989]: 24 f). Verwandtschaftssysteme, Kommensalität und Religion stellen für Nash nicht nur die häufigsten Grenzmarker dar, sondern sind auch single recursive metaphors, die die Gruppe gleichzeitig symbolisieren und konstituieren. Die von Nash erwähnte, in der Vorstellung des gemeinsamen Blutes transportierte Idee einer biologischen und durch Abstammung konstituierten Einheit wurde auch von meinen InformantInnen häufig thematisiert (s.u.). Zu diese grundlegenden (primären), für die Außenwelt nicht immer erkennbaren Eigenschaften ethnischer Gruppen gesellen sich äußerlich leicht erkennbare sekundäre 40 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 surface pointer wie Kleidung, Sprache und biologisch bzw. kulturell geprägte physische Charakteristika (wie Hautfarbe, Haar- und Augenform, Beschneidung, Tätowierung und Ziernarben) die von abgeleiteten (tertiären) Indices der Abgrenzung wie Architektur, Kalender, Tabus, medizinischen und wirtschaftlichen Praktiken gefolgt werden. Wichtig ist, dass die sekundären und tertiären Abgrenzungsmerkmale einen Bezug zu den Grundelementen der ethnischen Differenzierung aufweisen, da sie ansonsten nur Merkmale vorübergehender, freiwilliger und oberflächlicher sozialer Identitäten darstellen. Differenzmarker werden häufig zum Objekt von Spott, Karikatur und Stereotypisierung durch Außenseiter (Nash 1996 [1989]: 25 f). Solche Stereotype müssen natürlich keineswegs der Wahrheit entsprechen, helfen aber dabei, das komplexe soziale Umfeld überschaubarer zu machen, hierarchische Verhältnisse zu erklären, die Grenzen der eigenen Gruppe festzulegen und gruppeninterne Loyalitäten zu stärken (Eriksen: 25, 28). 3.4.3 Entstehung und Kommunikation ethnischer Klassifizierungen Entstehen kann Ethnizität, wenn sich Gruppen teilen oder durch Expansion, wenn mehrere Gruppen unter einem größeren System vereint werden. Viele ethnische Klassifizierungen sind Überbleibsel vergangener Kolonialregimes, andere gingen aus „revitalisation movements“ hervor (Eriksen 2002 [1993]: 79 ff). Wie die Beispiele der Schwarzen in den USA, der weder Jiddisch noch Hebräisch sprechenden Juden oder der britischen Kelten zeigen, ist eine gemeinsame Sprache nicht unbedingt Voraussetzung für den Erwerb bzw. Erhalt einer gemeinsamen ethnischen Identität (Brass 1996 [1991]: 88). Ob und wie sehr die ethnische Zugehörigkeit kommuniziert wird, hängt von der Situation (Eriksen 2002 [1993]: 58) und den Machtverhältnissen der beteiligten Ethnien ab. „Zu Hause“ als selbstverständlich erlebte und nicht weiter thematisierte ethnische Identitäten können in einer großen Stadt oder einem fremden Land plötzlich große Bedeutung erlangen und entsprechend kommuniziert werden (ebd: 22 f). Ein klassisches Beispiel dafür ist Mitchells Kalela Dance, der wiederum deutliche Parallelen zur urbanen 41 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Folklore der Anden erkennen lässt (URL 8). Konflikte zwischen internen oder internen und externen Eliten können ebenfalls zu einem erhöhten ethnischen Bewusstsein und damit verbundenen Forderungen führen (Brass 1996 [1991]: 89). 42 Eveline Sigl 3.5 Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Ethnizität, Nationalismus und Rassismus Durch inhaltliche Überlappungen und teilweise Überlagerungen steht der Begriff der Ethnizität in einem Spannungsverhältnis zwischen den Konzepten von Identität, Nationalismus und Rassismus (Eriksen 2002 [1993]: 6 f). Die ethnische Identität ist jedenfalls nur eine von vielen sozialen Identitäten, die in verschiedenen Situationen unterschiedlich stark relevant werden (ebd: 31 f, Tonkin et al 1996 [1989]: 24). Im Nationalismus wird die ethnischen Ideologien inhärente Betonung der Grenzen zwischen „uns“ und „den Anderen“ auf eine staatliche Ebene transferiert. Sowohl ethnische als auch nationale Identitäten sind Konstruktionen, in denen fiktive (Bluts)Verwandtschaftsbeziehungen starke Emotionen auslösen, wobei der Nationalismus eine spirituelle Verbindung zwischen Kinship und Territorium („Blut und Boden“) herstellt und die Massen davon zu überzeugen versucht, dass er sie als kulturelle Einheit repräsentiert (Eriksen 2002 [1993]: 100, Connor 1996 [1994]: 71). Weitere mit dem Konzept der Nation vorgestellte Eigenschaften sind ihre Begrenztheit, Unabhängigkeit und eine tiefe Kameraderie (Anderson 1991[1983]: 6 f). Ermöglicht wurde diese Vorstellung von Nation als imagined community durch das Aufkommen des Printkapitalismus (ebd: 36). Obwohl Nationalstaaten im heutigen Sinn erst seit dem 18. Jahrhundert existieren, geben sie sich gerne den Anstrich einer bis in die graue Vorzeit zurückreichenden Kontinuität, die in eine grenzenlose Zukunft weist und sich damit als etwas Ewiges und Schicksalhaftes positioniert und mit ihrer Selbstverständlichkeit an die kulturellen Systeme der Religionsgemeinschaften und Dynastien erinnert (ebd: 11 f). Die Bereitschaft, sich für einen Nationalstaat aufzuopfern verdankt sich laut Anderson dem verwendeten Vokabular, das Verbindungen zu Verwandtschaft (Mutterland, Vaterland, patria) und Heimat evoziert. Durch diesen Diskurs entsteht ein Eindruck der Gegebenheit und Unabänderbarkeit, der mit „natürlichen“ Dingen wie Sprache, Hautfarbe, Gender, Elternhaus und Geburtsort verschmilzt (ebd: 143, Balibar 1996[1991]: 164). Folgt man Hobsbawns Argumentation, ist der moderne Nationalstaat jedenfalls ein Paradebeispiel für eine „erfundene Tradition“ (1993[1983]: 14). Zurawski sieht hier wiederum nicht so sehr eine „Erfindung“, sondern eher „Bedeutungsnarrative, die sich ethnische Identitäten zu eigen machen“ und die damit verbundenen „Mythen, Rituale 43 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 und Symbole verändern, in andere Kontexte setzen oder sie neu interpretieren“ (2000: 75). Wie für Anderson nimmt die Sprache auch für Balibar eine entscheidende Rolle bei der Konstruktion der imagined communities ein (1991[1983]: 145), ist es doch sie, die die Verbindungen zu den mythischen Helden der Vorzeit schafft und diese zu den „Ahnen“ der Nation macht. Anderson bringt hier das Beispiel spanischsprachiger Mestizos, die ihre „nationale“ Abstammung nicht bis zu den spanischen Eroberern, sondern bis zu den Azteken und Maya oder bis zu Tupac Amaru, dem Anführer der südamerikanischen Indianer-Revolten 1781, zurückverfolgen (ebd: 154). Bei der Schaffung nationaler lateinamerikanischer Identiäten spielt auch das Konzept der Folklore eine wichtige Rolle (Rowe und Schelling in Westwood 2000: 48). - Versatzstücke einzelner vormoderner Gemeinschaften wie Volkstrachten und –Tänze werden hier gerne als „emblems of distinctiveness“ gegenüber anderen Nationen übernommen (Eriksen 2002[1993]: 106). Für Brass ist die Nation schlichtweg eine politisierte ethnische Gruppe (1996 [1991]: 86) und Balibar erkennt die Basis von Staaten in einer fiktiven Ethnizität, die die Vergangenheit so repräsentiert, als ob es sich hier um eine „natürliche“ Gemeinschaft mit gemeinsamen Ursprüngen und Interessen sowie einer gemeinsamen Kultur handeln würde (1996 [1991]: 164). Baumann spricht in diesem Zusammenhang von der Nation als einem neuen und größeren Superethnos bzw. einem Post-Ethnos, der die Existenz kleinerer ortsansässiger Ethnien negiert und als Teil einer entfernten Vergangenheit erscheinen lässt. In der Realität sieht dieses Projekt allerdings meist eher nach Bevorzugung und Marginalisierung sowie der Bildung von Mehrheiten und Minderheiten aus (Baumann 1999: 31). Die dominanten ethnische Gruppe wird mit dem Staat identifiziert (und daher praktisch nie als ethnische Gruppe wahrgenommen), was gleichzeitig einen stillschweigenden Ausschluss der als ethnische Gruppen bezeichneten Bevölkerungsteile impliziert (Baumann 1996: 137). Lange Zeit war der nationale Diskurs in lateinamerikanischen Staaten durch die Kreation einer solchen „fiktiven“ SuperEthnizität der Mestizaje bestimmt; erst in den letzten Jahren haben die Indigenen Eingang in die nationalen Narrativen gefunden. Wie Westwood am Beispiel Ekuador schildert, handelt es sich bei dieser Integration in die staatlichen Imaginationen allerdings sehr oft um folkloristische Bilder, die als Ausdruck der „Authentizität“ tourismusgerecht vermarktet werden. Ebenso wie die bolivianische konstituiert sich 44 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 auch die ekuatorianische Nationalidentiät sehr stark durch die Abrenzung zu seinem territorialen Nachbarn Peru, den Widerstand gegen den Ausverkauf nationaler Ressourcen an transnationale Konzerne und das Einfordern der Anerkennung ethnischer Differenzen, wobei physiognomische Merkmale eine wichtige Rolle spielen (Westwood 2000: 23 ff, 32 f). Auch Westwoods Feststellung, dass der ekuatorianische Nationalstaat durch eine „liberale“ Revolution ins Leben gerufen wurde und eine Vision schuf, die Indigene und Afrikanischstämmige zwar in die wirtschaftlichen Strukturen, nicht aber in den imaginären Staat einband (ebd: 43), findet seine Parallelen in Bolivien. Insgesamt wurden bzw. werden die lateinamerikanischen Staaten durch Diversität und homogenisierende Narrativen und die daraus resultierenden zentrierenden und dezentrierenden Kräfte bestimmt (ebd: 8). Während es beim Nationalismus also um die Identifikation mit einer supraethnischen oder dominanten Gruppe geht, bezeichnet Patriotismus die Loyalität gegenüber einem Land und seinen Institutionen (Connor 1996[1994]: 69). Obwohl sich Ethnizität und gesellschaftliche Schicht deutlich voneinander unterscheiden kann es auch hier zu starken Verstrickungen kommen; ethnische Zugehörigkeiten sind häufig stark mit gesellschaftlichem Status und Klassenunterschieden verbunden (Eriksen 2002: 8, 49). Zurawski erwähnt die unterschiedliche Bedeutung, die Ethnizität für europäische Einwanderer der vierten Generation und African Americans, LateinamerikanerInnen und AsiatInnen der USamerikanischen Arbeiterklasse hat (2000: 82) und Balibar spricht in diesem Zusammenhang sogar von „Klassen-Rassismus“ (Balibar 1991 in Eriksen 2002: 52). Derartige Verflechtungen sind für die vorliegende Arbeit höchst relevant: Das Tanzen bolivianischer Folkloretänze ist nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb Boliviens stark mit Fragen von Status und Ethnizität verbunden, wobei sich die möglichen Konstellationen in der Diaspora ziemlich stark von denen des Ursprungslandes unterscheiden. Die Grenzen zum Begriff „Rasse“ (race) verschwimmen insofern, als rassistische Diskurse neuerdings vor allem mit kulturellen Differenzen (anstatt phänotypischer Charakteristika) argumentieren, um ihre Forderungen nach einer hierarchischen Ordnung der betroffenen Gesellschaft zu untermauern (Eriksen 2002: 6 f). Außerdem 45 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 gehören phänotypische Merkmale oft zwar sehr wohl zu den Differenzmarkern ethnischer Gruppen, sind dort m.E. aber im Gegensatz zum Rassismus nicht Teil angenommener simpler Kausalbeziehungen zwischen Aussehen und Eigenschaften der Gruppenmitglieder. 46 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 3.6 Ethnizität, Kultur und Tradition 3.6.1 Sichtweisen von Kultur Eine essentialistische Sichtweise des Kulturbegriffs kann zwar manche Phänomene (wie etwa Stereotypisierungen und Verhaltensregeln) erklären, übersieht aber die Tatsache, dass der Mensch mehr als eine Kultur praktiziert bzw. sich in einem dichten Netzwerk aus verschiedenen Kulturen bewegt und dabei ständig an der prozessualen Entwicklung von Kultur beteiligt ist und die Grenzen der erwähnten Essentialismen überschreitet (Baumann 1999: 84 f, 118). Baumann integriert die essentialistische und die prozessuale Sichtweise, indem er sie als die zwei Seiten eines Phänomens betrachtet, ein Schritt, der sich auch für die Analyse meiner empirischen Daten als sehr zweckmäßig erweist. – Die befragten TänzerInnen thematisieren Essenz und Prozesshaftigkeit von Kultur bzw. sehen den Tanz als zwischen den von Baumann erwähnten Polen von konservativer (Re)Konstruktion und Neuschöpfung verortet (Baumann 1999: 95). Kultur wird als kollektives Erbe bestimmter Regeln und Normen verstanden, die die Unterschiede zwischen Gut und Böse sowie zwischen dem Wir und den Anderen festlegen (Baumann 1999: 25) und dient damit oft auch als Legitimationsgrund eigener Handlungen (Baumann 1996: 107). Wichtig ist es, dabei zu bedenken, dass man Kultur nicht nur „hat“, sondern auch durch sie geformt wird (Hannerz 1996: 58) bzw. als Mensch selbst wieder an der Konstruktion von Kultur beteiligt ist (Baumann 1999: 25). Wie Baumann sehr treffender Weise bemerkt, muss unbedingt zwischen dem unterschieden werden, was InformantInnen unter „Kultur“ und „Gemeinschaft“ verstehen und dem, was AnthropologInnen damit meinen (1996: 9). Im dominanten Diskurs fungiert „Gemeinschaft“ als Bindeglied zwischen Kultur und Ethnos: Ethnische Minderheiten bilden Gemeinschaften, die auf verdinglichter (reified) Kultur basieren bzw. muss ihre Kultur in der verdinglichten Form auftreten, da sie ja als Gemeinschaft identifiziert werden (ebd: 16 f). Im Gegensatz zum dominanten Diskurs bezeichnet Baumann den alternativen, stärker auf kreative Aspekte abzielenden Diskurs der Betroffenen als demotisch (1996: 9). Allerdings ist es durchaus möglich, eine Kultur zu haben, ohne Mitglied einer örtlichen Gemeinschaft zu sein – etwa weil es aufgrund von 47 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Streitigkeiten oder individualistischem Wettkampfdenken keine derartige Gemeinschaft gibt (ebd: 92 f); eine Tatsache, die auch von meinen bolivianischen InformantInnen wiederholt erwähnt wurde. Verstärkte Kontakte zwischen den sozialen Gruppen bringen einerseits eine Annäherung und größere Ähnlichkeit, gleichzeitig aber auch ein verstärktes Bemühen um die Aufrechterhaltung von Differenz, wie es sich z.B. in poly-ethnischen Kontexten beobachten lässt (Barth [1969] 1970: 18, Eriksen 2002: 19 f). Zu große Ähnlichkeiten können durchaus als bedrohlich wahrgenommen werden und ein „Kopieren“ symbolischer Praktiken durch eine als sehr ähnlich empfundene Gruppe wird leicht mit „Kultur-Priaterie“ (Harrison 1999 in Eriksen 2002: 67) und „Kulturraub“ (eigene Erhebungen) gleichgesetzt. Kultur wird besonders dann eine erkennbare Größe, „wenn sie ihre selbstverständliche Existenz verliert und sich nicht mehr automatisch kongruent zu anderen Gesellschaftsbereichen verhält“ (Erazo-Heufelder 1994: 72). So ist auch zu erklären, warum die globale Homogenisierung in vielen Bereichen (wie etwa Wirtschaft, Medien und Bildung) mit einer gleichzeitigen Heterogenisierung und Fragmentierung einhergeht (Eriksen 2002: 162). Auch für Appadurai impliziert der Begriff der Kultur vor allem eine Differenz, die sich in den kulturellen Dimensionen eines Konzeptes, einer Praxis oder eines Objektes manifestieren kann. Kultur bedeutet für ihn daher keine wie auch immer geartete Substanz oder Eigenschaft einer Person oder Gruppe, sondern eine Dimension, mit deren Hilfe über Differenz gesprochen werden kann. Als kulturelle Differenzen sieht Appadurai allerdings nur diejenigen Differenzen an, die soweit bewusst gemacht und verinnerlicht werden, dass sie für die Gruppenidentität unabdingbar werden und – analog zu Nashs single recursive metaphors, surface pointers und tertiary indices (1996 [1989]: 25 f) - als Grenzmarker bei der Artikulation von Differenz zwischen Gruppen dienen können (Appadurai 1996: 12 ff). Kultur wäre demnach eine Auswahl solcher internalisierter Differenzen, die im Rahmen bi-, multi- und interkulturalistischer Bewegungen (Kulturalismen) bewusst für eine nationale oder transnationale Identitätspolitik mobilisiert werden (ebd: 15), was auf die bereits erwähnten ethnopolitischen Tendenzen hinweist (Rothschild 1981). 48 Eveline Sigl 3.6.2 Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Ethnizität, Kultur und (Bi-, Multi-) Kulturalismen Entgegen Ansätzen, Kultur auf ethnische Identität zu reduzieren oder die ethnische Identität als einzige Determinante von Kultur anzuerkennen (Baumann 1999: 103 f), darf die unbestreitbare Affinität zwischen den Begriffen Ethnizität und Kultur nicht mit einer Deckungsgleichheit verwechselt werden. – Es gibt Ethnien, die trotz weitgehender kultureller Assimilierung weiter bestehen, aber auch solche, die sich zwar auflösen, deren kulturelle Symbole aber trotzdem lange Perioden überdauern (Hutchinson und Smith 1996: 7). Kulturelle und ethnische Grenzen müssen auch nicht entlang derselben Linien verlaufen: Verschiedene ethnische Gruppen können trotz ihrer Unterschiede die gleiche Sprache sprechen, die gleiche Religion ausüben oder die gleichen wirtschaftlichen Strategien anwenden (Eriksen 2002 [1993]: 34). Umgekehrt können ethnische Gruppen trotz sprachlicher und religiöser Differenzen und dem Fehlen einer gemeinsamen Sprache existieren (Weber 1996: 36, Brass 1996[1991]: 88). Es gibt also keine Eins-zu-Eins-Beziehung zwischen ethnischen und kulturellen Differenzen (Barth [1969] 1970: 14). Ethnizität und Kulturalismus entscheiden sich insofern voneinander, als es bei ersterer um die Annahme einer natürlichen, unbewussten und stillschweigend angenommenen Gruppenidentität geht, während die kulturellen Differenzen beim (Bioder Multi-)Kulturalismus ganz bewusst produziert werden, um nicht nur die Beziehungen zur dominanten Gesellschaft, sondern auch deren technische und politische Mittel für den Widerstand zu nutzen (Appadurai 1996: 147, Sahlins 1993: 475). Viele der modernen, transnational mobilisierten Ethnizitäten sind daher kulturalistischen Bewegungen und den diasporischen öffentlichen Räumen zuzurechnen (Appadurai 1996: 147). Terence Turner argumentiert in die gleiche Richtung, wenn er bemerkt, dass „multiculturalism tends to become a form of identity politics, in which the conecpt of culture becomes merged with that of ethnic identity. ... this move ... risks essentializing the idea of culture as the property of an ethnic group or race, it risks reifying cultures as separate entities by overemphasizing their boundedness and mutual distinctness, it risks overemphasizing the internal homogeneity of cultures...“ (Turner 1993 in Baumann 1999: 105). Turner sieht Sahlins „Culture of cultures“ (1993: 493) als universelle „Metakultur“, die zu einer 49 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 weltweiten Quelle politisch mobilisierbarer Rechte wird (Turner in Hannerz 1996: 52). Die gern propagierte Integration und Interkulturalität kann mit derartigen Multikulturalismen also nicht erreicht werden: Volkstanz, Kulturfestivals und EthnoRestaurants dienen ganz im Gegenteil dazu, die propagierten kulturellen Differenzen festzuschreiben und als natürlich gegeben darzustellen (Baumann 1999: 122). Wie auch Comaroff und Comaroff (1992) bemerken, werden Strukturen der Ungleichheit durch zugeschriebene kulturelle Differenzen begründet, wodurch Ethnizität eine zwingende existentielle Realität erhält (Baumann 1996: 19). In besonderem Maße gilt das auch für die Bevölkerung der vierten Welt, die in den letzten Jahrzehnten ein verstärktes Bewusstsein für Kultur und Tradition entwickelt hat. In seinem Aufsatz „Goodbye to Tristes Tropes“ zitiert Sahlins dazu einen eigenen Informanten aus Neu Guinea: „If we didn´t have kastom, we would be just like white men.“ und einen Informanten von Maurice Godelier aus derselben Region: „We must find strength in our customs; we must base ourselves on what the Whites call culture.“ Über Bräuche und Traditionen erschließbare verdinglichte Auffassungen von kultureller Differenz haben zwar schon vor der europäischen Präsenz existiert, werden aber erst in der Form des aktuellen Kulturalismus zu einem höheren Wert und politischen Recht (in Opposition zu der imperialen Präsenz) erhoben (Sahlins 1993: 474 f). Voraussetzung für eine derartige Aneignung ist die Tatsache, dass alle Kulturen fremde Objekte und Personen in Form von kohärenten Beziehungen in sich aufnehmen können (Sahlins 1993: 489). Genau das geschah bei den ersten wirtschaftlichen Kontakten mit den Eroberern vor der Unterwerfung: Die importierten Güter dienten der Verwirklichung eigener Vorstellungen und Lebenspraxen, also der Entwicklung aus der Sicht der Betroffenen, was diese Güter (wie z.B. Pferde, Messer, Stoff, aber auch das Christentum) trotz fremder Provenienz bis heute als Teil der eigenen „traditionellen“ Kultur erscheinen lässt (ebd: 490). Synkretismus und Kulturalismus sind daher keine Gegensätze, sondern bedingen einander. – Während der traditionellen Kultur die höheren Werte zugeschrieben werden, sollen Annehmlichkeiten wie Kühlschränke und Fernseher im eigenen System „domestiziert werden“ (ebd: 493). Die Globalisierung von Kultur ist also nicht mit deren Homogenisierung gleichzusetzen; vielmehr werden verschiedene Instrumente der Homogenisierung 50 Eveline Sigl (Waffen, Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Werbetechniken, Sprachhegemonien, Kleidungsstile) von den lokalen kulturellen und politischen Wirtschaften absorbiert (Appadurai 1996: 42). Da die Vergangenheit einzelner Gruppen zusehends durch Museen, Ausstellungen, Sammlungen, nationale und transnationale Schaustellungen erfahrbar wird, gerät Kultur wird auch immer mehr zu einer Angelegenheit der bewussten Wahl, Rechtfertigung und Repräsentation (ebd: 48). Ganz besonders wichtig wird hier die Rolle der (staatlich) gelenkte Medien, die Identitäten in einer Art und Weise kreieren, transformieren und verdinglichen (reifiy) können, dass sie primordialen Loyalitäten gleich verinnerlicht werden und die Leute zu einem entsprechenden Verhalten veranlassen. Unter Umständen wird dieser Einfluss der sogar so groß, dass er im alltäglichen Leben gemachte face-to-face-Erfahrungen mit dem ethnischen Anderen umkehrt (155 f). Im Zuge kulturalistischer Bewegungen treten nationalstaatliche Minderheiten und Mehrheiten in einen Wettkampf um staatliche Ressourcen, was zu Ausbrüchen von Gewalt führen kann (155). Moderne Nationalstaaten richten ihre Legitimation, die Durchführung staatlicher Projekte und die Zuordnung von Rechten und Pflichten immer an large-scale Gruppen-Identitäten aus (157). Gleichzeitig wird die Zugehörigkeit zu einem Staat für seine BürgerInnen immer weniger zu einer Konsequenz natürlicher Fakten wie Sprache, Abstammung, Territorium und „race“, sondern immer stärker zu einem Produkt kollektiver Imagination (161). 3.6.3 Die Tradition Tradition schafft als „zeitloser“, stabiler Kern ethnischen Zusammengehörigkeitsgefühls eine Kontinuität zwischen Vergangenheit und Zukunft (Eriksen 2002 [1993]: 68, 71, Nash 1996 [1989]: 27). Kulturelle Praktiken und Glaubensvorstellungen erhalten so alleine durch die Tatsache, so lange überlebt zu haben und alt zu sein, eine Aura der Autorität, Legimität und Richtigkeit. Nash erwähnt in diesem Zusammenhang Aussprüche wie „as our fathers did before us“ oder „the way it was always done“. Aus dieser Haltung ergibt sich auch eine wichtige Zukunftsperspektive: So wichtig wie das Überleben der Tradition für die Gruppe war, so wichtig wird nun der Einsatz jedes Einzelnen für den Erhalt dieser Tradition und damit 51 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 wiederum für die Gruppe – das Streben nach dem individuellen Überleben verschmilzt mit dem nach Erhalt der Gruppe (1996 [1989]: 27 f). Ethnizität, erfahren als „being ‚bone of their bone, flesh of their flesh, and blood of their blood’, wird somit zum Bindeglied zwischen der eigenen Geschichte und der der Vorfahren: Ein „Garant der Ewigkeit“. Das Bewahren und Erhalten von Liedern, Gebeten, Riten, Rätseln und Witzen gehört ebenso hierher wie die Neu-Interpretation und (Neu)-Konstruktion der eigenen Geschichte, die für einen Anschein von Kontinuität und „Natürlichkeit“ und/oder Selbstverständlichkeit der beschriebenen Ereignisse sorgt und die Anwendbarkeit des tradierten Wissens in der Gegenwart sichert (Fishman 1996 [1980]: 63 ff, Eriksen 2002 [1993]: 72 f). Ich sehe diese theoretischen Konzepte insofern als besonders relevant für die vorliegende Untersuchung an, als meine InformantInnen der Tradition und Pflege kultureller Praktiken in ihren Aussagen einen durchwegs sehr hohen Stellenwert zuwiesen und sich häufig implizit und explizit auf dieseThematik bezogen. Hobwsbawn ist der Ansicht, dass viele der als alt wahrgenommenen oder reklamierten Traditionen in Wirklichkeit neueren Datums sind. Er definiert die „erfundene Tradition“ als „set of practices, normally governed by overtly or tacitly accepted rules and of a ritual or symbolic nature, which seek to inculcate certain values and norms of behaviour by repetition, which automatically implies continuity with the past“. Wo möglich, wird nach einer „passenden“ historischen Vergangenheit gesucht, um diese Kontinuität zu untermauern. Neue Situationen werden so unter Rückgriff auf alte Referenzereignisse gemeistert und es entsteht der Eindruck, dass trotz konstanter Änderungen und Neuerungen zumindestens ein Teil des sozialen Lebens unverändert bleibt. (Hobsbawn 1993 [1983]: 1 f). Die „Erfindung“ besteht im Wesentlichen aus einem Prozess der Formalisierung und Ritualisierung unter Rückgrif auf die Vergangenheit (ebd: 4). Hobwsbawn unterscheidet hier drei Typen von invented traditions: Diejenigen, die einen sozialen Zusammenhalt oder eine Mitgliedschaft von Gruppen und Gemeinschaften begründen, Traditionen Autoritätsbeziehungen zur und Legitimation Traditionen, die von Institutionen, dazu dienen, Status Glaubens- oder und Wertvorstellungen zu vermitteln und die Sozialisation voranzutreiben (ebd: 9). Besondere Wichtigkeit für Fragen der Identität haben erfundene, emotional und symbolisch aufgeladene Zeichen der „Mitgliedschaft“ wie nationale Flaggen und 52 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Embleme (ebd: 11). Sahlins verwehrt sich gegen dieses Konzept der „erfundenen“ Tradition. Denn: Alle Traditionen werden für die Zwecke der Gegenwart „erfunden“. Im Fall der ExKolonien handelt es sich bei den Vorstellungen uralter Traditionen auch um ein Zurückspielen einst von den Eroberern zur Grundlage ethnischer Differenzen gemachter Wertungen. „Tradition“ bedeutet für Sahlins nicht Erhalt, sondern eine besondere Form des Wandels, in der sich Indigene entweder über genau die Imaginationen abbilden (re-create), die die Anderen von ihnen gemacht haben oder ihre kulturelle Distanz durch komplementäre oder umgekehrte (inverted) Formen der Kolonialmacht gewinnen (Sahlins 1993: 475 f). Als sehr treffendes Beispiel für das Messen mit zweierlei Maß führt Sahlins die Entstehung der europäischen Renaissance an: Die wilde Mischung aus jahrhundertelang vergessenen heidnischen Traditionen und Göttern wurde als kulturelle Wiedergeburt und Beginn einer neuen Ära gefeiert. Bei anderen Völkern gelten die gleichen Prozesse nur als Anzeichen von Dekadenz (478 f). 3.7 Tanz als Ausdruck von Kultur, Identität, Ethnizität 3.7.1 Tanz als kulturell determiniertes Verhalten und Mittel der Abgrenzung Für Hanna ist der Tanz ein „human behavior composed, from the dancer´s perspective, of (1) purposeful, (2) intentionally rhythmical, and (3) culturally patterned sequences of (4a) nonverbal body movements (4b) other than ordinary motor activities, (4c) the motion having inherent and aesthetic value“ (1979: 19). Als kulturell determiniertes Verhalten kann er Normen, Werte, Konzepte und Fähigkeiten lehren, kulturelle Muster einer Gruppe oder Gesellschaft erhalten sowie Hierarchien kommunizieren, unterstützen oder in Frage stellen. Das Phänomen Tanz kann weder durch andere Kommunikationswege substituiert werden noch ist es universell verständlich: Die vermittelten Botschaften sind unter Umständen nicht in andere Codes der gleichen Kultur oder in Konzepte anderer Kulturen übersetzbar (ebd: 3, 26, 67). Tanz- und Bewegungsformen haben daher sehr viel mit der 53 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 psychomotorischen Sozialisation und den soziokulturell geprägten Interaktionsmustern einer Gemeinschaft zu tun (ebd: 34, 69). Soziale Beziehungen und kulturelle Werte werden über Tanzanlässe, Lebensalters-Rollen, Tanzzwecke, Gesangstexte, Partizipationskriterien, Tanzthemen sowie die Gender- und Korrelation von Bewegungsstil, Struktur, Musik und Tanzkostüm mit den sozialen Rollen ausgedrückt (ebd: 171). Der Tanz hat eine stark identitätsbildende Funktion: In den ehemaligen Kolonialreichen waren die Tänze oft ein symbolischer Ausdruck von Widerstand, Identität und Ethnizität. - Während auf der einen Seite die fremden Eindringlinge im Tanz verspottet und karikiert wurden (und es entsprechend viele Tanz-Verbote und Reglementierungen durch die die Eroberer gab), diente der Tanz auf der anderen Seite der Verfestigung und Präsentation innergemeinschaftlicher Werte und damit der Stärkung der eigenen Identität. Die Aneignung von Tänzen der Eroberer als Symbole der Macht (ebd: 142) stellt einen subversiven Akt im Sinne Bhabhas dar (Bhabha 2000: 165). Für Washabough ist der Tanz allerdings auch abseits von Eroberung und Unterwerfung ein Mittel, um exotisierende Vorstellungen des Anderen zu entwerfen und (zuweilen mit großem Erfolg) zu verbreiten. Wie in seinem Sammelband zu Flamenco, Tango und Rebetica illustriert, kommt es im Tanz zu einer starken Verflechtung von Gender-Konstruktionen und (imaginierten) nationalen Identitäten. Als gleichsam postreligiöses Phänomen stehen Musik und Tanz dabei für grundlegende emotionale Werte wie Ehrlichkeit, Authentizität und Intensität (1998: 5 ff). Hanna stellt die Hypothesen auf, dass das Verlangen nach einer gemeinsamen symbolischen Kommunkation durch den Tanz umso größer ist, je ethnisch heterogener eine Gesellschaft ist und dass der Tanz als Teil der ideational domain einer Gesellschaft für politische Funktionen genutzt werden kann (ebd: 152); etwa als Symbol ethnischer Identität in heterogenen Nationen (ebd: 197, Washabaugh 1998: 6 ff). Beides lässt sich am Beispiel des bolivianischen Umzugstanzes beobachten: Nachdem der Tanz ab 1952 für die Schaffung einer homogenisierenden, folkloristisch-mestizischen Meta-Erzählung instrumentalisiert wurde, dient er mittlerweile verstärkt dem kulturalistischen Aufzeigen von Differenz. 54 Eveline Sigl 3.7.2 Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Bedeutung in urbanen Zentren Hanna sieht die urbanen Zentren als Katalysatoren der Kreativität, da sie einen stärkeren tänzerischen Austausch und interkulturelle Begegnungen ermöglichen (ebd: 202 ff). Die städtische Heterogenität führt zu einer größeren Toleranz gegenüber abweichendem Verhalten und begünstigt daher Innovationen (210). In der Stadt dient der Tanz dazu, sich gegenüber der eigenen und anderen Gruppen zu repräsentieren und eine größere Stabilität in der fremden Umgebung zu erreichen. Der Tanz hilft, durch die Migrationssituation erlebte Spannungen besser zu verkraften, ein Zugehörigkeitsgefühl zu schaffen, Gefühle von Heimweh und Sehnsucht zu kanalisieren bzw. neue soziale Netzwerke aufzubauen (ebd: 214 f). In dieser Situation kann der Tanz den Wunsch nach gesellschaftlichem Aufstieg, aber auch die Akzeptanz oder den Widerstand gegen die von der Gesellschaft zugeteilten Rollen widerspiegeln. Dabei entwickelt er sich zu einem Mittel, um die Grenzen der eigenen Identität abzustecken und zu schützen, an das sich nicht nur Angehörige niedriger Statusgruppen, sondern auch privilegierte Eliten klammern (ebd: 221). Die Normen städtischer Entscheidungsträger und Eliten tragen ebenso wie die Prozesse der soziokulturellen Assimilation zur Anpassung der Tänze an die dominante urbane Kultur bei. Hanna unterscheidet mehrere Stadien der Veränderung: In einer ersten Phase geht es darum, den Gruppenzusammenhalt durch den Erhalt traditioneller Tänze zu stärken. Tanzformen wie die der concheros in Mexiko City sind hier Teil eines „crisis cult“, der dazu dient, die kulturelle Identität von Einwanderern und low status groups zu erhalten, gleichzeitig aber neue Formen der sozialen Integration zu erschließen (Moedano 1972 in Hanna 1979: 143). Mit gesellschaftlichem Aufstieg und wachsender Anpassung an die Mainstream-Kultur verlieren diese Tanzformen an Bedeutung und werden „verwässert“, um in einer dritten Phase als „kulturelle Wurzeln“ wieder entdeckt und zur erneuten Bekräftigung der Andersheit genutzt zu werden (ebd: 223 ff). 3.7.3 Tanz, Sexualität und Gender-Rollen Für Hanna ist die Tanz-inhärente Sexualität ein möglicher Grund für seine universale Verbreitung. Gender-Identitäten und Sexualität im Tanz gehen auf verschiedene Weise ineinander über, wie etwa im tänzerischen Liebeswerben, in Sublimierung, Parodie und 55 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Rollenumkehr oder im Festschreiben von Geschlechterrollen (sex roles). Die Rolle der Frau oszilliert dabei zwischen der einer erotischer Verführerin und dem Bild der lebensspendender Allmutter während den Männern oft die Funktion des Leben nehmenden Kriegers zuteil wird (1988: 46 f, 78, 88, Washabaugh 1998: 7 ff). Bezogen auf den euro-amerikanischen Gesellschafts- und Bühnentanz spricht Schulze von der Präsentation der Frau mit Hilfe „natürlich-weiblicher“ Bewegungen im Gegensatz zur athletischen Demonstration von Stärke und Geschick des Mannes (1999: 11). Im kulturell kodierten Gesellschaftstanz übernimmt typischerweise der Mann die Führung und überlässt der Frau den reagierenden Part, geschlechterspezifische Differenzen und Machtstrukturen werden sozusagen in Tanzform gegossen und „zementiert“ (Schulze 1999: 121, 137). Der Tanz bietet den gesellschaftlich meist untergeordneten Frauen aber eine Möglichkeit, dieses Verhältnis in „rituals of rebellion“ umzukehren und aufgestaute Spannungen abzubauen (Gluckmann 1954 in Hanna 1988: 86). Was Hanna hier im Hinblick auf afrikanische Tanztraditionen beschreibt, findet sich in Form der Macha Caporales auch in den urbanen Straßentänzen des bolivianischen Hochlandes (s.u.). Im Tanz selbst werden Weiblichkeit und Männlichkeit über Konkretisierung, Stilisierung, Metonym und Metapher1 in den Tanzbewegungen und -Kostümen dargestellt (ebd: 88). Nach Judith Butler kommt es hier allerdings zu einer Repräsentation mittels „Zeichen von Zeichen“, bei der die Tänze die kulturelle Wirklichkeit abbilden, aber auch reflektieren und verschieben können. Vor allem Paartänze verkörpern demnach die binäre Zwangsnormierung der Geschlechterrollen, die sich „an einem Regelkanon gesellschaftlicher Praktiken“ orientieren bzw. an den daraus resultierenden ständigen Versuchen, diese eigenen Idealisierungen von Männlichkeit und Weiblichkeit zu imitieren (nach Butler in Schulze 1999: 115 ff). Generell ist es beim Tanz „sowohl die Bewegungssprache als auch die Präsentation des Körpers mit Unterstützung der Kostümierung..., die das wahrnehmbare Geschlecht im Tanz (und in der Gesellschaft) gemeinsam erzeugen. Die Bewegungen und Gesten sind gendered, aber nicht allein deshalb, weil sie auf ein sie ausführendes Original 1 Konkretisierung: Imitation/Replik äußerer Aspekte, Metonym: Ein Teilbereich steht für das Ganze (z.B. ein Kriegstanz für einen Krieg), Metapher: Suggeriert eine Analogie zwischen zwei Dingen (z.B. zwischen dem Tanz als Leopard und der Macht des Todes) (Hanna 1979: 44) 56 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 zurückverweisen, über das sie sich wiederum definieren. Vielmehr gehen die geschlechtsspezifischen Bewegungen ... der Definition von Geschlecht voraus“ (ebd: 130). Polhemus spricht in diesem Zusammenhang sogar von der Kollision einer weiblichen und einer männlichen Kultur bzw. einer Kristallisation der kulturell geschaffenen Bedeutung von Weiblichkeit und Männlichkeit durch den Tanz (1993: 11 f). 3.8 Diaspora-Identitäten Da ich im Zuge meiner Erhebungen nicht nur Auslands-BolivianerInnen kontaktierte, sondern auch Personen, die sich selbst als „halb-halb“ bzw. „Mischung“ bezeichneten, möchte ich an dieser Stelle etwas näher auf die theoretische Debatte zur Ethnizität von „halfies“ und Diaspora-Gemeinschaften eingehen. Der Begriff Diaspora bezeichnete ursprünglich nur die nach der Vertreibung aus Jerusalem auf der ganzen Welt verstreut lebenden Juden, wird aber mittlerweile für alle Menschen verwendet, die zwar außerhalb eines als Heimat angesehenen Landes leben, ihre primäre Identität jedoch aus der Zugehörigkeit zu eben diesem Land schöpfen. (Eriksen 2002 [1993]: 152 f). Weitere mögliche Charakteristika diasporischer Populationen sind von der Mehrheitskultur abweichende Werte, Normen und Praktiken, das Gefühl, in der Aufnahmegesellschaft nicht wirklich akzeptiert zu werden sowie die Bildung solidarischer Netzwerke und Institutionen, die die soziale Kohäsion innerhalb der Diaspora fördern und für eine gewisse Unabhängigkeit von der Residenzgesellschaft sorgen (Safran 1999 [1991]: 364). Die Migration führt oft zu einer Verstärkung der nationalen Identität, einem Bemühen um die Bewahrung und Neu-Schöpfung (recreation) der Abstammungskultur (Eriksen 2002[1993]: 152 f). Probleme entstehen durch konfligierende Loyalitäten in Bezug auf Herkunfts- und Aufnahmeland (Moosmüller 2002: 13) sowie bei der Inkorporation neuer, mit der Tradition inkompatibler Werte, die zu heftigen Auseinandersetzungen führen kann (Barth 1970 [1969]: 35). MigrantInnen der ersten Generation haben regelmäßig mit Diskriminierung und mangelnder Anerkennung von im Ursprungsland erworbenen Qualifikationen zu kämpfen. Zusätzlich müssen die oft einer Mehrheitsgesellschaft entstammenden 57 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Auswanderer mit einem neuen Status als Minderheit zurecht kommen und ihre Gruppen-Identität auch gegenüber anderen MigrantInnen-Gruppen verteidigen (Eriksen 2002 [1993]: 132). Andererseits können diasporische Kontexte auch mit positiv konnotierten Eigenschaften wie Flexibilität und Anpassungsfähigkeit in Verbindung gebracht werden. Aus Heimweh und Sehnsucht entsteht nicht nur der Wunsch nach einer Rückkehr in die Heimat, sondern auch eine Suche nach Ähnlichkeit mit dieser. So werden oft Elemente aus der Herkunfts-, der Residenz- und der Diasporakultur ausgewählt und in passender Weise zu einer Konstruktion von „Heimat“ vereint (Moosmüller 2002: 16 f). In diesem Sinne sind auch die Diaspora-Identitäten zu verstehen, die eben kein „natürlicher“ Ausdruck von „seit Urzeiten“ bestehenden kulturellen Besonderheiten, sondern eine Reaktion auf den Diskurs mit den Anderen sind. Kollektive Identitäten werden dabei auch oft zu emotionalen Schutzschildern, die das „Anders-Sein“ in ein „Besser-Sein“ transformieren (ebd: 19). Im Zuge der für die Diaspora typischen Ethnogenesis werden bestimmte Aspekte des kulturellen Erbes zu einer (Re)konstruktion der Zugehörigkeit zusammengefügt (Schippers 2002: 42), womit sich der Kreis zu den „erfundenen“ Traditionen (s.o.) schließt. Schippers nennt noch eine weitere wichtige Migrationserfahrung: Die Begegnung mit Teilen der Identität, die innerhalb des eigenen Landes keine Rolle spielen. Dazu gehören einerseits administrative Abläufe wie die Pass- und Visa-Ausstellung und damit Fragen der Legalität des Aufenthalts und andererseits Kontakte mit staatlichen Institutionen wie Botschaften und Konsulaten im Ausland (ebd: 44 f). MigrantInnen zweiter und dritter Generation erleben die von Victor Turner (1967) als „betwixt and between“ und von Mary Douglas (1966) als „neither-nor“ oder „both-and“ beschriebene Situation besonders häufig: Trotz Zweisprachigkeit und manchmal sogar zweifacher Staatsangehörigkeit werden MigrantInnen zweiter Generation oft von ihrer Umgebung der ethnischen Gruppe ihrer Eltern zugeordnet. Sie selbst betrachten sich jedoch häufig als der Mehrheitskultur angepasst und erleben aus dieser Spannung resultierende Loyalitätskonflikte. Die oftmals postulierte „Unvereinbarkeit“ zweier „Kulturen“ ist in so einer Situation meist nicht auf eine tatsächliche „Inkompatibilität“ zurückzuführen, sondern darauf, dass die ethnischen Ideologien auf einer solchen 58 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 bestehen (Eriksen 2002[1993]: 62 f, 137). Mögliche Strategien bestehen für diese Personengruppe im puristischen Erhalten und Reproduzieren von Traditionen, im Leben „in zwei Welten“ oder in der Kreation hybrider neuer Identitäten (ebd: 167). Wie Baumann bemerkte, gibt es unter den Angehörigen der zweiten Generation auch die Tendenz, sich mit neuen „Super-Ethnien“ bzw. post-migratorischen Gemeinschaften anzuschließen, in der die Unterschiede der elterlichen prä-immigratorischen Identitäten an Bedeutung verlieren. Ein wichtiger Ausdruck solcher Tendenzen sind Musik und Tanz, die ein neues Gemeinschaftsgefühl unter den Jugendlichen ermöglichen. Auch hier ergibt sich eine Parallele zu meiner eigenen Feldforschung: Während sich die von Baumann untersuchten Southallians über Bhangra als Teil der „asiatischen Kultur“ fühlen (Baumann 1996: 157, 190), können sich viele LateinamerikanerInnen zweiter Generation als „Latinas/os“ gut mit dem bolivianischen Caporales-Tanz identifizieren. Schippers ist außerdem der Ansicht, dass „ethnische“ Diaspora-Gruppen umso eher entstehen, je schwerer die Assimilation in das neue Umfeld fällt (Schippers 2002: 46). Tatsache ist, dass aufgrund dieser Tendenzen immer mehr einander ausschließende, Authentizität und Anerkennung beanspruchende Gruppen entstehen (Baumann 1999: 108), wobei ein Bezug zum „Kulturerbe“ und zur Vergangenheit auch bei der „Kreation“ neuer Gemeinschaften Legititmität bewirkt. Für Außenseiter völlig neu erscheinende Entwicklungen werden oft als Wieder-Erwecken einer ruhenden Tradition bzw. als Weg in die Zukunft interpretiert; der generelle Fokus liegt trotz dynamischer Veränderungen auf Kontinuität (Baumann 1996: 193) und, wenn man so will, auf Hobsbawns invented traditions. Trotz des meist schon in der ersten und zweiten Generation erfolgenden Sprachverlusts können sich ethnische Identitäten bis in die dritte Generation und darüber hinaus als Identitätsmarker erhalten. Im Laufe dieser Zeit findet eine ständige Transformation der ethnischen Gruppe statt, bei der nostalgische „Heimat“-Besuche der dritten Generation, Konflikte zwischen den verschiedenen Einwanderergenerationen und Prozesse der sozialen Inklusion und Exklusion eine wichtige Rolle spielen und die stark von der Interpretation der in der Aufnahmegesellschaft gemachten Erfahrungen abhängt, was letztlich dazu führt, dass die ethnische Gruppe mit neuen Attributen und Stereotypen identifiziert wird (Glazer und Moynihan 1996 [1963]: 135 f, Hall 2004: 201, 59 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Esman 1996[1986]: 317). Besonders interessant erscheint mir in diesem Zusammenhang Gans´ Konzept der symbolischen Ethnizität, in der der Stolz auf und die Liebe zu einem entfernten, mit Nostalgie betrachteten Land in Symbole verwandelt werden, die auch für Angehörige der dritten Generation noch leicht ausdrückbar und spürbar sind, ohne mit dem täglichen Leben in störender Weise zu interferieren. Als Beispiele solcher Symbole nennt Gans religiöse Feiertage und Übergangsriten, Speisen, aber auch ethnisierte Filmund TV-Charaktere oder den jüdischen Holocaust (1996 [1979]: 146 ff). Hall bemerkt, dass Jugendliche aus Diaspora-Gemeinschaften zwar gerne ihre Loyalität zu „ihren“ Traditionen betonen, sich gleichzeitig aber weniger für deren konkrete Praxis einsetzen als dies bei Angehörigen der ersten MigrantInnengeneration der Fall ist. Das Ausmaß von Identifikation und Hybridisierung wird dabei nicht nur von der individuellen Einstellung, sondern auch vom Verhalten des Aufnahmelandes beeinflusst (Hall 2004: 201, 209). Bestimmte Worte, Artefakte, Tänze und Rituale, die sowohl in der Ursprungsals auch in der Diaspora-Gesellschaft bereits „ausgestorben“ sind, können allerdings jederzeit als Elemente vielschichtiger „Sub-Kulturen“ oder „Neo-Stile“ wieder auftauchen (Schippers 2002: 47). Das Konzept der symbolischen Ethnizität schlägt die Brücke zu Andersons imagined communities und Appadurais diasporischen Räumen. - Anderson definiert nicht nur Nationen, sondern alle größeren Gemeinschaften, die über face-to-face-Kontakte hinausgehen als imagined communities, da sich ihre Angehörigen zwar nie alle persönlich kennenlernen, aber trotzdem in der Vorstellung einer gemeinsamen Gemeinschaft leben (1991[1983]: 6). Über Symbole können Ethnizitäten auf diese Weise auch ohne funktionierende Gruppen oder Netzwerke weiter bestehen (Gans 1996[1979]: 149, 151). Gleichzeitig werden sowohl die Symbole als auch die ethnischen Gruppen und ihre Mitglieder selbst mobiler, was zu einer größeren räumlichen Ausdehnung von ethnischen Identitäten führt (Appadurai 1996: 139). In seinem Buch Modernity at large entwirft Appadurai eine Theorie der neuen öffentlichen diasporischen Räume, die durch die rasante Entwicklung der elektronischen Medien und den starken Anstieg verschiedener Arten von Migration ermöglicht wurden. Sowohl die Bilder als auch deren Betrachter sind sozusagen ständig 60 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 in Bewegung und treffen in deterritorialisierten Räumen aufeinander (1996: 3 f). Neu ist dabei, dass Imaginationen nicht mehr Einzelpersonen wie Künstlerinnen und RitualspezialistInnenen vorbehalten bleiben, sondern Teil des Lebens der einfachen Leute geworden sind (ebd: 5). - Die globale Kulturordnung hat sich durch die Verbreitung von Kino, Fernsehen und Video insofern geändert, als jetzt immer mehr Menschen weltweit ihr Leben durch die Brille dessen sehen, was ihnen die Massenmedien anbieten. Ein eigenes Leben in Armut wird somit nicht mehr als unausweichlich wahrgenommen, sondern als Kompromiss zwischen dem, was sich die Menschen nunmehr vorstellen können und dem, was ihre Lebenssituation zulässt. Imaginationen sind damit nicht mehr Fanasien, sondern soziale Praktiken (Appadurai 1996: 53 f). Imaginationen stellen auch im Migrationskontext ein einflussreiches Feld sozialer Praktiken dar, da sowohl Migrationsentscheidungen als auch die Anpassung an das neue Aufenthaltsland mittlerweile stark durch medial transportierte Imaginationen beeinflusst werden (ebd: 5 f, 31). Die diasporic public spheres sind nicht nur ein wichtiger Teil des städtischen, von Migration und Massenmedien geprägten Lebens geworden (ebd: 10), sondern werden als transnationalen Räume den vernetzten Diasporen von Menschen und Bildern offenbar immer besser gerecht als „klassische“ Nationalstaaten (ebd: 19 ff). Unter diesen globalen Strömen unterscheidet Appadurai Ethnoscapes, Mediascapes, Technoscapes, Financescapes und Ideoscapes, die allesamt imaginierte Welten von Personen rund um den Erdball darstellen. Mit der landschaftlichen Analogie will Appadurai verdeutlichen, dass es sich dabei um sehr unregelmäßige und vor allem zutiefst in der Perspektive des Betrachters verhaftete Räume handelt. Außerdem soll das Kunstwort Ethnoscape Reproduktion von auch die veränderte Gruppenidentitäten soziale, hinweisen. territoriale Die und kulturelle „Landschaften“ der Gruppenidentität sind eben keine sauber abgegrenzten, räumlich gebundenen und kulturell homogenen Objekte mehr: Umso mehr Gruppen auswandern, sich an neuen Orten zu anderen Gruppen formieren, ihre Geschichte und ihre ethnischen Projekte neu formieren, umso mehr bekommt „ethno“ eine nicht-lokale Qualität (ebd: 48). Ethnoscapes umfassen daher TouristInnen, MigrantInnen, Flüchtlinge, Gastarbeiter sowie andere sich bewegende Gruppen und Individuen (ebd: 33) und sollen Bezeichnungen wie Dorf, Gemeinschaft oder Lokalität ablösen (ebd: 64). Die übrigen – 61 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 scapes beziehen sich auf die weltweit verbreiteten Technologien, Finanztransaktionen, Medien und Ideologien. Bilder und Texte zirkulieren in Mediascapes, in denen die Grenzen zwischen Realität und Imagination verschwimmen (ebd: 34 ff). - Durch FilmproduzentInnen, Künstleragenturen und Reisebüros „erfundene“ und nur in der Vorstellung der deterritorialisierten Gruppen existierende Heimatländer werden mitunter so einseitig und fantastisch, dass sie das Material für neue Ideoscapes und damit verbundene ethnische Konflikte liefern können (ebd: 38, 49). In Bezug auf größere diasporische Gruppen spricht Appadurai von einer delokalisierten Transnation, die eine ideologische Verbindung zu ihrem Ursprungsland aufrecht erhält (172). Die Produktion von Lokalität wurde selbst deterritorialisiert, diasporisch und transnational (188). Für Stuart Hall sind Diaspora-Identitäten zutiefst hybride Gebilde, die nicht nur Kontinuitäten, sondern auch Brüche und traumatische Ereignisse verarbeiten. In diesem Kontext nimmt auch die von Fanon beschriebene Suche nach einer glorreichen Vergangenheit einen wichtigen Platz ein: „...directed by the secret hope of discovering beyond the misery of today, beyond self-contempt, resignation and abjuration, some very beautiful and splendid era whose existence rehabilitates us both in regard to ourselves and in regard to others.“ (Hall 1999[1990]: 300 ff). Für Baumann ist diese Suche nach den „Wurzeln“ ein rein städtisches Phänomen: Diejenigen, die das Gefühl haben, Wurzeln zu „haben“, wollen unter Umständen weg davon und sehen im Gegensatz zu den „entwurzelten“ StädterInnen keine Notwendigkeit, darüber zu sprechen oder danach zu suchen (Baumann 1999: 83). Die zunehmende „Latinisierung“ der USA durch legale und illegale lateinamerikanische Einwanderer führt zu wachsenden Diaspora-Gemeinden und der Bildung neuer „Latino“-Identitäten in einem oft feindlichen Umfeld „that seeks persistently to remind the new migrants that home is elsewhere and cannot be imagined within the US.“ (Westwood 2000: 12). LateinamerikanerInnen tendieren dazu, die USA als das Land von Macht und Reichtum zu imaginieren während die US-BürgerInnen mit Lateinamerika Exotismus, Schamanismus, Indigene, Korruption und Drogenhandel assoziieren (ebd: 58 f). Musikalische und ethnische Diversität spielen in diesen Vorstellungen zwar eine wichtige Rolle; gleichzeitig entstehen in den USA aber neue, 62 Eveline Sigl homogenisierende Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 „Latino“-, „Hispano“- und „Chicano“-Ethnizitäten, die den spanischsprachigen Anderen zu einer neuen, hierarchisch niedrig stehenden Kategorie machen (ebd: 63). Paradoxerweise setzt sich damit die rassistische Diskriminierung des Heimatlandes in der Diaspora fort. An den marginalisierten Plätzen der Peripherie USamerikanischer Städte entstehen aber auch völlig neue transnationale Identitäten wie etwa die der „AmeRicans“ oder der „Nuyoricans“ (ebd: 66 f). 63 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 4 Qualitative Forschungsmethoden 4.1 Allgemeines Wie auch im folgenden Kapitel zur Cyber-Anthropologie verzichte ich hier auf eine umfassende Darstellung, erläutere nur ganz kurz die für meine Untersuchung relevanten Methoden der qualitativen Datenerhebung und gehe dann ausführlicher auf die Datenanalyse mittels Grounded Theory ein, da ich diese als methodische Grundlage meiner Analyse betrachte. Für eine ausführliche Darstellung sei auf die Standardwerke von Mayring, Behr bzw. Strauss & Corbin verwiesen. 4.2 Datenerhebung 4.2.1 Problemzentriertes Interview Im Gegensatz zum völlig freien narrativen Interview, bei dem nur ein allgemeiner thematischer Anstoß gegeben wird, liegt dem problemzentrierten (oder, nach Schlehe: themenzentrierten) Interview ein vorher ausgearbeiteter Interview-Leitfaden zugrunde. Die Befragten sollen während des Interviews allerdings frei zur vorgegebenen Thematik sprechen können, d.h. es können auch Aspekte zur Sprache kommen, die (noch) nicht im Interview-Leitfaden enthalten sind, aber trotzdem als relevant erachtet werden. Vor den ersten Interviews im Feld empfiehlt es sich, den Leitfaden in einer Pilotphase zu erproben (Mayring 1990: 46 ff, Schlehe 2003: 78). 4.2.2 online Befragung Judith Schlehe beschreibt unter dem Stichwort E-Interviews die Vorteile elektronischer Kontaktaufnahmen, die ihrer Ansicht nach eine sinnvolle Vorbereitung und Ergänzung zu face to face Interviews darstellen können (2003: 81), eine ausführliche Diskussion erfolgt im Kapitel Cyber-Anthropology. 64 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 4.3 Auswertung auf Basis der Grounded Theory 4.3.1 Theoretische Grundlagen Die Wurzeln der von Anselm Strauss und Barney Glaser begründeten Grounded Theory (GT) liegen besonders bei John Dewey, der einen pragmatischen Zugang vertritt und bei der Chicago School of Sociology, die ihr Hauptaugenmerk auf soziale Interaktionen und Prozesse richtet (Titscher 1998: 92 f). Die GT untersucht soziale Interaktionen vorwiegend anhand von verschriftlichter sprachlicher Kommunikation wie etwa Interview-Transkriptionen, Beobachtungsnotizen oder Texten aus Büchern und Zeitschriften. Bei diesem offenen Forschungsprozess muss eine gewisse Kreativität und Unvoreingenommenheit mit dem Prinzip der wissenschaftlichen Gestaltung vereinigt werden. Neu entwickelte Begriffe, Konzepte, Kategorien und Hypothesen sind ständig zu hinterfragen und auf ihre Tauglichkeit zu überprüfen (Strauss und Corbin 1996[1990]: 14 ff). Im Zentrum der GT stehen die Exploration und das Generieren von Hypothesen über die systematische Datenanalyse, nicht jedoch deren Überprüfung. Diese Art der induktiven Hypothesengenerierung wird als permanenter Rückkoppelungsprozess gesehen, infolgedessen sich die relevanten Aspekte erst herauskristallisieren und nicht etwa schon a priori festgelegt sind. Neue Fragestellungen tauchen erst im Analyseprozess auf und fließen sozusagen in die nächste Runde der Analyse ein (Titscher 1998: 94). Die GT bezeichnet einzelne Ereignisse eines untersuchten Phänomens als Indikatoren. Aus ihnen werden Konzepte (Bezeichnungen/Etiketten) abgeleitet, die wiederum zu größeren Kategorien verdichtet werden. Als theoretische Rahmenkonzepte schlägt Glaser Kodier-Familien vor, wobei die Eigenschaften/Merkmale der einzelnen Konzepte in Bezug auf ihre Ausprägung entlang eines Kontinuums dimensionalisiert werden können. Beim theoretischen Sampling geht es um die Auswahl der Stichproben bzw. der Texte und Textteile, die möglichst gute Indikatoren für die Konzepterstellung bieten sollten. Je nach Arbeitsphase sollen möglichst offene Samplings untersucht, Kontraste herausgearbeitet oder ein roter Faden gefunden werden (ebd: 95 ff). Je nach wissenschaftlicher Ausrichtung wird der Umgang mit Vorwissen unterschiedlich betrachtet. – Während für Glaser jede Art von Hintergrundwissen 65 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 schädlich ist, bildet die vorhergehende Literaturrecherche einen wichtigen Teil der Herangehensweise im Sinne von Strauss/Corbin. Auch bei der Überprüfbarkeit scheiden sich die Geister: Während Corbin/Strauss versuchen, anhand ihres Instrumentariums eine seriöse Möglichkeit der Überprüfung zu gewährleisten, begnügt sich Glaser mit der Plausibilität der entwickelten Hypothesen. Klar ist jedenfalls, dass die GT generell den wissenschaftlichen Forderungen nach Validität, Reliabilität und Signifikanz genügen möchte. Urteile können u.a. an die Analyse der Methodik gebunden werden. – Evaluiert werden können dabei die Ausgangsstichprobe, Indikatoren, Kategorien, Hypothesen, evtl. auftretenden Diskrepanzen und die Auswahl der Kernkategorien. Weiters soll hinterfragt werden, wie die Konzepte miteinander verknüpft wurden, ob die Prozesshaftigkeit berücksichtigt wurde bzw. was die gewonnene Theorie überhaupt erklären kann (ebd: 100 ff). 4.3.2 Vorgangsweise Offenes Kodieren Im Verlauf der ersten Datenanalyse werden die Daten „aufgebrochen“, so dass in diesen durch Untersuchen und Vergleichen werden einzelne Phänomene identifiziert und mit Codes versehen, um sie anschließend zu größeren Kategorien oder Konzepten zusammenzufassen (Strauss und Corbin 1996[1990]: 44 ff). Konkret wird dabei eine Beobachtung, ein Satz oder ein Abschnitt eines Interviews/Gesprächs etc. herausgegriffen und die darin enthaltenen Ideen, Vorfälle und Ereignisse, die ein Phänomen identifizieren, mit einem Namen versehen. Wichtig ist es hier, keine Paraphrasen, sondern allgemeine Konzepte zu entwickeln. Durch das Kategorisieren werden die einzelnen Konzepte inhaltlich gruppiert und zu einer abstrakteren Überkategorie zusammengefasst (ebd: 46 ff). Begriffe aus der Fachliteratur können bei diesem Prozess zwar einerseits hilfreich sein, andererseits verstellen sie aber auch oft die Sicht auf Neues, da sie bereits mit bestimmten Bedeutungen und Assoziationen verbunden sind. Eine wichtige Quelle sind diesbezüglich die „in vivo“-Codes, die von den InformantInnen selbst verwendet werden. Nach dem Identifizieren von Kategorien müssen diesen Eigenschaften zugewiesen werden, die wiederum zu dimensionalisieren 66 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 sind. Die Dimension einer Eigenschaft ist die Ausprägung, z.B. in Bezug auf Stärke, Intensität usw. Analysiert man alle Eigenschaften eines Phänomens dahin gehend, so erhält man das jeweils einzigartige dimensionale Profil einer Kategorie. Mehrere dieser Profile können zu einem Muster zusammengefasst werden (ebd: 49 ff). Zu Beginn, also nach den ersten Interviews oder Beobachtungen empfiehlt es sich, satzweise zu kodieren, da man so eine erste theoretische Grundlage aufbauen kann. Nach diesem sehr detaillierten Prozess kann Abschnittsweise weiter kodiert werden, um die vorhandenen Kategorien auszubauen und zu verfeinern (ebd: 53 f). Techniken zum Erhöhen der theoretischen Sensibilität Die folgenden Techniken sollen helfen, Denk-Routinen zu vermeiden, den induktiven Prozess anzuregen, als für selbstverständlich Genommenes zu hinterfragen, Vorannahmen aufzudecken, nichts zu übersehen, das Stellen und Geben von Antworten zu provozieren, sowie die Konzepte besser benennen und nach ihren Eigenschaften und Dimensionen untersuchen zu können. Grundlegende Fragen sind: Wer? Wann? Wo? Was? Wie? Wie viel? und Warum? Zeitbezogene Fragen können die Frequenz, Dauer, Änderungsrate und das Timing mit einbeziehen (ebd: 57 f). Wenn die Antworten auf die gestellten Fragen nicht in den Daten zu finden sind, ist das weiters kein Problem. Sie sollten dann eventuell von den nächsten InterviewpartnerInnen beantwortet werden bzw. sollte man in die richtige Richtung sensibilisiert worden sein, um Hinweise besser nachverfolgen zu können (ebd: 60). Wichtig ist es auch, ambivalente Bedeutungen mit den SprecherInnen zu validieren, d.h. nachzufragen, was die SprecherInnen unter für sie bedeutsamen Begriffen genau verstehen (ebd: 63). Vorsicht ist geboten, bei Aussagen wie „immer“, „nie“, „das kann unmöglich sein“, „jeder weiß das“ etc. Hier sollte man jedenfalls genauer hinsehen, denn nichts darf für selbstverständlich gehalten werden (ebd: 71). Axiales Kodieren Beim axialen Kodieren wird ein Phänomen unter den folgenden Aspekten untersucht: - ursächliche Bedingungen: Ereignisse oder Vorfälle, die zum Auftreten des 67 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 untersuchten Phänomens führen, wobei zwischen kausalen und zeitlichen Bedingungen unterschieden wird. „Signalwörter“ sind u.a. „wenn“, „während“, „da ja“, „weil“, „infolge“, „wegen“. - Kontext: Satz von Bedingungen, innerhalb derer die Handlungs- und Interaktionsstrategien zur Bewältigung eines Phänomens liegen - intervenierende Bedingungen: Bedingungen, die fördernd oder einengend auf die Strategien einwirken - Handlungs- und Interaktionsstrategien - Konsequenzen: sind nicht immer beabsichtigt oder vorhersagbar und treten tatsächlich oder möglicherweise ein (ebd: 80 ff). Im Prinzip geht es darum, die beim offenen Kodieren gefundenen Kategorien zueinander in Beziehung zu setzen und die Daten so wieder zusammenzufügen. Auf diese Art und Weise entstehen Subkategorien zu den einzelnen Kategorien. In dieser Analysephase sollte zwischen offenem und axialem Kodieren hin und her gewechselt werden, um die gefundenen Annahmen in den Daten zu suchen und weiter zu spezifizieren. Wichtig ist, sich bei der Analyse darüber im Klaren zu sein, welches Phänomen untersucht wird, da z.B. die Konsequenzen einer Handlung zu den Bedingungen einer anderen Handlung werden können. Insgesamt sollten während des axialen Kodierens vier Schritte gleichzeitig ablaufen: - Das hypothetische In-Beziehung-Setzen von Sub- und Hauptkategorien nach den genannten fünf Aspekten - Das Verifizieren von Hypothesen anhand der Daten - Die Suche nach Eigenschaften von Kategorien und deren Dimensionen - Die Variation von Phänomenen (Titscher 1998: 98) Besonders wichtig ist das ständige hin und her Pendeln zwischen dem Aufstellen und Überprüfen der gewonnenen Hypothesen anhand der Daten, das letztlich zu einer starken Verdichtung und Tiefe der aufgestellten Theorien beitragen soll. Allerdings muss ein gutes Maß zwischen Dichte und Übertreibung gefunden werden – es ist nie möglich, alles zu analysieren, aber es muss eine theoretische Fundierung erreicht werden, die auf verschiedene Beispiele eines Phänomens anwendbar ist (Strauss und 68 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Corbin 1996[1990]: 76 ff, 93). Selektives Kodieren Beim selektiven Kodieren soll die zentrale Kategorie (die Kernkategorie) identifiziert werden, um die sich die übrigen Kategorien gruppieren lassen. Hier müssen v.a. Fragen nach Auffälligkeiten, dem roten Faden, dem Hauptproblem und immer wieder auftauchenden Phänomenen innerhalb eines Untersuchungsbereichs gestellt werden (Titscher 1998: 99). 69 Eveline Sigl 70 Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 5 Vorgehensweise 5.1 Erste Schritte und Orientierung in den online SNS Zu Beginn meiner Feldforschung stand das Registrieren bei den online Sozialen Netzwerken Orkut, FlickR, MySpace und Facebook, die ich sofort nach vorhandenen Profilen, Gruppen und Communities mit Bezug zum bolivianischen Tanz durchsuchte. Als Suchbegriffe dienten dabei die Namen der populärsten Tänze (in absteigender Reihenfolge der Popularität): Caporales/Saya, Morenada, Tinku, Diablada, Kullawada und Pujllay. Das Stichwort Caporales erwies sich dabei mit Abstand als das relevanteste und so konnte ich schnell Caporales-Gruppen, -Videos, -Fotos und -TänzerInnen innerhalb der SN lokalisieren. Die restlichen Stichworte lieferten viel weniger Ergebnisse. Unter „Pujllay“ fand sich nur ein einziger Facebook-Kontakt während „Kullawada“ bzw. „Diablada“ wurden überhaupt keine SN-Einträge ergaben. Die Bezeichnungen Caporales und Saya wurden in den Suchabfragen teilweise als Synonyme behandelt, da es sich zwar um zwei komplett verschiedene Tänze handelt, diese aber sowohl in den online als auch offline Diskursen häufig als Synonyme behandelt bzw. vertauscht werden und auch die gängige Tagging-Praxis zeigt, dass Caporales sehr häufig zusätzlich mit Saya belegt wird. Die Bilddatenbank FlickR lieferte zu allen Tänzen Fotos, wobei die insgesamt sehr große Menge der Bilder mit der oben postulierten Popularitätsskala korrelierte. Alle über die Tanz-Stichworte gefundenen Profile, Gruppen und Communities in Facebook, MySpace und Orkut wurden von mir mit einer system-immanenten Friendship-Anfrage kontaktiert. Bei den „offenen“ Gruppen und Communities von FlickR, Orkut und Facebook konnte ich mich sofort registrieren; bei den persönlichen Kontakten musste ich auf eine Freischaltung warten. Bei der Registrierung beschränkte ich mich allerdings nicht nur auf Gruppen zu den bolivianischen Tänzen außerhalb von Bolivien, sondern registrierte mich auch in einigen anderen interessant erscheinenden BolivienNetzwerken, die eine internationale Mitgliederschaft aufweisen. Um einerseits eine Stellung als lurker zu vermeiden und andererseits leicht zugängliche Angaben zur eigenen Person bzw. Tätigkeit im Feld bereitzustellen, stellte ich in allen selbst 71 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 angelegten Gruppen und Profilen Inhalte (Fotos und Videos) bereit. Als Benutzer- bzw. Profilname verwendete ich immer evelinerochatorrez, was ebenfalls zur Möglichkeit einer leichten Identifikation meiner Person beitragen sollte, ein Punkt, der mir aufgrund meiner aktiven Position im Feld (als Tanzgruppenleiterin und Betreiberin einer der umfangreichsten Seiten zu bolivianischem Tanz im WWW) besonders wichtig war und der sich auch sehr bald als für die Feldforschung relevant herausstellte. In der ersten Phase ergaben sich folgende Mitgliedschaften in online SN: FlickR: − Bolivia (532 Mitglieder) − Un millón de fotos de Bolivia/One million pictures of Bolivia (85 Mitglieder) − CAPORALES CENTRALISTAS PERU – CUSCO (2 Mitglieder) − Bolivian dances (bolivianische Tanzgruppe in London, an der auch EuropäerInnen teilnehmen, 3 Mitglieder) − Danzas de Bolivia (selbst gegründete Gruppe, einziges Mitglied) Orkut: 6 Friends Gruppen-Mitgliedschaften: − Sociedad Folklorica Boliviana (92 Mitglieder) − MÚSICA ANDINA E BOLIVIANA (1.072 Mitglieder) − CAPORALES (299 Mitglieder) − ORURO - BOLIVIA (43 Mitglieder) − Ritmo Contagiante Morenada (77 Mitglieder) − La Diablada danza BOLIVIANA (66 Mitglieder) − Los Phujllay danza BOLIVIANA (36 Mitglieder) − Los Caporales danza BOLIVIANA (73 Mitglieder) − Los Negritos danza BOLIVIANA (30 Mitglieder) − La Morenada danza BOLIVIANA (47 Mitglieder) − La Tarqueada danza BOLIVIANA (34 Mitglieder) − Los Tobas danza BOLIVIANA (38 Mitglieder) − Suri Sicuri danza BOLIVIANA (36 Mitglieder) − Los Tinkus danza BOLIVIANA (50 Mitglieder) 72 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 − BOLIVIA Arte y Folklóre (122 Mitglieder) − Caporales Bolivia 2007 (9 Mitglieder) Facebook: 12 Friends Gruppenmitgliedschaften − La diablada, la morenada y los caporales son BOLIVIANOS!!!! (416 Mitglieder) − Gracias Dios por hacerme BOLIVIANO!!!!!!!! (2,153 Mitglieder) − El Charango es BOLIVIANO! (34 Mitglieder) − Soy Bolivian@ y vivo en .... (1,888 Mitglieder) − Farternidad Morenada Central de Oruro (11 Mitglieder) − Caporales "San Simón" (350 Mitglieder) − Cinemateca Boliviana (1605 Mitglieder) − Explore Bolivia (214 Mitglieder) − Las 7 maravillas de Bolivia para el Mundo (3993 Mitglieder) − cArNaVaL oRuRo!!! (446 Mitglieder) − Bo Bo Bo Li Li Li Via Via Via ¡Viva Bolivia, Toda La Vida! (239 Mitglieder) − Bolivia Lovers (906 Mitglieder) − ZAMBOS ENAF ( LA PAZ) (182 Mitglieder) − AMIGOS Y MIEMBROS DE LA FRATERNIDAD CAPORALES ZAMBOS ENAF (95 Mitglieder) − Caporales Centralistas (3 Mitglieder) − peruanos y chilenos dejen de chorearse el folklore Boliviano!!! (217 Mitglieder) − BENI BOLIVIA (82 Mitglieder) − Para Todos Los Que Aman BOLIVIA Pero Viven Lejos De Ella (248 Mitglieder) − CONOCE BOLIVIA (1609 Mitglieder) − BOLIVIA UNIDA (446 Mitglieder) − Sambos Caporales Bloque Illimani (26 Mitglieder) − Tinkus (18 Mitglieder) − I love Bolivia (230 Mitglieder) − Bolivia (335 Mitglieder) − Bolivia (1531 Mitglieder) 73 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 MySpace: 20 Friends Gruppen: − Sambos Caporales Colorado USA (40 Mitglieder) − SaNgRe BoLiViAnA SaMbOs (44 Mitglieder) − Hecho en Bolivia (1441 Mitglieder) − ¡Caporales! (167 Mitglieder) Obwohl die angeführten SN selbsterklärend in der Bedienung sind und ich mich als sehr routinierte PC-Userin bezeichnen würde, musste ich den Gebrauch der verschiedenen SN-Systeme dennoch üben und so dienten die ersten Wochen der Benutzung vorwiegend der Orientierung und der Literalisierung im Umgang mit den verschiedenen Funktionalitäten wie Friending, Walls, SN-internen Blogs und dem Teilen von Mini-Anwendungen (Facebook). Zusätzlich musste ich mich an das von Boyd (2006 in URL 4) erwähnte häufige Abkürzen von Ausdrücken und Worten (z.B. tb für también, xD für por dios, bkn für bacán, q für que, = für igual, 2 für dos, also z.B. salu2 usw) ebenso gewöhnen wie an die teils exzessive Verwendung von lautsprachlichen Ausdrücken, Groß- und Kleinschreibung. Die Profilsuche in MySpace selbst lieferte zuerst bemerkenswert wenige Ergebnisse für den Tanz Caporales. Erstaunlicherweise erwies sich hier die Suche in Google als nützlicher, wo ich einige öffentliche MySpace-Profile zu diesem Thema finden konnte, die über die interne Stichwort-Suche nicht abrufbar waren. Aktivieren der YouTube-Präsenz Etwas anders gestaltete sich die Vorgangsweise bei YouTube: Nachdem ich schon am 17.02.2007 einen Account angelegt hatte (Stand 19.05.08: 57 Videos, 126,681 Page und 2.340 Channel Views, die beiden meist gesehenen Videos mit 11.482 und 21.273 Aufrufen), war ich mit dem System bereits vertraut und beschränkte mich vorerst darauf, ein paar neue Videos hinaufzuladen, Channel und Kontakte stärker zu strukturieren, ein paar neue Funktionalitäten des Systems zu nützen (Anlegen einer Gruppe, eines Bulletin-Boards und eines Video-Logs) und die Channel-Seite farblich umzugestalten. 74 Weiters sollte mit dem Bestätigen von bereits vor Monaten Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 eingegangenen Friendship-Anfragen ein bereits bestehendes, aber nicht besonders intensiv gepflegtes SN für die Feldforschung aktiviert werden. 5.2 Weitere Vorgehensweise Schon in dieser frühen Phase des Registrierens und Kontaktierens erwies sich der Verzicht auf Anonymität als nützlich: Einige meiner neuen Kontakte „(er)kannten“ mich aufgrund der Monate zuvor auf Youtube geposteten Videos und Kommentare, was u.a. dazu führte, dass mir in den ersten Wochen nach der Registrierung auf Facebook vier Personen von sich aus eine Friendship-Einladung schickten. Im Zuge des täglichen Abrufs der SN-Seiten und der ersten inhaltlichen Analysen von Youtube-Kommentaren wurde mir bald klar, dass sich die Kontakte aus Youtube, MySpace und Facebook teilweise überschnitten und dass es unter den LiebhaberInnen der bolivianischen Tänze offenbar eine ganze Reihe transnationaler Netzwerke gibt, die sowohl auf persönlichen Kontakten als auch auf online Bekanntschaften basieren. In einem Fall entdeckte ich schon nach kurzer Beobachtung einen transnationalen AktivistInnen-Ring, der einen Flaming War gegen die von seinen Mitgliedern wahrgenommene Plünderung bolivianischen Kulturguts führt. 5.3 Analyse von Youtube-Kommentaren Das Thema bolivianischer Tanz ist auf Youtube zahlreich vertreten. Meine Suchabfragen vom 06.02.08 ergaben folgende Resultate (nach Suchbegriffen): “caporales”: 2,140 Videos “morenada”: 1,180 Videos “tinku”: 846 Videos “tobas”: 2,650 Videos “diablada”: 865 Videos “saya bolivia”: 296 Videos “baile bolivia”: 340 Videos 75 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 “danza bolivia”: 449 Videos Demgegenüber lieferte die Suchabfrage zu Tiefland-Tänzen vom 18.05.08 eine sehr geringe Anzahl an Treffern: „taquirari“: 114 Videos „chovena“: 4 Videos „macheteros“: 161 Videos Von den insgesamt etwa 5.000 Youtube-Beiträgen (eine genaue Zahl ist aufgrund der mehrfach verwendeten Tags, die die Videos bei Suchabfragen mehrfach aufscheinen lassen, kaum möglich) zum bolivianischen Tanz suchte ich für eine erste Inhaltsanalyse der Kommentare Videos aus, die besonders viele Kommentare aufzuweisen hatten und bei denen gleichzeitig entweder bolivianische Tänze im Ausland bzw. außerhalb von Bolivien agierende Tanzgruppen gezeigt wurden, was nicht dasselbe ist. – Tänze wie Caporales, Morenada und Diablada werden nicht nur von den BolivianerInnen, sondern auch von vielen PeruanerInnen und ChilenInnen als die ihrigen beansprucht, was dazu führt, dass diese „bolivianischen“ Tänze in den angrenzenden Ländern oft von peruanischen und chilenischen Gruppen gezeigt werden, was eine klare Abgrenzung zu den (durchaus auch mit nicht-bolivianischen TänzerInnen agierenden) als bolivianisch deklarierten Tanzgruppen erforderlich macht. In diesem ersten Schritt der Analyse kodierte ich die ausgesuchten 577 Kommentare im Sinne der Grounded Theory und begann, die ersten 129 Konzepte mittels atlas.ti zueinander in Beziehung zu setzen. Aus dem resultierenden, ziemlich komplexen Beziehungsfeld wählte ich die für die Aufgabenstellung zentral erscheinenden Knoten und Beziehungen aus und benutzte sie als Grundlage für die Gestaltung eines Interview-Fragenkataloges für die geplanten online Befragungen. Die gefundenen Codes wurden während der ganzen Feldforschungsphase immer wieder überarbeitet, ergänzt und verdichtet, so dass sich letztlich eine Gesamtanzahl von 300 Codes ergab. Abgesehen von meinen eigenen Videos und bereits früher geposteten, teilweise sehr kritischen Kommentaren zu anderen Videos, die natürlich nach wie vor leicht auf YouTube einzusehen sind, verhielt ich mich während der online Feldforschung in Bezug auf die YouTube-Kommentare als „lurker“. Bei den öffentlichen Kommentaren ist das einerseits sehr leicht und hat 76 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 andererseits den Vorteil, dass man sehr viele Diskussionen und die darin enthaltenen emischen Standpunkte mitverfolgen kann, ohne den Diskurs durch die eigene Präsenz zu stören. In meinem Fall diente dieses lurking nicht nur der Gewinnung von Daten und Datenkategorien für die InformantInnen über weitere ihre Analyse, Aussagen sondern und auch dazu, potentielle Channel-Informationen besser kennenzulernen, um ihnen in Folge „passende“ Fragen stellen zu können. 5.4 Präsenz in den SNS und individualisierte online Befragungen Nachdem ich schon während der Entwicklung des Fragenkatalogs versucht hatte, durch gelegentliches Posten von Kommentaren, Bildern und Links einen näheren Kontakt zu meinen Facebook- und MySpace-Friends aufzubauen, begann ich, potentielle InformantInnen mit der Bitte um ein Interview anzuschreiben. Von den ersten sechs kontaktierten Personen entschieden sich bei den vorgeschlagenen Alternativen Telefon/Skype-Interview, Chatten mit MSN oder Skype und das Beantworten von Fragen per email vier für das Beantworten von Fragen per email. Meine Befürchtungen, dass die Antworten trotz offener, personalisierter Fragen ziemlich knapp und wenig narrativ ausfallen würden, bewahrheiteten sich nur zum Teil. Die im Vergleich zu Interviews doch eher kurzen Antworten werden ambivalent gesehen: Einerseits stellen sie für mich sozusagen die Synthese dessen dar, was die Befragte übermitteln wollte und enthalten trotz der Kompaktheit in den meisten Fällen ziemlich viel Information bzw. klare Hinweise auf Konzepte und Annahmen der Befragten. Andererseits schien mir der freie Rede- bzw. Assoziationsfluss, der sich bei face to face und auch bei TelefonInterviews einstellt, durch die Asynchronität und das „Schreiben müssen“ teilweise ziemlich eingeschränkt. Wie sich während der Skype-Interviews herausstellte, wurden Probleme im Gespräch viel eher erwähnt bzw. thematisiert als zu Papier gebracht und auch die Problematik des Aufbaus einer eigenen online Identität (s.o.) konnte leichter in den Griff gebracht werden. Wie bei den Erstkontakten schrieb ich auch die im weiteren Verlauf der Untersuchung hinzukommenden „Friends“ immer zuerst mit einem persönlichen email 77 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 an, in dem nach Möglichkeit auf ihre Tanzgruppenzugehörigkeit bzw. auf vorhandene Tanzfotos in den SNS einging, mein Forschungsvorhaben kurz erklärte und um die Beantwortung eines längeren Fragebogens bat. Nur Personen, die ausdrücklich zustimmten, den Fragebogen auszufüllen, erhielten diesen zugeschickt. Einige InformantInnen machten von sich aus das Angebot, den Fragebogen an Freunde bzw. andere Mitglieder ihrer Tanzgruppe weiterzuleiten, was ich zwar dankend annahm, aber immer darauf hinwies, dass meine Studie nicht quantitativ konzipiert wurde und die Aussagen einzeln analysiert würden. Insgesamt möchte ich an dieser Stelle betonen, dass es mir wichtig war, einen persönlichen Kontakt zu den InformantInnen aufzubauen, der sowohl dem tanz(gruppen)spezifischen Interessensaustausch dienen als auch eine bessere Kontextualisierung der Aussagen ermöglichen sollte. Manche InformantInnen erzählten schon bei ihrer ersten Antwort unaufgefordert einiges über sich und ihre Gruppe, andere bekundeten sofort ihr Interesse an den Ergebnissen der Studie, was meinerseits als allgemein bestehendes Interesse an der Thematik gewertet wird. Einige InformantInnen fühlten sich sogar geehrt, als solche ausgewählt worden zu sein, andere hatten wiederum Zweifel, ob sie als „gewöhnliche“ TänzerInnen und NichtLeiterInnen überhaupt für eine Befragung „geeignet“ wären. Im Lauf der Untersuchung ergaben sich mehrere Kontaktphasen, die von einem ständigen Analyse- und Einarbeitungsprozess der erhaltenen Daten und einer daraus resultierenden Anpassung der versandten Fragebögen begleitet wurden. Nachdem sich Orkut und FlickR in der Anfangsphase als wenig ergiebig erwiesen hatten, konzentrierte ich meine Bemühungen im weiteren Verlauf der Feldforschung auf die SNS MySpace und Facebook. Innerhalb von vier Monaten vergrößerte sich mein persönliches online Netzwerk auf 55 MySpace- und 172 Facebook-„Friends“ sowie 42 Facebook-Gruppen. Während dieser Zeit verschickte ich nicht nur weitere persönliche Interview-Anfragen, sondern versuchte durch das Versenden von Tanz-relevanten Links, Bildern und Videos über FunWall (Facebook) und Boletines (MySpace) sowie gelegentliche Bild-Kommentare im Feld präsent zu bleiben. Die von Facebook angebotenen social Applications verwendete ich trotz etlicher (nicht personalisierter) Einladungen einiger Kontaktpersonen nur sehr spärlich, da diese Mini-Anwendungen zwar kostenlos sind, man sich bei der Verwendung aber einverstanden erklären muss, dass die eigenen Daten 78 Eveline Sigl an nicht Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 weiter spezifizierte Dritte weitergeleitet werden, was mir aus datenschutzrechtlichen Gründen höchst problematisch erscheint2. Insofern versuchte ich Nutzen und Nachteile der Aplicaciones abzuwägen. FunWall, Super Wall, Greeting Cards, Big Photos, Cities I´ve Visited, What KIND of Dancer are you? und Growing gifts schienen mir sinnvoll, weitergeleitete Einladungen zu Friends For Sale, Are YOU interested?, Compare HOTNESS etc lehnte ich ab. Der Fragebogen selbst bestand aus jeweils etwa 30 offenen Fragen, die nach Möglichkeit an die persönliche Situation der Befragten angepasst wurden, wodurch sich unterschiedliche Fragen für Nicht-BolivianerInnen sowie bolivianische MigrantInnen erster und zweiter Generation ergaben (s. Anhang). Mitglieder der auf den CaporalesTanz spezialisierte Gruppen wurden mit einigen Spezialfragen zu diesem Tanz bedacht, was einerseits einen gut erkennbaren persönlichen Bezug zu den Interessen der Befragten herstellen, andererseits aber auch das Interesse an der Reflexion über allgemeinere Fragestellungen wach halten sollte. Ausgefüllt wurden die Fragebögen unterschiedlich schnell, zum Teil innerhalb von Stunden oder Tagen, andere erst nach einigen Wochen oder gar Monaten, wobei sich einige InformantInnen gleich bei Erhalt der Fragen für absehbare studienbedingte Verzögerungen bei der Beantwortung entschuldigten. In Anbetracht der ungewöhnlichen Länge überlegte ich mehrfach, den Fragebogen in kleinere Portionen aufzuteilen oder bestimmte Fragen im Rotationsprinzip abwechseln zu lassen. Da die InformantInnen, die überhaupt auf meine Anfrage reagiert hatten, jedoch mehrheitlich selbst großes Interesse an der Untersuchung zeigten, beschloss ich letztlich doch, bei der Langversion zu bleiben und diese nur so gut wie möglich für die einzelnen InformantInnen zu adaptieren. Das Interesse an meiner Studie führe ich dabei nicht nur auf die allgemein große Bedeutung der bolivianischen Tänze für BolivianerInnen im In- und Ausland zurück, sondern auch auf die Tatsache, dass keinerlei Publikationen zur der von mir untersuchten Thematik existieren und die Situation für die Befragten neu und attraktiv zu sein schien. Während sich manche InformantInnen durch die Befragung offenbar geehrt und ernst genommen fühlten, war der Fragebogen für mich auch so etwas wie eine online Visitenkarte, mit 2 Für eine detailliertere Darstellung dieser Problematik siehe u.a. Alby 2007 oder Hildebrand und Hoffmann 2006 79 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 der ich eine gewisse fachliche Kompetenz unter Beweis stellen und mich als „qualifizierte“ Gesprächspartnerin positionieren konnte. Die Reaktionen auf die gestellten Fragen waren bis auf eine Ausnahme durchwegs positiv. In diesem einen Fall wurden meine Fragen zwar als teilweise nicht mehr zeitgemäß bzw. nicht dem europäischen Kontext entsprechend kritisiert, doch wurde diese Kritik auch auf zweimalige Nachfrage nicht näher spezifiziert. Der betreffende Fragebogen ist insofern interessant, als er der einzige ist, wo bestimmten Fragen so beantwortet wurden, dass ich annehmen muss, dass hier entweder ein sprachliches Problem vorlag oder dass die Auskunftsperson bestimmten Fragestellungen dezidiert ausweichen wollte. Dazu sollte vielleicht noch bemerkt werden, dass ich meine InformantInnen darauf hingewiesen habe, dass der Fragebogen eine „Gesprächsbasis“ darstellen sollte, Änderungen, Hinweise und Auslassungen daher kein Problem für mich wären. Nach langem Überlegen entschloss ich mich in der zweiten Erhebungsphase dazu, auch die TänzerInnen meiner eigenen bolivianischen Tanzgruppe darum zu bitten, eine speziell adaptierte Version des Fragebogens auszufüllen. Da in den Antworten viele der Konzepte auftauchen, die auch von Personen ins Spiel gebracht wurden, die mich weder persönlich kennen noch in irgendeinem durch soziale Hierarchien gekennzeichneten Verhältnis zu mir stehen, gehe ich davon aus, dass sich diesbezügliche Verzerrungen gering halten. Trotzdem mir die Antworten sehr persönlich und offen erscheinen will ich hier ein gewisses Bias in Richtung „sozial erwünschter“ Antworten nicht völlig ausschließen. Auf der anderen Seite bestand nur bei dieser InformantInnengruppe die Möglichkeit der vielfach geforderten Triangulation aus online und offline Erhebungsmethoden, die denn auch interessante Rückschlüsse auf die übrigen InformantInnen zulässt: Einige der TänzerInnen meiner Gruppe meinten im persönlichen Gespräch, dass sie sich zuvor noch nie wirklich Gedanken über das Tanzen gemacht hatten und dass sie aufgrund ihres „fehlenden Wissens“ Probleme bei der Beantwortung einiger Fragen hatten, weil sie „nicht wussten, was sie schreiben sollten“. Hier sehe ich eine Parallele zum Verhalten von ADRIANA, die sich zwar auf YouTube vehement für die „Verteidigung“ bolivianischen Kulturgutes einsetzte, auf meine Interview-Anfrage jedoch mit großer Verunsicherung reagierte und beim folgenden Chat-Interview sehr oft inhaltliche Ratlosigkeit signalisierte. Möglicherweise hatten 80 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 einige der von mir kontaktierten TänzerInnen ähnliche Probleme und reagierten deshalb nicht auf meine Interview-Anfrage bzw. retournierten den Fragebogen aus diesem Grund nicht oder erst nach sehr langer Zeit. An dieser Stelle möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass sich die Tanzethnologie vehement gegen die kartesianische Trennung von Körper und Geist, Verstand und Gefühl wendet (vgl. Blacking 1978: 18 ff) und eine Befragung insofern generell kritisch gesehen werden könnte. Allerdings ist dagegen einzuwenden, dass es in der vorliegenden Arbeit primär um die soziale Bedeutung der bolivianischen Tänze geht, die – wie die gewonnenen Daten beweisen – zumindestens für die bolivianisch-stämmigen TänzerInnen auch eine stark bewusst erlebte Komponente zu haben scheint. Die Rücklaufquote war unterschiedlich hoch: Von den InformantInnen, die ich über ihre Tanzgruppen-Homepages oder Facebook-Profile direkt per email angeschrieben hatte, beantworteten 26 von 40 (65%) die Fragen. Zählt man die Mitglieder meiner Tanzgruppe dazu, so kommt man auf 36 von 50 und damit 72%. Von den ausschließlich über das Facebook-interne Nachrichtensystem Kontaktierten antworteten vier von elf (36,4%) auf die Fragen während es bei den MySpace-Kontakten nur vier von vierzehn (28,6%) waren. Insgesamt füllten 44 von 75 kontaktierten Personen den Fragebogen aus, was einer Rücklaufquote von 59% entspricht. Im Vergleich zu quantitativen Befragungen erscheinen mir diese Prozentsätze sehr zufriedenstellend. Bei einer längeren Erhebungsdauer hätte sich dieses Ergebnis möglicherweise sogar noch etwas verbessern lassen (manche meiner Facebook-Kontaktanfragen wurden erst nach über drei Monaten, also nach Abschluss der Datenerhebungsphase beantwortet). Die ausgefüllten Fragebögen waren jedenfalls trotz aller erwähnten Einschränkungen sehr aufschlussreich und führten teilweise zu einer weiteren Diskussion per MSN oder email, wodurch ich auch Dinge nachfragen und Unklarheiten beseitigen konnte. 5.5 Interviews per MSN Zwei der Personen, die den email-Fragebogen ausfüllen wollten, hatten mir auch ihre MSN-Kontaktdaten geschickt und akzeptierten meine Gesprächseinladungen praktisch direkt nach dem sie mir ihre Texte gemailt hatten. Insofern war es etwas schwierig, 81 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 schon beim ersten Chatten auf die Antworten einzugehen, da ich die Antworten somit während des Chattens überfliegen musste, um darauf Bezug nehmen zu können. Mit LAURA entwickelte sich allerdings ungeachtet der gemailten Fragen sehr schnell eine rege Diskussion, die an anderen Tagen weitergeführt wurde und an der mir die Vorteile des Chattens für mein Vorhaben deutlich wurden. Zwar führt das Chatten aus meiner Sicht eher zu einer teilweise auf Emoticons und animierte Worte reduzierten Kommunikation und nicht zu ausschweifenden Erzählungen, doch können im Lauf der Interaktion durchaus „Mini“-Narrationen entstehen, bei der die Chat-PartnerInnen nicht immer an den gestellten Fragen „kleben“ und natürlich auch jederzeit selbst solche stellen können. Beim Chatten erschien es mir teilweise relativ leicht, das Interesse des Gegenübers an dem Beantworten der Fragen wach zu halten, weil ich gleichzeitig Informationen und Inhalte vermitteln konnte, die meinem Gegenüber ebenfalls interessant erschienen. Diese Vorgehensweise entspricht zwar nicht den gängigen Definitionen qualitativer narrativer, erzählgenerierender Interviews (vgl. Mayring 1990: 46 ff), erscheint mir jedoch gerade aus der postmodernen Perspektive, die eine Gleichberechtigung des beforschten Subjekts einfordert, durchaus gerechtfertigt. Natürlich kommt es durch die stärker dialogische Kommunikation leichter zu einer gegenseitigen Beeinflussung und die Möglichkeit, nebenher noch mit anderen Personen zu chatten bzw. etwas anderes am PC zu machen, bedeutet immer wieder, dass fehlende Antworten oder ein Warten seitens der Interviewerin nicht mit weiteren Reflexionen belohnt wird, sondern dass sich die Interviewte in der Zwischenzeit eben anderen Dingen widmen kann. Außerdem müssen die parasprachlichen Aufmerksamkeitsbekundungen beim Chatten durch Emoticons oder Lautworte ausgeglichen werden. Besonders interessant war für mich bei diesen Interviews die Möglichkeit, das Gespräch sozusagen hypermedial durch das Versenden von Links, Bildern und Video-Dateien zu ergänzen und so dem Gesagten sofort einen größeren Kontext zu verleihen. LAURA und SARAH haben von dieser Möglichkeit ebenfalls reichlich Gebrauch gemacht, so dass ihre Antworten sofort ein sehr viel persönlicheres Bild ergaben als das bei den schriftlichen Befragungen der Fall war. Bei ADRIANA erwies sich das Chatten für mich insofern als problematisch, als ich das Gefühl hatte, dass ihr sehr stark auf Lautworte und Emoticons ausgerichteter 82 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Kommunikationsstil nicht so recht zu den gestellten Fragen passen wollte und es mir schwer fiel, hier eine Annäherung zu erreichen. Sowohl bei ADRIANA als auch bei ALEJANDRO gewann ich außerdem den Eindruck, dass beide auf Spanisch nur in den online SN und nur zu einem sehr stark eingegrenzten Themenbereich schreiben und sie sprachlich mit dem Formulieren längerer Sätze bzw. dem Erklären ihrer durchwegs sehr emotionalen Äußerungen eher Probleme hatten. Hier stellt sich die Frage, ob das an der mangelnden Sprachbeherrschung liegt – beide sind als kleine Kinder in ihre neue Heimat gekommen, schulisch in einen anderen Sprachkreis integriert und haben vermutlich nie gelernt, Spanisch zu schreiben (trotz schwerer Grammatik- und Rechtschreibdefizite beharrten allerdings beide darauf, auf Spanisch und nicht in der Sprache ihres Aufenthaltslandes zu antworten) oder ob es hier zu einem durch andere Faktoren bedingten Auseinanderklaffen der unterschiedlichen Kommunikationsstrukturen zwischen Interviewerin und Befragten gekommen ist. Nach den gemachten Erfahrungen ist das Chatten für mich prinzipiell eine sinnvolle Option, um Befragungen durchzuführen und auf jeden Fall eine sehr gute Möglichkeit, um mit InterviewpartnerInnen weiter Kontakt zu halten und kurze Rückfragen zu stellen. 5.6 Interviews per Skype/Telefon Um der beschriebenen Problematik der online Befragung aus dem Weg zu gehen, ging ich nach den ersten Anfragen in der folgenden Erhebungsphase dazu über, direkt Telefoninterviews vorzuschlagen, was gern angenommen wurde. Aufgrund des zeitlichen Rahmens bzw. der personellen Ressourcen für diese Arbeit musste ich parallel dazu bzw. in der dritten Phase der Befragungen allerdings doch wieder auf online Befragungen zurückgreifen, um einen größeren InformantInnenkreis abdecken zu können. Die Erfahrungen mit den insgesamt sechs Skype-Interviews waren trotz gleicher Ausgangsposition – Erstkontakte per email, keinerlei persönliche Bekanntschaft – sowohl aufgrund der technischen Gegebenheiten als auch in der Gesprächsstruktur sehr unterschiedlich: Vor allem bei technischen Problemen durch die teilweise schlechte Übertragungsqualität spürte ich hier wie beim Chatten oft einen verstärkten Druck, die 83 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Kommunikation durch eigene Äußerungen aufrecht zu erhalten. Nachdem es sich jedoch als kommunikationsbelastend erwies, akustisch nicht verstandene Aussagen wiederholen zu lassen, verzichtete ich in weiterer Folge auf derartige Unterbrechungen und bat nur dort um Wiederholungen, wo mir das Gesagte ganz besonders wichtig erschien. Es gab allerdings auch Interviews, die kaum bis gar nicht durch akustische Verzerrungen beeinträchtigt wurden und bei denen der Redefluss der Informantinnen kaum zu bremsen war, die Situation also sehr stark an ein face to face Interview erinnerte. Mit den meisten InterviewpartnerInnen entwickelte sich nach dem eigentlichen Interview noch ein intensives Gespräch, bei dem mich die GesprächspartnerInnen zu meiner eigenen Tanzgruppe befragten bzw. Informationen über die einzelnen Tänze, Kostüme und die im Interview angesprochene Problematik austauschten und ich wiederholt das Gefühl hatte, meinen InformantInnen auch gleich etwas „zurückgeben“ zu können und nicht nur ihr Zeitbudget für meine Forschung strapaziert zu haben. Den interessierten Gesprächspartnerinnen mailte ich kurz nach dem Interview Links, Informationen und eigene Texte zu den bolivianischen Tänzen, was mir im Sinne eben dieses Zurückgebens besonders wichtig schien. In einigen Fällen stellte sich heraus, dass die InformantInnen meine Homepage oder von mir gepostete Videos auf YouTube kannten bzw. dass sie mich trotz der eindeutigen Information in meiner mail-Anfrage aufgrund meines Nachnamens und meiner bolivianisch gefärbten spanischen Aussprache zumindestens für eine Bolivianerin zweiter Generation gehalten hatten und ganz erstaunt waren, „wirklich“ mit einer Gringa gesprochen zu haben. Besonders interessant war das im Fall einer Schweizerin, die sich spürbar entspannte, als sie hörte, dass sie gerade von einer Österreicherin und nicht, wie angenommen, von einer Bolivianerin befragt worden war. 5.7 Face to face Interviews Aufgrund meiner Aufgabenstellung führte ich nur zwei „klassische“ narrative Interviews; eines mit einer Tänzerin aus meiner eigenen Tanzgruppe und eines mit einer Tänzerin aus der zweiten, in Wien tätigen bolivianischen Tanzgruppe. 84 Eveline Sigl 5.8 Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Problematische Punkte bei der Cyber- Ethnografie 5.8.1 online-offline-Problematik Zwar scheint das Theorie-Paradigma der „realen“ versus „virtuellen“ Welten der ersten Generation cyber-anthropologischer Literatur überwunden, rein praktisch besteht die Problematik jedoch noch immer bzw. hat sich sogar noch verkompliziert. - Es fällt schwerer denn je, eine Grenze zwischen der Ethnografie im und über das Internet zu ziehen. Ein über die Internet-basierte Voice-IP-Telefonie (Skype) geführtes Interview kann sich qualitativ stark von einem „herkömmlichen“ Telefon-Interview unterscheiden, indem die technisch vorhandenen Chat- und Datenübertragungsfunktionen während des Gesprächs genutzt werden, es kann aber auch wie ein seit Jahrzehnten international mögliches, auf Analog-Technologie beruhendes Telefonat ablaufen. Die von mir per mail verschickten Fragebögen hätten im Prinzip genauso während einer Tanzprobe mit der Bitte um schriftliche Beantwortung ausgeteilt werden können; die Fragen selbst bezogen sich auf wahrgenommene Phänomene der Identität und Ethnizität und gingen in keiner Weise auf die vielfach postulierte Dichotomie zwischen online und offline ein. Nachdem das Tanzen eine ganzheitliche Aktivität ist, die nicht auf etwas Anderes reduziert werden kann (Blacking 1983: 95) bedeutet eine Untersuchung im Internet zwar prinzipiell eine Einschränkung, ohne das Internet wäre es jedoch unmöglich gewesen, derartige transnationale Befragungen innerhalb von ein paar Monaten überhaupt durchzuführen. Das für meine Untersuchung notwendige Kontextwissen zum bolivianischen Tanz hätte ich allerdings nicht über dieses Medium erwerben können und einer Tanzaufführung „live“ beizuwohnen oder als Mitwirkende Teil einer solchen zu sein, hat zwangsläufig eine ganz andere Qualität als jeder noch so intensive Diskurs darüber im Web 2.0. Das Internet ist für mich deshalb vorwiegend ein „Schau-Platz“, der durch vor allem durch das geschriebene Wort, und in geringerem, wenn auch steigendem Maß durch Ton und Bild beherrscht wird, wo also primär visuell kommuniziert wird und die körperliche Komponente entweder als bekannt vorausgesetzt oder andere Mittel ausgedrückt werden muss (vgl. Boyd 2008: 128 f). Die online angebotenen Inhalte können durch den Fokus auf Visualität meist nur in linearer Folge 85 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 „abgearbeitet“ werden: Es ist nicht möglich, gleichzeitig emails zu lesen, zu chatten, eine Website und ein YouTube-Video im Auge zu behalten; bestenfalls kann schnell zwischen den einzelnen Anwendungen hin und her gewechselt oder zu den visuellen Eindrücken Musik gehört werden, so dass die Rezeption zwangsweise eine eher lineare Abfolge von Eindrücken darstellt, die im Gegensatz zu zeitgleich erlebbaren ganzheitlichen körperlichen Erfahrungen steht. Dass kurz nach einem Tanz-Auftritt Videos und Bilder davon im Internet auftauchen können, macht allerdings wiederum klar, wie stark viele offline Erfahrungen mit ihren online Repräsentationen verknüpft sind. Verfügt man bereits über dieses köperlich-ganzheitliche Wissen, das man in gewisser Weise mit den transnational verstreuten InformantInnen teilt, so macht es m.E. jedenfalls durchaus Sinn, online Feldforschung zu diesem Thema zu betreiben (vgl Hannerz 2003: 33). Meine Entscheidung, sowohl im online als auch im offline Kontext Feldforschung zu betreiben, beruhte nicht auf dem Wunsch, online gefundene Konzepte und Aussagen zu „verifizieren“, sondern auf der Überzeugung, dass manche Aspekte der behandelten Thematik bei einer 100%igen Beschränkung auf online Erhebungen nicht oder nur sehr schwer erschließbar sein würden. Bis auf zwei face-to-face Interviews fand meine „offline“ Feldforschung allerdings auch wieder an dem erwähnten Schnittpunkt von online und offline, der Skype-Telefonie, statt3. Natürlich sollten die online und offline gefundenen Inhalte einander befruchten und beide in die ständige Verfeinerung und Erweiterung der Interview-Leitfäden und Hypothesen führen; Übereinstimmungen und Überschneidungen waren also zu erwarten. Trotzdem hat mich die teilweise sehr starke Kongruenz von YouTubeKommentaren und in den Skype-Interviews geäußerten Ansichten immer wieder überrascht. Wie angenommen, gab es aber auch Aspekte, die (fast) nur online bzw. nur offline thematisiert wurden, wie z.B. die Problematik der zweiten Generation und die teilweise seit über hundert Jahren geschürten nationalen Konflikte aufgrund territorialer 3 86 Bei Skype werden die Grenzen der online-offline-Dichotomie besonders deutlich: Für meine GesprächspartnerInnen waren die Interviews „normale“ Telefonate über analoge Datenleitungen, was nicht unbedingt dem Verständnis von „online“ entspricht, während ich mich für die Gespräche sehr wohl der InternetTechnologie bedient habe. Für ein „echtes“ offline Interview fehlen die visuellen Komponenten, aufgrund der erhaltenen, teilweise sehr narrativen Antworten sehe ich aber trotzdem eine große Ähnlichkeit zur face-to-face Interviewsituation. Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Restitutionsansprüche. Das Zusammenwachsen von text-, audio- und video-basierten Informationstechnologien scheint einerseits die vielfach geforderte und von mir befürwortete Kontextualisierung von online Untersuchungen zu erleichtern, führt aber mitunter dazu, dass man sich einer Unmenge von Daten gegenüber sieht, die durch ihre Menge leicht dazu verführen, Quantität mit Qualität zu verwechseln. Im Fall meiner konkreten Feldforschung sind es die unzähligen Bilder, tausenden Videos und die etlichen Homepages/SNS, mit denen sich bolivianische Tanzgruppen international präsentieren und einem bei wiederholter Betrachtung ein trügerisches Gefühl der Vertrautheit oder des „dort-gewesen-Seins“ geben. Natürlich ist es möglich, durch die online Technologien, besonders die Suche im WWW, Informationen zu (möglicherweise) relevanten offline Kontexten zu finden. – Mein eigener Lebenslauf, meine Postings und digitale „Spuren“ von offline Berufs- und Freizeitaktivitäten lassen sich ebenso leicht wie die mancher InformantInnen über Internet-Suchmaschinen finden und können zwar wertvolle, u. U. aber auch sehr einseitige oder verzerrte Hintergrundinformationen darstellen und müssen jedenfalls kritisch betrachtet werden. Generell tendiere ich dazu, die ethnografischen Schauplätze im Gegensatz zu einer online-offline-Dichotomie immer mehr als ein online-offline-Kontinuum zu sehen, dessen Ausprägungen zwischen den beiden Polen oszillieren; eine Tendenz, die sich in den nächsten Jahren vermutlich sehr verstärken wird. 5.8.2 Konstruktion einer eigenen online Identität Trotz einer anfänglichen Euphorie, u.a. aufgrund meiner bisherigen online Aktivitäten (Homepage, Videos auf YouTube) schnell „Anschluss“ und Friends in den SNS gefunden und dort soziale Kontakte geknüpft zu haben, sehe ich die Konstruktion einer eigenen online Identität mittlerweile als problematisch. Wie sich im Verlauf der vielen emailKontakte bald herausstellte, wurde ich aufgrund meines Nachnamens, meiner sehr guten Spanisch-Kenntnisse und der Tatsache, Leiterin einer bolivianischen Tanzgruppe zu sein, sofort als AuslandsbolivianerIn oder zumindestens Bolivianerin zweiter Generation rezipiert. Dieses Bias trug mir ganz offenbar bei vielen InformantInnen ein sofortiges 87 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Wohlwollen ein, das wiederholt durch Aussagen wie „Es un gusto saber que existen compatriotas que hacen lo que tu haces en Europa.“ ausgedrückt wurde. Wie stark dieses Bias war, wird anhand der folgenden Begebenheiten deutlich: LAURA bat mich nach den ersten mails, ihr doch eine Foto von mir zu schicken bzw. ihr zu sagen, welche der Tänzerinnen auf meinen Fotos ich wäre. – Sie konnte offenbar nicht glauben, dass die gringa auf dem Profilbild ich sein sollte und reagierte auf die Antwort mit konsterniertem Schweigen, das erst durch ein neuerliches email meinerseits gebrochen wurde (und nachdem sich ein sehr intensiver mail- bzw. MSN-Kontakt entwickelte). Meine schweizer Informantin begann sich erst nach dem eigentlichen Telefon-Interview spürbar zu entspannen, zu dem Zeitpunkt, als ihr klar wurde, dass sie von einer Österreicherin und nicht von einer Bolivianerin befragt worden war. Nicht nur in ihrem Fall liegt es nahe, anzunehmen, dass sie die Fragen im Wissen meiner nichtbolivianischen Abstammung anders beantwortet hätte. Die beiden angeführten Beispiele verdeutlichen die Wichtigkeit, die der Selbstrepräsentation und dem so genannten Impression Management in cyber-anthropologischen Kontexten zukommt bzw. verdeutlichen die Problematik, die damit verbunden sein kann. Online wäre es für mich sehr leicht gewesen, das wahrgenommene Vorurteil der Kontaktpersonen mit entsprechenden Fotos bzw. falschen Angaben zu verstärken, was natürlich nicht in meiner Absicht lag. Statt dessen fügte ich eigene Texte und Videos zu den bolivianischen Tänzen sowie über 100 selbst gemachte Fotos von indigenen Festen und der Wahl der Miss Cholita in La Paz an mein SN-Profil an, um interessierten online BesucherInnen einerseits einen Einblick in meine (Forschungs)Interessen zu geben und das Profil andererseits auch inhaltlich so interessant zu machen, dass sich darüber neue online Kontakte ergeben könnten. Um bei der Gratwanderung zwischen „ehrlicher“ Selbstrepräsentation und persönlichen Ansichten möglichst „neutral“ zu erscheinen, verzichtete ich allerdings auf kritische oder wertende Stellungnahmen zu bestimmten Tänzen bzw. Tanzpraktiken (wie etwa der Verwendung neonfarbiger Acrylstoffe für die Kostüme zu „indigenen“ Tänzen oder die m. E. teilweise sehr sexistische Präsentation der Frau). 88 Eveline Sigl 5.8.3 Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Möglichkeiten der Teilnahme Die Möglichkeit, in den SNS selbst eine Identität zu kreieren, Postings, Kommentare, Dateien, Links und Friendship-Einladungen zu verschicken, soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Art der Teilnahme auf einen u. U. sehr kleinen Teilbereich des eigentlichen Forschungsgebietes beschränkt ist. Folgt man Hannerz´ Argumentation (vgl Hannerz 2003: 34) stellt sich hier allerdings auch die berechtigte Frage, ob für die geplante Untersuchung überhaupt ein engerer Kontakt nötig oder wichtig wäre. Im konkreten Fall meiner Studie glaube ich, dass das über die SN erreichte Bekanntschaftsniveau völlig ausreichend war und sich die Unterschiede in der Ergiebigkeit der Aussagen verschiedener InformantInnen eher durch die Verwendung verschiedener Forschungsmethoden (online Befragung, Chat, Skype-Interview, persönliches Gespräch) erklären lassen. Ebenso wie im offline Bereich müssen diese Kontakte angebahnt und gepflegt werden, wobei mir die „Eintrittsbarrieren“ in den SNS im Vergleich zu offline Erfahrungen sehr niedrig erschienen. Bei meinen über 250 „Friendship-Ansuchen“ fragten nur zwei Personen danach, woher wir uns eigentlich kannten, über 200 fügten mich ohne weitere Nachfragen als „Friends“ zu ihren Profilen hinzu. Durch die technischen Neuerungen des Web 2.0 ist es jedenfalls möglich, Teilnehmerin des Felds zu werden und transnational mit InformantInnen zu interagieren. Meine diesbezüglichen Aktivitäten beschränkten sich dabei nicht nur auf das Erstellen eines möglichst interessanten online Profils, sondern ich versuchte auch, den Kontakt zu meinen Friends mit regelmäßigen Link- und Video-Postings aufrecht zu erhalten bzw. sie damit indirekt an meine Existenz und den zugesandten Fragebogen zu erinnern. Bei einer derartigen Vorgangsweise ist es selbstverständlich von großem Vorteil, dass das man das online Feld (fast) beliebig betreten und wieder verlassen kann (vgl. auch Hannerz 2003: 30). So fiel es auch relativ leicht, den methodisch (völlig zu Recht) geforderten permanenten Wechsel zwischen Analyse- und Feldforschungsphasen zu vollziehen, Details nachzufragen und (Zwischen)ergebnisse aus den Auswertungsphasen in die nächste Feldforschungsphase einfließen zu lassen. 89 Eveline Sigl 5.8.4 Der von Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Knüpfen engerer online Beziehungen mir prinzipiell angestrebte, über den Fragebogen und Interviews hinausgehende Informationsaustausch blieb im Großen und Ganzen eher ein Wunschziel: Obwohl ich einigen besonders interessiert erscheinenden Befragten nach dem Interview bzw. Zurücksenden Ihres ausgefüllten Fragebogens Informationen zu den bolivianischen Tänzen (oder anderen zur Sprache gekommenen Inhalten) zukommen ließ, waren die Reaktionen sehr verhalten: Einige reagierten gar nicht, andere erst nach mehreren Wochen oder gar nicht. Anhand der Art der Reaktionen gehe ich jedoch nicht von einem Desinteresse, sondern eher von einem eklatanten Zeitmangel aus. 90 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 6 Analyse 6.1 Anmerkungen zu Analyse und Präsentation der Daten In den untersuchten Aussagen wird der Tanz als Mittel zur Schaffung und Repräsentation von Identität thematisiert, wobei es vielfach zu dem von Gingrich (2004: 6, 13), Baumann (2004: 19) und Hall (1994: 29 ff) beschriebenen Oszillieren zwischen self und other kommt, in dem sich Identität und Alterität gegenseitig bedingen. Da ein lineares Schriftstück eine derartige Gleichzeitigkeit nur schwer zum Ausdruck bringen kann und notgedrungen Kategorisierungen vornehmen muss, möchte ich hiermit explizit darauf hinweisen, dass die von mir im Einzelnen besprochenen und analysierten Teilbereiche des Phänomens Tanz-Identität-Alterität-Ethnizität sehr stark miteinander verwoben sind und sich in vielen Fällen überlagern. Aus diesem Grund tauchen einige Bereiche mehrfach auf und werden von mir aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet bzw. mit anderen Zitaten meiner InformantInnen illustriert. Meine InformantInnen haben viel Zeit geopfert und mir großteils sehr ausführliche Auskünfte erteilt, so dass es mir auch ein Anliegen ist, sie in diesen Zitaten ausführlich zu Wort kommen zu lassen. Abgesehen von einer größeren Anschaulichkeit möchte ich damit auch weitere Interpretationen der emischen Aussagen anregen. Soweit es sich um Aussagen persönlich bekannter InformantInnen handelte, wurden diese mit fiktiven Vornamen versehen. Abgesehen von ausgewiesenen Kürzungen und Hervorhebungen als fett Gedrucktes wurden die verwendeten Zitate inklusive Schreibfehler und Interpunktuation genau so übernommen, wie ich sie von den Befragten erhalten bzw. im Internet vorgefunden habe. Bei den Internet-Zitaten habe ich aus Gründen der Lesbarkeit auf die Angabe der kompletten YouTube- und WebURLs verzichtet und sämtliche konsultierte Webseiten im Inhaltsverzeichnis aufgelistet. Zwecks Veranschaulichung des vorgefundenen Diskurses habe ich mich entschlossen, manchen Betrachtungseinheiten die atlas.ti-Network Views und damit auch die Kodierungen voranzustellen, die ich aus den emischen Aussagen der InformantInnen gewonnen habe. Wie im vorigen Kapitel erwähnt, entstanden die 91 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Analyse-Codes bereits während des Erhebungsprozesses und wurden ständig ergänzt und umgearbeitet. Um hier aber keine simplen Kausalitätsbeziehungen einer komplexen Realtität vorzutäuschen, verzichte ich auf das Benennen der Beziehungen bei der Anzeige der Network-Views. Die angezeigten Network Views sind immer nur Ausschnitte eines sehr komplizierten Gefüges; die komplette Code-Liste befindet sich im Anhang. 6.2 Allgemeines zum bolivianischer Umzugstanz, seiner Bedeutung für die Identität der TänzerInnen und seiner Rolle in den diasporic public spheres Die bolivianischen Umzugstänze waren schon zu Zeiten der spanischen Eroberung ein wichtiger Ausdruck indigener Identität und indigenen Widerstandes gegen die Kolonialherrschaft. Nach der Unabhängigkeitserklärung Boliviens (1825) entstanden dann in der sogenannten republikanischen Phase viele der heute praktizierten Volkstänze, die sich langsam auch in den verschiedenen urbanen Gesellschaftsschichten ausbreiteten. Zu einem regelrechten Massenphänomen mit starken Bezügen zum postrevolutionären Nation State Building, Identität und Ethnizität (vgl. Guss 2000, Abercrombie 1992) entwickelte sich die bolivianische Folklore jedoch erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. So sind heute populäre Tänze wie Morenada, Diablada, Tinku, Taquirari und ganz besonders Caporales in allen Gesellschaftsschichten anerkannte Symbole von „lo nuestro“ („dem Unseren“) und ein wichtiger Bestandteil der staatlich und medial propagierten Narrativen einer heroischen indigen-mestizischen Vergangenheit und Tradition. Als tausendfach besuchte Videos auf YouTube haben diese Tänze Eingang in die transnationalen Mediascapes gefunden, wo nicht nur Bilder von „zu Hause“ (z.B. Tanzvideos von bolivianischen Umzügen), sondern auch Imaginationen von „zu Hause“ und deren Reproduktion „anderswo“ (z.B. Videos bolivianischer Tanzgruppen außerhalb Boliviens) Teil der diasporic public spheres (Appadurai 1996: 10) werden und dort für viele BolivianerInnen einen Teil der eigenen Identität verkörpern. Wie angedeutet, bewegen sich in diesen diasporic public spheres nicht nur die Bilder, sondern auch die bolivianischen, halb-bolivianischen und nicht bolivianischen TänzerInnen, die an den verschiedensten Orten der Welt mit dem Tanzen beginnen und oft erst wegen des Tanzens nach Bolivien reisen bzw. nach dem Erlernen der Tänze im Ausland während 92 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 ihrer Heimat-Besuche an bolivianischen Tanzumzügen teilnehmen. Man könnte also durchaus von einer transnationalen ethnoscape „auslandsbolivianische Tanzgruppen“ sprechen, die in Verbindung mit den entsprechenden mediascapes das Forschungsfeld dieser Untersuchung darstellt. Da diese ethnoscape nicht nur von ausgewan-derten BolivianerInnen erster und zweiter Generation, sondern auch von Halb-BolivianerInnen („Halfies“) und Nicht-BolivianerInnen bevölkert wird, gehe ich auch auf die entsprechenden Aspekte von Identität und Ethnizität ein. Weiters berücksichtige ich kulturelle und ethnische Aspekte im Sinne Erazo-Neufelders (1994: 19, 38, 76), Genderund Diaspora-Identitäten sowie Vorstellungen von Alterität und Exotismus aus der Sicht der Nicht-BolivianerInnen. 6.3 Bolivianischer Umzugstanz und ethnische Identität 6.3.1 Tanz und gemeinsame Abstammung Wie im Kapitel Identität und Ethnizität erwähnt, gehört die gemeinsame Abstammung zu den wichtigsten Abgrenzungsmerkmalen ethnischer Gruppen (vgl. Hutchinson und Smith: 1996: 6 f, Weber in Zurawski 2000: 23). Im Diskurs um die bolivianischen Tänze und Tanzgruppen im Ausland wird die gemeinsame Abstammung und das daraus resultierende „Bolivianertum“ in verschiedener Hinsicht thematisiert: Nicht nur die auslandsbolivianischen TänzerInnen sondern auch die befragten Nicht-BolivianerInnen stimmen häufig darin überein, dass die BolivianerInnen Rhythmus und Tanz „im Blut“ haben, es also einen biologischen Grund zu geben scheint, warum BolivianerInnen besser oder anders tanzen bzw. sich so stark mit diesen Tänzen identifizieren. Gracias yo creo que la sangre que corre por nosotros los bolivianos esta constantemente empujandonos a representar nuestra identidad... (YOUTUBE) porque lo veo como algo directo de cultura de mi familia y mi gente = la snagre que orgullosamente comparto (Sangre Boliviana) (ALEJANDRO, 05.03.08) para llevar en alto el nombre de nuestra patria solo se requiere tener el rojo, el amarillo, y el verde en la sangre (WEBSEITEN) Pienso que los bailarines Bolivianos llevan en la sangre y el corazón el baile especialmente si se trata del folklore (NATALIE, 06.04.08) BolivianerInnen kennen ihre Musik meist nur zu gut, das sie viel Wert legen auf 93 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 nationale Musik und Tanz und daher ihre Musik wirklich schon im Ohr haben/hatte bzw. ihre Ryhthmen doch „im Blut“ sind.. (HANNAH, 05.04.08) Obwohl immer wieder betont wird, dass auch Nicht-BolivianerInnen das Tanzen sehr gut, manchmal sogar besser als BolivianerInnen erlernen können, sehen die meisten InformantInnen eine angeborene Differenz – wenn schon nicht in Rhythmus und Bewegung, dann zumindestens im Gefühl. Bueno justamente es algo que fue de dilema y aca tenemos compañeros peruanos y eso quedo un poco al margen ya que al encontrarnos tan lejos nosotros nos unimos todos y hasta compartimos estas danzas juntos, sinceramente pudimos darnos cuenta que estos bailes también les mueven y les llega al corazón , aunque nosotros peleamos por la identidad , siempre defenderemos nuestras danzas, especialmente cuando al ver los bailes bolivianos bailados por otros países se puede notar la diferencia. (NATALIE, 06.04.08) talvez porque lo tienen en la sangre lo disfrutan mas (MERCEDES, 17.04.08) Darstellungen kultureller Unterschiede als biologisch determinierte „Tatsachen“ werden schnell zu Generalisierungen und Konstruktionen von Andersheit, wobei ich LORENAs Abgrenzung von „Latinos“ und „AfrikanerInnen“ gegenüber den BürgerInnen ihres europäischen Aufenthaltslandes speziell interessant finde. Pude percatarme que los latinos y africanos en general llevan la danza en las venas, los bolivianos como latinos reflejamos eso. (LORENA, 07.04.08) Los europeos en general no viven su folklore, sin embargo los latinos lo hacen muy bien (DANIEL, 06.05.08) Die Legitimation bezüglich der Präsentation bolivianischer Tänze ist auf jeden Fall eine „Sache des gemeinsamen Blutes“ (Baumann 1999: 67), die vor allem in der andinen Grenzregion immer wieder heftigst diskutiert wird (siehe Kapitel „Nationaler Tanzkonflikt“). Im Gegensatz zu den meist imperialen peruanischen Besitzansprüchen an den Tänzen argumentiert die chilenische Seite eher damit, dass die Bevölkerung Nordchiles in Wirklichkeit BolivianerInnen seien und aufgrund der gemeinsamen Abstammung ein Recht darauf hätten, die umkämpften Tänze bei Festivals wie La Tirana zu zeigen. fiesta de la TIRANA es una fiesta organizada por gente con origen de Bolivia (YOUTUBE, Hervorhebung d. A.) para la fiesta de la tirana y bailan bonito la diablada porque ablan mal de su sangre o acaso antofagasta nunca fue del alto peru hoy bolivia ah..?? (YOUTUBE, Hervorhebung d. A.) Los chilenos no nos roban nuestro folklore sino un porcentaje de la pobalcion 94 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 chilena son bolivianos, es que Tocopilla, Antofagasta, etc. eran territorios bolivianos, en la colonia y despues estos bolivianos tenian las misma costumbres que nosotros, la diablada estaba ahi, ahora los muy carajos dicen que es de ellos sin saber que son bolivianos los hijos de (YOUTUBE, Hervorhebung d. A.) Gleichzeitig wird immer wieder betont, dass Bolivien, Peru und Chile gemeinsame (kulturelle) Wurzeln bzw. die gleiche Abstammung hätten, ein Streit um die Zugehörigkeit einzelner Tänze daher völlig sinnlos wäre. se hacen problema por sus caporales..ademas por si no sabian somos paises andinos sobre todo en el sur en la meseta altiplanica y no es raro q se bailen las mismas danzas.. ya q antiguamente eramos un solo pais hata q un pata..bolivar creo invento un pais y puso su nombre.. (YOUTUBE) aunke separados Peru y Bolivia tienen sus raices unidas (YOUTUBE) yo chileno, uds bolivianos y junto a los peruanos, tenemos mucho más en común de lo que tenemos de distinto. (FACEBOOK) en le norte de chile la gente comparte muchas de sus tradiciones, porque precisamente estas viene de una CULTURA que no se circunscribe a paises, no se limita a líneas tontas hechas por españoles que violaron y mataron a nuestra gente, sino que se comparten entre pueblos hermanos que finalmente son UNO, aunke fueron separados políticas estúpidas. (FACEBOOK) Yo creo que en el origen fuimos un solo pueblo, y que a pesar de ahora ser 3 países distintos, compartimos muchas cosas y no deberíamos pelear por identificar de quién son las danzas, ya que son parte de toda la región, incluyendo a Argentina y Paraguay en el caso de la chacarera. (LORENA, 07.04.08) somo paises con la misma cultura la misma decendencia (HUGO, 25.04.08) Die „richtige“ fiktive (Bluts)Verwandtschaft bewirkt in jedem Fall Legitimität und dient besonders auf YouTube als Argument zur Schaffung von Autorität. wooo wow un ratito! YO naci en Cochabamba BOLIVIA de padres ambos Bolivianos 100%. (YOUTUBE) claro los lideres F/M de 100% nacidos en Bolivia (ALEJANDRO, 05.03.08) 6.3.2 Abgrenzung über Schicht, Status und Ethnizität 95 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Abb. 3:Tanz als Mittel der Abgrenzung; eigene Darstellung mittels atlas.ti Da die am Altiplano nach wie vor übliche Klassifizierung von Menschen in indios, campesinos, cocaleros, cholos, mestizos und blancos bzw. blancoides eine wichtige Rolle in den Diskursen um den bolivianischen Tanz spielt, möchte ich an dieser Stelle wenigstens eine Basisinformation zum besseren Verständnis der höchst komplexen Thematik geben. Das Wort indio wird von Angehörigen höherer Gesellschaftsschichten gerne dazu benutzt, um arme, dunkelhäutigere und wenig gebildete Angehörige der 36 als indigen anerkannten Ethnien Boliviens auf despektive Art und Weise zu einem Super-Ethnos zusammenzufassen. Es handelt sich dabei um eine rassistisch gefärbte Abgrenzung nach Kleidung und Sozialstatus, da in Bolivien Sprachbeherrschung und Hautfarbe keine automatische Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe bedingen. So gibt es Personen, die keiner indigenen Sprache mächtig sind (wie etwa Präsident Evo Morales) und trotzdem als indios bezeichnet werden, aber auch Personen, die sich trotz der entsprechenden Sprachkenntnisse weder selbst als originarios sehen bzw. von anderen als solche angesehen werden, sondern sich den campesinos, cocaleros, cholos oder 96 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 mestizos zugehörig fühlen (wie etwa der ehemalige Vizepräsident Victor Hugo Cárdenas). Bei den erwähnten Klassifizierungen kommt es jedenfalls zu einer starken Korrelation zwischen Ethnizität und Klassenzugehörigkeit (vgl. Eriksen 2002 [1993]: 49 f). Die Kategorie der mestizos ist besonders schwer zu definieren, da sich diese große Gruppe äußerlich nicht von den anderen unterscheidet und die Abgrenzung über Merkmale wie Kleidung, Bildung, Sozialstatus, Sprachgewohnheiten, Selbst- und Fremdzuschreibungen stattfindet. Trotzdem betrachten sich diese „Mischlinge“ als ethnische Gruppe (vgl. Eriksen 2002 [1993]: 64), die sich neuerdings angesichts der proIndigenen Politisierung als NICHT-Indigene ebenfalls diskriminiert sehen. Cholas oder mujeres de pollera und ihre nicht so leicht durch die Kleidung erkennbaren Männer stellen in Bolivien eine eigene Gesellschaftsschicht, den sector popular, dar, der eine weitere fiktive ethnische Gruppe darstellt, die allerdings mit keiner bestimmten Gesellschaftsschicht korreliert, sondern in sich stratifiziert ist: Zur Cholaje gehören arme StraßenverkäuferInnen ebenso wie reiche Großhändlerfamilien, die als Prestes/Pasantes4 mit tausenden US-Dollar ganze Prozessions- und Tanz-Umzüge finanzieren und dennoch von den mestizos oder blancoides geringgeschätzt werden. Als Ethnizitätsmarker fungieren bei den „Frauen im Rock“ der Kleidungsstil (ursprünglich durch die Spanierinnen nach Bolivien gebrachten Röcke, Stolas mit Fransen und seit den 1930ern ein von Italien übernommener Borsalino-Hut) sowie die Haartracht (zwei eventuell mit Fremdhaar verstärkte Zöpfe) bzw. geschlechtsneutral die Art, sich zu bewegen und zu sprechen. Dass es sich bei den polleras wirklich um surface pointer (vgl. Nash 1996 [1989]: 25 f) und nicht irgendein austauschbares Kleidungsstück handelt, wird u.a. durch die meist abfälligen Internet-Kommentare deutlich. Die (fiktive) Abstammung aus den genannten Sektoren wird dort vor allem im Streit zwischen BolivianerInnen und bei der Beschimpfung von PeruanerInnen relevant: Loca, si mi abuela seria de pollera que carajo seria para ti? (YOUTUBE) 4 Beim System der Prestes/Pasantes handelt es sich um eine prestigeträchtige Selbstverpflichtung, Kosten und Organisation eines religiösen Festes (z.B. Karneval oder Feste zu Ehren von Lokalheiligen) zu übernehmen. Die Prestes können durch ihre großen Ausgaben großes Sozialkapital anhäufen, das u.a. für einen politischen Aufstieg innerhalb der Gemeinde genutzt werden kann. Für eine ausführliche Diskussion siehe Buechler, Hans C (1980): The Masked Media. Aymara Fiestas and Social Interaction in the Bolivian Highlands. Mouton Publishers. The Hague und Abercrombie, Thomas A (o. A.): Understanding the fiesta-cargo system among the Bolivian Aymara, CIPCA, La Paz. 97 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 india pelotuda de mierda. (YOUTUBE) a este pobre indio cholo peruano awenao no le den chokolate porke por negro se muerde el dedo el weon (YOUTUBE) por q no te vas a la mierda india altiplanica cara de llama? (YOUTUBE) Aufgrund dieser Stigmatisierung gibt es nur wenige Angehörige der westlich gekleideten mestizischen Schicht, die Stolz auf ihre Vorfahren aus der Cholaje sind und diese weder im In- noch im Ausland verleugnen. LAURAs Aussagen sind daher wohl eher eine bemerkenswerte Ausnahme: al vestir el traje de Chola pacenia rindo un homenaje a la mujer tradicional de mi tierra y a mi abuela que con mucho orgullo fue chola [...] en la paz la mayoria de la gente de estrato medio se averguenza de sus parientes cholas! cuando yo lo decia con perfecta naturalidad la gente se sentia rara.....es extranio! aca lo mismo..... parece q prefieren ovbiar esa parte de su pasado...es muy decepcionante...pa mi en cambio es un motivo de orgullo...y parte de mi.... (LAURA, 05.03.08) Bedenkt man diese Geringschätzung, so ist es erstaunlich, wie das Tanzen bei Umzügen, das bis vor wenigen Jahrzehnten vorwiegend als minderwertige cosa de indios galt, En esas épocas no se tocaba música folclórica en las discotecas o fiestas y en aquél tiempo, la mayoria de los bailarines eran lo que se llama (no es mi opinión o en lo que yo creo) la clase baja . (ROXANA, 27.04.08) mittlerweile zu einem prestigeträchtigen Hobby der jugendlichen „Reichen und Schönen“ avanciert ist: Caporales, pero me parece que también es una danza y una música con la que los jóvenes especialmente se pueden llegar a identificar con lo supuestamente folklórico, sin que sea visto como algo sólo para las personas de edad mayor o pasado de moda y sin que tengan que avergonzarse por bailar algo folklórico, considerado por algunos como algo sólo para gente de descendencia indígena (NICOLÁS, 28.04.08) Dieser Trend setzt sich im Ausland allerdings nur bedingt fort. Denn: Hier wird es plötzlich für viele erschwinglich, sich eigene Tanzkostüme anzuschaffen und bei einer Tanzgruppe mitzumachen – trotzdem sie aus ärmlichen Verhältnissen stammen oder in ihrer Heimat als indios stigmatisiert wurden. Hay gente que tiene verguenza de bailar? Y en el caso que sí por qué es eso? Nos ha pasado con los Bolivianos me da la impresion que no quieren mostrar que son indigenas o Indios (palabra indio en Europa significa que vienes de la india’) aunque la cara los delata (SEBASTIANA, 31.03.08) Schon allein aufgrund der meist geringen Anzahl an verfügbaren BolivianerInnen 98 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 kommt es bei sehr vielen auslandsbolivianischen Tanzgruppen zu einer Öffnung in Bezug auf die Mitglieder. Meistens sind alle willkommen, die tanzen wollen und vor allem größere Gruppen sind oft sehr multinational besetzt. Dinge wie der „richtige“ Nachname und damit die gezwungenermaßen über Fremdzuschreibungen angenommene Ethnizität5 (vgl. Eriksen 2002 [1993]: 65) oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe bzw. Schicht spielen nun keine Rolle mehr. en Alemania hay un cambio de lo que es el estatus porque como migrantes somos la minoría y siendo minoría pues no sé, en algún momento es igual si alguno es del norte, del sur, es rico o pobre no tiene bonitas piernas o eres chuiquito o grande, estamos fuera intentando de buscar unanimidad, una identidad donde digas bueno no no soy la única boliviana e igual si el otro seguido de x o no se cuanto y no sé que o igual la acepto en mi grupo porque es boliviana y baila, eso es por lo menos lo que yo veo no? (GLORIA, 16.03.08) No hay los uficientes bolivianos pra hacer un grupo neto boliviano, que hay con las “ mescolanzas” como yo y de que esa gente quiera aprender a bailar el folclore boliviano demuestra el poder,la magia de este. (ROXANA, 27.04.08) Manche können es sich nun sogar leisten, zum Karneval von Oruro oder der Entrada der Virgen de Urkupiña in Quillaqollo/Cochabamba zu reisen, um dort zu tanzen; Dinge, die auch in den bolivianischen Diaspora-Gemeinschaften viel Prestige bringen. Vor allem in den USA gibt es viele Gruppen, die von einer oder mehreren Familien in Anlehnung an das System der Prestes/Pasantes organisiert werden, was einen gehobenen Status zur Folge hat. La Fraternidad Folklorica Cultural Caporales Raices de Bolivia (FFCCRB) fue fundada por un grupo de amigos encabezados por la familia Q... el 18 de junio de 1988. (WEBSEITEN, USA) La primera mesa directiva fue conformada por el señor Jorge G... junto a su esposa Carmen G..., Edmundo B... y esposa, Sonia B... y Rosario O.... Otras familias fundadoras fueron Félix S..., José S... y Nancy B.... (WEBSEITEN, USA) 5 Nachnamen wie Mamani, Quispe oder Choque werden in Bolivien sehr stark mit den beschriebenen indios identifiziert, weshalb viele Personen den finanziellen Aufwand einer Namensänderung auf sich nehmen, um sich und ihre Nachkommen von einem Stigma zu befreien 99 Eveline Sigl 6.3.3 Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Nationaler „Tanzkonflikt” zwischen Bolivien, Peru, Chile und Argentinien Abb. 4: Nationaler „Tanzkonflikt“ I; eigene Darstellung mittels atlas.ti 100 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Abb. 5: Nationaler „Tanzkonflikt“ II; eigene Darstellung mittels atlas.ti Sowohl in den online als auch in den offline Diskursen findet eine teils sehr starke Abgrenzung zwischen den BürgerInnen der Staaten Bolivien, Peru, Chile und – in geringerem Maße – Argentinien statt. Die besonders auf YouTube und ähnlichen VideoSeiten höchst emotionalen Diskussionen und flaming wars, von mir als „Tanzkonflikt“ bezeichnet, kreisen um die Zugehörigkeit verschiedener Tänze, die von den vier Staaten als Teil ihres Kulturgutes beansprucht werden. Diesem Diskurs liegt ein stark essentialistisches Kulturverständnis (vgl. Baumann 1996, 1999) zugrunde: Die in den Tänzen und den dazu gehörenden Musikstücken verdinglichte Kultur kann als Kulturgut von anderen Ländern, die sie ebenfalls als Teil von „lo nuestro“ reklamieren, kopiert, vereinnahmt, „geraubt“ und möglicherweise sogar patentiert werden. Die resultierenden Diskussionen kreisen sehr stark um Fragen von Eigentum und Besitz sowie vergleichende Wertungen. Betrachtet man die entsprechenden Video-Kommentare jedoch genauer, so drängt sich der Verdacht auf, dass es bei diesem Streit nicht so sehr um die Tänze selbst oder um den Schutz der eigenen Identität geht, sondern (zumindestens teilweise) eher um die Aufarbeitung nationalstaatlicher Konflikte und territorialer Restitutionsansprüche, bei denen der Tanz nur als Vorwand für die entsprechenden Äußerungen dient. „Beweise“ oder Erkenntnisse wissenschaftlicher Nachforschungen bezüglich Herkunft und „Zugehörigkeit“ werden höchst selten eingefordert bzw. negiert6. Ethnizität wird in diesem Fall sehr stark über Kultur definiert, wobei die Bemühung um die Aufrechterhaltung von Differenz eine große Rolle spielt (vgl. Barth [1969] 1970: 18, Eriksen 2002: 19 f, Harrison 1999 in Eriksen 2002: 67) und den Tänzen die erwähnte Index-Funktion zukommt. Beide Seiten argumentieren bei der „Besitzfrage“ oft mit Ausschließlichkeit und primordialen Überzeugungen: la Diablada es BOLIVIANA Y DE NINGUN LADO MAS!!!! (YOUTUBE) la diabla es 100% peruana (YOUTUBE) esto es la DIABLADA BOLIVIANA Y PUNTO y nada de huevadas (YOUTUBE) 6 Ich habe auf den entsprechenden Seiten mehrmals auf gute online Quellen hingewiesen bzw. einem Informanten auch einen Text geschickt und musste feststellen, dass es sich hier um einen rein emotionalen Diskurs handelt, der sehr viel mit Imaginationen zu tun hat und in dem keine „fachlichen“ Diskussionen gewünscht werden. 101 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 claro como el agua la diablada es de Bolivia (YOUTUBE) si siguen siendo ignorantes... pues seguiran diciendo que estas danzas tambien les correponde. Todo le mundo sabe que estas danzas son 100% Bolivianas! asi ke pierden su tiempo diciendo lo contrario. (YOUTUBE) Der Andere wird vielfach durch Generalisierungen und Stereotypisierungen konstruiert; Beschimpfungen und gegenseitige Bezichtigungen des Kulturraubes sind an der Tagesordnung. Es sabido que en países vecinos en los últimos años se ha visto que se han estado adueñando de nuestros bailes folklóricos más representativos. En Argentina, Chile y Peru es común ver en las noticias como bailan diablada, caporales y morenada en sus festivales folklóricos, en muchos casos diciendo que son bailes que también les pertenecen, e incluso a veces, diciendo que son bailes exclusivamente de esos países. (FACEBOOK) DENUNCIAMOS:EL PERU SUFRE ROBO Y SAQUEO SISTEMATICO DE SU PATRIMONIO MUSICAL Y CULTURAL!!nos roban:musica,danzas,emblema(bandera del Tawantinsuyo)idioma,instrumentos autoctonos,ponen nombre quechua a bailes q' dizq' lo crearon. (YOUTUBE) yo no entiendo como estos "señores" peruanos tienen el descaro de presentar estas danzas que son bolivianas como peruanas pero es de esperar de gente como ellos que si existe la delincuencia en el mundo es gracias a que muchos peruanos se dispersaron por todas partes y mira hay delincuencia en todas partes (YOUTUBE) por favor les pido q no generalicen sus insultos a todos los peruanos, (YOUTUBE) gente inescrupulosa ESPECIALMENTE EL PERU ANDA TRATANDO DE APROPIARSE DE ESTA HERMOSA DANZA (YOUTUBE) malditos peruanos roba culturas (YOUTUBE) jajaja ya quisieran que Bolivia sea Peru..claro cualquier escusa con tal de robar nuestra cultura (YOUTUBE) ES UNA IMPOTENCIA grande QUE SENTIMOS LOS BOLIVIANOS VER DÍA A DÍA DIFUNDIR NUESTRO FOLCLORE BOLIVIANO COMO SI FUERA PERUANO POR ESO ES QUE SI POR DEFENDER NUESTRA CULTURA Y FOLCLORE NOS DICEN QUE SOMOS COMO SOMOS PUES BIENVENIDO PERO IGUAL VAMOS A DEFENDER A CAPA Y ESPADA NUESTROS BAILES. (YOUTUBE) LOS PERUANOS SI KE SON LADRONES, SE APROPIAN DE MAS DE 20 DANZAS NUESTRAS!! (WEBSEITEN) Die Generalisierungen werden auch auf die Länder selbst ausgedehnt, wobei das eigene gerne als das großartigste und schönste dargestellt wird (vgl. Eriksen 2006 in URL 2), während das fremde naturgemäß viel weniger zu bieten hat. „Tanzkonflikt“, (in den südamerikanischen Schulen stark geförderter) Nationalstolz und Heimweh der vielen im 102 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Ausland ansässigen PosterInnen führen zu einem Diskurs des gegenseitigen Ausspielens nationaler Symbole. BOLIVIA Y SU FOLKLOR una marabilla, inmensurable de nuestro planeta tierra. (YOUTUBE) BOLIVIA IS THE BEST PLACE IN THE WORLD (YOUTUBE) PERU es lo maximooooooooooooo (YOUTUBE) bolivia? ,un pais con el mas hermoso cultuur. un pais con el mas mejor musica boliviana. bolivia un fantastica hermoso pais (YOUTUBE) Bolivia es lo mas bello de este planeta (ADRIANA, 04.03.08) peru es un pais pobre no tienen nada nosotros tenemos mucho petroleo somos los mayores vendedores de gas en sud america, los peruanos lo unico que venden sons sus mujeres asquerosas como la tigresa mal oliente, las agua estancada, las muy chanchitas del amor. Peruanos mejor vayan a bailar en baile del gorila. Que todo el mundo sabe que son simios asquerosos come ratas y palomas. Que asco da ser peruasno los repudio de corazon. (YOUTUBE) DE BOLIVIA PARA EL MUNDO ENTERO, con MUCHO AMOR LOS INVITAMOS AL CARNAVAL DE ORURO BOLIVIA OBRA MAESTRA DEL PATRIMONIO ORAL E INTANGIBLE DECLARADA POR LA UNESCO EL AÑO 2001, MUCHOS PAISES QUIEREN APROPIARSE DE UNA CULTURA QUE NO LES PERTENCE Y CON EL PRETEXTO DEL ALTO PERU Y BAJO PERU QUIEREN JUSTIFICAR UN PLAGIO DESCARADO COMO DICE CLARAMENTE EN SU ESTUPIDO Y SINVERGUENZA COMENTARIO ESTE TIPO PERU FOLCLORE NO SIRVE ESTA CULTURA ES DE BOLIVIA Y DE NINGUN LADO MAS. ORURO - BOLIVIA, para el mundo los invitamos al CARNAVAL MAJESTUOSO DE LA BELLA BOLIVIA, EL CARNAVAL RECONOCIDO A NIVEL MUNDIAL COMO OBRA MAESTRA DEL PATRIMONIO ORAL E INTANGIBLE DE LA HUMANIDAD, ESTA ES UNA MUESTRA DEL BELLO FOLCLORE DE BOLIVIA UNICA Y VERDADERA LOS INVITAMOS CON EL CORAZON ABIERTO. Überschwängliche Liebesbekundungen zum eigenen Land finden sich ebenfalls: TE AMO BOLIVIA SIEMPRE ESTARE AMOOOOOOOOOOOOOOOOO (YOUTUBE) CERCA TUYOOOOO .....TE GOD BLESS YOU BOLIVIA my AWESOME COUNTRY I LOVE YOU NOW AND FOREVER MY ONLY ONE DREAM IS BACK TO MY ROOTS TO MY HOMETOWN CITY COCHABAMBA BECAUSE COCHABAMBA IS LIKE A HEAVEN IN THE EARTH I LOVE YOU MY BOLIVIA. (YOUTUBE) Dass das Tanzen als Ausdruck dieser Landesliebe betrachtet werden kann, verdeutlicht LAURA: El cargar un traje pesado como los de la morenada, es cumplir una promesa de amor por nuestra patria (LAURA, 05.03.08) Neben nationalistisch motivierten Beschimpfungen lassen sich auch Beispiele für den 103 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 erwähnten kulturell bzw. schichtspezifisch determinierten Rassismus finden (vgl. Balibar 1991 in Eriksen 2000: 52). Wie ich nach der Identifikation einiger YouTubeAktivistInnen bemerken konnte, kommt es hier durchaus vor, dass sich dann zwei als Kleinkinder ausgewanderte bolivianische MigrantInnen india/o, colla/o oder chola/o schimpfen, obwohl es diese „Ethnien“ in ihrem Lebensumfeld vermutlich gar nicht bzw. nur als Imaginationen gibt und obwohl sie offenbar nicht einmal genau wissen, was damit überhaupt gemeint ist. Compatriota tu ???? ajajaj Los Cochalos, Los Pacenos, Los cambas tambien no queremos mucho a los collas. No molestes colla. Ni Perucha puedes ser. Eso seria insultarles a ellos. Pregunta a quen queras. Ya para de molestar colla. Nunca me avergonzare de mi pais. Y nunca compartire mi tierra ni mi nacionalidad con racistas. Vos eres Collinga pero las puras. Chau colla.. (YOUTUBE) SIII que VIVA EL PERU LA MIERDA DE LOS INKAS KARAS DE KULO Y QLIAOS POR LA MADRE NATURA HIJOS DE CHOLAAAAAAAAAAAAAAAAAA HEDIONDAS HIJAS DE PUTAAAAAA MECA O CACA DE LOS INKAS KARAS DE PIEDRAAAAAAAA COMO EL INKA7YUPANQUIIIIIII. a este pobre indio cholo peruano awenao no le den chokolate porke por negro se muerde el dedo el weon. por q no te vas a la mierda india altiplanica cara de llama? Immer wieder kommt es zu Solidaritätsbekundungen und symbolischen Schulterschlüssen auslandsbolivianischer PosterInnen, die häufig vom Aufruf, „lo nuestro“ und damit die eigene Identität zu verteidigen begleitet werden. Siempre defendamos lo nuestros con garras y dientes! (YOUTUBE) subamos videos de danzas bolivianas a youtube para defender lo nuestro!!! (FACEBOOK) Me parece de suma importancia que tomemos conciencia de lo que tenemos, que nos informemos y defendamos con buenos argumentos la pertenencia de estas danzas a Bolivia. (FACEBOOK) segun la ley de derechos de autor el folklore cuando es de autor anonimo es patrimonio de la nacion, no se en que instancia se puede defender eso, asumo que ante la organizacion mundial de propiedad intelectual y en bolivia esta protegido el folklore por la ley de derechos de autor. (FACEBOOK) eso mi mabelinha enseñemos a los peruchos a defender nuestras danzas a capa y espada dale adelante con la lucha. (YOUTUBE) Eine flaming war-Aktivistin richtete zu diesem Zweck sogar ein elektronisches Petitionsforum ein, das ebenfalls zur Verteidigung von „lo nuestro“ einlädt. 104 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 DIGANLE NO A LA PIRATERIA PERUANA! (FACEBOOK) No permitiremos que otra gente se de meritos que no les corresponde. (FACEBOOK) Um dem unbefugten Zugriff Einhalt zu gebieten, wird von beiden Seiten angeregt, die Tänze patentieren zu lassen, eine Idee, die Anklang findet. HAY QUE HACER ALGO, TENEMOS QUE PATENTAR NUESTRAS DANZAS! (FACEBOOK) Es algo que se debería haber hecho hace mucho tiempo para que peruanos y chilenos dejen de decir que es de ellos cuando ni siquiera saben la historia de sus origines, lo cual da que pensar si lo bailas deberías saber el origen del baile verdad (AURELIO, 10.05.08) me parece buena la idea de recuperar nuestra identidad, esas danzas son nuestras son parte de nuestra historia y hay que defenderla a como de lugar!!! Die solcherart angegriffenen PeruanerInnen sehen hier allerdings eher die Schaffung von Identität durch die Identifikation eines gemeinsamen Feindes: Pasa q los bolivianos están tratando de encontrar una identidad común q no tienen (Aymaras contra cambas, etc.) y a algún "genio" del servicio de "inteligencia" de "Evo Chavez" se le ha ocurrido q la mejor manera de unificar a un pueblo es creándole un enemigo común... sólo q han escogido un tema bastante cojudo q es el origen de los bailes e instrumentos andinos. Gemäßigte PosterInnen versuchen die erhitzten Gemüter immer wieder mit dem Hinweis zu beruhigen, dass die Tänze doch ein Teil der kulturellen Gemeinsamkeiten der gesamten Andenregion seien, was aber meist nur erzürnte Repliken zur Folge hat. Q UE COMPRATAMOS EL LAGO NO QUIERE DECIR QUE NUESTRAS DANZAS BOLIVIANAS SEAN DE LADRONES PERUAnos QUE TODAVIA TAN FEO BAILANNNNNNNN (YOUTUBE) Eines der Argumente, warum die bolivianischen Tänze in Wirklichkeit Peru zuzurechnen wären, ist die Tatsache, dass Gebiete des aktuellen bolivianischen Nationalstaates früher Teil des Inka-Reichs Tawantinsuyu bzw. des kolonialen Vizekönigreichs Alto Perú waren. (PeruanerInnen identifizieren sich hier oft und gerne mit den Inka.) Argumentiert man mit Baumanns Grammars of Identity/Alterity (vgl. 2004: 25 ff), dann liegt hier ein eindeutiger Fall von encompassment vor: Bolivien wird als kleiner Teil des mächtigen altperuanischen Reichs dargestellt, als Kind oder auch als kleiner Bruder, der vernünftig werden sollte und endlich auch einsehen möge, dass er zu einem viel größeren Ganzen gehört, in dem sich die von bolivianischer Seite 105 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 postulierten Differenzen auflösen. jajaja, en esa epoca eramos tahuantinsuyo y bolivia era parte del perú, si la diablada es de uds chevere felicitaciones linda danza igual q la saya, paren de pelear y vamos a bailar.. (YOUTUBE) Las danzas que supuestamente son "exclusivas" de Bolivia le pertenecen al altiplano en general porque cuando secrearon bolivia no existia, era el alto Peru o El alto Argentina, es por eso que esas danzas se difundieron en todo el altiplano como si fueran de un solo pais o estado. (YOUTUBE) si recuerdas bolivia era el alto Perú asi q en todo caso nosotros le dejamos nuestra cultura a ustedes ... (YOUTUBE) jajajaja digan lo q digan esta en le historia fueron parte del PERU salieron de nuestro territorio... son nuestros hijos (YOUTUBE) Una parte de Bolivia fue en algun momento una parte del Peru en la epoca del incanato, y mas adelante tambien en la epoca del virreinato. Es por eso que no entiendo la pelea, renegar de los incas, los cuales tambien son en parte el origen de los Bolivianos? Yo soy peruana y no estoy? de acuerdo con los comentarios acidos de los bolivianos pero tampoco con los de los peruanos. (YOUTUBE) Un poco de historia gente de Bolivia,el Perù es grande y esa grandeza les ha ayudado a ustedes a ser un pais en la actualidad. (YOUTUBE) finalmente de proseguir insultandonos mejor es que se atengan a conocer la verdadera historia de como su pais existe y de como deberian agradecernos a Perú por todo lo que hemos hecho por ustedes (YOUTUBE) yo creo que Bolivia tienen un caso bastante especial, si nos remitimos a lo que es la historia. Bolivia se ha formado desde el siglo dieciocho, antes de eso pertenecía al virreinato de la Plata, al virreinato del Perú y la parte de lo que era precolombina, aunque no estoy muy enterada de ese lado, pero a estos dos virreinatos estaban divididos, y ya cuando hubo los procesos de independización es cuando se forma Bolivia (GLORIA, 16.03.08) Naturgemäß stößt diese Argumentation auf wenig Gegenliebe bei den BolivianerInnen, die auf der Unabhängigkeit ihres Landes bestehen. BOLIVAR NOMBRO A BOLIVIA SU HIJA PREDILECTA POR ALGO LA SEPARÓ DEL PERU PORQUE SEGURO BOLIVAR SE LA OLIO Y DIJO ESTOA PERUANOS SON MALEANTES Y NO QUIERO QUE MI HIJA PREDILECTA SE JUNTE CON ESTOS HIJOS DE PUTA CHOROS Y MARICAS POR ESO AHORA ES BOLIVIAAAAAAAAA. (YOUTUBE) hey Frankar11,antes que altoperu, Bolivia era La real audiencia de charcas,antes de eso era Collasuyo y mucho antes Tiahuanaco,la region andina de Bolivia,eso de altoperu fue imposicion de los malparidos espanoles,che lee pues historia. (YOUTUBE) Somos un pais independiente nuestra que creo su propio folklor asi que deja de joder porque la mayoria de las danzas nacieron despues de la colonia (YOUTUBE) BOLIVIA NUNNNNCA FUE PARTE DE PERU, se nota que reprobaste jaja, EL HECHO DE QUE AMBOS TERRITORIOS LLEVABAN LA MISMA PALABRA, NO LOS UNEN, ADEMAS QUE ESOS TERRITORIOS PERTENECIAN A 106 Eveline Sigl ESPANHA!! NUNCA (WEBSEITEN) Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 JAMAS FUIMOS UN PAIS DIOS NOS LIBRE! Der angenommene Entstehungszeitpunkt und -ort der Tänze Caporales, Morenada und Diablada ist insofern von großer Relevanz für den Streit, als er je nach Ausgangsposition eher in der Kolonialzeit oder in der Zeit nach Boliviens Unabhängigkeit (1825) angenommen wird und so eine Basis für die Eigentumsansprüche darstellt. en Territotio del virreynato del Peru,por lo tanto es peruana!!no de republiquetas como bolivia q' es de ayer!!! (YOUTUBE) se origino en la antiquisimaOruro colonial DEL VIRREYNATO DEL PERU""el nombre de bolivia ni en sueños se imaginaba!!! (YOUTUBE) siempre ha existido en los puneños y en los peruanos, un pais q en definitiva es la cuna de este genero puesto q en el virreynato abarco buena parte de sudamerica incluido chile y argentina. (YOUTUBE) Cuando estas danzas se crearon ¡NI SIQUIERA EXISTÍA LA PALABRA BOLIVIA (El disociador masón pro-inglaterra Simón Bolivar no los había inventado aún).Ustedes eran collasuyo y después Alto Perú!. (YOUTUBE) Por favor no se agarren de la ridicula idea de el Alto Peru, La diablada de raices bolivianas nada tiene que ver con Peru.... (YOUTUBE) claro de echo la diablada nacio en oruro eso sin discutir . la diablada nacio en los tiempos en q oruro era parte del virreynato del peru- el alto peru junto a ala paz y otros pueblos y ciudades o no.?? (YOUTUBE) un 30% de danzas q ahora ustedes tienes como patrimonio nacio vajo el virreynato del perù despues el peru les dio su pedaso de terreno para q formaran bolivia en honor a bolivar o me equivoco.? (YOUTUBE) BAILES NACIDOS EN LUGARES ESPECIFICOS DE BOLIVIA, nada de peru, nada de puno!!! (YOUTUBE) Bemerkenswert ist dabei, dass nicht nur Peru (in Bezug auf Bolivien), sondern auch Bolivien (in Bezug auf Chile) mit dem „Territorialitätsprinzip“ argumentiert: Was auf einst peruanischem/bolivianischem Boden entstand, das gehört zu Peru/Bolivien, auch wenn sich die Landesgrenzen später verschoben haben. Der (in Bolivien schon während der Schulzeit geschürte) und im Internet immer wieder heftigst ausgedrückte Hass auf Chile hat seine Wurzeln im Pazifik-Krieg von 1879, bei dem Bolivien das Bundesland El Litoral und damit den Zugang zum Pazifik verlor. Dieser Verlust wird nicht nur jährlich mit dem Día del Mar (Tag des Meeres) zelebriert, sondern ist auch nach 129 Jahren immer wieder Teil von bilateralen Verhandlungen zwischen den beiden Staaten. Wenn ChilenInnen ihre Aufführungen von Morenada und Diablada damit argumentieren, dass 107 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 diese Tänze einfach zu einer gemeinsamen Kulturregion gehören, dann heisst es regelmäßig: „Gebt uns unser Land zurück, dann reden wir über Gemeinsamkeiten!“ Oder: „Zuerst nehmt Ihr uns unser Land weg, jetzt auch noch unsere Kultur!“ A Y TALVEZ ALGUN DIA PODRIAMOS ESTAR HABLANDO DE HERMANDAD CUANDO NOS DEVUELVAN EL MAR ......... APARTE Q NOS ROBAN TERRITORIO UFFFFFFFFFFFFFF AHORA QUIEREN CULTURA!!!!!!!!!!!!! (FACEBOOK) Chilenos usurpadores devuelvan lo que por historia jamás les perteneció, (YOUTUBE) claro, cuando se trata d robar, recien hablan d q compartimos cultura... (YOUTUBE) chilenos dejen de robar nuestra cultura caraxo, (YOUTUBE) POBRE BOLIVIANOS MUERANSE DE SET JAMAS TENDRAN SALIDA AL MAR (YOUTUBE) In den online Befragungen gab es relativ wenige (dann aber meist ebenfalls negative) Statements zu dieser Problematik, was ich vor allem darauf zurückführe, dass es sich hier um ein „heikles“ Thema handelt, zu dem man sich als namentlich bekannte InformantIn nicht so leicht Fremden gegenüber äußert. ¿Cúal es tu opinión cuando ves bailar Caporales y Morenada en Perú o Morenada y Diablada en Chile? Sinceramente NO me gusta. Primero, porque distorsionan los pasos de baile, segundo los trajes, tercero la musica. Y por ultimo nunca reconocen q las danzas son originalmente bolivianas. Es mas, no reconocen los anios de labor para llegar hasta hoy en dia, siguiendo una constante evolucion de nuestras danzas, solo buscan excusas diciendo q los bailes tambien son de ellos porq compartimos un pasado comun. (LAURA, 05.03.08) Por un lado me siento orgullosa, por que demuestra la fuerza,el poder del folclore boliviano, la mágia, asi que otros pises tambien quieren representar y lucirce con el. Entiendo a los Peruanos, puesto que Bolivia y Peru fueron un solo país antes , aunque claro que el baile del Caporal salio mucho más tarde y es neto Boliviano y ahi por unaparte me da rrabia cuando lo presentan como baile propio de ellos. En cuanto a los Chilenos me da rrabia, puesto que solamente robaron todo, lo hacen verschandeln ( solamente hay que ver cuando bailan Diablada...) lo representan muy mal y encima todavia lo „venden“ como propio,orriundo de ellos (ROXANA, 27.04.08) Dass der „Besitz“ der Tänze sehr wohl auch in den auslandsbolivianischen Tanzgruppen zu Sticheleien und Kontroversen bis hin zu offenen Feindseligkeiten und der Weigerung, TänzerInnen bestimmter Nationalitäten in die Gruppe aufzunehmen, führen kann, ist klar. In manchen Gruppen spielt der Streit hingegen deshalb keine Rolle, weil die TänzerInnen nur wenig über die Entstehung der Tänze wissen, sich auch nicht sonderlich dafür interessieren bzw. nicht über die Thematik gesprochen wird (u.a. um 108 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Konflikte zu vermeiden, wie einige InformantInnen vermuten). Zumindestens offiziell sind in den meisten Gruppen alle Interessierten willkommen – solange sie die „Eigentumsrechte“ Boliviens an den Tänzen anerkennen. Viele BolivianerInnen drücken dabei zwar ihre Freude darüber aus, dass „ihre“ Tänze international so gut ankommen, dass sie auch Angehörige anderer Nationalitäten tanzen, doch auch hier steht immer wieder die Sorge um Verunstaltungen und die Nennung des Ursprungslandes im Mittelpunkt. People in other contries may dance it as much as they want but please accept/respect that Caporales is from Bolivia even though the dance is developing in diffrent styles all over the world. (YOUTUBE) .a nosotros no nos molesta que lo bailen lo que no molesta es que anden diciendo a medio mundo que los caporales es de Peru..es como el tango de argentina todo mundo lo baila pero tambien todo mundo sabe que es de argentina (YOUTUBE) acá nadie dice que no usen los disfraces o que no bailen puden bailar hasta en el Polo Norte, pero lo unico que se está reclamando y lo vamos a seguir haciendo es que POR FAVOR SE RESPETE SU ORIGEN BOLIVIANO POR QUE ES BOLIVIANO ESO ES LO QUE PEDIMOS RESPETO A SU ORIGEN. (YOUTUBE) ... also tanzen können sie es überall, von mir aus in Japan, von mir aus…[...] Nur ist es die Frage wie definieren sie dann den Tanz, von wo kommt er, was er jetzt aussagt und solche Sachen. [...] Es muss immer gesagt werden von wo es genau kommt. (VERA, 11.02.08) Creo que hay un gran debate acerca de la interpretación de las danzas Bolivianas por estos dos países. Dicen que la imitación es el cumplido más grande. Que las interpreten no es problemático, que las presenten como propias lo es. (RUTH, 16.04.08) A mi personalmente, no me molesta que los chilenos bailen danzas bolivianas siempre y cuando reconozcan el lugar de origen del baile. (MARCELA, 24.04.08) Para mi el caporal , morenada es de bolivia y se hizo famoso en Bolivia en el carnaval de oruro , ahora que paises como chile , peru lo bailen tambien no hay nada de malo , pero hay que respetar su origen del baile. (FEDERICO, 06.05.08) allowing others to participate in our culture can only promote and expand it. [...] Now as far as taking credit for the roots. Well that is an individual responsibility, like downloading music from Limewire. (GEORGE, 02.04.08) Die viel geschmähten ChilenInnen beharren meist zwar auf ihrem durch Tradition, Migration und Staatengeschichte gewachsenen Recht, diese Tänze vor allem beim Festival von La Tirana aufzuführen, reklamieren sie entgegen der anders lautenden Beschuldigungen und im Gegensatz zu den peruanischen PosterInnen nie als „Eigentum“. 109 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 nunca hemos dicho que la diablada es nuestra es mas encontramos que su folclore es muy hermoso y mas que todo lo interpretamos con devocion algunas virgenes de la zona, (YOUTUBE) El baile de la Diablada lo he visto siempre cuando voy a la fiesta de La Tirana, pero también sé que sus orígenes son de Bolivia – Oruro. (YOUTUBE) Diablada partenece a la cultura folclorica BOLIVIANA , pero! atencion la fiesta de la TIRANA es una fiesta organizada por gente con origen de Bolivia que quieren reconocer la diablada pero no pertenece al folclor Chileno , solo es que se baila algo parecido en la zona nortena chilena , pero pues nadie ha dicho que es una danza chilena , el que lo dice es muy ignorante , y es alguien que sabe nada de nada , yo se que es de Bolivia y yo lo bailo con orgullo en la lejania de sud america (YOUTUBE) he tenido oportunidad de ver el carnaval de Oruro,majestuoso e impresionante,danzas maravillosas y por demás está decirlo todo es original de Bolivia,yo no le discuto eso a nadie. (YOUTUBE) Damit bleibt die Zugehörigkeit der Tänze zur ethnischen Gruppe der BolivianerInnen klar: Die Tänze sind sowohl innerhalb Boliviens als auch in den bolivianischen Diaspora-Gemeinschaften in Norden Chiles Teil der bolivianischen Kultur. In Bezug auf die Bevölkerung Nordchiles heisst das aber auch, dass diese aufgrund ihrer Abstammung als ethnisch anders eingestuft wird. Die Zugehörigkeit zu Peru wird hingegen eher im Sinne von Hobsbawns invented traditions (vgl. 1993 [1983]: 1 ff) und Nashs „immer schon Dagewesenen“ (1996 [1989]: 27) bzw. mit der starken Verbreitung argumentiert: estas danzas se bailan en Puno de toda la vida, y siempre ha existido en los puneños y en los peruanos, (YOUTUBE) sienten que por haber bailado así desde que tienen conciencia de existir el baile les pertence (FACEBOOK) nuestros hermanos bolivianos se atribuyen su origen porque alla tomó mucha fuerza su difusión (YOUTUBE) Für manche PeruanerInnen besteht jedoch kein Grund für den Streit, da der bolivianische Ursprung und damit die Zugehörigkeit des Tanzes völlig klar ist: que yo sepa ,nadies q, conosco dice eso a lo contrario yo y unas amigas somos fans numero uno y me emcanta el baile y lo reconosco q, es de bolivia, a ya com la gente q, no esta informada q, diga q, es de peru. y si esta mal, pero no me parece q, este mal q, lo bailemos (YOUTUBE) no se por que tanta innorancia ...no hay ningun peruano que dice que la sayas o caporales es nuestra ............tenemos nuestra musica que uds lo bailan al igual que bailamos sayas y caporales .......... (YOUTUBE) 110 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 TODO EL MUNDO SABE QUE LA SAYA , CAPORALES , TINKUS, ETC ES DE BOLIVIA Y SE ACLARA MUY BIEN EN LOS CONCURSOS QUE SE REALIZAN (YOUTUBE) Außerhalb Boliviens scheint der „Tanzkonflikt“ vor allem für MigrantInnen erster Generation wichtig zu sein; bereits im Ausland geborene TänzerInnen messen der Besitzfrage meist keine allzu große Bedeutung bei und finden derartige Diskussionen eher bedauerlich. Meine Beobachtungen korrelieren hier mit den Ergebnissen von Hall (2004: 201, 209) und Baumann (1996: 157, 190), die ebenfalls feststellen, dass die Bedeutung prä-immigratorischer Werte und die Loyalität gegenüber diesen in den nachfolgenden Generationen abnimmt. Und es gab halt schon Streitereien, und deswegen sind sie auch gegangen und… eher sogar eher die Peruaner haben sich eher darauf eingelassen und gesagt, ja hey, dass ist doch nicht so schlimm, egal von wo jetzt die Tänze sind, wir machen sie. Oder, … aber sie haben einfach darauf beharrt dass es von dort und es war öfter so bei den Proben, dass es Streiterei dann gewesen, was eben traurig ist. Weil anstatt dass man sich versöhnt oder irgendwie auf eine grünen Zweig kommt muss man sich streiten, das find ich nicht so toll. [...] Es ist schön, es sind schöne Tänze, egal von wo. Nur es war eben so traurig, dass gerade die Bolivianer, die wir hatten, so verschlossen waren und gesagt haben „nein….“ (VERA, 11.02.08) Und das waren halt alles Bolivianer und das muss man halt irgendwie auch sagen, die halt in erster Generation hier sind und auch kaum Deutsch sprechen und sich auch nicht so richtig integriert haben. Und die hatten zum Beispiel ein ganz großes Problem damit. Und die wollten auch keine Peruaner in der Gruppe haben. Es hat eigentlich angefangen damit, dass sie Peruaner hatten und dann irgendwie Deutsche. Und die Deutschen die waren halt irgendwie zu akzeptieren, weil wir ja hier in Deutschland sind. [...] Aber als dann irgendwie andere Latinos kamen ... das war schwierig für die. Also zum Beispiel Peruaner waren nicht zu akzeptieren und dann halt auch noch das Problem zwischen Peruanern und Bolivianern. Das sind unsere Tänze und die dürfen diese Tänze nicht tanzen, das sind unsere Tänze. Es gab da schon ganz schön Krach. [...] ich denke einfach, man sollte sich da nicht so haben. Wir haben irgendwie den selben Ursprung, die ganzen Völker haben sich gemischt und ich denke, die Tänze gehen halt auch weit in die Vergangenheit zurück. [...] und von daher find ich das irgendwie ein bisschen Pipifax, dass man sich da so drum streitet. (VANESSA, 15.03.08) In der Diaspora, die gemischt nationale Gruppen oft alleine aufgrund der mangelnden Größe der einzelnen Gemeinschaften notwendig macht, dürfte das Interesse aller Beteiligten, die Gruppe nicht auseinanderbrechen zu lassen, die nationalen Animositäten meist überwiegen. Das Problem existiert zweifellos, wird aber durch die Migrationssituation und die pan-ethnische Identifikation mit der Gemeinschaft der MigrantInnen abgeschwächt und eher in Neckereien sublimiert. 111 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 yo no diría discusiones, yo creo que no se atreven, pero sobre todo hay mas bien una punta de...como decirte; de sarcasmo, de reivindicación, entre broma y broma hay alguno que otro que si, pero también o los peruanos o los chilenos no?- Y en Puno también bailamos la morenanda-, y bueno a mi siempre se me sale o a algún compatriota, bueno hay que expresarles y así; si por eso vienen y bailan con nosotros porque la verdad no es de quién es, si no quién lo representa y quién lo simboliza de manera de alto nivel como nosotros. [...] Entonces hay ese tipo de bromas pero no discusiones existenciales sobre ese tema. (FRIDA, 13.03.08) No no hay tanto eso, siempre es difícil saber, siempre dicen no! que el caporal es peruano, pero nosotros sabemos no es peruano imposible, así responden los bolivianos pero es que a veces hacen chistes bromas todo el rato, bromas y bromas, a veces entre broma y broma dicen, a no que no se que que no se cuanto, entre broma y broma a veces se ríen más bien por esa pelea, pero para mí está claro que no es peruano sino boliviano. (ROSARIO, 15.03.08) yo hasta ahorita personalmente no he tenido algún problema que hayan venido directamente y me hayan dicho o acusando no? oye los peruanos o cosas así, si las he leído pero una sola vez creo alguien me dijo oye los peruanos lo están ocupando todo que no se cuanto que no se qué pero siempre lo he intentado llevar con honor o intentando como se dice remontarme a lo que era un poco la historia (GLORIA, 16:03:08) Wenn diese schwelenden Konflikte hervorbrechen, kann es sogar zu Handgreiflichkeiten kommen: In Wien wird auch Jahre später noch von der Schlägerei zwischen BolivianerInnen und PeruanerInnen berichtet, der durch die „Besitzfrage“ ausgelöst worden war und bei dem sogar die Polizei einschreiten musste (persönliche Mitteilung mehrerer in Wien ansässiger BolivianerInnen und PeruanerInnen). GLORIAs Erzählung deutet ebenfalls auf die Relevanz des „Tanzkonflikts“ im Ausland hin: en Hamburgo hubo un problema porque hubo un grupo peruano que bailó la diablada y que ganó el carnaval de las culturas y se levantó una polémica porque los grupos bolivianos, algunas personas bolivianas estaban diciendo que cómo los peruanos podían presentarse con un baile boliviano y ganar un concurso no? Pero habían presentado diciendo que era una danza peruana o dijeron que era una danza boliviana? La verdad es que yo no sé exactamente con que baile han dicho que se presentaron, porque yo en algún momento entré a la página web de los organizadores del carnaval de las culturas en Hamburgo, y decía: danza de Latinoamérica y después decía grupos latinoamericanos con danzas bolivianas, entonces no sé si eso estaba antes que haya el concurso o lo cambiaron después del concurso. Porque eso ya no aparece en la página web. (GLORIA, 16.03.08) Ein vor allem auf YouTube sehr präsenter Aspekt des „Tanzkonflikts“ ist die vergleichende Wertung, die mit dem von Moosmüller (2002: 19) thematisierten „BesserSein“-Müssen als emotionales Schutzschild der Diaspora zusammenhängen dürfte. Vor allem die nicht in Bolivien lebenden flaming war-AktivistInnen stellen in dieser 112 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Diskussion oft die Exzellenz und Qualität des Eigenen in den Vordergrund. – die Anderen „verschandeln“ die Tänze, man selbst wäre also einfach „besser“ als die Anderen, die sich in Wirklichkeit ihrer eigenen, minderwertigen Kultur schämen würden und es deshalb nötig hätten, das Original zu kopieren. no tienen cultura por eso mueren por bailar lo nuestro (YOUTUBE) SOBRE TODO SE NOTA QUE SE AVERGUENZAN DE SU CULTURA (YOUTUBE) jajajaj komo les arde k los peruanos bailen mejor su cultura k tanto llorikean diciendondonos rateros pork saben muy bien k nosotros lo bailamos mejor (YOUTUBE) nuentras peruanas lindas la bailan mejor que las bolivianas (YOUTUBE) fijate como bailan no tienen estilo lo hacen como si estuvieran bailando en una fiesta social no como lo hace uno de PERU... (YOUTUBE) LO ORIGINAL OSEA DE LO BOLIVIANO NO SOLO SE NOTA,,, SE SIENTE Y ESO JAMÁS NINGÚN COPIÓN PODRÁ CAMBIARLO:) (YOUTUBE) Buenisimo Gracias por Promocionar, PeruASnos... se les agradece y por fomentar nuestra cultura, en vez que la suya... (YOUTUBE) HERMANOS BOLIVIANOS GRACIAS POR DIFUNDIR LA CULTURA Y TRADICION PERUANA (WEBSEITEN) si son tan dueños de lo ajeno vayan a ver sus videos truchos que son dignos de circo es un chiste ver a muchos payasos y monas peruanas imitando algo que no es suyo (YOUTUBE) !!! Bolivia imitada pero nunca Igualada !! (YOUTUBE) La Danza de la Diablada es original del departamento de Oruro Bolivia. Caulquier parecido que usted haya visto en cualquier otro lugar es pura imitacion. (YOUTUBE) la diablada es de Bolivia y no de esos putos chilenos q nos quieren imitar con esa cagada a la q la llaman tirana o algo asi (YOUTUBE) ABAJO LA PIRATERIA PERUANA, ABAJOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOO una pirateria muy barata :) lo original es lo que cuenta. (YOUTUBE) Muy bien dicho, nunca habia visto algo tan ridiculo, colocan hasta musica romantica al inicio esto no es la danza del Lago de los cisnes ni la danza del raton peres. Son caporales de Bolivia, peruanos dejen de descestilizar nuestro baile y si lo bailan haganlo bien. (YOUTUBE) Los caporales son lo mejor que tiene Bolivia y dejen peruanos de mierda de copiarnos aunque quieran ser buenos caporales nunca lo seran porque ustedes no les llegan ni a los talones a lo caporales de Bolivia (YOUTUBE) 6.3.4 Regionalismen – Cambas und Collas Collas und cambas sind fiktive Super-Ethnien, die sich durch Name, Kultur, 113 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 (Aus)Sprache bzw. Dialekt (bezogen auf Spanisch und auf die indigenen Sprachen), Geschichte und Abstammung voneinander abgrenzen. Die Einteilung in collas (Quechua, Aymara und die übrigen indigene bzw. mestizische Bevölkerung des Altiplano) und cambas (Guaraní, kleine Ethnien des Amazonas und der Chaco-Region sowie TieflandMestizInnen) wird nicht nur als Eigen- und Fremdzuschreibung wirksam, sondern findet seinen Ausdruck auch in den regionalspezifischen Tänzen. Morenada, Diablada und Tinku (um nur die allerpopulärsten zu nennen) werden eindeutig dem Hochland zugerechnet, während sich die „Nación Camba“ mit Tänzen wie Taquirari, Chovena und Macheteros repräsentieren lässt. Die mittlerweile seit Jahren schwelenden Regionalkonflikte und Separationsbestrebungen des Tieflands werden in den YouTubeTanzvideo-Kommentaren häufig thematisiert und auch Interview-PartnerInnen berichteten von regional motivierten Konflikten in ihren Tanzgruppen. Trotz intensiver Internet-Recherchen konnte ich nur eine einzige auslandsbolivianische Tanzgruppe ausfindig machen, die sich auf Tiefland-Tänze spezialisiert hat und nur diese zeigt. Auch auf YouTube sind die Tänze des Oriente im Vergleich zu denen des Altiplano stark unterrepräsentiert, was ein weiterer Grund für die zahlreichen regionalpatriotischen Kommentare und flames sein könnte. Besonders interessant erscheint mir bei diesen Video-Kommentaren die wiederholte absichtliche Ersetzung des Buchstabens s durch j, um die im Tiefland übliche Aussprache anzudeuten: Ein gutes Beispiel für die in der Cyber-Theorie diskutierte Personalisierung des Wortes (vgl. Boyd 2006 in URL 4, Bräuchler 2005: 35, Baym 2000: 169, Kivits 2005: 40) und die phonetische Abbildung eines Ethnizitätsmarkers. vIVA SANTA CRUZ, MUERA BOLIVIA! (YOUTUBE) Fuerza cambas carajooo y q viva Santa Cruz y Oriente Petrolero lo maj grande ! (YOUTUBE) Cambaj por siempre donde ejtemoj!!!!!!!!!!!! (YOUTUBE) [...] nos hemos separado completamente. En el primer carnaval hace cinco años habían cambas y collas juntos en el carnaval que bailamos caporales, pero las cosas se han… no sé me parece que los bolivianos tienen talento como para pelearse, porque hubo mucha preparación y pelearse por detalles tontos como el puesto en el carnaval, o sea decir quién va adelante quién va atrás, tonterías así y por eso hubo una separación entre colla y camba luego lo mismo entre los collas hubo separaciones y ahora está así, está frio entre colla y camba porque los cambas en el carnaval bailan ellos a parte de y gritan independencia, me parece tan tonto, aquí en Suiza no tiene ningún sentido que sigan con esas tonterías pero bueno. (ELISABETH, 24.03.08) 114 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 el k iso esto seguro k debe ser colla!!!!, por k no puso un unos dos bailes de santa cruz de la cierra k vivan los cambas ·"""""" AUTONOMIA CARAJO"""""""* (WEBSEITEN) la danza de santa cruz no nos sirven para nada ni es cultura boliviana por que crees que no hay nada de la mierda de santa curz (WEBSEITEN) a mi parecer no nos entendemos ninguno de nosotros los cambas y los collas en espesial (YOUTUBE) son la verguenza de bolivia collas de mierda parecen poaridos por la misma mierda VIVA SANTA CRUZ LA NUEVA REPUBLICA (WEBSEITEN) Die online Befragten gingen kaum auf die erwähnten Regionalkonflikte ein, was sicher mit der großen politischen Brisanz des Themas zu tun hat. Sofern sie das Thema überhaupt berührten, bemerkten die InformantInnen meist nur, dass in ihrer Gruppe neben den dominanten Tänzen des Altiplano auch einige Tiefland-Tänze gezeigt würden bzw. dass die BolivianerInnen endlich geeint werden müssten und solche Regionalismen im Ausland überhaupt keine Berechtigung hätten. o sea un paceño o un camba con una chica camba que estamos, no hay una pelea digamos. Nos llevamos bien y la región no es tan importante (SIMÓN, 07.03.08) TENEMOS GENTE DE TODO BOLIVIA PERO NUNCA VIENE AL TEMA QUIEN ES DE DONDE. (TOMÁS, 10.04.08) No debería haber haber diferencia alguna ya que todos venimos de la misma tierra boliviana y es una vergüenza que gente que no aprecie lo suyo quieran hacer diferencias entre hermanos que somos (AURELIO, 10.05.08) Bolivia es Bolivia, somos hermanos/hermanas, no hay una valida razon que dura para competir ante nosotros mismos hijos de Bolivia. (ALEJANDRO, 05.03.08) Auch im Internet gibt es immer wieder Aufrufe oder Bekenntnisse zur bolivianischen Einheit: NO SOY CAMBA NO SOY COLLA NO SOY CHAPACO SOY "BOLIVIANO" C. (WEBSEITEN) BOLIVIANOS UNIDOS JAMAS VENCIDOS!... (WEBSEITEN) Ein weiteres, kaum thematisiertes Problem stellt die Tatsache dar, dass die meisten Gruppen nur oder fast nur Tänze aus dem Hochland, also der Region der collas zeigen. Die Bemerkung lógicamente no hay que negar que las danzas „collas“ entre comillas tienen muchísimo mas arrastre no? (FRIDA, 13.03.08) stellt aus meiner Sicht einen deutlichen Konnex zum Exotismus und der Vorstellung des Anderen (s.u.) dar: Im Gegensatz zu den Flachland-Tänzen sind die Hochland-Tänze viel 115 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 „stärker anders“, erregen weitaus mehr Aufmerksamkeit beim nicht bolivianischen Publikum und werden daher viel öfter gezeigt, eine Tatsache, die erneut Hassgefühle schürt. definitivamente estoy de acuerdo casi nunca muestran nuestras bellas tradiciones mas que la de estos collas e mierda (YOUTUBE) con gusto hubiera puesto bailes de cambas pero que pena , no hay videos de esos bailes en internet!! SUBAN PUES CAMBITAS, NO HABLEN NOMAS, ACTUEN!! (WEBSEITEN) Bei der Zusammenarbeit von Gruppenmitgliedern aus verschiedenen Regionen Boliviens dürfte Caporales wirklich die immer wieder propagierte integrative Funktion (vgl. Rossells 2003) erfüllen: Dieser Hochland-Tanz ist mittlerweile auch im Tiefland sehr populär und wird teilweise mit der subtropischen Yungas-Region assoziiert, so dass es TiefländerInnen offenbar nicht sonderlich schwer fällt, sich damit zu identifizieren: The Caporal dance is the most popular dance among the young people of different cultures, countries, continents and is the best integration vehicle to the Bolivian Folklore. (WEBSEITEN) Principalmente me identifico mas con las danzas del oriente boliviano porque soy de Santa Cruz, y siempre he bailado este tipo de musica, pero ahora que tambien estoy bailando Saya (musica de occidente del pais) tambien me he logrado identificar mucho con este baile. (INÉS, 02.05.08) 6.3.5 Abgrenzung über die Vorstellung des Anderen 6.3.5.1 Exotismus und Fremdheit Das nicht bolivianische Publikum begegnet den bolivianischen Tänzen und TänzerInnen häufig mit Vorstellungen von Exotismus und Fremdheit. Für viele nicht bolivianische TänzerInnen macht gerade dieses Anders-Sein den Reiz der Tänze und Trachten bzw. Tanzkostüme aus. en algunos lugares la gente se asombra por que jamás han visto danzas de Bolivia, les crea algo de interés o curiosidad y les parece algo exótico (NICOLÁS, 28.03.08) was mir halt auch voll gefällt ist natürlich die Musik. Das mit den Trommeln und so, das a bissi so, dieses, ja- banal ausgedrückt- dieses Urwald- Feeling (ALEXANDRA, 08.02.08) Was macht Deiner Meinung nach die Attraktivität bolivianischer Tänze für NichtBolivianerInnen aus? - Das exotische, vielleicht auch das „wilde“, das „ursprüngliche“, 116 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 die Trachten und der Suri sicuri auf dem ich immer angesprochen werde, wenn ich erzähle dass ich bei Tanzgruppe Bolivia bin.(Schöne Federn) (JAVIER, 14.04.08) ¿Por qué crees que las danzas bolivianas gustan a los no bolivianos? Porque es algo totlamente diferente. Porque tiene un ritmo contagiante. Porque muestra lo exotico de nuestra tierra. (INÉS, 02.05.08) Sie erwecken Neugier, da sie ganz anders sind, als die Tänze, die in Europa getanzt werden. (KATRIN, 08.05.08) Diese Suche nach dem Fremden führt auch immer wieder zu der paradoxen Situation, dass Veranstalter eine Gruppe ablehnen, weil „zu wenig Indigene“ mittanzen (Erfahrungen mit der eigenen Gruppe) oder dass stärker „indianisch“ aussehenden TänzerInnen (die in Bolivien als indios in manchen Gruppen nicht einmal aufgenommen würden) besonders viel Aufmerksamkeit und Bewunderung zuteil wird. Tatsächliche phänotypische Unterschiede wie Haut- und Haarfarbe verschmelzen im Ausland mit den lokalen Vorstellungen des „Indigenen“ und Exotischen, wodurch neue Stereotypisierungen und Identitäten/Ethnizitäten (z.B. der „Latinos“ oder „Sudacas“) entstehen, die mitunter als etwas durchaus Positives in die eigene Identität integriert werden können. erst durchs Tanzen hab ich mir gedacht, ja hey Bolivien ist, irgendwie gefällt mir das wirklich sehr gut und ich will unbedingt hin, ich möchte diese Tänze lernen, und das ist ein Teil von mir. Und seit dem Zeitpunkt habe ich mich dann eher nur als Bolivianerin gesehen, die in Österreich is, und auch noch vielleicht ein bisschen philippinisch is… [...] Und, ja, eben Lateinamerikanerin. Das hat mir wirklich dann geholfen zu sehen, hey cool, ich bin latino. (VERA, 11.02.08) In Anbetracht dieser Situation ist es wenig verwunderlich, dass Nicht-BolivianerInnen immer wieder besonders die (pseudo)-indigenen Tänze7 gefallen, die offenbar gut zu ihren Vorstellungen von Andersheit bzw. „den Indianern“ passen. Tinku porque lo veo, no sé….. bueno primero alegre un poco rústico así y es muy exótico para mí porque esa idea de que hay que golpearse para que la sangre caiga o así, es algo muy original algo que tal vez aquí no se entiende, no sé me gusta la idea. [...] [über die Llamerada] pero me parece que es algo dulce simple y o sea es algo que puedes ver allá en Bolivia, los llameros ahí en el campo, ehmm no sé y me parece bonito el hecho de agitar esa, como se dice la onda.. (ELISABETH, 24.03.08) 7 Ich verwenden das Wort „pseudo-indigen” nicht im Hinblick auf eine mangelnde „Authentizität” oder „Originalität”, sondern deshalb, weil es sich bei Tänzen wie Tinku und Potolos um urbane Kreationen handelt, die sich im Sinne der invented traditions als „indigen” ausgeben 117 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 I have always been passionate about...native americans and their coulture.. (SARAH, 04.03.08) [Über eine Tinku-Choreografie] Wir hatten halt so zwei Dörfer, die dann halt auch Konfrontation gesucht haben, sich dann erst mal gestritten haben. Dann hatte man erst mal so Szenen wo man dann gegenübergestellt, zwei Parteien, die gegeneinander tanzen. Auch die selben Schritte und dann leicht versetzt. Die dann halt gegeneinander angehen und dann hatte man im Mittelteil auch einen Kampf und wie sich die Männer mit einer Frau streiten und alles mögliche. Und ganz am Schluss, haben sich die beiden Dörfer, auch nach dieser Schlägerei und so weiter dann auch versöhnt. Und... ja das war´s auch eigentlich was wir rüber bringen wollten. (VANESSA, 15.03.08) Den Nicht-Bolivianern gefallen vielleicht eher die „autochtonen“ Tänze wie Sicuris oder Tinku oder so. Ich glaube, dass Nicht-BolivianerInnen oder gar EuropäerInnen mit Folklore-Tänzen aus Bolivien bestimmte Bilder im Kopf haben, die Tänze mit stark mestizischem Einfluss wie z.B. Morendada, nicht so richtig erfüllen, weil sie zu stark westlich geprägt sind. Das überrascht sicherlich einige, die das mit dem doch eigentlichen „Indianer-Sein“ nicht so richtig in Einklang bringen können. (CHRISTINE, 21.04.08) Por experiencia son danzas que no les llama la atencion los Europeos son tradicionales y les gusta ver lo que es tipico de un pais, claro que se divierten pero les atrae lo que en Bolivia aun existe las ethnias. (SEBASTIANA, 31.03.08) la música autóctona es muy reconocida en el exterior. (LORENA, 07.04.08) 6.3.5.2 Indigene und afro-bolivianische Andere Interessant ist dabei, dass gerade diese Tänze in Bolivien selbst auf der Basis der Andersheit konstruiert wurden: Sie stellen vor allem den Blick der urbanen aufstrebenden Schichten auf die indios dar, die einerseits gesellschaftlich stark diskriminiert und marginalisiert werden, andererseits aber für die Konstruktion einer mestizischen Identität herhalten müssen, in der indigene Riten und Bräuche nicht selten als Basis des bolivianischen Kulturerbes angesehen werden (vgl. Hobsbawn 1993 [1983]: 1 ff). La danza es una de las mejores formas de representar a los pueblos indigenas. (INÉS, 02.05.08) Ein besonders aktuelles Beispiel für Kreation eines „autochtonen“ Tanzes, der sich zwar aus einem rituellen Fest verschiedener indigener Gemeinden in der Kulturregion Norte Potosí entwickelt hat, letztlich die Indigenen aber aus urbaner Sicht als Andere portraitiert, ist der auch im Ausland omnipräsente Tinku. FRIDAS Erzählung erscheint mir in diesem Zusammenhang besonders interessant: 118 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 hace algunos anos atrás cuando empezamos a bailar tinku, había un senor que era representante de los indígenas ante las naciones unidas que me dijo claramente; bien que haga tanto pero no haga tinku, el tinku no es ninguna danza es un ritual prehispánico que ha sobrevivido a la colonización, entonces tiene toda la razón no?. Pero cuando hay una necesidad también de de ingresar eso en medio urbano, porque eso es lo que ha pasado, una comunidad ha entrado en el medio urbano y se ha escenificado mediante una danza, entonces si el resto de los bolivianos se apropia de esa escenificación, de ese rito en qué medida no tenemos derecho o sí es otro debate no es cierto, entonces si hay gente muy purista, que dicen; si pero eso no es una danza no deberían bailar es faltarle al respeto a la Pachamama (FRIDA, 13.03.08) Die Präsentation „echter“ ruraler Tänze wie Kantus, Mocolulu, Choquela, Quena Quena ist für bolivianische Tanzgruppen außerhalb Boliviens im Normalfall undenkbar und selbst Tänze wie Mohoseñada und Waca Waca, die in Bolivien doch schon eine gewisse urbane Präsenz erlangt haben, werden wohl nur ganz selten im Ausland gezeigt. Denn: Um im Sinne von Hannerz´ (1996: 78) Kreolisierung in den Zentren Erfolg zu haben sind diese Tänz noch „zu anders“. Insofern wundert mich der Vorschlag von SIMÓN nicht, der meinte, man müsse diese Tänze wohl für das Publikum adaptieren, um sie attraktiver zu machen, was er selbst als „Kommerzialisieren“ bezeichnete. incluso me parece que es importante darle cierta comercialidad tal vez se podría decir para.. para hacerlo un poco más.. más vendible tal vez al público, porque decía muchos bailes que son un poco apagados, la misma vestimienta tal vez y por esa causa van desapareciendo. Los grupos no quieren bailar porque no es atractivo, tal vez entonces.. [...] así discutiendo con mi esposa no que a mi me parece un baile muy, muy lindo, que la música misma a mi me alegra ¿no?.. tal vez el estilo es distinto.. y mi esposa me dice: ‘es aburrido’ y.. sí, claro, viendolo como se dice objectivamente desde un punto no sé de afuera digamos es así ¿no?.. (SIMÓN, 07.03.08) Die Tänze, die als „Brückenköpfe“ zwischen dem Eigenen und dem „komplett“ Anderen fungieren, haben den größten Erfolg; allen voran Caporales, gefolgt von Tinku, Morenada und weiteren städtischen Modetänzen. Im Fall der auslandsbolivianischen Tanzgruppen kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu, den ich in meiner eigenen Tanzgruppe erkennen musste: Es gibt zwar durchaus nicht-bolivianische Tänzerinnen, die sich mit der „schrägen“ Musik von Kantus, Mohoseñada und JulaJula anfreunden können und auch gerne so dazu tanzen würden, wie das Frauen auf indigenen Festen tun, doch ist es um ein Vielfaches schwerer, die „einfachen“ und meist kleinen Bewegungen der ruralen indígenas nachzuahmen als das Bewegungsrepertoire einer städtischen „mestiza blancoide“ für den Caporales-Tanz zu imitieren. Eine weitere Hürde stellt die für europäische 119 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Ohren meist extrem schwer „entzifferbare“ música autóctona dar, die sich sehr von den regelmäßigen, stark europäisierten und daher auch für Nicht-BolivianerInnen leicht zu hörenden Einspielungen populärer urbaner Musikgruppen unterscheidet. In der tänzerischen Konstruktion des Anderen nimmt die Saya afro-boliviana eine Sonderstellung ein. Sie wird zwar von nur relativ wenigen Gruppen außerhalb Boliviens getanzt, erfreut sich aber (ebenso wie in Bolivien selbst) wachsender Beliebtheit. Zwar wird die Saya seit ihrer Neuschöpfung im Jahr 1982 (vgl. Templeman 1995: 89 ff) vor allem mit den dadurch entstandenen afro-bolivianischen Gruppen und der resultierende erstarkende Identität der afro-bolivianischen Bevölkerungsminderheit in Verbindung gebracht; doch gibt es sowohl in als auch außerhalb von Bolivien nicht „schwarze“ TänzerInnen, die diesen Tanz aufführen und damit ihre Vorstellungen von „den“ AfroBolivianerInnen und ihrer Tanztradition in Szene setzen. Vor allem US-amerikanische InformantInnen sind sich der Problematik rassistischer Darstellungen bewusst und entsprechend vorsichtig, wenn es um die Hintergründe zur Entstehung mancher bolivianischer Tänze geht. Besonders interessant erschien mir in diesem Zusammenhang die YouTube-Diskussion, in der eine australische Tanzgruppe für ihren Auftritt mit geschwärzten Gesichtern als rassistisch kritisiert wurde: En Bolivia el racismo esta engranado en casi toda sociedad. Los bolivianos mantenemos tradiciones racistas y nos parece "normal:. Entra a google y busca la palabra "blackface", esto te dara un explication de que el pintarse la cara no es de ninguna manera "tener respeto" a la raza negra. [...] las caras pintadas es la forma de mostrar q los morenos dieron vida en un princi`pio el "origen " a este baile y para recordarlos de esta forma pero en ningun caso RACISMO... par nada!!!! [...] sinceramente la mayoría de los bolivianos si son racistas, e visto yo que vivía allá, primero con los indios y claro que con los negros. Yo si se de experiencia porque mí novio es de África. El pintarse la cara de negro es un insulto a la raza negra. Yo nunca e escuchado a un negro decir que eso es aceptable, a ver pregúntenles a ellos? después decidan si es racismo o no. [...] yo nunca lo havia tomado como manifestacion de racismo peri claro una cosa es lo q nosoros lo veamos de una menera pero ellos son los protagonistas ahunq es dificil cambiar las tradiciones ES UN HOMENAJE Y RECORDATORIO por q sino se perderia y no se sabria su verdadero origen !! (YOUTUBE) 6.3.5.3 Unterschiede bei den TänzerInnen Was das Tanzen selbst anbelangt, so kommt es sowohl bei bolivianischen als auch bei nicht bolivianischen TänzerInnen vielfach zu Generalisierungen und einem klaren 120 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Abgrenzen vom Wir zu den Anderen: BolivianerInnen haben den Rhythmus und das Tanzen „im Blut“, Nicht-BolivianerInnen sind bemüht, aber hölzern und werden doch „nie“ so wie ihre KollegInnen aus Bolivien tanzen. Manche InformantInnen verorten die Unterschiede allerdings vor allem auf der Ebene der Bedeutung für die eigene Identität, wieder andere sehen überhaupt keine Unterschiede zwischen bolivianischen und nicht bolivianischen TänzerInnen. Bolivianische TänzerInnen sind mit den Tänzen aufgewachsen, sie gehören zu ihrer Kultur und sind Teil ihrer Traditionen. Die Tänze sind somit Teil ihrer Identität. Sie haben die Tänze wahrscheinlich schon von klein an gelernt und haben somit ein besseres Gefühl für den Rhythmus der Musik. Sie haben es sozusagen „im Blut„. NichtBolivianerInnen lernen die Tänze aus Interesse, vielleicht weil sie selbst schon in Bolivien waren oder weil sie neugierig sind, etwas Neues kennen zu lernen. Die Musik und die Bewegungen sind ganz neu. Ich denke, dass Nicht-BolivianerInnen die Tänze nicht so „leben„ wie BolivianerInnen, da sie nicht damit aufgewachsen sind. (KATRIN, 08.05.08) hay gente que no es boliviana que talvez baila mas lindo que los propios bolivanos (FEDERICO ARDAIZ, 06.05.08) ellos aprenden para saber cmo es, mientras que nosotros bailamos porque nos recuerda a Bolivia, es mas un sentimiento con el que uno nace. (MANUEL, 05.05.08) Nicht bolivianische TänzerInnen sehen die ganzen Tänze ojektiver als bolivianische. Nicht bolivianerIennen lernen diese Tänze, weil sie was neues kennenlernen wollen. BolivianerInnen tanzen eher aus nostalgie, etwas Heimweh und um neue Verbindungen zu knüpfen. Für mich gibt es keinen besonderen Unterschied zwischen bolivianischen und peruanischen TänzerInnen (JAVIER, 14.04.08) "LA PRACTICA HACE AL MAESTRO SEA O NO SEA BOLIVIANO" (EDUARDO, 18.04.08) Wie FRIDA treffender Weise bemerkt, wird aber nicht nur zwischen BolivianerInnen und Fremden, sondern auch zwischen den BolivianerInnen verschiedener Regionen Alterität über wahrgenommene Differenzen in den Bewegungsabläufen konstruiert: es la tradición que uno tiene de ciertas personas, una cochabambina no baila como una pacena o no baila como una crucena pero también esa es la mirada que uno tiene no? pero no siempre es objetiva por supuesto. [...] yo creo que no sería un impedimento o no sería como decirte; un defecto no bailar exactamente como baila la persona que viene de tal lugar, o como yo, o como la idea que yo me hago de las personas que bailan porque siempre tenemos una concepción de cómo bailar, las imágenes que nos hacemos de los otros (FRIDA, 13.03.08) Auf Nachfrage werden sowohl von BolivianerInnen als auch von Nicht-BolivianerInnen immer wieder (kulturelle) Differenzen genannt, die eine über das Tanzen hinausgehen. Diese Imaginationen entstehen durch das Tanzen, den persönlichen Kontakt mit 121 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 BürgerInnen des Aufnahmelandes, durch Reisen, Erzählungen, mediale Vermittlung oder das Zusammentreffen mit Verwandten. en cuestion de trato el boliviano es jovial, paciente, alegre, pero tambien burocratico y egoista. (LAURA ANGELICA, 02.05.08) Creo que existen muchas diferencias, depende desde dónde lo mires, los bolivianos somos más dejados, más relajados, alegres, amantes de nuestras costumbres, comidas, danzas, con la cultura bien arraigada en la manera de hablar, comportarse, etc. Los demás si bien aprecian mucho su cultura no la expresan de una manera tan seguida y sentida como los bolivianos. (MARCELA, 24.04.08) [about his relatives] There are huge cultural differences. In my perspective, it is because Bolivia does not like change. Whether it is ethically or morally, and people refuse to learn, therefore result in taking naive or ignorant decisions. But in Bolivia its okay because everyone is like this. In the US it is different because of the clash of cultures. One can accept new ideas and ways of doing things or stay behind doing things the old way. I always told my mom "without change we cannot have progression". And while my mom has made an effort to change, it is impossible for my grandparents to change. I think in many families the parents still cannot make that change. They want the US to be like Bolivia but with better wages, but they forget that the US has established itself as a world dominance for about 500 years making many changes. I think though we can make changes and not forget where we came from. Folkloric dancing in VA, NY, and NJ has showed at least in the east coast that we have not forgotten and the our ancestors will live for many years to come. (GEORGE, 02.04.08) [...] ich stückle mir halt das Bild so zusammen, von den Erzählungen was ihr so weitergebt an uns und überhaupt und aus den Bildern und Videos [...] ich glaub es ist schon irgendwo ein bissi ein recht idealisiertes Bild. [...] Farbenfroh, fröhlich [...] auch ein total kulturell vielfältiges Bild, mit Indinianerkulturen und so weiter. Und für mich ist halt, weil mich das halt schon sehr interessiert, das ist halt das mit den Textilien und so. (ALEXANDRA, 08.02.08) ..., weil sie viel lockerer sind als wir, obwohl sie arm sind. (STEFANIE, 24.03.08) nunca tuvimos problemas [con los chilenos],(es mas tiempo atras teniamos integrantes de chile y cuando fuimos a bailar y tambien estaban los chilenos bailando diablada,ellos se pusieron de nuestra parte y defendieron que el baile es de bolivia,y bueno eso demuestra como las personas especialmente fuera de nuestros paises tienen otra mentalidad). (FEDERICO, 06.05.08) manche Tänze (zB. Llamerada) zeigen die Lebensweise und Lebensfreude BolivianerInnen, besonders gut. Das beeindruckt. (HANNAH, 05.04.08) der Der Andere wird dabei oft nach Baumanns „Grammatik des Orientalismus“ (vgl. 2004: 19 ff) konstruiert: Gerne wird den BolivianerInnen die Fröhlichkeit und Lockerheit attestiert, die man offenbar in der eigenen Kultur vermisst. Umgekehrt kritisieren sich die BolivianerInnen unter Bezugnahme auf die Anderen häufig selbst. Für manche Nicht-BolivianerInnen kann der Tanz dem Anschein nach ein Bedürfnis stillen, das durch die „eigenen“ Tänze nicht abgedeckt werden kann: SARAH fühlt sich zwar als 122 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Finnin und beherrscht die finnischen Standard-Volkstänze, überlässt diese aber lieber ihrer Tante und führt stattdessen eine Caporales- und Tobas-Gruppe an, denn in finland and sweden the folklore dances arent so....intresting... and people here apreciates the dances and the hole carnival thing so mych here...they have never seen anything like this before the latin americans came here i think...because there hasnt been carnivals before that.... Für KATHARINA bedeutet das bolivianisch Tanzen anerkennung, idendifikation und wertschätzung anderer kulturen wirft aber gleichzeitig die Frage auf warum jene kultur ansprechender ist, ich kann zum beispiel nich schuachblattln, auch keinen zilertaler tanzen und tracht hab ich auch keine (KATHARINA, 24.03.08) ALEXANDRA hat zwar eine Tracht, aber auch sie wirkt nicht gerade enthusiastisch, wenn sie von den Tänzen ihrer Heimat spricht: ich hab [...] vorher gentanzt in der Schule, ein bisschen… irgendwelche, was weiß ich, „Bordersche“ oder so, was man halt so macht – Volkstänze (ALEXANDRA, 08.02.08) Tanz-Aufführungen können jedoch nicht nur dazu dienen, Imaginationen und Stereotype zu kreieren, sie können diese auch aufbrechen oder dazu eingesetzt werden, ein schlechtes Image zu korrigieren. für das deutsche Publikum stellen bolivianische Tänze immer noch eine Überraschung dar, die das Bild „der typischen Salsa-Latinos“ aufbrechen können (ISABELLA, 04.05.08) para mi el bailar y demostrar la cultura de bolivia es lo mas lindo,ya que puedo ensenar a los nuevos integrantes lo que es bolivia en el sentido de baile y al mismo tiempo poder mostrar a los canadienses que bolivia es mucho mas que droga(que hasta 12 anos atras solo conocian por eso a bolivia)pero con esfuerzo y mucho amor por bolivia pudimos demostrar que bolivia es mucho mas (FEDERICO, 06.05.08) aquí la gente quizás son un poco no racistas pero ven a los extranjeros de forma un poco negativa a veces y me gusta mostrar que se puede construir cosas, de que si puede haber cierta solidaridad entre la gente , que los bolivianos que están aquí y nosotros también podemos así compartir con ellos cosas, entonces yo estando en el grupo muestro que los bolivianos aceptan que gente de aquí entre a su comunidad y que sería bien que sea en los dos sentidos, eso es lo que quiero transmitir (ELISABETH, 24.03.08) Das Tanzen ist jedenfalls für viele nicht bolivianische TänzerInnen ein Anstoß, sich mit dem bolivianischen Anderen zu beschäftigen und erste Vorstellungen über das Land zu 123 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 entwickeln. Mein Bezug hat sich auf jeden Fall geändert durch den Tanz, auch wenn ich noch nicht dort gewesen bin. Bolivien hat in meiner Vorstellung erst durch das Tanzen einen Charakterzug erhalten, den es von anderen südamerikanischen Ländern unterscheidet. Ich finde es äußerst spannend ein Land weder aus der politischen (informativen) noch aus der touristischen Sicht kennen zu lernen (im Sinne von sich damit befassen). Mein Bild von Bolivien ist eine Mischung aus den Fotos, Filmen, Kleider und Karten… die ich von, und den Menschen die ich aus Bolivien kenne. (SABINE, 30.04.08) Ich hatte zuvor überhaupt keinen Bezug zu Bolivien oder überhaupt zu Lateinamerika, das Tanzen ist also eine schöne Art, einen kleinen Eindruck von Bolivien zu bekommen. Außerdem habe ich erstmals Kontakt zu Menschen aus Bolivien und Peru. Auch dadurch, dass fast alle Mitglieder der Tanzgruppe einige Zeit in einem dieser Länder verbrachten, kann ich viel von ihnen erfahren. [...] Die Tanzgruppe hat mich also dazu gebracht, mich erstmals mit Bolivien auseinanderzusetzen und überhaupt erst ein vages Bild von diesem Land in meinem Kopf entstehen zu lassen. (HERTA, 25.04.08) 6.3.5.4 Auf YouTube Peruanische und chilenische Andere (aber auch im bolivianischen Alltagsdiskurs, der hier nicht Untersuchungsgegenstand ist) wird ein meist sehr negatives Bild der PeruanerInnen und ChilenInnen entworfen, worauf dann vor allem die peruanischen PosterInnen häufig im gleichen Ton antworten. PERUANOS!!!! DEJEN ROBAR!!!,. Y ustedes Chilenos.... se que estan acostumbrados a quitar cosas a los demas,.... pero un poco mas de conciencia!!!!. (YOUTUBE) piruanos chilenos LADRONES HIJOS E PUta (YOUTUBE) jajajajajaj los peruanos son los más delincuentes del mundo no en vano para salir al exterior se hacen pasar por cualquier nacionalidad menos por peruanos porque como a peruanos no les dan trabajo ni para limpiaculos VIVA PERU LA PEOR MIERDA DE SUDAMERICA. (YOUTUBE) Y los Boliches?, son la gran cagada ¿no? porque sino miren las noticias, no se ponen de acuerdo si quieren o no asamblea constituyente y estan que se matan entre ellos... bueno mientras menos mierdas mejor (YOUTUBE) lo que es más paradójico es que los "vecinos" dicen tener industrias, mar, que son mejores que Bolivia, pero que pena que carezcan de lo más importante DIGNIDAD Y HONESTIDAD (YOUTUBE) AUNQUE SEAS CHILENO ROBA CULTURA LOS BOLIVIANOS NO SOMOS COMO TU SONSO INMADURO (YOUTUBE) ustedes son una tropa de rateros cholos de mierda, MUJERES BONITAS? SON LA PEOR BASURA DE SUDAMERICA, A POCO NO SABIAS QUE LOS PERUANOS SON LOS MAS ODIADOS POR SER LADRONES E HEDIONDOS VAYNSE A LA MIERDO PUTOS PERRANOOS RATEROS ASQUEROSOS LADRONES!! (YOUTUBE) 124 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 qué no diera para bloquearles a ustedes ladrones piratas desgraciados peruanos así no entran más delincuentes del peru a mi BOLIVIA puro ladrones y mujeres que por un boliviano venden lo unico que pueden vender su trasero una verguenza al ganarse en la ceja del Alto nada raro que esté una de tus primas peruano infelíz. (YOUTUBE) Quien va querer bloquear el peru hasta a los compesinos bloqueadores, seguro los dejan sin nada como son ladrones, sicarios, cogoteros , descuidistas,pobres bloqueadores. (YOUTUBE) En el peru nacen feos pq es todos contra todos como la cancion de senhorita laura, jajajaja pobres peruasnos pienzan que todos son de su condicion,que sigan sonhando que son un pais en progresa.Solo progrezaron en indices de sida, que asco ser peruasno cara de piedra. (YOUTUBE) Hey peruasno pq no vas a comer tu rata al horno y tu paloma a la brasa. Que gran gastronomia peruana. Tu pais no tiene ni mierda ni con mar, son tercer mundistas tambien asi que baja de tu nube, por algo estan mitad de peruanas regados por el mundo. Es que a estos apestosos en ves deparirlos los cagan. (YOUTUBE) Als Grund für die exzessiven Beflegelungen werden einerseits die stereotypisierten Eigenschaften der Anderen vorgeschoben, andererseits stellt man die Hasstiraden gern als bloße Reaktion auf die Angriffe der Anderen dar (vgl. Bräuchler 2005: 260 f). mira quienes empezaron así que si quieren guerra por nuestra cultura y danzas guerra tendrán querido. (YOUTUBE) si me paso de la raya es porque algunos peruanos si no la mayoría se entran a los privados a insultar y si yo digo cosas acá también lo hago a sus privados pero es porque ellos así lo quisieron pero tienes razón o sea tampoco soy tan cerrada para no comprender lo que me dices tienes toda la razón no todos tienen la culpa y sorry por mi ignorancia es que es el amor a mi tierra BOLIVIA (YOUTUBE) 125 Eveline Sigl 6.4 Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Bolivianischer Umzugstanz und kulturelle Identität 6.4.1 Tanz als Teil der bolivianischen Kultur Abb. 6: Tanz und Kultur; eigene Darstellung mittels atlas.ti Es steht völlig außer Zweifel, dass der urbane Umzugstanz der Hochebene stark mit der bolivianischen Kultur assoziiert wird. Die Begriffe Tanz, Kultur und Folklore werden sowohl auf YouTube als auch in den SNS und online Befragungen regelmäßig als Synonyme gebraucht, was eine Abgrenzung schwierig macht. Die InformantInnen waren jedenfalls generell sehr von der Wichtigkeit der „bolivianischen Kultur“ überzeugt una de las cosas que más bolivianos nos hace, nuestra cultura (Facebook) nuestros bailes, parte importantísima de nuestra cultura y folclore (Facebook) und geizten auch nicht mit Lob: la magia y belleza de nuestra cultura (Webseiten) 126 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Der Tanz wird zwar oft mit der bolivianischen Kultur gleichgesetzt, jedoch ebenso oft als Mittel zu deren Repräsentation betrachtet. mostrar la cultura de Bolivia a través de la danza (Webseiten) en el ballet hacemos de todo no hay una danza específica tratamos de abarcar todo lo que es nuestra cultura de este a oeste y de norte a sur sin distinción (Webseiten) Ein wichtiges Merkmal der „bolivianischen Kultur“ ist die Vielfalt, wobei sich diese sowohl auf die 36 als solche anerkannten Ethnien des Landes, als auch auf die regional sehr unterschiedlichen Tänze, Trachten, Speisen und musikalischen Ausdrucksformen beziehen kann. Die Präsentation dieser Vielfalt ist ein häufig auf TanzgruppenHomepages vorzufindendes Ziel. Yo diría que la esencia es la diversidad, no solo el territorio es diverso, desde montañas, hasta trópico, si no también su habitantes, muchas culturas, muchas lenguas, muchos colores, muchas danzas, muchas tradiciones. (GISELLE, 05.04.08) No sé, creo que no existe tanto así como una esencia de la cultura boliviana, más bien está la riqueza en cuanto a diversidad y autenticidad de nuestra cultura, es “sincera” si es que se la puede llamar así, fiel a sus regiones, a sus ritos, a sus tradiciones, a sus creencias, más allá de la manera, el lugar o la persona por la que sea representada. (MARCELA, 24.04.08) Wie aus den Aussagen von ADRIANA und ALEJANDRO zu erkennen ist, können die Tänze selbst auch ein Symbol von Exzellenz und kulturellen Überlegenheit darstellen. caporales...nose, porke es alegre....tiene mucho ritmo...tambien no kien sea puede bailar...y hay muchos pasos etc etc no es lo mismo ke las demas danzas ejemplo merengue..aburre (ADRIANA, 04.03.08) significa mas que solo una danza esto es la differencia de otras danzas como merengue waltz etc (ALEJANDRO, 25.03.08) 127 Eveline Sigl 6.4.2 Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Tanz als Teil eines ewigen Kreislaufs Abb. 7: Tanz und Tradition; eigene Darstellung mittels atlas.ti Generell wird die „bolivianische Kultur“ stark mit der Vergangenheit und den Bräuchen und Traditionen der (indigenen) Vorfahren assoziiert. Auch in der bolivianischen Diaspora ist Kultur im Sinne von Nash (1996 [1989]: 27 f) und Fishman (1996 [1980]: 63 ff) das „Ewige“, das sich von den Vergangenheit bis in die Gegenwart und Zukunft fortsetzt. Der Diskurs über den Tanz und die damit assoziierten Konzepte liefern einige sehr schöne Beispiele: Der Tanz als das, was einen mit der bolivianischen Gemeinschaft und ihren weit zurückreichenden „Wurzeln“ verbindet, als das, was einem die eigene Herkunft ständig vor Augen hält und als etwas, das unbedingt bewahrt und an die folgenden Generationen weitergegeben werden muss. Las danzas folklóricas nos conectan con nuestras raíces y son un constante recordatorio de donde venimos, como estamos evolucionando y a donde vamos como seres humanos 128 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 con una conección a algo nato. (RUTH, 16.04.08) [sobre la importancia de mostrar danzas bolivianas en el extranjero] En primer lugar para que las personas no olviden sus raizes su cultura su musica y promover nuestra cultura en nuestros hijos es una tarea personal que todos devemos afrontar y no olvidar de donde somos, adonde vamos y por que estamos aqui .(HUGO, 25.04.08) [sobre la esencia de la cultura boliviana] La concervacion de la misma de generacion en generacion y la preservación de la misma la cual lo hemos hecho por siglos en Bolivia, lo cual hay que hacer en el extranjero con los niños y jóvenes que no nacieron en Bolivia (AURELIO, 10.05.08) Alter verursacht dabei Legitimität und Autorität (vgl. Nash 1996 [1989]: 27 f), wie auch auf YouTube immer wieder betont wird: "La diablada se originó en el antiquísimo Oruro colonial" (YOUTUBE, Hervorhebung d. A.) la virgen de la candelaria tiene mas antiguedad en peu (YOUTUBE, Hervorhebung d. A.) Danza de un pueblo milenario (YOUTUBE, Hervorhebung d. A.) Aunque hayan otros grupos bolivianos este es el más representativo del país, porque lleva mayor cantidad de presentaciones hechas y ser el más antiguo aquí en Cataluña. (WEBSEITEN) Vor diesem Hintergrund sind die zahlreichen Bestrebungen zu verstehen, die bolivianischen Tänze an die BolivianerInnen zweiter und dritter Generation weiterzugeben. Dass es dabei zu Veränderungen kommt, ist klar. Hier sehe ich ebenfalls eine Parallele zu Nashs Indentitätskonzept (1996 [1989]: 27 f): Durch den bolivianischen Tanz als Ausdruck von Kultur wird man Teil einer Diaspora-Gemeinschaft, die einem Identität und Halt gibt, deren Fortbestand aber gleichzeitig wieder von den Anstrengungen ihrer Mitglieder abhängt. Beim Tanz fällt die Identifikation leicht und viele verspüren einen „Auftrag“ oder eine „Verpflichtung“, durch das Weitergeben ihres Wissens bzw. das Gründen von Gruppen etwas zum Erhalt dieser Gemeinschaft beizutragen. Bolivia tiene una amplia gama de cultura, historia milenaria, paisajes y regiones geográficas que debemos enseñar no sólo a la gente extranjera que vive al lado de nosotros, sino también tener un legado para la generación que nos sigue y que aunque tengan el 100% de sangre boliviana, no están concientes de nuestros ancestros. (WEBSEITEN) una gran preocupación eran las segundas y terceras generaciones de bolivianos que vivían acá, y los ninos que no tenían un contacto directo, no mucho sentimiento boliviano, entonces era sobre todo para eso [...] para mi lo importante es el sentimiento de pertenencia que la gente tiene a una cultura, la relación que tiene, entonces de repente 129 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 voy a hacer ser mucho menos al detalle, que tiene que ser perfecto, que el traje tiene que ser siempre así y no puede ser de otra forma [...] para mi es un paso ganado porque es una forma de entrar en el escenario reivindicando la identidad (FRIDA, 13.03.08) Obwohl in Wirklichkeit niemand anzweifelt, dass sich die bolivianische Kultur und mit ihr die populären Folkloretänze ständig im Fluss befinden, ist sowohl auf Homepages als auch in den Aussagen von InformantInnen sehr oft die Rede von „Originalität“, „Ursprünglichkeit“ und „Authentizität“, die allesamt mit dem Erhalt dessen, was früher war, in Verbindung gebracht werden. ¿qué significa para tí bailar danzas folklóricas? - Es una expresion del pasado (RENEE, 28.04.08) Veränderungen werden oft ambivalent gesehen – einerseits geht es vielen Gruppen sehr stark um ein möglichst gutes „Konservieren“ der Tänze und ein Verhindern von „Modernisierungen“, andererseits sehen viele TänzerInnen den Grund für die Attraktivität der Tänze (besonders Caporales) gerade auch darin, dass sie Kreativität und Innovationen ermöglichen und sich den neuen Kontexten von Migration und Postmoderne anpassen lassen (vgl. dazu die Diskussionen um Erhalten und Bewahren versus Neu-Interpretation und (Neu)-Konstruktion in Fishman 1996 [1980]: 63 ff, Eriksen 2002 [1993]: 72 f, 152 f, Baumann 1999: 95). In einem Punkt sind sich jedoch alle einig: Es ist wichtig, die „Essenz“ der Tänze nicht zu verlieren. we try to keep it tradicional....but it is also fun to creat new steps (SARAH, 04.03.08) Yo creo que siempre existe innovación, no existe nada estático, todo se va transformando, igualmente en el caso de las danzas se han ido estilizando, la pena es cuando pierden totalmente su esencia y su verdadero significado. (GISELLE, 05.04.08) Según pasa el tiempo los bailes bolivianos en general se van estilizando manteniendo el sentido y origen pero poco a poco se van perdiendo algunas cosas y es algo que en lo personal no me parece muy bueno, si nos ponemos a ver como hace muchos anhos eran estos bailes creo q existe una gran diferencia hasta estos tiempos. [...] mientras todas las innovaciones mantengan el significado y origen de la danza pues bienvenido, pero en lo personal lo mas tradicional siempre será más valorado [...] personalmente pero esos pasos con el tiempo fueron copiados y estilizados cuando haz visto que un tinku baile mandando besos (NATALIE, 06.04.08) Lo autentico es un termino que dictamina algo nato, insustituible y verdadero. Sin embargo en lo que se refiere a las danzas, la evolución de las mismas hace que auténtico aplique a una danza tan tradicional como la de los Incas y que también describa la danza de los caporales....diferentes pero igualmente auténticas. (RUTH, 16.04.08) FEDERICO, ALEJANDRO und FRIDA argumentieren eher im Sinne Sahlins (1993: 130 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 475 f, 489) und Moosmüllers (2002: 16 f), wenn sie von einer zeitgemäßen Anpassung an die diasporische Situation und die Inkorporation fremder Elemente sprechen: Siempre es bueno tratar de mejorar y demostrar mucho mas las danzas y los jovenes ven deotra manera y tratan de mejorao mejor dicho de adecuar las danzas a los tiempos de ahora. (FEDERICO, 06.05.08) QUE CREES! aparte de caporales jajaj ya que se Kung fu me dio la gran idea. WOOOOoo capoeira mixto kung fu. Jaja devias ver locito. La musica de capoeira habia tenido ritmos casi caporales "maculele mara a paranaue" con eso que mix sacaremos JAJA estamos volando mas alto los Centras USA. QUe attributo kung fu y capoeira. Estilo capo radical wink. (ALEJANDRO, 05.03.08) las danzas, los cambios, las coreografías, lo que jamás se hacía antes ahora se hace, yo que he bailado hasta el 93 en el carnaval de Oruro me digo; ah eso no pero nunca jamás pero yo misma me vuelvo a cuestionar y digo pero bueno al final eso era antes y ahora es otro tiempo y el carnaval es vivo, justamente es vivo porque es capaz de reproducirse en otros espacios geográficos, como en Europa, en Estados Unidos, en donde vayan los bolivianos, tiene la capacidad de reproducirse porque es vivo , entonces es impresionante ver la creatividad de los pasos, la creatividad de la introduccíon de elementos que no tienen nada que ver ya de repente con lo que era al principio. (FRIDA, 13.03.08) während GLORIA und GEORGE solche Änderungen kritisch sehen: las danzas, la música, los textos, la ropa, todo, no viven extranos a las transformaciones de la sociedad no? Cómo se transformen es ya otra cosa y el caporal es una transformación deliberadamente así como también de acuerdo a la morenada, los figuras de la morenada ya no son figuras, son cualquier otra cosa menos figuras, desde mi punto de vista no? porque desde el último video que yo vi, ya los sombreros eran pues como de los cowboy de Estados Unidos, en vez de llevar estos guantes hasta la altura del brazos, ahora tienen (unverständlich) me parece, yo sé que es para ganar más público o presentarse con cositas nuevas pero yo me doy cuenta que están transformando de manera negativa lo que entre comillas es el patrimonio cultural de Oruro, porque eran (unverständlich) indígenas por lo general de lo que se baila pero ya se está intentado poner en algunos bailes esta imagen (GLORIA, 16.03.08) Referring to the bolivian dances: what is "authentic"? - I touched on it a little, its not reinventing the wheel. For example in one parade I saw one group dance caporales to a mix of caporales music with reggaeton. While musically, it was a genious idea, it was no longer authentic, and I hope the leaders of all Bolivian groups know the difference on this matter. [...] I think without it, the dance can no longer be called folklore.(GEORGE, 02.04.08) NICOLÁS schließt sich nicht nur der Kritik an, sondern spricht auch das von Barth (1970 [1969]: 18), Eriksen (2002: 19 f) und Harrison (1999 in Eriksen 2002: 67) thematisierte Streben nach Aufrechterhaltung von Differenz an, das vor allem für Tanzgruppen in Bolivien, aber auch außerhalb von Bolivien wichtig ist. [sobre las innovaciones] Lamentablemente es una consecuencia lógica en algunas danzas que han logrado una difusión masiva, ya que cada grupo, conjunto o fraternidad trata 131 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 de diferenciarse de otros y recurren a diversos recursos como por ejemplo: vestuarios, pasos de baile, coreografías o músicas diferentes a las acostumbradas. Creo que se deberían tratar de conservar en la forma más aproximada a la original sin tener que desvirtuarlas totalmente. (NICOLÁS, 28.03.08) Aus dem Anders-Sein wird schnell ein Besser-Sein-(Wollen), wobei die solcherart geschürte Rivalität in Spanien besonders groß sein dürfte: Aunque hayan otros grupos bolivianos este es el más representativo del país, porque lleva mayor cantidad de presentaciones hechas y ser el más antiguo aquí en Cataluña. (WEBSEITEN) los bolivianos tendemos a crear y hacer rivalidad - competencia en lo concierne a actividades, a veces sin pensar el daño que nos hacemos (creo que eso tú ya lo sabes), somos incapaces de pensar en la unidad, sino que prima el protagonismo personal. (MARTHA, 31.03.08) Abgesehen davon, dass viele Trends und Modeerscheinungen über (YouTube)-Videos und Bolivien-Aufenthalte in die Tanzpraktiken der „Diaspora-Tanzgruppen“ einfließen, sind im Ausland auch gänzlich neue Entwicklungen möglich. creo que en el exterior las danzas se hacen entwickeln diferente a en Bolivia misma y en el extranjero el rol de las mujeres es más fuerte (ROXANA, 27.04.08) Das liegt zum Teil daran, dass viele (wenn nicht sogar der Großteil) der TänzerInnen derartiger Gruppen erst im Ausland mit dem Tanzen beginnen und auch kein direkter Kontakt zu bolivianischen Tanzgruppen und -LehrerInnen gesucht wird. – Mit der Ausnahme zweier Tänzerinnen meiner eigenen Gruppe ist keine einzige der 52 befragten TänzerInnen mit einer bolivianischen Gruppe oder Fraternidad in Verbindung oder hat während eines Bolivien-Aufenthalts „Unterricht“ im engeren Sinne genommen. Einige haben während ihres Urlaubes bei Prozessionsumzügen mitgemacht und dort Tanzschritte und Kurzchoreografien erlernt, die vor allem dann leicht „mitgenommen“ und weitergegeben werden können, wenn sich die auslandsbolivianische Gruppe auf einen oder zwei Tänze spezialisiert hat, was besonders in den USA öfter der Fall zu sein scheint. Gruppen, die ein größeres Repertoire haben, müssen daher viel „erfinden“, was immer wieder dazu führt, dass komplette Choreografien von Videos abgekupfert werden. 6.4.3 Bezüge zu den Indigenen Das Stichwort Authentizität schlägt häufig eine Brücke zu dem, was unter indigenen 132 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Traditionen und „indigener Kultur“ verstanden und sowohl als Ursprung der populären Volkstänze als auch der eigenen kulturellen Identität angesehen wird. Lo autentico lo ves en las danzas indigenas en los pueblos eso es lo realmente puro lo autentico como la fiesta del encuentro tinku o el phujllay etc. (HUGO, 25.04.08) LO AUTENTICO REPRESENTA LA PUREZA COMO EL PUJLLAY QUE CASI NO SE VE LA ESTILIZACION O MODERNIZACION-CAMBIO ATRAVES DEL TIEMPO (EDUARDO, 18.04.08) Creo que todos debemos conoces mas nuestras raices y ver lo hermosa que es la cultura indigena e identificarnos como tal porque eso es Bolivia y aceptarnos todos como hermanos y darle el verdadero valor agragado a nuestras raices (SEBASTIANA, 31.03.08) Creo que la base de la creación de casi todas las danzas está en la tradición y costumbres de los pueblos indígenas, ya que desde mi punto de vista es una manera artística de contar su historia y mantener viva su cultura de a través de las generaciones. Con el paso del tiempo las danzas han sido cada vez más estilizadas, pero la esencia indígena se mantiene. (MARCELA, 24.04.08) Sogar ein erst 40 Jahre alter Tanz wie Caporales erhält so einen Bezug zu den Indigenen: La danza del "caporal" apareció alrededor de los años 70 como expresión del denominado neo-folklore y aunque su ritmo parece evocar a los ancestros de los esclavos africanos que vivían en los Yungas paceños, se trata mas bien de una danza que emerge de una construcción hibrida de la urbe marginal paceña. Los elementos que caracterizan al baile del caporal son el resultado de una expresión de repliegues de protesta y resistencia, asimilada por grupos de migrantes aymaras que interpretan la realidad de la raza negra oprimida en la época colonial. El traje o disfraz de capataz convertido en caporal, es la cubierta externa que representa una estrategia indígena para adaptarse a la opresión vivida al interior de su propio grupo, asimilada a la de los negros. (WEBSEITEN, Hervorhebung d. A.) La danza de los caporales está basada en ritmos de la saya, específicamente del tundiqui, pero se ha transformado con el añadido de músicas aymaras, mestizas y aún elementos musicales foráneos de moda. (WEBSEITEN, Hervorhebung d. A.) „Das Indigene“ wird vor allem im Zuge der YouTube-Diskussionen häufig als Teil der grenzüberschreitenden Gemeinsamkeiten von Bolivien, Peru und Chile präsentiert. sigamos haciendo mas grande la cultura Aymara, pero recuerden que Puno fue y es parte de esta cultura, todavia seguimos conpartiendo el Lago Titicaca, y la primera mina de plata se localizo en Puno, y si la Paz fue una de las ciudades mas principales a donde se consentraba esa riquesa, pero recuerden que se llamaba ALTO PERU (YOUTUBE) aymaras hay en Bolivia, Chile y Perú Tatsächlich gibt es in diesen Grenzregionen einen hohen Anteil an Aymara und vor allem in dem Gebiet um den Titikaka-See, den sich Bolivien und Peru teilen, herrscht 133 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 ein reger wirtschaftlicher Austausch und so erscheint es wenig verwunderlich, dass viele Tänze beiderseits der Grenze getanzt werden. Ob diese Tatsache jedoch wirklich so viel mit den Aymara oder nicht doch mehr mit der gestiegenen Mobilität und dem intensiveren Informationsaustausch der letzten hundert Jahre zusammenhängt, ist zumindestens fragwürdig. cuando hubo la gerra y perdimos las tierras toda esa gente paso a ser parte de chile y peru,y ellos siguieron bailando los bailes,y bueno yo creo que tienen el derecho de bailar y por eso tanto chile como peru dicen tener derecho a los bailes (FEDERICO, 06.05.08) en lo que respecta a la cultura aymará, hay que defenderla en donde quera que se encuentre, y no limitarse a ver sólo lo que está adentro de tu país (FACEBOOK) El punto esta en reconocer el orígen de la danza y de la musica ...cuestión que no estan respetando los chilenos y peruanos ... y simplemente lo justifican por el hecho de que exísten aymaras en esos [p]aises. (FACEBOOK) la mayoria se dieroin cuando ya existian ciertos limites territoriales en la colonia y ya entrada la republica, por ejemplo la diablada nace empezando la republica entonces con que justificacion los peruanos y chilenos pueden hablar de que4 los bailes son de toooooodos los aymaras? el tema es de cada pais no de cada cultura ya que estos bailes nacieron cuando YA EXISTIAN LIMITES TERRITORIALES! no nacieron el siglo V AC (YOUTUBE) Die Angelegenheit verkompliziert sich hier insofern, als es zur Entstehung der einzelnen Tänze höchst unterschiedliche Hypothesen gibt und deren Ursprünge nur teilweise (und da vor allem bei der Morenada) in der Seeregion vermutet werden. Kritische Stimmen sehen die Tänze eher als ein Produkt der Vermischung (mestizaje) indigener und kolonialer Einflüsse: quienes originaron esa fiesta, fueron los hijos descendientes de BOLIVIANOS, no peruanos ni aymaras, BOLIVIANOS. (FACEBOOK) No hemos vivido carnavales en Chile y eso tiene toda una constumbre post española, no es algo que es de Aymaras solamente, si en Bolivia existen otras culturas etnicas que han enriquecido sus bailes y sus costumbres. El CArnaval no se celebraba hasta después de la llegada de los españoles. (FACEBOOK) las tradiciones de bailes y música, siendo enfático en decirles que esto no excluye vestimenta ni instrumentos que son parte de los primero. son CITADINOS, se han creado en base a la tradición y vida de las CIUDADES a la llegada de los españoles. (FACEBOOK) Estas danzas representan una parte muy importante de la historia de América del sur y de las influencias de la cultura europea y africana que al mezclarse con la cultura indígena dan nacimiento al folklore Boliviano. (WEBSEITEN) 134 Eveline Sigl 6.4.4 Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Bezug zu Religion und Ritual Im Gegensatz zu den bolivianischen Prozessions-Umzügen (wie etwa dem Karneval von Oruro), wo die Mehrheit der TänzerInnen zumindestens offiziell darauf besteht, aus Ehrerbietung für die Mamita del Socavón oder einen Lokalheiligen zu tanzen, scheinen die TänzerInnen in Europa nur in den seltensten Fällen religiös motiviert zu sein. Das liegt sicher auch daran, dass derartige Prozessionen in Ländern wie Deutschland oder Schweden nicht üblich sind und auch kein gesellschaftlicher Druck in diese Richtung herrscht: Es ist völlig in Ordnung, nur zum Spass zu tanzen – was ja auch viele TänzerInnen als Hauptgrund für das Mitmachen bei den diversen Tanzgruppen angeben. Es gibt einige zu Ehren der Virgen de Urkupiña oder anderer Heiliger gegründete Gruppen; ob dort viele TänzerInnen die Motivation ALEJANDROS teilen, wage ich dennoch zu bezweifeln. al querer mantener vivas sus tradiciones y costumbres, vieron la necesidad de crear un cuerpo de danza para conmemorar las actividades religiosas de la Virgen de Urkupiña. (WEBSEITEN, USA) Siendo el tercer grupo de danzas folclóricas de la institución, es creada exclusivamente para la devoción de la SANTÍSIMA VIRGEN DE COPACABANA PATRONA DE LA REPUBLICA DE BOLIVIA. (WEBSEITEN, Argentinien) MAS QUE TODO SIN importancia en verdad, lo importante es que se fundo por un santo : EL TATA Santiago, mi famili adesde que yo nacie en Cocha siempre hacian su fieste el 25 de Julio y en el pasado cercano ese mismo santo/estatua llego o mejro dicho mi familia imediata decideiron traerlo aqui a EEUU, suppuestamente el estatua es mi herencia del lado materno. :=) y con certeza el santo y NADA mas es la razon porque se fundo esta fraternidad de mucha potencia .[...] Para mi y la directiva es mas importante una preseantacion para las Virgenes en Augusto de Urkupina/Copacabana que los concursos de Virginia en Augusto. (ALEJANDRO, 05.03.08) [el grupo] se fundó gracias a la devoción de la comunidad hacia la Virgen de Urkupiña, ya que es por su dia el cual se realiza la fiesta y toda la entrada (FRANCISCO, 29.03.08, Paraguay) Im „Tanzkonflikt“ zwischen Bolivien und Peru spielt die angesprochene Religiosität hingegen sehr wohl eine wichtige Rolle: Zum einen scheinen sich die Kontrahenten auch in Bezug auf den Grad der Devotion, den sie bei en Entradas zeigen, überbieten zu wollen und zum anderen werden derartige Rituale als wichtiger Teil der eigenen kulturellen (und auch nationalen) Identität erlebt. Insofern verwundert es mich nicht, dass der Karneval von Oruro und die Entrada der Virgen de la Candelaria in Puno immer wieder in den YOUTUBE-flaming wars um die Zugehörigkeit der Diablada auftauchen. 135 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 A partir de esa fecha fronteriza Puno imitó esta danza para la fiesta de la Virgen de la Candelaria el 2 de febrero, incluyendo en sus afiches y propagandas fotografías propias del carnaval de Oruro como si pertenecieran a su identidad. (YOUTUBE) La diablada nace en Puno a devocion a la virgen de la candelaria por lo acontesido de la historia que muchos puneños ya conocemos cuando se llevaba de procesion a la virgen de la candelaria. Lo que bolivia hace es cambiar el nombre a nuestras danzas, ya paso con el rey moreno que ahora lo llaman morenada, y los caporales de la tuntuna que ahora ellos lo llaman la saya, por el hecho de que ellos hacen una fiesta pagana que solo les importa bailar y que el mundo los observe (YOUTUBE) ORURO - BOLIVIA, para el mundo los invitamos al CARNAVAL MAJESTUOSO DE LA BELLA BOLIVIA, EL CARNAVAL RECONOCIDO A NIVEL MUNDIAL COMO OBRA MAESTRA DEL PATRIMONIO ORAL E INTANGIBLE DE LA HUMANIDAD, ESTA ES UNA MUESTRA DEL BELLO FOLCLORE DE BOLIVIA UNICA Y VERDADERA LOS INVITAMOS CON EL CORAZON ABIERTO. (YOUTUBE) 6.4.5 Kulturelle Gemeinsamkeiten und Differenzen Obwohl die meisten InformantInnen davon überzeugt waren, dass es fundamentale kulturelle Differenzen zwischen ihnen und der Bevölkerung ihres Aufenthaltslandes gibt, konnten sich über die wenig brisante Unterschiede beim Essen und Tanzen hinaus nur wenige zu konkreten Aussagen entschließen. Meines Erachtens zeigt sich hier eine große Skepsis gegenüber Generalisierungen und Stereotypisierungen und auch eine Sensibilisierung gegenüber der Komplexität des Themas, die z.B. auf YouTube weitaus geringer ausgeprägt ist und wo sehr schnell mit „wir Bolivianer“ und „ihr Peruaner“ oder „ihr Chilenen“ etikettiert wird. Trotzdem gibt es auch auf YouTube Stimmen, die an die kulturellen Gemeinsamkeiten von Bolivien, Peru und Chile erinnern und zu Vernunft und Einheit aufrufen. compatriotas peruanos tratemos de ser mas razonables, es decir no podemos tampoco adueñarnos 100% de estas danzas ya que en relidad le pertenece al altiplano en General. esta danza asi como otras se baila en Bolivia, Chiele y Peru, pero todos son partisipes ya que estas danzas no tienen fronteras. (YOUTUBE) la música y el arte y la cultura no tiene fronteras políticas (ejemplo frontera peruana, argentina, boliviana, chilena, etc) La cultura y el arte solo tiene fronteras imaginarias. Le pido a toda la gente inmadura que discute de que de qué país es cada música que madure. (YOUTUBE, Hervorhebung der Autorin) la cultura no se divide cuando la tierra es dividida Y por ultimo que un nuevo amanecer ilumine el futuro, y que allá en nuestro lejano país 136 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 los aymaras , quechuas, mestizos y criollos, y todos los que estamos legos de nuestra querida patria trabajemos unidos en defensa de nuestra cultura. 6.5 Tanz und Gender-Identitäten Abb. 8: Tanz und Gender-Identitäten; eigene Darstellung mittels atlas.ti Obwohl Caporales, der aktuell wohl populärste bolivianische Folkloretanz, als sehr sexistisch betrachtet werden kann und auch in anderen Tänzen mit Gender-Rollen und sexuellen Reizen gespielt wird, gibt es diesbezüglich kaum Diskussionen unter den bolivianischen TänzerInnen. Insofern erscheint mir KATHARINAs Aussage bezeichnend: Sexismus ist in Bolivien wohl kaum ein thema, ich bin mit meinen milden feministischen bestrebungen meist gescheitert (KATHARINA, 29.03.08) Selbst bei genauerem Nachfragen äußern auch auslandsbolivianische TänzerInnen nur selten Bedenken bezüglich der transportierten Frauenbilder bzw. Gender-Rollen, obwohl sie sich des enthaltenen machismo sehr wohl bewusst sind. 137 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Klar kommt die südamerikanische Machogesellschaft durchaus zum Vorschein. Aber es gibt ja auch neue Bewegungen wie die der Machas. (CHRISTOPH, 27.04.08) the costumes is so beautiful...and it is very sensual....and for the men it is very " macho" if you say so.... (SARAH, 04.03.08) En Caporales ,Morenada es solamente muchas vecez un bonito,sexy „Beiwerk“ a los hombres. (ROXANA, 27.04.08) ¿A qué se debe el éxito de la danza de los Caporales tanto en Bolivia como en el extranjero? - Por el vestuario y los pazos que demuestran virilidad en los hombres y feminidad en las mujeres. (MERCEDES, 17.04.08) a muchos chicos les gusta porque ven toda la parte de la tanga, mientras se vea mas el trasero entonces genial y yo digo bueno ok si lo ves así perfecto pero si lo ves como mujer digo bueno estoy ahí, estoy muy bonita, con muchos aretes con mucho collares pero que hago?, no hago nada entonces yo cuando bailo caporales siempre trato de decir: las mujeres no existían en este baile pero por lo que ya también se ha expandido mucho como baile en escenarios entonces la mujer ha tenido que tomar parte de ello. [...] mientras mas flaquita eres, mas esbelta eres, mas bonita entonces tienes mas opción de bailar este baile. [...] me doy cuenta de que las mujeres siempre están impregnadas en la historia de Lainoamérica bajo lo que diga el hombre. Entonces si ahí en ese baile es un poquito como que el rol de lo que son las mujeres y lo que es la función del varón. (GLORIA, 16.03.08, Hervorhebung d. A.) Es gibt einige von den Burschen, die sich da schwer getan haben, mit dem Caporales. Und vielleicht auch deswegen nicht so 100% geben können. Mein Bruder eher, er kriegt das ziemlich gut hin, könnte man sagen. Und zeigt auch, versucht sich männlich darzustellen. Also diese Manneskraft ist einfach da, sollte da sein. [...] Ja, also ich würd gerne mal haben, dass wir ein Caporal haben nur mit Männern. Dass aber das dann volle Power ist, weil das so sein sollte. (VERA, 11.02.08) da hatten wir einfach eine schöne Choreographie, die die Frauen sehr oft in den Vordergrund gestellt hat. Also die starken Männer und die schönen Frauen. So zart und doch irgendwie so mystisch und schön. - Wie siehst du das: Ist es nicht irrsinnig Klischee-behaftet? - Ja,auf jeden Fall. Aber das ist es ja eigentlich auch, dass es irgendwie, halt symbolhaft für Dinge steht. (VANESSA, 15.03.08) Las danzas reflejan la realidad de la gente que las creó, puede ser machista en la mayoría de los casos. (LORENA, 07.04.08, Hervorhebung d. A.) Nicht bolivianische TänzerInnen geben mitunter sogar zu, dass sie den „machistischen“ Touch eigentlich attraktiv finden. Ich glaube von außen ist es leicht zu sagen, dass z.B. in Caporales die Frau nur da ist, um gut auszusehen, ein bisschen rumzuhüpfen und so viel Bein wie möglich zu zeigen. Aber ehrlich gesagt finde ich das gar nicht so schlimm, da wird halt mit Klischees gespielt. Außerdem gibt es ja auch M acha-Choreos, es ist also nicht so, dass nur M änner richtig [sic!] Caporales tanzen dürften. (CHRISTINE, 21.04.08, Hervorh. d. A.) diese Interaktion, der Prinz versucht die Frau zu beeindrucken und die Frau natürlich umgekehrt, halt auf eine andere Art und Weise. Ahm, das ist für mich schon sehr präsent [...] diese ahm, eleganten Bewegungen, dieses Kokettieren, das taugt mir schon extrem 138 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 daran. (ALEXANDRA, 08.02.08) cuando uno baila de varón los movimientos son más fuertes o sea ahí se muestra al caporal no? entonces tienes que estar cantando, haciendo patadas, te das vueltas [...] mientras que de mujer eres mas coqueta, enseñas la sensualidad de la mujer y tienes que ir siempre moviendo la cadera y las polleras, entonces ahí es mucho más movimiento solamente de cadera, bueno haces también saltos y todo pero no tienes que mostrar la fuerza si no solamente , mientras más coqueta, más bonita, más sonríes; es mejor. [...] en realidad en caporales no pertence la mujer, no había caporalesas entonces es como se dice un Erfindung de este baile porque en este baile si lo quiero mirar un poquito, no es solamente como la figura tradicional de la mujer, tienes que estar ahí es un baile, por eso digo es moderno (GLORIA, 16.03.08) Hier kommt es m. E. zu der von Washabaugh geschilderten Überlagerung imaginierter Gender-Rollen mit der Vorstellung des ethnischen Anderen (vgl. 1998: 5 ff). Selbst wenn es in der eigenen Gesellschaft genug machismo geben sollte, so wird er bei „den“ SüdamerikanerInnen als etwas Anderes/Exotisches und daher viel eher Tolerierbares gesehen. Erstaunlicher Weise gibt es auch auf YouTube kaum sexuelle Anspielungen zu den ultrakurzen Miniröcken der Tänzerinnen, was aber auch an der „Zensur“ durch die Video-PosterInnen liegen könnte, da derartige Assoziationen ganz offenbar ein Tabuthema sind und bolivianische Tanzvideos meiner Einschätzung nach zum allergrößten Teil von Leuten angesehen werden, die entweder selbst tanzen oder sonst einen Bezug zu Bolivien und seiner Kultur haben, dieses Thema daher möglicherweise aus Rücksicht nicht anschneiden wollen. Die wenigen Postings, die ich dazu auf YouTube gefunden habe, waren bezeichnender Weise von nicht bolivianischen Männern. sayo o no, jala porque las nenas muestran las nalgas, strep tease andino (YOUTUBE) it looks like it's a good way to move strep shows out on the streets the girl needs to show more tetas and get rid of the silly kid wow this might work. (YOUTUBE) a mi me gusta ver a las chicas cuando usan sus lindos calsoncitos se les ve tan sensuales =p salu2 simones (YOUTUBE) Obwohl viele BolivianerInnen und Nicht-Bolivianerinnen mit der Präsentation der Frau in Caporales einverstanden sind, wird außerhalb Boliviens scheinbar doch immer wieder heftig über Rocklängen, Unterröcke und die allzu große Sichtbarkeit der Unterhosen beim Tanzen diskutiert. Da gibt es dann sehr wohl (auch südamerikanisch-stämmige) Frauen, die sich bei einer derartigen Zurschaustellung nicht wohl fühlen. Interessanter 139 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Weise ergibt sich bei dieser „Unterhosen-Debatte“ außerdem ein Konnex zur Authentizität: Wie VANESSA berichtet, wollten in ihrer Gruppe gerade die deutschen Tänzerinnen ohne Unterrock tanzen – SO wie in Bolivien, weil das ja SO gehöre. NICOLÁS und CHRISTOPH werfen hier indirekt die Frage auf, inwiefern dieses Bild der großen, möglichst blonden „Sexbombe“ durch den Einfluss der westlichen Medien geprägt wurde und die jungen Bolivianerinnen vor allem deshalb so gerne Caporales und Morenada (als Figura) tanzen, weil diese Tänze so gut zu den medial propagierten Bildern der „modernen“ Frau passen. en algunas se nota la influencia de la cultura occidental, en la que la mujer tiene que ser jóven, seductora, hermosa, rubia, de tez clara, cuerpo perfecto y coqueta, mientras que las mujeres de edad pasan a un segundo plano. (NICOLÁS, 28.03.08) Über die Rolle der Frau in den Tänzen gibt es insofern schon des öfteren Gesprächsbedarf, weil viele Frauen das Caporales-Röckchen als ‘sexistisch’ empfinden. Einige weichen deshalb auf das Männerkostüm aus und tanzen als Mann! Die Machas als solches mit eigenen Choreografien sind in Deutschland meines Wissens noch nicht präsent. Es gibt doch sehr viele Frauen, die gerne die knappen weiblichen Caporales und Tobas-Kostüme tragen und um eine Tinku-Tracht einen großen Bogen machen, weil sie darin, so ist zu vermuten, sich nicht hübsch genug finden.Aber das hat wohl mehr mit dem europäischen Schonheitswahn zu tun. Frauen, die viel Wert auf ihr Äußeres legen, tanzen eher nicht Tinku, Huayno oder gar als Cholita. Dafür umso mehr Tobas und Caporales. (CHRISTOPH, 30.04.08) Vielen Frauen geben derartige Auftritte einfach das Gefühl, attraktiv zu sein. el caporal porque la elegancia y movimientos y por supuesto la belleza de los trajes me identifican es decir me hacen sentir muy bien al bailarlo [...] Pero el cambio que yo haria de las danzas que anteriormente baile a la que me gustaria tiene un poco del gusto de verme elegante y sexy [...] me parece muchas personas que deciden bailar de figuras y ademas de caporales porque es sexy y se puede apreciar desde la figura hasta el rostro (NATALIE, 06.04.08) Auslandsbolivianerinnen wehren sich oft gegen den Begriff „sexy“ und betonen, dass es bei den entsprechenden Kostümen und Bewegungen um „Sinnlichkeit“ geht. FRIDA, eine seit langem in Europa lebende Bolivianerin, erklärte mir, dass das Zeigen der (Tanga)-Unterhöschen beim Tanzen in Bolivien keinesfalls so anstößig wirke, wie dies in Europa der Fall sein könne. Die normalerweise eher schüchternen und prüden Frauen hätten während der Karnevalszeit einfach die Möglichkeit, ihre sonst versteckten Seiten 140 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 zu zeigen und im Sinne von andinem Kuti8 oder europäischen Karneval in eine „verkehrte“ Welt einzutauchen. So sei auch zu erklären, dass konservative Väter aus angesehenen Gesellschaftsschichten nichts gegen diese Zurschaustellung ihrer Töchter einzuwenden hätten. Der Unterschied zwischen „sinnlich“ und „erotisch“ wäre demnach durch die Einstellung (actitud) und nicht durch das Kostüm der Tänzerinnen gegeben. Porque el caporal a pesar de su movimiento y su coqueteo no tiene como decirte connotación sexual, si sensua,l coqueto, pero sexual para un boliviano te digo un papá como hay varios papás que tienen hijas adolescentes que bailan, no permitirían a sus hijas que bailen, y bailan en el mismo grupo. Son padres bolivianos muy recatados, gente muy tradicional no permitirían jamás que sus hijas se expongan a un público en calzones cuando ellos mismos están bailando en el mismo grupo. Es por eso es que te dig que es una noción bastante compleja para una persona que talvez no viene de la cultura boliviana pero que para nosostros está muy en los hábitos en la costumbre y la construcción social de la cultura boliviana. (FRIDA, 13.03.08) Ich finde diese Argumentation sehr spannend, da sie auf jeden Fall Hinweise für weitere Nachforschungen in Bolivien gibt. Auf die Frage, warum sich jedoch nur Frauen aus bestimmten Gesellschaftsschichten gerne auf diese Art und Weise präsentieren und warum das erst seit relativ kurzer Zeit der Fall ist, konnte FRIDA jedoch auch keine Antwort geben. Tatsache ist, dass die Röcke erst im Lauf der 40-jährigen Geschichte von Caporales immer kürzer wurden und der Tanz zur Zeit seiner Entstehung ein ganz anderes „Gesicht“ hatte. Was die sehr ähnlich gekleideten Figuras in der Morenada anbelangt, so wird auch gerne darauf vergessen, dass die ersten Figuras Transvestiten waren, die sich als „Schmetterlingswesen“ (mariposas) den Tanzgilden anschlossen und damit auf die Konstruiertheit der gängigen Geschlechterrollen verwiesen (vgl. Schulze 1999: 126 ff). - Homosexualität ist in Bolivien ein absolutes Tabu-Thema, das allerdings im Tanz bis zu einem gewissen Grad toleriert wird (etwa in den Kullawada-Gruppen, wo im Gegensatz zur Morenada nach wie vor deklarierte Homosexuelle mitmachen). Angesichts der in Bolivien üblichen Berührungsängste verwundert es kaum, dass GLORIAs Gruppe nicht gesagt wurde, dass es sich bei dem Auftritt um ein Schwulenfest handelte: cuando nosotros bailábamos en Hamburgo todavía nos invitaron a un evento pero no nos 8 Kuti bedeutet soviel wie Umkippen; die bestehenden Verhältnisse sollen also auf den Kopf gestellt werden. Genau das passiert auch beim Karneval, der ja gemeinhin als Ausdruck einer Gegenwelt, in der das sonst Unmögliche und Verbotene möglich werden, angesehen wird (Gisbert 1999: 12) 141 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 dijeron para que era [...] y entonces era una fiesta de homosexuales y mira allí los que llamaron la atención son los varones, todos los chicos estaban viendo a los varones con su Peitsche y las botas con esos cascabeles o sea si no se presentaban las mujeres era mucho mejor, porque como que le quitamos el sentido al baile y a lo que los espectadores querían, lo que querían ver eran a los varones (GLORIA, 16.03.08) Besonders interessant in Bezug auf Gender-Rollen ist die Erscheinung der Macha Caporales, der Frauen, die in Männerkleidung und mit Männer-Schritten tanzen: Wenn man sich nur Caporales herauspickt kann man natürlich behaupten die Frau sei auf ihre kokett schwingende Taille reduziert... Schön finde ich daher, dass es auch Caporales-Machas gibt, die den extremen Machismo der Männer ein bisschen ad absurdum führen und dabei viel Spaß haben. [...] Der Ausdruck des Tanzes ist heute reduziert auf das Spiel zwischen Frau und Mann und daher bekommen glaube ich beide Seiten die Möglichkeit mit ihren Reizen kokettieren zu können. Mir ist Caporales allerdings zu kitschig wenn die Frauen überaffektiert tanzen. (ISABELLA, 04.05.08) Und, was ich jetzt cool finde zur Zeit ist, dass ein Mädel halt als Mann tanzt, und ich finde, sie fegt alle weg, und das sollte nicht so sein. Also eigentlich sollten die Männer sollten stark sein, aber ja… [...] Sie selber, wollte nicht als Frau tanzen. Es ist ihr einfach alles zu knapp. Und ihr hat das immer schon, also von Anfang an hat ihr eher der männliche Tanz gefallen. Und da haben wir dann gesagt, also in Bolivien machen das eh Frauen und so weiter, dann bewähr dich mal, zeig mal was du kannst…und da sie sich so gut getan hat, haben wir uns gedacht, na gut OK, wenn du willst…und sie „ja, unbedingt„, also das ist was sie wollte, sie wollte das… (VERA, 11.02.08) Creo que culturalmente y en el entorno de lo que era y es boliviano, las danzas otorgaban preponderancia al „hombre“. Creo las mujeres que bailan de hombre lo hacen por varias razones..y creo que ninguna de esas razones es la de proyectarse en un risma masculino. .Por experiencia propia te comento que al bailar de hombre, jamás fue por probar algo..es parte de una representación que simple y llanamente eso..un rol a interpretar. También, la mujer posee en don de la versatilidad de poder representar a un hombre sin miedo a la ofensa o a la ridiculez. Creo que todo vuelve al hecho de que la mujer a evolucionado y expandido lo que significa „quiero hacer más“. Los límites de la mujer, actualmente se han rebasado en todo entorno, siendo la danza parte de este movimiento de liberación de ente. [...] Creo que no hay nada malo en bailar de hombre. Es parte del cambio que estamos experimentando y continuaremos experimentando. [...] Creo que bailar de hombre es algo que denota individualidad y la habilidad de ir más allá del genero. (RUTH, 16.04.08) Also nicht unbedingt das man sagt: ich möchte gar nicht mehr als Frau tanzen weil ich das irgendwie zu, ja zu klischeehaft oder irgendwie sexistisch finde oder so. Oder ich möchte mich nicht so zeigen. Sondern eigentlich... es macht irgendwie mehr Spaß, also kraftvolle zu tanzen und ja, dass da irgendwie mehr, mehr aus sich raus gehen zu können als Mann. (VANESSA, 15.03.08) In Bolivien gibt es in vielen Gruppen ganze Macha-Blöcke, im Ausland sind es meist nur einzelne Frauen, die sich unter die Männer mischen. Zwar geben die meisten dieser Frauen an, dass sie auch „als Frauen“ tanzen und den Männerpart vor allem wegen der kraftvollen Bewegungen, bei denen sie sich „austoben“ können, schätzen, doch dürften 142 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 die von Hanna zitierten rituals of rebellion (Gluckmann 1954 in Hanna 1988: 86) hier sehr wohl eine Rolle spielen. - Solange es keine Gleichstellung gibt, ist wohl jede Aneignung eines männlich dominierten Raums auch ein (in diesem Fall scheinbar häufig unbewusster) Teil des Selbstverständnisses emanzipierter Frauen. So verwundert es kaum, dass viele Tänzerinnen aus europäischen Ländern, in denen Gender-Rollen stärker thematisiert und hinterfragt werden, besonders wenig mit der „kitschigen/sexistischen“ Darstellung des Frauenparts in Caporales oder Morenada anfangen können und auch nie so tanzen würden. Ich bin sehr froh, dass nur wenige Tänze die Frau als Objekt der Begierde darstellen und ich kann mir auch nicht vorstellen diese Rollen zu tanzen (Figu[r]a bei der Morenada oder Caporales). [...] Interessant sind natürlich auch die Rollenbilder bei der Chacarera. Auch hier muss ich als Frau weibliche Werte darstellen und der Mann mich beeindrucken. Trotzdem habe ich bei diesem Tanz viel mehr das Gefühl interargierendes Subjekt zu sein, dem Mann gleichgestellt. Wahrscheinlich liegt viel von dieser unterschiedlichen Wahrnehmung an der Kleidung. Mir würde es unbehagen bereiten meinen Körper mit einem Figu[r]a Kostüm zu präsentieren. Auf jeden Fall sind diese Rollenbilder für mich nicht leicht zu akzeptieren, ich finde allerdings, dass die Tänze eine gut Möglichkeit für mich sind, mich damit auseinander zu setzen. (SABINE, 30.04.08) Teilweise find ich die Darstellung [der Frau] zu sehr als „Puppe“ oder Schmuckstück. Da wir kaum Männer in der Gruppe haben und ich jetzt nicht unbedingt die Expertin bin, habe ich jetzt kaum die Männerparts von allen Tänzen im Kopf. Aber manchmal demonstrieren die Männer in den Tänzen eher Stärke und Kraft und die Frauen sind dazu irgendwie Dekoration bzw. Glanz und Reiz (kurze Röcke, hohe Stiefel, etc.). Aber das ist nicht in allen Tänzen so. Da werden eigentlich unterschiedliche Frauenbilder gezeigt. (SUSANNE, 13.04.08) Die „vertanzten“ Gender-Rollen beschränken sich natürlich nicht nur auf Caporales und Morenada/Figura, die die Frau zwar als Objekt der Begierde erscheinen lassen, aber keine Paartänze im eigentlichen Sinn darstellen: Bei Umzügen treten Frauen und Männer getrennt in Blöcken auf und auch in den Choreografien von Bühnentanzgruppen wird die direkte Interaktion oft durch getrennte „Show-off“-Teile unterbrochen. Anders bei „echten“ Paartänzen wie Cueca und Chacarera, die sich im 19. Jahrhundert aus den europäischen Gesellschaftstänzen entwickelt haben und wo das kokett gewirbelte Taschentuch zum Symbol für die partnerschaftliche Annäherung wird: Hier geht es einerseits um das von Hanna erwähnte Liebeswerben im Tanz und die damit verbundenen, kulturell kodierten Geschlechterrollen (vgl. Schulze 1999: 121) und andererseits um die Aneignung und subversive Hybridisierung der Tänze der 143 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Kolonialherrscher (Hanna 1979: 46 f, 142, Bhabha 2000: 165). Doch obwohl die Cueca sowohl von Bolivien als auch von Chile als Nationaltanz reklamiert wird, gibt es dazu auf YouTube erstaunlicher Weise keine flaming wars – vermutlich auch deshalb, weil gute Cueca-Videos rar sind. Das gleiche gilt für die Chacarera, die im Allgemeinen eher Argentinien zugerechnet wird, jedoch in allen Ländern der Gran-Chaco-Region (Argentinien, Bolivien, Paraguay, Brasilien) präsent ist. Viele nicht bolivianische oder nicht in Bolivien geborene TänzerInnen sind von diesem Spiel zwar fasziniert, tun sich bei der Umsetzung aber sehr schwer (Erfahrungen mit der eigenen Gruppe), was vermutlich auch mit der Identifikation mit den entsprechenden Rollenbildern zu tun hat. Ich finde Cueca wunderschön. Die Koketterie zwischen Mann und Frau in diesem Tanz macht für mich die Faszination aus. [...] Bei der Cueca wird die Frau umgarnt oder erobert, hat aber genausoviel Raum, um “Signale” zu senden. Auch Huanyo und diese ganzen Paartänze sind einfach Paartänze, die Frau wird vielleicht ein bisschen überspitzt als Frau präsentiert und die Rollen sind dabei klar verteilt, aber das ist doch eine Art von Tanz und stört mich deshalb nicht weiter. (CHRISTINE, 21.04.08) zum Beispiel Cueca oder so was… [...] …das war bei mir früher genauso…ich wollte es einfach nicht tanzen…weil als ich jünger war, dieses Zu-Nahe-Kommen an die Person, das gefällt mir gar nicht…ja, aber sonst mittlerweile…geht’s eh. [...] … ich war nicht so, dass ein Mann mir zu nahe kommt, das war für mich..ii…OK. Und die Art, natürlich wie die Maria und der Francisco uns immer unterrichtet haben, OK, du musst, so flirten und du musst den Partner anschauen…ich war nie so, dass ich jemanden gern ins Gesicht schau, als ich jünger war, das ging… überhaupt wenn’s ein Mann ist, für mich…zu schüchtern war ich einfach, aber mittlerweile geht’s. Bei den anderen ist es halt doch so, ja, ich möchte nicht ganz und so weiter. [...] Also Cueca ist mehr so ein …für mich so ein Paartanz, wo du versuchst…also dieses Flirten…und dann man kommt sich näher, dann doch nicht, so auf der…die Frau lässt sich nicht so leicht kriegen…so versuchen wir das auch darzustellen. Und eher so ein…Liebestanz könnte man sagen. (VERA, 11.02.08) Das andere Extrem sind die wahrgenommenen Darstellungen der Frau als fruchtbare „Allmutter“ (vgl. Hanna 1988: 46 f, 78, 88, Washabaugh 1998: 5 ff) bzw. die „Erdverbundenheit“ bestimmter Tänze. En algunas creo que la mujer es presentada en un nivel inferior, quizás debido a cierto machismo, pero en otras pienso que la mujer cumple una función complementaria, como parte importante de la comunidad y generadora de vida. (NICOLÁS, 28.03.08) en las danzas autoctonas la mujer es muy necesario, como símbolo de fertilidad. Y en las danzas folkloricas es una búsqueda de equilibrio en la modernidad (CAMILA, 25.04.08) 144 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 What do you think of the role of the woman in the Bolivian dances? As far as presentation they add a key component, which attracts many crowds of people to watch. As far as the culture they add the soft feminine, motherly movements that is present in all cultures. (GEORGE, 02.04.08) Ein anderes Thema sind allerdings die Liedtexte. Da wird die Frau oft dargestellt als ein Teil der bolivianischen oder indigenen Kultur, auf die man stolz sein kann und kommt kurz vor der Chairo und dem Coca. Die Texte finde ich also richtig dumm, ehrlich gesagt, aber wenn man sich deutsche Volkslieder anhört, sind die genauso bescheuert und präsentieren die Frau oft ähnlich. (CHRISTINE, 21.04.08) REALMENTE NO VEO NADA MALO EN COM LAS MUJERES SE PRESENTAN. OSEA. NO ESTAMOS DICIENDO Q ESO ES ASI EN ESTOS DIAS. LA MUJER YA HACE MAS Y NO SOLO ES LA CHOLITA CARGANDO LA WAWA Y COCINANDO (TOMÁS, 10.04.08) Für viele Nicht-BolivianerInnen ist die Rolle der Indigenen oder der Cholita etwas suspekt, andere sind nicht sonderlich begeistert von den „dick machenden“ CholitaRöcken und -Unterröcken. Hier sieht man deutlich, wie stark der von Schulze (1999: 130) erwähnte Kleidungs-/Kostümierungsaspekt bei der Kreation von Identitäten wirken kann: Trotzdem die Schritte von Figuras und Cholitas fast gleich sind, werden sie mit gänzlich anderen Identitäten assoziiert. Frauen, die viel Wert auf ihr Äußeres legen, tanzen eher nicht Tinku, Huayno oder gar als Cholita. (CHRISTOPH, 30.04.08) Für viele der jungen nicht bolivianischen Tänzerinnen ist es jedenfalls oft nicht einfach, sich in die Rolle einer Cholita hineinzuversetzen, wie das etwa KATHARINA ausdrückt: Ich glaube die cholitas sind sich ihrer sehr bewusst, ich sehe sie als einen starken frauentyp, geschäftsfrauen, aber auch arbeitende frauen, ...lebensfrohe frauen. Und so etwas zu repräsentiern erfordert meiner meinung nach eine gewisse portion mut. (KATHARINA, 29.03.08) 6.6 Tanz, „persönliche“ und Diaspora-Identitäten Selbstverständlich gehören Diaspora-Identitäten auch zu den persönlichen Identitäten, doch möchte ich mit dieser etwas holprigen Unterscheidung folgenden Sachverhalt verdeutlichen: Der bolivianische Folkloretanz ist nicht nur für AuslandsbolivianerInnen erster und zweiter Generation, sondern auch für Halfies und Nicht-BolivianerInnen identitätsbildend und identitätsstiftend. Als Möglichkeit der Selbstrepräsentation oder 145 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 als Werkzeug zur persönlichen Entwicklung kann er diese Funktionen für alle genannten Gruppen erfüllen, während Nicht-BolivianerInnen zwar über den kulturellen Austausch und die in manchen Gruppen besonders stark gelebte Interkulturalität und Integration mit bolivianischen Diaspora-Identitäten in Berührung kommen, sie aber nicht als Teil der eigenen Persönlichkeit erleben. 6.6.1 Tanz als Mittel zur persönlichen Entwicklung Viele TänzerInnen sagen, dass sie das Mitmachen bei einer Tanzgruppe persönlich weiter gebracht hat – sei es, dass sie selbstbewusster wurden, ein besseres Körpergefühl erlangten, kreativ sein konnten oder einfach Erfolgserlebnisse hatten, die sie innerlich gestärkt und stolz gemacht haben: Das Tanzen hat mich auf jeden Fall verändert - allerdings eher in persönlicher Hinsicht. Ich bin viel selbstbewusster geworden, vielleicht weil man mehr Körpergefühl entwickelt und seinen Körper bewusst einsetzen muss, dabei aber auch weiß, dass es gut aussieht, was man gerade macht. Auch wenn ich davor schon gern und viel getanzt habe (allerdings nur in meiner Freizeit), hab ich mich irgendwie verändert, seit ich in dieser Gruppe bin und sagen kann: „Mein Hobby ist Tanzen.“ Ich bilde mir ein, dass ich Fremden gegenüber inzwischen anders auftrete - eben mit mehr Selbstbewusstsein, aber auch auch mehr Selbstzufriedenheit. (CHRISTINE, 21.04.08) bin extrovertierter geworden, hab neue sachen ausprobiert und gelernt [stolz darauf] Dass ich keine Bolivianerin bin und trotzdem die Tänze gut beherrsche. (STEFANIE, 24.03.08) wenn man dann einfach sieht, dass man das alles irgendwie bewältigt und dann eben was schönes da raus kommt. Das gibt einen schon ganz schön viel. (VANESSA, 15.03.08) Aber jetzt so im Nachhinein denk ich ma so- für mich persönlich hats ma urviel bracht, weil ich auch urviel über mich selber glernt hab. [...] Also man lernt auch sich selber besser zu beobachten und andere Leute besser zu beobachten und es fallt einem viel mehr auf. Das is, extrem. [...] ich seh schon extrem.., wo ich dort war und wo ich jetzt bin, da denk ich schon, das ist schon ein extremer Weg eigentlich. Und das is auch das was du gsagt hast oder halt du hast ma irgendwann einmal a SMS gschickt und das hab ich nämlich, das is ma irgendwie soo geblieben.. ah, wo du gschrieben hast, - so quasi ich bin das Beispiel dafür, dass ma alles erreichen kann wenn ma will. Und da hab i ma dacht- du hast ganz schö recht (ALEXANDRA, 08.02.08) I have taken responsabilities by running for leadership positions, and this has brought me experience in the management of a non-oraganization group, and have come severalt times into ethical-conflicting decision making. [...] I'm able to be creative by helping with choreographies. (STUART, 16.04.08) Creo los integrantes de los grupos en los que he participado y en lo personal, existe una gran gratificación de amistad, orgullo cultural y un alza en el autoestima. (RUTH, 146 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 16.04.08) Me siento orgullosa cuando después de los ensayos y toda la preparación previa termino satisfecha con mi conocimiento de la danza en particular, más si es un baile que nunca antes había bailado. (MARCELA, 24.04.08) Eine Tanzgruppe hat die Förderung des Selbstbewusstseins sogar als explizites Ziel ihrer Gründerin erwähnt: [...], whose personal goal and interest is to provide the dancers with a way to build selfesteem (WEBSEITEN) Für manche ist es einfach schön, sich selbst präsentieren zu können Yo soy de las personas ...apasionadas. Me gusta entregar y tambien a la vez mostrar quen soy/mostrar mi alma en lo que hago. (ALEJANDRO, 05.03.08) und andere sehen sogar berufliche Entwicklungsmöglichkeiten also was mir sehr gefällt ist eine internationale Atmosphäre, dass man immer mit Leuten aus unterschiedlichen Hintergründen irgendwie zusammen arbeitet. Andauernd unterschiedliche Sprachen um sich herum hat und ich würde halt später auch beruflich gerne halt irgendwie im Event- oder in den kulturellen Bereich gehen. Und von daher kann ich mich hier eben total ausleben und finde halt zwei Dinge die ich irgendwie miteinander verbinde, die ich jetzt praktisch auch in meiner Freizeit, ja mache und mich da eigentlich auch weiterbilde gleichzeitig. Weil es ja alles Erfahrungen sind, die mich weiter bringen. Sei es jetzt irgendwie Kontakte knüpfen oder irgendwie für, also, Finanzierungsmöglichkeiten suchen oder der Internetauftritt, sich darum zu kümmern oder ja, halt eigentlich alles Mögliche... Sponsoren... und so weiter. Und es ist schon was, wo ich gemerkt hab, generell nimmt mich die Gruppe schon sehr ein. Und ich find es auch bewegend sich auf verschiedenen Ebenen. Und vor allem ist es auch super schön wenn man einmal einen großen Erfolg hat. (VANESSA, 15.03.08) 6.6.2 „Fremde” und „eigene” Identitäten Im tanzbezogenen Diskurs über die persönliche Identität wird immer wieder das Annehmen fremder Identitäten thematisiert. Auf YouTube geht es dabei vor allem um den postulierten Kulturraub und um die Behauptung, dass es BolivianerInnen/PeruanerInnen eben notwendig hätten, sich „mit fremden Federn zu schmücken“. Direkt damit in Zusammenhang stehen einerseits die Verteidigung von Kultur, „lo nuestro“ und Identität sowie andererseits das Annehmen „fremder“ regionaler und nationaler Identitäten. So wurde etwa eine Posterin, die sich einige Zeit lang sehr intensiv am „Tanzkonflikt“-flaming war beteiligte, angegriffen, weil sie sich als Flachländerin so intensiv für die Hochland-Tänze engagierte. 147 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 simplemente se cuelgan en culturas ajenas...dicen que son de beni...o sea de la selva donde nunca llego la cultura ni civilizacion andina..pero pelean como unas perras lunaticas sin identidad por cosas? ajenas..jajajajajajajajaja (YOUTUBE) Das muss natürlich kein Widerspruch sein: no pertenezco al occidente del pais y que soy 100% cruceña y q? a mucho orgullo !!!!!!!! ALEJANDRO (als Dreijähriger ins Ausland gekommen) sieht überhaupt kein Problem darin, „fremde“ Tänze zu repräsentieren und sich dabei ein Stück „bolivianisch“ zu fühlen: hasta uno que es de ejemplo ARGENTINO puede sentirse Boliviano. Pueden querer a un pais que no es suyo. (ALEJANDRO, 05.03.08) Besonders kritisch ist das Thema bei LateinamerikanerInnen; wenn Nicht-Latinos/as bolivianische Tänze erlernen und aufführen fühlen sich die BolivianerInnen meist eher geehrt. Interessant ist hier eher die Rezeption durch Menschen aus dem gleichen Land, die es schon hin und wieder „lustig“ oder befremdlich finden, wenn z.B. Österreicherinnen bolivianische Trachten und Tänze vorstellen. Kommentar von irgendwem aufgschnappt hat, so quasi, naja, das sind Österreicher- die tun so als wärn sie Bolivianer oder so. [...] Also ich muss da jetzt nicht irgendwie irgendwem vorspielen, ich bin was weiß ich da jetzt mehr Latina als was ich in Wirklichkeit bin oder so. Wieso? Man kann ja beides miteinander vereinbaren. Man muss ja ncht in eine fremde Identität schlüpfen, nur weil ma halt irgendwas macht, was halt ja Bolivianer machen oder was auch immer. (ALEXANDRA, 08.02.08) Manche sagen nach einem Auftritt: „Mensch, du wirst ja zu einer richtigen Bolivianerin.“ Dann muss ich lachen. (CHRISTINE, 21.04.08) Wie im „Tanzkonflikt“ deutlich wird, ist es vielen BolivianerInnen und PeruanerInnen ein großes Anliegen, die „eigene“ Identität zu verteidigen. Identität, Kultur und Tanz werden bei den entsprechenden Aussagen häufig als Synonyme gebraucht. boliviano defiende tu identidad. y que no te engañen dicendo que la diablada se baila en todo el ande, y es cultura y como es cultura no tiene frontera chilenos, copiones inutiles mentales inbenten lo suyo. (YOUTUBE) QUE PENA QUE NO SE MOVILIZEN LAS AUTORIDADES DE NUESTRO PAIS PARA DEFENDER LO NUESTRO Y QUE FACIL DEJAN QUE OTROS PAISES COMO EL PERU QUIERA ADUEÑARSE DE NUESTRA IDENTIDAD,...... QUE IDENTIFICA A TODOS LOS BOLIVIANOS (WEBSEITEN) GLORIA hat als Peruanerin Verständnis für ein derartiges Verhalten, 148 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 todas las personas busquen de alguna manera un enraizamiento o una identidad, de decir eso es de mi país y yo lo protejo no? es lógico, a nosotros nos pasa lo mismo por el pisco, si los chilenos dicen el pisco es nuestro pues entonces nosotros decimos, aha ok que bien pero que ellos sepan que también hay en mi país, y mientras siga habiendo en mi país va ser nuestro no? (GLORIA, 16.03.08) das aber auch kritische Stimmen auf den Plan ruft: Pero no sé que tanto defienden algo de BOLIVIANO, si no son para nada patriotas en su propio país. Santa cruz pide autonomia con banderas que no es la Boliviana, y el presidente tiene gente marchando con la wipala como bandera nacional. Hagan patria dentro para después defender lo suyo. (FACEBOOK) Tatsache ist, dass sich viele BolivianerInnen im Ausland bolivianischer zu fühlen beginnen, als in ihrer alten Heimat. – Es kommt zu der von Schippers (2002: 42) beschriebenen Ethnogenesis. el Boliviano siempre se siente mas Boliviano cuando se va de Bolivia. (ALEJANDRO, 05.03.08) no se si entonos los casos, pero con los bolivianos que hable, se sienten mas bolivianos que en Bolivia misma (CAMILA, 25.04.08) 149 Eveline Sigl 6.6.3 Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Erste und zweite Diaspora-Generation, Halfies Abb. 9:Erste und zweite Diaspora-Generation, Halfies; eigene Darstellung mittels atlas.ti Auch wenn es viele auslandsbolivianische TänzerInnen gibt, die als (Klein)kinder in das neue Aufenthaltsland gekommen sind und man annehmen könnte, dass sich ihr Bezug zu Bolivien und den bolivianischen Tänzen kaum von denen der Angehörigen der zweiten, bereits im Ausland geborenen Generation unterscheidet, so zeigt sich doch eine Differenz im Identitäts-Diskurs. Wie man auf YouTube immer wieder beobachten kann, macht es durchaus einen Unterschied, ob man von sich sagen kann, ein „echter“, in Bolivien geborener Bolivianer zu sein und allein aufgrund des Geburtsortes eine gewisse Autorität zu haben (oder zu glauben, eine solche zu haben). Umgekehrt wird bei den Beschimpfungen und Diskreditierungsversuchen als einfaches Mittel oft das „Bolivianertum“ der SchreiberIn angezweifelt, um kritisierten Postings die Legitimation zu entziehen. Das angesprochene „Bolivianertum“ wird hier primär lokal, also über den Geburtsort und den langjährigen Lebensmittelpunkt, und erst in zweiter Linie über die Abstammung (z.B. von „100%“ bolivianischen Eltern) konstituiert. Lo que me molesta es que tu me digas que no devo de utilizar el nombre de Bolivia??? y 150 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 quien eres tu para decirme eso si yo naci y vivi mas del 80% de mi vida en el, yo creo que tengo el derecho de decir que yo soy boliviano me pinte o no mi cara. (YOUTUBE) te apuesto que vos ni si quiera eres una verdadera boliviana debes ser una perra nacida de padres bolivianos [/] por lo menos yo soy potosino nacido en bolivia [/] no como vos que te apuesto que has nacido en el extranjero (YOUTUBE) Einige dieser jung ins Ausland gekommenen BolivianerInnen fühlen sich sichtlich nicht als Teil der Aufnahmegesellschaft (vgl. Safran 1999 [1991]: 364, Eriksen 2006 in URL 2) und scheinen sich u.a. über die „Tanzkonflikt“-flaming wars auf YouTube sehr stark an ihr „Bolivianertum“ zu klammern. Bei den Befragungen geben viele an, dass sich wohl nie als BürgerInnen ihres Aufenthaltslandes fühlen werden. todos somos orgullosos de donde venimos osea..nunca nos vamos a sentir como si fueramos de aki (ADRIANA, 04.03.08) creo que nunca voy a llegar a ser suizo.. y no quisiera tampoco.. me parece que cada uno debe quedarse .. no sé a mi me parece romper las raices completamente.. y no.. creo que nunca voy a llegar a eso.. claro que yo no hablo maravillas de mi país que ni es el paraíso ¿no?.. yo sé hay un montón de problemas y errores y bueno es así.. pero tiene tambien su lado bueno para mi como la Suiza tiene su lado malo (unverständlich) y.. no, de identificado: yo soy boliviano y siempre voy a quedar boliviano. (SIMÓN, 07.03.08) Yo vivo en Canada y siempre voy a quererlo,pero yo soy boliviano y sere boliviano hasta que me muera (FEDERICO, 06.05.08) Interessanterweise konnten sich mehrere InformantInnen trotz der permanenten Lobeshymnen auf „ihr“ Land Bolivien und dem vehementen Eintreten für die Pflege und Verteidigung der bolivianischen Kultur nicht vorstellen, später einmal dort zu leben (vgl. Halls Bemerkungen zur Loyalität der zweiten Generation in 2004: 201, 209). Manche von ihnen beklagen sich sogar wie einige der als Erwachsene ausgewanderten BolivianerInnen über Diskriminierung und Probleme bei der Integration. MigrantInnen erster Generation leiden oft an starkem Heimweh, das sie mit dem Tanzen etwas bekämpfen (oder noch mehr schüren) können. - Einige nannten als Grund für das Mitmachen an einer Tanzgruppe, dass sie sich beim Tanzen ein wenig „wie zu Hause“ fühlten (und damit an einer diasporischen Konstruktion von Heimat im Sinne Moosmüllers [2002: 16 f] arbeiteten), für andere ist der Tanz einfach „etwas Gutes“ aus der Heimat. Recordar y vivir aspectos bellísimos de nuestro país al encontrarnos tan lejos de el, por lo menos asi sentimos la música la alegría y nos sentimos como en casa. (NATALIE, 06.04.08) 151 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 ME HACE SENTIR ORGULLOSO Q TODAVIA ESTAMOS EN BOLIVIA PORQ DONDE HAY CULTURA AHI ESTA UN POQUITO DE BOLIVIA (TOMÁS, 10.04.08) Bueno por lo menos he podido encontrar, conocer gente, gente nueva digamos de otros países que están en el grupo y después claro es un poco como estar en Bolivia o verse con otro tipo de gente que tiene toda esa manera de pensar que es tan típica latinoamericana o boliviana , ahora claro también tiene sus cosas buenas y malas, algunos detalles digamos en el sentido de que bueno, acá uno se acostumbra al final a estar siempre puntual a tal hora todo eso no, regulado, uno llega al tiro, y entonces ahí es la diferencia, ya nadie llega a la hora, todos atrasados eso es un detalle, pero ya te muestra un poco la diferencia cultural entonces es como hacer un pequeño viaje a Bolivia cuando uno está ahí, con sus cosas buenas y malas. (ROSARIO, 15.03.08) en especial con las personas que estamos tan lejos de nuetra tierra querida, estos videos hacen que nuestros corazones latan mas a prisa por la emocion de ver algo bueno de nuestro pais. (YOUTUBE) Andere haben in Bolivien getanzt und möchten einfach weiter tanzen, weil es für sie persönlich immer schon wichtig war. He sido parte de varios grupos de danza boliviana desde que tengo uso de razón y creo que la razón de participar siempre es la misma, compartir y expresar mi Bolivianidad, a través de la danza. (RUTH, 16.04.08) Wie CHRISTOPH treffend bemerkte, sind Tanzgruppen auch soziale Anlaufstellen für neu Eingewanderte, die nicht nur mit der neuen Lebenssituation, sondern auch mit der Identität als „Latinos“ zurecht kommen müssen. yo digo de la migración mucho aprendemos por lo menos para los alemanes y otras agrupaciones es como si fuéramos un solo país, una sola región sin diferencias (GLORIA, 16.03.08) Die bolivianischen Diaspora-Gemeinschaften sind ebenso unterschiedlich wie die Rolle, die der Tanz in ihnen spielt. Während manche Tanzgruppen vor allem bei Festen der bolivianischen Community tanzen und quasi das Produkt einer aktiven DiasporaGemeinschaft darstellen, existiert auch der umgekehrte Fall, wo Tanzgruppen dazu beitragen wollen, Kontakte unter den verstreut lebenden AuslandsbolivianerInnen herzustellen und den fehlenden Gruppenzusammenhalt aufzubauen (vgl. Hanna 1979: 214 f). Immer wieder werden allerdings auch Konflikte und Konkurrenzkämpfe zwischen den Tanzgruppen bzw. eine allgemeine Zerstrittenheit der bolivianischen Communities erwähnt. la verdad es que hay mucho conflicto entre un grupo y otro entonces siempre estaban peleando, y cosas entonces al final nosotros decidimos mejor no nos metemos y siempre, 152 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 no sé creo que es mejor esa es una parte que digamos a nosotros no nos gusta, que siempre se andan peleando o los otros o nosotros o toda la cosa pero siempre hay unos que están celosos, y otros que no sé es como una pequeña, yo nunca entendido muy bien porque pero siempre estamos más cada uno por su lado y me imagino también que es porque hay una pequeña concurrencia en el sentido en que como no hay un gran mercado de gente entre comillas para esas danzas bolivianas (ROSARIO, 15.03.08) los bolivianos tendemos a crear y hacer rivalidad - competencia en lo concierne a actividades, a veces sin pensar el daño que nos hacemos (creo que eso tú ya lo sabes), somos incapaces de pensar en la unidad, sino que prima el protagonismo personal. (MARTHA, 31.03.08) La comunidad boliviana a comparación de otras comunidades latinas es pequeña, pero lastimosamente no hay tanta unión entre ella. Es más una competencia, diversas agrupaciones y esparcida. (ROXANA, 27.04.08) lamentablemente tengo que decirlo,la comunidad boliviana es bastante desunida,pero estamos tratando de cambiar . (FEDERICO, 06.05.08) la comunidad Boliviana no esta muy unida en este estado como en otros, lo cual nos obliga como representantes de Bolivia a una tarea de unificación de todos los Bolivianos para formar un a comunidad de Amistad, Hermandad y ayuda entre todos y para todos (AURELIO, 10.05.08) Besonders in Schweden wird der Zusammenhalt über eine Kombination aus Tanz und Sport angestrebt: Die Tanz-/Sport-Vereine haben eine wichtige soziale Funktion, die sich in einer regelrechten Jugendarbeit niederschlägt, für die die Tanzgruppen auch staatliche Förderungen bekommen. En realidad lo que nos une es que estamos no en nuestra propia tierra, y eso hace que nos indetifiquemos como inmigrantes. La danza y el deporte hace que tengamos una relacion social y cultural. (ADALBERTO, 04.03.08) and also it keep the children and the young people going....and they wont do stupid things like...do drugs and stuff like that because they have some whwre to go...and it is to dance with us... :D Die Situation der bolivianischen MigrantInnen erster Generation variiert stark: Während die einen EhepartnerInnen in ihrer neuen Heimat gefunden haben (oder wegen ihrer EhepartnerInnen in das andere Land gezogen sind), absolvieren andere Auslandssemester, Master- oder Postgraduate-Programme und kämpfen wiederum andere mit der Illegalität ihres Aufenthalts, eine Problematik, die auch in den Tanzgruppen zu spüren ist. hay mucha gente aquí en Suiza que quisiera participar, eh pero ... siendo afectados como grupo digamos por los denuncios que han habido y por los ilegales que quisieran participar. Y no se atreven por miedo o algo así.. y no se atreven de participar (SIMÓN, 07.03.08) 153 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 somos migrantes de primera generación entonces todavía estamos como buscando un piso donde estabilizarnos, entonces la integración a sido también diferente porque tu te puedes mover dentro de círculos de latinoamericanos, bolivianos y que se yo no pero ya tu movimiento dentro de la sociedad alemana está un poco difícil, entonces ya sea por el idioma o porque tenemos hacer un Ausbildung o hacer diferentes actividades, pues eso tiene que ver también en el aspecto del manejo de la sociedad. Y esa movilidad también se transfiere en el grupo. (GLORIA, 16.03.08) Angehörige der zweiten Generation und Halfies fühlten sich meist gut integriert und meinten, in Schule, Studium und Arbeit keinerlei Probleme aufgrund ihrer Abstammung gehabt zu haben. Für sie ist das Tanzen eine real greifbare Möglichkeit, einen Zugang zu ihrem bolivianischen Erbe zu finden und sich stärker mit Bolivien auseinanderzusetzen und zu identifizieren (vgl. Hanna 1979: 223 ff, Baumann 1999: 83). Decidi formar el grupo e integrarse al mismo, porque queria explorar, descubrir y saber mas sobre lo que tiene Bolivia, el pais donde naci. A la ves demostrar al extranjero que Bolivia esta llena de tradición y que en Bolivia existe cultura y folklore sin igual. Otra razon es porque quiero hacer mas y nuevos amigos. DARIO, 10.05.08) When you dance: what is most important to you? What are you proud of? - To portray and feel what our ancestors felt when they danced. It gives me a chance to travel back in time and live that life that without dance would only live in a few scattered books. (GEORGE, 02.04.08) Es hat auf jeden Fall dazu geführt, dass man sich immer wieder so mit der bolivianischen Kultur auseinandersetzt. Also Kultur und Mentalität und Einstellungen, es gibt auch immer wieder Reibungen oder... klar durch die verschiedenen Hintergründe auch irgendwie Missverständnisse. Und man muss erst mal zueinander finden. (VANESSA, 15.03.08) Beim Tanzen selbst werden sehr wohl Unterschiede zwischen den VertreterInnen der ersten und der zweiten Generation wahrgenommen. Gruppen, die vorwiegend aus TänzerInnen der ersten Generation bestehen, bringen demnach nicht nur öfter eigene Tanzerfahrungen in Bolivien ein oder führen Schritte ein, die sie in Bolivien gesehen haben (oder gesehen zu haben glauben), sondern sind auch bei der Kostümierung viel mehr auf Details bedacht als Gruppen, bei denen Interkulturalität und Kennenlernen der bolivianischen Kultur im Vordergrund steht. nadie entraba en muchos detalles, a lo mejor porque ya la mayoría eran digamos bolivianos de segunda generación o no bolivianos que estuvieron en Bolivia y que había quedado con esa imagen que conocían por vacaciones o por sus padres no? [...] la gente que yo tengo contacto ahorita son bolivianos de primera generación, entonces ellos dicen no, las botas vienen aquí o arriba abajo, el sombrero va aquí o el sombrero va allá, las faldas tienen que ser cortas o tienen que ser altas entonces se fijaban siempre en algunos detalles que para mi nunca estuvieron muy presentes a lo mejor no? [los bolivianos de 154 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 segunda generación] van a los grupos bolivianos porque quieren saber cómo es esa parte que se ha quedado como te digo ahí como en el recuerdo de que lo conocen por vacaciones o donde van por un periodo muy pequeño. [...] dentro de Europa, mientras no tengan muy claro que representan las cosas entonces es participar y bueno el resto entra a segundo orden no? (GLORIA, 16.03.08) Verallgemeinern würde ich solche verschiedentlich gemachten Aussagen allerdings nicht, da es hier eindeutig nötig wäre, sich die erwähnten Tanzgruppen offline anzusehen. Zumindestens meine eigene, vorwiegend aus Nicht-BolivianerInnen bestehende Tanzgruppe widerspricht jedenfalls den Beschreibungen einer geringeren Detailtreue - „richtige“ Ohrgehänge, Broschen und Rocklängen sind hier ebenso ein Thema wie das In-Falten-Legen der Aqsus bei Tänzen aus Norte Potosí, ein Detail das ich noch bei keiner einzigen anderen Tanzgruppe, weder in Bolivien noch außerhalb beobachten konnte. Sowohl bei den Halfies als auch bei den im Ausland geborenen Kindern hängt es nach Aussage der InformantInnen stark von der Erziehung der Eltern ab, ob sie sich überhaupt als BolivianerInnen fühlen bzw. einen Bezug zu ihrem „bolivianischen Teil“ haben. Viele Halfies scheinen sich eher dem Land zugehörig zu fühlen, in dem sie aufgewachsen sind, andere sehen sich eher als „halb-halb“ oder „Mischlinge“. me siento boliviana, aunque solamente lo soy un 50% (ROXANA, 27.04.08) ich merke wirklich das ich halb halb bin. Ich bin halt eine Mischung. Ich werde halt nie eine richtige Bolivianerin sein. Ich fühl mich in Bolivien wohl, ich fühl mich auch bei den Menschen wohl, ich fühle mich hier aber genauso wohl. Also ich hab hier und da manches auszusetzen. (VANESSA, 15.03.08) tengo un amigo q me dice en broma: n bandera!!! yo lo veo una ventaja. Pero en orden me ento boliviana primero, me encanta este pais...porq me ha dado la oportunidad de aprender mucho y viajar y pues Colombia tb la llevo en mi corazon! mas q conflicto es interesante! puedo ser una ciudadana del mundo! (LAURA, 10.03.08) Si soy 100% boliviana y me considero la mejor embajadora de mi pais en Holanda (SEBASTIANA, 31.03.08, ein europäischer Elternteil, aufgewachsen in Tarija) Unabhängig von Generation, Alter und Aufenthaltsort geben praktisch alle TänzerInnen an, dass ihnen der bolivianische Tanz auch als Mittel, um ihre Kultur zu pflegen und zu verbreiten wichtig ist. Ebenso wie die Weitergabe an nachfolgende Generation stellt dieser konservatorische Aspekt eine Verbindung zur immerwährenden Tradition, zu Vergangenheit und Zukunft im Sinne von Nash (1989), Fishman (1980) und Baumann (1996, 1999) dar. 155 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Es una organización que fue instituida para propagar y preservar la riqueza cultural de nuestro país, (WEBSEITEN) El Ballet de Danzas Folklóricas Bolivianas „KANTUTA“, ha sido creado con el propósito de dar difusión, en México, a la cultura de la República de Bolivia. (WEBSEITEN) al querer mantener vivas sus tradiciones y costumbres, vieron la necesidad de crear un cuerpo de danza para conmemorar las actividades religiosas de la Virgen de Urkupiña. (WEBSEITEN) ich find das halt schön weil man eben die Kultur aufrecht erhält, und weil man die Kultur pflegt und weil man, ist ein gutes Gefühl. (VANESSA, 15.03.08) yo bailo porque me encanta, mas que todo por mostrar nuestra cultura - para que no muera - para que les guste a los demas (ADRIANA, 04.03.08) ayudamos a expandir mas la cultura boliviana y no dejamos que se pierda (FRANCISCO, 29.03.08) HASI MANTENEMOS NUESTRA CULTURA Y MOSTRAMOS A OTROS LO Q TENEMOS. Y LES GUSTA [...] Y PARA Q NUESTRA GENTE MANTENGA LO NUESTRO (TOMÁS, 10.04.08) Die Anerkennung, die bolivianischen Tanzgruppen auf der ganzen Welt zuteil wird und der persönliche Erfolg bei den Aufführungen wirken nicht nur positiv auf Identität und Selbstbewusstsein der TänzerInnen zurück, sondern verstärken auch das nationale Zusammengehörigkeitsgefühl. En Tawan a habido muy buena aceptacion y da satisfaccion que les gusta tanto que la quieren ver una y otra vez (RENEE, 28.04.08) Si un reconociemiento grande en el apoyo que nos brinda la gente ya sea para recaudar fondos o para apoyarnos con lo que nos haga falta porque les gust aver que haya un grupo de danza Boliviana y esto es lo que me satisface mas el companerismo que existe de los participantes y los no participantes. (SOLEDAD, 02.05.08) BOLIVA Y SU FOLKLOR TRASPASANDO OCÉANOS Y MARES felicidades? compatriotas, muy fello, sigan mejorando y seamos conocidos en el mundo entero (YOUTUBE) Que lindo q nuestra cultura vaya mas alla de nuestras fronteras y sea conocisa MUNDIALMENTE!!! (YOUTUBE) 6.7 Tanz als Werkzeug für Interkulturalität, Integration und soziale Kontakte 156 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Abb. 10: Integration und Interkulturalität; eigene Darstellung mittels atlas.ti Kultureller Austausch und Integration finden in den auslandsbolivianischen Tanzgruppen auf mehreren Ebenen statt. Oft geht es nicht nur darum, die BolivianerInnen verschiedener Generationen und Herkunftsregionen in einem gemeinsamen Projekt zu vereinen und den Diaspora-Gemeinschaften zu vermehrten sozialen Kontakten und einem stärkeren Selbstbewusstsein zu verhelfen, sondern auch darum, den Dialog mit den Anderen zu suchen. Creo que el bailar juntos en un grupo de musica boliviana nos ayudo a los integrantes, tanto bolivianos como no bolivianos, a integrarnos mas, a identificarnos con un tipo de me musica que disfrutamos y al mismo tiempo dar a conocer parte de nuestra cultura mediante su musica. [...] El objetivo general de nuestra asociación es el de promover la integración de Bolivianos residentes en Dinamarca mediante la conservación y difusión de nuestras raíces culturales y el intercambio cultural fomentando actividades socioculturales y apoyo humanitario que concierne la representación de ambos países. (INÉS, 02.05.08) el principal objetivo es la integración cultural y mostrar nuestras tradiciones, folklore y música a través de los bailes en toda su diversidad y colorido en todo el ambito de Cataluña, España y Europa. Siendo la música y la danza parte de la integración intercultural. (WEBSEITEN) Trotz dieser oft propagierten integrativen Ansprüche bleibt die Frage, ob es sich nicht letztlich um kulturalistische Ansätze handelt, die im Sinne einer Ethnopolitik eher dazu dienen, Differenzen festzuschreiben und für die Durchsetzung der eigenen Interessen zu instrumentalisieren (vgl. Baumann 1999: 122, 19). 157 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Bei den Tanz-Aufführungen erfüllt der Tanz jedenfalls eine ikonische Funktion im Sinne Hannas (1979), indem er symbolisch für das ganze Land steht. - Die Tänze und „die Kultur“ zu zeigen bedeutet vielfach einfach, Bolivien zu repräsentieren. Es un orgullo, es un modo de representar a mi país, a lo que yo llamo Patria ( me siento boliviana, aunque solamente lo soy un 50% ). La diversidad del folclore boliviano, la historia, presentar a Bolivia (ROXANA, 27.04.08) principalmente empece a bailar por mostrar bolivia (RENEE, 28.04.08) Es importante representar a mi país de forma cultural especialmente cuando uno está fuera de las fronteras (DANIEL, 06.05.08) Für viele Gruppen steht daher nicht das Tanzen innerhalb der bolivianischen Community, sondern das Vermitteln und Verbreiten der im Aufenthaltsland nicht selten völlig unbekannten Tänze im Vordergrund. Tener un grupo nos permite identificarnos nosotros mismos y traducier nuestro lenguaje cultural a los que no conocen y tambien nos permite promocionarlo (SEBASTIANA, 31.03.08) nos presentamos en público regularmente, que también significa mostrar la cultura boliviana fuera de nuestras fronteras, eso le da un sabor muy especial [...] es lindo tener ahora la oportunidad de bailar y sobre todo de poder mostrar en Austria la riqueza del folklore boliviano [...] Para mi lo mas importante es mostrar la riqueza del folklore de mi país bailando, que es algo que me encanta (GISELLE, 05.04.08) El objetivo principal es el de mostrar nuestro folklore en las noches internacionales y eventos especiales de los institutos a los que pertenecemos (unos del ITC, otros del ISS y nosotros del IHE) [...] Es una manera de celebrar nuestra cultura y sentirnos orgullosos de nuestras raíces, y la riqueza y variedad de tradiciones y costumbres que se ocultan detrás de cada una de nuestras danzas. (MARCELA, 24.04.08) El grupo Saya Caporal DK, nacio de un grupo pequeño de bolivianos residentes en Dinamarca (entre los que me encuentro) con ganas de mostrar un poco el folklore boliviano a la cultura danesa. (INÉS, 02.05.08) Mostrar parte de la cultura boliviana a la sociedad noruega. (MANUEL, 05.05.08) Den meisten TänzerInnen ist es daher auch wichtig, dass das Publikum etwas mehr über die Geschichte und die Hintergründe zu den verschiedenen Tänzen erfährt. Siempre les explicamos, sean bolivianos, argentinos, suizos o de donde vengan, siempre explicamos, nunca bailamos sin explicar, explicamos el grupo, los objetivos del grupo les decimos cuantas danzas, hablamos un poco del carnaval de Oruro y les decimos que vamos a mostrar algunas danzas que se presentan en el carnaval y cada vez que presentamos una danza: esta danza significa esto, tiene.. se explica el contexto cultural de su creación o las hipótesis que uno tenga, como en el tinku: lo que es en realidad. Cada vez! estoy segura, es corto el tiempo pero es muy necesario, para mí hace parte de la danza. (FRIDA, 13.03.08) 158 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Obviamente es importante para saber más acerca de lo que se baila o se presenta, pero creo que en algunos casos no es fácil, ya que en el caso de las danzas folklóricas hay muchas versiones sobre el origen y significado de ésas. (NICOLÁS, 28.03.08) de esa manera se puede entender de que se trata la danza, el porque del vestuario y se hace mucho mas interesante, a demás que se conoce un poco mas acerca de la cultura. (GISELLE, 05.04.08) los bailarines aparte de transmitir la cultura bailando dicen la historia verbalmente entonces el saber la historia verdadera ayuda a que esta transmision sea mas fidedigna (RENEE, 28.04.08) Jeder Tanz erzählt eine Geschichte und sagt etwas über das Volk. Die Leute lernen dabei etwas neues und haben das Gefühl, dass sie es besser verstehen. (STEFANIE, 24.03.08) ... da man mit dem Wissen über den Ursprung der Tänze und ihre Bedeutung beginnt, seine Aufmerksamkeit zu schärfen und sich der Blick für neue Sichtweisen öffnet. (SABINE, 30.04.08) Während die bolivianischen TänzerInnen stolz darauf sind, etwas „Eigenes“ gezeigt zu haben, freuen sich Nicht-BolivianerInnen, wenn sie die Tänze trotz „falscher“ Nationalität gut erlernt haben und Teil einer Gruppe geworden sind. Bueno me siento muy orgulloso por tener la oportunidad de demostrar mi cultura y mis danzas. (HUGO, 25.04.08) Creo que nos ha traido un gusto y una satisfacción de bailar folklore boliviano. Nos sentimos orgullosos de nuestro pais y de poder demostrar nuestra cultura aquí en Montreal nos da mucho gusto. (MERCEDES, 17.04.08) Stoltz macht mich glaue ich das Gefühl dazu zu gehören, Teil der Gruppe zu sein und die Freude am Tanz zu teilen und zu streuen. (SABINE, 30.04.08) estoy muy orgullosa porque la gente por ejemplo que ve los bailes siempre se queda impresionada y te felicita mucho por lo que haces o por el hecho de ser suiza y de bailar en un grupo boliviano, mucha gente agradece que lo hagas y les gusta (ELISABETH, 24.03.08) Durch die Beschäftigung mit dem Eigenen sollen auch Respekt und Wertschätzung für das Fremde gefördert werden. ich finde es gut, wenn das Publikum etwas über die Tänze weiß und sich ein wenig mit ihnen auseinandersetzt. Die Aufführungen sollen nicht nur fröhliches Spektakel sein, das fände ich etwas repektlos. (HERTA, 25.04.08) dicen bien que cuando uno respeta su propia cultura entonces puede respetar la de los otros, entonces para mi pasaba por eso tambén (FRIDA, 13.03.08) Wir selbst als Gruppe stellen ein Zentrum der Integration dar, da wir die unterschiedlichen Nationalitäten in unserer Gruppe durch die gemeinsame Ausübung bolivianischer Tänze zu einer multikulturellen Gemeinschaft vereinen. Denn durch die Identifizierung mit der eigenen Kultur gewinnt ein Mensch an innerer Stärke, Sicherheit und Zugehörigkeit, doch erst durch das Kennenlernen anderer Kulturen gewinnt er 159 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 einen erweiterten Blick, wodurch Toleranz gegenüber seinen Mitmenschen entstehen kann. (WEBSEITEN) la integración es en los dos sentidos, yo me integro a ese país pero ellos también integran una parte de mi cultura porque es mi aporte (FRIDA, 13.03.08) Das Zielpublikum können dabei sowohl Angehörige der Aufnahmegesellschaft als auch andere Diaspora-Gesellschaften sein (oder Randgruppen, wie in dem geschilderten Fall eines Auftritts für ein Homosexuellen-Fest). GLORIA bringt ein sehr schönes Beispiel für den interkulturellen Austausch zwischen der bolivianischen und der türkischen Gemeinschaft in einer deutschen Stadt: la primera vez que bailamos para un público turco fue el año pasado. [...] era porque uno de los chicos era boliviano de segunda generación, entendía muy poco el español, se casaba con una turca, entonces él nos decía, yo conozco muy poco Bolivia entonces por lo menos para mi matrimonio quiero que mi novia conozca qué hay allá, entonces nos preguntó para bailar algo, pero él mismo tampoco sabía exactamente que era, donde quería algo que se fuera a ver la danza, y creo que los padres fueron de la idea. [...] bailamos ahí y era increíble el público aplaudía, [...] presentamos cueca chaqueña, entonces alguien aplaudió como se hace en la cueca chaqeuña no? [...] y después todo el mundo: bravo bravo bravo! [...] Luego bailamos tobas y estaba re-bien también la gente ahí y después nosotros sacamos fotos para intentar sacar a la página web y toda la gente venía porque quería sacarse fotos con nosotros también [...] Era gracioso y después terminamos con tinku y nada, y este depués nos pidieron tarjetas para algunas persona s que dijeron que era algo interesante, que lo habían visto y que no se imaginaban que Bolivia presentaba bailes tan bonitos algunos pensaban dónde queda Bolivia o qué hablan (GLORIA, 16.03.08) Bei diesem Austausch geht es nicht nur um die ZuseherInnen, sondern auch um potentielle neue Mitglieder: Immerhin gibt es etwa in Schweden viele Gruppen, in der mehrheitlich Nicht-BolivianerInnen tanzen. Oft haben die nicht bolivianischen TänzerInnen durch die Tanzgruppe erstmals Kontakt mit der bolivianischen Kultur und empfinden es als sehr lehrreich, ihren Wissenshorizont durch die Gruppe zu erweitern. Da sich auch unter den Nicht-BolivianerInnen Angehörige verschiedener Nationen befinden können, kommt es hier zu einer weiteren interkulturellen Begegnung mit Leuten, die man sonst womöglich nie kennengelernt hätte. Ich habe durch die Gruppe Menschen kennen gelernt, mit denen ich sonst wahrscheinlich nie in Berührung gekommen wäre, wofür ich sehr dankbar bin. [...] Ich finde die Tanzgruppen aber eine wunderbare Form der Intergration und Kommunikation zwischen den Kulturen. (SABINE, 30.04.08) Für viele TänzerInnen sind die sozialen Beziehungen, die durch das Tanzen entstehen, besonders wichtig. Manche haben 160 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Freunde fürs Leben gewonnen (STEFANIE, 24.03.08) andere den Lebenspartner, Personen in der gleichen (Migrations)situation oder schlichtweg Gleichgesinnte gefunden. ESTO DE LOS GRUPOS BAILABLES SI AYUDO MUCHO PORQ VEZ GENTE Q ESTA EN TU MISMA SITUACION Y OTROS Q YA PASARON. Q TE AYUDAN. (TOMÁS, 10.04.08) ISABELLA berichtet sogar von einer transnationalen Freundschaft, die durch das Tanzen entstanden ist: Eine der schönsten Auswirkungen des Tanzens ist eine Freundschaft zu einem Bolivianer, der in Madrid lebt und den ich 2006 beim KdK [Karneval der Kulturen] in Berlin kennenlernte. Das nächste Mal sahen wir uns in Madrid, dann waren wir zur gleichen Zeit in Bolivien und ich konnte in La Paz bei seiner Familie wohnen und wir reisten gemeinsam nach Cochabamba, danach besuchte er mich wieder in Berlin, dann ich ihn in Madrid, wir tanzten beim Karneval in Düsseldorf, dann besuchte er mich in Sevilla, dann ich ihn wieder in Madrid... etc. Und nächste Woche kommt er mich in Berlin besuchen... und wir tanzen zusammen beim Kdk Tinku... unsere globale Freundschaft haben wir dem Tanzen zu verdanken. (ISABELLA, 04.05.08) Eine andere Form von Integration findet dann statt, wenn die tänzerisch schwächere Mitglieder die Möglichkeit bekommen, mitzumachen und nicht nur die tänzerische Perfektion Vorrang hat. Abgesehen von der Frage der Herkunft versuchen wir auch in der Gruppe jeden zu integrieren. Wir versuchen immer zu erreichen, dass auch tänzerisch schwächere Mitgliedern die Chance gegeben wird an diejenigen aufzuschließen, die schneller lernen oder denen das Tanzen aus welchen Gründen auch immer leichter fällt. Das klappt ganz gut, da wir keine professionelle Tanzschule sind, sondern ein gemeinnütziger Verein und es wie gesagt mir sehr darum geht, dass alle Spaß haben - egal ob sie fehlerfrei und präzise tanzen können oder ob man ihnen einfach „nur“ das Bemühen und die Freude am Tanz ansieht. (ISABELLA, 04.05.08) Die BolivianerInnen selbst werden oft erst durch das Tanzen zu einer tiefer gehenden Beschäftigung mit dem Eigenen animiert und geben zu, durch das Tanzen viel über die eigene Kultur gelernt zu haben. En el sentido personal y cultural fue gratificante haber podido mostrar un poco de nuestra cultura a tantas personas de todas partes del mundo, y honestamente, haber podido aprender a bailar muchas de nuestras danzas, porque una cosa es copiar el paso de alguien en un fiesta y otra es prenderlo de verdad y ensayarlo hasta que salga bien (armonía con todas las partes del cuerpo, la cadera, los hombros, la cabeza, las manos, los pies, la expresión facial, etc.). (MARCELA, 24.04.08) 161 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 he aprendido muchas cosas nuevas sobre las danzas (GISELLE, 05.04.08) Damit beginnen sie häufig Dinge zu schätzen, denen sie in Bolivien selbst kaum Beachtung geschenkt hatten. EN BOLIVIA NUNCA BAILE. NO SE PORQ ALLA COMO Q UNO NO SE DA CUENTA LO Q TENEMOS. Y AQUI APRENDI ES BIEN BONITO Q HASTA DESDE AQUI FUIMOS A BAILAR EN EL CARNAVAL DE ORURO. ERA HERMOSO (TOMÁS, 10.04.08) cuando estamos lejos, aprendemos a valorar nuestro pais (ADRIANA, 04.03.08) Que Bolivia tiene una cultura unica y que cuando estamos en Bolivia valoramos poco toda esa riqueza hasta que salimos al exterior y los extranjeros le ponen interes y entusiasmo a pesar que no saben la historia de fondo (RENEE, 28.04.08) 162 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 7 Nachwort zur methodologischen Vorgangsweise Für mich persönlich war es überraschend, wie viele für das Phänomen bolivianischer Tanz relevante Konzepte sich bei genauerem Hinsehen in den Mini-Kommentaren auf YouTube finden ließen. Auch die Tatsache, dass manche der offline bzw. in qualitativen online Fragebögen erhobenen Aussagen sehr stark mit dem Diskurs auf YouTube übereinstimmten, war nicht von Vornherein klar. Was mich ebenfalls Kooperationsbereitschaft sehr der überrascht hat, InformantInnen, war die die sehr letztlich viel an sehr große diesem Text „mitgeschrieben“ haben und denen ich für ihre ausführlichen Statements sehr dankbar bin. Trotzdem bin ich mir sehr dessen bewusst, dass ich mit dieser Arbeit nur ein sehr kleines Teilgebiet des Phänomens bolivianischer Tanz abdecken konnte. Fragen der Macht und eine tiefer gehende Untersuchung von Gender-, mestizischen und indigenen Identitäten mussten ebenso ausgespart werden wie die Analyse der Tanzpraxis in Bolivien, die Geschichte und die sozialen Implikationen der einzelnen Tänze im Rahmen dieser Tanzpraxis sowie die eigentlichen Tanzinhalte (also z.B. die Geschichten, die Inkas oder Tinku zu erzählen versuchen) selbst. All diese angesprochenen Themen sollen daher in einer weiteren, umfangreicheren Arbeit behandelt werden. 163 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 8 Quellen 8.1 Literatur Abercrombie, Thomas (1992): La fiesta del carnaval postcolonial en Oruro: Clase, etnicidad y nacionalismo en la danza folklórica. En: Revista Andina, Año 10, No 2. Cusco. Alby, Tom (2007): Web 2.0. Konzepte, Anwendungen, Technologien. 2. Aufl, Hanser, München. Anderson, Benedict (1991[1983]): Imagined Communities. Verso, London. Appadurai, Arjun (1996). Modernity at Large. Cultural Dimensions of Globalization. University of Minnesota Press, London. Balibar, Étienne (1996 [1991]): Fictive Ethnicity and Ideal Nation. In: Hutchinson, John. Smith, Anthony D. (Hrsg.): Ethnicity. Oxford University Press, Oxford und New York, 164-168. Barth, Fredrik (1970[1969]): Introduction. In: Barth, Fredrik (Hrsg.) Ethnic groups and boundaries. The social organization of cultural difference. 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Auswertung mit atlas.ti Code-Filter: All ______________________________________________________________________ HU: identitaet_ethnizitaet_bol_taenze File: [J:\eigene_dat\Scientific Software\ATLASti\TextBank\identitaet_ethnizitaet_bol_taenze.hpr5] Edited by: Super Date/Time: 06.06.08 02:41:17 1. generation, situation 1. generation, situation herkunftsland argumente tanzursprung/zugehörigkeit aufruf zur aktion 2. generation, situation ausschließlichkeit abgrenzung authentizität, allg abgrenzung über differenz autorenschaft, bekannte abgrenzung, bol regionalismus autorität, autor abgrenzung, kleidung autorität, durch interesse/engagement abgrenzung, kultur abgrenzung, politik/nationalismen abgrenzung, schicht akzeptanz ausfuehrung durch nichtbolivianer anerkennung in bolivien (verdienste) anerkennung nat ursprung/eigentum anerkennung, (internationale) inst apropiacion del espacio indigena apropiacion del espacio urbano argentinierIn argumentation bolivien teil (alto)peru/inkareich 172 autorität/befugnisse durch bolivianertum autorität/wichtigkeit durch alter beeinflussung von außen beschimpfung beschimpfung, indio/cholo/colla beweise/quellen/informationen bewunderung blutmetapher bol (un)einheit bol diaspora-gemeinschaften bolivianerIn bolivianertum durch tanz Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 ausdrücken nd bolivianertum durch abstammung halfies bolivianertum durch geburtsort/leben in bolivien heimweh/sehnsucht bräuche/traditionen caporales chacarera chilenIn cueca dankbarkeit danzas oriente diablada echtheit eigentumsrechte einfluss der eltern/familie einfluss der medien einfluss, westlicher einzigartigkeit entstehungszeitpunkt erwartungen an tänzerInnen hingebung/leidenschaft hochlebenlassen huaynio identifikation identifikation, inkareich identitaet identitaet, fremde_annehmen identitaet, lokal/regional identität und tanz identität, 1. generation identität, 2. generation identität, gender identität, halfies identität, national identität, persönliche identität, urbane exilbol/2. gen, kontakt zu bol identität/lo nuestro/kultur verteidigen exilbol/2.gen, leben in bolivien identitätskrise/konflikt exilbol/2.gen, reisen/aufenthalte in bol incas, tanz exilbolivianerIn familiengeschichte fanatismus fehlerhafte_annahmen/mythenbildu ng flaming war forschung fremdbewertung/einfluss gastronomie generalisierung grenzueberschreitende_kult_gemein samkeiten großartigkeit/schoenheit_eigenes_la integration im aufnahmeland interesse 2. generation internetauftritt karneval oruro kenntnis, ir y ver konflikt/hass nationalstaaten kontakt zu bol tgr korrekte bezeichnung kreativitaet kultur, bolivianische kultur, eigene schätzen kultur, erbe kultur, fremde schätzen 173 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 kultur, fremde_pflegen peinlichkeit/scham kultur, peruanische perfektion kultur, respektieren peruan paternalismus kultur, sich eigener schämen nicht-bol peruanerIn kultur, unterschied bol - nicht-bol kultur, veränderung kultur/folklore weltweit pflegen/verbreiten/vermitteln kulturelle wurzeln kultureller austausch/inter,multikulturalität prestige/status qualitaet=peruanisch qualität qualitätskriterien rassismus regionalismen bolivien religion kulturen, indigene repraesentation des anderen kulturen, regional/lokal respektvoller umgang kulturreichtum eines landes saya/caporales la einheit schwerpunkt colla la folklore sexuell_aufreizend land repräsentieren show off landesliebe sich des eigenen bewusst werden lateinamerikanerIn sinnlichkeit llamerada sozialisation beeinflusst tanzverhalten lo nuestro macht medienecho mestizaje modern/vor-modern morenada musik nationalstaat, argentinien nationalstaat, bolivien nationalstaat, chile nationalstaat, peru negritos (tanz) neid/mißgunst nicht-bol, situation offenheit/verschlossenheit original_und_kopie 174 staatengeschichte_suedamerikas stolz stolz auf herkunft stolz auf lo nuestro stolz und tanz stolz auf int verbreitung stolz auf landeszugehoerigkeit suri tanz tanz als abbild der lebensrealität tanz als bereicherung tanz und soziale schicht tanz, (gender)-rollen tanz, (un)wichtigkeit tanz, als ehrung, Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 erinnerung/nostalgie tanz, integrative funktion tanz, als jugendarbeit tanz, interaktion mann-frau tanz, attraktivität für jugend tanz, kommerzialisierung tanz, attraktivität für nicht-bol tanz, kontext im ausland tanz, ausdruck der vergangenheit tanz, korrektur von stereotypen tanz, ausdruck/charakter/stil tanz, möglichkeit der selbstrepräsentation tanz, ausführung durch nicht-bol tanz, ausstattung tanz, authentizität tanz, bedeutung für 1. gen tanz, bedeutung für 2. gen tanz, bewirkt interesse/lernen/erfahren tanz, bewirkt zufriedenheit mit sich selbst tanz, bezug zu indigenen tanz, bezug zu staat tanz, braucht mut tanz, cambas-colla tanz, choreografie tanz, cosa de indios/clase baja tanz, dient imagekorrektur tanz, eigentum/besitz tanz, emotionen tanz, neuschöpfung tanz, partizipation in bol tanz, persönl nutzen tanz, publikum tanz, regionalspezifische varianten tanz, religion/ritual tanz, rezeption nicht-bol in bolivien tanz, schwierigkeiten tanz, soziale funktion tanz, symbol tanz, technik tanz, um sich attraktiv zu fühlen tanz, um sich zu hause zu fühlen tanz, unterschied bol - nicht-bol tanz, überzeugungen tanz, veränderung tanz, entstehung tanz, veränderung außerhalb von bol tanz, erdverbundenheit tanz, verbindung zu ewigkeit tanz, ermöglicht soz beziehungen tanz, verinnerlichen tanz, erste erlebnisse tanz, vermittelt harmonie tanz, erstkontakt tanz, vorbildung/andere tänze tanz, essenz tanz, vorlieben/gefallen und gründe dafür tanz, finanzielles tanz, für publikum adaptieren tanz, für tourismus tanz, geschichte/inhalt tanz, gutes aus der heimat tanz, herausforderung tanz, vorstellung/kenntnis erwerben tanz, was er für nicht-bol bedeutet tanz, was er vermittelt/man vermitteln will tanz, werkzeug für nationalismen tanz, wirkung auf nicht-bol 175 Eveline Sigl tanz, zugehörigkeit/gefallen bol regionen tanz, zum vergnügen tanz, zur persönlichen entwicklung tanz/kultur, aneignung/raub tanzen, gründe fürs anfangen Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 tobas tracht/kostüm umzüge etc außerhalb von bol unabhaengigkeit unterschied 1.,2. generation tanzkonflikt unterschied, tanzen in/außerhalb von bol tanzkonflikt, außerhalb von la unterstützung tanzkonflikt, sicht nicht-bol unterstützung offizielle stellen tänze, indigene ursprung, gemeinschaft tänzerInnen, situation ursprung, kolonial territoriale restitution ursprung, lokal/territorial tgr = (erweiterte) familie vergleichende wertung tgr, alter vielfalt tgr, auftritte für wen/wo vorstellung des anderen tgr, bedingungen vorstellung des indigenen tgr, dauer zugehörigkeit vorstellung von bolivien tgr, entstehung wahrhaftigkeit tgr, gründe fürs mitmachen weitergabe an 2., 3. gen tgr, konflikte weltweite_bekanntheit/anerkennung /erfolg tgr, proben tgr, repertoire tgr, schwierigkeiten/probleme tgr, sprache tgr, struktur tgr, ziele tgr, zusammensetzung tgr, zweck tgr ausland tgr ausland, als bereicherung tinku 176 wertschätzung beginnt in der ferne wichtigkeit lernen_wissen_wie widerspruechliche argumentation wir-gefühl, national wir-gefühl/unterstützung durch tanz zitat, liedtext zugehörigkeit, tradition zugehörigkeit, verbreitung 9.2 Fragebogen/Interview-Leitfaden 9.2.1 Deutsch FRAGEBOGEN: Bolivianische Tänze außerhalb von Bolivien Wie bist Du das erste Mal mit den bolivianischen Tänzen in Berührung gekommen? Warum hast Du mit dem Tanzen begonnen? Welcher Tanz gefällt Dir am besten und warum? Welche Auswirkungen hat das Tanzen für Dich gehabt? (In Bezug auf persönliche, soziale, kulturelle... Aspekte) Hat es Dich irgendwie verändert? Welche Tänze gefallen Deiner Meinung nach besonders den BolivianerInnen, welche besonders den Nicht-BolivianerInnen? Gibt es da einen Unterschied? Welchen Bezug hattest Du vor dem Tanzen zu Bolivien? Hat sich Dein Bolivien-Bild durch das Tanzen irgendwie verändert? Wenn ja, wie? Welche Vorstellungen verbindest Du mit Bolivien? Was hältst Du von dem Streit, welchem Land Tänze wie Caporales, Morenada und Diablada gehören? Was bedeutet für Dich Authentizität? Ist sie Dir bei den bolivianischen Tänzen wichtig? Wenn ja, warum? Wie definierst Du Qualität bei den Aufführungen von bolivianischen Tänzen? (z.B. bei Eurer Gruppe, aber auch bei Videos oder Auftritten anderer Gruppen) Hast Du da irgendein oder mehrere Referenz-”Modelle”? Was denkst Du über die Präsentation der Frau in den verschiedenen bolivianischen Tänzen? Was ist Deiner Meinung nach der Unterschied zwischen bolivianischen und nicht bolivianischen TänzerInnen? Glaubst Du, dass es wichtig ist, dass es bolivianischen Tanzgruppen im Ausland gibt? Wenn ja, warum? Was sagen Deine Freunde und Verwandten dazu, dass Du bolivianische Tänze machst? Was macht Deiner Meinung nach die Attraktivität bolivianischer Tänze für NichtBolivianerInnen aus? Was möchtest Du beim Tanzen vermitteln? Warum glaubst Du, dass Caporales sowohl in Bolivien als auch außerhalb so wahnsinnig populär ist? Was stellt dieser Tanz Deiner Meinung nach heute dar? Wie siehst Du die Themen Kreativität und Innovationen im bolivianischen Tanz? Wie wird in Eurer Gruppe Autorität konstruiert? Konkret: Ist es schwieriger, als Deutsche/r/Halb-BolivianerIn oder BolivianerIn 2. Generation in gewissen Punkten “gehört” zu werden als das bei BolivianerInnen 1. Generation der Fall ist? Ihr habt ja eine sehr schöne Homepage und … hat mir erzählt, dass sie die Texte verfasst Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 hat. Gibt es da auch in der Gruppe eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den TanzInhalten, der Geschichte und Bedeutung der Tänze? Gibt es da Unterschiede zwischen den BolivianerInnen und Nicht-BolivianerInnen (z.B. dass sie ein bestimmter Aspekt viel mehr/weniger interessiert?) Glaubst Du, dass es wichtig ist, dem Publikum etwas über den Ursprung der Tänze zu erzählen? Warum? Wie bist Du zu Deinem Wissen über die bolivianischen Tänze gekommen? Hast Du Dich außerhalb der Tanzgruppe noch irgendwie damit beschäftigt? Eure Gruppe hat ja einen stark integrativen Anspruch. Lässt sich dieser leicht verwirklichen? Wo gibt es am ehesten Probleme bzw. wo hat es da vielleicht früher Probleme gegeben? Ich nehme jetzt einfach einmal an, dass Du schon beim … getanzt hast. Wie gestaltet sich das Zusammentreffen der verschiedenen bolivianischen Gruppen und TänzerInnen genauer? Gibt es da auch Gruppen, die nur aus BolivianerInnen bestehen? Wie läuft da die Zusammenarbeit mit gemischten Gruppen? Hattest Du schon einmal Erlebnisse in Richtung: „Warum tanzt Du das eigentlich? Diese Tänze/Trachten gehören ja nicht Dir!” Oder in Richtung: „Ein/e BolivianerIn tanzt schlecht und wird von einer/einem NichtBolivianerIn korrigiert.” ? Was passiert/e da? Sprichst Du Spanisch? Hast Du früher andere (nicht bolivianische) Tänze erlernt? Was bringt es Nicht-BolivianerInnen, in einer bolivianischen Gruppe mitzutanzen? Wie war Dein erster Auftritt? Demografische Daten: Geschlecht: Alter: Wie lange Du schon tanzt: Beruf: 9.2.2 Spanisch CUESTIONARIO: Danzas bolivianas fuera de Bolivia En general: ¿qué significa para tí bailar danzas folklóricas? ¿Cúal es la danza con la que personalmente te identificas? ¿por qué con esa danza? ¿Por qué razón ingresaste al grupo? ¿Has bailado en algún conjunto folklórico en tu patria? En el caso afirmativo: ¿En qué conjunto, en una Entrada, en el Carnaval o simplemente en fiestas? ¿Notas alguna diferencia con el hecho de bailar actualmente en el grupo? En el caso negativo: ¿Por qué razón empezaste a bailar en el extranjero? Para tí y los otros integrantes: ¿Cuales fueron los resultados de bailar en este grupo? (p.ej. en el sentido personal, social, cultural, moral, financiero…) ¿El hecho de bailar te hizo cambiar en algún sentido? ¿Como ves el tema de la pertenencia de danzas como Caporales y Morenada a los países de 178 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Bolivia, Perú y Chile? ¿Te parece que hay regionalismos en las danzas bolivianas? En el caso que sí: cuales? ¿Se nota eso en España? ¿Qué opinas acerca de la representación de los pueblos indígenas en las danzas? ¿Cúal sería para tí la esencia de la cultura boliviana? En cuanto a las danzas bolivianas ¿qué sería “lo auténtico”? ¿Qué opinas acerca de la presentación de la mujer en las diferentes danzas bolivianas? Cuando bailas: ¿Qué es lo que hace que te sientas orgulloso? ¿Qué es lo que más te importa? Si comparas bailarines bolivianos y no bolivianos: ¿Cuáles son las diferencias? En general: ¿Cuales son las diferencias culturales entre los bolivianos y los no bolivianos? ¿Por qué crees que es importante que haya grupos de danzas bolivianas en el extranjero? ¿Sientes que hay reconocimiento por parte de la sociedad hacia el desempeño del grupo? ¿En qué forma? ¿Qué es lo que a ti más satisfacción te causa, qué es lo que más te importa? ¿Por qué crees que las danzas bolivianas gustan a los no bolivianos? En tu opinión: ¿A qué se debe el éxito de la danza de los Caporales tanto en Bolivia como en el extranjero? Sabemos que al principio los Caporales tenían que ver con los afro-bolivianos, pero a mí me parece que ahora ya no es así. ¿Qué opinas al respecto? ¿qué es lo que representa ahora en tu opinión personal? ¿Cómo ves el tema de las innovaciones en las danzas bolivianas en general? ¿Crées que es importante que los bailarines y el público sepan algo sobre el origen y el significado de las danzas? ¿Por qué sí, por qué no? ¿Dónde y cómo aprendiste tu lo que sabes acerca de las danzas? Por favor, descríbeme como se fundó tu grupo y cuáles son los objetivos del grupo. Por favor, descríbeme la estructura de tu grupo (nacionalidades y edad de los integrantes, jerarquía, directiva, los requisitos para entrar, etc) Por favor, descríbeme la situación de los integrantes latinos en el nuevo lugar de residencia (p.ej. tiempo de estadía, vida social, trabajo, estudios, posición dentro de la comunidad boliviana/peruana, etc) ¿Cómo te sientes en tu nuevo lugar de residencia? ¿Qué tipo de dificultades tuviste que afrontar? ¿Dónde encontraste amigos? En tu opinión: ¿qué tiene que ver el hecho de bailar con la identidad? Datos demográficos: Género: Edad: Tiempo que llevas bailando: Profesión: 179 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 9.3 Tänze 9.3.1 Caporales Der Caporales-Tanz hat sich Ende der 1960er Jahre zwar aus Tunidiqui/Negritos (einer tänzerischen Parodie auf die afro-bolivianischen SklavInnen und ihren Tanzstil) entwickelt, mittlerweile den Bezug zu den afro-bolivianischen Elementen jedoch weitgehend verloren. Als absoluter Modetanz hat er im Fantasie-Renaissance-Kostüm nicht nur ganz Bolivien (wo er sozusagen als Tanz der „Reichen und Schönen“ gilt), sondern auch die auslandsbolivianischen Tanzgruppen erobert. Trotz (oder gerade wegen) des auftrumpfenden Macho-Gehabes der Tänzer und der sexistischen Präsentation der Frauen in super-kurzen Miniröckchen ist Caporales auch bei den nicht bolivianischen TänzerInnen als spektakulärer Showtanz sehr beliebt, was dazu geführt hat, dass sich viele dieser Tanzgruppen überhaupt auf Caporales spezialisiert haben. Für viele BolivianerInnen transportiert Caporales auch ein neues, modernes und nicht indigen geprägtes Bild bolivianischer Folklore, mit dem sie sich gerne identifizieren. Abb. 12: Caporales (Februar 07, Carnaval de Oruro, Foto: José Rocha Mattos) 180 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Abb. 11: Caporales: Macha (August 07, Chulumani, eigenes Foto) Abb. 13: Caporales (ohne Datum, Carnaval de Oruro) 181 Eveline Sigl 9.3.2 Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Morenada In Bolivien gehört die Morenada zu den populärsten der heute praktizierten Umzugstänze, was zweifellos mit ihrer langen Tradition und Funktion als Symbol wirtschaftlicher Macht zusammenhängt. Außerhalb Boliviens wird die Morenada nicht ganz so häufig aufgeführt, erfordert sie doch den Transport schwerer und voluminöser Männerkostüme, die nicht so leicht ins Ausland mitgenommen werden können, die Logistik von Tanzpräsentationen verkompliziert und im Vergleich zu anderen Tanzkostümen sehr teuer sind. Neben mehreren Männerfiguren, von denen im Ausland meist nur der Moreno (von Spanisch: moreno = dunkel, schwarz; ein Hinweis auf die vielfach postulierte Entstehung des Tanzes als Imagination der afro-bolivianischen Sklaven), seltener auch der Achachi gezeigt wird, existieren zwei Frauenfiguren: Cholitas und Figuras oder Chinas Morenas. Für viele Tänzerinnen liegt die Präferenz eindeutig bei der China Morena, die mit MiniKleid und Plateau-Stiefeln gewissermaßen als Fantasiefigur auftritt, während die Cholitas die Schicht der mujeres de pollera (s. S. 80) darstellen. Bei bolivianischen Tanzumzügen muss meist nicht nach Cholita-Darstellerinnen gesucht werden; die Tänzerinnen, die „als“ Cholitas tanzen sind meist Cholitas. 182 Eveline Sigl Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Abb. 14: Morenada: Cholita (August 07, Chulumani) Abb. 15: Morenada: Figura (August 07, Chulumani) 183 Eveline Sigl 9.3.3 Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008 Tinku Der Tinku entstand in den 1980ern als tänzerische Repräsentation der gleichnamigen rituellen Feste, die in verschiedenen Dörfern der Kulturregion Norte Potosí abgehalten werden. Im Vordergrund stehen dabei Imaginationen „des Indigenen“ sowie die tänzerische Darstellung der rituellen Kämpfe zwischen den am Berg und im Tal angesiedelten Dorfhälften janansaya und urinsaya. Die Liedtexte, Tanzgesten und – kostüme haben sich den urbanen Visionen von Indianertum angepasst und haben vor allem für die dunkelhäutigeren und aus ländlichen Gegenden stammenden Angehörigen der unteren Mittelschicht eine wichtige identifikatorische Funktion. Der Tinku erlaubt es sozusagen, sich als Indigene/r bzw. Nachkomme der Indigenen zu fühlen, ohne dabei wie die „echten“ Potosinos diskriminiert zu werden. Abb. 16: Tinku (Februar 07, Carnaval de Oruro) 184 Abb. 17: Tinku (Februar 07, Carnaval de Oruro)