Fortbildung
Kinderurologie
Die neuen europäischen Leitlinien 2016
Claudia Neissner, Wolfgang H. Rösch, Annette Schröder
Im März 2016 erschienen die neu überarbeiteten Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kinderurologie (ESPU) und der Europäischen
Vereinigung für Urologie (EAU). Alle Neuerungen der Leitlinien sind
nachfolgend zusammengefasst.
S
zudem abschließende Zusammenfassungen erarbeitet oder die bisherigen
Empfehlungen abgeändert (Tab. 1).
Die wesentlichen Punkte und relevanten inhaltlichen Neuerungen der Kapitel
werden im Folgenden vorgestellt. Zur
umfassenden Information über die Neu-
Nicht deszendierter Hoden
(vollständig überarbeitet)
Hintergrund
Bei bis zu 4,6 % der reif geborenen und
bei bis zu 45 % der frühgeborenen Jungen wird ein Hodenhochstand diagnostiziert. Davon persistieren circa 1 %
zum Ende des ersten Lebensjahres. Bei
30 % der Patienten sind beide Hoden
betroffen (NEU).
© Marco281/fotolia .com
echs Kapitel wurden inhaltlich
überarbeitet. Hierzu zählen: nicht
deszendierter Hoden, akutes Skrotum, Harnwegsinfektionen bei Kindern,
Blasenstörungen am Tage, monosymptomatische Enuresis und Urethralklappen. Bei zahlreichen Kapiteln wurden
erungen wird die Lektüre der vollständigen Leitlinien empfohlen [1].
Teilweise neu, teilweise ergänzt und teilweise verändert wurden die Empfehlungen in den neuen europäischen Leitlinien zu
urologischen Erkrankungen bei Kindern.
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Klassifikation (NEU)
Aufgrund jeweils unterschiedlicher diagnostischer und therapeutischer Vorgehensweisen gilt es zwischen tastbaren
und nicht tastbaren Hoden zu unterscheiden. Folgende Hinweise aus den
neuen Leitlinien helfen bei der Einteilung:
— 80 % der nicht deszendierten Hoden
sind tastbar (Leisten-/ektope Hoden).
— Beim Phänomen des Pendelhodens
handelt es sich um einen deszendierten, aber hypermobilen Hoden. Aufgrund eines 30%igen Aszensionsrisikos ist eine regelmäßige Verlaufskontrolle erforderlich.
— Der sekundäre Hodenhochstand ist
Folge eines vorangegangenen Leisteneingriffes.
— Zwischen 50 und 60 % der nicht tastbaren Hoden liegen intraabdominal,
im Leistenkanal oder am inneren
Leistenring („peeping testis“). Bei circa 20 % findet sich kein Hoden, bei
30 % ein Hodenrudiment („nubbin“).
Diagnostik
Anamnese: Bei der Anamnese werden
elterliche hormonelle Risikofaktoren,
Voroperationen und der frühere Nachweis einer orthotopen Hodenlage (Aszension) erhoben (NEU).
Körperliche Untersuchung: Ein Gleitmittel erleichtert es, den Leistenkanal in
Rückenlage und im Sitzen abzutasten
und auszustreifen („Seifentest“) (NEU).
Ein kompensatorisch vergrößerter kontralateraler Hoden ist hinweisgebend,
aber nicht beweisend für eine Hodenatrophie der betroffenen Seite.
Bei beidseitigem Hodenhochstand
und Zeichen einer Störung der Geschlechtsentwicklung („disorder of sex
development“, DSD) im Sinne eines indifferenten äußeren Genitals ist eine endokrinologische und genetische Abklärung indiziert.
Bildgebende Untersuchungsverfahren: Weder die Sonografie noch die Magnetresonanztomografie (MRT) liefern
bei nicht tastbarem Hoden therapieentscheidende Informationen. Sie sind deshalb nur bei speziellen Fragestellungen
(z. B. DSD) einzusetzen (NEU).
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Behandlung
Die Behandlung des Hodenhochstandes
sollte zwischen dem sechsten und zwölften Lebensmonat erfolgen und spätestens
mit dem 18. Lebensmonat abgeschlossen
sein. Eine verspätete Therapie hat einen
histologisch nachweisbaren Keimzellund Leydigzellverlust zur Folge (NEU).
Hormonbehandlung: Die Datenlage zur
Hormontherapie wird aufgrund mangelnder Studienqualität als kontrovers
angesehen. Kurzzeitstudien dokumentieren relevante Nebenwirkungen wie ein
Skrotalerythem, eine Hyperpigmentierung, Schambehaarung oder Peniswachstum infolge der hormonellen Behandlung. Aufgrund der geringen Deszenionsrate von maximal 20 % (abhängig
von der initialen Position) und einer
posttherapeutischen Reaszensionsrate
von 20 % wird die Hormontherapie mit
dem Ziel des Deszensus in den neuen
Leitlinien nicht mehr empfohlen.
Aufgrund der nur fraglich langanhaltenden Verbesserung des Fertilitätsindexes und des Nachweises einer gesteigerten
Keimzell-Apoptose, entzündlichen Hodengewebsreaktion und Hodenvolumenminderung im Erwachsenenalter wird
die Hormontherapie zur Fertilitätsverbesserung ausschließlich beim beidseitigen Hodenhochstand empfohlen (alleinige Therapie mit GnRH[GonadotropinReleasing-Hormon]-Analoga).
Chirurgische Therapie
Nur wenn frühzeitig, das heißt zwischen
dem sechsten und zwölften Lebensmonat, operiert wird, kann ein teilweises
Aufholwachstum des betroffenen Hodens induziert werden (NEU). Die Hodenlage ist vor Operationsbeginn nochmals in Narkose zu überprüfen.
Operation beim tastbaren Hoden:
Beim tastbaren Hoden erfolgt die Orchidofunikulolyse und Orchidopexie über
einen inguinalen oder skrotalen Zugang.
Beim inguinalen Zugang werden Hoden
und Samenstrang bis zur Höhe des inneren Leistenrings unter Durchtrennung
aller Kremasterfasern mobilisiert (NEU).
Ein offener Processus vaginalis muss aufgrund des erhöhten Risikos eines Rezidivhodenhochstandes in derselben Operationssitzung auf Höhe des inneren Leis-
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Fortbildung
Kinderurologie
Tab. 1: Auflistung aller überarbeiteten Kapitel der EAU/ESPU-Leitlinie zur
pädiatrischen Urologie 2016
erstmalige Zusammenfassungen
geänderte oder ergänzte Empfehlungen
— Phimose
— nicht deszendierter Hoden
— Hydrozele
— akutes Skrotum
— kongenitale Penisdeviation
— Varikozele beim Kind und Jugendlichen
— Harnwegsinfektionen bei Kindern
— Lower Urinary Tract Symptoms (LUTS)
— monosymptomatische Enuresis (MEN)
— neurogene Blase
— vesikoureteraler Reflux bei Kindern
— sexuelle Differenzierungsstörung (DSD)
— hintere Harnröhrenklappen
— Hypospadie
— kongenitale Penisdeviation
— neurogene Blase
— Nierensteine
tenrings ligiert werden (NEU). Bei unzureichender Mobilisation kann durch das
Prentiss-Manöver, das heißt durch Ligatur der inferioren epigastrischen Gefäße,
der Samenstrang medialisiert und so an
Wegstrecke gewonnen werden (alternativ:
Durchzug des Samenstranges unter den
epigastrischen Gefäßen) (NEU). Relevante Hoden-Nebenhoden-Dissoziationen
sind aufgrund ihrer ungünstigen Fertilitätsprognose zu dokumentieren (NEU).
Über den skrotalen Zugang lassen sich
tief gelegene Hoden ähnlich erfolgreich
korrigieren wie über einen inguinalen
Zugang. Offene Processus vaginales müssen ggf. über einen zusätzlichen inguinalen Zugang versorgt werden (20 %) (NEU).
Operation beim nicht tastbaren Hoden:
Die Laparoskopie ist zugleich ein diagnostisches wie auch therapeutisches Instrument. Bei mehr als zwei Zentimeter
Abstand des Abdominalhodens zum inneren Leistenring kann eine Durchtrennung der Testikulargefäße notwendig
sein (Fowler-Stephens-Manöver) (NEU).
Bei Verdacht auf ein skrotales Hodenrudiment („nubbin“) ist die initiale skrotale
Exploration eine Option (NEU).
Operative Komplikationen: Das Atrophierisiko liegt bei primärer Orchidopexie < 2 %, bei einzeitigem Fowler-Stephens-Manöver bei ungefähr 28 % und
bei zweizeitigem Vorgehen bei circa 8 %.
Selten kommt es zum sekundären Ho-
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dentorsion, Epididymitis, idiopathisches
Skrotalödem) zählen ab sofort auch das
traumabedingte Hämatom sowie die
Hodenkontusion/-ruptur/-torsion und in
seltenen Fällen auch eine durch Kälteexposition ausgelöste Skrotalfettnekrose
bei adipösen Präpubertierenden. Die perinatale Torsion tritt bei 25 % der Patienten postpartal auf (meist extravaginal).
Diagnostik
Bei Neugeborenen mit Hodentorsionen
gelten Skrotalschmerzen nicht als Leitsymptom. In der Diagnostik gilt nach
wie vor die Doppler-Sonografie als Goldstandard.
denhochstand oder zur Verletzung des
Ductus deferens.
Operatives Vorgehen bei postpubertärem Hodenhochstand: Bei persistierendem Hodenhochstand nach der Pubertät
wird eine primäre Orchiektomie nur bei
gesundem, skrotal positioniertem Gegenhoden empfohlen (NEU). Andernfalls sollte eine Korrektur des Hodenhochstandes angestrebt werden.
Hodenhochstand und Fertilität (NEU)
Die Kombination aus Keimzellverlust
und -maturationstörung, Leydigzellreduktion und Hodenfibrose hat bei Persistenz eines unilateralen Hodenhochstandes über das zweite Lebensjahr hinaus eine verminderte Fertilitätsrate und
bei beidseitigem Hodenhochstand zusätzlich eine erniedrigte Vaterschaftsrate zur Folge. Bei unbehandeltem, beidseitigem Hodenhochstand findet sich bei
100 % der Patienten eine Oligo- und bei
75 % eine Azoospermie. Beim korrigierten, beidseitigen Hodenhochstand besteht wiederum bei 75 % eine Oligo- und
bei 42 % eine Azoospermie.
Akutes Skrotum (geringfügige
Änderungen)
Epidemiologie, Ätiologie,
Pathophysiologie
Zu den bereits bekannten Ursachen eines
akuten Skrotums (Hoden- oder Hydati-
Chirurgische Behandlung
Die meisten Urologen führen eine sogenannte Dartos-Pouch-Orchidopexie
mittels nicht resorbierbarem Fadenmaterial durch.
Harnwegsinfektionen bei Kindern
(mehrere Änderungen)
Harnwegsinfektionen (HWI) sind die
häufigsten bakteriellen Entzündungen
im Kindesalter.
Symptomklassifikation
Die asymptomatische Bakteriurie liegt
bei alleinigem Keimnachweis ohne Entzündungszeichen im Urin und ohne
Symptome vor. Neu definiert ist die
asymptomatische HWI, bei der sich
Leukozyten im Urin finden, aber keine
Symptome vorhanden sind. Eine symptomatische HWI zeigt zystitische oder
pyelonephritische Symptome in Kombination mit Leukozyten und Bakterien
im Urin.
Risikoklassifikation
Als unkompliziert gelten HWI bei normaler Anatomie und Funktion des
Harntraktes, normaler Nierenfunktion
(NEU) und kompetenter Immunfunktion (NEU). Alle HWI bei Neugeborenen,
bei mechanischer und funktioneller Obstruktion des Harntraktes und klinisch
nachweislichen Pyelonephritiden gelten
als kompliziert. Sie bedürfen im Gegensatz zu den unkomplizierten HWI einer
intravenösen Behandlung im stationären Bereich und im Falle einer Obstruktion unter Umständen zusätzlich einer
adäquaten Urinableitung.
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Diagnostik
Anamnese: Die Anamnese umfasst frühere HWI, bekannte Anomalien des
Harntraktes (prä-/postnatal), vorangegangene Operationen, Familienanamnese, Obstipation und Blasenentleerungs-/
funktionsstörungen (Restharnbildung,
Miktionsaufschub).
Uringewinnung: Bei windelversorgten
Kindern liegt die Rate der falsch-positiven Ergebnisse bei über Klebebeutel gewonnenem Urin zwischen 85 und 99 %.
Besser gelingt die Uringewinnung über
eine forcierte Spontanmiktion („cleancatch urine collection“), mit einem
falsch-positivem Ergebnis von nur 5 %.
Bei weiblichen Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkindern ist der Einmalkatheterismus eine Alternative zur Blasenpunktion. Nachweislich ergebnisverfälschend ist bei dieser Entnahmetechnik
ein erschwerter Katheterismus, eine intakte Vorhaut und ein Alter von unter
sechs Monaten (14 % Kontamination). Bei
diesen Patienten sollte bei jedem neuerlichen Katheterismusversuch ein frischer
Katheter verwendet werden oder alternativ eine Blasenpunktion zur besseren
Uringewinnung erfolgen (NEU). Bei Toilettengängern ist nach zweimaliger Vorreinigung des äußeren Genitals der Spontan- oder Mittelstrahlurin ausreichend.
Besteht eine hohe klinische Relevanz,
aber auch bei der Differenzialdiagnose
einer Sepsis, sollte der Urin über Einmalkatheterismus oder Blasenpunktion
gewonnen werden.
Urinkultur: Bei positivem Ergebnis des
U-Stix oder der Mikroskopie wird eine
Bestätigung durch eine Urinkultur bei
klinischer Relevanz empfohlen. Kulturen aus Katheterurin mit Keimzahlen
> 103−105 gelten als Kriterium für das
Vorliegen eines HWI.
Bildgebende Diagnostik
Ultraschall: Bei Säuglingen mit fieberhaftem HWI lautet die Empfehlung,
eine Sonografie des Harntraktes innerhalb von 24 Stunden nach Diagnosestellung vorzunehmen, um eine Obstruktion des Harntraktes auszuschließen (NEU).
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DMSA-Szintigrafie: Pathologien in der
DMSA-Szintigrafie zeigen Pyelonephritiden oder Parenchymschäden auf und
korrelieren mit dem Vorhandensein eines dilatierenden vesikoureterorenalen
Refluxes. In der Akutphase (bis sechs
Wochen nach Infekt) demarkieren Perfusionsdefekte den Entzündungsherd
(NEU). Nierennarben können frühestens nach drei bis sechs Monaten nachgewiesen werden (NEU).
Miktionszystourethrografie: Bei Jungen und Mädchen wird abhängig von
Alter und Klinik (sonografische Obstruktion) unter Umständen auch schon
nach dem ersten fieberhaften HWI eine
Miktionszystourethrografie
(MCU)
empfohlen (siehe Abb. 4, S. 33 EAU-Leitlinien). Beim „top-down-approach“ erfolgt zuerst die DMSA-Szintigrafie und
nur bei Nachweis einer Pathologie folgt
eine MCU.
Behandlung
Wahl des Antibiotikums: Die Resistenzlage der uropathogenen Escherichia-coli-Stämme ist sehr länderspezifisch, mit
einer alarmierenden Zunahme der
ESBL(Extended-Spectrum-Betalaktamase)-Keime bei Kindern (NEU). Trotz
guter Wirksamkeit wird zunehmend
über Resistenzen gegen Cephalosporine
der dritten Generation und Amoxicillin/
Clavulansäure berichtet (NEU).
Chemoprophylaxe: Die antibiotische
Langzeitprophylaxe sollte bei hohem Risiko für HWI und Nierenschäden in Erwägung gezogen werden. Altersabhängig wird bevorzugt Trimethoprim oder
Nitrofurantoin empfohlen, und nur in
Ausnahmefällen orale Cephalosporine,
unter Beachtung der regionalen Resistenzlage (siehe oben).
Störungen des unteren
Harntraktes am Tag (Neuerungen
der Nomenklatur)
Epidemiologie, Ätiologie und
Pathophysiologie
Störungen des unteren Harntraktes am
Tag („day-time lower urinary tract [LUT]
conditions“) beinhalten unter anderem
Drangsymptomatik/-inkontinenz, abge-
schwächten Harnstrahl, Miktionsaufschub, gehäuften Toilettengang und
HWI ohne nachweisliche urologische
und neurologische Pathomorphologie.
Dieser neue Begriff der ICCS (International Children’s Continence Society) vereint alle funktionellen Inkontinenzprobleme bei Kindern und grenzt die isolierte, nächtliche Harninkontinenz (Enuresis) klar davon ab.
Der Überbegriff „bladder-bowel-dysfunction“ steht für Blasen- und Darmfunktionsstörungen. Er betont die enge
Beziehung von Blasen- und Darmfunktionsstörungen bei Kindern. Über > 50 %
der Patienten haben eine kombinierte
Störung. Dieser Begriff soll die frühere
Bezeichnung „dysfunctional elimination syndrome“ (DES) ersetzen.
Klassifikation
Bei Blasenfunktionsstörungen werden
analog der Terminologie bei Erwachsenen, Störungen der Speicher- und Entleerungsphase unterschieden.
Ein über- oder unteraktiver Detrusor
kann zu den Symptomen der überaktiven (OAB) oder unteraktiven Blase
(UAB) führen. Davon abzugrenzen, ist
das habituelle Fehlverhalten des Miktionsaufschubes. Die Dyskoordination
von Blase und Sphinkter/Beckenboden
während der Miktion bedingt eine sogenannte dysfunktionelle Miktion. Abhängig vom Schweregrad kann die Miktion abgeschwächt, stakkatoartig, unterbrochen oder auch komplett unmöglich sein.
Bei Kindern mit Blasenstörungen besteht eine höhere Prävalenz von ADHS
(Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung).
Diagnostik
Die Abklärung besteht im Wesentlichen
aus einer gründlichen Anamnese inklusive Stuhlanamnese (Bristol Stool Scale),
der Auswertung eines sorgfältig geführten Miktionstagebuches, einer körperlichen und Ultraschalluntersuchung sowie der Uroflowmetrie. Hierbei können
zugrunde liegende anatomische und
neurologische Pathologien weitestgehend ausgeschlossen werden, zum Beispiel lumbospinale Defekte, Phimose,
Epispadie, Schädigungen des oberen
Harntraktes etc.
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Fortbildung
Behandlung
Standardtherapie: Die nicht invasive,
nicht medikamentöse Urotherapie gilt
als Goldstandard und verzeichnet Erfolgsraten bis zu 80 %. Sie beinhaltet die
Demysitifzierung und Motiviation, Optimierung/Korrektur von Angewohnheiten (Miktionsaufschub, Trinkverhalten), Ernährungsoptimierung (dietätische Beratung, Stuhlregulation), regelmäßige (Selbst-)Kontrolle in Form von
Miktionsprotokollen („Dokumentation“) und Unterstützung durch den Urotherapeuten. Bei kombinierter Blasenund Darmfunktionsstörung soll zunächst die Darmentleerungsstörung behandelt werden, nicht selten sistiert
dann auch die Blasenstörung (NEU).
Spezifische Interventionen: Zu den spezifischen Interventionen zählen Physiotherapie, Biofeedbacktraining, Alarmsysteme, Neurostimulation und anticholinerge Medikation. Die Pharmakotherapie ist weiterhin Therapie der zweiten
Wahl.
Monosymptomatische Enuresis
Ätiologie und Pathophysiologie
Die drei Stellgrössen der Enuresis sind
nächtliche Urinproduktion, nächtliche
Blasenkapazität/Detrusoraktivität und
Erweckbarkeit. Neuere Studien postulieren eine Störung der Chronobiologie,
also inneren Uhr, der Miktion und des
zirkadianen Rhythmus von Niere, Gehirn und Harnblase (NEU).
Klassifikation
Unter der monosymptomatischen Enuresis (MEN) wird die alleinige nächtliche Inkontinenz ohne jedwede andere
Störung des unteren Harntraktes verstanden.
Behandlung
Supportive Basismaßnahmen: Eine Behandlungsindikation besteht erst nach
Vollendung des fünften Lebensjahres.
Eine entscheidende Therapiemaßnahme
besteht darin, Trink- und Essgewohnheiten durch Thematisierung, Motivationsverstärkung und Optimierung zu demystifizieren. Schon allein die Korrek-
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Kinderurologie
tur habituellen Fehlverhaltens zeigt
nach einer aktuellen Cochrane-Studie
Erfolg, selbst wenn Alarmwecksysteme
und trizyklische Antidepressiva nachweislich effektiver sind (NEU).
Alarmtherapie: Bei erschwerter Erweckbarkeit ist die Alarmtherapie die beste
Behandlungsmethode: 80 % initialer Erfolg, nur geringe Rückfallquote bei normaler Blasenkapazität und normaler
nächtlicher Diurese sprechen für dieses
Vorgehen.
Medikamentöse Therapie: Desmopressin hat eine Erfolgsrate von 70 % bei erhöhter nächtlicher Urinproduktion. Die
Rückfallquote kann durch eine schrittweise Dosisreduktion gemindert werden (NEU).
Urethralklappen
Epidemiologie, Ätiologie und
Pathophysiologie
Urethralklappen gehören zu den wenigen kongenitalen Anomalien des Harntraktes bei Neugeborenen, die im Verlauf potenziell lebensbedrohlich sind.
Diagnostik
Pränatal weisen eine bilaterale Hydronephrose mit Megaureteren und eine überdehnte Blase auf hintere Harnröhrenklappen hin. Eine erweiterte hintere
Harnröhre („key-hole-sign“) und Blasenwandverdickung machen die Diagnose
wahrscheinlich. Eine diesbezügliche Studie zeigte jedoch, dass das „key-hole-sign“
kein zuverlässiger Indikator ist (p = 0,27)
(NEU). Bei erhöhter Echogenität der Nieren, dilatiertem oberen Harntrakt und
Oligohydramnion besteht ein hochgradiger Verdacht auf Urethralklappen. Das
initiale Management von Kindern mit
Harnröhrenklappen bedarf einer interdisziplinären Zusammenarbeit mit Kindernephrologen (NEU).
Behandlung
Intrauterine Behandlung: Ein relevantes Oligohydramnion kann durch intrauterines Shunting effektiv behandelt
werden, beeinflusst aber weder das Outcome noch die Langzeitergebnisse. Die
PLUTO-Studie (2013) zeigte keinen
Vorteil nach amniovesikaler Shuntanlage (NEU).
Die fötale Ablation der Klappen (z. B.
mit Laser) ist eine experimentelle Intervention mit hoher Komplikationsrate
und ohne nachweislichen positiven Effekt (NEU).
Postnatale Behandlung: Nach initialer
transurethraler oder suprapubischer
Harnableitung erfolgt die zeitnahe Klappeninzision, bevorzugt mit dem kalten
Häkchen. Abhängig vom klinischen
Verlauf erfolgt drei Monate nach Klappeninzision ein MCU oder eine Zystoskopie, um den Therapieerfolg zu überprüfen (NEU).
Ist aufgrund einer zu kleinkalibrigen
Harnröhre oder bei instabilem Patienten eine endoskopische Intervention
unmöglich, sollte auf eine suprapubische Harnableitung umgestellt und ggf.
mittelfristig ein kutanes Vesikostoma
angelegt werden. Verschlechtert oder
verbessert sich die Dilatation des oberen Harntraktes danach jedoch nicht,
sollte eine hohe Harnableitung (Ureterokutaneostomie) erwogen werden.
Follow-up
Ein lebenslanges Monitoring ist aufgrund der häufigen Manifestation des
Klappenblasensyndroms (schlechte
Compliance der Harnblase, reduzierte
Blasensensibilität, Detrusorüberaktivität und Polyurie) zwingend notwendig.
Eine anticholinerge Medikation zur
Detrusorstabilisierung und auch eine
Alphablockermedikation zur Restharnminimierung können die Blasenfunktion verbessern (NEU).
Literatur
1. Tekgül S, Dogan HS, Hoebeke P et al. EAU
guidelines on paediatric urology [Internet].
Available under https://uroweb.org/guideline/paediatric-urology/
Dr. med. Claudia
Neissner
Klinik für Kinderurologie
in Kooperation mit der
Universität Regensburg
Klinik St. Hedwig
Steinmetzstr. 1−3
93049 Regensburg
E-Mail: claudia.neissner@
barmherzige-regensburg.
de
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