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Begegnungen 4 Frank Vogelsang, Almuth M.D. Hattenbach, Thomas Kirchhoff, Hubert Meisinger (Hg.) Was die Welt im Innersten zusammenhält Das Konzept der Materie im interdisziplinären Vergleich Evangelische Akademie im Rheinland – Bonn Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar. Impressum: Evangelische Akademie im Rheinland Friedrich-Breuer-Straße 86 53225 Bonn www.ev-akademie-rheinland.de Umschlagentwurf und Typografie: art work shop GmbH, Düsseldorf Titelbild: © picture-alliance/akg-images. Michelangelo Buonarotti „Die Erschaffung Adams“ (1511/12). Ausschnitt: Hand Gottes und Hand Adams, bearbeitet. Fresko, Rom, Vatikan, Cappella Sistina (Foto vor der Restaurierung). Für den Druck bearbeitet von Dorothea A. Zügner, Wachtberg © 2017 Evangelische Akademie im Rheinland, Bonn Die Publikation und alle in ihr enthaltenen Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des jeweiligen Autors bzw. der jeweiligen Autorin und der Evangelischen Akademie im Rheinland nicht zulässig. Druck: Harfe-Verlag und Druckerei GmbH ISBN 978-3-937621-52-4 Inhaltsverzeichnis Frank Vogelsang, Almuth M.D. Hattenbach, Thomas Kirchhoff, Hubert Meisinger Vorwort 5 Brigitte Falkenburg Mechanistische Erklärung und ihre Grenzen 7 Ulrich Beuttler Fundamentalstruktur, Innenseite und Kreativität der Materie 33 Hans-Jürgen Fischbeck Materie als ontologische Kategorie: Dialektischer Materialismus vs. Naturalismus 43 Karen Gloy „Daß ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält […]“ Goethe, Faust I, Vers 582f. 53 Thomas Kirchhoff Landschaften – materielle oder geistige Einheiten? Elisabeth Loos Leben – nur manipulierbare Materie? Der biologische Lebensbegriff und die Synthetische Biologie Andreas Losch Abwärts gerichtete Kausalität – wirken so Geist und Materie zusammen? Eberhard Müller Vom Licht zur Materie Jan C. Schmidt Materie ist nicht primitiv... Zur Naturphilosophie der Selbstorganisation: Systematische und historische Bemerkungen Lorns-Olaf Stahlberg Higgsfeld und Schöpfergeist Über religiöse Schöpfungsberichte und naturwissenschaftliche Welt-Erzählungen Frank Vogelsang Bewusstsein und Materie – tertium non datur? 75 91 111 131 149 171 193 Anhang Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 207 Losch Andreas Losch Abwärts gerichtete Kausalität – wirken so Geist und Materie zusammen?1 Karl Popper und John Eccles haben vorgeschlagen, dass Geist und Materie durch eine abwärts gerichtete Kausalität miteinander wechselwirken können. Was ist von dieser Idee zu halten? Nancey Murphy hält fest, dass nichts aus Eccles‘ Projekt hervorgegangen sei,2 auch wenn sie abwärts gerichtete Kausalität selbst propagiert. Kann man das Konzept jedoch nicht vielleicht auch ohne die Probleme vertreten, die mit Eccles‘ Ansatz verbundenen sind? Der Aufsatz möchte die jeweiligen Anteile von Popper und Eccles an der gemeinsamen Argumentation analysieren, diese mit jüngeren Konzeptionen der abwärts gerichteten Kausalität vergleichen und eine vorsichtige Bewertung versuchen. Einsichten der Debatte um Göttliches Handeln werden die Schlussfolgerung befördern, weil hier mit dem Einfluss des göttlichen Geistes auf die geschaffene Materie ein ähnliches Szenario vorgestellt werden kann. 1. Poppers Standpunkt Poppers Hauptziel ist es, die Kant‘sche Vision aufrechtzuerhalten und daher einem Mechanismus oder Materialismus abzusagen; er hält an der Auffassung fest, „daß der Mensch Selbstzweck ist, im Unterschied zu einer bloßen Maschine“3. Popper sieht die Gefahr, dass jede andere Annahme die menschliche Ethik untergraben würde.4 Dennoch präsentiert er sich als Vertreter des Evolutionsgedankens, in dem Sinne allerdings, dass er eine Art Telos in einer organischen Betrachtung von Evolution annimmt.5 Anhand des klassischen Beispiels eines Giraffenhalses lehnt er die Lamarck‘sche Idee der Vererbung erworbener Eigenschaften ab, argumentiert jedoch, dass die 1 2 3 4 5 Bei diesem Beitrag handelt es sich im Wesentlichen um eine Übersetzung des Aufsatzes „Downward Causation – The Way How Mind and Matter Interact?“ in: Open Theology, 2015, Vol. 1 Nr. 1, S. 379–388. Nancey C. Murphy, Bodies and souls, or spirited bodies? (= Current issues in theology), Cambridge, UK, New York 2006, S. 116. Karl R. Popper u. John C. Eccles, Das Ich und sein Gehirn, München [u.a.] 19822, S. 23. Ebd. Ebd., S. 31–32. 111 Losch „Tätigkeiten, Vorlieben und Wahlhandlungen der Vorfahren der Giraffe (…) eine entscheidende (wenn auch indirekte) Rolle in ihrer Evolution gespielt haben. (…) Sie schufen eine neue Umwelt mit neuen Abarten des Selektionsdrucks für ihre Nachkommen, und das führte zur Auslese der langen Hälse.“6 Auch wenn Donald T. Campbell hier noch nicht genannt wird, deuten Poppers Gedanken bereits in dessen Richtung. Gegen die Annahme „es gibt nichts Neues unter der Sonne“ (Pred. 1,9), nimmt Popper das Universum als kreativ und innovativ wahr, dessen Evolution „etwas wirklich Neuartiges“7 hervorgebracht habe. „Mit dem Auftauchen des Menschen wird die Kreativität des Universums meiner Meinung nach offensichtlich. Denn der Mensch hat eine neue objektive Welt geschaffen, die Welt der Erzeugnisse des menschlichen Geistes (…)“8, von Popper „Welt 3“ genannt – etwas Neuartiges verglichen mit Welt 2 (der Welt subjektiver Erfahrungen), an der auch Tiere mit ihrem Empfindungsvermögen Anteil haben, und ebenso verschieden von Welt 1, der Welt der physikalischen (auch lebenden) Gegenstände.9 Popper gesteht zu, dass „(...) wann immer wir Gebilde und Vorgänge einer höheren Stufe durch solche auf niederen Stufen erklären können, (…) wir von einem großen wissenschaftlichen Erfolg sprechen“10 können. Dennoch ist seine Idee einer emergenten Welt 2 und Welt 3 natürlich gegensätzlich zu einem komplett reduktionistischen Forschungsprogramm. Gegen die Annahme, dass „das, was auf einer höheren Stufe geschieht, (…) durch die Geschehnisse auf nächstniederen Stufen erklärt werden” kann, also „schließlich durch die Bewegungen und Wechselwirkungen von Elementarteilchen und durch die entsprechenden physikalischen Gesetze“11, verwendet Popper die auf Donald T. Campbell zurückgehende 6 7 8 9 10 11 Ebd., S. 33. Ebd., S. 35. Ebd., S. 36. Ebd., S. 38. Ebd., S. 39. Ebd., S. 40–41. 112 Losch Idee der abwärts gerichteten Kausalität: „[D]as Ganze, die Makrostruktur kann als Ganzes auf ein Photon, ein Elementarteilchen oder ein Atom einwirken.“12 Poppers erstes Beispiel ist ein Kristall, der „als eine im Ganzen ausgedehnte periodische Struktur in Wechselwirkung mit den Photonen oder den Teilchen eines Strahls von Photonen oder Teilchen“ 13 steht. Weitere Beispiele umfassen alle Werkzeuge und Maschinen, „die zu bestimmten Zwecken entworfen wurden“14. Auf diese Weise gelangen wir zurück zu Michael Polanyis ursprünglich mechanistischem Beispiel in seinem Artikel „Life’s irreducible Structure“15, der Campbell inspirierte, den Begriff der „abwärts gerichteten Kausalität“ bzw. Verursachung nach unten zu prägen, womit die kausale Rückwirkung eines Gesamtsystems auf seine es konstituierenden Bestandteile gemeint ist. In seinem Aufsatz analysiert Polanyi die Struktur von Maschinen, weil jahrhundertelang „die Tätigkeiten des Lebens mit den Tätigkeiten von Maschinen verglichen worden sind und die Physiologie versucht hat, den Organismus als komplexes Netzwerk von Maschinen zu verstehen“16. Er argumentiert, dass Maschinen unter der Kontrolle zweier verschiedener Prinzipien arbeiten: „Das höhere ist das Prinzip des Designs der Maschine, und dieses macht sich das niedere nutzbar, welches aus den physikalisch-chemischen Prozessen besteht, auf welchen die Maschine basiert.“17 Jedweder Organismus wird als Maschine dargestellt: Er ist „(...) ein System, das gemäß zwei verschiedenen Prinzipien arbeitet: seine Struktur dient als eine Grenzbedingung, welche sich die physikalisch-chemischen Prozesse, durch die seine Organe ihre Funktionen ausführen, nutzbar macht.“18 12 13 14 15 Ebd., S. 41. Ebd. Ebd. M. Polanyi, Life‘s Irreducible Structure: Live mechanisms and information in DNA are boundary conditions with a sequence of boundaries above them, in: Science 160. 1968, S. 1308–1312. 16 Ebd., S. 1308. Übersetzung des Verfassers. 17 Ebd. Übersetzung des Verfassers. 18 Ebd. Übersetzung des Verfassers. 113 Losch Die Struktur dieser maschinenartigen Grenzen kann natürlich nicht in Form der jeweiligen Gesetze, die sie sich nutzbar machen, definiert werden. „Falls daher die Struktur lebendiger Dinge ein Satz von Grenzbedingungen ist, ist diese Struktur ohne Beziehung zu den Gesetzen von Physik und Chemie, welche der Organismus sich nutzbar macht. Die Morphologie lebendiger Dinge transzendiert also die Gesetze der Physik und Chemie.“19 Polanyi argumentiert weiter, dass das Muster der organischen Basen in der DNA, welches als genetischer Code funktioniert, solch eine „nicht auf Physik und Chemie reduzierbare Grenzbedingung“ 20 sei. Die Beziehung des Geistes auf den Körper habe eine ähnliche Struktur. „Weitere kontrollierende Lebensprinzipien könnten als eine Hierarchie von Grenzbedingungen dargestellt werden, die sich im Fall des Menschen bis hin zu Bewusstsein und Verantwortung erstreckt.“21 Campbell nimmt diese Idee auf, weil er Polanyis Intention unterstützt, soziale Werte vor reduktionistischer Dekonstruktion zu schützen, auch wenn er sich selbst als Reduktionist versteht. Er stimmt mit Polanyi darin überein, dass „die irreduzible Struktur des Lebens“ nicht auf die beiden Prinzipien reduziert werden kann, dass 1) „alle Prozesse auf höheren Ebenen durch die Gesetze niederer Ebenen bedingt sind und in Übereinstimmung mit diesen agieren“ und 2) dass „die teleonomischen Errungenschaften auf höheren Ebenen für ihre Implementation spezifischer niederer Mechanismen und Prozesse bedürfen“22. Stattdessen schlägt er zwei zusätzliche Prinzipien vor, 3) das Emergenzprinzip und 4) das Prinzip abwärts gerichteter Kausalität, das besagt: „[A]lle Prozesse auf niederen Ebenen einer Hierarchie sind durch die Gesetze höherer Ebenen bedingt und agieren in Übereinstimmung mit diesen.“23 19 20 21 22 Ebd., S. 1309. Übersetzung des Verfassers. Ebd., S. 1312. Übersetzung des Verfassers. Ebd. Übersetzung des Verfassers. Donald T. Campbell, ‚Downward Causation‘ in Hierarchically Organised Biological Systems, in: Francisco José Ayala u. Theodosius Dobzhansky (Hg.), Studies in the philosophy of biology. Reduction and related problems, London 1974, S. 179–186, hier S. 180. Übersetzung des Verfassers. 23 Ebd. Übersetzung des Verfassers. 114 Losch Campbells Beispiel sind die Greifwerkzeuge von Termiten. „Die Gelenkoberfläche einer Arbeitertermite und die muskulären Befestigungen stimmen mit Archimedes‘ Hebelgesetzen überein (…). Sie sind optimal gestaltet, maximale Kraft in einem nützlichen Abstand vom Gelenk anzuwenden. (… ) Wir brauchen das Hebelgesetz und Selektion auf der Ebene des Organismus…, um die spezielle Verteilung der Proteine in den Greifwerkzeugen zu erklären, und daher rührt die Gestalt der DNA-Vorlagen, welche ihre Produktion steuern.“24 Noch einschlägigeren Fällen von Emergenz und abwärts gerichteter Kausalität kann man nach Ansicht Campbells in den Greifwerkzeugen von Soldatentermiten antreffen, weil sie sich selber nicht ernähren können. „Die Greifwerkzeuge der Soldaten und die Verteilung der Proteine darin (… ) benötigen für ihre Erklärung bestimmte soziologische Gesetze, die sich um die Arbeitsteilung sozialer Organisationen lagern.“25 Für mich kommt dies Poppers Idee von umweltbedingter Selektion sehr nahe. Dennoch sind die „Beispiele für Verursachung nach unten … in Organismen und ihrem ökologischen System“26, die Popper selbst bereitstellt, recht basal (zum Beispiel die Integration eines lebendigen Organismus). Immerhin machen sie ihm „die Tatsache einer Verursachung nach unten offenkundig“27. Popper gesteht zu, dass seine Idee der „kreativen“ oder „emergenten“ Evolution „etwas unbestimmt“ ist.28 Die Gegenargumente von Deterministen, Atomisten und den Vertretern einer Theorie von Potentialitäten (einschließlich des Panpsychismus),29 stützen sich auf die „klassische Physik und ihren offenkundig deterministischen Charakter“30, sagt Popper. Die Quantenmechanik führe jedoch „objektive Wahrscheinlichkeitsaussagen“31 ein, und daher müssten wir uns vom Laplace’schen Determinismus lossagen. 24 25 26 27 28 29 30 31 Ebd., S. 181. Übersetzung des Verfassers. Ebd. Übersetzung des Verfassers. Popper u. Eccles, Das Ich und sein Gehirn, S. 42. Ebd. Ebd., S. 44. Siehe ebd., S. 44–48 zu Poppers detaillierter Argumentation gegen diese Haltungen. Ebd., S. 47. Ebd. 115 Losch „Wir können zugestehen, daß sich die Welt insofern nicht ändert, als bestimmte universelle Gesetze invariant bleiben. Aber es gibt andere wichtige und interessante gesetzesähnliche Aspekte – besonders probabilistische Verwirklichungstendenzen – die sich je nach der sich wandelnden Situation ändern“32. Daher hält Popper sich an seine Ideen, die an den Emergenzgedanken anschliessen: Die Welt besteht mehr aus indeterministischen Wolken denn aus deterministischen Uhren, ist er überzeugt. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für die Möglichkeit von abwärts gerichteter Kausalität. „[D]ie Emergenz hierarchischer Stufen oder Schichten sowie die Wechselwirkung zwischen ihnen“ beruht „auf einem fundamentalen Indeterminismus des physischen Universums.“33 Im Dialog mit Eccles34 gesteht Popper allerdings zu, „daß die quantentheoretische Unbestimmtheit nicht wirklich weiterhelfen kann, denn sie führt lediglich zu Wahrscheinlichkeitsgesetzen, und wir wollen ja nicht sagen, daß so etwas wie freie Entscheidungen bloß eine Sache der Wahrscheinlichkeitsangelegenheiten sind.“35 Daher weist er auf die „verblüffende Ähnlichkeit“ von neuen Ideen mit genetischen Mutationen hin, die seiner Ansicht nach durch quantentheoretische Unbestimmtheit verursacht werden. In beiden Fällen setzt an einer Reihe von Möglichkeiten – angeboten durch einen wahrscheinlichkeitstheoretisch und quantenmechanisch gekennzeichneten Satz von Vorschlägen – „eine Art Auslese-Verfahren an“, das diejenigen Vorschläge und Möglichkeiten tilgt, welche im Falle der Mutationen für die Fitness des Organismus abträglich, im Falle der Ideen für das in Welt 3 verankerte Bewusstsein unanehmbar sind. Er schlägt also vor, „daß wir uns die Offenheit von Welt 1 für Welt 2 etwa als Einfluß des Selektionsdrucks auf die Mutationen denken können“.36 Dies ergibt ein Problem mit den Gesetzen der Thermodynamik, auf das Popper antwortet: 32 Ebd., S. 47–48. 33 Ebd., S. 60. 34 Beide kannten und berieten sich früh in ihrer wissenschaftlichen Laufbahn, siehe Eccles, “My Living Dialogue with Popper.” 35 Popper u. Eccles, Das Ich und sein Gehirn, S. 637. 36 Ebd. 116 Losch „Die Einwirkung des Bewußtseins auf das Gehirn könnte darin bestehen, bestimmten Schwankungen zuzugestehen, Neuronen zum Feuern zu bringen, während andere bloß zu einem geringen Temperaturanstieg des Gehirns führen. Das ist eine mögliche Art, ‚Bildhauer‘ zu sein (und das Gesetz von der Erhaltung der Energie aufrecht zu erhalten)(…) Wir müssen nur annehmen, daß das Gehirn bei geistiger Tätigkeit ermüdet, und daß diese Ermüdung irgendwie der Wärmeproduktion und somit einem Energieabbau entspricht, und daß damit das Zweite Gesetz der Thermodynamik gewahrt bleibt.“37 2. Eccles Beitrag Wie man sich dies vorstellen kann, versucht Eccles in seinem Teil des Buches darzustellen, insbesondere in Kapitel E7, welches eine Theorie entwickelt „über die Art und Weise, wie selbstbewußter Geist und Gehirn in Wechselwirkung stehen.“38 Eccles vertritt einen „ausgesprochenen Dualismus“39, anderswo von ihm explizit mit der Kartesischen Idee identifiziert40. Er entwickelt seine Theorie im Anschluss an die Drei-Welten Hypothese Poppers. „Es wird zur Diskussion gestellt, daß die Welt des selbstbewußten Geistes (Welt 2) jedes individuellen Ichs sich unter dem Einfluß von Welt 3 auf dieses Ich entwickelt.“41 Zentrale These ist, „daß der selbstbewußte Geist eine unabhängige Einheit darstellt”42, und als solcher„während des normalen Lebens damit beschäftigt ist, nach Hirnereignissen zu suchen, die in seinem gegenwärtigen Interesse liegen und sie zu der vereinheitlichten bewußten Erfahrung zu integrieren, die wir von Augenblick zu Augenblick erleben.“43 Man könnte dann fragen, wo man den Geist denn im Gehirn lokalisieren könne. Untersuchungen von Roger W. Sperry an Kommissurotomie-Patien37 38 39 40 Ebd. S. 638. Ebd., S. 428. Ebd. John C. Eccles, Cerebral Activity and Consciousness, in: Francisco José Ayala u. Theodosius Dobzhansky (Hg.), Studies in the philosophy of biology. Reduction and related problems, London 1974, S. 87–108, hier S. 88. 41 Popper und Eccles, Das Ích und sein Gehirn, S. 431. 42 Ebd. 43 Ebd., S. 430. 117 Losch ten44 (deren Corpus Callosum durchtrennt und deren Gehirn damit geteilt worden ist, um schwere Epilepsie zu behandeln) führten zu der Behauptung, dass „(...) sich nur eine spezialisierte Zone der Großhirnhemisphären in Liaison mit dem selbstbewußten Geist befindet“45. In Abgrenzung von früheren Überlegungen46 schlägt Eccles nun weiterführend vor, dass sich normalerweise auch „einige Liaison-Zentren des Gehirns gut in der subdominanten Hemisphäre befinden“47 könnten. Eccles unterstreicht, dass das Ziel der Neurowissenschaften „eine Theorie ist, die im Prinzip eine vollständige Erklärung für alles Verhalten von Lebewesen und Menschen liefern kann, einschließlich des verbalen Verhaltens des Menschen.“48 Er ist jedoch davon überzeugt, dass diese reduktionistische Strategie „(...) in dem Versuch, die höheren Ebenen bewußter Leistung des menschlichen Gehirns zu erklären, versagen wird“49. Für diese höheren Ebenen „wird vorgeschlagen, daß es – der neuralen Maschinerie mit aller ihrer Leistung überlagert (…) – an bestimmten Orten der Großhirnhemisphären (den Liaison-Zentren) wirkungsvolle Interaktionen mit dem selbstbewußten Geist gibt, sowohl empfangend als auch gebend.“50 In Übereinstimmung mit Poppers Drei-Welten Konzept hält Eccles fest: „[I]m Zentrum von Welt 2 (…) befindet sich das Selbst oder das Ich, das ist die Basis der personalen Identität und Kontinuität, die jeder von uns durch das gesamte Leben erfährt“51, eingebettet in den inneren und äußeren Sinn. Seine Hypothese ist kurz umrissen diese: 44 45 46 47 48 49 50 Für Belege siehe Eccles, Cerebral Activity and Consciousness, S. 91. Popper u. Eccles, Das Ich und sein Gehirn, S. 431. Eccles, Cerebral Activity and Consciousness. Popper u. Eccles, Das Ich und sein Gehirn, S. 431.. Cf. Figur E 7-5 S. 450 mit Figur E 5-8 S. 394. Ebd., S. 432. Ebd. Ebd. Vgl. auch die detaillierte Darstellung in dem Dialogteil III des Buches, wie referenziert von Eccles, My Living Dialogue with Popper, S. 233–236. 51 Popper u. Eccles, Das Ich und sein Gehirn, S. 434. 118 Losch „Der selbstbewußte Geist ist aktiv damit beschäftigt, aus der Vielzahl aktiver Zentren auf der höchsten Ebene der Hirnaktivität herauszulesen, nämlich den Liaison-Zentren der dominanten Großhemisphäre. Der selbstbewußte Geist selektiert aus diesen Zentren gemäß der Aufmerksamkeit und integriert von Augenblick zu Augenblick seine Wahl, um auch den flüchtigsten Erfahrungen eine Einheit zu verleihen. Darüberhinaus wirkt selbstbewußter Geist auf diese neuronalen Zentren, indem er die dynamischen räumlich-zeitlichen Muster der neuralen Ereignisse modifiziert.“52 Wie genau handelt der Geist an diesen neuronalen Zentren? Um Eccles Theorie hier nachvollziehen zu können, „müssen wir die Organisation der kortikalen Neurone[n] in der anatomischen and physiologischen Einheit, die Modul genannt wird …[,] betrachten“53, „Neuronengruppen (viele Hunderte), die in einer musterförmigen Anordnung zusammenspielen“54. Wir dürfen vermuten, meint Eccles, dass solch ein Modul „mit seinen komplex organisierten und intensiv aktiven Eigenschaften einen Bestandteil der physischen Welt (Welt 1) verkörpern könnte, der offen gegenüber dem selbstbewußten Geist (Welt 2) sowohl hinsichtlich des Empfanges von ihm als auch des Vermittelns zu ihm ist,“ auch wenn „nicht alle Moduln in der Großhirnrinde diese transzendente Eigenschaft ‚offen‘ gegenüber Welt 2 zu sein und somit die Welt 1-Komponenten der Kontaktstelle zu sein, besitzen“55. Jedoch könne der selbstbewusste Geist über die Interaktion mit „offenen” Moduln indirekt mit „geschlossenen“ Moduln in Wechselwirkung stehen.56 Wie man von einer solchen engen Zusammenarbeit eines Wissenschaftstheoretikers und eines Neurowissenschaftlers erwarten kann, wird behauptet, dass die entwickelte Theorie in Übereinstimmung mit grundlegenden Prinzipien der Wissenschaftstheorie sei. Während die Idee der psychoneuralen Identitätshypothese (übrigens ebenso wie ein Parallelismus von Gehirn und Geist) nach Eccles bereits durch die Gehirntrennungsuntersuchungen, die 52 53 54 55 56 Ebd., S. 436. Ebd., S. 440, siehe Eccles E1.3–4. Ebd., S. 441. Ebd. Ebd., S. 445. 119 Losch gezeigt haben, dass in diesen Fällen die geringere Hemisphäre dem Subjekt keinerlei bewusste Erfahrungen gewährt57, falsifiziert worden ist, kann behauptet werden, dass Eccles „Hypothese wissenschaftlich ist, weil sie auf empirischen Daten beruht und objektiv testbar ist“58, also mit Poppers Worten ebenfalls falsifizierbar ist. Eccles gesteht jedoch zu, dass die Frage, wo der selbstbewusste Geist zu lokalisieren sei, prinzipiell unbeantwortbar bleibt.59 3. Gegenwärtige Konzepte und Kritiken der abwärts gerichteten Kausalität Dieses prinzipielle Lokalisierungsproblem ist vielleicht der Grund, warum „nichts aus dem Projekt hervorgegangen ist“60. Nancey Murphy argumentiert in ihrem Buch Bodies and Souls, or Spirited Bodies? recht überzeugend, warum ein Dualismus von Gehirn und Geist ziemlich tot ist. Dies mag auch mit ihren eigenen physikalistischen Überzeugungen zu tun haben, die allerdings nicht-reduktionistisch orientiert sind. Wenn es um die Verursachung nach unten geht, ist sie dennoch überzeugt, dass dieses Konzept „extensiv in den Wissenschaften benutzt worden ist“61. Dieser Überzeugung schloss sie sich bereits früh an,62 doch leider kann sie nur zwei wissenschaftliche Beispiele anführen: Roger Sperry und Donald Campbell.63 Wie wir gesehen haben, waren es genau diese beiden Forscher, welche intensiv von Popper und Eccles für ihren Ansatz rezipiert worden sind. In dem von Murphy herausgegebenen Band kritisiert Christof Koch Popper und Eccles, wohl wissend, „dass es sich bei beiden um respektierte Gelehrte handelt“64. Poppers Gebrauch von Campbells Konzept der Verursachung 57 58 59 60 61 Eccles, Cerebral Activity and Consciousness, S. 102. Popper u. Eccles, Das Ich und sein Gehirn, S. 451. Ebd., S. 452. Murphy, Bodies and souls, or spirited bodies?, S. 116. Übersetzung des Verfassers. Nancey C. Murphy, Introduction and Overview, in: Nancey C. Murphy u.a. (Hg.), Downward causation and the neurobiology of free will (= Understanding complex systems), Berlin 2009, S. 1–30, hier S. 5. Übersetzung des Verfassers. 62 Nancey C. Murphy, Theology, Cosmology, and Ethics, in: Ted Peters (Hg.), Science and theology. The new consonance, Boulder, Colo. 1998, S. 103–117. 63 Murphy, Introduction and Overview, S. 5. Leider weist Murphy in ihrem Aufsatz nicht aus, auf welche Schriften Sperrys sie sich bezieht. 64 Christof Koch, Free Will, Physics, Biology and the Brain, in: Nancey C. Murphy u.a. (Hg.), Downward causation and the neurobiology of free will (= Understanding complex systems), Berlin 2009, S. 31–52, hier S. 41. Übersetzung des Verfassers. 120 Losch nach unten wird nicht erwähnt. Während auch der Verweis auf Poppers Welt 2 vage bleibt, liegt der Schwerpunkt der Analyse von Koch auf Eccles Idee, dass „(...) der selbstbewusste Geist (…) seinen Willen dem Gehirn auferlegt, indem er die Art und Weise beeinflusst, wie Neuronen miteinander in dem Teil des zerebralen Kortex kommunizieren, der mit Bewegung und Handlungen beschäftigt ist“65. Kochs Interpretation des von Eccles angenommenen Geistes als „von einer Art metaphysischem Ektoplasma beschaffen“66 weist auf die metaphysischen Schwierigkeiten hin, die er in Eccles’ Gedanken ausmacht: „[W]enn der Geist mit der materiellen Welt wechselwirken sollte, muss er Arbeit verrichten und dieses kostet Energie“67, während etwas wie ein Geist oder Gespenst „nicht mit unserem Universum wechselwirken kann“68, es sei denn, es handle sich um eine Art „Poltergeist, der an den Synapsen rüttelt und zerrt“69. Die einzige in der Welt wirkende Art von Freiheit, die solch ein Geist daher auch haben könne, „ist die, ein Quantenereignis anstelle eines anderen zu realisieren, wie es Schrödingers Gesetz vorschreibt“70. Diese Art der Handlung würde natürlich stets verborgen bleiben. Koch gesteht immerhin zu, dass solche Gedanken wenigstens „nicht ausgeschlossen werden können“71. Koch selbst ist der Idee des freien Willens generell kritisch gegenüber eingestellt. Er verweist auf die berühmten Experimente Benjamin Libets72, nach denen „der Beginn des Bereitschaftspotentials der bewussten Entscheidung zur Bewegung um 0,3 bis 0,5 sec voranging. Das heißt, das Gehirn handelte, bevor der bewusste Geist dies tat!“73 Damit scheint die Annahme 65 66 67 68 69 70 Ebd. Übersetzung des Verfassers. Ebd. Übersetzung des Verfassers. Ebd. Übersetzung des Verfassers. Ebd. Übersetzung des Verfassers. Ebd. Übersetzung des Verfassers. Ebd. Übersetzung des Verfassers. Schrödinger selbst war hier möglicherweise offener, vgl. Erwin Schrödinger, What is Life? With Mind and Matter and Autobiographical Sketches (= Canto Classics), Cambridge 2012. 71 Koch, Free Will, Physics, Biology and the Brain, S. 42. Übersetzung des Verfassers. 72 Benjamin Libet u.a., Time of conscious intention to act in relation to onset of cerebral activity (Readiness-Potential), in: Brain 106. 1983, S. 623–642. 73 Koch, Free Will, Physics, Biology and the Brain, S. 46. Übersetzung des Verfassers. 121 Losch mentaler Verursachung widerlegt. Koch nimmt jedoch nicht wahr, dass Eccles Libets Experimente kennt und durchaus verschieden interpretiert. Für Eccles hilft die gemeinsame Hypothese mit Popper gerade, „die in der Erklärung der langen Dauer des Bereitschaftpotentials – das einer Willküraktion vorausgeht – liegenden Probleme aufzulösen und neu zu definieren“74. Diese Dauer sei „(...) ein Zeichen, daß die Aktion des selbstbewußten Geistes auf das Gehirn nicht von fordernder Stärke ist. Wir mögen sie als eher versuchend und subtil und als einige Zeit benötigend ansehen, um Aktivitätsmuster aufzubauen, die, während sie sich entwickeln, modifiziert werden können.“75 Murphy weist auch darauf hin, dass Libet „weitere Forschungen durchgeführt hat, die zeigten, dass Subjekte die Handlung noch ablehnen können, nachdem sie den Drang zum Handeln gefühlt haben. In dieser Vetomacht verortet er den freien Willen“76, welches wiederum gut dazu passt, wie Popper und Eccles sich den Auswahlprozess des Geistes aus einer Vielzahl von Gedanken vorstellen. Interessanterweise nimmt Koch diese weiteren Ergebnisse Libets nicht wahr. Dies bezeugt m.E. sehr deutlich den selektiven Einfluss, den Weltanschauungen und metaphysische Grundüberzeugungen auf unsere Wahrnehmung haben, selbst auf diejenige von Wissenschaftlern.77 Kochs Bekenntnis ist es, dass das „Universum kausal geschlossen ist. Alles, was der Geist erreichen könnte, ist, eine von verschiedenen quantenmechanischen Möglichkeiten zu verwirklichen, ohne die zugrundeliegenden Wahrscheinlichkeiten zu beeinflussen.“78 Dies wäre in der Tat nur eine „magere Freiheit“79. Es könnte George Ellis gewesen sein, der bei Nancey Murphy den Eindruck hinterließ, dass abwärts gerichtete Kausalität eine unumstrittene wis74 Popper u. Eccles, Das Ich und sein Gehirn, S. 440. 75 Popper u. Eccles, Das Ich und sein Gehirn, S. 440. 76 Murphy, Introduction and Overview, S. 8. Übersetzung des Verfassers; mit Verweis auf Benjamin Libet, Do we have free will?, in: Journal of Consciousness Studies 6. 1999, S. 47–57. 77 Vgl. Kuhn, Thomas S. [1962] 1993: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Zweite revidierte und um das Postskriptum von 1969 ergänzte Auflage. Frankfurt am Main. 78 Koch, Free Will, Physics, Biology and the Brain, S. 49. Übersetzung des Verfassers. 79 Ebd. Übersetzung des Verfassers. 122 Losch senschaftliche Tatsache ist. Die beiden haben bereits zusammen ein Buch geschrieben,80 und in seinem Beitrag zu Murphys Band über abwärts gerichtete Kausalität nimmt Ellis an, dass verschiedene Arten der Verursachung nach unten „allgegenwärtig in Physik, Chemie und Biologie sind, weil das Ergebnis von Wechselwirkungen auf den niedrigeren Ebenen immer durch den Kontext bestimmt ist.“81 Das verbleibende Problem wird durch Ellis gut zusammengefasst: „Damit höhere Ebenen auf niedere Ebenen kausal einwirken können, muss es eine Art kausales Schlupfloch auf den niederen Ebenen geben, sonst wären diese Ebenen kausal überbestimmt.“82 Also muss das Universum auf einer sehr fundamentalen Ebene indeterministisch sein, um das benötigte kausale Schlupfloch zuzulassen83. Dies ist eine starke Behauptung, welche sich auf Theorien der Physiker Feynman und Polkinghorne bezieht. Im Folgenden werden wir nur die Theorie von Polkinghorne weiter untersuchen, weil dieser auch zu der Debatte über die Verursachung nach unten auf höchst interessante Weise beigetragen hat. Bevor wir dies tun, sei jedoch noch Nancey Murphys Interpretation der Verursachung nach unten kurz erwähnt. Wie Ellis sieht sie die Hauptschwierigkeit des Konzepts im Problem der Überbestimmung: „Wo gibt es Platz für zusätzliche abwärts gerichtete kausale Einflüsse, wenn doch das Verhalten auf der niederen Ebene bereits durch die Gesetze dieser Ebene bestimmt ist?“84 Die Antwort liegt für sie in Donald T. Campbells Gedanken, „dass abwärts gerichtete Kausalität nicht die Überwindung, sondern die selektive Aktivierung von Prozessen der niederen Ebene ist.“85 Als „eines der besten Bei80 Nancey C. Murphy u. Ellis, George F. R, On the moral nature of the universe. Theology, cosmology, and ethics (= Theology and the sciences), Minneapolis, Minn. 1996. 81 Ellis, George F. R, Top-Down Causation and the Human Brain, in: Nancey C. Murphy u.a. (Hg.), Downward causation and the neurobiology of free will (= Understanding complex systems), Berlin 2009, S. 63–82, hier S. 66. Übersetzung des Verfassers; Ellis ist sich allerdings bewusst, dass es verschieden starke Spielarten der Verursachung nach unten gibt. 82 Ebd., S. 74. Übersetzung des Verfassers. 83 Ebd., S. 75. Übersetzung des Verfassers. 84 Murphy, Bodies and souls, or spirited bodies?, S. 78. Übersetzung des Verfassers. 85 Ebd., S. 83. Übersetzung des Verfassers. 123 Losch spiele“ für diesen Gedanken nennt Murphy die Wirkung der Umgebung auf das sich entwickelnde Gehirn;86 „(…) nützliche Verbindungen werden verstärkt, während sich ungenutzte Verbindungen abschwächen oder absterben.“87 Dieser Grundgedanke scheint mir nicht so weit von Poppers Ansatz entfernt, auch wenn es in seiner Theorie natürlich nicht die Umweltbedingungen sind, sondern es der seiner selbst bewusste Geist ist, der die Gedanken auswählt, die verfolgt werden sollen. Ich denke trotzdem, dass Popper für Murphys Interpretation offen gewesen wäre, und es daher sehr weise gewesen wäre, Poppers und Eccles Ansatz in die eigenen Überlegungen einzubeziehen. 4. Polkinghornes Interpretation der abwärts gerichteten Kausalität Meiner Meinung nach stellen die metaphysischen Ideen des Cambridger Teilchenphysikers und späteren Priesters John Polkinghorne eine interessante Antwort auf viele der Fragen dar, die in unserem Überblick über Verursachung nach unten aufgekommen sind. Als drängendstes Problem haben wir den bei einer anzunehmenden kausalen Geschlossenheit der Welt notwendigen Physikalismus ausgemacht. Ich finde Polkinghornes Ansatz, auch wenn er spekulativ ist, in diesem Kontext besonders interessant, weil er wenigstens alle physikalischen Schwierigkeiten der Verursachung nach unten anerkennt und zudem eine mögliche metaphysische Lösung anbietet, und sei sie so riskant wie sie ist. Seine metaphysische Haltung ist ein Zwei-Aspekte Monismus: „eine komplementäre Welt von Geist und Materie, in der diese polaren Gegensätze als gegensätzliche Aspekte des Stoffs, aus dem die Welt besteht, zusammenhängen“88. Wenn man sich aus diesem Komplex wegdenkt, werden „weder Seele noch Entelechie als separate Teile des Überrestes gefunden werden. Doch wenn 86 Ebd. Übersetzung des Verfassers. 87 Ebd., S. 84. Übersetzung des Verfassers. 88 J. C. Polkinghorne, Science and creation. The search for understanding, London 1988, S. 71. Übersetzung des Verfassers. 124 Losch man mir begegnen will, muss man von diesem Akt der Dekonstruktion absehen und mich in meiner komplexen und filigran organisierten Totalität akzeptieren.“89 Auf ziemlich aristotelische Weise fährt Polkinghorne fort: „Das fast unendlich komplexe Information-tragende Muster, welches durch alle Veränderungen der materiellen Konstitution bestehen bleibt, während Ernährung und Abnutzung die individuellen Atome meines Körpers ersetzen, und welches gerade durch seine Beständigkeit die wahre Kontinuität meiner Person ausmacht, dieses Muster ist die Bedeutung der Seele.“90 Auch wenn Polkinghorne unsere Handlungsfreiheit verteidigen will,91 ist er kritisch gegenüber jeglichen Versuchen, Quantenunschärfe mit der menschlichen Freiheit gleichzusetzen. Stattdessen bietet er eine Interpretation der Offenheit chaotischer Systeme in der klassischen Physik, sozusagen seine Interpretation von Poppers Wolken. Polkinghorne interpretiert die Unvorhersagbarkeit chaotischer Systeme als intrinsische Offenheit für abwärts gerichtete kausale Einflüsse. Er ist sich bewusst, dass auch diesen chaotischen Systemen deterministische Gleichungen zugrunde liegen, interpretiert diesen Determinismus jedoch als eine Annäherung an eine differenziertere und flexiblere Realitätsbeschreibung.92 Er sieht den Determinismus daher als eine abwärts emergente Eigenschaft an, die aus der isolierten Betrachtung der Systeme hervorgeht. Polkinghorne erwägt auch, wie genau Verursachung nach unten stattfinden könne. Er benötigt dieses Konzept insbesondere, um die Möglichkeit von Gottes (nach Polkinghorne der reine Geist) Handeln in der physikalischen Welt zu retten. Doch vermute ich, dass man seine Gedanken auch auf die Handlung des menschlichen Geistes auf seinen Körper anwenden kann, natürlich vorausgesetzt, dass wir „psychosomatische Wesen sind, einheitliche, mit Leben gefüllte Leiber“93. „Es gibt keinen vollständig ab89 90 91 92 Ebd., S. 72. Übersetzung des Verfassers. Ebd. Übersetzung des Verfassers. J. C. Polkinghorne, Science and providence 1989, S. 2. John C. Polkinghorne, „Ordnung und Chaos“, in: Gerhard Müller (Hg.), TRE Band 25, Berlin 2000, S. 369. 93 John C. Polkinghorne, An Gott glauben im Zeitalter der Naturwissenschaften. Die Theologie eines Physikers, Gütersloh 2000, S. 54. 125 Losch gegrenzten Bereich der spirituellen Begegnung, der von der physikalisch/ mentalen Realität der einen Welt geschieden wäre, in der sich Gottes Providenz allein ereignen kann.“94 Unser Problem hat für Polkinghorne daher vor allem einen theologischen Charakter. Er übernimmt die Idee der Verursachung nach unten von Arthur Peacocke, um es zu lösen,95 ist sich jedoch der Schwierigkeiten dieses Lösungsweges bewusst. Was Ellis das „kausale Schlupfloch“ nennt, erscheint auch Polkinghorne problematisch: „Denn man kann keineswegs selbstverständlich voraussetzen, daß es im Netzwerk der physikalischen Kausalität, die gekennzeichnet ist durch die das Ganze erst hervorbringende Interaktion der Teile, Raum gibt für die Operation eines zusätzlichen holistischen Kausalprinzips. (…) Dabei müssen diese Löcher freilich von intrinsischem und ontologischem Charakter sein; sie dürfen nicht nur einer zufälligen Unwissenheit über die Details der aufsteigenden Prozesse entspringen.“96 Man sollte vielleicht darauf hinweisen, dass auch Nancey Murphy der Idee der abwärts gerichteten Kausalität zuerst im Kontext der Konzepte von göttlichem Handeln begegnet ist.97 Im Gegensatz zu Murphy jedoch weigert sich der Teilchenphysiker Polkinghorne, dem Trend zu folgen, die Unschärfen der Quantenereignisse auf diese Weise zu erkunden, und dies wegen des sogenannten Messungsproblems.98 Ich möchte dieses Konzept hier nicht erklären, jedoch auf Polkinghornes Schlussfolgerung verweisen: „[W]enn die Quantentheorie bei der Lösung des Problems von Handlungen eine Rolle spielt, dann nur, wenn sie eine Offenheit auf der Ebene der klassischen Physik generiert.“99 Deswegen versucht Polkinghorne es mit chaotischen Systemen, genauer gesagt mit der „Art und Weise, wie ein chaotisches System seinen seltsamen Attraktor durchquert“100, und nimmt sich, wie gesagt, dabei die meta94 95 96 97 Ebd., S. 59. Ebd., S. 61 Anm. 13. Ebd., S. 62.63. See Robert J. Russell, Neuroscience and the person. Scientific perspectives on divine action (= Series on „Scientific perspectives on divine action“, 4th v), Vatican City State, Berkeley, Calif. 1999. 98 Polkinghorne, An Gott glauben im Zeitalter der Naturwissenschaften, S. 63 Anm. 15. 99 Ebd., S. 64. 100 Ebd., S. 65. 126 Losch physische Freiheit heraus, ihre deterministische mathematische Basis als abwärts emergente Eigenschaft zu interpretieren. Die vielen verschiedenen Trajektorien korrespondieren „alle derselben totalen Energie“101, und daher könnte eine Modulation dieser Trajektorien durch abwärts gerichtete „aktive Information“ als wirksam angesehen werden, ohne den kausalen Nexus der physikalischen Welt zu verletzen.102 „Von hier aus tut sich die Tür zur Beantwortung der Frage, wie es möglich sein kann, daß wir unsere gewollten Intentionen verwirklichen[,] und wie Gott in seiner Providenz mit seiner Schöpfung interagiert, einen Spalt weit auf. Als leibliche Wesen handeln Menschen zugleich energetisch und informationell. Demgegenüber mag man erwarten, daß Gott als reiner Geist allein durch die Eingabe von Informationen handelt.“103 Diese Art und Weise der aktiven Information erscheint mir ein vielversprechendes Konzept zu sein. Die Annahme, dass der deterministische Charakter chaotischer Systeme eine abwärts emergente Eigenschaft sei, ist natürlich ein zugestanden metaphysisch sehr spekulativer Ansatz.104 Aber vielleicht ist die indeterministische Standardinterpretation der Quantenunschärfe ebenso spekulativ. 5. Fazit: eine „geisterhafte Kraft”? Selbst Christof Koch gesteht zu, dass „unser Wissen nur ein Feuer in der weiten Dunkelheit um uns herum ist, das im Wind flackert.“105 Wenn man geneigt ist, die Idee der abwärts gerichteten Kausalität eine „geisterhafte Kraft“ zu nennen, sollte man nicht vergessen, dass eine andere solche geisterhafte Kraft bzw. Fernwirkung inzwischen von der Physik für wirklich befunden wurde. Es war sogar Einstein, der hier geirrt hat. 101 Ebd. 102 Dies könnte durch den Einfluss auf ihre Anfangsbedingungen auf der Quantenebene geschehen, auch wenn Polkinghorne sehr vorsichtig ist, diesen Schluss zu ziehen, sieh ebd., S. 66–67. 103 Ebd., S. 66. 104 Vgl. die Kritik von Robert J. Russell, Cosmology. From alpha to omega : the creative mutual interaction of theology and science (= Theology and the sciences), Minneapolis 2008, S. 129–132. 105 Koch, Free Will, Physics, Biology and the Brain, S. 50. Übersetzung des Verfassers. 127 Losch Vielleicht sollte man die Bemühungen um physikalische Erklärungen auch nicht übertreiben. Einen interessanten Weg im Anschluss an die aristotelische Idee der causa formalis geht Thomas Fuchs: „Geistiges wirkt nicht als externe Kraft auf Hirnprozesse ein, sondern es wirkt als Form in ihnen und durch sie.“106 Es gibt in der Tat viele sehr spekulative Aspekte der Idee der abwärts gerichteten Kausalität, ohne auch nur die Voraussetzung der Emergenz als notwendig zugrundeliegendes Konzept zu erwähnen.107 Was sind die Alternativen? Popper bemerkte bereits am Ende der 1970er, dass ein „radikaler Materialismus” unter den Philosophiestudenten in Mode gekommen war.108 Wenn man die Äußerungen von modernen Neurobiologen und Philosophen der Neurowissenschaften betrachtet, ist die Situation in dieser Disziplin gegenüber abweichenden philosophischen Haltungen (wie dem Dualismus, den Popper und Eccles vorschlagen)109 tatsächlich so schwierig, wie es Popper vorhergesehen hat. Die Wirklichkeit des Geistes bleibt die große Frage unserer Tage. Wir können natürlich das Selbst auch als Illusion ansehen110 und uns so dem naturwissenschaftlichen Zeitgeist unterwerfen. Oder wir können einen epistemologischen Dualismus hochhalten und Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft, Sein und Sollen trennen. Vielleicht erlaubt es auch einfach die Methode der Naturwissenschaft nicht, den Geist wissenschaftlich zu behandeln. Was letztendlich an dem Ansatz der abwärts gerichteten Kausalität fasziniert, ist: Er versucht, basale Einsichten der menschlichen Erfahrung auf wissenschaftliche Weise auszuarbeiten. Wie vielversprechend oder herausfordernd dies auch sein mag, es gibt bezüglich der Ausarbeitung der zugrundeliegenden metaphysischen Konzepte noch viel zu tun. Wenn sich ein Kartesischer Dualismus nicht halten lässt, hat vielleicht ein Zwei-AspekteMonismus bessere Chancen – wenn klarer wäre, was er letztlich bedeutet. 106 Thomas Fuchs, Das Gehirn - ein Beziehungsorgan. Eine phänomenologisch-ökologische Konzeption, Stuttgart 20134, S. 123. Vgl. Ellis, George F. R, Top-Down Causation and the Human Brain. 107 Für eine Diskussion dieser Fragen siehe Andersen et. al. (Hg), Downward Causation, Minds, bodies and matter. Aarhus: Aarhus Univ. Press, 2000 108 Popper u. Eccles, Das Ich und sein Gehirn, S. 80. 109 Karl R. Popper u. John Eccles, The self and its brain, New York 1977, S. ix. 110 Thomas Metzinger, Being no one. The selb-model theory of subectivity, Cambridge, Mass. 2003. 128 Losch Abstract: Der Aufsatz analysiert Karl Poppers und John Eccles gemeinsamen Ansatz der Wechselwirkung von Geist und Materie und vergleicht ihren Gebrauch des Konzeptes der abwärts gerichteten Kausalität mit jüngeren diesbezüglichen Ansätzen, insbesondere denen von Nancey Murphy und George Ellis. Die Argumentation berücksichtigt auch John Polkinghornes Verständnis von göttlichem Handeln, weil es eine interessante Variante von abwärts gerichteter Geist/Materie Interaktion darstellt. Es wird argumentiert, dass abwärts gerichtete Kausalität ein spekulatives Konzept ist, jedoch möglicherweise immer noch die beste Annäherung an ein wissenschaftliches Verständnis von Geist und Materie, die es derzeit gibt. Daher erscheint auch Poppers und Eccles‘ Ansatz interessanter als normalerweise angenommen, und sollte nicht weiter in der Debatte um abwärts gerichtete Kausalität übersehen werden. 129