ARBEITSBERICHTE
GeographischesInstitut,Humboldt-UniversitätzuBerlin
Herausgeber:
ThomasBürk-Matsunami
JonasR.Bylund
KimFörster
DirkGebhardt
MatthiasNaumann
SozialgeographiendesReichtumsinBerlin
Ergebnisse eines Projektseminars
Heft110
Berlin2005
Arbeitsberichte
GeographischesInstitut
Humboldt-UniversitätzuBerlin
Heft110
Herausgeber:
ThomasBürk-Matsunami
JonasR.Bylund
KimFörster
DirkGebhardt
MatthiasNaumann
SozialgeographiendesReichtumsinBerlin
Ergebnisse eines Projektseminars
Berlin 2005
ISSN 0947 - 0360
GeographischesInstitut
Humboldt-UniversitätzuBerlin
Sitz:RudowerChaussee16
UnterdenLinden6
10999Berlin
(http://www.geographie.hu-berlin.de)
INHALTSVERZEICHNIS
ZUSAMMENFASSUNG
SUMMARY
EINLEITUNG
WOHNEN NACH WUNSCH?!
ZWISCHEN ARBEITS- UND FREIZEITRAUM DER
BERLINER FUNKTIONSELITEN
PHÄNOMENOLOGIE VON LUXUSWAREN
KARTOGRAPHIE DES REICHTUMS
REICHTUM UNTER MIGRANTEN
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39
55
69
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ZUSAMMENFASSUNG
Der vorliegende Text ist das Ergebnis der
Auseinandersetzung eines zweisemestrigen Projektseminars mit dem Thema
„Sozialgeographien des Reichtums in
Berlin“ am Geographischen Institut der
Humboldt-Universität zu Berlin. Ausgangspunkt unserer Betrachtung ist
die These, dass sich innerhalb des Szenarios sozialräumlicher Polarisierung in
den Städten, der wissenschaftliche und
politische Blick häufig einseitig auf die
Wohnorte der armen Bevölkerung, sogenannte benachteiligte Stadtviertel,
richtet. Diesen Blick wollten wir nun
auf die andere Seite der Polarisierung,
die des Reichtums lenken, die uns - zumindest in der Geografie – weitgehend
unerforscht erscheint.
Unsere Expedition in dieses bislang
wenig erforschte Themengebiet fragte nach möglichen methodischen bzw.
theoretischen Werkzeugen und thematischen Zugängen zum Thema Reichtums in Berlin. Sie führten uns nicht zu
der Sozialgeographie des Reichtums
in Berlin, sondern stellt eher den Versuch dar, in einem zeitlich engen Rahmen an den Interessen der Studierenden entlang erste empirische Zugänge
auszuprobieren. Der organisatorische
Rahmen für unsere Beschäftigung mit
Reichtum war die Simulation eines Forschungsprojektes, mit Diskussionen,
Präsentationen, gegenseitiger Wissensvermittlung und engen deadlines.
Die hier vorgestellten Ergebnisse der
studentischen Arbeitsgruppen beschäftigen sich am Beispiel von Berlin (und
Potsdam) mit dem Zusammenhang von
Stadtpolitik und Reichtum, den Räumen
der Funktionselite, dem Phänomen Luxuswaren und seiner lokalen Ausprägung, kartographischen Zugängen zum
Reichtum und dem Thema “Reichtum
unter Migranten” am Beispiel türkischstämmiger Unternehmer. Ein einleitendes Kapitel der Seminarleitung stellt
den thematischen und organisatorischen Rahmen des Seminars dar.
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
SUMMARY
This text is the result of a two-semester
project course on „Social geographies
of affluence in Berlin“ at the Geography
Department of Humboldt-University.
The starting point of our work was the
thesis, that within the scenario of socio-spatial polarisation in the cities, the
scientific and political gaze often turns
unidirectionally towards the poor and
their so-called disadvantaged neighbourhoods. We wanted to redirect this
gaze towards affluence, the other side
of polarisation, and thus approach a
field that appeared to us rather neglected, at least within Geography.
Our expedition into this so far sparsely
investigated field required usable methodological and theoretical tools as
well as thematic approaches to the topic. This did not lead us to uncover the
social geography of affluence in Berlin.
It rather represents an attempt, to try
out some empirical approaches alongside the students’ interest and within
in a narrow time frame. The organisational setting for our preoccupation
with affluence was the simulation of a
research project with discussions, presentations, mutual knowledge transfer
and narrow deadlines.
The results of the students’ work groups
presented here deal with the relation
between urban policies and affluence,
the spaces of the functional elites of
the German capital, the phenomenon
of luxury goods and its spatial expression, cartographic approaches to affluence and the topic of affluent migrants
exemplified by Turkish entrepreneurs.
An introductory chapter reconstructs
the thematic and organisational frame
of the course.
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2
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
EINLEITUNG
SOZIALGEOGRAPHIEN DES REICHTUMS IN BERLIN
THOMAS BÜRK-MATSUNAMI | JONAS R. BYLUND | KIM FÖRSTER
DIRK GEBHARDT | MATTHIAS NAUMANN
1. DIE ENTSTEHUNG DES
PROJEKTSEMINARS „SOZIALGEOGRAPHIEN DES
REICHTUMS IN BERLIN„
Am Anfang unserer Idee für das Projektseminar „Sozialgeographien des
Reichtums in Berlin“ stand die Teilnahme an einem Workshop zu visuellen
Methoden in der Sozialgeographie (siehe 2.4.). Im Verlauf der Koproduktion
zwischen den Geographischen Instituten der Open University London und
der Humboldt-Universität entwickelte
sich in unserer Projektgruppe die Neugierde, Reichtum und dessen räumliche
Ausprägungen in Berlin auf die Spur zu
kommen. Bereits während der Vorbereitung auf den Workshop hatten wir
festgestellt, dass es nur ausgesprochen
wenig deutschsprachige, aber auch
kaum englischsprachige Literatur zum
Themenkomplex Reichtum gibt. Während sich SoziologInnen hauptsächlich
mit Armuts- oder Elitenforschung beschäftigen, ist der Interessenshorizont
der Kulturwissenschaften zumeist mit
ästhetischen Formen oder Kulturgeschichten bestimmter Reichtumsobjekte beschäftigt. Aus dieser Ausgangslage entstanden zwei Thesen, die den
roten Faden des Projektseminars bilden
sollten:
• Reichtum ist ein „blinder Fleck“ in der
wissenschaftlichen Wahrnehmung von
Gesellschaft.
• Reichtum ist ein komplexes soziales
Phänomen, das nicht einfach zu kategorisieren, zu beschreiben und zu analysieren ist.
Auf dieser Basis stellte sich die Frage
nach der Räumlichkeit des Reichtums
in Berlin und den Möglichkeiten, diese
zu erkennen und zu vermitteln. Vor diesem Hintergrund entstand wenig später
ein Projektseminar zum Thema „Sozialgeographien des Reichtums in Berlin“
am Geographischen Institut der Humboldt-Universität. Die Notwendigkeit
einer kritischen methodologischen und
theoretischen Auseinandersetzung, die
über die Grenzen klassisch-geographischer Ansätze hinausreicht, sowie eine
Beschäftigung mit der Frage, was überhaupt Reichtum ist, gehörte zu den inhaltlichen Vorgaben der Veranstaltung.
Wir gingen ferner davon aus, dass das
bislang wenig bearbeitete Thema innovative Methoden und unterschiedliche
analytische Perspektiven erfordert und
die Gewissheiten einfacher Reproduktionen und Modellhaftigkeiten verlassen
würde. Die Veranstaltung sollte schließlich auch keinen Frontalbetrieb dozierender Lehrkräfte darstellen, sondern
verschiedene Interessen und Ideen berücksichtigen.
Somit galt es, das manchmal formalisierte
Einbahnstraßenmuster
der
Sozialforschung „Thema eingrenzen
- Theorie suchen - Forschungsdesign
entwickeln - empirische Untersuchung
durchführen und auswerten - Ergebnisse formulieren“ aufzubrechen. Die
Lehrveranstaltung sollte in Form der
Simulation eines Forschungsprozesses
durchgeführt werden, ungefähr so, als
würde uns ein Forschungsinstitut den
Auftrag erteilen, Reichtum in Berlin
sozialgeographisch zu ergründen. In
mehreren Blockseminaren behandelten wir zunächst erste Zugänge zum
Thema, diskutierten später als zentral
erachtete theoretische und methodische Werkzeuge und bereiteten diese
zur gegenseitigen Wissensvermittlung
und unter Berücksichtigung ihres prak-
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Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
3
Einleitung
tischen Nutzens für das Seminar als
Kurzreferate und Essays vor.
Aus diesen ersten Arbeitsgrundlagen,
die in wechselnden personellen Konstellationen geschaffen wurden, bildeten sich in mehreren Schritten fünf
Arbeitsgruppen, die zu den Themen
„Konsum und Luxuswaren“, „Reichtum
und Stadtpolitik“, „Reichtum und Kartographie“, „Dualistische Lebensmodelle“ und „Türkische Unternehmer“
arbeiteten. Die Arbeitsgruppen erstellten als Baustein der Simulation eines
Forschungsprojekts „Anträge“, die fiktive Zuwendungsgeber von der Förderungswürdigkeit der jeweiligen Themen überzeugen sollten. Die „Anträge“
dienten neben der Konkretisierung der
Forschungsfragen dazu, die folgende Forschungsarbeit zu planen. In der
empirischen Phase führten die Arbeitsgruppen selbstständig die Feldarbeit
durch. Der Zwischenstand der Arbeiten
wurde auf der Langen Nacht der Wissenschaften im Juni 2005 öffentlich
gemacht und teilweise lebhaft mit dem
Publikum diskutiert. Die Endergebnisse
dieses Arbeitsprozesses finden sich im
Anschluss an diese Einleitung.
In den folgenden Abschnitten sollen jedoch zunächst einige zentrale Probleme dargestellt werden, die das Projekt
über die gesamte Zeit seines Bestehens
begleiteten und somit sowohl für die
Texte der Arbeitsgruppen als auch für
unsere Arbeit einen Rahmen bildeten.
2. WER ODER WAS IST REICH?
Zwischen einer sponti-existentialistischen Parole wie „Reich ist, wer genießen kann“ (Graffiti auf dem Berner
Universitätsgelände) und statistischen
Pro-Kopf-Warenkorbsmessungen – die
beispielsweise die Reichtumsgrenze
jenseits des doppelten durchschnittlichen gewichteten Haushaltseinkommens (Huster 1993: 11; 2001: 9) festlegen – liegen erkenntnistheoretische
Welten. Trotzdem – oder gerade deshalb – ist die Auseinandersetzung mit
Reichtum und Raum in Berlin nicht nur
eine spannende, sondern auch eine
sehr umfassende, multidisziplinäre und
herausfordernde Thematik.
Die wenigen AutorInnen aus dem Bereich der Sozialwissenschaften, die
sich seit einigen Jahren im deutschsprachigen Wissenschaftsbetrieb mit
sog. Reichtumsforschung beschäftigen
(Huster 1993, 2001; Stadlinger 2001;
Eißel 2001; Hauser und Becker 2001),
konstatieren durchweg Schwierigkeiten
bezüglich einer differenzierten Begriffsbestimmung, Reichtumsdefinition und
den zur Verfügung stehenden Quellenund Datenmaterialien.
Zu konstatieren sind (...) nicht allein Defizite in der empirischen Erfassung von
Struktur, Konzentration und Differenzierung von Reichtum. Diskussionsbedarf be-
4
steht auch hinsichtlich der ökonomischen,
politischen, sozio-kulturellen und geschlechtsspezifischen Aspekte von wachsendem privatem Reichtum einerseits und
steigender Verarmung (auch des Staates)
andererseits. (Stadlinger 2001: 7)
Diese unscharfen Grenzen bildeten
die Grundlage für eine Frage unseres
Fragebogens, den wir am Anfang des
Seminars den Studierenden vorlegten.
Die Antworten, die hier zusammengestellt sind, spiegeln die vielen Dimensionen wider, die Reichtum beinhaltet.
2.1. RELATIONALE UND
RELATIVE REICHTUMSBEGRIFFE
Begriffsbestimmungen
von
gesellschaftlichem oder persönlichem Reichtum verweisen immer auf den – zumeist normativen – sozialen Gegenpol
der Armut. Dieses relationale Begriffspaar lässt sich weder quantitativ noch
qualitativ unabhängig voneinander bestimmen und formulieren:
Reichtum und Armut ist zu etwas Ganzem
zusammengefasst, in sich gegensätzlich
aber nicht trennbar (Marx/Engels zitiert in
Huster 2001: 11).
Es kann zudem keinen allgemeingülti-
Reichtumsdefinitionen
der Studierenden zu Beginn des Projektseminars
Wie lautet Deine Definition von
Reichtum (kurz)?
Reichtum bedeutet für seine Besitzer, genügend ökonomisches,
soziales und kulturelles Kapital
zu besitzen, um Teil einer gesellschaftlichen Elite zu sein und
damit auch, gesellschaftliche
Machtpositionen zu besetzen
und Macht ausüben zu können.
Reichtum bedeutet für mich,
die Mittel zu besitzen, die es
ermöglichen, ein erfülltes Leben
zu führen (was auch immer
das bedeutet). Das muss nicht
zwangsläufig Geld sein. Dennoch
bedeutet ein Leben ohne materielle Zwänge für viele Menschen,
mich eingeschlossen, eine
Voraussetzung, um dieses Ideal
zu erreichen.
Reichtum: In materieller /
finanzieller und / oder immaterieller Hinsicht nicht im Mangel
zu leben, sondern jederzeit aus
dem Vollen schöpfen zu können,
unabhängig davon, ob dieser
Zustand aus eigener Leistung
oder durch Fremdeinwirkung
erreicht wurde. Oder: Überfluss
an materiellen und / oder immateriellen Gütern.
Viel Geld, viele Möglichkeiten
aber genauso viel Angst wie
andere Leute.
Derjenige, der sich nicht ständig
Gedanken darüber machen
muss, ob er sich nun Dinge für
den täglichen Bedarf (z.B. Arbeitsmaterialien, Praxisgebühr,
...) leisten kann oder nicht.
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Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Reich ist derjenige, der trotzdem
zum Arzt geht. :-)
Reichtum fängt für mich da an,
wo Leute soviel Geld besitzen,
dass sie ihr Leben bestreiten,
ohne auch nur im geringsten
darauf achten zu müssen bzw.
darüber nachzudenken, ob sie
möglicherweise ihr Konto überziehen oder Geld knapp wird.
Abwesenheit von Armut.
Unterscheidung in sozialen
Reichtum und finanziellen
Reichtum.
Freie räumliche und soziale
Mobilität.
Besitz von materiellen und
immateriellen Gütern, die in
überdurchschnittlichem Maße
vorhanden sind.
Selbstverständlich vom Bezugsraum abhängig (globale, kontinentale, staatliche, städtische
Perspektive).
Reichtum: Deutlich mehr an
materiellen Gütern als andere
Mitglieder einer Gesellschaft zu
besitzen. Es gibt auch sozialen, familiären oder kulturellen
Reichtum.
Reichtum ist eine Frage des
Besitzes: individuell und gesellschaftlich. Luxusgüter und Ressourcen. Doch muss materieller
vom immateriellen Reichtum
unterschieden werden. Natürlich
ist in erster Linie derjenige
reich, der Geld hat. So spielen
Lebenswelten genauso eine Rolle wie Luxusgüter. Mobilität und
Reichtum bedingen einander.
Doch zählt auch derjenige, der
reich an Erfahrungen ist. Kapital
ist unterschiedlich geartet. Humankapital wird unterschiedlich
genutzt und ausgenutzt. Kulturelles Kapital sollte strategisch
eingesetzt werden.
So merkt Friedrich
Engels an: Nur vermittels
des Geldes (wird) der
Reichtum des einzelnen
als gesellschaftlicher
Reichtum verwirklicht;
im Geld (...) ist die
gesellschaftliche Natur
des Reichtums verkörpert (Marx/Engels 1932,
1951b: 620).
1
gen, de-lokalisierten und zeitlich entankerten Reichtumsbegriff geben. Was an
einem Ort zu einer bestimmten Zeitpunkt als reich empfunden, imaginiert
und dargestellt wird, ist relativ. Es ist an
anderem Ort, erst recht zu anderer Zeit,
mitnichten das Selbe. Gleichwohl kann
das Bemühen, Reichtum örtlich und
zeitlich zu bestimmen, auch dazu dienen, die Herkunft einer Anhäufung oder
der Abwesenheit von privatem oder gesellschaftlichem Besitz zu verschleiern.
So betonte Espenhorst (1993: 133),
dass „500 Jahre nach Kolumbus immer
deutlicher werde, wie stark Reichtum in
Europa auf der Ausbeutung und Unterdrückung der übrigen Welt“ beruht. Bereits in den 1970er Jahren hatten kritische Geographen (Blaut 1970; Harvey
1975) auf diese spatial dialectics einer
ungleichen globalen Entwicklung als
Grundlage der Reichtumsakkumulation
in der Metropolen des reichen Nordens
hingewiesen. Seit dieser Zeit ist auch
von anderen GeographInnen eine Fülle an Arbeiten zu uneven development
entstanden (vor allem Smith 1984).
Sie können als eine Grundlage der Diskussion um einen an weltweiten Waren- und Geldzirkulationen orientierten
Reichtumsbegriff angesehen werden
und immer wieder daran erinnern, dass
prunkvolle Gebäude und Infrastrukturen westlicher Metropolen also mitnichten allein das Produkt lokalen Fleißes
darstellen, sondern im Kontext internationaler ungleicher kapitalistischer Verhältnisse betrachtet werden sollten.
Auch bei Marx und Engels wird man zu
dieser geopolitischen Frage fündig:
Die Entdeckung der Gold- und Silberländer in Amerika , die Ausrottung, Versklavung und Vergrabung der eingeborenen
Bevölkerung in die Bergwerke, die beginnende Eroberung und Ausplünderung von
Ostindien, die Verwandlung von Afrika in
ein Gehege zur Handelsjagd auf Schwarzhäute, bezeichnen die Morgenröte der kapitalistischen Produktionsära. Diese idyllischen Prozesse sind Hauptmomente der
ursprünglichen Akkumulation. (Marx/Engels 1951 [1932]: 790).
Dennoch bedarf es zum Messen und
Erfassen von Reichtum dessen raumzeitlicher Kontextualisierung. Erst die
räumlichen Wahrnehmungsperspektiven auf die scales, die unterschiedlichen geographischen Maßstabsebenen,
entscheiden über die Brauchbarkeit
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Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Einleitung
bzw. Operationalisierbarkeit der meisten Begriffsbestimmungen, auch wenn
diese oft ohne oder mit nur sehr vagem konkreten räumlichen Bezügen
vorgenommen werden („in unserer Gesellschaft“, „bei uns“, in Deutschland,
etc....). Dabei bleibt Reichtum eine Begriffsbildung in gesellschaftlichen Kontexten, eine soziale Konstruktion von
Besitzstand, Distinktion und Anerkennung als situiertem Wissen.
Die Materialisierungen dieser sozialen
Reichtumskonstruktionen beruhen auf
materiell-quantitativen oder immateriell-qualitativen, meist miteinander verflochtenen Konzepten. So haben selbst
idealistische Reichtumsbegriffe wie beispielsweise ein „Hauptsache, gesund
und glücklich“ zugleich starke materielle Komponenten. Selbst die Negation des allein materiellen Glücks kann
nicht verbergen, dass gesellschaftliche
Anerkennung, persönliche Wahrnehmung und Verwirklichung individuellen
Glückes – ganz zu schweigen von den
Möglichkeiten des Zugangs zur Gesundheitsversorgung – zumeist an die
eigenen materiellen Ressourcen oder
an kommunitäre Wohlfahrtssysteme
gekoppelt sind. Ebenso ist das Streben
nach materiellem Besitzstand und Vermögen mit Hoffnungen auch auf immaterielles Glück verbunden.
Als wesentliches Element der Reichtumskonstruktion kann deren Geldform
angesehen werden. Die materielle Basis
allen Reichtums ist die, mehr oder weniger, via Geld vermittelte Form der Akkumulation von Kapital. Die Substanzen
der Reichtumsakkumulation sind Geld,
Gold, Silber und andere Gestalten des
Reichtums (Marx/Engels 1932, 1951b:
620ff).1 Und davon kann mensch bekanntermaßen nie genug haben:
Qualitativ oder seiner Form nach ist
das Geld schrankenlos, d.h. allgemeiner Repräsentant des stofflichen
Reichtums, weil in jede Ware unmittelbar umsetzbar. Aber zugleich ist jede
wirkliche Geldsumme quantitativ beschränkt, daher auch nur Kaufmittel
von beschränkter Wirkung. Dieser Widerspruch zwischen der quantitativen
Schranke und der qualitativen Schrankenlosigkeit des Geldes treibt den
Schatzbildner stets zurück zur Sisyphusarbeit der Akkumulation. Es geht
ihm wie dem Welteroberer, der mit
5
Einleitung
jedem Land eine neue Grenze erobert
(Marx/Engels 1932, 1951b:139).
In der sozialwissenschaftlichen Literatur (Huster 1993, 2001; Hauser und
Becker 2001) stellen indirekt geldbezogene Topoi wie Einkommen und
Vermögen zwei entscheidende Begriffe auf der Suche nach dem Reichtum
bestimmter Bevölkerungsgruppen dar.
Das Vermögen habe, so Hauser und
Becker, grundsätzlich die Eigenschaft,
sich durch Wertzuwachs (Zinserträge,
Aktiengewinne) zu vermehren, und
werde in der Regel nicht versteuert.
Dadurch werde es statistisch kaum erfassbar. Deshalb könne allein auf der
Grundlage von Vermögen keine Aussage über den Reichtum einer Region
gemacht werden.
In Anlehnung an das Lebenslagenkonzept in der Armutsforschung schlägt
Dieter Eißel einen Reichtumsbegriff vor,
der sich deutlich von den allein vermögens- und einkommensorientierten
statistischen Daten unterscheidet. Orientiert am United Nations Development
Programme wäre für Eißel reich, wer
über ausreichende materielle Ressourcen
(Nahrung und gesundes Trinkwasser) verfügt, in einer intakten Umwelt lebt, eine
hohe Lebenserwartung hat, gesund ist
bzw. Zugang zu einem zufrieden stellenden Gesundheitssystem hat, über ein hohes Maß an Bildung verfügt und an der
gesellschaftlichen und öffentlichen Kommunikation partizipiert und die Macht (…)
hat, die menschlichen Fähigkeiten auszuweiten (Eißel 2001: 107).
2.2. REICHTUMSMESSUNGEN
Gerade im Bereich der Datengewinnung
zu Vermögens- und Einkommensverhältnissen konstatiert der Reichtumsforscher Ernst-Ulrich Huster eine eher
entmutigende wissenschaftliche Ausgangslage:
Beschäftigt man sich mit dem Reichtum,
erkennt man sehr schnell, dass es im
Grunde keine Quellen gibt, die geeignet
sind, aus sich heraus das Bild des Reichtums und dessen Entwicklung zu illustrieren. (…) Es drängt sich der Verdacht auf,
dass Unkenntnis über hohe Einkommen
vielleicht sogar eine ihrer Voraussetzungen darstellt. Hohe Einkommensbezieher
lieben das Diskrete, vor allem, wenn es
um die Offenlegung ihrer Einkünfte geht
6
(Huster 2001: 12f).
Daraus lässt sich auch folgern, dass
Sozialstatistiken und statistische Angaben zur Einkommens- und Vermögensverteilung gerade auch im Bereich der
oberen Besitztumssegmente mit Vorsicht zu interpretieren sind.
Bei Versuchen, dies trotzdem anhand
von statistischen Datenquellen zu versuchen, verweisen Hauser und Becker
(2001) auf amtliche Einkommens- und
Verbrauchsstichproben (EVS), den Mikrozensus, das Europanel sowie die
vom Bundesministerium für Arbeit und
Sozialordnung sowie dem Verband
Deutscher Rentenversicherungsträger
erstellte Untersuchung zur Alterssicherung in Deutschland (ASiD). Zusätzlich
zu den oft nur bedingt zugänglichen
und unzureichenden amtlichen Daten
verweisen Hauser und Becker auf Erhebungen von WissenschaftlerInnen und
Forschungsinstituten. Als besonders
aufschlussreich werden hier einerseits
die zweijährig durchgeführte Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) sowie die in
größeren Zeitabständen ansetzenden
Wohlfahrtssurveys erwähnt. Als wichtigste nicht-amtliche Quelle für empirische Verteilungsanalysen wird jedoch
das Sozio- Ökonomische Panel (SOEP)
angesehen. Die AutorInnen resümieren
jedoch trotz dieser Quellen:
Die wirtschaftliche Situation
einer Person oder Gruppe, in
der über mehr als ausreichende finanzielle Mittel verfügt
wird, welche weit über das zum
Lebensunterhalt nötige Maß
hinausgehen und zur Ansammlung großer Geldsummen oder
Sachkapital führen.
Das Einkommen übersteigt das
durchschnittliche Pro-KopfEinkommen um ein Vielfaches.
Reiche Menschen besitzen deutlich mehr Vermögen als für die
Befriedigung der Grundbedürfnisse notwendig ist (Nahrung,
Kleidung, Wohnen, Urlaub, Auto
etc.). Reichtum ist meiner Meinung nach keine Frage der absoluten Vermögenszahlen, sondern
abhängig vom Umfeld. Er zeigt
sich oft in der Summe der Statussymbole. Reiche Menschen
haben oft das Bedürfnis den
Reichtum zu zeigen und suchen
die Nähe anderer Reicher.
der Forschungsstand ist ungenügend;
Verteilungsfragen wurden in den vergangenen 20 Jahren stark vernachlässig
(Hauser/Becker 2001: 49).
Oder an anderer Stelle:
Eine wirkliche Datengrundlage auf derer
eine fundierte Recherche nach Reichtum
und Vermögen angestellt werden könnte,
ist kaum vorhanden (Weick 2000).
2.2.1. REICHENRANKINGS
UND -LISTEN
Jenseits trockener Zahlen versuchen
sich verschiedene wirtschafts- oder
lifestyleorientierte Magazine ebenfalls
in Reichtumsmessungen. Regelmäßig
aktualisierte Rankings wie die ForbesListe oder die Liste der 300 reichsten
Deutschen des manager magazins geben dem schwer greifbaren Reichtum
ein Gesicht, Reichtum wird hierarchisiert, personifiziert und regionalisiert.
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Sind Reiche zufriedener?
Reichtum ist nicht nur
Geldbesitz – aber ohne
Geld nicht denkbar
„Eine objektiv gute Versorgung
muss sich nicht zwangsläufig
in den Einstellungen und dem
subjektiven Wohlbefinden der
Betroffenen widerspiegeln; Die
Vorstellungen über ein ´sehr gutes’ Einkommen sind in starkem
Maße von der tatsächlichen Einkommenssituation abhängig. Mit
steigender Einkommensposition
steigt auch das Anspruchsniveau. In der höchsten Einkommensgruppe liegt der entsprechende Wert mit über 10.000
DM in den alten und 9.000 DM
in den neuen Bundesländern
jeweils mehr als dreimal so hoch
wie in der untersten Einkommensgruppe.
Die tatsächlichen Haushaltseinkommen werden in allen
Einkommensgruppen von der
Erwartung an ein ´sehr gutes’
Einkommen übertroffen. Die
Differenz ist in der untersten
Einkommensgruppe - trotz
bescheidenerer Ansprüche - am
stärksten ausgeprägt. In der
höchsten Einkommensgruppe wird die Höhe eines ´sehr
guten’ Einkommens in Westdeutschland bei 130 Prozent
und in Ostdeutschland sogar bei
160 Prozent des tatsächlichen
Haushaltsnettoeinkommens
angesiedelt.
In Ostdeutschland bewegen sich
die Vorstellungen von einem
´sehr guten’ Einkommen zwar
auf einem geringeren Niveau als
in Westdeutschland, allerdings
ist - mit Ausnahme der niedrigsten Einkommensgruppe - der
Abstand zum eigenen Haushaltseinkommen größer.
Zufriedenheitsbewertungen
einzelner Lebensbereiche oder
des Lebens insgesamt können
als das Ergebnis von Vergleichsund Anpassungsprozessen bezüglich der objektiven Lebensbedingungen gesehen werden. Sie
werden im Sozio-ökonomischen
Panel anhand einer Skala von 0
´ganz und gar unzufrieden’
<http://www.bottinmondain.fr>.
2
Um konkretes Anlageverhalten geht
es hingegen bei den Reichtumsklassifizierungen der Beratungsfirma Cap
Gemini und der Investmentbank Merril
Lynch. Sie haben die Klasse der „High
Net Worth Individuals“ (HNWI, Geldvermögen über 1 Mio. Euro, 365.000
Menschen in Deutschland 2000) und
der „Ultra High Net Worth Individuals“
(UHNWI, Geldvermögen über 30 Mio.
Euro, 3700 Menschen in Deutschland
2000) gebildet, um die Bedürfnisse und
Anforderungen dieser Gruppen sowie
Implikationen für das Private Banking
besser zu verstehen. Ihre Entwicklung
wird jährlich in „World Wealth Reports“
und nationalen Berichten dargestellt
(Merrill Lynch, Cap Gemini Ernst &
Young 2001). Auf dieser Basis kann
man feststellen, dass die so abgegrenzten Reichen zu einem wachsenden Segment der Bevölkerung gehören, das im
Westen viel häufiger als im Osten (Faktor 9:1), im Süden häufiger als im Norden des Landes vertreten ist.
Berlin hat zwar einen höheren Anteil an
allen deutschen HNWIs als es dem Bevölkerungsanteil der Stadt entspricht,
unter den Bundesländern liegt Berlin
aber deutlich hinter Hamburg, Bremen und sogar hinter dem Flächenland
Hessen. Die meisten HNWIs leben in
Nordrhein-Westfalen. Die relative Bedeutung der ehemaligen Handelsstädte
Bremen und Hamburg sowie die Spitzenposition NRWs zeigen, dass es auch
gewisse Persistenzen im Reichtum gibt,
die sich aus der heutigen Wirtschaftsstruktur der Regionen nicht mehr in
jedem Fall erkennen lassen (vgl. Merril
Lynch, Cap Gemini 2001: 8).
Andere Veröffentlichungen wie der
französische Bottin Mondain setzen auf
mehr als den reinen Geldbesitz. Der
Bottin Mondain nimmt seit 1903 Adressen und Menschen nach den Kriterien
Sozialprestige, Prestige des Namens
oder der Funktion auf und versteht
sich heute als ein Adressbuch einer
bestimmten „art de vivre“, die sowohl
materiell als auch moralisch verstanden
wird und wo die Familie auch im Dritten Jahrtausend eine zentrale Stütze
bleiben wird. Dabei wird betont: La fortune ou le snobisme ne sont en aucun
cas un critère de sélection2 – Reichtum
und Snobismus sind also in keinem Fall
Aufnahmekriterien für den Bottin. Da-
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Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Einleitung
mit verweist das exklusive Adressbuch
gleichzeitig auf andere Kapitalformen.
2.3. SOZIALES UND KULTURELLES KAPITAL
Ob Einkommen oder Besitz, die gängige Vorstellung von Reichtum assoziiert
diesen vor allem mit Geldvermögen.
Pierre Bourdieu hat die Diskussion um
soziale Ungleichheit und Ressourcen
um die Dimensionen soziales und kulturelles Kapital erweitert. Diese Reichtumsdimensionen sind gleichzeitig eine
Stütze des ökonomischen Kapitals: Pinçon und Pinçon-Charlot (1997) stellen
fest, dass ökonomischer Reichtum in
jedem Fall kulturell und moralisch legitimiert sein muss, um gesellschaftliche
Anerkennung zu finden. Kulturelles Kapital, in Form von Bildungstiteln, objektiviertem Wissen und kulturellem knowhow grenzt den kultivierten Reichtum
von den Neureichen ab. Die Bedeutung
von Kultur im Großbürgertum drückt
sich durch spezifische kollektive Formen des Konsums von Hochkultur aus:
Vernissagen, Opernpremieren und bestimmte Musikfestivals. Solche unter
Umständen sehr selektiven Veranstaltungen unterstreichen die Bedeutung
der Gruppe, des sozialen Netzwerks,
des von Bourdieu so genannten sozialen Kapitals als individuelle Ressource
auf Basis der Zugehörigkeit zu einer
Gruppe.
Die drei Kapitalsorten beziehen sich
in der Regel aufeinander, stützen sich
gegenseitig und akkumulieren sich auf
der einen Seite der sozialen Hierarchie,
während sich auf der anderen die Nachteile anhäufen. Kulturelles und noch
stärker soziales Kapital sind allerdings
weniger sichtbar als materieller Besitz
(Pinçon/Pinçon-Charlot 1997: 8).
Mehr noch als die reine Akkumulation
von Gütern ist für die Beziehungsarbeit
(soziales Kapital) und nicht-kodifizierte Formen des kulturellen Kapitals das
Aufeinandertreffen und das „UnterSich-Sein“ einer Gruppe von Bedeutung. Das verweist auf Exklusivität und
Segregation als sozialräumliche Phänomene (siehe 2.4.).
In Ihrer Marktanalyse der Reichen stellen Cap Gemini/ Merril Lynch fest, dass
die meisten „Ultra High Net Worth Individuals“ mit über 30 Millionen Euro trotz
7
Einleitung
des überdurchschnittlichen Wachstums
im Segment neuer Reichtum (kurz vor
dem Untergang der New Economy!)
immer noch dem alten Reichtum angehören. Den Bankern gilt neuer Reichtum als stärker leistungsorientiert und
risikobereit. Soziale Konventionen spielen eine geringere Rolle. Alter Reichtum
gilt als eher beziehungsorientiert, das
Anlageverhalten als konservativer. Verschwiegenheit, Exklusivität und Erfahrung sind zentrale Werte dieser Kunden (German Wealth Report 2000).
Man sieht, dass auch die Banken ihren
Bourdieu gelesen haben...
2.4. WIE SIEHT REICHTUM
AUS?
It is a commonplace of current geographical enquiry that we live in an ocularcentric, scopophilic world which privileges
vision, but acknowledging this insight requires that we be aware of the existence
of many other practices that constantly
correct this vision. (Thrift 2000: 279)
Im Rahmen des Workshops „Visual Material – Visuelles Arbeiten: Between
Reproduction of Truth and Complementary Objects“ hatte sich unsere
kleine Projektgruppe zur Aufgabe gestellt, nach dem sichtbaren Ausdruck
reicher Lebensstile und Wohnformen
in zwei Berliner Stadtteilen zu suchen,
die vom damals gerade neu erschienenen Berliner Sozialstrukturatlas als
Quartiere mit hohen Einkommen und
nur wenigen sozialen Problemen identifiziert wurden. Manifestationen dieser
urbanen Verhältnisse sollten dabei bildsprachlich dokumentiert werden.
In der Auseinandersetzung um den
Charakter des Faches Geographie als
visueller Wissenschaftsdisziplin (Gregory 1995; Thrift 2000)3 stellen sich auch
Fragen nach unseren Ways of seeing:
Welche Bilder des Reichtums bzw. der
Reichen machen wir uns sowohl im Sinne von Repräsentationen als auch von
deren Interpretation? Somit wurden
bereits hier zentrale Grundfragen des
Projektseminars aufgeworfen:
• Was interpretieren wir als Ausdruck
von Reichtum? Auf welche Symbole
und Ornamente, Waren und Luxusgüter achten wir dabei besonders?
• Welche Orte werden von uns als Orte
des Reichtums identifiziert (und doku-
8
mentiert)?
Auf Fototour unterwegs in Berlin-Zehlendorf und Berlin-Hessenwinkel konnten wir feststellen, wie schnell eine
allein auf materielle Sichtbarkeit aufbauende Reichtumsforschung an die
Grenzen des Erkennens und die materiellen Abgrenzungen privater Räume
gelangt. Darüber hinaus lernten wir,
wie sehr sich Quartiere unterscheiden,
die vom Sozialstrukturatlas ähnliche
Bewertungen bekommen. Wichtige
Elemente der Visualität von Reichtum
sind jedoch, wie wir feststellen mussten, Probleme der Lesbarkeit und oft
ein schwieriger Zugang.
Somit konnten wir uns vor allem von
Versuchen der Abschirmung, von Sicherheitsmaßnahmen und Abschließungen überzeugen. Hohe Hecken,
Kameraüberwachung, stilvolle Zäune
und Gitter markieren die Grenzen zu
wohlhabender Privatheit. Noble Automobile, Möbelstücke und andere teure
Reichtumsaccessoires
verschwinden
hinter den Mauern der Privatgrundstücke. Doch was verbirgt sich hinter den
Zäunen? Wie sieht es hinter den Überwachungskameras aus?
Dies konfrontierte uns mit einem weiteren grundsätzlichen Problem des Projektseminars, ja wohl der Reichtumsforschung insgesamt. Kilian (1998: 125)
schreibt dazu: „Publicity is the power
of access. Privacy is the power of exclusion.“ Privatisierte Räume sind nur
mit besonderen Forschungsstrategien
betretbar, Aussagen über die, hier vor
allem materielle Ausstattung des häuslichen Bereiches, bleiben zumeist ein
Tabu. Da wir uns weder über spezielle
gatekeeper oder besondere Camouflagetechniken einen sicher interessanten
und spannenden Einblick hinter Türen
und Zäune verschaffen wollten, orientierten wir uns vor allem an den (mehr
oder weniger) öffentlich zur Schau gestellten oder im städtischen Kontext
präsenten Reichtumsmanifestationen.
Deren Charakter drückt sich vor allem
über den Symbolgehalt als Reichtumsobjekte aus.
2.4.1. OBJEKTE DES REICHTUMS – REICHTUM ALS
OBJEKT
bis 10 ´ganz und gar zufrieden’
gemessen. Bei der Zufriedenheit
mit dem Haushaltseinkommen
zeigt sich ein enger Zusammenhang mit der Einkommenshöhe.
In Westdeutschland liegt der
Durchschnitt bei Personen oberhalb der 200-Prozent-Schwelle
mit 8,1 vergleichsweise hoch.
Der Abstand zur untersten
Einkommensgruppe beträgt fast
4 Skalenpunkte. In Ostdeutschland findet man nahezu die
gleiche Zufriedenheitsdistanz
zwischen den beiden Einkommenspositionen, allerdings
auf einem niedrigeren Zufriedenheitsniveau. Hier geht die
größere Distanz zwischen den
tatsächlichen Einkommen und
den Anspruchsniveaus, die an
westdeutschen Standards orientiert sind, in die Bewertung ein.
Die Längsschnittanalyse zeigt,
dass Personen, die sich dauerhaft in der höchsten Einkommensposition befinden, auch
die höchste Einkommenszufriedenheit aufweisen. Zumindest
im hohen Einkommensbereich
scheint somit die allmähliche
Anpassung des Anspruchsniveaus an das faktisch hohe
Einkommen die Zufriedenheit
mit dem Einkommen nicht zu
beeinträchtigen.
Auch die Zufriedenheiten mit
dem Lebensstandard und der
Arbeit variieren mit der Einkommenshöhe, wenn auch weniger
stark als die Einkommenszufriedenheit. Bezüglich der allgemeinen Lebenszufriedenheit, in die
als summarisches Zufriedenheitsmaß auch Bewertungen für
viele andere Bereiche, wie z.B.
Familie und Partnerschaft eingehen, ist der Zusammenhang
mit der Einkommensposition
weniger deutlich. Die Differenz
von der höchsten zur niedrigsten
Einkommensgruppe beträgt hier
noch 1,6 Skalenpunkte in den
alten und 1 Skalenpunkt in den
neuen Bundesländern. Eine hohe
Einkommensposition erweist
sich hier als ein Faktor unter
vielen, der die Lebenszufriedenheit bestimmt.“ Quelle: Weick
(2000)
Vgl. dazu die e-mail
Kommunikation von
Colin Marx von der Open
University, einem Teilnehmer des Methodenworkshops zu Visual
Geographies: “Visuality is increasingly being
recognised as an impor3
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Seeing comes before words (…) It is seeing which establishes our place in the surrounding world (…) The way we see things
is affected by what we know or what we
believe (Berger 1972: 7ff).
tant yet poorly thought
through methodology
– particularly in geography which is considered
by many to be primarily
reliant on visual methodologies. The literature
on visuality is vast and
there have been numerous attempts to bring
together the possibilities
visual methodologies offer with social processes
such as affluence and
poverty. Affluence and
poverty have a particular
complex relationship that
goes beyond the usual
binary relationship of the
‘other’.”
Der Reichtum der Gesellschaften, in
welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine „ungeheure Warenansammlung“, die einzelne Ware als seine Elemantarform
(Marx, 1932, 1951: 49).
Marx stellt den Begriff des Erscheinens
einer ungeheuren Warenansammlung
an den Anfang seiner Kritik der politischen Ökonomie. Es geht hier also
ebenfalls auch um die Sichtbarkeit, die
Vordergründigkeit der reichhaltigen
und umfassenden Anwesenheit (wenn
auch nicht von allen) konsumierbaren
Waren. Erscheinungsebenen verweisen
nur mittelbar auf die Hintergründe eines sozialen Zustandes oder Problems.
Somit stellt sich die Frage, ob sichtbare
Objekte einen analytischen Zugang zu
einem Lebensstil darstellen können.
Ausgehend davon, dass materielle Güter unterschiedliche Bedeutungen in
unterschiedlichen
gesellschaftlichen
Kontexten haben, gibt es auch keine
Reichtumsobjekte an sich – Waren verfügen über keinen essentialistischen
Kern (Appadurai 1986) – sondern vor
allem über einen in diesem Zusammenhang unterbewerteten Gebrauchswert
und den überbetonten Tauschwert eines
Luxusgutes. Doch nicht allein der hohe
Tauschwertcharakter einer Ware macht
diese zu einem wertvollen Reichtumsrequisit, sie muss auch am rechten Ort
von den richtigen Menschen als solche
erkannt werden. Obwohl mit Symbolen
und Konsumgütern dieser Gesellschaft
vertraut, mussten wir in Frage stellen,
ob auch wir die feinen Unterschiede sehen und erkennen können, ohne genau
etwas über die Kulturen und Konjunkturen bestimmter Reichtumsattribute zu
wissen (Wer kann eine echte Rolex von
einer falschen Rolex unterscheiden?
Wer kennt überhaupt eine Rolex?).
Nach Thorstein Veblen hat Reichtum
vor allem die Funktion, als sichtbarer
Beweis des Erfolges via conspicuous
consumption zu dienen. Der auffallende Konsum wurde als Kennzeichen einer neuen US-amerikanischen leisure
class vor über 100 Jahren diagnostiziert. Zeitgenössische AutorInnen be-
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Einleitung
tonen das umfassendere Konzept des
demonstrativen Lebensstils durch Konsumverhalten. So seien die Dinge, die
wir kaufen, immer weniger Produkte und
immer mehr Lebenserfahrungen wie Essen, Kommunikation, Kulturkonsum, Teilhabe an einem bestimmten Lebensstil (Zizek zitiert in Misik 2005).
Oft ist das Image der eigentliche Gebrauchswert und sind materielle Objekte lediglich „Requisiten“ dessen,
was eigentlich gekauft wird, um einen
Lebensstil zu erwerben.
2.4.2. MANIFESTATIONEN
DES REICHTUMS IN DER
STÄDTISCHEN FORM
Und wie sieht es mit der Sichtbarkeit
von Reichtum in der Stadt aus? Bei
der Identifikation materieller oder immaterieller Reichtumsmanifestationen
im Rahmen einer sozialraumbezogenen Perspektive ist es verlockend, Klischees der „Viertel der Reichen“ (bsp.:
Zehlendorf, Dahlem) zu reproduzieren.
Wie bereits angesprochen, können Besuche in diesen Stadtteilen nur ein Teil
der Forschungsfragen aufklären: Private Räume bleiben schwer zugänglich,
Luxus-Autos verraten nicht alles über
den wirklichen Besitzstand der dazugehörigen Person. Trotzdem bleibt die
städtische Öffentlichkeit der wichtigste
Darstellungs- und Vorstellungsraum gesellschaftlichen Reichtums. Nicht allein
Hauptstädte, Residenzen und Regierungssitze verweisen in ihrer baulichen
Form auf eine Fülle an Kristallisationspunkten von Macht und Reichtum.
In jeder Stadt finden sich Belege und
Artefakte des Reichtums; Stadt ist der
gebaute Ausdruck gesellschaftlicher
Macht. Diskurse um städtische Gestaltung und Raumästhetik sind eng mit
der Vorstellung des Schönen als Luxus
und der Darstellung von Überfluss edler Materialien (oder deren Simulationen) verbunden.
Das ist die eine Seite städtischer Reichtumsmanifestationen, die Inszenierung
von Macht durch architektonische Materialität, ganz im Sinne des gestalterischen Paradigmas form follows function. Eine weitere Seite stellt sich in
der Anwesenheit des Marktes, der öffentlich angebotenen und ausgestell-
9
Einleitung
ten Lebensmittel, der Konsumgüter in
Boutiquen, Läden, Luxusgeschäften
etc. dar. Die postulierte Überlegenheit kapitalistischer Gesellschaftsmodelle als Konsumparadiese wurde in
Kaufhäusern als den Kathedralen der
Moderne vergegenständlicht. Der politische Charakter West-Berlins im „kalten Krieg“ als ideologisches Schaufensters des Westens hat sich nicht zuletzt
über Orte (Bsp. KaDeWe) hergestellt.
Auch mit dem Ende der Ära des großen Kaufhauses sind es immer noch
die Einkaufsstrassen, shopping-malls
und Fußgängerzonen des Konsums, die
als besondere Indikatoren städtischen
Reichtums angesehen werden. Die Anoder Abwesenheit internationaler Markengeschäfte, die überbordende oder
dezente Ausstattung mit (Luxus)Waren,
das Flanieren der KundInnen, bilden
den symbolischen Rahmen gehobener
Urbanität. Die Form der Einbindung lo-
ser Märkte über Kioske, Ladengeschäfte bis hin zu Kaufhäusern stellt auch in
der Stadtforschung ein entwicklungstheoretisches Paradigma her, wonach
der zivilisatorische Status einer Stadt
an der Anwesenheit und Gestalt von
Luxusgeschäften gemessen wird.4
Doch auch andere Kathedralen, um
bei der etwas abgegriffenen KirchenMetaphorik zu bleiben, symbolisieren
stadtgeschichtlich zunehmend urbane
Prosperität und wirtschaftlichen Erfolg:
Die Cathedrals of Commerce - um 1900
ebenfalls entstehenden Bürohochhäuser der US-amerikanischen, später
auch europäischen Grosstädte – prägen
als Balkendiagramme des Handels und
der Finanzwirtschaft die Ikonographien (fast) aller Metropolen, sie werden
zur imagebildenden Demonstration der
Geschäfte und der Macht des Geldes
(Flierl 1990: 446).
Eine im Projektseminar
diskutierte Idee zur Entdeckung von städtischem
Reichtum über seine
Visualität war die Klassifizierung von Verkaufsgeschäften für Konsumgüter anhand der Dichte
der in den Schaufenstern
angebotenen Waren
auf Basis der These: Je
dichter die Waren, desto
niedriger der Status des
Geschäftes- je weniger
im Fenster desto Luxus.
4
3. REPRÄSENTATIONEN VON REICHTUM IN MEDIEN UND STADTPOLITIK
Der Armutsdiskurs und dessen populären Repräsentationsstrategien auf der
einen, Luxus der Abgeschiedenheit und
Reduzierung auf die öffentliche Tribüne
des Glamourdiskurses auf der anderen
Seite, sind die Hauptmotive der Repräsentationen von Armut und Reichtum,
die wir in diesem Abschnitt behandeln
möchten.
Eine geradezu klassische massenmediale Repräsentation von materiellem
Besitz ist der Komplex Schmutz und
Kriminalität in Bezug auf die Wohnorte der Armen. Einer alten Tradition
folgend, werden biologische Analogien
hergestellt, die Schmutz, Armut und
unmoralisches, delinquentes Verhalten
zusammendenken. Alan Mayne beschreibt in seinem Buch The Imagined
Slum (1993) wie aus einer dominanten
bürgerlichen Perspektive aus Medien,
Kulturindustrie und Politik die Arbeiterviertel der Stadt der industriellen
Revolution auf allen Ebenen als Gegenbild der modernen Stadt konstruiert
wurden. Am Beispiel von Städten wie
London und Birmingham wird gezeigt,
10
wie Moral, Gesundheit und Fragen der
städtischen Form zu den Schlüsselbegriffen der Definition von Territorien
werden und die Trennlinie zwischen Pathologisierung und Kriminalisierung der
Armen auf der einen und Konsolidierung bürgerlicher Identität auf der anderen Seite bestimmen. Der Slum wird
von der bürgerlichen Imagination auf
verschiedene Weise mit Sinn erfüllt:
Konservative fanden im Slum Anknüpfungspunkte für zivilisationskritische,
großstadtfeindliche Ansichten, Reformer für eine paternalistische Politik der
Kontrolle gegenüber der Arbeiterklasse.
Und unterhaltend war der Slum auch:
Worthy citizens gaben sich lascivious
inspections hin und das slumming – Exkursionen in die Slumgebiete – wurde
populär. Obwohl es sich somit kaum um
eine streng abgegrenzte Welt handelte,
diente der Slum als ausgegrenztes Territorium zur Affirmation seines Gegenteils, der modernen, legitimen Stadt
und ebnete den Weg für Abrissprogramme, die von den Zeitungen und
den politisch-ökonomischen Eliten der
Abb. 3.1.: VerbrechensKarte aus Berlin, in: B.Z.
vom 25.11.1999.
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Statistische Reichtumsmessung in Berlin
„Grundlage für die in Berlin
laufenden Armutsberechnungen sind die Daten des seit
1957 jährlich stattfindenden
Mikrozensus (Stichprobe 1 %)
(Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz 2003). Als Grundlage für
die Untersuchung von Arm und
Reich, gilt das durchschnittliche
Äquivalenzeinkommen das in
Berlin bei 1.213€ liegt. Als arm
gelten Personen die nur geringfügig über, oder unter 50 %
dieses Äquivalenzeinkommens
liegen. Als reich gilt, wer 200
% des Äquivalenzeinkommens
verdient (ebd.). Der Sozialstrukturatlas 2003 für Berlin trifft
keine explizite Aussage über die
Reichtums/Vermögens-Entwicklung und Verteilung in Berlin.
Auch der Jahresbericht der Senatsverwaltung für Gesundheit,
Soziales und Verbraucherschutz
von 2002: „Armut und soziale
Ungleichheit“ stellt keine Daten
zu Einkommensunterschieden
zur Diskussion. Aussagen aus
amtlicher Statistik sind also
schwer erhältlich.
Die Einkommensunterschiede
innerhalb der Berliner Bevölkerung (Ost und West) haben sich
im Zeitraum 1996-2002 vergrößert und die Angleichung der
Lebensverhältnisse verlangsamt.
Relevant dabei ist der Anstieg
der Besserverdienenden (über
200 % des Äquivalenzeinkommens) von 4,8 % (1996) auf
5,1 % (2002). 62% der Berliner
Bevölkerung weisen ein unterdurchschnittliches monatliches
Äquivalenzeinkommen auf.“
Auszüge aus dem Essaytext
des Projektseminars von Robert
Gölz: Quellen und Daten zum
Thema Reichtum.
Abb. 3.2.: Hier regiert
die Angst, in: BZ.
Industriegesellschaft in der imperialistischen, religiösen (Kreuzzug) und militärischen Metaphorik eines „gerechten
Krieges“ gefeiert wurden (Mayne 1993:
206).
Die heutigen Nachfolger des Slumdiskurses beziehen sich auf Stadtgebiete,
die mit Armut und Verbrechen, aber
noch immer auch mit moralischen Problemen in Verbindung gebracht werden.
Auch die rezenten Darstellungsmethoden knüpfen an die tradierte Form
der Ausgrenzung „kranker, krimineller“
Viertel durch das Mittel der einfachen
Kartierung an, wie das nachfolgende
Beispiel aus der Berliner B.Z. zeigt (siehe Abb. 3.1.). Auffällig an der Karte ist,
dass nur ein Ausschnitt der Stadt gezeigt wird – die meisten einkommensstarken Randbereiche von Berlin fehlen
auf der Darstellung.
Wird Armut in den populären Medien pathologisiert bzw. kriminalisiert,
so wird Reichtum „glamourisiert“. Im
„Gala“- oder “Glamour-Diskurs” wird
das gesellschaftliche Leben von Reichen
beobachtet und hinsichtlich seiner Vorbildfunktion in Bezug auf Verhalten, Stil
etc. betrachtet. Hier wird eine Reichtumsrepräsentation nach dem Bild der
kleinbürgerlichen Aspiration und Prätention geschaffen und vermarktet: So
wohnen, kleiden sich, heiraten, feiern
die Reichen und Berühmten - jedenfalls
die, die sich dem Glamour-Blick aussetzen. Auch städtebaulich lässt sich
diese Gegenüberstellung nachzeichnen. So wie die Armutsgebiete sich
durch Öffentlichkeit und Zugänglichkeit
ausweisen, ist die architektonische For-
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Einleitung
mensprache der vermeintlich reicheren
Wohngegenden eine der Abschließung,
die sich durch Verfügungsgewalt über
weitläufige private Räume auszeichnet
und somit den Reichen zumindest im
Privatleben die Möglichkeit des Rückzuges bietet (siehe 2.4.).
Repräsentationen von Kriminalität und
Reichtum sowie Kartierungen dieser
durchaus weit verbreiteten Phänomene sind hingegen sehr selten. Typische
„white-collar-crimes“ wie Steuerhinterziehung, Bestechung oder Wirtschaftskriminalität werden selten in so systematischer und umfassender Form
dargestellt und in einen räumlichen
Bezug gesetzt wie dies bei Graffiti,
Drogendelikten oder Gewaltkriminalität
der Fall ist.
Es bietet sich also an, den Reichtumsbegriff um die Dimension der Repräsentation zu erweitern: Reich ist, wer
sein gesellschaftliches Bild beeinflussen
kann und nur dann im Mittelpunkt des
Interesses steht, wenn dies gewünscht
ist. Im Gegensatz dazu stehen die mit
Bildern und Diskursen der Desorganisation, der Unmoral und der Kriminalität
überzogenen armen Viertel, deren Bewohner zusätzlich zu geringem materiellem Besitz auch noch das Recht am
eigenen Bild verlieren. Loïc Wacquant
(1993) spricht daher von der symbolischen Enteignung marginalisierter Bevölkerungsgruppen.
3.1. REPRÄSENTATIONEN IN
WISSENSCHAFT UND POLITIK
Auch in den angewandten Wissenschaften spielt die kartografische Repräsentation von Klasse seit ihren philanthropischen Anfängen im 19. Jahrhundert
eine große Rolle. Frei nach dem Konzept einer angewandten „Problemwissenschaft“ standen in der Soziologie
und ihren disziplinären Nachbarinnen
von Anfang die Verortung von Armut
im Vordergrund. Analog zu den von
Foucault beschriebenen Machttechniken zur Inventarisierung und Durchdringung des Staatsterritoriums in der
Neuzeit wird der Survey zur zentralen
Machttechnik zur Analyse der dunklen, verborgenen anderen Seite der
Stadt (Lindner 2004). Im England der
11
Einleitung
Industrialisierung steht die Kartierung
in direkter Verbindung mit reformerischen Hilfsprogrammen, polizeilicher
Disziplinierung, und der Arbeit von
„charity“-Organisationen und sorgt mit
für eine bessere Kontrolle durch Visualisierung und Wissensproduktion zum
Thema „How the poor live“. Die Map
of London Poverty von Charles Booth
aus dem späten 19. Jahrhundert zeigt
durch ihren Titel den klassenmäßigen
Schwerpunkt dieser Arbeiten an, ist
aber gleichzeitig von ihren Inhalten her
eine Ausnahme, da sie auch die obere
Mittelklasse in goldenen Tönen kartiert
(siehe Abb. 3.4.). Indem sie sich auf
Expertenbefragungen und Begehungen durch die Forscher stützt, sind
hier die Ursprünge der ethnologischen
Stadtforschung auszumachen (Lindner
2004: 85).
Der von der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales herausgegebene
Sozialstrukturatlas Berlin, der 2004 in
seiner neuesten Fassung erschien, ist
die moderne Form des social surveys
aus dem 19. Jahrhundert. Er hat sich
mittlerweile von den ethnographischen
Methoden der Pioniere in London verabschiedet und verwendet faktoranalytische Verfahren zur Sortierung und
Gruppierung einer Vielzahl von Indikatoren. Als kleinräumige Darstellung
sozialer Milieus konzipiert, wird er als
Handlungsgrundlage für die sozialpolitische Planung verwendet. Die letzte
Ausgabe brachte gar eine Diskussion
um eine stärkere Berücksichtigung sozialer Ungleichheit bei der Verteilung
von Haushaltsmitteln ins Rollen: In einem Interview mit der Berliner Zeitung
am 29. April 2004 forderte die für den
Atlas verantwortliche Sozialsenatorin Dr. Heidi Knake-Werner etwa, über
neue Ganztagsschulen nach den durch
den Strukturatlas gewonnenen Erkenntnissen zu entscheiden und diese
Schulform in den Innenstadtbezirken
zu konzentrieren.
Die mächtigste Kategorie des Sozialstrukturatlasses ist der „Sozialindex“
genannte erste Faktor, der eine „günstige“ Sozialstruktur von „ungünstigen“
unterschieden soll. „Ungünstige Sozialstruktur“ korreliert stark mit einem
hohen Anteil von Personen ohne Schulabschluss, Männern, Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosen, mit Phäno-
12
menen wie niedrigen Einkommen und
vorzeitiger Sterblichkeit sowie mit Single-Haushalten und Nicht-EU-Ausländern (Senatsverwaltung für Gesundheit
und Soziales 2004: 21). Daneben gibt
es den zweiten, „Statusindex“ genannten Faktor, der die Viertel mit besonders
hohem kulturellem Kapital hervorhebt.
Bereits die Auswahl möglicher Indikatoren zur Sozialstruktur verrät einiges
über die herrschenden Vorstellungen
von günstiger und ungünstiger Sozi-
Abb. 3.3.: Der Adel
tanzt! Die Armen hängen
rum und sind kriminell.
In: B.Z. 8.2.2004.
Sind sie Bourgeois(e)?
1. Ökonomisches Kapital
- Besitzen Sie ein Portefeuille
von Wertpapieren?
- Verfügen Sie mindestens über
eine Person, die sich Vollzeit um
Ihren Haushalt kümmert?
- Verfügen Sie über ihren
Abb. 3.4.: Ausschnitt
und Legende der „Map
of London Poverty“ von
Charles Booth (1889).
Quelle: Scan von Sabiha
Ahmad, <http://www.
umich.edu/~risotto/>.
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Hauptwohnsitz hinaus über
andere Wohnsitze (für die
Sommerfrische oder als Bleibe in
großen Metropolen)?
- Müssen Sie Abgaben zur Vermögenssteuer leisten?
- Verfügen Sie über mobile
und immobile Besitztümer im
Ausland?
2. Kulturelles Kapital
- Sind Sie Student oder Alumnus einer Elitehochschule, die
eine Laufbahn zum Führungsbeamten vorbereitet?
- Wurden Sie als Kind von Ihren Eltern regelmäßig in Museen
geführt?
- Gehen Sie mindestens einmal
im Monat ins Theater, Konzert
oder in die Oper?
- Kaufen Sie Kunstwerke oder
Antiquitäten?
- Sprechen Sie mindestens zwei
Fremdsprachen?
3. Familiäres und soziales
Kapital
- Kennen Sie die Vornamen
Ihrer Urgroßeltern?
- Haben Sie in Ihrer Kindheit die
Ferien zusammen mit Cousins
und Cousinen in Häusern ihrer
Familie verbracht?
- Nehmen Sie mindestens zwei
mal pro Woche an Dîners teil
(als Gastgeber oder Gast)?
- Sind Sie Mitglied eines Kreises,
in den Sie durch einen Verwandten eingeführt wurden?
- Haben Sie Familienmitglieder,
die einer anderen Nationalität
angehören?
alstruktur. Dabei spielen insbesondere
Einkommen, Berufsstatus und Bildung
eine Rolle, aber auch Haushaltsformen
bringen die moralische Seite der Surveys wieder ins Spiel.
Große Kontinuitäten gibt es aber auch
in der Farb- und Formensprache der
Karten, wo „günstige“ Sozialstruktur
hellgelb, die „ungünstige” dunkel bzw.
rot dargestellt ist.
Status- und Sozialindex geben in gewissen Grenzen, die einer zum Teil problematischen Methode und der Auswahl
schwieriger Variablen geschuldet sind,
einen ersten Einblick in die räumliche
Verteilung von Ressourcen über das
Stadtgebiet Berlin: Materieller Besitz
und geregelte Berufstätigkeit (Sozialindex) sind am stärksten in den Bezirken
Zehlendorf, Steglitz und Köpenick vertreten, am wenigsten im Wedding und
in Kreuzberg. Nach Bildung und kulturellem Kapital (Statusindex) liegen die
Bezirke Mitte und Prenzlauer Berg vorne, während Neukölln und Spandau die
Einleitung
Schlusslichter bilden. Auf kleinräumiger
Ebene sind es Gebiete wie Gatow und
Frohnau, für die der Sozialstrukturatlas
die höchsten Sozialindizes aufzeigt.
Dieser analytisch perfekt erscheinende Zugang zur Sozialstruktur der Stadt
Berlin ist aber in vielerlei Hinsicht
schwierig: Aufgrund der typischen Korrelationen der Variablen untereinander
setzt beispielsweise ein hoher Ausländeranteil automatisch den Sozialindex
eines Gebiets herab, während ein hoher Anteil von Hochschulabsolventen
oder Alleinerziehenden den Statusindex erhöht. Die Karten des Sozialstrukturatlasses stellen bei all ihrer Suggestivkraft nur einen ersten räumlichen
Zugang zum Phänomen des Reichtums
dar. Auch die Verortung und Kartierung
eines ganzen Bündels von Indikatoren
liefert keinen ausreichenden Zugang zu
Sozialgeographien des Reichtums. Im
folgenden Kapitel soll auf eher qualitative Zugänge aus dem Feld der Stadtforschung eingegangen werden.
4. Symbolisches Kapital
- Sind Sie im Bottin Mondain
eingetragen?
- Tragen Straßen in Paris oder
anderswo den Namen von ihren
Familienangehörigen?
- Besitzt ihre Familie einen
Gutshof/ ein Herrschaftshaus
auf dem Land?
- Sind Sie aktives Mitglied einer
karitativen Organisation?
- Sind Sie Mitglied der Ehrenlegion?
Quelle: Pinçon/Pinçon-Charlot
2003 (Übersetzung Dirk Gebhardt) .
Abb. 3.5.: Statusindex
auf Bezirksebene, in:
Senatsverwaltung für
Gesundheit und Soziales
2004: 27ff.
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
13
Einleitung
4. REICHTUM UND RAUM, REICHTUM UND STADT
Sozialgeographien des Reichtums werfen die Frage auf, wie sich Reichtum im
Raum zeigt, wie er räumlich wirksam
ist und räumlich reproduziert wird. Das
Soziologenpaar Pinçon und PinçonCharlot untersucht seit fast 20 Jahren
das Großbürgertum in Frankreich. Von
ihrem wissenschaftlichen Ausgangspunkt, der Arbeit über Sozialwohnungen und Segregation, kamen sie zu dem
Schluss, man müsse sich der Stadt von
allen Seiten nähern, auch von der oft
ausgeblendeten Seite des Reichtums,
um sie verstehen zu können.
Wenn schon die städtische Armutsforschung in die Falle tappt, wenn sie
meint, es würde ausreichen, einfach
die Viertel der Armen, sozial Benachteiligten, Ausgeschlossenen etc. aufzusuchen und nachzusehen, wie es sich dort
lebt, dabei viele Bedingungen und Prozesse vor lauter Fremdheit aber nicht
versteht, erscheint die räumliche Analyse des Reichtums aus verschiedenen
Gründen umso schwieriger.
Das Beispiel Mobilität kann dies veranschaulichen: Verstanden als Potenzial
sich im Raum zu bewegen, über Mittel
der Fortbewegung zu verfügen, ist Mobilität immer abhängig von Ressourcen.
Reichtum bedeutet Mobilität und Flexibilität, und macht es schwierig, Reichtum analytisch zu fixieren und räumlich
zu lokalisieren.
Zum räumlichen Nexus von Reichtum
und Status gehört auch, dass über
verschiedene Optionen des Wohnens
verfügt werden kann. Pinçon und Pinçon-Charlot weisen darauf hin, dass
das Wohnen des Großbürgertums multilokal ist, verschiedene Stadtwohnungen oder Sommerfrischen umfasst und
wie die Verkehrskreise auch, sich über
verschiedene Länder verteilt. Auch
wenn die Themenstellung „Reichtum
in Berlin“ daher womöglich eine problematische Eingrenzung ist, gibt es
Argumente dafür, eine stadträumliche
Perspektive einzunehmen.
Für Pinçon und Pinçon-Charlot dienen
die „beaux quartiers“ von Paris unter anderem der Sicherung „eines der
14
universellsten Vergnügen überhaupt“:
unter seinesgleichen zu bleiben, mit
seinesgleichen den Alltag zu teilen und
– geschützt von „störenden Promiskuitäten“ – vor der eigenen Infragestellung
sicher zu sein. Segregation erlaubt das
Teilen der akkumulierten Reichtümer,
die, weil räumlich konzentriert, ein einzigartiges Umfeld bilden, welches dem
sozialen Kapital und der angemessenen
Sozialisierung der Kinder dient.
Bei den Wohngebieten des Großbürgertums handelt es sich immer um Viertel,
die als neue städtische Räume vom und
für das Großbürgertum errichtet wurden. Exklusive architektonische Formen
und städtische Infrastruktur markieren
das Viertel, Adressen werden symbolisch aufgewertet und ziehen hochrangige Dienstleistungen nach sich.
Das Untersuchungsfeld Reichtum bringt
den Forschenden in eine Position, die
für viele sozialwissenschaftliche Studien ungewohnt ist: Anders als beispielsweise in der wissenschaftlichen Arbeit
zu Armen hat man es mit Menschen zu
tun, die einem nicht nur fremd sind,
sondern die auch in der gesellschaftlichen Hierarchie über einem selbst
stehen. Im Kapitel „Le sociologue en
position dominée“ gehen Pinçon und
Pinçon-Charlot (1997: 29ff) auf dieses
Problem ein und stellen aus ihren eigenen Erfahrungen fest, dass sich die
Unterlegenheit des Forschenden, beispielsweise in Bezug auf kulturelles
und ökonomisches Kapital, auch dann
zeige, wenn dies vom großbürgerlichen
Untersuchungsobjekt gar nicht beabsichtigt sei. Denn es gehöre gerade zu
den Grundlagen der großbürgerlichen
Erziehung, die soziale Distanz zu einem
Gegenüber eher zu euphemisieren als
zu betonen.
Je stärker die gewählte Forschungsmethode auf räumliche Nähe und Teilnahme setzt, desto spürbarer werde für
den Forscher die soziale Distanz und
Unterlegenheit gegenüber seinem Untersuchungsobjekt. Auch wenn diese
Distanz nicht ohne weiteres zu überbrücken ist, empfehlen Pinçon und Pin-
Reichtum, Armut und
Ortsgebundenheit
(Caroline:) Das ist die Contessa,
sie ist reich und schön –
(Sophie:) Ich schirme mich
vom Rest der Stadt ab, also von
denen, die an den konkreten
Ort gebunden sind, und lebe in
einem Hubschrauber.
(Caroline:) Und nicht am Eaton
Place, mit seinem geteilten Haus
in Herren und Dienstboten, das
gibt es so nicht mehr.
Die Dienstmädchen leben
unter einer Regenplane und die
Reichen landen einfach nicht
mehr. Das Haus am Eaton Place,
also die territoriale Bindung
beider Gruppen, bot doch mal
eine gemeinsame Grundlage für
Stadtpolitik.“
Aus „Telefavela“ von René
Pollesch, In: Zeltsaga. René Polleschs Theater. Berlin: Synwolt
2004, 67f.
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
çon-Charlot, zumindest beeinflussbare
Faktoren wie Sprache, Kleidung und
Körperhaltung so gut wie möglich zu
kontrollieren und dem Feld anzupassen, um den Zugang zum Feld und das
Wohlbefinden des Forschenden so wenig wie möglich durch die Position der
Unterlegenheit zu beeinträchtigen.
Aber wie sieht es in Deutschland aus,
wo es im letzten Jahrhundert viel stärkere Brüche sowohl in der Klassenstruktur als auch im Städtesystem
zu verzeichnen gab? Jens Dangschat
(1997) geht in einem Text über die Folgen der sozialen Polarisierung in Hamburg ebenfalls auf die Rolle des Raumes für Reichtum ein und kommt dabei
zu ähnlichen Ergebnissen wie die französischen Forscher. Er argumentiert,
dass sich residenzielle Segregation auf
unterschiedliche Wohn- und Wohnumfeldqualitäten sowie die „Qualität
potenzieller sozialer Kontakte“, das
„Profitieren vom Image des Quartiers“
und die Erreichbarkeit anderer städtischer Teilräume“ auswirkt. Damit greift
er auf den Begriff der Raumprofite zurück, die nach Bourdieu durch Nähe zu
erwünschten Einrichtungen und Menschen, durch prestigeträchtige Lagen
Einleitung
und die unmittelbare Verfügungsgewalt
über den Raum entstehen (Bourdieu
1997: 164). Die Verfügung über einen Raum, der solche Profite abwirft,
hat ihren Preis, gleichzeitig stabilisiert,
diversifiziert und reproduziert sie aber
den Reichtum und verschafft Zugang
zu neuen Ressourcen.
Laut Dangschat begünstigt die räumliche Konzentration von „Hochburgen des Reichtums“ am östlichen und
nordöstlichen Rand von Hamburg die
„Herausbildung sozialräumlicher Milieus“. Raum reproduziert soziale Ungleichheit, weil man ungestört unter
seinesgleichen lebt, miteinander einen
Mikrokosmos aus geteilten Werten bildet, sich gegenseitig bestätigt und den
Rest der Gesellschaft mit seinen Problemen vergessen kann (1997: 351).
Die Mischung aus bürgerlicher Definitionsmacht, räumlicher Abschottung und
einer homogenen Lebenswelt führen
laut Dangschat dazu, dass die gesellschaftliche Diskussion stärker um soziale Brennpunkte, Integrationsversagen
der Armen und „Kulturen der Armut“
kreist, die Problematik der „Kulturen
des Reichtums“ hingegen vernachlässigt werden.
5. REICHTUM IN BERLIN
Golfen am Gleisdreieck
- privatwirtschaftliche
Verwertung von Allgemeingut für Begüterte
(auf ehemaligen Güterbahnhöfen)?
Am Gleisdreieck, einer Brachfläche auf einem ehemaligen
Güterbahnhofsareal, müssen
mindestens 16 ha öffentliche
Grünfläche als Ausgleich für die
Bebauung am Potsdamer Platz
entstehen - eine Kompensationsmaßnahme zum Nutzen der
Stadtbevölkerung. Die Fläche
wird von der aus der EisenbahnImmobilienManagement GmbH
hervorgegangenen Firma „Vivico
Management GmbH“ (Eigendarstellung auf der website: „Vivico
entwickelt und betreut Immobilien in erstklassigen innerstädtischen Lagen.“) verwaltet. Da die
Gesamtfläche am Gleisdreieck
deutlich größer ist als die
Unter den bundesdeutschen Großstädten zählt Berlin nicht zu den ersten
Adressen, die mit „Reichtum“ assoziiert werden. Berlin hat nicht den Glamour von München, die feine Gesellschaft von Hamburg-Blankenese oder
die Bankenzentralen von Frankfurt am
Main. Noch immer gilt Berlin als „preiswert“ bzw. „schäbig“. Die Arbeitslosenquote in Berlin liegt nur knapp unter
dem ostdeutschen Schnitt (und damit
fast doppelt so hoch wie der bundesdeutsche Durchschnitt), das Pro-KopfEinkommen ist niedriger als im westdeutschen Durchschnitt und es ist die
Stadt Wiesbaden (und nicht Berlin), die
in der Bundesrepublik die meisten Millionäre unter ihren Einwohner versammelt.
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Trotz dieser für westeuropäische
Hauptstädte eher untypischen Situation gibt es auch in Berlin Reichtum. Die
Stadt kennt durchaus exklusive Wohnquartiere, exquisite Boutiquen, Nobelrestaurants und Edeljuweliere. In den
letzten Jahren gibt es zudem – zum Teil
mit politischer Unterstützung – Tendenzen der Aufwertung von Stadtteilen. Beispiele hierfür sind die Gentrificationprozesse in Innenstadtbezirken
im Osten Berlins, aber auch neugeschaffene Wohnquartiere, teilweise
Umnutzungen ehemaliger Gewerbeflächen oder die Erschließung attraktiver
Wasserlagen, wie in Berlin-Stralau oder
der Wasserstadt Spandau. Sie bieten
attraktive Möglichkeiten des Wohnens
für Spitzenverdiener. Mit der Eröffnung
15
Einleitung
von Einkaufszentren, die wie die „Galleries Lafayette“ oder das „Quartier
205“ explizit auf ein finanzstarkes Kundensegment setzen, bietet auch das
neu geschaffene Zentrum entlang der
Friedrichstraße zunehmend mehr Freizeit- und Konsummöglichkeiten für gut
verdienende Einwohner und Besucher
Berlins.
Die Ost-West-Besonderheiten Berlins
zeigen sich auch in den attraktiven
Stadtrandlagen der Stadt. Der Sozialstrukturatlas weist den Südwesten und
den Südosten als die Stadtviertel mit
den höchsten Sozialindizes aus. Trotz
dieser sozialstrukturellen Ähnlichkeiten
bestehen zwischen beiden Stadtbereiche offensichtliche Unterschiede: Im
südöstlichen Friedrichshagen trifft man
viel seltener auf hochherrschaftliche
Villen und Luxusautomobile als im Südwesten der Stadt. Auch wenn der Berliner Südosten teilweise ein Wohnort
der Eliten in der DDR war, dominieren
dort relativ durchschnittliche Ein- und
Mehrfamilienhäuser. Reichtum (West)
ist auch 15 Jahre nach der Wiedervereinigung noch anders sichtbar als
Reichtum (Ost).
Auch wenn Wirtschaftsprognosen nicht
darauf hindeuten, dass Berlin als Ganzes
reicher wird, so werden doch Reichtum
und Reiche eine zunehmend wichtigere
Rolle in der Stadt spielen. Die Hauptstadtfunktion zieht andere Repräsentationen von Verbänden, Unternehmen,
Medien und Kultur nach sich. Damit
verbunden sind neue Einwohner, die
eindeutig zu den Spitzenverdienern auf
deutscher Ebene gehören. Die neuen
16
Bewohner fragen Wohnraum, Konsumund Freizeitmöglichkeiten nach, die
dem Luxussegment zuzuordnen sind.
Der 2001 eröffnete Berlin Capital Club
am Gendarmenmarkt steht zumindest
für den Versuch, einen neuen exklusiven Raum in Berlin zu etablieren. Der
Investor, die „Club Corporation of Asia“
betreibt ein weltweites Netz von Business-, Golf- und Country Clubs, zudem
nun auch eine Berliner Niederlassung
zählt. Bevor es aber „Willkommen im
Club!“ heißt (das weltweite Netzwerk
umfasst ca. 70.000 Mitglieder), bedarf
es neben Geld (Aufnahmegebühr 3000
Euro + Jahresbeitrag 1200 Euro) auch
soziales Kapital in Form von Empfehlungen. Man versteht sich explizit als
halböffentlicher Raum zur Anbahnung
von Geschäftskontakten (vgl. ein Interview mit dem Vorsitzenden der Betreibergesellschaft unter <http://www.
politikerscreen.de/static/diplomatie/
Klostermann.htm>).
Aber auch auf der abstrakteren Ebene
des internationalen Standortwettbewerbes, in dem sich Berlin als repräsentative Adresse darzustellen versucht, rückt die Anziehungskraft der
Stadt für das Geld und seine Träger ins
Zentrum des Interesses. Die Kehrseite
dieser Entwicklung ist eine verschärfte
sozialräumliche Polarisierung, die zum
Ende der Stadt als gesamtgesellschaftliches Projekt führen kann: Eine Stadt,
die keine Vermittlung mehr zwischen
der Abkopplung verarmender Stadtteile
auf der einen und der Abschottung von
Quartieren der Besserverdienenden auf
der anderen Seite herstellen kann.
16 ha, versucht die Vivico in
ihren Verhandlungen mit der
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung im Gegenzug zu
einer Umsetzung des Parks eine
Freigabe zur Bebauung von
Teilen des Areals und lukrative Zwischennutzungen für die
Brachfläche durchzusetzen.
Dagegen wiederum kämpft die
Initiative AG Gleisdreieck, die
sich seit Jahren für eine baldige
Realisierung eines Parks auf
einer möglichst großen Fläche
einsetzt.
Mit dieser Strategie wurde ein
Golf-Abschlagplatz („Driving
Range“) des Privatinvestors
GlobalGolf nun auf 44.000 m2
als lukrative Zwischennutzung
durchgesetzt.
Noch im September 2004 hieß
es auf den provisorischen Internetseitenvon GlobalGolf:
„Global denken, lokal handeln.
Wo könnte dieses Motto besser
umgesetzt werden als beim
Golfen und bei Networking in
der Mitte Berlins. Darum: Global
Golf Berlin. Wer schon immer in
seiner Mittagspause den Golfschwung verbessern oder nach
Büroschluss noch eine Trainingsstunde nehmen und dabei ganz
informell interessante Menschen
treffen wollte, hatte bisher ein
Problem: Der eigene Golfclub
liegt einfach zu weit entfernt vor
den Toren der Stadt…“ (Quelle:
ursprüngliche, jetzt nicht mehr
öffentliche Domain <http://globalgolf-berlin.de/> September
2004).
Mittlerweile haben sich Business-Plan und Business-Ton der
Jungunternehmer des globalen
Golfens deutlich verändert. Nun
geht es um Breitensport statt
Networking, außerdem sucht
man zumindest rhetorische An-
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Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Einleitung
6. REICHTUMSDISKURSE, IDEOLOGIEN UND
MYTHENBILDUNGEN
schlüsse an die urban catalyst /
Zwischennutzungsszene. Auf der
Website bezeichnet sich GlobalGolf Berlin als „multifunktionelle
Erholungs- Freizeit- und Golfanlage, wo wir Golfer und Nichtgolfer gleichermaßen willkommen
heißen“ [...] „Ganz Berlin den
Golfsport näher zu bringen ist
eines der Hauptziele von GGB.
Wir wollen es allen ermöglichen,
Golf einfach und unkompliziert
auszuprobieren“.
Der Jahresbeitrag kostet 290
Euro und öffnet die Tür zum
„abgeschlossenen Mitgliederbereich“. Nichtmitglieder zahlen
acht Euro pro Stunde. Allerdings wendet man sich auch an
exklusivere Gäste und öffnet
sich für „Corporate Golf Events“.
In der Mitgliederordnung heißt
es „ Zugelassen werden ferner
Gäste ausgewählter Fünf-Sterne
Hotels, Sponsoren und Gäste
von Firmenveranstaltungen (jeweils gegen Entgelt).“ (Quelle:
<http://www.globalgolf-berlin.
net>, Juli 2005)
Die Frage der Parknutzung ist
jedoch noch immer nicht endgültig geklärt.
Informationen:
Global Golf Berlin Akademie,
Schöneberger Ufer 7, 10785
Berlin
<http://www.globalgolf-berlin.
net>
<http://www.vivico.com>
<http://www.berlin-gleisdreieck.
de>.
Aktuelles Beispiel: Auseinandersetzung um die
Ausstellung „Flick-Collection“.
5
Neben den bereits angesprochenen
Problemen eines „unterforschten“ Untersuchungsgegenstandes, der Problematik von Reichtumsdefinitionen, Abgrenzungen und visuellen Zugängen,
legen aktuelle Reichtumsdiskurse über
„Heuschrecken“ und andere Spezies
nahe, hier noch einmal auf besondere
Reichtumsmythen und Fallen der Reichtumsforschung einzugehen.
Huster (1993) konstatiert, dass wer sich
mit Reichtum und Armut beschäftige,
sich auch mit moralischen Konnotationen dieser Begriffe auseinandersetzen
müsse. So werde Armut zumeist als ein
Zustand betrachtet, der gesellschaftliches Eingreifen notwendig erscheinen
lasse, eine vergleichbare ethische Bestimmung staatlicher Interventionen
allerdings bislang beim Reichtum (Huster 1993: 19) fehle. Trotzdem gehe es
darum, Reichtum weder zu dämonisieren, noch ideologisch zu überhöhen
– wichtig sei vor allem, Reichtumsdiskussionen aus der Tabuzone zu holen
und nach der Bedeutung für unsere Gesellschaft zu fragen (Huster 1993: 19).
Nicht nur in unserer Gesellschaft sind
Reichtumsdiskurse von Ideologien und
Mythen umrankt.
Die wirkmächtigste Ideologie ist die der
kapitalistisch-bürgerlichen Legitimität
und Schutzwürdigkeit des Privatbesitzes. Die Dynamiken der Privatisierung
von Grund und Boden, der Besitzstandswahrung herrschender Eliten,
sowie Kämpfe und vernichtende Kriege um die Ausdehnung nationalstaatlicher Territorien, haben die letzten 250
Jahre bürgerlicher Gesellschaften und
ihrer Gegen- bzw. Protestbewegungen
in Europa geprägt. In Zukunft stehen
Auseinandersetzung um die noch verbliebenen Gemeinschaftsgüter wie beispielsweise (sauberes) Wasser, (reine)
Luft und der Zugang zu Wissen und
Bildung auf dieser ideologischen Agenda des „nur was etwas kostet, ist etwas wert“. Gleichzeitig weist aber das
Grundgesetz darauf hin, dass Eigentum
verpflichtet (Art 14, Abs. 2 GG). Damit
verweist die Verfassung darauf, dass
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Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
es kein absolutes Eigentumsrecht gibt,
weil dieses immer institutionell gebunden ist. Insbesondere ist das Eigentum
dem Allgemeinwohl und der „Übernahme gesellschaftlicher Aufgaben“ verpflichtet (Lucke 2001).
Historisch besonders wirkmächtig waren sicherlich religiöse Vorstellungen
eines Reichtums als göttliche Anerkennung weltlicher Leistungen. Auch wenn
Max Webers protestantische Ethik und
der Geist des Kapitalismus sicher zu
schematisch ansetzt, kann, allein auf
christliche Religiosität bezogen, Reichtum (calvinistischen, protestantischen
religiösen Ethiken) als Gottgegeben
(Gottes Gnade-Gottes Lohn) für richtiges, fleißiges Arbeiten auf normative
Anerkennung zählen: Besonders dann,
wenn dies eigener Leistung zugeschrieben werden kann. Damit verbunden ist
der kapitalistisch-liberale Mythos der
Leistungsbezogenheit, der auf Reichtum als gesellschaftliche Anerkennung
setzt: Reichtum wird von der verdienten göttlichen Gnade säkularisiert zum
Produkt außerordentlicher gesellschaftlicher Leistung durch besonders aufopfernder Arbeit: Wer fleißig ist, der kann
es auch zu Reichtum bringen (vom
Tellerwäscher zum Millionär). Beiden
mythischen Imaginationen ist gemein,
dass wo Reichtum allein zum Leitbild
gesellschaftlicher Anerkennung und Erfolges wird, soziale Differenzierung als
Bedingung dieser Gesellschaften naturalisiert und zur Norm gemacht werden
(Huster 2001).
Andere Mythen ranken sich um den
gesellschaftlichen Nutzen von Reichtum, der es ermögliche, Gutes zu tun.
Philanthropismus und Mäzenatentum
erzählen die Geschichten einzelner
wohlhabender Menschen, deren Aktionspalette von der Stiftung humanitären Wohlfahrtseinrichtungen, über
Tier- und Naturschutzfonds bis zur Förderung des kulturellen Lebens reicht.
So ist beispielsweise das sponsoring
von KünstlerInnen und deren Werke
zunehmend als Ersatz staatlicher Kulturförderung im Gespräch.5
17
Einleitung
Ein weiterer Mythos setzt bei Reichen
als Pioniere des Konsums und des technologischen Fortschritts an: So gelten Reiche als diejenigen, die neuen
Produkten und Dienstleistungen zum
Durchbruch verholfen hätten (Huster
2001: 23). „(…) Im Regelfall sind anfänglich sehr teure Waren und Dienstleistungen zunächst lediglich von einer
kleinen Schicht Privilegierter in Anspruch genommen worden, bis dann
neue Fertigungsmethoden, Einkommensverhältnisse und soziale Verhaltensmuster deren Übernahme durch
breite Bevölkerungskreise“ (Huster
2001: 23) ermöglicht habe. In Zeiten
mangelnder Nachfrageorientierung und
Marksättigung bekommt die Produktion von Luxuswaren eine neue Bedeutung. Die einzigen Wachstumsbereiche
der Konsumgüterindustrie sind derzeit
in Deutschland polarisierend in den
Segmenten der immer billiger werdenden Discountketten einerseits und der
immer teurer werdenden Luxusartikel
andererseits zu verzeichnen. Die Konzentration von immer mehr Geld und
Vermögen in der Hand von wenigen Privatpersonen befördert somit einerseits
den Konsum extrem teurer Luxusprodukte, kann aber den Mangel an zirkulierender Kaufkraft einer breiten Masse
nicht kompensieren und führt daher
dort zu tiefen Nachfrageeinbrüchen.
Zu den mächtigsten Reichtumsmythen
zählen verschwörungstheoretische Personifizierungen des Reichtums und der
gesellschaftlichen Macht. Mitunter kann
selbst der Elitenforschung unterstellt
werden, sie bediene populistische Diskursstränge. Wenn Netzwerkbildungen
oder Organigramme internationaler
Verflechtungen als globale Machtgespinste für Verschwörungstheorien herhalten müssen – und dabei oft in wenig
verschleierter Form mit Stereotypen
einer mutmaßlichen jüdischen Weltverschwörung arbeiten („Ostküste“) – ist
die Nähe zu antisemitischen Positionen
schnell hergestellt.
Auf
Grundlage
gruppenbezogener
Schuldzuschreibungen und Verschwörungstheorien und der Personalisierung von Reichtum erfolgt eine Verschiebung der Wahrnehmung weg von
gesellschaftlichen Verhältnissen, die
eine Anhäufung immensen privaten
Reichtums ermöglichen. So kann als
Problem und gleichzeitig Bedingung
einer nicht-populistischen, nicht personifizierten Reichtumsforschung formuliert werden: Während Reichtum
als gesellschaftliches Phänomen beschrieben und einzelne Protagonisten
erforscht werden können, kann umgekehrt von Einzelpersonen nicht auf
die Gesellschaft geschlossen werden.
Der einzelne Reiche kann nur aufgrund
seines Besitzes nicht für die Übel des
gesellschaftlichen Gesamtzusammenhangs- oder mit Marx für Verhältnisse,
deren Geschöpf er sozial bleibt – haftbar gemacht werden (Gleichwohl kann
er/sie persönlich durchaus moralisch
hinterfragt werden). Historisch hat sich
gezeigt, dass selbst der massenhafte
Mord und terroristische Regimes zwar
viele als Reiche imaginierte Menschen
getötet, nicht aber den Reichtum als
soziales Phänomen und Problem abgeschafft haben.
7. VORSTELLUNG DER STUDENTISCHEN BEITRÄGE
Die nachfolgenden Beiträge stellen die
Ergebnisse der studentischen Arbeiten
dar. Wir möchten uns im Namen der
Projektleitung und der Studierenden
ganz besonders bei Wenke Christoph
für den Satz der Druckvorlage bedanken.
Obwohl die Herausgeber die Konzeption
der Studien begleitet und in die Erstel-
18
lung der Einzeltexte mit Korrekturvorschlägen eingegriffen haben, bleiben
die Texte ein Produkt der SeminarteilnehmerInnen. Sie unterscheiden sich
in Bezug auf Stil und Reifegrad und
geben gerade dadurch den Charakter
eines Projektseminares mit gewissen
Freiheitsgraden in Bezug auf die Themenwahl wieder.
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Wenke Christoph, Ronald Führer,
Matthias Grätz, Judith Oberschäfer,
Christian Ostendorf und Anna Winteroll beschäftigen sich mit dem Thema
„Wohnen nach Wunsch! Politischer Umgang mit Wohngebieten für Reiche in
Berlin“. Sie stellen die Frage, inwiefern
Projekte in der Berliner Stadtentwicklung die Interessen und Bedürfnisse
von einkommensstarken Haushalten
berücksichtigen. Die Arbeitsgruppe
gewann ihre Ausgangsthesen aus den
Erklärungsversuchen zur unternehmerischen Stadt, zur Militarisierung der
Stadtpolitik, zur viergeteilten Stadt
und zur urbanen Renaissance. Im empirischen Teil der Arbeit konfrontiert sie
diese Thesen mit den Beispielen des
Viktoria-Quartiers in Berlin-Kreuzberg
und den Potsdamer Arkadien, zwei
neu errichteten Wohnungsprojekten,
die sich explizit an besserverdienende
Bewohner richten. Der Bericht liefert in
der Untersuchung hochpreisiger Wohnanlagen Hinweise auf die räumliche
Manifestation von Reichtum in Berlin
im Bereich Wohnen und zeigt Wechselwirkungen mit der offiziellen Stadtpolitik auf.
Der Untersuchungsbereich der Arbeitsgruppe „Dualistische Lebensmodelle
Berliner Funktionseliten“ konzentriert
sich auf eine Zielgruppe, der bisher wenig wissenschaftliche Aufmerksamkeit
zuteil wurde. Diese Gruppe wird von
den StudentInnen Katja Becker, Johannes Edelhoff und Natanael Weigold als
Funktionselite bezeichnet. Diese Bevölkerungsgruppe verbindet neben der
Annahme eines überproportional hohen
kulturellen, sozialen und ökonomischen
Kapitals auch deren Vorstellung gesellschaftlicher Elite und Partizipation
an politischer und/oder ökonomischer
Macht. Dabei gehen die StudentInnen
von der Hypothese aus, dass die Mitglieder dieser Funktionselite keine klare Unterscheidung zwischen Arbeit und
Freizeit treffen (können), indem der
Freizeitraum seine ursprüngliche Funktion als Ort der Erholung verliert und
zum informellen Arbeitsraum transformiert wird. Auf dieser heuristischen
Grundlage nähert sich die Arbeitsgruppe dem Vorhaben, Arbeits- Wohn- und
Freizeiträume der Funktionselite in
Berlin zu lokalisieren sowie Knoten im
Netzwerk der informellen Arbeitswelt/
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Einleitung
„Scheinfreizeit“ ausfindig zu machen.
In Interviews mit zwei Managern, einem Hochschulprofessor, einem Atelierfotografen und einem Lobbyisten eines
Automobilherstellers stellen sie Fragen
nach den Funktionen und der Verortung
dieser Sozialräume. Ergänzt werden
die in diesen Gesprächen gewonnenen
Erkenntnisse durch die Auswertung des
Adressverzeichnisses der Hauptstadteliten „Top 500 Berlin“. Hier werden
Arbeits- und die Freizeitorte kartographisch erfasst und mit einer Auflistung
der für diese Gruppe bedeutenden gesellschaftlichen Räume ergänzt.
Die studentische Forschungsgruppe
charakterisiert ihren Ansatz als einen,
der von den Entscheidern ausgehend
forscht, um einen Einblick in eine für
Außenstehende weitestgehend schlecht
nachvollziehbare Lebenswelt zu erhalten, die jedoch wie keine zweite das
Gesicht der Stadt prägt.
Die Arbeitsgruppe von Nico Benedict,
Beatrice Elsner, Josefine Herrmann,
Bernjamin Müller und Jennifer Schäfer
widmet sich dem Forschungsbereich
„Konsum von Luxuswaren in Berlin“.
Gegenstand des Arbeitsansatzes sollte
sein, sich mit Luxusgütern als sichtbare Form von Reichtum zu beschäftigten
und den Luxuskonsum in Bezug auf
seine räumliche Dimension zu betrachten. Dieser kulturgeographische Ansatz
bot eine breit aufgefächerte Palette
an Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit Werbung und Warenästhetik, der Inszenierung von Luxuswaren
als Distinktionsmittel, ganz im Sinne
der klassischen Definition einer conspicious consumption nach Veblen. Die
Studierenden führten exemplarische
Feldforschungsarbeiten im Bereich der
nördlichen Friedrichstraße und des
Kurfürstendammes durch, wo sie Autohäuser der gehobenen Klasse und
Juweliergeschäfte untersuchten. Ergänzt werden die in diesen Geschäften
durchgeführten Interviews mit kulturgeschichtlichen Anmerkungen zur sozialen Genese dieser Luxusgüter.
Während der Sozialstrukturatlas sein
Augenmerk auf Armutsphänomene in
Berlin richtet, haben sich Patricia Bernhardt, Simon Brieger und Ulricke Mackrodt zum Ziel gesetzt, eine exemplarische „Kartografie des Reichtums“ auf
Grundlage von verschiedenen Lokali-
19
Einleitung
sierungs- und Visualisierungsstrategien
zu entwickeln. Die Friedrichstraße wurde als ein urbaner Raum ausgewählt,
der in der Wahrnehmung von Berlinern
und Touristen gemeinhin als reich gilt
und wo nach 1990 von verschiedenen
Akteuren versucht wurde, an tradierte
Mythen und Repräsentationen anzuknüpfen. Um zu überprüfen, ob sich dieses Bild durch die empirische Arbeit zur
räumlichen Manifestation von Reichtum
zunächst bestätigen und dann in Karten
verdichten lässt, wurden drei Indikatoren bestimmt: erstens die Bauinvestitionen seit 1990, die auf Diskussionen
über Macht und Repräsentation in Bezug auf die gebaute Umwelt verweisen,
zweitens die Mietpreisstruktur, die eine
Hierarchisierung des Wohnraums auf
Grundlage des Mietspiegel anzeigt und
drittens die Hochwertigkeit des Konsums auf der Friedrichstraße, wobei
sich die Orte des Konsum allein anhand
des Kaufpreises der in den Schaufenstern von Modegeschäften gezeigten
Kombinationen individuell erschließen
lassen. Die drei angefertigten Karten
verweisen allesamt auf die Konzentration der Produktion reicher Räume
auf den Bereich der Friedrichstraße
zwischen Leipziger Straße und Unter
den Linden. Sie argumentieren, dass
Neubauten als exklusive Repräsentationen von Stadtraum, die Vermarktung
von hochpreisigem Wohnraum und die
Identitätspolitik der einzelnen Fashionund Lifestyleunternehmen zum Bild der
reichen Friedrichstraße beitragen.
Der Beitrag „Reichtum unter Migranten“ von Dorothee von Auer und Robert
Gölz ist das Ergebnis des Anliegens, ein
von Anfang an relativ klar formuliertes studentisches Forschungsinteresse
in das Projektseminar zu integrieren.
Mit dem Beispiel türkischstämmiger
Unternehmer in Berlin untersuchten
die beiden Studierenden eine Gruppe,
die üblicherweise nicht mit Reichtum
in Verbindung gebracht wird und können dadurch vom Erkenntnisgewinn
profitieren, den ein „Gegen-den-StrichBürsten“ herrschender Diskurse bringen kann. Damit leisten sie außerdem
eine Arbeit an den Repräsentationen
eines Teils der Stadtbevölkerung, der
häufig mit Defiziten aller Art assoziiert
wird. Gleichzeitig mussten sie bei ihrer
Arbeit besondere theoretische, politische und forschungspraktische Klippen
umschiffen, die dieses Thema birgt:
Fördern die „Erfolgsgeschichten“ eine
Sortierung in nützliche und weniger
nützliche Migranten? Welche Assoziationen weckt eine Befragung zum Thema
Reichtum bei den Befragten und wie ist
dies bei der Konzeption der Interviews
zu berücksichtigen?
Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen
die persönliche Bedeutung des Unternehmertums und des Erfolges sowie die
Frage, ob sich eine von der deutschen
Reichtumsdiskussion, insbesondere in
Bezug auf das „neue Geld“ festgestellte
Entsolidarisierung gegenüber der Gesellschaft auch bei den befragten türkischstämmigen Unternehmern zeigt.
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Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
WOHNEN NACH
WUNSCH?!
POLITISCHER UMGANG MIT WOHNGEBIETEN FÜR REICHE IN BERLIN
WENKE CHRISTOPH | RONALD FÜHRER | MATTHIAS GRÄTZ | JUDITH
OBERSCHÄFER | CHRISTIAN OSTENDORF | ANNA WINTERROLL
1. VORGEHEN
Der Untersuchungsgegenstand dieser
Arbeit ist die Berliner Stadtpolitik. Im
Hinblick auf das Thema Reichtum in
Berlin wollen wir erfahren, wie reichtumssensibel die Berliner Stadtpolitik
ist. Uns interessiert, wie die Stadtpolitik mit einem „Wohnungsbau für Reiche" umgeht. Wird die Entstehung von
Wohnprojekten für Reiche gefördert
oder gehemmt?
Um uns diesem Thema anzunähern,
nehmen wir Bezug auf einzelne stadtplanerische Maßnahmen. Diese sind
neuere Wohnungsbauvorhaben und
Investitionen. Mit den zur Verfügung
stehenden Geldmitteln der öffentlichen
Hand für Bau und Planung können
durch die Politik allein kaum größere
städtebauliche Projekte realisiert werden. So hat sich in den letzten Jahren
in der projektbezogenen Planungspraxis eine Zusammenarbeit mit privaten
Investoren durchgesetzt. In erster
Linie geschieht das in Form von PublicPrivate-Partnerships.
Darüber hinaus treten im Rahmen des
zunehmend globalen Marktes Städte
als Investitionsstandorte für Dienstleistungen und Produktion in Konkurrenz
miteinander. Diese Situation scheint
für Investoren besonders verlockend,
auch wenn die Tätigung einer Investition mit einem gewissen Risiko verbunden ist. Denn wird sich die Investition
schließlich nicht rentieren, so trägt der
Investor die entstandenen Kosten. Um
die ständige Modernisierung und damit
die Attraktivität Berlins im globalen
Wettbewerb zu behaupten, bedarf es
Investitionen zahlungskräftiger Bauunternehmer, auch im Bereich Wohnungs-
bau. Die Investitionen in verschiedenen
Sektoren schaffen Arbeitsplätze und
liefern größere Summen von Steuerzahlungen. Darüber hinaus können sie
das Image einer Stadt verbessern, was
entscheidend für weitere Investi-tionsentscheidungen ist.
Unsere Frage richtet sich speziell darauf, in welcher Weise und inwieweit
die Berliner Stadtpolitik reichtumssensibel in Bezug auf die Unterstützung
der Entwicklung von hochwertigen
Wohngebieten ist. Steuert die Stadtpolitik durch die Entscheidung für
einen Investor vornehmlich das Vorhandensein eines Angebots für reiche
Stadtbewohner? Gibt es diese Reichen?
Zeigt sich durch die Entstehung von so
genannten Reichtumsinseln ein Trend
zur Segregation von Reichen? Außerdem wollten wir Informationen darüber
bekommen, wie Investoren und Reiche
im Gegenzug auf die Stadtentwicklung
einwirken. Interessiert hat uns auch
die Bedeutung des in Deutschland neuen Phänomens Militarisierung in der
Stadtentwicklung. Spielt sie eine Rolle?
Wie reagiert die Stadtpolitik darauf?
Um unsere Fragen zu beantworten, bot
sich die Untersuchung auf Reichtum
ausgerichteter
Wohngebietsentwicklungen an. Die Auswahl repräsentativer
Projekte stellte für uns den schwierigsten Teil unserer Arbeit da. Dahlem
als ganzes Gebiet beispielsweise wäre
schwer zu untersuchen gewesen, da
es ein relativ großes Areal umfasst.
Darüber hinaus wollen wir unsere Untersuchung auf Gebiete ausrichten, die
seit 1990 nach dem Zusammenschluss
der beiden Stadthälften, entstanden
sind. So werden aktuelle Trends im
Zusammenspiel von Stadt und Inves-
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
23
Wohnen nach Wunsch?!
toren sichtbarer. Bei genauer Betrachtung gibt es sehr viele städtebauliche
Projekte, die in verschiedener Hinsicht
einen Bezug zum Thema Reichtum zeigen.
Schließlich haben wir uns für zwei
Wohnungsbauprojekte
entschieden,
zum einen für das „Viktoria Quartier"
in Kreuzberg und zum anderen für die
„Arkadien Potsdam". Beide können
beide Projekte als reichtumsrelevant
bezeichnet werden. Zum anderen lagen uns für diese Projekte nach einer
ersten Recherche in Zeitungen, Schriftenreihen und im Internet ausreichend
Informationen vor und hier sahen wir
auch die Möglichkeit, Interviewpartner zu finden. Potsdam ist ein Teil des
Großraums Berlin und außerdem sind
die „Potsdamer Arkadien" ein Beispiel
für höherwertiges Wohnen in Form
von Villen. Während das Gebiet des
„Viktoria Quartiers" eher durch eine
Art Gentrifizierung für reiche Bewohner
attraktiv gestaltet wurde, sind in Potsdam in einem großräumig schon vorhandenen Villenviertel neue Gebäude
erbaut worden.
Aus den Ergebnissen unserer Forschung wollen wir Rückschlüsse auf
die allgemeine Situation in Berlin ziehen. In der Methodik stützen wir uns
auf anhand eines Leitfadens geführte
Interviews. Wir wenden damit eine
qualitative Vorgehensweise an. Für die
Interviews haben wir Leitfragebögen
erstellt. Dadurch wollten wir genügend Raum lassen, um während der
Interviews auf relevante Aspekte einzugehen, die wir im Voraus vielleicht
noch nicht gesehen oder als wichtig
erachtet haben. Die Interviews an sich
versprechen einen direkten Zugang
zu Akteuren und Informationen über
Entscheidungsfindungen und Maßstäbe
bezüglich der aktuellen Situation in der
Wohngebietsentwicklung.
Im folgenden Teil der Arbeit schildern
wir zunächst die gesamtstädtebauliche
Entwicklung Berlins seit 1990. Dabei
gehen wir auf Rahmenpläne und verschiedene Gebietsentwicklungskonzepte ein. Anschließend werden wir den
gegenwärtigen und für uns relevanten
Stand der Stadtforschung erläutern
und dabei aufzeigen, inwieweit unsere Untersuchung in den theoretischen
Kontext eingebettet ist. Dann werden
wir jeweils gesondert unsere Untersuchungsergebnisse über die beiden
Projekte vorstellen, eine Beurteilung
über Tendenzen der Militarisierung der
Stadtpolitik abgeben und unsere Arbeit
mit einem Fazit abschließen.
TEIL A - THEORETISCHE ZUGÄNGE
2. UNTERNEHMERISCHE STADT
„Städte werden inzwischen sowohl von
städtischen Akteuren als auch in der
Wissenschaft nicht mehr länger als
Organisationen der ‚Kollektiven Konsumtion‘ gesehen, sondern als ‚Unternehmen Stadt‘." (Heeg 2001, S.1)
In dem Maße, wie Nationalgrenzen für
das Kapital durchlässiger werden, supranationale Wirtschaftsräume (wie die
EU) den Fluss von Kapital, Informationen und Arbeit erleichtern, werden die
Städte zunehmend zu eigenständigen
Akteurinnen oder versuchen, als solche
24
aufzutreten. Sie „begeben" sich sozusagen direkt auf den Weltmarkt bzw.
sind dort entsprechend internationaler
Konkurrenz ausgesetzt.
Dabei betrachtet der lokale Staat
zunehmend „seine" Stadt wie ein Unternehmen und immer weniger als
Gemeinwesen. Um beim Wettlauf der
Städte und Regionen mithalten zu können, muss ein solches Unternehmen
„fit“ gemacht werden: Weit verbreitete
Meinung in der Stadtpolitik ist, dass
eher wettbewerbsfördernde als sozial
umverteilende Maßnahmen eine Antwort auf die gegenwärtigen städtischen
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Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Probleme wie hohe Arbeitslosigkeit,
industrielle Abwanderungen und Haushaltsrestriktionen darstellen.
Dieser Meinung folgend muss die Politik
der Städte also sein, ihre ökonomischen
Strategien, Institutionen, Formen der
Governance und des Staates zu ändern,
um den Folgen einer Arbeitsmarkt- und
Haushaltskrise zu entkommen. Hierzu
gehören nach Heeg (2001) mehr „proaktive Strategien", die die städtische
bzw. stadtregionale Wettbewerbsfähigkeit beim verschärften internationalen
Standortwettbewerb um mobile Investitionen stärken. Insofern umfasst der
Übergang zu einer unternehmerischen
Stadt weit-reichende Veränderungen in
der Stadtpolitik.
Nachfolgend wird versucht, eine dieser
Reorientierungen im Zusammenhang
mit der „unternehmerischen Stadt"
zu umreißen. Hierbei geht es um die
Militarisierung der Stadt, die eine Veränderung der Stadtpolitik deutlich machen. In Bezug auf das Thema unseres
Projektseminars schien es uns sinnvoll,
gerade die Militarisierung hervorzuheben, da sie bei der Untersuchung des
„gehobenem Wohnens" als Indikator
für Reichtum in Berlin eine durchaus
größere Rolle spielen könnte. Auffällig
bei Projekten von „gehobenem Wohnen" ist die Hervorhebung des Sicherheitsaspektes bei vielen Wohnanlagen,
weshalb wir im folgenden Absatz die
Militarisierung der Stadt behandeln.
3. MILITARISIERUNG DER STADT
Mit der Veränderung zum „Unternehmen Stadt" geht ein neues Vorgehen in
der städtischen Sicherheitspolitik einher. Anstatt einer administrativen Solidarität herrscht inzwischen ein Bild der
Stadt als internationaler Wirtschaftsstandort vor, in dem es notwendig ist,
öffentliche Leistungen zu kommerzialisieren und die kommunale Verwaltung
in Richtung „lean administration" mit
dem Bürger als Kunden umzustrukturieren.
In Berlin ist das älteste Beispiel dieser
Militarisierung der Zusammenschluss
aus Berliner Geschäftsleuten (AG City
e.V.), die die neue Sicherheit und Sauberkeit rund um den Kurfürstendamm
als „Kunden orientiertes Denken" beschreibt. Faktisch heißt das, dass mit
Unterstützung der Polizei („Operative
Gruppe City-West") Randgruppen aus
den Innenstadtbereichen in Randgebiete „verbracht" werden. Es wird eine Art
„Warehousing" und „Warhousing" betrieben. Öffentlicher Raum wird zunehmend in privaten Raum umgewandelt
und hier das Hausrecht ausgeübt.
Wohnen nach Wunsch?!
Wehrheim (2002) nennt vier Dimensionen der Intervention, um einen Bereich
zu überwachen bzw. Personengruppen
auszuschließen: Recht, Personal, Technik, sowie die architektonische Gestaltung von Räumen.
Durch verschiedene Maßnahmen wird
die Nutzung von und der Zugang zu
Räumen per Gesetz eingeschränkt.
So gibt es Verbote an speziellen Orten, die beispielsweise das Betteln vor
Geldautomaten oder Schaufenstern
verbieten oder generelle Verbote, die
speziell dazu geeignet sind, die Nutzung öffentlichen Stadtraumes zu regulieren (z.B. Verbot des Kampierens
auf Straßen). Dieses Aufstellen neuer,
lokaler Rechtsnormen ist zwangsläufig
darauf ausgelegt, Abweichungen und
Dysfunktionalität zu produzieren, denn
ohne Normen keine Normverstöße. Mit
solchen neuen Normverstößen, etwa
gegen ein Bettelverbot, wird soziale
Ausschließung und räumliche Verdrängung legitimiert und Ausgrenzungsdynamiken verstärken sich.
Die wesentlichste Veränderung des
Rechtsstatus eines Raumes ist jedoch
dessen Privatisierung. Dabei wird
ehemals öffentlicher in privaten Raum
transferiert. Es werden also Räume, die
im Grunde die Funktionen eines öffentlichen Raumes haben, dem Hausrecht
unterstellt. Dadurch wird der Raum
aus dem staatlichen Hoheitsbereich
entzogen. Hier erleben dann die privaten Sicherheitsdienste einen Boom.
Auf technischer Seite wird diese Sicherheit unterstützt durch Video- und
Audioüberwachung sowie Zugangskontrollsystemen, wie Lichtschranken oder
Bewegungsmeldern.
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Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
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Wohnen nach Wunsch?!
Gated Communities
Als Gated Community
bezeichnet man ein Siedlungszentrum (sehr) wohlhabender Bürger, eine Art
moderne Festung, die sich
durch Sicherheitseinrichtungen wie Alarmanlagen,
Zäune, Sicherheitspersonal, etc. von der übrigen
Gesellschaft separiert.
Diese Wohngebiete ähneln
dabei den klassischen
Ghettos in der Art, dass
eine Segregation aufgrund
des sozialen Stands und
möglicher Unterschiede
in Kultur, Hautfarbe oder
Abstammung geschieht
– allerdings auf freiwilliger
Basis. Diese Sonderform
eines Ghettos ist jedoch
nur selten historisch
gewachsen, sondern wird
meist außerhalb der Städte neu gebaut. Zielgruppe
für solche Anlagen sind
Wohlhabende, die meistens aus guten Gegenden
der Städte kommen, in
denen sie sich nicht mehr
sicher fühlen.
In architektonischer Hinsicht werden
Maßnahmen angewandt (beispielsweise Zäune oder Mauern), die dem
Besucher des jeweiligen Raumes den
Anschein vermitteln, dass es sich um
einen eher privaten Raum handelt.
Auch die Art der Ausstattung mit sehr
hochwertigem, edlem Ambiente suggeriert sogleich vielen Besuchern, dass
sie hier offensichtlich nicht hingehören.
Im Wohnprojekt „Viktoria Quartier" in
Kreuzberg ist dabei in wesentlich geringerem Maße diese Militarisierung zum
Tragen gekommen als bei den „Arkadien Potsdam". Dort kommt sehr stark
das architektonische Element der Abschottung zum Tragen. Die ehemaligen
Mauern der Brauerei wurden erhalten
und große eiserne Tore an den Durchgängen vermitteln eine Geschlossenheit des Gebiets.
Anders verhält es sich in den „Arkadien
Potsdam". Nicht ohne Grund wurde in
der Presse oft von der ersten „Gated
Community" in Deutschland gesprochen. Die Anlage ist ringsherum mit einem Zaun umgeben und Videokameras
und Bewegungsmelder informieren den
Sicherheitsdienst direkt über ungebetenen Besuch. Wer am Eingangstor
nicht den passenden Zahlencode hat,
dem wird nur Einlass gewährt, soweit
ein Bewohner der „Potsdamer Arkadien" diesen „bewilligt". Inwieweit die
Stadtpolitik Einfluss auf diese Sicherheitsaspekte genommen hat, wird in
den späteren Punkten der jeweiligen
Projekte näher erläutert.
4. PETER MARCUSE:
DIE VIERGETEILTE STADT
Der Begriff der „viergeteilten Stadt"
wurde 1987 vom amerikanischen
Stadtsoziologen Peter Marcuse geprägt. Er spricht bewusst von einer
viergeteilten und nicht etwa vierteiligen Stadt, um hervorzuheben, dass
die physische Struktur der Stadt ein direktes Abbild der sozialen Verhältnisse
ihrer Bewohner darstellt und dass sie
von den verschiedenen Akteuren aktiv
gestaltet wird, wobei deren Möglichkeit
der Teilhabe an diesem Prozess durch
eine sehr ungleiche Machtverteilung
26
unterschiedlich gegeben ist. Diese Aussage ist sicherlich auch in Abgrenzung
zu den „natural areas" der Chicagoer
Schule zu sehen. Die Argumentation
ihrer quasi-natürlichen Herausbildung
impliziert einen gewissen Determinismus.
Betrachtet man nun die vier Teile der
Stadt, so fällt auf, dass deren Ausprägung in europäischen Städten im
Allgemeinen und in Berlin im Besonderen sehr unterschiedlich im Vergleich
zu amerikanischen Städten ist, die als
Grundlage für Marcuses Untersuchungen dienten. Dies wird im Folgenden
bei einem genaueren Blick auf die Teilräume der Stadt deutlich.
Erstens bildet sich „die aufgewertete
Stadt des Luxus" heraus. Die Bewohner
sind meist junge, mobile Urbaniten, die
so genannte „Professional and Managerial Class". Für diese ist „eine konkrete
Stadt ersetzbar, kann daher nach Bedarf
weggeworfen werden, wenn sie nicht
mehr nützlich ist". Dies würde auch die
Lage des „Viktoria Quartiers" in einer
sozial schwachen Gegend Kreuzbergs
erklären. Die „aufgewertete Stadt" ist
gekennzeichnet durch hohe Sicherheitsmaßnahmen und in Tiefgaragen
gesicherten Autos. Dadurch wird der
Kontakt mit der Umgebung minimiert,
was die recht auffällige Insellage des
„Viktoria Quartiers" erklärt.
Zweitens zeichnet eine neue Qualität
der Suburbanisierung die „Vorstadt"
aus, die sich auch in dem Begriff „edge
city" widerspiegelt. Die suburbane
Stadt entwickelt sich zunehmend unabhängig von der Kernstadt, indem sie in
größerem Maße als bisher Arbeitsplätze, Einkaufsmöglichkeiten und Freizeitinfrastruktur zur Verfügung stellt. Hier
ist ebenfalls ein hoher Anteil von Sicherheitssystemen zu verzeichnen, um
sich vor der unkontrollierten Stadt zu
schützen. Im Umland von Berlin haben
die Vorstädte die Ausmaße amerikanischer „edge cities" jedoch noch nicht
erreicht.
Drittens ist die „Mieterstadt" zu nennen, von Marcuse als Gebiet der
„working poor" und der Einwanderer
bezeichnet. Mietwohnungen machen
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Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
jedoch in Berlin traditionell einen großen Teil des Wohnraums in der Stadt
aus. Einzelne Viertel und Bezirke weisen einen nach wie vor relativ hohen
sozialen Durchmischungsgrad auf. Diese Stadtteile sind weniger gesichert als
die vorangegangenen, aber auch hier
werden vereinzelt ähnliche Dienste in
abgeschwächter Form angeboten, wie
die Concierge-Services in einzelnen
Marzahner Hochhäusern andeuten.
Viertens ist die „verlassene Stadt" von
Ghettoisierung geprägt. Auch wenn
in Berlin einzelne Gebiete Anzeichen
von andauernder Vernachlässigung,
Zerstörung, Kriminalität und Stigmatisierung aufweisen, sind sie jedoch
nicht vergleichbar mit den ghettoisierten Quartieren US-amerikanische
Innenstädte (vgl. www.ard-aktuell.de,
www.berlinonline.de). Mit Programmen wie dem „Quartiersmanagement“
sind in Berlin vielmehr Maßnahmen zur
Reintegration von so genannten „Problemquartieren“ vorhanden.
5. HARALD BODENSCHATZ: URBAN
RENAISSANCE - ORIENTIERUNG AUF
NEUE URBANE MITTELSCHICHTEN
Nach Harald Bodenschatz sollte zur Begriff von Stadtpolitik nicht nur die offensichtliche Förderung sozial benachteiligter Schichten betrachtet werden.
Zumeist existiert in der Stadtpolitik
auch eine weit weniger transparente
Förderung privilegierter Schichten.
Notwendig ist es also, zu untersuchen,
in welchem quantitativen und qualitativen Verhältnis diese beiden Förderarten stehen, ob sie sich also ergänzen
oder gegenseitig aufheben.
„Ist die erste Förderung nur ein Alibi,
und ist die zweite Förderung nur deshalb so intransparent, um genau dies
zu verschleiern, um zu verschleiern,
dass vor allem Teile der Mittelschichten
in erheblichem Umfang gefördert werden?" (Bodenschatz 2005)
men von Bezirksverwaltungen auf Investorenwünsche nachzuweisen.
Wohnen nach Wunsch?!
Beispiele für eine Politik, die sich den
städtischen Mittelschichten zuwendet,
sind in der englischen Städtebaupolitik der letzten 20 Jahre zu finden, die
mit dem Begriff „Urban Renaissance“
bezeichnet wird. Diese zielt auf einen
Umbau des Stadtzentrums und eine
radikale Rezentralisierung ab. Der
Prozess wird von einer breiten Allianz
von öffentlichen und privaten Akteuren
gestützt, die die Annahme teilen, dass
nur ein attraktives Zentrum die besten
Standorte für den Dienstleistungssektor, also den zentralen Wirtschaftszweig
in einer postindustriellen Gesellschaft,
bieten kann. Diese städtebauliche Umgestaltung und Attraktivierung zielt
vor allem auf urbane Mittelschichten
ab. Diese bauliche Umgestaltung wird
begleitet von einer intensiven öffentlichen Debatte, die ein Bewusstsein für
den Wandel von Stadt und Stadtpolitik
schaffen soll.
Dieser Punkt des Mentalitätswechsels
hat auch für unsere Forschung eine
große Rolle gespielt. In Berlin hat es
mit der drei Jahre andauernden Debatte um das „Planwerk Innenstadt“
vergleichbare Ansätze zur Ansprache
einer jungen, urbanen Mittelschicht
gegeben.
Es besteht die theoretische Möglichkeit, die enormen Investitionen für die
Mittelschichten könnten signifikante Sickereffekte auslösen, die auch die sozial schwächeren Gruppen an der Transformation Teil haben lassen. Daran ist
nach Bodenschatz jedoch zu zweifeln,
auch wenn die Politik weiterhin für die
Fürsorge für die „sozialen Verlierer“ zu
sorgen habe.
Diese Frage trifft den Kern unserer Untersuchung, haben wir doch mit Hilfe
unserer Interviews versucht, diese
Intransparenz ein wenig zu beseitigen
und unter anderem ein EntgegenkomGeographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
27
Wohnen nach Wunsch?!
TEIL B - HOCHWERTIGES WOHNEN IN BERLIN
6. STADTENTWICKLUNG IN BERLIN
UND UMLAND NACH 1990
Die Wende 1989/90 stellte nicht nur
eine Zäsur auf der politischen Ebene
dar. Damit stand besonders auch Berlin
als jahrzehntelang geteilte Stadt vor
der Aufgabe, sich neu zu definieren und
zu positionieren. Die sozialistische Planungspolitik und Wohnkultur im Ostteil
der Stadt wich einer neuen Vorstellung
von Stadtraum und Wohnen.
Bedingt durch politische Förderprogramme, aber auch zunächst noch fehlende Raumordnungsleitlinien setzte
eine massive Suburbanisierungswelle
ein. Eigentumshäuser und -wohnungen, die wenige Jahre zuvor in der DDR
noch unvorstellbar schienen, waren
nun für viele möglich geworden. Die
nachholende Suburbanisierung der Mittelschichten zog in nicht geringem Umfang einkommensstarke Bevölkerung
aus Berlin in die Nachbargemeinden
ab. So verlassen jährlich ca. 35.000
Berliner jedes Jahr die Hauptstadt,
meist in den Speckgürtel der Stadt
(vgl. Mayer 2001). Eine besondere
Rolle nimmt dabei Potsdam ein. In den
Jahren seit der Wiedervereinigung haben sich in Potsdam, vor allem in der
Berliner Vorstadt, Status hohe Gruppen
niedergelassen.
Eine weitere bedeutsame Entwicklung
setzte mit dem Hauptstadtbeschluss
vom Juni 1991 ein. Mit diesem Beschluss setzten völlig überhöhte Erwartungen an Berlins Bevölkerungswachstum ein, gleiches galt für das
Wirtschaftswachstum. Solche Prognosen erwiesen sich jedoch bald als
Makulatur, denn das prognostizierte
Bevölkerungswachstum blieb aus und
auch der Wirtschaftsaufschwung blieb
weitgehend aus. So sank zum Beispiel
die Zahl der Beschäftigten in Berlin von
1990 bis 1998 kontinuierlich von 1,72
auf 1,42 Mio. (vgl. Statistisches Landesamt Berlin, zitiert nach: Lompscher
2000, S. 84). Wohn- und Büroflächen
28
blieben dementsprechend ungenutzt.
Im Zuge der Neugestaltung großer
innerstädtischer Flächen - darunter
Spreeinsel, Spreebogen, Potsdamer
Platz - wurden städtebauliche Wettbewerbe durchgeführt, die bis Mitte der
1990er Jahre abgeschlossen waren.
Ende des Jahres 1996 verlagerte sich
die städtebauliche Debatte auf das
für die Innenstadt dominierende Projekt „Planwerk Innenstadt". Nach drei
Jahren der Entwicklung und Diskussion
wurde es vom Abgeordnetenhaus 1999
als gesamtstädtische Planungsleitlinie
beschlossen. Darin wird eine zur Reurbanisierung und Revitalisierung der
Innenstadt beitragende Stadtentwicklungspolitik festgelegt.
Ziel des „Planwerks Innenstadt" ist
einerseits, die Abwanderung von Bürgern an den Stadtrand zu verhindern
und andererseits neue Impulse für
die Wirtschaftsentwicklung durch eine
Aufwertung der Innenstadt zu geben.
Durch die Wiederannäherung von östlicher Innenstadt und City West an
den historischen Stadtgrundriss sollen
sich beide Stadthälften wieder vereinen. Zudem sollten neue Formen für
innerstädtisches Wohnen und Arbeiten
und neue Organisationsformen der
Bodenwirtschaft und Bauherrenschaft
angeregt werden. Zu den Zielen des
Planwerks gehört es außerdem, durch
zur Bebauung zur Verfügung gestellte
öffentliche Flächen die bauliche Dichte
in der Innenstadt zu erhöhen. Somit
soll erstens zur Reurbanisierung der
Innenstadt und zweitens zur besseren
Auslastung der vorhandenen sozialen
und technischen Infrastruktur beigetragen, sowie drittens zu starker Suburbaniserung entgegen gewirkt werden.
In einigen gründerzeitlichen Wohnquartieren, insbesondere in Prenzlauer
Berg, setzte Mitte der 1990er Jahre ein
Aufwertungsprozess ein. Zu DDR-Zeiten wurden in diesen Quartieren, bis
auf wenige Ausnahmen, kaum Moder-
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Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
nisierungsmaßnahmen durchgeführt.
Die Bausubstanz war 1990 in sehr
schlechtem Zustand und Wohnungen
teilweise unbewohnbar. Die gründerzeitlichen Wohngebiete im Osten der
Stadt wurden zum Sanierungsgebiet
erklärt und ein Großteil der Gebäude
saniert. Der baulichen Aufwertung folgte ein Anstieg der Mieten, sodass ein
Teil der ursprünglichen Bevölkerung
verdrängt wurde.
Der in der Stadtsoziologie beschriebene Invasions-Sukzessions-Zyklus der
Gentrification (vgl. Friedrich 2000, S.
34ff.) - das heißt zunächst Zuzug von
Pionieren und deren anschließende
Verdrängung durch die Gentrifier - fand
im Prenzlauer Berg nur bedingt und inselhaft statt (vgl. Häußermann 2001).
Trotzdem wurden in einigen Bereichen,
insbesondere in Gebäuden mit ehemaliger Gewerbenutzung, Luxussanierungen durchgeführt und Wohnungen zu
Lofts umgebaut. Diese Projekte sind
tendenziell eher kleinräumig (zum
Beispiel Schokolofts, Wollgarnfabrik),
sodass eine Aufwertung des gesamten
Stadtteils auch in Zukunft eher unwahrscheinlich scheint.
Mit der Beendigung der Förderung für
den sozialen Wohnungsbau wurde in
der Stadtpolitik auf den Wohnungsleerstand in Berlin reagiert. Seit Ende
der 1990er Jahre wird zur Intervention in Problemquartieren verstärkt
auf managementähnliche Werkzeuge
zurückgegriffen. Dazu gehört unter
anderem das Quartiersmanagement,
das in 15 Stadtteilen mit besonderem
Entwicklungsbedarf eingesetzt wurde.
Mit den Projekten des Quartiersmanagments, das die Berliner Ausgestaltung
des Bund-Länder-Programms „Soziale
Stadt" darstellt, soll die Umgestaltung
und Belebung von Quartieren angekurbelt werden. All diese Projekte
sind jedoch kleinräumig, finanziell begrenzt und lassen ein Gesamtkonzept
zur sozialen Stadtentwicklung seitens
der Berliner Stadtpolitik vermissen.
In Zeiten zunehmender Polarisierung,
wie sie der Sozialstrukturatlas (2004)
zeigt, wäre ein solches Konzept jedoch
notwendig.
Insgesamt lässt sich sagen, dass sich
im Laufe der 1990er Jahre allmählich
kleine Wohlstandsinseln in Form von
gentrifizierten Altbauquartieren und
aufgewerteten bzw. neu bebauten
Innenstadtquartieren
herausgebildet
haben, die oftmals in räumlicher Nähe
zu Problemvierteln liegen. Desweiteren
wird der Stadtraum durch zunehmende
Privatisierung transformiert. Plätze und
Einkaufscenter werden zu halböffentlichen und privaten Räumen, in denen
dann das Hausrecht gilt (vgl. Mayer
2001). Bezüglich der Finanzierung
lässt sich sagen, dass vor allem das
auf Prestige abzielende „Planwerk Innenstadt" enorme Geldsummen für die
Planung verschlungen hat.
Wohnen nach Wunsch?!
Die Politik hat sich also eher auf Schaffung von Rahmenbedingungen für die
so genannte städtische Mittelschicht
konzentriert. Es erfolgte eine gezielte
Förderung der „aufgewerteten Stadt
des Luxus" im Marcuse’schen Sinne,
auch wenn diese Entwicklung in Berlin
keine US-amerikanischen Verhältnisse
annahm. Im Folgenden sollen zwei
ausgewählte neue Wohngebiete auf die
bisher beschriebenen Tendenzen hin
untersucht werden.
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Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Abb. 1: hochwertige
Wohnprojekte in Berlin
und Umland
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Wohnen nach Wunsch?!
7. „VIKTORIA QUARTIER“
Das „Viktoria Quartier" wirbt mit dem
Slogan „Lebensart auf dem Kreuzberg". Hier entstanden Townhouses,
Loftwohnungen und Penthouses, mit
einer Wohnfläche mit mindestens 150
m² pro Objekt. Ein Projekt für „gehobenes Wohnen" in einem Bezirk mit sehr
schwieriger Sozialstruktur erschien für
unsere Untersuchungen sehr passend.
Wir entschieden uns für eine Projektentwicklerin der Baywobau, einen stellvertretenden Gruppenleiter aus dem
Bezirksamt Kreuzberg, Fachbereich
Stadtplanung, sowie für die maßgeblich
am Widerstand gegen den Abriss des
Studentendorfes Schlachtensee beteiligten Studenten als Interviewpartner.
sellschaft veräußert. Sie setzte sich aus
der Deutschen Grundbesitz Management GmbH, der Realprojekt Bau- und
Boden-AG und der Viterra Baupartner
AG zusammen (vgl. Vieser 2002).
Konzept
Das Konzept der „Viktoria Quartier"
Entwicklungsgesellschaft sah es vor
eine „typisch kreuzbergische" Mischung aus Wohnen, Gewerbe und
Kultur, „eine Stadt in der Stadt" im
„Viktoria Quartier" entstehen zu lassen.
Die alten Backsteinbauten sollten unter
Berücksichtigung der DenkmalschutzAuflagen zu Loft-Wohnungen um- bzw.
ausgebaut werden. Zusätzlich waren
Townhouses mit eigener Zufahrt und
Wohnungen im Geschosswohnungsbau
vorgesehen. Ursprünglich sollte sich
die Nutzungsmischung aus 40% Gewerbe, 40% Wohnen und 20% Kultur
zusammensetzen. Als Publikumsmagnet sollte die Berlinische Galerie in
die Brauereigewölbe im Zentrum des
Areals einziehen.
Heute sieht es jedoch anders aus: Lediglich der nordöstliche Abschnitt des
Geländes ist den Planungen entsprechend bebaut. Der vorgesehene Gewerbe- und Kulturanteil ist gering. Weite Teile des Areals liegen noch immer
brach, denn die Nachfrage fiel geringer
aus, als am Anfang angenommen (vgl.
Korfmann 2004).
Abb. 2: „Viktoria Quartier“
- eine attraktive Mischung
aus denkmalgeschützten
Gebäuden und Neubauten
30
Lage und Geschichte
Südlich des Kreuzbergs befindet sich
auf dem Areal der ehemaligen Schultheiss-Brauerei das heutige „Viktoria
Quartier". Von außen betrachtet weist
das Gelände burgähnliche Züge auf,
es wirkt abgeschlossen. Als 1994 der
Brauereibetrieb nach Weißensee verlagert wurde, gingen im Bezirk nicht nur
200 Arbeitsplätze verloren, es stellte
sich auch die Frage, wie städtebaulich
mit dem großen Areal umzugehen sei.
So war es im Interesse des Bezirks,
einerseits ein Brachfallen der Fläche zu
verhindern und andererseits eine Nutzung zu finden, welche bei einer Erhaltung der denkmalgeschützten Gebäude
dem Bezirk weiterhin Steuereinnahmen
sicherte. 1997 wurde das Gelände an
die „Viktoria Quartier" Entwicklungsge-
Kooperation mit der Stadt
Der Flächennutzungsplan wies auf
dem Gebiet des zukünftigen „Viktoria
Quartiers“ ursprünglich ein Gewerbegebiet aus. Um, den neuen Nutzungen entsprechend, den erforderlichen
Bebauungsplan aufzustellen, musste
das Gelände im Flächennutzungsplan
durch das Bezirksamt als Mischgebiet
ausgewiesen werden. Unter Aufsicht
der Denkmalschutzbehörde sollte die
alte Backsteinarchitektur zum großen
Teil erhalten und zusätzlich mit neuem verbunden werden. Hier spielt die
Stadt eine nicht unwichtige Rolle, sie
erwägt die Denkmalschutzauflagen.
Laut Auskunft unseres Interviewpartners aus dem Bezirksamt wurden sie
für das Projekt allerdings nicht sehr locker gehandhabt. Er berichtete weiter,
das Projekt stellte sich dem Bezirksamt
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Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
insgesamt erheblich komplexer dar
als eine übliche Baulückenfüllung und
sorgte lange für Beschäftigung (Stadtplanungsamt Kreuzberg, Mai 2005).
Im Interview im Stadtplanungsamt
wurde uns dargelegt, das Projekt genieße durch seine Außenwirksamkeit
weiterhin eine hohe stadtstrukturelle
und zeitliche Priorität. Vom Denkmal
auf dem Kreuzberg blickt man immer
noch auf eine Baustelle, sodass es von
großem Interesse ist, dass die Planungen auch umgesetzt werden. Momentan beschränkt sich die Kooperation jedoch hauptsächlich auf die Bewilligung
der Bauanträge (Stadtplanungsamt
Kreuzberg, Mai 2005).
Grundstückstausch und Investorenwechsel
Das „Viktoria Quartier“ sorgte für
Schlagzeilen: Der Plan, die Räume
für die Berlinische Galerie durch einen
Grundstückstausch mit dem Studentendorf Schlachtensee zu finanzieren,
stieß auf heftigen Widerstand. Laut
der durch uns befragten Studenten aus
dem Wohnheim hatte hier der ehemalige Berliner Stadtentwicklungssenator,
Peter Strieder, einen großen Anteil.
Er hegte ein nicht geringes Interesse
daran, eine anerkannte kulturelle Institution wie die Berlinische Galerie in
den Bezirk und speziell in das „Viktoria
Quartier" zu holen (Bewohner des Studentendorfes, März 2005).
ber 2001 musste die Viktoria-QuartierEntwicklungsgesellschaft Insolvenz anmelden. Als neuer Investor erwarb ein
halbes Jahr später, im Mai 2002, die
Baywobau das Areal zum eher geringen
Preis von 15,6 Mio. Euro. Sie verpflichtete sich am ursprünglichen Konzept
festzuhalten; die bereits erteilten Baugenehmigungen blieben bestehen. Laut
Bezirksamt mussten nur dort, wo neue
bauliche Schwerpunkte gesetzt wurden, neue Bauanträge gestellt werden.
Für öffentliches Aufsehen sorgte jedoch
auch die Erklärung der Baywobau, die
durch den vorigen Investor geschlossenen Mietverträge seien ungültig. Die
Wohnungen mussten geräumt werden
und für den Verkauf zur Verfügung stehen (Korfmann, 2004).
Wie bereits erwähnt, ist bisher nur ein
kleiner Teil des ursprünglich geplanten
Geländes entstanden. Große Teile des
nach wie vor brachliegenden Geländes
sind schwieriger zu vermarkten und
aufgrund des bestehenden Denkmalschutzes nur mit erheblichem Investitionsvolumen herzurichten. So erfüllt
das Areal momentan hauptsächlich
eine Wohnfunktion. Von der anfangs
angepriesenen Mischung aus Wohnen,
Kultur und Gewerbe ist nicht viel zu
bemerken.
Wohnen nach Wunsch?!
Abb. 3: architektonische
Abgrenzung des „Viktoria
Quartiers“ nach außen
Erst durch massive Proteste seitens
der Bewohner des Studentendorfes,
die schließlich einflussreiche Personen
aus Politik, Verwaltung und von den
Universitäten für ein Fortbestehen
des Wohnheims am Schlachtensee
gewinnen konnten, wurde die Idee des
Grundstückstausches verhindert. Die
Berlinische Galerie verabschiedete sich
schließlich von der Idee des Einzugs ins
„Viktoria Quartier". Die Kellergewölbe erwiesen sich als zu feucht - ihre
Trockenlegung hätte Unsummen verschlungen, dazu hätte die Fläche nicht
den Gesamtbestand der Galerie unterbringen können (Korfmann, 2004).
Der Verkauf der Wohnobjekte gestaltete sich für den Investoren schleppend,
man vermietete nun auch. Im DezemGeographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Abb. 4: die „Sixtusgärten“
im „Viktoria Quartier“:
Townhouses mit eigener
Garage je Haus
31
Wohnen nach Wunsch?!
Abb. 5: ein großer Teil des
Geländes ist noch unbebaut, denkmalgeschützte
Gebäude verfallen
Abb. 6: das Torhaus zum
„Viktoria Quartier“ wird
nachts verschlossen
32
Es bleibt unwahrscheinlich, ob sie je
verwirklicht werden kann. Der neue
Verwalter und Investor passt seine
Bautätigkeit der Nachfrage an. Nur
wenn diese vorher bereits abgesichert
ist, wird gebaut (Baywobau, April
2005). Die alte Bausubstanz wird mehr
und mehr baufällig und eine Wiederherrichtung immer unrentabler.
Nachfrage und Bewohner
Im Interview erklärte die Baywobau,
dass Wohnungen im Dachgeschoß eine
große Nachfrage hätten, die darunter
liegenden allerdings weniger begehrt
seien. Laut unserem Interviewpartner
würde es sich daher lohnen, „Häuser
auf Stelzen" zu errichten. Bei den bereits erbauten Wohnobjekten wurde
jedoch betont, dass es keine Probleme
gäbe, Mietinteressenten zu finden. Momentan entstehen neue Townhouses
direkt angrenzend an den Viktoriapark
(Baywobau, April 2004).
Die Bewohnerschaft setzt sich aus eher
jüngeren gut verdienenden Leuten zusammen. Der Anteil im Medien- und
Kulturbereich Beschäftigter ist wohl relativ hoch und entspricht demnach dem
Konzept. Einen kleineren Teil machen
nicht aus Berlin stammende Rentnerehepaare aus, die einen lebendigen Lebensabend in einer spannenden Stadt
verbringen möchten. Sie schätzen das
Leben in „Kreuzberg Light" (Baywobau,
April 2004).
Sicherheit
Der burgähnliche Charakter der Anlage spricht die Bewohner zum Teil
positiv an, man ist separiert von den
umliegenden
sozialstrukturell
eher
schwächeren Wohngebieten. Andere
Miet- und Kaufinteressenten werden
von dieser Insellage von vornherein
abgeschreckt. Das Gelände ist tagsüber
öffentlich und wird nachts privatisiert.
Es vermittelt den Bewohnern Schutz,
obwohl es nur in der Nacht einen engagierten Wachschutz gibt. Tagsüber
besteht aufgrund der Architektur des
Projektes kein Bedarf von den Bewohnern nach einem Concierge-Service mit
Eingangskontrolle. Schwierig bleibt es,
kulturelle Nutzungen ohne öffentliche
Fördermittel aufs Gelände zu holen.
Eine Ausnahme stellt eine Galerie mit
wechselnden Ausstellungen und Lesungen dar (Baywobau 2004).
Die Zusammenarbeit mit der Stadt
aus Sicht der Baywobau
Das Interesse des Senats an dem
Projekt ist mit dem Ausscheiden Peter
Strieders abgeflacht. Von Seite des
Bezirks bleibt das Interesse dagegen
weiterhin groß. Zur Zusammenarbeit
mit dem Bezirk äußerte sich unsere
Interviewpartnerin positiv bis verhalten. Im Bereich des Denkmalschutzes
funktioniere sie sehr gut, es werden
immer Kompromisse gefunden. Ein
Problem mit dem Stadtplanungs- und
Grünflächenamt seien jedoch einzuhaltende Fristen. „Freundlichkeit zu den
Investoren ist nach wie vor ziemlich
schwierig in Berlin, sie sind nicht mehr
so herablassend wie Anfang der 90er."
(Baywobau, April 2004) Jeder Vorgang
ziehe sich in die Länge und kostet den
Investor somit Geld. „Die Politik tut eigentlich nichts für Investoren." (ebd.)
Mit Blick auf die Bewohnerschaft und
dem nicht besonders stark ausgeprägten Sicherheitskonzept stellt sich
das Quartier als ein eher untypisches
Wohnprojekt für die eingangs betrachteten Phänomene wie Militarisierung
und die Unternehmerische Stadt dar.
Hier boten sich die „Arkadien Potsdam"
an, sie erscheinen mit ihrer totalen
Absicherung gegen die Außenwelt noch
geeigneter die genannten Phänomene
zu untersuchen.
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
8. „ARKADIEN POTSDAM“
Lage und Umfeld
In Potsdams Norden, besonders in der
Berliner Vorstadt, wohnen laut Merian
(Wieden 2005) die meisten reichen
Leute in Brandenburg. Günther Jauch
oder Wolfgang Joop haben dort Villen
gebaut, und ein weiteres hochwertiges
Wohnprojekt macht seit Anfang der
Neunziger Jahre von sich reden: Das
Wohngebiet „Arkadien Potsdam" wurde auf einem Wassergrundstück am
Glienicker Horn zwischen 1995-2000
erbaut. Das Grundstück, laut unserem
Interviewpartner,
dem
ehemaligen
Stadtbaudirektor Potsdams, „eins der
schönsten in ganz Potsdam überhaupt"
(Interview im Juni 2005), wurde mit
einem für Potsdam einmaligen Grundstückspreis von ca. 30 Millionen DM
(vgl. Rada 1999) von den Alteigentümern Kampffmeyer an den Developer
Groth & Graalfs (heute: Groth-Gruppe)
verkauft.
Nach der Wende 1989/90 war das
Grundstück der Familie Kampffmeyer
das erste, welches in Potsdam an die
Alteigentümer zurück übertragen wurde. Die Familie verhandelte daraufhin
mit interessierten Developern den
Verkauf des Grundstücks. Dies fand
im „Goldrausch" der ersten Monate
nach der Wende statt, sodass der hohe
Grundstückspreis wohl nicht allein der
guten Lage, sondern auch den hohen Profiterwartungen der Developer
geschuldet war. Der damalige Stadtbaudirektor umschrieb die Situation
folgendermaßen:
„Das war sehr interessant, so wie
Monopoly spielen und dann ging die
Preistreiberei um den Grundstückspreis
los. Dieser Grundstückspreis ist in der
letzten Woche noch einmal verdoppelt
worden, das war ein echt horrender
Preis. Den Grundstückspreis hat’s in
Potsdam bis dahin noch nie gegeben
und auch nicht wieder gegeben. Die
Developer haben sich bei uns die Klinke in die Hand gegeben." (Interview
2005)
Architektur und Bebauung
Anstatt eines Architektur-Wettbewerbs,
wie dies die „Bayerische Hausbau" für
das Nachbargrundstück durchgeführt
hatte, wurde zwischen Stadt und Investor die Gestaltung des Areals durch
den bekannten amerikanischen Architekten Charles Moore vereinbart. Das
insgesamt 28.000 m2 große Areal um
die 1924 erbaute Villa Kampffmeyer
wurde also durch die Architekten Moore, Ruble, Yudell (Kalifornien), sowie
Ferdinand + Gerth (Berlin) mit 43
Wohnungen zwischen 80 bis 250 m²
Wohnfläche bebaut. Die Gestaltung der
sieben Neubauvillen im italienischen
Stil ist geprägt durch hochwertige
natürliche Materialien wie Sandstein,
Terrakotta (Terrassen), Buchen- und
Eiche-Parkett, sowie Granit und Marmor.
Die zügig nach dem Grundstückskauf
begonnene Bauplanung wurde aber
einerseits durch die Insolvenz beauftragter Baufirmen, andererseits durch
die geringe Nachfrage nach hochwertigem und sehr teurem Wohnraum in
der Region Berlin/Potsdam verzögert.
Die Kaufpreise für die Wohnungen
erreichten anfangs Preise zwischen
9.000-12.000 DM pro m2 (heute nur
noch 2.350 € pro m2). Die von Groth
& Graalfs avisierte Zielgruppe reicher
Entscheidungsträger aus Wirtschaft
und Politik fragte dieses Angebot zu
wenig nach, sodass nur ca. die Hälfte
der Wohnungen derzeit verkauft ist.
Inzwischen musste Groth & Graalfs
das Areal aufgrund fehlender Kauf- und
Mieterlöse an die kreditgebende Bank
übertragen.
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Wohnen nach Wunsch?!
Abb. 7: „Arkadien Potsdam“ - Wohnen auf Distanz am Glienicker Horn
33
Wohnen nach Wunsch?!
Abb. 8: das Wohngebiet
„Arkadien Potsdam“ wird
permanent videoüberwacht
Abb. 9: Eingangsportal
mit Doorman-Service zur
Berliner Straße
34
Sicherheit und Service
Die „Arkadien Potsdam" waren von
Groth & Graalfs bereits von Anfang mit
einem umfangreichen Sicherheits- und
Servicekonzept analog zu amerikanischen „Gated Communities" geplant.
Nach außen sind die Bewohner durch
einen hohen Zaun mit Bewegungsmeldern und Videoüberwachung geschützt.
Am Eingang zum Objekt befindet sich
die Sicherheitszentrale mit 24h-Doorman-Service. Hinein kommt nur, wer
den Zahlencode zum Tor kennt oder
durch den Sicherheitsdienst gecheckt
und von einem Bewohner eingelassen
wird. Die Eigentumswohnungen sind
zusätzlich u.a. mit durchwurfhemmender Verglasung, Alarmanlage, sowie
Video-Türsprechanlagen ausgestattet.
Geschützt vor unerwünschten Eindringlingen können die Bewohner den
Service des Concierge-Teams bspw. zur
Pflege von Zimmerpflanzen oder für
Reparaturen genießen.
Der Investor wie auch der Makler Engel
& Voelkers werben offensiv mit den
vorhandenen Sicherheitsanlagen und
den Serviceangeboten des DoormanTeams. Diese Bewerbung der Gated
Community soll Attraktivität für Reiche
signalisieren, die spezielle Sicherheitsund Servicebedürfnisse haben. Im wenig krimnalitätsbelasteten Potsdam soll
nicht der Anschein einer besonders hohen Kriminalitätsgefährdung geweckt,
sondern vielmehr das subjektive Sicherheitsgefühl der Bewohner gestärkt
werden.
Im Vergleich zu den umliegenden
Wohngebieten und Grundstücken hebt
sich der mit Bewegungsmeldern ausgestattete massive Stahlzaun ab. Im Gegensatz zu den Maschendrahtzäunen
der anderen Grundstücke produzieren
der 2m hohe Zaun – sofern dieser nicht
versenkt oder durch Büsche teilweise
verdeckt ist – und die Videoüberwachungs-Anlagen Abschreckung nach
außen und Sicherheit nach innen. Die
Stadt Potsdam hat sich in Bezug auf
die Errichtung dieses hohen Zaunes
aber nur insofern eingemischt, dass ein
möglichst verdeckter kunstgewerblicher Zaun gebaut werden sollte. Angaben des damaligen Stadtbaudirektors
seien die Einflussmöglichkeiten der
Stadt in solch einem Falle gering und
der Aufbau des jetzigen Zauns sogar
ein Entgegenkommen des Investors.
Kooperation mit Stadtverwaltung
und -politik
Aufgrund der Größe des Grundstücks,
wie auch aufgrund der repräsentativen
Lage in der Berliner Vorstadt und der
notwendigen Rückübertragung des
Grundstücks war die Stadt Potsdam bereits seit 1990 an der Entwicklung des
Wohngebiets involviert. So beriet die
Stadtverwaltung die Eigentümerfamilie
beim Verkauf des Grundstücks. In der
Stadtverwaltung stand man aufgrund
von positiven Erfahrungen, der Stadtbaudirektor als früherer Stadtbaurat
in Berlin-Wilmersdorf gemacht hatte,
Groth & Graalfs positiv gegenüber.
In der Stadtverordnetenversammlung
und der Presse jedoch wurde die Bebauung des Grundstücks kontrovers
diskutiert. Vor allem die Nähe zum
Park Babelsberg, von der UNESCO als
Weltkulturerbe anerkannt, wurde das
Projekt „Arkadien Potsdam“ kritisiert.
So argumentierte die „Stiftung Schlösser und Gärten", die Bebauung des
Grundstücks zerstöre 13 Sichtschneisen der Potsdamer Parklandschaft.
Aufgrund dessen musste der Developer
mit einem Gutachten notwendige bauliche Veränderungen ermitteln lassen,
was letztendlich aber nur geringfügige
Korrekturen an der Bauplanung nötig
machte.
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Wohnen nach Wunsch?!
Die Stadtverwaltung von Potsdam
stand dem Projekt „Potsdamer Arkadien" hingegen wohlwollend gegenüber,
da die Stadt steuerkräftige Einwohner
als Bewohner von Arkadien erwarten
konnte. Der Investor sei zwar nicht
besonders begünstigt worden, aber die
Verwaltung handelte sehr kooperativ.
Unser Interviewpartner umschreibt die
Haltung der Stadt folgendermaßen:
„Natürlich ist eine Gemeinde, wie schon
im 19. Jahrhundert als die Gemeinden
auch sehr arm waren, immer am so
genannten steuerkräftigen Publikum
interessiert. Jede Gemeinde kann gar
nicht genug steuerkräftiges Publikum
haben.
Und da die Wohnungen an so einem
Standort teuer sind, kann man davon
ausgehen, dass diese Leute auch die
Steuern da bezahlen. Man kann dazu ja
keinen zwingen, aber die Hoffnung besteht schon, dass die Leute die Steuern
dort zahlen, wo sie wohnen. Also die
Gemeinde ist sehr daran interessiert,
so viel wie möglich teure Leute, so wenig wie möglich arme Leute zu haben."
(Interview 2005)
Abb. 10: das Gelände der
„Arkadien Potsdam“ ist
komplett umzäunt und
mit Bewegungsmeldern
ausgestattet
FAZIT - REICHTUMSINSELN IN BERLIN
Die Ergebnisse unserer Untersuchung
zeigen, dass die Berliner Stadtpolitik
den städtebaulichen Projekten „Viktoria
Quartier“ und den „Arkadien Potsdam",
also scheinbar auch dem Thema Wohnungsbau für Reiche, weitestgehend
unkritisch gegenüber steht. Im Interview im Stadtplanungsamt Kreuzberg
bewertete er die Schaffung für Wohnraum für Reiche weder positiv noch negativ. Die Einstellung Herrn Röhrbeins
gegenüber den Arkadien war dahingegen sogar positiv, in dem er das Projekt
in Ansätzen befürwortete.
Gezeigt hat sich auch, dass die Stadt
keine Maßnahmen unternimmt, um
speziell die Entwicklung von Wohngebieten für Reiche zu fördern. Letztlich
lagen Entscheidungen also auf der
Seite der Investoren, somit sind sie
unabhängige Akteure mit privaten Interessen, die Einfluss auf die Stadtent-
wicklung nehmen. Ihr Handeln passt
sich letztlich dem Markt an. Die Stadt
scheint die von uns gewählten Projekte auch nicht durch die Lockerung
bestimmter Auflagen in den Flächennutzungs- und Bebauungsplänen zu
fördern.
Hingegen ist bei den „Arkadien Potsdam" deutlich geworden, dass die Stadt
dem Bau der Villen nichts entgegengesetzt hat, sich aber dennoch für die wenigstens eingeschränkte Offenheit des
Gebietes einsetzt. So wurde entgegen
ersten Plänen die Zugänglichkeit des
Uferstreifens für die Öffentlichkeit gewahrt. Während die Potdamer Arkadien
durch einen Zaun von der Umgebung
abgegrenzt wurden, ist das beim Viktoriaquartier nicht der Fall. Dort deuten architektonische Merkmale private
Räume an, suggerieren eine Grenze,
doch sind die Gebiete letztlich nicht
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Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
35
Wohnen nach Wunsch?!
unzugänglich. Die Bewohner wären angeblich nicht bereit, beispielsweise für
einen vorhandenen Wachschutz mehr
Miete zu zahlen. Somit sind Tendenzen
hin zur Militarisierung vorhanden, in
den Köpfen der Bewohner jedoch kein
absolutes Muss. Die Stadtverwaltung in
Potsdam hat sich nicht gegen die Umzäunung der Arkadien ausgesprochen,
lediglich die Verwendung eines nicht
allzu martialischen Zauns vorgeschrieben. Die Politik stellt sich also derzeit
Tendenzen der Militarisierung nicht
entgegen.
Bei unseren Untersuchungsgebieten
handelt es sich Grundtücke, die bereits
seit langer Zeit in Privatbesitz sind. Somit hatte die Stadt in den vergangen
Jahren keinen direkten Bezug zu den
Flächen. Allerdings gibt es auf dem
jüngst vom Land Berlin veräußertem
Grundstück in Friedrichswerder Pläne
für die Errichtung von Townhouses. Mit
Projekten dieser Art konnten wir uns
jedoch nicht beschäftigen, da sie noch
in der Planung befinden und noch nicht
mit dem Bau begonnen wurde.
Wohnprojekte von Reichen im Berliner
Raum sind von der Stadtpolitik unserer
Untersuchung nach nicht unerwünscht.
Im Gegenteil: Die Stadt hofft auf höhere Steuereinnahmen. Allerdings fördert
oder unterstützt die Stadtpolitik nach
unserem Ermessen die Entwicklung
solcher Gebiete auch nicht wesentlich.
Interessierte Investoren scheinen in
Berlin nicht für die Realisierung solcher
Projekte Schlange zu stehen. Für vorhandene Sozialgeographien des Reichtums in Berlin bedeutet das bezüglich
auf Wohnquartiere von Reichen eine
relative Zufälligkeit ihrer Entstehung.
Entscheidungen für derartige Projekte
werden von Investoren getroffen. Diese
wiederum sind abhängig von der Aussicht auf eine lukrative Immobilienwirtschaft. Letztendlich ist die Entstehung
von „Reichtumsinseln" in der Stadt
also vom Markt abhängig, wie uns die
Baywobau in unserem Interview erzählte: Es wird folgend der Nachfrage
gebaut. Ob sich das „Viktoria Quartier“
und die „Arkadien Potsdam" als neuer
Wohnungsbau für Reiche in Berlin und
Potsdam in Zukunft tatsächlich etablieren können, bleibt abzuwarten.
36
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Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
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Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
ZWISCHEN ARBEITS- UND
FREIZEITRAUM DER
BERLINER FUNKTIONSELITEN
1. STAND DER FORSCHUNG
Die
französischen
Stadtsoziologen
Michel Pinçon und Monique PinçonCharlot arbeiten seit über 15 Jahren
über Großbürgertum und Aristokratie.
Sie stellten fest, dass das Forschungsgebiet Reichtum in der Stadt und
Reichtum und Raum noch weitgehend
unbearbeitet ist. Bei näherer Betrachtung des Reichtumsbegriffs definieren
sie den Kapitalbegriff als Summe aus
monetären, sozialen und kulturellen
Kapital. Nur diese Unterscheidung und
Einteilung kann soziale Hierarchien in
der Gesellschaft erklären.
Bei der Untersuchung des Aufbaus
sozialer Hierarchien, findet man viele
Überschneidungen mit der Eliteforschung. Nach Pinçon stehen Reichtum
und Elite in unmittelbaren Zusammenhang. Dahrendorf (1965, 277f.) unterteilt die Struktur der Funktionselite
noch in acht Sektoren. In der aktuellen
Eliteforschung wendet man sich intensiv dem Gesetz der zunehmenden sozialen Selektivität zu. Dahinter verbirgt
sich die Annahme, dass der Aufstieg
in obere soziale Schichten, stark über
Herkunft dominiert wird (Geißler 2002,
S. 150f.). Dieses Gesetz der sozialen
Auslese trifft vor allem auf Topmanager
zu. 61% der Topmanager und sogar
83% der Vorstandsvorsitzenden rekrutieren sich aus gesellschaftlichen Führungsgruppen. Seit den 1970er Jahren
hat sich die Selektivität noch erhöht
(Hartmann 1997, S.13).
Um in die Sphäre der Reichen und
Mächtigen aufzusteigen, reicht Bildung
allein nicht aus. Entscheidend ist vor
allem der klassenspezifische Habitus:
souveränes
Auftreten,
persönliche
KATJA BECKER | JOHANNES EDELHOFF | NATANAEL WEIGOLD
Ausstrahlung, angemessene Umgangsformen und das passende Outfit, gute,
Klassen entsprechende Allgemeinbildung und optimistische Lebenseinstellung (Geißler 2002, S. 151). Dieses
Auftreten lernt man in den Wohn- und
Freizeiträumen der Funktionseliten.
Eine Definition und Lokalisation solcher
Räume wurde unter den Aspekten der
Sozialgeografie bisher in Berlin noch
nicht vorgenommen.
Einen Zusammenhang zwischen sozialem und physischem Raum deckte
Bourdieu auf (1997, S. 157ff). Wie
Pinçon und Pinçon-Charlot definiert
Bourdieu soziales Kapital als die Summe aus monetären und kulturellen
Kapital. Ein Lottomillionär hat zwar viel
Geld, gehört aber aufgrund fehlenden
kulturellen Kapitals nicht in die Oberschicht. Der Platz eines Individuums im
physischen Raum gibt Auskunft über
die Position im sozialen Raum. Der angeeignete physische Raum ist dabei die
Objektivierung des sozialen Raums.
Bourdieu weist darauf hin, dass tendenziell der Versuch unternommen
wird, sozial andersartige Individuen
im Physischen Raum auf Distanz zu
halten.
Auch Girtler (1990) betont bei einer
Untersuchung der österreichischen
Gesellschaft den Zusammenhang von
Reichtum und Distanz. Ob physische
Distanz im Sinne des Wohnraums,
oder soziale Distanz mithilfe des beabsichtigten Mangels an direkter Kontaktmöglichkeit; Distanz scheint ein
gepflegtes Privileg des Reichen zu sein.
Das Streben nach Ruhm und Abgrenzung gilt nach Girtler als die Triebfeder
des Reichtums.
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Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
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Berliner Funktionseliten
Für die amerikanische Stadt entwirft
Marcuse (1994, S. 220f) das Bild der
realen Entscheidungsträger. Die Stadt
gilt ihnen weniger als Wohnort, da sie
fast unbegrenzt mobil sind, sondern
wird mehr als Stätte von Macht und
Profit gesehen. Interesse an der Innenstadt hätten die Entscheidungsträger
nur, da sie von Attraktivitätssteigerung
der Innenstadt durch hohe Immobilienwerte profitierten. Sie wohnten sicher
vor Kontakten mit Nichtmitgliedern
ihrer Klasse und vergnügten sich bei
exklusiven Freizeitbeschäftigungen.
In Bezug auf die Managerklasse findet
eher das Bild der globalen Elite aus
Saskia Sassens (1997) Global City Modell Anwendung. Diese Elite lebt meist
City-nah, in New York beispielsweise zu
extrem hohen Mieten in Appartements
oder sanierten Altbauten in Manhattan.
In Berlin werden gerade, durch den
Bau von Townhouses im britischen Stil
in innenstadtnahen Lagen, exklusive
Wohnflächen geschaffen. Es gibt offensichtlich zwei Typen von reichem,
elitären Wohnen: das kühl Distanzierte
und das betont Repräsentative.
Obwohl Marcuse und Sassen auf die
Konsumfreude der Oberschicht hinweisen, kann man in Deutschland nicht
von einer „Leisure Class“ der feinen
Leute sprechen. Topmanager sind hoch
mobil. Ihr Weg nach oben ist meist mit
Ortswechseln verbunden. Bei einer 60
bis 65 Stunden Wochen haben sie im
Durchschnitt zwei bis drei Wochen Urlaub im Jahr. Freizeit ist knapp bemessen (Geschka 1997, S.9 bis 80). Hat
jemand wenig Freizeit, will er diese besonders intensiv nutzen. Topmanager
neigen daher dazu ihre Freizeit exklusiv
und kostenintensiv zu verbringen (Varian 2003, S. 174f., 581f., 699f.).
Stampfli-Mazarolli (2003, S.5) deckt
eine generellen Hang auf, die Freizeit in
Gesellschaft gleichartiger Individuen zu
gestalten. Mit dem Zusammenschluss
scheinbar Gleichgesinnter schwinde die
Angst vor der kollektiven Masse. „The
fear of living together“ werde dadurch
entgegen gewirkt. Es ist ebenfalls ein
Verschwimmen der Grenze zwischen
Arbeits- und Freizeit zu erkennen.
Repräsentative Pflichten, wie Gäste-
40
betreuung und Kundenkontakte am
Wochenende, fallen in die freie Zeit
der Funktionselite. Der These von
Varian entgegnet Fukuyama, dass Mikroökonomen, zu diesen gehört Varian
zweifelsfrei, einer gewissen Blindheit
unterliegen (2004, S.92f.). Die Mikroökonomie postuliert, dass Arbeit teuer
ist und die Mitarbeiter versuchen, den
Arbeitsaufwand für ihren Lohn möglichst zu minimieren. Somit wird eine
Drückebergermentalität unterstellt, die
der Realität nicht gerecht wird. Fukuyama erklärt, dass Menschen oft jedoch
mehr arbeiten, als minimal notwendig
wäre unabhängig davon, ob ihr Chef
von ihren verborgenen Aktivitäten, wie
zum Beispiel auch den Aufbau eines
persönlichen Netzwerkes, erfährt.
Prahl (2002, S.110) stellt fest, dass
in Deutschland gerade in höheren Beschäftigungsgruppen viele Überstunden getätigt werden. Viele gehen in
Statistiken kaum mit ein, da Vor- und
Nachbereitung der Arbeit mehr und
mehr in die private Zeit übergeht. Fukuyama hält Sozialkapital –Normen,
die kooperatives Verhalten fördern
– als Hauptgrund für die Arbeit über
das Notwendige hinaus.
Hinzu kommt, dass die Arbeit in Spitzenpositionen und gerade von Dienstleistungen sich schwer bis kaum spezifizieren lässt, der Einfluss einzelner
Personen auf Prozesse in der Firma nur
schwer berechenbar ist. Überwachung
und strikte Verantwortlichkeit sind eher
in der Produktion zu finden. Es sind Begriffe des Fordismus. Daher kann auch
nur aus Arbeitnehmersicht an einem
Arbeitsplatz mit hoher Spezifizität eine
eindeutige Unterscheidung zwischen
Arbeit und Freizeit getroffen werden.
Der informelle Kontakt zu exklusiven
Bekannten scheint wichtig zu sein. 70%
der Topmanager sind in Clubs wie Lions
oder Rotary organisiert (Geschka 1997,
S.9 bis 80). In Berlin ist hier der Berlin
Capital Club zu nennen. Es stellen sich
die Fragen, welche Funktionen diese
Räume einnehmen und wo sie in Berlin sind. Werden dort, anstatt bei der
offiziellen Sitzung im Konferenzraum,
Entscheidungen getroffen? Wie ist dieses so wichtige Kontaktnetz („Vitamin
Geographisches Institut
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Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
B“) über die Stadt verteilt? Lassen sich
Ortsbeziehungen zwischen Arbeits-,
Wohn- und Freizeitraum herausfinden?
Diese Forschungsfelder sind in Berlin
noch weit gehend unbearbeitet.
Die Familie ist das zweite Standbein
der Topmanager und somit geografisch
mit dem Wohnraum gleichzusetzen. In
Deutschland sind die Manager in der
Regel Familienmenschen. Die Statistik
widerspricht dem von Sassen gezeichneten Bild der DINKS (Double Income
No Kids) und Yuppies (Young Urban
Professionals). 90% der Topmanager
leben in erster Ehe. Die Scheidungsrate
beträgt nur ein Viertel des bundesweiten Durchschnittswertes und sie haben
im Schnitt 2,4 Kinder (Durchschnitt
Deutschland 1,3). Die Familie scheint
ein Rückzugsgebiet von der harten Arbeits- und Repräsentationsfreizeitwelt
zu sein. Welche Wohnräume fragt die
Funktionselite nach, welche Anreize
müssen geschaffen werden, um sie
anzulocken?
Räumlich bleiben Reiche segregiert, um
ihre Geschmäcker, die soziale Position,
Sitten und Gebräuche für nachfolgende
Generationen zu bewahren. Dies führt
zu einer räumlichen Konzentration des
Wohlstandes, wie er auch in Hamburg
und Umgebung zu beobachten ist. Das
Clustering von Reichtumsinseln ist in
Hamburg häufig über die natürlich erkennbaren Stadtteilgrenzen hinweg zu
beobachten. Auch in Paris erkennt man
Zusammenballungen oftmals über die
Grenzen der Arrondissements hinweg.
Sie überspringen den „PhysischenRaum“, schaffen den Sozialraum,
machen das Stadtbild komplexer und
schwerer erfassbar (Dangschat 1997,
S.350). Diese sozialen Räume und
ihre spezifischen Charakteristika sind
in Berlin bisher noch weit gehend unerforscht.
Berliner Funktionseliten
2. EIGENE VORARBEITEN
Wir stellen uns immer wieder die Fragen: Was bedeutet Reichtum? Welche
Indikatoren gibt es? Bourdieu meint
mit dem sozialen oder auch symbolischen Kapital vor allem Beziehungen.
Es funktioniert rein symbolisch und
immateriell. Man besitzt also symbolisches Kapital, wenn man über gewisses Ansehen und Prestige verfügt und
allein aufgrund der Tatsache, dass man
einer bestimmten gesellschaftlich anerkannten Gruppe angehört.
Bei der Funktionselite Berlins, die
Gegenstand unserer Untersuchung
sein wird, ist zu vermuten, dass diese
drei Kapitalformen stark miteinander
verflechtet auftauchen werden. Nach
Espenhorst, stehen Prestige und Reichtum in engem Kontakt. Die Grundlage
des Prestiges bildet der Erwerb von Eigentum. Man macht ihn zu seinem Besitz und zeigt so nach außen seine Stellung in der Gesellschaft. Der sichtbare
Besitz entwickelt eine Eigenintensität
und kennzeichnet die Gesellschaftsklasse. Angespornt durch Konkurrenz
und Neid steigert sich der Wunsch nach
mehr Prestige, jenes tritt meistens innerhalb der Klassen auf.
So entstehen auch Freizeitnetzwerke,
dderer sich die Funktionselite bedienen. Aufgrund dieser Tatsache, bietet
sich eine Analyse auf Mikroebene an,
um den Wirkungsraum der Funktionselite und deren informellen Treffpunkte
feststellen zu können. Bisher vorliegende Stadtteils- bzw. Bezirksanalysen
bringen uns hier nicht weiter.
2.1 ZIELE, ARBEITSPROGRAMM UND
METHODEN
Das Ziel ist es, soziale Räume der
Funktionselite zu lokalisieren und nach
ihrem Wesensgehalt, auf die Vermi-
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Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
41
Berliner Funktionseliten
schung von Arbeit- und Freizeitnutzung
zu untersuchen. Das Hauptaugenmerk
richtet sich auf die Hypothese, dass
Mitglieder der Funktionselite, anders
als beispielsweise Arbeiter, keine klare
Unterscheidung zwischen Arbeit und
Freizeit treffen. Es gibt zwar eindeutige Arbeit und Freizeit, zum Beispiel
eine Berechnung am Schreibtisch
vornehmen oder mit der Frau im Park
spazieren zu gehen, aber schon das
Mittagessen mit den Kollegen von der
Bank gegenüber ist nicht mehr eindeutig zuzuordnen. Aus ersten Überlegungen entstanden drei Kernfragen zu
den Teilbereichen Arbeit, Freizeit und
Wohnen. Die zur Erkenntnis führenden
Fragestellungen sind:
1. Wo und in welcher Position arbeiten Sie? Welchen Wert hat Ihre
Arbeit für Sie?
2. Was verbinden sie mit Freizeit
und welchen Wert hat Freizeit für
Sie?
3. Was hat sie dazu bewegt sich für
ihren derzeitigen Wohnort zu entscheiden?
Alle drei Fragen sind offen formuliert,
gleichzeitig aber darauf hin ausgerichtet, die Beweggründe für Entscheidungen der Befragten in Erfahrung zu
bringen. Somit nähern wir uns den
Lücken aus dem aktuellen Stand der
Forschung– durch die Beantwortung
der Fragen: Welche Wohnräume fragt
die Funktionselite nach?; Welche Anreize müssen geschaffen werden, um sie
anzulocken? – exemplarisch an.
2.2 PROBANDENWAHL
Dabei stellt sich unmittelbar die Frage
nach dem konkreten methodischen
Vorgehen. Wen befragt man, wie
kommt man an die betreffende Person
heran und wie soll die Befragung konkret ablaufen? Beim ersten Blick auf
das Thema entdeckt man zunächst die
eigene Beschränktheit. Zum einem was
die Auswahl der Probanden angeht,
zum anderen was die Vorstellungen
über ihr Arbeits-, Wohn- und Freizeitverhalten betrifft. Aus der Vorarbeit
Pinçons Pinçonentschieden wir uns für
42
den Begriff der Funktionselite. Ausgewählt wurde, wer wusste, wie sich
Reichtum und Reiche in Berlin bewegen, wie Reichtum generiert wird. Eine
Art Leitfaden zur Funktionselite und
zu Entscheidern ist das TOP 500 Buch
Berlin. Dort werden die wichtigsten
Berliner Entscheider mit Anschrift und
Telefonnummer aufgelistet.
2.3 EMPIRISCH-METHODISCHE VORGEHENSWEISE
Die Ergebnisse sollten Entscheidungsmechanismen der Funktionseliten Berlin aufdecken und einen neuen Raum
der informellen Netzwerke definieren
und lokalisieren. Berlin stellt eine der
komplexesten
Metropolen
Europas
dar und sollte zu neuen theoretischen
und methodischen Perspektiven sowie
neuen
Untersuchungsgegenständen
anregen.
Um die Komplexität widerzuspiegeln
ist ein hoch standardisierter Fragebogen ungeeignet. Gleichzeitig ist eigene
Beschränktheit hinderlich, wollte man
ein standardisiertes Interview führen.
Das heißt die eigene Prägung, das eigene Selbstverständnis und die wenig
vorhandene verallgemeinernde Forschung würden zu stark in die Fragen
eingearbeitet werden. Ziel kann es nur
sein zunächst eine Annäherung an die
Thematik zu erlangen um eine Basis für
das Verständnis der Prozesse innerhalb
der Funktionselite zu erreichen. Dies
kann nur über eine teilweise standardisierte mündliche Befragung geschehen.
So werden neue Zusammenhänge aufgezeigt.
Hierzu haben wir einen Interviewleitfaden erarbeitet, der die Kernfragen
konkretisiert und in Zusammenhang
bringt. Es werden in den Gesprächen
nicht zwangsläufig alle Fragen abgearbeitet, vielmehr gilt der Leitfaden als
Orientierungshilfe für das Gespräch. In
der Auswertungsphase können Antworten den Fragestellungen so besser
zugeordnet werden und in den Forschungskontext eingearbeitet werden.
Gleichzeitig lässt die Interviewmethode die Freiheit auf interessante neue
Standpunkte der Gesprächspartner
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Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
einzugehen. Die Methode wurde mit
dem Eliteforscher Michael Hartmann
abgesprochen, der aus eigener Erfahrung zu diesem Vorgehen riet. Eine
Idee, die hinter der Methode steckt, ist
es den Probanden ins „Reden“ kommen
zu lassen, so dass er Dinge preisgibt,
die er in einem eng geschnürten Interview nicht verraten hätte. Gleichzeitig ergibt sich die Gefahr, dass der
Gesprächspartner nicht konkret wird
und oft vom Thema abweicht. Die befragte Gruppe ist sehr heterogen, was
die Probanden verbindet sind, die oben
genannten Eigenschaften. Ein Fotograf
passt in diese Gruppe genauso wie
Hochschulprofessor und ein Lobbyist.
Somit ist eine flexible Gesprächsführung vonnöten.
Ein weiterer Grund sich für diese Vorgehensweise ist es, dass wir gezielt
auf der Suche nach dem Subjektiven
Empfinden und Wahrnehmen sind. Eine
Bewertung von null bis sieben, um den
Grad der Zufriedenheit herauszufinden
erscheint unangebracht. Es interessiert
vielmehr das Wie in Verbindung mit
dem Wo und Was. Das Operationalisieren solcher Komplexe in einen standardisierten Fragebogen ist kaum möglich.
Die Herangehensweise führt dazu, dass
die Ergebnisse im Nachhinein nicht als
„Stein der Weisen“ angesehen werden
können, sondern „nur“ ein spannendes Beispiel für Stadtentwicklung und
Stadtpolitik sind. Die Erhebung hat
keinen verallgemeinernden, sondern
nur einen exemplarischen Charakter.
Die Gültigkeit des Messinstruments ist
zum einem in Rücksprache mit Michael
Hartmann und Jonas Bylund als „expert
validity“ geschehen, zum anderen in einem Pre-Test überprüft worden.
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3. AUSWERTUNG DER INTERVIEWS
Befragt wurden:
(GG): ein geschäftsführender Gesellschafter (Infrastruktur), verheiratet, drei Kinder
(HSP): ein Hochschulprofessor (katholische Theologie), ledig
(AF): ein Atelierfotograf, ledig
(AG): ein angestellter Geschäftsführer
(im
Bereich
„Installed
Sound“), verheiratet, drei Kinder
(L): ein Lobbyist (Automobilhersteller)
Im folgenden Text werden die Befragten nur noch mit ihren Abkürzungen
vorkommen.
Bei der Auswertung der Interviews stellen sich die Fragen, welche Funktionen
diese Räume einnehmen und wo sie in
Berlin sind. Werden dort, anstatt in der
offiziellen Sitzung im Konferenzraum,
Entscheidungen getroffen?
Wie ist dieses so wichtige Kontaktnetz
(„Vitamin B“) über die Stadt verteilt?
Lassen sich Ortsbeziehungen zwischen
Arbeits-, Wohn- und Freizeitraum herausfinden?
„Warum haben Sie sich für Berlin
entschieden?“
HSP antwortete spontan mit: „Hier
kann man viele tolle Leute treffen. Berlin finde ich ziemlich spannend.“ Außerdem versteht er Berlin als Ideengeber
für seine Arbeit (viel Elend).
Für den AF ist Berlin die einzige lebenswerte Stadt. Da Berlin ein hartes
Pflaster sei, beschäftige es ihn im
Moment mehr, dass viele Leute nicht
vorankommen, dass sie nicht erreichen
können, was er erreicht habe. „Und das
ist (s)ein größter Impetus.“
Für L hatte die Standortwahl ganz klar
etwas mit dem Umzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin zu tun. Er
sucht die Nähe zu Institutionen.
AG, selbst ein gebürtiger Berliner,
leitet ein traditionelles Berliner Unternehmen mit Weltruf im internationalen
Geschäft. Daher liegen seine wichtigen
geschäftlichen Beziehungen außerhalb
Deutschlands. Berlin als Standort des
Firmensitzes ist damit nicht entscheidend.
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Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
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Berliner Funktionseliten
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Nun gehen wir auf die Arbeitsorte
konkret ein. Hier möchten wir wissen, warum welcher Ort in Berlin
ausgewählt wurde.
GG sucht die Nähe zu Entscheidungsträgern in der Politik der Bundesrepublik. AF hat sich bewusst für einen
sanierten Altbau in Prenzlauer Berg,
Schönhauser Allee/Eberswalder Straße, entschieden. Für ihn ist es eine
Frage der Repräsentation; aus diesem
Grund ist er auch aus einem Hinterhof
in der Kastanienallee weggezogen. „Es
war ein Hinterhaus, das immer mehr
herunterkam. Da kann ich kein Klientel
empfangen, um in ne Preisklasse zukommen, die ich angestrebt habe. Ich
habe ein höheres Preissegment, seit
ich hier bin, denn der Standort ist auch
sehr repräsentativ.“
Heute empfängt er seine Promi-Kunden in einem schönen Entrée und arbeitet mit ihnen in Licht durchfluteten
Räumen. „Eine Katja Flint, die ich hier
fotografiert habe, die hätte ich nicht in
einem Hinterhof fotografieren könnte.
Die hätte da keinen Handlauf angefasst.“ Der Kontakt zur kreativen Szene
ist ihm sehr wichtig. Neben dem Prenzlauer Berg mag er auch Mitte, was er
für ebenso „schickimicki“ hält, dennoch
mag er die schöne Energie der Kreativen. Auf die Frage, ob er sich auch
andere Standorte innerhalb Berlins
vorstellen könnte, antwortete er ganz
klar: „Nein, nicht in Berlin. Da würde
ich bitterlich heulen.“
L sagt nichts direkt dazu; festzuhalten ist hier, dass er sein Büro, in dem
er Besucher und Geschäftspartner
empfängt, Unter den Linden, einem
sehr repräsentativen Standort, hat,
wo sich im sehr hellen und modernen
Empfangsbereich eine Kunstgalerie
befindet
AG konnte im Bezug auf die Standortentscheidung nur sagen, dass sich die
Firma nun seit 1992 in Reinickendorf
befindet, da es sich um eine günstige
Immobilie gehandelt hat; darüber hinaus bestand keine spezielle Präferenz
auch keine Wirtschaftsförderung oder
Ähnliches.
Berlin als sein Arbeitsstandort wurde
dem HSP durch die Uni vorgegeben.
Jegliche Korrespondenzen finden in
der Uni statt; abgesehen von einem
Interview im CNN bei ihm zu Hause.
Er arbeitet aufgrund des Zugangs zu
Datenbanken auch hauptsächlich in
der Uni.
Kommen wir nun von den Arbeitsorten zu den geschäftlichen Aufenthaltsorten in der Stadt:
Auf die Frage, wo wichtige Vernissagen stattfinden und ob es bestimmte
Orte in Berlin gibt, sagte AF, dass
Vernissagen häufig in Galerien in Mitte, Prenzlauer Berg oder Friedrichshain
stattfinden. Auch besucht er gerne Vernissagen in Restaurants, Kneipen oder
Firmenfoyers.
Für den GG finden seiner Meinung
nach informelle Treffen verstärkt in
den Clubs der Stadt ab. Er spricht gar
von einem Auftreten einer Clubkultur
in der Hauptstadt. Genannt seien hier
stellvertretend der Capital Club, der
Golfclub Wannsee und derRotary Club.
Selbstverständlich wird kein Individualsport betrieben. Beim Golfen und
Tennis werden Kontakte gepflegt und
geknüpft. Empfänge und Arbeitsessen
runden das Bild der nichtexistenten
reinen Freizeit ab.
Da AG international tätig ist, gibt es
nicht die typischen Orte innerhalb Berlins. Für sein geschäftliches Tun sind
die virtuellen Räume die wichtigen. Bei
internationalen Akteuren ist der Standort des Dienstsitzes nicht mit dem
Standort der Aktion gleichzusetzen.
Bei seinen überregionale Tätigkeiten
gelten für ihn globale Räume.
L hält sich überwiegend in Mitte im
Café Einstein oder in Regierungsgebäuden auf; außerdem innerhalb des
Dreiecks begrenzt vom Kurfürstendamm, Spandau und Falkensee. Er hält
sich so gut wie nie nördlich des Tegeler
Flughafens ebenso wie südlich des Kurfürstendamms
HSP hat seinen Arbeitsraum zu Hause und hält sich daher sehr häufig in
Tiergarten auf. Netzwerke knüpft er in
Kommissionen, bei wissenschaftlichen
Vorträgen, bei Bücherreisen und Festen.
Betrachtet wird nun die Arbeitszeit
außerhalb Berlins:
30 bis 40% der Arbeitszeit von AG findet gar nicht in Berlin statt. In dieser
Zeit bereist er die ganze Nordhalbkugel.
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L fährt ca. ein Mal pro Woche nach
München.
GG bewegt sich beruflich häufig außerhalb Berlins, international überwiegend
in Fernost. Einen Standortnachteil sieht
er in der Anbindung Berlins an die Metropolen der Welt. Es sind viel zu große
Zeitverluste durch Gabelflüge, Verspätungen, usw. vorhanden; dies stützt
die Tendenz einiger Unternehmen sich
von Berlin abzuwenden.
Der HSP verlässt Berlin nur sehr ungern und äußerst selten, er sprach
lediglich von einer Lesereise die außerhalb Berlins stattgefunden hat.
Empfinden Sie ihren Beruf als Belastung?
Dadurch dass bei GG ein gewaltiges
Arbeitspensum vorherrscht, ist ein Arbeitstag von 12 bis 15h für 6 Tage in
der Woche anzusetzen. „Durch die beratende Tätigkeit und die dabei benötigte räumliche Nähe und Interaktion,
ist große Flexibilität von Nöten. Jetlag
und körperliche Beeinträchtigungen
sind schon alltäglich.“
Auf diese Frage hat AG mit einem
klaren Nein geantwortet. „Wenn das
zur Belastung würde, dann würde ich
es nicht machen. Das sind Dinge, die
fallen in den Rahmen der freiwilligen
Grenze zwischen Freizeit und Beruf.
Muss ich dahin oder will ich, wann ist
es Freizeit, wann ist es der Beruf? Das
lässt sich schwer abgrenzen. Ich kann
die Grenze selbst nicht richtig ziehen.
Zu meinem Beruf gehört auch, dass
man eine Beziehung zur Musik hat, und
nicht nur die Sache mit dem Vorstand
im Symphonieorchester.“
Nachdem AF vor drei Jahren einen
Zusammenbruch erlitt, ist er kürzer
getreten. „Ich musste mich dazu zwingen, Freizeitverhalten zu entwickeln.
Und jetzt habe ich eine gute Balance.
Es ist ganz freiwillig. Ich bewundere
insgeheim Leute, die eine Firma mit
2000 Angestellten haben und einschlafen können. Alleine wenn ich an die
Finanzdecke denke, wird mir schlecht.“
Der Grund warum er so viel gearbeitet
hat, lag auch darin, dass er aus seiner
„Berufung seinen Beruf“ gemacht hat.
Nur: „Man vereinsamt und die Freunde
lassen einen fallen. Spätestens um 19h
bin ich eigentlich weg und dann beginnt
Freizeit.“
L empfindet seinen Beruf keineswegs
als Belastung. „Der Job macht Spaß.“
HSP verspürt keine Last durch seinen Beruf. Als Professor arbeite er
auch sehr viel allein. Man müsse aber
deutlich zwischen Einsamkeit und
Vereinsamung durch den Job unterscheiden: „Vereinsamung ist negativ,
aber Einsamkeit ist ein Glücksgefühl
der Menschheit. Wenn sie nachts um
drei mit brennenden Augen über dem
Neuen Testament gebeugt sitzen, und
sie wollen diesen Text in einen Aufsatz
bringen. Sie fühlen sich schon allein.
Aber das ist an sich nichts Schlimmes.
Es ist schon einsam, aber ich bin gerne
einsam.“
Berliner Funktionseliten
Stellt ihr Beruf eine Belastung für
den Freundeskreis dar?
L verstand unter Freunde zunächst
Familie. Mit Bekannten sei es aber
schwierig, denn sie lüden einen kaum
noch ein, da man sowieso oft absagte. Viele Bekannte seien aber über
Deutschland verteilt. Man trifft sich
unregelmäßig, aber die Beziehungen
bleiben bestehen.
AF betont, dass gerade Freunde, die
nicht selbstständig arbeiten, es nicht
verstünden, dass er oft absagen muss.
„Ich habe richtig gute, langjährige
Freunde knallhart verloren. Und Neue
dazu gefunden, durch die Erweiterung des Freizeitverhaltens, das man
dann auf irgendwelche Galas geht
und Freiberufler trifft und auch über
deren Nöte spricht und sich dann fast
zwangsverfreundschaftet. So Solidarfreundschaften entstehen dann eher
dadurch.“ Daher sind seine Freunde
auch überwiegend aus dem kreativen
Bereich (Maler, Schriftsteller und Autoren. Er versucht sie untereinander zu
verknüpfen auf Galaveranstaltungen,
auf denen er die Leute einander vorstellt: „Das Networking finde ich immer
ganz spannend.“
Ähnliche Erfahrungen hat auch HSP
gemacht. Unter dem Veröffentlichungsdruck von Büchern litten Kontakte.
Nach der Frage über die Belastung.
Was ist ihnen bei gesellschaftlichen Anlässen wichtig?
L erhält pro Abend zehn Einladungen. Persönlich geht er zwar lieber in
Philharmonie als zu einem Diskussi-
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Berliner Funktionseliten
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onsabend mit Hans Eichel, aber der
dienstliche Nutzen einer Veranstaltung
hat Vorrang. Wichtig ist es für ihn andere in der Diskussion im kleinen Kreis
zu überzeugen und ihnen Denkanstöße
zu geben. Größere Veranstaltungen
besucht er nicht hauptsächlich um
sich Vorträge anzuhören, sondern um
Fragen einzuwerfen und einer großen
Ansammlung von Menschen neue Einsichten zu vermitteln.
AF erklärt, dass man zu vielen Galas
eingeladen wird und sich nicht selbst
anmelden kann. Diese Veranstaltungen
kosten dann meist um die 600 Euro.
Diese Veranstaltungen besucht er aber
selten, weil er den Preis und das Drumherum für überzogen hält. „Es gibt aber
auch sehr viele Veranstaltungen, die
kostenlos sind, und die ich schätze und
mag, zum Beispiel Vernissagen.“
Feste und „gesellschaftliche Anlässe“
besucht HSP nicht sehr häufig. Er teilt
sich diese Aufgabe mit seinen beiden
Kollegen. Sein Problem sei, dass man
ihm schnell ansehe, wenn er sich langweilt.
AG besucht zwei bis drei Mal im Monat
Galaveranstaltungen oder Empfänge.
Die Gelegenheit dazu hat er aber noch
wesentlich öfter: „Ich glaube Berlin ist
da wie München, Hamburg und andere
Großstädte ein eigenes Biotop. Es gibt
Veranstaltungen, die im weitesten Sinne öffentliche Anlässe sind, wo immer
die gleichen Leute sind. Ich gehe nicht
dahin, um dann in der Zeitung zu stehen, aber es gibt eben Anlässe, wo man
weiß, welche Zielgruppe angesprochen
wird und wo man entscheiden kann, ob
man hingeht oder nicht.“
L besucht den Lions Club aus rein privatem Interesse. Das ist keine Arbeit,
sondern dort findet man auch Aufgaben und Freunde für die Zeit nach
dem Berufsleben. Das gesellschaftliche Drumherum (Spenden und Weihnachtsgeschenke für Clubmitglieder)
gehöre dazu.
AF besucht die Veranstaltungen aus
beruflichem und persönlichem Interesse. „Das klingt ein bisschen berechnend, aber ich bin jemand der sehr
gerne zwei Fliegen mit einer Klappe
schlägt und wenn ich weiß es gibt irgendwo eine Vernissage, wo man einen
Kollegen trifft, dann ist das ja auch eine
Wertschätzung, die man jemanden
gibt: Ja, ich schau mir deine Arbeit,
deine Ausstellung an. Es bilden sich
ja sowieso immer Grüppchen und man
sitzt zusammen und quatscht ganz viel.
Ich mag diese Anlässe ganz gerne. Das
ist ein schöner Rahmen. Ich mag es
auch gerne wenn Kunst um mich ist.
Lasst Kunst um mich sein.“ Er kritisiert aber auch, dass sich auf solchen
Veranstaltungen auch Leute bewegen,
die man in der Soziologie als Yuppies
charakterisieren würde: „Dieses blöde
‚Schein und Sein’, geht mir sowieso die
ganze Zeit auf den Senkel. Alle Leute
bluffen und es ist nicht viel dahinter
wenn man sie abklopft, aber die, die
am meisten rasseln, kriegen die größten Jobs.“
AG nutzt diese Veranstaltungen ebenfalls zur Kontaktpflege: „Teilweise sind
es Veranstaltungen, die mich wirklich
interessieren, wo ich sage, da gehe ich
gerne hin, weil ich weiß, dass jemand
geehrt wird und einen Preis bekommt,
von dessen Leistung ich selbst überzeugt bin. Teilweise gibt es Anlässe,
wo man denkt, da geht Du besser hin,
weil Du auch mal in diesen Kreisen mit
bestimmten Leuten wieder zusammentreffen willst und das Gespräch suchst,
oder weil Du weißt, dass andere das
Gespräch suchen und erwarten, dass
Du da bist. Ich weiß auch, dass teilweise Andere den Kontakt suchen.“ Er
weist allerdings darauf hin, dass man
den Zusammenhang von gesellschaftlichen Anlässen und Netzwerken nicht
zu mechanisch sehen darf. Weiterhin
gibt es große Unterschiede zwischen
dem Aufbau und der Pflege eines
Netzwerks. Das persönliche Interesse
steht dann oft im Vordergrund. Der
Zeitaufwand, sähe man diese Treffen
unter reiner Arbeitszeit extrem hoch,
verglichen mit dem Nutzen. Trotzdem
kommt niemand ohne Netzwerke aus.
Die Bewertung ist schwierig, Zusammenhänge eher interpenetrant als kausal voneinander abhängig.
HSP geht durchaus zu Veranstaltungen, weil er weiß, dass er dort jemanden treffen kann. „Ich bin auch durchaus auf einige Sachen aus, wo man
denkt: Aha, da ist etwas wofür er sich
interessiert, da bin ich nur da, weil ich
weiß, da werde ich jemanden treffen
den ich notfalls mal anrufen kann wenn
mal was ist. Das finde ich, ist wirklich
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Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
gesellschaftlich Kennen, das ist eben
so ein System, was ich nicht verachte
aber eben auch nicht so toll finde - man
spricht sich selten, tauscht aber e-Mails
aus.“
PRIVATE FREIZEITAKTIVITÄTEN- EINE
„REINE FREIZEIT“?
Auf die Frage ob Hobbies existieren und gepflegt werden bzw. ob
Freizeitaktivitäten essentieller Bestandteil der Wochenplanung seien, folgten folgende Aussagen:
HSP pflegt sich mit der Lektüre von
guten Büchern zu erholen und genießt
auch unwissenschaftliche Literatur zum
Zeitvertreib. Spaziergänge durch den
Tiergarten und Cafébesuche runden
das Bild seiner Freizeitgestaltung ab.
Bevorzugtes Hobby bleibt seines Erachtens aber sein Beruf.
L sieht in seiner Familie den idealen
Rückzugsraum und verweist darauf,
dass seine knapp bemessene Freizeit
mit Aktivitäten im Kreise seiner Familie
ausgefüllt wird.
AF baute sich in Berlin einen Freundeskreis auf, der sich jedoch immer seltener spontan zu einem Kneipenbesuch
durchringen kann. Dafür hat sich die
Tradition der Wochenendtagesausflüge
gefestigt; hierbei wird das Berliner Umland mit Freunden erkundet und die Eine
oder Andere Inspiration aufgenommen.
Sonntage sind für ihn zudem der ideale
Tag um ohne Begleitung Ausstellungen
zu besuchen, da die Besucherströme
sich in Grenzen halten, und er etwas
Zeit für sich findet. Zudem sucht er in
sportlicher Betätigung einen Ausgleich
der einseitigen Belastung; unregelmäßiges Schwimmen dient einerseits der
körperlichen Fitness, ermögliche aber
darüber hinaus Abstand zur Arbeit zu
gewinnen und Stress abzubauen.
Auf die Frage mit wem und an welchen Orten die freie Zeit verbracht
wird, folgten folgende Aussagen:
HSP verfügt über einen breit gefächerten Bekanntenkreis und liebt es neue
Leute kennen zu lernen. Ob Akademiker oder einfache Leute; zu seinen
Geburtstagen findet sich eine bunte
Mischung an Menschen ein, mit denen
er gerne kommuniziert.
AG verbringt seine Freizeit bevorzugt
im Kreise seiner Familie, versucht aber
auch Zeit in Freundschaften zu investieren. Räumlich betrachtet dominieren
Freizeitaktivitäten, die sich außerhalb Berlins abspielen; insbesondere
befreundete Familien, die auch über
Kinder verfügen seien gute Gesprächspartner. Der Familienurlaub muss nicht
unbedingt im Ausland angesiedelt sein;
kurze Distanzen zum Urlaubsort werden bevorzugt, um den sehr jungen
Nachwuchs nicht zu strapazieren.
AF genießt es mittlerweile sehr, wenn
er überraschenderweise einen Abend
völlig für sich allein in seiner Wohnung
verbringen kann. Kreative Köpfe trifft
er sehr gerne auf Galas und Ausstellungseröffnungen im Berliner Raum.
Hierbei ist allerdings die Verschränkung von Freizeit und aktivem Netzwerke-Knüpfen wieder gegeben. Echter Urlaub, also über mehrere Wochen
hinweg der Arbeit zu entsagen und den
Aufenthaltsort zu wechseln, sagt ihm
weniger zu. Kurze Wochenendtrips sind
ihm wichtiger geworden und reißen ihn
nicht nachhaltig aus dem Arbeits- und
Schaffensprozess heraus.
L bevorzugt es, freie Zeit zu Hause
zu verbringen. Bei Gartenarbeit wird
körperlicher Ausgleich gesucht. Der
Sonntag wird mit einer entspannten
Zeitungslektüre genossen.
Berliner Funktionseliten
Wo liegt der Wohnraum der Befragten und welche Gründe bestimmten die Wohnortwahl?
AG lebt im Süden der Stadt Berlin.
Er ist sukzessive über Steglitz, Lichterfelde nach Zehlendorf intra-urban
migriert, was sicherlich nicht in unerheblichem Maße einkommensabhängig
zu begründen ist. Das Hauptaugenmerk bei der Wahl des Wohnortes liegt
einerseits in der durchgrünten und
ruhigen Lage begründet, andererseits
in der relativ guten Anbindung an das
Geschäftszentrum der Stadt.
L zog es in den engeren Verflechtungsraum der Stadt, in ein Dorf westlich
von Berlin gelegen. Hier herrscht ein
grünes, gepflegtes Umfeld vor, das zum
Entspannen und Verweilen einlädt, dabei aber über eine gute Anbindung an
das Zentrum der Hauptstadt verfügt.
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Berliner Funktionseliten
AF richtete sich in demselben Haus, in
dem sein Atelier liegt eine Wohnung ein.
Die räumliche Nähe zum Arbeitsort ist
gezielt gesucht worden und ermöglicht
ihm ein unkompliziertes und flexibles
Arbeiten. Seiner Meinung nach ist es
auf diese Weise für ihn einfacher, kreative Eingebungen sofort umzusetzen
und eine Zeitersparnis zu erzielen, die
ihm mehr Zeit für intensives Arbeitsund Freizeitverhalten ermöglicht.
HSP lebt mit einer Katze und einem
Untermieter in einer großzügigen Altbauwohnung in zentraler Lage im alten
Hansaviertel. Seiner Meinung nach liegt
seine Wohnung ruhig und zugleich sehr
zentral, so dass er sich binnen kürzester Zeit im Zentrum Ost oder Zentrum
West befindet. Die Mitmieter sind recht
homogen bezüglich der Sozial- und
Einkommensstruktur anzusetzen. Auch
die Straße ist weitgehend als bürgerlich
einzuschätzen.
4. AUSWERTUNG IN KARTEN
Um eine Visualisierung der erhobenen
Aussagen bezüglich der Arbeits- und
Wohnräume unserer Interviewpartner
zu gewährleisten, die nicht nur auf
einer eingeschränkt repräsentativen
Stichprobe beruht, wurde das Buch
„TOP 500 Hauptstadt Berlin“ als Datenquelle aufgearbeitet. Es enthält, wie es
der Titel bereits andeutet, 500 Personen, die der Elite Berlins zugeschrieben
werden mitsamt der Adresse ihres jeweiligen Arbeitsortes.
Abb. 1: Wohnräume der
Funktionseliten innerhalb
Berlins
48
Von diesen 500 Personen entnahmen
wir jenen, die einen Namen von A bis
M trugen, sämtliche Arbeitsorte und
ordneten diese nach Postleitzahlen
den Berliner Bezirken zu. Im Ganzen
umfasste dieser Datensatz 243 Personen. Im darauf folgenden Schritt
recherchierten wir die Wohnorte der
jeweiligen Personen und sortierten
jene wiederum nach Postleitzahlen.
Die Bildung von Klassen anhand der
einzelnen Postleitzahlen hätte jegliche Übersichtlichkeit genommen. Eine
Zusammenfassung der Postleitzahlen
nach den zur Zeit existenten Bezirken
der Stadt Berlin, bietet dagegen eine
nicht zu klein- oder großräumige Aufschlüsselung, die dem Betrachter eine
schnellere Identifikation von Datenmaterial und bekannter Stadtteilstrukturen ermöglicht.
Die Karte, die die Verteilung der Wohnorte im Raum Berlin beschreibt, umfasst allerdings nur jene 94 Wohnsitze
der 243 Funktionsträger, die wir einwandfrei nach eingehender Recherche
zuordnen konnten oder öffentlich verfügbar sind. Offensichtlich ist ein Großteil der Funktionsträger nicht gewillt,
seine Privatadresse der Öffentlichkeit
publik zu machen. Ein Großteil gibt
in Publikationen und Telefonbüchern
keine Adresse an, oder bietet fantasievolle Wohnorte feil, die nicht existieren. Kompliziert stellte sich auch eine
Zuordnung von Personen dar, die über
mehrere Namensvettern verfügten, da
sie nicht mehr einer Privatadresse zuzuordnen waren. Sie mussten entfallen
und trugen zur Ausdünnung der Datensätze im Bereich der Wohnorte bei.
Trotzdem wir also nur etwa 40% der
Wohnorte verorten konnten, ist eine
Tendenz in der räumlichen Ausprä-
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gung zu erkennen, die sich in ihrer
Ausprägung, selbst bei Vollständigkeit
der Wohnorte, wohl nicht sonderlich
gewandelt hätte. Als problematisch bei
der Vorgehensweise stellte sich zudem
die Zuordnung der Postleitzahlen entsprechend den Wohn- und Arbeitsstätten heraus. Es existieren einige wenige
Postleitzahlen, die nicht nur einem
Bezirk zugeordnet werden können,
sondern für zwei Bezirke Gültigkeit
besitzen. Diese Gefahrenquelle wurde
zwar weitestgehend gebannt, indem
wir Adressen auf dem Berliner Stadtplan lokalisierten und uns im Anschluss
für die Zuordnung in einen Bezirk
entschieden; dennoch ist eine geringe
Fehlerquote nicht auszuschließen.
geringfügig in Frage stellt. Ein Wohnorteband, das sich vom Südwesten der
Stadt in nordnordöstlicher Richtung
durch die Stadt zieht, beschreibt am
nachvollziehbarsten die räumliche Konzentration der Wohnorte der Berliner
Funktionselite. Auffallend sind die absolut gering ausfallenden Werte in den
Berliner Ostbezirken mit der Ausnahme
Pankows, sowie das Meiden der „Problembezirke“ Neukölln und Kreuzberg.
Berliner Funktionseliten
Trotz der bereits angeführten Probleme
und Unsicherheiten, ist es uns in der
visuellen Umsetzung der Daten gelungen deutliche Disparitäten im Berliner
Raum aufzuführen.
Die bevorzugte Lage des Arbeitsortes
scheint ohne Frage der Bezirk Mitte
mit fast 35% der Arbeitsorte, der mit
deutlichem Abstand vor allen anderen
Bezirken eine Spitzenreiterrolle einnimmt. Nimmt man den zweiten Bezirk, also Charlottenburg- Wilmersdorf
mit rund 22% der Arbeitsorte hinzu, so
sind fast 60% der Arbeitsorte bereits
zugeordnet. Ein gedrehtes Tortenstück
ausgehend vom Zentrum Berlins mit
südwestlicher Ausrichtung, welches
nur Teile von Friedrichshain-Kreuzberg,
Tempelhof-Schöneberg und SteglitzZehlendorf umfasst, beschreibt die
räumliche Konzentration der Arbeitsorte der Funktionselite innerhalb Berlins
wohl am besten.
Die Wohnorte der Berliner Funktionselite lassen sich nicht so leicht in ein
Schema pressen. Hier fällt SteglitzZehlendorf mit etwa 34%, sowie
Charlottenburg-Wilmersdorf mit fast
22% der Wohnorte als Schwerpunkte
auf. Die Dominanz der Wohnlagen im
Südwesten der Stadt, die zusammengenommen weit über die Hälfte der
erhobenen Wohnorte umfasst, täuscht
allerdings nicht darüber hinweg, dass
beispielsweise Pankow als drittplatzierter Bezirk mit 11% die südwestliche
Dominanz durch die eigene Nordlage
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Abb. 2: Arbeitsräume der
Funktionseliten innerhalb
Berlins
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4.1 FREIZEITSTANDORTE: GESELLSCHAFTLICHE RÄUME IN BERLIN
Wirtschaftsnetzwerke, die regelmäßig zu gesellschaftlichen Anlässen einladen
1
American Chamber
of Commerce in
Germany
Charlottenstr.
42
MI
2
Arbeitsgemeinschaft
Selbständiger Unternehmer (ASU)
Reichstr. 17
CW
3
Berlin Capital Club
Mohrenstr. 30 MI
4
Berlin Lounge
Sybelstr. 6
MI
5
Bundesverband
junger Unternehmer
Reichstr. 17
CW
6
Business Angels
Club
Bundesallee
210
CW
7
China Club Berlin
Behrensstr.
72
MI
8
Club Berliner Wirtschaftsjournalisten
Fasanenstr.
85
CW
9
Collegium c/o BMW
Group
Unter den
Linden 42
MI
10
Pegasus Wirtschafts- und
Kulturkreis
Markgrafenstr. 36
MI
11
Private Thursday
Novalisstr. 11
MI
12
Mittelstands- und
Wirtschaftsvereinigung CDU
Leipziger
Str. 65
MI
13
Women‘s Business
Club
Fasanenstr.
28
CW
14
Interface!
Potsdamer
Str. 96
MI
Gesellschaftliche Netzwerke
50
15
Lions Club
Knesebeckstr. CW
50
16
Clemes Witt Rotaract Club
Pfalzburger
Str. 57
CW
17
Rotary Club
Bismarckstr.
36a
SZ
18
Women‘s International Zionist
Organization
Fasanenstr.
CW
19
Aktive Bürgerschaft
Albrecht-str.
23
MI
20
Global Panel
Kurfürstendamm 196
CW
21
Berliner Presse Club
Friedrichstr.
169
MI
22
Initiative Hauptstadt
Berlin
Radickestr. 48 TK
23
Tönissteiner Kreis
Breite Str. 26
MI
24
Zukunft Berlins
Tiergartenstr.
35
MI
25
Ambassadors Club
Jägerstr. 60
MI
26
Atlantik Brücke e.V.
Kupfergraben 7
MI
27
Das Corps
Friedrichstr.
MI
28
International Club
Berlin
Thüringer
Allee 11
CW
29
Preußische Gesellschaft Berlin-Brandenburg
Mohrenstr. 36
MI
30
Institute for Cultural
Diplomacy
Greifswalder
Str. 36a
PA
Cafés, Restaurants, Clubs (Gespräche, gesellschaftliche Veranstaltungen)
31
Café Einstein
Unter den
Linden 42
MI
32
Pomp Duck and
Circumstance
Möckernstr.
26
FK
33
Restaurant Borchardt
Französische
Str. 46
MI
34
90 Grad
Dennewitzstr.
37
MI
35
Adagio
Marlene-Dietrich-Platz 1
MI
Hotels (gesellschaftliche Veranstaltungen, regelmäßiger Treffpunkt von Clubs)
36
Ritz Carlton
Am Potsdamer Platz 3
MI
37
Hotel Interconti
Budapester
Str. 2
CW
38
Schlosshotel Vierjah- Brahmsstr. 10 SZ
reszeiten
39
Adlon
Unter den
Linden 77
MI
40
Hyatt
Marlene-Dietrich-Platz 2
MI
41
Hotel Savoy
Fasanenstr. 9 CW
42
Grand Hyatt
Marlene-Dietrich-Platz 2
43
Dorint
Rudower
Chaussee 15
44
Hilton
Mohrenstr. 30 MI
45
Novotel
Fischerinsel
12
MI
46
Steigenberger
Los-AngelesPlatz 1
CW
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
TK
47
Marriot
Inge-Beisheim-Platz 1
MI
48
Victor‘s Residenz
Hotel
Am Friedrichshain 17
PA
Kulturstätten
49
Hamburger Bahnhof
- Spiegel Party
Invalidenstr.
26
MI
50
Deutsches Historisches Museum
- Party von Aga
Khan
Unter den
Linden 2
MI
51
Friedrichstadtpalast
- Goldene Henne
Friedrichstr.
MI
52
Deutsche Oper
- Aids Gala
Bismarckstr.
SZ
53
Berlinale Palast
Marlene-Dietrich-Platz
MI
54
Theater am Potdamer Platz
Marlene-Dietrich-Platz
MI
55
Berlinale Palast
- Berlinale
Marlene-Dietrich-Platz
MI
56
Konzerthaus am
Gendarmenmarkt
- Goldene Kamera
Gendarmenmarkt
MI
MI
Kategorie Netzwerkatlas, in der Orte
genannt wird, an denen man wichtige
Leute treffen kann. Unsere Auswahl
gründet sich nicht auf einer simplen
Übernahme dieser Orte, sondern
beschränkt sich auf diejenigen, die zu
gesellschaftlichen Anlässen einladen.
Informationen über die Programme
der Clubs, Stammtische und Vereine
stammen aus Telefonaten und den
jeweiligen Internetseiten. Oft gibt es
nach einer Lesung oder einem Film
ein Buffet. „Da kann man dann gezielt
mit den richtigen Leuten sprechen,“
bemerkt L. Ähnliche Aussagen machten
auch AF, AG und HP. Die Orte sind für
unsere Untersuchung somit relevant.
Berliner Funktionseliten
Sonstige Orte
57
Atrium
Friedrichstr.
60
58
Schweizer Botschaft
Otto-von-Bis- MI
marck-Allee 4
59
Schloss Bellevue
Spreeweg 1
60
Eventagentur Die
Brandenburgs
Hubertusallee CW
37
61
Mercedes Welt am
Salzufer
Salzufer 1
CW
62
Ullstein Halle
Kochstr.
MI
63
Gänge des Bundestages
Platz der
Republik
MI
64
Seniorenresidenz
Uferpalais
Brauereihof 2
SP
65
Golf- und Landklub
Wannsee
Bismarckstr.
SZ
66
Ronald McDonald
Haus
Seestr.
MI
4.2 ERLÄUTERUNGEN ZUM
FREIZEITRAUM
MI
Die Auswahl der Freizeiträume oder
gesellschaftlichen Räume basiert auf
Auswertungen
unserer
Interviews,
Auswertung der Internetseiten von
Clubs wie dem Rotary Club und dem
„TOP 500 Berlin“. Dort gibt es die
Hotels
und
Nachtclubs
werden
übernommen, sobald sie regelmäßig
Veranstaltungen
von
wichtigen
Ereignissen
austragen.
Wie
zum
Beispiel das Hotel Vierjahreszeiten.
Dort lädt jedes Jahr Ulla Klingbeil zu
ihrer traditionellen Hut-Party.
Abb. 3: Verteilung der
gesellschaftlichen Räume
in den Berliner Bezirken
Der Zarenball oder die Berlinale Party
sind
andere
ähnliche
Ereignisse.
Entweder kostet der Eintritt zu
solchen Festen astronomische Preise
im vierstelligen Bereich oder es gibt
eine strenge Gästeliste. „Lobbyisten
sind nicht erwünscht“, heißt es auf der
Internetseite des Sabine Christiansen
Medientreffs, einer ein Mal jährlich
stattfindenden Charity Party. Vielleicht
ein Anzeichen, wie schwierig es ist, in
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
51
Berliner Funktionseliten
Berlin ein großes gesellschaftliches Fest
ohne Netzwerker zu veranstalten.
Im Dorint Hotel in Adlershof trifft sich
wiederum in regelmäßigen Abständen
der Rotary Club Adlershof. Insgesamt
gibt es 41 Rotary Abteilungen in Berlin
und Brandenburg. Mitglied kann nur
werden, wer von einem anderen
Mitglied vorgeschlagen wird. Direkt aus
den Interviews stammen zum Beispiel
die Orte Café Einstein und die Gänge
des Bundestages. L trifft dort wichtige
andere Entscheider und versucht
Prozesse in fremden Institutionen
zu beeinflussen. Die Atmosphäre
bei einem Café kann die Stimmung
durchaus auflockern und das Gespräch
anders beeinflussen als in einem
Büro. L macht sich die zu nutzen, sein
Gesprächspartner ebenfalls.
5. FAZIT
„Freizeit“ ist ein zentraler Begriff unserer Untersuchung. Erst wenn man versteht, was die Befragten unter Freizeit
verstehen, kann man überhaupt eindeutig Arbeits-, Freizeit- und Versammlungssräume (Mischräume) feststellen.
Es zeigte sich, dass die Befragten nicht
wirklich eindeutig zwischen Arbeit und
Freizeit unterscheiden können:
„Das sind Dinge, die fallen in den Rahmen der freiwilligen Grenze zwischen
Freizeit und Beruf. Da streiten sich die
Gelehrten. Muss ich dahin oder will ich,
wann ist es Freizeit, wann ist es der Beruf? Das lässt sich schwer abgrenzen.
Ich kann die Grenze selbst nicht richtig
ziehen. Zu meinem Beruf gehört auch,
dass man eine Beziehung zur Musik
hat, und nicht nur die Sache mit dem
Vorstand im Symphonieorchester.“
(AG)
AG nannte die Frage, wann er arbeite
und wann er frei habe, „eine typische
Arbeitnehmerfrage.“ Es bleibt dabei zunächst offen, inwieweit der von Fukuyama geprägte Begriff der Sozialnorm
als Handlungsmotiv für diese fehlende
Unterscheidung gilt. Es folgen vor allem zwei weitere große Fragen. Zum
einem, was sich hinter dem Sozialkapital versteckt, dass zur aufopferungswilligen Arbeitseinstellung führt und die
Auswirkungen auf die Familie und den
Freundeskreis. Gerade zu Personen,
die deutlich zwischen Arbeit und Freizeit unterscheiden, scheint der Kontakt
schwierig zu sein. AF gibt an „Freunde
verloren zu haben“. Sie hätten es nicht
verstanden, dass er seine Freizeit nicht
so planen könne wie sie. L man wer-
52
de nicht mehr eingeladen, wenn man
häufig absagen müsste. Als Ersatz
findet AF bei anderen Freiberuflern
mehr Verständnis und in ihnen neue
Freunde. L sucht im Rotary Club nach
Gleichgesinnten. Die verheirateten L
und AP berichten, dass ihre Ehen nur
halten, da sie ihre Partner als tolerant
und verständnisvoll einschätzen. Beide
Ehefrauen waren zuvor in ähnlichen
Arbeitspositionen tätig, in denen man
wohl ein ähnliches Maß an Sozialkapital
benötigt.
Wer Sozialnormen einhält, besitzt nach
Fukuyama Sozialkapital. Dieses versucht er dadurch näher zu erklären,
dass Individuen sich durch eine starke
Organisationsstruktur mit den Zielen
ihres Unternehmens oder ihrer Organisation identifizieren. Wichtig hierfür ist
die emotionale Bindung an das Unternehmen. Im Bezug auf „gesellschaftliche Räume“ hat das zwei Auswirkungen. Auf der einen Seite muss diese
Identifikation erreicht werden, damit
man überhaupt erst motiviert ist, und
Raum und eigentlich „freie Abende“
für die Firma verbringt (wobei es dann
nicht mehr für die Arbeit, sondern für
einen selbst getan wird). Die befragten
Experten, wiesen alle eine Affinität für
ihre spezielle Stelle auf. AF nannte seine Atelier beispielsweise sein „Baby“,
AP führte uns durch die Geschäftsräume und präsentierte, nicht ohne Stolz,
die Leistungen der Firma und auch
HSP gab an, er habe die Stelle unbedingt gewollt und konnte sich nicht
erinnern jemals eine andere Arbeit als
seiner jetzige gewünscht zu haben.
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Auf der anderen Seite benötige man
diese Begeisterung aber auch, um
beim „netzwerkeln“ glaubwürdig zu
erscheinen. Ohne Passion und Sympathie für Partner, funktioniere es kaum,
bestätigte AP. Gleichzeitig weisen ja
gerade Netzwerke eine extrem niedrige Spezifizität auf, d.h. die Leistungen
des Einzelnen sind kaum zu bewerten
und nachzuvollziehen. Daher lassen
sich einfache Kosten-Nutzen-Analysen
kaum erzielen. Sozialkapital ist daher
als Antrieb zu verstehen, sich in Netzwerke einzubringen.
Die von uns aufgeworfene Frage, wie
sich ein Kontaktnetz über die Stadt
verteilt können wir exemplarisch anhand unserer Karten aufweisen. Es
zeigt sich, dass die Arbeitsräume und
gesellschaftlichen Räume eine hohe
räumliche Korrelation aufweisen. Die
Wohnräume dagegen liegen oft sowohl
von gesellschaftlichen, wie auch von
den Arbeitsräumen entfernt (für nähere Erläuterungen, siehe Texte zu den
Karten). Es gibt überall in der Stadt
kleine Cluster von wichtigen Treffpunkten, meist auffällig in der Nähe zu Arbeitsorten. Dabei ist aber kein linearer
Übergang zu erkennen. Gesellschaftliche Räume und Arbeitsplätze liegen
dabei vor allem an historisch oder geographisch relevanten Orten, wie Unter
den Linden oder dem Potsdamer Platz.
So scheint das Sozialkapital, dass ein
Ort spendet, wie Bourdieu vermutet, in
Berlin durchaus relevant zu sein.
fragten allesamt überdurchschnittlich
viel arbeiten und ihre Arbeit als Passion
verstehen. Es lastet ein Druck auf den
Familie und Freundeskreis ausgesetzt
werden, dem kann aber durch Sozialnormen, durch gleiche Erfahrungen
entgegen gewirkt werden. Somit selektieren die Befragten, ob freiwillig
oder nicht, ihren Freundeskreis auf
Menschen mit ähnlicher sozialer Normierung. Eine Ausnahme bildet einzig
HSP, der von seiner Geburtstagsfeier
mit „dem Maurer und der Bardame“
erzählt. Einige Kollegen erstaune das
aber schon, gibt er zu.
Berliner Funktionseliten
Menschen mit ähnlichem sozialen Status oder mit ähnlicher Norm lernt man
über die Zeit auch an gesellschaftlichen
Orten kennen. Somit besitzen diese
Orte, auch wenn dort Geschäfte betrieben werden, ebenfalls eine Freizeitkomponente, die vom Eventcharakter
der Veranstaltung selbst abweicht. Die
Wohnorte scheinen indes der wahre
Rückzugsraum für das Abspannen
vom Arbeitsalltag zu sein. Trotzdem
geschieht dort Geschäftliches, wenn
man Vorarbeit leistet oder im Büro
anruft bzw. von zu Hause oder vom Urlaubsort aus Arbeit dirigiert. Dies wird
allerdings nicht als Belastung empfunden, was wiederum mit der Passion und
der Liebe zur Arbeit verbunden ist. Der
Wohnort kann als reiner Freizeitraum
gewertet werden.
Ob sozial Andersartige verdrängt
werden, kann man trotzdem nicht
bestätigen, aber auch nicht eindeutig
verneinen. Viele interessanter wäre es
ohnehin, mittels einer Ortsbegehung zu
untersuchen, ob es lineare Abschwächung von sozialkapitalstarken Bauten
in den Wohngebieten der „reichen“ Berliner gibt oder ob man sozusagen eine
„Berlin School of Postmodernity“ eröffnen kann, die zeigt, dass neben einem
Villenviertel ein sozialer Brennpunkt
liegt. Aus der Statistik allein kann man
das nicht beweisen.Die Anhäufung von
Wohnorten in der Umgebung lässt aber
darauf schließen, dass es in Berlin eher
moderne Stadtmuster gibt.
Es lässt sich feststellen, dass die BeGeographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
53
Berliner Funktionseliten
6. LITERATUR
Monographien & Zeitschriften
Bourdieu, Pierre (1997): Ortseffekte.
In: ders. u.a.: Das Elend der Welt,
Konstanz, S. 159- 167
Dahrendorf, Ralf ( 1965): Gesellschaft
und Demokratie in Deutschland, München
Dangschat, Jens (1997): Reichtum
und Wohlstand auf Kosten der Armen,
in: Huster, E.-U. (Hrsg.): Reichtum in
Deutschland, Frankfurt a.M./New York,
S. 321- 355
Espenhorst, Jürgen (1993): Reichtum als gesellschaftliches Leitbild,
in: Huster, E.U. (Hrsg.): Reichtum in
Deutschland, Frankfurt a.M./New York,
S.132-143
Fukuyama, Francis (2004): Staaten
bauen. Die neue Herausforderung
internationaler Politik, Washington,
Berlin.
Geißler, Rainer (2002): Die Sozialstruktur Deutschlands, Wiesbaden
54
Geschka, Horst (1997): Einsam an der
Spitze. Perspektiven für die Arbeitsund Lebensweisen des Topmanagers,
Berlin/Heidelberg
Girtler, Roland (1990): Die feinen
Leute
Hartmann, Michael (1997): Die Rekrutierung von Topmanagern in Europa,
in: Europäisches Archiv für Soziologie
38, S. 3- 37
Marcuse, Peter (1994): Wohnen in
New York – Segregation und fortgeschritten Obdachlosigkeit in einer
viergeteilten Stadt, in: Häußermann,
H. (Hrsg.): New York. Strukturen einer
Metropole, Berlin, S. 205 – 238
Prahl, Hans-Werner (2002): Soziologie
der Freizeit. Paderborn
Sassen, Saskia (1997): Metropolen
des Weltmarktes. Die neue Rolle der
Global Cities, Berlin/New York
Varian, Hal R. (2003): Grundzüge der
Mikroökonomie, München/New York
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
PHÄNOMENOLOGIE VON
LUXUSWAREN
EIN FELDFORSCHUNGSBERICHT
NICO BENEDICT | BEATRICE ELSNER | JOSEFINE HERRMANN
BENJAMIN MÜLLER | JENNIFER SCHÄFER
1.1 EINLEITUNG
Im Rahmen des Seminars über Reichtum in Berlin entschloss sich unsere
Gruppe sich näher mit den speziellen
Aspekten von Konsum im Zusammenhang mit Reichtum zu beschäftigen.
Wir gingen von der Grundannahme
aus, dass sich der Konsum im Segment
der Luxuswaren vom alltäglichen Konsum des durchschnittlichen Bürgers
unterscheidet und sich deshalb eine
nähere Betrachtung lohnen würde. Im
Folgenden soll der Ablauf der Arbeit
und dabei die angewandten Methoden
vorgestellt werden. Anhand von zwei
Beispielen werdenanschließend die
besonderen Aspekte des Luxuswarenkonsums dargestellt und die Ergebnisse der durchgeführten Untersuchung
präsentiert.
Im Allgemeinen gab es keine umfangreiche Literatur zum Thema Reichtum.
Eine Literaturauswahl mit speziell auf
Berlin bezogenen Texten, die sich allgemein mit dem Thema Reichtum beschäftigen oder aber auch zur Thematik des Warenkonsums, gab es nicht.
Bezug nahmen wir unter anderen auf
einen Text von Jürgen Espenhorst. Der
Text „Reichtum als gesellschaftliches
Leitbild“ beschäftigte sich vor allem mit
dem psychologischen Hintergrund von
Reichtum, warum also nach Reichtum
gestrebt wird, sowie mit der Funktion
von Besitz und Statussymbolen.
Das Buch „Europäische Konsumgeschichte“ lieferte wichtige Details über
die Ursprünge der Konsumgesellschaft,
zu Luxus und Luxusdebatten, über die
Funktion des Luxus mit Bezug auf Veblen und die Ambivalenz von Luxusartikeln. Nachdem wir uns für die Beispiele
Juweliere und Autohändler des Hochpreissegments entschieden hatten,
befassten wir uns mit Texten über den
kulturwissenschaftlichen Hintergrund
speziell von Uhren und Automobilen.
Hier wurde der „Weg“ vom Luxusobjekt
zur Massenware skizziert.
1.2 HERANGEHENSWEISE UND ARBEITSAUFTEILUNG
Hinsichtlich der dürftigen Literaturlage
zu selbst einfachen Fragen zur Thematik, entschieden wir uns erst einmal
von einer allgemeinen Fragestellung
auszugehen. Wesentlich dazu erschienen uns die Punkte wer konsumiert wo
und wie in Berlin. Wichtig hierbei war
es die zentralen Orte von Konsum in
Berlin zu finden, die Konsumenten zu
identifizieren und deren Konsumverhalten zu charakterisieren. Außerdem
sollte ermittelt werden, wie groß der
Einfluss der allgemeinen wirtschaftlichen Situation auf die Nachfrage nach
Luxusprodukten
ist.
Abschließend
sollten Fragen zur Warenpräsentation
und Konsuminszenierung beantwortet
werden.
Von diesen Fragestellungen leiteten
wir Thesen ab, die wir in unseren Interviewergebnissen teilweise bestätigt
fanden, die aber zum großen Teil auch
deutlich abwichen.
Nachdem wir uns für zwei Untersuchungsgebiete entschieden hatten, bot
es sich an unsere Gruppe aufzuteilen,
damit sich jede Gruppe auf ein Gebiet
spezialisieren konnte. Bei der Auswertung und Darstellung der Ergebnisse
wurde diese Aufteilung beibehalten.
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
55
Phänomenologie von Luxuswaren
1.3 METHODISCHE ANSÄTZE
In einer ersten Überlegung entschieden wir uns für einen standardisierten
Fragebogen. Es war geplant, diese Fragebögen an verschiedene Anbieter von
Luxuswaren bzw. Luxusdienstleistungen zu verschicken. Angedacht waren
Galerien, Hotels, Immobilienhändler
und exklusive Clubs des Hochpreissegments. Wir gelangten dann allerdings zu der Überzeugung, dass die
Rücklaufquote nicht ausreichend wäre,
um effektiv damit arbeiten zu können,
bzw. das die Fragebögen erst gar nicht
die entscheidenden Personen erreichen
könnten. Ein weiterer wesentlicher Fakt
war das breite Spektrum, in denen wir
unsere Recherchen durchführen wollten. Auch die Auswahl der von uns
angedachten Objekte gestaltete sich
sehr schwierig.
Wir entschieden uns stattdessen für
Konsumgüter aus der Juwelier- und
Autobranche. Hier wendeten wir die
direkte Methode der Befragung in
Form von Interviews mit einem flexiblen Leitfaden an. Der Vorteil dieser
Methode war die direkte Verfügbarkeit
der Daten. Außerdem konnte man auf
den Interviewpartner besser eingehen.
Missverständliche Fragen konnten erklärt werden und eine ganze Menge an
Zusatzinformationen konnte aus Beobachtungen gewonnen werden oder
aber die Interviewpartner sprachen
bereitwillig mehr als geplant über das
Thema.
In den von uns ausgewählten Untersuchungsgebieten rund um den Kurfürstendamm und in der Friedrichstraße
gingen wir meist zu zweit in die Geschäfte. Dort trugen wir unser Anliegen vor. Entweder konnten wir unser
Interview sofort ausführen oder aber
wir vereinbarten einen Termin. Die
Befragung führte einer der Interviewer
aus, der andere schrieb und beobachtete. Allerdings konnte der Schriftführer natürlich auch ergänzende Fragen
stellen. Abschließend fotografierten wir
einige Objekte, allerdings von außen.
Wegen der Sicherheitsbestimmungen
konnte vor allem in Juwelieren nicht im
Inneren fotografiert werden.
56
Allerdings gab es auch Absagen entweder aus Sicherheitsgründen oder aus
Zeitmangel. Wenn die Interviews aber
durchgeführt wurden, erwiesen sich
unsere Gesprächspartner doch recht
kooperativ und informationsfreudig und
die von uns angegebene Zeit von ca.
20 min wurde immer überschritten.
EXKURS 1: LUXUS, NEID UND SOZIALE
NACHAHMUNG
Luxus: Dieser Begriff steht für das, was
sich nur eine Minderheit leisten kann.
Luxus bezeichnet Dinge, die überflüssig
sind, also jenes, was keiner Notwendigkeit entspringt.
Aber trotzdem ist Luxus auch ein relativer Begriff, denn mit steigendem
Wohlstand wurde vielfach verschwenderisch bezeichneter Luxus notwendig
empfundener Konsum. In diesem Zusammenhang sprach Max Weber von
einer „Demokratisierung des Luxus“, in
der er die „entscheidende Wendung des
Kapitalismus“ sah.
Über Luxus wurde vielfach debattiert. Besonders im 18. Jhd. wurden
„Luxusdebatten“ durchgeführt. Diese
befassten sich mit dem Verhältnis der
Kommerzialisierung der Wirtschaft, der
gesellschaftlichen und der politischen
Ordnung.
In England wurde befürchtet, dass man
in Folge von Verschwendung und übermäßigen Konsum modisch bedingter
Luxusartikel und Extravaganzen in allen Volksschichten dem Untergang entgegensteuert. Begründet wurde dies
damit, dass der ungewohnte Wohlstand
Schwäche, Dekadenz und Verweichlichung nach sich zieht. Die Bedrohung
des sozialen und politischen Status
wurde im sozialen Nachahmungsdrang
gesehen. Luxus wurde als ein „subversives Element in einer gottgewollten
Ordnung“ angesehen und mit dem Niedergang der Sitten, der Stabilität und
der Vernunft gleichgesetzt.
Aber es gab auch Fürsprecher für das
Konsumstreben. Man sah den Geist
der Gleichheit in der die verschiedenen
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
gesellschaftlichen Ränge aufgeweicht
werden. Es entwickelte sich eine neue
Wirtschaftsethik, die in der Verurteilung
zur Armut einen Widerspruch in den
Leitsätzen einer sich auf den Handel
stützenden Nation sah. Die Ökonomen
wurden zu Verfechtern des luxusorientierten Konsums, die einen wirtschaftlichen Nutzen im Nachahmungsdrang
und in den Klassenrivalitäten sahen.
Mit der Ausbreitung des Luxus von den
oberen zu den unteren Rängen, verlagerten sich auch die Angriffspunkte der
Kritiker. Anfangs wurde der Luxus der
Aristokratie angeprangert, es folgte der
des bürgerlichen Finanzadels, dann der
des mittleren Bürgertums, gefolgt vom
Luxus der Arbeiter und zu guter letzt
auch der Luxus der Armen.
Thorstein Veblen liefert zu dem Thema
des Konsums wichtige Kernthesen. Er
behauptet, dass Konsum eine soziale
Tätigkeit sei und Besitzbedürfnis die
Funktion des sozialen Status ist. Die
Motivation nach Besitz hat seine Wurzeln im Nachahmungsdrang. Dieser
Prozess durchläuft die Gesellschaft
von oben nach unten. Zwischen benachbarten Sozialschichten gestalten
sich die Rivalitäten besonders heftig,
denn die Besitzverhältnisse und das
Konsumverhalten weisen nur graduelle
Unterschiede auf. Laut Veblen hat die
Anhäufung von Eigentum das Ziel mit
der übrigen Gesellschaft ökonomisch
gleichrangig zu sein.
Nach Freud beeinflusst die Reinlichkeitserziehung durch die Eltern die
Einstellung der Kinder zu Geld. Er sieht
die Fäzes als ersten Besitz des Kindes
und vergleicht deren Zurückhaltung als
erste Art der Sparsamkeit und diese ist
nach Freud eine Grundvorrausetzung
zur Ausbildung von Reichtum.
Phänomenologie von Luxuswaren
Freud bezeichnet dies als den analen
Zwangscharakter des Geldes. Im Kern
bedeutet das, dass die Einstellung zu
Geld und das Streben nach Reichtum
durch die Erziehungsmethoden der
Eltern maßgeblich beeinflusst werden.
Wenn die Kinder dann später erwachsen sind, erziehen sie ihre Kinder
meist nach ihrem eigenen oder dem
Bild der Eltern und bewirken so, dass
diese erzieherische Tradition eine Gesellschaftsordnung schafft, die den
Charakter der ersten Generation perpetuiert. „Das Streben nach Besitz ist
demnach kein ursprünglicher, sondern
ein erziehungsbedingtes Verhalten.“
(Espenhorst 1997, S.135).
Als treibende Kraft sieht er die Mode,
denn diese signalisiert den sozialen
Status durch Kleidung und private
Gebrauchsgegenstände. Die Zuschaustellung von Gütern dient somit der
Image-Gestaltung eines Jeden, Gegenstände werden zu Statussymbolen.
EXKURS II: DAS STREBEN NACH
REICHTUM
Auch der bekannte Psychoanalytiker
S. Freud hat sich seine Gedanken zum
Thema Reichtum gemacht und eine
sehr eigene Erklärung für das Streben
der Menschen nach Besitz gefunden.
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
57
Phänomenologie von Luxuswaren
2. DAS AUTOMOBIL IN DEUTSCHLAND VOM LUXUSGUT ZUM GEBRAUCHSGEGENSTAND
Ökonomisch gesehen wirkten bei der
Entwicklung vom Luxusgut zum Gebrauchsgegenstand
zwei Faktoren
zusammen: Wohlstandssteigerung und
Kostenreduzierung. Im Gebrauchswert
hat das Auto den Nutzen Personen und
Güter von A nach B zu transportieren,
er bietet dem menschlichen Bewegungsdrang somit eine motorische Verstärkung. Symbolisch gesehen spiegelt
das Auto auch das Einkommen und den
Stand des Besitzers wider.
Im Folgenden werden drei dominierende sich historisch überlagernde Nutzungsweisen des Automobils betrachtet, nämlich als Sport- und Spielzeug,
als Repräsentationsfahrzeug und als
Gebrauchsgegenstand.
Die Anfangsphase des Automobilzeitalters wurde durch das Motto „wenig
fahren - viel basteln“ geprägt. Die
Zuverlässigkeit der Fahrzeuge war
begrenzt und auch die Infrastruktur
war noch nicht für Autos ausgelegt.
Der Verbrauch an Benzin, Kühlwasser
und Öl war enorm hoch. Die Reinigung
und Wartung des Fahrzeuges erforderte viel Zeit. Außerdem erforderte das
Autofahren viel Geschick und Kraft.
Zeitgenössisch wurden Autofahrer als
exzentrisch belächelt. Das Auto in dieser Ära war Sport- und Spielzeug.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts
erreichte das Automobil ein repräsentatives Äußeres und auch die Zuverlässigkeit stieg an. Die Aufgaben der
Wartung und Reparaturen wurden an
einen Chauffeur delegiert. Aber noch
mehr als der Chauffeur symbolisierte der Wagen selbst Wohlstand und
Reichtum. Diese Luxuswagen, ein
zeitgenössischer Begriff, überschritten
nach der Jahrhundertwende die Zehntausend- Mark Grenze, der Maximalpreis lag bei DM 30.000. Das allerdings
waren nur die Anschaffungskosten.
Dazu kamen dann noch die jährlichen
Unterhaltskosten, die ca. die Hälfte des
Anschaffungspreises betrugen. Die Au-
58
tomobilkäufer kamen aus der Gruppe
derjenigen, die ein Jahreseinkommen
von über DM 10.000 hatten. Damals
waren das ca. 2% der Bevölkerung.
Diese Einkommensgruppe wurde nicht
mit dem Preis beworben, man wies
lediglich auf andere hochgestellte Automobilbesitzer hin. Der symbolische
Wert des Autos wurde vorangestellt, es
war Repräsentationsfahrzeug.
Mit dem Anwachsen der Funktionssicherheit wurde das Automobil für die
geschäftliche und berufliche Nutzung
interessant. Der Prozess setzte kurz
nach der Jahrhundertwende ein. Einige
Berufsgruppen und Gewerbe interessierten sich für das Auto: Motortaxen
traten an die Stelle der Pferdedroschken, Landärzte, Versicherungsvertreter, Zeitungsverlage, Bäckereien und
Milchgeschäfte bedienten sich der Motorkutsche. Mit der Zeitersparnis konnte der Umsatz angehoben werden.
Mit der Zeit erhöhte sich der Anteil der
Gebrauchswagen immer weiter. Die
wichtigste Käuferschicht kam nun aus
dem gewerblichen Mittelstand. Das
Auto war nun nicht mehr primär „Konsumgut“ sondern „Produktionsmittel“.
Die Motive der Sportlichkeit und des
Prestiges zur Anschaffung für ein Wagen bestanden weiter, aber sie hatten
an Dominanz eingebüßt.
In der Zeit des Nationalsozialismus
wurden Begriffe wie „Allgemeingut“,
Gebrauchsobjekt“ und „Gebrauchsartikel“ für das Auto relevant.
In der bundesdeutschen Wohlstandsgesellschaft wurde das Auto schließlich
zum Freizeitverkehrsmittel. Die Massenmotorisierung setzte Anfang der
1950er Jahre ein. Das Auto wurde zum
Freiheitssymbol. Seit 1960 wurden im
PKW mehr Kilometer in der Freizeit
zurückgelegt als beruflich. Der PKW
war somit kein Investitionsgegenstand
mehr, es wurde zum Konsumgut.
Geographisches Institut
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Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Mit zwei zentralen Schlagworten lässt
sich die Entwicklung im 19. und 20.
Jahrhunderts beschreiben: Wachstum
und Individualisierung. Das Auto ist
zum dominierenden Verkehrsmittel
geworden und dient überwiegend dem
privaten Freizeitkonsum.
2.1 AUSWERTUNG DER INTERVIEWS
IN DER AUTOMOBILBRANCHE
Der Grund, aus dem wir das Auto zum
Gegenstand unserer Untersuchungen
über den Luxuswaren-Konsum in Berlin
gemacht haben, ist der folgende: Das
Auto verkörpert das klassische Beispiel
für Luxus-Konsum. Das Auto gilt als
das Statussymbol schlechthin, gerade
in Deutschland, und in der Regel kann
man aus dem Auto auch auf den Wohlstand seines Besitzers schließen.
Grundlage für die nachfolgenden Ausführungen sind drei Interviews, die in
Autohäusern der Marken Porsche, Ferrari und Maserati sowie Bentley durchgeführt wurden. Ursprünglich wurden
mehr Interviews durchgeführt, diese
konnten jedoch aus verschiedenen
Gründen (Unvollständigkeit aufgrund
des Zeitmangels der Interviewpartner
etc.) leider keine Berücksichtigung finden. Folglich haben wir drei erfolgreich
durchgeführte Interviews ausgewählt.
Warum haben wir uns gerade für diese
Autohäuser entschieden? Bei der Auswahl unserer Interviewpartner sind wir
zum einen danach gegangen, was wir
persönlich als Edel-Automarken erachten. Die Auswahl erfolgte also nach unserem persönlichen Bild und gewissen
damit verbundenen Erwartungen, wie
zum Beispiel hohen Preisen und der
Assoziation mit Luxus. Zum anderen
haben wir versucht, uns in Anlehnung
an unsere These, nach welcher der
Kurfürstendamm und die Friedrichstraße als Standorte für Anbieter von
Luxuswaren prädestiniert sind, auf
Autohäuser an eben diesen Straßen
oder zumindest in deren Umgebung
zu stützen. So haben wir uns für ein
Autohaus an der Friedrichstraße/Unter
den Linden entschieden, welches unter
anderem Bentley vertritt. Des Weiteren
haben wir das Porschezentrum BerlinCharlottenburg und einen Ferrari- und
Maserati-Händler im Meilenwerk in
Tiergarten ausgewählt.
Phänomenologie von Luxuswaren
Die Fragen des Interviews orientierten sich dabei vornehmlich an den
zu Beginn des Projekts aufgestellten
Fragestellungen. So gliederte sich der
Interviewleitfaden in drei große Blöcke
mit Fragen zum Geschäft selbst, zu den
Produkten und zu den Kunden. Die fünf
zu Beginn aufgestellten Grundfragen
spiegeln sich also deutlich in diesen
Blöcken wieder. Im Allgemeinen kann
man sagen, dass sich die Mitarbeiter
der Autohäuser uns gegenüber sehr
freundlich und teilnahmebereit zeigten.
Im Fall des Bentley-Autohauses führte
uns der Mitarbeiter sogar in die sonst
unzugänglichen, sehr exklusiven Verkaufsräume.
Was die Inneneinrichtung der Autohäuser bzw. die Gestaltung der Präsentationsräume allgemein betrifft, so kann
man sagen, dass sich die Exklusivität
der Produkte auch in einer aufwendigen und sehr edlen Gestaltung widerspiegelt, zum Beispiel durch die
Verwendung edler Materialien. Auffällig
war in allen Geschäften auch die Präsentation von allerhand exklusivem
und hochpreisigem Zubehör, wie zum
Beispiel passendem Gepäck oder sonstigen Accessoires, von denen das wohl
kurioseste ein Bentley-Campingstuhl
war.
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Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Abb. 1: Campingstuhl und
weitere Accessoires der
Marke Bentley
59
Phänomenologie von Luxuswaren
Abb. 2: exklusive Verkaufsräume und Ausstellungsstücke
Bezüglich der Standorte der Luxus-Autohäuser lässt sich zusammenfassend
folgendes festhalten. Im Gegensatz zu
Juweliergeschäften zeichnen sich die
Autohäuser nicht durch eine räumliche
Konzentration auf die Friedrichstraße
und den Kurfürstendamm aus, was allein schon auf Grund der branchenspezifischen Platzansprüche erklärbar ist.
Dennoch kann man auch hier von einer
relativen Konzentration sprechen. Es
ist erkennbar, dass die Autohäuser die
räumliche Nähe zum Kurfürstendamm
als ehemalige City-West suchen. So ist
ein Clustering von Luxus-Autohäusern
in Charlottenburg und Tiergarten zu
beobachten. Eben diese Konzentration
von Autohäusern, zu denen unter anderem Maybach, Mercedes, Audi und
Chrysler gehören, veranlasste nach
Aussage unseres Interviewpartners
auch das Porschezentrum Berlin, sich
hier niederzulassen. Als Grund für diese Konzentration in räumlicher Nähe
zur City-West wurde genannt, dass die
Kundschaft im Westteil der Stadt wohne und somit dort das Geld zu holen
sei. Der Ferrari- und Maserati-Händler,
der sich räumlich gesehen ebenfalls in
diesem Cluster befindet, sagte zwar
von sich aus, dass der Stadtteil für ihn
bei der Standortwahl eine eher untergeordnete Rolle spielte, betonte aber,
dass er sich auf gar keinen Fall im Ostteil der Stadt angesiedelt hätte, da dort
kein Geld vorhanden sei und die Kundschaft sowieso im Westteil wohne.
Die einzige Ausnahme bildet hierbei das
Bentley-Autohaus, das sich ganz bewusst für den Standort Friedrichstraße/
Unter den Linden im ehemaligen Ostteil
60
der Stadt entschieden hat. Grund hierfür sei die einmalige und weltbekannte
Adresse, die von sich aus schon für Repräsentativität stehe. Auf die Frage, ob
man sich den Standort auch in einem
anderen Stadtteil Berlins vorstellen
könne, betonte man hier die außerordentliche Wichtigkeit dieses Stadtteils,
seine Stellung als einziges Luxus-Autohaus im alten Zentrum Berlins und
antwortete ganz entschieden mit nein,
da die Repräsentanz das Ausschlag gebende Kriterium sei.
Insgesamt jedoch betonten alle befragten Autohändler die Wichtigkeit ihres
Standortes in Berlin. Obwohl sie auch
in allen anderen großen deutschen
Städten Vertretungen hätten, und diese, wie im Fall der Porschevertretung
in Hamburg unter Umständen aufgrund
deutlich höherer Umsätze auch wesentlich größer seien, sei der Standort
in Berlin aufgrund der guten Nachfrage
und des Hauptstadteffektes von enormer Wichtigkeit für den Konzern.
Bezüglich der Produkte der Luxus-Autohäuser und vor allem ihrer Kunden
hat sich in den Interviews folgendes
ergeben. Die Preisspanne der Luxusgefährte liegt in den drei von uns befragten Autohäusern zwischen € 50.000
(für einen Porsche) und € 1.160.000
(für einen Bentley). Preislich befinden wir uns hierbei also im absoluten
Hochpreissegment, was von den Autohändlern auch immer wieder betont
und als sehr wichtig für die Exklusivität bezeichnet wurde. Der Mitarbeiter
des Bentley-Autohauses ging sogar so
weit, bei einem Bentley Continental für
€ 160.000 von einem „Schnäppchen“
und „Massenware“ zu sprechen.
Auf die Frage, wie sie denn ihre Kunden
auf die Produkte aufmerksam machen,
reagierten die Autohändler verschieden. Bentley und Porsche gaben an,
ihre Produkte durch Anzeigen in Printmedien wie Automobilzeitschriften und
Diplomatenzeitschriften, aber auch im
Radio und durch Direktwerbung vorzustellen. Das Ferrari- und Maserati-Autohaus gab hingegen an, dass Print-Werbung nicht nötig sei. Sie setzen eher
auf exklusive Kundenveranstaltungen,
die Verteilung von Informationen an
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Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
ausgewählte Kunden oder die direkte
Ansprache bestimmter Kunden.
Insgesamt spiele Werbung aber für
alle drei befragten Autohäuser keine so
große Rolle, da 60 bis 70% ihrer Kunden „Wiederholungstäter“, das heißt
Stammkunden seien. Alle Autohäuser
gaben an, dass diese Stammkundschaft eine enorme Bedeutung für sie
habe und sie hauptsächlich davon leben würden.
Auf die Frage, ob es denn den typischen
Kunden gebe, antworteten die Interviewpartner unterschiedlich. Während der
Ferrari- und Maserati-Händler meinte,
den durchschnittlichen Kunden gibt es
nicht und von einer sehr heterogenen
Käuferschaft sprach, lassen sich die
Aussagen des Bentley- und des Porsche-Händlers bezüglich ihrer Kunden
folgendermaßen zusammenfassen. Der
Durchschnittskunde, ist (zumindest bei
Bentley zu 98%) männlich, zwischen
45 und 58 Jahren alt und beruflich
als Arzt, Rechtsanwalt oder ähnliches
erfolgreich. Oder wie man bei Bentley
meinte, sind es eher die älteren, die
das nötige Kleingeld haben.
Dazu eine kleine Anekdote: Während
unseres Interviews mit dem BentleyMitarbeiter wurden wir auch prompt
mehrmals von einem älteren Kaufinteressenten im Gespräch unterbrochen,
mit der Begründung, dass wir ja eh nur
unwichtige, schulische Fragen stellen
würden und er ja wenigstens Interesse an dem Wagen hätte. Laut unserer
Interview-Partner kommen die Kunden
aus der Region Berlin-Brandenburg,
dabei jedoch vor allem aus Westberlin
und besitzen in der Regel schon einen
kleinen Fuhrpark bestehend aus 4 bis
8 Autos, darunter immer ein Mercedes,
BMW, Porsche, Aston Martin, Jaguar
oder Rolls Royce.
Bezüglich des Konsumverhaltens der
Kunden konnten wir folgende Feststellungen machen: Die verschlechterte
wirtschaftliche Situation in Deutschland
hat keinerlei Auswirkungen auf den Absatz der Luxus-Automobile. Der Grund
hierfür liegt darin, dass mit steigender
Exklusivität der Produkte die Kunden
zunehmend unabhängiger von der
allgemeinen wirtschaftlichen Lage werden. Der Mitarbeiter des Bentley-Autohauses meinte sogar, dass es sich bei
der verschlechterten wirtschaftlichen
Situation um reinen Populismus handele, so etwas gebe es gar nicht. Die
Nachfrage sei nach wie vor ungebrochen. So werden bei Ferrari und Maserati 4.900 Autos pro Jahr produziert, es
gibt jedoch doppelt so viele Anfragen.
Bei Bentley ist die Nachfrage sogar so
groß, dass Teile der Produktion von
Manchester nach Dresden ausgelagert
werden mussten.
Phänomenologie von Luxuswaren
Eine weitere Erkenntnis ist, dass es
Unterschiede zum Kaufverhalten der
Kunden in Hamburg gibt. In Berlin
kaufen die Kunden eher spontan und
nehmen dabei gern auch Wartezeiten
von 1 bis 2 Jahren in Kauf. Der Preis
spielt dabei keine Rolle. Selbst bei Preisen jenseits der € 200.000, was einem
Einfamilienhaus entspricht, werden die
Kaufentscheidungen relativ spontan
gefällt. Dabei hat der Autokauf fast
nichts mehr mit Vernunft zu tun. Die
Anschaffung des Automobils erfolgt dabei in der Freizeit, in Ruhephasen und
dient oft als spontane Belohnung für
den Kunden selbst.
Als Gründe für den Kauf vermuteten die
Autohändler zwar zum einen die Qualität und Wertstabilität der Produkte. Andererseits spielen aber auch Status und
der Neidfaktor eine große Rolle. Nach
Meinung des Bentley-Mitarbeiters ist
diese Neidkultur eine typisch deutsche
Erscheinung. Ein weiterer wichtiger Anschaffungsgrund ist der des Sammelns.
Viele Kunden erwerben Luxus-Autos als
Sammlerstücke, so dass man fast von
Spielzeugen für „große Kinder“ sprechen kann.
EXKURS III: DIE GESELLSCHAFTLICHE
FUNKTION DES REICHTUMS
In seinem 1899 erschienenen Buch „The
Theory of the Leisure Class“ beschreibt
Thorstein Veblen die gesellschaftliche
Funktion des Reichtums als sichtbares
Zeichen von Erfolg. dadurch wird Besitz zur Grundlage von Prestige und
Ansehen. Und wer sich so einen guten
Namen gemacht hat sieht sich in der
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Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
61
Phänomenologie von Luxuswaren
Folge gezwungen, diesen durch weiteren Erwerb und die Vermehrung seines
Besitzes zu sichern. „Ist Besitz einmal
zur Grundlage des öffentlichen Ansehens geworden, so bildet er alsbald die
Vorraussetzung für jenes selbstgerechte Gefühl, dass wir als Selbstachtung
bezeichnen. In jeder Gesellschaft, die
das Privateigentum kennt, muss der
Einzelne im Interesse seines inneren
Friedens mindestens ebensoviel besitzen, wie jene mit denen er sich auf eine
Stufe stellt. Im demonstrativen Müßiggang und Konsum, in einem speziellen
Aufwand für die Lebenshaltung, […]
und im Glauben an sein Glück realisiert
sich das besondere Lebensgefühl der
Reichen.“ (Veblen 1899)
Das Ableiten von Prestige aus dem
angehäuften Besitz ist allerdings nur
durch die Konkurrenz und den Neid
der Gruppenmitglieder möglich und
nach einer Untersuchung von Hermann
Schoeck von 1980 entwickelt sich dieser
Neid erst in sozialer Nähe. Die Durchschnittsbevölkerung sieht sich nicht in
Konkurrenz zu den Superreichen der
Gesellschaft, sondern in erster Linie zu
seinen Nachbarn und zu den Menschen
die auf der gleichen sozialen Stufe wie
sich selbst sieht.
3. UHRENLUXUS - LUXUSUHREN
Im Folgenden soll die Geschichte der
ambivalenten Bewertung von Gebrauchsgegenständen skizziert werden. Die Faszination an Luxusuhren ist
immer noch ungebrochen, aber die Uhr
heutzutage ist zu einem Massenartikel
und sogar schon zu einem Wegwerfartikel geworden. Man hat nicht mehr
nur eine Uhr, man hat eine Uhr zu jeder
Gelegenheit.
Der Gebrauchswert der Uhr liegt in
der Zeitanzeige. Der Zusatzwert der
Uhr, also der Luxus, lässt sich hingegen schwerer fassen. Heutzutage ist
bei fast allen Zeitmessern im privaten
Gebrauch die Grenze zwischen Gebrauchswert und Zusatzwert fließend.
Der Uhrenluxus lässt sich einerseits
hinsichtlich der Ausstattung und der
Dekoration des Gehäuses, an dem verwendeten Edelmetallen und Edelsteinen
betrachten (Kunstgeschichte, Juwelierkunst), also an Dingen, die nicht direkt
mit der Zeitindikation und Zeitmessung
zu tun haben. Andererseits zählen aber
auch technische Innovationen, technische Verfeinerungen und Raffinessen
als Luxus. Historisch betrachtet wird
hier die Ambivalenz des Luxusbegriffes
deutlich.
62
Luxusuhren sind nicht nur wegen ihrer hohen Preise exklusiv, sondern
wegen ihrer geringen Stückzahl. Die
Herstellung solcher Spitzenprodukte
kann bis zu einem Jahr dauern und
das trotz modernster Konstruktionsund Produktionsmethoden. Die hoch
qualifizierte handwerkliche Arbeit ist
immer noch ein wichtiger Bestandteil
der Produktion. Die Stückzahlen bleiben gering und lassen sich auch nicht
aus verschiedenen Gründen erhöhen.
Durch Zuteilungsriten von den Firmen
wird die Exklusivität der besten Uhren
noch mehr unterstrichen. So kann auch
ein Krösus nicht mehrere Uhren gleichzeitig bestellen, auch er muss warten.
Bei der Betrachtung der langen Geschichte der Uhr sollte man sich von
der Auffassung trennen, dass der Uhrenkonsum überwiegend privater Natur
war.
Im frühen Mittelalter wurden einfache Wasserauslaufuhren zum Wecken
benutzt. Seit der Jahrtausendwende
versah man diese Wasseruhren mit
mechanischen Signalgebern, es folgten
wohlklingende kleine Glocken, dann
melodiöse Glockenspiele. An der immer
aufwendiger werdenden Ausstattung
klösterlicher Uhrwerke wurde schon
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Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
im 13. Jahrhunderts Kritik geübt. Es
wurde Zuverlässigkeit statt Kostbarkeit
und überflüssiges Beiwerk gefordert.
Ende des 13. Jahrhundertsfolgten Automatenensembles (Figurenspielwerke,
Mondphasenanzeigen, Festtagskalender), die ihre Vorbilder im islamischen
Raum hatten. Hier war die Uhrenkunst
schon hunderte Jahre früher ausgeprägt worden und Europa war dagegen
technisch rückständig. Die in Europa
gebauten Automaten dienten meist nur
nebenbei der Zeitanzeige, viel wesentlicher waren ihre repräsentativen und
didaktisch- demonstrativen Zwecke.
Im 14. Jahrhunderts übernahm Europa
die technologische Führungsrolle und
wurde zum Exporteur mechanischer
Uhren.
Uhren befanden sich in umfangreichen
Sendungen von Luxuserzeugnissen, sie
waren diplomatische Geschenke oder
auch Tribute, v. a. an das Osmanische
Reich, um an die Einhaltung des vereinbarten Waffenstillstandes zu erinnern.
Mit der Einführung der gleichlangen
Stunden und der Erfindung der automatischen Stundenschlagwerke werden
intensiv öffentliche Uhren an Kirch- und
Stadttürmen angebracht. Dazu wird
jeder erdenkliche Aufwand betrieben.
Die Städte versuchen sich untereinander mit der Ausstattung der Uhren
zu überbieten (Statusrepräsentation,
Prestigekonkurrenz). Anhand aufwendiger Uhreninstallationen wurden die
Ehre einer Stadt und ihr Rang im Städteumfeld gekennzeichnet. Ansätze von
„Luxusdebatten“ hat es im öffentlichen
Raum bzw. im Bereich öffentlicher Investitionen nicht gegeben.
Ordnungen zur Einschränkung des
„unziemlichen Aufwandes in der Öffentlichkeit“ erlassen. Der Luxus in
der häuslichen Sphäre hingegen wurde
nicht von der Obrigkeit reguliert.
Das 16. und 17. Jahrhundert ist die Zeit
der ausgesprochen luxuriösen, technisch aber kaum noch innovativen Uhren aus Nürnberg und Augsburg (zum
Beispiel das „Nürnberger Ei“). Diese
waren auch Gegenstände des privaten
Konsums und sehr teuer, wurden aber
nicht dem Luxus zugeordnet. Könige,
Adlige und Wohlhabende aus höheren
Ständen ließen sich gern mit kunstvoll
gefertigten Taschenuhren portraitieren.
Man würdigte die ungewöhnliche Technik und konnte mit diesen Objekten auf
ein tugendhaftes Leben, auf ein geordnetes Leben nach der Zeit, verweisen.
Im weiteren Verlauf der Entwicklung
konnten Uhren durch Arbeitsteilung
besser und billiger hergestellt werden.
So waren im 18. Jahrhundert. in London über einhundert verschiedene Gewerbe mit der Herstellung von Uhren
beschäftigt. Die Uhr im 18. Jahrhundert
blieb zwar immer noch Luxusartikel
und Statussymbol, war aber für größere Gruppen als Gebrauchsgegenstand
zugänglich. Es wurden in dieser Zeit
schon Plagiate von Luxusuhren mit billigeren Materialien hergestellt.
Im 15. Jahrhundert werden die Uhren
kleiner und transportabler. Eine neue
spezialisierte Berufsgruppe, die des
Kleinuhrmachers, entwickelt sich. Zu
den Kunden des Kleinuhrmachers zählen nun auch Angehörige des Bürgerstandes. Man findet Uhren in Kontoren,
in Zunftstuben, in Schulräumen und
Hörsälen. Anhand der Miniaturisierung
der Uhr wird die handwerklich-technische Herausforderung deutlich, mit
dem dazugehörigen Prestige konnte
der Preis noch weiter in die Höhe getrieben werden. In dieser Zeit werden
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Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Phänomenologie von Luxuswaren
Abb. 3:
Maria Theresia von
Österreich
Abb. 4:
aus William Hogath: Der
Lebenslauf einer Dirne
63
Phänomenologie von Luxuswaren
Im 18. Jahrhundert war Luxus eines
der wichtigsten Gesprächsthemen.
Die Luxuskritik gab sich moralisch und
erklärte ihn zur Quelle sozialer Missstände. So billigte man z. B. Bauern
keine Uhren zu, da ihr Lebensrhythmus durch das Vieh und die Tageszeit
vorgegeben wird. Durch Luxusverbote
versuchte man der Lage Herr zu werden, was letztendlich aber scheiterte,
denn spätestens im 18. Jahrhundert
war „das Leben nach der Uhr“ zu einem
positiven Leitbild geworden.
Die Amerikaner konnten durch die maschinelle Herstellung von auswechselbaren Rohteilen die Preise der Taschenuhren so reduzieren, dass sie gegen
Ende des 19. Jahrhunderts in jedermanns Händen war. Die schweizerische
Uhrenindustrie behält den Luxusmarkt
und konnte um 1900 wieder die Führung in der Branche übernehmen.
Die asiatische und amerikanische Produktion von billigen Quarzuhren war
bis 1980 dominant, wurde aber durch
die Entwicklung von Swatch wieder
eingedämmt. Gegenwärtig bilden Luxusuhren ein schmales Marktsegment.
So werden im deutschen Fachhandel
jährlich 75.000 Uhren zu einem Preis
von mehr als € 1.500 verkauft.
3.1 AUSWERTUNG DER INTERVIEWS
MIT DEN JUWELIEREN
Im Folgenden soll über die Herangehensweise an den Untersuchungsschwerpunkt, die Erarbeitung dessen
sowie die Auswertung der Ergebnisse reflektiert werden. Dabei fiel die
Entscheidung für eine qualitative Informationsbeschaffung auf die Form
des Interviews. Es bot die Möglichkeit
konkrete, gegenwärtige Informationen,
Eindrücke und Tendenzen aus „erster
Hand“ zu erfahren.
Vorab wurde das Untersuchungsgebiet
verortet. Die Entscheidung fiel auf
Friedrichstraße und Kurfürstendamm,
da sich in diesem Bereich eine zahlreiche Ansammlung von Geschäften
im Hochpreissegment vorfinden lässt.
Kennzeichnend hierfür waren zum
einen der Verweis auf Markennamen
64
entlang der Straßenzüge, zum anderen
die Dekoration und Ausstattung der
Schaufenster mit Produkten im hohen
Preissegment. Zum anderen leben diese beiden Straßenzüge von dem Image
der „Luxusmeile“, welches sich im Laufe der Stadtgeschichte mehr und mehr
festigte und auch heute noch Geltungsanspruch besitzt.
Anliegen ist es, exemplarisch das
Konsumverhalten von Käufern von
Luxusartikeln zu charakterisieren. Des
Weiteren ist die Frage, inwieweit sich
das Konsumverhalten von Luxusware
in Berlin von dem in anderen Städten unterscheidet. Zum anderen soll
geklärt werden, ob und inwieweit die
wirtschaftliche Situation Berlins sich
auf das Angebot und das Konsumverhalten von Luxusgütern auswirkt.
Bei den befragten Personen handelte
es sich um Geschäfts- bzw. Filialleiter
von Juwelierläden und Galerien. Das
Verkaufspersonal war nicht befugt auf
die erfragten Informationen einzugehen. Das direkte Gespräch mit den
Geschäftsführern bot die Möglichkeit
Einblicke über die Geschäftsentwicklung der vergangenen Jahre in Berlin
und das Konsumentenverhalten zu
erhalten.
Im Voraus wurde die Zustimmung
zum jeweiligen Interview eingeholt.
Die Mehrheit der Probanten stimmte
zu, d.h. ein Interview kam direkt nach
der Anfrage zustande oder durch eine
Terminvergabe. Die Zustimmung der
Interviewpartner war zum einen durch
deren persönliches Interesse am Forschungsschwerpunkt zu begründen,
zum anderen exemplarisch Angaben
bzw. Reflektionen über das Konsumverhalten von Luxusgütern in Berlin zu
liefern. Es gab auch eine Zahl von potentiellen Interviewpartnern, die eine
Auskunft, aufgrund von Diskretion und
Datenschutz verweigerten.
Die Zeitspanne der Interviews lag zwischen 30 und 90 min. Die Interviews
wurden nicht in Anwesenheit von Kunden durchgeführt. Jede der befragten
Personen nahm sich die Zeit, auf die
gesamten Fragen mehr oder weniger
ausführlich zu antworten.
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Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Laut World Wealth Report 2004 (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
vom 12.06.2005, S. 42) leben in
Deutschland 7,6 Mio. Privatpersonen,
mit einem Finanzvermögen von mehr
als einer Million Dollar. Da liegt die Vermutung nahe, dass jene Millionäre die
Konsumentengruppe sind, für die allein
der Markt der Luxuswaren zugänglich
ist.
Doch der Großteil der Befragten erklärte, dass seine durchschnittlichen
Kunden aus dem Kreis des gehobenen
Mittelstandes seien. Auch wenn dieser
nur noch schwer zu finden ist, sind es
im Allgemeinen die Kunden mit einem
gehoben Einkommen und einem höheren Bildungsniveau. Dabei muss es sich
nicht unbedingt um einen Millionär handeln. Einen Teil dieser Kunden bildet die
Stammkundschaft, die für die Geschäfte sehr wichtig sind. Die Beziehungen
zu diesen Kunden wird gepflegt, es ist
das jahrelang aufgebaute Vertrauen
zwischen Verkäufer und Käufer, was
geschätzt wird. Es sind die besonderen Ansprüche, auf die jedes Geschäft
eingehen kann. „Die Verkäuferin, der
Verkäufer sind deshalb entscheidende
Faktoren, mit Luxus wirtschaftlichen
Erfolg zu erzielen. Verkäufer müssen
„Komplizen“ des Luxus-Kunden sein.
Sie müssen individuelle Wünsche erkennen, Details kommunizieren und
über eine Produkt-Story den Käufer
gewinnen“ (siehe unter: www.luxusund-krise.de) Der Kunde ist der selbst
bewusste Individualist, es geht hierbei
nicht um einen Mainstream, sondern
um die Einzigartigkeit und die Zeitlosigkeit einiger Produkte, darauf sind
die Geschäfte spezialisiert.
Im Zeitalter des Massenkonsums versteht sich Luxus als Einzigartigkeit
denn, so wie viele Produkte für den
Massenkonsum bestimmt sind, so sind
auch viele Produkte allein dem Zugang
einer höheren Schicht bestimmt und
erfüllen somit den Reiz der Individualität. Aufgrund dieser Spezialisierungen haben diese Geschäfte auch eine
überregionale Bedeutung und beziehen
ihre Kunden nicht nur aus Berlin, dies
trifft aber allein auf die Geschäfte am
Kurfürstendamm und der Friedrichstraße zu.
Die Konsumenten stammen zum Großteil aus Deutschland, hier insbesondere
aus Hamburg und München und dem
europäischen Ausland. Auch der Tourist
spielt eine zunehmende Rolle für die
Geschäfte, auch wenn er nur im unteren Preissegment kauft, macht es hier
letztendlich die Masse.
Phänomenologie von Luxuswaren
Ein Grund für den Kauf von Luxuswaren ist zum einen die schon erwähnte
Individualität und Qualität der Produkte, zum anderen ist es die Selbstbelohnung und die Anlage von Geld (hier
insbesondere bei Galerien). Es sind
aber, wenn auch nur unterschwellig
erwähnt, immer noch Statussymbole
der Kunden.
Einen nicht unwesentlichen Teil der Geschäfte in denen die Befragungen statt
fanden, sind Teil einer Kette von mehren Filialen. Ein Rückschluss auf die
Verteilung der Filialen lässt vermuten,
dass Berlin durchaus einen Markt für
Produkte im oberen Preissegment ist.
Dabei zeichnet sich aber auch deutlich
eine räumliche Differenzierung innerhalb der Stadt ab. So sind sich alle
Probanden einig, dass allein die Friedrichstraße und der Kurfürstendamm
die Standorte in Berlin für Waren im
Luxusbereich sind. Auf die Frage ob
sie sich einen anderen Standort als den
jetzigen vorstellen könnten und, wenn
ja, wo, fielen allein die Namen dieser
beiden Straßen.
Abb. 5:
Luxusuhren der Extraklasse in der Friedrichstraße
Ein Teil der Interviewten versuchte Berlin im Vergleich zu anderen deutschen
Städten zu sehen, meistens zu Hamburg oder München. Dabei wurde deutlich, dass es durchaus Unterschiede
im Konsumverhalten zwischen diesen
Städten gibt. Wo dieser Unterschied
letztendlich wirklich liegt und warum
dieser so ist, kann hier aber aufgrund
von unzureichenden Informationen
nicht offen gelegt werden.
Da ein Zugang zum Thema und den
Interviews die Preise der jeweiligen
Produkte waren, wurde auch zu diesem
Bereich befragt. Dabei ging es insbesondere um die Preisspannen der angebotenen Waren und um die Nachfrage nach bestimmten Preissegmenten.
Hierbei wurde sehr deutlich, dass die
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Phänomenologie von Luxuswaren
Abb. 6: Exklusive Geschäfte und Fahrzeuge in
der Friedrichstraße
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Geschäfte nicht allein auf den „Millionär“ setzen. So lassen sich durchaus
Waren in den Juwelieren finden, die
unter € 10 liegen und somit eine breite
Masse an Konsumenten erfreuen. Die
ist aber nur ein kleiner Teil der Produktpalette und schaut man sich die Obergrenzen einiger Produkte an, wird klar,
welches Klientel hier angesprochen ist.
Bei den Juwelieren wurde deutlich,
dass es nach oben kaum Grenzen gibt,
dennoch wurden Preise in Bereichen
zwischen € 50.000 und 250.000 genannt, um eine mögliche Wertvorstellung zu diesen Waren geben zu können. In etwa 30 bis 50% der Kunden
fragen Produkte im Bereich zwischen
€ 500 bis 10.000 nach, eine Aussage
darüber welchen Anteil diese Kunden
an Umsatz haben, lässt sich nicht sagen, denn es ist durchaus möglich das
20% von allen Kunden in etwa 80%
des Umsatzes machen.
Im Fragenbereich zum Kaufverhalten
und dem Zusammenhang zwischen
der wirtschaftlichen Lage Deutschlands
und dem Absatz der Produkte gab es
eine Vielzahl von unterschiedlichen
Aussagen. So gab ein Teil der Befragten
an, dass durchaus ein Zusammenhang
zwischen der ökonomischen Lage des
Landes und dem Kaufverhalten besteht. Dieser zeichnet sich durch einen
hohen Rückgang an Kunden und dem
damit verringerten Umsatz aus. Der
Kunde nimmt sich mehr Zeit für den
Kauf, der Spontan-Kauf bestimmt nicht
das Geschäft. Auch die neuen Zahlungsangebote wie z.B. Ratenkauf zeigen
deutlich die veränderten Rahmenbedingungen und die Neuorientierung am
Markt. Hier stellt sich aber die Frage,
wenn Finanzierung möglich gemacht
wurde, wer ist es dann noch der sich es
leisten kann in bar zu zahlen?
Es ist heute mehr und mehr die Spezialisierung und die Individualität, die ein
Geschäft dem Kunden bieten muss, um
einen gewisses Umsatzbereich erfüllen
zu können. Denn nur die Geschäfte die
eine Spezialisierung hatten, trafen die
Aussagen, dass es keinen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Umsatzentwicklung gibt.
Wenn man die Friedrichstraße und
den Kurfürstendamm betrachtet, so
lässt sich eines sagen, sie sind Orte
in Berlin, wo sich eine Verbindung zu
Reichtum finden lässt, sie sind Orte für
die Präsentation von Luxuswaren und
sie sind die Orte, die von Menschen
mit höherem Einkommen aufgesucht
werden. Trotzdem befinden sich diese
Straßen in einer Mischnutzung und
sind nicht allein der Zielgruppe der Reichen vorbehalten. Genau wie die Stadt
selbst sind die Straßen von einer Flexibilität, Spontanität und Individualität
bestimmt.
Betrachtet man die am Anfang genannten Zahlen zu den Millionären in
Deutschland, so ist es schwierig zu
sagen, wie diese Entwicklung im Zusammenhang zu den Ergebnissen der
Interviews steht. Denn die Zahl der Millionäre in Deutschland hat sich im Vergleich zu 2003 (7,56 Mio. Millionäre)
durchaus erhöht. Dennoch scheint die
Nachfrage im Bereich der Luxusgüter
zumindest in den vorliegenden Fällen
zu stagnieren. Das lässt die Vermutung
entstehen, dass die „Reichen“ vielleicht
in anderen Städten einkaufen und weniger in Berlin.
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Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Phänomenologie von Luxuswaren
FAZIT
Die Motive für Luxuskonsum und das Interesse an Luxus sind im Bedürfnis nach einer
hedonistischen Selbsterhöhung, im Wunsch
des „Andersseins“ und im „Bessersein als die
Anderen“ sowie in der Freude an Perfektion
zu suchen.
Für den Luxus des 21. Jahrhunderts spielen Zuschauer und Zaungäste keine Rolle
mehr, man genießt ihn für sich selbst. „Das
Genießen dieser Gegenstände ist Teil einer
Lebenskunst, die sich zusammenfassend als
Kunst der Begegnungen bezeichnen lässt:
als Fähigkeit, den Gegenstand als etwas Besonderes zu erleben. Das Luxuserlebnis ist
wesentlich eine subjektive Konstruktion. Luxusgegenstände sind gekennzeichnet durch
Einigartigkeit, durch symbolische Anreicherung und durch Zeitlosigkeit.“(siehe unter:
www.luxus-und-krise-de)
Spätestens mit dem Aufkommen des „multioptionalen Verbrauchers“ in den 90er Jahren
des 20. Jahrhunderts hat Massen-Marketing
sich mehr und mehr zum zielgruppenspezifischen Marketing verändern müssen. Dazu
haben inzwischen auch Megatrends wie
Globalisierung oder Individualisierung ihren
Teil beigetragen. Somit ist Marketing heute
durchaus gewöhnt, auf die unterschiedlichsten Situationen und Strömungen reagieren
zu müssen bzw. sie nach Möglichkeit vorwegzunehmen. Und genau dies ist auch bei
Luxus erkennbar: Antizipation, Kommunikation, Aufmerksamkeit und Intelligenz gepaart mit Idealismus und Risikobereitschaft.
Luxus verlangt ein ebenso zielgruppenspezifisches Marketing.
4. LITERATUR
Monographien & Zeitschriften
Espenhorst, J. (1997): Reichtum als gesellschaftliches Leitbild, In: Huster (Hrsg.):
Reichtum heute, S. 132-153, Frankfurt/M.
Veblen, T. (1899): The Theory of the Leisure Class, London
Siegrist, H.; Kaelble, H.; Kocka, J. (1997):
Europäische Konsumgeschichte, Campus
Verlag, Frankfurt/M.
Reith, R; Meyer, T. (2003): Luxus und Konsum - eine historische Annäherung, Waxmann-Verlag, Münster
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
vom 12.06.2005, S.42
Internet
http://www.luxus-und-krise.de
http://cartoon.iguw.tuwien.ac.at/christian/
globalisierungz3.html
http://www.krisis.org/e-lohoff_dialektikmangel-ueberfluss_k21.html
http://www.prokla.de/archiv/ed138.htm
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KARTOGRAPHIE DES
REICHTUMS
REPRÄSENTATIONSFORMEN AUF DER FRIEDRICHSTRAßE (BERLIN)
PATRICIA BERNHARDT | SIMON BRIEGER | ULRIKE MACKRODT
1. THEMATISCHE ANNÄHERUNG AN
DAS FORSCHUNGSTHEMA
Die Auseinandersetzung mit dem
Stadtraum Friedrichstraße im Kontext
von Reichtumsuntersuchungen in Berlin begründete sich für uns aus zwei
verschiedenen Blickwinkeln heraus,
die im Folgenden dargelegt werden
sollen. Zusammen leiteten sie unsere
Forschungsarbeit und bildeten das Fundament der empirischen Arbeit.
1.1 ANSATZ 1: RELATION DER
REICHTUMSERSCHEINUNGEN
ZUR
ARMUTSTHEMATIK/BEZUG ZUM SOZIALSTRUKTURATLAS
Im Sozialstrukturatlas (2004) wird
der Berliner Raum bzw. die Bevölkerung in den einzelnen Bezirken nach
bestimmten Strukturmerkmalen, wie
Arbeitslosigkeit, Sozialhilfebezug, Lebenserwartung, Bildungs- und Ausbildungsstruktur, sowie Einkommenslage
untersucht. Ziel dieser alle vier Jahre
erscheinenden Analyse ist es, sozialräumliche Disparitäten aufzudecken
und die zeitlichen Veränderungen der
Sozialstruktur zu erfassen. Der Fokus dieses Atlas’ liegt besonders auf
Gebieten, die eine schlechte bzw. unterdurchschnittliche Ausprägung der
sozialen Strukturmerkmale aufweisen.
Durch gebietsbezogene soziale und gesundheitliche Förderungsmaßnahmen
soll den Defiziten in diesen Gebieten
entgegengewirkt werden. Die Gebiete
mit überdurchschnittlichen Sozialindizes dienen dabei als Vorbild, aber werden in ihrer Sozialstruktur nicht weiter
thematisiert.
Der
Sozialstrukturatlas
beleuchtet
somit nur eine Seite unserer zunehmend polarisierten Gesellschaft und
zwar die der relativen Armut, während
die andere Seite der Medaille, die des
Reichtums, größtenteils unbeleuchtet bleibt. An diesem Schwachpunkt
setzt unser Forschungsansatz an, das
Phänomen Reichtum in Berlin stärker
unter die kartografische Lupe zu nehmen. Während im Sozialstrukturatlas
das gesamte Berliner Stadtgebiet auf
Bezirksebene zum Untersuchungsgegenstand gemacht wird, wählten wir
im Rahmen unserer Forschungsarbeit
exemplarisch einen Ort in Berlin aus,
der in der Öffentlichkeit ein Image von
Reichtum besitzt: die Friedrichstraße.
Unsere leitenden Fragestellungen für
unsere Forschung waren:
Was macht diesen Ort zu einem reichen Ort?
Stimmt das Image/Bild des Reichtums mit den tatsächlichen Situation oder Gegebenheiten vor Ort
überein oder gibt es Diskrepanzen?
Wo manifestiert er sich in der kleinräumigen Analyse? Wie lässt sich
Reichtum kartieren?
Ausgehend davon, dass sich durch eine
Kartographie der Friedrichstraße die
räumliche Manifestierung von Reichtum und ihre kleinräumige Beziehung
zu „normalen" Orten besser untersuchen und darstellen lässt, machten
wir diese zur Grundlage unseres Forschungsprojektes. Nach dem Beispiel
des Sozialstrukturatlas, der Armut
durch die räumliche Akkumulation von
schlechten Sozialindizes thematisiert,
wollten wir uns dem Reichtum in der
Friedrichstraße durch die räumliche
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
69
Kartographie des Reichtums
Analyse von Reichtumsindikatoren nähern und deren räumliche Ausprägung
durch Kartographie verdeutlichen.
1.2 ANSATZ 2: DIE FRIEDRICHSTRAßE
ALS BRENNGLAS GESELLSCHAFTLICHER ENTWICKLUNGEN
Das Erscheinungsbild der Friedrichstraße, und dabei vor allem das des
ehemals „östlichen" Teils der Straße,
wurde nach dem gesellschaftlichen
Umbruch 1989 stark verändert und
neu beschrieben. Neue Gebäude wurden errichtet, die bestehenden Gebäude saniert oder auch abgerissen. Die
Nutzungsstruktur, die Bevölkerungsstruktur und das Image der Straße
haben sich seit dieser Zeit gravierend
verändert. Die Friedrichstraße ist zu einem Ort des Reichtums geworden, was
sich in Form von Immobilien- und Miet-
preisen sowie citytypischen Nutzungen
zeigt. In dieser Neubeschreibung des
Raumes Friedrichstraße zeigt sich eine
Handlungslogik, die Ausdruck des neoliberalen gesellschaftlichen Selbstverständnisses ist.
Sharon Zukin zeigt in ihrem Buch
„The Cultures of Cities" (1995) anhand kleinräumiger Analysen im New
York der 1990er Jahre die Privatisierungs- und Militarisierungstendenzen
im städtischen, öffentlichen Raum auf,
und diente uns mit dieser Herangehensweise als Vorbild für unsere Forschungsarbeit. Die Friedrichstraße soll
für unsere Ausführungen als Brennglas für das heutige Verständnis von
städtischem Raum und der Rolle eines
Stadtzentrums dienen. Dabei wird sich
zeigen, dass die auf der Friedrichstraße entstandenen Strukturen der Logik
von wirtschaftlicher Macht und Potenz
entsprechen.
THEORETISCHE VORÜBERLEGUNGEN
2.1 ASPEKTE DER
RAUMWAHRNEHMUNG
Kasten 1:
Veränderung der Bewohnerstruktur auf der
Friedrichstraße
„Im Jahre 1895 lebten in
dem Haus mit der Adresse
Friedrichstraße 17 folgende Mieter: ein Wächter,
ein Sattler, ein Kellermeister, eine Krankenwärterin. Zwei Jahre später
liest sich die Berufsliste
der Bewohner wie folgt:
ein Rechtsanwalt, zwei
Kaufmänner, ein Zigarrenhändler, ein Zahnkünstler..." (vgl. HOPPE, S. 48)
70
Die Friedrichstraße bildet für die
Raumwahrnehmung der Berliner Innenstadt aufgrund ihrer physischen
Erscheinungsform eine Schlüsselrolle.
In Anwendung der Perzeptionstheorie
von Kevin Lynch - nach der der Mensch
seine physische Umwelt in Wege, Bereiche, Grenzlinien, Brennpunkte und
Merkzeichen einteilt und strukturiert
- stellt die Friedrichstraße durch ihren
geraden Verlauf und ihre Länge von
über drei Kilometern eine optische
Fluchtlinie dar, die als Weg und als
Grenzlinie wahrgenommen werden
kann. In diesem Kontext fungiert die
Straße als markanter Weg städtischen
Gesamtbild. Diesen Mechanismus in
der menschlichen Wahrnehmung können sich Politik und Wirtschaft während
des Stadtumbaus zunutze machen, um
die Straße als Anziehungspunkt im gesamtstädtischen Bild zu etablieren.
2.2 REHISTORISIERUNG UND MUSEALISIERUNG ALS KONZEPT DER
NEUBEBAUUNG
Ebenso wie die politische Wende in der
DDR auf Makroebene zu einer Wiedervereinigung der beiden deutschen
Staaten führte, brachte sie gleichzeitig
im kleinräumigen Kontext der Friedrichstraße eine erneute Zusammenführung der bis dahin getrennten nördlichen und südlichen Straßenhälften mit
sich. In Anknüpfung an die „Goldenen
Zwanziger" Jahre - eine Zeit, in der die
Friedrichstraße im Stadtbild Berlins die
Rolle einer eines eleganten Boulevards
einnahm – sollte die Friedrichstraße
zu neuem Glanze kommen, wobei die
Neubebauung der durch Kriegsschäden entstandenen Baulücken dem
Leitbild der kritischen Rekonstruktion
auf der kartografischen Grundlage des
Schwarzplans folgen sollte.
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
2.3
HISTORISCHER RÜCKBLICK
Kartographie des Reichtums
Die Rückbesinnung auf das historische
Bild des Stadtraums Friedrichstraße
bildet also eine der Hauptkomponenten
in der Herausbildung eines reichen Ortes seit der Wiedervereinigung im Jahr
1990. Der Vollständigkeit halber soll
diese Vergangenheit an dieser Stelle
kurz beleuchtet werden, um die Argumentation abzurunden.
Die Entwicklung des Reichtums auf der
Friedrichstraße ist eng an die Gründerzeit zum Ende des 19. Jahrhunderts
geknüpft. Der wirtschaftliche Aufschwung dieser Zeit fand vornehmlich
in Berlin, der seit 1871 ausgerufenen
Reichshauptstadt
des
Deutschen
Reichs, statt. Auf der Friedrichstraße
wurden diese Veränderungen in Form
vieler repräsentativer Neubauten (vgl.
Abb. 1) sowie einer Veränderung der
Nutzungsstruktur sichtbar. Einrichtungen des Einzelhandels, der Gastronomie sowie Dienstleistungsunternehmen
prägten zunehmend das Erscheinungsbild der Straße. Damit einhergehend
wandelte sich die Bewohnerstruktur
(vgl. Kasten 1).
Abb. 1: Neubau der Gründerzeit auf der Friedrichstraße
Die Friedrichstraße war um 1900 zu
einer Prachtstraße innerhalb der City
avanciert, die durch einen hohen Publikumsverkehr gekennzeichnet war (vgl.
Abb. 2).
Abb. 2: Kreuzung Friedrichstr. / Unter den Linden
(Foto von 1908)
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
71
Kartographie des Reichtums
3.
METHODISCHES VORGEHEN
Mit dem Ziel, die Manifestierung des
Reichtums in der Friedrichstraße kartografisch aufzuzeigen, überlegten wir
in einem ersten Schritt, an welchen
Gesichtspunkten wir das Phänomen
Reichtum thematisieren bzw. in der
Karte sichtbar machen könnten. Viele verschiedene Aspekte, wie z.B. die
Stadterneuerungspolitik, die Geschäftsstruktur, das Angebot von höherwertigen Dienstleistungen, Gebäudewerte
und ihr repräsentativer Wert, Gewerbeund Wohnmieten, soziale Merkmale der
Bewohner bzw. der Besucher- und Konsumentenströme oder auch die tägliche
und nächtliche Frequentierung wurden
angesprochen und diskutiert. Schließlich legten wir uns aufgrund der unterschiedlichen Aussagkraft der Themen
über Reichtum und des komplizierten
Datenzugangs auf drei Gesichtspunkte
fest, die Reichtum auf der Friedrichstraße anhand seiner städtebaulichen
und architektonischen Manifestation
analysieren und in seinen sozialen Wirkungsweisen bezüglich des Wohnens
und sich Versorgens kritisieren:
1.) die Bauinvestitionen seit 1990,
2.) die Mietpreisstruktur und
3.) die Hochwertigkeit des Konsums.
Die Bauinvestitionen seit 1990
Stadtpolitik gibt insofern einen Rahmen
für die Bebauung innerhalb des Stadtzentrums vor, indem sie Voraussetzungen für eine bestimmte Entwicklung
schafft und später ausgewählten privatwirtschaftlichen Investitionen stattgibt.
Das Leitbild der Stadtentwicklungspolitik nach der Wiedervereinigung war
durch die „kritische Rekonstruktion
des historischen Zentrums" geprägt.
Die Maßnahmen zur Stadterneuerung
sollten sich an der räumlichen Qualität
des Zentrums aus der Vorkriegszeit
orientieren. Dementsprechend befassten wir uns mit der geschichtlichen
Entwicklung der Friedrichstraße und
versuchten zu beantworten, welchen
Einfluss die damalige Situation auf die
rezenten Bauprojekte sowie die heutige
Nutzungsstruktur hat (vgl. 2.2/ 2.3).
Die Höhe der Bauinvestitionen nach der
Wende, sowie deren architektonische
Konzeption waren für uns Indikatoren
72
dafür, welche Qualität in der Nutzungsstruktur der Friedrichstraße offiziell
angestrebt werden sollte und welches
Prestige damit nach außen verkauft
werden sollte.
Bei der Recherche stießen wir immer
wieder auf Daten und kartographische
Darstellungen, die zwar die Nutzungsstruktur der Friedrichstraße zum Gegenstand hatten, aber keine Hinweise
auf die Qualität und Rentabilität der
Nutzungen gaben, wie z.B. der Zentrenatlas von Berlin. Nachdem auch
unsere Anfragen bei Wirtschafts- und
Gewerbeämtern, sowie der IHK, nur
gegen Vergütung bearbeitet werden
konnten, stützten wir uns schließlich
auf den verfügbaren Büroflächenbericht
von 1995. Dieser gab uns Auskunft
über die getätigten Bauinvestitionen
Mitte der 1990er Jahre im Gewerbeund Büroflächenbereich, sowie über
die Architekten, die mit der Planung
beauftragt waren.
Die Mietpreisstruktur
Ein weiterer wichtiger Aspekt, der Aussagen über den Reichtum eines Ortes
macht, sind die Bewohner und die Qualität des Wohnungsbestandes. Für die
Analyse der Sozialstruktur der Bewohner in der Friedrichstraße war eine erste Anlaufstation das statistische Bundes- und Landesamt. Die Recherche
in deren Datenbanken zeigte jedoch,
dass für uns nützliche Daten über die
soziale Struktur der Bewohnerschaft
nur auf großräumlicher Ebene des Bezirkes erfasst wurden und kleinräumigere Analysen nur durch einen hohen
Zeitaufwand und gewisse finanzielle
Mittel realisiert werden konnten - zumal die Friedrichstraße zwei Bezirken
angehört. Dennoch konnte uns der aktuelle Mietspiegel (2003), der von der
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
veröffentlicht wurde, detaillierte Informationen über die Wohnlagen in der
Friedrichstraße im Vergleich zu ganz
Berlin liefern. Intensives „Stöbern" in
Anzeigen des Wohnungsmarktes gaben
uns schließlich konkrete Informationen
über das Wohnungsangebot und Beispiele für tatsächliche Mietkosten entlang der Friedrichstraße, die Hinweise
auf die soziale Zusammensetzung der
Bewohnerschaft geben.
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Die Hochwertigkeit des Konsums
Das Konsumangebot auf der Friedrichstraße zeichnet sich durch eine
auf Luxus ausgerichtete Struktur aus.
Die Schaufenster namhafter Geschäfte
wie Gucci, Louis Vuitton, Boss, etc.
fallen bei einem Besuch der Friedrichstraße zuerst ins Auge und vermitteln
den Eindruck, dass hier vermögende,
also reiche Leute konsumieren. Das
hochpreisige und -qualitative Angebot
dieser Einrichtungen des Einzelhandels
tragen zum großen Teil zu ihrem Image
als exklusive Orte, die Reichen vorbehalten sind, bei. Inwiefern sich dieses
Bild bei einer genaueren Betrachtung
der Geschäfts- und Angebotsstruktur
widerspiegelt, stand bei dieser Teilforschung im Vordergrund.
Eine vollständige Analyse der Art und
des Umfangs der dort angebotenen
Güter sprengte den zeitlichen und
analytischen Rahmen unseres Projekts.
Deshalb wählten wir exemplarisch einen Geschäftstyp aus. Die Wahl fiel
auf die Bekleidungsbranche, da sie mit
41% die Einzelhandelsflächen auf der
Friedrichsstraße dominiert (vgl. Se-
natsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit
und Frauen 2004, S. 34).
Kartographie des Reichtums
Die reine Datenerhebung stellte einen
erheblichen Teil unserer empirischen
Arbeit dar. In den Schaufenstern von
allen Modegeschäften, wurde je ein
Kleidungsstück bzw. -ensemble fotografiert und der entsprechende Preis
notiert. Wir haben darauf geachtet,
dass die Kleidungsstücke miteinander
vergleichbar waren. Wir bedienten uns
zur Dokumentation der Fotografie, da
fotografische Abbildungen es vermögen, viele Informationen über einen
Gegenstand kompakt und anschaulich
wiederzugeben. Außerdem konnten wir
auf diese Weise dem Bild konkrete Zahlen – sprich den Preis des angebotenen
Outfits - gegenüberstellen.
Darüber hinaus ermittelten wir durch
Befragung vor Ort sowie Internetrecherche, wie viele weitere Standorte
die einzelnen Geschäfte in Berlin besitzen und wo sich diese befinden, um so
herauszufinden, inwiefern der Standort
auf der Friedrichstraße Ausdruck von
Exklusivität ist.
EMPIRISCHE ERGEBNISSE
4.1 BAUEN AUF DER FRIEDRICHSTRAßE
Zu Beginn der 1990er Jahre stellte
der ehemals auf DDR-Territorium sich
befindende Teil der Friedrichstraße ein
städtebauliches und funktionales Vakuum dar. Die Straßenflucht der Straße
war durch kriegsbedingte Baulücken
gekennzeichnet,
die
vorhandene
Bausubstanz weitgehend sanierungsbedürftig und die infrastrukturelle
Ausstattung in westlichen Maßstäben
unzureichend. Staat und Kommune
hatten ein gemeinsames Interesse,
diesen Missstand zu beseitigen und
den Stadtraum wieder zu beleben. Dies
ist vor allem im Kontext der Hauptstadtentscheidung zugunsten Berlins vom
20. Juni 1991 zu sehen. Die zukünftige
Hauptstadt Berlin sollte wieder ein neu-
es Zentrum erhalten, das allein durch
den Standort an den Mythos der vergangenen City Berlins erinnert. Durch
die Rekonstruktion der Friedrichstraße
in Anlehnung an die Nutzungs- und
Stadtstrukturen der „Goldenen Zwanziger Jahre" sollte dieses Vorhaben
in die Realität des wiedervereinigten
Berlins umgesetzt werden. Das Leitbild
„Kritische Rekonstruktion" würde extra
für diese Phase der Stadtentwicklungen
aufgestellt/angewandt. In den Jahren
1994 bis 1998 wurden unter Berücksichtigung dieses Leitbilds beiderseits
der Friedrichstraße über 6 Milliarden
DM verbaut (Gewand 1999, S. 148).
Die Bautätigkeit beschränkte sich dabei fast vollständig auf den ehemaligen
„Ost-“ bzw. Nordteil der Straße, da der
„westliche" bzw. südliche Teil bereits in
den 1980er Jahren komplett erschlos
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
73
Kartographie des Reichtums
S + U
Bhf.Friedrichstr.
Georgenstr.
96
147
148
149
94
Dorotheenstr.
150
91
151
90
Miroslav Volf
(Dussmann)
152
125 Mio
Mittelstr.
153
154
155
156
UnterdenLinden
C.Mäckler
84
157
500 Mio
(Lindencorso)
300 Mio
Rosmarinstr.
164
Jürgen Böge
u. Lindner
83
Behrenstr.
168
170
550 Mio
82
165
81
166
Kleihues
80
167
169
79
FranzösischeStr.
U
172
450 Mio
Jean Nouvel
78
171
(La Fayette)
76
Jägerstr.
Henry Cobb
71
(Quarti
(Quartier 206)
176-179
Taubenstr.
70
180
Prof. Ungers
181
182
750 Mio
(Quartier 205)
67
183
184
Mohrenstr.
350 Mio
Kleihues
186
187
188
800 Mio
63
62
Kronenstr.
Gerkan, Mark
& Partner
61
125 Mio
van den Valentyn
U
191
250 Mio
(Atrium)
60
LeipzigerStr.
100 Mio
(Haus
Friedrichstadt)
58
194
56
Krausenstr.
55
50
200
Schützenstr.
48
204
47
205
Zimmerstr.
206
45
207
44
208
43
209
Kochstr.
210
41
U
212
40
39
213
214
215
216
38
34
217
218
219
33
31
221
30
Puttkammerstr.
Besselstr.
224
225
226
23
22
21
Hedemannstr.
20
231
19
232
18
17
234
16
235
e
Hoffmann-Promenad
236
14
237
g-Promenade
Rahel-Vamha
13
12
11
10
9
Franz-Klühs-Str.
245
4
Investitionsvolumen (Stand 1995):
50 Millionen DM
Name des Architekten
(Name des Gebäudes)
3
246
1+2
sen worden war. Die in der Karte dargestellten Investitionssummen stellen
dabei nicht alle getätigten Investitionen dar, da nach 1995 geplante Objekte nicht mit in die Datenrecherche
einbezogen werden konnten.
Die Merkmale der Neubauten: Trotz der
im Leitbild angedachten Aufteilung der
einzelnen Straßenblocks in Parzellen,
die jeweils von privaten Eigentümern
bebaut werden sollten, wurden beinahe alle Quartiere von einem einzigen
Investor gekauft und als Großblock mit
einem Objekt bebaut. „Ein Denken in
Parzellen […] wäre anachronistisch, der
heutigen Immobilienwirtschaft nicht
angemessen." (Bodenschatz 1995, S.
217).
Die geplante Nutzung nach der Fertigstellung sollte vor allem hochwertigen
Einzelhandel
und
Dienstleistungen
sowie Büronutzung umfassen. Die
neu errichteten Bauten wurden in der
Erwartung errichtet, dass die Friedrichstraße an ihre Bedeutung in den 1920er
Jahren anknüpfen werde. Diese Vision
wurde von Wirtschaft und Politik gleichermaßen geteilt. Als deren Ausdruck
ist auch die Verwendung hochwertiger
Baumaterialien bei den Neubauten zu
verstehen. Der großflächige Einsatz
von Naturstein (in den Richtlinien der
„Kritischen Rekonstruktion" vorgegeben) und Glasfassaden werden hier als
Repräsentationsmittel des Reichtums
verwendet.
Als weiteres Indiz für die gewollte Exklusivität der Bauprojekte sind die mit
der Planung beauftragten Architekten
zu sehen. Büros wie Henry Cobb, Oswald M. Ungers und Hans Kleihues sind
weltweit agierende und bekannte Architekten, die zumeist Projekte von Prestige errichten und deren Name allein
bereits Aufmerksamkeit auf ein Projekt
richten kann. Im Zuge der Neubebauung der Brachflächen in den 1990er
Jahren wurde somit eine bestimmte
Nutzung und Raumwahrnehmung der
Friedrichstraße vorbestimmt und in den
städtischen Raum eingeschrieben.
Mehringplatz
Abb. 3: Bauen auf der
Friedrichstraße
74
Geographisches Institut
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Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Kartographie des Reichtums
4.2 WOHNEN IN DER FRIEDRICHSTRAßE
S + U
Bhf.Friedrichstr.
Georgenstr.
148
Die Dominanz der gewerblichen Nutzung: Gemäß der marktwirtschaftlichen Logik, dass gewerbliche Raumnutzung teurer bezahlt werden muss
als private Nutzung, wird Wohnraum
von Standorten verdrängt, an denen
sich gewerbliche Nutzung bevorzugt
konzentriert. Auf der Friedrichstraße
ist dies vor allem im nördlichen Bereich
zwischen dem S-Bahnhof und Leipziger
Straße der Fall.
149
150
91
151
90
152
Mittelstr.
153
154
155
156
UnterdenLinden
84
157
Rosmarinstr.
164
83
Behrenstr.
82
165
168
170
81
166
80
167
169
79
FranzösischeStr.
U
78
171
172
76
Wohnungsanzeige:
Jägerstr.
ExclusivWohneni.Quartier205:
GenießensiegediegenenWohnkomfortimoberstenGeschoss
desQuartieres205imHerzen
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sindKonzerthäuser,Theater,
dasLafayetteunddie
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Mitteerreichbar.
Ausstattung:
-Kirschbaumparkett
-Fussbodenheizung
-FranzösischeFenster
-Marmorbad
71
176-179
Taubenstr.
70
180
181
182
67
183
184
Mohrenstr.
186
187
188
Miete: 14,50€/qm
Mietspiegel:4,15€/qm
Differenz:+10,35€
63
62
Kronenstr.
61
U
191
60
LeipzigerStr.
58
194
Die Verteilung der Wohnnutzung entlang der Friedrichstraße: Aus Beobachtungen und Literaturanalyse muss
eine Nord-Süd-Trennen in Bezug auf
die Verteilung der Wohnnutzung festgestellt werden: Im nördlichen Teil der
Straße ist die Wohnnutzung stark unterrepräsentiert und wenn sie gegeben
ist, nur in den obersten Etagen der Gebäude vorzufinden. Im Gegensatz dazu
spielt die Wohnnutzung im südlichen
Teil der Friedrichstraße eine weitaus
wichtigere Rolle.
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
94
Dorotheenstr.
Laut den Festlegungen der „Kritischen
Rekonstruktion" wurde für nach 1990
errichtete Bauten (vgl. 4.1) eine Mindestnutzung für Wohnfunktion von 20%
der Gesamtnutzfläche festgeschrieben.
Die in den Großquartieren verorteten
Wohnungen zeichnen sich durch einen
überdurchschnittlichen Mietpreis aus,
der weit über den Empfehlungen des
Mietspiegels liegt.
Während der Teilung Berlins wurde die
südliche Friedrichstraße durch stadtplanerische Entscheidungen zu einer
fast ausschließlichen Anwohnerstraße,
da die Nutzung als Durchgangsstraße
verlegt und der Mehringplatz zu einer
Fußgängerzone umgewandelt wurde.
Die Straße stellte quasi eine beidseitige Sackgasse dar: im Norden endete
sie an der Mauer, im Süden vor dem
Mehringplatz. Ihre überregionale Bedeutung ging dadurch verloren und sie
entwickelte sich zu einer vorrangigen
Wohnstraße. Die in dieser Zeit errichteten Gebäude waren demnach reine
Wohngebäude und bedingen auch deren heutige Funktion.
96
147
56
Krausenstr.
55
50
200
Schützenstr.
48
204
47
205
Zimmerstr.
206
45
207
44
208
43
209
Kochstr.
210
41
U
212
40
39
213
214
215
216
38
34
217
218
33
31
221
Wohnungsanzeige:
Gutgeschnittene2-Zimmerwhg:
Besselstr.
224
WG-geeignet
gepflegterNeubau
großergrünerInnenhof
Ausstattung:
-helle,sonnigeWohnung
-Balkon
-Einbauküche
-Warmwasserüber
Zentralheizung
30
Puttkammerstr.
225
226
23
22
21
Hedemannstr.
20
231
19
232
Miete:5,21€/qm
Mietspiegel:6,17€/qm
Differenz:-0,96€
18
17
234
16
235
ade
Hoffmann-Promen
236
14
237
g-Promenade
Rahel-Vamha
13
12
11
10
9
Franz-Klühs-Str.
245
4
Wohnlage:
(nachMietspiegel2003)
gut
mittel
einfach
3
246
1+2
Mehringplatz
AusschnittderFriedrichstraße=3km
Abb. 4: Wohnen in der
Friedrichstraße
75
Kartographie des Reichtums
Die durch die Farbgebung in der Karte
dargestellte Unterteilung gibt die Wohnlage der jeweiligen Adresse wieder. Die
Wohnlage ist Teil des Berliner Mietspiegels, der alle zwei Jahre empirisch erhoben wird und die durchschnittlichen
Quadratmeterpreise für Wohnraum in
Berlin angibt. Die Wohnlage ist dabei
Teil des Kriterienkatalogs, der auf jede
Wohnung angewendet wird, um die
ortsübliche Vergleichsmiete zu ermitteln. Die anzuwendenden Kriterien sind
Wohnfläche, Baualter des Gebäudes,
Ausstattung und eben die Wohnlage.
Diese wird entweder als „einfach",
„mittel" oder „gut" eingestuft. Die Festlegung erfolgt durch eine Kommission,
die mit dieser Aufgabe vom Senat betraut wird. Die Wohnlage teilt also den
Stadtraum in verschiedene Qualitätsstufen ein, die wiederum Grundlage für
die anzusetzende Durchschnittsmiete
sind.
Neben den verschiedenen Miethöhen
und Wohnlagezuordnungen kann im
Bereich des Wohnens ein weiterer
Unterschied ausgemacht werden: die
Sicherheitseinrichtungen an und damit verbunden die Zugänglichkeit zu
den Gebäuden. Die Klingelschilder der
benachbarten Hauseingänge der Friedrichstraße Nr. 56 und 58 weisen sowohl
in der technischen als auch ästhetischen Gestaltung der Klingelanlagen
qualitative Unterschiede auf, die eine
Aussage über Exklusion und Abgrenzung beinhalten.
4.3 KAUFEN IN DER FRIEDRICHSTRAßE
Mit einer Verkaufsfläche von ca. 41.400
m² prägt der Einzelhandel in der Friedrichstraße nicht nur die Raumstruktur,
sondern trägt auch zur überregionalen
Bedeutung der Straße bei (vgl. Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit
und Frauen 2004, S. 34). Besonders
die Geschäfte im nördlichen Teil, die
sich im Zuge des Investitionsboom der
1990er Jahren dort etablierten, führten
zu ihrem Ruf einer luxuriösen Einkaufsstraße in Berlin.
Das Produktangebot besteht zum größten Teil aus Waren des aperiodischen
Bedarfs,
insbesondere
Bekleidung
und Schmuckwaren global agierender
Modehäuser werden hier offeriert.
Vorzufinden sind vor allem namhafte
Boutiquen mit einem überdurchschnittlichen Preisniveau.
Der südliche Teil ist dagegen durch die
dominierende Wohnfunktion der Gebäude geprägt. Die bei weitem weniger
entwickelte Einzelhandelsstruktur setzt
sich hier vorwiegend aus Geschäften
des alltäglichen Bedarfs zusammen.
Die wenigen Geschäfte mit periodischem Bedarf stehen in einem großen
Kontrast zu der Angebotsqualität bzw.
zu dem Preisniveau im nördlichen Teil
der Straße.
Die rasante Entwicklung im Norden
scheint somit keine Veränderungen im
südlichen Teil bewirkt zu haben. Oder
hat der räumliche Gegensatz zum südlichen Teil die Entwicklung im Norden
etwa verstärkt bzw. beeinflusst? Für
unsere Untersuchung des hochwertigen Konsums wurde exemplarisch das
Schaufensterangebot der Kleidungsgeschäfte im Mai 2005 dokumentiert.
Die Fotos und Preisangaben sprechen
für sich, der nördliche Teil der Friedrichstraße ist die Einkaufsadresse nicht
nur für Personen mit einem „gewissen
Geldbeutel", sondern auch mit einem
extravaganten, individuellen Modestil.
Viele der dort ansässigen Geschäfte haben nur noch wenige andere
Standorte in Berlin. Diese befinden
sich zum größten Teil im KaDeWe, in
76
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
der Fasanenstraße und auf dem Kurfürstendamm, also weitere Standorte
der Exklusivität und mit Prestige (vgl.
hierzu 7.).
Betrachtet man die Preisangaben genauer, fällt auf, dass es zwischen all den
Nobelgeschäften jedoch auch Geschäfte
mit einem „bezahlbaren" Angebot gibt.
Der preisliche Unterschied der auf der
östlichen Seite befindlichen Geschäfte
ist in diesem Bezug sehr groß. Bourdieus These, dass hochwertige Güter
erst durch den Vergleich oder auch die
physische Nähe zu niedrigwertigen Güter in ihrem Wert richtig eingeschätzt
werden, kann hier durchaus verifiziert
werden (Bourdieu 1997, S. 161).
Liegt nicht auch in dieser These eine
Begründung für den Unterschied zwischen nördlichem und südlichem Teil
der Friedrichstraße? Diese Kartierung
bestätigt das reiche Image der Friedrichstraße, zeigt aber auch, dass Luxus
und Prestige erst durch den räumlichen
Gegensatz wirksam werden.
Kartographie des Reichtums
S + U
Bhf.Friedrichstr.
Georgenstr.
185€
159€
199€
Dorotheenstr.
Mittelstr.
Evelin Brandt
Crimes
M.Mode
UnterdenLinden
627€
Rosmarinstr.
59€
Behrenstr.
284€
Boss
H&M
Roeckl
St.Germaine
U
1249€
Max & Co
Hermès
114€
Benetton
UpArt Mode
Jägerstr.
2520€
472€
140€
FranzösischeStr.
Escada
Gucci
3470€
Frankonia Jagd
7300€
Louis Vuitton
Taubenstr.
Berliner Klamotten
Stefanel
Max Mara
598€
Mohrenstr.
205€
129€
Kronenstr.
225€
U
459€
LeipzigerStr.
Tandem & Transit
Becon
Wille
Kuhn-Maßkonfektion
269€
193€
Krausenstr.
314€
339€
Schützenstr.
Zimmerstr.
Kochstr.
U
Puttkammerstr.
Besselstr.
Motzladen
5€
25€
Hedemannstr.
no name Modegeschäft
e
Hoffmann-Promenad
nade
mhag-Prome
Rahel-Va
Franz-Klühs-Str.
Geschäfte mit nur exklusiven Standorten
Mehringplatz
Ausschnitt der Friedrichstraße = 3 km
Stand: Mai 2005
Abb. 5: Kaufen in der
Friedrichstraße
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
77
Kartographie des Reichtums
REFLEXION DER ERGEBNISSE
Unsere Ergebnisse beruhen auf der
Vorannahme eines bestimmten Reichtumskonzepts, das in dieser Arbeit
noch nicht thematisiert wurde und nun
explizit angegeben werden soll. Als
Indikatoren für Reichtum dienten uns
vor allem Preislagen, die sich oberhalb
eines angenommenen Durchschnitts
befanden, d.h. dass sich unser Reichtumsbegriff fast ausschließlich auf
eine materielle sprich finanzielle Ebene bezieht. Diese Sichtweise stellt im
akademischen Kanon jedoch nur eine
Ausdrucksform des Reichtums dar.
Nach dem französischen Soziologen
Bourdieu drückt sich Reichtum nicht
nur in dem von uns untersuchten materiellen Kapital, sondern des Weiteren
in einem sozialen und kulturellen Kapital aus. Soziales und kulturelles Kapital
sind meist an Personen gebunden, und
entzogen sich daher unserem Ansatz,
in dem der Raum als Träger von Reichtum verstanden wurde.
Die Ergebnisse zur räumlichen Ausprägung von Reichtum sind demnach
nur innerhalb der Vorannahme gültig,
dass Reichtum gleichbedeutend mit
Geldbesitz ist, und müssen demnach
systemintern gedeutet werden.
Auf Basis der bisherigen empirischen
Ergebnisse wäre es nun interessant,
den Blickwinkel, der sich bisher vor
allem auf die vorhandenen Ausprägungen von Reichtum im Raum gerichtet hatte, zu wechseln und sich der
Wahrnehmung von Reichtum im Raum
zuzuwenden. Als ideales empirisches
Instrument würden sich hierzu „mental maps" anbieten. Die Zielstellung
wäre, zu überprüfen, ob das von uns
gezeichnete Bild von Reichtum auf
der Friedrichstraße deckungsgleich
mit der Wahrnehmung verschiedener
Akteursgruppen ist. Als solche Akteursgruppen haben wir bisher Anwohner,
Arbeitspendler und Touristen ausgemacht, deren Bild sicherlich die eine
oder andere Variante von Reichtum
beinhalten wird.
78
7. LITERATUR
Monographien & Zeitschriften
Auge, Marc (1994): Orte und NichtOrte. Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit, Frankfurt
Bodenschatz, Harald; Emgstfeld, H.-J;
Seifert, Carsten (1995): Berlin – Auf
der Suche nach dem verlorenen Zentrum, Berlin
Bourdieu, Pierre (1997): Ortseffekte.
In: ders. et. al.: Das Elend der Welt.
Konstanz, S. 159-167
Bourdieu, Pierre (1983): Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital,
soziales Kapital, in: Kreckel, Reinhard
(Hrsg.): Soziale Ungleichheiten, Sonderband 2 der Sozialen Welt, Göttingen 1983, S. 190f.
Ettlich, Wolfgang (1996): Kapitalismus
macht Spaß: Berlin Friedrichstrasse
(Video), München
Flick, Uwe u.a. (Hrsg.) (2003): Qualitative Forschung. Ein Handbuch
Internet
www.friedrichstraße.de
www.immobilienscout24.de
www.stadtentwicklung.berlin.de/
wohnen/mietspiegel
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
8. ANHANG
Tabelle 1: Berliner Standorte der Bekleidungsgeschäfte
auf der Friedrichstraße
Geschäft
Anzahl der Berliner
Standorte
Auflistung der Berliner Standorte neben der
Friedrichstraße
Evelin Brandt
4
Savignyplatz
Schloßstraße
Ring-Center
Crimes
2
Bleibtreustraße
M.Mode
1
Boss
4
KaDeWe
Peek & Cloppenburg (Ku‘damm)
Airport Tegel
Roeckl
2
Ku‘damm
St. Germaine
2
Ku‘damm
H&M
22
...
Hermès
2
Ku‘damm
UpArt
2
Steglitz
Max & Co
2
Ku‘damm
Benetton
8
Potsdamer Platz
Gesundbrunnencenter
Spandau Arcaden
Ku‘damm
P & C Steglitz
P & C (Ku‘damm)
Tauentzienstraße
Escada
3
Ku‘damm
KaDeWe
Gucci
3
KaDeWe
Fasanenstraße
Louis Vuitton
3
Ku‘damm
KaDeWe
Max Mara
2
Ku‘damm
Frankonia
1
Stefanel
2
Ku‘damm
Becon
4
k.A.
Kuhn Maßkonfektion
1
Tandem & Transit
2
Wille
1
La Fayettes
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
79
80
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
REICHTUM UNTER
MIGRANTEN
EINE EMPIRISCHE UNTERSUCHUNG ÜBER
TÜRKISCHSTÄMMIGE UNTERNEHMER IN BERLIN
DOROTHEE VON AUER | ROBERT GÖLZ
1. ZUR HERANGEHENSWEISE AN DAS
FORSCHUNGSTHEMA „REICHTUM UNTER MIGRANTEN“
In unserer Arbeitsgruppe stellten
wir uns die Frage, inwiefern das Seminarthema „Reichtum“ mit in Berlin
lebenden Migranten in Zusammenhang
steht. Die Wahl dieser Thematik leitete
sich neben dem Interesse an der Türkei
und türkischstämmigen Migranten allgemein auch aus unserem Eindruck ab,
dass Migranten im öffentlichen Diskurs
vor allem mit Problembereichen wie
Armut und mangelnder Integration in
Verbindung gebracht werden. Unsere
Absicht war es daher, statt der Thematisierung des Mangels (an finanziellen
Mitteln, Integration o.ä.) einmal den
Blick auf die Ausstattung von Migranten, somit also auf Reichtum, zu
richten.
Ein erheblicher Anteil der migrantischen Bevölkerung Berlins (und somit
auch der türkischstämmigen) befindet
sich also in einer schwierigen ökonomischen Lage, womit sich erklären lässt,
warum auch wissenschaftliche Arbeiten
über Migranten häufig Problembereiche
wie ihre Stellung auf dem deutschen
Arbeitsmarkt (vgl. Seifert 2000 oder
Kley 2004) oder die Gründe für Segregation (vgl. Häußermann; Siebel 2001)
thematisieren.
Versteht man hierunter jedoch lediglich die materielle Ausstattung und
betrachtet die Datenlage bezüglich
Arbeitslosigkeit und Haushaltseinkommen von Migranten in Berlin, scheint
dieser Ansatz zunächst wenig herzugeben. Statt Hinweise auf vorhandenen
Reichtum finden sich dort eher Anzeichen für ökonomische Notlagen. So ist,
wie Abb.1 zeigt, die Arbeitslosigkeit in
der türkischen Bevölkerung Berlins mit
40% im Jahre 2001 weit höher als in
der Gesamtbevölkerung.
Auch verfügen Berliner Haushalte
mit ausländischer Bezugsperson im
Vergleich zu den Haushalten insgesamt weitaus seltener über ein hohes
Einkommen und sind im Gegenzug
häufiger von niedrigen Einkommensverhältnissen betroffen, wie Abb.2
verdeutlicht.
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Abb. 1: Arbeitslosenquoten von Ausländern und
Deutschen in Berlin und
der BRD
81
Reichtum unter Migranten
Materieller Reichtum unter Migranten
ist dagegen eher ein Randphänomen,
das in Berlin aufgrund zu kleiner
Stichprobengrößen quantitativ (also
beispielsweise über eine Untersuchung
migrantischer Einkommensverhältnisse
nach Bezirken) kaum zu erfassen ist.
Wir entschieden uns daher dafür, das
Thema mittels qualitativer Interviews
zu bearbeiten. Um nun wohlhabende
türkischstämmige Personen ausfindig
zu machen, hielten wir uns an die
These, dass man in Deutschland nur
noch als Selbständiger zu Reichtum
gelangen kann (vgl. Uchatius 2004).
Zwar ist nicht jeder Selbständige automatisch reich, doch wenn Reichtum
erlangt wird, dann auf dem Wege der
Selbständigkeit. Unsere Zielgruppe
bestand daher aus türkischstämmigen
Unternehmern, die inzwischen in ganz
Deutschland in verschiedenen Verbänden wie dem TDU (Türkisch-Deutschen
Unternehmerbund) in Berlin organisiert
sind.
Monatl. HH-Nettoeinkommen ausländischer und deutscher Haushalte in Berlin
Anteil an jeweils allen
Haushalten (%)
Anzahl der Haushalte (in 1000)
30
2000
1800
25
1600
1400
20
1200
15
1000
800
10
600
400
5
200
0
0
Berlin
mit deutscher Bezugsperson
mit ausländischer Bezugsperson
unter 500 EUR
500-900 EUR
900-1300 EUR
1300-1500 EUR
1500-2000 EUR
2000-2600 EUR
über 2600 EUR
Haushalte insgesamt
Freunde und Familie oder eine bereits
vorhandene eigene Kapitalausstattung,
die zum Wohlstand verhalfen, oder
hing der Erfolg primär von exogenen
Faktoren wie gesetzlichen Bestimmungen oder dem Zugang zu Krediten ab?
An welchem Punkt müssten folglich
Maßnahmen ansetzen, die auch einem
breiteren Kreis von Personen mit migrantischem Hintergrund einen Zugang
zum Erfolg ermöglichen würden? Aus
den Antworten auf solche Fragen wollten wir Möglichkeiten zur Erlangung
von Wohlstand als Komplement zur Armut oder ökonomischer Not ableiten.
Im Laufe der Auseinandersetzung mit
dem Thema „Reichtum unter Migranten“ verlagerte sich unser Fokus jedoch
stärker auf die Persönlichkeit des wohlhabenden Migranten, in unserem Falle
also des türkischstämmigen Unternehmers, und seine Beziehung zum Erfolg:
Was wird überhaupt unter Erfolg verstanden, was ist das Motiv zum erfolgreich sein und welche Auswirkungen
hat Erfolg auf das Verhalten, vor allem
bezüglich sozialer Verantwortung? Mit
diesem Ansatz stand somit nicht mehr
der Weg zum Erfolg, sondern dessen
Bedeutungen und Auswirkungen im
Mittelpunkt. Wir nahmen damit auch
Abstand von einer rein materiellen
Definition des Reichtums und bezogen
soziales Kapital, das sich in gemeinsamen Werten, Netzwerken und stabilen
Beziehungen widerspiegelt (vgl. Weltbank 2003, S. 21), sowie die Nutzung
von Ressourcen in unser Reichtumsverständnis mit ein. Grundlage für diese
Überlegungen bildet die sogenannte
Entsolidarisierungshypothese, auf die
im Folgenden genauer eingegangen
werden soll.
Quelle: Eigene Darstellung nach Ergebnissen des Mikrozensus 2003, Statistisches Landesamt Berlin
Abb. 2: monatliches Netto-Haushaltseinkommen
nach Bezugsperson
82
Inhaltlich konzentrierte sich unser
Interesse zunächst auf die Frage,
auf welchem Wege türkischstämmige
Migranten in Berlin zu Wohlstand gelangen. Gerade angesichts der schwierigen ökonomischen Lage, in der sich
ein beträchtlicher Teil der migrantischen Bevölkerung in Berlin befindet,
lag unser Augenmerk auf den nötigen
Voraussetzungen, aber auch Hindernissen auf dem Weg zum Wohlstand.
Waren es mehr endogene Faktoren wie
die Schulbildung, Unterstützung durch
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Reichtum unter Migranten
THEORETISCHE GRUNDLAGEN UND VORGEHEN
2. THEORETISCHE GRUNDLAGE: DIE
ENTSOLIDARISIERUNGSHYPOTHESE
Solidarität ist nach Friedhelm Hengsbach ein Steuerungsinstrument zum
Ausgleich von Ungleichheiten innerhalb
einer Gesellschaft. Es funktioniert,
indem die weniger Schwachen für
Schwächere einstehen und weniger
Arme für die Ärmeren, und zwar jeweils
entsprechend der eigenen Leistungsfähigkeit bzw. Bedürftigkeit (vgl. Hengsbach 2003, S. 2).
Diese Solidarität wird nach Hengsbach
jedoch im Zuge eines gesellschaftlichen und politischen Wandels zunehmend demontiert: Die Steuerung
durch Solidarität, die den Wohlfahrtsstaat ausmacht, wird durch diejenige
des Marktes ersetzt. Asymmetrische
Einkommens- und Vermögensverteilungen werden dabei immer weniger
korrigiert, da sowohl die ökonomischen
als auch die politischen Eliten sich
dieser Verantwortung entziehen. Auch
die Versorgung der Bevölkerung wird
ungleicher, da auf dem Markt nur gewinnbringende Versorgungsleistungen
erbracht werden, so dass es zu einer
wachsenden sozio-ökonomischen Polarisierung der Gesellschaft kommt (vgl.
Häußermann 2002, S. 5). Lebensrisiken werden allgemein individualisiert
und privatisiert (vgl. Hengsbach 2003,
S. 4). Die Entsolidarisierung basiert
somit auf einer abnehmenden Bereitschaft von Eliten, Verantwortung für
ihr gesellschaftliches Umfeld zu übernehmen.
Der Staat, der dieser Entwicklung entgegentreten könnte, hat sie vielmehr
noch gefördert: Basierend auf der
Schumpeter’schen Annahme, gesellschaftliches Wohlergehen über den
Weg der Innovationsfähigkeit von Unternehmern, die wiederum von deren
Gewinnen abhängig ist, zu erreichen,
wurden bei Steuerreformen vor allem die oberen Einkommensschichten
entlastet. Im Gegenzug ging man von
einer erhöhten Investitionsbereitschaft
der Begünstigten aus, so dass Arbeits-
plätze, Kulturgüter und Wohltätigkeitseinrichtungen entstehen würden, was
anschließend auch Angehörigen unterer
Einkommensschichten zugute kommen
sollte. Ob sich dieser Zusammenhang
jedoch tatsächlich einstellt, ist nicht
belegbar (vgl. Huster 2002, S. 102).
Die Frage nach der Verantwortungsübernahme durch Eliten ist angesichts
der Positionierung der Parteien für den
Wahlkampf 2005 wieder sehr aktuell.
Der Forderung nach einer Millionärssteuer auf der einen Seite steht die
Sicht gegenüber, auf diese Weise bedeutsame Wirtschaftskräfte des Landes zu vergraulen. Außer Acht gelassen
wird bei letzterer Sichtweise die Frage,
ob die Eliten ihre Steuergeschenke
denn tatsächlich in höhere Investitionen
umsetzen oder sich dieser „Verantwortung“ entziehen, weil sich auch andere
gewinnbringende
Verwendungsmöglichkeiten dafür finden lassen – zumal
dem Kapital im Zuge der Globalisierung
und Kapitalmarktliberalisierung kaum
noch Grenzen gesetzt sind.
Die von Hengsbach aufgestellte Hypothese der Entsolidarisierung von Eliten
soll für unser Thema „Reichtum unter
Migranten“ zur Formulierung von Forschungsfragen dienen. Es soll überprüft
werden, ob die für die deutsche Gesellschaft beschriebenen Annahmen auch
auf Personen mit migrantischem Hintergrund übertragen werden können.
3. FORSCHUNGSFRAGEN
Unsere erste Forschungsfrage befasst
sich zunächst mit dem Motiv für die
Unternehmensgründung. Zwar gehen
wir davon aus, dass Reichtum nur über
den Weg der Selbständigkeit erreicht
werden kann, und so vermuten wir,
dass auch türkischstämmige Berliner
mit ihrer Unternehmensgründung das
Ziel des Reichtumserwerbs verfolgen.
Doch muss auch die Tatsache berücksichtigt werden, dass sich ein großer
Teil von ihnen in einer ökonomischen
Notlage befindet und das Unterneh-
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
83
Reichtum unter Migranten
mertum daher auch als einziger Ausweg aus dieser Not verstanden werden
kann (vgl. Pütz 2003, S. 29). Die erste
Frage lautet daher:
1. Steht das Ziel, „reich zu werden“
für türkische Unternehmer bei ihrer
Unternehmensgründung hinter dem
vorrangigen Motiv, Arbeitslosigkeit zu
vermeiden?
Wie bereits erwähnt, wandten wir uns
im Zuge der Änderung des inhaltlichen
Schwerpunkts auf die Bedeutung und
Auswirkung des Reichtums auch der
Möglichkeit zu, Reichtum über soziales
Kapital, also auf eine nicht-materielle
Weise zu definieren, zu. Um zu erfahren, wie türkischstämmige Unternehmer diese Definition vornehmen,
formulierten wir unsere zweite Forschungsfrage entsprechend:
2. Wie wird „Erfolg“ von türkischen Unternehmern definiert?
Statt „Reichtum“ wählen wir den Begriff „Erfolg“, um die Möglichkeit, eine
nicht-materielle Definition im Sinne
sozialen Kapitals vorzunehmen, offen
zu lassen.
Im Zusammenhang mit der oben erläuterten Entsolidarisierungshypothese
lautet unsere dritte Forschungsfrage:
3. Ist bei türkischen Unternehmern ein
höheres
Verantwortungsbewusstsein
gegenüber
ihrer
gesellschaftlichen
Umgebung vorhanden als bei Eliten in
Deutschland insgesamt?
Gemessen werden soll dies anhand des
gesellschaftlichen und sozialen Engagements türkischer Unternehmer. Der
Vergleich mit deutschen Eliten ist dabei
jedoch nur theoretisch vornehmbar, da
wir mit Vertretern dieser Gruppe keine
Interviews geführt haben. Wir können
uns daher nur auf die Literatur beziehen, in der wie oben beschrieben von
mangelnder Verantwortung die Rede
ist. Finden wir also türkische Unternehmer, die sich sozial engagieren und somit Verantwortung übernehmen, sehen
wir dies als positive Antwort auf diese
dritte Forschungsfrage.
4. ZUM METHODISCHEN VORGEHEN
Wie eingangs bereits erwähnt, lässt
sich „Reichtum unter Migranten“ in
Berlin – zumindest in seiner rein
materiellen Variante - aufgrund zu
kleiner Stichprobengrößen nicht über
quantitative statistische Methoden bearbeiten. Es stellte sich für uns daher
lediglich die Frage, welche der vielen
qualitativen Erhebungsmethoden für
die empirische Überprüfung unserer
Thesen am geeignetsten wäre. Zu
Beginn unserer Überlegungen, als unser Ansatz sich wie oben beschrieben
noch auf den Weg zum Erfolg (und
somit auf andere Forschungsfragen)
konzentrierte, entschieden wir uns für
die Methode des Leitfadeninterviews.
Auf entsprechende Weise führten wir
unseren Pretest mit einem ungarischen
Unternehmer durch. Aufgrund der Ergebnisse dieser Testphase nahmen wir
jedoch die erwähnte Konzeptänderung
vor, um uns eher auf die Bedeutung
und Auswirkungen von Reichtum auf
den Unternehmer zu konzentrieren.
Zur Bearbeitung dieser veränderten
Schwerpunktsetzung schien uns geeigneter, mittels biographisch-narrativer
Interviews vorzugehen. In solch einem
Interview wird der Gesprächspartner
durch eine Erzählaufforderung dazu
gebracht, einen bestimmten Abschnitt
seines Lebens zu schildern. Aus dieser
Erzählung, die gegebenenfalls durch
Nachfragen ergänzt wird, lassen sich
anschließend Antworten auf Fragen
finden, die nicht explizit gestellt worden sind. Zu vermeiden sind dabei
die sogenannten W-Fragen („Weshalb
machten Sie damals…? Warum öffneten Sie diese Filiale?“), da diese meist
mit Argumenten und Sichtweisen, die
der Gesprächspartner zum heutigen
Zeitpunkt vertritt, beantwortet werden.
Im narrativen Interview geht es jedoch
um die Einbettung von Geschehnissen
in den Kontext der Lebensgeschichte,
mit dem Ziel, Motive und Einschätzungen des Gesprächspartners ganzheitlich erfassen zu können (vgl. FischerRosenthal; Rosenthal 1997, S. 414).
Zur Überprüfung unserer Thesen interessierte uns vor allem die Geschichte
der Unternehmensgründung unserer
84
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Gesprächspartner, die Motive dazu
sowie die Auswirkungen, die sich daraus auf ihr Leben ergeben haben. Das
Gespräch war daher in folgende Phasen
zu gliedern:
Einen weiteren Interviewtermin, ebenfalls mit einem TDU-Mitglied, bekamen
wir zudem über private Kontakte übermittelt, so dass wir insgesamt vier Interviews durchführen konnten.
1. Die Erzählaufforderung:
„Erzählen Sie uns doch einmal Ihre Lebensgeschichte von dem Zeitpunkt an,
als Sie zum ersten Mal darüber nachdachten, ein Unternehmen zu gründen,
bis zum heutigen Tag.“
Bei den Interviews selbst machte sich
vor allem an den ersten beiden Terminen unsere Unerfahrenheit in der
Gesprächsführung bemerkbar. So vereinbarten wir für das erste Gespräch
als Treffpunkt ein Café, wo der Lautstärkepegel so hoch war, dass unser
Aufnahmegerät nicht einsetzbar war.
Zudem waren statt nur einem zeitweise drei Gesprächspartner anwesend,
die durcheinander Antworten gaben.
Es kristallisierte sich zwar ein Hauptgesprächspartner heraus, doch war es in
dieser Situation besonders schwierig,
das Gespräch in die gewünschte Richtung zu lenken.
2. Während der Haupterzählphase sollte nicht unterbrochen werden, stattdessen notiert man sich, in welchen
Bereichen man anschließend noch einmal genauer nachfragen möchte.
3. Falls unser Gesprächspartner von
selbst nichts dazu sagen würde, waren
folgende Zusatzfragen vorgesehen:
„Erzählen Sie uns doch einmal von
einer Situation, in der Sie einen besonderen Erfolg verzeichnen konnten!“
Durch diese Formulierung wollten wir
die Einstellungsfrage „Was ist Erfolg?“
vermeiden und diese Frage stattdessen
durch eine Situationsschilderung beantworten lassen.
4. „Engagieren Sie sich privat oder
im Rahmen des Unternehmens im
gesellschaftlichen Bereich (sozial, für
die Umwelt, im Bereich der Zivilgesellschaft…)? Erzählen Sie uns doch
einmal, wie es dazu kam.“
5. PROBLEME UND BESONDERHEITEN
IN DER FELDPHASE
Die ersten Probleme tauchten auf, als
wir versuchten, potentielle Gesprächspartner ausfindig zu machen. Zwar
hatten wir idealerweise den Kontakt zu
einem wichtigen Ansprechpartner des
TDU übermittelt bekommen, der uns
eine Liste potentieller Interviewpartner
geben wollte. Da sich diese Übermittlung jedoch sehr verzögerte, stand uns
für die Feldphase schließlich nicht mehr
viel Zeit zur Verfügung. Von den letztlich übermittelten zehn Kontakten erreichten wir nur die Hälfte, von denen
zwei absagten. Drei waren jedoch sehr
aufgeschlossen und sofort dazu bereit,
einen Termin mit uns zu vereinbaren.
Reichtum unter Migranten
Ein ähnliches Problem stellte sich im
zweiten Gespräch, als die Erzählaufforderung unglücklich formuliert wurde.
Unser sehr engagierter Gesprächspartner berichtete daraufhin detailliert
über die allgemeine Lage türkischer
Unternehmer, über die er durch seine
Tätigkeit einen guten Überblick hatte. Das Gespräch war dadurch nicht
weniger interessant, nur trafen wir
damit nicht ganz die Anforderungen
für unsere Methode (nämlich seine persönliche Lebensgeschichte zu erfahren)
und zudem wurde es schwieriger, seine
Aussagen mit denen der anderen Unternehmer zu vergleichen.
Auch gelang es nicht immer, sich an
die Regel zu halten, keine W-Fragen zu
stellen sowie nicht zu früh zu intervenieren. Einwandfreie biographisch-narrative Interviews, wie sie in der Literatur beschrieben sind, waren daher nur
unsere beiden letzten Gespräche, in
denen wir bereits mehr Übung hatten.
Diese Erhebungsmethode war also in
der Praxis weitaus schwieriger durchzuführen, als wir anfangs angenommen
hatten.
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
85
Reichtum unter Migranten
ERGEBNISSE
6.1 DIE MOTIVE ZUR
UNTERNEHMENSGRÜNDUNG
In den Erzählungen über die Unternehmensgründung wurden folgende
Motive erkennbar: Erstens war das
Motiv zur Firmengründung ein lang
gehegter Wunsch, sozusagen das
Verwirklichen eines Kindheitstraumes.
Auch Unzufriedenheit mit dem vorherigen Job wurde als Grund für den
Schritt in die Selbständigkeit genannt.
Die stabile wirtschaftliche Situation in
den 1980er und 1990er Jahren bot
dann die Möglichkeit, dieses Vorhaben
Realität werden zu lassen. Durchaus
kritisch sahen alle Gesprächspartner
die gegenwärtige wirtschaftliche Lage.
Neue Unternehmensgründungen seien
heute weitaus schwieriger geworden.
Reich könne man damit heut zutage
nicht mehr werden, hieß es.
Zweitens wurde das Interesse an finanziellem Erfolg als Beweggrund in den
Vordergrund gestellt. Arbeiten müsse
man in einem Angestelltenverhältnis
auch sehr viel, also könne man auch
gleich für sich selber viel arbeiten und
dabei mehr verdienen.
Ein dritter, nicht unwichtiger Punkt
scheint uns die Verpflichtung gegenüber der Familie. Ein Interviewpartner
stellte die Verantwortung, die er gegenüber seiner Familie, insbesondere
seinen Eltern verspüre, als sehr wichtig
heraus.
Alle Gesprächspartner waren der
Meinung, dass die Selbständigkeit
im Laufe der letzten Jahre aber auch
immer häufiger als Ausweg aus der
Arbeitslosigkeit gewählt worden sei.
Sie schätzten die Erfolgsaussichten für
kleine Unternehmen jedoch als niedrig
und ihre Zukunftsfähigkeit als wenig
aussichtsreich ein.
Für unsere unter Punkt 3 formulierte
erste Forschungsfrage nach dem Motiv
für die Wahl der Selbständigkeit lässt
86
sich somit festhalten, dass unsere Gesprächspartner weniger etwas vermeiden wollten (nämlich Arbeitslosigkeit)
als vielmehr die Erreichung eines Ziels
vor Augen hatten, welches sowohl materieller (finanzielle Verbesserung) als
auch immaterieller Art (persönliche
und familiäre Vorstellungen betreffend)
sein konnte. Doch liegen diese Unternehmensgründungen bereits 10-20
Jahre zurück. Bei jüngeren Gründungen scheint die Vermeidung von Arbeitslosigkeit ein immer gewichtigeres
Motiv zu werden.
6.2 DIE BEDEUTUNG VON „ERFOLG“
Die Definition von Erfolg wurde sehr
unterschiedlich vorgenommen. Erstens
wurde Erfolg einzig über die finanziellen Ergebnisse der Unternehmenstätigkeit definiert, konkret wurde
die Verdopplung der Auftragssumme
genannt. Zweitens war es vielmehr das
Gefühl, etwas geschafft und aufgebaut
zu haben, was als Erfolg bezeichnet
wurde. Ein Gesprächspartner sagte, es
mache ihn unheimlich stolz, eine ehemalige Arbeitnehmerfamilie zu einer
Arbeitgeberfamilie gemacht zu haben.
Hier steht also ein nicht-materielles
Verständnis von Erfolg im Vordergrund,
ähnlich wie auch bei der dritten Definition, nämlich anderen Unternehmern
durch die eigene Beratungstätigkeit zu
einer eigenständigen Existenz verholfen zu haben.
Im vierten Fall wurde Erfolg als ein
Zusammenspiel von materiellen und
ideellen Werten verstanden: Anderen
zu helfen mache glücklich und führe
gleichzeitig auch zu ökonomischem
Unternehmenserfolg.
Nur einer unserer Gesprächspartner
definierte Erfolg ausschließlich über
finanzielle Größen, bei allen anderen
spielten auch nicht-materielle Werte
eine oder die ausschließliche Rolle.
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
6.3 DAS VERANTWORTUNGSBEWUSSTSEIN TÜRKISCHSTÄMMIGER UNTERNEHMER
Bezüglich dieser Frage erhielten wir
ein sehr einheitliches Bild der Unternehmer, da sie alle gesellschaftlich
engagiert sind. Ob als Präsident eines
Fußballvereins, der soziale Projekte zur
Bekämpfung der Jugendkriminalität initiiert, als Durchführender von Projekten
zur Aufwertung des öffentlichen Raums
oder als Mitglied in verschiedenen wirtschaftlichen Beiräten des Senats und
Vorstand eines Unternehmerverbandes, der seine Mitglieder richtiggehend
dazu erzieht, neue Ausbildungsplätze
zu schaffen - Alle unsere Gesprächs-
partner betrachteten es als nahezu
selbstverständlich, sich für ihr Umfeld
einzusetzen und in unterschiedlicher
Weise in dessen Verbesserung zu investieren.
Reichtum unter Migranten
Eine Entsolidarisierung im Sinne der
Nicht-Wahrnehmung von sozialer Verantwortung, wie sie für Unternehmer
in Deutschland insgesamt angegeben
wird, konnten wir nicht feststellen.
Dies deutet darauf hin, dass türkischstämmige Unternehmer in Deutschland
sich gegenüber anderen durch ein
ausgeprägteres
Verantwortungsbewusstsein unterscheiden. Dies sollte
jedoch ebenso wie die Gründe hierfür
in einer umfassenderen Untersuchung
überprüft werden.
FAZIT
Während materieller Reichtum unter
Migranten ein Randphänomen darstellt,
konnten wir durch unsere empirische
Untersuchung eine andere Art von
Reichtum bei türkischstämmigen Unternehmern feststellen: Sie scheinen
in beträchtlichem Maße über soziales
Kapital zu verfügen, welches sich in
gelebten gemeinsamen Werten, Netzwerken und Ressourcenverwertung
widerspiegelt. Das hieraus resultierende Engagement für das eigene Umfeld
spricht eindeutig gegen Entsolidarisierungstendenzen unter türkischstämmigen Unternehmern, wie sie für Eliten
in Deutschland insgesamt postuliert
werden.
Am Verständnis der Unternehmer von
„Erfolg“ wird deutlich, dass dieser zwar
eng mit materiellen Werten zusammenhängt, jedoch nicht ausschließlich davon bestimmt wird. Im Umkehrschluss
sind türkische Unternehmer auch in
wirtschaftlich schlechten Zeiten nicht
zwingend als erfolglos zu bezeichnen,
selbst wenn finanzielle Ergebnisse wie
Umsatz und Gewinn dies vermuten lassen würden.
8. LITERATUR
Monographien & Zeitschriften
Fischer-Rosenthal, Wolfram; Rosenthal, Gabriele (1997): Warum Biographieanalyse und wie man sie macht.
In: Zeitschrift für Sozialisationsforschung und Erziehungssoziologie, Jg.
17, H. 4, S. 405-427
Huster, Ernst-Ulrich (2002): Reich –
schön – gut, in: Huster, Ernst-Ulrich;
Volz, Fritz Rüdiger (Hrsg.): Theorien
des Reichtums. Hamburg
Kley, Stefanie (2004): Migration und
Sozialstruktur. EU-Bürger, Drittstaater
und Eingebürgerte in Deutschland.
Berlin
Pütz, Robert (2003): Unternehmer
türkischer Herkunft in Deutschland.
„Gründungsboom“ aus makroanalytischer Perspektive, das Beispiel Berlin. In: Geographische Rundschau 55
(2003) 4, S. 26-31
Seifert, Wolfgang; Bender, Stefan
(2000): Zur beruflichen und sozialen
Integration der in Deutschland lebenden Ausländer. In: Alba, Richard et
al.: Deutsche und Ausländer: Fremde,
Freunde, Feinde? Wiesbaden, S. 55-92
Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
87
Uchatius, Wolfgang (2004): Wo stehen
die Reichen? In: Die Zeit, Nr. 40/2004
Weltbank (Hrsg., 2003): Weltentwicklungsbericht 2003: Nachhaltige Entwicklung in einer dynamischen Welt:
Institutionen, Wachstum und Lebensqualität verbessern. Washington
Internet
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Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
ARBEITSBERICHTE
GeographischesInstitut,Humboldt-UniversitätzuBerlin
ISSN 0947 - 0360
Heft 96
H. Schröder, E. Neubarth
und H. Munack (Hrsg.):
Kasachstan. Die südöstliche Region. Bericht zur Hauptexkursion 2003. Berlin 2004
Heft 97
M. Schulz (Hrsg.):
Geographische Exkursionen in Berlin. Teil 2. Berlin 2004
Heft 98
S. Kinder und J. Korn
(Hrsg.):
Polen. Bericht zur wirtschaftsgeographischen Hauptexkursion 2003. Berlin 2004
Heft 99
N. Lanfer (Hrsg.):
Stadtklimatische Untersuchungen im Südosten Berlins.
Ergebnisse eines Projektseminars. Berlin 2004
Heft 100
H.-D. Schultz (Hrsg.):
¿Geographie? Teil 3 (Ergänzungsband zu Heft 88 und
89): Antworten vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart.
Berlin 2004
Heft 101
N. Zahnen und W. Endlicher
(Hrsg.):
Spanien – Bericht zur Hauptexkursion 2003. Berlin 2004
Heft 102
L.Ellenberg (Hrsg.):
Die Oder. Ergebnisse eines Oberseminars. Berlin 2004
Heft 103
T. Becker:
Nutzungskonflikte auf Binnenwasserstraßen. Landschaftsökologische und sozialgeographische Aspekte
einer Fahrrinne auf dem Gr. Müggelsee (Berlin). Berlin
2005
Heft 104
T. Luley und C. Nobis
(Hrsg.):
Mobilitätsforschung: Fragestellungen und empirische
Analysen von Mobilitätsdaten. Ergebnisse eines Projektseminars zum Mobilitätsverhalten der Berliner Bevölkerung.
Berlin 2005
Heft 105
A.Hoorn:
Die deutsch-polnische Grenze: Grenz(er)leben und Zukunftsperspektiven von Jugendlichen in Guben – Gubin.
A. Nieszery:
Projekt solidarische Stadt. Das französische Gesetz der
städtischen Solidarität und Erneuerung als Strategie gegen die sozialräumliche Spaltung der Stadt.
Berlin 2005
Heft 106
S. Kinder und E. Kulke
(Hrsg.):
Südostasien. Bericht zur wirtschaftsgeographischen
Hauptexkursion 2004. Berlin 2005
Heft 107
K. Rehak:
Morphometrische Analyse eines aktiven Kontinentalrandes – Cordillera de Nahuelbuta (Chile) -. Berlin 2005
Heft 108
H. Schröder, W. Raschke &
C. Kliche (Hrsg.):
Mecklenburg-Vorpommern. Bericht zur Exkursion 2004.
Berlin 2005
Heft 109
U. Eidam & J. Böhner
(Hrsg.):
Relief, Klima, Landschaft: Methoden der Generierung,
Darstellung und Vermittlung komplexer Zusammenhänge
im Hochgebirge. Berlin 2005
Heft 110
T. Bürk-Matsunami u.a.
(Hrsg.):
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin. Ergebnisse
eines Projektseminars. Berlin 2005