Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Vom Tanzboden ins Web 2.0
Identität und Ethnizität im bolivianischen
Tanz, untersucht im Web 2.0
Diplomarbeit von Eveline Rocha Torrez [Sigl]
Studienrichtung:
Kultur- und Sozialanthropologie
Universität Wien
Betreuerin: Prof. Elke Mader
I
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung .................................................................................................................... 1
2
Cyber-Anthropology ................................................................................................... 4
2.1
Stand der Forschung .............................................................................................. 4
2.2
Allgemeines............................................................................................................. 4
2.3
Theoretische Konzepte ........................................................................................... 6
2.3.1
Das Internet als sozialer Raum ...................................................................... 6
2.3.2
Das Internet als kulturelles Artefakt und soziale Praxis ............................... 7
2.3.3
Internet und Identität .................................................................................... 9
2.3.4
Internet und Konflikt ....................................................................................11
2.3.5
Internet, nationale Identität und Diaspora- Gemeinschaften ......................13
2.4
Forschungsfeld Web 2.0 ........................................................................................15
2.4.1
Allgemeines ...................................................................................................15
2.4.2
Social Network Sites (SNS) ...........................................................................17
2.5
2.4.2.1
MySpace ................................................................................................19
2.4.2.2
Facebook ...............................................................................................19
2.4.2.3
Orkut .....................................................................................................20
2.4.2.4
YouTube ...............................................................................................20
2.4.2.5
Skype.....................................................................................................20
Feldforschung im Internet ....................................................................................21
2.5.1
Allgemeines ...................................................................................................21
2.5.2
Zeitlicher Rahmen und persönliche Involviertheit ......................................22
2.5.3
Anonymisierung und Schutz der InformantInnen,
Privatsphäre vs
Öffentlichkeit .............................................................................................................23
II
2.5.4
Online-offline-Problematik ...........................................................................24
2.5.5
Eigene online Identität..................................................................................27
2.5.6
Methoden.......................................................................................................27
2.5.6.1
Lurking .................................................................................................27
2.5.6.2
Teilnehmende Beobachtung ................................................................28
2.5.6.3
Standardisierte Online Befragungen ....................................................30
2.5.6.4
Individualisierte Online Befragungen per email .................................31
Eveline Sigl
3
Kultur, Identität und Ethnizität .................................................................................34
3.1
Stand der Forschung .............................................................................................34
3.2
Triangulation von Identität, Ethnizität und Kultur ..............................................34
3.3
Identität, Differenz und Alterität...........................................................................35
3.3.1
Baumanns Grammars of Identity/Alterity .....................................................36
3.3.2
Identifikation .................................................................................................37
3.4
Begriffsdefinitionen.......................................................................................38
3.4.2
Ethnische Grenzziehungen (ethnic boundaries)...........................................39
3.4.3
Entstehung und Kommunikation ethnischer Klassifizierungen .................41
3.5
Ethnizität, Nationalismus und Rassismus .............................................................43
3.6
Ethnizität, Kultur und Tradition ...........................................................................47
3.6.1
Sichtweisen von Kultur .................................................................................47
3.6.2
Ethnizität, Kultur und (Bi-, Multi-) Kulturalismen ......................................49
3.6.3
Tradition ........................................................................................................51
Tanz als Ausdruck von Kultur, Identität, Ethnizität .............................................53
3.7.1
Tanz als kulturell determiniertes Verhalten und Mittel der Abgrenzung ...53
3.7.2
Bedeutung in urbanen Zentren ....................................................................55
3.7.3
Tanz, Sexualität und Gender-Rollen ............................................................55
3.8
Diaspora-Identitäten ..............................................................................................57
Qualitative Forschungsmethoden..............................................................................64
4.1
Allgemeines............................................................................................................64
4.2
Datenerhebung ......................................................................................................64
4.2.1
Problemzentriertes Interview ........................................................................64
4.2.2
online Befragung ...........................................................................................64
4.3
5
Ethnische Identität, Ethnizität ..............................................................................38
3.4.1
3.7
4
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Auswertung auf Basis der Grounded Theory ........................................................65
4.3.1
Theoretische Grundlagen .............................................................................65
4.3.2
Vorgangsweise ...............................................................................................66
Vorgehensweise .........................................................................................................71
5.1
Erste Schritte und Orientierung in den online SNS ............................................71
3
Eveline Sigl
6
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
5.2
Weitere Vorgehensweise .......................................................................................75
5.3
Analyse von Youtube-Kommentaren ....................................................................75
5.4
Präsenz in den SNS und individualisierte online Befragungen ..........................77
5.5
Interviews per MSN ...............................................................................................81
5.6
Interviews per Skype/Telefon ................................................................................83
5.7
Face to face Interviews ..........................................................................................84
5.8
Problematische Punkte bei der Cyber-Ethnografie ..............................................85
5.8.1
online-offline-Problematik ............................................................................85
5.8.2
Konstruktion einer eigenen online Identität ................................................87
5.8.3
Möglichkeiten der Teilnahme .......................................................................89
5.8.4
Knüpfen engerer online Beziehungen ..........................................................90
Analyse .......................................................................................................................91
6.1
Anmerkungen zu Analyse und Präsentation der Daten........................................91
6.2
Allgemeines zum bolivianischer Umzugstanz, seiner Bedeutung für die Identität
der TänzerInnen und seiner Rolle in den diasporic public spheres .................................92
6.3
6.3.1
Tanz und gemeinsame Abstammung ............................................................93
6.3.2
Abgrenzung über Schicht, Status und Ethnizität.........................................95
6.3.3
Nationaler „Tanzkonflikt” zwischen Bolivien, Peru, Chile und Argentinien100
6.3.4
Regionalismen – Cambas und Collas .......................................................... 113
6.3.5
Abgrenzung über die Vorstellung des Anderen ......................................... 116
6.4
4
Bolivianischer Umzugstanz und ethnische Identität .............................................93
6.3.5.1
Exotismus und Fremdheit .................................................................. 116
6.3.5.2
Indigene und afro-bolivianische Andere ........................................... 118
6.3.5.3
Unterschiede bei den TänzerInnen .................................................... 120
6.3.5.4
Peruanische und chilenische Andere ................................................. 124
Bolivianischer Umzugstanz und kulturelle Identität ........................................... 126
6.4.1
Tanz als Teil der bolivianischen Kultur ...................................................... 126
6.4.2
Tanz als Teil eines ewigen Kreislaufs ......................................................... 128
6.4.3
Bezüge zu den Indigenen ............................................................................ 132
6.4.4
Bezug zu Religion und Ritual ...................................................................... 135
6.4.5
Kulturelle Gemeinsamkeiten und Differenzen ........................................... 136
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
6.5
Tanz und Gender-Identitäten .............................................................................. 137
6.6
Tanz, „persönliche“ und Diaspora-Identitäten ................................................... 145
6.6.1
Tanz als Mittel zur persönlichen Entwicklung ........................................... 146
6.6.2
„Fremde” und „eigene” Identitäten ............................................................ 147
6.6.3
Erste und zweite Diaspora-Generation, Halfies .......................................... 150
6.7
Tanz als Werkzeug für Interkulturalität, Integration und soziale Kontakte ....... 156
7
Nachwort zur methodologischen Vorgangsweise ................................................... 163
8
Quellen ..................................................................................................................... 164
9
8.1
Literatur ............................................................................................................... 164
8.2
Weblinks zur theoretischen Diskussion .............................................................. 168
8.3
Weblinks zu den bolivianischen Tanzgruppen außerhalb Boliviens .................. 169
Anhang ..................................................................................................................... 172
9.1
Vollständige Code-Liste der Auswertung mit atlas.ti ..................................... 172
9.2
Fragebogen/Interview-Leitfaden ......................................................................... 177
9.2.1
Deutsch ....................................................................................................... 177
9.2.2
Spanisch ...................................................................................................... 178
9.3
Tänze .................................................................................................................... 180
9.3.1
Caporales ..................................................................................................... 180
9.3.2
Morenada ..................................................................................................... 182
9.3.3
Tinku ........................................................................................................... 184
5
Eveline Sigl
0
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
1 Einleitung
Der bolivianische Tanz hat eine lange Tradition, die sich bis in die Zeit vor der
spanischen Eroberung zurückverfolgen lässt. Viele der heute populären Umzugs- und
Bühnentänze entstanden während der Kolonialzeit (bis 1825) bzw. in der nachfolgenden
republikanischen Phase und waren schon damals wichtige Symbole für Identität und
Ethnizität. Zu einem regelrechten Massenphänomen mit starken Bezügen zum postrevolutionären Nation State Building entwickelte sich die bolivianische Folklore jedoch
erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als auch bis dahin nicht in das
Tanzgeschehen involvierte Gesellschaftsschichten begannen, an den Tanzumzügen
teilzunehmen. Populäre Tänze wie Morenada, Diablada, Tinku, Taquirari und ganz
besonders Caporales sind heute anerkannte Symbole von „lo nuestro“ („dem Unseren“)
und ein wichtiger Bestandteil der staatlich und medial propagierten Narrativen einer
heroischen indigen-mestizischen Vergangenheit und Tradition.
Die Auseinandersetzung mit dem Tanz als Teil des „Eigenen“ bzw. als Mittel der
Abgrenzung gegenüber den „Anderen“ hat in den letzten Jahren nicht nur innerhalb der
Landesgrenzen, sondern auch in den bolivianischen Diaspora-Gemeinden auf der
ganzen Welt stark an Bedeutung gewonnen. Bedingt durch die technische Entwicklung
des Internets fanden die Tänze außerdem Eingang in die online sozialen Netzwerke des
Web 2.0, wo sich der transnationale Diskurs zum bolivianischen Tanz in Kommentaren
zu den etwa 5.000 relevanten YouTube-Videos, auf etlichen Webseiten und in den
Profilen von Facebook, Orkut und MySpace manifestiert. In Anlehnung an Appadurai
(1996) betrachte ich mein Untersuchungsfeld als Schnittpunkt transnationaler Ethnound Mediascapes, in denen die bewegten Bilder und Imaginationen von bolivianischem
Tanz auf die ebenso mobilen TänzerInnen und Interessierten treffen.
Mit der Frage nach der Rolle, die die bolivianischen Straßentänze bei der Konstruktion
von Identität und Ethnizität in der bolivianischen Diaspora online und offline spielen,
soll die vorliegende Arbeit einen kleinen Ausschnitt des Phänomens bolivianischer Tanz
näher beleuchten und dabei der Untrennbarkeit von online und offline Kontexten
1
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
insofern gerecht werden, als sie die behandelte Thematik in beiden Räumen untersucht.
Um den Rahmen der Untersuchung nicht zu sprengen, habe ich meine Analyse wie folgt
eingegrenzt:
Tanzgruppen
in
Bolivien
selbst
wurden
ausgeklammert,
ebenso
Kommentare zu YouTube-Videos oder Webseiten/Online Social Network Sites von
bolivianischen Tanzgruppen oder Tanzumzügen in Bolivien. Es geht im Folgenden also
nicht um eine Binnenanalyse der Tänze und ihrer Bedeutung für Identität und
Ethnizität, sondern um eine Analyse des sie begleitenden Diskurses, d.h. konkret um
eine Untersuchung von Kommentaren, Nachrichten und Informationstexten im Web 2.0,
die durch online Fragebögen sowie face-to-face und Skype-Interviews ergänzt wurde. Der
Fokus auf die bolivianische Diaspora wurde insofern beibehalten, als ich nur Personen
befragt habe, die außerhalb von Bolivien leben, in den meisten Fällen BolivianerInnen
erster
und
zweiter
Generation
sowie
Halb-BolivianerInnen.
Da
in
manchen
auslandsbolivianischen Tanzgruppen die Anzahl der nicht bolivianischen TänzerInnen
überwiegt und gerade diese TänzerInnen interessante zusätzliche Perspektiven in Bezug
auf Identität und Ethnizität in den Tanz und die von ihnen besuchten Tanzgruppen
einbringen, habe ich mich entschlossen, auch diese Personengruppe über Interviews
und Befragungen in mein Forschungsvorhaben einzubinden.
Meine Vorgangsweise hat sich stark an den vorgefundenen emischen Aussagen
orientiert, aus denen heraus ich die inhaltliche Struktur der Arbeit entwickelt habe. Um
ein „Suchen“ nach der Bestätigung theoretischer Konzepte und eine damit verbundene
Voreingenommenheit zu vermeiden, begann ich mit der theoretischen Aufarbeitung des
kodierten und zusammengefassten Materials erst nach Abschluss der Analysephase.
Ethnografische Untersuchungen sind meines Erachtens trotz häufiger Forderungen
nach „Objektivität“ besonders dann immer etwas sehr Subjektives, wenn man es
wirklich geschafft hat, „Teil“ des Feldes zu werden und nicht nur als unbeteiligte
Beobachterin „von außen“ zuzusehen. Als Gründerin und Leiterin einer eigenen
bolivianischen Tanzgruppe, die eine der umfangreichsten Webseiten zu diesem Thema
erstellt hat und deren YouTube-Videos zum Thema über 100.000 Mal gesehen wurden,
geht meine eigene Position im Feld jedoch sicher über die einer „gewöhnlichen“
2
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
teilnehmenden Beobachterin hinaus, so dass ich hiermit explizit auf meine Position im
Feld hinweisen möchte. Auch wenn ich selbst keine Bolivianerin bin, so habe ich doch
das Gefühl, in dieser Arbeit etwas untersucht zu haben, dass für mich zu einem Teil des
„Eigenen“ wurde und mir deshalb besonders wichtig erscheint.
3
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
2 Cyber-Anthropology
2.1
Stand der Forschung
Wenn die Situation mittlerweile auch nicht mehr ganz so krass ist, wie sie Birgit
Bräuchler (2005: 11) schildert, so erstaunt es doch nach wie vor, wie wenig cyberethnografische bzw. cyber-anthropologische Studien trotz der rasanten Verbreitung des
Internets vorliegen. Werke wie Castells Network Society (1996) erscheinen mit ihrer
Unterscheidung zwischen „realen“ und von diesen abgegrenzten „virtuellen“ Welten
überholt. Auch Hakkens cyborgs@cyberspace hat seit 1999 einiges an Aktualität
eingebüßt. Was die technische Entwicklung anbelangt, trifft das zwar auch auf Hines
Virtual Ethnography, Bayms Tune In, Log on und The Internet: an ethnographic approach
von Miller und Slater zu, doch sind diese drei Werke aus dem Jahr 2000 vor allem
aufgrund ihres praktisch-ethnografischen Zugangs bis heute lesenswert und können
nach wie vor eine Menge wertvoller Anregungen liefern. Die 2005 von Christine Hine
herausgegebenen Virtual Methods bieten wertvolle methodische Hinweise. Für den
deutschen Sprachraum sind vor allem die Dissertationen von Bräuchler (2005) und
Zurawski (2004) sowie die Publikationen von Kremser und Budka zu erwähnen. Da die
von mir untersuchten bzw. für die Untersuchung genutzten Web 2.0-Technologien erst
seit wenigen Jahren existieren (z.B. YouTube seit 2005, MySpace seit 2003, Facebook seit
2004), musste ich mich bei meiner diesbezüglichen Literatursuche allerdings vorwiegend
auf Internet-Quellen stützen. Besonders erwähnenswert erscheinen mir hier die
Arbeiten von Danah Boyd und Patricia Lange.
2.2
Allgemeines
Die folgenden theoretischen Ausführungen zur Cyber-Anthropologie erheben keinerlei
Anspruch auf Vollständigkeit und sollen primär dazu dienen, die im empirischen Teil
der Arbeit verwendeten Begriffe, Konzepte und Methoden vorzustellen und auf einige
besonders wichtige Eigenschaften von Web 2.0 und online Social Network Sites (SNS)
hinzuweisen. Aus diesem Grund habe ich auch darauf verzichtet, einen geschichtlichen
4
Eveline Sigl
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Abriss zur Entstehung des Internets bzw. der Cyber-Anthropologie zu geben oder auf
technische Details einzugehen.
5
Eveline Sigl
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2.3
Theoretische Konzepte
2.3.1
Das Internet als sozialer Raum
Das Internet wirft eine Reihe wichtiger Fragen auf – etwa danach, welche Bedeutung
sein Gebrauch für die NutzerInnen hat, welches Zielpublikum über Internet-basierte
Kommunikation angesprochen werden soll, wie sich soziale Beziehungen durch den
Internet-Gebrauch in ihrer zeitlichen und räumlichen Struktur verändern oder wie
Authentizität und Autorität im Internet konstruiert werden (Hine 2000: 8).
In der vorliegenden Arbeit folge ich Hakkens (1999: 5) bzw. Bräuchlers (2005: 15)
Auffassung und verwende die Begriffe Internet und Cyberspace synonym für einen
sozialen Raum, dessen konkrete „Orte“ der sozialen Interaktion aus Web-Sites, Blogs,
Foren, Chatrooms, Social Network Sites, mail-Servern und Ähnlichem bestehen, der
jedoch nie losgelöst von der offline Realität gesehen werden darf (ebd: 17). Die
innerhalb dieses Raums uni-, bi- und multidirektional, synchron oder asynchron
ablaufende Kommunikation kann sowohl dem Informationsaustausch als auch der
Schaffung
von
Identitäten
dienen
und
erweitert
als
„medial
vermittelter
Erfahrungshorizont“ die Realität des Menschen (Bräuchler 2005: 14 f). Aufgrund ihrer
überholten Abrenzung zwischen „real“ und „virtuell“ sind Castells Konzepte von der
zeitlosen Zeit (timeless time) und dem Raum der Ströme (space of flows) (Castells
2004[1996]: 466 ff, 485 ff) zwar kritisch zu betrachten, doch ist Hine der Ansicht, dass
sich die imaginierte Räumlichkeit des Cyberspace trotz lokaler Bezüge und geografisch
eindeutiger Zuordenbarkeit von Webspaces eher an den Verbindungen als an
physischen Distanzen orientiert. Suchmaschinen und Browser tragen mit ihrer
Strukturierung und Sichtbarmachung der Web-Inhalte dazu bei, dass sich die
UserInnen in den multiplen zeitlichen und inhaltsbezogenen Räumen zurechtfinden
(Hine 2000: 106, 108, 112, 114, Jones 1998: 7). Sowohl für Baym (1998: 40) als auch für
Miller und Slater erlangt das Internet seine Bedeutung erst durch die Einbettung in
soziale Räume, die außerhalb des Internets, also im offline Bereich, angesiedelt sind.
Durch die fließenden Übergänge zwischen online und offline entsteht so ein
inhomogener Raum, in dem die verschiedensten Techniken von den verschiedensten
6
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Leuten an den unterschiedlichen geografischen Orten genutzt werden (Miller und Slater
2000: 1). An die Stelle eines Dualismus zwischen lokal und global tritt dabei eine
komplexe dialektische Beziehung zwischen diesen beiden Polen (ebd: 7). - Die
NutzerInnen werden als Teil von translokalen Netzwerken zu AkteurInnen zusehends
globaler Szenarien, in denen die Grenzen von Märkten, Nationen, Kulturen und
Technologien immer durchlässiger werden (ebd: 18 f). Das Internet kann bei all diesen
Prozessen durchaus transformative Wirkungen haben, aber sicher nicht in einem
„abgeschlossenen“ Cyber-Raum existieren (Miller und Slater 2000: 5). Vielmehr werden
die neuen sozialen Räume in das tägliche Leben integriert und dazu genutzt, eigene
Werte zu verwirklichen. Das Internet selbst muss also gleichermaßen als symbolisches
Ganzes wie als Vielzahl verschiedener Praktiken gesehen werden, in dem neue
persönliche Freiheiten möglich werden (ebd: 16), traditionelle Grenzen und Teilungen
aufgehoben werden können (ebd: 45) und es zu einer Dezentralisierung und einem
Verschwimmen von Autorität und Macht kommt (ebd: 18).
Trotz der rasanten Ausbreitung des Internets kann von einer flächendeckenden
Versorgung keine Rede sein. Der Zugang zu den neuen Informationstechnologien wird
durch Faktoren wie soziale Schicht, Gender und Ethnizität bestimmt und eingeschränkt
(Buckingham: 5), wobei Hakken annimmt, dass diese alten Hierarchien sozusagen
unterbewusst „hineinprogrammiert“ werden (1999: 89). Wenn die resultierenden
Internet-Gemeinschaften auch genauso ausschließend, starr und isoliert sind wie ihre
„alten“ Vorgänger sein können (Jones 1998: 8), so bieten sie gleichzeitig jedoch auch
vielen benachteiligten Gruppen symbolische Ressourcen, um Identitäten auszudrücken
(Buckingham: 5).
2.3.2
Das Internet als kulturelles Artefakt und
soziale Praxis
Der Cyberspace kann jedoch nicht nur als sozialer Raum, sondern auch als Kultur
(Hakken 1999: 1) oder kulturelles Artefakt betrachtet werden (Hine 2000: 64). Hier muss
bedacht werden, dass auch im „Informationszeitalter“ alle Daten zweifach kulturell
kodiert werden: bei der Wahrnehmung und bei der Verarbeitung innerhalb komplexer
7
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Symbolsysteme (Hakken 1999: 20 f). Das Internet ist ein Repräsentationswerkzeug, das
Einfluss darauf nimmt, wie Kultur generiert und reproduziert wird (ebd: 44).
Als Teil der materiellen Kultur beeinflusst das Internet die Menschen, für die der
Umgang mit dieser Technologie etwas Selbstverständliches wird, das sie als Objekt
verstehen und nützen (Miller und Slater 2000: 3). Umgekehrt beeinflussen soziale
Akteure und Institutionen die Auswirkungen des Internets, indem sie bestimmen, wo,
wann, wie und wozu diese Technologien von wem verwendet werden. Diese Praxis
widerspricht natürlich dem bei weitreichenden technologischen Neuerungen (wie etwa
der
Einführung
von
Buchdruck
und
Telefon)
periodisch
wiederkehrenden
Determinismus, der Technologien als neutrale Produkte der Wissenschaft darstellt und
ihnen eine transformierende Rolle in Bezug auf große Bereiche des öffentlichen und
privaten Lebens zuschreibt. In Analogie zu den Diskussionen um die Einführung neuer
Technologien vor hundert Jahren oszilliert die aktuelle Diskussion über das Internet
zwischen Euphorie und Paranoia: Während die einen im Internet neue Formen von
Gemeinschaft und Zivilgesellschaft ermöglicht sehen, die zu persönlicher Freiheit und
verstärktem Empowerment führen können, weisen die anderen auf die Gefahr neuer
Formen von Ungleichheit und kommerzieller Unterdrückung hin (Buckingham 2008: 11
f, Hine 2000: 4 ff, 29, Hakken 1999: 66).
Wie McLuhan in seiner Medium Theory postuliert, können neue Medien auch
bestimmte Formen des Bewusstseins und damit der sozialen Organisation beeinflussen.
Theorien der multimodalen Kommunikation gehen ebenfalls davon aus, dass die
Veränderungen in den dominanten Kommunikationsmodi zu Veränderungen in den
sozialen Beziehungen führen. Buckingham kritisiert an den letztgenannten Ansätzen
allerdings, dass sie dazu tendieren, die verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten dieser
Medien ebenso wie die komplexen Beziehungen zwischen den Veränderungen der
Medien und sozialen Kräften vernachlässigen (Buckingham 2008: 11 f). Ebenfalls häufig
vernachlässigt wird die Kontinuität und Interdependenz zwischen „neuen“ und „alten“
Medien (ebd: 14).
8
Eveline Sigl
2.3.3
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Internet und Identität
Bräuchler sieht das Internet als „Austragungsort kollektiver Identiätsprojekte“, über die
sich die jeweiligen Gemeinschaften definieren, alte Mitglieder halten und neue
anwerben bzw. generell nach außen auftreten (Bräuchler 2005: 28).
Das angesprochene Publikum spielt dabei eine wichtige Rolle, in der die Grenzen
zwischen „passiver“ Rezeption und „aktiver“ sozialer Praxis oft zu verschwimmen
scheinen: In der von Baym untersuchten Usenet-Community bauen Soap-Opera-Fans
aus aller Welt trotz meist fehlender face-to-face Kontakte eine soziale Welt auf, in der
die Rolle des Zusehers (audience) selbst zur einer sichtbaren sozialen Praxis wird, die
interpersonelle Beziehungen und damit ein Gefühl von Gemeinschaft ermöglicht (Baym
2000: 197, 215). Das heisst, dass die online Identitäten nicht nur von anonymen, sondern
auch von nicht anonymen Mitgliedern verschiedener Internet-Communities aktiv durch
die kommunikative Praxis geschaffen werden (Baym 1998: 54). Die Arbeit von WebDesignerInnen kann insofern als „kollektives Identitätsprojekt“ gesehen werden, als sie
sich einerseits stark an den imaginierten Präferenzen und Interessen der potentiellen
BesucherInnen orientiert (Hine 2000: 88) und andererseits eine Möglichkeit der SelbstRepräsentation darstellt, die Stolz und Anerkennung innerhalb der Zielgruppe bringt
(ebd: 93). Page Views und Links auf die eigene Web-Präsenz sind dabei Maßstäbe für den
Erfolg (ebd: 149). Viele Personen und Gruppen hätten ohne das Internet nie die
Möglichkeit gehabt, sich über geografische, soziale und politische Grenzen hinaus
zusammenzufinden und mit ihren Anliegen ein potentiell weltweites Publikum
anzusprechen. Nicht beantwortet ist damit allerdings die Frage, ob ihre „Stimme“ im
Netz überhaupt gehört wird bzw. inwieweit diese „Stimme“ das ebenso verstreute
Publikum ansprechen, beeinflussen oder gar manipulieren kann bzw. ob sie mit den
großen Medienorganisationen in Konkurrenz treten kann (Bräuchler 2005: 40, 322, Hine
2000: 73).
Wie im offline Bereich so werden auch online Identitäten im Spannungsfeld
zwischen Gleichheit (sameness) und Differenz konstruiert (vgl. Gingrich 2004: 4, 6),
Vorgänge der Stereotypisierung oder „kognitiven Simplifizierung“, die eine leichtere
Unterscheidung zwischen Selbst und Anderen ermöglichen (Buckingham 2008: 6) stehen
also auch hier an der Tagesordnung. Zusätzlich kommt es zu einer wachsenden
9
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Verstrickung von lokalen Identitäten mit globalen Prozessen (Bräuchler 2005: 33, Hine
2000: 59). Internet-Gemeinschaften und Einzelpersonen wie die von Miller und Slater
untersuchten TrinidaderInnen nutzen die von ihnen mit Ort, Kultur und Nationalität
assoziierte Differenz, um sich im Internet zu positionieren (Miller und Slater 2000: 98).
Bei online Interaktionen muss die Abwesenheit bestimmter Identitätsmarker des
offline Lebens durch andere Faktoren kompensiert werden (Buckingham 2008: 6). Dabei
stellt sich bald heraus, wie sehr der Körper dazu verwendet wird, durch Bewegungen,
Kleidung, Rede und Gesichtsausdruck Informationen über einen selbst preiszugeben
und wie sehr dieser Körper als etwas Selbstverständliches angesehen wird. Trotz der
technischen Einschränkungen fanden hier aber schon die Benutzer des Web 1.0
Möglichkeiten, dieser Problematik zu begegnen und ihre online Identität so zu
individualisieren, dass die eigene Stimme von den anderen unterscheidbar wurde (Baym
2000: 171). Heute können nicht nur email-Signaturen, Nicknames, ASCII-Illustrationen,
Text und Homepages, sondern auch Bilder, Blogs, Avatare, Audio- und Video-Dateien
der
digitalen
Identitätskonstruktion
dienen,
wobei
sich
sich
diese
Art
der
Selbstdarstellung von der in face-to-face Kontexten gelebten weiterhin unterscheidet. In
mancher Hinsicht sind die Kontrollmöglichkeiten bezüglich der Selbst-Repräsentation
größer als offline und das Internet ermöglicht eine Individualisierung, die es erlaubt,
anderswo stigmatisierte oder verleugnete Facetten der Identität auszuleben bzw. mit
Identitäten
zu
spielen.
Gleichzeitig
kommt
es
allerdings
auch
leichter
zu
Mißverständnissen (Buckingham 2008: 6, Boyd 2008: 128 f, Baym 2000: 147 ff). Das gilt
auch für die in den verschiedenen Arten elektronischer Kommunikation (email, Chat,
SNS)
häufig
elektronische
anzutreffende,
Parasprache,
für
in
Außenstehende
der
Emoticons,
oft
nur
absichtliche
schwer
entzifferbare
Rechtschreibfehler,
Abkürzungen, Wortwahl, Schreibstruktur, Wort-Kreationen und Mischungen aus Großund Kleinschreibung zu einem Ausdruck emotionaler Prozesse werden und auf die sich
online ForscherInnen einstellen müssen. Die solcherart personalisierten Worte drücken
Identität und Kultur stärker aus als es Worte im offline Gebrauch tun. Im Internet wird
mitunter sogar ihr Inhalt unwichtig: nämlich dann, wenn nur die bloße Äußerung
innerhalb eines geteilten kulturellen Umfelds zählt (Boyd 2006 in URL 4, Bräuchler
2005: 35, Baym 2000: 169, Kivits 2005: 40).
10
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Um die Normen der eigenen online Gemeinschaft zu stärken, werden Verstöße
gegen das gruppeninterne Wertsystem mit strukturellen und sozialen Sanktionen
geahndet bzw. erwünschtes Verhalten gestärkt (Baym 2000: 138 [nach Mnookin 1996 und
Reid 1991], 171). Das Fehlen gemeinschaftlicher Objekte im Cyberspace steigert die
Wichtigkeit derartiger Normen (ebd: 141), die einerseits das Verhalten der Mitglieder
solcher online Communities formen, andererseits aber auch selbst einem ständigen, durch
Anwendung und Interpretation bedingten Wandel unterliegen (Hine 2000: 116).
Miller und Slater sehen das Internet als einen Teil der materiellen Kultur, der es
ermöglicht, eigene Grundwerte, Praktiken und Identitäten auszuleben. Im Zuge einer
„expansive realization“ formen die Menschen das Internet nach ihren Vorstellungen und
benutzen es dazu, „das zu werden, was sie glauben, in Wirklichkeit zu sein“. Viele der
von den Autoren untersuchten TrinidaderInnen sehen so eine Möglichkeit, ihre Werte
als Teil eines weltumspannenden Netzwerks zu leben (Miller und Slater 2000: 10 f).
Die Internet-Literalität heranwachsender Generationen erzeugt nicht nur neue
Wege, Identitäten zu formen, sondern auch neue Persönlichkeitsformen. Trotzdem ist
eine Romantisierung fehl am Platz: Nur eine kleine Minderheit der Internet-UserInnen
verwendet das Netz dazu, globale Verbindungen herzustellen, politisch aktiv zu werden
oder multimediale Produktionen zu erstellen (Buckingham 2008: 14).
Der Vollständigkeit halber erwähnt seien an dieser Stelle noch die umfangreichen
Arbeiten von Sherry Turkle, deren Fokus auf den multiplen Identitäten von MUDComputerspielen und der Identitätskonstruktion in einer Simulationskultur liegt
(Hakken 1999: 87).
2.3.4
Internet und Konflikt
Bräuchler unterscheidet bei den immer häufiger weltweit über das Internet
ausgetragenen Konflikten zwischen den Cyber Wars (physische Angriffe auf strategische
Computer eines Netzwerks) und Flame Wars (online Wortgefechte). Während Cyber
Wars u.a. das Schließen von Websites durch Provider-Manipulationen, Virusattacken
und Mailbomben beeinhalten (Bräuchler 2005: 264), konzentrieren sich die Flame Wars
auf das Versenden äußerst aggressiver Nachrichten und Postings. Diese wüsten
Beschimpfungen (Flaming) werden häufig durch die ausschließliche Verwendung von
11
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Großbuchstaben (als Synonym für das Schreien) unterstrichen. Einige AutorInnen
gehen davon aus, dass der fehlende face-to-face Kontakt zu einer Enthemmung und
damit zum Gebrauch eines zutiefst beleidigenden Vokabulars führt (z.B. Hine 2000: 16
unter Bezugnahme auf Sproull und Kiesler), was Lange in ihren YouTubeUntersuchungen jedoch stark anzweifelt. Statt dessen geht sie davon aus, dass das
Flaming soziale Gründe hat und bestimmten offline Konfliktformen wie dem
Einschüchtern (bullying) ähnelt (Lange 2007 in URL 7). Weiters können Flames
(Hasstiraden) einerseits bewusst zur Provokation eingesetzt werden und andererseits
auch helfen, die eigene Gemeinschaft gegenüber den „Anderen“ abzugrenzen (Bräuchler
2005: 63, Hine 2000: 18 in Anlehnung an Smith 1999, Franco et al 1995, Phillips 1996)
bzw. die innerhalb einer online Gemeinschaft vorhandenen Regeln explizit zu machen
(Baym 2000: 185). Hine ist der Meinung, dass Flames auch dazu dienen können, ein
möglicherweise als Zustimmung interpretiertes Schweigen zu einem kontrovers
diskutierten Thema zu vermeiden: Solange die Beschimpfungen andauern signalisieren
die Konfliktparteien, dass sie nicht mit den Argumenten ihrer KontrahentInnen
einverstanden sind (Hine 2000: 135). Im Zuge dieser Abgrenzung zwischen dem „Wir“
und den „Anderen“ kommt es zu Dichotomisierungen, bei denen die Konfliktparteien
versuchen, glaubwürdig und unvoreingenommen zu erscheinen und ihr Publikum mit
über den Meinungen stehenden „Fakten“ zu überzeugen (Bräuchler 2005: 220, Hine
2000: 131). Unterschiede werden dahingehend konstruiert und essentialisiert, dass
(gewaltsame)
Auseinandersetzungen
als
einzig
mögliche
Alternative
erscheinen
(Bräuchler 2005: 223). Wie Bräuchler unter Bezugnahme auf Juergensmeyer (2000)
feststellt (ebd: 227) und wie auch die Daten meiner Untersuchung belegen, wird die
eigene Autorität dabei gern durch geschichtliche Bezüge untermauert. Lokale
Integrations- und Ausschlussmechanismen „werden in den Cyberspace übertragen und
strategisch ergänzt“, wobei immer betont wird, dass man sich selbst nur gegen die
Angriffe der gegnerischen Gruppe verteidige und dass Ungerechtigkeiten der
Vergangenheit ausgeglichen werden müssen (ebd: 260 f). „Aussagen und Argumente der
jeweils anderen Seite werden aufgegriffen, kritisiert und widerlegt, Mitglieder „der
anderen“ und ihre Aktionen im Online- wie im Offline-Bereich werden kommentiert und
angeprangert“ (ebd: 264). Im Zuge derartiger Konflikte kann das Internet helfen,
12
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
„bestehende Gemeinschaften zu erweitern und zu idealisieren, die auf der lokalen Ebene
durchaus nicht so homogen und vereint sind“ (ebd: 319).
2.3.5
Internet, nationale Identität und DiasporaGemeinschaften
Im Gegensatz zu früheren Zeiten, in denen abgegrenzte Territorien als Grundlage für
die nationale Identität angesehen wurden, ist es heute keine Selbstverständlichkeit
mehr, dass Menschen, die sich mit einer Nation identifizieren, denselben geografischen
Raum
bewohnen.
Entgegen
anders
lautender
Prophezeiungen
von
einer
Fragmentierung und nie dagewesenen kulturellen Differenzierung in einem „globalen
Zeitalter“ der Deterritorialisierung wurde das Internet dabei jedoch ein Werkzeug, um
nationale Identitäten zu stärken. Besonders wichtig ist das Internet für landlose
Nationen und Nationen mit großen temporären und permanenten DiasporaPopulationen. Das Studium seiner Rolle bei der Konstruktion und Erhaltung nationaler
Identitäten kann dazu dienen, das Verständnis nationaler Mythen und Symbole zu
verbessern (Eriksen 2006 in URL 2).
Die meisten nicht-europäischen Einwanderer sind bzw. werden nie voll in die
Aufnahmegesellschaft integriert und konstruieren entsprechend komplizierte gekoppelte
Identitäten. Transnationale Netzwerke mit Landsleuten können hier als Alternative oder
Ersatz zu einer Voll-Mitgliedschaft in einem der beiden Länder dienen. So findet zwar in
manchen Bereichen tatsächlich eine kulturelle Homogenisierung statt (Ausbildung,
Technik), die aber gleichzeitig dazu eingesetzt wird, die Differenzierung in anderen
Bereichen (Religion, Glaubensvorstellungen, emotionale Bindungen) aufrecht zu
erhalten (Eriksen 2006 in URL 2). Wie Eriksen es ausdrückt: „... the more similar we
become, the more we try to remain different“ (ebd).
Die neuen Kommunikations- und Informationstechnologien eröffnen neue
Möglichkeiten für das kollektive Identitätsmanagement und erweisen sich besonders in
Bezug auf stark verstreute Gemeinschaften als sehr effizient. Durch die mühelose
Überwindung räumlicher und zeitlicher Distanzen kann das Internet leicht dazu genutzt
werden, Identitäten in einem Ausmaß zu stärken und aufrecht zu erhalten, das früher
13
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
nicht möglich gewesen wäre (Eriksen 2006 in URL 2). So kommt es zu einer
transnationalen Ausdehnung lokaler Phänomene und einer Vernetzung von DiasporaGemeinschaften mit ihrer Heimat, die weitreichende Folgen für die Menschen hat
(Bräuchler 2005 in URL 1). Chatrooms, Newsgroups und blogs erzeugen den Eindruck von
direkter Interaktion, Bekanntheit und Vertrautheit, das weit verstreuten DiasporaGemeinschaften ein integratives Gemeinschaftsgefühl verleiht (Eriksen 2006 in URL 2).
Diese angenehme, effiziente und vor allem sehr kostengünstige Art der Kommunikation
ermöglicht
ausgedehnte
und
regelmäßige
Kontakte,
die
dazu
beitragen,
dass
verwandtschaftliche Funktionen auch in der Diaspora beibehalten bzw. durch die
Migration vernachlässigte verwandtschaftliche Bande reaktiviert werden können (Miller
und Slater 2000: 56). Dabei variiert der Bezug zum Nationalismus: Während manche
Gruppen vor allem versuchen, persönliche Kontakte aufrecht zu erhalten oder
bestimmte kulturelle und religiöse Aspekte ihres Herkunftslandes pflegen wollen,
nutzen es andere vorwiegend für politische Zwecke. Diese Netzwerke können sich sozusagen auf Kosten der Netzwerkverbindungen zum Heimatland – auch sehr stark
innerhalb des Aufnahmelandes entwickeln (Eriksen 2006 in URL 2).
Diasporische Situationen führen zu einer Spannung zwischen den vorrangigen
Zugehörigkeitsprinzipien menschlicher Gemeinschaften, Kinship und Territorium.
Bestimmte Bedürfnisse können nur im Aufenthaltsland abgedeckt werden, virtuelle
Nationen dienen vor allem dazu, eine Identität aufzubauen, die sozial, politisch und
wirtschaftlich genutzt werden kann, oft aber zu einem Konflikt mit dem territorialen
Staat führt (ebd).
Die von Miller und Slater befragten Exil-TrinidaderInnen nutzen das Internet, um
Kontakt mit anderen „Trinis“ zu knüpfen, über Trinidadsche Dinge zu sprechen und ihr
Trinidadertum online auszuleben. Das Internet diente den TrinidaderInnen dazu, sich
einerseits selbst als RepräsentantInnen Trinidads im Netz zu bewegen und andererseits
Repräsentationen von Trinidad (z.B. in Form von Webseiten) zu erzeugen (2000: 85 ff).
Diese kollektive Identitätsarbeit kann letztlich zu einer Deterritorialisierung und
Vergrößerung der existierenden Nationen und damit zu einem virtuellen Nationalismus
führen. Bezug nehmend auf die staatliche Unterstützung exilchilenischer InternetPräsenzen verweist Eriksen auf die Möglichkeit staatlich gesponserter Internet-Nationen,
14
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
die (in Anlehnung an Gellners Nations and Nationalism) eine Kongruenz kultureller und
politischer Grenzen ermöglichen, selbst wenn beide völlig deterritorialisiert sind. Dieser
deterritorialiserte,
virtuelle
Nationalismus
definiert
sich
sehr
stark
durch
die
Orientierung am Rest der „global village“, dem die Schönheiten und Stärken der eigenen
Nation näher gebracht werden sollen (Eriksen 2006 in URL 2). Ein konkretes Beispiel für
diesen deterritorialisierten Nationalismus geben Miller und Slater mit der Idealisierung
Trinidads im Internet, wo es sowohl den auf der Insel lebenden als auch den
ausgewanderten Trinis besonders wichtig war, sich als „wahrhafte/r“ Trini darzustellen
(2000: 92 f). Beim Chatten konnten Trinis ihre „Trini-ness“ auch direkt über die
Verwendung von lokalem Dialekt, lime und ole talk ausleben. Die Autoren weisen im
Zusammenhang mit diesen Chats auch auf eine Aufhebung der üblicherweise mit Dialekt
und englischer Hochsprache assoziierten Klassenunterschiede hin. Durch den emailund ICQ-Kontakt bleiben Trinis in der Diaspora über das tägliche Geschehen in
Trinidad informiert und fühlen sich ihrem Land näher. Eine besonders wichtige Rolle
spielt der von vielen Exil-Trinis besuchte oder zumindestens im Internet mitverfolgte
Karneval: Webseiten zu den Karnevalsgilden, Kostümschneidereien und Musikgruppen
präsentieren das Geschehen ebenso wie die eigens installierte live Webcam (ebd: 94 f).
Nationalismus wird vielfach als Teil der eigenen Identiät gelebt und über die
entsprechenden Symbole (Nationalflagge und –Hymne, Karneval, Calypso und Soca,
Carib Bier und Trinidadsche Persönlichkeiten) in online Präsenzen eingebaut. Dabei
gibt es Privatleute, die regelrechte Nationalhomepages aufgebaut haben (ebd: 105 f). Bei
der Positionierung in den online Netzwerken ist der Nationalismus laut Miller und Slater
der am stärksten ausgeprägte Parameter, wobei Formen der kulturellen Identität häufig
mit nationaler Identität gleichgesetzt werden (ebd: 114 f).
2.4
Forschungsfeld Web 2.0
2.4.1
Allgemeines
Der Übergang vom Web 1.0 zum Web 2.0 vollzog sich schrittweise durch eine Vielzahl
von Neuerungen, die das Wesen des World Wide Web in Summe stark veränderten.
15
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Höhere und günstigere Bandbreiten bei den Internetzugängen, Open Source Software
und nicht zuletzt die bereits erfahrener gewordenen NutzerInnen waren wichtige
Voraussetzungen für diese Entwicklung (Alby 2007: 1 f, 10 f). Ein entscheidendes
Merkmal des Web 2.0 ist die starke Partizipation der NutzerInnen, die die Web-Inhalte
nicht nur konsumieren, sondern in einem immer stärkeren Maß auch selbst produzieren
(Beer und Burrows 2007 in URL 5). Das folgende Schema von Beer und Burrows (URL 5)
gibt die Unterschiede zwischen dem Web 2.0 und seinem Vorgänger in prägnanter Form
wieder:
16
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Dimensions of Difference
Web 1.0
Web 2.0
(1993-2003)
(2004-
Mode...
Read
Write and Contribute
Primary Unit of Content...
Page
Post/record
State...
Static
Dynamic
Viewed through...
Web Browser
Anything
Content created by...
Web Coder
Everyone
Domain of...
Web Designers and Geeks
A
new
culture
of
public
research?
Abb. 1: Gegenüberstellung von Beer und Burrows (URL 5)
Damit
zählen
de.wikipedia.org)
User-generierte
oder
Mashups
Blogging-Applikationen
(hybride
ebenso
Applikationen,
die
wie
Wikis
(z.B.
zwei
oder
mehr
Technologien zu etwas Neuem kombinieren) ebenso zu den Charakteristika des Web 2.0
wie die Social Network Sites (s. u.).
Wie schon das Web 1.0 (Baym 2000: 159, 162) so eignet sich auch dessen
Nachfolger mit seinen Social Network Sites, (Video)-Blogs, Verteilerlisten, Fotoarchiven
und Suchfunktionen zum Aufbau neuer Formen von kulturellem Kapital und von
Sozialkapital (Alby 2007: 112). Das widerspricht früheren Annahmen, die eine gestiegene
Anzahl von online Kontakten mit einem Verlust von offline Kontakten assoziierten
(Ellison et al 2007 in URL 6).
2.4.2
Social Network Sites (SNS)
Die für die Untersuchung genutzten Tools MySpace, Orkut, FlickR und Facebook
gehören zu den hunderten von Social Network Sites, die täglich von Millionen
NutzerInnen aufgerufen werden.
Danah Boyd definiert diese Netzwerke als „web-based services that allow individuals
to (1) construct a public or semi-public profile within a bounded system, (2) articulate a list of
other users with whom they share a connection, and (3) view and traverse their list of connections
and those made by others within the system“ (Boyd in URL 3). Laut Boyd stellen die SNS
eine Netzwerk-Öffentlichkeit dar, die sich durch die vier Merkmale „persistence,
17
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
searchability, replicability and invisible audiences“ von face-to-face-Öffentlichkeiten
unterscheidet und damit die menschliche Interaktion verändert (Boyd 2008: 120).
Dabei dienen SNS zwar vorwiegend dazu, bereits bestehende soziale Netzwerke zu
pflegen, ermöglichen es aber natürlich auch, Gleichgesinnte zu einem bestimmten
Thema kennenzulernen und das eigene soziale Netzwerk für Außenstehende sichtbar zu
machen, was ebenfalls zu neuen Kontakten führen kann. Als Grundlage solcher SNS
dienen persönliche Profile, in denen die als „Friends“ identifizierten Kontakte
aufscheinen und mithilfe derer eine online Identität kreiert werden kann. Boyd zitiert
hier den treffenden Ausspruch Sundéns (2003: 3) des „type oneself into being“. Die
Möglichkeiten, die Sichtbarkeit und den Zugang zu den persönlichen Profilen zu
gestalten, gehören zu den wichtigsten Unterscheidungsmerkmalen der verschiedenen
SNS. Bei den meisten SNS ist eine beiderseitige Willensübereinstimmung nötig, um zu
einem „Friend“ zu werden. Als Friend erhält man Einblick in die Friends-Liste eines
Kontakts und kann sich so in dem bestehenden Netzwerk weiterhanteln. Meist gibt es
innerhalb der SNS die Möglichkeit, Kommentare oder persönliche Nachrichten zu
übermitteln; bei manchen können auch Fotos, Videos und Kurznachrichten verschickt
oder Einträge auf persönlichen Blogs hinterlassen werden (Boyd in URL 3). Obwohl sich
die SNS oft an ein breites Publikum richten, findet häufig eine nicht von den
HerstellerInnen intendierte Segregation nach Nationalität, Alter, Bildungsniveau etc.
statt. Trotzdem ist Boyd der Ansicht, dass SNS vorwiegend Personen- und nicht
Interessens-zentriert sind und spricht sogar von „egozentrischen“ Netzwerken, die stark
auf Selbstpräsentation und Impression Management aufbauen. Das Zeigen von
Friendship-Netzwerken dient hier als Orientierungshilfe in einer vernetzten sozialen
Welt, kann die über die eigene Person gebotene Information validieren helfen und stellt
für die UserInnen ein imaginiertes Publikum bzw. einen Kontext dar (Boyd in URL 3).
Im Gegensatz zu den Weblinks sind Links in den SNS durch einen hohen Grad an
Reziprozität ausgezeichnet. Typisch ist auch die Konzentration um einige stark
verbundene high degree nodes, die von vielen kleinen Clustern schwach verbundener
Knoten umgeben sind (Mislove et al 2007: 29). SNS sind nicht nur ein Mittel gegen
„friendsickness“, das beim Verlassen des alten Wohnortes auftritt (ein typischer Fall beim
Eintritt in US-Colleges), sondern können auch zum Erhalt sogenannter weak oder latent
18
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
ties benutzt werden, die mit den eingebauten Funktionen von Facebook (wie etwa die
automatische Erinnerung an Geburtstage) besonders leicht zu pflegen sind und die bei
Bedarf jederzeit (stärker) aktiviert werden können (Ellison et al 2007 in URL 6).
2.4.2.1
MySpace
MySpace wurde 2003 entwickelt und diente in seiner Anfangszeit vor allem als Forum
für Musikgruppen, die sich hier sowohl selbst präsentieren als auch mit ihren Fans
Kontakt aufnehmen konnte. Seit 2004 wird MySpace massiv von Jugendlichen genutzt,
die gerne von der Möglichkeit Gebrauch machen, ihre online Profile grafisch komplett
umzugestalten, was z.B. in Facebook in dieser Form nicht möglich ist. MySpace hat
immer wieder mit Sicherheitsfragen und illegalen pornografischen Inhalten zu kämpfen,
so dass sogar die eigenen MySpace-UserInnen der Sicherheit ihrer Profile weniger
trauen als dies bei Facebook-AnwenderInnen in Bezug auf ihre Profile der Fall ist (Boyd
in URL 3). Das Publikum für MySpace-Profile besteht hauptsächlich aus Bekannten, mit
denen man hauptsächlich durch offline Aktivitäten verbunden ist, also etwa Personen
aus der Schule, Kirche und Sport-Teams (Boyd 2008: 129).
2.4.2.2
Facebook
Im Gegensatz zu MySpace war die Verwendung von Facebook lange Zeit einem
geschlossenen
Kreis
von
AnwenderInnen
vorbehalten:
Zu
Beginn
diente
es
ausschließlich der Vernetzung von Mitgliedern der Harvard University, ab 2005 wurden
Schulzugänge ermöglicht und erst seit 2006 kann sich jede/r einen Facebook-Account
zulegen. Diesem Profil können externe Anwendungen angegliedert werden, die
verschiedene Formen der Interaktivität (z.B. das Teilen von Video-Clips) ermöglichen
(Boyd in URL 3). Außerdem können die Mitglieder auf gemeinsamen Interessen
basierenden Gruppen beitreten. Facebook repräsentiert den beschriebenen offline nach
online – Trend, bei dem die AnwenderInnen vor allem versuchen, offline Kontakte online
weiter zu pflegen und dem Knüpfen neuer online Kontakte eine geringere Bedeutung
beimessen.
Zwei
Drittel
der
Mitglieder
nutzen
Facebook
täglich;
wobei
die
Aufenthaltsdauer im System typischer Weise 20 Minuten beträgt (Ellison et al 2007 in
URL 6).
19
Eveline Sigl
2.4.2.3
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Orkut
Das von Google entwickelte Orkut konnte sich vor allem in Brasilien und Indien
etablieren (Boyd in URL 3), eine Tatsache, die auch im Rahmen meiner Arbeit schnell
zutage trat: Die meisten gefundenen Kontakte mit Bolivien-Bezug waren physisch in
Brasilien angesiedelt.
2.4.2.4
YouTube
YouTube, die größte online Video-Tauschplattform der Welt, entstand im Februar 2005,
verzeichnet täglich 100 Millionen Video-Ansichten und wächst jeden Tag um 65.000
neue Kurzvideos. Die AutorInnen versehen ihre Videos mit Tags (thematisch relevante
Bezeichnungen oder Ausdrücke), so dass ihre Beiträge nicht nur über Links oder die
eigene Channel-Seite, sondern auch direkt gesucht werden können (Gill et al 2007: 15).
Das Publizieren und Kommentieren selbst hat soziale Funktionen; die technische
Qualität der Beiträge ist dabei nicht unbedingt wichtig (Lang 2008: 363).
Wie in den bereits beschriebenen SNS MySpace, Facebook und Orkut kann das
Posten von Videos und Kommentaren dazu dienen, bereits bestehende soziale
Netzwerke zu pflegen. Gleichzeitig können Videos und „intelligente“ Kommentare zu
neuen Kontakten führen (ebd: 367). Laut Halvey und Keane tendieren die UserInnen
allerdings eher dazu, fremde Videos anzusehen und an das eigene Profil anzufügen als
selbst Videos hochzuladen. Interessanter Weise scheint der Großteil der YouTubeAnwenderInnen die Social Network-typischen Funktionen wie Favoriten, VideoAbonnements, Friends oder Gruppen gar nicht zu nutzen. Die Minderheit der
NutzerInnen, die sich dieser Werkzeuge bedient, tut das allerdings häufig (Halvey und
Keane 2007: 1273). So sind nur 8% der YouTube-Mitglieder einer Gruppe beigetreten,
wobei die meisten Gruppen sehr klein, aber dafür stark verbunden sind (Mislove et al
2007: 39).
2.4.2.5
Skype
Alby zählt auch die Voice-Over-IP-Telefonie zu den Charakteristika des Web 2.0. Diese
wächst immer mehr mit anderen SNS-Funktionen zusammen (Alby 2007: 91 f), so dass
man heute über Skype bereits gleichzeitig telefonieren, chatten und Dateien verschicken
20
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
kann. Da Skype das Versenden sehr großer Dokumente erlaubt, ersetzt es mitunter
sogar den email-Kontakt.
2.5
Feldforschung im Internet
2.5.1
Allgemeines
Prinzipiell ist zwischen einer Anthropologie der Datenverarbeitung (also z.B. einer
„Cyber-Kultur“) und der Datenverarbeitung in der Anthropologie (wie etwa neuer
Methoden der Datenanalyse und –Aufzeichnung) zu unterscheiden (Hakken 1999: 44).
Das Forschungsfeld selbst konzentriert sich im Internet nicht so sehr auf
physische Orte und Grenzen, sondern auf die delokalisierten Verbindungen von
Netzwerken, so dass sich der ethnografische Fokus vom „dort gewesen sein“ auf das
„dorthin kommen“ verschiebt (Hine 2000: 61 f, 64, Jones 1998: 20). Hakken definierte
1999 fünf Forschungsfelder, die es der Cyber-Ethnografie erleichtern sollten, das
Internet
von
der
Mikro-
bis
zur
Makro-Perspektive
zu
durchleuchten:
Grundcharakteristika der Träger (entities) des Cyberspace, von diesen Trägern geformte
Identitäten, soziale Beziehungen der Träger auf dem Mikro-Niveau (z.B. zu PartnerInnen
und Freunden), soziale Beziehungen der Träger auf dem Meso-Niveau (z.B. zur
Gemeinde und Region), makro-soziale Beziehungen (auf nationaler und transnationaler
Ebene) und politisch-wirtschaftliche Strukturen, die durch die Cyberspace-Träger
produziert, reproduziert und eingeschränkt werden (Hakken 1999: 7).
Für Birgit Bräuchler handelt es sich bei der Internet-Feldforschung um keine
neue Methode, sondern um eine durch das Phänomen der Globalisierung bedingte
Weiterentwicklung früherer Methoden. Gemeinschaften entwickeln sich immer öfter zu
weltweiten Netzwerken und es ist einfach unmöglich, an allen involvierten physischen
Orten Feldforschung zu betreiben. Bei der kombinierten Arbeit in online und offline
Kontexten sollten nach Ansicht Bräuchlers vor allem die relevanten sozialen
Knotenpunkte abgedeckt werden (Bräuchler 2005 in URL 1). Für die qualitative
Internet-Feldforschung müssen die ForscherInnen die Fähigkeit entwickeln, online
soziale Beziehungen zu knüpfen und aufrecht zu erhalten. Das Eintauchen in das online
21
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Leben der InformantInnen und das Erkennen der offline Verbindungen soll Räume
schaffen, in denen die Beforschten ihre Erfahrungen mit den ForscherInnen in einer
entspannten Atmosphäre teilen können, was natürlich weit über die Fähigkeit, emails zu
versenden, hinausgeht (Hine 2005: 17 f).
Neue Anwendungen und Möglichkeiten wie etwa Web-Ringe, die über eine online
Abbildung von offline Trends hinausgehen, werden neue Forschungsmethoden
erfordern. Online Ethnografien sind schon allein aufgrund der zu bewältigenden
Datenmengen weit von einem „quick fix“ entfernt (Landzelius 2005 in URL 1). Außerdem
ist das Internet mittlerweile ebenso wie Flugzeuge und Telefone ein Teil der „realen“
Welt geworden und spielt eine wichtige Rolle bei politischen Konflikten und
Migrationsbewegungen, weil die Beforschten dort aktiv werden (Ardèvol 2005 in URL 1).
2.5.2
Zeitlicher Rahmen und persönliche Involviertheit
In Anspielung auf den von ihr untersuchten Molukken-Konflikt weist Bräuchler darauf
hin, dass die teilnehmende Beobachtung auch in online Kontexten eine langfristige sein
muss, um die Erfahrungsintensität der online Gemeinschaft teilen zu können. Ebenso
wie offline können enge Kontakte erst im Verlauf der Zeit aufgebaut werden. Außerdem
ist zu bedenken, dass sich die Mitglieder eines online Netzwerks oft schon vor dessen
Entstehen persönlich kennen und diese Identitäten nicht erst online ausverhandelt
werden müssen (Bräuchler 2005 in URL 1). Auch Miller und Slater betonen die
Wichtigkeit von Langzeit-Studien, die sich verschiedener ethnografischer Methoden
bedienen und damit ein tiefes Eintauchen in den untersuchten Fall ermöglichen (Miller
und Slater 2000: 21). Die Tatsache, dass ForscherInnen und Beforschte nicht mehr den
gleichen Zeitrahmen teilen müssen bzw. soziale Beziehungen zeitlich nicht mehr nach
dem chronologischen Zeitverständnis strukturiert werden müssen (Hine 2000: 23, 85),
kann Vor- und Nachteile haben.
22
Eveline Sigl
2.5.3
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Anonymisierung und Schutz der InformantInnen,
Privatsphäre vs Öffentlichkeit
Fragen der Privatsphäre und der Anonymität haben einen starken Einfluss auf die
Forschungsmethoden im Internet: Details aus der intimen Privatsphäre werden unter
dem Schutz der Anonymität leichter preisgegeben (Joinson 2005: 26). Das trifft für
webbasierte online Umfragen sicherlich zu, doch wie Hine feststellt, ergeben sich im
Internet auch neue Probleme bezüglich der Anonymisierung: Zitierte Postings können
sehr leicht gefunden werden (2000: 24). Inzwischen ist die Anzahl solcher emischer
Aussagen im Internet natürlich enorm gestiegen, gleichzeitig denke ich, dass z.B. den
VerfasserInnen von YouTube-Kommentaren sehr wohl klar ist, dass sie ihre Aussagen in
einem (potentiell) für jedermann zugänglichen Raum machen und dass sie diese
Öffentlichkeit auch suchen. Durch geschützte Bereiche, auf die nur „Friends“ Zugriff
haben und themenrelevante „Listen“ haben die Video-AutorInnen außerdem sehr wohl
die Möglichkeit, den Grad der Öffentlichkeit ihrer Videos zu steuern und so graduelle
Abstufungen zwischen „öffentlich“ und „privat“ zu erzielen (Lange 2008: 377). YouTubeMitglieder, die ihren vollen Namen als Benutzerkennung verwenden, signalisieren m.E.
sehr deutlich, dass sie und ihre Beiträge eindeutig zuordenbar sein sollen. Dass
Kommentare und andere Postings heute so leicht ausfindig gemacht werden können, hat
wohl auch Vorteile: Wer solche Inhalte zitiert, muss damit rechnen, dass es hier sehr
schnell zu einem Dialog mit den AutorInnen und der involvierten online Gemeinschaft
einerseits und einer interessierten LeserInnenschaft andererseits kommen kann und
sich die Beforschten u.U. auch gegen Darstellungen zur Wehr setzen, mit denen sie
nicht einverstanden sind. Im Gegensatz zu früher, wo es für ForscherInnen leichter war,
dadurch Autorität zu konstruieren, dass sie „dort“ waren, wo ihr Publikum nicht war
bzw. wohin ihr Publikum nicht gelangen konnte (Hine 2000: 44) erschließen sich im
Rahmen von Internet-Ethnografien weitaus mehr Möglichkeiten für das Teilen und
Zurückgeben.
Im Unterschied zu Zitaten von Äußerungen auf frei zugänglichen Webseiten halte
ich das nicht anonymisierte Zitieren von Aussagen aus SNS ohne ausdrückliche
Genehmigung für bedenklich, da es sich hier um eine „geschützte“ Teilöffentlichkeit
handelt und man nicht davon ausgehen kann, dass die SNS-AutorInnen ihre Inhalte
23
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
über diese hinaus namentlich erkennbar publizieren wollen. Hier sollte auch noch
berücksichtigt werden, ob die zitierten Inhalte durch Suchabfragen im Web bzw. in den
SNS selbst gefunden werden können.
Die beschriebene generell leichtere Auffindbarkeit emischer Aussagen bzw.
Sichtweisen ließ Hine bereits 2000 Möglichkeiten für die Beseitigung der früheren
Ungleichgewichte annehmen, die zur privilegierten Stellung von Ethnografien führten
(2000: 55 ff) und auch ich denke, dass die Feldforschung im Internet der postmodernen
Forderung nach Polyphonie leichter Rechnung tragen kann als dies in offline Kontexten
der Fall ist.
2.5.4
Online-offline-Problematik
Christine Hine sieht das Problem nicht darin, Methoden von offline in online Kontexte zu
transferieren, sondern darin, für eine sinnvolle methodische Kontinuität zwischen den
beiden Bereichen zu sorgen. In einer tief gehenden Analyse kann keiner der beiden
Räume unbeachtet bleiben. Weiters erscheint es ihr wichtig, keine a-priori Präferenzen
für face-to-face oder online Interaktionen festzulegen, da sich die Auswahl der Methoden
wohl eher am Untersuchungsgegenstand und nicht an bereits im Vorfeld getroffenen
Entscheidungen der ForscherInnen orientieren sollte. Sowohl das Zielpublikum für die
Ergebnisse
als
auch
praktische
Überlegungen
können
die
Methodenauswahl
entscheidend mitbestimmen. Eine reine online Untersuchung bietet sich in Kontexten
an, in denen die Beforschten ebenfalls nur online interagieren und eine offline
Komponente nur die Symmetrie zwischen Forscher und Beforschten stören würde (Hine
2005 in URL 1, 2000: 48). Hier teile ich allerdings Bräuchlers Ansicht, die eine solche
Situation am ehesten für MUDs und spezielle Chatforen gegeben sieht, ansonsten aber
eher von einer starken Bedingtheit der online durch offline Ereignisse ausgeht und es
daher als meist sinnvoll bis notwendig erachtet, online durch offline Recherchen zu
ergänzen (Bräuchler 2005: 49). Dabei ist es allerdings besonders wichtig, zu bedenken,
dass die Interaktion online und offline verschieden abläuft und daher auch
unterschiedliche „Texte“ produziert (Orgad 2005: 64).
Miller und Slater kombinierten in ihrem ganzheitlichen und sehr umfassenden
24
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Ansatz die Analyse von Webseiten und Chatforen mit offline Fragebögen, Interviews,
informellen Gesprächen und der persönlichen Teilnahme an relevanten Aktivitäten wie
z.B. Herumhängen in Internet-Cafés oder stundenlangem Chatten (Miller und Slater
2000: 22). Online und offline Welten sind über komplexe Beziehungen intensiv
ineinander verwoben – egal, ob es um die Verwirklichung älterer Identitätskonzepte
oder das Knüpfen neuer sozialer Beziehungen geht. So können etwa virtuelle Postkarten
einerseits die traditionelle Praxis des Schenkens beeinflussen, andererseits aber auch die
sozialen (Verwandtschafts-)Beziehungen stärken, in die diese Form des Schenkens
eingebettet ist (ebd: 82 f).
Weder der online noch der offline Bereich alleine ist ein Garant für „authentische“
Forschungsergebnisse (Hine 2005 in URL 1), denn: die in der Frühphase der CyberAnthropologie propagierte Unterscheidung zwischen virtuell und real kann nicht
aufrechterhalten werden (Baym 2000: 205). Online und offline sind gleichermaßen „real“
(Hine 2000: 39), das zeigt sich auch an den starken Emotionen, die online Aktivitäten bei
Internet-UserInnen auslösen können (Jones 1998: 5). Beide Bereiche spielen in den
jeweils anderen hinein (ebd: 144) bzw. sind Teil derselben Realität (Baym 2000: 152 ff,
205), wobei jeder dieser Teile eine Menge Möglichkeiten bietet, die im anderen nicht
vorhanden sind (Bräuchler 2005 in URL 1). Insofern ist Bayms Beobachtung, dass die
von ihr untersuchten Usenet-AutorInnen versuchten, eine Kongruenz zwischen online
und offline Identität zu schaffen und ihre offline Lebenssituation auf verschiedene Art
und Weise in den online Diskurs einbrachten ebenso aktuell wie ihre Kritik an den
Ansätzen, die primär von anonymen, zwischen multiplen Identitäten hin und her
wechselnden UserInnen ausgehen (Baym 2000: 154). Außerhalb der Spielwelten von
MUDs und MOOs sind diese vielfach thematisierten „multiplen“ Identitäten auch kein
per se neues oder Internet-spezifisches Phänomen (Bräuchler 2005: 29 ff).
Online und offline stehen in einem ständigen Wechselspiel und sind in die
bestehenden Praktiken und Machtbeziehungen des Alltags eingebettet. Die sozialen
online Räume gehen dabei jedoch über ein Abbild oder Erweiterungen der offline
Realität hinaus und bieten eigene, im offline Bereich nicht vorhandene Möglichkeiten
der sozialen Kontaktaufnahme und Identitätskonstruktion (Bräuchler 2005: 19 f, 25, 28,
32, Baym 2000: 152 ff, 158), die nicht nur für Diaspora-Gemeinschaften eine Möglichkeit
25
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
bieten, weiter eng mit ihrer lokalen Herkunftsgemeinschaft in Verbindung zu bleiben
(Bräuchler 2005: 23), sondern es auch Personen der gleichen Örtlichkeit ermöglichen,
Menschen mit gleichen Interessen kennenzulernen, die sie sonst nicht kennengelernt
hätten (Baym 2000: 208). Hier zeigt sich die Wichtigkeit des thematischen Bezugs, der
die online Gemeinschaften organisatorisch mindestens ebenso beeinflusst wie das
Medium selbst (Baym 2000: 200).
Orgad sieht online Interviews als „biased toward the textual“ während sie die offline
Gesprächssituation als „biased toward the visual“ und in den körperlichen Ausdruck
eingebettet erlebte. Eine Kombination der beiden Bereiche hilft daher, die Analyse
ganzheitlicher zu gestalten. Denn: Das, was ForscherInnen über den von ihnen
untersuchten Kontext berichten, hängt stark von den darin erlebten Interaktionen ab
(Orgad 2005: 62 f). Außerdem wird die Beziehung zwischen online und offline häufig als
eine zwischen Phänomen und Kontext dargestellt, in der der offline Bereich dazu
herangezogen wird, den online Bereich zu erklären. Ein Wechsel zwischen online und
offline hilft also, diese Dualität zu überwinden (Slater 2002: 544 in Orgad 2005: 63).
Forschungsansätze, die online mit offline Erhebungen kombinieren, zeigen, dass
eine derartige Ausrichtung sehr wohl Sinn macht. So konnte Orgad feststellen, dass sich
manche frühere online InformantInnen während des face-to-face Interviews besser
ausdrücken konnten bzw. ganz andere Schwerpunkte als in ihren emails setzten.
Außerdem läuft die synchrone Kommunikation während eines persönlichen Gesprächs
viel
ungeordneter
ab
und
die
GesprächspartnerInnen
haben
viel
weniger
Kontrollmöglichkeiten. Ein derartiger Methodenwechsel birgt allerdings auch Gefahren:
Etwa, dass nur bereits vorhandenes Wissen reproduziert wird oder dass es durch die
online Vorgeschichte zu einem starken Vorurteil gegenüber der interviewten Person
kommt (Orgad 2005: 60 ff). Diese beiden möglichen Schwachpunkte scheinen mir
jedoch nicht nur für den Wechsel von online zu offline, sondern auch für den Wechsel
zwischen verschiedenen online Werkzeugen relevant: Wie ich selbst bemerken konnte,
können beide Probleme auch bei einem Wechsel von der email-Korrespondenz zum
real-time Chat auftreten.
26
Eveline Sigl
2.5.5
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Eigene online Identität
Die Bereitschaft von InformantInnen, etwas mitzuteilen, kann stark davon abhängen,
wie sich ForscherInnen selbst bzw. ihre Projekte präsentieren. Diesbezügliche
Diskrepanzen zwischen der online und offline Selbstrepräsentation können die
Forschungsergebnisse ebenfalls beeinflussen (Hine 2005: 18). Im Zuge dieser
Identitätskonstruktion kann es auch problematisch werden, wenn man soviel Kompetenz
innerhalb des Untersuchungsfeldes erwirbt, dass man von den Beforschten zwar als
Insider, damit aber gleichzeitig auch als KonkurrentIn angesehen wird (Hakken 1999: 57)
2.5.6
Methoden
2.5.6.1
Lurking
Lurking bedeutet so viel wie „Lauern“ und wird häufig als Bezeichnung für das
unangekündigte Beobachten von online Interaktionen verwendet (Thompson 2001: 35 in
Bräuchler 2005: 55). Auch wenn dieses unbemerkte Mitlesen für AnthropologInnen
vielleicht etwas Unbehagen verursacht, so muss man sich doch vergegenwärtigen, dass
auch der Großteil der übrigen BesucherInnen von Foren, Newsgroups und anderen
„Orten“ im Cyberspace lurker sind, die nie oder nur höchst selten selbst aktiv werden.
Baym thematisiert diese Tatsache bei den von ihr untersuchten Newsgroups (2000: 120,
144), ich selbst konnte bei den von mir analysierten YouTube-Kommentaren feststellen,
dass nur 0,1-2,2% der Video-BetrachterInnen diese auch kommentiert hatten (z.B. 277
Kommentare bei 23.767 Views = 1,2%). Dafür sind die Leute, die posten, oft umso
aktiver: Baym beschreibt, dass 10% der aktiven Usegroup-Mitglieder die Hälfte aller
Beiträge verfassten (2000: 145) und auch ich konnte auf YouTube eine Konzentration von
Schreibfreudigen zu bestimmten Themen erkennen. In Foren und dergleichen sind
somit nur die wenigen, die selbst posten, sichtbar (Orgad 2005: 58). Diese Tatsachen
sollte man jedenfalls im Auge behalten, wenn man die durch lurking gewonnenen
emischen
Sichtweisen
und
„in
vivo“-Codes
weiter
verarbeitet.
Meine
eigene
Untersuchung ergab zwar eine (für mich teilweise überraschende) Übereinstimmung mit
den Aussagen von Interviews und schriftlichen Befragungen, doch wurde auch bald klar,
27
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
dass manche Aspekte in den „lurking-fähigen“ Video-Seiten, Homepages und SNS
überhaupt nicht thematisiert wurden. Während Web-Sites häufig ein ziemlich
umfassendes Bild ergeben und damit auch Kontext-Informationen liefern, ist es bei der
Analyse von YouTube- oder Forenkommentaren (selbst bei Zurückverfolgen der
Diskussionen bzw. genauerer Beobachtung einzelner PosterInnen) oft schwierig, den
Kontext der einzelnen Aussagen zu erkennen.
In diesem Sinne sind die auch von den Beforschten gern genutzten online
Archivierungsmöglichkeiten zu sehen, die es erlauben, Diskussionen und Ereignisse
lange zurückzuverfolgen (Postill 2005 in URL 1). Durch das neu Aktivieren alter Threads
und kreuzweise Verweise entsteht hier allerdings ein dichtes, zeitlich nicht lineares
Geflecht (Highfield 2005 in URL 1), das neu Hinzugekommenen als Orientierungshilfe
dient und einen Enkulturationsprozess ermöglicht. Es handelt sich bei online Archiven
sozusagen um ein kollektives Gedächtnis der jeweiligen Internet-Gemeinschaft
(Bräuchler 2005 in URL 1).
2.5.6.2
Teilnehmende Beobachtung
Wie in offline Kontexten bedeutet teilnehmend beobachten, präsent zu sein und als
Mitglied der Gemeinschaft zu fungieren, also die persönlichen Erfahrungen im Umgang
mit einer bestimmten Software in einem bestimmten sozialen Umfeld teilen (Ardèvol
2005 in URL 1). Für Hine bedeutete das im Jahr 2000, dass ForscherInnen durch die
Verwendung der gleichen Medien wie ihre InformantInnen lernen sollten (2000: 10).
Gewisse Ähnlichkeiten der online Beziehungen mit offline sozialen Kontakten, die Nähe
und Respekt signalisieren, lassen dabei leicht ein Gefühl von Freundschaft entstehen
(Baym 2000: 129), manchmal wird man nach der ersten Kontaktaufnahme sogar gleich in
den „Freundeskreis“ aufgenommen: „Besitos tu nuevo amigo“ (Erstkontakt über SNS,
15.04.08). Werden derartige online Bekanntschaften intensiviert, so ist diese Tatsache
unter Umständen auch in der öffentlichen Internet-Kommunikation (z.B. durch
gegenseitige Namensnennungen) zu erkennen. (Baym 2000: 134 f, analysierte YouTubeKommentare).
Teilnehmende Beobachtung allein durch Chat, email-Korrespondenz und das
28
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Mitlesen in Newsgroups und auf Homepages (Bräuchler 2005: 46, Hine 2000: 73 ff) zu
definieren, erscheint mir überdenkenswert, handelt es sich bei Chat und email letztlich
meist um unidirektionale Kommunikationswerkzeuge, die für verschiedene Arten der
Befragung genutzt werden. Da teilnehmend Beobachten auch im offline Kontext eine
aktive Position in möglichst vielen Belangen des Feldes bezeichnet und sich sicher nicht
nur auf ein Befragen oder Interviewen der InformantInnen beschränkt (vgl. Hakken
1999: 39), ist die Bezeichnung teilnehmend für mich hier eher irreführend und nur dann
gerechtfertigt, wenn z.B. im Chatroom „mitgeplaudert“ wird, selbst auch thematisch
gepostet / kommentiert / hoch-geladen wird oder der email-Verkehr Teil einer online
Petition o.Ä. ist. Diese kritische Sichtweise soll keineswegs die Wichtigkeit von online
Befragungsmöglichkeiten schmälern, möchte aber einer allzu großen Euphorie
bezüglich der Teilnahmemöglichkeiten im Netz vorbeugen.
SNS, bei denen die Forscherin ein eigenes Profil anlegen muss, in dem sie ihre
eigenen Präferenzen und Standpunkte ebenso wie die Profile und Aktivitäten der
eigenen Friends offenlegt (Beer und Burrows 2007 in URL 5), scheinen jedenfalls weitaus
größere Möglichkeiten für teilnehmende Beobachtungen zu bieten. Sie eignen sich eher
für ein multidirektionales, multimediales, gleichzeitig synchrones und asynchrones, für
die übrigen Akteure sichtbares Agieren, das über bloße Befragungen hinausgeht. Wie
bei jeder Feldforschung ist mit einem solchen Vorgehen natürlich auch die Frage nach
der Beeinflussung der Beforschten durch die ForscherInnen aufzuwerfen. Hakken weist
hier darauf hin, dass nicht nur das, was beforscht wird, sondern auch wie es beforscht
wird, durch die Situation, InformantInnen und einen selbst mit konstruiert wird (1999:
40).
Boyd bringt mit der „eingebetteten“ Beobachtung einen interessanten Aspekt ein,
der m. E. auch für größere Bereiche der online Feldforschung nutzbar gemacht werden
kann: Sie weist darauf hin, dass sich die DesignerInnen von SNS in einer Situation der
permanenten und tief in das Feld eingebetteten Beobachtung befinden und versuchen,
die Praktiken und Perspektiven der AnwenderInnen zu verstehen. – Nur so können sie
auf die Bedürfnisse, Vorlieben und Beschwerden der BenutzerInnen reagieren und den
Erfolg ihrer Software sichern (Boyd 2006 in URL 4). Ich denke, dass ForscherInnen, die
eigene Webseiten/Blogs etc betreiben und/oder aktiv in den SNS vertreten sind,
29
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
durchaus auch Möglichkeiten haben, auf Ereignisse zu reagieren und zu einer stärkeren
Interaktion beizutragen. Eine denkbare Möglichkeit wäre die Diskussion von während
der Feldforschung erlebten Ereignissen, anonymisierten Aussagen von InformantInnen
oder Forschungs(teil)ergebnissen mit den Beforschten, deren Ergebnisse den weiteren
Verlauf der Untersuchung beeinflussen oder sogar bestimmen könnten. Dass eine solche
Diskussion Schwierigkeiten und Probleme (u.a. in Bezug auf die Anonymität) aufwerfen
kann, liegt auf der Hand, andererseits könnte sie zur Gleichberechtigung der
Beforschten beitragen und helfen, ihre „Stimme“ direkter zu Wort kommen zu lassen.
An dieser Stelle muss allerdings auch Hines Argument berücksichtigt werden,
nachdem besonders auskunftsfreudige InformantInnen oft keine „typischen“ Mitglieder
des Felds sind, sondern eventuell aufgrund einer privilegierten Rolle oder aber auch als
Außenseiter eine Sonderstellung einnehmen (Hine 2000: 90). Die Forscherin ist
aufgefordert, sich soweit über den sozialen Kontext ihrer InformantInnen zu
informieren, dass sie „atypische“ Fälle identifizieren kann, wobei gerade dieser Kontext
eine Brücke zwischen online und offline schlägt (ebd: 124).
2.5.6.3
Standardisierte Online Befragungen
Im Rahmen seiner Studie konnte Joinson nachweisen, dass offene Mitteilungen über
den Forscher selbst mit breiteren, nicht aber tieferen Antworten durch die Befragten
honoriert wurden als dies bei weniger Selbstoffenbarung des Forschers der Fall gewesen
war und nennt dieses Phänomen Reziprozitätseffekt. Auch die Art der Adressierung
zeigte Auswirkungen auf den Rücklauf: Beim Versenden von Massenmails, bei denen alle
AdressatInnen im An-Feld aufscheinen, kam der 1970 von Latane und Darley
beschriebene Diffusionseffekt der Verantwortung zum Tragen. Die Angeschriebenen
verließen sich offenbar darauf, dass unter den vielen AdressatInnen wohl genug Leute
antworten würden, was die Antwortwahrscheinlichkeit generell reduzierte (Joinson 2005:
27f). Laut Freedman und Fraser sind derartige online Befragungen erfolgreicher, wenn
ihnen eine Kurzbefragung vorgeschaltet wird (ebd: 28).
Ein zu starker sozialer Bezug zwischen ForscherInnen und Befragten kann
allerdings auch negative Konsequenzen haben: Je persönlicher die Begegnung ausfällt,
30
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
desto stärker werden die Beforschten zu einem Impression Management motiviert.
Machtbeziehungen zwischen den Beforschten und den ForscherInnen bzw. deren
Mittelsleuten (etwa dem Rektorat einer Universität), aber auch die wahrgenommenen
Reaktionen von InterviewerInnen können zu einer Verzerrung in Richtung soziale
Erwünschtheit führen. Eine Strategie, die Ausrichtung der Befragten auf ein
imaginiertes Publikum (audience) zu verringern, ist der Hinweis darauf, dass die Daten
für eine geografisch sehr weit entfernte Stelle gesammelt werden (ebd: 29, 33).
Asynchrone Beantwortungsmodi verleiten nach Walther (1996) sowie Fox und Schwartz
(2002) auch eher dazu, gezielt Impression Management zu betreiben als dies bei zeitlich
begrenzten und streng chronologisch zu beantwortenden Fragebögen der Fall ist (ebd:
32).
2.5.6.4
Individualisierte
Online
Befragungen
per
email
Bei den online Befragungen per email geht es um mehr oder minder stark
individualiserte Kontakte, die keinesfalls nur als billiges, Reisen und Transkriptionen
unnötig machendes „Schnellwerkzeug“ gesehen werden sollten (Kivits 2005: 36). Analog
zu offline Feldforschungssituationen geht es hier darum, eine persönliche Beziehung zu
den InformantInnen aufzubauen. Sowohl Kivits als auch Orgad betonen, dass die
angestrebte vertrauliche Kommunikationssituation erst im Verlauf eines längeren
Zeitraums aufgebaut werden kann und den InterviewerInnen sehr viel Feingefühl
abverlangt (Kivits 2005: 37 f, Orgad 55 f). Gegen diese Vorgangsweise ist zwar prinzipiell
nichts einzuwenden, doch glaube ich, dass sie nicht jeder online Feldforschungssituation
entspricht. Beide Autorinnen kontaktierten teilweise schwer kranke Menschen, bei
denen es zweifellos weitaus größere Hemmungen gab, oft sehr leidvolle und
deprimierende persönliche Erfahrungen preiszugeben als dies etwa bei meinem Thema
der Fall war. Hier stellt sich für mich die sowohl von Kivits als auch von Orgad
thematisierte Frage nach der Angemessenheit der Beziehung zwischen ForscherIn und
InformantIn.
Die
email-Korrespondenz
kann
ständig
zwischen
Interview
und
informellem Plaudern schwanken, so dass es an der Forscherin liegt, hier die richtige
31
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Balance zu finden (Kivits 2005: 43). Wie Orgad treffender Weise schreibt, können diese
Kontakte sehr schnell sehr persönlich werden. - Man wird unter Umständen schneller
als FreundIn angesehen als einem das lieb ist und steht dann eventuell vor dem
Problem, plötzlich eine große Menge freundschaftlicher Korrespondenz zusätzlich zum
eigentlichen Forschungsprojekt „mittragen zu müssen“, die die eigenen zeitlichen
Ressourcen übersteigt . Auf der anderen Seite ist klar, dass gerade das Interesse an den
persönlichen Belangen der InformantInnen und das Zuhören-Können zu den größten
Anreizen gehört, mit denen ForscherInnen ihre Kontakte zu einer kontinuierlichen
Informationsweitergabe motivieren können. Dazu gehört auch, die InformantInnen
kontinuierlich über den Fortgang des Forschungsprojekts am Laufenden zu halten,
ihnen evtl. bereits publizierte Zwischenergebnisse zuzusenden (Orgad 2005: 56 f) bzw.
ihnen einfach zu signalisieren, dass man noch „da“ ist. Je nach Antwortstil sind daher
mehr oder weniger, kürzere oder ausführlichere mails in sehr unterschiedlichen
Zeitabständen notwendig (Kivits 2005: 42 f). Manche InformantInnen müssen immer
wieder mit Erinnerungen zum Beantworten der Fragen animiert werden, bei anderen
erweist es sich überhaupt als sinnvoller, vom online in den offline Interview-Modus zu
wechseln (ebd: 45 f).
Die Asynchronität in der Beantwortung der individualisierten mails bringt nicht
nur die erwähnten Probleme bezüglich Impression Management, sondern auch große
Vorteile: Beide Seiten können ihre Antworten in Ruhe überdenken, auf frühere
Gedanken zurückgreifen oder bereits begonnene Diskussionen fortführen und vertiefen.
Zusätzlich können beide Seiten ihre Korrespondenz durch das Zusenden von Artikeln,
Links usw. ergänzen (ebd: 47), wie das im Zuge meiner Feldforschung ebenfalls häufig
der Fall war. Die von Organd angesprochene Problematik des schriftlichen Ausdrucks
(2005: 59) erscheint mir hier höchst relevant: Besonders, wenn es nicht möglich ist, die
gleiche Person sowohl online als auch offline zu befragen, kommt es hier zweifellos zu
sprachlichen und indirekt wohl auch bildungsabhängigen Verzerrungen. Auch der
Zeitfaktor kann hier eine große Rolle spielen: Manche Personen haben einfach weder
Zeit noch Lust, lange Erzählungen in korrekter Schriftsprache niederzuschreiben und
antworten im Telegrammstil. Wenig Schreibfreudige oder Schreibgewandte werden
vermutlich gänzlich darauf verzichten, einen derartigen Fragebogen auszufüllen, sofern
32
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
ihnen keine anderwertigen Anreize dafür geboten werden. Man kann also davon
ausgehen, dass die sprachbedingte Verzerrung bereits bei der Gesamtheit der solcherart
Befragten schlagend wird.
33
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
3 Kultur, Identität und Ethnizität
3.1
Stand der Forschung
Im Gegensatz zu Cyber-Anthropology und Tanzethnologie gehören Fragen der Identität
und Ethnizität seit Jahrzehnten zu den Schwerpunktthemen der Kultur- und
Sozialanthropologie, so dass eine sehr große Anzahl von Publikationen existiert, aus der
ich eine meiner Fragestellung möglichst gut entsprechende Auswahl zu treffen
versuchte. Barths Sammelband Ethnic Groups and Boundaries (1969), Andersons Imagined
Communities (1983), Appadurais Modernity at Large (1996) und Hannerz´ Transnational
Connections (1996) fließen daher als Standardwerke ebenso in die Analyse ein wie die
Arbeiten von Stuart Hall, Manning Nash und Gerd Baumann. In Bezug auf die
sogenannte „erfundene“ Tradition erschienen mir die gegensätzlichen Meinungen von
Sahlins (1993) und Hobsbawn (1983) besonders relevant.
3.2
Triangulation von Identität, Ethnizität und
Kultur
Nicht nur im theoretischen Diskurs, sondern auch in der von mir untersuchten Praxis
der
auslandsbolivianischen
Tanzgruppen
sind
die
Begriffe
Identität,
Ethnizität/Nationalität und Kultur stark ineinander verwoben. „Die“ Kultur stellt meist
den oder zumindestens einen wesentlichen inhaltlichen Bestandteil von Identität und
Ethnizität dar, der die Unterscheidung zwischen dem Wir und den Anderen ermöglicht
und der den Menschen trotz seiner ständigen Weiterentwicklung Kontinuität vermittelt
(vgl. Baumann 1996: 193). Erazo-Heufelder betrachtet die kulturelle und ethnische
Identität als zwei einander ergänzende Teilbereiche eines Phänomens. Der Begriff der
kulturellen Identität ist dabei vor allem für die individuellen Erfahrungen und deren
Einbettung in das symbolische Gefüge innerhalb der ethnischen Gemeinschaft relevant;
die ethnische Identität wird eher im gesellschaftlichen Kontext (also in der Interaktion
mit anderen Gruppen) bedeutend (1994: 19, 38, 76). Ich schließe mich dieser Auffassung
von einer dialektischen Beziehung zwischen Identität, Ethnizität und Kultur an und
34
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
versuche daher, bei der Besprechung der folgenden Kapitel immer wieder auf die
Überschneidungen und Interaktionen hinzuweisen, die sich aus der Dreiecksbeziehung
von Identität, Ethnizität und Kultur ergeben.
3.3
Identität, Differenz und Alterität
Gingrich unterscheidet in der Identitätsdebatte zwei große Strömungen, wobei die eine
Identität vor allem über Differenz definiert und die andere ihren Schwerpunkt auf
Zugehörigkeit legt (2004: 4). Eine derartige Dichotomisierung entspricht jedoch nicht
der komplexen Realität, in der „sameness and differing, belonging and othering“ sowie
Identität und Alterität in einem dialogischen Verhältnis stehen bzw. sich gegenseitig
konstituieren. Identitäten sind multidimensional, widersprüchlich und basieren auf
Selbst- und Fremdzuschreibungen, die ihrerseits wieder von Fragen der Macht
beeinflusst werden. Außerdem haben Identitäten einen prozessualen Charakter, der u.a.
von Emotion, Kognition und Sprache bestimmt wird (ebd: 6, 13). Auch für Stuart Hall
ist der Begriff der Identität ein relationaler Terminus, der nicht allein durch seine
„positive Präsenz“ bestimmt werden kann, sondern sich auch negativ durch das
definieren lassen muss, was er nicht ist (2004: 218). Hall sieht kulturelle Identitäten als
komplexe,
über
vereinfachende
Binärstrukturen
hinausgehende
„instabile
Identifikationspunkte oder Nahtstellen, die innerhalb der Diskurse über Geschichte und
Kultur gebildet werden“, die durch Brüche und Diskontinuitäten gekennzeichnet sind
und deren Grenzen sich analog zu Barths ethnic boundaries in ihrer Position verschieben
lassen (1994: 29 ff). Identität wird im Dialog oder auch Kampf in Bezug auf die Dinge,
die wichtige Andere in uns sehen wollen, definiert (Taylor 1994 in Baumann 1999: 107)
und ist daher ein ständig im Fluss befindlicher, nie abgeschlossener Prozess, der immer
kontextuell betrachtet werden muss. Als Trägerin der gemeinsamen Geschichte und der
geteilten
kulturellen
Codes
ist
die
kulturelle
Identität
ein
Referenz-
und
Bedeutungsrahmen, der den Menschen Halt gibt. Trotzdem ist Identität keine
unveränderbare Essenz, sondern etwas, das über Erinnerung, Fantasie, Erzählungen
und Mythen ständig neu konstruiert wird und damit eine Kontinuität zwischen
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft schafft (Hall 1999 [1990]: 300 ff). Buckingham
35
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
definitiert Identität als etwas, das für jeden von uns einzigartig ist und das uns von
anderen Menschen unterscheidet. Gleichzeitig weisen Begriffe wie nationale, kulturelle
oder Gender-Identität darauf hin, dass es bei der Identität um das geht, was mit anderen
geteilt wird oder wodurch man sich zumindestens teilweise mit anderen identifizieren
kann. Diese Identität steht im Spannungsfeld zwischen Eigen- und Fremdzuschreibung
und muss sich an die verschiedensten Kontexte anpassen. Phänomene wie die
fortschreitende Globalisierung und soziale Mobilität und das wachsende Gefühl einer
Fragmentierung und Unsicherheit, in der die traditionellen Ressourcen für die
Entwicklung von Identitäten an Bedeutung verlieren, spielen dabei eine wichtige Rolle
(Buckingham 2008: 1).
3.3.1
Baumanns Grammars of Identity/Alterity
Für Baumann sind selfing und othering die zwei Seiten eines einzigen Prozesses, den er
mit Hilfe dreier Grammars of Identity/Alterity zu beschreiben versucht. Diese drei
Grammatiken entstanden auf der Basis der ethnografischen Standardwerke Orientalism
von Edward Said (1978), The Nuer von E. E. Evans-Pritchard (1940) und Homo
Hierarchicus von Louis Dumont (1980), die Baumann zu diesem Zweck adaptiert und neu
interpretiert hat (2004: 19). Baumanns „Grammatik der Orientalisierung“ oder des
Zurückspiegelns basiert auf der Beobachtung, dass der Orientalismus über eine plumpe
binäre Gegenüberstellung von „wir = gut“ und „sie = schlecht“ hinausgeht und
stattdessen folgenden Sachverhalt ausdrückt: Was bei uns gut ist, ist bei ihnen (noch)
schlecht, doch was bei uns nicht mehr in Ordnung ist, ist bei ihnen (noch) im Lot. Die
Erfindung des Anderen ermöglicht eine implizite Kritik des Selbst, wie sie etwa in
gängigen Stereotypen von „weisen“ indigenen Ritualspezialisten und dem „natürlichen
Rhythmus“ lateinamerikanischer TänzerInnen (s.u.) zum Ausdruck kommt. Der
„Westen“ ist zwar „vernünftig“, demokratisch und säkulär, trauert aber insgeheim um
die Sponanität, Üppigkeit und Mystik der des „Orients“. Was folgt, ist ein komplexes
Geflecht aus Projektionen von guten und schlechten Eigenschaften in die jeweils
entgegengesetzte Position oder, wie es Baumann ausdrückt, ein „double-edged, potentially
subtle, and at times even dialectical way of selfing one´s own and othering the alien“ (Baumann
2004: 20 f).
36
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Occident Positive
Orient Negative
Rational
Irrational
Enlightened
Superstitious
Technological
Backward
Occident Negative
Orient Positive
Calculating
Spontaneous
Sober
Luxuriant
Materialist
Mystical
Abb 2: The Grammar of Orientalization or Reverse Mirror-Imaging (Baumann 2004: 20)
Das segmentäre Gesellschaftsmodell der Nuer und die daraus folgende
„segmentäre
Grammatik“
definiert
Zugehörigkeiten
kontextabhängig;
die
Verschmelzung und Spaltung einzelner Teile der Gesellschaft und die damit
verbundene Konstruktion von Identität und Differenz ist situationsabhängig und
entspricht keinen absoluten Kriterien (ebd: 23). Die aus dem Homo Hierarchicus
abgeleitete „Grammatik des Umfassens“ (encompassment) ist weder situations- noch
kontextbezogen, sondern zielt auf eine Aneignung einzelner Teilbereiche der Alterität
(otherness) ab. Eine Verschiebung des Blickwinkels ermöglicht es hier, Dinge in einem
größeren Zusammenhang zu sehen und Differenzen insofern zum Verschwinden zu
bringen, als sie einem höher stehendem Ganzen untergeordnet werden. Die drei von
Baumann beschriebenen Grammatiken schließen einander nicht aus und können von
verschiedenen Personen in ein und derselben Situation bzw. von den gleichen Personen
in verschiedenen Situationen in unterschiedlicher Abfolge angewandt werden (ebd: 25
ff).
3.3.2
Identifikation
Der Prozess der Identifikation verweist einerseits auf mit anderen geteilte Merkmale und
Eigenschaften, andererseits aber auch auf die Übereinstimmung mit einem Ideal und
37
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
dient dazu, soziale Beziehungen auf der Grundlage einer der beiden Faktoren zu
knüpfen. Der angestrebte Prozess der Verschmelzung führt jedoch nicht zur völligen
„Deckungsgleichheit“ mit dem Ideal, sondern immer zu einem „zu viel“ oder „zu wenig“,
zu einer Differenz, die im Diskurs und im Ziehen symbolischer Grenzen aufgearbeitet
wird (Hall 2004: 169). Das soziale Leben besteht jedenfalls aus einem elastischen und
sich überschneidenden Netz multipler Identifikationen (Baumann 1999: 139).
3.4
Ethnische Identität, Ethnizität
3.4.1
Begriffsdefinitionen
Hauptmerkmale ethnischer Gruppen sind laut Smith (1986) der gemeinsame Name, der
Mythos
einer
gemeinsamen
Entstehungsgeschichte
und
Vergangenheit,
eine
Verbindung zu einem (nicht notwendigerweise physischen) Heimatland und ein
Solidaritätsgefühl (Hutchinson und Smith: 1996: 6 f). Dazu kommt bei den
essentialistischen Ansätzen noch ein Fokus auf gemeinsame kulturelle Elemente wie
etwa
Verwandtschaftssysteme,
Religion,
Sprache
und
phänotypische
Merkmale
(Schermerhorn 1996 [1970]: 17). Max Weber verbindet mit ethnischen Gruppen
Menschen, die ein ähnlicher Habitus, ähnliche Sitten und/oder die Erinnerung an
Kolonisation und Wanderung an eine gemeinsame Abstammung glauben lässt, was eine
Konstruktion von Gemeinsamkeiten ermöglicht (Weber in Zurawski 2000: 23). Der
Begriff der Ethnizität wird seit den 1950er Jahren verwendet und kann in der Tradition
von Herder und Boas entweder die „Essenz“ einer ethnischen Gruppe darstellen bzw.
die Zugehörigkeit zu einer solchen Gruppe bezeichnen, oder aber als relationaler
Terminus bei der Unterscheidung zwischen dem Wir und den Anderen in
interethnischen Beziehungen verwendet werden (Hutchinson und Smith 1996: 4,
Baumann 1999: 24 f). Für Fishman ist Ethnizität schlicht und einfach die
Weltanschauung einer ethnischen Gruppe (1996[1980]: 66). Im Gegensatz zu den
PrimordialistInnen, die Ethnizität aus der Perspektive ihrer InformantInnen als etwas
von außen „Gegebenes“, stark Emotionales schildern, stellen die InstrumentalistInnen
38
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
die soziale Konstruktion und den bewußten Einsatz von Ethnizität bei der Konstruktion
von Identitäten in den Vordergrund (Hutchinson und Smith 1996: 8 f, 32 f, Eller und
Coughlan 1996[1993]: 45).
Aus heutiger Sicht handelt es sich bei Ethnizität meist um einen relationalen
Begriff, der nur durch den Kontakt zwischen den Gruppen mit Sinn erfüllt wird.
Wichtig für die beiderseitige Abgrenzung sind die als in der sozialen Interaktion
bedeutsam wahrgenommenen kulturellen Unterschiede, ganz gleich, ob diese für
Außenstehende groß und/oder wichtig erscheinen (Eriksen 2002 [1993]: 12, 58, Tonkin
et al 1996 [1989]: 24) oder ob es sich um dominante oder dominierte Mehrheits- bzw.
Minderheitsgruppen handelt (Schermerhorn 1996 [1970]: 17). Je nach Kontext wechseln
Menschen zwischen verschiedenen ethnischen Identitäten hin und her und oft
überlagern sich diese auch mit anderen Identitäten wie z.B. Gender und Klasse
(Hutchinson und Smith 1996: 7).
Im Zuge der Ethnopolitik (Rothschild 1981) wird Ethnizität seit den 1960ern
immer öfter zu einem Werkzeug im Kampf um knappe Ressourcen. Dazu werden
vermeintliche kulturelle Differenzen betont, ideologisiert und solcherart neu geschaffen,
dass sie nicht mehr als klassifikatorische Grenzmarker, sondern als „natürlich
gegebenes“ Erbe einer Gruppe erscheinen und damit helfen, Ungleichheiten
rechtzufertigen. Es kommt hier zu einem Prozess der Verdinglichung (reification), bei der
vom Menschen induzierte Gegebenheiten als autonom (und z.B. naturgegeben, als
biologisch determinierte „Sache des gemeinsamen Blutes“) dargestellt werden (Baumann
1999: 60 ff, 66 f). Bedeutend und identitätsstiftend werden ethnische Kategorien erst im
Kontext wirtschaftlicher und politischer Interessen. Bemerkenswerterweise werden aber
gerade
solche
menschengemachte
Differenzierungen
regelmäßig
als
„Reinheit“
dargestellt, die es zu erhalten bzw. von fremden Einflüssen zu befreien gilt (ebd: 64 f),
wobei die AktivistInnen Leute, sind, die weit entfernt von dem leben, was sie zu
„ethnischen Identitäten“ stilisieren wollen (ebd: 66).
3.4.2
Ethnische Grenzziehungen (ethnic boundaries)
Fredrik Barth hat in seinem Klassiker Ethnic groups and boundaries (1969) das Augenmerk
39
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
auf die Grenzziehungen zwischen ethnischen Gruppen gelenkt und mit seiner
Sichtweise einen Paradigmenwechsel eingeleitet. Im Vorwort zu seinem Sammelband
hielt er u.a. folgende Punkte fest: Ethnische Gruppen sind Gruppen, die kulturelle
Werte teilen und sich nicht nur selbst als eine unterscheidbare Gruppe erleben, sondern
auch von anderen als solche angesehen werden, also durch Identifikation und
Zuschreibung entstehen. Die zugehörigen ethnischen Kategorisierungen sind keinesfalls
statisch und erlauben soziale Prozesse von Aufnahme und Ausschluss, also ein
„Durchsickern“ von Personen auf beiden Seiten ebenso wie einen regelmäßigen Kontakt
zu anderen Gruppen, denen häufig auf Basis eines dichotomisierten ethnischen Status
begegnet wird (1970 [1969]: 9ff, 21). Für Barth war klar, dass sich sowohl die kulturellen
Charakteristika der Mitglieder ethnischer Gruppen als auch deren Begrenzung
(boundary) verändern konnten, die Kontinuität dieser Gruppen jedoch durch das Faktum
der Grenzziehung selbst gegeben wurde. Denn: Die Dichotomisierung zwischen
Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern der ethnischen Gruppe blieb trotz kultureller
Veränderungen konstant (1970 [1969]: 14). Fazit: „The critical focus of investigation from this
point of view becomes the ethnic boundary that defines the group, no the cultural stuff that it
encloses“ (ebd: 15). Hier muss man sich allerdings fragen, worin die „ethnische Grenze”
besteht bzw. was zu untersuchen wäre, wenn nicht der „cultural stuff“. Eriksen verwendet
in seiner Kritik sogar die Metapher des empty vessel (in Zurawski 2000: 37).
Manning Nash bezeichnet die Mechanismen zur Erhaltung derartiger Grenzen als
kulturelle Differenzmarker, die als Indizes sowohl für die Mitglieder als auch für die
Nicht-Mitglieder einer Gruppe leicht zu erkennen und zu verstehen sein müssen. Sie
stellen die Synthese der weniger sichtbaren, tiefer liegenden Werte einer Gruppe dar
und definieren, wer dazu gehört und wer nicht (Nash 1996 [1989]: 24 f).
Verwandtschaftssysteme, Kommensalität und Religion stellen für Nash nicht nur die
häufigsten Grenzmarker dar, sondern sind auch single recursive metaphors, die die Gruppe
gleichzeitig symbolisieren und konstituieren. Die von Nash erwähnte, in der Vorstellung
des gemeinsamen Blutes transportierte Idee einer biologischen und durch Abstammung
konstituierten Einheit wurde auch von meinen InformantInnen häufig thematisiert
(s.u.). Zu diese grundlegenden (primären), für die Außenwelt nicht immer erkennbaren
Eigenschaften ethnischer Gruppen gesellen sich äußerlich leicht erkennbare sekundäre
40
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
surface pointer wie Kleidung, Sprache und biologisch bzw. kulturell geprägte physische
Charakteristika (wie Hautfarbe, Haar- und Augenform, Beschneidung, Tätowierung und
Ziernarben) die von abgeleiteten (tertiären) Indices der Abgrenzung wie Architektur,
Kalender, Tabus, medizinischen und wirtschaftlichen Praktiken gefolgt werden. Wichtig
ist, dass die sekundären und tertiären Abgrenzungsmerkmale einen Bezug zu den
Grundelementen der ethnischen Differenzierung aufweisen, da sie ansonsten nur
Merkmale vorübergehender, freiwilliger und oberflächlicher sozialer Identitäten
darstellen. Differenzmarker werden häufig zum Objekt von Spott, Karikatur und
Stereotypisierung durch Außenseiter (Nash 1996 [1989]: 25 f). Solche Stereotype müssen
natürlich keineswegs der Wahrheit entsprechen, helfen aber dabei, das komplexe soziale
Umfeld überschaubarer zu machen, hierarchische Verhältnisse zu erklären, die Grenzen
der eigenen Gruppe festzulegen und gruppeninterne Loyalitäten zu stärken (Eriksen: 25,
28).
3.4.3
Entstehung und Kommunikation ethnischer
Klassifizierungen
Entstehen kann Ethnizität, wenn sich Gruppen teilen oder durch Expansion, wenn
mehrere Gruppen unter einem größeren System vereint werden. Viele ethnische
Klassifizierungen sind Überbleibsel vergangener Kolonialregimes, andere gingen aus
„revitalisation movements“ hervor (Eriksen 2002 [1993]: 79 ff). Wie die Beispiele der
Schwarzen in den USA, der weder Jiddisch noch Hebräisch sprechenden Juden oder
der britischen Kelten zeigen, ist eine gemeinsame Sprache nicht unbedingt
Voraussetzung für den Erwerb bzw. Erhalt einer gemeinsamen ethnischen Identität
(Brass 1996 [1991]: 88).
Ob und wie sehr die ethnische Zugehörigkeit kommuniziert wird, hängt von der
Situation (Eriksen 2002 [1993]: 58) und den Machtverhältnissen der beteiligten Ethnien
ab. „Zu Hause“ als selbstverständlich erlebte und nicht weiter thematisierte ethnische
Identitäten können in einer großen Stadt oder einem fremden Land plötzlich große
Bedeutung erlangen und entsprechend kommuniziert werden (ebd: 22 f). Ein klassisches
Beispiel dafür ist Mitchells Kalela Dance, der wiederum deutliche Parallelen zur urbanen
41
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Folklore der Anden erkennen lässt (URL 8). Konflikte zwischen internen oder internen
und externen Eliten können ebenfalls zu einem erhöhten ethnischen Bewusstsein und
damit verbundenen Forderungen führen (Brass 1996 [1991]: 89).
42
Eveline Sigl
3.5
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Ethnizität, Nationalismus und Rassismus
Durch inhaltliche Überlappungen und teilweise Überlagerungen steht der Begriff der
Ethnizität in einem Spannungsverhältnis zwischen den Konzepten von Identität,
Nationalismus und Rassismus (Eriksen 2002 [1993]: 6 f). Die ethnische Identität ist
jedenfalls nur eine von vielen sozialen Identitäten, die in verschiedenen Situationen
unterschiedlich stark relevant werden (ebd: 31 f, Tonkin et al 1996 [1989]: 24). Im
Nationalismus wird die ethnischen Ideologien inhärente Betonung der Grenzen
zwischen „uns“ und „den Anderen“ auf eine staatliche Ebene transferiert. Sowohl
ethnische als auch nationale Identitäten sind Konstruktionen, in denen fiktive (Bluts)Verwandtschaftsbeziehungen starke Emotionen auslösen, wobei der Nationalismus eine
spirituelle Verbindung zwischen Kinship und Territorium („Blut und Boden“) herstellt
und die Massen davon zu überzeugen versucht, dass er sie als kulturelle Einheit
repräsentiert (Eriksen 2002 [1993]: 100, Connor 1996 [1994]: 71). Weitere mit dem
Konzept der Nation vorgestellte Eigenschaften sind ihre Begrenztheit, Unabhängigkeit
und eine tiefe Kameraderie (Anderson 1991[1983]: 6 f). Ermöglicht wurde diese
Vorstellung
von
Nation
als
imagined
community
durch
das
Aufkommen
des
Printkapitalismus (ebd: 36). Obwohl Nationalstaaten im heutigen Sinn erst seit dem 18.
Jahrhundert existieren, geben sie sich gerne den Anstrich einer bis in die graue Vorzeit
zurückreichenden Kontinuität, die in eine grenzenlose Zukunft weist und sich damit als
etwas Ewiges und Schicksalhaftes positioniert und mit ihrer Selbstverständlichkeit an
die kulturellen Systeme der Religionsgemeinschaften und Dynastien erinnert (ebd: 11 f).
Die Bereitschaft, sich für einen Nationalstaat aufzuopfern verdankt sich laut Anderson
dem verwendeten Vokabular, das Verbindungen zu Verwandtschaft (Mutterland,
Vaterland, patria) und Heimat evoziert. Durch diesen Diskurs entsteht ein Eindruck der
Gegebenheit und Unabänderbarkeit, der mit „natürlichen“ Dingen wie Sprache,
Hautfarbe, Gender, Elternhaus und Geburtsort verschmilzt (ebd: 143, Balibar 1996[1991]:
164). Folgt man Hobsbawns Argumentation, ist der moderne Nationalstaat jedenfalls ein
Paradebeispiel für eine „erfundene Tradition“ (1993[1983]: 14). Zurawski sieht hier
wiederum nicht so sehr eine „Erfindung“, sondern eher „Bedeutungsnarrative, die sich
ethnische Identitäten zu eigen machen“ und die damit verbundenen „Mythen, Rituale
43
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
und Symbole verändern, in andere Kontexte setzen oder sie neu interpretieren“ (2000:
75). Wie für Anderson nimmt die Sprache auch für Balibar eine entscheidende Rolle bei
der Konstruktion der imagined communities ein (1991[1983]: 145), ist es doch sie, die die
Verbindungen zu den mythischen Helden der Vorzeit schafft und diese zu den „Ahnen“
der Nation macht. Anderson bringt hier das Beispiel spanischsprachiger Mestizos, die
ihre „nationale“ Abstammung nicht bis zu den spanischen Eroberern, sondern bis zu
den Azteken und Maya oder bis zu Tupac Amaru, dem Anführer der südamerikanischen
Indianer-Revolten 1781, zurückverfolgen (ebd: 154). Bei der Schaffung nationaler
lateinamerikanischer Identiäten spielt auch das Konzept der Folklore eine wichtige Rolle
(Rowe und Schelling in Westwood 2000: 48). - Versatzstücke einzelner vormoderner
Gemeinschaften wie Volkstrachten und –Tänze werden hier gerne als „emblems of
distinctiveness“ gegenüber anderen Nationen übernommen (Eriksen 2002[1993]: 106).
Für Brass ist die Nation schlichtweg eine politisierte ethnische Gruppe (1996
[1991]: 86) und Balibar erkennt die Basis von Staaten in einer fiktiven Ethnizität, die die
Vergangenheit so repräsentiert, als ob es sich hier um eine „natürliche“ Gemeinschaft
mit gemeinsamen Ursprüngen und Interessen sowie einer gemeinsamen Kultur handeln
würde (1996 [1991]: 164). Baumann spricht in diesem Zusammenhang von der Nation als
einem neuen und größeren Superethnos bzw. einem Post-Ethnos, der die Existenz
kleinerer ortsansässiger Ethnien negiert und als Teil einer entfernten Vergangenheit
erscheinen lässt. In der Realität sieht dieses Projekt allerdings meist eher nach
Bevorzugung
und
Marginalisierung
sowie
der
Bildung
von
Mehrheiten
und
Minderheiten aus (Baumann 1999: 31). Die dominanten ethnische Gruppe wird mit dem
Staat identifiziert (und daher praktisch nie als ethnische Gruppe wahrgenommen), was
gleichzeitig einen stillschweigenden Ausschluss der als ethnische Gruppen bezeichneten
Bevölkerungsteile impliziert (Baumann 1996: 137). Lange Zeit war der nationale Diskurs
in lateinamerikanischen Staaten durch die Kreation einer solchen „fiktiven“ SuperEthnizität der Mestizaje bestimmt; erst in den letzten Jahren haben die Indigenen
Eingang in die nationalen Narrativen gefunden. Wie Westwood am Beispiel Ekuador
schildert, handelt es sich bei dieser Integration in die staatlichen Imaginationen
allerdings sehr oft um folkloristische Bilder, die als Ausdruck der „Authentizität“
tourismusgerecht vermarktet werden. Ebenso wie die bolivianische konstituiert sich
44
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
auch die ekuatorianische Nationalidentiät sehr stark durch die Abrenzung zu seinem
territorialen Nachbarn Peru, den Widerstand gegen den Ausverkauf nationaler
Ressourcen an transnationale Konzerne und das Einfordern der Anerkennung
ethnischer Differenzen, wobei physiognomische Merkmale eine wichtige Rolle spielen
(Westwood 2000: 23 ff, 32 f). Auch Westwoods Feststellung, dass der ekuatorianische
Nationalstaat durch eine „liberale“ Revolution ins Leben gerufen wurde und eine Vision
schuf, die Indigene und Afrikanischstämmige zwar in die wirtschaftlichen Strukturen,
nicht aber in den imaginären Staat einband (ebd: 43), findet seine Parallelen in Bolivien.
Insgesamt wurden bzw. werden die lateinamerikanischen Staaten durch Diversität und
homogenisierende Narrativen und die daraus resultierenden zentrierenden und
dezentrierenden Kräfte bestimmt (ebd: 8). Während es beim Nationalismus also um die
Identifikation mit einer supraethnischen oder dominanten Gruppe geht, bezeichnet
Patriotismus die Loyalität gegenüber einem Land und seinen Institutionen (Connor
1996[1994]: 69).
Obwohl sich Ethnizität und gesellschaftliche Schicht deutlich voneinander
unterscheiden kann es auch hier zu starken Verstrickungen kommen; ethnische
Zugehörigkeiten
sind
häufig
stark
mit
gesellschaftlichem
Status
und
Klassenunterschieden verbunden (Eriksen 2002: 8, 49). Zurawski erwähnt die
unterschiedliche Bedeutung, die Ethnizität für europäische Einwanderer der vierten
Generation und African Americans, LateinamerikanerInnen und AsiatInnen der USamerikanischen Arbeiterklasse hat (2000: 82) und Balibar spricht in diesem
Zusammenhang sogar von „Klassen-Rassismus“ (Balibar 1991 in Eriksen 2002: 52).
Derartige Verflechtungen sind für die vorliegende Arbeit höchst relevant: Das Tanzen
bolivianischer Folkloretänze ist nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb Boliviens
stark mit Fragen von Status und Ethnizität verbunden, wobei sich die möglichen
Konstellationen in der Diaspora ziemlich stark von denen des Ursprungslandes
unterscheiden.
Die Grenzen zum Begriff „Rasse“ (race) verschwimmen insofern, als rassistische
Diskurse neuerdings vor allem mit kulturellen Differenzen (anstatt phänotypischer
Charakteristika) argumentieren, um ihre Forderungen nach einer hierarchischen
Ordnung der betroffenen Gesellschaft zu untermauern (Eriksen 2002: 6 f). Außerdem
45
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
gehören phänotypische Merkmale oft zwar sehr wohl zu den Differenzmarkern
ethnischer Gruppen, sind dort m.E. aber im Gegensatz zum Rassismus nicht Teil
angenommener simpler Kausalbeziehungen zwischen Aussehen und Eigenschaften der
Gruppenmitglieder.
46
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
3.6
Ethnizität, Kultur und Tradition
3.6.1
Sichtweisen von Kultur
Eine essentialistische Sichtweise des Kulturbegriffs kann zwar manche Phänomene (wie
etwa Stereotypisierungen und Verhaltensregeln) erklären, übersieht aber die Tatsache,
dass der Mensch mehr als eine Kultur praktiziert bzw. sich in einem dichten Netzwerk
aus verschiedenen Kulturen bewegt und dabei ständig an der prozessualen Entwicklung
von Kultur beteiligt ist und die Grenzen der erwähnten Essentialismen überschreitet
(Baumann 1999: 84 f, 118). Baumann integriert die essentialistische und die prozessuale
Sichtweise, indem er sie als die zwei Seiten eines Phänomens betrachtet, ein Schritt, der
sich auch für die Analyse meiner empirischen Daten als sehr zweckmäßig erweist. – Die
befragten TänzerInnen thematisieren Essenz und Prozesshaftigkeit von Kultur bzw.
sehen den Tanz als zwischen den von Baumann erwähnten Polen von konservativer
(Re)Konstruktion und Neuschöpfung verortet (Baumann 1999: 95).
Kultur wird als kollektives Erbe bestimmter Regeln und Normen verstanden, die
die Unterschiede zwischen Gut und Böse sowie zwischen dem Wir und den Anderen
festlegen (Baumann 1999: 25) und dient damit oft auch als Legitimationsgrund eigener
Handlungen (Baumann 1996: 107). Wichtig ist es, dabei zu bedenken, dass man Kultur
nicht nur „hat“, sondern auch durch sie geformt wird (Hannerz 1996: 58) bzw. als
Mensch selbst wieder an der Konstruktion von Kultur beteiligt ist (Baumann 1999: 25).
Wie Baumann sehr treffender Weise bemerkt, muss unbedingt zwischen dem
unterschieden werden, was InformantInnen unter „Kultur“ und „Gemeinschaft“
verstehen und dem, was AnthropologInnen damit meinen (1996: 9). Im dominanten
Diskurs fungiert „Gemeinschaft“ als Bindeglied zwischen Kultur und Ethnos: Ethnische
Minderheiten bilden Gemeinschaften, die auf verdinglichter (reified) Kultur basieren
bzw. muss ihre Kultur in der verdinglichten Form auftreten, da sie ja als Gemeinschaft
identifiziert werden (ebd: 16 f). Im Gegensatz zum dominanten Diskurs bezeichnet
Baumann den alternativen, stärker auf kreative Aspekte abzielenden Diskurs der
Betroffenen als demotisch (1996: 9). Allerdings ist es durchaus möglich, eine Kultur zu
haben, ohne Mitglied einer örtlichen Gemeinschaft zu sein – etwa weil es aufgrund von
47
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Streitigkeiten oder individualistischem Wettkampfdenken keine derartige Gemeinschaft
gibt (ebd: 92 f); eine Tatsache, die auch von meinen bolivianischen InformantInnen
wiederholt erwähnt wurde.
Verstärkte Kontakte zwischen den sozialen Gruppen bringen einerseits eine
Annäherung und größere Ähnlichkeit, gleichzeitig aber auch ein verstärktes Bemühen
um die Aufrechterhaltung von Differenz, wie es sich z.B. in poly-ethnischen Kontexten
beobachten lässt (Barth [1969] 1970: 18, Eriksen 2002: 19 f). Zu große Ähnlichkeiten
können durchaus als bedrohlich wahrgenommen werden und ein „Kopieren“
symbolischer Praktiken durch eine als sehr ähnlich empfundene Gruppe wird leicht mit
„Kultur-Priaterie“ (Harrison 1999 in Eriksen 2002: 67) und „Kulturraub“ (eigene
Erhebungen) gleichgesetzt. Kultur wird besonders dann eine erkennbare Größe, „wenn
sie ihre selbstverständliche Existenz verliert und sich nicht mehr automatisch kongruent
zu anderen Gesellschaftsbereichen verhält“ (Erazo-Heufelder 1994: 72). So ist auch zu
erklären, warum die globale Homogenisierung in vielen Bereichen (wie etwa Wirtschaft,
Medien und Bildung) mit einer gleichzeitigen Heterogenisierung und Fragmentierung
einhergeht (Eriksen 2002: 162).
Auch für Appadurai impliziert der Begriff der Kultur vor allem eine Differenz, die
sich in den kulturellen Dimensionen eines Konzeptes, einer Praxis oder eines Objektes
manifestieren kann. Kultur bedeutet für ihn daher keine wie auch immer geartete
Substanz oder Eigenschaft einer Person oder Gruppe, sondern eine Dimension, mit
deren Hilfe über Differenz gesprochen werden kann. Als kulturelle Differenzen sieht
Appadurai allerdings nur diejenigen Differenzen an, die soweit bewusst gemacht und
verinnerlicht werden, dass sie für die Gruppenidentität unabdingbar werden und –
analog zu Nashs single recursive metaphors, surface pointers und tertiary indices (1996 [1989]:
25 f) - als Grenzmarker bei der Artikulation von Differenz zwischen Gruppen dienen
können (Appadurai 1996: 12 ff). Kultur wäre demnach eine Auswahl solcher
internalisierter Differenzen, die im Rahmen bi-, multi- und interkulturalistischer
Bewegungen
(Kulturalismen)
bewusst
für
eine
nationale
oder
transnationale
Identitätspolitik mobilisiert werden (ebd: 15), was auf die bereits erwähnten
ethnopolitischen Tendenzen hinweist (Rothschild 1981).
48
Eveline Sigl
3.6.2
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Ethnizität, Kultur und (Bi-, Multi-)
Kulturalismen
Entgegen Ansätzen, Kultur auf ethnische Identität zu reduzieren oder die ethnische
Identität als einzige Determinante von Kultur anzuerkennen (Baumann 1999: 103 f), darf
die unbestreitbare Affinität zwischen den Begriffen Ethnizität und Kultur nicht mit einer
Deckungsgleichheit verwechselt werden. – Es gibt Ethnien, die trotz weitgehender
kultureller Assimilierung weiter bestehen, aber auch solche, die sich zwar auflösen,
deren kulturelle Symbole aber trotzdem lange Perioden überdauern (Hutchinson und
Smith 1996: 7). Kulturelle und ethnische Grenzen müssen auch nicht entlang derselben
Linien verlaufen: Verschiedene ethnische Gruppen können trotz ihrer Unterschiede die
gleiche
Sprache
sprechen,
die
gleiche
Religion
ausüben
oder
die
gleichen
wirtschaftlichen Strategien anwenden (Eriksen 2002 [1993]: 34). Umgekehrt können
ethnische Gruppen trotz sprachlicher und religiöser Differenzen und dem Fehlen einer
gemeinsamen Sprache existieren (Weber 1996: 36, Brass 1996[1991]: 88). Es gibt also
keine Eins-zu-Eins-Beziehung zwischen ethnischen und kulturellen Differenzen (Barth
[1969] 1970: 14).
Ethnizität und Kulturalismus entscheiden sich insofern voneinander, als es bei
ersterer um die Annahme einer natürlichen, unbewussten und stillschweigend
angenommenen Gruppenidentität geht, während die kulturellen Differenzen beim (Bioder Multi-)Kulturalismus ganz bewusst produziert werden, um nicht nur die
Beziehungen zur dominanten Gesellschaft, sondern auch deren technische und
politische Mittel für den Widerstand zu nutzen (Appadurai 1996: 147, Sahlins 1993: 475).
Viele
der
modernen,
transnational
mobilisierten
Ethnizitäten
sind
daher
kulturalistischen Bewegungen und den diasporischen öffentlichen Räumen zuzurechnen
(Appadurai 1996: 147). Terence Turner argumentiert in die gleiche Richtung, wenn er
bemerkt, dass „multiculturalism tends to become a form of identity politics, in which the conecpt
of culture becomes merged with that of ethnic identity. ... this move ... risks essentializing the idea
of culture as the property of an ethnic group or race, it risks reifying cultures as separate entities
by overemphasizing their boundedness and mutual distinctness, it risks overemphasizing the
internal homogeneity of cultures...“ (Turner 1993 in Baumann 1999: 105). Turner sieht
Sahlins „Culture of cultures“ (1993: 493) als universelle „Metakultur“, die zu einer
49
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
weltweiten Quelle politisch mobilisierbarer Rechte wird (Turner in Hannerz 1996: 52).
Die
gern
propagierte
Integration
und
Interkulturalität
kann
mit
derartigen
Multikulturalismen also nicht erreicht werden: Volkstanz, Kulturfestivals und EthnoRestaurants dienen ganz im Gegenteil dazu, die propagierten kulturellen Differenzen
festzuschreiben und als natürlich gegeben darzustellen (Baumann 1999: 122). Wie auch
Comaroff und Comaroff (1992) bemerken, werden Strukturen der Ungleichheit durch
zugeschriebene kulturelle Differenzen begründet, wodurch Ethnizität eine zwingende
existentielle Realität erhält (Baumann 1996: 19).
In besonderem Maße gilt das auch für die Bevölkerung der vierten Welt, die in
den letzten Jahrzehnten ein verstärktes Bewusstsein für Kultur und Tradition entwickelt
hat. In seinem Aufsatz „Goodbye to Tristes Tropes“ zitiert Sahlins dazu einen eigenen
Informanten aus Neu Guinea: „If we didn´t have kastom, we would be just like white men.“
und einen Informanten von Maurice Godelier aus derselben Region: „We must find
strength in our customs; we must base ourselves on what the Whites call culture.“ Über Bräuche
und Traditionen erschließbare verdinglichte Auffassungen von kultureller Differenz
haben zwar schon vor der europäischen Präsenz existiert, werden aber erst in der Form
des aktuellen Kulturalismus zu einem höheren Wert und politischen Recht (in
Opposition zu der imperialen Präsenz) erhoben (Sahlins 1993: 474 f).
Voraussetzung für eine derartige Aneignung ist die Tatsache, dass alle Kulturen
fremde Objekte und Personen in Form von kohärenten Beziehungen in sich aufnehmen
können (Sahlins 1993: 489). Genau das geschah bei den ersten wirtschaftlichen
Kontakten mit den Eroberern vor der Unterwerfung: Die importierten Güter dienten der
Verwirklichung eigener Vorstellungen und Lebenspraxen, also der Entwicklung aus der
Sicht der Betroffenen, was diese Güter (wie z.B. Pferde, Messer, Stoff, aber auch das
Christentum) trotz fremder Provenienz bis heute als Teil der eigenen „traditionellen“
Kultur erscheinen lässt (ebd: 490). Synkretismus und Kulturalismus sind daher keine
Gegensätze, sondern bedingen einander. – Während der traditionellen Kultur die
höheren Werte zugeschrieben werden, sollen Annehmlichkeiten wie Kühlschränke und
Fernseher im eigenen System „domestiziert werden“ (ebd: 493).
Die Globalisierung von Kultur ist also nicht mit deren Homogenisierung
gleichzusetzen; vielmehr werden verschiedene Instrumente der Homogenisierung
50
Eveline Sigl
(Waffen,
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Werbetechniken,
Sprachhegemonien,
Kleidungsstile)
von
den
lokalen
kulturellen und politischen Wirtschaften absorbiert (Appadurai 1996: 42). Da die
Vergangenheit
einzelner
Gruppen
zusehends
durch
Museen,
Ausstellungen,
Sammlungen, nationale und transnationale Schaustellungen erfahrbar wird, gerät
Kultur wird auch immer mehr zu einer Angelegenheit der bewussten Wahl,
Rechtfertigung und Repräsentation (ebd: 48). Ganz besonders wichtig wird hier die Rolle
der (staatlich) gelenkte Medien, die Identitäten in einer Art und Weise kreieren,
transformieren und verdinglichen (reifiy) können, dass sie primordialen Loyalitäten
gleich verinnerlicht werden und die Leute zu einem entsprechenden Verhalten
veranlassen. Unter Umständen wird dieser Einfluss der sogar so groß, dass er im
alltäglichen Leben gemachte face-to-face-Erfahrungen mit dem ethnischen Anderen
umkehrt (155 f). Im Zuge kulturalistischer Bewegungen treten nationalstaatliche
Minderheiten und Mehrheiten in einen Wettkampf um staatliche Ressourcen, was zu
Ausbrüchen von Gewalt führen kann (155). Moderne Nationalstaaten richten ihre
Legitimation, die Durchführung staatlicher Projekte und die Zuordnung von Rechten
und Pflichten immer an large-scale Gruppen-Identitäten aus (157). Gleichzeitig wird die
Zugehörigkeit zu einem Staat für seine BürgerInnen immer weniger zu einer
Konsequenz natürlicher Fakten wie Sprache, Abstammung, Territorium und „race“,
sondern immer stärker zu einem Produkt kollektiver Imagination (161).
3.6.3
Die
Tradition
Tradition
schafft
als
„zeitloser“,
stabiler
Kern
ethnischen
Zusammengehörigkeitsgefühls eine Kontinuität zwischen Vergangenheit und Zukunft
(Eriksen 2002 [1993]: 68, 71, Nash 1996 [1989]: 27). Kulturelle Praktiken und
Glaubensvorstellungen erhalten so alleine durch die Tatsache, so lange überlebt zu
haben und alt zu sein, eine Aura der Autorität, Legimität und Richtigkeit. Nash erwähnt
in diesem Zusammenhang Aussprüche wie „as our fathers did before us“ oder „the way it
was
always
done“.
Aus
dieser
Haltung
ergibt
sich
auch
eine
wichtige
Zukunftsperspektive: So wichtig wie das Überleben der Tradition für die Gruppe war, so
wichtig wird nun der Einsatz jedes Einzelnen für den Erhalt dieser Tradition und damit
51
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
wiederum für die Gruppe – das Streben nach dem individuellen Überleben verschmilzt
mit dem nach Erhalt der Gruppe (1996 [1989]: 27 f). Ethnizität, erfahren als „being ‚bone
of their bone, flesh of their flesh, and blood of their blood’, wird somit zum Bindeglied
zwischen der eigenen Geschichte und der der Vorfahren: Ein „Garant der Ewigkeit“.
Das Bewahren und Erhalten von Liedern, Gebeten, Riten, Rätseln und Witzen gehört
ebenso hierher wie die Neu-Interpretation und (Neu)-Konstruktion der eigenen
Geschichte, die für einen Anschein von Kontinuität und „Natürlichkeit“ und/oder
Selbstverständlichkeit der beschriebenen Ereignisse sorgt und die Anwendbarkeit des
tradierten Wissens in der Gegenwart sichert (Fishman 1996 [1980]: 63 ff, Eriksen 2002
[1993]: 72 f). Ich sehe diese theoretischen Konzepte insofern als besonders relevant für
die vorliegende Untersuchung an, als meine InformantInnen der Tradition und Pflege
kultureller Praktiken in ihren Aussagen einen durchwegs sehr hohen Stellenwert
zuwiesen und sich häufig implizit und explizit auf dieseThematik bezogen.
Hobwsbawn ist der Ansicht, dass viele der als alt wahrgenommenen oder
reklamierten Traditionen in Wirklichkeit neueren Datums sind. Er definiert die
„erfundene Tradition“ als „set of practices, normally governed by overtly or tacitly accepted
rules and of a ritual or symbolic nature, which seek to inculcate certain values and norms of
behaviour by repetition, which automatically implies continuity with the past“. Wo möglich,
wird nach einer „passenden“ historischen Vergangenheit gesucht, um diese Kontinuität
zu untermauern. Neue Situationen werden so unter Rückgriff auf alte Referenzereignisse
gemeistert und es entsteht der Eindruck, dass trotz konstanter Änderungen und
Neuerungen zumindestens ein Teil des sozialen Lebens unverändert bleibt. (Hobsbawn
1993 [1983]: 1 f). Die „Erfindung“ besteht im Wesentlichen aus einem Prozess der
Formalisierung und Ritualisierung unter Rückgrif auf die Vergangenheit (ebd: 4).
Hobwsbawn unterscheidet hier drei Typen von invented traditions: Diejenigen, die einen
sozialen Zusammenhalt oder eine Mitgliedschaft von Gruppen und Gemeinschaften
begründen,
Traditionen
Autoritätsbeziehungen
zur
und
Legitimation
Traditionen,
die
von
Institutionen,
dazu
dienen,
Status
Glaubens-
oder
und
Wertvorstellungen zu vermitteln und die Sozialisation voranzutreiben (ebd: 9).
Besondere Wichtigkeit für Fragen der Identität haben erfundene, emotional und
symbolisch aufgeladene Zeichen der „Mitgliedschaft“ wie nationale Flaggen und
52
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Embleme (ebd: 11).
Sahlins verwehrt sich gegen dieses Konzept der „erfundenen“ Tradition. Denn:
Alle Traditionen werden für die Zwecke der Gegenwart „erfunden“. Im Fall der ExKolonien handelt es sich bei den Vorstellungen uralter Traditionen auch um ein
Zurückspielen einst von den Eroberern zur Grundlage ethnischer Differenzen
gemachter Wertungen. „Tradition“ bedeutet für Sahlins nicht Erhalt, sondern eine
besondere Form des Wandels, in der sich Indigene entweder über genau die
Imaginationen abbilden (re-create), die die Anderen von ihnen gemacht haben oder ihre
kulturelle Distanz durch komplementäre oder umgekehrte (inverted) Formen der
Kolonialmacht gewinnen (Sahlins 1993: 475 f). Als sehr treffendes Beispiel für das
Messen mit zweierlei Maß führt Sahlins die Entstehung der europäischen Renaissance
an: Die wilde Mischung aus jahrhundertelang vergessenen heidnischen Traditionen und
Göttern wurde als kulturelle Wiedergeburt und Beginn einer neuen Ära gefeiert. Bei
anderen Völkern gelten die gleichen Prozesse nur als Anzeichen von Dekadenz (478 f).
3.7
Tanz als Ausdruck von Kultur, Identität,
Ethnizität
3.7.1
Tanz als kulturell determiniertes Verhalten und
Mittel der Abgrenzung
Für Hanna ist der Tanz ein „human behavior composed, from the dancer´s perspective, of (1)
purposeful, (2) intentionally rhythmical, and (3) culturally patterned sequences of (4a) nonverbal
body movements (4b) other than ordinary motor activities, (4c) the motion having inherent and
aesthetic value“ (1979: 19). Als kulturell determiniertes Verhalten kann er Normen, Werte,
Konzepte und Fähigkeiten lehren, kulturelle Muster einer Gruppe oder Gesellschaft
erhalten sowie Hierarchien kommunizieren, unterstützen oder in Frage stellen. Das
Phänomen Tanz kann weder durch andere Kommunikationswege substituiert werden
noch ist es universell verständlich: Die vermittelten Botschaften sind unter Umständen
nicht in andere Codes der gleichen Kultur oder in Konzepte anderer Kulturen
übersetzbar (ebd: 3, 26, 67). Tanz- und Bewegungsformen haben daher sehr viel mit der
53
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
psychomotorischen Sozialisation und den soziokulturell geprägten Interaktionsmustern
einer Gemeinschaft zu tun (ebd: 34, 69). Soziale Beziehungen und kulturelle Werte
werden
über
Tanzanlässe,
Lebensalters-Rollen,
Tanzzwecke,
Gesangstexte,
Partizipationskriterien,
Tanzthemen
sowie
die
Gender-
und
Korrelation
von
Bewegungsstil, Struktur, Musik und Tanzkostüm mit den sozialen Rollen ausgedrückt
(ebd: 171).
Der Tanz hat eine stark identitätsbildende Funktion: In den ehemaligen
Kolonialreichen waren die Tänze oft ein symbolischer Ausdruck von Widerstand,
Identität und Ethnizität. - Während auf der einen Seite die fremden Eindringlinge im
Tanz verspottet und karikiert wurden (und es entsprechend viele Tanz-Verbote und Reglementierungen durch die die Eroberer gab), diente der Tanz auf der anderen Seite
der Verfestigung und Präsentation innergemeinschaftlicher Werte und damit der
Stärkung der eigenen Identität. Die Aneignung von Tänzen der Eroberer als Symbole
der Macht (ebd: 142) stellt einen subversiven Akt im Sinne Bhabhas dar (Bhabha 2000:
165). Für Washabough ist der Tanz allerdings auch abseits von Eroberung und
Unterwerfung ein Mittel, um exotisierende Vorstellungen des Anderen zu entwerfen und
(zuweilen mit großem Erfolg) zu verbreiten. Wie in seinem Sammelband zu Flamenco,
Tango und Rebetica illustriert, kommt es im Tanz zu einer starken Verflechtung von
Gender-Konstruktionen und (imaginierten) nationalen Identitäten. Als gleichsam postreligiöses Phänomen stehen Musik und Tanz dabei für grundlegende emotionale Werte
wie Ehrlichkeit, Authentizität und Intensität (1998: 5 ff).
Hanna stellt die Hypothesen auf, dass das Verlangen nach einer gemeinsamen
symbolischen Kommunkation durch den Tanz umso größer ist, je ethnisch heterogener
eine Gesellschaft ist und dass der Tanz als Teil der ideational domain einer Gesellschaft
für politische Funktionen genutzt werden kann (ebd: 152); etwa als Symbol ethnischer
Identität in heterogenen Nationen (ebd: 197, Washabaugh 1998: 6 ff). Beides lässt sich
am Beispiel des bolivianischen Umzugstanzes beobachten: Nachdem der Tanz ab 1952
für die Schaffung einer homogenisierenden, folkloristisch-mestizischen Meta-Erzählung
instrumentalisiert wurde, dient er mittlerweile verstärkt dem kulturalistischen Aufzeigen
von Differenz.
54
Eveline Sigl
3.7.2
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Bedeutung in urbanen Zentren
Hanna sieht die urbanen Zentren als Katalysatoren der Kreativität, da sie einen stärkeren
tänzerischen Austausch und interkulturelle Begegnungen ermöglichen (ebd: 202 ff). Die
städtische Heterogenität führt zu einer größeren Toleranz gegenüber abweichendem
Verhalten und begünstigt daher Innovationen (210). In der Stadt dient der Tanz dazu,
sich gegenüber der eigenen und anderen Gruppen zu repräsentieren und eine größere
Stabilität in der fremden Umgebung zu erreichen. Der Tanz hilft, durch die
Migrationssituation erlebte Spannungen besser zu verkraften, ein Zugehörigkeitsgefühl
zu schaffen, Gefühle von Heimweh und Sehnsucht zu kanalisieren bzw. neue soziale
Netzwerke aufzubauen (ebd: 214 f). In dieser Situation kann der Tanz den Wunsch nach
gesellschaftlichem Aufstieg, aber auch die Akzeptanz oder den Widerstand gegen die
von der Gesellschaft zugeteilten Rollen widerspiegeln. Dabei entwickelt er sich zu einem
Mittel, um die Grenzen der eigenen Identität abzustecken und zu schützen, an das sich
nicht nur Angehörige niedriger Statusgruppen, sondern auch privilegierte Eliten
klammern (ebd: 221). Die Normen städtischer Entscheidungsträger und Eliten tragen
ebenso wie die Prozesse der soziokulturellen Assimilation zur Anpassung der Tänze an
die dominante urbane Kultur bei. Hanna unterscheidet mehrere Stadien der
Veränderung: In einer ersten Phase geht es darum, den Gruppenzusammenhalt durch
den Erhalt traditioneller Tänze zu stärken. Tanzformen wie die der concheros in Mexiko
City sind hier Teil eines „crisis cult“, der dazu dient, die kulturelle Identität von
Einwanderern und low status groups zu erhalten, gleichzeitig aber neue Formen der
sozialen Integration zu erschließen (Moedano 1972 in Hanna 1979: 143). Mit
gesellschaftlichem Aufstieg und wachsender Anpassung an die Mainstream-Kultur
verlieren diese Tanzformen an Bedeutung und werden „verwässert“, um in einer dritten
Phase als „kulturelle Wurzeln“ wieder entdeckt und zur erneuten Bekräftigung der
Andersheit genutzt zu werden (ebd: 223 ff).
3.7.3
Tanz, Sexualität und Gender-Rollen
Für Hanna ist die Tanz-inhärente Sexualität ein möglicher Grund für seine universale
Verbreitung. Gender-Identitäten und Sexualität im Tanz gehen auf verschiedene Weise
ineinander über, wie etwa im tänzerischen Liebeswerben, in Sublimierung, Parodie und
55
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Rollenumkehr oder im Festschreiben von Geschlechterrollen (sex roles). Die Rolle der
Frau oszilliert dabei zwischen der einer erotischer Verführerin und dem Bild der
lebensspendender Allmutter während den Männern oft die Funktion des Leben
nehmenden Kriegers zuteil wird (1988: 46 f, 78, 88, Washabaugh 1998: 7 ff). Bezogen auf
den euro-amerikanischen Gesellschafts- und Bühnentanz spricht Schulze von der
Präsentation der Frau mit Hilfe „natürlich-weiblicher“ Bewegungen im Gegensatz zur
athletischen Demonstration von Stärke und Geschick des Mannes (1999: 11). Im
kulturell kodierten Gesellschaftstanz übernimmt typischerweise der Mann die Führung
und überlässt der Frau den reagierenden Part, geschlechterspezifische Differenzen und
Machtstrukturen werden sozusagen in Tanzform gegossen und „zementiert“ (Schulze
1999: 121, 137). Der Tanz bietet den gesellschaftlich meist untergeordneten Frauen aber
eine Möglichkeit, dieses Verhältnis in „rituals of rebellion“ umzukehren und aufgestaute
Spannungen abzubauen (Gluckmann 1954 in Hanna 1988: 86). Was Hanna hier im
Hinblick auf afrikanische Tanztraditionen beschreibt, findet sich in Form der Macha
Caporales auch in den urbanen Straßentänzen des bolivianischen Hochlandes (s.u.).
Im Tanz selbst werden Weiblichkeit und Männlichkeit über Konkretisierung,
Stilisierung, Metonym und Metapher1 in den Tanzbewegungen und -Kostümen
dargestellt (ebd: 88). Nach Judith Butler kommt es hier allerdings zu einer
Repräsentation mittels „Zeichen von Zeichen“, bei der die Tänze die kulturelle
Wirklichkeit abbilden, aber auch reflektieren und verschieben können. Vor allem
Paartänze verkörpern demnach die binäre Zwangsnormierung der Geschlechterrollen,
die sich „an einem Regelkanon gesellschaftlicher Praktiken“ orientieren bzw. an den
daraus resultierenden ständigen Versuchen, diese eigenen Idealisierungen von
Männlichkeit und Weiblichkeit zu imitieren (nach Butler in Schulze 1999: 115 ff).
Generell ist es beim Tanz „sowohl die Bewegungssprache als auch die Präsentation des
Körpers mit Unterstützung der Kostümierung..., die das wahrnehmbare Geschlecht im
Tanz (und in der Gesellschaft) gemeinsam erzeugen. Die Bewegungen und Gesten sind
gendered, aber nicht allein deshalb, weil sie auf ein sie ausführendes Original
1
Konkretisierung: Imitation/Replik äußerer Aspekte, Metonym: Ein Teilbereich steht für das Ganze
(z.B. ein Kriegstanz für einen Krieg), Metapher: Suggeriert eine Analogie zwischen zwei Dingen (z.B.
zwischen dem Tanz als Leopard und der Macht des Todes) (Hanna 1979: 44)
56
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
zurückverweisen, über das sie sich wiederum definieren. Vielmehr gehen die
geschlechtsspezifischen Bewegungen ... der Definition von Geschlecht voraus“ (ebd:
130). Polhemus spricht in diesem Zusammenhang sogar von der Kollision einer
weiblichen und einer männlichen Kultur bzw. einer Kristallisation der kulturell
geschaffenen Bedeutung von Weiblichkeit und Männlichkeit durch den Tanz (1993: 11
f).
3.8
Diaspora-Identitäten
Da ich im Zuge meiner Erhebungen nicht nur Auslands-BolivianerInnen kontaktierte,
sondern auch Personen, die sich selbst als „halb-halb“ bzw. „Mischung“ bezeichneten,
möchte ich an dieser Stelle etwas näher auf die theoretische Debatte zur Ethnizität von
„halfies“ und Diaspora-Gemeinschaften eingehen.
Der Begriff Diaspora bezeichnete ursprünglich nur die nach der Vertreibung aus
Jerusalem auf der ganzen Welt verstreut lebenden Juden, wird aber mittlerweile für alle
Menschen verwendet, die zwar außerhalb eines als Heimat angesehenen Landes leben,
ihre primäre Identität jedoch aus der Zugehörigkeit zu eben diesem Land schöpfen.
(Eriksen
2002
[1993]:
152
f).
Weitere
mögliche
Charakteristika
diasporischer
Populationen sind von der Mehrheitskultur abweichende Werte, Normen und Praktiken,
das Gefühl, in der Aufnahmegesellschaft nicht wirklich akzeptiert zu werden sowie die
Bildung solidarischer Netzwerke und Institutionen, die die soziale Kohäsion innerhalb
der Diaspora fördern und für eine gewisse Unabhängigkeit von der Residenzgesellschaft
sorgen (Safran 1999 [1991]: 364). Die Migration führt oft zu einer Verstärkung der
nationalen Identität, einem Bemühen um die Bewahrung und Neu-Schöpfung (recreation) der Abstammungskultur (Eriksen 2002[1993]: 152 f). Probleme entstehen durch
konfligierende Loyalitäten in Bezug auf Herkunfts- und Aufnahmeland (Moosmüller
2002: 13) sowie bei der Inkorporation neuer, mit der Tradition inkompatibler Werte, die
zu heftigen Auseinandersetzungen führen kann (Barth 1970 [1969]: 35).
MigrantInnen der ersten Generation haben regelmäßig mit Diskriminierung und
mangelnder Anerkennung von im Ursprungsland erworbenen Qualifikationen zu
kämpfen. Zusätzlich müssen die oft einer Mehrheitsgesellschaft entstammenden
57
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Auswanderer mit einem neuen Status als Minderheit zurecht kommen und ihre
Gruppen-Identität auch gegenüber anderen MigrantInnen-Gruppen verteidigen (Eriksen
2002 [1993]: 132). Andererseits können diasporische Kontexte auch mit positiv
konnotierten Eigenschaften wie Flexibilität und Anpassungsfähigkeit in Verbindung
gebracht werden.
Aus Heimweh und Sehnsucht entsteht nicht nur der Wunsch nach einer
Rückkehr in die Heimat, sondern auch eine Suche nach Ähnlichkeit mit dieser. So
werden oft Elemente aus der Herkunfts-, der Residenz- und der Diasporakultur
ausgewählt und in passender Weise zu einer Konstruktion von „Heimat“ vereint
(Moosmüller 2002: 16 f). In diesem Sinne sind auch die Diaspora-Identitäten zu
verstehen, die eben kein „natürlicher“ Ausdruck von „seit Urzeiten“ bestehenden
kulturellen Besonderheiten, sondern eine Reaktion auf den Diskurs mit den Anderen
sind. Kollektive Identitäten werden dabei auch oft zu emotionalen Schutzschildern, die
das „Anders-Sein“ in ein „Besser-Sein“ transformieren (ebd: 19). Im Zuge der für die
Diaspora typischen Ethnogenesis werden bestimmte Aspekte des kulturellen Erbes zu
einer (Re)konstruktion der Zugehörigkeit zusammengefügt (Schippers 2002: 42), womit
sich der Kreis zu den „erfundenen“ Traditionen (s.o.) schließt. Schippers nennt noch
eine weitere wichtige Migrationserfahrung: Die Begegnung mit Teilen der Identität, die
innerhalb des eigenen Landes keine Rolle spielen. Dazu gehören einerseits
administrative Abläufe wie die Pass- und Visa-Ausstellung und damit Fragen der
Legalität des Aufenthalts und andererseits Kontakte mit staatlichen Institutionen wie
Botschaften und Konsulaten im Ausland (ebd: 44 f).
MigrantInnen zweiter und dritter Generation erleben die von Victor Turner (1967)
als „betwixt and between“ und von Mary Douglas (1966) als „neither-nor“ oder „both-and“
beschriebene Situation besonders häufig: Trotz Zweisprachigkeit und manchmal sogar
zweifacher Staatsangehörigkeit werden MigrantInnen zweiter Generation oft von ihrer
Umgebung der ethnischen Gruppe ihrer Eltern zugeordnet. Sie selbst betrachten sich
jedoch häufig als der Mehrheitskultur angepasst und erleben aus dieser Spannung
resultierende Loyalitätskonflikte. Die oftmals postulierte „Unvereinbarkeit“ zweier
„Kulturen“ ist in so einer Situation meist nicht auf eine tatsächliche „Inkompatibilität“
zurückzuführen, sondern darauf, dass die ethnischen Ideologien auf einer solchen
58
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
bestehen (Eriksen 2002[1993]: 62 f, 137). Mögliche Strategien bestehen für diese
Personengruppe im puristischen Erhalten und Reproduzieren von Traditionen, im
Leben „in zwei Welten“ oder in der Kreation hybrider neuer Identitäten (ebd: 167). Wie
Baumann bemerkte, gibt es unter den Angehörigen der zweiten Generation auch die
Tendenz, sich mit neuen „Super-Ethnien“ bzw. post-migratorischen Gemeinschaften
anzuschließen, in der die Unterschiede der elterlichen prä-immigratorischen Identitäten
an Bedeutung verlieren. Ein wichtiger Ausdruck solcher Tendenzen sind Musik und
Tanz, die ein neues Gemeinschaftsgefühl unter den Jugendlichen ermöglichen. Auch
hier ergibt sich eine Parallele zu meiner eigenen Feldforschung: Während sich die von
Baumann untersuchten Southallians über Bhangra als Teil der „asiatischen Kultur“
fühlen (Baumann 1996: 157, 190), können sich viele LateinamerikanerInnen zweiter
Generation als „Latinas/os“ gut mit dem bolivianischen Caporales-Tanz identifizieren.
Schippers ist außerdem der Ansicht, dass „ethnische“ Diaspora-Gruppen umso eher
entstehen, je schwerer die Assimilation in das neue Umfeld fällt (Schippers 2002: 46).
Tatsache ist, dass aufgrund dieser Tendenzen immer mehr einander ausschließende,
Authentizität und Anerkennung beanspruchende Gruppen entstehen (Baumann 1999:
108), wobei ein Bezug zum „Kulturerbe“ und zur Vergangenheit auch bei der „Kreation“
neuer Gemeinschaften Legititmität bewirkt. Für Außenseiter völlig neu erscheinende
Entwicklungen werden oft als Wieder-Erwecken einer ruhenden Tradition bzw. als Weg
in die Zukunft interpretiert; der generelle Fokus liegt trotz dynamischer Veränderungen
auf Kontinuität (Baumann 1996: 193) und, wenn man so will, auf Hobsbawns invented
traditions.
Trotz des meist schon in der ersten und zweiten Generation erfolgenden
Sprachverlusts können sich ethnische Identitäten bis in die dritte Generation und
darüber hinaus als Identitätsmarker erhalten. Im Laufe dieser Zeit findet eine ständige
Transformation der ethnischen Gruppe statt, bei der nostalgische „Heimat“-Besuche der
dritten Generation, Konflikte zwischen den verschiedenen Einwanderergenerationen
und Prozesse der sozialen Inklusion und Exklusion eine wichtige Rolle spielen und die
stark von der Interpretation der in der Aufnahmegesellschaft gemachten Erfahrungen
abhängt, was letztlich dazu führt, dass die ethnische Gruppe mit neuen Attributen und
Stereotypen identifiziert wird (Glazer und Moynihan 1996 [1963]: 135 f, Hall 2004: 201,
59
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Esman 1996[1986]: 317).
Besonders interessant erscheint mir in diesem Zusammenhang Gans´ Konzept der
symbolischen Ethnizität, in der der Stolz auf und die Liebe zu einem entfernten, mit
Nostalgie betrachteten Land in Symbole verwandelt werden, die auch für Angehörige
der dritten Generation noch leicht ausdrückbar und spürbar sind, ohne mit dem
täglichen Leben in störender Weise zu interferieren. Als Beispiele solcher Symbole
nennt Gans religiöse Feiertage und Übergangsriten, Speisen, aber auch ethnisierte Filmund TV-Charaktere oder den jüdischen Holocaust (1996 [1979]: 146 ff). Hall bemerkt,
dass Jugendliche aus Diaspora-Gemeinschaften zwar gerne ihre Loyalität zu „ihren“
Traditionen betonen, sich gleichzeitig aber weniger für deren konkrete Praxis einsetzen
als dies bei Angehörigen der ersten MigrantInnengeneration der Fall ist. Das Ausmaß
von Identifikation und Hybridisierung wird dabei nicht nur von der individuellen
Einstellung, sondern auch vom Verhalten des Aufnahmelandes beeinflusst (Hall 2004:
201, 209). Bestimmte Worte, Artefakte, Tänze und Rituale, die sowohl in der Ursprungsals auch in der Diaspora-Gesellschaft bereits „ausgestorben“ sind, können allerdings
jederzeit als Elemente vielschichtiger „Sub-Kulturen“ oder „Neo-Stile“ wieder
auftauchen (Schippers 2002: 47).
Das Konzept der symbolischen Ethnizität schlägt die Brücke zu Andersons
imagined communities und Appadurais diasporischen Räumen. - Anderson definiert nicht
nur Nationen, sondern alle größeren Gemeinschaften, die über face-to-face-Kontakte
hinausgehen als imagined communities, da sich ihre Angehörigen zwar nie alle persönlich
kennenlernen, aber trotzdem in der Vorstellung einer gemeinsamen Gemeinschaft leben
(1991[1983]: 6). Über Symbole können Ethnizitäten auf diese Weise auch ohne
funktionierende Gruppen oder Netzwerke weiter bestehen (Gans 1996[1979]: 149, 151).
Gleichzeitig werden sowohl die Symbole als auch die ethnischen Gruppen und ihre
Mitglieder selbst mobiler, was zu einer größeren räumlichen Ausdehnung von
ethnischen Identitäten führt (Appadurai 1996: 139).
In seinem Buch Modernity at large entwirft Appadurai eine Theorie der neuen
öffentlichen
diasporischen
Räume,
die
durch
die
rasante
Entwicklung
der
elektronischen Medien und den starken Anstieg verschiedener Arten von Migration
ermöglicht wurden. Sowohl die Bilder als auch deren Betrachter sind sozusagen ständig
60
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
in Bewegung und treffen in deterritorialisierten Räumen aufeinander (1996: 3 f). Neu ist
dabei, dass Imaginationen nicht mehr Einzelpersonen wie Künstlerinnen und
RitualspezialistInnenen vorbehalten bleiben, sondern Teil des Lebens der einfachen
Leute geworden sind (ebd: 5). - Die globale Kulturordnung hat sich durch die
Verbreitung von Kino, Fernsehen und Video insofern geändert, als jetzt immer mehr
Menschen weltweit ihr Leben durch die Brille dessen sehen, was ihnen die
Massenmedien anbieten. Ein eigenes Leben in Armut wird somit nicht mehr als
unausweichlich wahrgenommen, sondern als Kompromiss zwischen dem, was sich die
Menschen nunmehr vorstellen können und dem, was ihre Lebenssituation zulässt.
Imaginationen sind damit nicht mehr Fanasien, sondern soziale Praktiken (Appadurai
1996: 53 f). Imaginationen stellen auch im Migrationskontext ein einflussreiches Feld
sozialer Praktiken dar, da sowohl Migrationsentscheidungen als auch die Anpassung an
das neue Aufenthaltsland mittlerweile stark durch medial transportierte Imaginationen
beeinflusst werden (ebd: 5 f, 31). Die diasporic public spheres sind nicht nur ein wichtiger
Teil des städtischen, von Migration und Massenmedien geprägten Lebens geworden
(ebd: 10), sondern werden als transnationalen Räume den vernetzten Diasporen von
Menschen und Bildern offenbar immer besser gerecht als „klassische“ Nationalstaaten
(ebd: 19 ff). Unter diesen globalen Strömen unterscheidet Appadurai Ethnoscapes,
Mediascapes, Technoscapes, Financescapes und Ideoscapes, die allesamt imaginierte Welten
von Personen rund um den Erdball darstellen. Mit der landschaftlichen Analogie will
Appadurai verdeutlichen, dass es sich dabei um sehr unregelmäßige und vor allem
zutiefst in der Perspektive des Betrachters verhaftete Räume handelt. Außerdem soll das
Kunstwort
Ethnoscape
Reproduktion
von
auch
die
veränderte
Gruppenidentitäten
soziale,
hinweisen.
territoriale
Die
und
kulturelle
„Landschaften“
der
Gruppenidentität sind eben keine sauber abgegrenzten, räumlich gebundenen und
kulturell homogenen Objekte mehr: Umso mehr Gruppen auswandern, sich an neuen
Orten zu anderen Gruppen formieren, ihre Geschichte und ihre ethnischen Projekte
neu formieren, umso mehr bekommt „ethno“ eine nicht-lokale Qualität (ebd: 48).
Ethnoscapes umfassen daher TouristInnen, MigrantInnen, Flüchtlinge, Gastarbeiter
sowie andere sich bewegende Gruppen und Individuen (ebd: 33) und sollen
Bezeichnungen wie Dorf, Gemeinschaft oder Lokalität ablösen (ebd: 64). Die übrigen –
61
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
scapes beziehen sich auf die weltweit verbreiteten Technologien, Finanztransaktionen,
Medien und Ideologien. Bilder und Texte zirkulieren in Mediascapes, in denen die
Grenzen zwischen Realität und Imagination verschwimmen (ebd: 34 ff). - Durch
FilmproduzentInnen, Künstleragenturen und Reisebüros „erfundene“ und nur in der
Vorstellung der deterritorialisierten Gruppen existierende Heimatländer werden
mitunter so einseitig und fantastisch, dass sie das Material für neue Ideoscapes und damit
verbundene ethnische Konflikte liefern können (ebd: 38, 49).
In Bezug auf größere diasporische Gruppen spricht Appadurai von einer
delokalisierten Transnation, die eine ideologische Verbindung zu ihrem Ursprungsland
aufrecht erhält (172). Die Produktion von Lokalität wurde selbst deterritorialisiert,
diasporisch und transnational (188).
Für Stuart Hall sind Diaspora-Identitäten zutiefst hybride Gebilde, die nicht nur
Kontinuitäten, sondern auch Brüche und traumatische Ereignisse verarbeiten. In diesem
Kontext nimmt auch die von Fanon beschriebene Suche nach einer glorreichen
Vergangenheit einen wichtigen Platz ein: „...directed by the secret hope of discovering beyond
the misery of today, beyond self-contempt, resignation and abjuration, some very beautiful and
splendid era whose existence rehabilitates us both in regard to ourselves and in regard to others.“
(Hall 1999[1990]: 300 ff). Für Baumann ist diese Suche nach den „Wurzeln“ ein rein
städtisches Phänomen: Diejenigen, die das Gefühl haben, Wurzeln zu „haben“, wollen
unter Umständen weg davon und sehen im Gegensatz zu den „entwurzelten“
StädterInnen keine Notwendigkeit, darüber zu sprechen oder danach zu suchen
(Baumann 1999: 83).
Die
zunehmende
„Latinisierung“
der
USA
durch
legale
und
illegale
lateinamerikanische Einwanderer führt zu wachsenden Diaspora-Gemeinden und der
Bildung neuer „Latino“-Identitäten in einem oft feindlichen Umfeld „that seeks
persistently to remind the new migrants that home is elsewhere and cannot be imagined within
the US.“ (Westwood 2000: 12). LateinamerikanerInnen tendieren dazu, die USA als das
Land von Macht und Reichtum zu imaginieren während die US-BürgerInnen mit
Lateinamerika Exotismus, Schamanismus, Indigene, Korruption und Drogenhandel
assoziieren (ebd: 58 f). Musikalische und ethnische Diversität spielen in diesen
Vorstellungen zwar eine wichtige Rolle; gleichzeitig entstehen in den USA aber neue,
62
Eveline Sigl
homogenisierende
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
„Latino“-,
„Hispano“-
und
„Chicano“-Ethnizitäten,
die
den
spanischsprachigen Anderen zu einer neuen, hierarchisch niedrig stehenden Kategorie
machen (ebd: 63). Paradoxerweise setzt sich damit die rassistische Diskriminierung des
Heimatlandes in der Diaspora fort. An den marginalisierten Plätzen der Peripherie USamerikanischer Städte entstehen aber auch völlig neue transnationale Identitäten wie
etwa die der „AmeRicans“ oder der „Nuyoricans“ (ebd: 66 f).
63
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
4 Qualitative Forschungsmethoden
4.1
Allgemeines
Wie auch im folgenden Kapitel zur Cyber-Anthropologie verzichte ich hier auf eine
umfassende Darstellung, erläutere nur ganz kurz die für meine Untersuchung relevanten
Methoden der qualitativen Datenerhebung und gehe dann ausführlicher auf die
Datenanalyse mittels Grounded Theory ein, da ich diese als methodische Grundlage
meiner Analyse betrachte. Für eine ausführliche Darstellung sei auf die Standardwerke
von Mayring, Behr bzw. Strauss & Corbin verwiesen.
4.2
Datenerhebung
4.2.1
Problemzentriertes Interview
Im Gegensatz zum völlig freien narrativen Interview, bei dem nur ein allgemeiner
thematischer Anstoß gegeben wird, liegt dem problemzentrierten (oder, nach Schlehe:
themenzentrierten) Interview ein vorher ausgearbeiteter Interview-Leitfaden zugrunde.
Die Befragten sollen während des Interviews allerdings frei zur vorgegebenen Thematik
sprechen können, d.h. es können auch Aspekte zur Sprache kommen, die (noch) nicht
im Interview-Leitfaden enthalten sind, aber trotzdem als relevant erachtet werden. Vor
den ersten Interviews im Feld empfiehlt es sich, den Leitfaden in einer Pilotphase zu
erproben (Mayring 1990: 46 ff, Schlehe 2003: 78).
4.2.2
online Befragung
Judith Schlehe beschreibt unter dem Stichwort E-Interviews die Vorteile elektronischer
Kontaktaufnahmen, die ihrer Ansicht nach eine sinnvolle Vorbereitung und Ergänzung
zu face to face Interviews darstellen können (2003: 81), eine ausführliche Diskussion
erfolgt im Kapitel Cyber-Anthropology.
64
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
4.3
Auswertung auf Basis der Grounded Theory
4.3.1
Theoretische Grundlagen
Die Wurzeln der von Anselm Strauss und Barney Glaser begründeten Grounded Theory
(GT) liegen besonders bei John Dewey, der einen pragmatischen Zugang vertritt und bei
der Chicago School of Sociology, die ihr Hauptaugenmerk auf soziale Interaktionen und
Prozesse richtet (Titscher 1998: 92 f). Die GT untersucht soziale Interaktionen
vorwiegend anhand von verschriftlichter sprachlicher Kommunikation wie etwa
Interview-Transkriptionen, Beobachtungsnotizen oder Texten aus Büchern und
Zeitschriften. Bei diesem offenen Forschungsprozess muss eine gewisse Kreativität und
Unvoreingenommenheit mit dem Prinzip der wissenschaftlichen Gestaltung vereinigt
werden. Neu entwickelte Begriffe, Konzepte, Kategorien und Hypothesen sind ständig zu
hinterfragen und auf ihre Tauglichkeit zu überprüfen (Strauss und Corbin 1996[1990]: 14
ff). Im Zentrum der GT stehen die Exploration und das Generieren von Hypothesen
über die systematische Datenanalyse, nicht jedoch deren Überprüfung. Diese Art der
induktiven Hypothesengenerierung wird als permanenter Rückkoppelungsprozess
gesehen, infolgedessen sich die relevanten Aspekte erst herauskristallisieren und nicht
etwa schon a priori festgelegt sind. Neue Fragestellungen tauchen erst im
Analyseprozess auf und fließen sozusagen in die nächste Runde der Analyse ein
(Titscher 1998: 94). Die GT bezeichnet einzelne Ereignisse eines untersuchten
Phänomens als Indikatoren. Aus ihnen werden Konzepte (Bezeichnungen/Etiketten)
abgeleitet, die wiederum zu größeren Kategorien verdichtet werden. Als theoretische
Rahmenkonzepte
schlägt
Glaser
Kodier-Familien
vor,
wobei
die
Eigenschaften/Merkmale der einzelnen Konzepte in Bezug auf ihre Ausprägung entlang
eines Kontinuums dimensionalisiert werden können. Beim theoretischen Sampling geht
es um die Auswahl der Stichproben bzw. der Texte und Textteile, die möglichst gute
Indikatoren für die Konzepterstellung bieten sollten. Je nach Arbeitsphase sollen
möglichst offene Samplings untersucht, Kontraste herausgearbeitet oder ein roter Faden
gefunden werden (ebd: 95 ff).
Je nach wissenschaftlicher Ausrichtung wird der Umgang mit Vorwissen
unterschiedlich betrachtet. – Während für Glaser jede Art von Hintergrundwissen
65
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
schädlich ist, bildet die vorhergehende Literaturrecherche einen wichtigen Teil der
Herangehensweise im Sinne von Strauss/Corbin. Auch bei der Überprüfbarkeit
scheiden sich die Geister: Während Corbin/Strauss versuchen, anhand ihres
Instrumentariums eine seriöse Möglichkeit der Überprüfung zu gewährleisten, begnügt
sich Glaser mit der Plausibilität der entwickelten Hypothesen. Klar ist jedenfalls, dass
die GT generell den wissenschaftlichen Forderungen nach Validität, Reliabilität und
Signifikanz genügen möchte. Urteile können u.a. an die Analyse der Methodik gebunden
werden. – Evaluiert werden können dabei die Ausgangsstichprobe, Indikatoren,
Kategorien, Hypothesen, evtl. auftretenden Diskrepanzen und die Auswahl der
Kernkategorien. Weiters soll hinterfragt werden, wie die Konzepte miteinander
verknüpft wurden, ob die Prozesshaftigkeit berücksichtigt wurde bzw. was die
gewonnene Theorie überhaupt erklären kann (ebd: 100 ff).
4.3.2
Vorgangsweise
Offenes Kodieren
Im Verlauf der ersten Datenanalyse werden die Daten „aufgebrochen“, so dass in diesen
durch Untersuchen und Vergleichen werden einzelne Phänomene identifiziert und mit
Codes versehen, um sie anschließend zu größeren Kategorien oder Konzepten
zusammenzufassen (Strauss und Corbin 1996[1990]: 44 ff). Konkret wird dabei eine
Beobachtung,
ein
Satz
oder
ein
Abschnitt
eines
Interviews/Gesprächs
etc.
herausgegriffen und die darin enthaltenen Ideen, Vorfälle und Ereignisse, die ein
Phänomen identifizieren, mit einem Namen versehen. Wichtig ist es hier, keine
Paraphrasen, sondern allgemeine Konzepte zu entwickeln. Durch das Kategorisieren
werden die einzelnen Konzepte inhaltlich gruppiert und zu einer abstrakteren
Überkategorie zusammengefasst (ebd: 46 ff). Begriffe aus der Fachliteratur können bei
diesem Prozess zwar einerseits hilfreich sein, andererseits verstellen sie aber auch oft die
Sicht auf Neues, da sie bereits mit bestimmten Bedeutungen und Assoziationen
verbunden sind. Eine wichtige Quelle sind diesbezüglich die „in vivo“-Codes, die von
den InformantInnen selbst verwendet werden. Nach dem Identifizieren von Kategorien
müssen diesen Eigenschaften zugewiesen werden, die wiederum zu dimensionalisieren
66
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
sind. Die Dimension einer Eigenschaft ist die Ausprägung, z.B. in Bezug auf Stärke,
Intensität usw. Analysiert man alle Eigenschaften eines Phänomens dahin gehend, so
erhält man das jeweils einzigartige dimensionale Profil einer Kategorie. Mehrere dieser
Profile können zu einem Muster zusammengefasst werden (ebd: 49 ff). Zu Beginn, also
nach den ersten Interviews oder Beobachtungen empfiehlt es sich, satzweise zu
kodieren, da man so eine erste theoretische Grundlage aufbauen kann. Nach diesem
sehr detaillierten Prozess kann Abschnittsweise weiter kodiert werden, um die
vorhandenen Kategorien auszubauen und zu verfeinern (ebd: 53 f).
Techniken zum Erhöhen der theoretischen Sensibilität
Die folgenden Techniken sollen helfen, Denk-Routinen zu vermeiden, den induktiven
Prozess
anzuregen,
als
für
selbstverständlich
Genommenes
zu
hinterfragen,
Vorannahmen aufzudecken, nichts zu übersehen, das Stellen und Geben von Antworten
zu provozieren, sowie die Konzepte besser benennen und nach ihren Eigenschaften und
Dimensionen untersuchen zu können. Grundlegende Fragen sind: Wer? Wann? Wo?
Was? Wie? Wie viel? und Warum? Zeitbezogene Fragen können die Frequenz, Dauer,
Änderungsrate und das Timing mit einbeziehen (ebd: 57 f).
Wenn die Antworten auf die gestellten Fragen nicht in den Daten zu finden sind,
ist das weiters kein Problem. Sie sollten dann eventuell von den nächsten
InterviewpartnerInnen beantwortet werden bzw. sollte man in die richtige Richtung
sensibilisiert worden sein, um Hinweise besser nachverfolgen zu können (ebd: 60).
Wichtig ist es auch, ambivalente Bedeutungen mit den SprecherInnen zu validieren,
d.h. nachzufragen, was die SprecherInnen unter für sie bedeutsamen Begriffen genau
verstehen (ebd: 63). Vorsicht ist geboten, bei Aussagen wie „immer“, „nie“, „das kann
unmöglich sein“, „jeder weiß das“ etc. Hier sollte man jedenfalls genauer hinsehen,
denn nichts darf für selbstverständlich gehalten werden (ebd: 71).
Axiales Kodieren
Beim axialen Kodieren wird ein Phänomen unter den folgenden Aspekten untersucht:
-
ursächliche Bedingungen: Ereignisse oder Vorfälle, die zum Auftreten des
67
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
untersuchten
Phänomens
führen,
wobei
zwischen
kausalen
und
zeitlichen
Bedingungen unterschieden wird. „Signalwörter“ sind u.a. „wenn“, „während“, „da
ja“, „weil“, „infolge“, „wegen“.
-
Kontext:
Satz
von
Bedingungen,
innerhalb
derer
die
Handlungs-
und
Interaktionsstrategien zur Bewältigung eines Phänomens liegen
-
intervenierende Bedingungen: Bedingungen, die fördernd oder einengend auf die
Strategien einwirken
-
Handlungs- und Interaktionsstrategien
-
Konsequenzen: sind nicht immer beabsichtigt oder vorhersagbar und treten
tatsächlich oder möglicherweise ein (ebd: 80 ff).
Im Prinzip geht es darum, die beim offenen Kodieren gefundenen Kategorien
zueinander in Beziehung zu setzen und die Daten so wieder zusammenzufügen. Auf
diese Art und Weise entstehen Subkategorien zu den einzelnen Kategorien. In dieser
Analysephase sollte zwischen offenem und axialem Kodieren hin und her gewechselt
werden, um die gefundenen Annahmen in den Daten zu suchen und weiter zu
spezifizieren. Wichtig ist, sich bei der Analyse darüber im Klaren zu sein, welches
Phänomen untersucht wird, da z.B. die Konsequenzen einer Handlung zu den
Bedingungen einer anderen Handlung werden können. Insgesamt sollten während des
axialen Kodierens vier Schritte gleichzeitig ablaufen:
-
Das hypothetische In-Beziehung-Setzen von Sub- und Hauptkategorien nach den
genannten fünf Aspekten
-
Das Verifizieren von Hypothesen anhand der Daten
-
Die Suche nach Eigenschaften von Kategorien und deren Dimensionen
-
Die Variation von Phänomenen (Titscher 1998: 98)
Besonders wichtig ist das ständige hin und her Pendeln zwischen dem Aufstellen und
Überprüfen der gewonnenen Hypothesen anhand der Daten, das letztlich zu einer
starken Verdichtung und Tiefe der aufgestellten Theorien beitragen soll. Allerdings
muss ein gutes Maß zwischen Dichte und Übertreibung gefunden werden – es ist nie
möglich, alles zu analysieren, aber es muss eine theoretische Fundierung erreicht
werden, die auf verschiedene Beispiele eines Phänomens anwendbar ist (Strauss und
68
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Corbin 1996[1990]: 76 ff, 93).
Selektives Kodieren
Beim selektiven Kodieren soll die zentrale Kategorie (die Kernkategorie) identifiziert
werden, um die sich die übrigen Kategorien gruppieren lassen. Hier müssen v.a. Fragen
nach Auffälligkeiten, dem roten Faden, dem Hauptproblem und immer wieder
auftauchenden Phänomenen innerhalb eines Untersuchungsbereichs gestellt werden
(Titscher 1998: 99).
69
Eveline Sigl
70
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
5 Vorgehensweise
5.1
Erste Schritte und Orientierung in den online
SNS
Zu Beginn meiner Feldforschung stand das Registrieren bei den online Sozialen
Netzwerken Orkut, FlickR, MySpace und Facebook, die ich sofort nach vorhandenen
Profilen, Gruppen und Communities mit Bezug zum bolivianischen Tanz durchsuchte. Als
Suchbegriffe dienten dabei die Namen der populärsten Tänze (in absteigender
Reihenfolge der Popularität): Caporales/Saya, Morenada, Tinku, Diablada, Kullawada und
Pujllay. Das Stichwort Caporales erwies sich dabei mit Abstand als das relevanteste und
so konnte ich schnell Caporales-Gruppen, -Videos, -Fotos und -TänzerInnen innerhalb
der SN lokalisieren. Die restlichen Stichworte lieferten viel weniger Ergebnisse. Unter
„Pujllay“ fand sich nur ein einziger Facebook-Kontakt während „Kullawada“ bzw.
„Diablada“ wurden überhaupt keine SN-Einträge ergaben. Die Bezeichnungen Caporales
und Saya wurden in den Suchabfragen teilweise als Synonyme behandelt, da es sich
zwar um zwei komplett verschiedene Tänze handelt, diese aber sowohl in den online als
auch offline Diskursen häufig als Synonyme behandelt bzw. vertauscht werden und auch
die gängige Tagging-Praxis zeigt, dass Caporales sehr häufig zusätzlich mit Saya belegt
wird. Die Bilddatenbank FlickR lieferte zu allen Tänzen Fotos, wobei die insgesamt sehr
große Menge der Bilder mit der oben postulierten Popularitätsskala korrelierte. Alle
über die Tanz-Stichworte gefundenen Profile, Gruppen und Communities in Facebook,
MySpace und Orkut wurden von mir mit einer system-immanenten Friendship-Anfrage
kontaktiert. Bei den „offenen“ Gruppen und Communities von FlickR, Orkut und
Facebook konnte ich mich sofort registrieren; bei den persönlichen Kontakten musste
ich auf eine Freischaltung warten. Bei der Registrierung beschränkte ich mich allerdings
nicht nur auf Gruppen zu den bolivianischen Tänzen außerhalb von Bolivien, sondern
registrierte mich auch in einigen anderen interessant erscheinenden BolivienNetzwerken, die eine internationale Mitgliederschaft aufweisen. Um einerseits eine
Stellung als lurker zu vermeiden und andererseits leicht zugängliche Angaben zur
eigenen Person bzw. Tätigkeit im Feld bereitzustellen, stellte ich in allen selbst
71
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
angelegten Gruppen und Profilen Inhalte (Fotos und Videos) bereit. Als Benutzer- bzw.
Profilname verwendete ich immer evelinerochatorrez, was ebenfalls zur Möglichkeit
einer leichten Identifikation meiner Person beitragen sollte, ein Punkt, der mir aufgrund
meiner aktiven Position im Feld (als Tanzgruppenleiterin und Betreiberin einer der
umfangreichsten Seiten zu bolivianischem Tanz im WWW) besonders wichtig war und
der sich auch sehr bald als für die Feldforschung relevant herausstellte.
In der ersten Phase ergaben sich folgende Mitgliedschaften in online SN:
FlickR:
−
Bolivia (532 Mitglieder)
−
Un millón de fotos de Bolivia/One million pictures of Bolivia (85 Mitglieder)
−
CAPORALES CENTRALISTAS PERU – CUSCO (2 Mitglieder)
−
Bolivian dances (bolivianische Tanzgruppe in London, an der auch EuropäerInnen
teilnehmen, 3 Mitglieder)
−
Danzas de Bolivia (selbst gegründete Gruppe, einziges Mitglied)
Orkut:
6 Friends
Gruppen-Mitgliedschaften:
− Sociedad Folklorica Boliviana (92 Mitglieder)
− MÚSICA ANDINA E BOLIVIANA (1.072 Mitglieder)
− CAPORALES (299 Mitglieder)
− ORURO - BOLIVIA (43 Mitglieder)
− Ritmo Contagiante Morenada (77 Mitglieder)
− La Diablada danza BOLIVIANA (66 Mitglieder)
− Los Phujllay danza BOLIVIANA (36 Mitglieder)
− Los Caporales danza BOLIVIANA (73 Mitglieder)
− Los Negritos danza BOLIVIANA (30 Mitglieder)
− La Morenada danza BOLIVIANA (47 Mitglieder)
− La Tarqueada danza BOLIVIANA (34 Mitglieder)
− Los Tobas danza BOLIVIANA (38 Mitglieder)
− Suri Sicuri danza BOLIVIANA (36 Mitglieder)
− Los Tinkus danza BOLIVIANA (50 Mitglieder)
72
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
− BOLIVIA Arte y Folklóre (122 Mitglieder)
− Caporales Bolivia 2007 (9 Mitglieder)
Facebook:
12 Friends
Gruppenmitgliedschaften
− La diablada, la morenada y los caporales son BOLIVIANOS!!!! (416 Mitglieder)
− Gracias Dios por hacerme BOLIVIANO!!!!!!!! (2,153 Mitglieder)
− El Charango es BOLIVIANO! (34 Mitglieder)
− Soy Bolivian@ y vivo en .... (1,888 Mitglieder)
− Farternidad Morenada Central de Oruro (11 Mitglieder)
− Caporales "San Simón" (350 Mitglieder)
− Cinemateca Boliviana (1605 Mitglieder)
− Explore Bolivia (214 Mitglieder)
− Las 7 maravillas de Bolivia para el Mundo (3993 Mitglieder)
− cArNaVaL oRuRo!!! (446 Mitglieder)
− Bo Bo Bo Li Li Li Via Via Via ¡Viva Bolivia, Toda La Vida! (239 Mitglieder)
− Bolivia Lovers (906 Mitglieder)
− ZAMBOS ENAF ( LA PAZ) (182 Mitglieder)
− AMIGOS Y MIEMBROS DE LA FRATERNIDAD CAPORALES ZAMBOS
ENAF (95 Mitglieder)
− Caporales Centralistas (3 Mitglieder)
− peruanos y chilenos dejen de chorearse el folklore Boliviano!!! (217 Mitglieder)
− BENI BOLIVIA (82 Mitglieder)
− Para Todos Los Que Aman BOLIVIA Pero Viven Lejos De Ella (248 Mitglieder)
− CONOCE BOLIVIA (1609 Mitglieder)
− BOLIVIA UNIDA (446 Mitglieder)
− Sambos Caporales Bloque Illimani (26 Mitglieder)
− Tinkus (18 Mitglieder)
− I love Bolivia (230 Mitglieder)
− Bolivia (335 Mitglieder)
− Bolivia (1531 Mitglieder)
73
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
MySpace:
20 Friends
Gruppen:
− Sambos Caporales Colorado USA (40 Mitglieder)
− SaNgRe BoLiViAnA SaMbOs (44 Mitglieder)
− Hecho en Bolivia (1441 Mitglieder)
− ¡Caporales! (167 Mitglieder)
Obwohl die angeführten SN selbsterklärend in der Bedienung sind und ich mich als
sehr routinierte PC-Userin bezeichnen würde, musste ich den Gebrauch der
verschiedenen SN-Systeme dennoch üben und so dienten die ersten Wochen der
Benutzung vorwiegend der Orientierung und der Literalisierung im Umgang mit den
verschiedenen Funktionalitäten wie Friending, Walls, SN-internen Blogs und dem Teilen
von Mini-Anwendungen (Facebook). Zusätzlich musste ich mich an das von Boyd (2006
in URL 4) erwähnte häufige Abkürzen von Ausdrücken und Worten (z.B. tb für también,
xD für por dios, bkn für bacán, q für que, = für igual, 2 für dos, also z.B. salu2 usw) ebenso
gewöhnen wie an die teils exzessive Verwendung von lautsprachlichen Ausdrücken,
Groß- und Kleinschreibung. Die Profilsuche in MySpace selbst lieferte zuerst
bemerkenswert wenige Ergebnisse für den Tanz Caporales. Erstaunlicherweise erwies
sich hier die Suche in Google als nützlicher, wo ich einige öffentliche MySpace-Profile
zu diesem Thema finden konnte, die über die interne Stichwort-Suche nicht abrufbar
waren.
Aktivieren der YouTube-Präsenz
Etwas anders gestaltete sich die Vorgangsweise bei YouTube: Nachdem ich schon am
17.02.2007 einen Account angelegt hatte (Stand 19.05.08: 57 Videos, 126,681 Page und
2.340 Channel Views, die beiden meist gesehenen Videos mit 11.482 und 21.273
Aufrufen), war ich mit dem System bereits vertraut und beschränkte mich vorerst
darauf, ein paar neue Videos hinaufzuladen, Channel und Kontakte stärker zu
strukturieren, ein paar neue Funktionalitäten des Systems zu nützen (Anlegen einer
Gruppe, eines Bulletin-Boards und eines Video-Logs) und die Channel-Seite farblich
umzugestalten.
74
Weiters
sollte
mit
dem
Bestätigen
von
bereits
vor
Monaten
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
eingegangenen Friendship-Anfragen ein bereits bestehendes, aber nicht besonders
intensiv gepflegtes SN für die Feldforschung aktiviert werden.
5.2
Weitere Vorgehensweise
Schon in dieser frühen Phase des Registrierens und Kontaktierens erwies sich der
Verzicht auf Anonymität als nützlich: Einige meiner neuen Kontakte „(er)kannten“ mich
aufgrund der Monate zuvor auf Youtube geposteten Videos und Kommentare, was u.a.
dazu führte, dass mir in den ersten Wochen nach der Registrierung auf Facebook vier
Personen von sich aus eine Friendship-Einladung schickten. Im Zuge des täglichen
Abrufs der SN-Seiten und der ersten inhaltlichen Analysen von Youtube-Kommentaren
wurde mir bald klar, dass sich die Kontakte aus Youtube, MySpace und Facebook
teilweise überschnitten und dass es unter den LiebhaberInnen der bolivianischen Tänze
offenbar eine ganze Reihe transnationaler Netzwerke gibt, die sowohl auf persönlichen
Kontakten als auch auf online Bekanntschaften basieren. In einem Fall entdeckte ich
schon nach kurzer Beobachtung einen transnationalen AktivistInnen-Ring, der einen
Flaming War gegen die von seinen Mitgliedern wahrgenommene Plünderung
bolivianischen Kulturguts führt.
5.3
Analyse von Youtube-Kommentaren
Das Thema bolivianischer Tanz ist auf Youtube zahlreich vertreten. Meine Suchabfragen
vom 06.02.08 ergaben folgende Resultate (nach Suchbegriffen):
“caporales”: 2,140 Videos
“morenada”: 1,180 Videos
“tinku”: 846 Videos
“tobas”: 2,650 Videos
“diablada”: 865 Videos
“saya bolivia”: 296 Videos
“baile bolivia”: 340 Videos
75
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
“danza bolivia”: 449 Videos
Demgegenüber lieferte die Suchabfrage zu Tiefland-Tänzen vom 18.05.08 eine sehr
geringe Anzahl an Treffern:
„taquirari“: 114 Videos
„chovena“: 4 Videos
„macheteros“: 161 Videos
Von den insgesamt etwa 5.000 Youtube-Beiträgen (eine genaue Zahl ist aufgrund der
mehrfach verwendeten Tags, die die Videos bei Suchabfragen mehrfach aufscheinen
lassen, kaum möglich) zum bolivianischen Tanz suchte ich für eine erste Inhaltsanalyse
der Kommentare Videos aus, die besonders viele Kommentare aufzuweisen hatten und
bei denen gleichzeitig entweder bolivianische Tänze im Ausland bzw. außerhalb von
Bolivien agierende Tanzgruppen gezeigt wurden, was nicht dasselbe ist. – Tänze wie
Caporales, Morenada und Diablada werden nicht nur von den BolivianerInnen, sondern
auch von vielen PeruanerInnen und ChilenInnen als die ihrigen beansprucht, was dazu
führt, dass diese „bolivianischen“ Tänze in den angrenzenden Ländern oft von
peruanischen und chilenischen Gruppen gezeigt werden, was eine klare Abgrenzung zu
den (durchaus auch mit nicht-bolivianischen TänzerInnen agierenden) als bolivianisch
deklarierten Tanzgruppen erforderlich macht. In diesem ersten Schritt der Analyse
kodierte ich die ausgesuchten 577 Kommentare im Sinne der Grounded Theory und
begann, die ersten 129 Konzepte mittels atlas.ti zueinander in Beziehung zu setzen. Aus
dem resultierenden, ziemlich komplexen Beziehungsfeld wählte ich die für die
Aufgabenstellung zentral erscheinenden Knoten und Beziehungen aus und benutzte sie
als Grundlage für die Gestaltung eines Interview-Fragenkataloges für die geplanten
online
Befragungen.
Die
gefundenen
Codes
wurden
während
der
ganzen
Feldforschungsphase immer wieder überarbeitet, ergänzt und verdichtet, so dass sich
letztlich eine Gesamtanzahl von 300 Codes ergab. Abgesehen von meinen eigenen
Videos und bereits früher geposteten, teilweise sehr kritischen Kommentaren zu
anderen Videos, die natürlich nach wie vor leicht auf YouTube einzusehen sind, verhielt
ich mich während der online Feldforschung in Bezug auf die YouTube-Kommentare als
„lurker“. Bei den öffentlichen Kommentaren ist das einerseits sehr leicht und hat
76
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
andererseits den Vorteil, dass man sehr viele Diskussionen und die darin enthaltenen
emischen Standpunkte mitverfolgen kann, ohne den Diskurs durch die eigene Präsenz
zu stören. In meinem Fall diente dieses lurking nicht nur der Gewinnung von Daten und
Datenkategorien
für
die
InformantInnen
über
weitere
ihre
Analyse,
Aussagen
sondern
und
auch
dazu,
potentielle
Channel-Informationen
besser
kennenzulernen, um ihnen in Folge „passende“ Fragen stellen zu können.
5.4
Präsenz in den SNS und individualisierte
online
Befragungen
Nachdem ich schon während der Entwicklung des Fragenkatalogs versucht hatte, durch
gelegentliches Posten von Kommentaren, Bildern und Links einen näheren Kontakt zu
meinen
Facebook-
und
MySpace-Friends
aufzubauen,
begann
ich,
potentielle
InformantInnen mit der Bitte um ein Interview anzuschreiben. Von den ersten sechs
kontaktierten Personen entschieden sich bei den vorgeschlagenen Alternativen
Telefon/Skype-Interview, Chatten mit MSN oder Skype und das Beantworten von
Fragen per email vier für das Beantworten von Fragen per email. Meine Befürchtungen,
dass die Antworten trotz offener, personalisierter Fragen ziemlich knapp und wenig
narrativ ausfallen würden, bewahrheiteten sich nur zum Teil. Die im Vergleich zu
Interviews doch eher kurzen Antworten werden ambivalent gesehen: Einerseits stellen
sie für mich sozusagen die Synthese dessen dar, was die Befragte übermitteln wollte und
enthalten trotz der Kompaktheit in den meisten Fällen ziemlich viel Information bzw.
klare Hinweise auf Konzepte und Annahmen der Befragten. Andererseits schien mir der
freie Rede- bzw. Assoziationsfluss, der sich bei face to face und auch bei TelefonInterviews einstellt, durch die Asynchronität und das „Schreiben müssen“ teilweise
ziemlich eingeschränkt. Wie sich während der Skype-Interviews herausstellte, wurden
Probleme im Gespräch viel eher erwähnt bzw. thematisiert als zu Papier gebracht und
auch die Problematik des Aufbaus einer eigenen online Identität (s.o.) konnte leichter in
den Griff gebracht werden.
Wie bei den Erstkontakten schrieb ich auch die im weiteren Verlauf der
Untersuchung hinzukommenden „Friends“ immer zuerst mit einem persönlichen email
77
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
an, in dem nach Möglichkeit auf ihre Tanzgruppenzugehörigkeit bzw. auf vorhandene
Tanzfotos in den SNS einging, mein Forschungsvorhaben kurz erklärte und um die
Beantwortung eines längeren Fragebogens bat. Nur Personen, die ausdrücklich
zustimmten, den Fragebogen auszufüllen, erhielten diesen zugeschickt. Einige
InformantInnen machten von sich aus das Angebot, den Fragebogen an Freunde bzw.
andere Mitglieder ihrer Tanzgruppe weiterzuleiten, was ich zwar dankend annahm, aber
immer darauf hinwies, dass meine Studie nicht quantitativ konzipiert wurde und die
Aussagen einzeln analysiert würden. Insgesamt möchte ich an dieser Stelle betonen,
dass es mir wichtig war, einen persönlichen Kontakt zu den InformantInnen
aufzubauen, der sowohl dem tanz(gruppen)spezifischen Interessensaustausch dienen als
auch eine bessere Kontextualisierung der Aussagen ermöglichen sollte. Manche
InformantInnen erzählten schon bei ihrer ersten Antwort unaufgefordert einiges über
sich und ihre Gruppe, andere bekundeten sofort ihr Interesse an den Ergebnissen der
Studie, was meinerseits als allgemein bestehendes Interesse an der Thematik gewertet
wird. Einige InformantInnen fühlten sich sogar geehrt, als solche ausgewählt worden zu
sein, andere hatten wiederum Zweifel, ob sie als „gewöhnliche“ TänzerInnen und NichtLeiterInnen überhaupt für eine Befragung „geeignet“ wären.
Im Lauf der Untersuchung ergaben sich mehrere Kontaktphasen, die von einem
ständigen Analyse- und Einarbeitungsprozess der erhaltenen Daten und einer daraus
resultierenden Anpassung der versandten Fragebögen begleitet wurden. Nachdem sich
Orkut und FlickR in der Anfangsphase als wenig ergiebig erwiesen hatten, konzentrierte
ich meine Bemühungen im weiteren Verlauf der Feldforschung auf die SNS MySpace
und Facebook. Innerhalb von vier Monaten vergrößerte sich mein persönliches online
Netzwerk auf 55 MySpace- und 172 Facebook-„Friends“ sowie 42 Facebook-Gruppen.
Während dieser Zeit verschickte ich nicht nur weitere persönliche Interview-Anfragen,
sondern versuchte durch das Versenden von Tanz-relevanten Links, Bildern und Videos
über FunWall (Facebook) und Boletines (MySpace) sowie gelegentliche Bild-Kommentare
im Feld präsent zu bleiben. Die von Facebook angebotenen social Applications
verwendete
ich
trotz
etlicher
(nicht
personalisierter)
Einladungen
einiger
Kontaktpersonen nur sehr spärlich, da diese Mini-Anwendungen zwar kostenlos sind,
man sich bei der Verwendung aber einverstanden erklären muss, dass die eigenen Daten
78
Eveline Sigl
an
nicht
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
weiter
spezifizierte
Dritte
weitergeleitet
werden,
was
mir
aus
datenschutzrechtlichen Gründen höchst problematisch erscheint2. Insofern versuchte
ich Nutzen und Nachteile der Aplicaciones abzuwägen. FunWall, Super Wall, Greeting
Cards, Big Photos, Cities I´ve Visited, What KIND of Dancer are you? und Growing gifts
schienen mir sinnvoll, weitergeleitete Einladungen zu Friends For Sale, Are YOU
interested?, Compare HOTNESS etc lehnte ich ab.
Der Fragebogen selbst bestand aus jeweils etwa 30 offenen Fragen, die nach
Möglichkeit an die persönliche Situation der Befragten angepasst wurden, wodurch sich
unterschiedliche Fragen für Nicht-BolivianerInnen sowie bolivianische MigrantInnen
erster und zweiter Generation ergaben (s. Anhang). Mitglieder der auf den CaporalesTanz spezialisierte Gruppen wurden mit einigen Spezialfragen zu diesem Tanz bedacht,
was einerseits einen gut erkennbaren persönlichen Bezug zu den Interessen der
Befragten herstellen, andererseits aber auch das Interesse an der Reflexion über
allgemeinere Fragestellungen wach halten sollte. Ausgefüllt wurden die Fragebögen
unterschiedlich schnell, zum Teil innerhalb von Stunden oder Tagen, andere erst nach
einigen Wochen oder gar Monaten, wobei sich einige InformantInnen gleich bei Erhalt
der Fragen für absehbare studienbedingte Verzögerungen bei der Beantwortung
entschuldigten. In Anbetracht der ungewöhnlichen Länge überlegte ich mehrfach, den
Fragebogen
in
kleinere
Portionen
aufzuteilen
oder
bestimmte
Fragen
im
Rotationsprinzip abwechseln zu lassen. Da die InformantInnen, die überhaupt auf meine
Anfrage reagiert hatten, jedoch mehrheitlich selbst großes Interesse an der
Untersuchung zeigten, beschloss ich letztlich doch, bei der Langversion zu bleiben und
diese nur so gut wie möglich für die einzelnen InformantInnen zu adaptieren. Das
Interesse an meiner Studie führe ich dabei nicht nur auf die allgemein große Bedeutung
der bolivianischen Tänze für BolivianerInnen im In- und Ausland zurück, sondern auch
auf die Tatsache, dass keinerlei Publikationen zur der von mir untersuchten Thematik
existieren und die Situation für die Befragten neu und attraktiv zu sein schien. Während
sich manche InformantInnen durch die Befragung offenbar geehrt und ernst genommen
fühlten, war der Fragebogen für mich auch so etwas wie eine online Visitenkarte, mit
2
Für eine detailliertere Darstellung dieser Problematik siehe u.a. Alby 2007 oder Hildebrand und Hoffmann 2006
79
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
der ich eine gewisse fachliche Kompetenz unter Beweis stellen und mich als
„qualifizierte“ Gesprächspartnerin positionieren konnte. Die Reaktionen auf die
gestellten Fragen waren bis auf eine Ausnahme durchwegs positiv. In diesem einen Fall
wurden meine Fragen zwar als teilweise nicht mehr zeitgemäß bzw. nicht dem
europäischen Kontext entsprechend kritisiert, doch wurde diese Kritik auch auf
zweimalige Nachfrage nicht näher spezifiziert. Der betreffende Fragebogen ist insofern
interessant, als er der einzige ist, wo bestimmten Fragen so beantwortet wurden, dass ich
annehmen muss, dass hier entweder ein sprachliches Problem vorlag oder dass die
Auskunftsperson bestimmten Fragestellungen dezidiert ausweichen wollte. Dazu sollte
vielleicht noch bemerkt werden, dass ich meine InformantInnen darauf hingewiesen
habe, dass der Fragebogen eine „Gesprächsbasis“ darstellen sollte, Änderungen,
Hinweise und Auslassungen daher kein Problem für mich wären.
Nach langem Überlegen entschloss ich mich in der zweiten Erhebungsphase dazu,
auch die TänzerInnen meiner eigenen bolivianischen Tanzgruppe darum zu bitten, eine
speziell adaptierte Version des Fragebogens auszufüllen. Da in den Antworten viele der
Konzepte auftauchen, die auch von Personen ins Spiel gebracht wurden, die mich weder
persönlich kennen noch in irgendeinem durch soziale Hierarchien gekennzeichneten
Verhältnis zu mir stehen, gehe ich davon aus, dass sich diesbezügliche Verzerrungen
gering halten. Trotzdem mir die Antworten sehr persönlich und offen erscheinen will
ich hier ein gewisses Bias in Richtung „sozial erwünschter“ Antworten nicht völlig
ausschließen. Auf der anderen Seite bestand nur bei dieser InformantInnengruppe die
Möglichkeit
der
vielfach
geforderten
Triangulation
aus
online
und
offline
Erhebungsmethoden, die denn auch interessante Rückschlüsse auf die übrigen
InformantInnen zulässt: Einige der TänzerInnen meiner Gruppe meinten im
persönlichen Gespräch, dass sie sich zuvor noch nie wirklich Gedanken über das Tanzen
gemacht hatten und dass sie aufgrund ihres „fehlenden Wissens“ Probleme bei der
Beantwortung einiger Fragen hatten, weil sie „nicht wussten, was sie schreiben sollten“.
Hier sehe ich eine Parallele zum Verhalten von ADRIANA, die sich zwar auf YouTube
vehement für die „Verteidigung“ bolivianischen Kulturgutes einsetzte, auf meine
Interview-Anfrage jedoch mit großer Verunsicherung reagierte und beim folgenden
Chat-Interview sehr oft inhaltliche Ratlosigkeit signalisierte. Möglicherweise hatten
80
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
einige der von mir kontaktierten TänzerInnen ähnliche Probleme und reagierten
deshalb nicht auf meine Interview-Anfrage bzw. retournierten den Fragebogen aus
diesem Grund nicht oder erst nach sehr langer Zeit. An dieser Stelle möchte ich noch
einmal darauf hinweisen, dass sich die Tanzethnologie vehement gegen die
kartesianische Trennung von Körper und Geist, Verstand und Gefühl wendet (vgl.
Blacking 1978: 18 ff) und eine Befragung insofern generell kritisch gesehen werden
könnte. Allerdings ist dagegen einzuwenden, dass es in der vorliegenden Arbeit primär
um die soziale Bedeutung der bolivianischen Tänze geht, die – wie die gewonnenen
Daten beweisen – zumindestens für die bolivianisch-stämmigen TänzerInnen auch eine
stark bewusst erlebte Komponente zu haben scheint.
Die Rücklaufquote war unterschiedlich hoch: Von den InformantInnen, die ich
über
ihre
Tanzgruppen-Homepages
oder
Facebook-Profile
direkt
per
email
angeschrieben hatte, beantworteten 26 von 40 (65%) die Fragen. Zählt man die
Mitglieder meiner Tanzgruppe dazu, so kommt man auf 36 von 50 und damit 72%. Von
den ausschließlich über das Facebook-interne Nachrichtensystem Kontaktierten
antworteten vier von elf (36,4%) auf die Fragen während es bei den MySpace-Kontakten
nur vier von vierzehn (28,6%) waren. Insgesamt füllten 44 von 75 kontaktierten Personen
den Fragebogen aus, was einer Rücklaufquote von 59% entspricht. Im Vergleich zu
quantitativen Befragungen erscheinen mir diese Prozentsätze sehr zufriedenstellend. Bei
einer längeren Erhebungsdauer hätte sich dieses Ergebnis möglicherweise sogar noch
etwas verbessern lassen (manche meiner Facebook-Kontaktanfragen wurden erst nach
über drei Monaten, also nach Abschluss der Datenerhebungsphase beantwortet). Die
ausgefüllten Fragebögen waren jedenfalls trotz aller erwähnten Einschränkungen sehr
aufschlussreich und führten teilweise zu einer weiteren Diskussion per MSN oder email,
wodurch ich auch Dinge nachfragen und Unklarheiten beseitigen konnte.
5.5
Interviews per MSN
Zwei der Personen, die den email-Fragebogen ausfüllen wollten, hatten mir auch ihre
MSN-Kontaktdaten geschickt und akzeptierten meine Gesprächseinladungen praktisch
direkt nach dem sie mir ihre Texte gemailt hatten. Insofern war es etwas schwierig,
81
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
schon beim ersten Chatten auf die Antworten einzugehen, da ich die Antworten somit
während des Chattens überfliegen musste, um darauf Bezug nehmen zu können. Mit
LAURA entwickelte sich allerdings ungeachtet der gemailten Fragen sehr schnell eine
rege Diskussion, die an anderen Tagen weitergeführt wurde und an der mir die Vorteile
des Chattens für mein Vorhaben deutlich wurden. Zwar führt das Chatten aus meiner
Sicht eher zu einer teilweise auf Emoticons und animierte Worte reduzierten
Kommunikation und nicht zu ausschweifenden Erzählungen, doch können im Lauf der
Interaktion durchaus „Mini“-Narrationen entstehen, bei der die Chat-PartnerInnen nicht
immer an den gestellten Fragen „kleben“ und natürlich auch jederzeit selbst solche
stellen können. Beim Chatten erschien es mir teilweise relativ leicht, das Interesse des
Gegenübers an dem Beantworten der Fragen wach zu halten, weil ich gleichzeitig
Informationen und Inhalte vermitteln konnte, die meinem Gegenüber ebenfalls
interessant erschienen. Diese Vorgehensweise entspricht zwar nicht den gängigen
Definitionen qualitativer narrativer, erzählgenerierender Interviews (vgl. Mayring 1990:
46 ff), erscheint mir jedoch gerade aus der postmodernen Perspektive, die eine
Gleichberechtigung des beforschten Subjekts einfordert, durchaus gerechtfertigt.
Natürlich kommt es durch die stärker dialogische Kommunikation leichter zu einer
gegenseitigen Beeinflussung und die Möglichkeit, nebenher noch mit anderen Personen
zu chatten bzw. etwas anderes am PC zu machen, bedeutet immer wieder, dass fehlende
Antworten oder ein Warten seitens der Interviewerin nicht mit weiteren Reflexionen
belohnt wird, sondern dass sich die Interviewte in der Zwischenzeit eben anderen
Dingen
widmen
kann.
Außerdem
müssen
die
parasprachlichen
Aufmerksamkeitsbekundungen beim Chatten durch Emoticons oder Lautworte
ausgeglichen werden. Besonders interessant war für mich bei diesen Interviews die
Möglichkeit, das Gespräch sozusagen hypermedial durch das Versenden von Links,
Bildern und Video-Dateien zu ergänzen und so dem Gesagten sofort einen größeren
Kontext zu verleihen. LAURA und SARAH haben von dieser Möglichkeit ebenfalls
reichlich Gebrauch gemacht, so dass ihre Antworten sofort ein sehr viel persönlicheres
Bild ergaben als das bei den schriftlichen Befragungen der Fall war.
Bei ADRIANA erwies sich das Chatten für mich insofern als problematisch, als
ich das Gefühl hatte, dass ihr sehr stark auf Lautworte und Emoticons ausgerichteter
82
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Kommunikationsstil nicht so recht zu den gestellten Fragen passen wollte und es mir
schwer fiel, hier eine Annäherung zu erreichen. Sowohl bei ADRIANA als auch bei
ALEJANDRO gewann ich außerdem den Eindruck, dass beide auf Spanisch nur in den
online SN und nur zu einem sehr stark eingegrenzten Themenbereich schreiben und sie
sprachlich mit dem Formulieren längerer Sätze bzw. dem Erklären ihrer durchwegs sehr
emotionalen Äußerungen eher Probleme hatten. Hier stellt sich die Frage, ob das an der
mangelnden Sprachbeherrschung liegt – beide sind als kleine Kinder in ihre neue
Heimat gekommen, schulisch in einen anderen Sprachkreis integriert und haben
vermutlich nie gelernt, Spanisch zu schreiben (trotz schwerer Grammatik- und
Rechtschreibdefizite beharrten allerdings beide darauf, auf Spanisch und nicht in der
Sprache ihres Aufenthaltslandes zu antworten) oder ob es hier zu einem durch andere
Faktoren
bedingten
Auseinanderklaffen
der
unterschiedlichen
Kommunikationsstrukturen zwischen Interviewerin und Befragten gekommen ist.
Nach den gemachten Erfahrungen ist das Chatten für mich prinzipiell eine
sinnvolle Option, um Befragungen durchzuführen und auf jeden Fall eine sehr gute
Möglichkeit, um mit InterviewpartnerInnen weiter Kontakt zu halten und kurze
Rückfragen zu stellen.
5.6
Interviews per Skype/Telefon
Um der beschriebenen Problematik der online Befragung aus dem Weg zu gehen, ging
ich nach den ersten Anfragen in der folgenden Erhebungsphase dazu über, direkt
Telefoninterviews vorzuschlagen, was gern angenommen wurde. Aufgrund des zeitlichen
Rahmens bzw. der personellen Ressourcen für diese Arbeit musste ich parallel dazu bzw.
in der dritten Phase der Befragungen allerdings doch wieder auf online Befragungen
zurückgreifen, um einen größeren InformantInnenkreis abdecken zu können. Die
Erfahrungen
mit
den
insgesamt
sechs
Skype-Interviews
waren
trotz
gleicher
Ausgangsposition – Erstkontakte per email, keinerlei persönliche Bekanntschaft –
sowohl aufgrund der technischen Gegebenheiten als auch in der Gesprächsstruktur sehr
unterschiedlich: Vor allem bei technischen Problemen durch die teilweise schlechte
Übertragungsqualität spürte ich hier wie beim Chatten oft einen verstärkten Druck, die
83
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Kommunikation durch eigene Äußerungen aufrecht zu erhalten. Nachdem es sich
jedoch als kommunikationsbelastend erwies, akustisch nicht verstandene Aussagen
wiederholen zu lassen, verzichtete ich in weiterer Folge auf derartige Unterbrechungen
und bat nur dort um Wiederholungen, wo mir das Gesagte ganz besonders wichtig
erschien. Es gab allerdings auch Interviews, die kaum bis gar nicht durch akustische
Verzerrungen beeinträchtigt wurden und bei denen der Redefluss der Informantinnen
kaum zu bremsen war, die Situation also sehr stark an ein face to face Interview
erinnerte. Mit den meisten InterviewpartnerInnen entwickelte sich nach dem
eigentlichen
Interview
noch
ein
intensives
Gespräch,
bei
dem
mich
die
GesprächspartnerInnen zu meiner eigenen Tanzgruppe befragten bzw. Informationen
über die einzelnen Tänze, Kostüme und die im Interview angesprochene Problematik
austauschten und ich wiederholt das Gefühl hatte, meinen InformantInnen auch gleich
etwas „zurückgeben“ zu können und nicht nur ihr Zeitbudget für meine Forschung
strapaziert zu haben. Den interessierten Gesprächspartnerinnen mailte ich kurz nach
dem Interview Links, Informationen und eigene Texte zu den bolivianischen Tänzen,
was mir im Sinne eben dieses Zurückgebens besonders wichtig schien. In einigen Fällen
stellte sich heraus, dass die InformantInnen meine Homepage oder von mir gepostete
Videos auf YouTube kannten bzw. dass sie mich trotz der eindeutigen Information in
meiner mail-Anfrage aufgrund meines Nachnamens und meiner bolivianisch gefärbten
spanischen Aussprache zumindestens für eine Bolivianerin zweiter Generation gehalten
hatten und ganz erstaunt waren, „wirklich“ mit einer Gringa gesprochen zu haben.
Besonders interessant war das im Fall einer Schweizerin, die sich spürbar entspannte,
als sie hörte, dass sie gerade von einer Österreicherin und nicht, wie angenommen, von
einer Bolivianerin befragt worden war.
5.7
Face to face Interviews
Aufgrund meiner Aufgabenstellung führte ich nur zwei „klassische“ narrative Interviews;
eines mit einer Tänzerin aus meiner eigenen Tanzgruppe und eines mit einer Tänzerin
aus der zweiten, in Wien tätigen bolivianischen Tanzgruppe.
84
Eveline Sigl
5.8
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Problematische Punkte bei der Cyber-
Ethnografie
5.8.1
online-offline-Problematik
Zwar scheint das Theorie-Paradigma der „realen“ versus „virtuellen“ Welten der ersten
Generation cyber-anthropologischer Literatur überwunden, rein praktisch besteht die
Problematik jedoch noch immer bzw. hat sich sogar noch verkompliziert. - Es fällt
schwerer denn je, eine Grenze zwischen der Ethnografie im und über das Internet zu
ziehen. Ein über die Internet-basierte Voice-IP-Telefonie (Skype) geführtes Interview
kann sich qualitativ stark von einem „herkömmlichen“ Telefon-Interview unterscheiden,
indem die technisch vorhandenen Chat- und Datenübertragungsfunktionen während
des Gesprächs genutzt werden, es kann aber auch wie ein seit Jahrzehnten international
mögliches, auf Analog-Technologie beruhendes Telefonat ablaufen. Die von mir per
mail verschickten Fragebögen hätten im Prinzip genauso während einer Tanzprobe mit
der Bitte um schriftliche Beantwortung ausgeteilt werden können; die Fragen selbst
bezogen sich auf wahrgenommene Phänomene der Identität und Ethnizität und gingen
in keiner Weise auf die vielfach postulierte Dichotomie zwischen online und offline ein.
Nachdem das Tanzen eine ganzheitliche Aktivität ist, die nicht auf etwas Anderes
reduziert werden kann (Blacking 1983: 95) bedeutet eine Untersuchung im Internet zwar
prinzipiell eine Einschränkung, ohne das Internet wäre es jedoch unmöglich gewesen,
derartige transnationale Befragungen innerhalb von ein paar Monaten überhaupt
durchzuführen.
Das
für
meine
Untersuchung
notwendige
Kontextwissen
zum
bolivianischen Tanz hätte ich allerdings nicht über dieses Medium erwerben können
und einer Tanzaufführung „live“ beizuwohnen oder als Mitwirkende Teil einer solchen
zu sein, hat zwangsläufig eine ganz andere Qualität als jeder noch so intensive Diskurs
darüber im Web 2.0. Das Internet ist für mich deshalb vorwiegend ein „Schau-Platz“,
der durch vor allem durch das geschriebene Wort, und in geringerem, wenn auch
steigendem Maß durch Ton und Bild beherrscht wird, wo also primär visuell
kommuniziert wird und die körperliche Komponente entweder als bekannt vorausgesetzt
oder andere Mittel ausgedrückt werden muss (vgl. Boyd 2008: 128 f). Die online
angebotenen Inhalte können durch den Fokus auf Visualität meist nur in linearer Folge
85
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
„abgearbeitet“ werden: Es ist nicht möglich, gleichzeitig emails zu lesen, zu chatten, eine
Website und ein YouTube-Video im Auge zu behalten; bestenfalls kann schnell
zwischen den einzelnen Anwendungen hin und her gewechselt oder zu den visuellen
Eindrücken Musik gehört werden, so dass die Rezeption zwangsweise eine eher lineare
Abfolge von Eindrücken darstellt, die im Gegensatz zu zeitgleich erlebbaren
ganzheitlichen körperlichen Erfahrungen steht. Dass kurz nach einem Tanz-Auftritt
Videos und Bilder davon im Internet auftauchen können, macht allerdings wiederum
klar, wie stark viele offline Erfahrungen mit ihren online Repräsentationen verknüpft
sind. Verfügt man bereits über dieses köperlich-ganzheitliche Wissen, das man in
gewisser Weise mit den transnational verstreuten InformantInnen teilt, so macht es m.E.
jedenfalls durchaus Sinn, online Feldforschung zu diesem Thema zu betreiben (vgl
Hannerz 2003: 33).
Meine Entscheidung, sowohl im online als auch im offline Kontext Feldforschung
zu betreiben, beruhte nicht auf dem Wunsch, online gefundene Konzepte und Aussagen
zu „verifizieren“, sondern auf der Überzeugung, dass manche Aspekte der behandelten
Thematik bei einer 100%igen Beschränkung auf online Erhebungen nicht oder nur sehr
schwer erschließbar sein würden. Bis auf zwei face-to-face Interviews fand meine
„offline“ Feldforschung allerdings auch wieder an dem erwähnten Schnittpunkt von
online und offline, der Skype-Telefonie, statt3.
Natürlich sollten die online und offline gefundenen Inhalte einander befruchten
und beide in die ständige Verfeinerung und Erweiterung der Interview-Leitfäden und
Hypothesen führen; Übereinstimmungen und Überschneidungen waren also zu
erwarten. Trotzdem hat mich die teilweise sehr starke Kongruenz von YouTubeKommentaren und in den Skype-Interviews geäußerten Ansichten immer wieder
überrascht. Wie angenommen, gab es aber auch Aspekte, die (fast) nur online bzw. nur
offline thematisiert wurden, wie z.B. die Problematik der zweiten Generation und die
teilweise seit über hundert Jahren geschürten nationalen Konflikte aufgrund territorialer
3
86
Bei Skype werden die Grenzen der online-offline-Dichotomie besonders deutlich: Für meine
GesprächspartnerInnen waren die Interviews „normale“ Telefonate über analoge Datenleitungen, was nicht
unbedingt dem Verständnis von „online“ entspricht, während ich mich für die Gespräche sehr wohl der InternetTechnologie bedient habe. Für ein „echtes“ offline Interview fehlen die visuellen Komponenten, aufgrund der
erhaltenen, teilweise sehr narrativen Antworten sehe ich aber trotzdem eine große Ähnlichkeit zur face-to-face
Interviewsituation.
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Restitutionsansprüche.
Das
Zusammenwachsen
von
text-,
audio-
und
video-basierten
Informationstechnologien scheint einerseits die vielfach geforderte und von mir
befürwortete Kontextualisierung von online Untersuchungen zu erleichtern, führt aber
mitunter dazu, dass man sich einer Unmenge von Daten gegenüber sieht, die durch ihre
Menge leicht dazu verführen, Quantität mit Qualität zu verwechseln. Im Fall meiner
konkreten Feldforschung sind es die unzähligen Bilder, tausenden Videos und die
etlichen Homepages/SNS, mit denen sich bolivianische Tanzgruppen international
präsentieren und einem bei wiederholter Betrachtung ein trügerisches Gefühl der
Vertrautheit oder des „dort-gewesen-Seins“ geben. Natürlich ist es möglich, durch die
online
Technologien,
besonders
die
Suche
im
WWW,
Informationen
zu
(möglicherweise) relevanten offline Kontexten zu finden. – Mein eigener Lebenslauf,
meine Postings und digitale „Spuren“ von offline Berufs- und Freizeitaktivitäten lassen
sich ebenso leicht wie die mancher InformantInnen über Internet-Suchmaschinen
finden und können zwar wertvolle, u. U. aber auch sehr einseitige oder verzerrte
Hintergrundinformationen darstellen und müssen jedenfalls kritisch betrachtet werden.
Generell tendiere ich dazu, die ethnografischen Schauplätze im Gegensatz zu
einer online-offline-Dichotomie immer mehr als ein online-offline-Kontinuum zu sehen,
dessen Ausprägungen zwischen den beiden Polen oszillieren; eine Tendenz, die sich in
den nächsten Jahren vermutlich sehr verstärken wird.
5.8.2
Konstruktion einer eigenen online Identität
Trotz einer anfänglichen Euphorie, u.a. aufgrund meiner bisherigen online Aktivitäten
(Homepage, Videos auf YouTube) schnell „Anschluss“ und Friends in den SNS gefunden
und dort soziale Kontakte geknüpft zu haben, sehe ich die Konstruktion einer eigenen
online Identität mittlerweile als problematisch. Wie sich im Verlauf der vielen emailKontakte bald herausstellte, wurde ich aufgrund meines Nachnamens, meiner sehr guten
Spanisch-Kenntnisse und der Tatsache, Leiterin einer bolivianischen Tanzgruppe zu
sein, sofort als AuslandsbolivianerIn oder zumindestens Bolivianerin zweiter Generation
rezipiert. Dieses Bias trug mir ganz offenbar bei vielen InformantInnen ein sofortiges
87
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Wohlwollen ein, das wiederholt durch Aussagen wie „Es un gusto saber que existen
compatriotas que hacen lo que tu haces en Europa.“ ausgedrückt wurde. Wie stark dieses
Bias war, wird anhand der folgenden Begebenheiten deutlich: LAURA bat mich nach
den ersten mails, ihr doch eine Foto von mir zu schicken bzw. ihr zu sagen, welche der
Tänzerinnen auf meinen Fotos ich wäre. – Sie konnte offenbar nicht glauben, dass die
gringa auf dem Profilbild ich sein sollte und reagierte auf die Antwort mit
konsterniertem Schweigen, das erst durch ein neuerliches email meinerseits gebrochen
wurde (und nachdem sich ein sehr intensiver mail- bzw. MSN-Kontakt entwickelte).
Meine schweizer Informantin begann sich erst nach dem eigentlichen Telefon-Interview
spürbar zu entspannen, zu dem Zeitpunkt, als ihr klar wurde, dass sie von einer
Österreicherin und nicht von einer Bolivianerin befragt worden war. Nicht nur in ihrem
Fall liegt es nahe, anzunehmen, dass sie die Fragen im Wissen meiner nichtbolivianischen Abstammung anders beantwortet hätte. Die beiden angeführten Beispiele
verdeutlichen die Wichtigkeit, die der Selbstrepräsentation und dem so genannten
Impression
Management
in
cyber-anthropologischen
Kontexten
zukommt
bzw.
verdeutlichen die Problematik, die damit verbunden sein kann.
Online wäre es für mich sehr leicht gewesen, das wahrgenommene Vorurteil der
Kontaktpersonen mit entsprechenden Fotos bzw. falschen Angaben zu verstärken, was
natürlich nicht in meiner Absicht lag. Statt dessen fügte ich eigene Texte und Videos zu
den bolivianischen Tänzen sowie über 100 selbst gemachte Fotos von indigenen Festen
und der Wahl der Miss Cholita in La Paz an mein SN-Profil an, um interessierten online
BesucherInnen einerseits einen Einblick in meine (Forschungs)Interessen zu geben und
das Profil andererseits auch inhaltlich so interessant zu machen, dass sich darüber neue
online Kontakte ergeben könnten. Um bei der Gratwanderung zwischen „ehrlicher“
Selbstrepräsentation und persönlichen Ansichten möglichst „neutral“ zu erscheinen,
verzichtete ich allerdings auf kritische oder wertende Stellungnahmen zu bestimmten
Tänzen bzw. Tanzpraktiken (wie etwa der Verwendung neonfarbiger Acrylstoffe für die
Kostüme zu „indigenen“ Tänzen oder die m. E. teilweise sehr sexistische Präsentation
der Frau).
88
Eveline Sigl
5.8.3
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Möglichkeiten der Teilnahme
Die Möglichkeit, in den SNS selbst eine Identität zu kreieren, Postings, Kommentare,
Dateien, Links und Friendship-Einladungen zu verschicken, soll nicht darüber
hinwegtäuschen, dass diese Art der Teilnahme auf einen u. U. sehr kleinen Teilbereich
des eigentlichen Forschungsgebietes beschränkt ist. Folgt man Hannerz´ Argumentation
(vgl Hannerz 2003: 34) stellt sich hier allerdings auch die berechtigte Frage, ob für die
geplante Untersuchung überhaupt ein engerer Kontakt nötig oder wichtig wäre. Im
konkreten Fall meiner Studie glaube ich, dass das über die SN erreichte
Bekanntschaftsniveau völlig ausreichend war und sich die Unterschiede in der
Ergiebigkeit der Aussagen verschiedener InformantInnen eher durch die Verwendung
verschiedener
Forschungsmethoden
(online
Befragung,
Chat,
Skype-Interview,
persönliches Gespräch) erklären lassen.
Ebenso wie im offline Bereich müssen diese Kontakte angebahnt und gepflegt
werden, wobei mir die „Eintrittsbarrieren“ in den SNS im Vergleich zu offline
Erfahrungen sehr niedrig erschienen. Bei meinen über 250 „Friendship-Ansuchen“
fragten nur zwei Personen danach, woher wir uns eigentlich kannten, über 200 fügten
mich ohne weitere Nachfragen als „Friends“ zu ihren Profilen hinzu. Durch die
technischen Neuerungen des Web 2.0 ist es jedenfalls möglich, Teilnehmerin des Felds
zu
werden
und
transnational
mit
InformantInnen
zu
interagieren.
Meine
diesbezüglichen Aktivitäten beschränkten sich dabei nicht nur auf das Erstellen eines
möglichst interessanten online Profils, sondern ich versuchte auch, den Kontakt zu
meinen Friends mit regelmäßigen Link- und Video-Postings aufrecht zu erhalten bzw.
sie damit indirekt an meine Existenz und den zugesandten Fragebogen zu erinnern. Bei
einer derartigen Vorgangsweise ist es selbstverständlich von großem Vorteil, dass das
man das online Feld (fast) beliebig betreten und wieder verlassen kann (vgl. auch
Hannerz 2003: 30). So fiel es auch relativ leicht, den methodisch (völlig zu Recht)
geforderten permanenten Wechsel zwischen Analyse- und Feldforschungsphasen zu
vollziehen, Details nachzufragen und (Zwischen)ergebnisse aus den Auswertungsphasen
in die nächste Feldforschungsphase einfließen zu lassen.
89
Eveline Sigl
5.8.4
Der
von
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Knüpfen engerer online Beziehungen
mir
prinzipiell
angestrebte,
über
den
Fragebogen
und
Interviews
hinausgehende Informationsaustausch blieb im Großen und Ganzen eher ein
Wunschziel: Obwohl ich einigen besonders interessiert erscheinenden Befragten nach
dem Interview bzw. Zurücksenden Ihres ausgefüllten Fragebogens Informationen zu den
bolivianischen Tänzen (oder anderen zur Sprache gekommenen Inhalten) zukommen
ließ, waren die Reaktionen sehr verhalten: Einige reagierten gar nicht, andere erst nach
mehreren Wochen oder gar nicht. Anhand der Art der Reaktionen gehe ich jedoch nicht
von einem Desinteresse, sondern eher von einem eklatanten Zeitmangel aus.
90
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
6 Analyse
6.1
Anmerkungen zu Analyse und Präsentation
der Daten
In den untersuchten Aussagen wird der Tanz
als Mittel zur Schaffung und
Repräsentation von Identität thematisiert, wobei es vielfach zu dem von Gingrich (2004:
6, 13), Baumann (2004: 19) und Hall (1994: 29 ff) beschriebenen Oszillieren zwischen self
und other kommt, in dem sich Identität und Alterität gegenseitig bedingen. Da ein
lineares Schriftstück eine derartige Gleichzeitigkeit nur schwer zum Ausdruck bringen
kann und notgedrungen Kategorisierungen vornehmen muss, möchte ich hiermit
explizit darauf hinweisen, dass die von mir im Einzelnen besprochenen und analysierten
Teilbereiche des Phänomens Tanz-Identität-Alterität-Ethnizität sehr stark miteinander
verwoben sind und sich in vielen Fällen überlagern. Aus diesem Grund tauchen einige
Bereiche mehrfach auf und werden von mir aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet
bzw. mit anderen Zitaten meiner InformantInnen illustriert.
Meine InformantInnen haben viel Zeit geopfert und mir großteils sehr
ausführliche Auskünfte erteilt, so dass es mir auch ein Anliegen ist, sie in diesen Zitaten
ausführlich zu Wort kommen zu lassen. Abgesehen von einer größeren Anschaulichkeit
möchte ich damit auch weitere Interpretationen der emischen Aussagen anregen. Soweit
es sich um Aussagen persönlich bekannter InformantInnen handelte, wurden diese mit
fiktiven
Vornamen
versehen.
Abgesehen
von
ausgewiesenen
Kürzungen
und
Hervorhebungen als fett Gedrucktes wurden die verwendeten Zitate inklusive
Schreibfehler und Interpunktuation genau so übernommen, wie ich sie von den
Befragten erhalten bzw. im Internet vorgefunden habe. Bei den Internet-Zitaten habe
ich aus Gründen der Lesbarkeit auf die Angabe der kompletten YouTube- und WebURLs verzichtet und sämtliche konsultierte Webseiten im Inhaltsverzeichnis aufgelistet.
Zwecks Veranschaulichung des vorgefundenen Diskurses habe ich mich
entschlossen, manchen Betrachtungseinheiten die atlas.ti-Network Views und damit auch
die
Kodierungen
voranzustellen,
die
ich
aus
den
emischen
Aussagen
der
InformantInnen gewonnen habe. Wie im vorigen Kapitel erwähnt, entstanden die
91
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Analyse-Codes bereits während des Erhebungsprozesses und wurden ständig ergänzt
und umgearbeitet. Um hier aber keine simplen Kausalitätsbeziehungen einer komplexen
Realtität vorzutäuschen, verzichte ich auf das Benennen der Beziehungen bei der
Anzeige der Network-Views. Die angezeigten Network Views sind immer nur Ausschnitte
eines sehr komplizierten Gefüges; die komplette Code-Liste befindet sich im Anhang.
6.2
Allgemeines zum bolivianischer Umzugstanz,
seiner Bedeutung für die Identität der TänzerInnen
und seiner Rolle in den diasporic public spheres
Die bolivianischen Umzugstänze waren schon zu Zeiten der spanischen Eroberung ein
wichtiger Ausdruck indigener Identität und indigenen Widerstandes gegen die
Kolonialherrschaft. Nach der Unabhängigkeitserklärung Boliviens (1825) entstanden
dann in der sogenannten republikanischen Phase viele der heute praktizierten
Volkstänze, die sich langsam auch in den verschiedenen urbanen Gesellschaftsschichten
ausbreiteten. Zu einem regelrechten Massenphänomen mit starken Bezügen zum postrevolutionären Nation State Building, Identität und Ethnizität (vgl. Guss 2000,
Abercrombie 1992) entwickelte sich die bolivianische Folklore jedoch erst in der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhunderts. So sind heute populäre Tänze wie Morenada, Diablada,
Tinku, Taquirari und ganz besonders Caporales in allen Gesellschaftsschichten
anerkannte Symbole von „lo nuestro“ („dem Unseren“) und ein wichtiger Bestandteil der
staatlich und medial propagierten Narrativen einer heroischen indigen-mestizischen
Vergangenheit und Tradition.
Als tausendfach besuchte Videos auf YouTube haben diese Tänze Eingang in die
transnationalen Mediascapes gefunden, wo nicht nur Bilder von „zu Hause“ (z.B.
Tanzvideos von bolivianischen Umzügen), sondern auch Imaginationen von „zu Hause“
und deren Reproduktion „anderswo“ (z.B. Videos bolivianischer Tanzgruppen außerhalb
Boliviens) Teil der diasporic public spheres (Appadurai 1996: 10) werden und dort für viele
BolivianerInnen einen Teil der eigenen Identität verkörpern. Wie angedeutet, bewegen
sich in diesen diasporic public spheres nicht nur die Bilder, sondern auch die
bolivianischen, halb-bolivianischen und nicht bolivianischen TänzerInnen, die an den
verschiedensten Orten der Welt mit dem Tanzen beginnen und oft erst wegen des
Tanzens nach Bolivien reisen bzw. nach dem Erlernen der Tänze im Ausland während
92
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
ihrer Heimat-Besuche an bolivianischen Tanzumzügen teilnehmen. Man könnte also
durchaus von einer transnationalen ethnoscape „auslandsbolivianische Tanzgruppen“
sprechen, die in Verbindung mit den entsprechenden mediascapes das Forschungsfeld
dieser Untersuchung darstellt. Da diese ethnoscape nicht nur von ausgewan-derten
BolivianerInnen erster und zweiter Generation, sondern auch von Halb-BolivianerInnen
(„Halfies“) und Nicht-BolivianerInnen bevölkert wird, gehe ich auch auf die
entsprechenden Aspekte von Identität und Ethnizität ein. Weiters berücksichtige ich
kulturelle und ethnische Aspekte im Sinne Erazo-Neufelders (1994: 19, 38, 76), Genderund Diaspora-Identitäten sowie Vorstellungen von Alterität und Exotismus aus der Sicht
der Nicht-BolivianerInnen.
6.3
Bolivianischer Umzugstanz und ethnische
Identität
6.3.1
Tanz und gemeinsame Abstammung
Wie im Kapitel Identität und Ethnizität erwähnt, gehört die gemeinsame Abstammung
zu den wichtigsten Abgrenzungsmerkmalen ethnischer Gruppen (vgl. Hutchinson und
Smith: 1996: 6 f, Weber in Zurawski 2000: 23). Im Diskurs um die bolivianischen Tänze
und Tanzgruppen im Ausland wird die gemeinsame Abstammung und das daraus
resultierende „Bolivianertum“ in verschiedener Hinsicht thematisiert: Nicht nur die
auslandsbolivianischen TänzerInnen sondern auch die befragten Nicht-BolivianerInnen
stimmen häufig darin überein, dass die BolivianerInnen Rhythmus und Tanz „im Blut“
haben, es also einen biologischen Grund zu geben scheint, warum BolivianerInnen
besser oder anders tanzen bzw. sich so stark mit diesen Tänzen identifizieren.
Gracias yo creo que la sangre que corre por nosotros los bolivianos esta constantemente
empujandonos a representar nuestra identidad... (YOUTUBE)
porque lo veo como algo directo de cultura de mi familia y mi gente = la snagre que
orgullosamente comparto (Sangre Boliviana) (ALEJANDRO, 05.03.08)
para llevar en alto el nombre de nuestra patria solo se requiere tener el rojo, el amarillo,
y el verde en la sangre (WEBSEITEN)
Pienso que los bailarines Bolivianos llevan en la sangre y el corazón el baile
especialmente si se trata del folklore (NATALIE, 06.04.08)
BolivianerInnen kennen ihre Musik meist nur zu gut, das sie viel Wert legen auf
93
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
nationale Musik und Tanz und daher ihre Musik wirklich schon im Ohr haben/hatte
bzw. ihre Ryhthmen doch „im Blut“ sind.. (HANNAH, 05.04.08)
Obwohl immer wieder betont wird, dass auch Nicht-BolivianerInnen das Tanzen sehr
gut, manchmal sogar besser als BolivianerInnen erlernen können, sehen die meisten
InformantInnen eine angeborene Differenz – wenn schon nicht in Rhythmus und
Bewegung, dann zumindestens im Gefühl.
Bueno justamente es algo que fue de dilema y aca tenemos compañeros peruanos y eso
quedo un poco al margen ya que al encontrarnos tan lejos nosotros nos unimos todos y
hasta compartimos estas danzas juntos, sinceramente pudimos darnos cuenta que estos
bailes también les mueven y les llega al corazón , aunque nosotros peleamos por la
identidad , siempre defenderemos nuestras danzas, especialmente cuando al ver los bailes
bolivianos bailados por otros países se puede notar la diferencia. (NATALIE, 06.04.08)
talvez porque lo tienen en la sangre lo disfrutan mas (MERCEDES, 17.04.08)
Darstellungen kultureller Unterschiede als biologisch determinierte „Tatsachen“ werden
schnell zu Generalisierungen und Konstruktionen von Andersheit, wobei ich LORENAs
Abgrenzung von „Latinos“ und „AfrikanerInnen“ gegenüber den BürgerInnen ihres
europäischen Aufenthaltslandes speziell interessant finde.
Pude percatarme que los latinos y africanos en general llevan la danza en las venas, los
bolivianos como latinos reflejamos eso. (LORENA, 07.04.08)
Los europeos en general no viven su folklore, sin embargo los latinos lo hacen muy bien
(DANIEL, 06.05.08)
Die Legitimation bezüglich der Präsentation bolivianischer Tänze ist auf jeden Fall eine
„Sache des gemeinsamen Blutes“ (Baumann 1999: 67), die vor allem in der andinen
Grenzregion immer wieder heftigst diskutiert wird (siehe Kapitel „Nationaler
Tanzkonflikt“). Im Gegensatz zu den meist imperialen peruanischen Besitzansprüchen
an den Tänzen argumentiert die chilenische Seite eher damit, dass die Bevölkerung
Nordchiles in Wirklichkeit BolivianerInnen seien und aufgrund der gemeinsamen
Abstammung ein Recht darauf hätten, die umkämpften Tänze bei Festivals wie La
Tirana zu zeigen.
fiesta de la TIRANA es una fiesta organizada por gente con origen de Bolivia
(YOUTUBE, Hervorhebung d. A.)
para la fiesta de la tirana y bailan bonito la diablada porque ablan mal de su
sangre o acaso antofagasta nunca fue del alto peru hoy bolivia ah..?? (YOUTUBE,
Hervorhebung d. A.)
Los chilenos no nos roban nuestro folklore sino un porcentaje de la pobalcion
94
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
chilena son bolivianos, es que Tocopilla, Antofagasta, etc. eran territorios
bolivianos, en la colonia y despues estos bolivianos tenian las misma costumbres que
nosotros, la diablada estaba ahi, ahora los muy carajos dicen que es de ellos sin saber
que son bolivianos los hijos de (YOUTUBE, Hervorhebung d. A.)
Gleichzeitig wird immer wieder betont, dass Bolivien, Peru und Chile gemeinsame
(kulturelle) Wurzeln bzw. die gleiche Abstammung hätten, ein Streit um die
Zugehörigkeit einzelner Tänze daher völlig sinnlos wäre.
se hacen problema por sus caporales..ademas por si no sabian somos paises andinos
sobre todo en el sur en la meseta altiplanica y no es raro q se bailen las mismas danzas..
ya q antiguamente eramos un solo pais hata q un pata..bolivar creo invento un pais y
puso su nombre.. (YOUTUBE)
aunke separados Peru y Bolivia tienen sus raices unidas (YOUTUBE)
yo chileno, uds bolivianos y junto a los peruanos, tenemos mucho más en común de lo que
tenemos de distinto. (FACEBOOK)
en le norte de chile la gente comparte muchas de sus tradiciones, porque precisamente
estas viene de una CULTURA que no se circunscribe a paises, no se limita a líneas tontas
hechas por españoles que violaron y mataron a nuestra gente, sino que se comparten
entre pueblos hermanos que finalmente son UNO, aunke fueron separados políticas
estúpidas. (FACEBOOK)
Yo creo que en el origen fuimos un solo pueblo, y que a pesar de ahora ser 3 países
distintos, compartimos muchas cosas y no deberíamos pelear por identificar de quién son
las danzas, ya que son parte de toda la región, incluyendo a Argentina y Paraguay en el
caso de la chacarera. (LORENA, 07.04.08)
somo paises con la misma cultura la misma decendencia (HUGO, 25.04.08)
Die „richtige“ fiktive (Bluts)Verwandtschaft bewirkt in jedem Fall Legitimität und dient
besonders auf YouTube als Argument zur Schaffung von Autorität.
wooo wow un ratito! YO naci en Cochabamba BOLIVIA de padres ambos Bolivianos
100%. (YOUTUBE)
claro los lideres F/M de 100% nacidos en Bolivia (ALEJANDRO, 05.03.08)
6.3.2
Abgrenzung über Schicht, Status und Ethnizität
95
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Abb. 3:Tanz als Mittel der Abgrenzung; eigene Darstellung mittels atlas.ti
Da die am Altiplano nach wie vor übliche Klassifizierung von Menschen in indios,
campesinos, cocaleros, cholos, mestizos und blancos bzw. blancoides eine wichtige Rolle in
den Diskursen um den bolivianischen Tanz spielt, möchte ich an dieser Stelle
wenigstens eine Basisinformation zum besseren Verständnis der höchst komplexen
Thematik geben.
Das Wort indio wird von Angehörigen höherer Gesellschaftsschichten gerne dazu
benutzt, um arme, dunkelhäutigere und wenig gebildete Angehörige der 36 als indigen
anerkannten Ethnien Boliviens auf despektive Art und Weise zu einem Super-Ethnos
zusammenzufassen. Es handelt sich dabei um eine rassistisch gefärbte Abgrenzung nach
Kleidung und Sozialstatus, da in Bolivien Sprachbeherrschung und Hautfarbe keine
automatische Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe bedingen. So gibt
es Personen, die keiner indigenen Sprache mächtig sind (wie etwa Präsident Evo
Morales) und trotzdem als indios bezeichnet werden, aber auch Personen, die sich trotz
der entsprechenden Sprachkenntnisse weder selbst als originarios sehen bzw. von
anderen als solche angesehen werden, sondern sich den campesinos, cocaleros, cholos oder
96
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
mestizos zugehörig fühlen (wie etwa der ehemalige Vizepräsident Victor Hugo Cárdenas).
Bei den erwähnten Klassifizierungen kommt es jedenfalls zu einer starken Korrelation
zwischen Ethnizität und Klassenzugehörigkeit (vgl. Eriksen 2002 [1993]: 49 f). Die
Kategorie der mestizos ist besonders schwer zu definieren, da sich diese große Gruppe
äußerlich nicht von den anderen unterscheidet und die Abgrenzung über Merkmale wie
Kleidung,
Bildung,
Sozialstatus,
Sprachgewohnheiten,
Selbst-
und
Fremdzuschreibungen stattfindet. Trotzdem betrachten sich diese „Mischlinge“ als
ethnische Gruppe (vgl. Eriksen 2002 [1993]: 64), die sich neuerdings angesichts der proIndigenen Politisierung als NICHT-Indigene ebenfalls diskriminiert sehen. Cholas oder
mujeres de pollera und ihre nicht so leicht durch die Kleidung erkennbaren Männer
stellen in Bolivien eine eigene Gesellschaftsschicht, den sector popular, dar, der eine
weitere fiktive ethnische Gruppe darstellt, die allerdings mit keiner bestimmten
Gesellschaftsschicht korreliert, sondern in sich stratifiziert ist: Zur Cholaje gehören arme
StraßenverkäuferInnen ebenso wie reiche Großhändlerfamilien, die als Prestes/Pasantes4
mit tausenden US-Dollar ganze Prozessions- und Tanz-Umzüge finanzieren und
dennoch von den mestizos oder blancoides geringgeschätzt werden. Als Ethnizitätsmarker
fungieren bei den „Frauen im Rock“ der Kleidungsstil (ursprünglich durch die
Spanierinnen nach Bolivien gebrachten Röcke, Stolas mit Fransen und seit den 1930ern
ein von Italien übernommener Borsalino-Hut) sowie die Haartracht (zwei eventuell mit
Fremdhaar verstärkte Zöpfe) bzw. geschlechtsneutral die Art, sich zu bewegen und zu
sprechen. Dass es sich bei den polleras wirklich um surface pointer (vgl. Nash 1996 [1989]:
25 f) und nicht irgendein austauschbares Kleidungsstück handelt, wird u.a. durch die
meist abfälligen Internet-Kommentare deutlich. Die (fiktive) Abstammung aus den
genannten Sektoren wird dort vor allem im Streit zwischen BolivianerInnen und bei der
Beschimpfung von PeruanerInnen relevant:
Loca, si mi abuela seria de pollera que carajo seria para ti? (YOUTUBE)
4
Beim System der Prestes/Pasantes handelt es sich um eine prestigeträchtige Selbstverpflichtung,
Kosten und Organisation eines religiösen Festes (z.B. Karneval oder Feste zu Ehren von Lokalheiligen) zu
übernehmen. Die Prestes können durch ihre großen Ausgaben großes Sozialkapital anhäufen, das u.a. für
einen politischen Aufstieg innerhalb der Gemeinde genutzt werden kann. Für eine ausführliche
Diskussion siehe Buechler, Hans C (1980): The Masked Media. Aymara Fiestas and Social Interaction in
the Bolivian Highlands. Mouton Publishers. The Hague und Abercrombie, Thomas A (o. A.):
Understanding the fiesta-cargo system among the Bolivian Aymara, CIPCA, La Paz.
97
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
india pelotuda de mierda. (YOUTUBE)
a este pobre indio cholo peruano awenao no le den chokolate porke por negro se muerde
el dedo el weon (YOUTUBE)
por q no te vas a la mierda india altiplanica cara de llama? (YOUTUBE)
Aufgrund dieser Stigmatisierung gibt es nur wenige Angehörige der westlich gekleideten
mestizischen Schicht, die Stolz auf ihre Vorfahren aus der Cholaje sind und diese weder
im In- noch im Ausland verleugnen. LAURAs Aussagen sind daher wohl eher eine
bemerkenswerte Ausnahme:
al vestir el traje de Chola pacenia rindo un homenaje a la mujer tradicional de mi tierra
y a mi abuela que con mucho orgullo fue chola [...] en la paz la mayoria de la gente de
estrato medio se averguenza de sus parientes cholas! cuando yo lo decia con perfecta
naturalidad la gente se sentia rara.....es extranio! aca lo mismo..... parece q prefieren
ovbiar esa parte de su pasado...es muy decepcionante...pa mi en cambio es un motivo de
orgullo...y parte de mi.... (LAURA, 05.03.08)
Bedenkt man diese Geringschätzung, so ist es erstaunlich, wie das Tanzen bei Umzügen,
das bis vor wenigen Jahrzehnten vorwiegend als minderwertige cosa de indios galt,
En esas épocas no se tocaba música folclórica en las discotecas o fiestas y en aquél
tiempo, la mayoria de los bailarines eran lo que se llama (no es mi opinión o en lo que yo
creo) la clase baja . (ROXANA, 27.04.08)
mittlerweile zu einem prestigeträchtigen Hobby der jugendlichen „Reichen und
Schönen“ avanciert ist:
Caporales, pero me parece que también es una danza y una música con la que los jóvenes
especialmente se pueden llegar a identificar con lo supuestamente folklórico, sin que sea
visto como algo sólo para las personas de edad mayor o pasado de moda y sin que tengan
que avergonzarse por bailar algo folklórico, considerado por algunos como algo sólo
para gente de descendencia indígena (NICOLÁS, 28.04.08)
Dieser Trend setzt sich im Ausland allerdings nur bedingt fort. Denn: Hier wird es
plötzlich für viele erschwinglich, sich eigene Tanzkostüme anzuschaffen und bei einer
Tanzgruppe mitzumachen – trotzdem sie aus ärmlichen Verhältnissen stammen oder in
ihrer Heimat als indios stigmatisiert wurden.
Hay gente que tiene verguenza de bailar? Y en el caso que sí por qué es eso? Nos ha
pasado con los Bolivianos me da la impresion que no quieren mostrar que son indigenas
o Indios (palabra indio en Europa significa que vienes de la india’) aunque la cara los
delata (SEBASTIANA, 31.03.08)
Schon allein aufgrund der meist geringen Anzahl an verfügbaren BolivianerInnen
98
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
kommt es bei sehr vielen auslandsbolivianischen Tanzgruppen zu einer Öffnung in
Bezug auf die Mitglieder. Meistens sind alle willkommen, die tanzen wollen und vor
allem größere Gruppen sind oft sehr multinational besetzt. Dinge wie der „richtige“
Nachname
und
damit
die
gezwungenermaßen
über
Fremdzuschreibungen
angenommene Ethnizität5 (vgl. Eriksen 2002 [1993]: 65) oder die Zugehörigkeit zu einer
bestimmten Berufsgruppe bzw. Schicht spielen nun keine Rolle mehr.
en Alemania hay un cambio de lo que es el estatus porque como migrantes somos la
minoría y siendo minoría pues no sé, en algún momento es igual si alguno es del norte,
del sur, es rico o pobre no tiene bonitas piernas o eres chuiquito o grande, estamos fuera
intentando de buscar unanimidad, una identidad donde digas bueno no no soy la única
boliviana e igual si el otro seguido de x o no se cuanto y no sé que o igual la acepto en mi
grupo porque es boliviana y baila, eso es por lo menos lo que yo veo no? (GLORIA,
16.03.08)
No hay los uficientes bolivianos pra hacer un grupo neto boliviano, que hay con las “
mescolanzas” como yo y de que esa gente quiera aprender a bailar el folclore boliviano
demuestra el poder,la magia de este. (ROXANA, 27.04.08)
Manche können es sich nun sogar leisten, zum Karneval von Oruro oder der Entrada der
Virgen de Urkupiña in Quillaqollo/Cochabamba zu reisen, um dort zu tanzen; Dinge, die
auch in den bolivianischen Diaspora-Gemeinschaften viel Prestige bringen. Vor allem in
den USA gibt es viele Gruppen, die von einer oder mehreren Familien in Anlehnung an
das System der Prestes/Pasantes organisiert werden, was einen gehobenen Status zur
Folge hat.
La Fraternidad Folklorica Cultural Caporales Raices de Bolivia (FFCCRB) fue fundada
por un grupo de amigos encabezados por la familia Q... el 18 de junio de 1988.
(WEBSEITEN, USA)
La primera mesa directiva fue conformada por el señor Jorge G... junto a su esposa
Carmen G..., Edmundo B... y esposa, Sonia B... y Rosario O.... Otras familias
fundadoras fueron Félix S..., José S... y Nancy B.... (WEBSEITEN, USA)
5
Nachnamen wie Mamani, Quispe oder Choque werden in Bolivien sehr stark mit den beschriebenen indios
identifiziert, weshalb viele Personen den finanziellen Aufwand einer Namensänderung auf sich nehmen, um sich
und ihre Nachkommen von einem Stigma zu befreien
99
Eveline Sigl
6.3.3
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Nationaler „Tanzkonflikt” zwischen Bolivien,
Peru, Chile und Argentinien
Abb. 4: Nationaler „Tanzkonflikt“ I; eigene Darstellung mittels atlas.ti
100
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Abb. 5: Nationaler „Tanzkonflikt“ II; eigene Darstellung mittels atlas.ti
Sowohl in den online als auch in den offline Diskursen findet eine teils sehr starke
Abgrenzung zwischen den BürgerInnen der Staaten Bolivien, Peru, Chile und – in
geringerem Maße – Argentinien statt. Die besonders auf YouTube und ähnlichen VideoSeiten höchst emotionalen Diskussionen und flaming wars, von mir als „Tanzkonflikt“
bezeichnet, kreisen um die Zugehörigkeit verschiedener Tänze, die von den vier Staaten
als Teil ihres Kulturgutes beansprucht werden. Diesem Diskurs liegt ein stark
essentialistisches Kulturverständnis (vgl. Baumann 1996, 1999) zugrunde: Die in den
Tänzen und den dazu gehörenden Musikstücken verdinglichte Kultur kann als Kulturgut
von anderen Ländern, die sie ebenfalls als Teil von „lo nuestro“ reklamieren, kopiert,
vereinnahmt, „geraubt“ und möglicherweise sogar patentiert werden. Die resultierenden
Diskussionen kreisen sehr stark um Fragen von Eigentum und Besitz sowie
vergleichende Wertungen. Betrachtet man die entsprechenden Video-Kommentare
jedoch genauer, so drängt sich der Verdacht auf, dass es bei diesem Streit nicht so sehr
um die Tänze selbst oder um den Schutz der eigenen Identität geht, sondern
(zumindestens teilweise) eher um die Aufarbeitung nationalstaatlicher Konflikte und
territorialer Restitutionsansprüche, bei denen der Tanz nur als Vorwand für die
entsprechenden Äußerungen dient. „Beweise“ oder Erkenntnisse wissenschaftlicher
Nachforschungen bezüglich Herkunft und „Zugehörigkeit“ werden höchst selten
eingefordert bzw. negiert6. Ethnizität wird in diesem Fall sehr stark über Kultur
definiert, wobei die Bemühung um die Aufrechterhaltung von Differenz eine große
Rolle spielt (vgl. Barth [1969] 1970: 18, Eriksen 2002: 19 f, Harrison 1999 in Eriksen 2002:
67) und den Tänzen die erwähnte Index-Funktion zukommt.
Beide Seiten argumentieren bei der „Besitzfrage“ oft mit Ausschließlichkeit und
primordialen Überzeugungen:
la Diablada es BOLIVIANA Y DE NINGUN LADO MAS!!!! (YOUTUBE)
la diabla es 100% peruana (YOUTUBE)
esto es la DIABLADA BOLIVIANA Y PUNTO y nada de huevadas (YOUTUBE)
6
Ich habe auf den entsprechenden Seiten mehrmals auf gute online Quellen hingewiesen bzw. einem
Informanten auch einen Text geschickt und musste feststellen, dass es sich hier um einen rein
emotionalen Diskurs handelt, der sehr viel mit Imaginationen zu tun hat und in dem keine „fachlichen“
Diskussionen gewünscht werden.
101
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
claro como el agua la diablada es de Bolivia (YOUTUBE)
si siguen siendo ignorantes... pues seguiran diciendo que estas danzas tambien les
correponde. Todo le mundo sabe que estas danzas son 100% Bolivianas! asi ke pierden su
tiempo diciendo lo contrario. (YOUTUBE)
Der Andere wird vielfach durch Generalisierungen und Stereotypisierungen konstruiert;
Beschimpfungen und gegenseitige Bezichtigungen des Kulturraubes sind an der
Tagesordnung.
Es sabido que en países vecinos en los últimos años se ha visto que se han estado
adueñando de nuestros bailes folklóricos más representativos. En Argentina, Chile y
Peru es común ver en las noticias como bailan diablada, caporales y morenada en sus
festivales folklóricos, en muchos casos diciendo que son bailes que también les pertenecen,
e incluso a veces, diciendo que son bailes exclusivamente de esos países. (FACEBOOK)
DENUNCIAMOS:EL PERU SUFRE ROBO Y SAQUEO SISTEMATICO DE SU
PATRIMONIO MUSICAL Y CULTURAL!!nos
roban:musica,danzas,emblema(bandera del Tawantinsuyo)idioma,instrumentos
autoctonos,ponen nombre quechua a bailes q' dizq' lo crearon. (YOUTUBE)
yo no entiendo como estos "señores" peruanos tienen el descaro de presentar estas danzas
que son bolivianas como peruanas pero es de esperar de gente como ellos que si existe la
delincuencia en el mundo es gracias a que muchos peruanos se dispersaron por todas
partes y mira hay delincuencia en todas partes (YOUTUBE)
por favor les pido q no generalicen sus insultos a todos los peruanos, (YOUTUBE)
gente inescrupulosa ESPECIALMENTE EL PERU ANDA TRATANDO DE
APROPIARSE DE ESTA HERMOSA DANZA (YOUTUBE)
malditos peruanos roba culturas (YOUTUBE)
jajaja ya quisieran que Bolivia sea Peru..claro cualquier escusa con tal de robar nuestra
cultura (YOUTUBE)
ES UNA IMPOTENCIA grande QUE SENTIMOS LOS BOLIVIANOS VER DÍA A
DÍA DIFUNDIR NUESTRO FOLCLORE BOLIVIANO COMO SI FUERA
PERUANO POR ESO ES QUE SI POR DEFENDER NUESTRA CULTURA Y
FOLCLORE NOS DICEN QUE SOMOS COMO SOMOS PUES BIENVENIDO
PERO IGUAL VAMOS A DEFENDER A CAPA Y ESPADA NUESTROS BAILES.
(YOUTUBE)
LOS PERUANOS SI KE SON LADRONES, SE APROPIAN DE MAS DE 20
DANZAS NUESTRAS!! (WEBSEITEN)
Die Generalisierungen werden auch auf die Länder selbst ausgedehnt, wobei das eigene
gerne als das großartigste und schönste dargestellt wird (vgl. Eriksen 2006 in URL 2),
während das fremde naturgemäß viel weniger zu bieten hat. „Tanzkonflikt“, (in den
südamerikanischen Schulen stark geförderter) Nationalstolz und Heimweh der vielen im
102
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Ausland ansässigen PosterInnen führen zu einem Diskurs des gegenseitigen Ausspielens
nationaler Symbole.
BOLIVIA Y SU FOLKLOR una marabilla, inmensurable de nuestro planeta tierra.
(YOUTUBE)
BOLIVIA IS THE BEST PLACE IN THE WORLD (YOUTUBE)
PERU es lo maximooooooooooooo (YOUTUBE)
bolivia? ,un pais con el mas hermoso cultuur. un pais con el mas mejor musica boliviana.
bolivia un fantastica hermoso pais (YOUTUBE)
Bolivia es lo mas bello de este planeta (ADRIANA, 04.03.08)
peru es un pais pobre no tienen nada nosotros tenemos mucho petroleo somos los mayores
vendedores de gas en sud america, los peruanos lo unico que venden sons sus mujeres
asquerosas como la tigresa mal oliente, las agua estancada, las muy chanchitas del amor.
Peruanos mejor vayan a bailar en baile del gorila. Que todo el mundo sabe que son
simios asquerosos come ratas y palomas. Que asco da ser peruasno los repudio de
corazon. (YOUTUBE)
DE BOLIVIA PARA EL MUNDO ENTERO, con MUCHO AMOR LOS INVITAMOS
AL CARNAVAL DE ORURO BOLIVIA OBRA MAESTRA DEL PATRIMONIO
ORAL E INTANGIBLE DECLARADA POR LA UNESCO EL AÑO 2001, MUCHOS
PAISES QUIEREN APROPIARSE DE UNA CULTURA QUE NO LES PERTENCE
Y CON EL PRETEXTO DEL ALTO PERU Y BAJO PERU QUIEREN JUSTIFICAR
UN PLAGIO DESCARADO COMO DICE CLARAMENTE EN SU ESTUPIDO Y
SINVERGUENZA COMENTARIO ESTE TIPO PERU FOLCLORE NO SIRVE
ESTA CULTURA ES DE BOLIVIA Y DE NINGUN LADO MAS.
ORURO - BOLIVIA, para el mundo los invitamos al CARNAVAL MAJESTUOSO DE
LA BELLA BOLIVIA, EL CARNAVAL RECONOCIDO A NIVEL MUNDIAL
COMO OBRA MAESTRA DEL PATRIMONIO ORAL E INTANGIBLE DE LA
HUMANIDAD, ESTA ES UNA MUESTRA DEL BELLO FOLCLORE DE BOLIVIA
UNICA Y VERDADERA LOS INVITAMOS CON EL CORAZON ABIERTO.
Überschwängliche Liebesbekundungen zum eigenen Land finden sich ebenfalls:
TE AMO BOLIVIA SIEMPRE ESTARE
AMOOOOOOOOOOOOOOOOO (YOUTUBE)
CERCA
TUYOOOOO
.....TE
GOD BLESS YOU BOLIVIA my AWESOME COUNTRY I LOVE YOU NOW AND
FOREVER MY ONLY ONE DREAM IS BACK TO MY ROOTS TO MY
HOMETOWN CITY COCHABAMBA BECAUSE COCHABAMBA IS LIKE A
HEAVEN IN THE EARTH I LOVE YOU MY BOLIVIA. (YOUTUBE)
Dass das Tanzen als Ausdruck dieser Landesliebe betrachtet werden kann, verdeutlicht
LAURA:
El cargar un traje pesado como los de la morenada, es cumplir una promesa de amor por
nuestra patria (LAURA, 05.03.08)
Neben nationalistisch motivierten Beschimpfungen lassen sich auch Beispiele für den
103
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
erwähnten kulturell bzw. schichtspezifisch determinierten Rassismus finden (vgl. Balibar
1991 in Eriksen 2000: 52). Wie ich nach der Identifikation einiger YouTubeAktivistInnen bemerken konnte, kommt es hier durchaus vor, dass sich dann zwei als
Kleinkinder ausgewanderte bolivianische MigrantInnen india/o, colla/o oder chola/o
schimpfen, obwohl es diese „Ethnien“ in ihrem Lebensumfeld vermutlich gar nicht bzw.
nur als Imaginationen gibt und obwohl sie offenbar nicht einmal genau wissen, was
damit überhaupt gemeint ist.
Compatriota tu ???? ajajaj Los Cochalos, Los Pacenos, Los cambas tambien no queremos
mucho a los collas. No molestes colla. Ni Perucha puedes ser. Eso seria insultarles a ellos.
Pregunta a quen queras. Ya para de molestar colla. Nunca me avergonzare de mi pais.
Y nunca compartire mi tierra ni mi nacionalidad con racistas. Vos eres Collinga pero las
puras. Chau colla.. (YOUTUBE)
SIII que VIVA EL PERU LA MIERDA DE LOS INKAS KARAS DE KULO Y
QLIAOS
POR
LA
MADRE
NATURA
HIJOS
DE
CHOLAAAAAAAAAAAAAAAAAA HEDIONDAS HIJAS DE PUTAAAAAA
MECA O CACA DE LOS INKAS KARAS DE PIEDRAAAAAAAA COMO EL
INKA7YUPANQUIIIIIII.
a este pobre indio cholo peruano awenao no le den chokolate porke por negro se muerde
el dedo el weon.
por q no te vas a la mierda india altiplanica cara de llama?
Immer
wieder
kommt
es
zu
Solidaritätsbekundungen
und
symbolischen
Schulterschlüssen auslandsbolivianischer PosterInnen, die häufig vom Aufruf, „lo
nuestro“ und damit die eigene Identität zu verteidigen begleitet werden.
Siempre defendamos lo nuestros con garras y dientes! (YOUTUBE)
subamos videos de danzas bolivianas a youtube para defender lo nuestro!!!
(FACEBOOK)
Me parece de suma importancia que tomemos conciencia de lo que tenemos, que nos
informemos y defendamos con buenos argumentos la pertenencia de estas danzas a
Bolivia. (FACEBOOK)
segun la ley de derechos de autor el folklore cuando es de autor anonimo es patrimonio
de la nacion, no se en que instancia se puede defender eso, asumo que ante la
organizacion mundial de propiedad intelectual y en bolivia esta protegido el folklore por
la ley de derechos de autor. (FACEBOOK)
eso mi mabelinha enseñemos a los peruchos a defender nuestras danzas a capa y espada
dale adelante con la lucha. (YOUTUBE)
Eine flaming war-Aktivistin richtete zu diesem Zweck sogar ein elektronisches
Petitionsforum ein, das ebenfalls zur Verteidigung von „lo nuestro“ einlädt.
104
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
DIGANLE NO A LA PIRATERIA PERUANA! (FACEBOOK)
No permitiremos que otra gente se de meritos que no les corresponde. (FACEBOOK)
Um dem unbefugten Zugriff Einhalt zu gebieten, wird von beiden Seiten angeregt, die
Tänze patentieren zu lassen, eine Idee, die Anklang findet.
HAY QUE HACER ALGO, TENEMOS QUE PATENTAR NUESTRAS DANZAS!
(FACEBOOK)
Es algo que se debería haber hecho hace mucho tiempo para que peruanos y chilenos
dejen de decir que es de ellos cuando ni siquiera saben la historia de sus origines, lo cual
da que pensar si lo bailas deberías saber el origen del baile verdad (AURELIO,
10.05.08)
me parece buena la idea de recuperar nuestra identidad, esas danzas son nuestras son
parte de nuestra historia y hay que defenderla a como de lugar!!!
Die solcherart angegriffenen PeruanerInnen sehen hier allerdings eher die Schaffung
von Identität durch die Identifikation eines gemeinsamen Feindes:
Pasa q los bolivianos están tratando de encontrar una identidad común q no
tienen (Aymaras contra cambas, etc.) y a algún "genio" del servicio de
"inteligencia" de "Evo Chavez" se le ha ocurrido q la mejor manera de unificar a
un pueblo es creándole un enemigo común... sólo q han escogido un tema
bastante cojudo q es el origen de los bailes e instrumentos andinos.
Gemäßigte PosterInnen versuchen die erhitzten Gemüter immer wieder mit dem
Hinweis zu beruhigen, dass die Tänze doch ein Teil der kulturellen Gemeinsamkeiten
der gesamten Andenregion seien, was aber meist nur erzürnte Repliken zur Folge hat.
Q UE COMPRATAMOS EL LAGO NO QUIERE DECIR QUE NUESTRAS
DANZAS BOLIVIANAS SEAN DE LADRONES PERUAnos QUE TODAVIA TAN
FEO BAILANNNNNNNN (YOUTUBE)
Eines der Argumente, warum die bolivianischen Tänze in Wirklichkeit Peru
zuzurechnen wären, ist die Tatsache, dass Gebiete des aktuellen bolivianischen
Nationalstaates früher Teil des Inka-Reichs Tawantinsuyu bzw. des kolonialen
Vizekönigreichs Alto Perú waren. (PeruanerInnen identifizieren sich hier oft und gerne
mit den Inka.) Argumentiert man mit Baumanns Grammars of Identity/Alterity (vgl. 2004:
25 ff), dann liegt hier ein eindeutiger Fall von encompassment vor: Bolivien wird als
kleiner Teil des mächtigen altperuanischen Reichs dargestellt, als Kind oder auch als
kleiner Bruder, der vernünftig werden sollte und endlich auch einsehen möge, dass er zu
einem viel größeren Ganzen gehört, in dem sich die von bolivianischer Seite
105
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
postulierten Differenzen auflösen.
jajaja, en esa epoca eramos tahuantinsuyo y bolivia era parte del perú, si la diablada es
de uds chevere felicitaciones linda danza igual q la saya, paren de pelear y vamos a
bailar.. (YOUTUBE)
Las danzas que supuestamente son "exclusivas" de Bolivia le pertenecen al altiplano en
general porque cuando secrearon bolivia no existia, era el alto Peru o El alto Argentina,
es por eso que esas danzas se difundieron en todo el altiplano como si fueran de un solo
pais o estado. (YOUTUBE)
si recuerdas bolivia era el alto Perú asi q en todo caso nosotros le dejamos nuestra cultura
a ustedes ... (YOUTUBE)
jajajaja digan lo q digan esta en le historia fueron parte del PERU salieron de nuestro
territorio... son nuestros hijos (YOUTUBE)
Una parte de Bolivia fue en algun momento una parte del Peru en la epoca del incanato,
y mas adelante tambien en la epoca del virreinato. Es por eso que no entiendo la pelea,
renegar de los incas, los cuales tambien son en parte el origen de los Bolivianos? Yo soy
peruana y no estoy? de acuerdo con los comentarios acidos de los bolivianos pero
tampoco con los de los peruanos. (YOUTUBE)
Un poco de historia gente de Bolivia,el Perù es grande y esa grandeza les ha ayudado a
ustedes a ser un pais en la actualidad. (YOUTUBE)
finalmente de proseguir insultandonos mejor es que se atengan a conocer la verdadera
historia de como su pais existe y de como deberian agradecernos a Perú por todo lo que
hemos hecho por ustedes (YOUTUBE)
yo creo que Bolivia tienen un caso bastante especial, si nos remitimos a lo que es la
historia. Bolivia se ha formado desde el siglo dieciocho, antes de eso pertenecía al
virreinato de la Plata, al virreinato del Perú y la parte de lo que era precolombina,
aunque no estoy muy enterada de ese lado, pero a estos dos virreinatos estaban divididos,
y ya cuando hubo los procesos de independización es cuando se forma Bolivia (GLORIA,
16.03.08)
Naturgemäß stößt diese Argumentation auf wenig Gegenliebe bei den BolivianerInnen,
die auf der Unabhängigkeit ihres Landes bestehen.
BOLIVAR NOMBRO A BOLIVIA SU HIJA PREDILECTA POR ALGO LA
SEPARÓ DEL PERU PORQUE SEGURO BOLIVAR SE LA OLIO Y DIJO ESTOA
PERUANOS SON MALEANTES Y NO QUIERO QUE MI HIJA PREDILECTA SE
JUNTE CON ESTOS HIJOS DE PUTA CHOROS Y MARICAS POR ESO AHORA
ES BOLIVIAAAAAAAAA. (YOUTUBE)
hey Frankar11,antes que altoperu, Bolivia era La real audiencia de charcas,antes de eso
era Collasuyo y mucho antes Tiahuanaco,la region andina de Bolivia,eso de altoperu fue
imposicion de los malparidos espanoles,che lee pues historia. (YOUTUBE)
Somos un pais independiente nuestra que creo su propio folklor asi que deja de joder
porque la mayoria de las danzas nacieron despues de la colonia (YOUTUBE)
BOLIVIA NUNNNNCA FUE PARTE DE PERU, se nota que reprobaste jaja, EL
HECHO DE QUE AMBOS TERRITORIOS LLEVABAN LA MISMA PALABRA,
NO LOS UNEN, ADEMAS QUE ESOS TERRITORIOS PERTENECIAN A
106
Eveline Sigl
ESPANHA!! NUNCA
(WEBSEITEN)
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
JAMAS
FUIMOS
UN
PAIS
DIOS
NOS
LIBRE!
Der angenommene Entstehungszeitpunkt und -ort der Tänze Caporales, Morenada und
Diablada ist insofern von großer Relevanz für den Streit, als er je nach Ausgangsposition
eher in der Kolonialzeit oder in der Zeit nach Boliviens Unabhängigkeit (1825)
angenommen wird und so eine Basis für die Eigentumsansprüche darstellt.
en Territotio del virreynato del Peru,por lo tanto es peruana!!no de republiquetas como
bolivia q' es de ayer!!! (YOUTUBE)
se origino en la antiquisimaOruro colonial DEL VIRREYNATO DEL PERU""el
nombre de bolivia ni en sueños se imaginaba!!! (YOUTUBE)
siempre ha existido en los puneños y en los peruanos, un pais q en definitiva es la cuna de
este genero puesto q en el virreynato abarco buena parte de sudamerica incluido chile y
argentina. (YOUTUBE)
Cuando estas danzas se crearon ¡NI SIQUIERA EXISTÍA LA PALABRA BOLIVIA
(El disociador masón pro-inglaterra Simón Bolivar no los había inventado aún).Ustedes
eran collasuyo y después Alto Perú!. (YOUTUBE)
Por favor no se agarren de la ridicula idea de el Alto Peru, La diablada de raices
bolivianas nada tiene que ver con Peru.... (YOUTUBE)
claro de echo la diablada nacio en oruro eso sin discutir . la diablada nacio en los
tiempos en q oruro era parte del virreynato del peru- el alto peru junto a ala paz y otros
pueblos y ciudades o no.?? (YOUTUBE)
un 30% de danzas q ahora ustedes tienes como patrimonio nacio vajo el virreynato del
perù despues el peru les dio su pedaso de terreno para q formaran bolivia en honor a
bolivar o me equivoco.? (YOUTUBE)
BAILES NACIDOS EN LUGARES ESPECIFICOS DE BOLIVIA, nada de peru,
nada de puno!!! (YOUTUBE)
Bemerkenswert ist dabei, dass nicht nur Peru (in Bezug auf Bolivien), sondern auch
Bolivien (in Bezug auf Chile) mit dem „Territorialitätsprinzip“ argumentiert: Was auf
einst peruanischem/bolivianischem Boden entstand, das gehört zu Peru/Bolivien, auch
wenn sich die Landesgrenzen später verschoben haben. Der (in Bolivien schon während
der Schulzeit geschürte) und im Internet immer wieder heftigst ausgedrückte Hass auf
Chile hat seine Wurzeln im Pazifik-Krieg von 1879, bei dem Bolivien das Bundesland El
Litoral und damit den Zugang zum Pazifik verlor. Dieser Verlust wird nicht nur jährlich
mit dem Día del Mar (Tag des Meeres) zelebriert, sondern ist auch nach 129 Jahren
immer wieder Teil von bilateralen Verhandlungen zwischen den beiden Staaten. Wenn
ChilenInnen ihre Aufführungen von Morenada und Diablada damit argumentieren, dass
107
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
diese Tänze einfach zu einer gemeinsamen Kulturregion gehören, dann heisst es
regelmäßig: „Gebt uns unser Land zurück, dann reden wir über Gemeinsamkeiten!“
Oder: „Zuerst nehmt Ihr uns unser Land weg, jetzt auch noch unsere Kultur!“
A Y TALVEZ ALGUN DIA PODRIAMOS ESTAR HABLANDO DE HERMANDAD
CUANDO NOS DEVUELVAN EL MAR ......... APARTE Q NOS ROBAN
TERRITORIO UFFFFFFFFFFFFFF AHORA QUIEREN CULTURA!!!!!!!!!!!!!
(FACEBOOK)
Chilenos usurpadores devuelvan lo que por historia jamás les perteneció, (YOUTUBE)
claro, cuando se trata d robar, recien hablan d q compartimos cultura... (YOUTUBE)
chilenos dejen de robar nuestra cultura caraxo, (YOUTUBE)
POBRE BOLIVIANOS MUERANSE DE SET JAMAS TENDRAN SALIDA AL MAR
(YOUTUBE)
In den online Befragungen gab es relativ wenige (dann aber meist ebenfalls negative)
Statements zu dieser Problematik, was ich vor allem darauf zurückführe, dass es sich
hier um ein „heikles“ Thema handelt, zu dem man sich als namentlich bekannte
InformantIn nicht so leicht Fremden gegenüber äußert.
¿Cúal es tu opinión cuando ves bailar Caporales y Morenada en Perú o Morenada
y Diablada en Chile? Sinceramente NO me gusta. Primero, porque distorsionan los
pasos de baile, segundo los trajes, tercero la musica. Y por ultimo nunca reconocen q las
danzas son originalmente bolivianas. Es mas, no reconocen los anios de labor para
llegar hasta hoy en dia, siguiendo una constante evolucion de nuestras danzas, solo
buscan excusas diciendo q los bailes tambien son de ellos porq compartimos un pasado
comun. (LAURA, 05.03.08)
Por un lado me siento orgullosa, por que demuestra la fuerza,el poder del folclore
boliviano, la mágia, asi que otros pises tambien quieren representar y lucirce con el.
Entiendo a los Peruanos, puesto que Bolivia y Peru fueron un solo país antes , aunque
claro que el baile del Caporal salio mucho más tarde y es neto Boliviano y ahi por
unaparte me da rrabia cuando lo presentan como baile propio de ellos. En cuanto a los
Chilenos me da rrabia, puesto que solamente robaron todo, lo hacen verschandeln (
solamente hay que ver cuando bailan Diablada...) lo representan muy mal y encima
todavia lo „venden“ como propio,orriundo de ellos (ROXANA, 27.04.08)
Dass der „Besitz“ der Tänze sehr wohl auch in den auslandsbolivianischen Tanzgruppen
zu Sticheleien und Kontroversen bis hin zu offenen Feindseligkeiten und der
Weigerung, TänzerInnen bestimmter Nationalitäten in die Gruppe aufzunehmen, führen
kann, ist klar. In manchen Gruppen spielt der Streit hingegen deshalb keine Rolle, weil
die TänzerInnen nur wenig über die Entstehung der Tänze wissen, sich auch nicht
sonderlich dafür interessieren bzw. nicht über die Thematik gesprochen wird (u.a. um
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Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Konflikte zu vermeiden, wie einige InformantInnen vermuten). Zumindestens offiziell
sind in den meisten Gruppen alle Interessierten willkommen – solange sie die
„Eigentumsrechte“ Boliviens an den Tänzen anerkennen. Viele BolivianerInnen drücken
dabei zwar ihre Freude darüber aus, dass „ihre“ Tänze international so gut ankommen,
dass sie auch Angehörige anderer Nationalitäten tanzen, doch auch hier steht immer
wieder die Sorge um Verunstaltungen und die Nennung des Ursprungslandes im
Mittelpunkt.
People in other contries may dance it as much as they want but please accept/respect that
Caporales is from Bolivia even though the dance is developing in diffrent styles all over
the world. (YOUTUBE)
.a nosotros no nos molesta que lo bailen lo que no molesta es que anden diciendo a medio
mundo que los caporales es de Peru..es como el tango de argentina todo mundo lo baila
pero tambien todo mundo sabe que es de argentina (YOUTUBE)
acá nadie dice que no usen los disfraces o que no bailen puden bailar hasta en el Polo
Norte, pero lo unico que se está reclamando y lo vamos a seguir haciendo es que POR
FAVOR SE RESPETE SU ORIGEN BOLIVIANO POR QUE ES BOLIVIANO ESO
ES LO QUE PEDIMOS RESPETO A SU ORIGEN. (YOUTUBE)
... also tanzen können sie es überall, von mir aus in Japan, von mir aus…[...] Nur ist es
die Frage wie definieren sie dann den Tanz, von wo kommt er, was er jetzt aussagt und
solche Sachen. [...] Es muss immer gesagt werden von wo es genau kommt. (VERA,
11.02.08)
Creo que hay un gran debate acerca de la interpretación de las danzas Bolivianas por
estos dos países. Dicen que la imitación es el cumplido más grande. Que las interpreten
no es problemático, que las presenten como propias lo es. (RUTH, 16.04.08)
A mi personalmente, no me molesta que los chilenos bailen danzas bolivianas siempre y
cuando reconozcan el lugar de origen del baile. (MARCELA, 24.04.08)
Para mi el caporal , morenada es de bolivia y se hizo famoso en Bolivia en el carnaval de
oruro , ahora que paises como chile , peru lo bailen tambien no hay nada de malo , pero
hay que respetar su origen del baile. (FEDERICO, 06.05.08)
allowing others to participate in our culture can only promote and expand it. [...] Now as
far as taking credit for the roots. Well that is an individual responsibility, like
downloading music from Limewire. (GEORGE, 02.04.08)
Die viel geschmähten ChilenInnen beharren meist zwar auf ihrem durch Tradition,
Migration und Staatengeschichte gewachsenen Recht, diese Tänze vor allem beim
Festival von La Tirana aufzuführen, reklamieren sie entgegen der anders lautenden
Beschuldigungen und im Gegensatz zu den peruanischen PosterInnen nie als
„Eigentum“.
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Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
nunca hemos dicho que la diablada es nuestra es mas encontramos que su folclore es muy
hermoso y mas que todo lo interpretamos con devocion algunas virgenes de la zona,
(YOUTUBE)
El baile de la Diablada lo he visto siempre cuando voy a la fiesta de La Tirana, pero
también sé que sus orígenes son de Bolivia – Oruro. (YOUTUBE)
Diablada partenece a la cultura folclorica BOLIVIANA , pero! atencion la fiesta de la
TIRANA es una fiesta organizada por gente con origen de Bolivia que quieren reconocer
la diablada pero no pertenece al folclor Chileno , solo es que se baila algo parecido en la
zona nortena chilena , pero pues nadie ha dicho que es una danza chilena , el que lo dice
es muy ignorante , y es alguien que sabe nada de nada , yo se que es de Bolivia y yo lo
bailo con orgullo en la lejania de sud america (YOUTUBE)
he tenido oportunidad de ver el carnaval de Oruro,majestuoso e impresionante,danzas
maravillosas y por demás está decirlo todo es original de Bolivia,yo no le discuto eso a
nadie. (YOUTUBE)
Damit bleibt die Zugehörigkeit der Tänze zur ethnischen Gruppe der BolivianerInnen
klar: Die Tänze sind sowohl innerhalb Boliviens als auch in den bolivianischen
Diaspora-Gemeinschaften in Norden Chiles Teil der bolivianischen Kultur. In Bezug auf
die Bevölkerung Nordchiles heisst das aber auch, dass diese aufgrund ihrer Abstammung
als ethnisch anders eingestuft wird.
Die Zugehörigkeit zu Peru wird hingegen eher im Sinne von Hobsbawns invented
traditions (vgl. 1993 [1983]: 1 ff) und Nashs „immer schon Dagewesenen“ (1996 [1989]: 27)
bzw. mit der starken Verbreitung argumentiert:
estas danzas se bailan en Puno de toda la vida, y siempre ha existido en los puneños y en
los peruanos, (YOUTUBE)
sienten que por haber bailado así desde que tienen conciencia de existir el baile les
pertence (FACEBOOK)
nuestros hermanos bolivianos se atribuyen su origen porque alla tomó mucha fuerza su
difusión (YOUTUBE)
Für manche PeruanerInnen besteht jedoch kein Grund für den Streit, da der
bolivianische Ursprung und damit die Zugehörigkeit des Tanzes völlig klar ist:
que yo sepa ,nadies q, conosco dice eso a lo contrario yo y unas amigas somos fans
numero uno y me emcanta el baile y lo reconosco q, es de bolivia, a ya com la gente q, no
esta informada q, diga q, es de peru. y si esta mal, pero no me parece q, este mal q, lo
bailemos (YOUTUBE)
no se por que tanta innorancia ...no hay ningun peruano que dice que la sayas o
caporales es nuestra ............tenemos nuestra musica que uds lo bailan al igual que
bailamos sayas y caporales .......... (YOUTUBE)
110
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
TODO EL MUNDO SABE QUE LA SAYA , CAPORALES , TINKUS, ETC ES DE
BOLIVIA Y SE ACLARA MUY BIEN EN LOS CONCURSOS QUE SE REALIZAN
(YOUTUBE)
Außerhalb Boliviens scheint der „Tanzkonflikt“ vor allem für MigrantInnen erster
Generation wichtig zu sein; bereits im Ausland geborene TänzerInnen messen der
Besitzfrage meist keine allzu große Bedeutung bei und finden derartige Diskussionen
eher bedauerlich. Meine Beobachtungen korrelieren hier mit den Ergebnissen von Hall
(2004: 201, 209) und Baumann (1996: 157, 190), die ebenfalls feststellen, dass die
Bedeutung prä-immigratorischer Werte und die Loyalität gegenüber diesen in den
nachfolgenden Generationen abnimmt.
Und es gab halt schon Streitereien, und deswegen sind sie auch gegangen und… eher
sogar eher die Peruaner haben sich eher darauf eingelassen und gesagt, ja hey, dass ist
doch nicht so schlimm, egal von wo jetzt die Tänze sind, wir machen sie. Oder, … aber
sie haben einfach darauf beharrt dass es von dort und es war öfter so bei den Proben,
dass es Streiterei dann gewesen, was eben traurig ist. Weil anstatt dass man sich
versöhnt oder irgendwie auf eine grünen Zweig kommt muss man sich streiten, das find
ich nicht so toll. [...] Es ist schön, es sind schöne Tänze, egal von wo. Nur es war eben so
traurig, dass gerade die Bolivianer, die wir hatten, so verschlossen waren und gesagt
haben „nein….“ (VERA, 11.02.08)
Und das waren halt alles Bolivianer und das muss man halt irgendwie auch sagen, die
halt in erster Generation hier sind und auch kaum Deutsch sprechen und sich auch nicht
so richtig integriert haben. Und die hatten zum Beispiel ein ganz großes Problem damit.
Und die wollten auch keine Peruaner in der Gruppe haben. Es hat eigentlich
angefangen damit, dass sie Peruaner hatten und dann irgendwie Deutsche. Und die
Deutschen die waren halt irgendwie zu akzeptieren, weil wir ja hier in Deutschland
sind. [...] Aber als dann irgendwie andere Latinos kamen ... das war schwierig für die.
Also zum Beispiel Peruaner waren nicht zu akzeptieren und dann halt auch noch das
Problem zwischen Peruanern und Bolivianern. Das sind unsere Tänze und die dürfen
diese Tänze nicht tanzen, das sind unsere Tänze. Es gab da schon ganz schön Krach.
[...] ich denke einfach, man sollte sich da nicht so haben. Wir haben irgendwie den
selben Ursprung, die ganzen Völker haben sich gemischt und ich denke, die Tänze gehen
halt auch weit in die Vergangenheit zurück. [...] und von daher find ich das irgendwie
ein bisschen Pipifax, dass man sich da so drum streitet. (VANESSA, 15.03.08)
In der Diaspora, die gemischt nationale Gruppen oft alleine aufgrund der mangelnden
Größe der einzelnen Gemeinschaften notwendig macht, dürfte das Interesse aller
Beteiligten,
die
Gruppe
nicht
auseinanderbrechen
zu
lassen,
die
nationalen
Animositäten meist überwiegen. Das Problem existiert zweifellos, wird aber durch die
Migrationssituation und die pan-ethnische Identifikation mit der Gemeinschaft der
MigrantInnen abgeschwächt und eher in Neckereien sublimiert.
111
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
yo no diría discusiones, yo creo que no se atreven, pero sobre todo hay mas bien una
punta de...como decirte; de sarcasmo, de reivindicación, entre broma y broma hay
alguno que otro que si, pero también o los peruanos o los chilenos no?- Y en Puno
también bailamos la morenanda-, y bueno a mi siempre se me sale o a algún
compatriota, bueno hay que expresarles y así; si por eso vienen y bailan con nosotros
porque la verdad no es de quién es, si no quién lo representa y quién lo simboliza de
manera de alto nivel como nosotros. [...] Entonces hay ese tipo de bromas pero no
discusiones existenciales sobre ese tema. (FRIDA, 13.03.08)
No no hay tanto eso, siempre es difícil saber, siempre dicen no! que el caporal es peruano,
pero nosotros sabemos no es peruano imposible, así responden los bolivianos pero es que
a veces hacen chistes bromas todo el rato, bromas y bromas, a veces entre broma y broma
dicen, a no que no se que que no se cuanto, entre broma y broma a veces se ríen más bien
por esa pelea, pero para mí está claro que no es peruano sino boliviano. (ROSARIO,
15.03.08)
yo hasta ahorita personalmente no he tenido algún problema que hayan venido
directamente y me hayan dicho o acusando no? oye los peruanos o cosas así, si las he
leído pero una sola vez creo alguien me dijo oye los peruanos lo están ocupando todo que
no se cuanto que no se qué pero siempre lo he intentado llevar con honor o intentando
como se dice remontarme a lo que era un poco la historia (GLORIA, 16:03:08)
Wenn
diese
schwelenden
Konflikte
hervorbrechen,
kann
es
sogar
zu
Handgreiflichkeiten kommen: In Wien wird auch Jahre später noch von der Schlägerei
zwischen BolivianerInnen und PeruanerInnen berichtet, der durch die „Besitzfrage“
ausgelöst worden war und bei dem sogar die Polizei einschreiten musste (persönliche
Mitteilung mehrerer in Wien ansässiger BolivianerInnen und PeruanerInnen). GLORIAs
Erzählung deutet ebenfalls auf die Relevanz des „Tanzkonflikts“ im Ausland hin:
en Hamburgo hubo un problema porque hubo un grupo peruano que bailó la diablada y
que ganó el carnaval de las culturas y se levantó una polémica porque los grupos
bolivianos, algunas personas bolivianas estaban diciendo que cómo los peruanos podían
presentarse con un baile boliviano y ganar un concurso no? Pero habían presentado
diciendo que era una danza peruana o dijeron que era una danza boliviana? La verdad
es que yo no sé exactamente con que baile han dicho que se presentaron, porque yo en
algún momento entré a la página web de los organizadores del carnaval de las culturas
en Hamburgo, y decía: danza de Latinoamérica y después decía grupos
latinoamericanos con danzas bolivianas, entonces no sé si eso estaba antes que haya el
concurso o lo cambiaron después del concurso. Porque eso ya no aparece en la página
web. (GLORIA, 16.03.08)
Ein vor allem auf YouTube sehr präsenter Aspekt des „Tanzkonflikts“ ist die
vergleichende Wertung, die mit dem von Moosmüller (2002: 19) thematisierten „BesserSein“-Müssen als emotionales Schutzschild der Diaspora zusammenhängen dürfte. Vor
allem die nicht in Bolivien lebenden flaming war-AktivistInnen stellen in dieser
112
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Diskussion oft die Exzellenz und Qualität des Eigenen in den Vordergrund. – die
Anderen „verschandeln“ die Tänze, man selbst wäre also einfach „besser“ als die
Anderen, die sich in Wirklichkeit ihrer eigenen, minderwertigen Kultur schämen
würden und es deshalb nötig hätten, das Original zu kopieren.
no tienen cultura por eso mueren por bailar lo nuestro (YOUTUBE)
SOBRE TODO SE NOTA QUE SE AVERGUENZAN DE SU CULTURA
(YOUTUBE)
jajajaj komo les arde k los peruanos bailen mejor su cultura k tanto llorikean
diciendondonos rateros pork saben muy bien k nosotros lo bailamos mejor (YOUTUBE)
nuentras peruanas lindas la bailan mejor que las bolivianas (YOUTUBE)
fijate como bailan no tienen estilo lo hacen como si estuvieran bailando en una fiesta
social no como lo hace uno de PERU... (YOUTUBE)
LO ORIGINAL OSEA DE LO BOLIVIANO NO SOLO SE NOTA,,, SE SIENTE Y
ESO JAMÁS NINGÚN COPIÓN PODRÁ CAMBIARLO:) (YOUTUBE)
Buenisimo Gracias por Promocionar, PeruASnos... se les agradece y por fomentar
nuestra cultura, en vez que la suya... (YOUTUBE)
HERMANOS BOLIVIANOS GRACIAS POR DIFUNDIR LA CULTURA Y
TRADICION PERUANA (WEBSEITEN)
si son tan dueños de lo ajeno vayan a ver sus videos truchos que son dignos de circo es un
chiste ver a muchos payasos y monas peruanas imitando algo que no es suyo
(YOUTUBE)
!!! Bolivia imitada pero nunca Igualada !! (YOUTUBE)
La Danza de la Diablada es original del departamento de Oruro Bolivia. Caulquier
parecido que usted haya visto en cualquier otro lugar es pura imitacion. (YOUTUBE)
la diablada es de Bolivia y no de esos putos chilenos q nos quieren imitar con esa cagada
a la q la llaman tirana o algo asi (YOUTUBE)
ABAJO LA PIRATERIA PERUANA,
ABAJOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOO una pirateria muy barata :) lo original
es lo que cuenta. (YOUTUBE)
Muy bien dicho, nunca habia visto algo tan ridiculo, colocan hasta musica romantica al
inicio esto no es la danza del Lago de los cisnes ni la danza del raton peres. Son
caporales de Bolivia, peruanos dejen de descestilizar nuestro baile y si lo bailan haganlo
bien. (YOUTUBE)
Los caporales son lo mejor que tiene Bolivia y dejen peruanos de mierda de copiarnos
aunque quieran ser buenos caporales nunca lo seran porque ustedes no les llegan ni a los
talones a lo caporales de Bolivia (YOUTUBE)
6.3.4
Regionalismen – Cambas und Collas
Collas und cambas sind fiktive Super-Ethnien, die sich durch Name, Kultur,
113
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
(Aus)Sprache bzw. Dialekt (bezogen auf Spanisch und auf die indigenen Sprachen),
Geschichte und Abstammung voneinander abgrenzen. Die Einteilung in collas (Quechua,
Aymara und die übrigen indigene bzw. mestizische Bevölkerung des Altiplano) und
cambas (Guaraní, kleine Ethnien des Amazonas und der Chaco-Region sowie TieflandMestizInnen) wird nicht nur als Eigen- und Fremdzuschreibung
wirksam, sondern
findet seinen Ausdruck auch in den regionalspezifischen Tänzen. Morenada, Diablada
und Tinku (um nur die allerpopulärsten zu nennen) werden eindeutig dem Hochland
zugerechnet, während sich die „Nación Camba“ mit Tänzen wie Taquirari, Chovena und
Macheteros
repräsentieren
lässt.
Die
mittlerweile
seit
Jahren
schwelenden
Regionalkonflikte und Separationsbestrebungen des Tieflands werden in den YouTubeTanzvideo-Kommentaren
häufig
thematisiert
und
auch
Interview-PartnerInnen
berichteten von regional motivierten Konflikten in ihren Tanzgruppen.
Trotz
intensiver
Internet-Recherchen
konnte
ich
nur
eine
einzige
auslandsbolivianische Tanzgruppe ausfindig machen, die sich auf Tiefland-Tänze
spezialisiert hat und nur diese zeigt. Auch auf YouTube sind die Tänze des Oriente im
Vergleich zu denen des Altiplano stark unterrepräsentiert, was ein weiterer Grund für die
zahlreichen regionalpatriotischen Kommentare und flames sein könnte. Besonders
interessant erscheint mir bei diesen Video-Kommentaren die wiederholte absichtliche
Ersetzung des Buchstabens s durch j, um die im Tiefland übliche Aussprache
anzudeuten: Ein gutes Beispiel für die in der Cyber-Theorie diskutierte Personalisierung
des Wortes (vgl. Boyd 2006 in URL 4, Bräuchler 2005: 35, Baym 2000: 169, Kivits 2005:
40) und die phonetische Abbildung eines Ethnizitätsmarkers.
vIVA SANTA CRUZ, MUERA BOLIVIA! (YOUTUBE)
Fuerza cambas carajooo y q viva Santa Cruz y Oriente Petrolero lo maj grande !
(YOUTUBE)
Cambaj por siempre donde ejtemoj!!!!!!!!!!!! (YOUTUBE)
[...] nos hemos separado completamente. En el primer carnaval hace cinco años habían
cambas y collas juntos en el carnaval que bailamos caporales, pero las cosas se han… no
sé me parece que los bolivianos tienen talento como para pelearse, porque hubo mucha
preparación y pelearse por detalles tontos como el puesto en el carnaval, o sea decir
quién va adelante quién va atrás, tonterías así y por eso hubo una separación entre colla
y camba luego lo mismo entre los collas hubo separaciones y ahora está así, está frio
entre colla y camba porque los cambas en el carnaval bailan ellos a parte de y gritan
independencia, me parece tan tonto, aquí en Suiza no tiene ningún sentido que sigan con
esas tonterías pero bueno. (ELISABETH, 24.03.08)
114
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
el k iso esto seguro k debe ser colla!!!!, por k no puso un unos dos bailes de santa cruz de
la cierra k vivan los cambas ·"""""" AUTONOMIA CARAJO"""""""* (WEBSEITEN)
la danza de santa cruz no nos sirven para nada ni es cultura boliviana por que crees que
no hay nada de la mierda de santa curz (WEBSEITEN)
a mi parecer no nos entendemos ninguno de nosotros los cambas y los collas en espesial
(YOUTUBE)
son la verguenza de bolivia collas de mierda parecen poaridos por la misma mierda
VIVA SANTA CRUZ LA NUEVA REPUBLICA (WEBSEITEN)
Die online Befragten gingen kaum auf die erwähnten Regionalkonflikte ein, was sicher
mit der großen politischen Brisanz des Themas zu tun hat. Sofern sie das Thema
überhaupt berührten, bemerkten die InformantInnen meist nur, dass in ihrer Gruppe
neben den dominanten Tänzen des Altiplano auch einige Tiefland-Tänze gezeigt würden
bzw. dass die BolivianerInnen endlich geeint werden müssten und solche Regionalismen
im Ausland überhaupt keine Berechtigung hätten.
o sea un paceño o un camba con una chica camba que estamos, no hay una pelea
digamos. Nos llevamos bien y la región no es tan importante (SIMÓN, 07.03.08)
TENEMOS GENTE DE TODO BOLIVIA PERO NUNCA VIENE AL TEMA QUIEN
ES DE DONDE. (TOMÁS, 10.04.08)
No debería haber haber diferencia alguna ya que todos venimos de la misma tierra
boliviana y es una vergüenza que gente que no aprecie lo suyo quieran hacer diferencias
entre hermanos que somos (AURELIO, 10.05.08)
Bolivia es Bolivia, somos hermanos/hermanas, no hay una valida razon que dura para
competir ante nosotros mismos hijos de Bolivia. (ALEJANDRO, 05.03.08)
Auch im Internet gibt es immer wieder Aufrufe oder Bekenntnisse zur bolivianischen
Einheit:
NO SOY CAMBA NO SOY COLLA NO SOY CHAPACO SOY "BOLIVIANO" C.
(WEBSEITEN)
BOLIVIANOS UNIDOS JAMAS VENCIDOS!... (WEBSEITEN)
Ein weiteres, kaum thematisiertes Problem stellt die Tatsache dar, dass die meisten
Gruppen nur oder fast nur Tänze aus dem Hochland, also der Region der collas zeigen.
Die Bemerkung
lógicamente no hay que negar que las danzas „collas“ entre comillas tienen muchísimo
mas arrastre no? (FRIDA, 13.03.08)
stellt aus meiner Sicht einen deutlichen Konnex zum Exotismus und der Vorstellung des
Anderen (s.u.) dar: Im Gegensatz zu den Flachland-Tänzen sind die Hochland-Tänze viel
115
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
„stärker anders“, erregen weitaus mehr Aufmerksamkeit beim nicht bolivianischen
Publikum und werden daher viel öfter gezeigt, eine Tatsache, die erneut Hassgefühle
schürt.
definitivamente estoy de acuerdo casi nunca muestran nuestras bellas tradiciones mas
que la de estos collas e mierda (YOUTUBE)
con gusto hubiera puesto bailes de cambas pero que pena , no hay videos de esos bailes en
internet!! SUBAN PUES CAMBITAS, NO HABLEN NOMAS, ACTUEN!!
(WEBSEITEN)
Bei der Zusammenarbeit von Gruppenmitgliedern aus verschiedenen Regionen
Boliviens dürfte Caporales wirklich die immer wieder propagierte integrative Funktion
(vgl. Rossells 2003) erfüllen: Dieser Hochland-Tanz ist mittlerweile auch im Tiefland
sehr populär und wird teilweise mit der subtropischen Yungas-Region assoziiert, so dass
es TiefländerInnen offenbar nicht sonderlich schwer fällt, sich damit zu identifizieren:
The Caporal dance is the most popular dance among the young people of different
cultures, countries, continents and is the best integration vehicle to the Bolivian Folklore.
(WEBSEITEN)
Principalmente me identifico mas con las danzas del oriente boliviano porque soy de
Santa Cruz, y siempre he bailado este tipo de musica, pero ahora que tambien estoy
bailando Saya (musica de occidente del pais) tambien me he logrado identificar mucho
con este baile. (INÉS, 02.05.08)
6.3.5
Abgrenzung über die Vorstellung des Anderen
6.3.5.1
Exotismus und Fremdheit
Das nicht bolivianische Publikum begegnet den bolivianischen Tänzen und TänzerInnen
häufig mit Vorstellungen von Exotismus und Fremdheit. Für viele nicht bolivianische
TänzerInnen macht gerade dieses Anders-Sein den Reiz der Tänze und Trachten bzw.
Tanzkostüme aus.
en algunos lugares la gente se asombra por que jamás han visto danzas de Bolivia, les
crea algo de interés o curiosidad y les parece algo exótico (NICOLÁS, 28.03.08)
was mir halt auch voll gefällt ist natürlich die Musik. Das mit den Trommeln und so, das
a bissi so, dieses, ja- banal ausgedrückt- dieses Urwald- Feeling (ALEXANDRA,
08.02.08)
Was macht Deiner Meinung nach die Attraktivität bolivianischer Tänze für NichtBolivianerInnen aus? - Das exotische, vielleicht auch das „wilde“, das „ursprüngliche“,
116
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
die Trachten und der Suri sicuri auf dem ich immer angesprochen werde, wenn ich
erzähle dass ich bei Tanzgruppe Bolivia bin.(Schöne Federn) (JAVIER, 14.04.08)
¿Por qué crees que las danzas bolivianas gustan a los no bolivianos? Porque es algo
totlamente diferente. Porque tiene un ritmo contagiante. Porque muestra lo exotico de
nuestra tierra. (INÉS, 02.05.08)
Sie erwecken Neugier, da sie ganz anders sind, als die Tänze, die in Europa getanzt
werden. (KATRIN, 08.05.08)
Diese Suche nach dem Fremden führt auch immer wieder zu der paradoxen Situation,
dass Veranstalter eine Gruppe ablehnen, weil „zu wenig Indigene“ mittanzen
(Erfahrungen mit der eigenen Gruppe) oder dass stärker „indianisch“ aussehenden
TänzerInnen (die in Bolivien als indios in manchen Gruppen nicht einmal aufgenommen
würden) besonders viel Aufmerksamkeit und Bewunderung zuteil wird. Tatsächliche
phänotypische Unterschiede wie Haut- und Haarfarbe verschmelzen im Ausland mit den
lokalen
Vorstellungen
des
„Indigenen“
und
Exotischen,
wodurch
neue
Stereotypisierungen und Identitäten/Ethnizitäten (z.B. der „Latinos“ oder „Sudacas“)
entstehen, die mitunter als etwas durchaus Positives in die eigene Identität integriert
werden können.
erst durchs Tanzen hab ich mir gedacht, ja hey Bolivien ist, irgendwie gefällt mir das
wirklich sehr gut und ich will unbedingt hin, ich möchte diese Tänze lernen, und das ist
ein Teil von mir. Und seit dem Zeitpunkt habe ich mich dann eher nur als Bolivianerin
gesehen, die in Österreich is, und auch noch vielleicht ein bisschen philippinisch is… [...]
Und, ja, eben Lateinamerikanerin. Das hat mir wirklich dann geholfen zu sehen, hey
cool, ich bin latino. (VERA, 11.02.08)
In Anbetracht dieser Situation ist es wenig verwunderlich, dass Nicht-BolivianerInnen
immer wieder besonders die (pseudo)-indigenen Tänze7 gefallen, die offenbar gut zu
ihren Vorstellungen von Andersheit bzw. „den Indianern“ passen.
Tinku porque lo veo, no sé….. bueno primero alegre un poco rústico así y es muy exótico
para mí porque esa idea de que hay que golpearse para que la sangre caiga o así, es algo
muy original algo que tal vez aquí no se entiende, no sé me gusta la idea. [...] [über die
Llamerada] pero me parece que es algo dulce simple y o sea es algo que puedes ver allá
en Bolivia, los llameros ahí en el campo, ehmm no sé y me parece bonito el hecho de
agitar esa, como se dice la onda.. (ELISABETH, 24.03.08)
7
Ich verwenden das Wort „pseudo-indigen” nicht im Hinblick auf eine mangelnde „Authentizität” oder
„Originalität”, sondern deshalb, weil es sich bei Tänzen wie Tinku und Potolos um urbane Kreationen
handelt, die sich im Sinne der invented traditions als „indigen” ausgeben
117
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
I have always been passionate about...native americans and their coulture.. (SARAH,
04.03.08)
[Über eine Tinku-Choreografie] Wir hatten halt so zwei Dörfer, die dann halt auch
Konfrontation gesucht haben, sich dann erst mal gestritten haben. Dann hatte man erst
mal so Szenen wo man dann gegenübergestellt, zwei Parteien, die gegeneinander
tanzen. Auch die selben Schritte und dann leicht versetzt. Die dann halt gegeneinander
angehen und dann hatte man im Mittelteil auch einen Kampf und wie sich die Männer
mit einer Frau streiten und alles mögliche. Und ganz am Schluss, haben sich die beiden
Dörfer, auch nach dieser Schlägerei und so weiter dann auch versöhnt. Und... ja das
war´s auch eigentlich was wir rüber bringen wollten. (VANESSA, 15.03.08)
Den Nicht-Bolivianern gefallen vielleicht eher die „autochtonen“ Tänze wie Sicuris oder
Tinku oder so. Ich glaube, dass Nicht-BolivianerInnen oder gar EuropäerInnen mit
Folklore-Tänzen aus Bolivien bestimmte Bilder im Kopf haben, die Tänze mit stark
mestizischem Einfluss wie z.B. Morendada, nicht so richtig erfüllen, weil sie zu stark
westlich geprägt sind. Das überrascht sicherlich einige, die das mit dem doch
eigentlichen „Indianer-Sein“ nicht so richtig in Einklang bringen können.
(CHRISTINE, 21.04.08)
Por experiencia son danzas que no les llama la atencion los Europeos son tradicionales y
les gusta ver lo que es tipico de un pais, claro que se divierten pero les atrae lo que en
Bolivia aun existe las ethnias. (SEBASTIANA, 31.03.08)
la música autóctona es muy reconocida en el exterior. (LORENA, 07.04.08)
6.3.5.2
Indigene und afro-bolivianische Andere
Interessant ist dabei, dass gerade diese Tänze in Bolivien selbst auf der Basis der
Andersheit konstruiert wurden: Sie stellen vor allem den Blick der urbanen
aufstrebenden Schichten auf die indios dar, die einerseits gesellschaftlich stark
diskriminiert und marginalisiert werden, andererseits aber für die Konstruktion einer
mestizischen Identität herhalten müssen, in der indigene Riten und Bräuche nicht selten
als Basis des bolivianischen Kulturerbes angesehen werden (vgl. Hobsbawn 1993 [1983]:
1 ff).
La danza es una de las mejores formas de representar a los pueblos indigenas. (INÉS, 02.05.08)
Ein besonders aktuelles Beispiel für Kreation eines „autochtonen“ Tanzes, der sich zwar
aus einem rituellen Fest verschiedener indigener Gemeinden in der Kulturregion Norte
Potosí entwickelt hat, letztlich die Indigenen aber aus urbaner Sicht als Andere
portraitiert, ist der auch im Ausland omnipräsente Tinku. FRIDAS Erzählung erscheint
mir in diesem Zusammenhang besonders interessant:
118
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
hace algunos anos atrás cuando empezamos a bailar tinku, había un senor que era
representante de los indígenas ante las naciones unidas que me dijo claramente; bien que
haga tanto pero no haga tinku, el tinku no es ninguna danza es un ritual prehispánico
que ha sobrevivido a la colonización, entonces tiene toda la razón no?. Pero cuando hay
una necesidad también de de ingresar eso en medio urbano, porque eso es lo que ha
pasado, una comunidad ha entrado en el medio urbano y se ha escenificado mediante
una danza, entonces si el resto de los bolivianos se apropia de esa escenificación, de ese
rito en qué medida no tenemos derecho o sí es otro debate no es cierto, entonces si hay
gente muy purista, que dicen; si pero eso no es una danza no deberían bailar es faltarle
al respeto a la Pachamama (FRIDA, 13.03.08)
Die Präsentation „echter“ ruraler Tänze wie Kantus, Mocolulu, Choquela, Quena Quena ist
für bolivianische Tanzgruppen außerhalb Boliviens im Normalfall undenkbar und selbst
Tänze wie Mohoseñada und Waca Waca, die in Bolivien doch schon eine gewisse urbane
Präsenz erlangt haben, werden wohl nur ganz selten im Ausland gezeigt. Denn: Um im
Sinne von Hannerz´ (1996: 78) Kreolisierung in den Zentren Erfolg zu haben sind diese
Tänz noch „zu anders“. Insofern wundert mich der Vorschlag von SIMÓN nicht, der
meinte, man müsse diese Tänze wohl für das Publikum adaptieren, um sie attraktiver zu
machen, was er selbst als „Kommerzialisieren“ bezeichnete.
incluso me parece que es importante darle cierta comercialidad tal vez se podría decir
para.. para hacerlo un poco más.. más vendible tal vez al público, porque decía muchos
bailes que son un poco apagados, la misma vestimienta tal vez y por esa causa van
desapareciendo. Los grupos no quieren bailar porque no es atractivo, tal vez entonces..
[...] así discutiendo con mi esposa no que a mi me parece un baile muy, muy lindo, que la
música misma a mi me alegra ¿no?.. tal vez el estilo es distinto.. y mi esposa me dice: ‘es
aburrido’ y.. sí, claro, viendolo como se dice objectivamente desde un punto no sé de
afuera digamos es así ¿no?.. (SIMÓN, 07.03.08)
Die Tänze, die als „Brückenköpfe“ zwischen dem Eigenen und dem „komplett“ Anderen
fungieren, haben den größten Erfolg; allen voran Caporales, gefolgt von Tinku, Morenada
und weiteren städtischen Modetänzen. Im Fall der auslandsbolivianischen Tanzgruppen
kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu, den ich in meiner eigenen Tanzgruppe
erkennen musste: Es gibt zwar durchaus nicht-bolivianische Tänzerinnen, die sich mit
der „schrägen“ Musik von Kantus, Mohoseñada und JulaJula anfreunden können und
auch gerne so dazu tanzen würden, wie das Frauen auf indigenen Festen tun, doch ist es
um ein Vielfaches schwerer, die „einfachen“ und meist kleinen Bewegungen der ruralen
indígenas nachzuahmen als das Bewegungsrepertoire einer städtischen „mestiza blancoide“
für den Caporales-Tanz zu imitieren. Eine weitere Hürde stellt die für europäische
119
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Ohren meist extrem schwer „entzifferbare“ música autóctona dar, die sich sehr von den
regelmäßigen, stark europäisierten und daher auch für Nicht-BolivianerInnen leicht zu
hörenden Einspielungen populärer urbaner Musikgruppen unterscheidet.
In der tänzerischen Konstruktion des Anderen nimmt die Saya afro-boliviana eine
Sonderstellung ein. Sie wird zwar von nur relativ wenigen Gruppen außerhalb Boliviens
getanzt, erfreut sich aber (ebenso wie in Bolivien selbst) wachsender Beliebtheit. Zwar
wird die Saya seit ihrer Neuschöpfung im Jahr 1982 (vgl. Templeman 1995: 89 ff) vor
allem mit den dadurch entstandenen afro-bolivianischen Gruppen und der resultierende
erstarkende Identität der afro-bolivianischen Bevölkerungsminderheit in Verbindung
gebracht; doch gibt es sowohl in als auch außerhalb von Bolivien nicht „schwarze“
TänzerInnen, die diesen Tanz aufführen und damit ihre Vorstellungen von „den“ AfroBolivianerInnen und ihrer Tanztradition in Szene setzen. Vor allem US-amerikanische
InformantInnen sind sich der Problematik rassistischer Darstellungen bewusst und
entsprechend vorsichtig, wenn es um die Hintergründe zur Entstehung mancher
bolivianischer Tänze geht. Besonders interessant erschien mir in diesem Zusammenhang
die YouTube-Diskussion, in der eine australische Tanzgruppe für ihren Auftritt mit
geschwärzten Gesichtern als rassistisch kritisiert wurde:
En Bolivia el racismo esta engranado en casi toda sociedad. Los bolivianos mantenemos
tradiciones racistas y nos parece "normal:. Entra a google y busca la palabra
"blackface", esto te dara un explication de que el pintarse la cara no es de ninguna
manera "tener respeto" a la raza negra. [...] las caras pintadas es la forma de mostrar q
los morenos dieron vida en un princi`pio el "origen " a este baile y para recordarlos de
esta forma pero en ningun caso RACISMO... par nada!!!! [...] sinceramente la mayoría
de los bolivianos si son racistas, e visto yo que vivía allá, primero con los indios y claro
que con los negros. Yo si se de experiencia porque mí novio es de África. El pintarse la
cara de negro es un insulto a la raza negra. Yo nunca e escuchado a un negro decir que
eso es aceptable, a ver pregúntenles a ellos? después decidan si es racismo o no. [...] yo
nunca lo havia tomado como manifestacion de racismo peri claro una cosa es lo q nosoros
lo veamos de una menera pero ellos son los protagonistas ahunq es dificil cambiar las
tradiciones ES UN HOMENAJE Y RECORDATORIO por q sino se perderia y no se
sabria su verdadero origen !! (YOUTUBE)
6.3.5.3
Unterschiede bei den TänzerInnen
Was das Tanzen selbst anbelangt, so kommt es sowohl bei bolivianischen als auch bei
nicht bolivianischen TänzerInnen vielfach zu Generalisierungen und einem klaren
120
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Abgrenzen vom Wir zu den Anderen: BolivianerInnen haben den Rhythmus und das
Tanzen „im Blut“, Nicht-BolivianerInnen sind bemüht, aber hölzern und werden doch
„nie“ so wie ihre KollegInnen aus Bolivien tanzen. Manche InformantInnen verorten die
Unterschiede allerdings vor allem auf der Ebene der Bedeutung für die eigene Identität,
wieder andere sehen überhaupt keine Unterschiede zwischen bolivianischen und nicht
bolivianischen TänzerInnen.
Bolivianische TänzerInnen sind mit den Tänzen aufgewachsen, sie gehören zu ihrer
Kultur und sind Teil ihrer Traditionen. Die Tänze sind somit Teil ihrer Identität. Sie
haben die Tänze wahrscheinlich schon von klein an gelernt und haben somit ein besseres
Gefühl für den Rhythmus der Musik. Sie haben es sozusagen „im Blut„. NichtBolivianerInnen lernen die Tänze aus Interesse, vielleicht weil sie selbst schon in Bolivien
waren oder weil sie neugierig sind, etwas Neues kennen zu lernen. Die Musik und die
Bewegungen sind ganz neu. Ich denke, dass Nicht-BolivianerInnen die Tänze nicht so
„leben„ wie BolivianerInnen, da sie nicht damit aufgewachsen sind. (KATRIN, 08.05.08)
hay gente que no es boliviana que talvez baila mas lindo que los propios bolivanos
(FEDERICO ARDAIZ, 06.05.08)
ellos aprenden para saber cmo es, mientras que nosotros bailamos porque nos recuerda a
Bolivia, es mas un sentimiento con el que uno nace. (MANUEL, 05.05.08)
Nicht bolivianische TänzerInnen sehen die ganzen Tänze ojektiver als bolivianische.
Nicht bolivianerIennen lernen diese Tänze, weil sie was neues kennenlernen wollen.
BolivianerInnen tanzen eher aus nostalgie, etwas Heimweh und um neue Verbindungen
zu knüpfen. Für mich gibt es keinen besonderen Unterschied zwischen bolivianischen
und peruanischen TänzerInnen (JAVIER, 14.04.08)
"LA PRACTICA HACE AL MAESTRO SEA O NO SEA BOLIVIANO" (EDUARDO,
18.04.08)
Wie FRIDA treffender Weise bemerkt, wird aber nicht nur zwischen BolivianerInnen
und Fremden, sondern auch zwischen den BolivianerInnen verschiedener Regionen
Alterität über wahrgenommene Differenzen in den Bewegungsabläufen konstruiert:
es la tradición que uno tiene de ciertas personas, una cochabambina no baila como una
pacena o no baila como una crucena pero también esa es la mirada que uno tiene no?
pero no siempre es objetiva por supuesto. [...] yo creo que no sería un impedimento o no
sería como decirte; un defecto no bailar exactamente como baila la persona que viene de
tal lugar, o como yo, o como la idea que yo me hago de las personas que bailan porque
siempre tenemos una concepción de cómo bailar, las imágenes que nos hacemos de los
otros (FRIDA, 13.03.08)
Auf Nachfrage werden sowohl von BolivianerInnen als auch von Nicht-BolivianerInnen
immer wieder (kulturelle) Differenzen genannt, die eine über das Tanzen hinausgehen.
Diese Imaginationen entstehen durch das Tanzen, den persönlichen Kontakt mit
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Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
BürgerInnen des Aufnahmelandes, durch Reisen, Erzählungen, mediale Vermittlung
oder das Zusammentreffen mit Verwandten.
en cuestion de trato el boliviano es jovial, paciente, alegre, pero tambien burocratico y
egoista. (LAURA ANGELICA, 02.05.08)
Creo que existen muchas diferencias, depende desde dónde lo mires, los bolivianos somos
más dejados, más relajados, alegres, amantes de nuestras costumbres, comidas, danzas,
con la cultura bien arraigada en la manera de hablar, comportarse, etc. Los demás si
bien aprecian mucho su cultura no la expresan de una manera tan seguida y sentida
como los bolivianos. (MARCELA, 24.04.08)
[about his relatives] There are huge cultural differences. In my perspective, it is because
Bolivia does not like change. Whether it is ethically or morally, and people refuse to
learn, therefore result in taking naive or ignorant decisions. But in Bolivia its okay
because everyone is like this. In the US it is different because of the clash of cultures.
One can accept new ideas and ways of doing things or stay behind doing things the old
way. I always told my mom "without change we cannot have progression". And while
my mom has made an effort to change, it is impossible for my grandparents to change. I
think in many families the parents still cannot make that change. They want the US to
be like Bolivia but with better wages, but they forget that the US has established itself as
a world dominance for about 500 years making many changes. I think though we can
make changes and not forget where we came from. Folkloric dancing in VA, NY, and
NJ has showed at least in the east coast that we have not forgotten and the our ancestors
will live for many years to come. (GEORGE, 02.04.08)
[...] ich stückle mir halt das Bild so zusammen, von den Erzählungen was ihr so
weitergebt an uns und überhaupt und aus den Bildern und Videos [...] ich glaub es ist
schon irgendwo ein bissi ein recht idealisiertes Bild. [...] Farbenfroh, fröhlich [...] auch
ein total kulturell vielfältiges Bild, mit Indinianerkulturen und so weiter. Und für mich
ist halt, weil mich das halt schon sehr interessiert, das ist halt das mit den Textilien und
so. (ALEXANDRA, 08.02.08)
..., weil sie viel lockerer sind als wir, obwohl sie arm sind. (STEFANIE, 24.03.08)
nunca tuvimos problemas [con los chilenos],(es mas tiempo atras teniamos integrantes de
chile y cuando fuimos a bailar y tambien estaban los chilenos bailando diablada,ellos se
pusieron de nuestra parte y defendieron que el baile es de bolivia,y bueno eso demuestra
como las personas especialmente fuera de nuestros paises tienen otra mentalidad).
(FEDERICO, 06.05.08)
manche Tänze (zB. Llamerada) zeigen die Lebensweise und Lebensfreude
BolivianerInnen, besonders gut. Das beeindruckt. (HANNAH, 05.04.08)
der
Der Andere wird dabei oft nach Baumanns „Grammatik des Orientalismus“ (vgl. 2004: 19
ff) konstruiert: Gerne wird den BolivianerInnen die Fröhlichkeit und Lockerheit
attestiert, die man offenbar in der eigenen Kultur vermisst. Umgekehrt kritisieren sich
die BolivianerInnen unter Bezugnahme auf die Anderen häufig selbst. Für manche
Nicht-BolivianerInnen kann der Tanz dem Anschein nach ein Bedürfnis stillen, das
durch die „eigenen“ Tänze nicht abgedeckt werden kann: SARAH fühlt sich zwar als
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Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Finnin und beherrscht die finnischen Standard-Volkstänze, überlässt diese aber lieber
ihrer Tante und führt stattdessen eine Caporales- und Tobas-Gruppe an, denn
in finland and sweden the folklore dances arent so....intresting... and people here
apreciates the dances and the hole carnival thing so mych here...they have never seen
anything like this before the latin americans came here i think...because there hasnt been
carnivals before that....
Für KATHARINA bedeutet das bolivianisch Tanzen
anerkennung, idendifikation und wertschätzung anderer kulturen
wirft aber gleichzeitig die Frage auf
warum jene kultur ansprechender ist, ich kann zum beispiel nich schuachblattln, auch
keinen zilertaler tanzen und tracht hab ich auch keine (KATHARINA, 24.03.08)
ALEXANDRA hat zwar eine Tracht, aber auch sie wirkt nicht gerade enthusiastisch,
wenn sie von den Tänzen ihrer Heimat spricht:
ich hab [...] vorher gentanzt in der Schule, ein bisschen… irgendwelche, was weiß ich,
„Bordersche“ oder so, was man halt so macht – Volkstänze (ALEXANDRA, 08.02.08)
Tanz-Aufführungen können jedoch nicht nur dazu dienen, Imaginationen und
Stereotype zu kreieren, sie können diese auch aufbrechen oder dazu eingesetzt werden,
ein schlechtes Image zu korrigieren.
für das deutsche Publikum stellen bolivianische Tänze immer noch eine Überraschung
dar, die das Bild „der typischen Salsa-Latinos“ aufbrechen können (ISABELLA,
04.05.08)
para mi el bailar y demostrar la cultura de bolivia es lo mas lindo,ya que puedo ensenar
a los nuevos integrantes lo que es bolivia en el sentido de baile y al mismo tiempo poder
mostrar a los canadienses que bolivia es mucho mas que droga(que hasta 12 anos atras
solo conocian por eso a bolivia)pero con esfuerzo y mucho amor por bolivia pudimos
demostrar que bolivia es mucho mas (FEDERICO, 06.05.08)
aquí la gente quizás son un poco no racistas pero ven a los extranjeros de forma un poco
negativa a veces y me gusta mostrar que se puede construir cosas, de que si puede haber
cierta solidaridad entre la gente , que los bolivianos que están aquí y nosotros también
podemos así compartir con ellos cosas, entonces yo estando en el grupo muestro que los
bolivianos aceptan que gente de aquí entre a su comunidad y que sería bien que sea en
los dos sentidos, eso es lo que quiero transmitir (ELISABETH, 24.03.08)
Das Tanzen ist jedenfalls für viele nicht bolivianische TänzerInnen ein Anstoß, sich mit
dem bolivianischen Anderen zu beschäftigen und erste Vorstellungen über das Land zu
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Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
entwickeln.
Mein Bezug hat sich auf jeden Fall geändert durch den Tanz, auch wenn ich noch nicht
dort gewesen bin. Bolivien hat in meiner Vorstellung erst durch das Tanzen einen
Charakterzug erhalten, den es von anderen südamerikanischen Ländern unterscheidet.
Ich finde es äußerst spannend ein Land weder aus der politischen (informativen) noch
aus der touristischen Sicht kennen zu lernen (im Sinne von sich damit befassen). Mein
Bild von Bolivien ist eine Mischung aus den Fotos, Filmen, Kleider und Karten… die ich
von, und den Menschen die ich aus Bolivien kenne. (SABINE, 30.04.08)
Ich hatte zuvor überhaupt keinen Bezug zu Bolivien oder überhaupt zu Lateinamerika,
das Tanzen ist also eine schöne Art, einen kleinen Eindruck von Bolivien zu bekommen.
Außerdem habe ich erstmals Kontakt zu Menschen aus Bolivien und Peru. Auch
dadurch, dass fast alle Mitglieder der Tanzgruppe einige Zeit in einem dieser Länder
verbrachten, kann ich viel von ihnen erfahren. [...] Die Tanzgruppe hat mich also dazu
gebracht, mich erstmals mit Bolivien auseinanderzusetzen und überhaupt erst ein vages
Bild von diesem Land in meinem Kopf entstehen zu lassen. (HERTA, 25.04.08)
6.3.5.4
Auf
YouTube
Peruanische und chilenische Andere
(aber
auch
im
bolivianischen
Alltagsdiskurs,
der
hier
nicht
Untersuchungsgegenstand ist) wird ein meist sehr negatives Bild der PeruanerInnen und
ChilenInnen entworfen, worauf dann vor allem die peruanischen PosterInnen häufig im
gleichen Ton antworten.
PERUANOS!!!! DEJEN ROBAR!!!,. Y ustedes Chilenos.... se que estan acostumbrados
a quitar cosas a los demas,.... pero un poco mas de conciencia!!!!. (YOUTUBE)
piruanos chilenos LADRONES HIJOS E PUta (YOUTUBE)
jajajajajaj los peruanos son los más delincuentes del mundo no en vano para salir al
exterior se hacen pasar por cualquier nacionalidad menos por peruanos porque como a
peruanos no les dan trabajo ni para limpiaculos VIVA PERU LA PEOR MIERDA DE
SUDAMERICA. (YOUTUBE)
Y los Boliches?, son la gran cagada ¿no? porque sino miren las noticias, no se ponen de
acuerdo si quieren o no asamblea constituyente y estan que se matan entre ellos... bueno
mientras menos mierdas mejor (YOUTUBE)
lo que es más paradójico es que los "vecinos" dicen tener industrias, mar, que son mejores
que Bolivia, pero que pena que carezcan de lo más importante DIGNIDAD Y
HONESTIDAD (YOUTUBE)
AUNQUE SEAS CHILENO ROBA CULTURA LOS BOLIVIANOS NO SOMOS
COMO TU SONSO INMADURO (YOUTUBE)
ustedes son una tropa de rateros cholos de mierda, MUJERES BONITAS? SON LA
PEOR BASURA DE SUDAMERICA, A POCO NO SABIAS QUE LOS PERUANOS
SON LOS MAS ODIADOS POR SER LADRONES E HEDIONDOS VAYNSE A LA
MIERDO PUTOS PERRANOOS RATEROS ASQUEROSOS LADRONES!!
(YOUTUBE)
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Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
qué no diera para bloquearles a ustedes ladrones piratas desgraciados peruanos así no
entran más delincuentes del peru a mi BOLIVIA puro ladrones y mujeres que por un
boliviano venden lo unico que pueden vender su trasero una verguenza al ganarse en la
ceja del Alto nada raro que esté una de tus primas peruano infelíz. (YOUTUBE)
Quien va querer bloquear el peru hasta a los compesinos bloqueadores, seguro los dejan
sin nada como son ladrones, sicarios, cogoteros , descuidistas,pobres bloqueadores.
(YOUTUBE)
En el peru nacen feos pq es todos contra todos como la cancion de senhorita laura,
jajajaja pobres peruasnos pienzan que todos son de su condicion,que sigan sonhando que
son un pais en progresa.Solo progrezaron en indices de sida, que asco ser peruasno cara
de piedra. (YOUTUBE)
Hey peruasno pq no vas a comer tu rata al horno y tu paloma a la brasa. Que gran
gastronomia peruana. Tu pais no tiene ni mierda ni con mar, son tercer mundistas
tambien asi que baja de tu nube, por algo estan mitad de peruanas regados por el
mundo. Es que a estos apestosos en ves deparirlos los cagan. (YOUTUBE)
Als Grund für die exzessiven Beflegelungen werden einerseits die stereotypisierten
Eigenschaften der Anderen vorgeschoben, andererseits stellt man die Hasstiraden gern
als bloße Reaktion auf die Angriffe der Anderen dar (vgl. Bräuchler 2005: 260 f).
mira quienes empezaron así que si quieren guerra por nuestra cultura y danzas guerra
tendrán querido. (YOUTUBE)
si me paso de la raya es porque algunos peruanos si no la mayoría se entran a los
privados a insultar y si yo digo cosas acá también lo hago a sus privados pero es porque
ellos así lo quisieron pero tienes razón o sea tampoco soy tan cerrada para no
comprender lo que me dices tienes toda la razón no todos tienen la culpa y sorry por mi
ignorancia es que es el amor a mi tierra BOLIVIA (YOUTUBE)
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Eveline Sigl
6.4
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Bolivianischer Umzugstanz und kulturelle
Identität
6.4.1
Tanz als Teil der bolivianischen Kultur
Abb. 6: Tanz und Kultur; eigene Darstellung mittels atlas.ti
Es steht völlig außer Zweifel, dass der urbane Umzugstanz der Hochebene stark mit der
bolivianischen Kultur assoziiert wird. Die Begriffe Tanz, Kultur und Folklore werden
sowohl auf YouTube als auch in den SNS und online Befragungen regelmäßig als
Synonyme gebraucht, was eine Abgrenzung schwierig macht.
Die InformantInnen waren jedenfalls generell sehr von der Wichtigkeit der
„bolivianischen Kultur“ überzeugt
una de las cosas que más bolivianos nos hace, nuestra cultura (Facebook)
nuestros bailes, parte importantísima de nuestra cultura y folclore (Facebook)
und geizten auch nicht mit Lob:
la magia y belleza de nuestra cultura (Webseiten)
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Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Der Tanz wird zwar oft mit der bolivianischen Kultur gleichgesetzt, jedoch ebenso oft als
Mittel zu deren Repräsentation betrachtet.
mostrar la cultura de Bolivia a través de la danza (Webseiten)
en el ballet hacemos de todo no hay una danza específica tratamos de abarcar todo lo
que es nuestra cultura de este a oeste y de norte a sur sin distinción (Webseiten)
Ein wichtiges Merkmal der „bolivianischen Kultur“ ist die Vielfalt, wobei sich diese
sowohl auf die 36 als solche anerkannten Ethnien des Landes, als auch auf die regional
sehr unterschiedlichen Tänze, Trachten, Speisen und musikalischen Ausdrucksformen
beziehen kann. Die Präsentation dieser Vielfalt ist ein häufig auf TanzgruppenHomepages vorzufindendes Ziel.
Yo diría que la esencia es la diversidad, no solo el territorio es diverso, desde montañas,
hasta trópico, si no también su habitantes, muchas culturas, muchas lenguas, muchos
colores, muchas danzas, muchas tradiciones. (GISELLE, 05.04.08)
No sé, creo que no existe tanto así como una esencia de la cultura boliviana, más bien
está la riqueza en cuanto a diversidad y autenticidad de nuestra cultura, es “sincera” si
es que se la puede llamar así, fiel a sus regiones, a sus ritos, a sus tradiciones, a sus
creencias, más allá de la manera, el lugar o la persona por la que sea representada.
(MARCELA, 24.04.08)
Wie aus den Aussagen von ADRIANA und ALEJANDRO zu erkennen ist, können die
Tänze selbst auch ein Symbol von Exzellenz und kulturellen Überlegenheit darstellen.
caporales...nose, porke es alegre....tiene mucho ritmo...tambien no kien sea puede
bailar...y hay muchos pasos etc etc no es lo mismo ke las demas danzas ejemplo
merengue..aburre (ADRIANA, 04.03.08)
significa mas que solo una danza esto es la differencia de otras danzas como merengue
waltz etc (ALEJANDRO, 25.03.08)
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Eveline Sigl
6.4.2
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Tanz als Teil eines ewigen Kreislaufs
Abb. 7: Tanz und Tradition; eigene Darstellung mittels atlas.ti
Generell wird die „bolivianische Kultur“ stark mit der Vergangenheit und den Bräuchen
und Traditionen der (indigenen) Vorfahren assoziiert. Auch in der bolivianischen
Diaspora ist Kultur im Sinne von Nash (1996 [1989]: 27 f) und Fishman (1996 [1980]: 63
ff) das „Ewige“, das sich von den Vergangenheit bis in die Gegenwart und Zukunft
fortsetzt. Der Diskurs über den Tanz und die damit assoziierten Konzepte liefern einige
sehr schöne Beispiele: Der Tanz als das, was einen mit der bolivianischen Gemeinschaft
und ihren weit zurückreichenden „Wurzeln“ verbindet, als das, was einem die eigene
Herkunft ständig vor Augen hält und als etwas, das unbedingt bewahrt und an die
folgenden Generationen weitergegeben werden muss.
Las danzas folklóricas nos conectan con nuestras raíces y son un constante recordatorio
de donde venimos, como estamos evolucionando y a donde vamos como seres humanos
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Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
con una conección a algo nato. (RUTH, 16.04.08)
[sobre la importancia de mostrar danzas bolivianas en el extranjero] En primer lugar
para que las personas no olviden sus raizes su cultura su musica y promover nuestra
cultura en nuestros hijos es una tarea personal que todos devemos afrontar y no olvidar
de donde somos, adonde vamos y por que estamos aqui .(HUGO, 25.04.08)
[sobre la esencia de la cultura boliviana] La concervacion de la misma de generacion en
generacion y la preservación de la misma la cual lo hemos hecho por siglos en Bolivia, lo
cual hay que hacer en el extranjero con los niños y jóvenes que no nacieron en Bolivia
(AURELIO, 10.05.08)
Alter verursacht dabei Legitimität und Autorität (vgl. Nash 1996 [1989]: 27 f), wie auch
auf YouTube immer wieder betont wird:
"La diablada se originó en el antiquísimo Oruro colonial" (YOUTUBE, Hervorhebung
d. A.)
la virgen de la candelaria tiene mas antiguedad en peu (YOUTUBE, Hervorhebung d.
A.)
Danza de un pueblo milenario (YOUTUBE, Hervorhebung d. A.)
Aunque hayan otros grupos bolivianos este es el más representativo del país, porque lleva
mayor cantidad de presentaciones hechas y ser el más antiguo aquí en Cataluña.
(WEBSEITEN)
Vor diesem Hintergrund sind die zahlreichen Bestrebungen zu verstehen, die
bolivianischen
Tänze
an
die
BolivianerInnen
zweiter
und
dritter
Generation
weiterzugeben. Dass es dabei zu Veränderungen kommt, ist klar. Hier sehe ich ebenfalls
eine Parallele zu Nashs Indentitätskonzept (1996 [1989]: 27 f): Durch den bolivianischen
Tanz als Ausdruck von Kultur wird man Teil einer Diaspora-Gemeinschaft, die einem
Identität und Halt gibt, deren Fortbestand aber gleichzeitig wieder von den
Anstrengungen ihrer Mitglieder abhängt. Beim Tanz fällt die Identifikation leicht und
viele verspüren einen „Auftrag“ oder eine „Verpflichtung“, durch das Weitergeben ihres
Wissens bzw. das Gründen von Gruppen etwas zum Erhalt dieser Gemeinschaft
beizutragen.
Bolivia tiene una amplia gama de cultura, historia milenaria, paisajes y regiones
geográficas que debemos enseñar no sólo a la gente extranjera que vive al lado de
nosotros, sino también tener un legado para la generación que nos sigue y que aunque
tengan el 100% de sangre boliviana, no están concientes de nuestros ancestros.
(WEBSEITEN)
una gran preocupación eran las segundas y terceras generaciones de bolivianos que
vivían acá, y los ninos que no tenían un contacto directo, no mucho sentimiento boliviano,
entonces era sobre todo para eso [...] para mi lo importante es el sentimiento de
pertenencia que la gente tiene a una cultura, la relación que tiene, entonces de repente
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Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
voy a hacer ser mucho menos al detalle, que tiene que ser perfecto, que el traje tiene que
ser siempre así y no puede ser de otra forma [...] para mi es un paso ganado porque es
una forma de entrar en el escenario reivindicando la identidad (FRIDA, 13.03.08)
Obwohl in Wirklichkeit niemand anzweifelt, dass sich die bolivianische Kultur und mit
ihr die populären Folkloretänze ständig im Fluss befinden, ist sowohl auf Homepages als
auch in den Aussagen von InformantInnen sehr oft die Rede von
„Originalität“,
„Ursprünglichkeit“ und „Authentizität“, die allesamt mit dem Erhalt dessen, was früher
war, in Verbindung gebracht werden.
¿qué significa para tí bailar danzas folklóricas? - Es una expresion del pasado (RENEE,
28.04.08)
Veränderungen werden oft ambivalent gesehen – einerseits geht es vielen Gruppen sehr
stark um ein möglichst gutes „Konservieren“ der Tänze und ein Verhindern von
„Modernisierungen“, andererseits sehen viele TänzerInnen den Grund für die
Attraktivität der Tänze (besonders Caporales) gerade auch darin, dass sie Kreativität und
Innovationen ermöglichen und sich den neuen Kontexten von Migration und
Postmoderne anpassen lassen (vgl. dazu die Diskussionen um Erhalten und Bewahren
versus Neu-Interpretation und (Neu)-Konstruktion in Fishman 1996 [1980]: 63 ff, Eriksen
2002 [1993]: 72 f, 152 f, Baumann 1999: 95). In einem Punkt sind sich jedoch alle einig:
Es ist wichtig, die „Essenz“ der Tänze nicht zu verlieren.
we try to keep it tradicional....but it is also fun to creat new steps (SARAH, 04.03.08)
Yo creo que siempre existe innovación, no existe nada estático, todo se va transformando,
igualmente en el caso de las danzas se han ido estilizando, la pena es cuando pierden
totalmente su esencia y su verdadero significado. (GISELLE, 05.04.08)
Según pasa el tiempo los bailes bolivianos en general se van estilizando manteniendo el
sentido y origen pero poco a poco se van perdiendo algunas cosas y es algo que en lo
personal no me parece muy bueno, si nos ponemos a ver como hace muchos anhos eran
estos bailes creo q existe una gran diferencia hasta estos tiempos. [...] mientras todas las
innovaciones mantengan el significado y origen de la danza pues bienvenido, pero en lo
personal lo mas tradicional siempre será más valorado [...] personalmente pero esos
pasos con el tiempo fueron copiados y estilizados cuando haz visto que un tinku baile
mandando besos (NATALIE, 06.04.08)
Lo autentico es un termino que dictamina algo nato, insustituible y verdadero. Sin
embargo en lo que se refiere a las danzas, la evolución de las mismas hace que auténtico
aplique a una danza tan tradicional como la de los Incas y que también describa la
danza de los caporales....diferentes pero igualmente auténticas. (RUTH, 16.04.08)
FEDERICO, ALEJANDRO und FRIDA argumentieren eher im Sinne Sahlins (1993:
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Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
475 f, 489) und Moosmüllers (2002: 16 f), wenn sie von einer zeitgemäßen Anpassung an
die diasporische Situation und die Inkorporation fremder Elemente sprechen:
Siempre es bueno tratar de mejorar y demostrar mucho mas las danzas y los jovenes ven
deotra manera y tratan de mejorao mejor dicho de adecuar las danzas a los tiempos de
ahora. (FEDERICO, 06.05.08)
QUE CREES! aparte de caporales jajaj ya que se Kung fu me dio la gran idea.
WOOOOoo capoeira mixto kung fu. Jaja devias ver locito. La musica de capoeira habia
tenido ritmos casi caporales "maculele mara a paranaue" con eso que mix sacaremos
JAJA estamos volando mas alto los Centras USA. QUe attributo kung fu y capoeira.
Estilo capo radical wink. (ALEJANDRO, 05.03.08)
las danzas, los cambios, las coreografías, lo que jamás se hacía antes ahora se hace, yo
que he bailado hasta el 93 en el carnaval de Oruro me digo; ah eso no pero nunca jamás
pero yo misma me vuelvo a cuestionar y digo pero bueno al final eso era antes y ahora es
otro tiempo y el carnaval es vivo, justamente es vivo porque es capaz de reproducirse en
otros espacios geográficos, como en Europa, en Estados Unidos, en donde vayan los
bolivianos, tiene la capacidad de reproducirse porque es vivo , entonces es impresionante
ver la creatividad de los pasos, la creatividad de la introduccíon de elementos que no
tienen nada que ver ya de repente con lo que era al principio. (FRIDA, 13.03.08)
während GLORIA und GEORGE solche Änderungen kritisch sehen:
las danzas, la música, los textos, la ropa, todo, no viven extranos a las transformaciones
de la sociedad no? Cómo se transformen es ya otra cosa y el caporal es una
transformación deliberadamente así como también de acuerdo a la morenada, los
figuras de la morenada ya no son figuras, son cualquier otra cosa menos figuras, desde
mi punto de vista no? porque desde el último video que yo vi, ya los sombreros eran pues
como de los cowboy de Estados Unidos, en vez de llevar estos guantes hasta la altura del
brazos, ahora tienen (unverständlich) me parece, yo sé que es para ganar más público o
presentarse con cositas nuevas pero yo me doy cuenta que están transformando de
manera negativa lo que entre comillas es el patrimonio cultural de Oruro, porque eran
(unverständlich) indígenas por lo general de lo que se baila pero ya se está intentado
poner en algunos bailes esta imagen (GLORIA, 16.03.08)
Referring to the bolivian dances: what is "authentic"? - I touched on it a little, its not
reinventing the wheel. For example in one parade I saw one group dance caporales to a
mix of caporales music with reggaeton. While musically, it was a genious idea, it was no
longer authentic, and I hope the leaders of all Bolivian groups know the difference on
this matter. [...] I think without it, the dance can no longer be called folklore.(GEORGE,
02.04.08)
NICOLÁS schließt sich nicht nur der Kritik an, sondern spricht auch das von Barth
(1970 [1969]: 18), Eriksen (2002: 19 f) und Harrison (1999 in Eriksen 2002: 67)
thematisierte Streben nach Aufrechterhaltung von Differenz an, das vor allem für
Tanzgruppen in Bolivien, aber auch außerhalb von Bolivien wichtig ist.
[sobre las innovaciones] Lamentablemente es una consecuencia lógica en algunas danzas
que han logrado una difusión masiva, ya que cada grupo, conjunto o fraternidad trata
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Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
de diferenciarse de otros y recurren a diversos recursos como por ejemplo: vestuarios,
pasos de baile, coreografías o músicas diferentes a las acostumbradas. Creo que se
deberían tratar de conservar en la forma más aproximada a la original sin tener que
desvirtuarlas totalmente. (NICOLÁS, 28.03.08)
Aus dem Anders-Sein wird schnell ein Besser-Sein-(Wollen), wobei die solcherart
geschürte Rivalität in Spanien besonders groß sein dürfte:
Aunque hayan otros grupos bolivianos este es el más representativo del país, porque lleva
mayor cantidad de presentaciones hechas y ser el más antiguo aquí en Cataluña.
(WEBSEITEN)
los bolivianos tendemos a crear y hacer rivalidad - competencia en lo concierne a
actividades, a veces sin pensar el daño que nos hacemos (creo que eso tú ya lo sabes),
somos incapaces de pensar en la unidad, sino que prima el protagonismo personal.
(MARTHA, 31.03.08)
Abgesehen davon, dass viele Trends und Modeerscheinungen über (YouTube)-Videos
und Bolivien-Aufenthalte in die Tanzpraktiken der „Diaspora-Tanzgruppen“ einfließen,
sind im Ausland auch gänzlich neue Entwicklungen möglich.
creo que en el exterior las danzas se hacen entwickeln diferente a en Bolivia misma y en
el extranjero el rol de las mujeres es más fuerte (ROXANA, 27.04.08)
Das liegt zum Teil daran, dass viele (wenn nicht sogar der Großteil) der TänzerInnen
derartiger Gruppen erst im Ausland mit dem Tanzen beginnen und auch kein direkter
Kontakt zu bolivianischen Tanzgruppen und -LehrerInnen gesucht wird. – Mit der
Ausnahme zweier Tänzerinnen meiner eigenen Gruppe ist keine einzige der 52
befragten TänzerInnen mit einer bolivianischen Gruppe oder Fraternidad in Verbindung
oder hat während eines Bolivien-Aufenthalts „Unterricht“ im engeren Sinne genommen.
Einige haben während ihres Urlaubes bei Prozessionsumzügen mitgemacht und dort
Tanzschritte und Kurzchoreografien erlernt, die vor allem dann leicht „mitgenommen“
und weitergegeben werden können, wenn sich die auslandsbolivianische Gruppe auf
einen oder zwei Tänze spezialisiert hat, was besonders in den USA öfter der Fall zu sein
scheint. Gruppen, die ein größeres Repertoire haben, müssen daher viel „erfinden“, was
immer wieder dazu führt, dass komplette Choreografien von Videos abgekupfert werden.
6.4.3
Bezüge zu den Indigenen
Das Stichwort Authentizität schlägt häufig eine Brücke zu dem, was unter indigenen
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Traditionen und „indigener Kultur“ verstanden und sowohl als Ursprung der populären
Volkstänze als auch der eigenen kulturellen Identität angesehen wird.
Lo autentico lo ves en las danzas indigenas en los pueblos eso es lo realmente puro lo
autentico como la fiesta del encuentro tinku o el phujllay etc. (HUGO, 25.04.08)
LO AUTENTICO REPRESENTA LA PUREZA COMO EL PUJLLAY QUE CASI
NO SE VE LA ESTILIZACION O MODERNIZACION-CAMBIO ATRAVES DEL
TIEMPO (EDUARDO, 18.04.08)
Creo que todos debemos conoces mas nuestras raices y ver lo hermosa que es la cultura
indigena e identificarnos como tal porque eso es Bolivia y aceptarnos todos como
hermanos y darle el verdadero valor agragado a nuestras raices (SEBASTIANA,
31.03.08)
Creo que la base de la creación de casi todas las danzas está en la tradición y costumbres
de los pueblos indígenas, ya que desde mi punto de vista es una manera artística de
contar su historia y mantener viva su cultura de a través de las generaciones. Con el paso
del tiempo las danzas han sido cada vez más estilizadas, pero la esencia indígena se
mantiene. (MARCELA, 24.04.08)
Sogar ein erst 40 Jahre alter Tanz wie Caporales erhält so einen Bezug zu den Indigenen:
La danza del "caporal" apareció alrededor de los años 70 como expresión del
denominado neo-folklore y aunque su ritmo parece evocar a los ancestros de los esclavos
africanos que vivían en los Yungas paceños, se trata mas bien de una danza que emerge
de una construcción hibrida de la urbe marginal paceña. Los elementos que caracterizan
al baile del caporal son el resultado de una expresión de repliegues de protesta y
resistencia, asimilada por grupos de migrantes aymaras que interpretan la
realidad de la raza negra oprimida en la época colonial. El traje o disfraz de capataz
convertido en caporal, es la cubierta externa que representa una estrategia indígena
para adaptarse a la opresión vivida al interior de su propio grupo, asimilada a la de los
negros. (WEBSEITEN, Hervorhebung d. A.)
La danza de los caporales está basada en ritmos de la saya, específicamente del
tundiqui, pero se ha transformado con el añadido de músicas aymaras, mestizas y
aún elementos musicales foráneos de moda. (WEBSEITEN, Hervorhebung d. A.)
„Das Indigene“ wird vor allem im Zuge der YouTube-Diskussionen häufig als Teil der
grenzüberschreitenden Gemeinsamkeiten von Bolivien, Peru und Chile präsentiert.
sigamos haciendo mas grande la cultura Aymara, pero recuerden que Puno fue y es
parte de esta cultura, todavia seguimos conpartiendo el Lago Titicaca, y la primera
mina de plata se localizo en Puno, y si la Paz fue una de las ciudades mas principales a
donde se consentraba esa riquesa, pero recuerden que se llamaba ALTO PERU
(YOUTUBE)
aymaras hay en Bolivia, Chile y Perú
Tatsächlich gibt es in diesen Grenzregionen einen hohen Anteil an Aymara und vor
allem in dem Gebiet um den Titikaka-See, den sich Bolivien und Peru teilen, herrscht
133
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
ein reger wirtschaftlicher Austausch und so erscheint es wenig verwunderlich, dass viele
Tänze beiderseits der Grenze getanzt werden. Ob diese Tatsache jedoch wirklich so viel
mit den Aymara oder nicht doch mehr mit der gestiegenen Mobilität und dem
intensiveren Informationsaustausch der letzten hundert Jahre zusammenhängt, ist
zumindestens fragwürdig.
cuando hubo la gerra y perdimos las tierras toda esa gente paso a ser parte de chile y
peru,y ellos siguieron bailando los bailes,y bueno yo creo que tienen el derecho de bailar
y por eso tanto chile como peru dicen tener derecho a los bailes (FEDERICO, 06.05.08)
en lo que respecta a la cultura aymará, hay que defenderla en donde quera que se
encuentre, y no limitarse a ver sólo lo que está adentro de tu país (FACEBOOK)
El punto esta en reconocer el orígen de la danza y de la musica ...cuestión que no estan
respetando los chilenos y peruanos ... y simplemente lo justifican por el hecho de que
exísten aymaras en esos [p]aises. (FACEBOOK)
la mayoria se dieroin cuando ya existian ciertos limites territoriales en la colonia y ya
entrada la republica, por ejemplo la diablada nace empezando la republica entonces con
que justificacion los peruanos y chilenos pueden hablar de que4 los bailes son de
toooooodos los aymaras? el tema es de cada pais no de cada cultura ya que estos bailes
nacieron cuando YA EXISTIAN LIMITES TERRITORIALES! no nacieron el siglo V
AC (YOUTUBE)
Die Angelegenheit verkompliziert sich hier insofern, als es zur Entstehung der einzelnen
Tänze höchst unterschiedliche Hypothesen gibt und deren Ursprünge nur teilweise (und
da vor allem bei der Morenada) in der Seeregion vermutet werden. Kritische Stimmen
sehen die Tänze eher als ein Produkt der Vermischung (mestizaje) indigener und
kolonialer Einflüsse:
quienes originaron esa fiesta, fueron los hijos descendientes de BOLIVIANOS, no
peruanos ni aymaras, BOLIVIANOS. (FACEBOOK)
No hemos vivido carnavales en Chile y eso tiene toda una constumbre post española, no es
algo que es de Aymaras solamente, si en Bolivia existen otras culturas etnicas que han
enriquecido sus bailes y sus costumbres. El CArnaval no se celebraba hasta después de la
llegada de los españoles. (FACEBOOK)
las tradiciones de bailes y música, siendo enfático en decirles que esto no excluye
vestimenta ni instrumentos que son parte de los primero. son CITADINOS, se han
creado en base a la tradición y vida de las CIUDADES a la llegada de los españoles.
(FACEBOOK)
Estas danzas representan una parte muy importante de la historia de América del sur y
de las influencias de la cultura europea y africana que al mezclarse con la cultura
indígena dan nacimiento al folklore Boliviano. (WEBSEITEN)
134
Eveline Sigl
6.4.4
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Bezug zu Religion und Ritual
Im Gegensatz zu den bolivianischen Prozessions-Umzügen (wie etwa dem Karneval von
Oruro), wo die Mehrheit der TänzerInnen zumindestens offiziell darauf besteht, aus
Ehrerbietung für die Mamita del Socavón oder einen Lokalheiligen zu tanzen, scheinen
die TänzerInnen in Europa nur in den seltensten Fällen religiös motiviert zu sein. Das
liegt sicher auch daran, dass derartige Prozessionen in Ländern wie Deutschland oder
Schweden nicht üblich sind und auch kein gesellschaftlicher Druck in diese Richtung
herrscht: Es ist völlig in Ordnung, nur zum Spass zu tanzen – was ja auch viele
TänzerInnen als Hauptgrund für das Mitmachen bei den diversen Tanzgruppen
angeben. Es gibt einige zu Ehren der Virgen de Urkupiña oder anderer Heiliger
gegründete Gruppen; ob dort viele TänzerInnen die Motivation ALEJANDROS teilen,
wage ich dennoch zu bezweifeln.
al querer mantener vivas sus tradiciones y costumbres, vieron la necesidad de crear un
cuerpo de danza para conmemorar las actividades religiosas de la Virgen de Urkupiña.
(WEBSEITEN, USA)
Siendo el tercer grupo de danzas folclóricas de la institución, es creada exclusivamente
para la devoción de la SANTÍSIMA VIRGEN DE COPACABANA PATRONA DE LA
REPUBLICA DE BOLIVIA. (WEBSEITEN, Argentinien)
MAS QUE TODO SIN importancia en verdad, lo importante es que se fundo por un
santo : EL TATA Santiago, mi famili adesde que yo nacie en Cocha siempre hacian su
fieste el 25 de Julio y en el pasado cercano ese mismo santo/estatua llego o mejro dicho mi
familia imediata decideiron traerlo aqui a EEUU, suppuestamente el estatua es mi
herencia del lado materno. :=) y con certeza el santo y NADA mas es la razon porque se
fundo esta fraternidad de mucha potencia .[...] Para mi y la directiva es mas importante
una preseantacion para las Virgenes en Augusto de Urkupina/Copacabana que los
concursos de Virginia en Augusto. (ALEJANDRO, 05.03.08)
[el grupo] se fundó gracias a la devoción de la comunidad hacia la Virgen de Urkupiña,
ya que es por su dia el cual se realiza la fiesta y toda la entrada (FRANCISCO, 29.03.08,
Paraguay)
Im „Tanzkonflikt“ zwischen Bolivien und Peru spielt die angesprochene Religiosität
hingegen sehr wohl eine wichtige Rolle: Zum einen scheinen sich die Kontrahenten
auch in Bezug auf den Grad der Devotion, den sie bei en Entradas zeigen, überbieten zu
wollen und zum anderen werden derartige Rituale als wichtiger Teil der eigenen
kulturellen (und auch nationalen) Identität erlebt. Insofern verwundert es mich nicht,
dass der Karneval von Oruro und die Entrada der Virgen de la Candelaria in Puno immer
wieder in den YOUTUBE-flaming wars um die Zugehörigkeit der Diablada auftauchen.
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Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
A partir de esa fecha fronteriza Puno imitó esta danza para la fiesta de la Virgen de la
Candelaria el 2 de febrero, incluyendo en sus afiches y propagandas fotografías propias
del carnaval de Oruro como si pertenecieran a su identidad. (YOUTUBE)
La diablada nace en Puno a devocion a la virgen de la candelaria por lo acontesido de
la historia que muchos puneños ya conocemos cuando se llevaba de procesion a la virgen
de la candelaria. Lo que bolivia hace es cambiar el nombre a nuestras danzas, ya paso
con el rey moreno que ahora lo llaman morenada, y los caporales de la tuntuna que
ahora ellos lo llaman la saya, por el hecho de que ellos hacen una fiesta pagana que solo
les importa bailar y que el mundo los observe (YOUTUBE)
ORURO - BOLIVIA, para el mundo los invitamos al CARNAVAL MAJESTUOSO DE
LA BELLA BOLIVIA, EL CARNAVAL RECONOCIDO A NIVEL MUNDIAL
COMO OBRA MAESTRA DEL PATRIMONIO ORAL E INTANGIBLE DE LA
HUMANIDAD, ESTA ES UNA MUESTRA DEL BELLO FOLCLORE DE BOLIVIA
UNICA Y VERDADERA LOS INVITAMOS CON EL CORAZON ABIERTO.
(YOUTUBE)
6.4.5
Kulturelle Gemeinsamkeiten und Differenzen
Obwohl die meisten InformantInnen davon überzeugt waren, dass es fundamentale
kulturelle Differenzen zwischen ihnen und der Bevölkerung ihres Aufenthaltslandes
gibt, konnten sich über die wenig brisante Unterschiede beim Essen und Tanzen hinaus
nur wenige zu konkreten Aussagen entschließen. Meines Erachtens zeigt sich hier eine
große Skepsis gegenüber Generalisierungen und Stereotypisierungen und auch eine
Sensibilisierung gegenüber der Komplexität des Themas, die z.B. auf YouTube weitaus
geringer ausgeprägt ist und wo sehr schnell mit „wir Bolivianer“ und „ihr Peruaner“
oder „ihr Chilenen“ etikettiert wird. Trotzdem gibt es auch auf YouTube Stimmen, die
an die kulturellen Gemeinsamkeiten von Bolivien, Peru und Chile erinnern und zu
Vernunft und Einheit aufrufen.
compatriotas peruanos tratemos de ser mas razonables, es decir no podemos tampoco
adueñarnos 100% de estas danzas ya que en relidad le pertenece al altiplano en General.
esta danza asi como otras se baila en Bolivia, Chiele y Peru, pero todos son partisipes ya
que estas danzas no tienen fronteras. (YOUTUBE)
la música y el arte y la cultura no tiene fronteras políticas (ejemplo frontera peruana,
argentina, boliviana, chilena, etc)
La cultura y el arte solo tiene fronteras imaginarias. Le pido a toda la gente
inmadura que discute de que de qué país es cada música que madure. (YOUTUBE,
Hervorhebung der Autorin)
la cultura no se divide cuando la tierra es dividida
Y por ultimo que un nuevo amanecer ilumine el futuro, y que allá en nuestro lejano país
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Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
los aymaras , quechuas, mestizos y criollos, y todos los que estamos legos de nuestra
querida patria trabajemos unidos en defensa de nuestra cultura.
6.5
Tanz und Gender-Identitäten
Abb. 8: Tanz und Gender-Identitäten; eigene Darstellung mittels atlas.ti
Obwohl Caporales, der aktuell wohl populärste bolivianische Folkloretanz, als sehr
sexistisch betrachtet werden kann und auch in anderen Tänzen mit Gender-Rollen und
sexuellen Reizen gespielt wird, gibt es diesbezüglich kaum Diskussionen unter den
bolivianischen
TänzerInnen.
Insofern
erscheint
mir
KATHARINAs
Aussage
bezeichnend:
Sexismus ist in Bolivien wohl kaum ein thema, ich bin mit meinen milden feministischen
bestrebungen meist gescheitert (KATHARINA, 29.03.08)
Selbst bei genauerem Nachfragen äußern auch auslandsbolivianische TänzerInnen nur
selten Bedenken bezüglich der transportierten Frauenbilder bzw. Gender-Rollen, obwohl
sie sich des enthaltenen machismo sehr wohl bewusst sind.
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Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Klar kommt die südamerikanische Machogesellschaft durchaus zum Vorschein. Aber es
gibt ja auch neue Bewegungen wie die der Machas. (CHRISTOPH, 27.04.08)
the costumes is so beautiful...and it is very sensual....and for the men it is very " macho" if
you say so.... (SARAH, 04.03.08)
En Caporales ,Morenada es solamente muchas vecez un bonito,sexy „Beiwerk“ a los
hombres. (ROXANA, 27.04.08)
¿A qué se debe el éxito de la danza de los Caporales tanto en Bolivia como en el
extranjero? - Por el vestuario y los pazos que demuestran virilidad en los hombres y
feminidad en las mujeres. (MERCEDES, 17.04.08)
a muchos chicos les gusta porque ven toda la parte de la tanga, mientras se vea mas el
trasero entonces genial y yo digo bueno ok si lo ves así perfecto pero si lo ves como mujer
digo bueno estoy ahí, estoy muy bonita, con muchos aretes con mucho collares pero que
hago?, no hago nada entonces yo cuando bailo caporales siempre trato de decir: las
mujeres no existían en este baile pero por lo que ya también se ha expandido mucho
como baile en escenarios entonces la mujer ha tenido que tomar parte de ello. [...]
mientras mas flaquita eres, mas esbelta eres, mas bonita entonces tienes mas opción de
bailar este baile. [...] me doy cuenta de que las mujeres siempre están impregnadas en la
historia de Lainoamérica bajo lo que diga el hombre. Entonces si ahí en ese baile es
un poquito como que el rol de lo que son las mujeres y lo que es la función
del varón. (GLORIA, 16.03.08, Hervorhebung d. A.)
Es gibt einige von den Burschen, die sich da schwer getan haben, mit dem Caporales.
Und vielleicht auch deswegen nicht so 100% geben können. Mein Bruder eher, er kriegt
das ziemlich gut hin, könnte man sagen. Und zeigt auch, versucht sich männlich
darzustellen. Also diese Manneskraft ist einfach da, sollte da sein. [...] Ja, also ich würd
gerne mal haben, dass wir ein Caporal haben nur mit Männern. Dass aber das dann
volle Power ist, weil das so sein sollte. (VERA, 11.02.08)
da hatten wir einfach eine schöne Choreographie, die die Frauen sehr oft in den
Vordergrund gestellt hat. Also die starken Männer und die schönen Frauen. So zart und
doch irgendwie so mystisch und schön. - Wie siehst du das: Ist es nicht irrsinnig
Klischee-behaftet? - Ja,auf jeden Fall. Aber das ist es ja eigentlich auch, dass es
irgendwie, halt symbolhaft für Dinge steht. (VANESSA, 15.03.08)
Las danzas reflejan la realidad de la gente que las creó, puede ser
machista en la mayoría de los casos. (LORENA, 07.04.08, Hervorhebung d. A.)
Nicht bolivianische TänzerInnen geben mitunter sogar zu, dass sie den „machistischen“
Touch eigentlich attraktiv finden.
Ich glaube von außen ist es leicht zu sagen, dass z.B. in Caporales die Frau nur da ist,
um gut auszusehen, ein bisschen rumzuhüpfen und so viel Bein wie möglich zu zeigen.
Aber ehrlich gesagt finde ich das gar nicht so schlimm, da wird halt mit Klischees
gespielt. Außerdem gibt es ja auch M acha-Choreos, es ist also nicht so, dass
nur M änner richtig [sic!] Caporales tanzen dürften. (CHRISTINE, 21.04.08,
Hervorh. d. A.)
diese Interaktion, der Prinz versucht die Frau zu beeindrucken und die Frau natürlich
umgekehrt, halt auf eine andere Art und Weise. Ahm, das ist für mich schon sehr präsent
[...] diese ahm, eleganten Bewegungen, dieses Kokettieren, das taugt mir schon extrem
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Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
daran. (ALEXANDRA, 08.02.08)
cuando uno baila de varón los movimientos son más fuertes o sea ahí se muestra al
caporal no? entonces tienes que estar cantando, haciendo patadas, te das vueltas [...]
mientras que de mujer eres mas coqueta, enseñas la sensualidad de la mujer y tienes que
ir siempre moviendo la cadera y las polleras, entonces ahí es mucho más movimiento
solamente de cadera, bueno haces también saltos y todo pero no tienes que mostrar la
fuerza si no solamente , mientras más coqueta, más bonita, más sonríes; es mejor. [...] en
realidad en caporales no pertence la mujer, no había caporalesas entonces es como se
dice un Erfindung de este baile porque en este baile si lo quiero mirar un poquito, no es
solamente como la figura tradicional de la mujer, tienes que estar ahí es un baile, por eso
digo es moderno (GLORIA, 16.03.08)
Hier kommt es m. E. zu der von Washabaugh geschilderten Überlagerung imaginierter
Gender-Rollen mit der Vorstellung des ethnischen Anderen (vgl. 1998: 5 ff). Selbst wenn
es in der eigenen Gesellschaft genug machismo geben sollte, so wird er bei „den“
SüdamerikanerInnen als etwas Anderes/Exotisches und daher viel eher Tolerierbares
gesehen.
Erstaunlicher Weise gibt es auch auf YouTube kaum sexuelle Anspielungen zu den
ultrakurzen Miniröcken der Tänzerinnen, was aber auch an der „Zensur“ durch die
Video-PosterInnen liegen könnte, da derartige Assoziationen ganz offenbar ein
Tabuthema sind und bolivianische Tanzvideos meiner Einschätzung nach zum
allergrößten Teil von Leuten angesehen werden, die entweder selbst tanzen oder sonst
einen Bezug zu Bolivien und seiner Kultur haben, dieses Thema daher möglicherweise
aus Rücksicht nicht anschneiden wollen. Die wenigen Postings, die ich dazu auf
YouTube gefunden habe, waren bezeichnender Weise von nicht bolivianischen
Männern.
sayo o no, jala porque las nenas muestran las nalgas, strep tease andino (YOUTUBE)
it looks like it's a good way to move strep shows out on the streets the girl needs to show
more tetas and get rid of the silly kid wow this might work. (YOUTUBE)
a mi me gusta ver a las chicas cuando usan sus lindos calsoncitos se les ve tan sensuales
=p salu2 simones (YOUTUBE)
Obwohl viele BolivianerInnen und Nicht-Bolivianerinnen mit der Präsentation der Frau
in Caporales einverstanden sind, wird außerhalb Boliviens scheinbar doch immer wieder
heftig über Rocklängen, Unterröcke und die allzu große Sichtbarkeit der Unterhosen
beim Tanzen diskutiert. Da gibt es dann sehr wohl (auch südamerikanisch-stämmige)
Frauen, die sich bei einer derartigen Zurschaustellung nicht wohl fühlen. Interessanter
139
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Weise ergibt sich bei dieser „Unterhosen-Debatte“ außerdem ein Konnex zur
Authentizität: Wie VANESSA berichtet, wollten in ihrer Gruppe gerade die deutschen
Tänzerinnen ohne Unterrock tanzen – SO wie in Bolivien, weil das ja SO gehöre.
NICOLÁS und CHRISTOPH werfen hier indirekt die Frage auf, inwiefern dieses Bild
der großen, möglichst blonden „Sexbombe“ durch den Einfluss der westlichen Medien
geprägt wurde und die jungen Bolivianerinnen vor allem deshalb so gerne Caporales und
Morenada (als Figura) tanzen, weil diese Tänze so gut zu den medial propagierten Bildern
der „modernen“ Frau passen.
en algunas se nota la influencia de la cultura occidental, en la que la mujer tiene que ser
jóven, seductora, hermosa, rubia, de tez clara, cuerpo perfecto y coqueta, mientras que
las mujeres de edad pasan a un segundo plano. (NICOLÁS, 28.03.08)
Über die Rolle der Frau in den Tänzen gibt es insofern schon des öfteren
Gesprächsbedarf, weil viele Frauen das Caporales-Röckchen als ‘sexistisch’ empfinden.
Einige weichen deshalb auf das Männerkostüm aus und tanzen als Mann! Die Machas
als solches mit eigenen Choreografien sind in Deutschland meines Wissens noch nicht
präsent. Es gibt doch sehr viele Frauen, die gerne die knappen weiblichen Caporales und
Tobas-Kostüme tragen und um eine Tinku-Tracht einen großen Bogen machen, weil sie
darin, so ist zu vermuten, sich nicht hübsch genug finden.Aber das hat wohl mehr mit
dem europäischen Schonheitswahn zu tun. Frauen, die viel Wert auf ihr Äußeres legen,
tanzen eher nicht Tinku, Huayno oder gar als Cholita. Dafür umso mehr Tobas und
Caporales. (CHRISTOPH, 30.04.08)
Vielen Frauen geben derartige Auftritte einfach das Gefühl, attraktiv zu sein.
el caporal porque la elegancia y movimientos y por supuesto la belleza de los trajes me
identifican es decir me hacen sentir muy bien al bailarlo [...] Pero el cambio que yo haria
de las danzas que anteriormente baile a la que me gustaria tiene un poco del gusto de
verme elegante y sexy [...] me parece muchas personas que deciden bailar de figuras y
ademas de caporales porque es sexy y se puede apreciar desde la figura hasta el rostro
(NATALIE, 06.04.08)
Auslandsbolivianerinnen wehren sich oft gegen den Begriff „sexy“ und betonen, dass es
bei den entsprechenden Kostümen und Bewegungen um „Sinnlichkeit“ geht. FRIDA,
eine seit langem in Europa lebende Bolivianerin, erklärte mir, dass das Zeigen der
(Tanga)-Unterhöschen beim Tanzen in Bolivien keinesfalls so anstößig wirke, wie dies in
Europa der Fall sein könne. Die normalerweise eher schüchternen und prüden Frauen
hätten während der Karnevalszeit einfach die Möglichkeit, ihre sonst versteckten Seiten
140
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
zu zeigen und im Sinne von andinem Kuti8 oder europäischen Karneval in eine
„verkehrte“ Welt einzutauchen. So sei auch zu erklären, dass konservative Väter aus
angesehenen Gesellschaftsschichten nichts gegen diese Zurschaustellung ihrer Töchter
einzuwenden hätten. Der Unterschied zwischen „sinnlich“ und „erotisch“ wäre demnach
durch die Einstellung (actitud) und nicht durch das Kostüm der Tänzerinnen gegeben.
Porque el caporal a pesar de su movimiento y su coqueteo no tiene como decirte
connotación sexual, si sensua,l coqueto, pero sexual para un boliviano te digo un papá
como hay varios papás que tienen hijas adolescentes que bailan, no permitirían a sus
hijas que bailen, y bailan en el mismo grupo. Son padres bolivianos muy recatados, gente
muy tradicional no permitirían jamás que sus hijas se expongan a un público en calzones
cuando ellos mismos están bailando en el mismo grupo. Es por eso es que te dig que es
una noción bastante compleja para una persona que talvez no viene de la cultura
boliviana pero que para nosostros está muy en los hábitos en la costumbre y la
construcción social de la cultura boliviana. (FRIDA, 13.03.08)
Ich finde diese Argumentation sehr spannend, da sie auf jeden Fall Hinweise für weitere
Nachforschungen in Bolivien gibt. Auf die Frage, warum sich jedoch nur Frauen aus
bestimmten Gesellschaftsschichten gerne auf diese Art und Weise präsentieren und
warum das erst seit relativ kurzer Zeit der Fall ist, konnte FRIDA jedoch auch keine
Antwort geben. Tatsache ist, dass die Röcke erst im Lauf der 40-jährigen Geschichte von
Caporales immer kürzer wurden und der Tanz zur Zeit seiner Entstehung ein ganz
anderes „Gesicht“ hatte. Was die sehr ähnlich gekleideten Figuras in der Morenada
anbelangt, so wird auch gerne darauf vergessen, dass die ersten Figuras Transvestiten
waren, die sich als „Schmetterlingswesen“ (mariposas) den Tanzgilden anschlossen und
damit auf die Konstruiertheit der gängigen Geschlechterrollen verwiesen (vgl. Schulze
1999: 126 ff). - Homosexualität ist in Bolivien ein absolutes Tabu-Thema, das allerdings
im Tanz bis zu einem gewissen Grad toleriert wird (etwa in den Kullawada-Gruppen, wo
im Gegensatz zur Morenada nach wie vor deklarierte Homosexuelle mitmachen).
Angesichts der in Bolivien üblichen Berührungsängste verwundert es kaum, dass
GLORIAs Gruppe nicht gesagt wurde, dass es sich bei dem Auftritt um ein
Schwulenfest handelte:
cuando nosotros bailábamos en Hamburgo todavía nos invitaron a un evento pero no nos
8
Kuti bedeutet soviel wie Umkippen; die bestehenden Verhältnisse sollen also auf den Kopf gestellt
werden. Genau das passiert auch beim Karneval, der ja gemeinhin als Ausdruck einer Gegenwelt, in
der das sonst Unmögliche und Verbotene möglich werden, angesehen wird (Gisbert 1999: 12)
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Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
dijeron para que era [...] y entonces era una fiesta de homosexuales y mira allí los que
llamaron la atención son los varones, todos los chicos estaban viendo a los varones con su
Peitsche y las botas con esos cascabeles o sea si no se presentaban las mujeres era mucho
mejor, porque como que le quitamos el sentido al baile y a lo que los espectadores
querían, lo que querían ver eran a los varones (GLORIA, 16.03.08)
Besonders interessant in Bezug auf Gender-Rollen ist die Erscheinung der Macha
Caporales, der Frauen, die in Männerkleidung und mit Männer-Schritten tanzen:
Wenn man sich nur Caporales herauspickt kann man natürlich behaupten die Frau sei
auf ihre kokett schwingende Taille reduziert... Schön finde ich daher, dass es auch
Caporales-Machas gibt, die den extremen Machismo der Männer ein bisschen ad
absurdum führen und dabei viel Spaß haben. [...] Der Ausdruck des Tanzes ist heute
reduziert auf das Spiel zwischen Frau und Mann und daher bekommen glaube ich beide
Seiten die Möglichkeit mit ihren Reizen kokettieren zu können. Mir ist Caporales
allerdings zu kitschig wenn die Frauen überaffektiert tanzen. (ISABELLA, 04.05.08)
Und, was ich jetzt cool finde zur Zeit ist, dass ein Mädel halt als Mann tanzt, und ich
finde, sie fegt alle weg, und das sollte nicht so sein. Also eigentlich sollten die Männer
sollten stark sein, aber ja… [...] Sie selber, wollte nicht als Frau tanzen. Es ist ihr einfach
alles zu knapp. Und ihr hat das immer schon, also von Anfang an hat ihr eher der
männliche Tanz gefallen. Und da haben wir dann gesagt, also in Bolivien machen das
eh Frauen und so weiter, dann bewähr dich mal, zeig mal was du kannst…und da sie
sich so gut getan hat, haben wir uns gedacht, na gut OK, wenn du willst…und sie „ja,
unbedingt„, also das ist was sie wollte, sie wollte das… (VERA, 11.02.08)
Creo que culturalmente y en el entorno de lo que era y es boliviano, las danzas otorgaban
preponderancia al „hombre“. Creo las mujeres que bailan de hombre lo hacen por varias
razones..y creo que ninguna de esas razones es la de proyectarse en un risma masculino.
.Por experiencia propia te comento que al bailar de hombre, jamás fue por probar
algo..es parte de una representación que simple y llanamente eso..un rol a interpretar.
También, la mujer posee en don de la versatilidad de poder representar a un hombre sin
miedo a la ofensa o a la ridiculez. Creo que todo vuelve al hecho de que la mujer a
evolucionado y expandido lo que significa „quiero hacer más“. Los límites de la mujer,
actualmente se han rebasado en todo entorno, siendo la danza parte de este movimiento
de liberación de ente. [...] Creo que no hay nada malo en bailar de hombre. Es parte del
cambio que estamos experimentando y continuaremos experimentando. [...] Creo que
bailar de hombre es algo que denota individualidad y la habilidad de ir más allá del
genero. (RUTH, 16.04.08)
Also nicht unbedingt das man sagt: ich möchte gar nicht mehr als Frau tanzen weil ich
das irgendwie zu, ja zu klischeehaft oder irgendwie sexistisch finde oder so. Oder ich
möchte mich nicht so zeigen. Sondern eigentlich... es macht irgendwie mehr Spaß, also
kraftvolle zu tanzen und ja, dass da irgendwie mehr, mehr aus sich raus gehen zu
können als Mann. (VANESSA, 15.03.08)
In Bolivien gibt es in vielen Gruppen ganze Macha-Blöcke, im Ausland sind es meist nur
einzelne Frauen, die sich unter die Männer mischen. Zwar geben die meisten dieser
Frauen an, dass sie auch „als Frauen“ tanzen und den Männerpart vor allem wegen der
kraftvollen Bewegungen, bei denen sie sich „austoben“ können, schätzen, doch dürften
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Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
die von Hanna zitierten rituals of rebellion (Gluckmann 1954 in Hanna 1988: 86) hier sehr
wohl eine Rolle spielen. - Solange es keine Gleichstellung gibt, ist wohl jede Aneignung
eines männlich dominierten Raums auch ein (in diesem Fall scheinbar häufig
unbewusster) Teil des Selbstverständnisses emanzipierter Frauen. So verwundert es
kaum, dass viele Tänzerinnen aus europäischen Ländern, in denen Gender-Rollen
stärker
thematisiert
und
hinterfragt
werden,
besonders
wenig
mit
der
„kitschigen/sexistischen“ Darstellung des Frauenparts in Caporales oder Morenada
anfangen können und auch nie so tanzen würden.
Ich bin sehr froh, dass nur wenige Tänze die Frau als Objekt der Begierde darstellen
und ich kann mir auch nicht vorstellen diese Rollen zu tanzen (Figu[r]a bei der
Morenada oder Caporales). [...] Interessant sind natürlich auch die Rollenbilder bei der
Chacarera. Auch hier muss ich als Frau weibliche Werte darstellen und der Mann mich
beeindrucken. Trotzdem habe ich bei diesem Tanz viel mehr das Gefühl interargierendes
Subjekt zu sein, dem Mann gleichgestellt. Wahrscheinlich liegt viel von dieser
unterschiedlichen Wahrnehmung an der Kleidung. Mir würde es unbehagen bereiten
meinen Körper mit einem Figu[r]a Kostüm zu präsentieren. Auf jeden Fall sind diese
Rollenbilder für mich nicht leicht zu akzeptieren, ich finde allerdings, dass die Tänze
eine gut Möglichkeit für mich sind, mich damit auseinander zu setzen. (SABINE,
30.04.08)
Teilweise find ich die Darstellung [der Frau] zu sehr als „Puppe“ oder Schmuckstück.
Da wir kaum Männer in der Gruppe haben und ich jetzt nicht unbedingt die Expertin
bin, habe ich jetzt kaum die Männerparts von allen Tänzen im Kopf. Aber manchmal
demonstrieren die Männer in den Tänzen eher Stärke und Kraft und die Frauen sind
dazu irgendwie Dekoration bzw. Glanz und Reiz (kurze Röcke, hohe Stiefel, etc.). Aber
das ist nicht in allen Tänzen so. Da werden eigentlich unterschiedliche Frauenbilder
gezeigt. (SUSANNE, 13.04.08)
Die „vertanzten“ Gender-Rollen beschränken sich natürlich nicht nur auf Caporales und
Morenada/Figura, die die Frau zwar als Objekt der Begierde erscheinen lassen, aber
keine Paartänze im eigentlichen Sinn darstellen: Bei Umzügen treten Frauen und
Männer
getrennt
in
Blöcken
auf
und
auch
in
den
Choreografien
von
Bühnentanzgruppen wird die direkte Interaktion oft durch getrennte „Show-off“-Teile
unterbrochen. Anders bei „echten“ Paartänzen wie Cueca und Chacarera, die sich im 19.
Jahrhundert aus den europäischen Gesellschaftstänzen entwickelt haben und wo das
kokett gewirbelte Taschentuch zum Symbol für die partnerschaftliche Annäherung wird:
Hier geht es einerseits um das von Hanna erwähnte Liebeswerben im Tanz und die
damit verbundenen, kulturell kodierten Geschlechterrollen (vgl. Schulze 1999: 121) und
andererseits um die Aneignung und subversive Hybridisierung der Tänze der
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Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Kolonialherrscher (Hanna 1979: 46 f, 142, Bhabha 2000: 165). Doch obwohl die Cueca
sowohl von Bolivien als auch von Chile als Nationaltanz reklamiert wird, gibt es dazu auf
YouTube erstaunlicher Weise keine flaming wars – vermutlich auch deshalb, weil gute
Cueca-Videos rar sind. Das gleiche gilt für die Chacarera, die im Allgemeinen eher
Argentinien zugerechnet wird, jedoch in allen Ländern der Gran-Chaco-Region
(Argentinien, Bolivien, Paraguay, Brasilien) präsent ist. Viele nicht bolivianische oder
nicht in Bolivien geborene TänzerInnen sind von diesem Spiel zwar fasziniert, tun sich
bei der Umsetzung aber sehr schwer (Erfahrungen mit der eigenen Gruppe), was
vermutlich auch mit der Identifikation mit den entsprechenden Rollenbildern zu tun
hat.
Ich finde Cueca wunderschön. Die Koketterie zwischen Mann und Frau in diesem Tanz
macht für mich die Faszination aus. [...] Bei der Cueca wird die Frau umgarnt oder
erobert, hat aber genausoviel Raum, um “Signale” zu senden. Auch Huanyo und diese
ganzen Paartänze sind einfach Paartänze, die Frau wird vielleicht ein bisschen
überspitzt als Frau präsentiert und die Rollen sind dabei klar verteilt, aber das ist doch
eine Art von Tanz und stört mich deshalb nicht weiter. (CHRISTINE, 21.04.08)
zum Beispiel Cueca oder so was… [...] …das war bei mir früher genauso…ich wollte es
einfach nicht tanzen…weil als ich jünger war, dieses Zu-Nahe-Kommen an die Person,
das gefällt mir gar nicht…ja, aber sonst mittlerweile…geht’s eh. [...] … ich war nicht so,
dass ein Mann mir zu nahe kommt, das war für mich..ii…OK. Und die Art, natürlich
wie die Maria und der Francisco uns immer unterrichtet haben, OK, du musst, so flirten
und du musst den Partner anschauen…ich war nie so, dass ich jemanden gern ins
Gesicht schau, als ich jünger war, das ging… überhaupt wenn’s ein Mann ist, für
mich…zu schüchtern war ich einfach, aber mittlerweile geht’s. Bei den anderen ist es
halt doch so, ja, ich möchte nicht ganz und so weiter. [...] Also Cueca ist mehr so ein
…für mich so ein Paartanz, wo du versuchst…also dieses Flirten…und dann man
kommt sich näher, dann doch nicht, so auf der…die Frau lässt sich nicht so leicht
kriegen…so versuchen wir das auch darzustellen. Und eher so ein…Liebestanz könnte
man sagen. (VERA, 11.02.08)
Das andere Extrem sind die wahrgenommenen Darstellungen der Frau als fruchtbare
„Allmutter“ (vgl. Hanna 1988: 46 f, 78, 88, Washabaugh 1998: 5 ff) bzw. die
„Erdverbundenheit“ bestimmter Tänze.
En algunas creo que la mujer es presentada en un nivel inferior, quizás debido a cierto
machismo, pero en otras pienso que la mujer cumple una función complementaria, como
parte importante de la comunidad y generadora de vida. (NICOLÁS, 28.03.08)
en las danzas autoctonas la mujer es muy necesario, como símbolo de fertilidad. Y en las
danzas folkloricas es una búsqueda de equilibrio en la modernidad (CAMILA,
25.04.08)
144
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
What do you think of the role of the woman in the Bolivian dances? As far as
presentation they add a key component, which attracts many crowds of people to watch.
As far as the culture they add the soft feminine, motherly movements that is present in all
cultures. (GEORGE, 02.04.08)
Ein anderes Thema sind allerdings die Liedtexte. Da wird die Frau oft dargestellt als
ein Teil der bolivianischen oder indigenen Kultur, auf die man stolz sein kann und
kommt kurz vor der Chairo und dem Coca. Die Texte finde ich also richtig dumm,
ehrlich gesagt, aber wenn man sich deutsche Volkslieder anhört, sind die genauso
bescheuert und präsentieren die Frau oft ähnlich. (CHRISTINE, 21.04.08)
REALMENTE NO VEO NADA MALO EN COM LAS MUJERES SE PRESENTAN.
OSEA. NO ESTAMOS DICIENDO Q ESO ES ASI EN ESTOS DIAS. LA MUJER
YA HACE MAS Y NO SOLO ES LA CHOLITA CARGANDO LA WAWA Y
COCINANDO (TOMÁS, 10.04.08)
Für viele Nicht-BolivianerInnen ist die Rolle der Indigenen oder der Cholita etwas
suspekt, andere sind nicht sonderlich begeistert von den „dick machenden“ CholitaRöcken und -Unterröcken. Hier sieht man deutlich, wie stark der von Schulze (1999:
130) erwähnte Kleidungs-/Kostümierungsaspekt bei der Kreation von Identitäten wirken
kann: Trotzdem die Schritte von Figuras und Cholitas fast gleich sind, werden sie mit
gänzlich anderen Identitäten assoziiert.
Frauen, die viel Wert auf ihr Äußeres legen, tanzen eher nicht Tinku, Huayno oder gar
als Cholita. (CHRISTOPH, 30.04.08)
Für viele der jungen nicht bolivianischen Tänzerinnen ist es jedenfalls oft nicht einfach,
sich in die Rolle einer Cholita hineinzuversetzen, wie das etwa KATHARINA ausdrückt:
Ich glaube die cholitas sind sich ihrer sehr bewusst, ich sehe sie als einen starken
frauentyp, geschäftsfrauen, aber auch arbeitende frauen, ...lebensfrohe frauen. Und so
etwas zu repräsentiern erfordert meiner meinung nach eine gewisse portion mut.
(KATHARINA, 29.03.08)
6.6
Tanz, „persönliche“ und Diaspora-Identitäten
Selbstverständlich gehören Diaspora-Identitäten auch zu den persönlichen Identitäten,
doch möchte ich mit dieser etwas holprigen Unterscheidung folgenden Sachverhalt
verdeutlichen: Der bolivianische Folkloretanz ist nicht nur für AuslandsbolivianerInnen
erster und zweiter Generation, sondern auch für Halfies und Nicht-BolivianerInnen
identitätsbildend und identitätsstiftend. Als Möglichkeit der Selbstrepräsentation oder
145
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
als Werkzeug zur persönlichen Entwicklung kann er diese Funktionen für alle
genannten Gruppen erfüllen, während Nicht-BolivianerInnen zwar über den kulturellen
Austausch und die in manchen Gruppen besonders stark gelebte Interkulturalität und
Integration mit bolivianischen Diaspora-Identitäten in Berührung kommen, sie aber
nicht als Teil der eigenen Persönlichkeit erleben.
6.6.1
Tanz als Mittel zur persönlichen Entwicklung
Viele TänzerInnen sagen, dass sie das Mitmachen bei einer Tanzgruppe persönlich
weiter gebracht hat – sei es, dass sie selbstbewusster wurden, ein besseres Körpergefühl
erlangten, kreativ sein konnten oder einfach Erfolgserlebnisse hatten, die sie innerlich
gestärkt und stolz gemacht haben:
Das Tanzen hat mich auf jeden Fall verändert - allerdings eher in persönlicher Hinsicht.
Ich bin viel selbstbewusster geworden, vielleicht weil man mehr Körpergefühl entwickelt
und seinen Körper bewusst einsetzen muss, dabei aber auch weiß, dass es gut aussieht,
was man gerade macht. Auch wenn ich davor schon gern und viel getanzt habe
(allerdings nur in meiner Freizeit), hab ich mich irgendwie verändert, seit ich in dieser
Gruppe bin und sagen kann: „Mein Hobby ist Tanzen.“ Ich bilde mir ein, dass ich
Fremden gegenüber inzwischen anders auftrete - eben mit mehr Selbstbewusstsein, aber
auch auch mehr Selbstzufriedenheit. (CHRISTINE, 21.04.08)
bin extrovertierter geworden, hab neue sachen ausprobiert und gelernt [stolz darauf]
Dass ich keine Bolivianerin bin und trotzdem die Tänze gut beherrsche. (STEFANIE,
24.03.08)
wenn man dann einfach sieht, dass man das alles irgendwie bewältigt und dann eben
was schönes da raus kommt. Das gibt einen schon ganz schön viel. (VANESSA,
15.03.08)
Aber jetzt so im Nachhinein denk ich ma so- für mich persönlich hats ma urviel bracht,
weil ich auch urviel über mich selber glernt hab. [...] Also man lernt auch sich selber
besser zu beobachten und andere Leute besser zu beobachten und es fallt einem viel
mehr auf. Das is, extrem. [...] ich seh schon extrem.., wo ich dort war und wo ich jetzt
bin, da denk ich schon, das ist schon ein extremer Weg eigentlich. Und das is auch das
was du gsagt hast oder halt du hast ma irgendwann einmal a SMS gschickt und das hab
ich nämlich, das is ma irgendwie soo geblieben.. ah, wo du gschrieben hast, - so quasi ich
bin das Beispiel dafür, dass ma alles erreichen kann wenn ma will. Und da hab i ma
dacht- du hast ganz schö recht (ALEXANDRA, 08.02.08)
I have taken responsabilities by running for leadership positions, and this has brought
me experience in the management of a non-oraganization group, and have come severalt
times into ethical-conflicting decision making. [...] I'm able to be creative by helping with
choreographies. (STUART, 16.04.08)
Creo los integrantes de los grupos en los que he participado y en lo personal, existe una
gran gratificación de amistad, orgullo cultural y un alza en el autoestima. (RUTH,
146
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
16.04.08)
Me siento orgullosa cuando después de los ensayos y toda la preparación previa termino
satisfecha con mi conocimiento de la danza en particular, más si es un baile que nunca
antes había bailado. (MARCELA, 24.04.08)
Eine Tanzgruppe hat die Förderung des Selbstbewusstseins sogar als explizites Ziel ihrer
Gründerin erwähnt:
[...], whose personal goal and interest is to provide the dancers with a way to build selfesteem (WEBSEITEN)
Für manche ist es einfach schön, sich selbst präsentieren zu können
Yo soy de las personas ...apasionadas. Me gusta entregar y tambien a la vez mostrar
quen soy/mostrar mi alma en lo que hago. (ALEJANDRO, 05.03.08)
und andere sehen sogar berufliche Entwicklungsmöglichkeiten
also was mir sehr gefällt ist eine internationale Atmosphäre, dass man immer mit Leuten
aus unterschiedlichen Hintergründen irgendwie zusammen arbeitet. Andauernd
unterschiedliche Sprachen um sich herum hat und ich würde halt später auch beruflich
gerne halt irgendwie im Event- oder in den kulturellen Bereich gehen. Und von daher
kann ich mich hier eben total ausleben und finde halt zwei Dinge die ich irgendwie
miteinander verbinde, die ich jetzt praktisch auch in meiner Freizeit, ja mache und mich
da eigentlich auch weiterbilde gleichzeitig. Weil es ja alles Erfahrungen sind, die mich
weiter bringen. Sei es jetzt irgendwie Kontakte knüpfen oder irgendwie für, also,
Finanzierungsmöglichkeiten suchen oder der Internetauftritt, sich darum zu kümmern
oder ja, halt eigentlich alles Mögliche... Sponsoren... und so weiter. Und es ist schon was,
wo ich gemerkt hab, generell nimmt mich die Gruppe schon sehr ein. Und ich find es
auch bewegend sich auf verschiedenen Ebenen. Und vor allem ist es auch super schön
wenn man einmal einen großen Erfolg hat. (VANESSA, 15.03.08)
6.6.2
„Fremde” und „eigene” Identitäten
Im tanzbezogenen Diskurs über die persönliche Identität wird immer wieder das
Annehmen fremder Identitäten thematisiert. Auf YouTube geht es dabei vor allem um
den
postulierten
Kulturraub
und
um
die
Behauptung,
dass
es
BolivianerInnen/PeruanerInnen eben notwendig hätten, sich „mit fremden Federn zu
schmücken“. Direkt damit in Zusammenhang stehen einerseits die Verteidigung von
Kultur, „lo nuestro“ und Identität sowie andererseits das Annehmen „fremder“
regionaler und nationaler Identitäten. So wurde etwa eine Posterin, die sich einige Zeit
lang sehr intensiv am „Tanzkonflikt“-flaming war beteiligte, angegriffen, weil sie sich als
Flachländerin so intensiv für die Hochland-Tänze engagierte.
147
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
simplemente se cuelgan en culturas ajenas...dicen que son de beni...o sea de la selva
donde nunca llego la cultura ni civilizacion andina..pero pelean como unas perras
lunaticas sin identidad por cosas? ajenas..jajajajajajajajaja (YOUTUBE)
Das muss natürlich kein Widerspruch sein:
no pertenezco al occidente del pais y que soy 100% cruceña y q? a mucho orgullo !!!!!!!!
ALEJANDRO (als Dreijähriger ins Ausland gekommen) sieht überhaupt kein Problem
darin, „fremde“ Tänze zu repräsentieren und sich dabei ein Stück „bolivianisch“ zu
fühlen:
hasta uno que es de ejemplo ARGENTINO puede sentirse Boliviano. Pueden querer a un
pais que no es suyo. (ALEJANDRO, 05.03.08)
Besonders kritisch ist das Thema bei LateinamerikanerInnen; wenn Nicht-Latinos/as
bolivianische Tänze erlernen und aufführen fühlen sich die BolivianerInnen meist eher
geehrt. Interessant ist hier eher die Rezeption durch Menschen aus dem gleichen Land,
die es schon hin und wieder „lustig“ oder befremdlich finden, wenn z.B.
Österreicherinnen bolivianische Trachten und Tänze vorstellen.
Kommentar von irgendwem aufgschnappt hat, so quasi, naja, das sind Österreicher- die
tun so als wärn sie Bolivianer oder so. [...] Also ich muss da jetzt nicht irgendwie
irgendwem vorspielen, ich bin was weiß ich da jetzt mehr Latina als was ich in
Wirklichkeit bin oder so. Wieso? Man kann ja beides miteinander vereinbaren. Man
muss ja ncht in eine fremde Identität schlüpfen, nur weil ma halt irgendwas macht, was
halt ja Bolivianer machen oder was auch immer. (ALEXANDRA, 08.02.08)
Manche sagen nach einem Auftritt: „Mensch, du wirst ja zu einer richtigen
Bolivianerin.“ Dann muss ich lachen. (CHRISTINE, 21.04.08)
Wie im „Tanzkonflikt“ deutlich wird, ist es vielen BolivianerInnen und PeruanerInnen
ein großes Anliegen, die „eigene“ Identität zu verteidigen. Identität, Kultur und Tanz
werden bei den entsprechenden Aussagen häufig als Synonyme gebraucht.
boliviano defiende tu identidad. y que no te engañen dicendo que la diablada se baila en
todo el ande, y es cultura y como es cultura no tiene frontera chilenos, copiones inutiles
mentales inbenten lo suyo. (YOUTUBE)
QUE PENA QUE NO SE MOVILIZEN LAS AUTORIDADES DE NUESTRO PAIS
PARA DEFENDER LO NUESTRO Y QUE FACIL DEJAN QUE OTROS PAISES
COMO EL PERU QUIERA ADUEÑARSE DE NUESTRA IDENTIDAD,...... QUE
IDENTIFICA A TODOS LOS BOLIVIANOS (WEBSEITEN)
GLORIA hat als Peruanerin Verständnis für ein derartiges Verhalten,
148
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
todas las personas busquen de alguna manera un enraizamiento o una identidad, de
decir eso es de mi país y yo lo protejo no? es lógico, a nosotros nos pasa lo mismo por el
pisco, si los chilenos dicen el pisco es nuestro pues entonces nosotros decimos, aha ok que
bien pero que ellos sepan que también hay en mi país, y mientras siga habiendo en mi
país va ser nuestro no? (GLORIA, 16.03.08)
das aber auch kritische Stimmen auf den Plan ruft:
Pero no sé que tanto defienden algo de BOLIVIANO, si no son para nada patriotas en
su propio país. Santa cruz pide autonomia con banderas que no es la Boliviana, y el
presidente tiene gente marchando con la wipala como bandera nacional. Hagan patria
dentro para después defender lo suyo. (FACEBOOK)
Tatsache ist, dass sich viele BolivianerInnen im Ausland bolivianischer zu fühlen
beginnen, als in ihrer alten Heimat. – Es kommt zu der von Schippers (2002: 42)
beschriebenen Ethnogenesis.
el Boliviano siempre se siente mas Boliviano cuando se va de Bolivia. (ALEJANDRO,
05.03.08)
no se si entonos los casos, pero con los bolivianos que hable, se sienten mas bolivianos que
en Bolivia misma (CAMILA, 25.04.08)
149
Eveline Sigl
6.6.3
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Erste und zweite Diaspora-Generation, Halfies
Abb. 9:Erste und zweite Diaspora-Generation, Halfies; eigene Darstellung mittels atlas.ti
Auch wenn es viele auslandsbolivianische TänzerInnen gibt, die als (Klein)kinder in das
neue Aufenthaltsland gekommen sind und man annehmen könnte, dass sich ihr Bezug
zu Bolivien und den bolivianischen Tänzen kaum von denen der Angehörigen der
zweiten, bereits im Ausland geborenen Generation unterscheidet, so zeigt sich doch eine
Differenz im Identitäts-Diskurs. Wie man auf YouTube immer wieder beobachten kann,
macht es durchaus einen Unterschied, ob man von sich sagen kann, ein „echter“, in
Bolivien geborener Bolivianer zu sein und allein aufgrund des Geburtsortes eine gewisse
Autorität zu haben (oder zu glauben, eine solche zu haben). Umgekehrt wird bei den
Beschimpfungen
und
Diskreditierungsversuchen
als
einfaches
Mittel
oft
das
„Bolivianertum“ der SchreiberIn angezweifelt, um kritisierten Postings die Legitimation
zu entziehen. Das angesprochene „Bolivianertum“ wird hier primär lokal, also über den
Geburtsort und den langjährigen Lebensmittelpunkt, und erst in zweiter Linie über die
Abstammung (z.B. von „100%“ bolivianischen Eltern) konstituiert.
Lo que me molesta es que tu me digas que no devo de utilizar el nombre de Bolivia??? y
150
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
quien eres tu para decirme eso si yo naci y vivi mas del 80% de mi vida en el, yo creo que
tengo el derecho de decir que yo soy boliviano me pinte o no mi cara. (YOUTUBE)
te apuesto que vos ni si quiera eres una verdadera boliviana debes ser una perra nacida
de padres bolivianos [/] por lo menos yo soy potosino nacido en bolivia [/] no como vos que
te apuesto que has nacido en el extranjero (YOUTUBE)
Einige dieser jung ins Ausland gekommenen BolivianerInnen fühlen sich sichtlich nicht
als Teil der Aufnahmegesellschaft (vgl. Safran 1999 [1991]: 364, Eriksen 2006 in URL 2)
und scheinen sich u.a. über die „Tanzkonflikt“-flaming wars auf YouTube sehr stark an
ihr „Bolivianertum“ zu klammern. Bei den Befragungen geben viele an, dass sich wohl
nie als BürgerInnen ihres Aufenthaltslandes fühlen werden.
todos somos orgullosos de donde venimos osea..nunca nos vamos a sentir como si
fueramos de aki (ADRIANA, 04.03.08)
creo que nunca voy a llegar a ser suizo.. y no quisiera tampoco.. me parece que cada uno
debe quedarse .. no sé a mi me parece romper las raices completamente.. y no.. creo que
nunca voy a llegar a eso.. claro que yo no hablo maravillas de mi país que ni es el
paraíso ¿no?.. yo sé hay un montón de problemas y errores y bueno es así.. pero tiene
tambien su lado bueno para mi como la Suiza tiene su lado malo (unverständlich) y.. no,
de identificado: yo soy boliviano y siempre voy a quedar boliviano. (SIMÓN, 07.03.08)
Yo vivo en Canada y siempre voy a quererlo,pero yo soy boliviano y sere boliviano hasta
que me muera (FEDERICO, 06.05.08)
Interessanterweise konnten sich mehrere InformantInnen trotz der permanenten
Lobeshymnen auf „ihr“ Land Bolivien und dem vehementen Eintreten für die Pflege
und Verteidigung der bolivianischen Kultur nicht vorstellen, später einmal dort zu leben
(vgl. Halls Bemerkungen zur Loyalität der zweiten Generation in 2004: 201, 209). Manche
von ihnen beklagen sich sogar wie einige der als Erwachsene ausgewanderten
BolivianerInnen über Diskriminierung und Probleme bei der Integration. MigrantInnen
erster Generation leiden oft an starkem Heimweh, das sie mit dem Tanzen etwas
bekämpfen (oder noch mehr schüren) können. - Einige nannten als Grund für das
Mitmachen an einer Tanzgruppe, dass sie sich beim Tanzen ein wenig „wie zu Hause“
fühlten (und damit an einer diasporischen Konstruktion von Heimat im Sinne
Moosmüllers [2002: 16 f] arbeiteten), für andere ist der Tanz einfach „etwas Gutes“ aus
der Heimat.
Recordar y vivir aspectos bellísimos de nuestro país al encontrarnos tan lejos de el, por lo
menos asi sentimos la música la alegría y nos sentimos como en casa. (NATALIE,
06.04.08)
151
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
ME HACE SENTIR ORGULLOSO Q TODAVIA ESTAMOS EN BOLIVIA PORQ
DONDE HAY CULTURA AHI ESTA UN POQUITO DE BOLIVIA (TOMÁS,
10.04.08)
Bueno por lo menos he podido encontrar, conocer gente, gente nueva digamos de otros
países que están en el grupo y después claro es un poco como estar en Bolivia o verse con
otro tipo de gente que tiene toda esa manera de pensar que es tan típica latinoamericana
o boliviana , ahora claro también tiene sus cosas buenas y malas, algunos detalles
digamos en el sentido de que bueno, acá uno se acostumbra al final a estar siempre
puntual a tal hora todo eso no, regulado, uno llega al tiro, y entonces ahí es la
diferencia, ya nadie llega a la hora, todos atrasados eso es un detalle, pero ya te muestra
un poco la diferencia cultural entonces es como hacer un pequeño viaje a Bolivia cuando
uno está ahí, con sus cosas buenas y malas. (ROSARIO, 15.03.08)
en especial con las personas que estamos tan lejos de nuetra tierra querida, estos videos
hacen que nuestros corazones latan mas a prisa por la emocion de ver algo bueno de
nuestro pais. (YOUTUBE)
Andere haben in Bolivien getanzt und möchten einfach weiter tanzen, weil es für sie
persönlich immer schon wichtig war.
He sido parte de varios grupos de danza boliviana desde que tengo uso de razón y creo
que la razón de participar siempre es la misma, compartir y expresar mi Bolivianidad, a
través de la danza. (RUTH, 16.04.08)
Wie CHRISTOPH treffend bemerkte, sind Tanzgruppen auch soziale Anlaufstellen für
neu Eingewanderte, die nicht nur mit der neuen Lebenssituation, sondern auch mit der
Identität als „Latinos“ zurecht kommen müssen.
yo digo de la migración mucho aprendemos por lo menos para los alemanes y otras
agrupaciones es como si fuéramos un solo país, una sola región sin diferencias (GLORIA,
16.03.08)
Die bolivianischen Diaspora-Gemeinschaften sind ebenso unterschiedlich wie die Rolle,
die der Tanz in ihnen spielt. Während manche Tanzgruppen vor allem bei Festen der
bolivianischen Community tanzen und quasi das Produkt einer aktiven DiasporaGemeinschaft darstellen, existiert auch der umgekehrte Fall, wo Tanzgruppen dazu
beitragen wollen, Kontakte unter den verstreut lebenden AuslandsbolivianerInnen
herzustellen und den fehlenden Gruppenzusammenhalt aufzubauen (vgl. Hanna 1979:
214 f). Immer wieder werden allerdings auch Konflikte und Konkurrenzkämpfe zwischen
den Tanzgruppen bzw. eine allgemeine Zerstrittenheit der bolivianischen Communities
erwähnt.
la verdad es que hay mucho conflicto entre un grupo y otro entonces siempre estaban
peleando, y cosas entonces al final nosotros decidimos mejor no nos metemos y siempre,
152
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
no sé creo que es mejor esa es una parte que digamos a nosotros no nos gusta, que
siempre se andan peleando o los otros o nosotros o toda la cosa pero siempre hay unos
que están celosos, y otros que no sé es como una pequeña, yo nunca entendido muy bien
porque pero siempre estamos más cada uno por su lado y me imagino también que es
porque hay una pequeña concurrencia en el sentido en que como no hay un gran
mercado de gente entre comillas para esas danzas bolivianas (ROSARIO, 15.03.08)
los bolivianos tendemos a crear y hacer rivalidad - competencia en lo concierne a
actividades, a veces sin pensar el daño que nos hacemos (creo que eso tú ya lo sabes),
somos incapaces de pensar en la unidad, sino que prima el protagonismo personal.
(MARTHA, 31.03.08)
La comunidad boliviana a comparación de otras comunidades latinas es pequeña, pero
lastimosamente no hay tanta unión entre ella. Es más una competencia, diversas
agrupaciones y esparcida. (ROXANA, 27.04.08)
lamentablemente tengo que decirlo,la comunidad boliviana es bastante desunida,pero
estamos tratando de cambiar . (FEDERICO, 06.05.08)
la comunidad Boliviana no esta muy unida en este estado como en otros, lo cual nos
obliga como representantes de Bolivia a una tarea de unificación de todos los Bolivianos
para formar un a comunidad de Amistad, Hermandad y ayuda entre todos y para todos
(AURELIO, 10.05.08)
Besonders in Schweden wird der Zusammenhalt über eine Kombination aus Tanz und
Sport angestrebt: Die Tanz-/Sport-Vereine haben eine wichtige soziale Funktion, die
sich in einer regelrechten Jugendarbeit niederschlägt, für die die Tanzgruppen auch
staatliche Förderungen bekommen.
En realidad lo que nos une es que estamos no en nuestra propia tierra, y eso hace que nos
indetifiquemos como inmigrantes. La danza y el deporte hace que tengamos una relacion
social y cultural. (ADALBERTO, 04.03.08)
and also it keep the children and the young people going....and they wont do stupid
things like...do drugs and stuff like that because they have some whwre to go...and it is to
dance with us... :D
Die Situation der bolivianischen MigrantInnen erster Generation variiert stark: Während
die einen EhepartnerInnen in ihrer neuen Heimat gefunden haben (oder wegen ihrer
EhepartnerInnen
in
das
andere
Land
gezogen
sind),
absolvieren
andere
Auslandssemester, Master- oder Postgraduate-Programme und kämpfen wiederum andere
mit der Illegalität ihres Aufenthalts, eine Problematik, die auch in den Tanzgruppen zu
spüren ist.
hay mucha gente aquí en Suiza que quisiera participar, eh pero ... siendo afectados como
grupo digamos por los denuncios que han habido y por los ilegales que quisieran
participar. Y no se atreven por miedo o algo así.. y no se atreven de participar (SIMÓN,
07.03.08)
153
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
somos migrantes de primera generación entonces todavía estamos como buscando un piso
donde estabilizarnos, entonces la integración a sido también diferente porque tu te
puedes mover dentro de círculos de latinoamericanos, bolivianos y que se yo no pero ya tu
movimiento dentro de la sociedad alemana está un poco difícil, entonces ya sea por el
idioma o porque tenemos hacer un Ausbildung o hacer diferentes actividades, pues eso
tiene que ver también en el aspecto del manejo de la sociedad. Y esa movilidad también
se transfiere en el grupo. (GLORIA, 16.03.08)
Angehörige der zweiten Generation und Halfies fühlten sich meist gut integriert und
meinten, in Schule, Studium und Arbeit keinerlei Probleme aufgrund ihrer
Abstammung gehabt zu haben. Für sie ist das Tanzen eine real greifbare Möglichkeit,
einen Zugang zu ihrem bolivianischen Erbe zu finden und sich stärker mit Bolivien
auseinanderzusetzen und zu identifizieren (vgl. Hanna 1979: 223 ff, Baumann 1999: 83).
Decidi formar el grupo e integrarse al mismo, porque queria explorar, descubrir y saber
mas sobre lo que tiene Bolivia, el pais donde naci. A la ves demostrar al extranjero que
Bolivia esta llena de tradición y que en Bolivia existe cultura y folklore sin igual. Otra
razon es porque quiero hacer mas y nuevos amigos. DARIO, 10.05.08)
When you dance: what is most important to you? What are you proud of? - To
portray and feel what our ancestors felt when they danced. It gives me a chance to travel
back in time and live that life that without dance would only live in a few scattered
books. (GEORGE, 02.04.08)
Es hat auf jeden Fall dazu geführt, dass man sich immer wieder so mit der
bolivianischen Kultur auseinandersetzt. Also Kultur und Mentalität und Einstellungen,
es gibt auch immer wieder Reibungen oder... klar durch die verschiedenen Hintergründe
auch irgendwie Missverständnisse. Und man muss erst mal zueinander finden.
(VANESSA, 15.03.08)
Beim Tanzen selbst werden sehr wohl Unterschiede zwischen den VertreterInnen der
ersten und der zweiten Generation wahrgenommen. Gruppen, die vorwiegend aus
TänzerInnen der ersten Generation bestehen, bringen demnach nicht nur öfter eigene
Tanzerfahrungen in Bolivien ein oder führen Schritte ein, die sie in Bolivien gesehen
haben (oder gesehen zu haben glauben), sondern sind auch bei der Kostümierung viel
mehr auf Details bedacht als Gruppen, bei denen Interkulturalität und Kennenlernen
der bolivianischen Kultur im Vordergrund steht.
nadie entraba en muchos detalles, a lo mejor porque ya la mayoría eran digamos
bolivianos de segunda generación o no bolivianos que estuvieron en Bolivia y que había
quedado con esa imagen que conocían por vacaciones o por sus padres no? [...] la gente
que yo tengo contacto ahorita son bolivianos de primera generación, entonces ellos dicen
no, las botas vienen aquí o arriba abajo, el sombrero va aquí o el sombrero va allá, las
faldas tienen que ser cortas o tienen que ser altas entonces se fijaban siempre en algunos
detalles que para mi nunca estuvieron muy presentes a lo mejor no? [los bolivianos de
154
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
segunda generación] van a los grupos bolivianos porque quieren saber cómo es esa parte
que se ha quedado como te digo ahí como en el recuerdo de que lo conocen por
vacaciones o donde van por un periodo muy pequeño. [...] dentro de Europa, mientras no
tengan muy claro que representan las cosas entonces es participar y bueno el resto entra
a segundo orden no? (GLORIA, 16.03.08)
Verallgemeinern würde ich solche verschiedentlich gemachten Aussagen allerdings
nicht, da es hier eindeutig nötig wäre, sich die erwähnten Tanzgruppen offline
anzusehen. Zumindestens meine eigene, vorwiegend aus Nicht-BolivianerInnen
bestehende Tanzgruppe widerspricht jedenfalls den Beschreibungen einer geringeren
Detailtreue - „richtige“ Ohrgehänge, Broschen und Rocklängen sind hier ebenso ein
Thema wie das In-Falten-Legen der Aqsus bei Tänzen aus Norte Potosí, ein Detail das ich
noch bei keiner einzigen anderen Tanzgruppe, weder in Bolivien noch außerhalb
beobachten konnte.
Sowohl bei den Halfies als auch bei den im Ausland geborenen Kindern hängt es
nach Aussage der InformantInnen stark von der Erziehung der Eltern ab, ob sie sich
überhaupt als BolivianerInnen fühlen bzw. einen Bezug zu ihrem „bolivianischen Teil“
haben. Viele Halfies scheinen sich eher dem Land zugehörig zu fühlen, in dem sie
aufgewachsen sind, andere sehen sich eher als „halb-halb“ oder „Mischlinge“.
me siento boliviana, aunque solamente lo soy un 50% (ROXANA, 27.04.08)
ich merke wirklich das ich halb halb bin. Ich bin halt eine Mischung. Ich werde halt nie
eine richtige Bolivianerin sein. Ich fühl mich in Bolivien wohl, ich fühl mich auch bei den
Menschen wohl, ich fühle mich hier aber genauso wohl. Also ich hab hier und da
manches auszusetzen. (VANESSA, 15.03.08)
tengo un amigo q me dice en broma: n bandera!!! yo lo veo una ventaja. Pero en orden
me ento boliviana primero, me encanta este pais...porq me ha dado la oportunidad de
aprender mucho y viajar y pues Colombia tb la llevo en mi corazon! mas q conflicto es
interesante! puedo ser una ciudadana del mundo! (LAURA, 10.03.08)
Si soy 100% boliviana y me considero la mejor embajadora de mi pais en Holanda
(SEBASTIANA, 31.03.08, ein europäischer Elternteil, aufgewachsen in Tarija)
Unabhängig von Generation, Alter und Aufenthaltsort geben praktisch alle TänzerInnen
an, dass ihnen der bolivianische Tanz auch als Mittel, um ihre Kultur zu pflegen und zu
verbreiten wichtig ist. Ebenso wie die Weitergabe an nachfolgende Generation stellt
dieser konservatorische Aspekt eine Verbindung zur immerwährenden Tradition, zu
Vergangenheit und Zukunft im Sinne von Nash (1989), Fishman (1980) und Baumann
(1996, 1999) dar.
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Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Es una organización que fue instituida para propagar y preservar la riqueza cultural de
nuestro país, (WEBSEITEN)
El Ballet de Danzas Folklóricas Bolivianas „KANTUTA“, ha sido creado con el
propósito de dar difusión, en México, a la cultura de la República de Bolivia.
(WEBSEITEN)
al querer mantener vivas sus tradiciones y costumbres, vieron la necesidad de crear un
cuerpo de danza para conmemorar las actividades religiosas de la Virgen de Urkupiña.
(WEBSEITEN)
ich find das halt schön weil man eben die Kultur aufrecht erhält, und weil man die
Kultur pflegt und weil man, ist ein gutes Gefühl. (VANESSA, 15.03.08)
yo bailo porque me encanta, mas que todo por mostrar nuestra cultura - para que no
muera - para que les guste a los demas (ADRIANA, 04.03.08)
ayudamos a expandir mas la cultura boliviana y no dejamos que se pierda
(FRANCISCO, 29.03.08)
HASI MANTENEMOS NUESTRA CULTURA Y MOSTRAMOS A OTROS LO Q
TENEMOS. Y LES GUSTA [...] Y PARA Q NUESTRA GENTE MANTENGA LO
NUESTRO (TOMÁS, 10.04.08)
Die Anerkennung, die bolivianischen Tanzgruppen auf der ganzen Welt zuteil wird und
der persönliche Erfolg bei den Aufführungen wirken nicht nur positiv auf Identität und
Selbstbewusstsein der TänzerInnen zurück, sondern verstärken auch das nationale
Zusammengehörigkeitsgefühl.
En Tawan a habido muy buena aceptacion y da satisfaccion que les gusta tanto que la
quieren ver una y otra vez (RENEE, 28.04.08)
Si un reconociemiento grande en el apoyo que nos brinda la gente ya sea para recaudar
fondos o para apoyarnos con lo que nos haga falta porque les gust aver que haya un
grupo de danza Boliviana y esto es lo que me satisface mas el companerismo que existe
de los participantes y los no participantes. (SOLEDAD, 02.05.08)
BOLIVA Y SU FOLKLOR TRASPASANDO OCÉANOS Y MARES felicidades?
compatriotas, muy fello, sigan mejorando y seamos conocidos en el mundo entero
(YOUTUBE)
Que lindo q nuestra cultura vaya mas alla de nuestras fronteras y sea conocisa
MUNDIALMENTE!!! (YOUTUBE)
6.7
Tanz als Werkzeug für Interkulturalität,
Integration und soziale Kontakte
156
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Abb. 10: Integration und Interkulturalität; eigene Darstellung mittels atlas.ti
Kultureller
Austausch
und
Integration
finden
in
den
auslandsbolivianischen
Tanzgruppen auf mehreren Ebenen statt. Oft geht es nicht nur darum, die
BolivianerInnen
verschiedener
Generationen
und
Herkunftsregionen
in
einem
gemeinsamen Projekt zu vereinen und den Diaspora-Gemeinschaften zu vermehrten
sozialen Kontakten und einem stärkeren Selbstbewusstsein zu verhelfen, sondern auch
darum, den Dialog mit den Anderen zu suchen.
Creo que el bailar juntos en un grupo de musica boliviana nos ayudo a los integrantes,
tanto bolivianos como no bolivianos, a integrarnos mas, a identificarnos con un tipo de
me musica que disfrutamos y al mismo tiempo dar a conocer parte de nuestra cultura
mediante su musica. [...] El objetivo general de nuestra asociación es el de promover la
integración de Bolivianos residentes en Dinamarca mediante la conservación y difusión
de nuestras raíces culturales y el intercambio cultural fomentando actividades socioculturales y apoyo humanitario que concierne la representación de ambos países. (INÉS,
02.05.08)
el principal objetivo es la integración cultural y mostrar nuestras tradiciones, folklore y
música a través de los bailes en toda su diversidad y colorido en todo el ambito de
Cataluña, España y Europa. Siendo la música y la danza parte de la integración
intercultural. (WEBSEITEN)
Trotz dieser oft propagierten integrativen Ansprüche bleibt die Frage, ob es sich nicht
letztlich um kulturalistische Ansätze handelt, die im Sinne einer Ethnopolitik eher dazu
dienen, Differenzen festzuschreiben und für die Durchsetzung der eigenen Interessen zu
instrumentalisieren (vgl. Baumann 1999: 122, 19).
157
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Bei den Tanz-Aufführungen erfüllt der Tanz jedenfalls eine ikonische Funktion im
Sinne Hannas (1979), indem er symbolisch für das ganze Land steht. - Die Tänze und
„die Kultur“ zu zeigen bedeutet vielfach einfach, Bolivien zu repräsentieren.
Es un orgullo, es un modo de representar a mi país, a lo que yo llamo Patria ( me siento
boliviana, aunque solamente lo soy un 50% ). La diversidad del folclore boliviano, la
historia, presentar a Bolivia (ROXANA, 27.04.08)
principalmente empece a bailar por mostrar bolivia (RENEE, 28.04.08)
Es importante representar a mi país de forma cultural especialmente cuando uno está
fuera de las fronteras (DANIEL, 06.05.08)
Für viele Gruppen steht daher nicht das Tanzen innerhalb der bolivianischen
Community, sondern das Vermitteln und Verbreiten der im Aufenthaltsland nicht selten
völlig unbekannten Tänze im Vordergrund.
Tener un grupo nos permite identificarnos nosotros mismos y traducier nuestro lenguaje
cultural a los que no conocen y tambien nos permite promocionarlo (SEBASTIANA,
31.03.08)
nos presentamos en público regularmente, que también significa mostrar la cultura
boliviana fuera de nuestras fronteras, eso le da un sabor muy especial [...] es lindo tener
ahora la oportunidad de bailar y sobre todo de poder mostrar en Austria la riqueza del
folklore boliviano [...] Para mi lo mas importante es mostrar la riqueza del folklore de mi
país bailando, que es algo que me encanta (GISELLE, 05.04.08)
El objetivo principal es el de mostrar nuestro folklore en las noches internacionales y
eventos especiales de los institutos a los que pertenecemos (unos del ITC, otros del ISS y
nosotros del IHE) [...] Es una manera de celebrar nuestra cultura y sentirnos orgullosos
de nuestras raíces, y la riqueza y variedad de tradiciones y costumbres que se ocultan
detrás de cada una de nuestras danzas. (MARCELA, 24.04.08)
El grupo Saya Caporal DK, nacio de un grupo pequeño de bolivianos residentes en
Dinamarca (entre los que me encuentro) con ganas de mostrar un poco el folklore
boliviano a la cultura danesa. (INÉS, 02.05.08)
Mostrar parte de la cultura boliviana a la sociedad noruega. (MANUEL, 05.05.08)
Den meisten TänzerInnen ist es daher auch wichtig, dass das Publikum etwas mehr über
die Geschichte und die Hintergründe zu den verschiedenen Tänzen erfährt.
Siempre les explicamos, sean bolivianos, argentinos, suizos o de donde vengan, siempre
explicamos, nunca bailamos sin explicar, explicamos el grupo, los objetivos del grupo les
decimos cuantas danzas, hablamos un poco del carnaval de Oruro y les decimos que
vamos a mostrar algunas danzas que se presentan en el carnaval y cada vez que
presentamos una danza: esta danza significa esto, tiene.. se explica el contexto cultural
de su creación o las hipótesis que uno tenga, como en el tinku: lo que es en realidad. Cada
vez! estoy segura, es corto el tiempo pero es muy necesario, para mí hace parte de la
danza. (FRIDA, 13.03.08)
158
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Obviamente es importante para saber más acerca de lo que se baila o se presenta, pero
creo que en algunos casos no es fácil, ya que en el caso de las danzas folklóricas hay
muchas versiones sobre el origen y significado de ésas. (NICOLÁS, 28.03.08)
de esa manera se puede entender de que se trata la danza, el porque del vestuario y se
hace mucho mas interesante, a demás que se conoce un poco mas acerca de la cultura.
(GISELLE, 05.04.08)
los bailarines aparte de transmitir la cultura bailando dicen la historia verbalmente
entonces el saber la historia verdadera ayuda a que esta transmision sea mas fidedigna
(RENEE, 28.04.08)
Jeder Tanz erzählt eine Geschichte und sagt etwas über das Volk. Die Leute lernen
dabei etwas neues und haben das Gefühl, dass sie es besser verstehen. (STEFANIE,
24.03.08)
... da man mit dem Wissen über den Ursprung der Tänze und ihre Bedeutung beginnt,
seine Aufmerksamkeit zu schärfen und sich der Blick für neue Sichtweisen öffnet.
(SABINE, 30.04.08)
Während die bolivianischen TänzerInnen stolz darauf sind, etwas „Eigenes“ gezeigt zu
haben, freuen sich Nicht-BolivianerInnen, wenn sie die Tänze trotz „falscher“
Nationalität gut erlernt haben und Teil einer Gruppe geworden sind.
Bueno me siento muy orgulloso por tener la oportunidad de demostrar mi cultura y mis
danzas. (HUGO, 25.04.08)
Creo que nos ha traido un gusto y una satisfacción de bailar folklore boliviano. Nos
sentimos orgullosos de nuestro pais y de poder demostrar nuestra cultura aquí en
Montreal nos da mucho gusto. (MERCEDES, 17.04.08)
Stoltz macht mich glaue ich das Gefühl dazu zu gehören, Teil der Gruppe zu sein und
die Freude am Tanz zu teilen und zu streuen. (SABINE, 30.04.08)
estoy muy orgullosa porque la gente por ejemplo que ve los bailes siempre se queda
impresionada y te felicita mucho por lo que haces o por el hecho de ser suiza y de bailar
en un grupo boliviano, mucha gente agradece que lo hagas y les gusta (ELISABETH,
24.03.08)
Durch die Beschäftigung mit dem Eigenen sollen auch Respekt und Wertschätzung für
das Fremde gefördert werden.
ich finde es gut, wenn das Publikum etwas über die Tänze weiß und sich ein wenig mit
ihnen auseinandersetzt. Die Aufführungen sollen nicht nur fröhliches Spektakel sein, das
fände ich etwas repektlos. (HERTA, 25.04.08)
dicen bien que cuando uno respeta su propia cultura entonces puede respetar la de los
otros, entonces para mi pasaba por eso tambén (FRIDA, 13.03.08)
Wir selbst als Gruppe stellen ein Zentrum der Integration dar, da wir die
unterschiedlichen Nationalitäten in unserer Gruppe durch die gemeinsame Ausübung
bolivianischer Tänze zu einer multikulturellen Gemeinschaft vereinen. Denn durch die
Identifizierung mit der eigenen Kultur gewinnt ein Mensch an innerer Stärke, Sicherheit
und Zugehörigkeit, doch erst durch das Kennenlernen anderer Kulturen gewinnt er
159
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
einen erweiterten Blick, wodurch Toleranz gegenüber seinen Mitmenschen entstehen
kann. (WEBSEITEN)
la integración es en los dos sentidos, yo me integro a ese país pero ellos también integran
una parte de mi cultura porque es mi aporte (FRIDA, 13.03.08)
Das Zielpublikum können dabei sowohl Angehörige der Aufnahmegesellschaft als auch
andere Diaspora-Gesellschaften sein (oder Randgruppen, wie in dem geschilderten Fall
eines Auftritts für ein Homosexuellen-Fest). GLORIA bringt ein sehr schönes Beispiel
für den interkulturellen Austausch zwischen der bolivianischen und der türkischen
Gemeinschaft in einer deutschen Stadt:
la primera vez que bailamos para un público turco fue el año pasado. [...] era porque
uno de los chicos era boliviano de segunda generación, entendía muy poco el español, se
casaba con una turca, entonces él nos decía, yo conozco muy poco Bolivia entonces por lo
menos para mi matrimonio quiero que mi novia conozca qué hay allá, entonces nos
preguntó para bailar algo, pero él mismo tampoco sabía exactamente que era, donde
quería algo que se fuera a ver la danza, y creo que los padres fueron de la idea. [...]
bailamos ahí y era increíble el público aplaudía, [...] presentamos cueca chaqueña,
entonces alguien aplaudió como se hace en la cueca chaqeuña no? [...] y después todo el
mundo: bravo bravo bravo! [...] Luego bailamos tobas y estaba re-bien también la gente
ahí y después nosotros sacamos fotos para intentar sacar a la página web y toda la gente
venía porque quería sacarse fotos con nosotros también [...] Era gracioso y después
terminamos con tinku y nada, y este depués nos pidieron tarjetas para algunas persona s
que dijeron que era algo interesante, que lo habían visto y que no se imaginaban que
Bolivia presentaba bailes tan bonitos algunos pensaban dónde queda Bolivia o qué
hablan (GLORIA, 16.03.08)
Bei diesem Austausch geht es nicht nur um die ZuseherInnen, sondern auch um
potentielle neue Mitglieder: Immerhin gibt es etwa in Schweden viele Gruppen, in der
mehrheitlich Nicht-BolivianerInnen tanzen. Oft haben die nicht bolivianischen
TänzerInnen durch die Tanzgruppe erstmals Kontakt mit der bolivianischen Kultur und
empfinden es als sehr lehrreich, ihren Wissenshorizont durch die Gruppe zu erweitern.
Da sich auch unter den Nicht-BolivianerInnen Angehörige verschiedener Nationen
befinden können, kommt es hier zu einer weiteren interkulturellen Begegnung mit
Leuten, die man sonst womöglich nie kennengelernt hätte.
Ich habe durch die Gruppe Menschen kennen gelernt, mit denen ich sonst wahrscheinlich
nie in Berührung gekommen wäre, wofür ich sehr dankbar bin. [...] Ich finde die
Tanzgruppen aber eine wunderbare Form der Intergration und Kommunikation
zwischen den Kulturen. (SABINE, 30.04.08)
Für viele TänzerInnen sind die sozialen Beziehungen, die durch das Tanzen entstehen,
besonders wichtig. Manche haben
160
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Freunde fürs Leben gewonnen (STEFANIE, 24.03.08)
andere den Lebenspartner, Personen in der gleichen (Migrations)situation oder
schlichtweg Gleichgesinnte gefunden.
ESTO DE LOS GRUPOS BAILABLES SI AYUDO MUCHO PORQ VEZ GENTE Q
ESTA EN TU MISMA SITUACION Y OTROS Q YA PASARON. Q TE AYUDAN.
(TOMÁS, 10.04.08)
ISABELLA berichtet sogar von einer transnationalen Freundschaft, die durch das
Tanzen entstanden ist:
Eine der schönsten Auswirkungen des Tanzens ist eine Freundschaft zu einem
Bolivianer, der in Madrid lebt und den ich 2006 beim KdK [Karneval der Kulturen] in
Berlin kennenlernte. Das nächste Mal sahen wir uns in Madrid, dann waren wir zur
gleichen Zeit in Bolivien und ich konnte in La Paz bei seiner Familie wohnen und wir
reisten gemeinsam nach Cochabamba, danach besuchte er mich wieder in Berlin, dann
ich ihn in Madrid, wir tanzten beim Karneval in Düsseldorf, dann besuchte er mich in
Sevilla, dann ich ihn wieder in Madrid... etc. Und nächste Woche kommt er mich in
Berlin besuchen... und wir tanzen zusammen beim Kdk Tinku... unsere globale
Freundschaft haben wir dem Tanzen zu verdanken. (ISABELLA, 04.05.08)
Eine andere Form von Integration findet dann statt, wenn die tänzerisch schwächere
Mitglieder die Möglichkeit bekommen, mitzumachen und nicht nur die tänzerische
Perfektion Vorrang hat.
Abgesehen von der Frage der Herkunft versuchen wir auch in der Gruppe jeden zu
integrieren. Wir versuchen immer zu erreichen, dass auch tänzerisch schwächere
Mitgliedern die Chance gegeben wird an diejenigen aufzuschließen, die schneller lernen
oder denen das Tanzen aus welchen Gründen auch immer leichter fällt. Das klappt ganz
gut, da wir keine professionelle Tanzschule sind, sondern ein gemeinnütziger Verein und
es wie gesagt mir sehr darum geht, dass alle Spaß haben - egal ob sie fehlerfrei und
präzise tanzen können oder ob man ihnen einfach „nur“ das Bemühen und die Freude
am Tanz ansieht. (ISABELLA, 04.05.08)
Die BolivianerInnen selbst werden oft erst durch das Tanzen zu einer tiefer gehenden
Beschäftigung mit dem Eigenen animiert und geben zu, durch das Tanzen viel über die
eigene Kultur gelernt zu haben.
En el sentido personal y cultural fue gratificante haber podido mostrar un poco de
nuestra cultura a tantas personas de todas partes del mundo, y honestamente, haber
podido aprender a bailar muchas de nuestras danzas, porque una cosa es copiar el paso
de alguien en un fiesta y otra es prenderlo de verdad y ensayarlo hasta que salga bien
(armonía con todas las partes del cuerpo, la cadera, los hombros, la cabeza, las manos,
los pies, la expresión facial, etc.). (MARCELA, 24.04.08)
161
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
he aprendido muchas cosas nuevas sobre las danzas (GISELLE, 05.04.08)
Damit beginnen sie häufig Dinge zu schätzen, denen sie in Bolivien selbst kaum
Beachtung geschenkt hatten.
EN BOLIVIA NUNCA BAILE. NO SE PORQ ALLA COMO Q UNO NO SE DA
CUENTA LO Q TENEMOS. Y AQUI APRENDI ES BIEN BONITO Q HASTA
DESDE AQUI FUIMOS A BAILAR EN EL CARNAVAL DE ORURO. ERA
HERMOSO (TOMÁS, 10.04.08)
cuando estamos lejos, aprendemos a valorar nuestro pais (ADRIANA, 04.03.08)
Que Bolivia tiene una cultura unica y que cuando estamos en Bolivia valoramos poco
toda esa riqueza hasta que salimos al exterior y los extranjeros le ponen interes y
entusiasmo a pesar que no saben la historia de fondo (RENEE, 28.04.08)
162
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
7 Nachwort zur methodologischen
Vorgangsweise
Für mich persönlich war es überraschend, wie viele für das Phänomen bolivianischer
Tanz relevante Konzepte sich bei genauerem Hinsehen in den Mini-Kommentaren auf
YouTube finden ließen. Auch die Tatsache, dass manche der offline bzw. in qualitativen
online Fragebögen erhobenen Aussagen sehr stark mit dem Diskurs auf YouTube
übereinstimmten, war nicht von Vornherein klar.
Was
mich
ebenfalls
Kooperationsbereitschaft
sehr
der
überrascht
hat,
InformantInnen,
war
die
die
sehr
letztlich
viel
an
sehr
große
diesem
Text
„mitgeschrieben“ haben und denen ich für ihre ausführlichen Statements sehr dankbar
bin.
Trotzdem bin ich mir sehr dessen bewusst, dass ich mit dieser Arbeit nur ein sehr
kleines Teilgebiet des Phänomens bolivianischer Tanz abdecken konnte. Fragen der
Macht und eine tiefer gehende Untersuchung von Gender-, mestizischen und indigenen
Identitäten mussten ebenso ausgespart werden wie die Analyse der Tanzpraxis in
Bolivien, die Geschichte und die sozialen Implikationen der einzelnen Tänze im Rahmen
dieser Tanzpraxis sowie die eigentlichen Tanzinhalte (also z.B. die Geschichten, die
Inkas oder Tinku zu erzählen versuchen) selbst. All diese angesprochenen Themen sollen
daher in einer weiteren, umfangreicheren Arbeit behandelt werden.
163
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
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Smith, Anthony D. (Hrsg.): Ethnicity. Oxford University Press, Oxford und New York,
18-24.
Washabough, William (1998): Introduction. In: Washabough, William (Hrsg.): The
Passion of Music and Dance. Body, Gender and Sexuality. Berg, Oxford und New York,
2-26.
Westwood, Sallie (2000): Trans-nationalism and the politics of belonging. Routledge,
London und New York.
Zurawski, Nils (2000): Virtuelle Ethnizität. Studien zu Identität, Kultur und Internet.
Peter Lang, Frankfurt et al.
8.2 Weblinks zur theoretischen Diskussion
URL 1: EASA Media Anthropology Network e-Seminar Series, E-Seminar „Researching
the Internet“, 27.09.-6.10.05, http://www.philbu.net/mediaanthropology/braeuchler_eseminar.pdf [10.04.08]
URL 2: Eriksen, Thomas Hylland (2006): Nations in cyberspace. Short version of the
2006 Ernest Gellner lecture, delivered at the ASEN conference, London School of
Economics 27 March 2006. http://www.mediaanthropology.net/eriksen_nationscyberspace.pdf [13.04.08]
URL 3: Boyd, Danah M: Social Network Sites: Definition, History, and Scholarship.
http://www.danah.org/papers/JCMCIntro.pdf [13.04.08]
URL 4: Boyd, Danah M. (2006): G/localization: When Global Information and Local
Interaction Collide. O´Reilly Emerging Technology Conference, San Diego, CA. March 6
URL 5: Beer, David. Burrows, Roger (2007): Sociology and, of and in Web 2.0: Some
Initial Considerations. http://www.socresonline.org.uk/12/5/17.html [29.03.2008]
URL 6: Ellison, Nicole et al (2007): The Benefits of Facebook „Friends“: Social Capital
and College Students´ Use of Online Social Network Sites.
http://jcmc.indiana.edu/vol12/issue4/ellison.html [27.03.04]
URL 7: Lange, Patricia G. (2007): Commenting on Comments: Investigation responses to
Antagonism on YouTube. Paper, eingereicht für die Society for Applied Anthropology
Conference in Tampa, Florida, 31.03.07.
http://sfaapodcasts.files.wordpress.com/2007/04/update-apr-17-lange-sfaa-paper2007.pdf. [20.04.08]
URL 8: http://www.era.anthropology.ac.uk/Kalela/
168
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
8.3 Weblinks zu den bolivianischen Tanzgruppen außerhalb
Boliviens
Argentinien:
http://www.comunidadboliviana.com.ar/shop/detallenot.asp?notid=72
http://www.comunidadboliviana.com.ar/shop/detallenot.asp?notid=733
Australien:
http://www.bolivia.org.au/pag/Bolivia_Marka.html
Brasilien:
http://www.brasilbolivia.com/kantuta_bolivia_001.htm
http://www.kantutabolivia.com
Deutschland:
http://awayu.kilu.de/html/inicio.htm
http://www.amigos-del-folklore.de/index.php
http://www.awayumania.de.vu/
http://www.danzasarcoiris.com/
http://www.jilata.de/hp/hp1.html
http://www.kantutas.de/
http://www.puertadelsol.de.vu/
http://www.wara-berlin.de/1.html
http://www-stud.uni-essen.de/~sc0004/
Guatemala:
http://www.prensalibre.com/pl/2006/febrero/10/134301.html
Japan:
http://zenobia.littlestar.jp/
Mexiko:
http://www.myspace.com/kantuta_bolivia
Österreich:
http://www.bolivia.at.tf
http://www.sangreaymara.at
Peru:
169
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
http://espanol.groups.yahoo.com/group/SAMBOSPERU
Spanien:
http://asocfolc.iespana.es/boliv.htm
http://guiaplaza.com/latinos/bolivianos-espana/datos.php?aso=129
http://guiaplaza.com/latinos/bolivianos-espana/datos.php?aso=53
http://guiaplaza.com/latinos/bolivianos-espana/datos.php?aso=54
http://www.bolivianosenbarcelona.org/folklore/granpaititi/index.htm
http://www.bolivianosenbarcelona.org/folklore/kantuta/index.htm
http://www.bolivianosenbarcelona.org/folklore/qoriinkas/index.htm
http://www.bolivianosenbarcelona.org/folklore/sayariy/index.htm
http://www.bolivianosenbarcelona.org/folklore/tinkuna/index.htm
http://www.qoriinkas.es/,
Schweden:
http://www.antawara.com/default_sp.asp
http://www.boyama.se
http://www.cdcinti.com/
Schweiz:
http://www.bailamasi.ch
USA:
http://almaboliviana.org/mambo/
http://profile.myspace.com/index.cfm?fuseaction=user.viewprofile&friendid
=90831598
http://sambosillimani.spaces.live.com
http://www.boliviaeventos.com/
http://www.bolivianisima.com
http://www.bolivianj.org/asociasiones.htm
http://www.caporalessansimonnj.com/index.php
http://www.ffbri.com/
http://www.ladiablada.org/
http://www.madison.com/communities/boliviamanta/index.php
170
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
http://www.myspace.com/balletbolivialosangeles
http://www.myspace.com/balletimasumaq
http://www.myspace.com/bolivia_internacional
http://www.myspace.com/ffccusansimonnj
http://www.myspace.com/folklorebolivia
http://www.myspace.com/raicesdebolivia88
http://www.myspace.com/tinkus_tiataco
http://www.myspace.com/tinkusjayas
http://www.myspace.com/tobasdinastia
http://www.pachamama.us
http://www.pasionboliviana.com
http://www.renacerboliviano.org
http://www.samboscaporalesco.com/Pagina_Principal.html
http://www.sangreboliviana.net/index2.html
171
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
9 Anhang
9.1
Vollständige Code-Liste der Auswertung mit
atlas.ti
Code-Filter: All
______________________________________________________________________
HU:
identitaet_ethnizitaet_bol_taenze
File: [J:\eigene_dat\Scientific
Software\ATLASti\TextBank\identitaet_ethnizitaet_bol_taenze.hpr5]
Edited by:
Super
Date/Time:
06.06.08 02:41:17
1. generation, situation
1. generation, situation
herkunftsland
argumente
tanzursprung/zugehörigkeit
aufruf zur aktion
2. generation, situation
ausschließlichkeit
abgrenzung
authentizität, allg
abgrenzung über differenz
autorenschaft, bekannte
abgrenzung, bol regionalismus
autorität, autor
abgrenzung, kleidung
autorität, durch
interesse/engagement
abgrenzung, kultur
abgrenzung, politik/nationalismen
abgrenzung, schicht
akzeptanz ausfuehrung durch nichtbolivianer
anerkennung in bolivien
(verdienste)
anerkennung nat
ursprung/eigentum
anerkennung, (internationale) inst
apropiacion del espacio indigena
apropiacion del espacio urbano
argentinierIn
argumentation bolivien teil
(alto)peru/inkareich
172
autorität/befugnisse durch
bolivianertum
autorität/wichtigkeit durch alter
beeinflussung von außen
beschimpfung
beschimpfung, indio/cholo/colla
beweise/quellen/informationen
bewunderung
blutmetapher
bol (un)einheit
bol diaspora-gemeinschaften
bolivianerIn
bolivianertum durch tanz
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
ausdrücken
nd
bolivianertum durch abstammung
halfies
bolivianertum durch
geburtsort/leben in bolivien
heimweh/sehnsucht
bräuche/traditionen
caporales
chacarera
chilenIn
cueca
dankbarkeit
danzas oriente
diablada
echtheit
eigentumsrechte
einfluss der eltern/familie
einfluss der medien
einfluss, westlicher
einzigartigkeit
entstehungszeitpunkt
erwartungen an tänzerInnen
hingebung/leidenschaft
hochlebenlassen
huaynio
identifikation
identifikation, inkareich
identitaet
identitaet, fremde_annehmen
identitaet, lokal/regional
identität und tanz
identität, 1. generation
identität, 2. generation
identität, gender
identität, halfies
identität, national
identität, persönliche
identität, urbane
exilbol/2. gen, kontakt zu bol
identität/lo nuestro/kultur
verteidigen
exilbol/2.gen, leben in bolivien
identitätskrise/konflikt
exilbol/2.gen, reisen/aufenthalte in
bol
incas, tanz
exilbolivianerIn
familiengeschichte
fanatismus
fehlerhafte_annahmen/mythenbildu
ng
flaming war
forschung
fremdbewertung/einfluss
gastronomie
generalisierung
grenzueberschreitende_kult_gemein
samkeiten
großartigkeit/schoenheit_eigenes_la
integration im aufnahmeland
interesse 2. generation
internetauftritt
karneval oruro
kenntnis, ir y ver
konflikt/hass nationalstaaten
kontakt zu bol tgr
korrekte bezeichnung
kreativitaet
kultur, bolivianische
kultur, eigene schätzen
kultur, erbe
kultur, fremde schätzen
173
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
kultur, fremde_pflegen
peinlichkeit/scham
kultur, peruanische
perfektion
kultur, respektieren
peruan paternalismus
kultur, sich eigener schämen nicht-bol
peruanerIn
kultur, unterschied bol - nicht-bol
kultur, veränderung
kultur/folklore weltweit
pflegen/verbreiten/vermitteln
kulturelle wurzeln
kultureller austausch/inter,multikulturalität
prestige/status
qualitaet=peruanisch
qualität
qualitätskriterien
rassismus
regionalismen bolivien
religion
kulturen, indigene
repraesentation des anderen
kulturen, regional/lokal
respektvoller umgang
kulturreichtum eines landes
saya/caporales
la einheit
schwerpunkt colla
la folklore
sexuell_aufreizend
land repräsentieren
show off
landesliebe
sich des eigenen bewusst werden
lateinamerikanerIn
sinnlichkeit
llamerada
sozialisation beeinflusst
tanzverhalten
lo nuestro
macht
medienecho
mestizaje
modern/vor-modern
morenada
musik
nationalstaat, argentinien
nationalstaat, bolivien
nationalstaat, chile
nationalstaat, peru
negritos (tanz)
neid/mißgunst
nicht-bol, situation
offenheit/verschlossenheit
original_und_kopie
174
staatengeschichte_suedamerikas
stolz
stolz auf herkunft
stolz auf lo nuestro
stolz und tanz
stolz auf int verbreitung
stolz auf landeszugehoerigkeit
suri
tanz
tanz als abbild der lebensrealität
tanz als bereicherung
tanz und soziale schicht
tanz, (gender)-rollen
tanz, (un)wichtigkeit
tanz, als ehrung,
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
erinnerung/nostalgie
tanz, integrative funktion
tanz, als jugendarbeit
tanz, interaktion mann-frau
tanz, attraktivität für jugend
tanz, kommerzialisierung
tanz, attraktivität für nicht-bol
tanz, kontext im ausland
tanz, ausdruck der vergangenheit
tanz, korrektur von stereotypen
tanz, ausdruck/charakter/stil
tanz, möglichkeit der
selbstrepräsentation
tanz, ausführung durch nicht-bol
tanz, ausstattung
tanz, authentizität
tanz, bedeutung für 1. gen
tanz, bedeutung für 2. gen
tanz, bewirkt
interesse/lernen/erfahren
tanz, bewirkt zufriedenheit mit sich
selbst
tanz, bezug zu indigenen
tanz, bezug zu staat
tanz, braucht mut
tanz, cambas-colla
tanz, choreografie
tanz, cosa de indios/clase baja
tanz, dient imagekorrektur
tanz, eigentum/besitz
tanz, emotionen
tanz, neuschöpfung
tanz, partizipation in bol
tanz, persönl nutzen
tanz, publikum
tanz, regionalspezifische varianten
tanz, religion/ritual
tanz, rezeption nicht-bol in bolivien
tanz, schwierigkeiten
tanz, soziale funktion
tanz, symbol
tanz, technik
tanz, um sich attraktiv zu fühlen
tanz, um sich zu hause zu fühlen
tanz, unterschied bol - nicht-bol
tanz, überzeugungen
tanz, veränderung
tanz, entstehung
tanz, veränderung außerhalb von
bol
tanz, erdverbundenheit
tanz, verbindung zu ewigkeit
tanz, ermöglicht soz beziehungen
tanz, verinnerlichen
tanz, erste erlebnisse
tanz, vermittelt harmonie
tanz, erstkontakt
tanz, vorbildung/andere tänze
tanz, essenz
tanz, vorlieben/gefallen und gründe
dafür
tanz, finanzielles
tanz, für publikum adaptieren
tanz, für tourismus
tanz, geschichte/inhalt
tanz, gutes aus der heimat
tanz, herausforderung
tanz, vorstellung/kenntnis erwerben
tanz, was er für nicht-bol bedeutet
tanz, was er vermittelt/man
vermitteln will
tanz, werkzeug für nationalismen
tanz, wirkung auf nicht-bol
175
Eveline Sigl
tanz, zugehörigkeit/gefallen bol
regionen
tanz, zum vergnügen
tanz, zur persönlichen entwicklung
tanz/kultur, aneignung/raub
tanzen, gründe fürs anfangen
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
tobas
tracht/kostüm
umzüge etc außerhalb von bol
unabhaengigkeit
unterschied 1.,2. generation
tanzkonflikt
unterschied, tanzen in/außerhalb
von bol
tanzkonflikt, außerhalb von la
unterstützung
tanzkonflikt, sicht nicht-bol
unterstützung offizielle stellen
tänze, indigene
ursprung, gemeinschaft
tänzerInnen, situation
ursprung, kolonial
territoriale restitution
ursprung, lokal/territorial
tgr = (erweiterte) familie
vergleichende wertung
tgr, alter
vielfalt
tgr, auftritte für wen/wo
vorstellung des anderen
tgr, bedingungen
vorstellung des indigenen
tgr, dauer zugehörigkeit
vorstellung von bolivien
tgr, entstehung
wahrhaftigkeit
tgr, gründe fürs mitmachen
weitergabe an 2., 3. gen
tgr, konflikte
weltweite_bekanntheit/anerkennung
/erfolg
tgr, proben
tgr, repertoire
tgr, schwierigkeiten/probleme
tgr, sprache
tgr, struktur
tgr, ziele
tgr, zusammensetzung
tgr, zweck
tgr ausland
tgr ausland, als bereicherung
tinku
176
wertschätzung beginnt in der ferne
wichtigkeit lernen_wissen_wie
widerspruechliche argumentation
wir-gefühl, national
wir-gefühl/unterstützung durch tanz
zitat, liedtext
zugehörigkeit, tradition
zugehörigkeit, verbreitung
9.2
Fragebogen/Interview-Leitfaden
9.2.1
Deutsch
FRAGEBOGEN: Bolivianische Tänze außerhalb von Bolivien
Wie bist Du das erste Mal mit den bolivianischen Tänzen in Berührung gekommen?
Warum hast Du mit dem Tanzen begonnen?
Welcher Tanz gefällt Dir am besten und warum?
Welche Auswirkungen hat das Tanzen für Dich gehabt? (In Bezug auf persönliche, soziale,
kulturelle... Aspekte) Hat es Dich irgendwie verändert?
Welche Tänze gefallen Deiner Meinung nach besonders den BolivianerInnen, welche
besonders den Nicht-BolivianerInnen? Gibt es da einen Unterschied?
Welchen Bezug hattest Du vor dem Tanzen zu Bolivien? Hat sich Dein Bolivien-Bild durch
das Tanzen irgendwie verändert? Wenn ja, wie?
Welche Vorstellungen verbindest Du mit Bolivien?
Was hältst Du von dem Streit, welchem Land Tänze wie Caporales, Morenada und Diablada
gehören?
Was bedeutet für Dich Authentizität?
Ist sie Dir bei den bolivianischen Tänzen wichtig? Wenn ja, warum?
Wie definierst Du Qualität bei den Aufführungen von bolivianischen Tänzen? (z.B. bei
Eurer Gruppe, aber auch bei Videos oder Auftritten anderer Gruppen) Hast Du da irgendein
oder mehrere Referenz-”Modelle”?
Was denkst Du über die Präsentation der Frau in den verschiedenen bolivianischen
Tänzen?
Was ist Deiner Meinung nach der Unterschied zwischen bolivianischen und nicht
bolivianischen TänzerInnen?
Glaubst Du, dass es wichtig ist, dass es bolivianischen Tanzgruppen im Ausland gibt? Wenn
ja, warum?
Was sagen Deine Freunde und Verwandten dazu, dass Du bolivianische Tänze machst?
Was macht Deiner Meinung nach die Attraktivität bolivianischer Tänze für NichtBolivianerInnen aus?
Was möchtest Du beim Tanzen vermitteln?
Warum glaubst Du, dass Caporales sowohl in Bolivien als auch außerhalb so wahnsinnig
populär ist?
Was stellt dieser Tanz Deiner Meinung nach heute dar?
Wie siehst Du die Themen Kreativität und Innovationen im bolivianischen Tanz?
Wie wird in Eurer Gruppe Autorität konstruiert? Konkret: Ist es schwieriger, als
Deutsche/r/Halb-BolivianerIn oder BolivianerIn 2. Generation in gewissen Punkten “gehört”
zu werden als das bei BolivianerInnen 1. Generation der Fall ist?
Ihr habt ja eine sehr schöne Homepage und … hat mir erzählt, dass sie die Texte verfasst
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
hat. Gibt es da auch in der Gruppe eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den TanzInhalten, der Geschichte und Bedeutung der Tänze? Gibt es da Unterschiede zwischen den
BolivianerInnen und Nicht-BolivianerInnen (z.B. dass sie ein bestimmter Aspekt viel
mehr/weniger interessiert?)
Glaubst Du, dass es wichtig ist, dem Publikum etwas über den Ursprung der Tänze zu
erzählen? Warum?
Wie bist Du zu Deinem Wissen über die bolivianischen Tänze gekommen? Hast Du Dich
außerhalb der Tanzgruppe noch irgendwie damit beschäftigt?
Eure Gruppe hat ja einen stark integrativen Anspruch. Lässt sich dieser leicht
verwirklichen? Wo gibt es am ehesten Probleme bzw. wo hat es da vielleicht früher
Probleme gegeben?
Ich nehme jetzt einfach einmal an, dass Du schon beim … getanzt hast. Wie gestaltet sich
das Zusammentreffen der verschiedenen bolivianischen Gruppen und TänzerInnen
genauer? Gibt es da auch Gruppen, die nur aus BolivianerInnen bestehen? Wie läuft da die
Zusammenarbeit mit gemischten Gruppen?
Hattest Du schon einmal Erlebnisse in Richtung: „Warum tanzt Du das eigentlich? Diese
Tänze/Trachten gehören ja nicht Dir!”
Oder in Richtung: „Ein/e BolivianerIn tanzt schlecht und wird von einer/einem NichtBolivianerIn korrigiert.” ? Was passiert/e da?
Sprichst Du Spanisch?
Hast Du früher andere (nicht bolivianische) Tänze erlernt?
Was bringt es Nicht-BolivianerInnen, in einer bolivianischen Gruppe mitzutanzen?
Wie war Dein erster Auftritt?
Demografische Daten:
Geschlecht:
Alter:
Wie lange Du schon tanzt:
Beruf:
9.2.2
Spanisch
CUESTIONARIO: Danzas bolivianas fuera de Bolivia
En general: ¿qué significa para tí bailar danzas folklóricas?
¿Cúal es la danza con la que personalmente te identificas? ¿por qué con esa danza?
¿Por qué razón ingresaste al grupo?
¿Has bailado en algún conjunto folklórico en tu patria?
En el caso afirmativo: ¿En qué conjunto, en una Entrada, en el Carnaval o simplemente en
fiestas? ¿Notas alguna diferencia con el hecho de bailar actualmente en el grupo?
En el caso negativo: ¿Por qué razón empezaste a bailar en el extranjero?
Para tí y los otros integrantes: ¿Cuales fueron los resultados de bailar en este grupo? (p.ej. en
el sentido personal, social, cultural, moral, financiero…) ¿El hecho de bailar te hizo cambiar
en algún sentido?
¿Como ves el tema de la pertenencia de danzas como Caporales y Morenada a los países de
178
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Bolivia, Perú y Chile?
¿Te parece que hay regionalismos en las danzas bolivianas? En el caso que sí: cuales? ¿Se
nota eso en España?
¿Qué opinas acerca de la representación de los pueblos indígenas en las danzas?
¿Cúal sería para tí la esencia de la cultura boliviana?
En cuanto a las danzas bolivianas ¿qué sería “lo auténtico”?
¿Qué opinas acerca de la presentación de la mujer en las diferentes danzas bolivianas?
Cuando bailas: ¿Qué es lo que hace que te sientas orgulloso? ¿Qué es lo que más te importa?
Si comparas bailarines bolivianos y no bolivianos: ¿Cuáles son las diferencias?
En general: ¿Cuales son las diferencias culturales entre los bolivianos y los no bolivianos?
¿Por qué crees que es importante que haya grupos de danzas bolivianas en el extranjero?
¿Sientes que hay reconocimiento por parte de la sociedad hacia el desempeño del grupo?
¿En qué forma? ¿Qué es lo que a ti más satisfacción te causa, qué es lo que más te importa?
¿Por qué crees que las danzas bolivianas gustan a los no bolivianos?
En tu opinión: ¿A qué se debe el éxito de la danza de los Caporales tanto en Bolivia como en
el extranjero?
Sabemos que al principio los Caporales tenían que ver con los afro-bolivianos, pero a mí me
parece que ahora ya no es así. ¿Qué opinas al respecto? ¿qué es lo que representa ahora en tu
opinión personal?
¿Cómo ves el tema de las innovaciones en las danzas bolivianas en general?
¿Crées que es importante que los bailarines y el público sepan algo sobre el origen y el
significado de las danzas? ¿Por qué sí, por qué no?
¿Dónde y cómo aprendiste tu lo que sabes acerca de las danzas?
Por favor, descríbeme como se fundó tu grupo y cuáles son los objetivos del grupo.
Por favor, descríbeme la estructura de tu grupo (nacionalidades y edad de los integrantes,
jerarquía, directiva, los requisitos para entrar, etc)
Por favor, descríbeme la situación de los integrantes latinos en el nuevo lugar de residencia
(p.ej. tiempo de estadía, vida social, trabajo, estudios, posición dentro de la comunidad
boliviana/peruana, etc)
¿Cómo te sientes en tu nuevo lugar de residencia? ¿Qué tipo de dificultades tuviste que
afrontar? ¿Dónde encontraste amigos?
En tu opinión: ¿qué tiene que ver el hecho de bailar con la identidad?
Datos demográficos:
Género:
Edad:
Tiempo que llevas bailando:
Profesión:
179
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
9.3
Tänze
9.3.1
Caporales
Der Caporales-Tanz hat sich Ende der 1960er Jahre zwar aus Tunidiqui/Negritos (einer
tänzerischen Parodie auf die afro-bolivianischen SklavInnen und ihren Tanzstil)
entwickelt, mittlerweile den Bezug zu den afro-bolivianischen Elementen jedoch
weitgehend verloren. Als absoluter Modetanz hat er im Fantasie-Renaissance-Kostüm
nicht nur ganz Bolivien (wo er sozusagen als Tanz der „Reichen und Schönen“ gilt),
sondern auch die auslandsbolivianischen Tanzgruppen erobert. Trotz (oder gerade
wegen) des auftrumpfenden Macho-Gehabes der Tänzer und der sexistischen
Präsentation der Frauen in super-kurzen Miniröckchen ist Caporales auch bei den nicht
bolivianischen TänzerInnen als spektakulärer Showtanz sehr beliebt, was dazu geführt
hat, dass sich viele dieser Tanzgruppen überhaupt auf Caporales spezialisiert haben. Für
viele BolivianerInnen transportiert Caporales auch ein neues, modernes und nicht
indigen geprägtes Bild bolivianischer Folklore, mit dem sie sich gerne identifizieren.
Abb. 12: Caporales (Februar 07, Carnaval de Oruro,
Foto: José Rocha Mattos)
180
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Abb. 11: Caporales: Macha
(August 07, Chulumani, eigenes Foto)
Abb. 13: Caporales (ohne Datum, Carnaval de
Oruro)
181
Eveline Sigl
9.3.2
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Morenada
In Bolivien gehört die Morenada zu den populärsten der heute praktizierten
Umzugstänze, was zweifellos mit ihrer langen Tradition und Funktion als Symbol
wirtschaftlicher Macht zusammenhängt. Außerhalb Boliviens wird die Morenada nicht
ganz so häufig aufgeführt, erfordert sie doch den Transport schwerer und voluminöser
Männerkostüme, die nicht so leicht ins Ausland mitgenommen werden können, die
Logistik von Tanzpräsentationen verkompliziert und im Vergleich zu anderen
Tanzkostümen sehr teuer sind.
Neben mehreren Männerfiguren, von denen im Ausland meist nur der Moreno (von
Spanisch: moreno = dunkel, schwarz; ein Hinweis auf die vielfach postulierte Entstehung
des Tanzes als Imagination der afro-bolivianischen Sklaven), seltener auch der Achachi
gezeigt wird, existieren zwei Frauenfiguren: Cholitas und Figuras oder Chinas Morenas.
Für viele Tänzerinnen liegt die Präferenz eindeutig bei der China Morena, die mit MiniKleid und Plateau-Stiefeln gewissermaßen als Fantasiefigur auftritt, während die Cholitas
die Schicht der mujeres de pollera (s. S. 80) darstellen. Bei bolivianischen Tanzumzügen
muss meist nicht nach Cholita-Darstellerinnen gesucht werden; die Tänzerinnen, die
„als“ Cholitas tanzen sind meist Cholitas.
182
Eveline Sigl
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Abb. 14: Morenada: Cholita (August 07, Chulumani)
Abb. 15: Morenada: Figura (August 07, Chulumani)
183
Eveline Sigl
9.3.3
Diplomarbeit an der Universität Wien, 2008
Tinku
Der Tinku entstand in den 1980ern als tänzerische Repräsentation der gleichnamigen
rituellen Feste, die in verschiedenen Dörfern der Kulturregion Norte Potosí abgehalten
werden. Im Vordergrund stehen dabei Imaginationen „des Indigenen“ sowie die
tänzerische Darstellung der rituellen Kämpfe zwischen den am Berg und im Tal
angesiedelten Dorfhälften janansaya und urinsaya. Die Liedtexte, Tanzgesten und –
kostüme haben sich den urbanen Visionen von Indianertum angepasst und haben vor
allem für die dunkelhäutigeren und aus ländlichen Gegenden stammenden Angehörigen
der unteren Mittelschicht eine wichtige identifikatorische Funktion. Der Tinku erlaubt
es sozusagen, sich als Indigene/r bzw. Nachkomme der Indigenen zu fühlen, ohne dabei
wie die „echten“ Potosinos diskriminiert zu werden.
Abb. 16: Tinku (Februar 07, Carnaval de Oruro)
184
Abb. 17: Tinku (Februar 07, Carnaval de Oruro)