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Zurich Open Repository and Archive University of Zurich Main Library Strickhofstrasse 39 CH-8057 Zurich www.zora.uzh.ch Year: 2014 Von ontologischen Dualismen des Bildes : Philosophische Ästhetik als Grundlage kunstwissenschaftlicher Hermeneutik Thaler-Battistini, Alice Posted at the Zurich Open Repository and Archive, University of Zurich ZORA URL: https://doi.org/10.5167/uzh-135324 Dissertation Originally published at: Thaler-Battistini, Alice. Von ontologischen Dualismen des Bildes : Philosophische Ästhetik als Grundlage kunstwissenschaftlicher Hermeneutik. 2014, University of Zurich, Faculty of Arts. VON ONTOLOGISCHEN DUALISMEN DES BILDES PHILOSOPHISCHE ÄSTHETIK ALS GRUNDLAGE KUNSTWISSENSCHAFTLICHER HERMENEUTIK Abhandlung zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich vorgelegt von Alice Thaler-Battistini Von Gaiserwald/SG, Schweiz und Cesena/Forlì, Italien Angenommen im Frühjahrssemester 2012 auf Antrag von Herrn Prof. Dr. W. Rother und Frau Prof. Dr. K. Saporiti Zürich, 2014 INHA L T S V E RZE ICHNIS EINLEITUNG 1 ZEIGEN UND SAGEN – BILD ODER SPRACHE? 1. Begriffsbestimmungen 2. Zeigen und Sagen? 3. Verschränkung von Zeigen und Sagen 3.1 Verbildlichung der Sprache 3.1.1 Aufruf zum Kreuzzug 3.1.2 Das Wort als Körper – Motiv der Fleischwerdung 3.2 Versprachlichung des Bildes 3.2.1 Theologische Funktionen des Ausdrucks 3.2.2 Rhetorik von Gesten und Gebärden 3.2.3 Integration von Text 4. Die Unverständlichkeit des Bildes 5. Das ‘Lesen’ von Bildern 5.1 Ikonographie oder Ikonologie? 5.2 Das Beispiel vom Bekannten, der den Hut zieht und grüßt 5.3 Auch die Philosophie liest Bilder 6. Widerstand gegen fremde Deutungshoheit 6.1 Zum Beispiel Marcel Duchamp: Umwertung der Werte 7. Exkurs: Entmündigung der Kunst? 8. Emanzipation der Kunst: Schrift im Bild 8.1. Zum Beispiel: René Magritte: Malerische Untersuchung von Begriffen 8.2 Zum Beispiel: Joseph Kosuth: Absage an die Philosophie 8.3 Zum Beispiel Rosemarie Trockel: Leiblichkeit und Begrifflichkeit 8.3.1 Die Materialität 8.3.2 Das Textzitat 8.3.3 Das Bildzitat 9. Der Bildtitel 9.1 Herkunft des Titels 9.2 Autonome Titelsprache 9.3 Titelsuche 9.4 Das Erhabene ist unsagbar 10. Zusammenfassung 5 16 21 24 27 27 28 29 30 30 31 32 34 37 41 46 51 56 57 59 60 60 63 66 67 68 69 71 73 74 74 76 77 2 80 83 84 85 87 92 92 95 98 IKONISCHE LOGIK ODER: SCHEINEN IST DAS SEIN DES BILDES 1. Von der Schwierigkeit, dem Schweigen des Bildes einen Namen zu geben 1.1 Sichtbarkeit 1.2 Ikonik 1.3 Ikonische Differenz 2. Elemente ikonischer Präsenz 2.1 Inhalt oder Form, Gehalt oder Struktur 2.2 Stil 2.3 Disegno oder Colore, Colore oder Colorito – ein ‘Sprachenstreit’ 3 3. 4. 5. 3 4 2.4 Textur 104 2.5 Der Fleck als Signatur der Moderne 105 Elemente ikonischer Absenz: Leerstellen 109 3.1 Mimetische Leerstellen: Des Kaisers (neue) Kleider 111 3.2 Rhetorische Leerstellen: Ich seh’ etwas, was du nicht siehst 113 3.2.1 Blicke im und aus dem Bild 115 3.2.2 Der Vorhang: überdeterminiert 117 3.3 Pikturale Leerstellen: Figur oder Grund? 123 3.4 Sigetische Leerstellen: ‘Ein zerrissener Strumpf besser als ein geflickter’ 128 Zusammenfassung 131 Exkurs: «Kunstwollen» und Kunst-wollen 133 DAS RÄTSEL ‘KUNST’ 1. Was ist Kunst? 1.1 Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Kunst ist historische Mittlerin zwischen dem Absoluten und dem Subjektiven 1.1.1 Kunst im Rahmen des philosophischen Systems 1.1.2 Kunst als spezifische und geschichtliche Gestaltungsform 1.1.3 Kunst – Kunstkennerschaft – Kunstgelehrsamkeit 1.2 Morris Weitz: Kunst ist ein Konzept 1.3 Nelson Goodman: Kunst ist eine Weise der Welterzeugung 1.4 Martin Heidegger: Kunst ist Sinnstiftung 1.5 Hans-Georg Gadamer: Kunst ist Verwandlung ins Gebilde 2. Was ist ein Bild? 2.1 Das Bild vor dem Betrachter: reflexiv 2.2 Manifestationen von Zeit und Zeitlichkeit 2.3 Wahrheit in der Malerei? 2.4 Ein offenes Kunstwerk 3. Hermeneutische Konsequenzen 3.1 Rolle und Perspektivität 3.2 Ut pictura poesis? Ut pictura descriptio! 4. Bedeutung als innerbildliches Geschehen PHILOSOPHISCHE FRAGEN ALS GRUNDLAGE DER INTERPRETATION ABSTRAKTER KUNSTWERKE 1. Interpretieren bedeutet Übersetzen 2. Abstrakte Kunst interpretieren? 3. Philosophische Fragen als Grundlage einer Bildbefragung 3.1 Spezifika dieser Bildbefragung 4. Bildbefragung Nr. 1: Mark Bradford, Things fall apart, 2010 4.1 Rezeptionsbedingungen 4.2 Beschreibung des Gesamteindrucks 4.3 Herstellung: Regeln, Verfahren, Techniken 4.4 Bildfläche: Ästhetische Merkmale, innerbildliche Relationen, Bildraumkonstituierung 4.5. Temporale Strukturen: ikonische Ausdrucksformen von Zeit und Bezüge zu Zeitlichkeit 136 136 140 140 141 143 145 148 155 160 164 168 171 178 183 185 187 192 194 197 198 203 205 207 212 212 213 214 215 216 4 4.6 5. 6. 7. Interpretation 4.6.1 Begründung 4.7 Validierung 4.8 Reflexion Bildbefragung Nr. 2: Joan Mitchell, Untitled, 1958 5.1 Rezeptionsbedingungen 5.2 Beschreibung des Gesamteindrucks 5.3 Herstellung: Regeln, Verfahren, Techniken 5.4 Bildfläche: Ästhetische Merkmale, innerbildliche Relationen, Bildraumkonstituierung 5.5 Temporale Strukturen: Ikonische Ausdrucksformen von Zeit und Bezüge zu Zeitlichkeit 5.6 Interpretation 5.6.1 Begründung 5.7 Validierung 5.8 Reflexion Bildbefragung Nr. 3: Kurt Thaler, Abstract Painting Nr. 3, 2012 6.1 Rezeptionsbedingungen 6.2. Beschreibung des Gesamteindrucks 6.3 Herstellung: Regeln, Verfahren, Techniken 6.4 Bildfläche: ästhetische Merkmale, innerbildliche Relationen, Bildraumkonstituierung 6.5 Temporale Strukturen: Ikonische Ausdrucksformen von Zeit und Bezüge zu Zeitlichkeit 6.6 Interpretation 6.6.1 Begründung 6.7 Validierung 6.8 Reflexion Zusammenfassung 217 217 221 222 223 223 224 225 226 227 227 228 230 231 233 233 234 234 236 236 237 238 239 240 241 SCHLUSS 242 DANK 251 LITERATURVERZEICHNIS 252 ABBILDUNGSVERZEICHNIS 266 ABBILDUNGSNACHWEIS 268 EINL EITUNG Wer sich mit dem Bild als Artefakt beschäftigt, findet sich einer Vielzahl von Dualismen gegenüber, die einem Kunstwerk wesentlich sind und es sowohl innerbildlich in seiner Darstellungsweise und seinen Darstellungsmitteln als auch extern in seinen intermedialen Bezügen bestimmen. Diese Dualismen wirken sich auf die Rezeption aus und schlagen sich insgesamt im Verhältnis von Ästhetik und Hermeneutik nieder. Für diese Arbeit sind sie Titel gebend, insofern sie sie gliedern und deren einzelne Teile thematisch strukturieren. Bedingt sind sie durch die Doppelnatur des Kunstwerks als materieller Gegenstand mit immaterieller Bedeutung. So ist das Bild alles, was die Kunstwissenschaften erforschen, das heißt in Motivik, Technik, Funktion und Gehalt historisch eingebunden und demzufolge entschlüsselbar. Darüber hinaus ist es auch alles, was die Ästhetik als Philosophie der Kunst über es aussagt, nämlich eine gegenüber der rationalen Logik ‘untere’ Erkenntnisstufe1 und eine sinnlich erfahrbare Weltsicht: Es zeigt eine (subjektive) Sicht auf die Welt, ist Ausdruck von Welt – des Zeitgeistes – und erzeugt selbst in sich eine Welt. Die Gegenüberstellung von (Bild-) Körper und Geist ist somit im Kunstwerk manifest, wird jedoch erst außerhalb des Bildes, in der Begrifflichkeit der Sprache, reflektiert. Daraus resultieren Schwierigkeiten ontologischer und phänomenologischer Art, die schon damit beginnen, die Abgrenzung von Materialität und immaterieller Darstellung präzise festzulegen. Beispielsweise gehört der Bildträger technisch-materiell zum Bild, doch das Bild als eine Anordnung von Farben lässt ihn in den Hintergrund treten oder ihn ganz vergessen, obwohl es ohne ihn nicht existieren kann – im Bild sind Materialität und Darstellung bzw. Opazität und Transparenz immer gleichzeitig präsent. Diese Gleichzeitigkeit lässt sich vom Betrachtenden jedoch nur theoretisch feststellen und nicht in seiner Sehweise realisieren, so dass kontinuierliche Entscheidungen zur Blickfokussierung auf die eine oder die andere Erscheinungsweise des Bildes verlangt werden. Damit ist ein weiterer Dualismus skizziert, der sich sowohl als Gegenüberstellung von Beschreibung und Deutung als auch in diesen beiden Modi der Beschäftigung mit einem Bild äußert. Die duale Struktur von Was und Wie, die der simultanen Performativität des Bildes wesentlich ist, muss sowohl in der Deskription als auch in der Interpretation in die Sukzessivität der Sprache übersetzt werden. Auch hierin, nicht nur in Bezug auf die Sehweise, werden Entscheidungen verlangt: Wird beschrieben, dass eine Linie zwei Farbfelder trennt oder wie diese Linie gemalt ist und die Felder zueinander in Beziehung setzt? Ein ganz anders gearteter Dualismus drückt sich in den Aussagen Platons zur Malerei aus, wenn er Sokrates zu Glaukon sagen lässt Am schnellsten wirst du wohl, wenn du nur einen Spiegel nehmen und den überall herumtragen willst, bald die Sonne machen und was am Himmel ist, bald die Erde, bald auch dich selbst und die übrigen lebendigen Wesen und Gerät und Gewächse, und alles, wovon soeben die Rede war – Ja, scheinbar, sagte er [Glaukon, AT], jedoch nicht in Wahrheit seiend.2 Daraufhin folgert Sokrates, dass auch der Maler einer von diesen Meistern sei, der nicht wahrhaft macht, was er macht, sondern nur Scheinbares herstelle.3 Sokrates verstärkt das 1 2 3 Vgl. A. G. Baumgarten: Ästhetik, Prolegomena, 10–19. Platon: Politeia, 596 e. Vgl. ebd. 6 Argument noch, indem er der Malerei attestiert, dass sie, gemessen am wahren Sein der Idee, doppelt von der Wahrheit entfernt sei: Sie bilde nur einen Gegenstand nach, der selbst schon Abbild der Idee und somit nicht die Wahrheit selbst sei.4 Dieses Urteil, das auf der Unterscheidung von Wesensbildung durch Gott, der Werkbildung durch den Handwerker und der Nachbildung durch die Malerei beruht und dem der Dualismus vom wirklichen Sein der Idee und dem Scheincharakter der Malerei zugrunde liegt, war in der Geschichte der europäischen Kunst von tiefgreifender Bedeutung. In der Renaissance, mit der Orientierung an der Antike und der griechischen Philosophie, wurden die Ausrichtung der Kunst an der Idee sowie die Suche nach der idealen Erscheinung zu zentralen Topoi der Kunsttheorie, die sich sowohl in der Malerei als auch im sozialen Status der Künstler auswirkten und dazu führten, dass die Maler nicht mehr Handwerkern, sondern Gelehrten gleichgestellt wurden.5 Sofonisba Anguissolas ‘Selbstporträt’ (Abb. 1) dokumentiert einige Aspekte dieses Statuswandels. Abb. 1: Sofonisba Anguissola, Selbstporträt, 1556, 66 x 57 cm, Öl auf Leinwand, Łancut, Muzeum Zamek w Łancucie. Die Malerin stellt sich, den Blick direkt aus dem Bild und auf die Betrachtenden gerichtet, mit Pinsel und Malstock vor der Staffelei dar. Als Mensch und als Künstlerin mit kreativgeistiger Potenz kann sie in Anspruch nehmen, sich mit der Sphäre des Geistigen verbinden zu können, was sich darin äußert, dass sie fähig ist, Göttlichkeit darzustellen – das Bild im Bild zeigt eine Frau mit Kind in einer für die Ikonographie von Maria mit dem Jesuskind gleichzeitig typischen und atypischen Weise.6 Die Künstlerin ist also imstande, 4 5 6 Vgl. ebd. 597a–598d. In dieser Passage werden die Unterscheidung zwischen Wesensbildner (Gott), Werkbildner (Tischler) und Nachbildner (Dichter und Maler) und ebd. 602c–604a die Vernunftferne der Nachbildnerei formuliert. Vgl. O. Bätschmann: Leon Battista Alberti, in: St. Majetschak (Hg.): Klassiker der Kunstphilosophie, 57– 75. Typisch sind die Farbgebung der Kleidung der Frau sowie ihr Zwiegespräch mit einem nackten kleinen Kind. Atypisch sind das selbständige Stehen des Kindes und die Art und Weise der menschlichmütterlichen Zuwendung Marias. 7 den Menschen Gott nahe zu bringen. In ihr findet somit die Dualität der Malerei zu einer Synthese zusammen: Mit der Hand ist sie Handwerkerin, mit dem Denken jedoch hat sie Teil an den Ideen.7 Somit sind auch im einzelnen Kunstwerk, insbesondere in einem, das nicht primär der mimetischen Nachbildung verpflichtet ist, Idee und Erscheinung unauflösbar miteinander verknüpft. In Bezug auf das Schöne sprach Georg Wilhelm Friedrich Hegel denn auch vom ‘sinnlichen Scheinen der Idee’,8 damit auf die Bedeutung der Kunst insgesamt referierend. Somit treffen in der Betrachtung des Bildes Ästhetik (in ihrer dreifachen Bedeutung als Theorie der Wahrnehmung, des Schönen und der Kunst) und Hermeneutik direkt aufeinander. Mehr noch: Sie bedingen einander, denn ohne Wahrgenommenes oder Vorgestelltes wird keine Deutung generierbar und das dualistische Verhältnis, das sich im Kunstwerk konstituiert, ist gleichzeitig in seiner Wechselwirkung unauflösbar. Diese duale Konstellation wirkt sich auf die Rezeption aus, denn sie hat auf Seiten der Rezipierenden ein stetes Oszillieren zwischen Sehen und Deuten zur Folge. Dazwischen jedoch, zwischen ästhetischer Empfindung und Interpretation, findet eine Übersetzung statt, muss doch das im Bild Wahrgenommene in Begriffe übersetzt sein, um auf diese vermittelte Weise als einer Idee oder einer Bedeutung zugehörig bezeichnet werden zu können. Oder anders ausgedrückt: das Zeigen und Sich-Zeigen des Bildes wird in ein Sagen, in ein Sprechen-über und in ein Deuten von Seiten der Betrachtenden verwandelt. Das Bild befindet sich demzufolge immer auf dem Weg von der Bildhaftigkeit in die Sprache, es ist sprachlos, insofern es Bild ist, muss jedoch versprachlicht werden, um außerhalb seiner Bild zu sein. Im Laufe der Jahrhunderte veränderten sich die Bezugssysteme der Malerei immer wieder. Sie verlagerten sich von außerkünstlerischen Grundlagen wie beispielsweise von biblischen Texten oder der Natur hin zur Subjektivität der Wahrnehmung, sei sie äußerlicher Art wie im Impressionismus oder innerlich wie im Expressionismus. Mit dem Eintreten der abstrakten und der ungegenständlichen Malerei – ‘Kunst der Sprachlosigkeit’ nennt sie Arnold Gehlen9 – verschoben sie sich ein weiteres Mal, diesmal in Richtung Selbstreflexivität und Prozesshaftigkeit. Mit diesen Veränderungen ging nicht nur der Verlust des Bildgegenstandes einher, sondern die Tradition der Bildbeschreibung und bestehende Interpretationsmodelle verloren ihre Gültigkeit. Dadurch entstand eine paradoxe Situation: Die Kunstwerke wurden zwar erklärungsbedürftiger, doch gerade ihrer Erscheinungsweise wegen standen keine Erklärungsmodelle mehr zur Verfügung. Dieser Sachverhalt hat sich trotz einzelner Versuche, die Interpretation abstrakter Kunst10, insbesondere von Werken des Informel,11 durch systematisierte formale Analysen zu erschließen, nicht verändert. Noch immer ist auch in der Kunstwissenschaft eine Scheu oder gar eine ‘Flucht vor der Interpretation’12 nicht figurativer Werke auszumachen, da für innerbildliche Konstellationen inhaltsleerer Formen – und darum handelt es sich bei ungegenständlichen Bildern – keine 7 8 9 10 11 12 Zur Entwicklung und den Implikationen des Selbstporträts, die direkt mit dem zweifachen Status der Malerei zusammenhängen vgl. O. Calabrese: Die Geschichte des Selbstporträts (Mündchen 2006). G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, 179. A. Gehlen. Zeitbilder, 185. Abstrakte Werke bilden keine Gegenstände ab, die eine Entsprechung in der Alltagswelt haben. Die Kompositionen bestehen aus Farben, Formen, geometrischen Konstruktionen, Malgebärden und Kontrasten. Vgl. Lexikon der Kunst, Bd. 1, 18. Das Informel ist eine abstrakte, materialobsessive Kunstform. Vgl. H. Althöfer (Hg.): Informel, 14. Der Begriff enthält programmatisch die Abgrenzung zu geometrischen Abstraktionen. Zur Interpretation informeller Werke vgl. Ch. Baus: Das Formelle in der informellen Malerei. Vgl. P. Tepe: Kognitive Hermeneutik, 341–347. 8 Regeln des Auslegens entwickelt worden sind. Sowohl die Beurteilung eines solchen Bildes als Reduktion mimetischer Darstellungen von Objekten der sichtbaren Welt als auch subjektivistische Interpretationen referieren auf außerbildliche Gegebenheiten und lassen bildimmanente Gegebenheiten außer Acht. Auf diesem Hintergrund gilt die vorliegende Arbeit der Untersuchung, inwiefern sich Ansätze philosophischer Ästhetik mit kunstwissenschaftlicher Hermeneutik verbinden bzw. Theorien zur Kunst in die Praxis der Kunstinterpretation, insbesondere der Interpretation nicht mimetischer Werke, überführen lassen. Ihr Ziel besteht darin, auf der Grundlage ausgewählter philosophischer Positionen zur Kunst eine Systematik des Fragens zu entwickeln, die – zusammen mit der Analyse bildimmanenter Strukturen – der Interpretation ungegenständlicher13 Werke dient. Dabei stützt sie sich auf drei programmatische Voraussetzungen. Die eine besagt, dass Kunst nicht nur Objekt philosophischer Analyse ist, sondern dass zwischen Kunst und Philosophie Gemeinsamkeiten bestehen, die auf Verschränkungen der sie begründenden Modalitäten von Zeigen und Sagen zurückzuführen sind. Im Falle abstrakter Kunst wird diese Annahme durch Äußerungen bestätigt, die einerseits von Künstlern und Künstlergruppen oder andererseits von Philosophen mit Blick auf die künstlerische Abstraktion formuliert wurden. Die expliziten Bezüge zur Philosophie betreffen dabei die Stellung des Künstlers als Teil der Natur14 ebenso wie die Inhalte der Kunstwerke.15 Die zweite programmatische Voraussetzung besteht darin, dass ein Bild grundsätzlich als bedeutungstragend betrachtet wird. Wobei Bedeutung weder als Funktion noch als Narration des Kunstwerks verstanden wird, sondern, kunsthistorisch gesprochen, als der Gehalt des Artefakts. Dieser erscheint in der Gestalt eines Werks, in seiner Kompositionsstruktur und seinen innerbildlichen Relationen, das heißt, in seinen formalen und strukturellen Aspekten, denn Form ist dem Kunstwerk nicht äußerlich, sondern dessen Sinnträgerin. Dass dies in der ungegenständlichen Malerei ebenso der Fall ist, wie in der traditionell gegenständlichen, hat Max Imdahl mit Bildanalysen überzeugend nachgewiesen.16 Die dritte Vorannahme geht davon aus, dass der Blick auf ein Bild nie unvermittelt ist, da nicht nur die Kunst, sondern auch der Blick auf sie historischem und kulturellem Wandel unterworfen ist. Die jüngsten Beispiele dazu finden sich im Rahmen der Genderforschung bzw. der feministischen Kunstgeschichte oder der postcolonial studies, die belegen, wie theoretische Konstruktionen oder Theoreme das Sehen und den Blick lenken und die Deutung von Kunstwerken maßgeblich bestimmen.17 Dass es auch einen Weg zur 13 14 15 16 17 ‘Ungegenständlich’ als adjektivische Bezeichnung eines Kunstwerks ist hier und im Folgenden parallel zu ‘abstrakt’ und keinesfalls als ‘anästhetisch’ zu verstehen. Vgl. oben, Anmerkung 10. Max Imdahl verwendet die Bezeichnung ‘Non-relational-Art’ für Werke mit labyrinthischen, amorphen oder stereotypen Strukturen, vgl. M. Imdahl: Bildautonomie und Wirklichkeit, 75. Wolfgang Welsch braucht den Begriff ‘Anästhetik’ für das sich der sinnlichen Wahrnehmung Entziehende und bringt ihn dadurch in eine direkte Verbindung zur Ästhetik, vgl. W. Welsch: Ästhetisches Denken, 12. In Ergänzung dazu argumentiert Neil Roughley, dass Kunstwerke mit anästhetischem Charakter, zu denen er Konzeptkunst in strengem Sinne oder monochrome Werke zählt, die Verschiebung der Rezeption von der ästhetischen Erfahrung zur ästhetischen Einstellung auslösen und deshalb trotzdem essentiell ästhetisch zu verstehen sind. Vgl. ders., in: N. Roughley: Kann Kunst anästhetisch werden?, 237. Vgl. P. Joswig: Abstrakter Expressionismus: Nature into Action. Vgl. Ch. Harrison, P. Wood (Hg.): Kunsttheorie, Bd. I, 374–477, Bd. II 680–832. Vgl. M. Imdahl: Arenafresken; sowie ders.: Bildautonomie und Wirklichkeit. Die Ikonik, die Imdahl als Analyseinstrument entwickelt hat, wird im zweiten Kapitel näher vorgestellt. Vgl. ‘Ikonik’, unten, 85–87 sowie 93–94. Durch Gender bedingte Sichtweisen werden von Hanna Gagel anhand einer Untersuchung von zweihundert Bildern aufgedeckt, in: dies.: Den eigenen Augen trauen. Viktoria Schmidt-Linsenhoff weist Er- 9 Bildbetrachtung und -bedeutung geben kann, der von philosophischen Aussagen zur Kunst angeleitet wird, wird mit dieser Arbeit aufzuzeigen sein. Um dieses Ziel zu erreichen, muss es gelingen, von der Empirie der historischen Kunstbetrachtung zur philosophischen Kunsttheorie und mit deren Einsichten und Fragen ausgestattet wieder zurück in die Praxis der Bildbeschreibung und Bildinterpretation zu gelangen. Die Schwerpunkte der einzelnen Kapitel bilden diesen Weg ab und akzentuieren die Interdependenz von Bild und Sprache in unterschiedlicher Weise. Unter dem Titel ‘Zeigen und Sagen – Bild oder Sprache?’ setzt das erste Kapitel mit einer punktuellen Untersuchung des historischen Kontextes dieser Verbindungen ein. Ein grober historischer Längsschnitt durch Bildgebrauch, Bildgestaltung und Bildtheorien bringt dabei zu Tage, dass das, was Arthur C. Danto einen ‘Krieg’ zwischen den Disziplinen (gemeint sind Philosophie und Kunst) nennt,18 auch anders interpretiert werden kann. Die Veränderungen in der Beziehung von Bild und Sprache lassen sich, wie darzustellen sein wird, viel mehr wie eine über die Jahrhunderte hinweg wirkende Pendelbewegung lesen, die sich von der Dominanz der Sprache weg und hin zur Dominanz des Bildes bewegt. In der Bildkunst selbst findet dies seinen Ausdruck in der Selbstermächtigung der Künstler und Künstlerinnen, Theorien zu ihren Werken selbst zu formulieren sowie Texte in ihre Werke zu integrieren und sie damit auch zu kommentieren. Unter der Überschrift ‘Ikonische Logik oder: Scheinen ist das Sein des Bildes’ erfolgt im zweiten Kapitel die Hinwendung zum Bild und seinen Mitteln des Zeigens. Anhand bildhafter Gestaltungs- und Präsentationsmittel wird nachgewiesen, dass es nichtnarrative Bildelemente sind, die das Bild kontextualisieren und dass Leerstellen mit ihren Appellen an die Assoziationsfähigkeit der Betrachtenden Bildbedeutung generieren. Insbesondere Elemente ikonischer Präsenz sowie ikonischer Absenz werden in ihren dualistischen Relationen problematisiert und anhand von Bildern exemplifiziert. Dazu wird es notwendig sein, für bis anhin nicht systematisierte bildimmanente Leerstellen Bezeichnungen vorzuschlagen, um sie sprachlich fassbar und kontextualisierbar machen zu können. Außerdem wird untersucht, wie in den strukturellen Elementen des Zeigens das Wie und das Was des Bildes in eins fallen, sie demzufolge Teil haben am Sein des Bildes und zugleich sein Scheinen und seine Erscheinung sind. Die bisherigen Schwerpunkte werden im dritten Kapitel in philosophischem Kontext weiterentwickelt. Dessen Titel – Das Rätsel ‘Kunst’ – spielt darauf an, dass die Frage nach dem Wesen bzw. der Definierbarkeit von Kunst nie abschließend beantwortet werden kann, deshalb immer wieder von neuem gestellt und kontrovers beantwortet wird. Die Schwierigkeit, den Begriff Kunst zu fassen, führte, vor allem in der Folge der Avantgardekunst des 20. Jahrhunderts, zu kunstphilosophischen Kontroversen, die noch immer nicht beigelegt sind. Ihr Hintergrund sind die definitorischen Schwierigkeiten, die sich bereits aus der generellen Gattungsvielfalt der Kunst ergeben, sich jedoch durch die Aufhebung von Gattungsgrenzen und durch den Wegfall eines konsistenten Werkbegriffs multipliziert haben. So stehen sich inzwischen nicht nur (Neo-)Essentialisten, die eine Wesensdefinition von Kunst als Grundlage ästhetischer Theorie betrachten und Antiessentialisten, denen eine solche Aufgabe unnötig und in Anbetracht der multiplen Verwendung des Begriffs 18 scheinungsweisen und Auswirkungen kolonialer und postkolonialer Attitüden nach in: dies.: Ästhetik der Differenz. Die Narrative der Kunstgeschichte und die ihnen zugrunde liegenden Strategien werden diskutiert in: K. Imesch, J. John u.a.: Kunstgeschichte und Gender Studies. Siehe ‘Exkurs: Entmündigung der Kunst?‘, unten, 59–60. 10 Kunst obsolet erscheint, gegenüber,19 sondern es haben sich außerdem ausgehend von einzelnen Aspekten der Kunstproduktion oder -rezeption weitere spezifische Definitionsansätze entwickelt, so dass die Anzahl definitorischer Vorschläge kaum mehr zu überblicken ist.20 In der vorliegenden Arbeit werden fünf unterschiedlich akzentuierte philosophischdispositionelle Erklärungen zur Kunst analysiert. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die folgenden Philosophen bzw. Werke: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik,21 Morris Weitz: The Role of Theory in Aesthetics22, Nelson Goodman: Weisen der Welterzeugung,23 Martin Heidegger: Der Ursprung des Kunstwerks24 und Hans-Georg Gadamer: Die Ontologie des Kunstwerks und ihre hermeneutische Bedeutung.25 Die Suche nach interpretationsrelevanten Ansätzen beginnt bei Hegel – muss mit Hegel einsetzen, denn er hat Kunst dreifach in sein System eingebunden und damit ein Koordinatennetz erstellt, das bis heute diskutiert wird.26 So bildet Kunst bei Hegel eine Überbrückung zwischen einem sinnlich erfahrbaren Diesseits und einem geistigen Jenseits.27 In dieser Funktion ist sie jedoch abhängig von Entwicklungsstufen des Geistes, die zu Ausdrucksformen führen, deren Angemessenheit und Übereinstimmung von Form und Inhalt historisierbar sind.28 Die Historizität der Kunst hat zur Konsequenz, dass sie erklärungsbedürftig wird, was zu konkreten Forderungen an eine Kunstkennerschaft führt, deren Aufgabe es wird, empirische Grundlagen für weiterführende Kunststudien zu sammeln.29 Dem metaphysischen System Hegels folgen die antiessentialistischen Positionen von Morris Weitz und Nelson Goodman. Mit Morris Weitz wird ein Vertreter nordamerikanischer Kunst- und Sprachphilosophie zitiert, der in seinem Schlüsseltext zur Ästhetik die Definierbarkeit von Kunst gänzlich verneint.30 Er begründet seine Aussagen damit, dass jede ästhetische Theorie nur Teilaspekte des umfassenden Phänomens Kunst berücksichtige, es somit weder notwendige noch hinreichende Eigenschaften gibt, die das Insgesamt der Kunst definieren. Deshalb schlägt er vor, nicht danach zu fragen, was Kunst ist, sondern welche Art von Konzept Kunst darstellt.31 Sein Schluss, der die Kunsttheorie nachhaltig beeinflusst, basiert auf der Grundlage, dass das gemeinsame aller Kunstwerke darin besteht, von offenen Konzepten geprägt zu sein, Kontingenz demzufolge als definitorischer Faktor betrachtet wird. Weitz leitet daraus ab, dass, gerade weil eine Definition von Kunst unmöglich sei, es die Aufgabe ästhetischer Theorien sein müsse, Kriterien der Beurteilung und Wertung von Kunstwerken zu untersuchen.32 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 Vgl. R. Bluhm, R. Schmücker (Hg.): Kunst und Kunstbegriff. Der Band versammelt die wichtigsten Texte zu diesem Theoriediskurs. So zählt beispielsweise M.-E. Reicher sechs Definitionsansätze auf, die mit den sieben von A. Piecha erwähnten nur in einem Fall übereinstimmen. Siehe M.-E. Reicher: Einführung, 128–169 und A. Piecha: Was ist Kunst?, 2–7. G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik. M. Weitz: The Role of Theory bzw. ders.: Die Rolle der Theorie in der Ästhetik, in: R. Bluhm, R. Schmücker (Hg.): Kunst und Kunstbegriff, (Paderborn 2005) 39–52. N. Goodman: Weisen der Welterzeugung. M. Heidegger: Der Ursprung des Kunstwerks. H.-G. Gadamer: Die Ontologie des Kunstwerks, in: ders.: Wahrheit und Methode, Bd. 1, 107–174. Vgl. A. Gethmann-Siefert, B. Collenberg-Plotnikov (Hg.): Zwischen Philosophie und Kunstgeschichte. G.W.F. Hegel: Ästhetik, 45. G.W.F. Hegel: Enzyklopädie III, § 561. G.W.F. Hegel: Ästhetik, 63. M. Weitz: The Role of Theory. Ebd., 30. Ebd., 35. 11 Auch Nelson Goodman lehnt die Frage nach dem Wesen der Kunst ab. Er ersetzt sie durch die Frage nach den Bedingungen des Zustandekommens von Kunstwerken, insbesondere nach der Transformation von Alltagsgegenständen in Objekte der Kunst, macht somit Funktionsweisen und Kontextualisierung zur leitenden Frage seiner Untersuchungen. Er parallelisiert, sich nun implizit an Hegel anlehnend, Kunst mit anderen Erzeugnissen des Geistes wie Wissenschaft oder Philosophie. Sie alle erzeugen, so Goodman, eigene Weltweisen, die nach je eigenen Regeln funktionieren und je eigene Systeme darstellen.33 Kunst wird in diesem Kontext zu einem Symbolsystem, dessen Teile – die einzelnen Kunstwerke, deren performative Potenz sich in ihrem Modus der Exemplifikation und deren «Symptomen des Ästhetischen»34 begründet – ebenfalls symbolisch zu verstehen sind. Als System ist Kunst jedoch gleichzeitig Teil von anderen Symbolsystemen, zu denen die Welt der Betrachtenden ebenso gehört wie die Geschichte der Kunst. Anschließend an diese zwei antiessentialischen Kunsttheorien, die die Rolle der Betrachtenden stärken und Kunstproduktionen sowie Interpretationen als offene Prozesse behandeln, führt die weitere Untersuchung wieder zurück zu metaphysisch grundierten Aussagen zur Kunst. Bei Martin Heidegger findet sich die Unterscheidung von Kunst als Gegenstand sowie Kunst als Werk und nur als solches ist Kunst Ursache für die Entstehung von Welt und die Konstituierung von Erde. Damit wird aus der nachgeordneten Funktion der Überbrückung, die Hegel der Kunst zusprach, eine vorgeordnete der Sinnbildung. Kunst ist nun ursächliches und als solches unabgeschlossenes, kontinuierlichen Geschehnis, da sie weder einzig im Bereich der Welt, noch in der handwerklichen Verwendung von Materie zu finden ist, sondern durch den Gebrauch des Stofflichen Wahrheit in eine Gestalt übersetzt.35 Mit Georg Gadamer kann an diesem Ereignishaften der Kunst angeknüpft werden. Für ihn muss Kunst, auch solche der Vergangenheit, in der Erfahrung der Betrachtenden vergegenwärtigt werden, stellt sie doch eine Verwandlung von Wirklichkeit dar, die während der Betrachtung aktualisiert wird. Dies führt zu einer spezifischen Art von Zeiterfahrung, die weder mit der Eigenzeit des Kunstwerks noch derjenigen des Betrachters zu tun hat, sondern eine Folge der Beziehung zwischen Kunstwerk und Betrachter ist. Eine Interpretation hat deshalb auch die Beziehung zwischen Kunstwerk und Betrachter unter temporalen Aspekten zu berücksichtigen.36 An die fünf verschieden akzentuierten Ausführungen zur Kunst schließt sich die Frage nach dem Wesen des Bildes an. In den Antworten wird das Bild aus verschiedenen Blickwinkeln, die aus den untersuchten philosophischen Texten extrahiert worden sind, beschrieben. Zum einen wird die Reflexivität der Beziehung zwischen Werk und Betrachtenden hervorgehoben. Sie bildet die Grundlage eines hermeneutischen Zugangs, der Begegnung und Mitvollzug voraussetzt. Als zweites erhält die Performativität eines Bildes, die in der Regel unter den rezeptionsästhetischen Aspekten von Bildinnen- und Bildaußenraum beschrieben wird, durch die ausdrückliche Untersuchung seiner temporalen Strukturen eine zusätzliche Dimension, die sich im Falle abstrakter Werke als interpretionsentscheidend erweisen wird.37 Anschließend lenkt die Suche nach den Erscheinungsweisen von Wahrheit in der Malerei die Aufmerksamkeit darauf, dass das Bild selbst, verstanden 33 34 35 36 37 N. Goodman: Sprachen der Kunst, 9. Ebd., 232. Vgl.: M. Heidegger: Der Ursprung, 50. H.-G. Gadamer: Die Aktualität des Schönen, 60. Siehe dazu unten, Bildbefragungen, 212–241. 12 unter der Begrifflichkeit der ikonischen Differenz, als Allegorie von Wahrheit verstanden werden kann, denn es verhüllt und enthüllt, macht sichtbar (das Dargestellte) und verdeckt (den Bildträger). Als vierte Antwort auf die Frage nach dem Bild wird die Kontingenz der Kunst, ihre Offenheit, die ebenfalls bei allen untersuchten philosophischen Texten eine definitorische Rolle spielte, hervorgehoben. Dabei wird auf Umberto Ecos grundlegendes Werk Das offene Kunstwerk38 referiert. Die Auslegung abstrakter Werke ist ohne die Voraussetzung der Akzeptanz dieser Offenheit kaum zu leisten, da sie es ist, die die Dialektik von Kunstwerk und Interpretation als kommunikative und also reflexive Möglichkeit begreift. Aus diesen Einsichten ergeben sich Konsequenzen für die kunstwissenschaftliche Hermeneutik. Dieser Ausdruck, der sich auch im Untertitel dieser Arbeit findet, enthält die Verbindung zweier unterschiedlicher Erkenntniskonzepte. Einerseits sucht Wissenschaft nach unzweifelhaftem Wissen und der Entwicklung gesicherter, jederzeit wiederholbarer Methoden. Hermeneutik andererseits, zumal philosophische Hermeneutik, kritisiert das Erreichenkönnen absoluter Wahrheit. Sie postuliert, dass Wissen auf Vorurteilen beruht und selbst gesichert erscheinende Erkenntnisse durch fortschreitende Wissensentwicklung wieder zu Vorurteilen mutieren. Heidegger umschreibt diesen Vorgang als hermeneutischen Zirkel.39 Erkenntnis – für die Hermeneutik – entspricht also einem offenen Prozess und dem Resultat eines solchen und trägt in sich einen Sinn für die Geschichtlichkeit und Revidierbarkeit von Urteilen. Das Bewusstsein für diese Vorläufigkeit von Erkenntnissen ist auch in der Kunstgeschichte – der Geschichte der Kunst sowie dem Fachbereich – ausgeprägt. Doch obwohl es zum Basiswissen der Disziplin gehört, anzuerkennen, dass sich ändernde Konzepte und Auffassungen über Inhalte, Produktionsweisen und über die Welt, die sich in ihnen spiegelt, der Hintergrund jeder Tätigkeit bilden, werden Werke vielmehr erklärt als ausgelegt, vielmehr deren Zustandekommen hinsichtlich der Motivation, der Ikonologe oder der Technik als deren Deutung in den Vordergrund gestellt. Wenn Interpretation jedoch als Resultat eines dialogisch zu verstehenden Prozesses betrachtet wird – und als eben dies lässt sie sich aufgrund der untersuchten Texte umschreiben – dann müssen nicht nur das Werk sondern auch die Imponderabilien der Interpreten oder Interpretinnen problematisiert werden. Die Untersuchung des Einflusses verschiedener Perspektiven auf die Deutung und die Aufgabe der Bildbeschreibung, die diese Perspektiven spiegeln, führen dazu, Bedeutung als innerbildliches Geschehen zu verstehen, das nur intermedial zugänglich gemacht werden kann. Die so gewonnen Einsichten und Ergebnisse werden im letzten Kapitel unter dem Titel ‘Philosophische Fragen als Grundlage von Bildinterpretationen’ miteinander verknüpft. Eine Interpretation – das machten die Untersuchungen philosophischer Texte implizit deutlich – entspricht ganz grundsätzlich einem von vielen Variablen bestimmten Übersetzen, das räumliche, zeitliche, personale und kulturelle Distanzen zu überwinden hat. Auf dem Hintergrund dieser Komplexität, die hinsichtlich abstrakter Kunstwerke durch die Absenz evidenter Bedeutungszusammenhänge noch vergrößert wird, bietet die aufgrund der Untersuchung ästhetischer Texte erarbeitete Fragensammlung eine Anleitung für diese Übersetzungswege. Ausgehend von den inhaltlichen Schwerpunkten der untersuchten philosophischen Texte werden Fragen deduziert, die sich an ein Bild stellen lassen. Da jede Antwort auf eine Frage an ein Kunstwerk einen interpretatorischen Aspekt freilegt, ergibt sich aus der sys38 39 U. Eco: Das offene Kunstwerk. M. Heidegger: Sein und Zeit, 152–153. 13 tematisierten Fragensammlung eine Anleitung zu einer Bildbefragung, die alle relevanten Interpretationsmomente umfasst und eine primär aus dem Werk selbst entwickelte Auslegung ermöglicht. Dass die Bezeichnung ‘Bildbefragung’ hier dem Begriff ‘Analyse’ vorgezogen wird, liegt darin begründet, dass in ihr ein dialogischer Ansatz enthalten ist, der die Wirkmächtigkeit des Bildes dem betrachtenden Subjekt gegenüberstellt. Denn wie sich zeigt, ist das Dialogische, das sich zwischen dem Werk und seinen Rezipienten ereignet, trotz aller Unterschiede der Beschreibung und Akzentuierung in den hier untersuchten ästhetisch-philosophischen Positionen zentral. Sie besagen, dass Kunst und Kunstwerk nur in der Begegnung, aktiv und reaktiv, zu erschließen sind. ‘Philosophisch’ wird die Bildbefragung nicht nur deshalb genannt, weil die Fragen aus philosophischen Texten abgeleitet werden, sondern weil durch sie ein Kunstwerk den Kategorien von Raum und Zeit zugeordnet und das Zusammenwirken räumlich-flächiger Erscheinungsweisen eines Bildes mit den Möglichkeiten zeitlicher Darstellungen explizit berücksichtigt wird. Es stellt sich heraus, dass gerade im Erschließen temporaler Strukturen ein Zugang zu Deutungsschichten abstrakter Werke liegt. Auf diesem Weg werden drei abstrakte Werke – Things fall apart von Mark Bradford, Untitled von Joan Mitchell sowie Abstract Painting Nr. 3 von Kurt Thaler – befragt und einer Deutung zugeführt. Mit der Validierung und Reflektion der Interpretationsprozesses und ihrer Resultate wird die vorliegende Arbeit abgeschlossen. Das Beschreiben und Interpretieren von Kunst stellt insofern eine Variante der Verschränkung von Bild und Text dar, als über das Bild gesprochen, es also Objekt ist, das beschrieben wird, es gleichzeitig jedoch als Anlass des Redens-über einen Subjektstatus einnimmt, insofern die Sprache nachvollziehen muss, was es zeigt. Somit finden Titel und Untertitel der Arbeit hier auch formal und inhaltlich ihre Realisierung: Das Oszillieren zwischen Objekt- und Subjekt-Status ist eine der Erscheinungsweisen der ontologischen Dualismen, die Teil der Performativität des Bildes sind. Die Bildbefragungen und Bildinterpretationen sind das Ergebnis der vorhergehenden Auseinandersetzungen mit diesen Dualismen und der Versuch, Einsichten der philosophischen Ästhetik in die kunstwissenschaftliche Hermeneutik zu überführen. Aussagen über das Kunstwerk werden jedoch nicht nur von Philosophen im Rahmen von Ästhetik oder Hermeneutik gemacht, in neuerer Zeit machen auch die Bildwissenschaften, die sich nicht nur mit Kunstwerken, sondern mit allen bildhaften Erscheinungsformen beschäftigen, Deutungsansprüche auf das Bild geltend. Eine disziplinenübergreifende Terminologie hat sich jedoch bisher nicht entwickelt, was sich auch auf diese Arbeit auswirkt, insofern philosophische Termini mit kunsthistorischen Fachausdrücken und den Gegebenheiten des Bildes abgeglichen werden müssen. Philosophischen Annäherungen an das Bild finden seit einigen Jahren ihren Niederschlag in einer großen Anzahl von Veröffentlichungen zu medienphilosophischen und bildwissenschaftlichen Themen, so dass die erfolgreiche Entstehung einer neuen Forschungsrichtung zur Philosophie des Bildes beobachtet werden kann. Der großen Zahl entspricht die große Vielfalt an Aspekten, die in diesem neuen Forschungsschwerpunkt untersucht werden. Dies trifft vor allem für Publikationen aus Basel (eikones, NS Bildkritik),40 aus Berlin (Bildkulturen und Junges Forum für Bildwissenschaft)41 und explizit für online-basierte Veröffentlichungen zu, wie das Virtuelles Institut für Bildwissenschaft (VIB) oder die Zeitschrift für Interdisziplinäre Bildwissenschaft (IMAGE),42 sowie für das Netz40 41 42 URL: http://www.eikones.ch/ [15.5.12]. URL: http://www.bbaw.de/bbaw/Forschung/Forschungsprojekte/Bildkulturen.de [7.3.11]. URL: http://www.bildwissenschaft.org/ [15.5.12]. 14 werk Bildphilosophie (DFG),43 die alle drei von Tübingen aus realisiert werden. Es fällt deshalb schwer, den Forschungsstand eines sich im Aufbau befindenden und noch unsicher konturierten Wissenschaftszweiges zu referieren. Für die vorliegende Arbeit waren jedoch weniger einzelne Artikel oder Bücher als viel mehr die Stimmen von Autorinnen und Autoren maßgebend, die mit ihren oft auch kontroversen Sichtweisen viel zur Entwicklung dieser Arbeit beitrugen. In Bezug auf Kunst, Kunsttheorie und Theorien von Künstlern waren dies: Willi Baumeister,44 dessen Überlegungen zur Bildgestaltung ebenso nachhaltig sind wie seine theoretischen Positionen, die Aspekte der aktuellen Diskussion zum medialen Status des Bildes vorwegnehmen sowie Charles Harrison und Paul Wood, die mit dem zwei Bände umfassenden Werk Kunsttheorie im 20. Jahrhundert 45 einen informativen Überblick über die Kunstentwicklungen im 20. Jahrhundert geben und einen Zugang zu verstreuten Künstlerschriften, Manifesten und Texten zur Kunsttheorie anbieten. Mit Max Imdahl findet der Künstler und Kunsthistoriker Erwähnung, der wie kein anderer dazu beiträgt, das Zeigen der Bilder als das Erscheinen einer bedeutungstragenden Struktur kenntlich zu machen sowie praktisch und theoretisch zu begründen.46 Von Seiten des Fachs Kunstgeschichte ist es Georges Didi-Huberman, der mit dem Nachdruck, mit dem er dafür plädiert, das zu sehen, was ist und nicht zu sehen, was man weiß oder sehen zu müssen glaubt, dem Nachdenken über Bilder neue Kontexte eröffnet und es auf oft unerwartete Weise kulturgeschichtlich aktualisiert.47 Die Bedeutung Gottfried Boehms, des wichtigsten Promotors des Bildes, der mit seinen Schriften den Eigen-Sinn der Malerei von philosophischer und kunstwissenschaftlicher Seite begründet und immer an Werken exemplifiziert, kann auch für diese Arbeit nicht genügend unterstrichen werden. Mit dem Begriff der ikonischen Differenz leitete er eine Wende im Verständnis innerbildlicher Prozesse ein, die die Kunstwissenschaft nachhaltig prägt. Das Zusammenwirken dieser genannten Autoren bildet einen kunstwissenschaftlichbildtheoretischen Rahmen, in dem sich die vorliegende Arbeit bewegt. Ein anderer wird durch interdisziplinäre Werke gebildet. Die Eckpfeiler dazu bilden Ralf Konersmanns Wörterbuch der philosophischen Metaphern 48 ebenso wie Margarete Wertheims Die Himmelstür zum Cyberspace. Von Dante zum Internet49 sowie Anne Friedbergs The Virtual 43 44 45 46 47 48 49 URL: http://www.gib.uni-tuebingen.de [15.5.12]. W. Baumeister: Das unbekannte in der Kunst. Vom 28.1.–22.4.2012 zeigte das Kunstmuseum Winterthur Gemälde und Zeichnungen von Willi Baumeister (1889–1955). Seine Lehrtätigkeit an Kunsthochschulen erstreckte sich auf die Jahre 1928–1933 in Frankfurt am Main sowie 1946–1955 in Stuttgart. Vgl. URL: http://www. willi-baumeister.org/ [15.4.11]. Ch. Harrison, P. Wood (Hg.): Kunsttheorien. Vgl. M. Imdahl: Bildautonomie und Wirklichkeit. Gottfried Boehm und Gundolf Winter haben Imdahls Schriften integral zugänglich gemacht. Vgl. G. Boehm (Hg.): Max Imdahl sowie G. Winter (Hg.): Max Imdahl. So stellt G. Didi-Huberman in Vor einem Bild die traditionelle kunsthistorische Sichtweise in Frage und ergänzt die Strukturanalyse Imdahls durch psychoanalytische Akzente. R. Konersmann (Hg.): Wörterbuch der philosophischen Metaphern. Darin wird ein umfassender Überblick über die philosophisch bedeutsame Metaphern und ihre philosophiegeschichtliche Verwendung vorgestellt. M. Wertheim: Die Himmelstür zum Cyberspace. Wertheim setzt virtuelle Welten wie Paradies und Cyberspace zueinander in Beziehung und zeichnet die begriffsgeschichtlichen Akzentverlagerungen zwischen Körper und Seele nach, die sich vor allem im Umgang mit (gesellschaftlichen) Räumen und Raummetaphern spiegeln. 15 Window. From Alberti to Microsoft50 oder Sybille Krämers Medium, Bote, Übertragung. Kleine Metaphysik der Medialität.51 Diesen Titeln ist gemeinsam, dass sie kulturgeschichtliche und historisch akzentuierte Längsschnitte zu einer Thematik darstellen und sich nicht scheuen, scheinbar so unterschiedliche Disziplinen wie Informatik und Kunstgeschichte miteinander in Beziehung zu setzen. Gemeinsam ist ihnen aber auch, dass sie als Scharniere und Schirmbegriffe für die Interdisziplinarität Metaphern einsetzen. Auch wenn diese genannten Werke ganz unterschiedliche Absichten haben, so sind sie doch auch ein Beweis dafür, dass es ein Denken in Bildern gibt. Denn wie anders lassen sich die Fruchtbarkeit und der Reichtum philosophischer Metaphern erklären? Wenn ‘Himmelstür’ und ‘Fenster’ als Sprachbilder vom Spätmittelalter über die Neuzeit bis in die Gegenwart wirkungsmächtig sind und wenn für den recht strapazierten Begriff ‘Medium’ über die Metaphorik des Botenbegriffs unerwartete Eigenschaften und Aufgaben freigesetzt werden können, dann weist das auf die Leistungsfähigkeit von Metaphern hin. Sie liegt darin, dass Sprachbilder «die Welt im Horizont ihrer Deutbarkeit»52 zeigen und als figuratives Wissen ein Denken darstellen, das, die Wendung sei erlaubt, zu denken gibt. Darin sind sie gemalten Bildern ganz direkt verwandt. Der Schauplatz dieser Untersuchung ist also wie ein offenes Feld; darauf befindet sich das Bild, umgeben von verschiedenen Disziplinen und unterschiedlich akzentuierten Konzepten. Die methodischen Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, bestehen darin, klare Ab- und Eingrenzungen vorzunehmen und doch die multiperspektivische Sicht nicht zu verlieren. Mit der additiv erscheinenden Reihung der Kapitelthemen wird versucht, dieser Situation Rechnung zu tragen. Das ganze Bild ergibt sich – wenn es denn gelingt – erst aus dem Zusammenwirken aller Teile. «In der Malerei gibt es zwei Probleme. Das eine ist, herauszufinden, was Malerei ist, und das andere, wie man ein Bild malt. Das erste betrifft das Lernen, das zweite das Machen.»53 Im Sinne dieses Satzes ist zu hoffen, dass die Arbeit einen Schritt zur Lösung des ersten Problems beiträgt. Ihr Ziel liegt allerdings weder auf Seiten der Malerei noch auf Seiten der Philosophie. Es liegt vielmehr darin, die eine Disziplin für die andere fruchtbar zu machen. 50 51 52 53 A. Friedberg: The Virtual Window. Friedberg problematisiert die Rahmungen von Bildern. Ausgehend von philosophischen Positionen stellt sie anhand von Beispielen aus der Malerei, von Filmstills und von wissenschaftlichen Diagrammen reale und metaphorische Bedeutungen von Rahmen dar. S. Krämer: Medium, Bote, Übertragung. Aus Krämers Beschreibung verschiedener Botenmodelle läßt sich eine Gemeinsamkeit ablesen: Sie alle überwinden Distanz und halten sie gleichzeitig aufrecht. Damit erhält ein Übergangszustand (die Vermittlung einer Botschaft), der oft vernachlässigt behandelt oder übersehen wird, seinen eigenen Status. R. Konersmann (Hg.): Wörterbuch, 14. F. Stella, zit. nach: Ch. Harrison, P. Wood (Hg.): Kunsttheorie, Bd. 2, 993. 1 ZE IGE N UND S A GE N – BIL D OD ER S PRA CHE? Abb. 2: Initiale, um 1240, aus: Richard de Fournival, Bestiaire d'amour, hg. von C. Hippeau, Paris, 1890. «Zum Wissen und zum Gedächtnis gibt es zwei Türen: Sehen und Hören. Zu jeder der Türen führt ein Weg – painture et parole – Bild und Wort. Das Bild dient dem Auge, das Wort dem Ohr.» Diese Sätze stehen im Prolog zum Bestiaire d’amour des Troubadours Richard de Fournival.1 Die Initiale (Abb. 2) aus dem Erstdruck dieses Textes zeigt die beiden Türen, die in einen Turm führen, der, so suggeriert es de Fournival im weiteren, einen Schatz enthält, der die Gegenwart mit der Vergangenheit verbindet.2 Wissen und Erkenntnis, so kann daraus gefolgert werden, stellen einen Schatz dar, den es mit Auge und Ohr zu erschließen gilt. Der Titel des vorliegenden Kapitels «Zeigen und Sagen – Bild oder Sprache?» markiert diese zwei Wege der Erkenntnis und deutet Beziehungen zwischen ihnen an, deren Akzentuierungen sich im Laufe der Geschichte gewandelt haben. Einige davon werden im 1 2 «Ceste memoire si a 2 portes, veoir et oïr, et à chascune de ces 2 portes si a 1 chemin par où on i puet aler: painture et parole. Painture siert à oel et parole à oreille; et coment on puet repairier à la mesnon memoire, qui est la garde des tresors qu sens done te conquiert par force d'engien, fait ce quiest trespassé aussi come present. Et parce meisme i vient-on ou par painture ou par parole.» R. de Fournival, Bestiaire, 2. Bei dem Bestiaire d'amour (13. Jh.) handelt es sich um eine Form der Liebesklage, die Tierphysiologien travestiert. Ebd., 1–4. 17 Folgenden untersucht. Als Leitfaden dienen dabei die dem Bild sowie der Sprache inhärenten Modi des Zeigens und Sagens. Bevor jedoch die einzelnen Begriffe ‘Bild’ und ‘Sprache’ näher bestimmt und die Konkurrenz zwischen Zeigen und Sagen thematisiert werden, soll hier zuerst von ihren Gemeinsamkeiten und Parallelen die Rede sein. Denn mit der Gegenüberstellung von Zeigen und Sagen öffnet sich ein weites Bedeutungsspektrum, in dem große Themen der abendländischen Philosophietradition wie Sehen und Hören, Anschauung und Begriff, Eikon und Logos anklingen. Doch entgegen des dichotomischen Charakters dieser Begriffspaare fallen insbesondere bei ‘Zeigen und Sagen’ zuerst die Gemeinsamkeiten auf. So ist nicht nur das Bild von der Gleichzeitigkeit von Sein und Bedeuten geprägt3 und entzieht sich deshalb einer einfachen Definition, sondern auch die Sprache ist in ihrem Wesen vielfältig wie das Bild. Wenn Gadamer über das Phänomen der Sprache schreibt es sei rätselhaft, anziehend und abweisend zugleich und ihr Wesen «entbergend-bergend» und über die Aussagenlogik hinaus führend,4 dann können diese Charakterisierungen ohne Abstriche auch auf das Wesen des Bildes bezogen werden. Ebenso wie nicht nur auf das Wesen der Sprache zutrifft, dass man es nie finden könne, solange man Auskünfte in Gestalt von Leitsätzen und Merkworten fordere, wie Heidegger ausführt.5 Nimmt man zudem dessen berühmte Aussage «die Sprache ist das Haus des Seins»6 in ihrer Metaphorik doch ernst,7 dann zeigt sich eine weitere aufschlussreiche Parallele zwischen Bild und Sprache, gehört es doch zum Eigentümlichen von ‘Haus’ und ‘Bild’, dass sie, indem sie Innenraum und Außenraum definieren, gleichzeitig ausschließend und einschließend wirken und ein Sein bezeichnen, das mit seiner Anwesenheit auf ein abwesendes Anderes verweist. Bild und Sprache besitzen jedoch nicht nur im Hinblick auf ihre metaphysische Dimension Parallelen, sondern es finden sich auch solche in ihrer Funktion und ihrem Gebrauch. So sind die Alltagsbedeutungen von ‘Bild’ und ‘Sprache’ so umfangreich, dass sie nur zu brauchbaren Begriffen werden können, wenn sie einem jeweiligen Kontext entsprechend eingeengt werden. Ebenfalls gemeinsam ist ihnen, dass sie sich auf Gegebenheiten außerhalb räumlicher und zeitlicher Gegenwart beziehen können und sich Verhältnisse zu längst vergangenen oder nie realisierbaren Gegenständen im Bild darstellen sowie in der Sprache vorstellen lassen. Darstellen und Vorstellen jedoch sind Formen der Bezogenheit – und mit diesem Hinweis auf die Intentionalität von Bild und Sprache geraten auch deren Grenzen in den Blick. Gadamer verortet die Grenzen der Sprache grundsätzlich in ihrem Zusammenhang zur Schrift, dort aber insbesondere in drei Richtungen.8 Er nennt sie «das Vorsprachliche», «das Nebensprachliche» und «das Übersprachliche». Alle drei Ausdrucksformen sind von dem, was ‘Sprache’ meint, ausgegrenzt. Das Vorsprachliche als die Artikulationsweise vor dem Spracherwerb genauso wie das Nebensprachliche, zu dem Gadamer einen Gefühlsausdruck wie beispielsweise das Lachen zählt oder das Übersprachliche, das er als Grenze 3 4 5 6 7 8 Siehe ‘Ikonische Logik oder: Scheinen ist das Sein des Bildes’, unten, 80–135. Vgl. H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode, Bd. II, 198. Vgl M. Heidegger: Aus einem Gespräch von der Sprache, 153. M. Heidegger: Über den Humanismus, 5. Einerseits führt Heidegger die Metaphorik des Ausdrucks aus, wenn er davon spricht, dass der Mensch in der Behausung der Sprache wohne – vgl. ebd. – andererseits jedoch distanziert er sich von diesem Sprachbild, das noch nicht erfassbar sei, weil das Wesen des Seins im Denken noch keine Entsprechung gefunden habe: «Die Rede vom Haus des Seins ist keine Übertragung des Bildes vom ‘Haus’ auf das Sein, sondern aus dem sachgemäß gedachten Wesen des Seins werden wir eines Tages eher denken können, was ‘Haus’ und ‘wohnen’ sind.» Ebd., 49. H.-G. Gadamer: Grenzen der Sprache, 350 bzw. 355–359. 18 «zum Ungesagten und vielleicht gar Unaussprechlichen» beschreibt.9 Damit weist Gadamer darauf hin, dass die Sprache in ihrer engen Form als Aussagelogik nie alles sagen kann, was zu sagen ist. Auch das Bild, obwohl es in keiner Weise einem Aussagesatz entspricht, zeigt nicht alles, was zu zeigen ist, sondern immer nur einen Ausschnitt einer Weltanschauung als Weltweise. Doch wo sind die Grenzen der Bildlichkeit? Sie finden sich nicht in der Undarstellbarkeit von Gegenständen – die Möglichkeiten bildgebender Verfahren, die ihren Weg auch in Kunstwerke finden, verschieben diese Grenze immer weiter – doch die Grenzen des Bildes sind dort, wo das Denken auf bildferne Weise Sachverhalte durchdringt: In der bildkritischen Philosophie. «Es ist in Namen, dass wir denken» schreibt Hegel,10 der in der Enzyklopädie die Sprache zusammen mit dem Zeichen im Übergang von der Einbildungskraft zum Gedächtnis, also in der Ablösung von Bildern mit sinnlich-konkreten Inhalten durch eine Inhalt, Bedeutung und Zeichen zusammenfassende Vorstellung, behandelt.11 Die Auffassung, dass Denken in Begriffen und Bildwahrnehmung gänzlich verschiedene Bereiche darstellen, wird von Lambert Wiesing nicht geteilt.12 Er geht von einer gemeinsamen Struktur von Denken und Bild aus, die sich darin äußert, dass das Bild ebenso wie das Denken Synthesen bildet. Er spricht von der «grundlegenden Parallele zwischen den Formen in einem Bild und den Begriffen in einem Gedanken» und davon, dass «wenn man die Synthesisleistung als die wesentliche Leistung von Denkakten ansieht, [...] man zu Recht davon sprechen [kann], dass im Stil eines Bildes sichtbarerweise ein Denken gleichermaßen vollzogen wie ausgedrückt ist.»13 Und er verweist auf die Verbindung zwischen Bild und Denken mittels des doppeldeutigen Wortes ‘reflektieren’, wenn er sagt: «Bilder, welche die Welt in verschiedenen Stilen zeigen, reflektieren die Welt anders – [...] sie zeigen die Welt anders und sie denken sie anders.»14 Auch wenn man nicht der Auffassung ist, dass ein Bild denkt und somit die Subjektivierung des Bildes nicht übernimmt, da sie den Schaffensprozess übergeht, in dessen Verlauf sich ein Denken ins Bild setzt, so führt der Reflexionsbegriff doch wieder zu einer Gemeinsamkeit von Bild und Sprache bzw. von Zeigen und Sagen zurück, da sowohl sprachlicher als auch bildlicher Reflexion eine subjektive Perspektive inhärent ist. Die Subjektivität der Reflexion wird jedoch durch deren Objekt beeinflusst, so dass von einer dialogischen Beziehung, die sich zwischen Subjekt und Objekt ereignet, gesprochen werden kann. «Sprache ist nur im Gespräch» heißt es bei Gadamer, der auch das Kunstwerk im dialogischen Akt erschließt.15 ‘Gespräch’ aber meint auf ein Gegenüber hören, ihm antworten, was beides über Raum und Zeit hinweg geschehen kann und für das Bild in analoger Weise gilt, da das, was das Bild zeigt, als Aufforderung zu einem Dialog mit dem Betrachter verstanden und von diesem aufgenommen oder negiert werden kann. Dass Zeigen und Sagen Teile eines kommunikativen Prozesses sind, drückt sich in den jeweiligen Wortbedeutungen aus. So bedeutet ‘Zeigen’ zweierlei, nämlich Vorzeigen oder Hinweisen und ‘Sagen’ in allen seinen Synonymen immer ‘etwas Mitteilen’. Am deutlichsten wird die Verwandtschaft beider Begriffe jedoch dort, wo sich die Wortfelder bzw. die Bildfelder überschneiden: ‘enthüllen’, ‘erhellen‘ oder ‘offen legen’ sind Verben, die für Zeigen und Sagen stehen können. Und in der metaphorischen Rede treten sie gar gemein- 9 10 11 12 13 14 15 Ebd., 359. G.W.F. Hegel: Enzyklopädie I, § 462. Ebd., § 455–461. Vgl. L. Wiesing: Denken in Bildern, 235–243. Ebd., 238. Ebd. H.-G. Gadamer: Phänomenologie von Ritual und Sprache, 405. 19 sam auf und sind eine Einladung zur Interpretation.16 Metapher und Bild, beide zeigen, allerdings mit dem Unterschied, dass das Zeigen des Bildes sichtbar, sinnlich erfahrbar, ist. Doch dabei ist es, so Günter Figal, «niemals neutral oder indifferent. [...]. Jedes Gezeigte ist in bestimmter Hinsicht präsent; seine Präsenz ist mehr oder weniger stark daran gebunden, wie es gezeigt wird.»17 Das Wie des Zeigens des Bildes erweist sich denn auch als das wichtigste der das Bild konstituierenden Momente, kann es sich doch der Farbe, Form, Linie, Fläche, Licht und Dunkel bedienen und in allen diesen gestalterischen Parametern unabhängige Ausdruckswerte entwickeln und selbst Schrift als Bildelement integrieren. Damit aber besitzt das Bild selbst die Möglichkeit, Schrift und Text in einen erweiterten Zusammenhang zu stellen und deren Aussagen bildhaft zu kommentieren. Während sich daraus im kultischem Kontext der Worttheologie18 des Frühmittelalters ein Prozess der Verbildlichung von Schrift und Sprache vollzieht – das Bildhafte der Schrift verweist als sinnlich erfahrbares Zeichen ebenfalls auf das unsichtbare Wort Gottes, so dass Schriftbild und Wortbedeutung zusammen den Buchkörper darstellen19 – entwickelt sich in der religiösen Kunst des Hochmittelalters eine Versprachlichung des Bildes. Nun kommunizieren die dargestellten Figuren mittels Gestik, Blicken und Gebärden miteinander und sehr bald auch mit den Betrachtenden. Doch das Zeigen des Bildes blieb trotz aller nuancierten Möglichkeiten der Darstellung «gemessen an der Kapazitäten der Sprache und von ihnen dauerhaft überlagert, [...] dennoch ein schwacher Begriff», der es, so Boehm, nicht zu einer konsistenten und ausführlichen Theorie gebracht hat.20 Mit der Konsequenz, dass, obwohl Bild und Sprache einmal gleichberechtigt nebeneinander religiöskulturelle Inhalte tradierten, «im Laufe des Verschriftlichungsprozesses der Neuzeit,» so Norbert H. Ott «das Sprachmedium die alleinige Deutungshoheit übernahm.»21 Dies fiel umso leichter, als das Bild von theologischer und philosophischer Seite einem negativen Verdikt ausgesetzt war. Aus christlich-theologischer Sicht musste die kultische Funktion des Bildes immer wieder neu rechtfertigt werden – das Bilderverbot, das an Moses erging, wirkte sich im byzantinischen Ikonoklasmus ebenso aus wie im reformatorischen Bildersturm22 – und von philosophischer Seite stand es seit Platon im Ruf, nur Abbild eines Abbildes und deshalb von der Wahrheit entfernt zu sein.23 Selbst das intuitive Verstehen von Bildern wurde von der sprachlichen Vermittlung abgelöst und der Verständnisabstand zu zeitlich entfernten Bildern wuchs immer mehr, bis – im 20. Jahrhundert – neue Wege nötig wurden, um sie und ihre traditionellen motivischen Elemente wieder zugänglich zu machen. Die Ikonologie im Sinne Erwin Panofskys,24 die diese Kontextualisierung primär in Bezug auf Bilder der Renaissance leistet, baute allerdings von Anfang an auf arbiträren Gegebenheiten auf. Sie ist sprachlastig, insofern sie Bilder immer auf Texte zurückzuführen sucht und das Betrachten von Bildern indirekt dem Lesen gleichsetzt. Diese Grundstruktur hat zwar zur erfolgreichen Verbreitung der Metho16 17 18 19 20 21 22 23 24 Vgl. R. Konersmann (Hg.): Wörterbuch, 14. G. Figal: Bildpräsenz, 62. Hervorhebung im Original. Vgl. L. E. Saurma-Jeltsch: Das Bild in der Worttheologie. Vgl. ebd., 673–674. G. Boehm: Das Zeigen der Bilder, 20–21. Die Situation hat sich, trotz der bildwissenschaftlichen Forschungen der letzten Jahre, nicht grundsätzlich verändert. Dafür kann wohl der in der deutschen Sprache große und offene Begriffsumfang des Begriffs ‘Bild’ verantwortlich gemacht werden. N.H. Ott: Bild und Sprache, 12. Zum mosaischen Bilderverbot vgl.: Exodus 1–5; der byzantinische Bilderstreit fand im 8. und 9. Jahrhundert, der reformatorische Bildersturm im 16. Jahrhundert statt. Vgl. oben, 5–6, Anmerkungen 2–4 sowie Platon: Politeia, Buch X, 597a–598d. Vgl. E. Panofsky: Ikonographie und Ikonologie. Eine Einführung, 50. 20 de geführt, sie jedoch gleichzeitig auch deutlich begrenzt, denn wo einem Kunstwerk keine Dokumente zugrunde liegen, versagt sie. Und doch hat sie und mit ihr das Fach Kunstgeschichte – auch in Konkurrenz zur philosophischen Ästhetik – Deutungsmacht über Bilder beansprucht. Dass in der Ikonologie das Sehen von Bildern dem Lesen gleichsetzt wird, wird anhand der Wahl der Methodenbezeichnung aufgezeigt. Und mit einer Untersuchung des berühmten Beispiels ‘vom Hut ziehenden Bekannten’, mit dem Panofsky seine Methode einführt, kann nachgewiesen werden, wie sehr der Logos der Sprache innerbildliche Relationen von Farben und Formen übergeht und das Bild als ein primär rhetorisches und damit sprachliches Geschehen definiert.25 Gegen die Herrschaft des Sagens über das Zeigen, der Philosophen und Kunsthistoriker über das Kunstwerk und die Künstler, erwuchs in 1940er Jahren zusehends Widerstand von Künstlern und Künstlerinnen, die begannen, sich in Theorie und Praxis von der fremden Deutungshoheit zu lösen. Wie notwendig diese Emanzipationsbestrebungen waren, zeigt ein Exkurs über einen Text von Arthur C. Danto, der die Entmündigung der Kunst durch die Philosophie bzw. die Ästhetik nachweist und dabei gar von einem Krieg, einem historisch nachweisbaren Kampf, spricht.26 Ausdruck der sich vollziehenden oder vollzogenen Emanzipation der Künstler sind Kunstwerke, die Bezüge zur Philosophie direkt und in schriftlicher Form integrieren, sich also des Sagens nicht nur theoretisch bemächtigten, sondern es als Bildzeichen visualisieren und somit wieder dem Zeigen zurückführen. Drei Bildbeispiele werden vorgestellt, die auf unterschiedliche Weise Schrift als bildhaftes Element verwenden und sich auf Philosopheme beziehen. So ein Werk von René Magritte (Abb. 15), das mit der gleichzeitigen Präsentation von Begriff und Gegenstand die Logik des sprachlichen Denkens irritiert sowie eines von Joseph Kosuth (Abb. 16), das auf Platons Aussage, der Künstler sei ‘Nachbildner’ und ‘Verfertiger von Schattenbildern’, anspielt27 und, indem es dies bildlich paraphrasiert, gleichzeitig den Vorrang der Sprache gegenüber der Bildlichkeit in Frage stellt. Rosmarie Trockel, von der das dritte Bildbeispiel (Abb. 17) stammt, kommentiert mit einem ihrer Strickbilder die Selbstbezüglichkeit des vielleicht berühmtesten philosophischen Satzes von René Descartes sowie einer ‘Ikone der Moderne’ von Kasimir Malewitsch (Abb. 18). Die Künstlerin gibt damit nicht nur ein Statement ab für die Kunst, sondern setzt mit der Konzeption, die in ihrem Werk zum Ausdruck kommt, die oft tradierte Hierarchie von männlichem Denken und weiblichem Alltag der Kritik aus. Die Veränderungen im Verhältnis von Selbstbestimmtheit und Fremdbestimmtheit der Kunst spiegelt sich auch ich den Diskursen um die Bildtitel, die als grobe Skizze nachgezeichnet werden. Im reziproken Verhältnis des Zeigens des Bildes zum Sagen des Titels, der wiederum Aspekte des Bildes in sprachlicher Form zum Ausdruck bringt, bilden sich die Machtverhältnisse zwischen Bild und Sprache überaus deutlich ab. Der den Blick bestimmenden Kraft der Sprache entzogen sich die Künstler des 20. Jahrhunderts durch die Paradoxie des Titels ‘Ohne Titel’ – und forderten damit eine unabhängige, nicht durch Wörter beeinflusste Seh- und Empfindungsfähigkeit ihres Publikums heraus.28 Die Interdependenz von Zeigen und Sagen findet ihren Niederschlag nicht nur in der Kunst, sie manifestiert sich ebenso in der Sprache, insbesondere im philosophischen 25 26 27 28 Vgl. dazu unten, 46–50. A.C. Danto: Philosophical Disenfranchisement, insbes. 5–9. Vgl. oben, 6, Anmerkungen 4. In Bezug auf die Bedeutung, Funktion, Herkunft und Strategien von Bildtiteln besteht bis auf wenige Ausnahmen ein Forschungsdefizit. Eine Ausnahme bildet T. Vogt: Untitled. 21 Sprechen. Bemerkenswerterweise werden ja gerade in der Philosophie, die Bilder als direkte Erkenntnisquellen ablehnt, Sprachbilder und das bildhafte Sprechen in Gleichnissen recht ausgiebig verwendet. Man denke nur an die drei berühmten Gleichnisse Platons,29 die in unübertroffener Bildhaftigkeit bis heute ihre Wirksamkeit nicht eingebüßt haben und alle drei auf visuellen Metaphern beruhen. Wenn im Sonnengleichnis das Auge als sonnenähnlich und die Sehkraft als Instrument der Wahrnehmung des Lichts, im Liniengleichnis das Verhältnis von Sichtbarem und Denkbarem veranschaulicht und im Höhlengleichnis verdeutlicht wird, dass der Blick nicht auf das sinnlich Wahrnehmbare sondern auf das Ideelle gelenkt werden soll, so sind immer das Sichtbare und das Sehen als Metaphern für das Nichtsichtbare/Ideelle und das Erkennen eingesetzt. Das bedeutet jedoch nichts anderes, als dass das Zeigen des sprachlichen Bildes einer Öffnung zum Geistigen gleichkommen kann. Günter Figal, der die Vorbehalte der philosophischen Tradition gegenüber Bildern «geradezu befremdlich» findet, «wenn man die Bevorzugung des Sehens, die immer wieder betonte Nähe des Sehens zum geistigen Erfassen bedenkt,»30 vermutet, dass gerade dies dem Sehen zum Nachteil geraten sei. Und er argumentiert: «Wenn das geistige Erfassen wie das Sehen ist, kann es als das bessere Sehen verstanden werden; es hat alle Vorzüge des Sehens, ohne wie dieses auf das faktisch Gegebene [...] beschränkt zu sein.»31 Doch könnte nicht im Lichte der Theorie von der ikonischen Differenz32 dieses Argument umgedreht werden? Es lautete dann: Wenn das Sehen wie ein geistiges Erfassen sein kann, kann es als das bessere Erfassen verstanden werden, da es intuitiv und simultan zeigt, was sich nicht sagen lässt. 1. Begriffsbestimmungen Der Begriff ‘Bild’, der in der Alltagssprache die unterschiedlichsten Phänomene vom Traumbild über die Photographie bis zum Weltbild umfasst und alles bedeuten kann, was mit Visualität zusammenhängt, veranschaulicht bereits mit der Begriffsgeschichte die Probleme seiner Definition.33 Auch im Rahmen der seit einiger Zeit neuen universitären Studiengänge zur Bildforschung oder Bildwissenschaft werden diese Schwierigkeiten einer konsistenten Begriffsbestimmung deutlich. Denn es lässt sich kein Bildbegriff finden, der sowohl philosophische als auch medientheoretische Sichtweisen gleichermaßen berücksichtigt (um nur zwei Varianten zu nennen) und sich im Zusammenhang mit der Gestaltung elektronisch-virtueller Bilder ebenso bewährt wie in Bezug auf materielle künstleri- 29 30 31 32 33 Vgl. das ‘Sonnengleichnis’, in: Platon: Politeia VI, 508a–509b, das ‘Liniengleichnis’, in: ebd., VI, 509c– 511a und das ‘Höhlengleichnis’, in: ebd., VII, 514a–518a. G. Figal: Bildpräsenz, 56. Ebd. Vgl. ‘Ikonische Differenz’, unten, 87–92. Zu unterschiedlich akzentuierten Bildbegriffen vgl. H. Belting: Bild-Anthropologie, 11, insbes. Anmerkung 1, sowie K. Sachs-Hombach: Bildbegriff, 5–16. Der Aufsatz macht deutlich, dass die Ausbildung einer allgemeinen Bildwissenschaft aus Gründen der viel zu großen Diversität des Begriffs ‘Bild’ nicht voran kommen kann. Eine systematische Auflistung unterschiedlicher Stellenwerte, die dem Bild in der Philosophie seit der Antike zugewiesen worden sind, findet sich in: S. Neuber, R. Veressow (Hg.): Das Bild als Denkfigur. 22 sche Bildgestaltungen.34 Zudem haben sich innerhalb der bildenden Kunst Formen entwickelt, die zwar bildhafte Elemente enthalten, jedoch keinen Gegenstand zeigen, nichts Bekanntes abbilden und also weder mit einer Abbild- oder Darstellungstheorie noch mit dem Begriff ‘Bild’ erfasst werden können. Im Folgenden wird von einem Bildbegriff ausgegangen, der sich ausschließlich auf Artefakte bezieht – ausdrücklich auch auf Gemälde, die nichts abbilden35 – und sich aus drei Aspekten zusammensetzt. Als erstes gilt eine phänomenologische Begriffsbestimmung, die besagt, dass «dass man auf einem Bild etwas sehen kann, was ohne Bilder nicht zu sehen wäre. Bilder zeigen etwas, was sie selbst nicht sind.»36 Diese Aussage benennt den phänomenologisch wohl wichtigsten Sachverhalt, dass es sich bei jedem Bildgegenstand um etwas Imaginäres handelt. Wiesing beschreibt ihn so: Denn man sieht einen Gegenstand [...] der nicht real, sondern nur dargestellt ist. Das Dargestellte im Bild ist wesensmäßig irreal, aber nicht etwa, weil es unbedingt fiktiv wäre, sondern weil es weder im Raum noch in der Zeit existiert [...]. Man hat es mit einem paradoxen Vorgang zu tun: Schaut man auf ein physisch existentes Bild, so schaut man doch in eine physikfreie Zone.37 Der Bildgegenstand, das Dargestellte, altert nicht. Nur das Bild als Objekt, das materiell Darstellende, ist Alterungsprozessen ausgesetzt. Das Publikum sieht jedoch beides, sowohl die abgebildete Figur als auch die eventuell stark gedunkelte und mit Rissen durchzogene Farboberfläche. Es sieht das Gezeigte und das Zeigende gleichzeitig. Dieses doppelte Zeigen des Bildes, indem sich «die Faktizität des Materiellen in den Prozess aktueller Wirkungen, in Sinn»38 verwandelt, diese Transformation ist das Wesentliche des Bildes. Deshalb wird hier die Bestimmung des Bildbegriffs durch einen weiteren Aspekt ergänzt: Der Begriff ‘Bild’ bezeichnet ein Kunstwerk, das dadurch konstituiert wird, dass es sich selbst und den Bildgegenstand zeigt und in diesem doppelten Zeigen nicht nur das ‘Was’ des Zeigens sondern immer auch dessen ‘Wie’ enthält. Mit dieser Formulierung sind Sprachbilder allerdings noch nicht in die Bestimmung integriert. Diese sind jedoch hier von Bedeutung, da sie die Bildabhängigkeit der Sprache, auch der philosophischen Sprache, zum Ausdruck bringen. Unter der Voraussetzung nun, dass ‘darstellen’ nicht nur in bildlicher, sondern auch in sprachlicher Form vollzogen wird, können die immateriellen Bilder durch eine dritte Ergänzung in die Bestimmung aufgenommen werden. Wenn diese besagt, «dass alles Bild ist, was sich als Bild darstellt (als Bild hin-, auf- oder ausgestellt wird)»,39 dann ist die Definition des Begriffs ‘Bild’ weit genug, um auch Sprachbilder zu enthalten, jedoch eng genug, um nicht alles Sichtbare als Bild, jedes Sehen als Bildersehen mit einzuschließen. Der Begriff ‘Sprache’ ist ähnlich schwierig zu fassen, wie der Begriff ‘Bild’. Unterstellt man ihn einem weiten Bedeutungsumfang, so umfasst er eine universelle Sprachlichkeit, die allen Erscheinungen, insofern sie etwas bedeuten oder eine Wirkung ausüben eine 34 35 36 37 38 39 Vgl. Ch. Asmuth, der angesichts der Vielfalt von Bildbegriffen die Frage nach der Funktion des Bildes als fruchtbarer erachtet als die Frage nach «dem ‘Was’ des Bildes», in: ders.: Die Als-Struktur des Bildes, 64–65. Die sprachliche Inkonsequenz, die in dieser Bestimmung enthalten ist, wird dadurch aufgehoben, dass das gemalte Objekt, das keine Figuration enthält, in einer kunsthistorischen Entwicklungslinie steht mit figurativer Kunst. L. Wiesing: Phänomene, 10. Ebd. G. Boehm: Wie Bilder Sinn erzeugen, 211. So der Vorschlag von C. Pias. Vgl. ders.: Die Sprache über Bilder. 23 Sprachfähigkeit zugesteht, was dann nicht nur zur ‘Sprache der Blumen’ oder dergleichen, sondern auch zur ‘Sprache der Bilder’ führt. Diese ‘Sprachen’ sind ausschließlich metaphorisch zu verstehen, gehört doch zur Sprache ein aktives Sprechen. Das Lexikon der Sprachwissenschaft fasst die Bedeutung von ‘Sprache’ enger und beschreibt sie in unterschiedlicher Hinsicht.40 So ist sie im Sinne der Semiotik ein zu Kommunikationszwecken verwendetes Zeichensystem, das aus frei geschaffenen, jedoch überlieferten Zeichen und Kombinationsregeln besteht. Im Sinne der Neurophysiologie hingegen ist sie genetisch vorgegeben und beruht auf neurophysiologischen Prozessen, die den Menschen befähigen, kognitive und kommunikative Prozesse zu steuern und im Sinne eines konkreten Sprechvorganges ist sie individuelle Tätigkeit, die das Sprachsystem aktualisiert. In diesem von den jeweiligen Wissenschaftsdisziplinen abhängigen Bedeutungsumfang umfasst der Begriff verschiedene Ausprägungen, die zwar auf den kommunikativen Aspekt der Sprache hinweisen, jedoch in ihrer technologischen Terminologie nichts über das Dialogische, das zur Sprache und zum Sprechen gehört, aussagen. Und auch nicht drauf verweisen, dass sie Grundlage der Begriffsbildung und damit des Denkens ist. Wenn Gadamer konstatiert, «dass Sprache sich im Miteinander bildet, durch die man zu Übereinkünften kommen kann»,41 und betont, dass sie als ein Unterwegs zu einem Miteinander und nicht bloß als ‘eine Mitteilung von Tatsachen und Sachverhalten’ gedacht wird,42 so qualifiziert er Sprache als Gespräch mit einem äußerlich gegebenen Vis-à-vis, was als Variante zu Platon verstanden werden kann, bei dem es heißt: «Also Denken und Rede sind dasselbe, nur dass das innere Gespräch der Seele mit sich selbst, was ohne Stimme vor sich geht, Denken genannt worden ist.»43 Somit ist Denken wie Reden immer dialogisch und Denken direkt als an Sprache gekoppelt zu verstehen. Die sich daraus ergebende sprachphilosophische Frage, wie weit die Ordnungsstrukturen der Sprache das Denken bestimmen – sie wird von Gadamer in einem Artikel explizit so gestellt und grundiert Heideggers Text Aus einem Gespräch von der Sprache. Zwischen einem Japaner und einem Fragenden44 – wird durch die experimentelle Forschung der Psychologie beantwortet. Sie besagt, dass Sprache und Denken insofern zweierlei sind, als zwischen der inneren Repräsentationen und ihrer Versprachlichung eine Trennung bestehe, dass jedoch die dem Denken zugrunde liegende Repräsentation selbst auch eine ‘Sprache’ genannt werden könne, so dass Denken gewissermaßen aus zwei Sprachen bestehe: Der jeweiligen Muttersprache und der ‘Sprache’ des Mentalen.45 Damit bestätigt die Psychologie, was in der philosophischen Tradition die Bedeutung der Vorstellung als Zwischenglied zwischen sinnlicher Anschauung und Denken leistet. Insbesondere von Hegel werden diese drei Erscheinungsformen des Geistes in ihrer kulturbildenden Tragweite als gleichzeitig wirksam und als historisch erkennbar dargelegt.46 Für die Ausführungen hier ist dieser Befund insofern relevant, als Sprache, obwohl sie auch in ihrer verschriftlichten Form bildhafte und anschauliche Elemente enthält, als Verständigungsmittel über Bilder eingesetzt wird, eingesetzt werden muss. Damit wird die Umwandlung des Sinnlichen als Bestimmtes und Einzelnes, die sich über die Vorstellung 40 41 42 43 44 45 46 Vgl. H. Bußmann: Lexikon Sprachwissenschaft, 616–617. H.-G. Gadamer: Grenzen der Sprache, 354. Ebd., 344. Platon: Sophistes 263e. H.-G. Gadamer: Wie weit schreibt Sprache das Denken vor?, in WM II, 199–207 und M. Heidegger: Aus einem Gespräch von der Sprache, 85–155. Vgl. J. Funke: Sprache und Denken, 15. Vgl. G.W.F. Hegel: Enzyklopädie I, 42–45 und 72–75. 24 (die innere Repräsentation) in den Begriff, das Allgemeine,47 vollzieht, in der Gegenüberstellung von Bild und Sprache parallelisiert. Die mit Begriffen operierende Sprache kann deshalb nicht nur aus Gründen genereller Probleme des Übersetzens von einem Medium in ein anderes das Bild nicht wiedergeben, sondern sie ist grundsätzlich dazu nicht in der Lage, weil das Besondere im Allgemeinen untergeht bzw. in ihm aufgehoben ist.48 Somit können sowohl die Gemeinsamkeiten als auch die Konkurrenz zwischen Bild und Sprache, zwischen Zeigen und Sagen, als in deren strukturellem Verhältnis angelegt betrachtet werden. 2. Zeigen und Sagen? «Triftige Lehre macht anschaulich. Sie zeigt», sagt Georg Steiner und bemerkt mit Bezug auf die Etymologie, dass lateinisch dicere zuerst ‘zeigen’ und erst später ‘durch Sagen zeigen’ heiße.49 Und Gottfried Boehm weist darauf hin, dass «die Sprache selbst deiktische Ressourcen aufweist», indem im griechischen Begriff für den Satz, der Apόdeixis, der Wortstamm Deixis (zeigen) enthalten, die Sprache somit mit deiktischen Wurzeln ausgestattet ist.50 Bild und Sprache oder Zeigen und Sagen haben nicht nur etymologische Gemeinsamkeiten, sie sind auch keine streng voneinander getrennten Modi des Ausdrucks. Ihre Beziehung ist vielmehr durch die Gleichzeitigkeit von Interdependenz und Distanz gekennzeichnet und damit den Begriffen verwandt, die sich, so Gadamer, durch ein «dialektisches Verhältnis des Sichineinander-Tauschens»51 auszeichnen, das heißt, zwischen ihnen besteht eine Mediamorphose. 52 Diese Auffassung lässt sich bereits in Platons Kratylos nachweisen. Darin dienen die Malerei insgesamt sowie die Elemente eines Bildes nicht nur als Vergleichsmomente für die Entwicklung einer Sprachtheorie, sondern in ihren Strukturen geradezu als deren Vorbild. So sagt Sokrates über die Buchstaben, nachdem er Silben, Silbenmaße und Laute bestimmt hat: Dann müssen wir verstehen, nach Maßgabe der Ähnlichkeit zusammenzubringen und aufeinander zu beziehen, sei nun einzeln eines auf eines zu beziehen oder mehrere zusammenmischend, wie die Maler, wenn sie etwas abbilden wollen, bisweilen Purpur allein auftragen, und ein andermal wieder eine andere Farbe, dann aber auch wieder viele untereinandermengen, wenn sie zum Beispiel Fleischfarbe bereiten oder etwas anderes der Art, je nachdem, meine ich, jedes Bild des jeweiligen Färbestoffs bedarf. So wollen auch wir die Buchstaben den Dingen auftragen, bald einem einen, wenn uns das nötig scheint, bald mehrere zusammen, indem wir bilden, was man Silben nennt, und wiederum Silben zusammensetzend, aus denen Wörter, Haupt- und Zeitwörter zusammengesetzt werden; und aus diesen endlich wollen wir dann etwas Großes, Schönes und Ganzes bilden, wie dort das Gemälde für die Malerei, so hier den Satz oder die Rede für die Sprach- oder Redekunst, oder wie die Kunst heißen mag.53 Lässt sich nicht eben darin eine anthropologische Konstante von Bild und Sprache finden? Denn es gilt ja für beide gleichermaßen, was Belting über den Bildbegriff aussagt: 47 48 49 50 51 52 53 Vgl. G.W.F. Hegel: Phänomenologie, 556. Vgl. G.W.F. Hegel: Enzyklopädie III, 271, § 459. G. Steiner: Der Meister, 12. G Boehm: Hintergründe, 145. H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode I, 86. V. Horák: Mediamorphosen. Platon: Kratylos, 424e–425a. 25 «wenn man ihn an seiner Wurzel packt, rechtfertigt er sich nur als ein anthropologischer Begriff».54 Die Grundlage von Bild und Sprache wäre dann die Unauflösbarkeit der Beziehung von Mensch und Welt, denn beide, Bild und Sprache, sind ja ebenso als innere und äußere Repräsentation von Welterfahrung zu verstehen.55 Im Zeigen, so schreibt Günter Figal, «realisiert sich die erste, allen anderen Verhaltensweisen vorangehende Bezogenheit; es ist Hinwendung zu etwas im Abstand.»56 Das Gleiche gilt für das Sagen, auch es kann nur in Bezug auf etwas, von oder über etwas, geschehen – sowohl Zeigen als auch Sagen sind demnach intentional. Die Bildhaftigkeit der gesprochenen Sprache – in der geschriebenen Sprache erscheint sie zwiefach: inhaltlich und in der Sichtbarkeit der Schriftzeichen – hat ihre Entsprechung in den narrativen oder appellativen Wirkungen des Bildes. Diese fundamentale Verknüpfung von Wort und Bild lässt sich in den Texten der Bibel nachweisen. Da wird in den ersten zwei Versen der Genesis in Bildern erzählt, dass Gott im Anfang Himmel und Erde schuf. Im zweiten Vers teilt der Erzähler mit, dass die Erde wüst und wirr war und Finsternis über dem Wasser lag. Erst im dritten Vers spricht Gott: «Es werde Licht».57 Hingegen heißt es am Anfang des Johannesevangeliums «im Anfang war das Wort», als ob die Schöpfung durch das Wort zur Existenz gerufen worden wäre. Dabei hatte das Wort, vertraut man der Genesis, nachgeordneten, doch erhellenden Charakter und konnte erst wirksam werden, nachdem bereits etwas vorhanden war, auf das es sich beziehen konnte. Das Zitat aus dem Johannesevangelium dagegen besagt, dass das gesprochene Wort (Gottes) vor jeder sinnlichen Existenz steht. Der Nachsatz zu Johannes 1.1 verstärkt diese Aussage noch, heißt es doch: «und das Wort war bei Gott und Gott war dieses Wort».58 Diese Präfiguration der Dominanz des Wortes wurde bestimmend für die christlich geprägte Kultur. Die kausale Beziehung von Wort und Welt, wie sie aus dem neutestamentlichen Mythos abgeleitet wurde und das abendländische Denken gerade auch in seinen Verwerfungen prägte – man denke etwa an die wiederkehrenden Bilderstürme – betonte die Abhängigkeit des Bildes vom Wort in einseitiger Weise und ließ die Interdependenz beider Ausdrucksweisen in Vergessenheit geraten. Figura nihil probat, der Satz, den Luther in einer Predigt Augustinus zugeschrieben hatte,59 fasst die Bilderfeindlichkeit zusammen, die sich vom Frühmittelalter (byzantinischer Bilderstreit) bis zur Neuzeit (reformatorischer Bildersturm) wie ein roter Faden durch die abendländische Kultur- und Geistesgeschichte zieht. So hat die Sprache mit ihrem «langen Schatten [...] das Spiel des Zeigens bis heute überdeckt.»60 Dieser Schatten lag jedoch nicht immer über dem Bild. Ott argumentiert medienhistorisch, wenn er sagt: «Am Anfang war das Bild.» Er begründet dies mit der Verankerung von Gedächtnisinhalten im Bild, lange bevor die Schrift diese Aufgabe übernahm. Er erinnert außerdem auch daran, dass die Schrift «die ihr angeblicher Erfinder, der ägyptische Gott Thot, König Thamos anempfahl, weil sie sein Volk 54 55 56 57 58 59 60 H. Belting: Bild-Anthropologie, Klappentext. Vgl. ebd., 20–22. Belting spricht da von Metamorphosen, wo sich die gesehenen in innere Bilder verwandeln. Die Sprache lässt er bei diesem Prozess außer Acht. Eine Analogie von Denken und hörbarem Sprechen zu inneren (mentalen) und äußeren, tatsächlich sichtbaren Bildern liegt jedoch nahe. G. Figal: Zeigen und Sichzeigen, 197. Bibel: Buch Moses 1, 1–3. Bibel: Johannesevangelium 1.1. Martin Luther: Predigt von 1521. Die Zuschreibung konnte noch nicht verifiziert werden. Vgl. Vgl. S. Hiebsch, in: Figura ecclesiae. 78, Anmerkung 157. G. Boehm: Die Hintergründigkeit des Zeigens, 20. 26 weiser und erinnerungsfähiger mache, [...] eine Schrift aus Bildern [war].»61 Und noch während des gesamten europäischen Mittelalters, so Ott, wurden Sprache und Bild als einander gleichberechtigte Medien begriffen und verschränkten sich in handschriftlichen Überlieferungsträgern zuweilen so eng, «dass damit ein gleichsam neues Sprache und Bild nicht nur addierendes [...] Medium generiert wird.»62 Wodurch wurde dann aber der von Boehm erwähnte Schatten bewirkt? Ott betrachtet den Prozess der Verschriftlichung, welcher sich in der Neuzeit vollzog, als ursächlich dafür, dass die Sprache gegenüber dem Bild eine Vormachtstellung einzunehmen begann und damit «dieses bi-, ja multimediale Denk-, Darstellungs- und Wissensvermittlungs-Modell verschüttete». 63 Boehm dagegen konstatiert drei historische Gegebenheiten, die die Macht des Bildes zurückdrängten: Das im Alten Testament (Exodus) gegenüber Moses ausgesprochene Bilderverbot, die Marginalisierung des Bildes in der griechischen Philosophie, sowie die Kirchenväter, die das Ikonische für kirchenpolitische Zwecke instrumentalisierten und die Bildlichkeit Christi nicht vom Wort losgelöst verstanden.64 Die Logik der Sprache verdrängte demzufolge die Logik des Ikonischen. Das Bild, das seinen eigenen Logos generiert – einen logos sui generis65 – folgt eben nicht den Regeln der Sprache. Seine Möglichkeiten gehen über die Darstellung von Gesagten weit hinaus, indem es auch zeigen kann, was sich nicht in Sprache fassen lässt. Denn Bilder «liefern ihre Gegenstände nie wie die Termini einer Logik, die sich in wahren oder falschen, korrekten oder unkorrekten Sätzen ausdrückt.»66 Sie entwickeln damit eine Macht, die in allen Sphäre des Nicht-Propositionalen oft von entscheidender Bedeutung ist. «Wer eingehendere Erfahrungen mit Bildern (auch mit Musik, Mimik, Gebärden oder Tanz) gemacht hat, der weiß es [...], selbst wenn er es nicht zu sagen vermag.»67 Denn das Denken ist keineswegs abstrakt. Die Wörtlichkeit weist auf eine interessante Spur, insofern das Wort ‘Theorie’, so Sigrid Weigel, daran erinnert, dass «Erkenntnis allererst Betrachtung und Anschauung meint, denn theoria bezeichnet ursprünglich denjenigen, der eine Schau sieht.»68 Der Stellenwert der Bilder, die aus der Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Einsichten nicht mehr wegzudenken sind, haben das figura non probat schon längst widerlegt (allerdings durch die Möglichkeit der Bildmanipulationen auch wieder ins Recht gesetzt). Für die Aufhebung der Aporie von Zeigen und Sagen bzw. das Verständnis für die Logik des Bildes werden seit dem iconic turn Verfahren gesucht und entwickelt, die es ermöglichen, die Sinnerzeugung des Bildes und seine nichtprädikative Logik sprachlich zugänglich zu machen.69 Die unterschiedlichen Erscheinungsformen des Bildes werden damit als unvermitteltes Weltverstehen begreifbar und es wird deutlich, dass Zeigen und Sagen Ausdruck existentieller Erfahrung, kontingent und wandelbaren Deutungen unterworfen sind. 61 62 63 64 65 66 67 68 69 N.H. Ott: Bild und Sprache, 8. Ebd., 11. Ebd., 12. Vgl. G. Boehm: Wie Bilder Sinn erzeugen, 40–42. Vgl. G. Boehm: Hintergründigkeit, 20. G. Didi-Huberman: Vor einem Bild, 149. Vgl. G. Boehm: Wie Bilder Sinn erzeugen, 15. S. Weigel: Bilder als Hauptakteure, 199. Beispielhaft dafür sind eikones, das Nationalforschungsprojekt in Basel oder die Studiengänge «Bildforschung», die in den letzten Jahren an verschiedenen Universitäten implementiert worden sind. 27 3. Verschränkung von Zeigen und Sagen 3.1 Verbildlichung der Sprache «Im Anfang war das Wort». Wie sehr dieser Beginn des ersten Satzes des Johannesevangeliums den Umgang mit dem Bild bestimmte, manifestiert sich im religiösen Kontext des mittelalterlichen Christentums. Dabei lassen sich zwei unterschiedliche Akzente im Verhältnis von Zeigen und Sagen bzw. von Bild und Text feststellen. Zum einen findet in der Buchmalerei des Frühmittelalters eine Verbildlichung der Schrift statt, zum anderen entwickelt sich in der Ikonenmalerei des Spätmittelalters eine Versprachlichung des Bildes.70 Bereits im Wort ‘Buchmalerei’ wird deutlich, dass es die Sprache in Form der Schrift ist, die illustrativ ausgeschmückt wird. Der Text – das Wort Gottes als Heilige Schrift, das Buch der Bücher – steht jedoch nicht einfach dem Bild gegenüber, sondern in seiner Sichtbarkeit wird er selbst zum Bild und seiner spirituellen Funktion entsprechend aus kostbaren Materialien gestaltet. «Die Materialien entsprechen dank ihrer besonderen Beschaffenheit, also etwa der Lichtqualität des Goldes, jenen lichten Hallen im Himmel» und verheißen einen spirituellen Aufstieg auf dem Weg über das sinnlich Erfahrbare der Materie zu einer höheren Erkenntnis»,71 schreibt Saurma-Jeltsch zu karolingischer Buchmalerei. Die Vorrangstellung des Wortes in der Schrift äußert sich somit sowohl im Inhalt als auch in der Form des Textes, denn alles Bildhafte entsteht auf der Basis des Wortes, ob nun als Schrift oder in einem Bild, und steht im Dienste der Übermittlung von Gottes Wort. 72 Den Bildern in den Texten erwächst auf diesem Hintergrund eine didaktische Funktion: gentibus pro lectione pictura est lautet verkürzt die Rechtfertigung von Papst Gregor I, der damit dem alttestamentlichen Bildverbot widerspricht.73 Die besondere Zuspitzung der Aussage, dass die des Lesens Unkundigen wenigstens durch den Anblick der Wände lesen, was sie in Büchern nicht zu lesen vermögen, sicherte dem Diktum eine lang andauernde Rezeptionsgeschichte, die sich über tausend Jahre (600–1600) erstreckte und von (Neu-) Interpretationen, Umdeutungen und Missverständnissen geprägt war.74 Als visualisierte Exegese sowie auch als Argumente in Streitfragen eingesetzt, werden nun komplexe Bildprogramme entwickelt, die zwar vielschichtige bildliche Erläuterungen des Textes enthalten, jedoch immer im Rahmen der Verbildlichung von Schrift als Referenz an den Aufstieg vom Sichtbaren zum Unsichtbaren zu verstehen sind. Die Wortbilder machen so in mehrfacher Weise ikonographische Aussagen über die schriftliche Verkündigung, die über die bloße Illustration des textlichen Inhaltes hinausgehen: sie stellen das Wort als Gesprochenes dar, zeigen die Stimme Gottes, machen die Ansprache der Evangelisten 70 71 72 73 74 Vgl. L.E. Saurma-Jeltsch: Das Bild in der Worttheologie, 635–675 und 1069–1079. Ebd., 641–642. Davon zeugt auch die Stellung des Koran im Islam. Das Buch wird seinem Inhalt gleichgestellt und entsprechend ehrerbietig behandelt. Das vollständige Zitat lautet: «Nam quod legentibus scriptura, hoc idiotis praestat pictura cernentibus, quia in ipsa etiam ignorantes vident quid sequi debeant, in ipsa legunt qui litteras nesciunt. Unde et praecipue gentibus pro lectione pictura est». Zitiert nach: Ch. Kruse, Wozu Menschen oder Blumen malen? 129, Anmerkung 53. (Denn was für die Lesenden die Schrift (legentibus scriptura), das stellt die Malerei den betrachtenden Analphabeten (cernentibus idiotis) bereit, weil in ihr auch die Unwissenden sehen, was sie zu befolgen haben. In ihr lesen die, die keine Schrift kennen. Daher dient vor allem den Heiden die Malerei zum Lesen). Zum Bilderverbot vgl. Bibel: Exodus 20, 4–5 und Deuteronomium 5,8. Vgl. A. Messerli: Das Bild als Schrift. 28 anschaulich und können allen Wesen Sprache geben.75 So bilden Schrift und Bild zusammen einen Körper, ja, sie «liefern [...] jenen ‘Buchkörper’, der durch die Fleischwerdung des Wortes den Menschen geschenkt wurde.»76 In den folgenden Abschnitten werden zwei Momente dieser Bildauffassung, die das christlich geprägte Bildverständnis durchziehen und sich an höchst unerwarteten Orten mit unterschiedlichen Akzentuierungen und Konsequenzen wiederfinden, beleuchtet: die Ineinssetzung von Text und Bild in argumentativen Bildprogrammen an romanischen Kirchen und Kathedralen77 sowie der Topos der ‘Fleischwerdung’, der die Grundlage für Didi-Hubermans Auseinandersetzung mit der ikonographischen Gleichung ‘Sichtbarkeit gleich Lesbarkeit’ bildet.78 3.1.1 Aufruf zum Kreuzzug Die übliche Erschließung der Relation von Bild und Text geht vom nachgeordneten Illustrationscharakter des Bildes aus. Das heißt, dass das, was gesehen wird anstelle von Worten steht, so dass Sehen eigentlichem Lesen gleichkommt. Das Was der Darstellung wird durch den Inhalt des Textes definiert. Auf diesem Hintergrund kann auch die Ikonographie obszöner Skulpturenprogramme entziffert werden. Was an steinernen Darstellungen an Kapitellen und Kragsteinen romanischer Kirchen zur Zeit des ersten Kreuzzuges und zu Beginn der Reconquista Spaniens gemeinhin «für Phantastik oder Folklore gehalten wird, sind Variationen alter oder neu hinzugekommener Feindbilder», schreibt Claudio Lange, nachdem er die Darstellungen der Bildwerke ernst genommen und ihre Semantik analysiert hat.79 So stellt ein Schwein in islamischer Proskynese80 ein Schimpfwort besonderer Art (Muslimschwein) dar, ist doch das Schwein dem Muslim unrein. Oder das Motiv eines nackten, beschnittenen, seinen übergroßen Penis präsentierenden ‘Bartreißers’ verweist auf eine Bedeutungsschicht, in der das Bartreißen und die präsentierte Nacktheit des Mannes als Besiegtsein gelesen wird.81 Im Umfeld von schnauzbärtigen Figuren mit Turban oder falschem muslimischen Gruß – richtigerweise wird die recht Hand zum Herzen geführt, in den Skulpturen ist es die Linke, die für den Muslim unreine Hand, die auf der rechten Brustseite liegt – ist unschwer zu verstehen, wer als Besiegter dargestellt ist: Ein Muslim, also: Der Islam. Die (Rück-)Übersetzung der Skulpturen in Sprache macht erschreckend deutlich, dass und wie sich die engen Verschränkungen von Bild und Sprache bzw. das Bild als Sprache im Zusammenhang mit einem ‘Heiligen Krieg’ nicht nur für die Leseunkundigen politisch und polemisch instrumentalisieren lassen. «Nicht irgendeine apotropäische Wirkung erhofften sich die Bildhauer und Architekten von ihren steinernen Werken, [...] sondern die 75 76 77 78 79 80 81 Vgl. L.E. Saurma-Jeltsch: Das Bild in der Worttheologie, 674. Ebd. Vgl. C. Lange: Der nackte Feind. G. Didi-Huberman: Vor einem Bild, 146–234. C. Lange: Der nackte Feind, 17. Bemerkenswerterweise werden zum Beispiel weibliche Figuren, die ihre übermäßig große Vulva präsentieren, zuerst auf der Iberischen Halbinsel und Frankreich nachgewiesen. Unter der Bezeichnung ‘Zanner’ und ‘Blecker’ sind sie als Bildformel in späteren Jahrhunderten auch an Kirchen Mittel- und Nordeuropas anzutreffen, wo sie als «kontrapunktische Nähe zu christlichen Autoritäten» gedeutet werden. Vgl. K. Kröll: Der schalkhaft beredsame Leib, 246 und 260. In allen Deutungen wird die Figur mit Abwehr und heidnischen Fruchtbarkeitskulten in Verbindung gebracht, was Langes Interpretation der Islamabwehr und der Desavouierung der ‘heidnischen’ Muslime stützt. Vgl. C. Lange: Der nackte Feind, 71. Ebd., 9 und 37. 29 Bildpolemik stellt sich hier spezifischerweise in den Dienst der militärischen und politischen Unterwerfung der Welt des Islam.» 82 Die ideologische Verbindung des Kreuzzugs zur Rückeroberung Jerusalems und der spanischen Wiedereroberung führte zu einer antiislamischen, in Stein gehauenen Bildsprache, die als Erbe in späteren Zeiten, je nach Feindprogramm, auch gegen Juden, Ketzer oder Slawen eingesetzt werden konnte.83 Heutzutage reagieren fanatisierte Muslime gegen bildliche Verunglimpfungen alles dessen, was sie als in ihrem religiösen Kontext zugehörig befinden, unangemessen gewaltbereit. Man kann sich des Gedankens nicht erwehren, dass zwischen diesem rigorosen negativen Bildverständnis und der historischen nicht minder gewalttätigen, von christlicher Seite instrumentalisierten Bildsprache, die im Übrigen noch immer zu besichtigen ist, ein Zusammenhang besteht. Hinter beiden steht die Gleichsetzung von Bild und Sprache, von Bild als Sprache. Und auch wenn es sich nicht um die Illustration heiliger Texte sondern um die Darstellung vulgärer Klischees und Verunglimpfungen handelt, so geschieht dies doch auf der Grundlage einer instrumentalisierten Funktion des Bildes als lesbares und zu lesendes Objekt. 3.1.2 Das Wort als Körper – Motiv der Fleischwerdung Als Antithese zu einer Abbildtheorie und einer Ikonologie, welche die traditionellen Bilder des Christentums lediglich als Illustrationen eines Textes verstehen, erinnert DidiHuberman an von ihm als «prototypisch» bezeichnete Bilder, deren Entstehung selbst als ‘Fleischwerdung’ im Sinne einer Verkörperlichung verstanden werden kann. Dabei handelt es sich um Werke, die, so die Überlieferung, als unmittelbares Resultat eines Transformationsprozesses mit einer «allen anderen Bildern unzugänglichen Region in Berührung kamen [...] in der das Bild ‘wunderbarerweise’ sich selbst zu einer virtus und Fleischwerdungskraft machen konnte.» 84 Zu diesem Bildtypus gehört das Turiner Grabtuch (Schweißtuch der Veronika) ebenso wie das Mandylion von Edessa, die beide einen Abdruck vom Gesicht Jesu tragen. Diese Bilder, die als nicht von Menschenhand gemacht, sondern als ‘göttliche Hervorbringungen’ verstanden werden, sind weder Illustrationen eines Textes noch Abbild, sondern Erscheinungen, Vergegenwärtigungen, unmittelbare Körper- und somit Fleischwerdung des göttlichen Wortes. Es sind «nicht die Erinnerungsbilder an den Kirchenwänden, sondern die personalen Bilder der Prozessionen und Wallfahrten, denen man Weihrauch und Kerzen opfert. Sie waren uralt oder himmlischen Ursprungs, wirkten Wunder, orakelten und siegten», so Belting über diese Bilder, denen Kultlegenden Rechtfertigung und Privileg lieferten.85 Deshalb konzediert ihnen Didi-Huberman eine Dimension, welche die Grenze der Repräsentation sprengt und das Bildwerk zu einem Symptom des Sich-Zeigens macht, das jenseits – oder um im psychoanalytischen Duktus zu bleiben, dem auch der Begriff ‘Symptom’ entnommen ist – hinter oder unter der ikonographischen Lesbarkeit des Sichtbaren liegt.86 «Die ‘prototypischen’ Bilder des Christentums wären also,» sagt Didi-Huberman, «durchwegs pure Symptome: ausgestellte Spuren des Göttlichen, und als solche mit dem Ziel der Herstellung eines Geheimnisses, magischer Wirksamkeit, Verehrung ausgestellt.» 87 Diese Bildkonzeption, die am Beginn 82 83 84 85 86 87 A.Sh. Bruckstein: Muselmänner, 6. Vgl. C. Lange: Der nackte Feind, 10–12. G. Didi-Huberman: Vor einem Bild, 193. H. Belting: Bild und Kult, 14. G. Didi-Huberman: Vor einem Bild, 193–196. Ebd., 196. 30 christlicher Bilder steht, sei verantwortlich für die über lange Zeiträume hinweg aktive Wirkungsweise religiöser Darstellungen. Indem sie nämlich nicht nur die Fleischwerdung Gottes in der Gestalt Jesu zeigen, sondern selbst Teil dieser Fleischwerdung sind, entziehen sich diese Werke einer bloß nach dem üblichen ‘Lesbarkeitsmodell’ entwickelten Bedeutung und transzendieren die formalen und stilistischen Kategorien, mit denen die universitäre Kunstgeschichte sie behandelt.88 Didi-Huberman plädiert mit Verve dafür, dass Bilder nicht nur mit einem von kunsthistorischem Wissen und gestalterischen Gesetzmäßigkeiten verstellten Blick betrachtet werden sollen, sondern dass ihnen eine Ereignishaftigkeit zugestanden werde, der ein visuelles Geheimnis anhaftet. Motiv und Terminus ‘Fleischwerdung’ des Wortes Gottes, das sich in der Buchmalerei des Mittelalters manifestiert, werden damit im 20. Jahrhundert aufgegriffen, neu mit Bedeutung aufgeladen und als theoretischer Gegenentwurf zur ikonographischen Lesbarkeit des Sichtbaren vorgeschlagen. 3.2 Versprachlichung des Bildes Eine Versprachlichung des Bildes entwickelt sich in der Annäherung von Bild- und Sprachrhetorik. Durch Gesten und Blicke entwickelten die in Ikonen und anderen religiösen Bildern dargestellten Figuren eigentliche Sprechrollen, was zu einem Wettbewerb der Malerei mit der Hymnendichtung und zu einer Rhetorik der Malerei führte.89 Drei Stufen der Entwicklung lassen sich anhand der Zunahme von Narrationselementen feststellen: 1. Theologische Funktionen finden ihren Ausdruck in Körperhaltungen und Motivkombinationen, 2. Dargestellte Figuren drücken durch Gesten und Gebärden Gefühle und Reden aus und 3. Die zentrale Heiligenfigur wird mit narrativen, Bild und Schrift enthaltenden biografischen Angaben ergänzt, Text wird ins Bild integriert. 3.2.1 Theologische Funktionen des Ausdrucks Gemäß Belting äußerten sich erste ‘sprechende’ Formen der Ikone in der doppelten Funktion ihres Namens, der aufgrund einer theologischen Assoziation entstand. So bezeichnet Gottesmutter oder Gottesgebärerin (Maria Theotόkos) den Status, welcher der Mutter Jesu erst im 5. Jahrhundert offiziell zugestanden wurde und die Rolle, die sie innerhalb der katholisch-theologischen Hierarchie einnimmt, was sich ikonographisch dadurch ausdrückt, dass sie zusammen mit dem Kind Jesus dargestellt ist. Außerdem umfasst die Bezeichnung Gottesmutter verschiedene Rollenfiguren, die sich in spezifischen Darstellungsweisen äußern. So ist das Bild der Maria Sedes Sapientiae eine Ganzkörperdarstellung, Maria sitzt auf einem Thron, der den Thron der Weisheit bedeutet und gleichzeitig wird auf der ikonographischen Ebene vermittelt, dass Maria selbst als Gottesmutter ein Thron der Weisheit sei. Als Maria Hodegetria (Wegführerin) dagegen wird Maria in der Regel nur als Brustbild gezeigt, das Jesuskind auf ihrem (in der Regel) linken Arm tragend, während sie mit der rechten auf das Kind weist. Sie selbst ist nun der Weg, der zum Kind führt, das häufig eine Rolle in der Hand hält und damit als das fleischgewordene Wort Gottes markiert ist. Es sind also Darstellungsweise bzw. dargestellte Körperhaltung und Gestik, welche die sprechenden Bedeutungsträgerinnen sind. 88 89 Ebd., 189. Vgl. H. Belting: Bild und Kult, 43 und 392. 31 3.2.2 Rhetorik von Gesten und Gebärden Abb. 3: Verkündigung an Maria, um 1200, Katharinenkloster, Berg Sinai. Eine weitere Form der Ausprägung von Sprechrollen im Bild findet statt, wenn die dargestellten Figuren durch Gestik, Gebärden und Körpersprache Gefühle und Reden ausdrücken. In der Verkündigungsikone (Abb. 3) verschränken sich Bild und Sprache bzw. Zeigen und Sagen auf mehrfache Weise. So sind die Bewegungen der Figuren sprechend: Die gewundenen Falten des Engelskleides zeigen den himmlischen Boten fast noch im Flug und seine Körperhaltung scheint von Erstaunen oder Ehrfurcht erfasst. Dass Maria auf den Engel hört, drückt sich darin aus, dass sie ihr Ohr frei macht, eine Geste, die gleichzeitig besagt, dass sie den Logos, verstanden als Wort, durch das Ohr empfängt. Darstellungsdetails erzählen von theologischen Positionen: Maria ist hier nicht nur als sedes sapientiae auf einem Thron dargestellt. Die Architektur, die hinter und über ihr sichtbar ist, besagt zudem, dass um sie der Körper einer Kirche bzw. sie selbst diese Kirche ist.90 Insgesamt erzählt die Ikone vom Hören als Empfangen sowie vom Zeigen als Sprechen und veranschaulicht die Bedeutung des (biblischen) Wortes sowie der heilsgeschichtlichen Wirkung der Begegnung zwischen dem Engel und Maria.91 90 91 Vgl. Institutum Marianum: Marienlexikon, 457. Bemerkenswert sind auch die Details der Gebäudedarstellung: Auf dem Dach finden sich emblematische Symbole (ein Omega-Zeichen, ein Dreieck, ein Storchenpaar), in der Frontfassade sind zwei Bogenfenster zusammengefasst, während die Seitenfassade mit einer dual beherrschten Zeichnung, die an einen Paradiesgarten erinnert, geschmückt ist: zwei verschiedene Pflanzentypen stehen sich vis-àvis, zwei Vögel befinden sich auf einem Baum. Auf der Höhe von Marias Ohr findet sich die Faltung eines vom Wind bewegten Vorhanges, die unübersehbar die Form eines Ohres aufweist – auch hier also 32 3.2.3 Integration von Text Ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Ausformung von Sprechrollen im Bild ist die Entwicklung der biographischen Ikone, d.h. einer Ikone, die das stilisierte Porträt einer heiligen Person mit Bildern aus deren Heiligenvita umgibt (Abb. 4). Dadurch wird der Betrachter in eine schauende und eine lesende Haltung gebracht, insofern die Bilderzählung mit ihren stenogrammartigen Szenen eine Gedächtnishilfe für das Vorlesen der Biografie darstellte. «Das narrative Element, das auf Ikonen sonst nichts zu suchen hat, kommentiert das physische Porträt mit dem ‘inneren’ Porträt der Tugenden,» umschreibt Belting diesen Ikonentypus,92 der die deutliche Verschiebung im Verhältnis von Bild und Sprache paradigmatisch exemplifiziert. Abb. 4: Thronende Gottesgebärerin und Heilige, Detail, 11. Jahrhundert, Katharinenkloster, Berg Sinai. Maria, die in der Bildmitte auf dem Thron sitzt, trägt das Kind, das sich an ihr festhält auf dem linken Arm. Um sie herum umschreiben immer zwei Personen gemeinsam die theologische Bedeutung der Gottesmutter. Sie tun dies auf mehrfache Weise. Einmal mit den Schriftrollen, die Texte zum Marienleben enthalten, dann mittels dargestellter biblischer Ereignisse, die sich auf Maria und ihre Rolle als Gottesmutter beziehen und schließlich durch Gesten und Blicke. Diese Ikone wird somit zu einer sprachlich und bildlich dar- 92 ein Verweis auf den Heiligen Geist, der weht und durch das Ohr in die Frau eintritt. Als Verkündigungsszene, die am Ufer eines Flusses stattfindet, kündigt sie die Taufe ebenso an, wie sie durch ihre mit drei Wohntürmen ausgestattete Einfassungsmauer auf das Paradies zurück und das himmlische Jerusalem vorausweist. H. Belting: Bild und Kult, 287. 33 gestellten Marienpredigt, die Kontemplation vor der Ikone gilt dem Text und dem Bild. Sinn und Bedeutung dieses Bildes sind ungetrennt, sie finden sich in der verschlüsselten Verschränkung von Bild und Sprache, im Bild als rhetorischer Figur. Auch in säkularem Kontext, so zum Beispiel in der Überlieferung volkssprachlicher Literatur, gehen Bild und Sprache enge Verbindungen ein. Ott verweist darauf, dass lateinische Bilderhandschriften, «gewissermaßen an der Schnittstelle zur volkssprachlichen Kultur [...] die Verbindungsglieder [waren], die sowohl das Entstehen einer volkssprachlichen Ikonographie als auch den Literarizitäts-Status der Volkssprache befördert, wenn nicht gar initiiert haben.»93 Bild und Erzählung stellen in lediglich medial gegebenen Unterschieden den gleichen Inhalt dar, der sein Publikum dadurch erreichte, dass er gezeigt und mündlich – erzählt oder vorgelesen – vorgetragen wurde, so dass eine eigentlich multimediale Rezeption stattfand. Bemerkenswert ist nun die Verschränkung, die sich in der Gleichwertigkeit von Sprache und Bild vollzog. Während die Schriftspalte einer handschriftlichen Text-Bild-Einheit die Mündlichkeit vermittelte, entsprach die Bildspalte, so Ott, der Schriftlichkeit in neuzeitlichem Sinn. Das heißt, während gewissermaßen hinter der Schrift das Wort gehört wurde, wurde das Bild gelesen, in Worte übersetzt. Der Rezipient «liest» also mit den Augen die Bilder, während er die Texte hört, da sie vorgelesen werden.94 Auf diese Art ganzheitlicher Inanspruchnahme weist auch das eingangs dieses Kapitels angeführte Zitat aus dem 13. Jahrhundert hin, das besagt dass Erkenntnis und Wissen über das Auge und das Ohr ins menschliche Gedächtnis dringen könne.95 Ebenso veranschaulicht eine von einem handschriftlichen Text umgebene, blau gerahmte Illumination (Abb. 5), dass sich im Zeigen und Sagen des mittelalterlichen Bildtextes nicht einfach Symbol- und Kommunikationssysteme, sondern Sehen und Hören als Sinnestätigkeit der menschlichen Natur zum Verständnis eines komplexen Sachverhaltes ergänzen. Auf welche Art und Weise leistet das die Buchmalerei? Das Bild zeigt am Horizont einer Wiese zwei felsige Anhöhen, die sich vor einem roten Hintergrund abheben. Dem einen dieser aufstrebenden Gebirge ist ein Ohr, dem anderen ein Auge eingezeichnet. Zwischen beiden ragt aus dem Vordergrund ein Baum auf, dessen Stamm und dessen Blätter im Gegensatz zu den Felsen ornamentisch dargestellt sind. Es fällt auf, dass dieser Baum allen Bildräumen zugehört. Aus dieser Darstellung lässt sich folgende Deutung ableiten: Die beiden ‘SinnesErhebungen’ veranschaulichen, dass die Fernsinne in die Welt hinauf- bzw. in sie hineinragen. Sie erheben sich jedoch auf dem Boden einer Gemeinsamen, sie verbindenden Natur und sind im wahrsten Sinne zwei Ausprägungen von ihr. Der Baum, der die suggerierten Dimensionen der Höhe – vom Vordergrund aufsteigend überragt er die ‘Sinneserhebungen’ – und die farbperspektivisch gestaltete Bildtiefe mit seiner belaubten Krone überwindet, kann als die beiden Sinne vereinender Lebensbaum verstanden werden und in seinem zweifach gewundenen Stamm klingt zudem der Paradiesbaum als Baum der Erkenntnis an. Ohr und Auge als gleichwertige Teile der sinnenhaften Natur (des Menschen) machen jedoch den Baum und den Bildbetrachter zu ihrem Objekt. Die Sinne sind somit Teil der Natur und gleichzeitig in der Lage, sie zu objektivieren. Die Illumination ist ein Beispiel für die synthetische Leistung einer bildhaften Aussage, die die Ganzheitlichkeit des menschlichen Wesens, seine Naturgegebenheit und die darin 93 94 95 N.H. Ott: Bild und Sprache, 9. Ebd., 11. Vgl. oben, 16–17 bzw. Abb. 2. 34 enthaltene Objektivierungsfähigkeit enthält und ebenso dafür, dass diese Komplexität intuitiv, im wahrsten Sinne des Wortes auf einen Blick, erfasst werden kann. Abb. 5: Auge und Ohr als Türen zum Gedächtnis, Illumination aus den Cyrillusfabeln, Ulrich von Pottenstein, um 1430. Diese Leistung des durch das Sehen ausgelösten Denkens und Verstehens veränderte sich jedoch mit zunehmender Schriftlichkeit. Das Sehen verselbständigte sich zum Lesen, zumal geschriebene Sprache bildhaft wahrgenommen wird – man denke an die Wirkung der Typographie, mit der bis heute jede Textgestaltung die Wirkung der Lektüre beeinflusst – während das Hören den Status als Informations- und Kommunikationsinstanz verlor. Der Bildtext wurde zum Textbild. 4. Die Unverständlichkeit des Bildes Um 1500, am Übergang zur Hochrenaissance beziehungsweise dem Beginn der Neuzeit, wird, so Belting «die Kunst entweder zur Religion zugelassen oder von ihr ausgeschlossen, aber sie ist kein eigentlich religiöses Phänomen mehr.»96 Damit mutierte das Kultbild, das bisher Ort der Anwesenheit des Heiligen war, zum Kunst-Bild, es verlor seinen privilegierten Status und wurde zum Ort der Darstellung einer Idee, einer Fiktion und eines Konzepts. Das Bild wurde zum ästhetischen Objekt, dessen Interpretation verhandelbar wurde. Mit der Säkularisierung der Kunst ging auch eine Statusveränderung des Künstlers einher, der nun zum von Auftraggebern abhängigen Erfinder und Gestalter von Bilderzählungen und Bildprogrammen wurde, was ihm zwar gestalterische Freiheiten ermöglichte, jedoch von ihm auch neue ästhetische und kunsttheoretische Begründungszusammenhänge für seine Schöpfungen verlangte.97 Bilder konnten damit zu gemalten Traktaten über Theorie und Praxis der Malerei und in ästhetischen Richtungskämpfen als Argumente eingesetzt werden.98 Außerdem wurden sie zu Fenstern in eine künstliche Welt 96 97 98 H. Belting: Bild und Kult, 511. Vgl. ebd., 523–533. Vgl. ‘Disegno oder Colore’, unten, 98–103. 35 und es entstanden Werke mit fiktiver Thematik und ebensolchen Figuren, ohne Realität, aber in realistischer Manier. Die neuen Bilderfindungen mit Allegorien und Illustrationen zu antiken Mythologien oder Dichtungen wurden in den Dienst weltlicher Mächte oder doch weltlicher Ziele gestellt. Raffaels Schule von Athen (Abb. 6) ist dafür ein Beispiel. Abb. 6: Raffael (Raffaello Santi), Schule von Athen, 1509, Fresko, Vatikan, Stanza della Segnatura. In diesem Fresko, das im Auftrag von Papst Julius II in der Zeit von 1509–1511 entstand, wurden die wichtigsten Personen der griechischen Philosophiegeschichte über Raum und Zeit hinweg in zwanglosen Unterhaltungen dargestellt, ikonographisch jedoch so gestaltet, dass christliche Inhalte sowie eine kirchenpolitische Deutungshoheit über die Vergangenheit sowohl in der Figurenführung als auch in der Architektur vermittelt werden.99 So evozieren Platon und Aristoteles als Zentralfiguren Gottvater und Sohn und bilden in diesem ikonographischen Kontext mit den sie umgebenden Personengruppen den Bildtypus einer (erweiterten) sacra conversazione. Zudem klingt in der mehrfachen räumlichen Dreigliederung die Trinität an und der Blick in die Vierung, der Kreuzung von Längsund Seitenschiff, vermittelt die Kreuzesform. Dieses Fresko, das am Beginn einer Kunst steht, die sich außerhalb des Kirchenraums und des Kults manifestiert, übernimmt in beispielhafter Weise die Verbreitung religiös-politischer oder ideologischer Inhalte. Diese ‘neuen’ Bilder brauchen jedoch, da sie nicht mehr im allgemein verbindlichen religiösen Zusammenhang stehen, zu ihrem vollen Verständnis eine Entschlüsselung, die umso wichtiger wird, je größer die zeitliche Entfernung zum dargestellten Ereignis oder zur Entstehung des Werkes ist. Schließlich kann die Bedeutung des Dargestellten sowohl in seinen Einzelheiten als auch in seinem Ganzen sogar verloren gehen, so dass sein Sinn nur noch in der Oberfläche des Gezeigten liegt. Dem Bild muss dann die Bedeutung – seine ‘Sprache’ – wiedergegeben, eine ihm zugrunde liegende Erzählung gesucht werden. 99 Auch der Bildtitel ist dieser Deutungsüberlagerung geschuldet. Vgl. H. Pfeiffer: Raffael und die Theologie, 47 sowie S. Brandt: Philosophie in Bildern, 46. bzw. 75, wo die Genese des Bildtitels erläutert wird. 36 Paradigmatisch für diesen Prozess steht Die Gregorsmesse (Abb. 7). Das Bild zeigt die Darstellung eines Bildthemas, das seit über 500 Jahren seinen Nutzungszusammenhang verloren hat, nachdem es während 75 Jahren (von 1375–1450) weit verbreitet war, dann aber so gänzlich verschwand, dass es sich nicht mehr von selbst verstand und sowohl seine Funktion als seine Inhalte nur noch kunsthistorisch zugänglich sind. Walter Benjamins Satz, dass eine Geschichte immer in Bilder zerfalle100 erfährt hier seine Umkehrung, denn dieses Bild zerfällt in Geschichten. Abb. 7: Unbekannter Künstler, Gregorsmesse, um 1500 bis 1510, Malerei auf Holz, 85,6 x 72,9 cm, Brüssel, Musées Royaux des Beaux-Arts. Anhand dieses Bildformulars lässt sich zeigen, wie das Bild, das aus Anlass einer Vision (oder der Fiktion einer Vision) Papst Gregors entstand, sich durch die wechselseitigen Einwirkungen von Bild und Sprache (in Form von Erzählung) so sehr veränderte, dass es aus seinem Verständniszusammenhang fiel. In verkürzter Form lässt sich dieses WortBild-Verhältnis wie folgt darstellen: Eine sakrale Vision des Papstes Gregor wird zu einer Erzählung, die als Text tradiert wird. Er besagt, Christus sei mit blutenden Wundmalen vor dem Papst erschienen, während dieser die Messe las. Der Inhalt der Erzählung wird malerisch dargestellt und sowohl das Ereignis als auch seine Bedeutung werden im Bild fixiert (Textbild). Dieses so entstandene Bild wird mit Bildern von Ereignissen aus dem Leben Jesu – die Marterwerkzeuge, das Schweißtuch, – angereichert und es entsteht ein neuer komplexerer Bildtypus, ein eigentlicher Bildtext. Das Bildformular des neuen Typus verbreitet sich, doch die Beschreibung des Bildes, sowohl der Bedeutung des Ganzen als auch einzelner Bildmotive, verkompliziert sich, da zu viele Geschichten ineinander verwoben und die ins Bild aufgenommen Figuren zusehends säkularer werden. 100 W. Benjamin: Passagenwerk, 596. 37 Die Simultaneität des Bildes, das zeitlich und räumlich unzusammenhängende, nur durch die Heilsgeschichte verbundene Episoden aus der Sicht unterschiedlicher Personen und Erzählweisen zeigt, kann nicht mehr in Sprache zurückübersetzt werden, ohne seinen Gesamtzusammenhang zu verlieren. Nun wird der Bildtypus nicht mehr erneuert und die Bedeutung des Bildganzen geht verloren, zumal auch dessen kirchenpolitische Funktion als gegenreformatorische ‘Propaganda’ im 15. Jahrhundert obsolet wurde.101 Das Bild und seine Bedeutungsschichten sind nur noch über ikonographische und historische Motivforschung entschlüsselbar, denn einzig der kompositorische Aufbau – die durch die Knienden gebildete Dreiecksstruktur mit der Basis im Bildvordergrund kulminiert zu Füssen von Christus – vermittelt einen intuitiv erfassbaren Inhalt. Da das Bild auf die Sprache als Deutungsmedium angewiesen ist, wird das frühere Textbild zum Bild als Text, den es nun sukzessive zu ‘lesen’ gilt. Was sich hier am einzelnen Beispiel der Gregorsmesse veranschaulichen lässt, spielte sich insgesamt in der Bilderwelt der frühen Neuzeit ab. Bildertheologie wird abgelöst durch Bildphilosophie, der unmittelbare religiöse Zugang macht einer reflektierten ästhetischen Erfahrung Platz, das Bild wird Gegenstand von Reflexion und säkularer Interpretation. 5. Das ‘Lesen’ von Bildern In den 1930er Jahren entwickelte Erwin Panofsky eine Methode, Bilder zu ‘lesen’, welche als erfolgreiches Interpretationsmodell noch immer zu den wichtigsten Instrumenten traditioneller kunsthistorischer Interpretationsverfahren gehört.102 Die Methode besteht aus einem dreistufigen Interpretationsvorgang, den Panofsky in Form einer synoptischen Tabelle zusammenfasste. Darin werden einerseits drei ‘Gegenstände der Interpretation’ hierarchisch gegliedert und andererseits der Akt der Interpretation von seinen Voraussetzungen und von Korrektivprinzipien unterschieden.103 Die Darstellung besticht dadurch, dass eine einfach zu erfassende hierarchische Gliederung als Liste erscheint, die mit der Bezeichnung von Bildgegenständen – der vorikonographischen Beschreibung – beginnt und in der Beschreibung der eigentlichen Bedeutung – der ikonologischen Interpretation – endet. Zwischen dieser Anfangs- und Endstufe der Methode liegt die ikonographische Analyse, die sich auf Bilder, Anekdoten und Allegorien bezieht, die Panofsky als sekundäre oder konventionale Sujets bezeichnet und deren Deutung Kenntnisse literarischer Quellen, eine «Vertrautheit mit bestimmten Themen und Vorstellungen» 104 voraussetzt. Damit ist die Schwäche bzw. Grenze der Methode als deren zentraler Bestandteil markiert, stehen doch literarisches Wissen und historische Quellenkenntnisse an der Schnittstelle von Sehen und Deuten. Das Verständnis von Sehen als Bild-Lesen und Interpretieren als Synthese von Bild- und Text-Lektüre führt zu einer an außerbildlichen Gegebenheiten orientierten Logik, das Bild wird zur Illustration mehr oder weniger entlegener Texte. Indem der Kunsthistoriker so die Dimensionen eines Bildes und seine gestalterischen Parameter im Hinblick auf den literarisch zugänglichen historischen Kontext und mit dem Ziel eines erweiterten Werkverständnisses analysiert, trifft er sich mit dem Historiker, der die gleichen Aspekt des 101 102 103 104 Vgl. E. Meier: Die Gregorsmesse. Vgl. E. Panofsky: Ikonographie und Ikonologie, 207–225. Auf stellenweise veränderte Fassungen des gleichnamigen Aufsatzes bzw. seines englischen Originals wird hingewiesen in: ebd., 207. Ebd., 223. Ebd. 38 Bildes untersucht, allerdings mit dem Ziel, Erkenntnisse in Bezug auf bestimmte Ereignisse zu gewinnen.105 So leistet die Ikonologie für die Arbeit mit gegenständlicher Kunst und deren Motivtradierung wichtige auch interdisziplinär anerkannte Dienste, lässt jedoch innerbildliche Relationen, das eigentlich Wirkmächtige des Bildes, weitgehend außer Acht und reduziert den Ausdruck von Bildwerten auf zufällige Gestaltungseigenschaften, die, so Panofsky, der Künstler «wohl unbeabsichtigt» eingearbeitet hat. 106 Auf diesem Hintergrund treten die Grenzen der Methode hervor, die Panofsky selbst wie folgt formuliert: Ikonologie ist mithin eine Interpretationsmethode, die aus der Synthese, nicht aus der Analyse hervorgeht. Und wie die korrekte Feststellung von Motiven die Voraussetzung ihrer korrekten ikonographischen Analyse ist, so ist die korrekte Analyse von Bildern, Anekdoten und Allegorien die Voraussetzung für ihre korrekte ikonologische Interpretation – es sei denn, wir haben es mit Kunstwerken zu tun, in denen der ganze Bereich des sekundären oder konventionalen Sujets ausgeschaltet und ein unmittelbarer Übergang von Motiven zum Gehalt bewirkt ist, wie es bei der europäischen Landschaftsmalerei, bei Stillleben und Genremalerei der Fall ist, gar nicht zu reden von «nichtgegenständlicher» Kunst.107 Das heißt, Themen und Bildgegenstände, die nicht auf außerbildlich-literarische Dokumente oder Quellen referieren und auch mit dem Bildtitel keine entsprechenden Hinweise liefern sondern ausschließlich im Erfindungsgeist, der Auswahl, der kompositorischen Gestaltung, oder einer speziellen Sichtweise des Künstlers begründet sind, können zwar aufgrund assoziativer Prozesse oder mittels der Ikonik108 interpretiert, jedoch nicht mit der Methode der Ikonologie erschlossen werden. Die Ausgrenzung von Landschaftsmalerei, Stillleben, Genremalerei und nichtgegenständlicher Malerei aus dem Anwendungsbereich der Ikonologie, die Panofsky selbst formulierte, ist noch nicht einmal vollständig. Ihr muss die gesamte Kunst der Moderne seit der Mitte des 19. Jahrhunderts angefügt werden, als sich die Künstler von literarischhistorischen Bildvorlagen abwandten und neue, im Subjektiven und Formal-Ästhetischen verankerte Sujets entwickelten. Die Methode trifft jedoch nicht nur aus diesen Gründen auf ausführliche Kritik. Als Beispiele für Argumente, welche über den generellen Vorwurf der sprachlichen bzw. literarischen Bezogenheit hinausgehen, werden hier drei wichtige Exponenten zeitgenössischer Kunst- und Bildwissenschaft angeführt, die unterschiedliche Einwände formulieren. So moniert Boehm die grundlegende Andersartigkeit von Bild und Sprache, die von Panofsky überhaupt nicht in Betracht gezogen wurde. Ja, die kunstgeschichtliche Methodologie, schreibt Boehm, geht «verallgemeinernd gesprochen, von der Voraussetzung aus, dass sich das Bildliche auch nicht-bildlich sagen lässt, im Grunde deshalb, weil angenommen wird, wir hätten es bei Bildern mit Sprachlichem zu tun, das in den externen Modus bildlichen Scheins versetzt wäre, aus dem es der Interpret befreit.»109 Diese Grundhaltung führt dazu, dass jeder der von Panofsky definierten Erscheinungsschichten des Bildes (entsprechend den Stufen des Interpretationsmodells) ein Sachverhalt des Realen zugewiesen wird, was den «Selbstbezug des Bildes zu einem Sachverhalt [...] nach dem Modell der 105 106 107 108 109 Vgl. B. Roeck: Das historische Auge. E. Panofsky: Ikonographie und Ikonologie. Eine Einführung, 43. Panofskys Einschätzung der Künstler wäre eine eigene kleine Studie wert, suggeriert er doch in den Erläuterungen zur Methode, dass «die in einem Kunstwerk abgebildeten Objekte, Ereignisse und Ausdrucksweisen wegen des Unvermögens oder eines boshaften Vorbedachts des Künstlers unerkennbar» sein könnten, ebd. Ebd., 214. Anführungszeichen von Panofsky. Siehe ‘Ikonik’, unten, 85–87. G. Boehm: Hermeneutik, 452. 39 verbalen Sprache» umstilisiert.110 Damit, so folgert Boehm, wird «die Äußerlichkeit bildlicher Phänomene [...] in eine Immanenz sprachlicher Bedeutung zurückgeholt, aus der sie der Maler vorher anscheinend entnommen hatte.»111 Das bedeutet, dass der Bildgegenstand das Besondere seiner durch Farben und Formen begründeten oszillierenden Mehrdimensionalität verliert und zu einem Allgemeinen, einem Begriff im Dienste einer Informationsvermittlung, wird. Oskar Bätschmann, der ebenfalls explizit darauf hinweist, dass die Ikonographie nur den literarischen Inhalt in Betracht ziehe, von allen anderen Momenten im Kunstwerk absehe und über diesem Inhalt die Form vergesse,112 hebt außerdem hervor, dass weder die Ikonographie (die sogenannte zweite Stufe von Panofkys Schema) noch die Ikonologie als dritte Stufe wirklich Interpretation genannt werden können.113 Seine Gründe weisen im Fall der Ikonographie auf deren Interpretationsgegenstände, die auf die Darstellung von Gestalten und Dingen in Texten bezogen sind, die Textreferenz des Bildes also intendiert ist und außerdem die Ikonographie selbst den intendierten Sinn bestimmt – somit keine Interpretation ist.114 Das heißt aber nichts anderes, als dass Bätschmann in Panofskys Vorgehen einen circulus vitiosus diagnostiziert, der systemimmanent ist. Im Fall der Ikonologie schreibt Bätschmann: «Ich halte es für wichtig, in der dritten Stufe von Panofkys Interpretationsschema die wissenschaftliche Erklärung zu erkennen. Ich übersehe dabei nicht, dass in der Kunstgeschichte – auch bei Panofsky – normalerweise beide Begriffe (gemeint sind ‘Interpretation’ und ‘Erklärung’, AT) miteinander vermengt werden.»115 Bätschmann begründet seinen Schluss, dass Panofkys Schema als Modell von Verstehen und Erklären, nicht aber von Interpretation zu begreifen sei, indem er deutlich macht, dass Panofsky «nicht auf die Frage [antwortet]: was bringt ein Kunstwerk durch sich und als es selbst hervor?, wie es die Auslegung tun müsste, sondern er antwortet mit seinem Frageschema auf das Problem: was ist das, was sich mit den geschichtlichen Regeln und den individuellen Motiven im Kunstwerk äußert?“116 Auch Didi-Huberman untersucht das gedankliche Fundament von Panofskys Schema.117 Zwei Momente, die das Modell von Anfang begrenzten, werden dabei hervorgehoben. Zum einen sind es Bilder einer historischen Periode – der Renaissance – von der aus Panofsky sein interpretatorisches Vorgehen entwickelt. Dieses Argument trifft sich mit demjenigen Bätschmanns, lagen doch der Kunst der Renaissance ausschließlich Bildgegenstände zugrunde, die sich auf eine schriftliche oder mündliche Narration stützten und folglich dahin zurückverfolgt werden konnten. Doch Didi-Huberman bezieht zudem die Renaissance als Periode mit ein, in der «der Humanismus versucht hatte, jenseits des Mittelalters den Begriff ‘Humanität’ neu zu formulieren»,118 was sich in der Neubestimmung des Verhältnisses von Natur und Kultur bzw. von Kunst und Wissenschaft widerspiegelt. Von Panofsky wurde nun, so immer noch Didi-Huberman, dieses historische Element und die Dialektik von Humanitas und Naturwissenschaften zum Zentrum eines Diskurses, dem er 110 111 112 113 114 115 116 117 118 Ebd. Ebd. Vgl. O. Bätschmann: Kunstgeschichtliche Hermeneutik, 10–11. Ebd., 66 und 68–70. Ebd., 66. Ebd., 70. Ebd., 72. Vgl. G. Didi-Huberman: Vor einem Bild. Das ganze Buch kann als Kritik zu Panofskys philosophischen Grundlagen und seiner Interpretationsmethode gelesen werden, insbes. jedoch 93–145. Ebd., 119. 40 sich mit seinen kunstgeschichtlichen Betrachtungen einschrieb. 119 Wie weiter unten 120 gezeigt wird, findet sich die Gegenüberstellung von natur- und geisteswissenschaftlicher Annäherung an einen Sachverhalt im Drei-Stufen-Modell wieder, das mit der Beschreibung der Phänomene einsetzt und zur Erklärung der Bedeutung führt. Das zweite, das Interpretationsschema begrenzende Moment, auf das Didi-Huberman hinweist, bezieht sich auf den Stellenwert, den Panofsky dem Bewusstsein und dem Wissen gegenüber der Kunst einräumt. Schon Heinrich Wölfflin sah das Ziel des kunsthistorischen Erschließens in der Herstellung von Wissen, um das Beunruhigende eines einzelnen Kunstwerks aufheben und die Phänomene der Kunst verstehen und damit erklären zu können.121 Doch Panofsky geht darin noch einen Schritt weiter, indem er Kunstwerke als «Bewußtseinsgegenstände – Gegenstände aus dem Bewußtsein und Gegenstände des Bewußtseins»122 betrachtet, denn damit schließt er nichtrationale, surreale und traumhafte Aspekte aus, die sehr wohl auch in Bildern traditioneller Epochen vorhanden sein können. «Das Unbewusste existiert für ihn nicht» schreibt Didi-Huberman.123 Wenn hier im Folgenden nun trotz all dieser Kritikpunkte doch von Panofskys Methode die Rede ist, dann deshalb, weil aufgezeigt werden kann, wie gerade durch ihren Erfolg die Übertragung von Sprachstrukturen auf Bildstrukturen Schule machte und mit ihrer bequem scheinenden hierarchischen Stufenlogik andere Sichtweisen eindämmte. Ein eklatantes Beispiel dafür, wie die Reduktion eines Bildes auf die Lesbarkeit seiner einzelnen Motive ein Werk an sich verfehlt, bietet Alberto Manguels Bilder lesen.124 In dieser Publikation wird ein Gemälde nie als selbständige Entität im eigenen Recht behandelt, sondern tritt nur ‘als Geschichte’, ‘als Rätsel’, ‘als Alptraum’, ‘als Übereinkunft’, ‘als Gewalttat’ oder gar ‘als Philosophie’ (so eine Auswahl an Kapitelüberschriften) auf. Manguels Ausführungen zu einem Bild berichten in erster Linie von Außerbildlichem, wozu vom Biographischen des Künstlers über ikonographische Traditionslinien einzelner Motive bis zu freien Assoziationssprüngen durch verschiedene Kulturen und Epochen alles gehört, was dem Autor so einfällt. Die Quantität und die Qualität dieser Einfälle, die nichts über das Bildhafte des Bildes aussagen, bleiben an den Phänomenen haften und können zu keiner Deutung führen. Insofern beweist diese ‘Methode’ – von der der Autor selbst schreibt, dass sie «durchaus mit dem Lesen im Kaffeesatz zu vergleichen ist», ihm aber doch als «die einzige, die uns einen Zugang zu dem Bildwerk bieten kann»125 erscheint – dass das ’Lesen’ von Bildern weder dem Bild noch dem Lesen gerecht wird. Lesen bedeutet ja nicht bloß das Erfassen einzelner Buchstaben und einzelner Wörter. Die bisher aufgeführten Kritikpunkte machen deutlich, dass die Sprachorientierung oder Sprachzentriertheit der Ikonologie auf verschiedene Art und Weise in Erscheinung tritt. Im Folgenden werden zwei weitere Aspekte herausgegriffen und näher untersucht: Zum einen die Wahl des Namens Ikonologie und zum anderen die Geste des Hutziehens, an der Panofsky seine Methode exemplifiziert. Beide Themen zeigen, wie die Gleichsetzung von Sprach- und Bildstruktur die Methode von Anfang an prägte, so dass das Bild gar nicht anders denn als Text behandelt, d.h. gelesen werden konnte. 119 120 121 122 123 124 125 Ebd., 120–121. Siehe ‘Das Beispiel vom Bekannten, der den Hut zieht und grüßt’, unten, 46–50. H. Wölfflin: Das Erklären, 11–13. G. Didi-Huberman: Vor einem Bild, 122. Ebd. Vgl. A. Manguel: Bilder lesen Ebd., 45. 41 5.1 Ikonographie oder Ikonologie? Panofsky unterstreicht mit der Bezeichnung Ikonologie explizit den Unterschied zur Ikonographie, die er beschreibt als eine «begrenzte und gewissermaßen dienende Disziplin, die uns darüber informiert, wann und wo bestimmte Themen durch bestimmte Motive sichtbar gemacht wurden».126 Er stellt weiter fest, dass sie [die Ikonographie, AT] die notwendige Grundlage für jede weitere Interpretation [liefert], [...] jedoch nicht [versucht], diese Interpretation von sich aus zu erarbeiten. Sie sammelt und klassifiziert das Material, hält sich aber nicht für verpflichtet oder berechtigt, die Entstehung und die Bedeutung dieses Materials zu erforschen.127 Zweierlei fällt an diesen Sätzen auf. Einerseits grenzt Panofsky in fast schon beschwörender Art und Weise die Bereiche Ikonographie und Ikonologie voneinander ab und andererseits klingt in ihnen ein Echo von Hegels Unterscheidung zwischen der Kunstgelehrsamkeit und der Kunstphilosophie nach. Hegel hat in seinen Vorlesungen über die Ästhetik der Kunstgelehrsamkeit eine rein empirische, nur auf das Äußerliche des Kunstwerks bezogene Tätigkeit zugewiesen, während der Kunstphilosoph derjenige ist, der über die anschaulichen Belege, die der Kunstgelehrte liefert, nachdenkt und sie in ein größeres Ganzes einordnet, sich jedoch nicht mit historischen Details beschäftigen kann.128 Diese Beschreibung einer deutlich asymmetrischen bzw. hierarchischen Beziehung, geäußert zu einer Zeit, als sich sowohl die Ästhetik als auch die Kunstgeschichte als universitäre Disziplinen zu etablieren begannen, wird auf kunstwissenschaftlicher Seite bis heute nicht rezipiert. Das Ignorieren oder die offene Ablehnung der philosophischen Ästhetik im Allgemeinen und Hegels im Besonderen, wie sie bis heute immer wieder zum Ausdruck gebracht wird, könnte aber durch sie mitverantwortet sein.129 Auf diesem Hintergrund ist die Parallele zu Panofskys Formulierungen doch verblüffend. Während die Ikonographie dient, informiert, sammelt, klassifiziert und sich selbst beschränkt bzw. sich selbst verbietet, über das ihr dank ihres Fleißes vorliegende Material nachzudenken, ist das Erforschen von Bedeutung und Bedeutungszusammenhängen der Ikonographie vorbehalten. Führt man die Ausführungen Hegels und Panofskys zusammen, so finden sich nun Kunstgelehrsamkeit und Ikonographie auf der sammelnden, Kunstphilosophie und Ikonologie auf der deutenden Seite. Diese versteckte Gleichsetzung von Ikonologie mit Philosophie findet ihre Erweiterung in einer ebenso versteckten Parallelisierung der Ikonologie mit einem psychoanalytischen Strukturmodell, die weiter unten ausgeführt wird.130 In beiden Fällen geht es um eine Aneignung von Macht über das deutende Wort. In Bezug auf die Namensgebung seiner Methode schlägt Panofsky nun vor, das gute alte Wort ‘Ikonologie’ überall dort wiederaufleben zu lassen, wo Ikonographie aus ihrer Isolierung geholt und mit anderen Methoden – der historischen, der psychologischen, der kritischen, welcher auch immer – vereinigt wird, Methoden, die wir versuchsweise anwenden, um das Rätsel der Sphinx zu lösen. Denn wie das Suffix ‘graphie’ etwas Deskrip126 127 128 129 130 E. Panofsky: Ikonographie, und Ikonologie. Eine Einführung, 41. Ebd. G.W.F. Hegel: Ästhetik, 63. Siehe dazu ‘Kunst–Kunstkennerschaft–Kunstgelehrsamkeit’, unten, 143– 145. Diese Spekulation wird durch Werke gestützt wie: B. Wyss: Trauer der Vollendung, das sich explizit auf das erwähnte Hegel-Zitat bezieht und sich als «Revision philosophischer Buchführung in Sachen Kunst» versteht (ebd., 13), sowie durch H. Locher: Kunstgeschichte. Dieses Werk ist durchsetzt mit antiästhetischen Reflexen. Siehe unten, 48–50. 42 tives bezeichnet, so benennt das Suffix ‘logie‘ – abgeleitet von logos, das ‘Denken’ oder ‘Vernunft’ bedeutet – etwas Interpretatorisches.131 Die Wahl des Begriffs ‘Ikonologie’ selbst bedeutet eine Rückbesinnung auf Cesare Ripas Iconologia, einem Sammelwerk allegorischer Figuren aus dem ausgehenden 16. bzw. dem beginnenden 17. Jahrhundert, das sowohl überlieferte als auch von Zeitgenossen des Autors erfundene Darstellungen enthält «für Dinge, die man eigentlich nicht sehen, sondern nur wissen kann.»132 Bei diesen ‘Dingen’ handelt es sich um Begriffe sowie um Gewohnheiten und Handlungen, die sich aus den Begriffen ergeben können. «Wichtig ist für Ripa nur, dass es sich um etwas handelt, das sich mit Worten ausdrücken und definieren lässt, es muss essentiell zum Menschen gehören oder ihm doch sehr nahe stehen.»133 Der Weg, den Ripa geht, ist somit der vom Wort zum Bild bzw. vom Begriff zur Personifikation und erfolgt anhand von Regeln, die sich an philosophischen Kategorien orientieren. So sind zur Klärung eines Begriffs, der dargestellt werden soll, vor allem vier Ursachen oder Prinzipien zu berücksichtigen (causa materialis, causa efficiens, causa formalis und causa finalis),134 die ihren Niederschlag in ihnen äquivalenten Attributen findet. Das Personifizieren von Begriffen geschah demzufolge nach methodischen Kriterien und keineswegs zufällig. Für Ripa gehören die Personifikationen denn auch nicht in den Bereich einer an der Antike ausgerichteten Gelehrsamkeit, sondern «er stellt sie auf die Ebene der Philosophie».135 Und das Ziel, das er mit den Allegorien verfolgt, liegt weder darin, dass die dargestellten Begriffe erraten werden müssen, noch, dass sie einer allgemein verständliche Bildsprache entsprechen, sondern, indem er zu den Darstellungen einen Namen setzt, soll die Aufmerksamkeit des Betrachters auf die Art und Weise der Darstellung und damit indirekt auf die Definition des Begriffs gelenkt werden. Das heißt, der Betrachter soll über den Begriff nachdenken, um seine Erkenntnis zu erweitern oder vertiefen. Doch die Voraussetzungen dazu sind komplex, denn nur ein mit literarischem Wissen ausgestatteter Gebildeter kann die Feinheiten der Gesamtkomposition einer Allegorie erfassen. Die folgenden vier Abbildungen (Abb. 8–11) illustrieren, wie die Kupferstecher für Ripas Iconologia ihre Vorgaben136 für die Figur der filosofia adaptierten. Darin ist unter anderem zu lesen, dass die Philosophie außerhalb bewohnter Gebiete darzustellen sei, um zu zeigen, dass sie am Geist teilhabe (participatione del Genio) und doch mütterlich sei (dell'inclinatione materna). Sie fliehe die Mühseligkeiten weltlicher Gespräche und sei schlecht gekleidet, da ein Mensch, der sich außerhalb bewohnter Gebiete befinde, zu körperlichen Ausschmückungen nur wenig Sorge trage (poca cura tiene de gli adornamenti del corpo).137 Anschließend an die Abbildungen werden drei ihrer Merkmale – Boden, Darbringungen und aufsteigender Weg – in Sprache zurückübersetzt um aufzuzeigen, dass Darstellungsvarianten immer auch intuitiv als Deutungsverschiebungen verstanden werden können. 131 132 133 134 135 136 137 E. Panofsky: Ikonographie und Ikonologie. Eine Einführung, 42. Vgl. G. Werner: Ripa’s Iconologia, 11. Cesare Ripas Iconologia erschien erstmals 1593 in Rom. Obwohl sich das Werk an Dichter, Redner und Maler richtet, wird nur in der Ausgabe von 1602 explizit ein Bezug zur bildenden Kunst hergestellt, vgl. ebd., 81. Eine umfassende Übersicht über Ripas Quellen, Edizionen (nachgewiesen bis 1866), die Rezeptionsgeschichte sowie einen Zugang zum allegorischen Vokabular des 16. und 17. Jahrhunderts bietet die Universität Bergamo auf URL: http://dinamico2.unibg.it /ripa-iconologia/index.html [3.5.2011]. G. Werner: Ripa’s Iconologia, 11. Ebd. Ebd., 14. URL: http://www.asim.it/iconologia/ICONOLOGIAview.asp?Id [16.7.2010]. Vgl. ebd. 43 V Abb. 8: Filosofia, aus: Boethius, cod. lat. 15825, fol. I , Bayrische Staatsbibliothek, München. Abb. 9: Filosofia, aus: Cesare Ripa, Iconologia, 1603. 44 Abb. 10: Filosofia, aus: Cesare Ripa, Iconologia, 1613. Abb. 11: Filosofia, aus: Cesare Ripa, Iconologia, 1618. 45 Werden Details dieser vier hier chronologisch geordneten Darstellungen in Sprache (zurück-) übersetzt, ergeben sich in Bezug auf den Ort, an dem die filosofia steht, auf die Bücher, die sie bei sich trägt und auf den Weg, der sie kennzeichnet folgende Unterschiede: In Abb. 8 befindet sich die Figur in einem mit Mauern und Türmen eingegrenzter Bereich am Rande eines bearbeiteten Feldes (oder Meeres), in Abb. 9 auf einem Areal, auf dem Pflanzen wachsen, während in Abb. 10 der Boden – außerhalb einer ummauerten Ansiedlung – zwar bearbeitet und mit Hecken durchzogen, seine Fruchtbarkeit jedoch nicht ersichtlich und in Abb. 11 davon nur noch ein linear schraffierter und gefurchter Grund geblieben ist. Die Bücher wandeln sich von einem einzelnen Exemplar in Abb. 8 zu einem Stapel aus vier und schließlich zu einem solchen aus drei Büchern. Der Weg schließlich führt in Abb. 8 als Leiter vom Rand des Feldes (oder Wassers) direkt zum Kopf der Figur, ist in Abb. 9 als Spirale um die Figur herum und nur bis in deren Körpermitte eingezeichnet, jedoch immer noch deutlich als Weg erkennbar. In Abb. 10 dagegen werden klar umrissene Stufen gezeigt, die sich in Abb. 11 in eine einem Turm ähnliche, architektonisch wirkende Baute verwandelt. Diese Unterschiede lassen folgende Interpretation zu: Aus der einen Gestalt, die von urbanem oder doch zumindest menschengemachtem Umfeld ein- oder ausgegrenzt ein einziges Werk darbietet und deren Füße mit dem Kopf (die Erde mit dem Himmel?) verbunden sind, wurde eine Figur, die zuerst auf einem fruchtbaren Feld, dann in Sichtweite zu menschlichen Behausungen und schließlich an nicht erkennbarem, kaum mit Menschen in Verbindung zu bringenden Ort steht. Das ursprünglich eine Werk, das sie hochhält, differenziert sich zu vieren, dem Quadrivium, also die mathematischen und später zu dreien, dem Trivium, die sprachlichen Fächer der septes artes liberales symbolisierenden Werke und der Weg der Erkenntnis, der durch die filosofia gegeben ist, ist zwar steil, erscheint als Leiter jedoch bewältigbar, wird dann länger, dafür leichter begehbar und verwandelt sich in hohe, festgefügte Stufen, die schwer erklimmbar erscheinen und wie ein Bollwerk zwischen den Betrachtenden und der Figur der filosofia stehen. Auf diese Weise kann sich in den auf den ersten Blick unwesentlich erscheinenden kleinen Veränderungen der bildhaften Darstellung ein konzeptioneller Wandel eines Begriffs spiegeln. Mit dem Lesen, dem In-Sprache-Fassen der Darstellung, schließt sich ein Kreis, der beim Nachdenken über einen Begriff sowie seiner Definition beginnt und über die Umwandlung des Bedeutungsfeldes und seiner Attribute in Bilder und Zeichen wieder zum Nachdenken über die bildhafte Darstellung und zu einer neuen Begriffsdefinition zurückführt. Der Prozess, an dessen Beginn und Ende das (sprachliche) Denken und nicht das Bild steht, ist somit deutlich durch die Charakterisierung von Sehen als Lesen, von Sichtbarkeit als Lesbarkeit gekennzeichnet. Denn die Iconologia ist, so George DidiHuberman, etwas zum Betrachten, da sie aus einer Reihe von Bilderklärungen besteht, aber auch etwas zum Lesen, und sie kann benutzt werden wie ein Wörterbuch mit alphabetischer Anordnung. Darin besteht ihre erste Operation, ihre erste magische Synthese – Bilder zum Lesen zu geben. Zweitens hat die Iconologia gleich im Prolog die Lehre vom gemeinsamen Zug zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren formuliert: denn ihr Gegenstand war kein anderer als «Bilder, die gemacht worden sind, um etwas anderes zu bedeuten als das, was das Auge sieht» – etwas, das ein abstrakter Begriff war. Das gesamte Buch ist ein Katalog davon, angelegt wie ein Museum mit Denkbildern.138 138 G. Didi-Huberman: Vor einem Bild, 126. 46 Panofsky knüpfte demzufolge schon mit der Benennung seiner Methode durch «das gute alte Wort» unausgesprochen an der Ineinssetzung von Sehen mit Lesen an. 5.2 Das Beispiel vom Bekannten, der den Hut zieht und grüßt «Die Ikonographie ist der Zweig der Kunstgeschichte, der sich mit dem Sujet (Bildgegenstand) oder der Bedeutung von Kunstwerken im Gegensatz zu ihrer Form beschäftigt» schreibt Panofsky zum Beginn der Darlegung seiner Methode.139 Den Unterschied zwischen Sujet oder Bedeutung und Form will er mittels des inzwischen berühmten Beispiels vom den Hut ziehenden Bekannten definieren. Da diese Einleitung programmatisch die gesamte ikonographisch-ikonologische Methode enthält, sei sie hier etwas genauer gelesen.140 Grüßt mich ein Bekannter auf der Straße durch Hutziehen, ist das, was ich unter einem formalen Blickwinkel sehe, nichts als die Veränderung gewisser Einzelheiten innerhalb einer Konfiguration, die einen Teil des allgemeinen Farben-, Linien- und Körpermusters ausmacht, aus dem meine visuelle Welt besteht. Wenn ich, wie ich es automatisch tue, diese Konfiguration als ein Objekt (Herr) und die Detailveränderung als ein Ereignis (Hutziehen) identifiziere, habe ich bereits die Grenzen der rein formalen Wahrnehmung überschritten und eine erste Sphäre des Sujethaften oder der Bedeutung betreten. Die dergestalt wahrgenommene Bedeutung ist elementarer und leicht verständlicher Natur, und wir werden sie die Tatsachenbedeutung nennen; ich erfasse sie, indem ich einfach bestimmte sichtbare Formen mit bestimmten Gegenständen identifiziere, die mir aus praktischer Erfahrung bekannt sind, und indem ich die Veränderung in ihren Beziehungen mit bestimmten Handlungen oder Ereignissen identifiziere.141 ‘Tatsachenbedeutung’ meint demzufolge nichts anderes, als ‘wissen’ im Sinne von ‘gelernt haben’. Der Autor weiß, was die Geste bedeutet, weil er im Kontext seiner Sozialisation gelernt hat, dass es symbolische Handlungen gibt, die der nonverbalen Kommunikation dienen und dass eine davon ‘grüßen’ bedeutet; er kann die Geste ‘lesen’. Davon spricht Panofsky allerdings erst im übernächsten Abschnitt, auch dann noch ohne dass er die Bedeutung der Geste eine symbolische nennt, das macht er erst am Schluss seiner Einführung. Zuvor sagt er: Nun werden natürlich die dergestalt identifizierten Gegenstände und Ereignisse eine bestimmte Reaktion in mir hervorrufen. Aus der Art und Weise, wie mein Bekannter seine Handlung vollzieht, kann ich vielleicht erkennen, ob er guter oder schlechter Stimmung ist und ob seine Gefühle mir gegenüber gleichgültig, freundlich oder feindselig sind. Diese psychologischen Nuancen werden die Gebärden meines Bekannten mit einer weiteren Bedeutung füllen, die wir ausdruckshaft nennen werden. Sie unterscheidet sich dadurch von der Tatsachenbedeutung, dass sie nicht durch einfache Identifikation, sondern durch «Einfühlung» bewußt wird. Um sie zu verstehen, benötige ich eine gewisse Sensibilität, doch diese Sensibilität ist noch immer ein Bestandteil meiner praktischen Erfahrung, nämlich meines alltäglichen Vertrautseins mit Gegenständen und Ereignissen. Daher kann man die tatsachenhafte und ausdruckshafte Bedeutung zusammen klassifizieren: Sie bilden die Klasse primärer 139 140 141 E. Panofsky: Ikonographie und Ikonologie. Eine Einführung, 36. Nur wenige Autoren haben in den letzten Jahren dieser Anekdote, die für das Interpretationsmodell Panofskys von grundlegender Bedeutung ist, Beobachtung geschenkt. So G. Didi-Huberman: Vor einem Bild, insbes. 105–115; A.M. Vogt: Panofskys Hut, 193; W.J.T. Mitchell: Pictorial turn, eine Antwort, 293. E. Panofsky: Ikonographie und Ikonologie. Eine Einführung, 36. 47 oder natürlicher Bedeutungen.142 Panofsky nennt die Art und Weise, in der eine Handlung vollzogen wird und im Betrachter Reaktionen auslöst, «ausdruckshaft». Er postuliert, dass diese Ausdruckshaftigkeit durch Einfühlung erfasst, also deren Bedeutung verstanden werden kann, was allerdings eine «gewisse Sensibilität» benötige. Unabhängig von der Frage, ob Sensibilität Teil einer praktischen Erfahrung sein kann und nicht etwa deren Voraussetzung oder Wirkung, befremdet die Selbstverständlichkeit, mit der hier von der «natürlichen Bedeutung» einer Handlung gesprochen wird. Was sind denn die «dergestalt identifizierten Gegenstände und Ereignisse», deren natürliche Bedeutung entschlüsselt werden soll? Sie bestehen aus einer Person, die in Bezug auf eine andere einen Hut zieht, also aus einer codierten sozialen Geste, die sich aus Bewegungs- und Körpersprache zusammensetzt. Das Erfassen eines körpersprachlichen Ausdrucks ist in Wirklichkeit ein zwar Bedingungen unterworfenes, jedoch immer auch subjektives Interpretieren, das sowohl durch die subjektiven Gegebenheiten der Ausführenden als auch der Betrachtenden bestimmt wird. Davon spricht Panofsky an anderem Ort und recht beiläufig.143 Auch der Grund für das plötzliche Auftreten des Begriffs ‘Natürlichkeit’ im Zusammenhang mit der Bedeutung einer Grußgeste wird erst im nächsten Abschnitt deutlich, wenn sie zwar anfänglich relativiert, dann aber als intellektuell vermittelt bezeichnet wird: Meine Erkenntnis jedoch, dass das Hutziehen für ein Grüßen steht, gehört einem völlig anderen Interpretationsbereich an. Diese Form des Grüßens ist der abendländischen Welt eigentümlich und ein Überrest des mittelalterlichen Rittertums: Bewaffnete pflegten die Helme abzunehmen, um ihre friedlichen Absichten und ihr Vertrauen in die friedlichen Absichten anderer kundzutun. Weder von einem australischen Buschmann noch von einem alten Griechen könnte man die Erkenntnis erwarten, dass das Ziehen des Huts nicht nur ein praktisches Ereignis mit gewissen ausdruckshaften Nebenbedeutungen ist, sondern auch ein Zeichen der Höflichkeit. Um das Tun des Herrn in dieser Bedeutung zu verstehen, muss ich nicht nur mit der praktischen Welt von Gegenständen und Ereignissen vertraut sein, sondern auch mit der mehr als bloß praktischen Welt von Bräuchen und kulturellen Traditionen, die einer bestimmten Zivilisation eigentümlich sind. Umgekehrt könnte sich mein Bekannter nicht genötigt fühlen, mich durch Hutziehen zu grüßen, wäre ihm die Bedeutung dieses Aktes nicht bewusst. Was die ausdruckshaften Nebenbedeutungen im Zusammenhang mit seinem Tun anlangt, so mag er sich ihrer bewußt sein oder auch nicht. Wenn ich daher das Hutziehen als ein höfliches Grüßen interpretiere, erkenne ich darin die Bedeutung, die sekundär oder konventional heißen mag; sie unterscheidet sich von der primären oder natürlichen dadurch, dass sie intellektuell statt sinnlich vermittelt wird, und darin, dass sie in die praktische Handlung, durch die sie vermittelt wird, bewußt integriert wurde.144 Der Ausdruckscharakter einer Geste wurde im vorherigen zweiten Abschnitt als deren natürliche Bedeutung bezeichnet. Hier jedoch sollen die ausdruckshaften Nebenbedeutungen, wenn sie denn interpretiert werden, intellektuell vermittelt sein? Richtig ist, dass eine Geste aus Allgemeinem und Besonderem besteht. Der gesellschaftliche Code als das Allgemeine ist immer an das Besondere des individuellen Ausdrucks gebunden. Diese beiden Komponenten lassen sich nie trennen, genau so wie man nicht nicht kommunizieren 142 143 144 Ebd., 36–37. Ebd., 48. Ebd., 37. 48 kann,145 so kann eine Geste auch nicht ohne Ausdruck ausgeführt werden. Selbst eine so standardisierte und formalisierte Geste wie das militärische Grüßen bringt Disziplin und Hierarchie zum Ausdruck. Panofsky ist dies sehr wohl klar, was sich aus einem hier nicht mehr zitierten Abschnitten ergibt, in denen er auf die kontextuelle Bedingtheit einer Handlung hinweist.146 Wird nun eine Handlung im Lichte der Merkmale dieser Bedingtheit wie «Epoche, Nationalität, Klasse, intellektuelle Tradition und so fort»147 interpretiert, enthüllt sich die eigentliche, wesentliche Bedeutung, die übergangslos und ohne Erklärung «Gehalt» genannt und zudem zu einem Prinzip erhoben wird: Die so entdeckte Bedeutung mag die eigentliche Bedeutung oder der Gehalt heißen; sie ist wesentlich, während die beiden anderen Bedeutungsarten, die primäre oder natürliche und die sekundäre oder konventionale, erscheinungshaft sind. Man kann sie definieren als ein einigendes Prinzip, das sowohl dem sichtbaren Ereignis wie seiner verständlichen Bedeutung zugrunde liegt und sie erklärt und das sogar die Form bestimmt, in der das sichtbare Ereignis Gestalt annimmt. Diese eigentliche Bedeutung oder der Gehalt liegt normalerweise so sehr über dem Bereich des bewussten Wollens, wie die ausdruckshafte Bedeutung darunter liegt.148 Zusammenfassend ergeben sich drei symmetrisch aufeinander bezogene Ebenen: Ausgangssituation ist die von einem Wollen ausgelöste Handlung. Unter dieser Willensebene liegt diejenige, die dem individuellen Ausdruck, der auf nicht bewusste Weise in der Handlung enthalten ist, gilt und dem Grüßenden zugehört. Über der Willensebene liegt eine dritte, welche ebenfalls von nicht bewussten Inhalten geprägt ist, zu welcher jedoch mittels Kenntnissen historischer Fakten, die sie konstituiert haben, ein Zugang eröffnet werden kann. Die drei Bedeutungsebenen unterscheiden sich nur graduell, insofern sie sich auf einen unterschiedlichen Bedeutungsumfang oder -kontext beziehen. Trotzdem wird die eine davon als die eigentliche hervorgehoben und als Gehalt bezeichnet. Diese gesamte Konstruktion erinnert stark an Sigmund Freuds Strukturmodell der Psyche, das er 1923 veröffentlichte,149 und die dargestellten Bedeutungsschichten lassen sich ohne Abstriche auf Freuds Begriffe vom Ich, vom Unbewussten und vom Über-Ich übertragen. Bemerkenswerterweise ist es denn auch diejenige Ebene, welche sich im Vergleich zur Freud’schen Psychologie auf das Über-Ich bezieht und von kollektiven oder überindividuellen Momenten (Epoche, Nationalität, Klasse, intellektuelle Tradition) geprägt ist, die sich als die Trägerin des Gehalts entpuppt. Da nicht erläutert wird, was es heißt, «über dem Bereich des bewussten Wollens» zu liegen, verschleiert diese Ausdrucksweise nicht nur die Unbestimmtheit des Begriffs «Gehalt», sondern auch dessen ideengeschichtliche oder psychologische Konnotation. Panofsky selbst schreibt in den Erläuterungen zu den einzelnen Ebenen, in denen er die Resultate der Alltagserfahrung auf ein Kunstwerk überträgt: Die Entdeckung und die Interpretation dieser «symbolischen» Werte (die dem Künstler selber häufig unbekannt sind und die sogar entschieden von dem abweichen können, was 145 146 147 148 149 Das Zitat lautet: «Man kann nicht nicht kommunizieren, denn jede Kommunikation (nicht nur mit Worten) ist Verhalten und genauso wie man sich nicht nicht verhalten kann, kann man nicht nicht kommunizieren». P. Watzlawick: Menschliche Kommunikation, 53. E. Panofsky: Ikonographie und Ikonologie. Eine Einführung, 48. Ebd., 38. Ebd. S. Freud: Das Ich und das Es. Dass sich Panofsky mit den Veröffentlichungen Freuds auseinandergesetzt hat, weist Klaus Herding nach. Er spricht sogar von einem «fortwährenden Interesse am Irrationalen, Dämonischen, an tiefenpsychologischen Sachverhalten, so wie sie anschaulich werden». Vgl. K. Herding: Panofsky und das Problem, 145–170. 49 er bewusst auszudrücken suchte) ist der Gegenstand dessen, was wir, im Gegensatz zur «Ikonographie», «Ikonologie» nennen können.150 Mit dem Verweis auf das unbewusste Wirken des Künstlers bestätigt sich der Vergleich zu Freud. Panofsky bzw. der Kunsthistoriker als Ikonologe wird damit derjenige, der die Erscheinung entschlüsseln und in Worte fassen kann. Und da der Künstler «häufig», etwas ausdrückt, das er eigentlich gar nicht will – und das sogar entschieden von dem abweichen kann, was er ausdrücken will – fällt dem Ikonologen eine alleinige Erklärungsmacht über das Bild zu.151 Der Künstler, das unbewusste Wesen, dem der Ikonologe als Leser auf die Schliche kommt? Hinter Panofskys Haltung steht die Auffassung, dass der Künstler aus was für Gründen auch immer sein Werk codiert und das Ziel aller kunsthistorischen Analyse im Knacken dieses Codes liegt. Dazu formulierte Otto Pächt bereits 1977: Die ikonologische Forschung wäre nicht in den Brennpunkt des Interesses gerückt, wäre nicht die Überzeugung weitverbreitet, es sei gerade bei den bedeutenden Kunstwerken, auf die es schließlich ankommt, hinter der Fassade des sinnlich Wahrnehmbaren ein tieferer Sinn verborgen, und mit Absicht verborgen. Es wäre den genialen Schöpfern dieser Gebilde daran gelegen gewesen, ihre innersten Gedanken vor den Blicken der Banausen zu verheimlichen, im Grunde seien die Schöpfungen der großen Meister Kryptogramme, die nur die in die Geheimsprache Eingeweihten auflösen können. [...] Aber selbst für diejenigen unter den Ikonologen, für die das Kunstwerk nicht Geheimschrift schlechthin ist, ist es doch wesentlich Schrift, ein Verband von Bildzeichen.152 Einzelne Bildzeichen aber lassen sich rational fassen. Und eben dies macht Panofsky, wenn er die interaktionale Handlung des Hutziehens reduziert auf Bedeutungsebenen, die sich insofern nur graduell unterscheiden, als sie sich auf unterschiedlichen Bedeutungsumfang oder -kontext beziehen. Trotzdem wird eine davon als die eigentliche hervorgehoben und als Gehalt bezeichnet. In diesem unerklärten Kippen der phänomenologischen Betrachtung in eine ontologische findet der Wechsel von der Ikonographie zur Ikonologie statt. Ebenso kann darin jedoch das Umschlagen eines naturwissenschaftlichen Erklärens in ein geisteswissenschaftliches Deuten gesehen werden. Unter diesen Gesichtspunkten wird so der methodische Schritt von der Ikonographie zur Ikonologie zur Integration gegenläufiger Untersuchungsmodelle in ein neuartiges Analysekonzept und damit Teil eines dialektischen Diskurses über die Gegenüberstellung von Natur- und Geisteswissenschaft, der sich auf die Renaissance zurückführen lässt.153 Als Ausdruck dieser Haltung verlangt die Ikonologie eine geistige Fähigkeit, die derjenigen eines Diagnostikers vergleichbar ist – eine Fähigkeit, die ich nicht besser beschreiben kann als durch den ziemlich in Misskredit geratenen Ausdruck «synthetische Intuition» und die in einem begabten Laien besser entwickelt sein kann als in einem belesenen Gelehrten.154 Darin liegt denn die Schwäche des Modells. Es stellt eine künstliche Hierarchie von Bedeutungen her, an deren Spitze die narrativen Eigenschaften eines Bildes stehen, die vom Kunsthistoriker als Ikonologen erklärt und gedeutet werden können, obwohl die verschiedenen Bedeutungen nebeneinander und nicht hierarchisch gültig sind und obwohl die Narration nur oberflächlicher Teil eines Kunstwerks ist, das vielmehr aus innerbildlichen Struk150 151 152 153 154 Ebd., 41. Ebd. O. Pächt: Kritik der Ikonologie, 354. Vgl. G. Didi-Huberman: Vor einem Bild, 118–121. E. Panofsky: Ikonographie und Ikonologie. Eine Einführung, 48. 50 turen und Relationen besteht. Nimmt man christlich-religiöse Kreuzigungs-Szenen als Beispiel, dann lässt sich sogar feststellen, dass die eigentliche und heute noch gültige Bedeutung des Gehalts in der individuellen Gestaltung des Sujets durch den Künstler liegt und nicht in der symbolischen Bedeutung, die durch die Religion längst verständlich gemacht worden ist. Und darin liegt zweifellos der Grund für die Insuffizienz der Methode: Panofsky hat ‘übersehen’, dass die Elemente Form und Farbe eigenständige Ausdruckswerte sind und hat ihre Funktion nur innerhalb narrativer Bildzusammenhänge angesiedelt. Deshalb musste er die Grenzen seiner Methode so eng ziehen. Man fragt sich, weshalb Panofsky überhaupt eine Begegnung zwischen zwei Personen gewählt hat um eine Methode einzuführen, die auf die Interpretation von Bildern zielt.155 Es scheint, als ob er um seiner Konstruktion willen zur Gänze ignorieren musste, dass er in der Situationsschilderung nicht nur beobachtend sondern als Gegrüßter direkt involviert ist, denn auf die zwischenmenschlichen Beziehung dieser Handlung geht er in keiner Weise ein. Dadurch wird eine Objektivität vorspiegelt, die gerade in der geschilderten Szene des Grüßens nicht vorhanden sein kann, da ja der Beobachter selbst Anlass des Grüßens ist. Eine Gleichsetzung einer sozialen Konvention, die sich in einem Bewegungsverhalten äußert (das Hutziehen) mit einem Bild, einer künstlerischen Konvention, die immer eine implizite Bildtheorie enthält und selbst wiederum an ein Bündel von Maßgaben gebunden ist, versteht sich nicht von selbst. Außer man reduziere beides, das Hutziehen sowie das Bild auf die jeweiligen rhetorischen Momente.156 Und genau dies hat Panofsky getan und hat damit die Ineinssetzung von Bild und Sprache bereits mit dem Einstiegs-Beispiel in die Methode gegeben. Ebenso verweist die Verifizierung der Wesensdeutung, der ikonologischen Aufdeckung des Gehalts, ausschließlich auf sprachlich Zugängliches und auf Nichtbildnerisches. Sie soll nämlich mittels Dokumenten geschehen, die «Zeugnis ablegen über die politischen, poetischen, religiösen, philosophischen und gesellschaftlichen Tendenzen der Person, der Epoche oder des Landes, die zur Debatte stehen.»157 Auf diesem Weg wird die Bedeutung des Bildes außerhalb seiner selbst und erst im Rückgriff auf literarische Quellen bestimmt. Damit gelingt es Panofsky, die kunsthistorische Untersuchung scheinbar einer naturwissenschaftlichen Untersuchung anzugleichen, indem der Analyse der Phänomene deren historische Einordnung folgt, welche schließlich in eine subjektive Deutung mündet, die als objektiv ausgegeben wird.158 «Der panofskysche ‘Wesenssinn’ ist jetzt erreicht: es ist der Begriff», formuliert Didi-Huberman.159 Der Erkenntnis durch oder im Bild liegt – fast möchte man sagen: endlich – Vernunft zugrunde. Der Logos der Sprache und der Vernunft bestimmt nun das Bild und seine Deutung. Diese Gleichsetzung von Sehen mit Lesen war es wohl, welche zum Erfolg der Methode beitrug. 155 156 157 158 159 Vogt zählt drei Gründe dafür auf: «Erstens vernachlässigt er auf diese Weise die Forderung seines Freundes Warburg nicht ganz, aus der Kunstwissenschaft eine Kulturwissenschaft zu machen. Zweitens macht er damit eine Referenz an die Ethnologie und Anthropologie, die damals im angelsächsischen Gebiet einen starken Aufschwung erfuhr. [...] Drittens schließlich scheint er die Auffassung zu haben mit dem Hutmotiv nun die erste Schicht hinreichend (wenn auch nicht auf der Kunst-Ebene) abgedeckt zu haben.» Vgl. A.M. Vogt: Panofskys Hut, 95. G. Didi-Huberman: Vor einem Bild, 106. E. Panofsky: Ikonographie und Ikonologie. Eine Einführung, 49. Wie schwer es Kunsthistorikern fällt, die subjektive Bedingtheit ihrer Urteile anzuerkennen, zeigt sich auf eindrückliche Weise in: Martin Warnke (Hg.): Das Kunstwerk. G. Didi-Huberman: Vor einem Bild, 139. 51 5.3 Auch die Philosophie liest Bilder Die Reduktion des Sehens von Bildern auf deren ‘Lektüre’ wird von verschiedener Seite explizit gestützt. So schreibt Gadamer: «Ich muss darauf bestehen, dass Lesen, und nicht Reproduzieren, die eigentliche Erfahrungsweise des Kunstwerks selbst ist, die es als solches definiert. [...] In Wahrheit ist Lesen die Vollzugsform aller Begegnung mit Kunst.»160 Die doppelte Metaphorik der Redeweise vom ‘Lesen eines Kunstwerks’ – Sehen (Betrachten und Schauen) wird dem Lesen gleichgesetzt und dieses Lesen selbst implizit als Interpretation verstanden – verdeckt, dass damit Bildstrukturen und künstlerische Gestaltungsmodi entlang sprachlicher Strukturen verstanden werden sollen. Gadamers apodiktische Aussage spiegelt nicht nur die Entwicklung von einer mündlichen zu einer schriftlichen Kultur, sie steht auch für eine philosophische Tradition, die dem Bild eine gegenüber dem Wort nachgeordnete Bedeutung zuweist. Sie gründet in der platonischen Abwertung der Malerei, «die» so Platon, «in großer Ferne von der Wahrheit ihr Werk zustande bringt, so auch mit dem von der Vernunft Fernen in uns ihren Verkehr hat und sich mit diesem zu Nichts Gesundem und Wahren befreundet.»161 Diese negative Beschreibung der Malerei blieb nicht unverändert durch die Jahrhunderte bestehen. Sie grundierte jedoch die Haltung der Philosophie, die den Status von Kunst und Künstlern definierte. Die Vorherrschaft der logischen Vernunft gegenüber der Logik des Bildes wurde erst im 20. Jahrhundert in Frage gestellt, obwohl Alexander Gottlieb Baumgarten in der zwischen 1750 und 1758 veröffentlichten Aesthetica als einer der ersten den Sinneswahrnehmungen Erkenntnisfähigkeit zusprach und damit eine Wirklichkeitserfassung, die auf sinnlicher Erfahrung beruht, anerkannte. In der Definition von Ästhetik als ‘untere Erkenntnislehre’ klingt jedoch noch das Werturteil nach, das die Überlegenheit des Verstandes gegenüber dem Sinnlichen postuliert162 Dem Einwand, dass streng rationale Erkenntnis «durch die Pflege des der Vernunft analogen Denkens zu Schaden komme», begegnete Baumgarten damit, dass es dem logischen Denken nicht weniger schade, wenn das Analogon der Vernunft vernachlässigt werde.163 Dieses blieb denn auch nicht unberücksichtigt, denn im Hinblick auf die Funktionen der Ästhetik entwickelten sich in der Nachfolge Baumgartens sowohl kunstphilosophische Differenzierungen als auch nationale Schwerpunkte der Kunstphilosophie. Der Begriffstransfer sowie die Diffundierung des Begriffs ‘Ästhetik’ scheint bis jetzt noch nicht abgeschlossen. Das ändert aber nichts daran, dass das Lesen zum Paradigma des Verstehens, insbesondere des Verstehens von Bildern, wurde. Die Sprachstruktur als Sinnstruktur blieb das einzig vorstellbare Verstehensmodell. Paul Ricoeur, der dieses Paradigma auf den gesamten Bereich der Humanwissenschaften auszudehnen versuchte, entwickelt dessen Grundzüge, wie er sagt, aus der Charakteristik des Textes selbst, das heißt aus 1. der Fixierung des Sinngehalts, 2. der Trennung von Sinngehalt und geistiger Intention des Autors, 3. der Entfaltung von nichtostentativen Bezügen und 4. der unbegrenzten Reihe ihrer Adressaten.164 Aufgrund dieser vier Merkmale, welche die ‘Objektivität’ des Textes ausmachen ergibt sich die Möglichkeit des Erklärens, das in einem dialektischen Verhältnis zum Verstehen 160 161 162 163 164 H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode, Bd. II, 17. Platon: Politeia, X, 603a. Vgl. A. G. Baumgarten: Ästhetik, Prolegomena 10–19. Dazu auch: St. W. Gross: Felix Aestheticus, insbes. 48–69. Vgl. A. G. Baumgarten, § 9. P. Ricoeur: Der Text als Modell, 101. 52 steht, so Ricoeur.165 Die Übertragung dieses Modells auf das Erklären und Verstehen von Bildern muss aus eben dem Grund scheitern, aus dem Panofskys Methode an ihre Grenzen stößt: Es lässt außer Acht, dass ein Bild zwar in Analogie zu materiellen Analysen von Farbpigmenten oder Leinwänden schicht- oder stufenweise untersucht werden, seine Wirkmächtigkeit damit aber nicht eingefangen werden kann. Einzelne methodische Schritte zur Verminderung einer Komplexität sind nicht Aussagen über sie als Ganzes. Der Sinnoder recht eigentlich der Zeigegehalt eines Bildes liegt im Pinselduktus ebenso wie in der Gestik oder der Stärke des Farbauftrags, in der Relation von Flächen und Strukturen oder von Licht und Schattierung ebenso wie in der Gesamtgestaltung oder im narrativen Gehalt des Dargestellten. Was hieße denn bei einem Bild wie zum Beispiel Jackson Pollocks Autumn Rhythm: Number 30 (Abb. 12), sich als erstes auf den Sinngehalt zu beschränken, wie Ricoeur das fordert? Abb. 12: Jackson Pollock, Autumn Rhythm, Number 30, 1950, Emaille auf Leinwand, 266.7 x 525.8 cm, New York, Metropolitan Museum of Art. Das Gestische des Bildes lässt sich hier ja nicht von der geistigen Intention des Künstlers trennen, es ist dessen direkter Ausdruck. Also ist Punkt 2 aus Ricoeurs Liste obsolet. Und welches sind die nicht-ostentativen Bezüge dieses Bildes? Außer den in unteren Malschichten vorhandenen Figurationen, die nur der gefilmte Malprozess sichtbar machen kann,166 ist alles daran ostentativ. Was bleibt aber übrig, wenn gerade die ostentativen Züge nicht entfaltet werden sollen? Wie kann also eine Methode auf Bereiche außerhalb der Literatur (die gesamten Humanwissenschaften) übertragen werden, wenn sie schon bei einem Bild versagt? Bilder werden nicht gelesen, sie werden gesehen und sie werden nicht auf die gleiche Art gesehen wie Buchstaben, Wörter und Sätze. Im Unterschied zum Lesen, das auf einer definierten Anzahl linear geordneter Buchstabenzeichen beruht, steht der Bildbetrachter einer unendlichen Anzahl von Farbnuancen, Höhungen, Verschattungen, Formen, Linien und Flächen gegenüber, die als Bildelemente Zeichencharakter haben, somit Sinn- und Bedeutungsträger sind und vor allem in ihren Relationen zueinander sowohl zur Wirkung als auch zur Aussage eines Bildes gehören. 165 166 Ebd., Anführungszeichen von Ricoeur. Über Pollocks Arbeitsprozess gibt es einen Film, vgl. unten, 75, Anmerkung 247. 53 Um die Bedeutung dieser ikonischen Gegebenheiten weiß auch Sebastian Brandt, der betont, dass der «philosophischen Malerei [...] eine heute meist vergessene Erkenntnisund Seinsdarstellung, die sich verbal nur umständlich vermitteln läßt, [gelingt].»167 Und doch reduziert er die Möglichkeit der Malerei, innere Beziehungen unmittelbar zu Anschauung zu bringen, auf die Zusammenführung von zeitlich und räumlich nicht gleichzeitig existierenden Personen und übersieht, dass auch subtilere gestalterische Nuancen ihren Beitrag zur Bildaussage leisten. Denn es trifft nicht zu, dass, wie er schreibt, «Farben und Formen [...] als solche so wenig eine philosophische oder andere Bedeutung [haben] wie bestimmte, zu Wörtern und Sätzen geformte Laute oder Schriftzeichen», ja, dass sie für sich als sinnliche Ereignisse gänzlich bedeutungslos seien, da sie «nur und ausschließlich demjenigen etwas (bestimmte Inhalte, Gedanken) mitteilen, der gelernt hat, mit ihnen bestimmte Bedeutungen zu assoziieren.»168 Die Gründe, die gegen diese Aussage sprechen liegen darin, dass das Bild auf diese Weise auf das Emblematische reduziert wird. Die unauflösliche Beziehung jedoch von Farbe und Form kann auch außerhalb kultureller Kodierungen «etwas mitteilen», wie die Faszination von Objekten aus fremden Kulturen beweisen. Und zum dritten trifft nicht zu, dass ein Bild beschränkt werden kann darauf, «bestimmte Inhalte, Gedanken» mitzuteilen. Denn das Zusammenspiel von Gesamtkomposition, Bildraumgliederung und Farbgestaltung vermittelt immer einen über das einzelne Strukturelement hinausgehenden Mehrwert an Inhalt und Bedeutung. Als Beispiel für die Mehrdeutigkeit eines Bildes wird hier Jean-François Millets Gemälde Die Ährenleserinnen (Abb. 13) angeführt. Das Werk, das auf keine literarische Vorlage zurückzuführen ist, löste, gerade weil es keine eindeutig bestimmbaren Gedanken oder Inhalte mitteilt, aufgrund seines Bildmotivs als auch durch seine Gesamtgestaltung, die beide gleichermaßen säkular-politisch und religiös interpretierbar sind, heftige Kontroversen aus. 169 Es zeigt im Vordergrund drei Frauen auf einem Stoppelfeld, die Ähren auflesen. Der Horizont ist so hoch über ihnen, dass der Blick des Betrachters von unten zu ihnen hinauf und über sie hinweg auf die Erntearbeiten im Hintergrund geführt wird. Durch diese Darstellungsart werden sie monumentalisiert, jedoch gleichzeitig entindividualisiert, da sie gesichtslos gezeigt werden. Es sind ihre Haltungen und Positionen – ‘Position’ in doppelter Wortbedeutung: als Ort in einem Bildraum und als gesellschaftliche Stellung – die das Bild bestimmen. Motivisch stehen sie einerseits in assoziativer Verbindung zum Buch Ruth,170 das vom Ährenlesen aus Not berichtet und andererseits in einer ikonographischen Tradition, die man seit der Antike kennt und drei Frauen als Schicksalsgöttinnen (Moiren oder Parzen) ebenso umfasst wie Musen und Grazien. Doch Millet zeigt drei arme landlose Frauen aus dem untersten Segment der Bevölkerung so, dass sie eine Gegenposition zur ästhetisierten Darstellung mythologischer Figuren markieren. Auffallend ist die Dreigliedrigkeit der Anordnung der Bildobjekte und der Gesamtkomposition. Sie zeigt sich numerisch in der Zahl der Frauen und anderer Bildgegenstände ebenso wie im linearen Rhythmus einzelner Dreiergruppen von Arbeitenden, Bäumen und Häusern sowie in der Aufteilung der waagerechten Bildzonen und außerdem auch in der 167 168 169 170 S. Brandt: Philosophie in Bildern, 21. Dass in Bildern aufgrund ihres Referenzcharakters Philosopheme enthalten sind oder in ihnen entdeckt werden können, ist unbestreitbar, allein deshalb kann aber kaum von ‘philosophischer’ Malerei gesprochen werden. Vgl. ebd., 21. Ebd., 11. Siehe unten, 54, Anmerkung 172. Bibel, Altes Testamente, Buch Ruth. 54 Präsentation der hervortretenden Farben Blau, Rot und Weiß – diese Farben gelten seit 1789 als die Nationalfarben Frankreichs171 – und evoziert das ebenfalls dreigliedrige Revolutionsmotto ‘Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit’. Damit sind die wesentlichsten Momente erwähnt, die zur Überlagerung eines säkularen und eines religiösen Bezugssystems und zu den Kontroversen der Kunstkritik172 führen. Abb. 13: Jean-François Millet, Die Ährenleserinnen, 1857, Öl auf Leinwand, 83,5 x 111cm, Musée d’Orsay, Paris. Der hauptsächliche Bildgegenstand sowie Ort und Kontext der Darstellung sind religiösmythologisch sowie säkular interpretierbar und untrennbar miteinander verschränkt. Gerade weil diesem Bild weder ausschließlich ethische noch moralische Intentionen zugesprochen werden können, trifft es zu, dass Millet «Maler einer Situation [...] nicht jedoch einer Klasse [war]» und auch im Hinblick auf die Interpretation der Ährenleserinnen «könnte [man] folglich von einer Seinsbefragung reden, nicht aber von einer politischen Fragestellung im präzisen Sinne.»173 Das Bildbeispiel zeigt, dass entgegen Brandts Aussage, Farben und Formen alles andere als bedeutungslose sinnliche Ereignisse sind. Ein Bild ist nicht primär die Illustration eines philosophischen Gedankens oder eines Textes, es ist ein ikonisches System von Relationen, ein Sehangebot,174 das sich nicht nach den Mustern des Lesens verstehen 171 172 173 174 Vgl. URL: http://www.flaggenlexikon.de/ [22.10.2011]. So schrieb der Kritiker des Figaro: «Haltet die kleinen Kinder fern – die Ährenleserinnen von Millet kommen – hinter den drei Ährenleserinnen zeichnet sich am von den Spießen grauen Horizont 1793 ab, Aufruhr und Schafott.» Zitiert nach A. Fermigier: Millet, 103. Andernorts jedoch hieß es: «Im Unterschied etwa zu Courbet gelingt es Millet mit seinem verfeinerten Sinn für die Objekte der Kunst, das Malen über und hinter das grundsätzlich Materielle zu erheben.» zitiert nach: F. Friborg (Hg.): Gloria Victis! 38. W. Spies: Dressierte Malerei, 112. Vgl. G. Winter: Werk als Ereignis, 9 bzw. M. Imdahl: Identität, 187. 55 lässt, sondern dessen Bestimmung die «grundlegenden Dialektik von Prozessualität und Endgültigkeit»175 zugrunde liegt, zugrunde liegen muss. Denn das Bild ist zwar insofern endgültig, als der Prozess der materiellen Entstehung abgeschlossen ist, in seiner Gegenwärtigkeit jedoch ist es prozesshaft. Die Prozesshaftigkeit ist dabei nicht nur durch die Unabgeschlossenheit einer Interpretation gegeben, sondern auch dadurch, dass die Darstellung im Moment der Betrachtung ereignishaft ist. Und diese Ereignishaftigkeit kann mit einem lediglich wiedererkennenden Sehen und einem das Bild auf seine historisch verifizierbaren Aspekte zurückführenden Wissen nicht erfasst werden. Was sich hier als Problem des Lesens vs. Sehens von Bildern darstellt, ist jedoch nicht lediglich das Resultat einer ikonographischen Reduktion, sondern Symptom einer viel umfassenderen Gegenüberstellung. Zu ihr gehört der grundsätzliche Antagonismus ganzheitlicher oder partieller Betrachtung, der in der Übersetzung eines Bildes in Sprache immer schon einseitig aufgehoben wird durch die Sukzessivität der Sprache. Und obwohl Erkennen und Erkenntnisbegründung zwar nicht sprachabhängig sind, so ist es doch ihre Vermittlung.176 Die durch das Ikonische gegebene Sinnerzeugung stellt somit ein doppeltes Problem dar: Das Ikonische muss per se als theoriefähig und erkenntnisbegründend anerkannt sowie dessen Transformation in Sprache und als Sprache entwickelt sein. Ersteres vollzog sich im 20. Jahrhundert, als, wie Gottfried Boehm nachweist, die sprachkritische Wendung der analytischen Philosophie, der linguistic turn, konsequenterweise im iconic turn mündete, «denn schon die Begründung der Wahrheit von Sätzen muss auf Außersprachliches zurückgreifen. Das Weisen oder Zeigen wird dabei als Basis des Sagens wiederentdeckt.» 177 Das heißt, dass auf dem Weg philosophischer Sprachskepsis und Sprachkritik den Bildern ihre Erkenntnispotenz zurückgegeben wird und der sprachliche Logos nicht länger das Bild beherrscht. Doch noch ist keine umfassende Terminologie für das Ikonische und die Logik der Bilder etabliert, was angesichts der Mehrdeutigkeit alles Bildhaften die Vermittlung erschwert. So stellt das Kunstwerk, dessen Wirkung, um mit John Dewey zu sprechen «eher im Bereich des Imaginativen als des Physischen»178 liegt, eine Herausforderung für das systematische Denken dar, da die konkrete Form eines Werks, die auf sich verschiedene Bedeutungen versammelt, «mit dem Subjekt hier und jetzt interagiert» und eine unmittelbare ästhetische Erfahrung vermittelt.179 Eine Erfahrung, so kann präzisiert werden, die in der Sprache nicht aufgehoben werden, aber hinter den Wörtern verschwinden kann. Die von einem Philosophen entwickelte ästhetische Theorie ist deshalb, wie Dewey darlegt, viel mehr als «nur ein Prüfstein seiner Fähigkeit, jene Erfahrung zu machen, die den Gegenstand seiner Analyse bildet. Sie ist eine Prüfung der Fähigkeit des Systems, das er vertritt, die Natur der Erfahrung selbst zu erfassen.»180 Wird nun ein Bild als Anhäufung von einzelnen, literarisch identifizierbaren Motiven gelesen und das komplexe malerisch-ikonische Bildgefüge außer Acht gelassen, dann spiegelt dies ein Kunstverständnis, das sich an der Darstellungstheorie orientiert, einer Theorie, die weder individuelle noch mediale Entwicklungen berücksichtigt und das 91 175 176 177 178 179 180 Ebd., 29. Vgl. G. Boehm: Wie Bilder Sinn erzeugen, 43. Ebd., 44. J. Dewey: Kunst als Erfahrung, 320. Ebd., 321. Ebd., 337. 56 Moment der ästhetischen Erfahrung ignoriert. Denn gerade sie kann nicht abgelesen, sondern nur gemacht und sprachlich vermittelt mitgeteilt werden. Deshalb stellt die Interpretation eines Kunstwerks, das eine Verbindung von Altem und Neuem, Subjektivem und Symbolischem, literarisch nachweisbaren und imaginären Elementen enthält, ebenfalls eine Herausforderung für die Sprache dar – dies allerdings nicht nur für Philosophen, sondern auch für Kunsthistoriker und Kunstwissenschaftlerinnen. 6. Widerstand gegen fremde Deutungshoheit Wie auch immer die Akzentuierung ästhetischer Theorien ausfiel, ihnen ist gemeinsam, dass die Philosophen das Verhältnis zwischen Philosophie und Kunst sowie den Kunstbegriff definierten und im wahrsten Sinne des Wortes ‘das Sagen’ hatten, während der Kunst, zumal der Malerei, das Zeigen zugewiesen und Kunsthistoriker gar nur als der Philosophie Zudienende verstanden wurden.181 Reaktionen auf diese Definitionsmacht der Philosophie dauern bis in unsere Tage an. Im folgenden, etwas kraus formulierten Textabschnitt vergreift sich der Kunsthistoriker Beat Wyss zwar in seinem Furor gegen die Philosophie im Allgemeinen und diejenige Hegels im Besonderen, wenn er hier dennoch zitiert wird, dann deswegen, weil er Momente zusammenführt, die bis weit in das 20. Jahrhundert hinein wirksam waren. Wyss schreibt: Das Unerwartete und noch nicht Gesichtete hat keinen Platz in diesem (Hegels, AT) Kunstbegriff. So staut sich am Museum das Abgewiesene; vor dem Hintergrund geschichtsphilosophischer Borniertheit formiert sich im fortschreitenden 19. Jahrhundert der salon des réfusés. Hegels Ästhetik entstand gleichzeitig mit den ersten Museen; als das theoretische Seitenstück dieser neuen kulturellen Institution.182 Auch wenn sich Wyss in diesen Sätzen etwas unsystematisch auf die relative zeitliche Nähe von Hegels Ästhetik (1835–1838) mit der Entstehung und Einrichtung von Museen (das Alte Museum in Berlin wurde 1825–1828 erbaut) sowie dem Zusammenschlusses von Künstlern in Frankreich, die sich in den 1860er Jahren der Macht von Juroren durch eigene Ausstellungen entzogen, bezieht, so wird doch deutlich, wie sehr Kunst und Künstler fremden Urteilen ausgesetzt waren. Einerseits grenzte der Kunstakademismus die künstlerische Produktion auf traditionelle Genres ein, beurteilte und bestimmte Motive, Ausführung und Aufnahmekriterien für Ausstellungen und Museen, andererseits definierten Philosophen in ihren Überlegungen zur Ästhetik den Stellenwert und das Wesen der Kunst insgesamt und die im Zusammenhang mit Museen und Ausstellungen sich neu etablierende Kunstkritik beurteilte die Werke. Indem die Künstler sich nun ihre eigenen Ausstellungsplattformen schufen, setzten sie sich über die Vorgaben der Akademien hinweg und legten auch die Rezeptionsbedingungen für ihre Werke selbst fest. Oft begleiteten sie ihre Ausstellungen mit Zeitschriften oder Manifesten, das heißt, sie formulierten auch ihre künstlerischen Programme und Theorien selbst.183 Diese Entwicklung fand in ganz Europa statt und wenn auch die Ausformungen oder Ziele der Kunstaktionen und der in eigenem Auftrag organisierten Ausstellungen sich 181 182 183 Hegel machte dieses Rollenzuteilungen explizit, siehe unten, 144. B. Wyss: Trauer der Vollendung, 139. Regine Prange nennt das Buch eine Satire. Vgl. R. Prange: Geburt der Kunstgeschichte, 95. U. M. Schneede: Geschichte der Kunst, 20. 57 von Land zu Land unterschieden, so war ihnen neben allen künstlerischen oder politischen Programmen jedoch gemeinsam, dass die Künstler die Verfügungs- und Definitionsmacht über ihre Werke nicht mehr aus der Hand geben wollten.184 So führte das Zusammenwirken von Autonomiebestrebung in Bezug auf inhaltliche Gestaltungen und Kunsttheorien mit Kritik an der Museumspolitik zu neuen gestalterischen Formen, die bis heute nachwirken.185 Ein Beispiel dafür, das im frühen 20. Jahrhundert sowohl hinsichtlich innovativer künstlerischer Gestaltungen als auch publikumswirksamer Ausstellungen für Aufregung sorgte und die Kunst nachhaltig veränderte, ist Marcel Duchamp. 6.1 Zum Beispiel Marcel Duchamp: Umwertung der Werte Die Aussage Ernst H. Gombrichs, dass sich «moderne Künstler ihre Motive daraufhin aussuchen, ob sich an ihnen irgendein Formproblem klar demonstrieren lässt,»186 bestätigt sich in Marcel Duchamps wohl berühmtestem Bild Akt, eine Treppe hinabsteigend (Abb. 14), das 1912 von der Jury des Salons des Indépendants in Paris abgelehnt wurde, auf besondere Art. Abb. 14: Marcel Duchamp, Akt, eine Treppe herabsteigend, 1912, Öl auf Leinwand, 147 x 89,2 cm, Philadelphia Museum of Art. Duchamp, der sich um 1910 dem Kubismus zugewandt hatte, verband darin zwei Topoi der Kunstgeschichte – die Treppe sowie den weiblichen Akt – mit der damals noch neuen 184 185 186 Vgl. Ch. Harrison, P. Wood (Hg.). Kunsttheorie, 8–10. Vgl. A. Legge: Museen der anderen Art, 30–32. E. H. Gombrich: Geschichte der Kunst, 580. 58 Bildtechnik der Fotografie. Und indem die formale Darstellung des Gemäldes auf eine der ersten fotografischen Bewegungsstudien von Etienne-Jules Marley, der Bildtitel hingegen auf eine fotografische Studie von Eadweard Muybridge Bezug nimm,187 zeigt sich Duchamp als Maler, der sich bei aller Rückbesinnung auf künstlerische Traditionslinien mit der neuen Formensprache des Kubismus sowie der technischen Möglichkeiten der Fotografie auseinandersetzt. Doch eben dieses Bild – es avancierte bald zu einer ‘Ikone der Moderne’ – wurde nicht in die Ausstellung in Paris aufgenommen. In New York, wo es 1913 an der ersten Armory Show (International Exhibition of Modern Art) gezeigt wurde, skandalisierte es Publikum und Künstler gleichermaßen. Duchamp, durch den Skandal berühmt geworden, beschloss noch im gleichen Jahr, mit der Malerei aufzuhören. Die Folgen veränderten den Verlauf der Geschichte der Kunst. Mit Flaschentrockner von 1914 und Fountain von 1917 führte er die Readymades, industriell gefertigte jedoch von ihm signierte Produkte, in die Kunstwelt ein. Zur Bezeichnung ‘Readymade’ schreibt Duchamp selbst: In 1913 I had the happy idea to fasten a bycicle wheel to a kitchen stool and watch it turn. A few months later i bought a cheap reproduction of a winter evening landscape which i called ‘Pharmacy’ after adding two small dots, one red and one yellow, in the horizon. In New York in 1915 I bought at a hardware store a shovel on which I wrote ‘in advance of the broken arm’. It was about that time that the word ‘Readymade’ came to mind do designate the form of manifestation. A point which I want very much to establish is that the choice of these ‘Readymades’ was never dictated by esthetic delectation. This choice was based on a reaction of visual indifference with at the same time a total absence of good or bad taste... in fact a complete anesthesia.188 Damit wurden der bisherige Kunstbegriff und alle bis dahin bestehenden Kunsttheorien aus den Angeln gehoben. Indem Duchamp bereits die Auswahl des Gegenstandes als künstlerischen Akt verstand und das vorgefertigte Produkt ohne ästhetische Überlegungen signierte, diesem somit Identität und Wertschätzung verlieh, erhob er den Gegenstand in einen völlig neuen Kontext und verlieh dem Künstler eine bisher unbekannte Definitionsmacht. Der Künstler wurde zum Autor der Kunst- sowie der Werkdefinition, denn er war es, der jedem beliebigen Gegenstand den Status eines Kunstwerks verleihen konnte. Die Geschichte der Readymades bietet ein Beispiel für die Aneignung der Bestimmungsmacht über das Werk und den Kunstbegriff durch den Künstler und die Schwierigkeit der ‘Kunstwelt’, zu erfassen, welche Veränderungen damit in Gang gesetzt worden waren.189 Wie sehr diese von den traditionell orientierten Kunsthistorikern abgewehrt wurden, bezeugt Werner Hofmann noch 1972 in einem Artikel, der zum Vorwurf der Distanz zwischen kunstgeschichtlicher Arbeit und kritischer Beschäftigung mit der Gegenwartskunst Stellung bezieht. Er schreibt: Die Schockwirkung des Flaschentrockners stellt sich nur bei einem Publikum ein, das weiß, dass dieser Gegenstand aus der Trivialsphäre des Bistro stammt. Um zu erkennen, dass dieses Verfahren mit dem von Satire, Parodie und Travestie in dem Masse zusammenhängt, in dem es neue, ungewohnte Beziehungen bloßlegt, sei an die Definition erin187 188 189 Vgl. Etienne-Jules Marey, Bewegungsstudie in präpariertem Anzug, um 1882, in: URL: http://www.acmi.net.au/AIC/MAREY_BIO.html und Eadweard Muybridge, Akt, eine Treppe hinab steigend, 1912 Fotografie, 23 x 31cm, Sammlung Timothy Braun, New York, in: D. Kosinski, Ch. Asendorf (Hg.): Fernand Léger, 51. Zitiert nach: K. Stiles, P. Selz: Contemporary Art, 819. Vgl. T. Vogt: Untitled, 37–41. 59 nert, die Montesquieu in den Vorbemerkungen zu den Lettres persanes von der Satire gibt: sie beruht auf dem «contraste éternel entre les choses réelles et la manière singulière, naïve ou bizarre, dont elles (sont) aperçues».190 Diese Ausgrenzung eines sperrigen Werks aus dem Kunstkontext geht Hand in Hand mit der Ausklammerung theoretischer Texte von Künstlern, die von kunsthistorischer Seite dadurch begründet wurde, dass das kunsthistorische Rollenverständnis eine Distanz zu Aussagen des Künstlers geradezu voraussetze.191 Nicht nur, dass den Künstlern das Gefälle zwischen ihnen, ihren Werken und den Kunstkritikern oder -theoretikern durchaus bewusst war, die neue Kunst, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstand, konnte mit den traditionellen Theorien weder erfasst noch erklärt werden. So verwundert es nicht, dass immer mehr Kunstschaffende ihre eigenen Programme oder theoretischen Positionen formulierten192 und philosophische Fragen oder Positionen in ihre Werke integrierten. 7. Exkurs: Entmündigung der Kunst? Arthur C. Danto bezeichnet in seinem Essai The Philosophical Disenfranchisement of Art das Verhältnis von Philosophie und Kunst als eines der Konkurrenz, ja der Feindseligkeit.193 Aussagen von Künstlern und Künstlerinnen zeigen, dass es auch als solches empfunden wurde.194 Danto, der die innere Struktur der Beziehung von Philosophie und Kunst analysiert, kommt zum Schluss, dass zwischen den beiden Bereichen über deren relative Stellung zueinander sogar eine Art Krieg, ein historisch nachweisbarer Kampf, stattfand.195 Der Hintergrund dazu liefert, so lässt sich einem anderen Essay Dantos entnehmen, der philosophische Abstand, in dem Kunstwerke und Wörter zur Realität stehen. Wenn nämlich Kunstwerke als Klasse zu den realen Dingen genauso im Gegensatz stehen wie Wörter – beide beziehen sich auf Dinge, die sie selber nicht sind – dann rücken Wörter, die sich auf Kunstwerke beziehen in einen vergleichsweisen doppelten Abstand zur Realität. «Und», so Danto, «weil dieser Abstand den Raum überspannt, mit dem die Philosophen immer schon gearbeitet haben [...] ist zu erwarten, dass die Kunst zum Bereich der Philosophie gehören muss.»196 Daraus ergeben sich zwei Bewegungen, welche die Kunst entmündigen: The first is the effort to ephemeralize art by treating it as fit only for pleasure, and the second is the view that art is just philosophy in an alienated form: what it requires, as it were, is only an awakening kiss in order to recognize that it really was philosophy all along, only bewitched.197 Gemäß Danto sind es also der Versuch, der Kunst Unernsthaftigkeit zu attestieren sowie die Degradierung zu einer nachrangigen Philosophie, die die Kunst marginalisieren und ihr jede ernsthafte kulturelle Relevanz absprechen, es sei denn, sie würde wachgeküsst – von der Philosophie zur Philosophie. Die Dominanz liegt demzufolge in der Macht 190 191 192 193 194 195 196 197 W. Hofmann: Strukturanalyse, 1. P.J. Schneemann: Nähe und Distanz, 302. Vgl. P. Selz, K. Stiles: Contemporary Art. A.C. Danto: Philosophical Disenfranchisement, 1–22. Vgl. oben, Anmerkung 192. Ebd., 5–9. A.C. Danto: Philosophie und Kunst, 131. A.C. Danto: Philosophical Disenfranchisement, xiv–xv. 60 des Klassifizierens und des Definierens begründet.198 Das heißt, die Fähigkeit, einen Gegenstand in sprachlicher Form zu erfassen und darzustellen – das Sagen – hat mehr Gültigkeit und mehr gesellschaftlichen Einfluss als alles Zeigen. Wenn dann auch noch die Malerei als Rhetorik mit anderen Mitteln betrachtet wird – was bereits die an der antiken Rhetorik orientierten Kunsttheoretiker der Renaissance programmatisch in ihren Schriften lehrten und zum Kriterien für die Beurteilung von Kunst machten199 – dann wird diese Vormachtstellung des Wortes gegenüber dem Bild doppelt bestätigt und sprachliche Struktur und Logik werden Regel und Maß für das Kunstwerk. Und nicht nur für das Kunstwerk. Im Verlauf des Essays zieht Danto eine Parallele zwischen der Entmündigung der Kunst und der Entmündigung von Frauen. Sein Argument, dass beide auf ihre ästhetische Erscheinung reduziert und als ephemer betrachtet worden seien (und oft immer noch werden), greift er auf mit der Frage: And who knows but that the analogy between artworks and females is due to a reduction of the latter to feeling in contrast with reason presumed to be masculine?200 Kunst als Ausdruck von Empfindung steht damit nicht einfach dem logischen Denken gegenüber, sondern wird von diesem geradezu diskreditiert. Dass Kunst, dass sich Künstler und Künstlerinnen, von diesem einseitigen und an außerkünstlerischen Aspekten orientierten Kunstbegriff gelöst haben, lässt sich paradigmatisch an drei Kunstwerken aufzeigen, die im Folgenden näher betrachtet werden. 8. Emanzipation der Kunst: Schrift im Bild Die Emanzipation der Kunst von der Philosophie vollzog sich auf verschiedenen Wegen. In Vorträgen, Manifesten, Artikeln und Büchern sprachen Künstler über ihre kunsttheoretischen Positionen und ihre künstlerischen Recherchen.201 Und in ihren Werken problematisierten sie die Verhältnisse von Kunstpraxis und Kunsttheorie oder von Bild und Sprache. Indem sie die visuellen Aspekte der Schrift ebenso wie die inhaltliche Aussage des Geschriebenen in ihre künstlerischen Arbeiten integrierten, bewiesen sie die Macht des Bildes: es kann gleichzeitig zeigen und sagen, auf bildhafte Art darstellen und sprachlich aussagen, Buchstaben als Sprachzeichen und als Bildzeichen einsetzen. Die Logik des Bildes kann so mit der Aussagenlogik spielen, sie zum Nennwert nehmen oder sie ironisieren. Die drei Werke, die hier vorgestellt werden, veranschaulichen diese Möglichkeiten. Sie kommentieren philosophische Begriffe und Philosopheme mit den Mitteln des Bildes. 8.1. Zum Beispiel: René Magritte: Malerische Untersuchung von Begriffen 1966 schrieb René Magritte aufgrund seiner Lektüre von les mots et les choses einen Brief an Michel Foucault und legte ihm Reproduktionen bei, unter anderem auch diejenige 198 199 200 201 Ebd., 26. Vgl. O. Bätschmann, S. Gianfreda (Hg.): Alberti. Vgl. A.C. Danto: Philosophical Disenfranchisement, 13 und 21. Vgl. P. Selz, K. Stiles: Contemporary Art sowie Ch. Harrison, P. Wood (Hg.): Kunsttheorie. 61 einer Zeichnung bei (Abb. 15), auf deren Rückseite er vermerkte: «Der Titel widerspricht dem Bild nicht; er affirmiert es anders.».202 Da er in seinem Brief von den Begriffen ‘Ähnlichkeit’ oder ‘Gleichartigkeit’ ebenso spricht wie von ‘Sichtbarkeit’ und ‘Unsichtbarkeit’ oder vom Verhältnis von Zeigen und Sagen wird er hier ausführlich zitiert: So bin ich der Auffassung, dass z.B. zwischen den Erbsen Gleichartigkeitsbeziehungen bestehen, die zum Teil sichtbar (Farbe, Form, Größe) und zum Teil unsichtbar sind (Natur, Geschmack, Gewicht). [...] Die ‘Dinge’ haben miteinander keine Ähnlichkeit, sie haben Gleichartigkeiten oder sie haben keine Gleichartigkeiten. Nur dem Denken ist es eigen, ähnlich zu sein. Es ähnelt, indem es das ist, was es hört, sieht oder erkennt; es wird zu dem, was ihm die Welt darbietet. Es ist unsichtbar, genau so wie das Vergnügen oder der Schmerz. Aber die Malerei bringt da eine Schwierigkeit: es gibt da Denken, das sieht und das sichtbar beschrieben werden kann. Die Meninas sind das sichtbare Bild des unsichtbaren Denkens von Velazquez. Sollte das Unsichtbare also manchmal sichtbar sein? Dies ist möglich unter der Voraussetzung, dass das Denken ausschließlich aus sichtbaren Gestalten besteht. Es ist auch offensichtlich, dass ein gemaltes Bild – das von Natur aus unberührbar ist – nichts verbirgt, während das berührbare Sichtbare unausbleiblich ein anderes Sichtbares verbirgt – wenn wir unserer Erfahrung Glauben schenken dürfen.203 An anderer Stelle des Briefes heißt es: So möchte das Kalligramm die ältesten Gegensätze unserer alphabetischen Zivilisation überspielen: zeigen und nennen; abbilden und sagen; reproduzieren und artikulieren, nachahmen und bezeichnen; schauen und lesen.204 Abb. 15: René Magritte, Ceci n'est pas une pipe, (Les Deux Mystéres), 1966, Radierung auf Velin 18,0 x 13,0 cm (Blatt 28,0 x 27,6 cm), 1/77. 202 203 204 M. Foucault: Dies ist keine Pfeife, 29. Ebd., 55 und 56. Zu Las Meninas siehe Abb. 34, unten, 115. M. Foucault: Dies ist keine Pfeife, 13. 62 Magritte legt hier offen, welche Fragen er sich in Bezug auf das Verhältnis von Bild und Sprache bzw. von Objekt, Bezeichnung und Repäsentation stellt. Seine Bilderfolge Trahison des images, zu denen auch das berühmte Gemälde Ceci n'est pas une pipe gehört, legt Zeugnis ab von den Antworten, die er mit künstlerischen Mitteln darauf gab. «Es gibt da Denken, das sieht und das sichtbar beschrieben werden kann» - mit diesem Satz setzt er die Malerei nicht nur der Sprache, sondern dem Denken gleich, allerdings mit der ebenfalls geäusserten Einschränkung, dass das Unsichtbare nur dann sichtbar – ersichtlich – gemacht werden könne, wenn Denken in Figurationen von Sichtbarkeit bestünde. Dieses Argument nimmt Foucault in seinen Ausführungen nicht auf, er bezieht sich vielmehr auf den Begriff des ‘Kalligramms’205 und untersucht Magrittes Vorgehen, Ähnlichkeit und Gleichartigkeit gegeneinander auszuspielen. Das Kalligramm, so der Philosoph, das «den Dingen die Falle eines zweifachen Zeichensystems» stellt, nähere Text und Zeichnung einander an und nütze die Besonderheit der Buchstaben, gleichzeitig lineare, in einem Bildraum verteilbare Elemente und Zeichen einer Lautkette zu sein, welche die Wörter schriftlich festhalten. Magritte bewahre nun, so Foucault, von dieser kaligrammatischen Vergangenheit diese doppelte Zeichenhaftigkeit der Buchstaben. Der Text «Ceci n’est pas une pipe» besage, dass «dies keine Pfeife ist», da er jedoch innerhalb des Bildes an der Stelle stehe, an der Bildlegenden angebracht seien, werde er zu Benennung des dargestellten Gegenstandes, so dass scheinbar eine traditionelle Aufgabenteilung von Zeigen und Sagen stattfinde. Das Trügerische dieser Annahme liege nun eben darin, dass die Wörter Bilder von Wörtern seien. Dadurch entstehe eine mehrfache Paradoxie: Als Titel benenne die Schrift einen Gegenstand, der nicht dieser lapidaren Art von Benennung bedürfe, da er in unmissverständlicher Ähnlichkeit eine Pfeife abbildet, gleichzeitig spreche der Text aber dem Gegenstand den Namen ab und lasse offen, worauf sich das «dies» beziehe. Das Demonstrativpronomen könne sich auf die dargestellte Pfeife oder auf sich selbst zielen, denn beides seien ja keine Pfeifen sondern im ersten Fall eine Abbildung und im zweiten eine sprachliche Aussage über einen Gegenstand, der selbst nicht präsent sei. Foucault deckt noch eine dritte Funktion des «dies» auf. Sie hat damit zu tun, dass Abzeichnen und Bezeichnen sich in diesem Bild nicht wie in einem Kalligramm decken und so dass «dies» sich auf das Insgesamt von Gegenstandsbild und Schriftbild beziehen könne. Dadurch entstünde eine weitere paradoxe Situation, denn indem er [Magritte, AT] die Zeichnung der Pfeife und die Aussage, die ihr als Legende dient, auf die klar abgegrenzte Oberfläche einer Tafel setzt (sofern es sich um eine Gemälde handelt, sind die Buchstaben nur das Bild von Buchstaben; sofern es sich um eine Schultafel handelt, ist die Figur nur die didaktische Verlängerung eines Diskurses), indem er diese Tafel auf einen Tri-eder aus massivem und festem Holz stellt, tut Magritte alles, um (durch die Ewigkeit eines Kunstwerks oder durch die Wahrheit des Unterrichts) den gemeinsamen Ort von Bild und Sprache wiederherzustellen.206 Hier wäre noch anzumerken, dass, genau so wie die Buchstaben nur das Bild von Buchstaben auch der Tri-eder aus Holz nur das Bild eines solchen ist. Und auch die Pfeife, die über der Szene schwebt, als wäre sie die Sache, auf die sich die Tafelzeichnung bezieht, ist ebenfalls keine Pfeife, sondern nur ein Abbild davon. Eine weitere Paradoxie liegt außerdem darin, dass Magritte gerade durch die Herstellung des gemeinsamen Ortes von Bild und Sprache die sichtbare Fremdheit von Schrift und Figur aufdeckt. Indem er die Elemente des Schriftlichen und des Figürlichen trennt und die Beziehung zwischen Bild 205 206 Ein Kalligramm ist ein Figurengedicht mit literarischer und optischer Aussage. M. Foucault: Dies ist keine Pfeife, 21 und 22. 63 und Sprache verneint, trennt er Ähnlichkeit und Affirmation. Gleichzeitig löst er Ähnlichkeit von Gleichartigkeit. «Die Ähnlichkeit hat einen «Patron»: ein Original, das von sich aus sämtliche Kopien beherrscht und hierarchisiert, welche man von ihm herstellen kann und welche sich immer weiter von ihm entfernen,» schreibt Foucault und setzt das Gleichartige dagegen, das sich «in Serien [entfaltet], die weder Anfang noch Ende haben, die man in dieser oder jener Richtung durch laufen kann, die keiner Hierarchie gehorchen.»207 In Bezug auf das Abgebildete liegt der Funktionsunterschied zwischen ihnen darin, dass die Ähnlichkeit der Repräsentation, die Gleichartigkeit jedoch der Wiederholung dient. Nach einigen Ausführungen zu anderen Bildern Magrittes, in denen Foucault Magrittes Spiel mit den Begriffen aufnimmt, sagt Foucault: «Kehren wir zurück zu jenem Pfeifenbild, das einer Pfeife so sehr ähnelt; zu jenem Text, der so genau der Abbildung eines geschriebenen Textes ähnelt», um fortzufahren: Gegeneinander ausgespielt oder auch nur nebeneinander gestellt, dementieren diese Elemente die innere Ähnlichkeit, die sie in sich zu tragen scheinen, und allmählich zeichnet sich ein offenes Netz von Gleichartigkeiten ab. Offen nicht auf die «wirkliche» Pfeife hin, die in all diesen Bildern und Wörtern abwesend ist, sondern offen auf all die anderen gleichartigen Elemente hin (einschließlich aller «wirklichen» Pfeifen aus Erde, Schaum oder Holz), die in diesem Netz die Stelle und Funktion von Trugbildern innehaben.208 Indem Magritte die Ähnlichkeit bis zum Äußersten treibt und gleichzeitig die Affirmation verneint, befreit er die Malerei vom ‘als ob’. Foucault schließt seine Ausführungen zu Magrittes «Ceci n’est pas unde pipe» von 1926 mit einer perspektivischen Linie in die Zukunft hin: Eines Tages wird auch das Bild selbst, mitsamt dem Namen, den es trägt, durch die in einer Serie endlos übertragene Gleichartigkeit desidentifiziert werden.209 Der Philosoph weist nach, wie dicht das Geflecht von Bildern, Gedanken und Wörtern ist, das sich in einem einzigen Kunstwerk manifestiert und wie verwirrend reich an Bedeutung die Sichtbarkeit des Bildes vom Künstler gestaltet werden kann. Die Bildreflexion, die Magrittes Ceci n’est pas une pipe gerade durch die Integration von Schrift enthält, führt vor, wie die Realität der Malerei die Logik des Denkens in Zweifel ziehen kann. Das Denkbild des Malers Magritte – «er male nicht, um zu malen, und er male nicht, um sich selbst zur Sprache zu bringen, er male, um eine Wahrheit aufzuzeigen»210 – zeigt die Potenz des Bildes und gleichzeitig eine unauflösbare Interdependenz von Bild und Sprache. 8.2 Zum Beispiel: Joseph Kosuth: Absage an die Philosophie In einem Text aus dem Jahr 1972 von Joseph Kosuth, dem Hauptvertreter der Konzeptkunst, findet sich ein deutlicher Beleg für die Einwände von Künstlerinnen und Künstlern gegen die definitorische Macht der Philosophie über die Kunst. Bereits der Titel des 207 208 209 210 Ebd., 40. Ebd., 43. Ebd., 52. Andy Warhol löste diese Voraussage ein, man denke etwa an die 32 Siebdrucke umfassende Serie der Campbell- Suppendosen von 1962. Zitiert nach: U. M. Schneede: Geschichte der Kunst, 96. 64 Aufsatzes Kunst nach der Philosophie211 ist als eine Reaktion auf Hegels Satz vom «Vergangenheitscharakter der Kunst»212 zu verstehen. In seinen Ausführungen plädiert Kosuth vehement für eine Trennung von Kunst und Ästhetik und argumentiert, dass «ästhetische Erwägungen [...] tatsächlich stets von außen an die Funktion oder die ‘raison d’être’ eines Objekts heran[treten].»213 Die Radikalität einer Position, die sich gegen die Philosophie richtet, in sich selbst jedoch nicht anders als philosophisch argumentiert, ist bemerkenswert. Dass sie eine als Gegnerschaft wahrgenommene Beziehung zwischen Kunst und Philosophie aus Sicht eines Künstlers exemplifiziert, zeigt das folgende Zitat: In this period of man, after philosophy and religion, art may possibly be one endeavour that fullfills what another age might have called «man’s spiritual needs.» Or, another way of putting it might be that art deals analogously with the state of things «beyond physics» where philosophy had to make assertions. And art’s strength is that even the preceding sentence is an assertion and cannot be verified by art. Art’s only claim is for art. Art is the definition of art.214 Die Deutlichkeit, mit der sich Kosuth auf Hegel bezieht, ist unübersehbar, dreht er doch dessen Schlussfolgerung um, dass Religion und Kunst ihre gesellschaftlichen und identitätsstiftenden Bedeutungen verloren hätten215 und spricht der Kunst den privilegierten Stellenwert zu, geistige Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Damit wird die Kunst von künstlerischer Seite wieder eingereiht in die «wenigen eigenständigen schöpferischen Möglichkeiten und zuweilen Notwendigkeiten des menschlich-geschichtlichen Daseins.»216 Außerdem hebt Kosuth hervor, dass Kunst ein den (hier mit «state of things» nicht näher umschriebenen) Zuständen analoger Ausdruck sei, der von Philosophie und Sprache nicht eingeholt werden könne. In diesem Argument steckt die Emanzipation des Künstlers/der Kunst von der Sprache und der Fremddefinition sowie der Anspruch auf das Primat des Zeigens über das Sagen, was er außerdem durch sein wohl berühmtestes Werk One and Three chairs von 1965 belegt. Es besteht aus der dreifachen Repräsentation eines Stuhles und zeigt einen Stuhl als reales Objekt, die Fotografie dieses realen Objektes und in einer Vergrößerung einen lexikalischen Eintrag zum Stichwort ‘Stuhl’. Es enthält demzufolge eine Abbildung einer physisch erfassbaren, einer nur sichtbaren und einer nur les- bzw. denkbare Form der allgemeinen Vorstellung ‘Stuhl’. Kosuth stellt so die Erscheinungsform des Begriffs ‘Stuhl’ zur Diskussion indem er ihn als Gegenstand, als Abbild und als sprachliche Definition vorführt und damit die Beziehung zwischen einem Objekt, seiner Erscheinungsweise und der Vorstellung reflektiert. In seinem Werk One and three frames (Abb. 16) wendet er das gleiche Verfahren an. In diesem Werk werden drei verschiedene Zustände eines Rahmens gezeigt: Ein einfacher Holzrahmen, die Fotografie dieses Rahmens und die Vergrößerung eines lexikalischen Eintrags zum Stichwort ‘Frame’. Damit bezieht sich Kosuth auf ein Objekt, das bei der Malerei eine große und oft diskutierte Rolle spielt und zugleich auf eine Metapher, die sowohl kunsttheoretisch und soziologisch gedeutet werden kann: 211 212 213 214 215 216 J. Kosuth: Kunst nach der Philosophie, 75–100. Es kann angenommen werden, dass Danto die Erstveröffentlichung dieses Textes in Studio International vom Oktober 1969 kannte. Siehe unten, 143, Anmerkungen 36. J. Kosuth: Kunst nach der Philosophie, 81. Ebd., 97. Vgl. G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, 170. M. Heidegger: Einführung in die Metaphysik, 7. 65 Der Rahmen, die in sich zurücklaufende Grenze eines Gebildes, hat für die soziale Gruppe sehr ähnliche Bedeutung wie für ein Kunstwerk. An diesem übt er die beiden Funktionen, die eigentlich nur zwei Seiten einer einzigen sind: das Kunstwerk gegen die umgebende Welt ab- und es in sich zusammenzuschließen; der Rahmen verkündet, dass sich innerhalb seiner eine nur eigenen Normen untertänige Welt befindet, die in die Bestimmtheiten und Bewegungen der umgebenden nicht hineingezogen ist; indem er die selbstgenügsame Einheit des Kunstwerks symbolisiert, verstärkt er zugleich von sich aus deren Wirklichkeit und Eindruck.217 Abb. 16: Joseph Kosuth, One and Three Frames, 1965, Installation mit Objekt, Fotografie und Druck, variable Maße. Rahmenfunktionen, eine tatsächliche und eine metaphorische, treffen sowohl auf die Kunsttheorie als auch auf Theorien zum Status des Künstlers sowie auf die Werke der Konzeptkunst zu. So grenzt sich Konzeptkunst dadurch vom den bisherigen Kunstverständnis deutlich ab, dass die Idee eines Werks wichtiger ist als dessen Ausführung. Damit sprengte sie den Rahmen bisherigen Werkverständnisses noch weiter, als dies Duchamp bereits getan hatte, indem jetzt ein Objekt nicht mehr physisch vorhanden sein musste, um doch als Werk zu gelten. Die sinnliche Erfahrbarkeit eines Werks konnte sogar wegfallen, dafür waren Mitdenken und Vorstellungskraft und imaginiertes Nachvollziehen notwendig, um ein Werk überhaupt zu erfassen. Dass sich Kosuth, der 1969 zum amerikanischen Herausgeber der Art & Language-Publikationen218 berufen wurde, dieser Mehrdeutigkeit des Rahmen-Themas bewusst war, kann daraus geschlossen werden, dass er in seinem ersten Artikel als Redaktor über Conceptual Art schrieb This conceptual art then, is an inquiry by artists that understand that artistic activity is not solely limited to the framing of art propositions, but further, the investigation of the function, meaning, and use of any and all (art) propositions, and their consideration within the concept of the general term ‘art’.219 Für Kosuth war die Idee ‘Kunst’ grundsätzlich sprachlicher Natur, aber nicht sprachlicher Struktur. Die Lebensfähigkeit der Kunst hänge davon ab, so Kosuth, dass sie keinen 217 218 219 Georg Simmel, zitiert nach: Rüdiger Zill, in: R. Konersmann (Hg.): Wörterbuch, 137. Art und Language war eine lose anglo-amerikanische Künstlergruppe, die sich in den späten 1960er und frühen 1970er Jahre formierte. Die Art & Language-Press wurde 1968 in England gegründet. Vgl. T. Atkinson u.a. (Hg.): Art and Language, 11. J. Kosuth: Art after Philosophy, 104. 66 Dienst leiste und gerade keine philosophische Haltung einnehme.220 Eine Aussage, die in Anbetracht der zitierten Werke Three chairs und Three Frames nicht auf Anhieb zu akzeptieren ist, könnte man sie doch vorschnell als Illustrationen zu Platons Ideenlehre betrachten. Doch Kosuth zielt auf dem Hintergrund, dass der einzigartige Charakter der Kunst in ihrer Fähigkeit beschlossen sei, von philosophischen Urteilen ungerührt zu bleiben, auf das Denken direkt. Es gehöre zu den Aufgaben des Künstlers, sich dieser Natur der Kunst, die keinen Dienst leiste, bewusst zu sein, sie zu reflektieren und selbst nach Artikulationsmöglichkeiten dafür zu suchen um die Abhängigkeit von Kunsttheoretikern und Kunstkritikern aufzuheben. Und so führt er das oben aufgeführte Zitat weiter: And as well, that an artist’s dependence on the critic or writer on art to cultivate the conceptual implications of his art propositions, and argue their explication, is either intellectual irresponsibility or the naivest kind of mysticism.221 Das Fragen nach dem Wesen und der Funktion von Kunst bestimmt für Kosuth geradezu den Wert eines Künstlers. Hierin folgt er Duchamp, in dessen Readymades er diese Fragen zum ersten Mal eindeutig gestellt sieht und von dem er sagt: «In fact it is Marcel Duchamp whom we can credit with giving art its own identity.»222 Diese Identität der Kunst liegt darin, dass sich ein Wandel weg von der Erscheinungsform und hin zur Konzeption vollzogen hat. Da für Kosuth Kunst in Analogie zu Sprache beschrieben werden kann, bedeutet der Wandel auch weg von der Form der «Sprache der Kunst» hin zum Gesagten. So sind zum Beispiel Stile nicht auf physische oder optische Qualitäten zu reduzieren, sondern sie werden als ‘Sprachen’ verstanden, die nur danach zu beurteilen sind, ob sie der Konzeption von Kunst etwas hinzufügen, was vorher nicht vorhanden war. So wird die Konzeption von Kunst zu deren Wesentlichem und Kunstwerke stellen lediglich analytische Vorschläge (propositions) dar, die keinerlei Informationen über irgendwelche Tatsachen liefern – die Absage an figurative oder subjektiv-expressive Kunst ist somit total – ja, ein Kunstwerk stellt ausschließlich die Intention eines Künstlers und sich selbst dar. 8.3 Zum Beispiel Rosemarie Trockel: Leiblichkeit und Begrifflichkeit Beim Werk Cogito ergo sum (Abb. 17) von Rosemarie Trockel handelt es sich um ein sogenanntes Strickbild, das die Künstlerin nach einem von ihr erstellten Computerprogramm maschinell herstellen liess. Es zeigt eine helle, gestrickte Fläche, in die der Satz «Cogito ergo sum» und ein schwarzes Quadrat eingearbeitet sind. Damit eröffnen sowohl das faktische Bildmaterial und die Herstellungsweise als auch das Wort- sowie das Bildzitat von René Descartes (Cogito ergo sum) und Kasimir Malewitsch (Das schwarze Quadrat) ein vielschichtiges Referenzsystem. Auf diese Art wird ein Dialog zu tradierten philosophischen und kunstgeschichtlichen Positionen aufgenommen und aus feministischer Sicht kommentiert. Der Ausdruck der Emanzipation der Kunst von der Philosophie geht in diesem Werk einher mit einer ins Parodistische gewandelten Überwindung traditionell männlich bestimmter und männlich besetzter Theorien, seien sie philosophischer, künstlerischer oder genderspezifischer Art. 220 221 222 Ebd., 97. Ebd., 104. Ebd., 84. 67 Dantos Frage, ob die seit Platon vollzogene Reduktion der Kunst auf ästhetisch ansprechende und rhetorisch lesbare Darstellungen nicht in Analogie zur Reduktion von Frauen auf Haus, Herd und Gefühl gesehen werden könne,223 scheint hier in diesem Kunstwerk aufgegriffen worden zu sein. Mit Aussagen wie dieser wird allerdings eine Interpretation vorweggenommen, die sich erst aus der Analyse der einzelnen Bildelemente und ihrer Relationen zum Bildganzen, dem Bildinnenraum, sowie zu deren allgemeinen Bedeutungen ergibt. Die Argumente dazu werden im Folgenden dargestellt. Abb. 17: Rosemarie Trockel, Cogito ergo sum, 1988, gestrickte Wolle auf Leinen, 210 x 160 cm, (ed. 3/3), Tilburg, De Pont Museum. 8.3.1 Die Materialität Die Materialität eines Bildes, sein Bildkörper, ist immer mit Bedeutung besetzt. Ob ein Bildhintergrund wie bei Giotto di Bondone mit kostbarem Lapislazulipigment ausgelegt ist oder wie bei Antoni Tapiès aus gefärbtem Sand oder Zement besteht – er löst eine primäre Konnotation aus, erzeugt stilistisch und emotional Wirkung. Wenn nun Trockel ihr Werk stricken lässt, so verschränkt sie damit verschiedene ästhetische Diskurse. Zum einen denjenigen, der das Stricken der häuslichen Sphäre zuordnet und höchstens im Rahmen des im 19. Jahrhundert feminisierten Kunstgewerbes akzeptierte oder akzeptiert.224 Zum andern schließt sie mit einer computergestützten Bildgenerierung und der maschinellen Herstellung an die theoretische Position Duchamps an, der die künstlerische Autorschaft 223 224 Vgl. A.C. Danto: Philosophical Disenfranchisement, 21 bzw. oben, 60. Vgl. B. Engelbach: Rosmarie Trockel, Gegensätze und Ähnlichkeiten, 33. 68 eines Werks nicht in der manuellen Herstellung sondern in der Auswahl eines Gegenstandes und im Konzept begründet sieht. Auf die Frage nach der Wahl des Materials Wolle, das sie in vielen andern Werken auch verwendet, antwortet Trockel: Die Frage interessiert mich, warum früher oft Ausstellungen von Künstlerinnen schlecht waren, warum sie Materialien nehmen aus Heim- und Herdbereich usw. Deshalb das typische und belastete Material: Wolle. Ich will wissen, ob das negative Klischee überwunden werden kann, wenn der handwerkliche Aspekt aus dem ganzen Komplex herausfällt, wenn das Strickmuster vom Computer gesteuert entsteht. Ich wollte wissen, woran es liegt, dass eine Arbeit früher und heute oft von Frauen als peinlich eingestuft wird, ob das von der Umgehensweise mit dem Material abhängt oder ob das wirklich an dem Material liegt.225 Der materielle Körper des Bildes, der in der Regel nur als Bildhintergrund wahrgenommen wird, ist hier nicht nur notwendige Grundierung, sondern Bedeutungsträger per se und wird somit zur Bildoberfläche, in der Textur gleichbedeutend wie die Schrift und die Fläche. Oder anders formuliert: Die Wahl des Materials ‘Wollfaden’ ermöglicht die Aufhebung der Trennung von Bedeutungsträger und Bedeutung, von wichtiger und unwichtiger Aussage, von Bildkörper und Bildsinn. Alles ist mit dem gleichen Faden gestrickt, nur dessen Färbung bringt verschiedene visuelle Eindrücke zustande. Assoziationen zum mythologischen Faden der Ariadne oder zu Metaphern wie ‘Verstrickt sein’ oder ‘am gleichen Strick ziehen’ drängen sich auf, Ausdrücke, die alle in metaphorische Bezüge zu den Verhältnissen von Kunst und Philosophie sowie Gendertheorie gesetzt werden können. Auch von philosophischer Seite wurde dem Stricken als Technik (die um 1800 ausschließlich zur Herstellung von Strümpfen verwendet wurde) eine metaphorische Bedeutung zugesprochen. Im Zusammenhang mit den beiden eingestrickten Zitaten ist sie von besonderer Aussagekraft ist, heißt es doch: Das Stricken, die Maschenware, jene nicht mehr aus mindestens zwei Fadensystemen, sondern im Idealfall sich nur aus einem stets auf sich selbst zurückgebogenen, stets auf sich selbst reflektierenden Faden erzeugten Stoffe und Kleidungsstücke erobern neben dem Anzug die moderne Bekleidungsproduktion. Schon die Philosophen des deutschen Idealismus hatten das Selbstbezüglichkeitspotential des Strickens erkannt.226 Diese Selbstreferenzialität, die bereits im unendlichen Wollfaden des Strickwerks gesehen werden kann, ist denn auch die Eigenschaft, die hier alle Bildelemente verbindet und ebenso für die zwei eingestrickten Zitate Gültigkeit hat. 8.3.2 Das Textzitat Cogito ergo sum – ich denke, also bin ich. Dieser Satz – wohl einer der berühmtesten in der Philosophiegeschichte – steht für die Gewissheit, dass nur der Akt des Denkens die Existenz des Subjekts beweist, da alle Sinneseindrücke Täuschungen sein können. Er beendigt die radikalen Zweifel, mit welchen Descartes sein Nachdenken über eine sichere Grundlage der Philosophie einleitet. Mit der Negation der Wahrheit von Sinnesempfindungen geht die Negation der Realität von Körpern einher. Das Cogito steht somit für einen absoluten Rationalismus und rigorosen Dualismus von Körper und Geist.227 Die Bedeu225 226 227 Zitiert nach: M. Laue: Wahre Weibeskünste, 56. E. Harlizius-Klück: Weben, Spinnen, in: R. Konersmann (Hg.): Wörterbuch, 514. Ursula Pia Jauch nimmt Trockels Strickbild zum Anlass einer rationalismuskritischen Stellungnahme, in der das Kunst-Werk dem Denk-Werk gleichgesetzt wird. Vgl. U.P. Jauch: Creo ergo sum. 69 tung des Satzes enthält jedoch, wie der Wollfaden des Strickens, eine Selbstbezüglichkeit, da er ein Denken über das Denken sowie eine Selbstvergewisserung, die vom Ich des Subjekts ausgeht, zum Ausdruck bringt. In Trockels Bild wird die Ernsthaftigkeit dieser Aussage allerdings durch die Typographie, eine krakelig wirkende Schrift, in Frage gestellt. Die sichtbare Form des Satzes und sein unsichtbarer Inhalt sind nicht kongruent. Doch die Sichtbarkeit der Schrift wirkt unmittelbarer als das, was das Geschriebene bedeutet, so dass das Video vor das Cogito tritt – ein Befund, der auf die grundlegende Bedeutung des Wahrnehmens und der Sinnlichkeit für das Denken und für die Begrifflichkeit verweist.228 8.3.3 Das Bildzitat Abb. 18: Kasimir Malewitsch, Schwarzes Quadrat, 1915, Öl auf Leinwand, 79 x 78,9 cm, Moskau, TretjakowGalerie. Während das Descarteszitat auf den Vorrang des Denkens gegenüber der Empfindung und damit implizit auch auf den Vorrang der Philosophie gegenüber der Kunst referiert, bezieht sich das Zitat von Kasimir Malewitsch Das schwarze Quadrat (Abb. 18) auf die geistige Kraft der Kunst. Malewitsch, der Schöpfer des Suprematismus, entwickelte – in den Jahren nach 1910 – nach einer von allen gegenständlichen Bezügen oder Erinnerungen freien, absoluten Malerei. Malewitschs Programm des Suprematismus suchte die Schönheit mathematischer Formen mit leidenschaftlichen Gefühlen zu verbinden, Darstellungen aus Farben und Formen, also aus rein bildnerischen Mitteln, sollten an Stelle mimetischer Abbildungen treten und noch vor der (abstrakten) Darstellung stand für Malewitsch die «Suprematie der Empfindung».229 Das Bild Schwarzes Quadrat entstand 1913 und wurde 1915 in St. Petersburg zum ersten Mal ausgestellt. Von größter Bedeutung war dabei, dass das Werk im Ausstellungsraum an denjenigen Platz gehängt wurde, den sonst Ikonen – Vergegenwärtigungen des 228 229 Vgl.: R. Descartes: Meditationen. In II.6 und II.8 wird das Subjekt als res cogitans bezeichnet und die Idee formuliert, die dann im Satz cogito ergo sum ausgedrückt ist. Der Satz selbst steht erst in der Schrift von 1644. Vgl. L. Wiesing: Phänomene, 79. K. Ruhrberg: Abstraktion und Wirklichkeit, 162. 70 Göttlichen und keine Abbilder von Realität – einnahmen. Malewitschs Werk, dem damit einen – im wahrsten Sinne des Wortes – überhöhten Stellenwert zugesprochen wurde, «zeigt eine Anordnung zweier farbneutraler Flächen in einfachster Konstellation» schreibt Uwe M. Schneede und fährt fort: Es ist die unvergleichliche abbildlose Konzentration spiritueller Möglichkeiten. Damit haben strenggenommen bereits 1915 die internationalen Avantgarden einen Endpunkt erreicht: keine Bezüge mehr zur sichtbaren Wirklichkeit, reine Darstellung der bildnerischen Mittel, höchste Einfachheit und Verinnerlichung, stärkster Anspruch an die geistige Aktivität des Betrachters.230 Die Werke des Suprematismus und so auch Schwarzes Quadrat verweisen auf nichts außerhalb ihrer selbst und sollen gerade dadurch in den Betrachterinnen und Betrachtern Emotionen und Gedanken auslösen. Trockel, in deren Gesamtwerk die Gegenüberstellung von (weiblichem) Körper und (männlichem) menschlichem Geist in vielfältiger Darstellungsform nachweisbar ist,231 geht von einer Kritik an einem Kunstbegriff aus, «der Kunst als rein formale Systeme bestimmt, die von dem sozialen Kräftefeld des Künstlers völlig unabhängig existieren.»232 Dies bedeutet unter anderem, dass die Wahl des Materials Wolle bereits als Aussage zum Begriff und zur männlich bestimmten Geschichte der Kunst zu verstehen ist. Das Werk Cogito ergo sum zeigt, indem es mit künstlerischen Mitteln Logos (Descartes-Zitat), Geistigkeit (Malewitsch-Zitat) und Leiblichkeit (Bildmaterial und Bildkörper) miteinander verbindet oder eben verstrickt, dass zwischen diesen Bereichen eine unaufknüpfbare Wechselbeziehung besteht. Eine Aufhebung dieser Beziehungen gelänge nur auf Kosten des ganzen Bildes, das aufgelöst werden müsste. Der Logos wird mit diesem Werk nicht mehr als Maß aller Dinge und als oberste Instanz betrachtet, sondern er ist, das Bild Cogito ergo sum macht das sehr deutlich, verstrickt mit einer Körperlichkeit. Kunst und Philosophie, auch das zeigt dieses Bild, sind schon deswegen keineswegs austauschbar, weil Zeigen und Sprechen nicht ohne Auslassungen oder Akzentverschiebungen ineinander überführt werden können. Auch gipfle die sinnliche Erfahrung von Kunst nicht in der Erfassung dieser oder jener Bedeutung, schreibt Gudrun Inboden in einem Essay zu Paradigmen eines postmodernen Denkens und fährt fort: Da sie «Vision» ist, lässt sie sich vom leiblichen – stummen – Logos nicht trennen; allenfalls kann man sie in den begrifflichen übersetzen, weshalb Interpretationen immer wie eine zweite Sprache anmuten, die nur unvollkommen beherrscht wird.233 Der leibliche Logos der Kunst bleibt auch dann stumm, wenn er, wie die drei betrachteten Beispiele, Sprache in Form von Schrift enthält. Indem ein Werk jedoch schriftliche Aussagen integriert, bringt es eine Leistungs- und Wirkungsmächtigkeit zum Ausdruck, die sich nicht sagen, sondern nur zeigen lässt. In Trockels Werk nun ist die Leiblichkeit des Bildkörpers ebenso bedeutungsrelevant wie die Begrifflichkeiten, die mit den dargestellten Schrift- und Bildmotiven evoziert werden. Auf diese Weise verbindet die Künstlerin einen erkenntniskritischen Kommentar zum Verhältnis von Kunst, Philosophie und Kunsttheorie mit einem Kommentar zur Genderfrage in der Kunst. 230 231 232 233 U.M. Schneede: Geschichte der Kunst, 35. Vgl. M. Diacono: Rosemarie Trockel, 126. Ebd. Vgl. G. Inboden: Leiblicher Logos, 13–27. 71 9. Der Bildtitel Innerhalb des Verhältnisses von Bild und Sprache nimmt der Bildtitel eine Sonderstellung ein. Diese ist gekennzeichnet durch eine reziproke Kausalität, ist doch das Bild ursächlich für den Titel, der wiederum auf das Bild zurück wirkt, indem er die Sichtweise beeinflusst und damit ursächlich sein kann für das vermittelte Verstehen des Bildes. So gehört der Titel immer zu einem Bild, aber muss ein Bild immer einen Titel haben? Künstlerinnen und Künstler des 20. Jahrhunderts haben sich mit dieser Frage beschäftigt und, indem sie explizit auf den Titel verzichteten, diesen Verzicht jedoch benannten, eine paradoxe Lösung dafür gefunden: ‘Ohne Titel’ heißt der Titel, der keiner sein will. Die Frage nach dem Titel, nach seiner Art Weise, ob er, wenn überhaupt, deskriptiv sein oder sich auf formale Angaben beschränken soll, stellt sich auf dem Hintergrund des Wissens um die Bedeutung der Titelformulierung. Denn diese sagt nicht nur direkt etwas über den Kontext aus, in dem die Titelgebenden ein Werk verstanden wissen wollen, sondern sie weist gleichzeitig indirekt auf die kunsttheoretischen Grundlagen, die dem Werk zugrunde liegen. Der Titel steht also auch auf der Schwelle zwischen gezeigter Bild- oder Kunsttheorie und dem sprachlich veräußerten (oder verdeckten) Bewusstsein darüber, denn jedes Bild stellt nicht nur das Dargestellte, sondern immer auch sich selbst und seine Bedingungen dar – auch darüber kann der Titel berichten. ‘Dazwischen’ ist denn auch das Wort, das die Beziehung des Titels in Bezug auf Bild und Sprache ganz grundsätzlich charakterisiert. Nicht nur, dass der Titel zwischen den Medien Bild und Text steht, sondern er befindet sich auch zwischen dem Bild und dessen Umgebung, ist mehrfach intermedial. Insofern der Titel Aspekte des Bildes beschreibt, nimmt er Teil an ihm und steht doch in der Regel außerhalb. Auf diese Weise vermittelt er zwischen dem Bildinnenraum zu dem er gehört und dem Bildaußenraum, an den er sich wendet. Aus sprachphilosophischer Sicht steht der Titel zwischen zwei Zuordnungen. Er ist ein Eigenname, insofern er etwas Einzelnes und Individuelles bezeichnet und insofern er als Behauptungssatz verstanden wird.234 Gleichzeitig ist in diesem Eigennamen immer der Gattungsname (‘Bild’, ‘Kunstwerk’) implizit enthalten bzw. mitgemeint. Und zudem sind oft andere Gattungsnamen (‘Baum’, ‘Komposition’) Teil von ihm. So kommt Danto im Zusammenhang mit der Frage nach dem Unterschied eines Alltagsobjekts (wie etwa einer Waschmittelverpackung) und einem Kunstobjekt (wie etwa Andy Warhols Brillo-Box, die ein genaues Abbild einer Waschmittelverpackung darstellt) zum Schluss, dass es der Titel ist, der die Verwandlung – «die Verklärung des Gewöhnlichen»235 – bewirkt. Es ist der Akt der Betitelung, der das Alltagsobjekt aus dem trivialen Zusammenhang nimmt und es in den Kunstkontext überführt. Erst durch den Titel wird deutlich, so Danto, dass das Objekt nicht nur in seiner Alltagsfunktion vorhanden und zum Gebrauch bestimmt, sondern in ideellem Sinn auf etwas außerhalb seiner selbst bezogen ist und damit die Kriterien eines Kunstwerks erfüllt.236 Der Titel kann also gleichsam wie ein Rahmen verstanden werden, der die Grenzen zwischen dem Bild und seiner Umgebung festsetzt, doch gleichzeitig auch zwischen diesen beiden vermittelt. Indem er trennt und verbindet ist er ein Ort des Übergangs, eine Schwelle zwischen dem ikonischem Bild und dem Bild als Sprache und markiert einen ersten Schritt zur Hermeneutik des Bildes. Diese «fragt nach dem Verhältnis von Bild und Wort oder, anders ausgedrückt, nach dem sowohl konvergenten als auch 234 235 236 G. Frege: Über Sinn und Bedeutung, 34. A.C. Danto: Verklärung des Gewöhnlichen, 19–20. Vgl. ebd., 20. 72 widersprüchlichen Verhältnis zwischen so etwas wie ‘Bildsprache’ und der verbalen Sprache der Verständigung» formuliert Boehm in seiner Studie zur Hermeneutik des Bildes.»237 Der Bildtitel bietet Anhaltspunkte zum Kontext dieses Verhältnisses und stellt selbst einen ersten Schritt zwischen der ‘Bildsprache’ und der verbalen Sprache dar. Somit kann der Titel als erstes Interpretament aufgefasst werden, das sich durch eine ganz besondere Nähe zum Bild auszeichnet. Abb. 19: James Abbott MacNeill Whistler, Arrangement in Grau und Schwarz No. 1, 1871, Öl auf Leinwand, Paris, Musée d'Orsay. In der Praxis der Bildbetrachtung nimmt der Titel zudem eine vermittelnde Funktion zwischen dem Werk und dem Publikum ein. Er kann die Bilderfahrung lenken, Erwartungen wecken und bestätigen oder Bildeindrücke negieren. Somit lässt sich der Titel auch zwischen Sinn und Bedeutung lokalisieren, denn er kann entweder das, was das Bild darstellt oder dessen Bedeutung bezeichnen, hebt also den Unterschied nicht auf, sondern steht auch hier dazwischen. Und wenn «jedes Bild seine Bestimmungskraft aus der Liaison mit dem Unbestimmten zieht»238 so legt der Titel, indem er immer nur wenige Aspekte eines Werks auszudrücken vermag, den Blick auf eine bestimmte Sichtweise fest. Der Titel unterstreicht damit, gerade weil das Bild sich ja nie auf Titelangaben reduzieren lässt, den Unterschied zwischen Bild und Sprache. So liefert jeder Titel ein Beispiel dafür, dass «Bilder ihren Sinn anders als Sprache explizieren».239 Auch Bätschmann weist auf die Macht sprachlicher Strukturen über die piktorialen hin, wenn er schreibt, dass «die Idee, die man sich vom Bild macht [...], korrelativ zur Idee [ist], die man sich vom Titel macht.»240 Diese Macht funktioniert wie ein Falle: Wenn die Sprache das maßgebende Referenzmedium bliebe, so müsste bei einer auftretenden Differenz zwischen Bild und Titel das Bild dem Titel entsprechen, nicht umgekehrt. Mit dieser Sprachfalle kann jedoch auch gespielt und eine Bilderwartung irregeleitet werden wie dies mit dem Titel Arrange237 238 239 240 G. Boehm: Hermeneutik, 444. G. Boehm: Wie Bilder Sinn erzeugen, 49. Ebd., 14. O. Bätschmann: Kunstgeschichtliche Hermeneutik, 25. 73 ment in Grau und Schwarz No. 1 zu einem Werk von James Abbott MacNeill Whistler (Abb. 19) geschieht. Aus heutiger Sicht lässt der von Whistler gewählte Titel eher an ein abstraktes Gemälde denken als an eine vor einer Wand sitzende weibliche Figur im Profil, wie sie im Bild dargestellt ist. Gerade dieses Beispiel macht deutlich, dass der Titel auch bei einem gegenständlichen Bild der Sichtbarkeit des Bildes und nicht nur dem Sichtbargemachten entsprechen kann, zeigt die Bildkomposition ja wirklich ein Arrangement in Grau und Schwarz, allerdings eines, das eine sitzende Frau im Profil vor einer Wand darstellt. Indem der Bildtitel also die Aufmerksamkeit auf die strenge Komposition lenkt, fungiert er ganz direkt als Sehanleitung. Ein Bildtitel hat natürlich auch ganz pragmatische, ebenfalls intermediale Funktionen. Dazu gehört die Vermittlung zwischen dem Werk und seinen potentiellen Käuferinnen oder Käufern. So kann ein Titel Rezeptionshilfe anbieten, ein Sehverständnis oder einen Wiedererkennungseffekt anregen, Neugier auslösen, das Publikum emotionalisieren oder skandalisieren und damit ebenfalls marktwirksame Aufgaben übernehmen. Dies entspricht einer neuen Aufgabe des Bildtitels, die im 20. Jahrhundert neben die deskriptive Bestimmung des Bildgegenstandes trat, denn im Hinblick auf die neuen, für das breite Publikum gewöhnungsbedürftigen Stile, ging es nun auch darum, (Kauf-) Interesse anzuregen. Dieser Aspekt führte geradezu zu normativen Vorgaben. So sollten kubistische Bilder «stets mit beschreibenden Titeln versehen werden, wie «Flasche und Glas», «Spielkarten und Würfel» um auf den Gegenstandsbezug des Kubismus hinzuweisen und dem Publikum die Assimilation der fremdartig anmutenden Bilder zu erleichtern.» 241 Doch wie entsteht der Bildtitel und zu welchem Zeitpunkt? Wer legt ihn fest? 9.1 Herkunft des Titels Es ist anzunehmen, dass sich die Titel nach der Wandlung der Bilder vom kultischen Gebrauch zum Sammlerstück verändert haben. Belting macht darauf aufmerksam, dass ursprünglich der Titel eines kultischen Bildes mit dem Ort des Kultes übereinstimmte oder auf seinen Ursprung hinwies, während ein theologischer Titel wie ‘Gottesmutter’ die Funktion eines Bildes ansprach.242 Doch seit wann gehört der Name der Künstlerin ebenso zum Titel wie das Entstehungsjahr, die Maßangaben und der Ort des momentanen Aufenthalts, wie dies in schriftlicher Form und in kunsthistorischem Kontext gehandhabt wird? Wäre der mündlich erwähnte Titel nur eine Reduktionsform davon? Dieser nennt traditionellerweise neben dem Namen des Künstlers nur sehr wenig. Entweder nimmt er Bezug auf den Auftraggeber und das Motiv (z.B.: Jan van Eyck, Rolin-Madonna), auf den Ort eines Ereignisses (z.B.: Pablo Picasso, Guernica) oder das dargestellte Ereignis (z.B.: Peter Paul Rubens, Grablegung) oder er wird durch das Publikum bzw. eine Debatte der Kunstkritik oder die Anregungen eines Kunsthändlers bestimmt (z.B.: Raffael, Schule von Athen bzw. Duchamp, Fountain). Kunstwissenschaftliche und kunsthistorische Studien zu solchen und ähnlichen Themen oder Fragen sind ebenso ein Desiderat wie eine generelle Systematik zur Entstehung von Bildtiteln oder zur Frage nach dem Zeitpunkt und den Grundlagen, nach denen ein Künst- 241 242 D.-H. Kahnweiler, zitiert nach T. Vogt: Untitled, 33. H. Belting: Bild und Kult, 24 bzw. 42. 74 ler sein Werk betitelt. Eine Ausnahme macht allerdings die Studie von Tobias Vogt zur Karriere unbetitelter Kunst.243 9.2 Autonome Titelsprache In den oben erwähnten Beispielen beziehen sich die Titel immer auf den Bildgegenstand, den sie bezeichnen oder paraphrasieren. Die Möglichkeit zur Veränderung der deskriptiven Titel entstand erst im 19. Jahrhundert, als eine Vielzahl von Traditionsbrüchen dazu führte, dass die Bedeutung eines Bildes nicht mehr unmittelbar verstanden werden konnte und sich die Titel in Bilderklärungen oder Verweise außerbildlicher Art verwandelten. Ein Beispiel dafür bietet der Titel Le Talisman.244 Dieser rekurriert entgegen der Erwartungen, die er auslöst, nicht auf den Bildgegenstand (es handelt sich um ein Landschaftsbild), sondern gibt die eminente Bedeutung wieder die dieses Gemälde für die Entwicklung der Malerei einer Künstlergruppe hatte. Ein Titel wie «Das große Glas oder die Braut von ihren Junggesellen nackt entblößt, sogar» von Marcel Duchamp verstärkt hingegen nicht nur die Rätselhaftigkeit eines ungegenständlichen Kunstwerks, das sich der Betrachtung an sich nur schwer erschließt, sondern eröffnet ein zusätzliches Assoziationsfeld, so dass die Distanz zwischen Bild und Sprache kaum mehr überbrückbar scheint. Mit der auch über die Titelgebung gewonnenen Autonomie bestimmen die Kunstschaffenden nun selbst, in welchen Bedeutungsfeldern sie ihre Werke ansiedeln wollten und erweiterten damit die Aussagemöglichkeiten über das Werk hinaus. Diese Bildtitel sind jedoch als Texte wiederum interpretationswürdig oder, wie in den Beispielen von Sérusier und Duchamp, einer Interpretation bedürftig, so dass sich die Komplexität der Interpretationszusammenhänge bzw. die Offenheit des Kunstwerks erhöht. Das Bild wird durch die Zugabe zu vieler oder zu unbestimmter Informationen im Titeltext in seiner Unbestimmtheit verstärkt, das Je-ne-sais-quoi – Ausdruck für die Unbestimmbarkeit der Kunst – kann sich unvermittelt auch auf den Inhalt des Titels beziehen. «Konnotation gegen unendlich»245 gilt für alle Verbindungen, in denen die Titel anderes enthalten als die vor dem Bild faktisch nachprüfbaren bzw. nachempfindbaren Inhalte. 9.3 Titelsuche Für den Abstrakten Expressionismus der 1940er und 1950er Jahre wurde die Titelfrage besonders virulent. Auf dem Hintergrund eines Naturverständnisses, das den Künstler und sein Werk mit einschloss und den Künstler «gleichzeitig zur gestaltenden Natur und zum Hervorbringer von Natur»246 machte, entstanden Bilder ohne sichtbaren Rekurs auf Figurationen oder Naturformen. Doch in unteren Bildschichten waren sie oft trotzdem vorhanden und zuweilen auch noch erkennbar.247 Dieses Oszillieren zwischen Natur und Abstrak243 244 245 246 247 Vgl. T. Vogt: Untitled. Siehe Abb. 27, unten, 97. So nennt Vogt ein Kapitel, in dem er die Titelgebung bei Duchamp untersucht. Vgl. T. Vogt: Untitled, 26–45. P. Joswig: Abstrakter Expressionismus, 27–33. Der dokumentarische Film Jackson Pollock von 1950, zeigt den Künstler während des Schaffensprozesses. Dadurch wird sichtbar, dass in den ersten Bildschichten figurative Formen dargestellt sind, die im Verlauf des weiteren Malaktes überdeckt werden. Vgl. ebd., 94–98. 75 tion kommt auch in den Bildtiteln zum Ausdruck. Excavation heißt zum Beispiel ein Werk von Willem de Kooning oder Autumn Rhythm: Number 30 eines von Pollock (siehe Abb. 12). Schon diese beiden Beispiele zeigen: Der Mehrdeutigkeit der Bildformen, die offen für Assoziationen und Projektionen sind, stehen Bildtitel gegenüber, die ebenfalls zu Assoziationen anregen, jedoch außerbildliche Momente konnotieren, also entgegen den selbstreferenziell sein sollenden Werken doch Bedeutung vermitteln. In Statements und programmatischen Gesprächen wurde das grundsätzliche Problem der Betitelung diskutiert. So auch im Rahmen der Sessions at Studio 35, an denen verschiedene Künstler und Künstlerinnen teilnahmen: Moderator Motherwell: The question is how to name what as yet has been unnamed. Moderator Barr: Do you think it is possible to enrich the painting by words? De Kooning: I think that if an artist can always title his pictures, that means that he is not always very clear. Lassaw: Lately, I have adopted the use of the names of stars or other celestial objects, similar to the way ships are named. Such titles are just names, and are not to imply that the constructions express, symbolize or represent anything. A work of art «is» like a work of nature. [...] Newman: I think it would be very well if we could title pictures by identifying the subject matter so that the audience could be helped. I think the question of titles is purely a social phenomenon. The story is more or less the same when you can identify them. I think the implication has one of two possibilities: (1) We are not smart enough to identify our subject matter, or (2) language is so bankrupt that we can't use it. I think both are wrong. I think the possibility of finding language still exists, and I think we are smart enough. Perhaps we are arriving at a new state of painting where the thing has to be seen for itself.248 Die Künstlerin Hedda Stern brachte das Problem auf den Punkt, indem sie eine grundsätzliche Sprachskepsis zum Ausdruck brachte: I think the titling of paintings is a problem. The titles a painter gives his paintings help to classify him, and this is wrong. A long poetic title or a number... Whatever you do seems a statement of attitude. The same thing if you give a descriptive title ... Even refraining from giving any at all creates a misunderstanding.249 Misstrauen gegenüber der Sprache – darunter lässt sich die Titelproblematik dieser Kunst der Moderne zusammenfassen. Die Sprache wird als Barriere empfunden, die den direkten Zugang zum Bild verstellt und dort eine Bildlektüre nahe legt, wo die Fähigkeit zu Sehen und nicht nur zum Wissen, das im Wiedererkennen bestätigt wird, verlangt ist. Eine Anekdote, berichtet von Clifford Still, einem wichtigen Vertreter des Abstrakten Expressionismus, gibt die Opposition von Sehen und Lesen bzw. Bild und Sprache wieder: Peggy Guggenheim apologized for not being a good interpreter for Breton (when she brought him down to my studio on Cornelia Street to see my work). «He is an intellectual and I am not», she said. Her apology and his confusion seemed to express the point so well. The intellectual was confused; the one who could see the pictures was not. Without a dialectic and a set of verbs Breton was lost. Guggenheim had no doubts, seemed eminent confident. Breton expressed interest but felt at a loss when he discovered that I had no titles on my pictures to give him a key to their meaning.250 Die deutliche Aufforderung zum Sehen kommt von Seiten von Künstlern, deren Bildgegenstände weder narrativ noch mimetisch oder normativ bestimmt sind. Sie steht im Ge248 249 250 Session at Studio 35, zit. nach P. Joswig: Abstrakter Expressionismus, 89–90. Hedda Stern, zitiert nach: T. Vogt: Untitled, 136. Clifford Still, zitiert nach: T. Vogt: Untitled, 90. 76 gensatz zur Behauptung, dass Kunstwerke verbale Aussagen verpackten – wenn dem so wäre, hätte die Frage nach dem Bildtitel wohl weniger Probleme aufgeworfen – oder dass «Lesen die Vollzugsform der Begegnung mit Kunst»251 sei. Hinter den gegensätzlichen Positionen von Künstlern und über die Kunst Schreibenden kann das bekannte Muster von der Strategie der Macht des Sagens über das Zeigen entdeckt werden, die allerdings versagt, orientierungslos und erfahrungsblind wird, wenn keine Sehanleitung vorhanden ist. Mit dem paradoxen Titel Untitled, der sich bereits in den 1940er Jahren durchsetzte252 oder mit der bloßen Angabe von Jahreszahlen, Buchstaben, Nummerierungen oder Farbwerten wurde der Diskurs über die Betitelung beendet. Eine mit der Abkehr von deskriptiven Titeln verbundene Forderung nach einem nicht auf Wiedererkennung zielenden Sehen wurde zur Bedingung für die Erfahrung von Werken der Moderne. 9.4 Das Erhabene ist unsagbar Die Titelproblematik, die mit der Verweigerung von inhaltlichen Angaben eine Lösung fand, lenkt die Aufmerksamkeit auf das, was im oben zitierten Gespräch als «what as yet has been unnamed» bezeichnet wurde. Das bisher Unbenannte, die Sichtbarkeit eines abstrakten Bildes, das keiner bekannten Vorlage folgt, nichts abbildet und doch etwas zeigt, wurde von Barnett Newman in einem programmatischen Artikel unter dem Titel «The Sublime is now» mit dem Begriff des Erhabenen bezeichnet und für die neue amerikanische Malerei reklamiert. In diesem Artikel setzt sich Newman kritisch mit der europäischen Kunstgeschichte auseinander und kommt dabei zum Schluss, dass ohne erhabenen Inhalt die moderne Kunst mittlerweile unfähig [war], ein neues erhabenes Bild zu erschaffen und sich von der Bildlichkeit der Figuren und der Gegenstände der Renaissance zu lösen, es sei denn durch Verzerrung oder völlige Verneinung zugunsten einer leeren Welt von geometrischen Formalismen.253 Die neuartigen Bilder sollten nichts abbilden und nichts erzählen, sich auch nicht auf Kunsttraditionen stützen. «Schaffen wir die Bilder aus uns selbst und aus unseren eigenen Gefühlen»,254 verlangte Newman und begründet diese Forderung mit einem natürlichen menschlichen Verlangen nach dem Erhabenen, nach absoluten Emotionen.255 Damit hat Newman einen Begriff, den Kant im zweiten Teil seiner Kritik der Urteilskraft analysiert, für die Malerei fruchtbar gemacht. Wenn es nämlich bei Kant gleich zu Beginn der Analytik des Erhabenen heißt: Das Schöne kommt darin mit dem Erhabenen überein, daß beides für sich selbst gefällt. Ferner darin, daß beides kein Sinnes- noch ein logisch-bestimmendes, sondern ein Reflexionsurteil voraussetzt; folglich das Wohlgefallen nicht an einer Empfindung, wie die des Angenehmen, noch an einem bestimmten Begriffe, wie das Wohlgefallen am Guten, hängt,256 251 252 253 254 255 256 Vgl. ‘Auch die Philosophie liest Bilder’, oben, 51–56. Die Ausstellungsliste von Jackson Pollock in der Gallery Peggy Guggenheims von 1943 führt von insgesamt 15 Exponaten 6 mit der Bezeichnung ‘Untitled’ auf. Vgl. T. Vogt: Untitled, 88. B. Newman: Das Erhabene jetzt, zitiert nach: Ch. Harrison, P. Wood: Kunsttheorie, 701. Ebd. Vgl. ebd. I. Kant: Kritik der Urteilskraft, § 23, 105. 77 so ist es naheliegend, dass philosophisch ausgebildete Künstler sich auf die ästhetische Kategorie des Erhabenen berufen. Denn mit ihren Werken, die ohne Vorbilder sind – weder im Hinblick auf die Kunstgeschichte noch im Hinblick auf das Dargestellte – und die weder durch ästhetische, noch durch formale oder logisch-bestimmte Maßgaben entstanden, wollten sie weder ästhetischen Qualifizierungen noch Prädikationen hervorrufen. Für diese Künstler war die Beschäftigung mit der Frage nach dem, was schön sei, nicht relevant für ihre Arbeit257 und das Bild, das nicht als das Bild einer Erfahrung, sonder als die innere Erfahrung selbst verstanden wird, verlangt sowohl vom Schöpfer als auch vom Betrachter ein Höchstmaß an Reflexionsbereitschaft.258 So fanden sie denn sich und ihre Werke in Sätzen Kants wieder wie: «Also ist die Erhabenheit in keinem Dinge der Natur, sondern nur in unserem Gemüte enthalten, sofern wir der Natur in uns, und dadurch auch der Natur (sofern sie auf uns einfließt) außer uns überlegen zu sein uns bewußt werden können.»259 Inwiefern Kant in richtig oder in missverständlicher Weise für die theoretische Begründung der abstrakten Kunst beansprucht wurde, wird noch immer diskutiert.260 Den Künstlern schien es jedoch angemessen, dem Erhabenen, das ihre Kunst in ihrem Selbstverständnis war und das zugleich in ihrer Kunst zum Ausdruck kam, mit dem Titel Untitled zu begegnen. Denn wo «das selbstverständliche Gemälde tradierter Titel entbehrt», schreibt Vogt, «greift das Erhabene, das kein [...] Dichter in bekannte Worte fassen konnte.»261 Folgerichtig wurde zusammen mit der Zurückweisung der Erhabenheit durch Künstler, die dem Abstrakten Expressionismus Subjektivismus vorwarfen und ihn ablehnten, auch diese Titelform aufgegeben und durch bloße Material- und Maßangaben ersetzt. Diese Titel, die nun nur noch darauf verweisen, was ein Bild materiell konstituiert, erinnern daran, dass die Sichtbarkeit des Bildes mit Sprache nicht einzuholen ist. Sie beweisen zugleich, dass Titel auch Selbsterklärungen der Künstler sind, in denen sie eine kunstphilosphische Positionierung zum Ausdruck bringen. 10. Zusammenfassung So wie die Wortbedeutungen von ‘Zeigen’ und ‘Sagen’ beide den intentionalen Aspekt des Offenbarens umfassen, so haben auch Bild und Text Verweischarakter. Diese medialen Eigenschaften wurden im christlichen Kontext des Mittelalters genutzt, obwohl die Fragen nach Sinn und Funktion der Bilder leidenschaftlich diskutiert wurden und in ikonoklastischen Perioden zu Gewalt gegen die Bilder führten. «Die wichtigste theologische Auseinandersetzung,» stellt Saurma-Jeltsch fest, «betraf das Problem der Heiligkeit der Heiligen-Bilder: Wie groß war der Anteil des Urbildes im Abbild? Welche Form der Annäherung war den Bildern angemessen? Sollten sie verehrt, ja sogar angebetet werden, oder dienten sie lediglich der Erinnerung und als didaktisches Mittel zur Unterweisung?»262 Mit der 257 258 259 260 261 262 Vgl. P. Joswig: Abstrakter Expressionismus, 85. Ebd., 141. I. Kant: Kritik der Urteilskraft, § 28, 133. Vgl. F. Halsall, J. Jansen, T. O’Connor (Ed.): Rediscovering Aesthetics. Darin diskutieren gleich drei Artikel die Angemessenheit der Aktualisierung Kants für die zeitgenössische Kunst. So Th. de Duve: Kant’s «Free Play», ebd., 87–100; D. Costello: Retrieving Kant’s Aesthetics, ebd., 117–132; A. Piper: Intuition and Concrete Particularity, ebd., 193–209. T. Vogt, Untitled, 119. Vgl. L.E. Saurma-Jeltsch: Das Bild in der Worttheologie, 636. 78 Durchsetzung der Schrift als des zum ‘Sehen’ geeigneten Prinzips,263 das ganz dem Wort verpflichtet war, bildete sich die durch das Bibelwort von der Präexistenz des Wortes gegebene Vorrangstellung des Wortes auch in Verhältnis der Medien ‘Bild’ und ‘Sprache’ ab. Damit war die Frage nach der Funktion des Bildes beantwortet: Es diente der Verbreitung der religiösen Botschaft, da es imstande war, durch Anschauung Frömmigkeit zu bewirken. Neben der Worttheologie entstand so eine eigentliche Bildtheologie. Im Verhältnis zur Schrift entwickelten sich im Verlauf der verschiedenen Ausformungen des religiösen Bildes zwei gegenläufige Tendenzen. Während sich in der Buchmalerei durch die Integration von Initialen, Miniaturen und Randillustrationen in die Textgestalt eine Verbildlichung der Schrift ausbildete, kam es im Rahmen der Ikonenmalerei zu einer Versprachlichung des Bildes, die sich darin ausdrückte, dass einerseits die dargestellten Figuren durch Gesten und Gebärden Sprechrollen übernahmen und andererseits Texte in das Bild eingeschrieben wurden. In beiden Ausprägungen jedoch wurden Bilder als der Sprache untergeordnet verstanden, so dass das Bilder-Sehen dem Lesen gleichkam. Auf dieser Grundlage wurden Bildwerke bald als Argumente in theologischen Streitfragen und Stellungnahmen in ideologischen Auseinandersetzungen eingesetzt.264 Bis zu der Epoche, in der das religiöse Bild zwar (noch) nicht aus seinem Rahmen aber doch aus seinem kirchlichen Kontext fiel,265 entstanden immer mehr narrative Gemälde. Einige vereinigten in sich so viele Erzählstränge und Erzählebenen, dass sie ohne Hilfe nicht mehr gelesen werden konnten, so dass ihnen mit Ratlosigkeit begegnet wurde oder sie gar in Vergessen gerieten. Das kunsthistorische Instrumentarium der Ikonologie, das Panofsky im 20. Jahrhundert speziell für das Verstehen der Kunst der Renaissance ausarbeitete, erneuerte zwar die Kenntnisse ikonographischer und kompositorischer Motive religiöser und säkularer Kunst der vergangenen Jahrhunderte, veränderte jedoch nichts am medialen Verhältnis von Bild und Sprache. Indem sich das Interpretationsschema in der Bestimmung der Bildbedeutung auf literarische Quellen stützte, definierte es das Bild wie in früheren Zeiten ebenfalls über das ihm zugrunde liegende Wort. Deshalb musste die Methode in Bezug auf diejenigen Kunstwerke scheitern, die unabhängig von literarisch tradierten Inhalten entstanden. Die Grenzen dieses kunsthistorischen Vorgehens sind bereits in den Anfängen seiner Theorie angelegt: Zum einen in der Namensgebung, die sich auf Cesare Ripas Iconologia, ein Werk der Emblematik des 16./17. Jahrhunderts, bezieht, das ausdrücklich Sehen als Lesen begreift sowie in der anekdotischen Eröffnung zur Theorie, die das Verstehen einer konventionalisierten Alltagssituation – der Begegnung mit einem den Hut ziehenden Bekannten – dem Verstehen eines Bildes gleichsetzt. Aus dieser Missachtung des spezifisch Bildhaften des Bildes, seiner Sichtbarkeit und seines Zeigecharakters, entstanden verschiedene Gegenpositionen. So kritisiert Boehm Panofskys grundsätzliche Gleichsetzung von Bildern mit Sprache266 während Bätschmann auf die ungenaue Terminologie hinweist, die die Begriffe ‘Interpretation’ und ‘Erklärung’ nicht voneinander abgrenzt 267 und DidiHuberman moniert, dass Panofsky die nichtrationale, unbewussten Aspekte oder die Bildlogik des Traums in seinen Untersuchungen völlig außer Acht lasse.268 263 264 265 266 267 268 Vgl. ebd., 643. Vgl. ebd., 659–668 sowie C. Lange: Der nackte Feind. Vgl. H. Belting: Bild und Kult. Vgl. G. Boehm: Hermeneutik, 452. Vgl. O. Bätschmann: Kunstgeschichtliche Hermeneutik, 10–12. Vgl. Didi-Huberman: Vor einem Bild, 188. 79 Die Kunst und mit ihr die Künstler und Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts emanzipierten sich auf ihre Weise von der Bevormundung durch Ikonologen und Kunstphilosophen, die über Kunst reden und schreiben, ohne das ikonisch Wirksame und Bedeutsame zu treffen. In Bildern, die intuitiv erfasst werden können, kritisieren sie mit ihren Werken Philosopheme oder Urteile und stellen ihnen Bildaussagen entgegen, die das Bild als Text enthaltender Bildkörper gestalten. Sie exemplifizieren damit, dass das Bild über die Schrift gebieten und vielschichtige Aussagen machen kann, die von der Sprache uneinholbar sind. Die Kritik am Reden über das Bild und über die Kunst vollzieht sich jedoch nicht nur in den Gestaltungen selbst, sondern auch in sogenannten ‘Künstlertexten’, Theorien, die von Künstlern selbst formuliert werden.269 Sehr deutlich zeigt sich dies in den theoretischen Positionen, die sich auf die Titelgebung beziehen. Denn mit der Aufgabe von narrativen oder poetischen Titeln zu Gunsten von Materialbezeichnungen oder dem Paradoxon ‘ohne Titel’ entziehen die Kunstschaffenden ihre Werke am nachhaltigsten einer Fremdbestimmung. «Zeigen und Sagen – Bild oder Sprache?» – die Gegenüberstellung, die in der Überschrift dieses Kapitels formuliert ist, kann nun insofern mit ‘sowohl als auch’ beantwortet werden, als deutlich wurde, dass neben den Gemeinsamkeiten beider Medien und trotz aller Konkurrenz und gegenteiliger Erscheinungsweisen ihre gegenseitige Abhängigkeit unauflösbar ist. Das Bild ist auf sprachliche Verfasstheit ebenso angewiesen wie die Sprache auf eine metaphorische Ausdrucksweise. Das gilt sowohl für alle Arten und Gattungen von Bildern als auch für die Alltags- und die philosophische Sprache. Gerade in philosophischen Texten finden sich häufig inhaltliche Visualisierungen in Form von Metaphern und Gleichnissen, da mit ihnen vielschichtige Deutungen freigesetzt werden können, die eine Grundlage der intendierten Erkenntnis bilden oder sie überhaupt erst ermöglichen.270 269 270 Vgl. Ch. Harrison, P. Wood (Hg.): Kunsttheorie. Vgl. R. Konersmann (Hg.): Wörterbuch oder auch B.H.F. Taureck: Metaphern. 2 IK O NIS CHE L O G IK O D E R: S CHEINEN IS T D AS S EIN D ES BIL D ES Noch vor wenigen Jahrzehnten hätte der Ausdruck ‘ikonische Logik’ eine unüberbrückbare Dichotomie bedeutet. Dem Ikonischen wurden zwar ästhetische Qualitäten und Wirkungsweisen zugesprochen, Logik hingegen blieb dem Denken vorbehalten. Seit dem Iconic Turn gilt der Begriff ‘Logik’ jedoch nicht mehr nur für formale Bedingungen schlussfolgernden Denkens, sondern ebenso für Ordnungen des Zeigens, für Erscheinungsweisen des Bildes. Aus einer «Logik ohne Sachverhalte»1 wird in den letzten Jahren immer mehr eine ‘Logik der Bilder’, deren Wissensstrukturen und Weisen der Sinnerzeugung zunehmend von bildwissenschaftlicher und medientheoretischer Seite untersucht werden.2 Die Selbstverständlichkeit, mit der dies geschieht, bezeugt, dass das Bild als wirkmächtiges Medium im Zentrum kulturtheoretischer, philosophischer und geisteswissenschaftlicher Diskurse angelangt ist. Dichotomien zwischen Bild und Sprache werden aufgehoben, Grenzziehungen zwischen Präsentieren und Repräsentieren werden verwischt und machen einer Sichtweise Platz, die eine strikte Trennung zwischen Bild und Sprache zwar als theoretisches Konstrukt anerkennt, jedoch das Bild und seine Erscheinungsweisen als epistemisches Projekt betrachtet. Diese Entwicklung wird durch digitale Medien, in denen Informationen zunehmend als Bilder vermittelt und Online-Welten graphisch dargestellt werden, wenn nicht angeregt, so doch beschleunigt.3 Sybille Krämer radikalisiert die Aufwertung des Bildes, wenn sie die Frage stellt: «Was aber, wenn ‘Sprache’ und ‘Bild’, somit das Sagen und das Zeigen nur die begrifflich stilisierten Pole eine Skala bilden, auf der alle konkreten [...] Phänomene nur in je unterschiedlich proportionierten Mischverhältnissen des Diskursiven und Ikonischen auftreten und erfahrbar sind?»4 Mit dieser Frage weist Krämer auf ihre Untersuchung der Generierung von Erkenntnis durch die Matrix der Sichtbarkeit hin.5 Auch wenn ihre Antworten noch ausstehen, so zeichnet sich doch bereits ab, dass ein geschärftes Bewusstsein für die unterschiedlich akzentuierte Durchdringung von Sprache und Bild ein verändertes Verständnis für die Erscheinungsweisen des Bildes zur Folge hat. Nun sind es nicht mehr primär die Abgrenzungen der Medien, die im Vordergrund der Betrachtungen stehen, sondern deren Gemeinsamkeiten oder Verwandtschaften. Das heißt, so wie Sprache als Schrift im Text visuell und kognitiv, also zweifach wahrnehmbar wird, so ist das Bild gleichzeitig visuell und emotiv erfassbar. 1 2 3 4 5 G. Boehm: Hermeneutik, 450. Neuere Publikationen belegen dies. So z.B.: R. Hoppe-Sailer, C. Volkenandt, G. Winter (Hg): Logik der Bilder; M. Heßler, D. Mersch (Hg.): Logik des Bildlichen; U. Nortmann, Ch. Wagner (Hg.): In Bildern denken?. Vgl. M. Wertheim: Die Himmelstür zum Cyberspace. S. Krämer: Operative Bildlichkeit, 95. Ebd., insbes. 98. Mit der Untersuchung der Potentialität einer ‘diagrammatologischen Vernunft’ stellt Krämer die abendländische Episteme auf den Prüfstand, sind doch bisher ausschließlich sprachliche Strukturen als maßgeblich für die Logik des Denkens erachtet worden. 81 Das Ikonische tritt somit doppelt auf: Als Sichtbarkeit an sich und als Zeichen, das gedeutet wird. Und eben darauf bezieht sich auch die ikonische Logik: sie ist gekennzeichnet durch die Koexistenz zweier Darstellungs- bzw. Erscheinungsweisen. Wobei in Anlehnung an Belting, der davon spricht, dass mit dem «Neologismus ‘ikonisch’ das Bild zugleich als Gegenstand wie als Verfahren»6 bezeichnet werde, der Begriff des Verfahrens spezifiziert werden kann. Als solches zielt es nicht nur auf das Ins-Bild-setzen oder Verbildlichen eines Sachverhalts, sondern umfasst gleichzeitig die Mittel zu dieser Verbildlichung. Diese bestehen aus einem ganzen Set von gestaltenden und strukturierenden Elementen, die eine Darstellung tragen, ohne jedoch selbst etwas darzustellen. Zur Veranschaulichung dienen hier zwei Werke, eines von Jean-Baptiste Siméon Chardin (Abb. 20) und eines von Henri Matisse (Abb. 21), die um der besseren Vergleichbarkeit willen in Anpassung der Bildgrößen nebeneinander gestellt sind. Abb. 20: Jean Baptiste Siméon Chardin, Stillleben, um 1762, 44 x 36 cm, Öl au Leinwand, National Gallery of Scotland, Edinburgh. Abb. 21: Henri Matisse, Blumen und Früchte, 1909, 60 x 48, Öl auf Leinwand, Privatbesitz. Beide Bilder zeigen das gleiche Sujet, einen Blumenstrauß in einer blau ornamentierten Vase auf einer Fläche, die als Tisch interpretiert werden kann. Doch im Hinblick auf alle übrigen bildwirksamen Aspekte bestehen beträchtliche Unterschiede. Kompositorische Struktur, Bildaufbau, Gestaltung der Bildtiefe und der Bildfläche, Lichtführung, Farbauftrag, Palette und der Modus der Darstellung – in diesen ungegenständlichen, nichtnarrativen Elementen, die die Unverkennbarkeit eines Bildes bzw. die Wiedererkennbarkeit eines Stils ausmachen und Bildaussage und -wirkung maßgeblich bestimmen, differieren die beiden Gemälde erheblich. Chardins Bild strahlt eine auratische Stille aus, die Mattigkeit der Farben von Wand und Tischfläche werden durch den hellen Lichteinfall auf die weißen Blumen und den Schlagschatten der Vase kontrastiert, die Lage der roten Blume eröffnet Bildtiefe und Bildraum zum Betrachter hin. Das Gemälde von Matisse wirkt flächig ornamental, die Früchte und die Blumen zeigen eine vereinfachte Formensprache, Farben sind 6 H. Belting: Die Herausforderung der Bilder, 20. 82 in Kontrasten gegeneinander gesetzt, Bildtiefe wird durch die markante Hintergrundgeometrisierung nur markiert. Bildnerische Gestaltungselemente sind Ausdrucksträger eines Werks, die kunsttheoretischen Positionen sowie die jeweilige Absicht des Künstlers artikulieren. In ihnen findet sich eine Signatur des Künstlers, in und mit ihnen vollzieht sich das Performative7 des Bildes. Sowohl instrumental und relational als auch inhaltlich ordnen sie sich in die Gesamtstruktur eines Gemäldes ein. Als performative Elemente, in denen sich die Erscheinung des Bildes manifestiert, sind sie Teil der ikonischen Logik und bewirken sein Scheinen. Der Begriff ‘Schein’, im Rahmen einer Theorie der Mimesis meist im Sinne von Täuschung verstanden,8 erhält nun auf dem Hintergrund ikonischer, Gestalt und Verfahren umfassenden Logik eine positive Konnotation. Der Schein, «Zustand des Scheinens, das, was an einem Körper gesehen werden kann»9 wird zum substantiellen Anteil eines Bildes, zu einem Index, der im Falle ungegenständlicher Bilder zwar auf unbestimmte Bezugsobjekte referiert, doch gerade damit eine aktive Rezeption provoziert. Erst im Scheinen des Bildes vollzieht sich das Bild im Bildakt, der, so Bredekamp, als die Wirkung eines Werks «auf das Empfinden, Denken und Handeln verstanden werden [kann], die aus der Kraft des Bildes und der Wechselwirkung mit dem betrachtenden [...] Gegenüber entsteht.»10 Damit exemplifiziert das Bild diese dialektische Verbindung von der Hegel schreibt: «Das Scheinen ist die Bestimmung, wodurch das Wesen nicht Sein, sondern Wesen ist, und das entwickelte Scheinen ist die Erscheinung. Das Wesen ist daher nicht hinter oder jenseits der Erscheinung, sondern dadurch, daß das Wesen es ist, welches existiert, ist die Existenz Erscheinung».11 Auf das Bild trifft auch zu, dass seine Erscheinung mit seinem Wesen identisch ist. Zudem wirkt sie als Agens des Performativen auf die Betrachtenden ein. 7 8 9 10 11 «Performativ und performatorisch: eine mit einer sprachlichen Äußerung beschriebene Handlung zugleich vollziehend» Duden, Fremdwörterbuch, Bd. 5, 589. Der Begriff, der aus der Sprachphilosophie stammt, hat Karriere in verschiedenen Disziplinen gemacht. Mieke Bal zählt die Begriffe ‘Performance’ und ‘Performativity’ zu den travelling concepts. Vgl. dies.: Travelling concepts, 174–212. In den Geisteswissenschaften wird der Begriff ‘Performativität’ unter unterschiedlichen Definitionen verwendet. Vgl. E. Fischer-Lichte u.a.: Performativität und Ereignis. Darin wird der Performativitäts-Begriff anhand aktueller kultureller Erscheinungen exemplifiziert. Dieter Mersch entwickelt eine Theorie des Performativen aus der Differenz von Sagen und Zeigen, die der Differenz von Setzung und Sinn entspricht. Vgl. D. Mersch: Ereignis als Setzung, ebd., 41–56 und ders.: Ereignis und Respons, in: J. Kertscher, D. Mersch: Performativität und Praxis, 69–94. Mersch postuliert, dass ‘Setzung’ die Statuierung eines Existenzaktes einschließe, was mit der Unterscheidung von semantischer bzw. symbolischer Ebene und ästhetischer Struktur einhergehe. Für die Übertragung auf das Bild eignet sich der Begriff des Performativen, wie ihn Mersch benutzt, gerade durch den Einschluss der Setzung, die analog zum Vollzug der Bildproduktion verstanden werden kann, werden damit doch die Intention der Kunstschaffenden und der Produktionsprozess bei der Wirkungspotenz des Bildes berücksichtigt. Platon vergleicht im Buch Sophistes den Sophisten als «Zauberer und Nachahmer des Seienden» und setzt seine Kunst der «Malerkunst» gleich (Ebd., 233c–235a). Wenig später wird ‘das Bild’ als Beispiel für eine sophistische Verflechtung von Nichtseiendem und Seiendem eingesetzt und die berühmte Frage gestellt: «Nichtseiend also nicht wirklich ist wirklich das, was wir ein Bild nennen?» Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. H. Bredekamp: Theorie des Bildaktes, 52. Bredekamp orientiert sich bei seinen Ausführungen zur Bildakttheorie an der Sprachphilosophie Austins, der auch den Performance-Diskurs auslöste. Der Begriff ‘Bildakt’ kann als Vorgänger-Begriff zum ‘Performativen’ verstanden werden. Krämer kritisiert den Bildakt-Begriff dahingehend, dass sie vorschlägt, von einem ‘Blickakt’ zu sprechen, da es der Blick sei, der das Performative des Bildes durch den Blick aktiviere. Sie kommt in ihren «Reflexionen über ‘Blickakte’» zum Schluss, dass eine performative Betrachtung eingefahrene disziplinäre Betrachtungsweisen infrage stelle. Vgl. S. Krämer: Gibt es eine Performanz des Bildlichen?. G.W.F. Hegel: Enzyklopädie I, § 131, 261–262. 83 Damit nimmt das Erscheinen, das Sich-Zeigen des Bildes, «in seiner Schwebewirkung», so Silvain Guarda, «eine Mittelpunktstellung zwischen innerer und äußerer Wirklichkeit [ein] und gewährleistet dem Kunstwerk autonome Wesenhaftigkeit.»12 Im Folgenden werden nun einige der Mittel und Bildelemente hervorgehoben, mit denen das Bild sich unabhängig von jeder Art des Bildgegenstandes zeigt, in Erscheinung tritt und performatorisch wirksam wird. Diese Gestaltungselemente werden hinsichtlich ihrer bildimmanenten und rezeptionsästhetischen Wirkungsweisen und Bedeutung untersucht, denn ihnen kommen innerhalb der «Schwebewirkung» des Scheinens Scharnierfunktionen zu. Außer Themen, die sich mit der Erscheinungsweise des Bildes beschäftigen wie die von Opazität und Transparenz, die Verschränkung von Form und Inhalt oder die Frage nach dem gestalterischen Primat von Linie oder Farbe, werden auch solche behandelt, die sich spezifischer mit der Wirkungsweise auseinandersetzen, wie Stil, Textur, Fleck und Leerstellen. Wobei sich bald zeigt, dass sich eine strikte Trennung von Erscheinung und Wirkung nicht aufrechterhalten lässt bzw. dass dies theoretische, rezeptionsästhetisch akzentuierte Unterscheidungen sind. Denn all den erwähnten Aspekten der Sichtbarkeit und der Bildgestaltung ist gemeinsam, dass sie sowohl zum ontologischen Status des Bildes beitragen, im Was des Bildes aufgehen, als auch im Wie der Wirksamkeit Teil der phänomenologischen Beschreibung sind. Darin spiegelt sich die Grundkonstante der Kontraste, die die ikonische Logik konstituieren und sich in allen Aspekten des Bildes äußern. Man könnte sie in metaphorischer Weise auch als ‘Sprache des Bildes’ bezeichnen – wobei es sich bei dieser ‘Sprache’ eher um ein beredtes Schweigen, denn um ein Sprechen handelt. Die Reihenfolge der hier erwähnten Gestaltungs- und Zeigemittel ist inhaltlich bedingt. Dass sich daraus auch ein historisch nachvollziehbarer Ablauf rekonstruieren lässt, ist insofern beabsichtigt, als die Abstraktion – absolute Aufhebung der Darstellung und totale Beschränkung auf reine Sichtbarkeit – als ausschließliche Präsentation auch die Grenzen von Opazität und Transparenz aufhebt, mit denen der Gang durch die performatorischen Gestaltungsmittel beginnt. Doch zuvor werden die Begriffe, mit denen das beredte Schweigen bzw. das Performative des Bildes fachterminologisch gefasst wird, untersucht. 1. Von der Schwierigkeit, dem Schweigen des Bildes einen Namen zu geben Wenn von einem Schweigen des Bildes die Rede ist, wird damit eine Anleihe bei der Benennung bestimmten sprachlichen Verhaltens gemacht. Dies ist ebenso der Fall, wo von der ‘Rhetorik des Sichtbaren’,13 den ‘Handlungstheorien des Bildes’ oder selbst von ‘Theorie des Bildaktes’ gesprochen wird, immer sind die Referenzpunkte auf Sprache bezogene, aus der Linguistik entlehnte.14 Und der Gebrauch von Begriffen wie ‘Ikonizität’, ‘Ikonologie’, ‘Ikonik’, ‘ikonische Differenz’, ‘reine Sichtbarkeit’, ‘Performanz’, ‘das Bildhafte’ oder ‘das Performative’ zeugt davon, dass sich zwar verschiedene Disziplinen des Bildes annehmen, sich jedoch noch kein Begriff interdisziplinär durchgesetzt hat, um das zu bestimmen, was das Bild leistet. So wird der Ausdruck ‘Ikonizität’ im Rahmen der Linguistik verwendet, um die Ähnlichkeit zwischen sprachlichen Zeichen und ihren außersprachli12 13 14 S. Guarda: Hegels ‘Schein’, 317. So im Titel von S. Egenhofer, Ch. Spies (Hg.): Zeigen. Die Rhetorik des Sichtbaren. Vgl. S. Seja: Handlungstheorien. 84 chen Referenten zu bezeichnen.15 Der Begriff ‘Ikonologie’ indessen wird von einer kunsthistorischen Interpretationsmethode belegt, die, wie es auch der Name besagt, eikon mit logos verbindet, das Bild auf seine der Vernunft zugänglichen Aspekte untersucht.16 Performanz’ sowie ‘Performativität’ oder ‘das Performative’ sind sprach- und medienphilosophischer Herkunft, 17 ‘das Bildhafte’ wiederum bezieht sich in kunstwissenschaftlichem Kontext primär auf formale Aspekte und Qualitäten. Während die meisten dieser Begriffe ohne inneren Zusammenhang nebeneinander Verwendung finden, besteht zwischen ‘Sichtbarkeit’, ‘Ikonik’ sowie ‘ikonische Differenz’ eine inhaltliche und historische Verwandtschaft. Da im Weiteren auf diese Begriffe referiert wird, sind deren Relationen von Belang, sie werden deshalb hier dargelegt. 1.1 Sichtbarkeit Sichtbarkeit – Konrad Fiedler benutzt diesen Begriff, um zwischen «dem Reiche der Sichtbarkeit, das wir Natur nennen und den Sichtbarkeitsgestaltungen [...], die uns in der künstlerischen Tätigkeit vor Augen treten» zu unterscheiden.18 Sein Konzept von Sichtbarkeit umfasst jedoch mehr als ein optisches Phänomen, vor allem in Abgrenzung zum sprachlichen Erfassen und zum Wissen partikularer Eigenschaften eines Gesehenen. «Wenn wir etwas mit dem Gesichtsinn wahrnehmen», schreibt Fiedler, «und wissen, welche körperliche Form es hat, wie groß es ist, aus was es besteht, was es ist, welche Wirkungen von ihm ausgehen u.s.w., kurz was man nur von einem Gegenstand wissen kann, so berechtigt uns das noch nicht zu der Meinung, dass wir wüssten, wie der Gegenstand aussieht.»19 Denn, indem das Gesehene zum sprachlichen Ausdruck wird, «führen wir etwas in das Bewusstsein ein, was nicht aus dem Stoff besteht, der durch die Gesichtsempfindung geliefert wird».20 Die Diskrepanz zwischen sprachlichem Zugriff, der immer nur partikulare Eigenschaften erfasst sowie dem Sehen selbst steht im Zentrum dieser Aussage und führt zur Folgerung, dass sie daher, «anstatt der Entwicklung des Gesichtsbildes zu gut zu kommen, dieselbe vielmehr unmöglich macht.»21 Das heißt, dass Sprache als Aussage über eine Sache den unvermittelten Zugang zu dieser Sache verstellt. Das in der Sprache zum Ausdruck kommende ‘Wissen über’ schiebt sich zwischen das zu Sehende und das Sehen. Die Sichtbarkeit der Dinge vollzieht sich für Fiedler erst in der Kunst, die nichts anderes zu leisten hat, als reine Sichtbarkeit zu sein und für welche «das bloße Schauen und Vorstellen nur einen Anfang, einen Ausgangspunkt bedeutet.»22 Der Kunst, die keiner Nachahmung verpflichtet ist, wird damit eine Absolutheit und Autonomie zugesprochen, die sie über die Natur stellt. Als Produkt bewusster Gestaltung von Eigenbedeutsamkeit und Eigengesetzlichkeit getragen, ist sie das Resultat der schöpferischen Tätigkeit des Künst- 15 16 17 18 19 20 21 22 Vgl. Online Lexikon Linguistik. Vgl. ‘Das Lesen von Bildern’, oben, 37–56. Zum Performanz- und Performativitätsbegriff siehe oben, 82, Anmerkung 7. K. Fiedler: Über den Ursprung, 188. Ebd., 154. Ebd., 173. Ebd. Ebd. 85 lers, in dem die bildende Natur wirksam ist.23 Das autonome Sichtbarmachen von Wirklichkeit – die reine Sichtbarkeit – zeigt sich in Bildern als Sichtbarkeitsgestaltungen und ist auf ein Sehen gerichtet, das sich nicht im Wiedererkennen sprachlich fassbarer Phänomene erschöpft. Dies ist von zentraler Bedeutung für das Erfassen und Verstehen eines Bildes. Denn da ein Bild unter anderem auch ein Gegenstand ist, gilt für es, was oben zitiert wurde: Das, was man von einem Gegenstand wissen kann, berechtigt nicht dazu, anzunehmen, man wüsste wie er aussieht. Das bedeutet für die Bildbetrachtung, dass das alltägliche, wiedererkennende Sehen der Kunst im Bild nicht gerecht wird. Denn «die reine Sichtbarkeit des Bildes», sagt Wiesing und betont damit den Wechsel, den Fiedler von einer formalen zu einer ontologischen Bildbetrachtung vollzieht, «die reine Sichtbarkeit des Bildes ist eine eigenständige ‘Form des Seins’ – und nicht eine vom Sein abhängige Form des Scheins.»24 Aus dieser zentralen These leitet Wiesing ab, dass für Fiedler Bilder eine sichtbare Wirklichkeit für sich sind, weil durch sie «die Isolierung der Sichtbarkeit hin zu einer selbständigen Entität ohne Substanz» stattfindet und nicht, weil sie die sichtbare Welt (die Realität) interpretieren.25 1.2 Ikonik Die Sichtbarkeit als selbständige Entität untersucht Max Imdahl. In seinem Aufsatz Überlegungen zur Identität des Bildes bezeichnet er das Bild als ein «Sehangebot, welches Identität besitzt, insofern es durch keine außerikonische Sichtbarkeit zu substituieren ist.»26 Imdahl definiert diese in Bildern gegebenen Sehangebote als «Überbietungen der visuellen Realität»27 – damit Fiedlers These von der reinen Sichtbarkeit aufnehmend – und postuliert so die Gleichzeitigkeit von Wirklichkeit (des Bildes) und Realität (des Visuellen).28 Daraus lässt sich die Beziehung zwischen dem Bild und seiner Umgebung präzise bestimmen: Das Bild mit seiner Wirklichkeit ist unmittelbar Teil des Realität des Visuellen, indem es beispielsweise innerhalb eines Zimmers als Objekt wahrgenommen werden kann. Die Realität dieses Zimmers als Ganzes oder seiner Teile können jedoch nur mittelbar, gemalt, in die Bildwirklichkeit eintreten. Diese Unterscheidung wirkt sich auf die Bestimmung der Identität eines Bildes aus, insofern es nur mit sich selbst identisch sein kann, denn es ist «ein nach immanenten Gesetzen konstruiertes und in seiner Eigengesetzlichkeit evidentes System [...], das entweder von einem außerikonischen Sichtbarkeitskorrelat prinzipiell abweicht oder für das ein außerikonisches Sichtbarkeitskorrelat nicht existiert».29 Dieser Satz enthält die Aspekte, die für die Ikonik – so nannte Imdahl sein Verfahren, das Bild als Bild in den Blick zu nehmen – bestimmend sind. Er spricht erstens von der Eigengesetzlichkeit des Bildes als der Bezeichnung dafür, dass im Bild räumliche und zeit23 24 25 26 27 28 29 Vgl. ebd., LXXIV. Ein Argument, das sich auch in der Theorie zum Abstrakten Expressionismus wiederfindet. Vgl. P. Joswig, die die Veränderung des Naturbegriffs und dessen Projektion auf den Künstler und den künstlerischen Prozess nachweist, in: dies.: Abstrakter Expressionismus. L. Wiesing: Sichtbarkeit, 163. Vgl. ebd. Die These Goodmans vom Welterzeugungscharakter der Bilder erhält damit eine vertiefende Begründung, vgl. dazu ‘Nelson Goodman’, unten, 148–154. M. Imdahl: Identität, 187. Ebd. Vgl. G. Böhme: Theorie des Bildes, 129–130. M. Imdahl: Identität, 190. 86 lich disparate Gegebenheiten sowie imaginäre und der Realität nachgebildete Objekte aufeinander treffen und sich zu einem Bildganzen zusammenfügen. Dann spricht der Satz zweitens von einem System, das sich auf Grund der Eigengesetzlichkeit ergibt. Dieses System, das sich im Bild etabliert, ist immer, trotz möglicher darstellbarer Raumillusionen, eine Fläche. Die Eigengesetzlichkeit des Bildes setzt sich demzufolge aus Flächensystemen, planimetrischen Ordnungen und Ebenenrelationen zu einem System zusammen, das unabhängig von Bildanlässen aufgedeckt und für die Interpretation fruchtbar gemacht werden kann. Die Elemente des Systems, die wechselseitig aufeinander bezogen sind, bilden zusammen die Systemstruktur bzw. die Struktur des Bildes. Und als drittes betont Imdahl im oben zitierten Satz den prinzipiellen Unterschied zwischen einer Darstellung im Bild, zwischen seiner Sichtbarkeit und allfälligen Bezugsobjekten oder Modellen. Das Bild ist nicht, was es zeigt. Doch sowohl Kunstwerke, die auf außerikonische Bezugsobjekte zurückführbar sind als auch ungegenständliche oder abstrakte Werke tragen strukturelle Systeme in sich. Diese sind gemäß der Ikonik die eigentlichen Bedeutungsträger, in ihnen liegt das Wie des Zeigens, denn Strukturelemente sind nie zufällig platziert, sondern Ausdruck des Gestaltungswillens des Künstlers oder der Künstlerin. Imdahl deckt mit seinem Verfahren auf, dass Bilder als Resultat bewusster Bildarbeit zu verstehen sind und ihre Sichtbarkeit Zeugnis ablegt für eine gestalterische Leistung, die weit über eine bloße Il-lustration von Ideen oder Gefühlen hinausgeht.30 So weist er an Giottos Arenafresken nach, dass die Überblendung planimetrischer Komposition und perspektivischer Projektion den Bildraum zum aktualisierten Erfahrungsraum macht und im Bild ein vergangenes Ereignis mit der Aktualität des Betrachters zu einer Sinneinheit zusammen genommen werden, die jede Textlogik übertrifft.31 Die grundlegende Voraussetzung der Ikonik besagt, dass die Bedeutung eines Werks in seinen Flächensystemen und planimetrischen Relationen aufzufinden ist. Sie gilt auch für abstrakte Werke, wie beispielsweise Barnett Newmans Jericho (Abb. 22). Abb. 22: Barnett Newman, Jericho, 1968-1969, 269,2 x 285,8 cm, Acryl auf Leinwand, Paris, Centre George Pompidou. 30 31 Vgl. G. Winter: Werk als Ereignis, in: ders. (Hg.): Imdahl, Bd. 2, 12. Vgl. M. Imdahl: Giotto. 87 So führt Imdahl eine vielschichtige Analyse der Konstruktion dieses großformatigen Gemäldes zur Konklusion, dass die Leistung des Bildes darin beruht, «das Fassbare und Messbare eines gleichschenkligen Dreiecks durchaus nicht zu verleugnen, aber doch die darin eingeschlossene Gewissheit einer Totalität in Frage zu stellen und – letzter Konsequenz – Welt auch als ein nicht zu Bewältigendes zur anschaulichen Erfahrung zu bringen.»32 Damit exemplifiziert er aufs Eindrücklichste, dass selbst eine geometrische Bildkomposition mit allen ihren Elementen Bedeutung transportiert und von Bildinhalten nicht zu trennen ist.33 Indem die Ikonik, zugleich Analyse- und Beschreibungsmethode, sich diesen Bildstrukturen zuwendet, eröffnet sie neue Sichten auf Werke der Tradition und führt selbst sperrige abstrakte Werke nachvollziehbaren Interpretationen zu. Als eine ästhetisch orientierte Betrachtungsweise behandelt Ikonik die Sichtbarkeit des Kunstwerks immer als Gegenwärtiges und befragt sie auf aktuelle Erfahrungsmöglichkeiten hin. Damit ist sie das einzige systematisierte Untersuchungs- und Interpretationsinstrument, das sich auf die allen Bildern eigene Bildlichkeit, ihre reine Sichtbarkeit, stützt. Dieses Verfahren verlangt nach einem der vielschichtigen und multiperspektivischen Sichtbarkeit angemessenen Sehen. Ein Sehen, das allein auf Wiedererkennen gerichtet ist, genügt dafür nicht, denn dieses gibt sich damit zufrieden, zu erkennen, was es kennt, also sich beispielsweise im Falle von Abb. 22 auf das Erkennen eines Dreiecks mit einer leicht verschobenen Mittelachse zu beschränken. Jedoch gerade im Hinblick auf abstrakte oder gestische Malerei muss diese Sichtweise durch ein «sehendes Sehen» ergänzt werden, das sich auf die bildimmanenten Gesetzlichkeiten und Systeme richtet und das Bild in seiner Visualität erfasst. Boehm umschreibt dieses Sehen so: «Das sehende Sehen erkundet die dem jeweiligen Bilde, und nur ihm, eigenen Konnexe, deren Telos nicht in der Erkenntnis des bereits Erkannten besteht. Das sehende Sehen ist gleichwohl kein inhaltsloser, die leere Form realisierender Akt. Es erfasst das Bild vielmehr in der nur ihm eigentümlichen optischen Existenz, die auch jede denkbare Inhaltlichkeit formiert.»34 In der Sichtbarkeit des Bildes, deren strukturelle Momente von der Ikonik aufgedeckt werden, liegt der Sinn des Bildes, seine Wirkpotenz. So liegt in Fiedlers Konstatierung und Anerkennung der Sichtbarkeit des Bildes als einer eigenständigen Form des Seins die theoretische Begründung für Imdahls Untersuchung der Phänomene und strukturellen Erscheinungen dieser Sichtbarkeit. Beide, sowohl die Bestimmungen Fiedlers als auch die Analysen Imdahls sind in Boehms Ausführungen zur Wirkmächtigkeit des Bildes als ikonische Differenz enthalten. 1.3 Ikonische Differenz Boehm, der die Sprachfigur ‘ikonische Differenz’ in den Bilddiskurs einbrachte, umschreibt ihre Bedeutung unter verschiedenen Aspekten. Einige Beispiele veranschaulichen die Entwicklung der Begriffsbestimmung. 1978, in Boehms grundlegendem Artikel zur Bildhermeneutik, fällt der Ausdruck als solcher noch nicht, er wird jedoch auf dem Hintergrund der Differenz zwischen Bildlichkeit und ihrer sprachlich erfassten Analyse implizit 32 33 34 M. Imdahl: Bildbegriff, 549. Siehe dazu auch Imdahls Interpretation zu Jan Ruisdaels Mühle von Wijk, Abb. 24, unten, 93–94. G. Boehm (Hg.): Max Imdahl, 30. 88 dargestellt.35 Als ein Charakteristikum des Sehens, das die Gesamtheit eines Gemäldes in identifizierender Manier erschließt und durch einen Wechsel in der Modalität der Aufmerksamkeit zu einer gleichzeitigen Lesbarkeit aller Details gelangt, wird die ikonische Differenz im Wahrnehmungsprozess des Betrachters festgestellt.36 Im Zusammenhang mit der Thematik der Bildbeschreibung jedoch greift Boehm eine Formulierung auf, die auf einen Künstler – Josef Albers – zurückgeht und spricht vom ikonischen Kontrast, der die konstruktive Seite des Bildes (factual fact) der energetischen Resultante (actual fact) gegenüberstellt37 und damit eine ikonische Differenz im Bild und seiner Wirkung aktualisiert. Als Grundbedingung, «unter denen Bilder, also materialkodifizierte, visuell zugängliche Systeme, Bedeutung generieren»,38 wird die ikonische Differenz sodann in den übergreifenden Kontext der Bildproduktion gestellt. 2011 schließlich lautet ihre Bestimmung: «Mit der ikonischen Differenz formulieren wir eine Hypothese, deren Geltung für jedes besondere Bildwerk behauptet wird. Sie lautet: Jedes ikonische Artefakt organisiert sich in der Form einer visuellen, intelligenten sowie deiktischen, und das heißt nicht-sprachlichen, Differenz».39 Diese Differenz lässt sich in Wesenseigenschaften, Wirkungsweisen und Wahrnehmungsbedingungen des Bildes in Form von Kontrastverhältnissen nachweisen, gipfelt jedoch nicht, wie die Rede von Kontrasten suggerieren würde, in einem unüberbrückbaren Dualismus, wird also nicht verstanden «als zweigliedrige, visuell gewendete Oppositionsfigur, sondern sie repräsentiert einen dreigliedrigen Übergang, konzipiert das Bild als Ereignis».40 Damit aber nicht genug. In den neuesten Ausführungen zur ikonischen Differenz wird sie selbst «als Ereignis im Sinne einer Oszillation, bzw. einer Logik des Kontrastes»41 verstanden. Mit diesem extensiven Verständnis wandelt sich der Ausdruck zu einem Schirmbegriff, der seine Griffigkeit zu verlieren droht.42 Im Folgenden bezeichnet ‘ikonische Differenz’ in erster Linie Kontrastverhältnisse, die sich im Bild und der Sichtbarkeit des Bildes feststellen lassen. Dazu gehört das Spannungsverhältnis zwischen dem Bestimmten, im Bild Sichtbaren als Anwesendem und dem Unbestimmten oder Abwesenden, das die nie sichtbare Rückseite dargestellter Gegenstände ebenso umfasst wie der in der Malerei aufgehobene Bildgrund. Paradigmatisch zeigt sich diese doppelte Absenz im Zusammenhang mit der Legende von der Erfindung der Malerei. Gemäß Plinius dem Älteren wurde die Malerei durch eine junge Frau erfunden, die aus Angst vor der Trennung von ihrem Freund dessen Schatten auf der Wand nachzeichnete.43 In Gemälde von Joseph Benoît Suvée (Abb. 23) wird der Moment gezeigt, in dem die junge Frau den Schlagschatten entdeckt und mit der Nachzeichnung begonnen hat. Der Blick, mit dem der junge Mann zur Frau auf schaut, lässt verschiedene Deutungen zu. Eine 35 36 37 38 39 40 41 42 43 G. Boehm: Hermeneutik des Bildes. G. Boehm: Der erste Blick, 355–369. Vgl. G. Boehm: Bildbeschreibung, 37. Albers Gegenüberstellung von actual und factual facts, die Unterscheidung zwischen den an einem Bild wahrnehmbaren Tatsachen und ihrer subjektiv erfahrenen Wirkung, wird fast gleichzeitig wie von Boehm auch von Max Imdahl in den Bilddiskurs eingeführt. Vgl. M. Imdahl: Überlegungen zur Identität des Bildes. G. Boehm, in: Kunstforum International, Denken 3000, 135. G. Boehm: Ikonische Differenz, 170. Ebd., 171. Ebd., 175. Die neuesten Ausführungen Boehms in der elektronischen Zeitschrift von eikones scheinen diese Befürchtungen zu bestätigen, wird nun auch das Verhältnis von Bild und Betrachter unter ikonischer Differenz subsumiert. Vgl. ebd., 174. Vgl. Plinius der Ältere: Naturalis Historiae, Buch XXXV, v/15, 16 und xliii/151. 89 davon könnte als Erstaunen bezeichnet werden, Erstaunen darüber, dass sein Schattenriss auf der Wand plötzlich wichtiger zu sein scheint als seine körperliche Gegenwart. Abb. 23: Joseph-Benoît Suvée, Debutades oder die Erfindung der Malerei, 1791, Öl auf Leinwand, 267 x 131 cm, Brügge, Groeningemuseum. Die Präsenz des Bildes bzw. der Zeichnung ist demzufolge auf eine vorweggenommene Absenz zurückzuführen, auf die flüchtige Spur des Schattens, der im Fall der Legende einen jungen Mann repräsentiert, der nach der Fertigstellung der Zeichnung nicht mehr anwesend sein wird.44 Auf diese Weise treffen Präsenz und Absenz (des Bildanlasses) sowie Präsenz und Repräsentanz (des Bildgegenstandes) aufeinander. Die Anwesenheit im Bild korreliert mit der Abwesenheit des Bildgegenstandes. Außerdem vollzieht sich eine Transformation: Indem nämlich das Profil des Jünglings auf die Wand gezeichnet wird, verwandelt sich die gewöhnliche Wand in einen Bildgrund und in ein Bild. Die Bedeutung der Wand als Wand wird in der Folge von derjenigen des Bildes überboten. Diese Aufhebung des Grundes setzt die ikonische Differenz. «Die Figur subtrahiert den Grund, sie führt ein Moment der Negation mit sich», schreibt Boehm und führt dazu aus, dass «das ‘Ist’, das wir sehen, ein ‘Ist nicht’, welches das Sichtbare unterfüttert und ermöglicht» impliziert.45 Auf diese Weise gehört die Verbindung von Negation und Affirmation zur Wesenseigenschaft der Sichtbarkeit des Bildes. Die ikonische Differenz ist dafür eine Bezeichnung, die dem Bildhaften entspricht. Ebenso lassen sich damit Kontraste fassen, die sich auf die Wirkungsweise des Bildes oder die Art, ein Bild wahrzunehmen, beziehen. So findet in der optischen Organisation eines Bildes ein Zusammenspiel von Linien, Flächen, Farben und 44 45 Nicht zu übersehen ist in Abb. 23 der Schlagschatten, den die Frau wirft. Zu den vielfältigen Zusammenhängen und Bedeutungen des Schattens innerhalb der Geschichte der Kunst vgl. V. I. Stoichita: Eine kurze Geschichte des Schattens sowie E.H. Gombrich: Schatten oder M. Baxandall: Löcher im Licht. G. Boehm: Ikonoklasmus, 68. 90 Formen statt, die nur entweder integral oder analytisch wahrgenommen werden können, entweder als Gesamteindruck oder im Detail, etwas anderes lässt der menschliche Wahrnehmungsapparat nicht zu. Diese Gegenüberstellung von Ganzheit und Einzelheit, die wahrzunehmen nur mittels einer Inversion des Blicks möglich ist, lässt sich vom Bilde aus mit dem Begriff der ikonischen Differenz umschreiben. Ein weiteres Kontrastverhältnis, das die ikonische Differenz ebenso maßgeblich bestimmt, ist die Gegenüberstellung von Opazität und Transparenz. «Bilder sind opak», sagt Boehm «und Transparenzen, die sie eröffnen, haben damit zu tun, dass der Grund der Darstellung materiell, vieldeutig und undurchsichtig erscheint.»46 Die Gegenüberstellung von Opazität und Transparenz, die damit angesprochen wird, bezieht sich auf das Oszillieren zwischen verschiedenen Ebenen einer Darstellung. Louis Marin beschreibt den Begriff der Opazität in der Malerei als die Gegenwart alles Materiellen vom Rahmen über die Leinwand zu den Farbpigmenten und Spuren der Gestik des Malers.47 Opak ist demzufolge nicht nur die Malerei an sich, sondern sind alle einzelnen materiell bestimmbaren Elemente des Bildes in ihrer Zeichenhaftigkeit. Diese Materialität des Zeichens verschwindet jedoch in der Bedeutung der Darstellung oder, so Marin, «die Wirklichkeit, wenn nicht der objektive Wert des Zeichens, ist seine Auslöschung durch Transparenz angesichts der Idee und angesichts der bedeuteten Sache.»48 Damit entspricht die reine Sichtbarkeit des Bildes einer Kippfigur, in der sich Opazität und Transparenz, Präsentieren und Repräsentieren als die beiden konstitutiven Teile des Objektes ergänzen, sich jedoch gegenseitig ausschließen, was dem grundsätzlichen Kontrast von Zeigen und Verschleiern gleich kommt. Denn entweder präsentiert das Bild seine Materialität, dann verschwindet die Bedeutung oder die Bedeutung tritt in den Vordergrund, dann wird der Materialität die Aufmerksamkeit entzogen. Die ikonische Differenz zielt auch auf diese Aporie von Zeigen und Nicht-Zeigen, die in der Malerei selbst häufig problematisiert wird, indem zum Beispiel die Rückseite von Bildern oder Figuren als Bildgegenstände dargestellt werden oder ein Vorhang Teile der Bildfläche verdeckt, so dass sich aus rezeptionsästhetischer Sicht auch die Rolle der Betrachtenden verändert, sie zu potentiell Neugierigen oder Fragenden werden.49 Und so wie die Spannung zwischen Gezeigtem und Nichtgezeigtem den Blick des Betrachters affiziert, so geschieht dies auch durch die Spannung zwischen der Vieldeutigkeit des Bildganzen und der Bestimmtheit einzelner Momente. Denn auch zwischen dem Sehen des Ganzen und seiner Details vollzieht sich eine qualitative Transformation, die sich als Logik der Bilder bezeichnen lässt. «In ihr wandelt sich das Faktische ins Imaginäre, entsteht jener Überschuss an Sinn, der bloßes Material (Farbe, Mörtel, Leinwand, Glas usw.) als eine bedeutungsvolle Ansicht erscheinen lässt. Diese Inversion ist das eigentliche Zentrum des Bildes und seiner Theorie», postuliert Boehm, der damit auf den Ursprung der ikonischen Sinngenerierung hinweist.50 Damit ist die Umkehrung eines gedanklichen Weges gekennzeichnet, der nicht mehr das materielle des Werks bloß als Träger eines Gehalts betrachtet, sondern Materialität und Immaterialität als untrennbar aufeinander bezogen versteht. 46 47 48 49 50 Ebd., 210–211. L. Marin: Opazität, 51–52. Ebd., 52–53. Zu den Motiven ‘Rückenfigur’, ‘Rückseite von Leinwänden’, ‘Vorhang’ vgl. G. Wilks: Rückenfigur; O. Bätschmann: Zeigen und Verbergen, 93-105; J.K. Eberlein: Apparitio Regis oder auch: W. Kemp: Rembrandt. Zum Vorhang als Bildmotiv siehe ‘Der Vorhang: überdeterminiert’, unten, 117–122. G. Boehm: Wie Bilder Sinn erzeugen, 211. 91 Es ist Wiesing, der nachzeichnet, wie diese Transformation der Positionen in der Ästhetik angebahnt und vollzogen wurde.51 Dabei weist er Fiedler eine herausragende Bedeutung zu, da dieser den Paradigmenwechsel vollzieht, weg von der Bestimmung des Bildes als die Darstellung von Sichtweisen oder als Modi des Erkennens und hin zur ‘reinen Sichtbarkeit’, zur Sichtbarkeit als Inhalt und Zweck des Bildes.52 «Seine Ästhetik sollte als die seinerzeit noch utopische Idee gelesen werden, einen Bildtyp zu entwerfen, der sich von beiden Zwecken (d.h. in traditionell ästhetischem Kontext den Zwecken der Schönheits- und der Erkenntnisfunktion, AT) befreit und die Bildoberfläche zum Ganzen des Bildes werden lässt»,53 schreibt Wiesing. Er betont damit den Stellenwert der Fiedlerschen Ästhetik für das Bildverständnis unserer Tage, einer Zeit abstrakter und technisch produzierter, reproduzierbarer Bilder, dessen Idee, das Bild als eine Sichtbarkeitsgestaltung aufzufassen, erst im 20. Jahrhundert realisiert wird.54 Auf diesen theoretischen Hintergründen wird verständlich, dass nicht davon die Rede sein kann, dass das Bild eine Sprache besitze. Es wäre vielmehr eine Pluralität von Sprachen oder, wenn denn ein literaturwissenschaftlicher Terminus verwendet werden soll, dann würde vielmehr der Begriff der Rhetorik zutreffen, welcher die allgemeinen Leistungen des Bildes beschreibt und hermeneutischen Zwecken dienlich sein kann. Sichtbarkeit, Ikonik, ikonische Differenz – sie behandeln aus ontologischer und phänomenologischer Sicht die Wirkungsweisen oder das Performative des Bildes. Die allfällige Frage, wie das Bild zeigt, was es zeigt, kann deshalb dahingehend beantwortet werden kann, dass es bedeutungstragende Kompositionsstrukturen sowie die dialektischen Grundkonstanten von Präsentieren/Repräsentieren und Zeigen/Verbergen sind, welche in der Sichtbarkeit des Bildes wirken, seine ‘Sprache’ darstellen oder sein Schweigen artikulieren. Hier wird aus mehreren Gründen für die nähere Bezeichnung dessen, was das Bild konstituiert, der Begriff ‘Sichtbarkeit’ favorisiert: Zum einen trägt der Begriff ‘Sichtbarkeit’ sein Negatives, die Nicht-Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit, mit sich und evoziert so die ikonische Differenz von Anwesendem und Abwesendem. Zweitens enthält der Begriff einen aktivischen Aspekt: Das sichtbar Machen oder sichtbar gemacht worden sein. Sichtbarkeit ist somit als Resultat und als Zustandsereignis zu verstehen, als etwas Hervorgebrachtes, Vergangenes und gleichzeitig als ein im Kunstwerk vollzogenes Zeigen, ein Präsentisches. Des Weiteren ist in ‘Sichtbarkeit’ die Beziehung zum Rezipienten grundsätzlich angelegt, bietet sich das Sichtbare ja dem Sehen bzw. dem Gesehen werden an. Der Begriff ‘Sichtbarkeit’ wird auch dem Performativitätsbegriff vorgezogen, da dieser in Bezug auf alles Wahrnehmbare, das Sichtbare jedoch nur auf das Visuelle angewendet werden kann. Nicht zuletzt ist der Terminus durch Fiedler und Imdahl kunsthistorisch verankert. Imdahl erbrachte in der Praxis der Interpretation, mittels der Ikonik, den Beweis für die These Fiedlers, dass ein Bild allein aus seiner Sichtbarkeit heraus zu verstehen sei und durch Wiesing wurde der Begriff für ein philosophisch-ästhetisches Bildverständnis fruchtbar gemacht. 51 52 53 54 Vgl. L. Wiesing: Sichtbarkeit. Ebd., 154–160. Ebd., 159. Ebd., 168. Wiesing unterstreicht nicht zuletzt dadurch die Bedeutung Fiedlers, dass er dessen Begriff der Sichtbarkeit in den Titel seines Werks zur Geschichte und Perspektive der formalen Ästhetik integriert. 92 In der ikonischen Logik lassen sich nun die drei Deskriptionsweisen des Bildlichen zusammenfassen: Sichtbarkeit wird als eigenständige Wirklichkeit des Kunstwerks verstanden, die sich daraus ergibt, dass nicht alle Bildaspekte sprachlich fassbar und Bilder auch ohne Rekurs auf die Alltagswelt Erscheinungen sind, die auf etwas verweisen. Ikonik weist unabhängig von der Art der Bilderscheinung den Kompositionsstrukturen maßgebliche Aussagekraft zu und stellt dadurch einen Weg dar, der für ungegenständliche, aber auch für traditionell-gegenständliche Kunstwerke Deutungsdimensionen eröffnet, die auf andere Weise nicht zugänglich sind. Und mittels der ikonischen Differenz können die Kontraste und Spannungsverhältnisse des Bildes als aufeinander bezogen verstanden und erklärt werden. Dasselbe gilt auch für zwei Arten von Bildelementen, die die Sichtbarkeit maßgeblich bestimmen, obwohl sie oft hinter der Gesamtgestaltung zurückstehen. Es handelt sich dabei einerseits um Komponenten, die, ikonisch präsent, selbst nichts darstellen, jedoch eine Darstellung tragen und andererseits um Leerstellen, Elemente ikonischer Absenz, die etwas nicht zeigen und gerade dadurch von den Betrachtenden eine aktive Teilnehmen herausfordern. Sie werden im Folgenden vorgestellt. 2. Elemente ikonischer Präsenz 2.1 Inhalt oder Form, Gehalt oder Struktur Im Begriff der Sichtbarkeit, der die Gesamtheit Bild konstituierender Elemente umfasst, ist auch die Korrelation von Form und Inhalt enthalten. Wobei Form als Aspekt des Bildes in zweierlei Hinsicht von Belang ist. Einerseits hat das Bild als solches eine äußere Form, die sich unter historischen Bedingungen entwickelt hat – von der Wandmalerei zur Tafelmalerei, vom gerahmten Objekt zum Allover. Sie stellt die Identifizierung eines Objektes ‘Bild’ durch Abgrenzung von anderen Objekten und von seiner Umgebung sicher. Andererseits wird diese materiell fassbare äußere Form des Gegenstandes als Bildträger von gemalten Formen und Formelementen strukturiert, so dass von bildinternen Formen gesprochen werden kann. Ob diese sich nun zu erkennbaren Gestalten oder zu abstrakten Gebilden zusammenfügen – es sind diese bildinternen formalen Elemente, die in ihren Relationen zueinander gleichzeitig auch Bildinhalte sind. Hier manifestiert sich Form als Inhalt, ist Inhalt als Form fassbar. Damit realisiert sich im Bild, was Hegel als eine der wichtigsten Bestimmungen von Inhalt und Form bezeichnet: Bei dem Gegensatze von Form und Inhalt ist wesentlich festzuhalten, daß der Inhalt nicht formlos ist, sondern ebenso wohl die Form in ihm selbst hat, als sie ihm ein Äußerliches ist. Es ist die Verdopplung der Form vorhanden, die das eine Mal als in sich reflektiert der Inhalt, das andere Mal als nicht in sich reflektiert die äußerliche, dem Inhalte gleichgültige Existenz ist. An-sich ist hier vorhanden das absolute Verhältnis des Inhalts und der Form, nämlich das Umschlagen derselben ineinander, so daß der Inhalt nichts ist als das Umschlagen der Form in Inhalt, und die Form nichts als Umschlagen des Inhalts in Form. Dies Umschlagen ist eine der wichtigsten Bestimmungen.55 Darin liegt eine weitere Antwort auf die Frage nach der Präsentationsweise des Bildes, denn im Bild sind formale Elemente gleichzeitig Inhalte, es zeigt im Zeigen. Aus den Rela55 G.W.F. Hegel: Enzyklopädie I, § 133, 264–265. 93 tionen der einzelnen Form/Inhalt-Elemente zueinander ergibt sich das Erkenntnishafte des Bildes, mit anderen Worten: Erkenntnisformen des Bildes finden sich nicht in der Repräsentation, sondern in der Präsentation. Diese Interdependenz von Form und Inhalt bzw. von Präsentation und Gehalt werden mittels der Ikonik aufgedeckt. Am Beispiel des Gemäldes Mühle von Wijk von Jacob van Ruisdeal (Abb. 24) weist Imdahl exemplarisch nach, wie Kompositionsstrukturen und Bildaussage einander bedingen. Abb. 24: Jakob van Ruisdeal, Die Mühle von Wijk, um 1670, Öl auf Leinwand, 83 x 101 cm, Amsterdam, Rijksmuseum. Nach einer genauen Analyse formaler Strukturen kommt er zum Schluss, dass, da der Bildraum nicht zentralperspektivisch und somit nicht von einer einzigen Position aus einsichtig, sondern polyperspektivisch aufgebaut ist, die Autonomie des Raumes gegenüber dem betrachtenden Subjekt gesteigert wird, was das Subjekt gleichzeitig vom Zwang befreit ist, selbst auf eine einzige Position festgelegt zu sein. Mit Imdahls Worten: «Die im Polyperspektivismus vermehrte Autonomie des Raumes gegenüber dem Subjekt korreliert mit einer vermehrten Freiheit des Subjekts gegenüber dem Raume und auch mit der Herrschaft über ihn.»56 Zwei grundsätzliche Schritte sind es, die zu dieser Schlussfolgerung führen. In einem ersten wird festgestellt, dass Ruisdaels Gemälde zwar das Porträt einer Landschaft darstellt, dass jedoch darin die Mühle in Untersicht, von nahem, die Landschaft dagegen in weiter Ferne gezeigt wird. Somit befindet sich der Betrachter «entsprechend der Bildstruktur mit Bezug auf die Mühle an einem anderen fiktiven Ort,» so Imdahl, «als mit Bezug auf die gesamte Landschaft».57 Durch die Nahsicht auf die Mühle wird diese monumentalisiert, zu ihr wird aufgeblickt, sie ist der Bildheld. In Bezug auf das ganze Bild sieht der Betrachter jedoch «sein eigenes Die-Mühle-aus-der-Nähe-sehen auf Distanz gebracht», somit kann der Betrachter «seine 56 57 M. Imdahl: Identität, 200. Ebd., 201. 94 nahsichtbedingte Subordination unter die Mühle seiner fernsichtbedingten Überschau über die Landschaft subordinieren, er subordiniert sein eigenes Der-Mühle-Subordiniertsein.»58 In einem zweiten Schritt der Analyse wird der formale, planimetrische Bildaufbau untersucht und eine Vielzahl von Relationen festgestellt, welche die bildhafte Objektivation der Raumvision betrifft. Hier ein längeres Zitat, das verdeutlicht, wie Imdahl dabei vorgeht: So bestehen notwendige Relationen, insofern der nach rechts oben geführte Windmühlenflügel auf die obere rechte Bildecke hinweist, dagegen der nach links unten gerichtete Flügel auf ein Torhaus am Horizont. Von diesem Torhaus führt eine Senkrechte herab zu einem Pfosten am unteren Bildrand. Ein entsprechender Pfosten weiter rechts markiert den Goldenen Schritt der Bildbreite, wobei die linken Windmühlenflügel senkrecht oberhalb dieses rechten Pfostens stehen. Wichtig ist ferner, dass verschiedene Wolkenkonturen das Diagonalschema der Windmühlenflügel mehrfach wiederholen und dass die Uferränder des nahen Vordergrundes in verschiedenen flachen aber unverkennbaren Rundungen auf die nahsichtbedingten Rundungen der Mühlenempore und des Mühlendaches anspielen. Erschiene die Mühle nicht in Untersicht sondern in (frontaler) Ansicht – wären also die Mühlenempore und das Mühlendach nicht gerundet, sondern waagerecht gegeben, so entfiele die komplexe, Nahsicht und Fernsicht vereinende Raumvision. Und entfielen die bezeichneten Rundungen am Ufer, so bleibe jene komplexe Raumvision zwar bestehen, sie wäre aber nicht bildhaft kompositionell adjektiviert. Sie wäre willkürlich, nicht notwendig.59 Erst die Konstatierung der komplexen Bildstruktur führt zu einer Deutung, erst die formale und strukturelle Analyse der Präsentation macht eine fundierte Aussage über den Gehalt des Bildes möglich. Was auf den ersten Blick als einfaches Landschaftsbild erscheinen mag, erweist sich so als komplexe Aussage über einen kulturellen Wandel, der sich im 17. Jahrhundert vollzog. Abb. 25: Vincent van Gogh, Olivenhain, 1889, Öl auf Leinwand, 72,4 x 91,9 cm, Otterlo, Coll. Kröller-Müller Museum. 58 59 Ebd. Ebd. 95 Doch wie es keine Stimme ohne Timbre und Stimmhöhe gibt, so gibt es weder Form noch Inhalt ohne Ausdruckscharakter. Selbst die Pinselfaktur, formales Element wie bei Vincent van Gogh (Abb. 25) oder Inhalt an sich wie bei Roy Lichtenstein (Abb. 26), zeichnet sich durch einen Stil aus. So malte van Gogh im Stil der impressionistischen Fleckenmalerei und reihte sich damit ein in den Stil derer, die Malerei als Darstellung von Immateriellem und als Resultat einer schauenden und fühlenden Sensibilität verstanden,60 während Lichtensteins Brush Stroke einem einzelnen groben Pinselstrich Bildwürdigkeit verlieh, ihn zum Inhalt eines Bildes machte, der jedoch im flächigen Stil der PopArt gemalt ist. Abb. 26: Roy Lichtenstein, Brush Stroke, 1965, Serigraphie, 58,4 x 73,7 cm. 2.2 Stil Die Beispiele von van Gogh und Lichtenstein ebenso wie diejenigen von Chardin und Matisse (Abb. 20 und Abb. 21) machen deutlich, dass der Stilbegriff sowohl Formales als auch Inhaltliches, die Darstellungsweise als auch die Aussage einer Weltsicht Betreffendes, umfassen kann. Dieser Pluralität an Bedeutungen entspricht die Vielzahl der Zusammenhänge, in denen der Stilbegriff verwendet wird. So gibt es Stilgeschichte, Stilkritik, Stilstufe, Stilwandel, Stilbruch – Ausdrücke, die den Begriff keineswegs auf die bildende Kunst beschränken. Er hat seine Wurzeln in der Rhetorik der Antike und meint die je nach Zweck, Gegenstand oder Adressat unterschiedlichen Abstufungen des Vortrags. Im allgemeinen Sprachgebrauche ist ‘Stil’ eine Bezeichnung für «ein jeweils eigentümliches Form-, Verhaltens- und Prozessgepräge.»61 Das gilt auch für die Verwendung in Bezug auf das Bild und seine ‘Sprache’. In der Kunstgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts indessen wurde ‘Stil’ sowohl zu einem Instrument formaler Analyse als auch «zum letzten Aussagbaren, auf seine Fest60 61 Vgl. V. Krieger: Die Farbe, 91–92. Vgl. Lexikon der Kunst, Bd. 7, 60. 96 stellung lief alles zu», er bezeugt die Wandlungen eines geschichtlichen Verlaufs.62 Stil war damit die Art und Weise, wie Welt in der Kunst dargestellt wird und zugleich ein Mittel, die Wirklichkeit der Kunstwerke wahrzunehmen.63 Mit der starken Fokussierung und Konzentration auf Stilmerkmale und Stilentwicklungen machte sich die traditionelle Kunstgeschichte bald zur Stilgeschichte.64 Diese erhebt die Dialektik von Form und Inhalt im Stil zu einer normativen Größe, die als Ausdruck einer Person, einer Zeit oder einer geographischen oder sozialen Zuordnung (Nation) verstanden wird. Obwohl der Stilbegriff im 18. Jahrhundert von Johann Wolfgang von Goethe geadelt wurde – er unterschied ihn von der Nachahmung der Natur und der Manier und erachtet ihn als Resultat der Einsicht in «die Eigenschaften der Dinge und die Art, wie sie bestehen» und deshalb als höchsten Grad, wohin Kunst gelangen könne, «der Grad, wo sie sich den höchsten menschlichen Bemühungen gleichstellen darf»65 – so blieb nicht aus, dass der Begriff im Rahmen kunsthistorischer Positionen viel diskutiert wurde. Gerade Wölfflins Bestimmungen der ‘doppelten Wurzel des Stils’, die neben den Stil als Ausdruck allgemeiner epochespezifischer Tendenzen auch das Sehen und die ‘optischen Möglichkeiten’ als zwar historisch geprägte aber individuelle Grundlage der Kunst stellt,66 zeigt, wie schwierig das theoretische Fassen und Interpretieren des Begriffs und seine empirische Zuordnung sind. Das mag damit zusammenhängen, dass der Stilbegriff nach zu vielen unterschiedlichen Kriterien gegliedert werden kann. Zu den bereits erwähnten Gliederungskriterien Person, Zeit und Ort gesellen sich technische, ästhetische, thematische, motivische und weltanschauliche Aspekte, die einen Stil bestimmen können, jedoch selten rein auftreten, so dass unter Stilpluralismus nicht nur gleichzeitig nebeneinander existierende Kunsterscheinungen, sondern eben auch Stilüberblendungen innerhalb eines einzelnen Werks verstanden werden kann. Rudolf Arnheim bezeichnet Stil als «first of all [...] an intellectual concept derived from a manifold of perceptual observations» 67 und unterstreicht, dass Stilbezeichnungen nicht Schubladen sind, in die Werke oder Künstler gesteckt werden können, sondern dass es sich dabei vielmehr Art und Weisen handelt, wie Kunst hergestellt wird und wie das jeweilige Medium dabei eingesetzt wird.68 Und Gombrich betont, dass Stil nicht nur eine Frage des Ausdrucks, sondern ebenso der technischen Möglichkeiten und des technischen Könnens und außerdem nicht losgelöst von künstlerischer Überlieferung sei, an der sowohl Künstler als auch Beschauer Anteil haben.69 Arnheim und Gombrich trafen ihre Feststellungen in den 1980er Jahren, zu einer Zeit also, in der die Herstellung von Kunstwerken noch weitgehend auf handwerklichen/analogen Produktionsmöglichkeiten beruhte. Sie haben aber angesichts einer Kunst, zu deren Selbstverständnis Sampling als Methode und Appropriation als Stil gehören und der Stilbegriff selbst zum ‘style’ mutierte, nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. Gombrich vergleicht zudem den Stil als Merkmal der persönlichen Eigenart eines Künstlers mit dem persönlichen Akzent, der persönlichen Aussprache einer Person, nicht ohne zu ergänzen, dass gerade der Vergleich mit der Sprache bestätige, dass Ausdruck subjektiver Gemütszustände und Darstellung nicht voneinander zu trennen seien, denn «wir wissen, es gibt ungezählte Zwischenstufen, in denen sowohl die Tatsa62 63 64 65 66 67 68 69 Vgl. H. Bauer: Form, Struktur, Stil, 170–171. Vgl. A. Reichenberger: Riegls ‘Kunstwollen’, 75. Vgl. Lexikon der Kunst, Bd. 7, 60. J. W. v. Goethe: Nachahmung der Natur, 80. H. Wölfflin: Grundbegriffe, 11–21. R. Arnheim: Gestaltproblem, 282. Vgl. ebd., 285. E.H. Gombrich: Kunst und Illusion, 26 bzw. 406. 97 chen selbst als auch unsere emotionelle Einstellung zu ihnen gleichzeitig übermittelt werden, und das gleiche gilt für die bildliche Darstellung.»70 Gerade mit dieser neuerlichen Rückbindung des Stilbegriffs an den sprachlichen Ausdruck wird deutlich, wie sehr Stil ein Teil der Sichtbarkeit des Bildes, seiner ‘Sprache’, aber auch, wie unpräzise der Vergleich zwischen Bild und Sprache ausfällt, da der in Bildern zum Ausdruck kommende Nuancenreichtum die Möglichkeiten der Sprache bei weitem übersteigt. Eine weitere Schwierigkeit des Stilbegriffs liegt darin, dass jeder Stil, wie die Sichtbarkeit des Bildes insgesamt, janusköpfig ist. In Goethes bereits erwähnen Ausführungen zum Stil wird dies besonders deutlich. Da «ruht der Stil auf den tiefsten Grundfesten der Erkenntnis, auf dem Wesen der Dinge, insofern uns erlaubt ist, es in sichtbaren und greiflichen Gestalten zu erkennen»71 – ist der Stil also den Dingen wesentlich und zugleich ihr phänomenologisches Zutagetreten und ihr verweisen auf etwas. Und wieder, wie zuvor bei der Sichtbarkeit, oszillieren materielle Oberfläche und Bedeutung. Außerdem ist Stil Form und Inhalt zugleich, insofern er ein formales Element darstellt und gleichzeitig im Sinne Wölfflins als Ausdruck eines jeweiligen Zeitgeistes Bedeutungsträger ist. Abb. 27: Paul Sérusier, Le Talisman, 1888, 27 x 21,5 cm, Öl auf Holz, Paris, Musée d’Orsay. Ob nun als Ausdruck einer kulturell-künstlerischen Einheit oder als Äußerungen innerhalb eines Zeitraumes, ‘Stil’ dient immer als Klassifikationsmittel, da er ästhetische Eigenschaften des Kunstwerks bezeichnet. Er kann dabei dem Inhalt so sehr äußerlich sein, dass er ihn fast kaschiert und selbst zum Inhalt wird wie dies im Gemälde Le Talisman von Paul Sérusier (Abb. 27) der Fall ist, wo die Repräsentation hinter die Präsentation zurücktritt. Paul Sérusier malte das kleinformatige Bild 1888 anlässlich eines eintägigen Besuches bei Paul Gauguin und unter dessen Anleitung in Port-Aven.72 Das Sujet – ein Weg, der einem See entlang zu einem kleinen, von hohen Bäumen umgebenen Haus führt – ist 70 71 72 Ebd., 401. J.W. v. Goethe: Nachahmung der Natur, 80. C. Frèches-Thory, U. Perucchi-Petri (Hg.): Die Nabis, 251. 98 weder in naturalistischer noch in impressionistischer Manier sondern im Stil eines (vorweggenommenen) Expressionismus oder der noch späteren Farbflächenmalerei gestaltet. Das ganze Bild besteht aus farbigen, fleckenhaften Flächen, deren Konturen die einzelnen Objekte aufheben. Die Farben sind kräftig, fast grell, die Grundfarben Blau, Rot und Gelb sowie reines Bleiweiß und verschiedene Grüntöne treffen unvermittelt und übergangslos aufeinander. Während das Sujet dieses Bildes ein durchaus für die Landschaftsmalerei übliches ist, ist der Stil für die damalige Zeit sehr innovativ, er überdeckt das Motiv, über das mit dem Bild kaum etwas ausgesagt ist. Das Werk wurde zu einer Art Fetisch – deshalb erhielt es den Titel Le Talisman – für die Nabis, einer Künstlergruppe, die sich in den 1880er Jahren in Paris traf.73 Der Stil wirkt hier für sich selbst, ja er verweist mehr auf sich selbst als auf das Sujet, indem er, «die abgebildete Sache strukturell transformiert, wie ein Filter, durch den man etwas in einer bestimmten Weise sieht und wodurch man gleichzeitig in der direkten und unmittelbaren Sicht auf dieses etwas behindert wird.»74 Stil ist demzufolge eine Art, wie Dinge präsentiert werden. In seiner Erscheinung den formalen Aspekten des Bildes zugehörig und doch Teil seiner Opazität bildet er gewissermaßen – um sprachterminologisch vergleichend zu argumentieren – dessen ‘Syntax’, als Ausdruck einer Sichtweise jedoch gehört er der ‘Semantik’ an. Mit diesen Eigenschaften ist Stil ebenso dialektisch zu verstehen wie Form und Inhalt. Goodman hebt hervor, dass Stil «nicht ausschließlich eine Sache des Wie, im Gegensatz zum Was [ist]»,75 sondern «ausschließlich mit den Symbolfunktionen eines Werks als solchem zu tun [hat]», also mit all den Qualitäten, die in einem Werk das zeigen, was es exemplifiziert oder ausdrückt.76 Die Sichtbarkeit des Bildes wird jedoch nicht nur durch Form, Inhalt oder Stil geprägt, im engeren Sinn wird sie durch das Verhältnis und den Stellenwert von Zeichnung und Farbgebung bestimmt. 2.3 Disegno oder Colore, Colore oder Colorito – ein ‘Sprachenstreit’ Zwischen den zwei Polen der Bildgestaltung, der linearen Zeichnung und der modellierenden Farbe, spielten sich im Verlauf der Jahrhunderte wahre Richtungskämpfe ab. Unter den Schlagworten von ‘Disegno’ und ‘Colore’ sowie den Namen von Künstlern wie Michelangelo und Tizian, Poussin und Rubens, Ingres oder Delacroix wurden Debatten über den richtigen Malstil geführt, unterschiedliche Gestaltungsvorgänge gegeneinander ausgespielt und Werturteile über Gemälde gefällt.77 Ja, die Geschichte der Malerei von der Renaissance bis heute ließe sich unter den Aspekten des Paragone von Disegno und Colore78 erzählen, wobei aus heutiger Sicht deutlich wird, dass die Farbe, nicht nur die Farbgebung, die Oberhand gewonnen hat. Doch vor den Belegen für die gegenwärtigen Aus- 73 74 75 76 77 78 Auf der Suche nach Mitteln der Wiedergabe von Emotionen und Gedanken entfernten sich die Mitglieder dieser Gruppe von naturalistischen Darstellungen. Sie begannen Körper und Volumen zu verformen, gaben die Zentralperspektive auf und setzten an ihre Stelle eine Multiperspektive, die verschiedene Sichten gleichzeitig vorstellte. Damit standen sie in der Nachfolge von Cézanne und anderer Kunstströmungen der Zeit. Ihre eigene Wirkungsgeschichte reicht bis weit in das 20. Jahrhundert. Vgl. C. Frèches-Thory, U. Perucchi-Petri (Hg.): Die Nabis. L. Wiesing: Phänomene, 56. N. Goodman: Weisen der Welterzeugung, 52. Ebd., 51. Vgl. S. Roettgen: Venedig oder Rom. Zu den verschiedenen Ausprägungen des Paragone vgl. W. Deiters: Paragone, 1–5. 99 prägungen dieser Polarisierung sollen ihre Geschichte und ihr Bedeutungsumfang skizziert werden. Worum ging es bei diesem Wettstreit unterschiedlicher Bildsprachen? Die Frage, die im 16. Jahrhundert zum Streit zwischen Florenz, Rom und Venedig über die Vorzüge der Zeichnung oder der Farbgebung in der Malerei führte, basierte auf einer Grundlage, welche die gesamte europäische Geistesgeschichte durchzieht und bis heute wirksam ist. Ihr Hintergrund ist die Gegenüberstellung von Verstand und Seele, von Denken und Empfinden, von Form und Materie und spitzt sich zur Frage zu, «ob der Wert eines Gemäldes allein in der Idee (idea) oder in der Nachahmung der Natur (imitazione) liege.»79 Darin lässt sich unschwer der Einfluss von Platons Ideenlehre erkennen, in der die einer höheren Welt angehörenden Ideen als unvergängliche Prinzipien und wahrhaft seiende Wesenheiten nur der Vernunft zugänglich,80 die Welt der sinnlich erfahrbaren Erscheinungen jedoch lediglich als Nachbilder des ständig Seienden, als vergänglich und täuschend betrachtet werden.81 Ein früher Beleg dafür findet sich bei Marsilio Ficino, Übersetzer und Vermittler antiker Philosophie, der in seinem von Plotin geprägten Kommentar zu Platons Symposion schrieb, «man dürfe keinesfalls annehmen, dass die Schönheit etwa in einer ‘zarten Abtönung der Farben’ bestehe, denn die Schönheit sei unkörperlich, rein geistiger Natur.»82 Dieser grundlegende Dualismus von Idee und Erscheinung fand über den die Renaissance bestimmenden (Neu-)Platonismus Eingang in die Kunsttheorien der Zeit. Die Folge war, dass es zwar als notwendig erachtet wurde, dass an sich gestaltlose Schönheit Teil haben muss an einer Form, das heißt an einer rationalen Struktur und Gestalt,83 Farben jedoch als ungeistig, also als stofflich betrachtet wurden. Womit auch die zwei komplementären Prinzipien von Stoff bzw. Materie und Gehalt bzw. Inhalt direkt angesprochen sind. Die Konkretisierung dieser Themata in der Malerei als Gegenüberstellung von Disegno (Idee, Zeichnung) und Colore (Farbgestaltung, Palette) erfolgte in Bezug auf den Wettstreit von Malerei, Skulptur und Architektur um die Rangfolge der Künste. Giorgio Vasari, florentinischer Maler und Architekt, ernannte den Disegno zum «Vater unserer drei Künste, [der] aus dem Intellekt hervor[geht] und aus vielen Dingen ein allgemeines Urteil [schöpft], gleich einer Form oder Idee aller Dinge der Natur, die in ihnen Maßen überaus regelmäßig ist.»84 Also sollen Maß, Regel und Proportionen ein Kunstwerk bestimmen – eine Einschätzung, die weit über Italien und das 16. Jahrhundert hinaus die Lehren in den akademischen Kunstschulen bestimmt. Damit wird der Disegno zum Synonym für Malerei und der Farbgebung fällt implizit eine zweitrangige Rolle zu. Dieses Urteil, das sich primär auf die Art und Weise des Malvorgangs bezog, war jedoch auch ein Urteil über die Qualität der Werke und, da diese meistens Produkte von lokalen oder regionalen Schulen waren, wurde auf dem Weg über die Kunsttheorie ein kulturpolitisches Urteil über Malschulen und deren städtisches Umfeld gefällt. Florenz siegte also (vorläufig) über Venedig. Denn in Venedig besaß die Farbe einen gänzlich anderen Stellenwert. In Venedig ging, verallgemeinernd gesprochen, dem Farbauftrag auf der Leinwand keine Zeichnung voraus, der Linie wurde für das Gemälde keine substantielle Bedeutung mehr zugesprochen. Während der Disegno der Florentiner eine mehr oder weniger scharfe Farbkontrastierung zuließ, 79 80 81 82 83 84 M.-J. Wasmer: Disegno versus Colorito, 1. Vgl. Platon, Phaidros 247 c. Vgl. Platon: Timaios 50c bzw. Politeia 602c–603a. Zitiert nach V. Krieger: Die Farbe, 93. Vgl. Plotin: Ausgewählte Schriften, I, 6 § 5. Diese Thematik korrespondiert mit den Ausführungen zur Wahrheit und ihrer Erscheinung in der Malerei, siehe unten, 178-183. G. Vasari: Lebensbeschreibungen, 62. 100 verstanden die Venezianer unter dem guten Gebrauch der Farbe einen großen Nuancenreichtum, der die Körper aus der Farbe heraus modellierte sowie eine Angleichung der Tonalitäten, so dass die Gestaltung räumlich-farblicher Einheiten die strukturierende Rolle der Formgrenzen ablöste.85 Und nicht zuletzt bedeutete der Unterschied zwischen den zwei unterschiedlichen ästhetischen Theorien auch differierende ästhetische Erfahrungen. «We can distinguish not just the means,» schreibt S.J. Freedberg, «but the underlying mentality that determines the drawing process in each school: for he Florentine, the drawing is a way of fixing and, in a sense, conceptualizing an experience that is primarily form, reducing mobility and accident; [...] The Venetian catches, but does not wish really to fix, a presence that exists in living, mobile light; the response is visual far more than it is intellectual.»86 In der Polarisierung von Disegno und Colore standen sich demzufolge, so lässt sich ableiten, zwei unterschiedliche Menschenbilder gegenüber: Auf der einen Seite (Florenz) der Mensch als Schöpfer und Vermesser von Maß und Regeln, von den Gesetzen der Geometrie abhängig und auf der anderen Seite (Venedig) der Mensch als Sinnenwesen, umgeben und abhängig von Licht und Farbe die sinnlichen Eindrücke nachbildend. Daraus resultieren zwei unterschiedliche Prinzipien der Gestaltung: Einerseits die künstlerische Planungs- und Erfindungskraft, die sich an formalen und theoretischen Vorgaben orientiert und auf der anderen Seite die Nachschöpfung der Welt durch Farbe im spontanen Malprozess.87 Dieser antagonistische Wettstreit der Malstile blieb weder auf Italien noch auf die Kunsttheorie beschränkt und fand sein Ende auch nicht im 16. Jahrhundert, sondern verlagerte sich innerhalb Europas, wurde in Traktaten und auf den Leinwänden ausgetragen und von Richtungskämpfen zwischen akademischer Malerei und jeweiligen Modernisten überlagert.88 Doch im 19. Jahrhundert begann die Farbe endgültig die (europäische) Malerei zu dominieren. Die Bildgestaltung mit Farbflecken (macchia), die «in der Kunstauffassung Venedigs seit dem 16. Jahrhundert eine so große Rolle gespielt hatte,» so Steffi Roettgen, und nun zum Inbegriff der neuen Malerei des 19. Jahrhunderts wurde, «ging endgültig zu Lasten der alten Konkurrentin, der mit der römisch-florentinischen Tradition verbundenen akademischen Schule, die nun in die Wüste geschickt wurde.»89 Der ‘Sprachenstreit’ der Malerei weitete sich nun insgesamt auf Motive und Themen aus und prägt die visuelle Kultur bis heute. In den Extrempositionen von Disegno und Colore standen/stehen sich ja nicht nur philosophische Denkmuster, sondern, davon abgeleitet, auch geschlechtsspezifische Konnotationen gegenüber. So führte die Verbindung von Disegno mit Form, Substanz, Geist assoziativ zu ‘männlich’, die Farbe – Rest des handwerklichen Vorgangs und bloße nachträgliche Hinzufügung – zu ‘weiblich’. Diese Farbe und Weibliches abwertende Kennzeichnung fand sich, wie Verena Krieger nachweist, implizit und explizit in verschiedenen florentinischen Traktaten des 16. Jahrhunderts.90 Dass es den Venezianern in ihren Schriften gelang, die Gleichberechtigung der Farbe theoretisch zu begründen, ohne die philosophischen Prämissen des Vorrangs des Geistes vor der Materie in Frage zu stellen, ist das Resultat einer Strategie, deren Auswirkungen noch immer nachwirken.91 So verzichteten sie auf geschlechtsspezifische Zuschreibungen zu 85 86 87 88 89 90 91 Vgl. R. Undusk: Disegno e Colore. S.J. Freedberg: Disegno versus Colore, 311. Vgl. M.-J. Wasmer: Disegno versus Colorito. Vgl. S. Roettgen: Venedig oder Rom, Abschnitte 23–40. Ebd., Abschnitt 40. V. Krieger: Die Farbe, 92–93. Ebd., 101–103. 101 Linie und Farbe und legten damit die Basis zu einer Veränderung der Betrachtungsweise, welche der Farbe eine gleichberechtigte Stellung im kreativen Prozess und seiner Planung zugesteht, obwohl es noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts dauern sollte, bis diese männlich dominierte Sichtweise wirklich obsolet wurde. Zur Strategie der Venezianer gehörte jedoch, wie Krieger ausführt,92 insbesondere die Umbenennung von ‘Colore’ in ‘Colorito’, was den konstruktiven Aspekt und die immaterielle Funktionsweise der Farbe mehr betont als den materiellen Charakter. Dann setzten sie an Stelle der Zweiheit von Disegno und Colorito eine Dreiheit von Erfindung (inventio), Zeichnung (disegno) und Kolorit (colorito). Zeichnung und Kolorit werden dadurch zu gleichberechtigten Ausführungsweisen vor denen in jedem Fall die geistige Leistung steht. Außerdem begründeten sie die Bedeutung des Kolorits für die Malerei damit, dass nur es Unbelebtes belebt erscheinen lassen könne, damit auf den Paragone der Künste anspielend, bei dem es ja auch darum ging, festzulegen, welche der Künste am meisten zu beleben oder beseelen im Stande war. Mit diesen Begründungen konnten die ‘Vertreter der Farbe’ bestehen, auch wenn die Debatte im 17. Jahrhundert in Frankreich zwischen Poussinisten, die dem Disegno den Vorrang gaben und Rubenisten, die entsprechend die Farbe favorisierten, wieder aufflammte und im 18. Jahrhundert zwischen Ingres (Disegno) und Delacroix (Colorito) weiter geführt wurde. Dass sich die im 16. Jahrhundert formulierte Apologie der Farbe im 19. Jahrhundert jedoch zu deren Emanzipation wandelte, ist in einem Brief Gauguins von 1899 nachzulesen: «Denken Sie auch daran, welche gewissermaßen musikalische Rolle die Farbe in der modernen Malerei spielt. Die vibrierende Farbe ist wie die Musik fähig auszudrücken, was in der Natur das Allgemeinste und deswegen auch am schwersten Faßbare ist, nämlich die sie im Innern bewegende Kraft.»93 Der Farbe wird jetzt ein Ausdruckswert zugesprochen, wie ihn sonst nur die Musik kennt. Ein Topos, der 1912 bei Kandinsky, der in geradezu synästhetischer Weise Klangfarben und Farbtöne aufeinander bezog, wieder erscheint: «Im Allgemeinen ist also die Farbe ein Mittel, einen direkten Einfluss auf die Seele auszuüben. Die Farbe ist die Taste. Das Auge ist der Hammer. Die Seele ist das Klavier mit vielen Saiten. Der Künstler ist die Hand, die durch diese oder jene Taste zweckmäßig die menschliche Seele in Vibration bringt.»94 Zeigen diese beiden Zitate, wie sehr sich der Stellenwert der Farbe weg von einem bloßen Beiwerk und hin zu einer bewegten und bewegenden Kraft veränderte, so verdeutlicht eine Aussage Paul Klees aus einem Vortrag von 1924, wie die Farbe nun aufgrund ihrer komplexen Eigenschaften höher bewertet wird als die Linie. Nachdem er vom Maß als Kennzeichen der Linie und dem Gewicht der Tonalitäten, der Abstufungen zwischen Schwarz und Weiß, gesprochen hatte, äußert er sich zu den Farben: Drittens die Farben, welche offenbar wieder andere Charakteristika aufweisen. Denn man kommt ihnen wieder mit Messen, noch mit Wägen ganz bei. Da wo mit Maßstab und mit Waage keine Unterschiede mehr festzustellen sind, z.B. von einer rein gelben zu einer rein roten Fläche von gleicher Ausdehnung und gleichem Helligkeitswert, bleibt immer noch die eine wesentliche Verschiedenheit bestehen, die wir mit den Worten gelb und rot bezeichnen. So wie man Salz und Zucker vergleichen kann bis auf ihr Salziges und ihr Süßes. Ich möchte daher die Farben Qualitäten nennen. Die Farbe ist erstens Qualität. Zweitens ist sie Gewicht, denn sie hat nicht nur einen Farbwert, sondern auch einen Helligkeitswert. Drittens ist sie auch noch Maß, denn sie hat außer den vorigen Werten noch ihre Grenzen, 92 93 94 Ebd., 93. P. Gauguin: Brief. W. Kandinsky: Das Geistige, 64. 102 ihren Umfang, ihre Ausdehnung, ihr Messbares. [...] Die Linie aber ist nur Maß.95 Die Farbe, einst zweitrangig im Malprozess, wird im Verlaufe des 20. Jahrhunderts Bild bestimmend. Seit den 1940er-Jahren bestehen Bildkörper in der Farbfeldmalerei zur Gänze aus Farbe, nimmt die gestisch aufgetragene Farbe das ganze rahmenlose Format eines Allover ein, drängt ein pastoser Farbauftrag in den Bildaußenraum. Farbe wurde Motiv, Thema und Mittel der Malerei. Clement Greenberg schrieb 1962 über Clifford Still, der zu den Abstrakten Expressionisten zählt: «Er wandte sich gegen die unvordenklich alte Konvention des Hell-Dunkel-Kontrasts und bestand statt dessen auf dem Vermögen der Farbe, durch den Gegensatz reiner Farbtöne zu wirken, und zwar relativ unabhängig von der Hell-Dunkel-Komposition. [...] Das Bild zergliederte sich nicht länger in einzelne Formen oder auch nur Farbflecke, sondern in Farbzonen, Farbpartien und Farbfelder.»96 Linien sind in diesen Konzepten, denen es primär um die Gestaltung von Farbräumen geht, keine Bedeutungsträgerinnen mehr, obwohl sie natürlich noch vorhanden sind, doch ihre Funktion ist nicht mehr die der Repräsentation eines geistigen Charakters. Sie werden nun faserig, verwischt und selbst wo sie geradlinig sind, wie beispielsweise in Werken von Barnett Newman (Abb. 22), da sind sie bloße Markierungen zwischen Farbfeldern, denn, so Greenberg «das Geradlinige ist per definitionem offen: Es lenkt am wenigsten das Augenmerk auf die Zeichnung und leistet dem Farbraum den geringsten Widerstand.»97 Der Antagonismus von Linie und Farbe, im 16. Jahrhundert lanciert, findet seinen Niederschlag also bis heute, allerdings inzwischen mit veränderten Vorzeichen. Selbst die monochromen Werke von Yves Klein sind nicht ohne diesen Dualismus zu verstehen. Klein, der 1954 einen Film mit dem Titel «Der Krieg zwischen Linie und Farbe oder: auf dem Weg zu einem monochromen Vorschlag»98 konzipierte, der nie ausgeführt wurde, beschreibt die Etappen dieses Weges in einem Vortrag von 1959. Da sagt er, dass er beim Betrachten eines Bildes in immer stärkerem Maße die Empfindung hatte, dass die Linien und alle ihre Konsequenzen, die Umrisse, Formen, Perspektiven, Kompositionen, dass all das, was nicht reine Farbe war, genau den Eindruck von Fenstergittern eines Gefängnisses erweckte und fährt fort: In der Ferne, in der Farbe: Leben und Freiheit. [...] Der Maler der Zukunft wird ein Kolorist sein, wie man ihn bisher noch nie gesehen hat; [...] Und es besteht kein Zweifel, dass ich durch die Farbe nach und nach das Immaterielle kennen gelernt habe. [...] Den entscheidenden Anstoß erhielt ich jedoch vor allem, als ich in der Basilika des Hl. Franziskus zu Assisi Farben entdeckte, welche ausschließlich einfarbig und blau waren. [...] Selbst wenn man von der Annahme ausgeht, Giotto habe nur die figurative Sicht, ist er dennoch entschieden monochromer Natur.99 Die große Klammer von Giotto bis zur monochromen Malerei, die Klein in diesen Sätzen öffnet, umschließt auch die Disegno-Colore-Debatte. Klein hat sie mit der Lösung des einfarbigen Bildes, Monochrom blau (Abb. 28), eindeutig beantwortet.100 95 96 97 98 99 100 P. Klee: Moderne Kunst. C. Greenberg: Nach dem Abstrakten Expressionismus, 943. Ebd., 944. V. Krieger: Die Farbe, 91. Y. Klein: Vortrag an der Sorbonne, zitiert nach: Ch. Harrison, P. Wood (Hg.): Kunsttheorie, 991–992. Klein nummerierte seine Blaumischungen und ließ sie unter der Bezeichnung YKB (Yves Klein Blau) patentieren. 103 Abb. 28: Yves Klein, Monochrom blau, (IKB 98), 1957, Pigmente in Kunstharz auf Leinwand auf Spanplatte, 75 x 55 cm, Krefeld, Kunstmuseum. Wie sich zeigt, war der Diskurs um die Vorherrschaft von Linie oder Farbgebung in der Malerei immer schon mehr als nur ein regionaler Disput zwischen Schulen oder ein Sprachenstreit. Mit dieser künstlerischen Auseinandersetzung wurde gleichzeitig Stellung bezogen für ein Welt- und Menschenbild – entweder für eine vermessbare Welt mit einem Menschen als eigenständiger Schöpfer oder für eine sinnlich erfahrbare Welt und einem schöpferisch nachbildenden Menschen – sowie für Denktraditionen, die Geist männlich und positiv, Seele hingegen weiblich und negativ konnotierten. So konnten denn bis ins 20. Jahrhundert Kunsttheorien mit Geschlechterkampf in Verbindung gebracht werden. Eindeutige Äußerungen sexistischer Natur, die auf diesem dichotomischen Denken gründen, sind zahlreich, wie Monika Wagner nachweist.101 Und heute? Heute lassen sich viele der in Bildern und Performances sichtbar gemachten Inszenierungen weder hinsichtlich ihrer Entstehung noch hinsichtlich ihrer Bedeutung in die Schemata einer dualistischen Kunstgeschichte pressen. Wenn gleich die Kategorien von Disegno oder Colorito noch immer im einzelnen Werk entdeckt werden können, so sind sie doch nicht mehr als kunsttheoretische Positionen explizit. Als Subtext einer Bildsprache jedoch prägen sie die Sichtbarkeit des Bildes, indem sie weit mehr als nur strukturierende Elemente sind und bilden die Textur eines Gemäldes – Textur im Sinne Marins: «Materie, Körper, ‘Fleisch’ des Gemäldes, die rauhe oder glatte Leinwand, das Pastose der Farben, die Spuren des Pinselstrichs, die Wirbel, Spritzer, Kratzer etc.»102 101 102 M. Wagner: Linie - Farbe - Material, 195–208. L. Marin: Texturen, 166. 104 2.4 Textur Mit dem Texturbegriff gerät die materielle Oberfläche und damit die reine Präsentation des Bildes in den Focus der Aufmerksamkeit, ist die Textur doch der Ort, an dem sich nicht nur die charakteristische Eigenart eines Künstlers, sein Duktus, verbirgt, durch sie vollzieht sich letztlich die Transformation der reinen Materialität in Bedeutung. Denn mittels der Textur verwandeln sich die Spuren eines maltechnischen Verfahrens in den aus Farbsubstanz bestehenden Bildkörper. Diese Sichtweise steht einerseits im Zusammenhang mit dem Begriff der ‘Inkarnation’, einem zentralen theologischen Begriff, der die Menschwerdung Gottes meint und sich erstmals, wie Christiane Kruse ausführt, Ende des 14. Jahrhunderts in einem Handbuch der Malerei als Fachbegriff für die farbige Darstellung von Haut wiederfindet.103 Andererseits ist die Textur gerade in ihrer Materialität ein wesentliches Konstituens der Malerei des 20. Jahrhunderts, wird doch die Materialität nicht nur als Bilduntergrund oder Hintergrund der Repräsentation sondern in ihrem eigenen Recht als zum Bildgegenstand gehörend verstanden. Womit Repräsentationstheorien nachhaltig in Frage gestellt werden und die Präsentation in autonomer Weise an ihre Stelle tritt. «Was jede Repräsentationstheorie so grundlegend relativiert,» heißt es im Nachwort zu Louis Marins Texturen des Bildlichen, «ist etwas, das sich schon im klassischen Streit zwischen Zeichnung und Kolorit wieder findet; etwas, was die Malerei vielleicht von allem Anfang, von der ersten Höhlenzeichnung, dem ersten Schattenriss an, geprägt hat: daß sie niemals nur Struktur, immer auch Textur ist.»104 Wenn aber die Materialität selbst bedeutsam und zum Zeichenträger wird, dann ergeben sich daraus Konsequenzen phänomenologischer und ontologischer Art. So zeigen sich die Folgen der Texturdominanz in phänomenologischer Hinsicht etwa darin, dass der Blick des Betrachters nicht mehr auf eine Bedeutung, das Erkennen einer Narration oder einer dargestellten Idee gerichtet ist, sondern dass die Transparenz des Bildes zugunsten der Opazität aufgegeben wird. War das Bild seit der Renaissance und bis ins 20. Jahrhundert als Fenster gedacht, durch das auf eine Welt geblickt werden konnte, so ist nun «das offene Fenster in der Wand [...] ein kleiner gelber Mauerstreifen geworden, eine Mauer aus Malerei.»105 Der Blick kann nicht weiter eindringen als bis zur Textur, die nicht weiter auf eine außerhalb ihrer selbst liegende Bedeutung, sondern auf sich selbst zurück weist. Diese Selbstreferenzialität geht einher mit einer Umkehrung der gestalttheoretischen Funktionen von Figur und Grund. Während die Textur traditionellerweise den Grund (Hintergrund) für eine Figur (Vordergrund) abgibt, in gestaltpsychologischem Sinne eine Bühne darstellt, auf der eine Figur auftreten kann oder sie strukturiert, spielt nun die Textur selbst die Hauptrolle. Indem also die Textur zur Hauptfigur wird, kehren sich die bildgestaltenden Rollen um: Grund wird Figur. Sie ist nun beides zugleich: Darsteller und Bühne, Signifikant und Signifikat bzw. ein auf sich selbst verweisender Signifikant. Wie die Textur zu eigenständiger Bildarchitektur wird, zeigen Werke des 20. Jahrhunderts. Doch zuvor durchlief sie, beispielsweise in ihrer Erscheinung als Fleck, eine durch die Jahrhunderte nachweisbare Geschichte zunehmender Bedeutung.106 103 104 105 106 Vgl. Ch. Kruse: Wozu Menschen malen, 175. T. Bardoux, M. Heitz: Louis Marin, 165 und 166. Ebd. Vgl. F. Weltzien: Der Fleck als Transformator. 105 2.5 Der Fleck als Signatur der Moderne Der Fleck kann in verschiedenen Funktionen in der Malerei in Erscheinung treten: als außerbildliches Vorkommnis regt er die Imagination des Künstlers an,107 als Lapsus hingegen kann er den Gesamteindruck eines Werks stören, als gemalter Fleck kann er Teil einer Gesamtkomposition sein108 oder aber er wird als hauptsächliches Gestaltungselement eingesetzt.109 Der Aufstieg vom Makel des Zufälligen oder des malerischen Unvermögens zum Bild konstituierenden Element vollzog sich hauptsächlich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. «Der Fleck machte zwischen 1820 und 1850 eine europäische Karriere», formuliert Friedrich Weltzien in einem Überblick über historische Stationen des Flecks als ‘Transformator ästhetischer Erfahrung’, der «als Ausdrucks- und Sinnträger in der Kunstgeschichte der folgenden Jahre immer wichtiger [wurde].»110 Als im Rahmen des Impressionismus die mimetische Wiedergabe der Natur abgelöst wurde durch die Wiedergabe optischer Eindrücke, führte dies zu neuen Motiven, neuen Farbzusammensetzungen und auch zu neuen Maltechniken. 111 In impressionistischer Malweise wurden Farbe und Pinselduktus zu Ausdrucksträgern und Gestaltungsmitteln, Farbkommatas und Flecken zu Gestaltungselementen, welche die Seheindrücke adäquat darstellbar machten, was dazu führte, dass der Fleck als Bildtextur zur Signatur der Moderne wurde. Paradigmatisch für die Wirkung von Farbflecken steht die Gemäldereihe von Paul Cézanne zum Mont Ste. Victoire, 112 doch bereits (Ferdinand Victor) Eugène Delacroix setzte die taches zur Bildgestaltung ein, wie Sabina Slanina nachweist. Sie stellt fest, dass gerade durch den Fleck als Gestaltungselement die ‘Motorik des Bildwerdens’ in den Vordergrund drängt.113 Damit gerät ein weiteres Moment der Bedeutung des Flecks in den Fokus. Denn so wie in der Textur die Repräsentation in der Präsentation verschwindet, so verschwindet nun durch die ‘Fleckenmalerei’ auch die Präsentation und der Prozess des Darstellens tritt zu Tage. Das führt insbesondere der Pointillismus vor. In dieser Technik werden Flecken in ungebrochenen Farben so nahe nebeneinander aufgetragen, dass die optische Mischung im Auge des Betrachters den gewünschten Farbton erzeugt. 114 Umrisse werden dadurch zweiwertig: Einerseits unterscheidet sich ein Körper deutlich von seiner Umgebung, erhält dabei jedoch ein auratisches Flimmern, das die Körpergrenze aufzulösen scheint. Darin zeigt sich eine besondere Wirkungsweise von Flecken: sie sind selbst begrenzt, durch die Unverbundenheit der Flecken untereinander jedoch lösen sie Umrisse auf, bringen eine 107 108 109 110 111 112 113 114 Leonardo da Vinci regte in einem Traktat zur Malerei an, sich zur Bildinvention Gemäuer anzusehen: «Wenn du manches Gemäuer mit verschiedenen Flecken oder mit einem Gemisch aus verschiedenartigen Steinen anschaust, wenn du dir gerade eine Landschaft ausdenken sollst, so kannst Du dort Bilder verschiedener Landschaften mit Bergen, Flüssen, Felsen, Bäumen, großen Ebenen, Tälern und Hügeln verschiedener Arten sehen; ebenso kannst Du dort verschiedene Schlachten und Gestalten mit lebhaften Gebärden, seltsame Gesichter und Gewänder und unendlich viele Dinge sehen, die du dann in vollendeter Form und guter Gestalt wiedergeben kannst», zitiert nach A. Chastel: Leonardo, 384– 385. Als Beispiel dafür siehe Paul Sérusier, Le Talisman, Abb. 27, oben, 97. So zum Beispiel im Pointillismus. F. Weltzien: Der Fleck als Transformator, § 45, 14. Vgl. E.H. Gombrich: Geschichte der Kunst, 513–520 Die Gemäldereihe wurde vielerorts besprochen, so auch in: G. Boehm: Unbestimmtheit, 244-248; oder in: M. Imdahl: Identität, 202–206. Vgl. S. Slanina: Fleck im Bild. Vgl. Lexikon der Kunst, 132. 106 Unbestimmtheit ins Spiel, die von den Betrachterinnen und Betrachtern in Bestimmtheit überführt werden muss. Abb. 29: Edouard Vuillard, La grand-mère à l’évier, um 1890, Öl auf Karton, auf Holz aufgezogen, 22,5 x 18,3 cm, Paris, Privatbesitz. Eine spezifische Spielart und Weiterführung des Pointillismus bzw. der Wirkung von Flecken zeigt Grand-mère à la soupière (à l’évier), ein Gemälde von Edouard Vuillard (Abb. 27). Der Künstler hat hier weder feine Farbpunkte oder Farbkommata gesetzt, noch verschmelzen die Farbtupfer im Auge der Betrachtenden zu einem Farbton. Hier sind Flecken und Tupfer so auf einen andersartigen Untergrund gesetzt, dass die Wirkung eines Farbschleiers entsteht. Die Konturen der menschlichen Figur, das Körpervolumen, das Licht auf dem Gesicht der Frau, die Objekte, denen sie sich zuwendet – alle diese Bildlemente treten nun zwischen den Farbflecken hervor. Die Darstellung des Bildmotivs sowie die die räumlichen Beziehungen insesamt werden dadurch so verunklärt, dass nur ein hohes Maß an Eigenleistung der Betrachtenden zum Erkennen der dargestellten Szene führt. Die Irritationen können so groß sein, dass sie, wie dies in Bezug auf Abb. 29 der Fall war, in unterschiedlichen Deutungen der Bildobjekte resultieren.115 Doch wie Textur und Farbflecken selbst die gewohnte Raumorientierung und Raumarchitektur kollabieren lässt, wird in Grand intérieur aux six personnages (Abb. 30), ebenfalls von Edouard Vuillard, deutlich. 115 Die Titel zu Vuillards Werken stammen meistens nicht von ihm selbst. Deshalb ist es möglich, dass Abb. 29 verschiedene Titel trägt. So ist bei der Beschreibung der Bildhandlung sowohl von der Geste des Suppeausschöpfens die Rede, das Bild heißt dann La grand-mère à la soupière, als auch davon, dass die Frau sich vor einem Waschtrog oder Wasserbecken befinde. Entsprechend lautet dann der Titel La grand-mère â l’évier. Vgl. A. Thaler: Vuillards ‘Grande Intérieur‘, 36–37. 107 Abb. 30: Edouard Vuillard, Grand Intérieur aux six personnages, 1897, Öl auf Leinwand, 90 x 194 cm, Zürich, Kunsthaus. Wobei der Begriff ‘Textur’ in diesem Gemälde in dreifacher Hinsicht relevant ist. Einerseits als Textur der Malerei im Sinne der materiellen Oberfläche, dann als Bildgegenstand, da das Werk die Texturen eines Innenraumes darstellt und zum Dritten durch die Malweise, die in impressionistischer Manier die visuellen Eindrücke durch Flecken, Tupfen und deutliche Pinselspuren wiedergibt. Das Gemälde stellt eine von sechs Figuren bevölkerte Szene in einem großen Wohnraum dar. Dieser ist mit gemusterten Teppichen, gemusterten Vorhängen und Portièren dekoriert, in Raumzonen aufgeteilt und von verschiedenen Lichtquellen erhellt. Farbflecken bilden Ornamente oder evozieren sie und lösen Konturen auf. So bleibt der Hintergrund des am Tisch sizenden Mannes unbestimmbar, scheinen Stühle und Tisch aus dem Fleckenmustern empor zu wachsen und machen das Bild beinahe zu einem Vexierbild, da nicht alle sechs Personen auf Anhieb auszumachen sind. In diesem Gemälde löst die Textur der Malerei durch eine nur der Spur nach mimetische Wiedergabe der textilen Muster – Textur des Textilen – die räumlichen Verhältnisse auf, isoliert sowohl einzelne Musterfelder als auch einzelne Figuren oder Figurenpartien von ihrer Umgebung und lässt dafür innerhalb der ornamentierten Vielfalt Gegenüberstellungen hervortreten, die nicht mit der dargestellten Szene identisch sind. So lässt die Fleckenhaftigkeit der Malweise die Horizontalen als Begrenzung eines ‘ornamentalen Flusses’ mit allen senkrechten Bildelementen kontrastieren und die meist übergangslose Aneinanderreihung verschiedener Textilstrukturen unterstützt die Verunklärung der räumlichen Gegebenheiten. Dadurch gehen die im Intérieur dargestellten Figuren in der multiplen Textur unter und die Malweise, ein Setzen von Flecken, verweist auf die Herstellung und auf sich selbst. Besonders auffallend geschieht dies in der Bildmitte, die von einem Tisch, der mit unregelmäßig angeordneten, hellen rechteckigen Flecken bedeckt ist. Hier wird ersichtlich, wie Textur und Duktus der Malerei zur Schnittstelle zwischen Repräsentation und Präsentation werden und wie deren Selbstreferenzialität an Bedeutung gewinnt, denn die Darstellung erscheint in der Textur und als Textur. Auf dieser Ebene der Bildoberfläche verliert sich der Zeichencharakter des Sichtbaren, wird die Erscheinung zum Sein. Hier besteht das Bild zuallererst aus Farbe, 108 machen Farbauftrag, Farbnuancen und Farbverteilungdas Bild aus, unabhängig davon, was damit gezeigt wird. Abb. 31: Edouard Vuillard, Grand Intérieur aux six personnages, Detail. Im Zusammenhang mit den Untersuchungen zur Lehre vom Wesen schreibt Hegel zur Bestimmung der Erscheinung: «Das Erscheinende existiert so, daß sein Bestehen unmittelbar aufgehoben, dieses nur ein Moment der Form selbst ist; die Form befasst das Bestehen oder die Materie als eine ihrer Bestimmungen in sich. Das Erscheinende hat so seinen Grund in dieser als seinem Wesen, seiner Reflexion-in-sich gegen seine Unmittelbarkeit, aber damit nur in einer anderen Bestimmtheit der Form.»116 Die Bedeutung der Materie tritt hier in zweifacher Funktion oder Beziehung auf. Zum einen ist sie die Bestimmung der Form, das heißt, Form wird durch die Bestimmtheit der Materie geordnet. In diesem Sinne ist Materie mittelbar, eine Reflexion ihrer selbst. Andererseits ist sie unmittelbar, Erscheinung, in der das Wesen direkt, «nicht hinter oder jenseits» davon, existiert.117 Wenn Hegel die Erscheinung zudem beschreibt als «die Wahrheit des Seins und eine reichere Bestimmung als dieses, insofern dieselbe die Momente der Reflexion-in-sich und der Reflexion-in-Anderes in sich vereinigt enthält»,118 so hebt er damit die Dialektik von Erscheinendem und Materie in der Erscheinung auf. Die Erscheinung verbindet beides, insofern sie materiell gebunden erscheint und wesentlich ist. Eben diese vollzieht sich in und mit der aus Flecken bestehenden Bildtextur, wenn sie selbst zum Bildgegenstand wird wie in Abb. 32, einem Werk von Helen Dahm. Das Bild, ein allover, kann als mehrschichtig beschrieben werden: Über einem Untergrund aus gebrochenem Weiß und Grau, der am oberen und linken Bildrand sowie in einer senkrechten Zone der rechten Bildhälfte partiell stehen gelassen wurde, verlaufen große gelb- und brauntonige Farbflecken ineinander. Diese werden von einem unregelmäßigen Netz aus schwarzen Linien überzogen über das wiederum weiße Linien einem Gitter gleich verlaufen, das vor allem in der Bildmitte in großen Bogen verschiedene Gitterstrukturen miteinander verbindet und in unteren Farbschichten zu verschwinden scheint. Der Gesamteindruck erinnert an Craquelé, Risse in der oberen Malschicht eines Gemäldes. 116 117 118 G.W.F. Hegel: Enzyklopädie I, § 132, 264. Vgl. G.W.F. Hegel: Enzyklopädie I, § 131, 261. Ebd., 262, mündlicher Zusatz. 109 Das Bildbeispiel zeigt, wie eine Fleckentextur den Bilduntergrund und die Bildfläche mehrfach strukturiert, die gesamte Bildoberfläche einnimmt, materiell das ganze Gemälde bestimmt und gleichzeitig sein Bildgegenstand ist. Abb. 32: Helen Dahm, Raumgitter (Gelbes Gitter), 1958, Öl auf Leinwand, 106 x 100 cm, Privatbesitz. Gestaltung und Wesen dieses Werks fallen in eins und eröffnen damit eine assoziative Sicht, die im Bildtitel ‘Gelbes Gitter’ reflektiert wird. Mit diesem Titel, der den Blick auf den unter der schwarzen Krakelürestruktur liegenden gelben Grund lenkt, wird ein Zusammenhang vom Farbgefüge auf der Fläche zu einem illusionären Raum hergestellt. Die in der Bildfläche nicht vorhandene Tiefe wird nicht wie gewohnt mittels Perspektive, sondern mittels Fleckenstruktur und Farbschichtungen evoziert und die gelbe fleckenhafte Flächigkeit kann als Ausschnitt eines unregelmäßigen, sich im Bildaussenraum fortsetzenden Gitters betrachtet werden. Ein Bild als ein Gefüge aus Pinselspuren, Farbflecken und Farbauftrag besteht, auch dies zeigen die Bildbeispiele, nicht nur aus seinen sichtbaren Anteilen. Die Paradoxie einer Sichtbarkeit, die Nichtsichtbares inkludiert, löst sich im Sinne der ikonischen Differenz auf, wenn akzeptiert wird, dass die durch gesetzte Flecken entstehenden Zwischenräume ebenso Teil des Bildes sind wie die Flecken selbst. Als Erscheinung ist die Textur demzufolge mit dem verbunden, was sie ausspart, mit dem, was nicht erscheint, den Leerstellen. 3. Elemente ikonischer Absenz: Leerstellen Der Begriff ‘Leerstelle’ geht zurück auf literaturwissenschaftliche Theorien der Unbestimmtheit bzw. die Leerstellentheorie, wie sie von Wolfgang Kemp für die Kunstwissenschaft modifiziert wurden.119 Nach Kemp entspricht der Begriff ‘Leerstelle’ einer intendierten Unvollendetheit, deren Hauptaufgabe darin liegt, «den Betrachter an der innerbildli- 119 W. Kemp: Rezeptionsästhetik. Vgl. auch: Ch. Kruse: Vera Icon, 105–129. 110 chen Kommunikation zu beteiligen.» 120 Leerstellen sind demzufolge Stellen, an denen etwas nicht gezeigt wird bzw. die von den Betrachtenden ergänzt werden können oder müssen. Die Art und Weise der Ergänzungen jedoch sind abhängig vom Subjekt, welches das Werk betrachtet, unüberprüfbar und deshalb weder wahr noch falsch. Aussagen solcher Art sind Projektionen oder Imaginationen. Unter dem Gesichtspunkt innerbildlicher Kommunikation, von der Kemp spricht, besteht zum Beispiel Vuillards Grand Intérieur aux six personnages (Abb. 30) aus vielen Leerstellen. Der mit Papieren oder Briefen überladene Tisch, die Gesten und Posen, die Abstände zwischen den Figuren – sie alle regen das Fantasieren darüber und das Deuten dessen an, was dieser Szene wohl vorausgegangen sein mag, was sie im Augenblick zeigt und was ihr folgen wird. Leerstellen weisen dem Betrachter nicht nur in Bezug auf innerbildliche Relationen, sondern und vor allem auch auf die Beziehung von Bild und Betrachtenden eine aktive Rolle zu. Darin überschneidet sich der Begriff der Leerstelle mit dem der Unbestimmtheit, wie ihn Gottfried Boehm verwendet.121 Boehm begründet diesen Terminus damit, dass jedes einzelne Element der Malerei «definitiv unbestimmt [ist] – die schiere Faktur des Pinsels, die schiere Faktizität von Farbe und Form. Man kann niemals sagen, was dieser oder jener ‘tache’ bedeutet. In seinen einzelnen Farbformen zieht sich das Bild gleichsam in eine völlige Stummheit, in Referenzlosigkeit zurück.»122 Damit unterstellt er alles, was hier zum ‘beredten Schweigen’ gehört, der Unbestimmtheit. Für die Kennzeichnung der visuellen Beziehungen, die zwischen sichtbaren und unsichtbaren Teilen der Bildorganisation zwar bestehen aber ausgespart und deshalb der Fantasie der Betrachtenden überlassen sind, ist der Begriff der Leerstelle jedoch angemessener. Im Folgenden wird dieser Begriff sowohl in seiner eigentlichen Bedeutungen als leere Stelle als auch in metaphorischem Sinn für Abwesendes, nicht Sichtbares und doch Bild Bestimmendes verwendet. Im Bild korreliert Sichtbares mit Nichtsichtbarem, Anwesendes mit Abwesendem, – auf beides verweist es. Das Paradoxon, das dadurch entsteht, dass Nichtsichtbares oder Abwesendes Aspekte der Sichtbarkeit eines Gemäldes sind, ist Ausdruck der ikonischen Logik und entspricht einem gedoppelten Schweigen der Bildsprache bzw. einem ikonischen Verschweigen. Das Bild, so kann daraus gefolgert werden, spricht nicht nur per se nicht, zu seinem Schweigen gesellt sich ein Verschweigen, ein demonstratives Nicht-Zeigen. Die Mittel, mit denen dieses Verschweigen manifest gemacht werden, sind Aussparungen in formalen oder inhaltlichen Relationen des Innerbildlichen. In ihnen manifestiert sich die Kontingenz123 der Kunst, denn sie weisen dem Publikum eine aktive Rolle zu, verlangen von den Betrachtenden, dass sie Ergänzungen vornehmen, unter einer Vielzahl von möglichen Bedeutungszusammenhänge eine Auswahl treffen und so selbst sinnstiftend werden müssen. Damit sind Leerstellen rezeptionsästhetisch äußerst wichtige Instrumente der Bildgestaltung. Sie sind, wie es auch die Legende von der Erfindung der Malerei nahe legt,124 für das Bild konstitutiv. 120 121 122 123 124 W. Kemp: Verständlichkeit, 261. Vgl. G. Boehm: Unbestimmtheit, 243–253. Ebd., 244. «Jeder komplexe Sachverhalt beruht auf einer Selektion der Relationen zwischen seinen Elementen, die er benutzt, um sich zu konstituieren und zu erhalten. Die Selektion platziert und qualifiziert die Elemente, obwohl für diese andere Relationierungen möglich wären. Dieses ‘auch anders möglich sein’ bezeichnen wir mit dem traditionsreichen Terminus Kontingenz,» so Gabor Kiss: Selektion, in: Ritter, Bd. 9, Sp. 567. Die Legende wird oben, 88–89, skizziert und mit dem Gemälde von Joseph-Benoît Suvée, Debutades oder die Erfindung der Malerei (Abb. 23), illustriert. 111 Im Folgenden werden vier Typen von Leerstellen untersucht. Da es für sie keine festgelegte Typologie gibt, ihr Auftreten bis jetzt auch nicht in einer Studie erfasst sind, obwohl sie für das Performative eines Werks maßgebend sind, werden hier Bezeichnungen vorgeschlagen, die ihren Funktionen im Bildganzen oder ihren außerbildlichen Zuordnungen entsprechen. 3.1 Mimetische Leerstellen: Des Kaisers (neue) Kleider125 Diese Leerstellen stellen als Teil eines mimetischen Bildkonzeptes etwas dar, was nicht sichtbar ist oder sein kann und von den Betrachtenden dennoch gesehen wird. Im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern spielt sich dies folgendermaßen ab: Ein eitler Kaiser lässt sich von zwei Betrügern, die sich als Weber ausgeben, wunderbare Stoffe herstellen, die die Eigenschaft besitzen sollen, dass nur kluge und für ihr Amt taugliche Leute sie sehen können. Aus Furcht vor dem Verlust von Stellung und Ruf bestaunen und loben alle Hofbeamten und schließlich das ganze Volk die schönen neuen Kleider, in denen der Kaiser sich angeblich zeigt. Nur ein noch unbefangenes Kind traut seinen Augen und spricht aus, was es sieht, nämlich, dass der Kaiser nackt ist. Das Märchen lässt verschiedene Lesarten zu. Es kann als Kritik an Eitelkeit und Autoritätsgläubigkeit aber auch als Plädoyer dafür, den eigenen Augen zu trauen und zu sehen, was tatsächlich zu sehen ist, verstanden werden. In Bezug auf eine Bildbetrachtung könnten beiden Deutungsmechanismen zur Wirkung kommen. Gerade die vom Kontext abhängige Beurteilung einer bildlichen Darstellung oder eines Kunstobjektes kann zur Diskrepanz zwischen einem durch Autoritäten festgestellten Kunststatus und der alltäglichen Erscheinung oder dem Gebrauchswert eines Gegenstandes führen.126 Doch das Märchen kann auch als Parabel für die Neigung und Fähigkeit, Autoritäten oder Gegenstände mit wunderbaren Eigenschaften auszustatten oder für die Macht des Imaginären gelesen werden.127 Hier wird dessen Titel als Namensgeber für eine Leerstelle zitiert, die in ihren bildimmanenten Beziehungen zuerst erkannt werden muss, um dann im Kontext des Bildes und seiner Verwendung gedeutet werden zu können. Dass eine mimetische Leerstelle in religiösem Zusammenhang auch mit übernatürlicher Kraft ausgestattet werden kann, zeigt das folgende Beispiel. Es gehört zu den wirkungsmächtigsten und nachhaltigsten Leerstellen dieses Typus in der christlich orientierten Kunst: Die Bildreliquie des ‘wahren Porträts‘ Christi, der Vera Icon. Die darüber bestehende Legendentradition reicht, wie Christiane Kruse nachzeichnet, bis ins 6. Jahrhundert zurück.128 Die Legende beginnt mit einem Bericht über ein gemaltes Bildnis von Christus, das Veronika zum Dank für die Heilung von Blutfluss anfertigen ließ. Es verschmolz im 11. Jahrhundert mit einer Tuchreliquie, dem Schweißtuch, mit dem Veronika dem leidenden Christus das Gesicht trocknete.129 Der Abdruck auf dem Tuch ist nun aber nicht von der Art, dass von einem wahrhaftigen Bildnis gesprochen werden könnte. «Während einige, welche die Reliquie bezeugen, ein Bild darauf sehen, begnügen sich andere mit der blo125 126 127 128 129 ‘Des Kaisers neue Kleider’ lautet der Titel eines Kunstmärchens von Hans Christian Andersen. Die Differenz zwischen Kunst- und Alltagsstatus eines Gegenstandes führt zur Frage ‘Wann ist Kunst?’, vgl. dazu die Ausführungen zu Georg Dickies Kunsttheorie, unten, 150–151 sowie 194–195. Eine politisch akzentuierte Lesart des Märchens wird vorgestellt in: T. Frank, A. Koschorke, S. Lüdemann u.a.: Des Kaisers neue Kleider. Vgl. Ch. Kruse: Vera Icon, 105–129. Ebd., 106. 112 ßen Existenz des Tuches»130 schreibt Kruse und folgert, dass «die Bildreliquie in Rom [...] vor allem eine Leerstelle für die Imagination der Gläubigen [ist], die von den diversen Nach-Bildern gefüllt wurde.»131 In der Folge entstanden Referenzbilder, Bilder, die sich auf eine Vorlage beziehen, die, «da sie verschollen sind oder wie die Vera Icon unter Verschluss gehalten werden, nicht oder nicht mehr sichtbar sind.»132 In diesen Referenzbildern wurden die Leerstellen oft ausgefüllt, das Gesicht Christi durch die Maler ausgestaltet, es entstanden fiktive Porträts. Doch es gab auch Künstler, die sich gegen vollständige mimetisch-fiktionale Ergänzungen entschieden und Leerstellen offen ließen. Francisco Zurbaran gehörte zu ihnen.133 Dieser spanische Maler des 17. Jahrhunderts schuf ein Bild (Abb. 33) von einem Schweißtuch, das aber außer einem Gesichts- und Bartumriss sowie dem Haaransatz und einem Ohr kein Gesicht zeigt. Zu sehen ist die Abbildung eines befleckten Tuches, das in Aufhängung dargestellt zur Anbetung gebracht wird. Es bestätigt, dass das Werk wie ein Trompe l’oeil – das gemalte Tuch sieht aus wie ein echtes Tuch – und als mimetische Leerstelle konzipiert wurde. Diese verweist auf ein (unsichtbares) Original und geht davon aus, dass sich das vollständige Gesicht Jesu in der Imagination der Gläubigen ergibt – die das Gesicht erkennen wollen, denn der Kontext des Bildgegenstandes lässt ihnen ja kaum eine andere Wahl. Indem nicht auf Textur oder Malweise, Stil- oder Darstellungsqualitäten, sondern durch diese opakisierenden Oberflächeneigenschaften hindurch auf die Bedeutung des Bildes geblickt wird, werden die nötigen Ergänzungen zu einem erkennbaren Gesicht geleistet. Das Gesicht Christi wird so zu einem individuell imaginierten, zu einem imaginären Bild. Abb. 33: Francisco Zurbaran, Schweißtuch der Veronika, 1658, Öl auf Leinwand, Valladolid, Museo Nacional de Escultura. 130 131 132 133 Ebd., 112. Ebd., 105. Ebd., 112. Ebd., 103. 113 Die mimetische Leerstelle, die das Sehen von nicht bildlich Dargestelltem thematisiert, könnte als Metapher für Literatur insgesamt gelten, evoziert diese ja grundsätzlich Bilder im Kopf. Unabhängig davon werden in literarischen Werken nichtsichtbare, sprachlich vermittelte Kunstwerke, als mimetische Leerstellen explizit thematisiert. So beispielsweise in Honoré de Balzacs Novelle Das unsichtbare Meisterwerk,134 das als ähnlich paradigmatisches Beispiel wie das erwähnte Gemälde die Entstehung und Wirkung eines ganzen Bildes als mimetische Leerstelle problematisiert. In der Novelle endet der vieljährige Versuch des Malers Frenhofer, seine Geliebte lebensecht darzustellen, damit, dass nur er selbst deren Leib zu erkennen vermag. Seine Bewunderer indessen sehen nur «eine Wand aus Malerei», nehmen nur «verworren aufgetragene Farben» wahr, die durch «eine Vielzahl von seltsamen Linien» zusammengehalten werden.135 Und nur unten rechts, am Bildrand, können sie das Inkarnat eines Fußes erkennen. Damit formuliert der literarische Text den Widerspruch zwischen einer idealen Vorstellung und ihrer Realisierung im Werk, der sich nicht auflösen lässt, weil das Ideal per se nur in Annäherung darstellbar ist. Frenhofers Gemälde enthielt das Ideal der Vollendung paradoxerweise nur so lange, wie es unvollendet war. Ein Bild als mimetische Leerstelle wird auch hier zum Beispiel der inneren Aporetik der Malerei: Die Darstellung des Undarstellbaren ist unsichtbar. Dieter Mersch konstatiert, dass die Kluft zwischen «dem Ereignis einer Präsenz und seiner Verkörperung im Sinne absoluter Re-Präsentation» nicht überbrückbar ist und sieht in Balzacs Novelle das Thema formuliert von der «Vollendetheit einer Darstellung, in der schließlich Bild und Ereignis, Schöpfung und Actus so zusammenfallen, dass sich nichts mehr erkennen lässt.»136 Die mimetische Leerstelle, so kann gefolgert werden, verweist einerseits auf die Interdependenz von Präsenz und Absenz in der Sichtbarkeit des Bildes und bestätigt die Bedeutung der ikonischen Differenz, andererseits verdeutlicht sie die kreative Potenz der Imagination. 3.2 Rhetorische Leerstellen: Ich seh’ etwas, was du nicht siehst Rhetorisch werden hier diejenigen Leerstellen genannt, die mit Narrationszusammenhängen spielen, sie umspielen. Sie finden sich in Bildern, die zwar zeigen, doch was sie zeigen sind Blicke aus dem Bild, sind ungeklärte bildimmanente Beziehungen oder ein Verbergen. Beim Typus dieser Leerstellen – er findet sich primär in figurativen Bildern – tritt das Bild wie ein Subjekt auf. Der Bildgegenstand narrativer Bilder übernimmt es, den Betrachter direkt anzuschauen oder ihm gestisch und mimisch etwas mitzuteilen, ihn ohne Worte anzusprechen. Dadurch wird er zum ‘Ich’, das etwas sieht, was das betrachtende Subjekt als sein ‘Du’ nicht wahrnehmen kann. Das Bild, eigentliches Objekt der Betrachtung, wird zum Agens, auf den die Betrachtenden reagieren. Diese Wechselwirkung von Aktion und Reaktion findet zwar in jeder Beschäftigung mit einem Bild statt, doch im Zusammenhang mit rhetorischen Leerstellen ist die Rollenumkehrung so explizit, dass von einem Wechsel des üblichen Subjekt-Objekt-Verhältnisses gesprochen werden kann.137 134 135 136 137 H. de Balzac: Das unbekannte Meisterwerk. Ebd., 109. D. Mersch: Augenblick, 11. Vgl. dazu ‘Das Bild vor dem Betrachter: reflexiv’, unten, 168–171. 114 Heidegger beschreibt in seinem Weltbildaufsatz, in dem er die enge Abhängigkeit der Subjektwerdung des Menschen mit der Bildwerdung der Welt darlegt,138 wie die Vergegenständlichung des Seienden – Konstituens neuzeitlicher Wissenschaft – seinen Ausgang darin nahm, dass der Mensch als Subjekt sich ein Weltbild, die Welt als Bild, schuf und sie sich erst dadurch zum Objekt machte, über das in mancherlei Hinsicht verfügt werden konnte. Die Bildproduktion, das Sich-ein-Bild-Machen – Metapher und konkrete Handlung – setzt Heidegger für die Trennung und gleichzeitige Interdependenz von Subjekt und Objekt voraus, das Bild selbst ist das Objekt. «Der Grundvorgang der Neuzeit ist die Eroberung der Welt als Bild»139 schreibt Heidegger, was zu bewerkstelligen die Kunsttheorien bereits seit dem 15. Jahrhunderts lehrten140 und wovon Gemälde mit raffinierten Perspektiven, Nahsichten auf Gegenstände sowie mit Städte- und Landschaftsbildern Zeugnis ablegen. Die theoretisch-mathematische Grundlage zur Konstruktion dieser naturalistischen Welt-Abbildungen lieferte Filippo Brunelleschi (1377-1446) mit der Entwicklung der Zentralperspektive. Die Theorie, welche die Perspektive in die Kunsttheorie einband, schrieb Leon Battista Alberti und diejenige, die das Bild als Fenster auf die Welt konzipierte, veröffentliche Vasari im 16. Jahrhundert, alle drei Konzepte bestimmen bis heute das Bildbewusstsein. Parallel zu dieser Entwicklung fand die Statusveränderung des Künstlers statt, der nun nicht mehr zu den Handwerkern, sondern zu den Gelehrten zählte, war er es ja, der die Fähigkeit und das Wissen hatte, um die Welt- und die Gottesbilder herzustellen. Das nun sozial anerkannte Selbstverständnis des Künstlers fand seinen Ausdruck auch im Bild: Der Künstler wurde sich selbst bildwürdig, bildet sich selbst ab, das Selbstporträt als Bildgattung etablierte sich.141 Das sich im Bild manifestierende Selbstbewusstsein des Subjekts machte sich jedoch durch eben diesen Akt der Darstellung zu seinem eigenen Objekt, so dass Subjektkonstituierung und Selbstobjektivierung in bildhafter Weise in eins fallen. Davon ist in umgekehrter Weise auch das Bild betroffen. Mit dem Blick aus dem Bild wechselt das Bild aus einem Objekt- in einen Subjektmodus, es wird zu einem ‘selbstbewussten Bild’.142 Das Fenster blickt gewissermaßen zurück,143 es wird zu einer Bühne, auf der agiert wird mit dem Künstler als Regisseur, der bestimmt, was der Betrachter zu sehen bekommt: Blicke, die ihn verfolgen, unbestimmbare Figurenkonstellationen oder eine halbverdeckte Szene, die für immer unaufgedeckt bleiben wird. Der grundsätzlich apellative Charakter eines Bildes erhält dadurch eine paradoxe Gerichtetheit, die auf die Neugier des Betrachters zielt: Was sieht der Blick, der aus dem Bild heraus schaut? Was wird auf der Szene agiert? Was ist hinter einem Vorhang verborgen? Welche Mitteilung enthält ein Brief? Die Antworten auf diese Fragen müssen offen bleiben, sie sind aufgehoben in der Malerei, im Augenblick der Bildentstehung, in der Inspiration des Malers. Hier werden zwei Erscheinungsformen rhetorischer Leerstellen untersucht. Bei der einen davon handelt es sich um Blicke im und aus dem Bild, aus denen sich eine paradoxe Situation ergibt, insofern als die Pose des Malers, der sich beim Malen malt, nicht diejenige sein kann, in welcher der Prozess des Malens sich vollzieht und somit ein Blick insze- 138 139 140 141 142 143 M. Heidegger: Weltbild, 89. Ebd., 92. 1435 veröffentlichte Leon Battista Alberti die erste Theorie zur Perspektive. Vgl. O. Calabrese: Selbstporträt. Siehe dazu auch Abb.1, oben, 6. V.I. Stoichita: Das selbstbewusste Bild sowie M. Wertheim: Die Himmelstür zum Cyberspace. G. Didi-Huberman: Was wir sehen. 115 niert wird, der einen Augenblick festhält, den es ohne das Bild nicht geben würde. «Denn», so folgert Mersch, «in der Ordnung der Repräsentation bleibt, wie aufwendig sie sich auch inszenieren mag, ein Undarstellbares: die Zeitlichkeit des Augenblicks, sei es als Moment der Abbildung, als Kairos ihrer Inspiration oder als Akt ihrer Statuierung.»144 Und bei der zweiten, dem gemalten Vorhang als trompe l’oeil, zeigt sich eine Paradoxie darin, dass mindestens zwei Betrachtungsweisen möglich sind, die sich jedoch gegenseitig ausschließen, so dass das Bild als eine komplexe Kippfigur fungiert. 3.2.1 Blicke im und aus dem Bild Eines der eindringlichsten Beispiele für die Wirkung rhetorischer Leerstellen ist wohl Diego Velazquez’ Werk Las Meninas (Abb. 34), das als Inszenierung auf einer Bühne verstanden, aber nicht erklärt werden kann. Abb. 34: Diego Velazquez, Las Meninas, 1656, 276 × 318 cm, Öl auf Leinwand, Madrid, Museo del Prado. In diesem Gemälde sind gleich mehrere Erscheinungsweisen dieser Elemente ikonischer Absenz vorhanden. Acht der insgesamt elf abgebildeten menschlichen Figuren sowie der Hund vorne rechts blicken aus dem Bild. Sie scheinen von einer Bühne hinunter auf ein Publikum zu schauen, das bis heute nicht mit Eindeutigkeit sagen kann, wie das 144 D. Mersch: Augenblick, 8–9. 116 Stück heißt, das hier gegeben wird.145 Der Maler vorne links schaut auf seine Leinwand, von der wir nicht wissen, was sie zeigt. Im Hintergrund links sind zwei Figuren in einem gerahmten Doppelporträt sichtbar, nach übereinstimmender Lesart handelt es sich um das Herrscherpaar, über dessen Standort sich die Interpreten jedoch nicht einig sind, da es als Abbild in einem Spiegel dargestellt ist. Ob dieser Spiegel das gemalte Bild auf der Leinwand des Malers oder einen Standort außerhalb des Bildes, also das im Publikum sich befindende Herrscherpaar zeigt, dessen Stelle nun im Augenblick der Bildbetrachtung die Betrachtenden einnehmen, wird immer noch kontrovers diskutiert. Im Hintergrund rechts steht eine männliche Figur auf einer Treppe zwischen zwei Seitenlichtern, die Ursprünge des Lichts sind nicht auszumachen, die Räume, die als Innenräume gekennzeichnet sind, bleiben vage, die Figur selbst wird als Hofmarschall bezeichnet, über deren Stand und Standort Unsicherheit herrscht.146 Die Infantin Margareta präsentiert sich frontal, auf wen sich ihr Blick richtet ist ebenso ungewiss wie die Identität des Paares, das rechts hinter einem Hoffräulein steht. Im Gegensatz zu diesen sind die Zwerge namentlich bekannt.147 Alle einzelnen Figuren dieses Bildes sind gekennzeichnet durch Ungewissheit in Bezug auf ihre Identität und ihren Standort auf einer Bühne, die zwischen zwei Lichtquellen von vorne oben rechts und von hinten rechts aufgespannt ist. Foucault hat für seine Interpretation des Gemäldes die Blicke und Blickrichtungen als die das Bild organisierenden Elemente bestimmt und daraus seine berühmte Interpretation abgeleitet, die damit endet, dass sich die Repräsentation als Repräsentation auf eine Position bezieht, die nicht vorhanden ist. «Aber darin» – in der Menge der repräsentierten Elemente, «mit ihren Bildern, den Blicken, denen sie sich anbietet, den Gesichtern, die sie sichtbar macht, den Gesten, welche die Repräsentation entstehen lassen» – so stellt Foucault fest, «ist eine essentielle Leere gebieterisch von allen Seiten angezeigt: Das notwendige Verschwinden dessen, was sie begründet.» 148 Die Leere, von der Foucault spricht, ist die Absenz des Subjekts als Sujet. «Dieses Sujet selbst, das gleichzeitig Subjekt ist, ist ausgelassen worden. Und endlich befreit von dieser Beziehung, die sie ankettet», so der letzte Satz der Interpretation, «kann die Repräsentation sich als reine Repräsentation geben.»149 Außerhalb des Bildes hat das Subjekt aufgehört zu sein, es existiert nur noch als Sujet des Bildes, im Bild. Hat die Erfindung der Perspektive das Subjekt gesetzt und bewirkt, dass die Dinge der Welt zu Objekten werden, so macht das Ich-Sagen des Bildes mittels rhetorischer Leerstellen deutlich, dass das betrachtende Subjekt selbst Objekt ist, auf das die Welt über die Sinne einwirkt und dass von diesem objektivierten Subjekt eine wie auch immer geartete Reaktion, eine Antwort, verlangt ist. 145 146 147 148 149 Die Literatur zu diesem Werk ist unübersichtlich. Seit Carl Justis kunstwissenschaftlicher Studie Diego Velazquez und sein Jahrhundert, die 1888 erschien, hat sich kaum eine geisteswissenschaftliche Disziplin nicht mit diesem Werk beschäftigt. Die Angaben zu den wichtigsten Arbeiten finden sich bei Veronika Darian, die Las Meninas als materiellen Ausgangspunkt ihrer Studie zur Intermedialität von Bild und Sprache benutzt. Vgl. V. Darian: Theater der Bildbeschreibung. So schreibt Franz Zelger, dass es sich um den Hofmarschall José Nieto handle, vgl. ders.: Velazquez, 121. Dagegen führt Guy Cogeval die Figur lediglich als «the gentleman silhouetted in the open doorway» an, vgl. ders., A. Salomon: Vuillard, 349. J. López-Rey: Velázquez Werkverzeichnis, Bd. 2, 306. M. Foucault: Ordnung der Dinge, 45. Ebd. 117 3.2.2 Der Vorhang: überdeterminiert Ein anderes, seit der Antike bekanntes Beispiel für eine rhetorische Leerstelle im Bild ist der gemalte Vorhang, auch er Symbol für eine in der Repräsentation aufgehobene Aporie von Zeigen und Verbergen, welche die Macht des Bildes vorführt. Paradigmatisch dafür ist der Wettstreit zwischen den Malern Zeuxis und Parrhasios, von dem Plinius in seiner Naturgeschichte berichtet.150 Zeuxis habe, so heißt es da, so naturgetreu gemalte Trauben ausgestellt, dass Vögel zu ihnen hinflogen. Als der auf seinen Erfolg stolze Maler daraufhin Parrhasios bat, doch endlich den Vorhang von seinem Gemälde zu ziehen, stellte sich heraus – so die berühmte Pointe – dass dieser Vorhang gemalt und eben dessen Wettbewerbsbeitrag war. Damit ist der gemalte Vorhang in mehrfacher Bedeutung gesetzt: Als Augentäuschung von Mensch und Tier, als räumliche Trennung bzw. Markierung einer Grenze zwischen einem Sein vor und einem hinter dem Vorhang, als Versprechen auf einen Blick dahinter und als Potentialität, bewegt zu werden. Am folgenden Beispiel – Jan Vermeers Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster (Abb. 35) – sind mehrere rhetorische Möglichkeiten des Vorhangs exemplifiziert. Abb. 35: Jan Vermeer, Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster, um 1659, Öl auf Leinwand, 83 x 64,5 cm, Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister. Das hochrechteckige Gemälde bildet eine junge Frau ab, die stehend nach links gegen ein Fenster gewendet ein Papier liest, das sie mit beiden Händen hält. Das Fenster ist offen, der Fensterflügel in den Raum hinein geöffnet und aus nicht einsehbarer Höhe fällt ein roter Vorhang, der über den Fensterflügel drapiert ist, so dass die Fensteröffnung frei bleibt. In der Zimmerecke neben dem Fenster, unter dem offenen und die Szene spiegeln150 Plinius der Ältere, Nat. Hist. XXXV, 64. 118 den Fensterflügel steht ein Stuhl. Die Frau ist gegen das Fenster am linken Bildrand gerichtet, so dass sich ihr helles Profil auf dem Schatten des Fensterflügels an der Wand abhebt, einer Wand, die frei ist von Bildwerk. Sie steht hinter einem mit einem gemusterten Teppich bedeckten Bett,151 so dass ihre Beine nicht zu sehen sind. Auf dem Teppich, der am linken Ende, unter dem Fenster, sehr aufgeworfen ist, liegt eine Schale, deren Früchte durch die Unebenheit des Teppichs ausgeleert sind, einer der Pfirsiche ist angeschnitten. Im Rücken der Frau, am rechten Bildrand und fast einen Drittel der unteren Bildbreite einnehmend, bauscht sich ein (grüner) Vorhang. Er ist an einer Stange festgemacht, die nur wenig unterhalb des oberen Bildrandes durchgezogen ist und beidseitig bis zu den Bildgrenzen führt. In der Länge endet er knapp über dem unteren Bildrand. Das Bild enthält keine verifizierbare Narration, es beinhaltet jedoch fast so viele Erzählungen, wie es Betrachtende hat, denn die Situation als solche löst unwillkürlich Assoziationen aus. Die Frau, der beim Lesen eines Briefes zugeschaut werden kann, scheint nicht zu wissen, dass sie gesehen wird. Wer ihr zuschaut, gerät somit in die Rolle eines Voyeurs, unabhängig von allen weiteren Überlegungen zu seinem Standort, obwohl es doch nicht möglich ist, vor einem Bild Voyeur zu sein, denn, so Kemp, so zu tun, als sei der Betrachter nicht da, sei eine Fiktion, eine besondere Form der Perspektive und der Präsentation.152 Das trifft sicher zu, denn ein Bild ist ja daraufhin angelegt, gesehen zu werden. Und doch präsentiert es mit der dargestellten Szene eine paradoxe Situation: das Publikum scheint nicht sehen zu dürfen, was es sehen soll. Der grüne Vorhang ist maßgeblicher Auslöser für diese Irritation, seinetwegen wird die Imagination der Betrachterinnen und Betrachter in Gang gesetzt, werden assoziative Verbindungen zwischen den gezeigten Gegenständen hergestellt. In der oben erwähnten Geschichte vom antiken Malwettbewerb wurde auf verschiedene Aspekte des gemalten Vorhangs hingewiesen. Jede dieser Deutungen lässt sich nun auch mit dem Bild Vermeers in Beziehung setzen, so dass komplexe strukturelle und inhaltliche Querbeziehungen, Symmetrien und Dichotomien erkennbar werden. Da die vielschichtige Rhetorik dieser Leerstelle die Sichtbarkeit des Bildes, insbesonders seine performative Potenz, prägt, wird sie hier näher ausgeführt. «Nun, wenn er [ein Täuschergott, AT] mich täuscht, so ist es also unzweifelhaft, dass ich bin. Er täusche mich so viel er kann, niemals wird er doch fertig bringen, dass ich nichts bin, solange ich denke, dass ich etwas sei.»153 Mit diesem Satz, in dessen Zentrum das Verhältnis von Wirklichkeit und Täuschung steht, beginnt die neuzeitliche Erkenntnistheorie. Was aber ist eine Täuschung? Wortgeschichtlich ist ‘Täuschung’ bzw. ‘täuschen’ mit ‘tauschen’ verwandt.154 Was darauf verweist, dass in der Täuschung Wirklichkeit und Nicht-Wirklichkeit ausgetauscht werden. Doch da auch die sinnlich erfahrbare Wirklichkeit täuschen kann – Descartes legt es methodisch eindrücklich dar – genügt es nicht, Täuschung als Tausch von Wirklichkeit und Nicht-Wirklichkeit zu bestimmen. Auch die Reduktion des Begriffs der Täuschung auf den Tausch von Wirklichkeit und Schein kann den Begriff der Täuschung nicht genügend definieren, selbst wenn sie gerade im Zusammenhang mit dem Bild als Artefakt auf eine lange philosophische Tradition zurückblicken 151 152 153 154 Verschiedene Autoren sind uneins, ob es sich um einen Tisch oder ein Bett handelt. Hier wird für ‘Bett’ optiert. Vgl. W. Kemp: Rezeptionsästhetik, 11–12. R. Descartes: Philosophische Schriften, 2. Meditation, 45. Vgl. J. Grimm, W. Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd. XXI, Sp. 214. 119 kann.155 Für ein modernes Bildverständnis, das vom Bewusstsein für die ikonische Differenz und für die Interdependenz von Präsenz und Absenz geprägt ist und in dem das Bild weder Täuschung sein will noch per se als eine solche definiert wird, trifft viel mehr zu, was Stefan Helge Kern in seiner literaturwissenschaftlichen Dissertation zur Täuschung aussagt. «Täuschung ist weder Schein noch Sein,» schreibt er und fährt fort: «Täuschung ist Schein in der Form des Seins. Jede wissenschaftliche Beschäftigung mit Täuschung gerät daher in ein Dilemma: Täuschung ist ein Phänomen, das sich durch Ambivalenz, Ambiguität und Zwielichtigkeit auszeichnet.» 156 Diese Umschreibung des Begriffs Täuschung besagt, dass eine Annäherung an das Phänomen der Täuschung nur durch die Akzeptanz von Mehrdeutigkeit, also durch die Toleranz für ein Sowohl-als-auch und nicht in einem Beharren von Entweder-Oder gelingen kann. Dieser Art Täuschung entspricht der große Vorhang in Vermeers Gemälde. Er kann als raumteilendes Element, als Zimmervorhang, der geöffnet den Blick auf die lesende Frau, das Bett, die Früchte auf dem Bett, das offene Fenster und den Stuhl frei gibt, gesehen werden. Damit gehört er wie alle übrigen abgebildeten Gegenstände zum Inneren der gezeigten Szene, was den Standpunkt der Betrachtenden definiert, der sich in dieser Sichtweise im gleichen Zimmer wie die Leserin, jedoch auf der anderen Seite des Vorhangs, befindet. Wie sonst wäre so ein Blick überhaupt möglich? Die Betrachtenden wären somit imaginärer Teil einer imaginierten Welt, mit der sie fiktiv interagieren könnten. In dieser Konstellation wären Leserin und Betrachtende füreinander hinter und je subjektiv vor dem Vorhang. Gleichzeitig jedoch steht der grüne Vorhang, dessen Aufhängevorrichtung über die ganze Bildbreite führt, in der Tradition des trompe l’oeil, das zur Zeit Vermeers sehr beliebt war. Als trompe l’oeil bezieht er sich auf existierende Bildvorhänge und eröffnet damit ein großes Spektrum an Assoziationen. Einerseits schützten die im 17. Jahrhundert in Europa sehr verbreiteten Bildvorhänge ein wertvolles Bild vor Staub und Licht, andererseits verdeckten sie gewagte erotische Szenen.157 Das Bild der lesenden Frau würde somit mittels des vorgetäuschten Vorhanges als wertvolles Bild gekennzeichnet. Da es aus dem Frühwerk des Malers stammt, könnte dieses Stilmittel von ihm eingesetzt worden sein, um die Wirkung des Kunstwerks und die Aufmerksamkeit für sein Können zu erhöhen oder der gemalte Vorhang sollte eine sich dahinter befindliche nichtalltagstaugliche Szene suggerieren, was ebenfalls das Interesse am Werk hätte steigern können. Der gemalte Vorhang referiert außerdem auch auf eine kultische Verwendung eines Bildvorhangs. Als Mittel der Bildverhüllung, hatte er in katholischen Kirchen während der Fasten- bzw. Passionszeit seinen Platz. Es handelte sich dabei jedoch um keinen einheitlich entwickelten Brauch der katholischen Kirche, der sich außerdem auflöste, «als in der Gotik ein ‘Sichtbarkeitskult’ das ‘Sehenwollen’ des Mysteriums und damit des Altarsakramentes forderte».158 Beibehalten wurde jedoch das Verhüllen von Kruzifix und Altarbildern sowie das Zuklappen von Flügelaltären oder Triptychen, doch vor einigen Jahrzehnten wurde der Brauch der ‘Hungertücher’, wie der Altarvorhang auch genannt wird, wieder aufgenommen.159 Das Fastenvelum, das nun wieder am Aschermittwoch vor den Altar 155 156 157 158 159 Vgl. Platon: Politeia 603a–d. S.H. Kern: Täuschung, 3. Vgl. G. Girgensohn: Die Zeichenkunst zur Zeit Rembrandts, 152. M. Becker-Huberti:: Solange der ‘Schmachtlappen’ hing. Erwin Mock gibt einen Überblick über Herkunft, Entwicklung, Verbreitung und Niedergang des Brauchs der Altarverhüllung sowie über die Neuimplementierung. Vgl. E. Mock, Das Misereor-Hungertuch. 120 gehängt wird, gibt am Mittwoch der Karwoche, mit dem Zitat aus der Passion «at velum templi scissimum est» (und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei) den Altar wieder frei. Der Tod Jesu, bei dessen Eintreten gemäß den Berichten von drei Evangelisten der Vorhang im Tempel zerriss,160 eröffnete einen direkten Zugang zum Allerheiligsten. Auch als wichtiger Gegenstand des katholischen Ritus kann der Vorhang Einsicht verwehren oder gewähren.161 Mit seinen dichotomischen Möglichkeiten sind religionshistorische und theologische Beziehungen zum Bedeutungsfeld ‘Verhüllen und Enthüllen’ hergestellt, die sich mit der Bedeutung von Sehen als Bezeugen und Mitvollziehen überlagern und tief in der christlichen Kultur verankert sind. Die Blindheit des Herzens, die sich im verhüllten Altar manifestiert, wird durch den Vorgang der Enthüllung aufgehoben und damit das Geheimnis des Leidens Christi verstehbar,162 der Vorhang wird somit zum Instrument eines Versprechens. Eine Beziehung zwischen dieser liturgischen Handlung und dem gemalten Vorhang in Vermeers Bild könnte nun über die Assoziation einer säkularisierten Deutung hergestellt werden. Dann würde der Brief der Frau zwar eine Enttäuschung bereiten – die aus der Schale gerollten Früchte könnten ebenso wie die durch die angeschnittene Frucht unterstützte erotisch-sexuelle Konnotation eine solche Interpretation stützen – doch die Blindheit ihres Herzens würde damit aufgehoben. Die Verbindung von Ent-Täuschung der gemalten Frau durch den gemalten Brief mit unserer Täuschung durch den gemalten Vorhang, der uns überhaupt erst in die Lage versetzt, heimlich zuzuschauen und das Gesehene in imaginierte Zusammenhänge zu setzen, ergibt in dieser Deutungsvariante eine zusätzliche hübsche Pointe: weil die Täuschung gelungen ist, wird die Enttäuschung sichtbar. Wie denn ja jede Täuschung erst zu einer solchen wird, wenn sie erkannt und somit keine mehr ist. Im Begriff des velum verbinden sich zudem der religiöse Vorhang der Bildverhüllung und, als velum fino tenuissimo textum, ein sehr dünn gewebtes Tuch aus losem Gewebe,163 dessen Fadengitter den Künstlern der Neuzeit als Raster über einem Ansichtsausschnitt dienten, um zu einer proportionsgerechten Perspektive zu gelangen. Über den Weg der doppelten Bedeutung von velum, so kann in diesem Fall argumentiert werden, ironisiert der Maler die Tatsache, dass er Hilfsmittel benötigt, um perspektivische Bildtiefe herzustellen, da auch der gemalte Vorhang Bildtiefe und perspektivische Relationen vermittelt und deren Fiktion unterstützt.164 Wird nun aber der gemalte Vorhang als solcher (in welcher Konnotation auch immer) als vor dem Bild und nicht im dargestellten Zimmer verstanden, so wirkt sich dies auf den 160 161 162 163 164 Vgl. Bibel: Matthäus 27,51; Markus 15,38; Lukas 23,45, Die orthodoxe Ostkirche kennt die konstante Verhüllung des Allerheiligsten durch die Ikonostase, die Wand zwischen Kirchenschiff und Altarraum. Vgl. Erzbistum: Hungertuch. Vgl. O. Bätschmann, S. Gianfreda (Hg.): Leon Battista Alberti, 115. Anlässlich einer Ausstellung in 2010 wurde der im Gemälde Abb. 35 dargestellte Raum nachgebildet. Eingehende Untersuchungen mit neuesten technischen Mitteln haben jedoch keinerlei Hinweise auf zeichnerische Konstruktionen gefunden. Ungenauigkeiten der Fluchtpunkte und anderer perspektivischer Charakteristiken lassen vermuten, dass das Bild ohne detaillierte Perspektivzeichnungen entstanden ist, was zur Frage führte, wie denn die Perspektive produziert wurde. Es wird angenommen, dass Vermeer eine Camera obscura benutzte. Vgl. D. Lordick: Der virtuelle Raum. Auffallend an diesem Bericht ist das Faktum, dass der grüne Vorhang nicht in die perspektivisch rekonstruierte Nachzeichnung mit einbezogen wurde, obwohl die zwei markanten musterartigen, Licht und Schatten bindenden Rauten dazu einladen. So verbindet die lineare Fortsetzung der unteren Raute den Hinterkopf der Frau mit der oberen Ecke des offenen Fensterflügels und die Oberkante der oberen Raute führt direkt in den (zwar unpräzise konstruierten) aber einzigen bildinneren Fluchtpunkt der Tiefenlinien der Fensterwand. 121 Standort der Betrachtenden aus. Denn um den Bildvorhang als in das ganze Bild integriert sehen zu können, muss sich dieser Standort nach außen, vor das Bild, verlagern. Jetzt liegt er außerhalb dieser intimen Leseszene, die der zurückgezogene Vorhang frei gegeben hat und in die man nun von ganz außen Einblick nimmt. Die Interdependenz von Standpunkt und Rolle der Betrachtenden wird damit aufs deutlichste exemplifiziert und verweist auf eine weitere Tradition, in die der Vorhang gestellt werden muss: in die des Theaters. Die Entscheidung, welche in Bezug auf die Funktion des Vorhangs gefällt wird – ob für die Realität (der gemalte Bildvorhang ist Täuschung) oder für eine Fiktion (der Vorhang ist entweder Teil der gemalten Inneneinrichtung oder ein Bildvorhang) – spiegelt die Ambiguität der Funktion des Vorhangs im Theater. Denn auch dort ist er Mittel der Verbindung oder der Trennung «zwischen dem Sein im Zuschauerraum und dem Schein auf der Bühne.165 Doch «selbst wenn man die Täuschung bemerkt hat», bemerkt Patrick Mauriès zur Täuschung durch gemalte Gegenstände, «verliert das Trompe l’oeil nichts von seiner magischen Kraft. Der Gegenstand befindet sich im Gleichgewicht zwischen zwei Räumen der Realität: zwischen dem Raum des wirklich existierenden Vorbilds und dem der gemalten Illusion.»166 Dies gilt auch für den Vorhang in Vermeers Bild, auch wenn er sich dort in zwei verschiedenen Bildräumen befinden kann. Die in der rhetorische Leerstelle entstehende Doppeldeutigkeit versetzt die Betrachtenden in die Lage, wählen zu müssen, welche der Realitäten sie betrachten wollen. So verweist der gemalte Vorhang auf ein weitreichendes Spiel an Bedeutungen und Kontexten und stellt die Frage nach dem Verhältnis von Bild und Abbild sowie nach der Art und Weise der Welterfassung, nach der Wiedergabe des Blicks auf die Welt. In der Anekdote von Zeuxis und Parrhasios167 trennte der Vorhang nur vermeintlich die Zuschauer vom Bild, da er ja selbst das Bild war. In Vermeers Bild hingegen hat sich das Trennende des Vorhangs bereits dadurch gezeigt, dass die Betrachtenden sich in Relation zu ihm und somit zur dargestellten Figur bringen müssen und dass, wie sie sich auch entscheiden, der Vorhang verhindert, dass sie sich in das gleiche Raumkompartement wie die Lesende imaginieren können. Doch gehört das Trennen bzw. Verbinden ja zu den dem Gegenstand ‘Vorhang’ eingeschriebenen Eigenschaften. Er trennt immer Räume, Menschen, Dinge voneinander ab, wenn er zugezogen ist und verbindet sie, indem er sie in den gleichen Raum entlässt, wenn er geöffnet ist. Der halbgezogene Vorhang indessen, wie er in Vermeers Bild gezeigt wird, oszilliert auch da. Je nach Sichtweise ist er nicht ganz auf- oder nicht ganz zugezogen. Dadurch entsteht ein Versprechen auf eine fiktive Zukunft: Der Vorhang könnte bewegt, in der einen oder anderen Richtung gezogen, der Blick auf weiteres Intérieur frei gegeben oder das Bild der Sicht ganz entzogen werden. In dieser vorstellbaren Bewegung des Vorhangs liegt ein Versprechen auf ein mehr oder weniger an Sicht, auf die Befriedigung einer durch den nicht ganz geöffneten Vorhang ausgelösten Neugier oder den Ausschluss von jeder Einsicht. Und eben darin liegen eine Potentialität, ein Versprechen und die Möglichkeit auf ein zeitliches Vor- und Nachher. Damit markiert der Vorhang nicht nur Räumlichkeit und Trennung von davor und dahinter, seine potentielle Bewegbarkeit greift aus auf ein zeitliches Vorher und Nachher und setzt damit der Realität seiner statischen und dauerhaften Gegenwart die Fiktion von Vergangenheit und Zukunft entgegen. 165 166 167 V. Darian: Theater der Bildbeschreibung, 140. P. Mauriès: Trompe l’oeil, 142. Vgl. oben, 117, wo der Malerwettstreit zusammengefasst dargestellt ist. 122 Der Vorhang als Ver- oder Enthüller ist aber noch in einen weiteren Bedeutungszusammenhang zu stellen, wie dies Wolfgang Rother mit Blick auf ein Gemälde von Degas und mit Bezug auf Nietzsche und Heidegger ausführt.168 Heidegger spricht an verschiedenen Orten von der Wahrheit begründenden prozesshaften Gegenüberstellung von Verborgenheit und Unverborgenheit.169 Rother öffnet nun den Blick auf einen großen philosophischen Bedeutungshorizont, wenn er die Enthüllung von Nacktheit und deren Verhüllung durch einen gemalten Vorhang zum Begriff der Wahrheit in Beziehung setzt und darauf verweist, dass Heidegger Wahrheit, Aletheia, «als einen ‘Grundzug des Seins’ bezeichnet, der in der Geschichte der abendländischen Philosophie eher verborgen als enthüllt wurde, indem sie das Seiende in den Blick nahm und darüber das Sein dieses Seienden übersah, vergaß».170 Die Wahrheit als das hinter dem Vorhang verbleibende Verborgene, das dem Sichtbaren erst Gewicht gibt, es verankert und umgekehrt, die Sichtbarkeit, die auf das Unsichtbare verweist – der Bezugsrahmen, der von Rother für Degas’ Nu au rideau jaune hergestellt wird, wirkt selbst wie ein weggezogener Vorhang, verbindet er doch die einem Kunstwerk inhärente ikonische Differenz mit grundsätzlichen Fragen der Philosophie nach dem Wesen von Wahrheit, dem Verhältnis von Sein und Seiendem, von Erscheinendem und Erscheinung. Für Heidegger ist es das Kunstwerk als solches, welches die Dialektik zwischen Verborgenheit und Unverborgenheit des Seienden aufhebt bzw. eröffnet.171 Vergleichbares gilt auch für Vermeers Brieflesendes Mädchen. Zumal dieses Werk die Gleichzeitigkeit von Enthüllen und Verbergen gleich doppelt veranschaulicht: Einmal als Kunstwerk an sich, dann aber auch in der Darstellung dieses Topos. Aus all den aufgeführten Bedeutungszusammenhängen, in die der grüne Vorhang in Vermeers Bildnis gestellt ist, geht hervor, dass er als rhetorische Leerstelle alles andere denn unbestimmt ist. Im Gegenteil, er ist überdeterminiert und fordert damit von den Betrachtenden eine Selektion unter verschiedenen Deutungsvarianten. Dadurch übernimmt er eine Funktion, die für den Weg der Interpretation einer Weichenstellung gleichkommt. Darüber hinaus spielt er im gesamten Bildgefüge eine zentrale Rolle. Er parallelisiert mit dem Grad seiner Öffnung die nur halb sichtbare Öffnung des Fensters, balanciert mit den wuchtig wirkenden Senkrechten die waagerechten tiefenwirksamen Kompositionselemente, seine in ihm enthaltene potentielle Zeitlichkeit parallelisiert diejenige des Briefes, der durch seine Gegenwart ebenfalls Vergangenheit und Zukunft evoziert und in der Darstellung seiner Beschaffenheit kontrapunktiert er alle anderen materialen Erscheinungsformen von Fenster, Wand, Teppich, Früchten, Brief und Inkarnat. Nur in der Erscheinung des Gewandärmels findet sich eine stoffliche Ähnlichkeit und eine Verwandtschaft der Knitterung und der Lichtreflexion. Die dadurch hervorgerufenen tiefen Schatten dramatisieren die stille Szene auf subtile Weise. In all diesen Zusammenhängen beweist der Vorhang die strukturell zentrale Bildfunktion einer rhetorischen Leerstelle. Eine ganz andere Leistung erbringen Leerstellen, die im wahrsten Sinne des Wortes leere Stellen des Bildes sind. Sie werden hier ‘pikturale Leerstellen’ genannt und finden sich, im Gegensatz zu den rhetorischen, vor allem in Werken der Moderne. 168 169 170 171 W. Rother: Der nackte Körper. Siehe dazu ‘Martin Heidegger’, unten, 155–160. W. Rother: Der nackte Körper, 189. Siehe dazu auch unten, ‘Wahrheit in der Malerei’, 178–183. Siehe oben, Anmerkung 169. 123 3.3 Pikturale Leerstellen: Figur oder Grund? Der Übersetzer Goodmans verwendet den Begriff ‘piktural’ im Zusammenhang mit der Symbolfunktion des Bildes. ‘Pikturale Eigenschaften’ werden als Grundlage der Denotation verstanden und über die ‘pikturale Charakterisierung’ wird erklärt, dass sie «mehr oder weniger vollständig und mehr oder weniger genau an[gibt], welche Farbe das Bild an welchen Stellen hat.»172 So unpräzise das zweimalige ‘mehr oder weniger’ in der Bestimmung dessen, was piktural ist, klingen mag, so präzise ist die Aussage, denn genauer als mehr oder weniger gelingt keine sprachliche Annäherung an Malerei als Bemalung eines Farbträgers. Ein Farbträger ist jedoch nicht immer durchgehend bemalt, ungrundierte Leinwand kann zwischen bemalten Stellen stehen gelassen worden sein oder der Malgrund wird nicht überall weiter bearbeitet und wird dadurch zum immateriell-materiellen Bildträger, insofern er zwischen bemalten Stellen sichtbar vorhanden ist. Im Sinne von solchen Auslassungen wird der Ausdruck ‘pikturale Leerstelle’ hier verwendet. Dass und wie diese Leerstellen im Kontext eines Gemäldes Bedeutung erhalten, zeigt Boehm in einer Studie zu Cézanne und Monet.173 Allerdings spricht Boehm von Unbestimmtheit, wenn er Cézannes Verfahren beschreibt, «die Wahrnehmung der Natur aus der Vieldeutigkeit des Sehens zu erneuern»174 und im Verlaufe der Untersuchung wird deutlich, dass er mit dem Begriff der Unbestimmtheit primär auf die «Modalitäten der visuellen Unschärfe»175 zielt, die mittels Einbildungskraft imstande ist «Wege der Erkenntnis zu eröffnen, wo keine Wege sind.»176 1923 beginnt Max Wertheimer seine Untersuchungen zur Gestaltlehre mit folgenden Sätzen: Ich stehe am Fenster und sehe ein Haus, Bäume, Himmel. Und könnte nun, aus theoretischen Gründen, abzuzählen versuchen, und sagen: das sind ... 327 Helligkeiten (und Farbtöne). (Habe ich ‘327’? Nein; Himmel, Haus Bäume; und das Haben der ‘327’ als solcher kann keiner realisieren). Und seien in dieser sonderbaren Rechnung etwa Haus 120 und Bäume 90 und Himmel 117, so habe ich jedenfalls dieses Zusammen, dieses Getrenntsein, und nicht etwa 127 und 100 und 100; oder 150 und 177. In dem bestimmten Zusammen, der bestimmten Getrenntheit sehe ich es; und in welcher Art des Zusammen und der Getrenntheit ich es sehe, das steht nicht einfach in meinem Belieben: ich kann durchaus nicht etwa nach Belieben jede irgend andere gewünschte Art der Zusammengefasstheit einfach realisieren.177 Wertheimer formuliert hier die Grundkonstanten von Gestaltgesetzen, mit denen festgestellt wird, wie erlebte (gehörte, gesehene) Elemente zu Ganzheiten (Gestalten) zusammengeschlossen werden. Wobei sich diese Gestaltgesetze auf strukturelle Eigenschaften von erlebnishaften Eindrücken beziehen, insbesondere auf Prägnanz, Nähe, Ähnlichkeit, Kontinuität, Geschlossenheit, gemeinsame Region oder Verbundenheit.178 Auf Grund dieser Eigenschaften werden Gestalten wahrgenommen und Verbindungen zwischen unverbundenen Einzelphänomenen hergestellt. Figuren in Wolkengebilden, das 172 173 174 175 176 177 178 N. Goodman: Sprachen der Kunst, übersetzt von Bernd Philippi, 46–50. Im Original ist von ‘pictorial’ die Rede, was mit ‘piktural’ übersetzt wurde. Dieser Ausdruck wird hier übernommen. G. Boehm: Unbestimmtheit, 243–253. Ebd., 246. Ebd., 248. Ebd., 250. M. Wertheimer: Gestalt, 1, 301. Vgl. W. Metzger: Gestaltpsychologie, 108–112. 124 Gesicht des Mannes im Mond - sie sind das Ergebnis wahrnehmungspsychologischer Wirksamkeit der Gestaltgesetze. Das Fundament solcher Wahrnehmungsleistungen ist die Unterscheidung von Figur und Grund, das heißt, der Fähigkeit zur Gewichtung von Sinneseindrücken in Vordergrund (Figur) und Hintergrund (Grund). Wenn Boehm nun in seinen Ausführungen zur Unbestimmtheit die Bedeutung des Wechsels der Aufmerksamkeit unterstreicht, den Cézanne vollzog, indem er «nicht eine Mimesis der Dinge in ihrem Kontext [...] beabsichtigt, sondern diejenige anonymer und verstreuter Sehdaten, wie sie das zerebrale System generiert»,179 dann bedeutet dies, dass die Betrachtenden die einzelnen Farbformen in ihrer Wahrnehmung zusammen zu setzen haben, um den Bildgegenstand erkennen zu können. Die taches, in die Cézanne seine Wahrnehmung malerisch übersetzte, bilden damit einen «offenen Spielraum», der es dem Betrachter erlaubt, «den Sinn des Bildes [...] aus den unbestimmten Farbformen zu generieren.»180 Was wiederum nichts anderes heißt, als dass die Leistung, die von den Betrachtenden verlangt wird, eine gestaltbildende und sinnstiftende ist, die von gestaltpsychologischen Aspekten entsprechend der Gestaltgesetze und der wechselnden FigurGrund-Wahrnehmung gelenkt wird. Ausgelöst wird diese Aktivität durch die pikturalen Leerstellen zwischen den Farbflecken. Die taches haben also nicht nur die Konsequenz, dass durch sie der Prozess der Wahrnehmung des Künstlers und der Herstellung des Bildes in den Vordergrund rückt, sie sind ebenso Teil der Performanz des Bildes und haben eine aktive Teilhabe zur Folge. Damit provozieren diese Leerstellen ein Sehen, das sich nicht allein auf Wiedererkennbarkeit des Bildgegenstandes stützt, sondern, indem sie als Teil eines Bildganzen wie Elemente einer Kippfigur wirken,181 verlangen sie kontinuierliche Sehentscheidungen im Sinne der Figur-Grund-Differenz. Eine besondere Aufforderung zur Gestaltbildung geht von Cy Twomblys Bild Goethe in Italy aus (Abb. 36). Von besonderem Interesse ist die Aufforderung deshalb, weil sich in diesem Bild verschiedene Arten von Gestaltbildung durch pikturale Leerstellen überlagern. Das Bild ist das vierte einer aus vier Gemälden bestehenden Bildfolge, deren drei als in unterschiedlichen Manier gemalte Wasserdarstellungen bzw. Wasserimpressionen verstanden werden können.182 Es zeigt auf einem mehrfach in gebrochenen Weißtönen übermalten Grund, über verwischten Spuren von blauen Linien und ebenfalls übermalten pastosen Farbaufträgen die in Blautönen von Ultramarin bis Preußisch Blau geschriebenen Wörter ‘Goethe in Italy’. Die einzelnen Wörter sind dabei nicht auf eine Linie gesetzt, sondern von links oben nach rechts unten fallend positioniert. Das Wort ‘Goethe’ steht verdoppelt, in absinkender Folge, aber nahe untereinander angeordnet, so dass sich eine Verschachtelung einzelner Buchstaben ergibt. Die Buchstaben aller Wörter wirken gekritzelt, wie Graffiti, verwischt und insbesondere das Wort ‘Italy’ ist mehrfach überschrieben. Da die Überlagerung von lasierenden Farbaufträgen die unteren Farbschichten durchscheinen lässt, entsteht eine Tiefenperspektive, deren Grund sich der Sichtbarkeit entzieht. Von dieser Transparenz sind 179 180 181 182 G. Boehm: Unbestimmtheit, 246. Ebd., 247. Eine Kippfigur (Inversionsfigur) führt zu spontanen Wahrnehmungswechseln in einer Figur-GrundKonstellation. Ebenfalls 1978 und zum gleichen Titel entstand eine Serie von sechs Zeichnungen, die im Katalog der Ausstellung Zeitgeist in Berlin als «eine Zeichnung in sechs Teilen» aufgeführt sind. Vgl. Ch. Joachimides, N. Rosenthal (Hg.): Zeitgeist, 241. Der Hinweis verdankt sich einer Mitteilung von Richard A. Block (Montana State University), der freundlicherweise einen Sonderdruck seines Artikels Scribbles from Italy: Cy Twombly’s Experiment in Seeing Goethe See Language zur Verfügung stellte. 125 jeder einzelne Buchstabe und die ganze Bildfläche gleichermaßen überzogen, sie bewirkt, dass der Blick des Betrachters nicht nur liest, sondern seinen Fokus konstant neu justieren muss, so dass Unschärfe und Schärfe des Blicks in umgekehrten Verhältnis mit der Schärfe und Unschärfe des Bildes korrelieren. Abb. 36: Cy Twombly, Goethe in Italy, 1978, Kunstharz, Öl und Kreide auf Leinwand, 195,5 x 313,5 cm, Zürich, Kunsthaus. Ein Text im Bild ist immer zweiwertig. Er ist Text und er ist Bild. Und auch als Bild ist er zweifach: indem er sich in einem Gemälde befindet, ist er ein Teil von ihm und indem er sich als Zeichen präsentiert, ist er selbst Bild.183 So auch hier in Twomblys Gemälde. Einerseits sind die Buchstaben Schriftzeichen, lesbar, zu Wörtern zusammengefasst und hier nicht nur sinnerfüllt wie eine beliebige Aussage, sondern mit der Nennung von Goethe und von Italien auch anspielungsreich und außerdem in einem historisch nachgewiesenen Kontext zu verstehen, denn Goethe war 1786 wirklich in Italien.184 Die Buchstaben und Wörter als lesbare Zeichen präsentieren sich in diesem Bild wie eine Figur in wahrnehmungspsychologischem Sinn und bestimmen die Bildfläche als solche zum Grund, von dem sie sich abheben. Gleichzeitig sind sie visuelle, unabhängig von ihrem Lautgehalt ästhetisch einzeln erfassbare Bildzeichen, Bewegungsspuren, visuelle Rhythmen, die den Blick lenken. Sie werfen Farbschatten und korrespondieren in ihren Blaunuancen. Wo sind nun die pikturalen Leerstellen? Sie befinden sich sowohl zwischen den einzelnen linearen Bildzeichen als auch zwischen den Zeichengruppen und bilden selbst Gestalten – und zwar im doppelten Verständnis des Wortes,185 wie sich noch zeigen wird. Diese 183 184 185 Vgl. ‘Emanzipation der Kunst: Schrift im Bild’, oben, 60–70. Über die Auswirkungen der Italienreise auf das Wirken Goethes sowie über inhaltliche Zusammenhänge von Twomblys Zeichnungen mit Goethes Wahrnehmungstheorie und Farbenlehre vgl. R.A. Block: Scribbles. ‘Gestalt’ im Sinne der Gestaltpsychologie und im Sinne von ‘Figur’. 126 Leerstellen können jedoch nur als solche wahrgenommen werden, wenn es gelingt, die Schrift nicht mehr als Schrift, sondern aufgehoben in der Ästhetik ihrer Zeichen zu sehen, so dass sie in den Bildgrund absinken, dem sie nun gleichwertig werden. Wenn aber die Wörter ihre Bedeutung verlieren, dann bleibt eine Leinwand, die nur aus Figur besteht und von keinem Grund abhebt. Es bleibt eine Leinwand, bedeckt mit unregelmäßig und unterschiedlich dick aufgetragenen Farbschichten, linearen und sich in sich selbst spiegelnden Farbspuren, von denen nicht entschieden ist, ob sie aus einer (imaginären) Tiefe aufsteigen oder in sie hinabsinken. «The word is arrested in ‘midflight’», beobachtet Sheena Calvert, «and in that moment reveals itself, as language, not in terms of what it says, or denotes. Language, emptied of its content, a vehicle without a passenger, ‘falls’ in to a void, an abyss, a beautiful silence.»186 Auch wenn diese Bemerkung zu einem andern Bild von Twombly gemacht worden ist, so treffen sie und die daraus gezogenen Konsequenzen auch hier zu: Wo die Bedeutung kollabiert, fällt die Unterscheidung von Figur und Grund weg.187 Nun erscheint es so, als ob sich die pikturalen Leerstellen des Bildes bemächtigt hätten, das ganze Bild wird zu einer Leerstelle. Da aber eine Leerstelle nicht alleine bestehen kann und Begrenzungen braucht, die sie erst zur Leerstelle machen, bleibt die Frage, wo sich nun diese Begrenzungen befinden. An den Bildrändern? Das schließt sich von selbst aus, weil sich dann das Bild – in der Regel als materieller Gegenstand Figur, die sich von seiner seine Umgebung als ihrem Grund abhebt – sich in einer Umkehrung der üblichen Verhältnisse seine Umgebung einverleiben würde. Die begrenzenden Parts zum Werk Goethe in Italy als pikturale Leerstelle finden sich jedoch erst durch eine neuerliche Volte im Wechsel der Bedeutungen. Sie finden sich nicht in den Schriftzeichen im Bild – die sind ja inzwischen in ihrer Bedeutung als Wörter aufgehoben und ästhetisch integriert worden – sondern sie finden sich in der Anordnung der Schriftzeichen und der Bedeutung des Bildtitels, der zwar gleich lautet, wie die ästhetischen Zeichen im Bild, wenn sie als Wörter gelesen werden, der sich jedoch als Titel nicht im Bild befindet, nur ins Bild setzt, allerdings in ein auf den ersten Blick ganz anders geartetes Bild. Der Bildtitel ‘Goethe in Italy’ erinnert an die Italienreise, die Goethe 1786 unternahm und für ihn und die deutschsprachige Literatur- und Geistesgeschichte sehr folgenreich war. In Rom nun lebte Goethe mit Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, einem Maler zusammen, der im darauf folgenden Jahr ein Gemälde schuf, das seither emblematische Bedeutung gewann. Goethe in der Campagna, so der Titel von Tischbeins Werk, wurde zum Sinnbild für die Klassik Goethes, für die Rom- und Italienbegeisterung der Deutschen. Bevor nun weiter auf Twomblys Werk eingegangen werden kann, ist es nötig, sich Tischbeins Bild (Abb. 37) zu vergegenwärtigen, an dem hier insbesonders kompositorische Strukturen und Farbgestaltung interessieren. Tischbein zeigt Goethe ganzfigurig in Untersicht. Die Gliedmassen sind gelängt.188 Der Kopf im Dreiviertelprofil gewendet, betonen Körperkonturen und Faltenwurf des Obergewandes die Diagonale von links oben nach rechts unten. Die Verbindung vom Gesicht über den linken Arm hinunter zum rechten Fuß unterstreicht die Zweiteilung des Bildes, doch die bildbeherrschende Diagonale wird durch die Waagerechten des Landschaftshorizontes und des Bergzuges im Bildhintergrund kontrastiert. Senkrechte Gestaltungselemente sind durch die aufrechte Haltung des Oberkörpers, den Turm und die 186 187 188 Sh. Calvert: [Un]common Sense, 2. Ebd. Das linke Bein ist unverhältnismäßig gelängt. Der rechte Fuß scheint in einem zweiten linken Schuh zu stecken. 127 Tempelruinen im Hintergrund sowie den Abbruch des Basreliefs, neben dem die Figur lagert, gegeben. Abb. 37: Heinrich Wilhelm Tischbein, Goethe in der römischen Campagna, 1787, Öl auf Leinwand, 164 x 206 cm, Frankfurt am Main, Städelsches Kunstinstitut Die Farbtöne des Bildes setzen sich aus Weiß, Blau, Rot und Gelb zusammen, wobei das Weiß von Goethes antikisierendem Übermantel und das Blaugrau des Himmels die Hauptkompositionslinien Diagonale und Waagerechte hervorheben. Um den dramatisch schattierten Hut herum ist das Blaugrau stark aufgehellt, so dass sich eine Art von Nimbus um Goethes Kopf bildet. In der dargestellten Landschaft sind in unrealistischer Weise Ruinen versammelt, die auf die vergangenen Kulturen Ägyptens, Griechenlands und Roms verweisen, so dass sie das Modell eines geistigen Raumes abgibt. Wie nun der Vergleich beider Bilder (Abb. 36 und 37) zeigt, gibt Twomblys Werk die Hauptkomponenten von Tischbeins Gemälde wieder: Die Kompositionsstruktur der Waagerechten findet sich in den einzelnen Kritzeleien/Buchstaben wieder, die Hauptdiagonale von links oben links nach rechts unten wird durch die Anordnung der Kritzeleigruppen/Wörter und die Leserichtung aufgenommen. Die Pose Goethes jedoch findet sich in den pikturalen Leerstellen zwischen den absteigenden Zeichengruppen. Durch sie wird der Blick so geführt, dass er auf seinem Weg durch das Bild die gewinkelten Linien nachbildet, die sich in Tischbeins Goethegemälde so unübersehbar durch Schulterlinie, Gewandfalte von linker Schulter nach rechter Hand und von dort zum Boden zieht. Die in Tischbeins Werk prominente helle und konturierte Fläche (Goethes Überwurf) und die Blaunuancen des Himmels finden sich als die bestimmenden Farben Weiß und Blau auch bei Twombly wieder. Wobei die pikturalen Leerstellen zwischen den einzelnen Zeichen bewirken, was Boehm in Bezug auf Cézannes taches aussagt, nämlich, dass sich eine «spannungsvolle Verschmelzung dessen, was wir sehen, mit dem, wie wir sehen» vollzieht,189 mithin die «Unbestimmtheit der Wahrnehmung als ein 189 G. Boehm: Unbestimmtheit, 246. 128 offener Spielraum» im Bild wiederkehrt.190 Dieser Spielraum, so Boehm weiter, «ist die Basis, die es dem Betrachter erlaubt, den Sinn des Bildes [...] aus den unbestimmten Farbformen zu generieren.»191 Nur dass bei Twombly die Farbformen eben keine taches wie bei Cézanne, sondern Flecken und Kritzeleien aus in Farbe gesetzten Buchstabenformen sind. Die Potentialität, die durch sie ausgelöst wird, schlägt in einen «Überschuss an Sinn» um, «dessen Logik [...] mit der Differenz von Energien [...], mit der Organisation visueller Kräfte [zu tun hat].»192 Unübersehbar in der Menge pikturaler Umdeutungen ist auch die Stelle, die im zweiten Wort ‘Goethe’ der mehrfach umfahrene und verwischte Buchstabe ‘O’ einnimmt. Sie entspricht der Stelle, an der sich in Tischbeins Gemälde Goethes Kopf befindet. Die Frage nach den Grenzen der pikturalen Leerstelle, die sich bei der Umdeutung aller Buchstaben in ästhetische Zeichen und des Bildes in eine das ganze Bild umfassende Leerstelle ergab, kann nun beantwortet werden: sie findet sich im kollektiven ikonischen Gedächtnis. Erst die Beachtung pikturaler Leerstellen führt zum Bild von Tischbein. Obwohl die wörtliche Bedeutung von ‘Goethe in Italy’ auf eine kulturhistorische Tatsache (Goethes Reise nach Italien) zurückweist, öffnet hier nur das Sehen pikturaler Leerstellen den direkten Zugang von Bild zu Bild. Sie sind es, die ohne zu Zeigen auf etwas Verweisen. Sie sind es auch, die ‘das Auge des Geistes’193 schärfen für Gestalten jenseits des Ostentativen. Cy Twombly Werk Goethe in Italy stößt das Sehen um. Es erweitert mittels der pikturalen Leerstellen die Bedeutung des wiedererkennenden Sehens, indem nicht nur das, was positiv dargestellt ist, wiedererkennbar ist, sondern das Negative, Ausgesparte ebenso in Beziehung zu Erkennbarem gesetzt wird. Damit bestätigt es auf unerwartete Weise die Bedeutung des Zusammenwirkens von Absenz und Präsenz, das sich allerdings nicht nur gleichzeitig sondern auch über räumliche und zeitliche Distanzen hinweg manifestieren kann. Und fast nebenbei gelingt es Twombly mit diesem Werk, die Bedeutung der Sprache im und durch das Bild aufzuheben. «Twombly’s work exemplifies the power of the negative as affirmation, not erasure; the mobile, transitory, and un-nameable contradictory impulses and drives of thought; movement and becoming in place of abstract concepts», konstatiert Calvert194 und fasst damit die Wirkung einer Kunst zusammen, die auf pikturalen Auslassungen beruht. 3.4 Sigetische Leerstellen: ‘Ein zerrissener Strumpf besser als ein geflickter’ Der Begriff der Sigetik – Lehre vom Schweigen – findet sich bei Heidegger im Sinne von «Erschweigung»195 als eine Form des Denkens, das seine «Herrschaft in der Erschweigung der Stille» hat,196 also auf eine besondere Art und Weise auf die Absenz des (Aus)Sprechens referiert. Dieser Sigetik-begriff bezieht sich auf ein Sagen, dass nie unvermit- 190 191 192 193 194 195 196 Ebd., 247. Ebd. Ebd. Das Zitat, dem dieser Ausdruck entnommen ist, lautet: «Das Auge des Geistes fängt erst an scharf zu sehen, wenn das leibliche schon verlieren will», Platon, Symposion, 219c. Sh. Calvert: [Un]commen Sense, 4. M. Heidegger: Beiträge zur Philosophie, 79. M. Heidegger: Besinnung, 360. 129 telt vom Sein, sondern immer Sprache des Seienden ist.197 Mit der Formulierung vom ‘Erschweigen der Stille’ zeigt der Philosoph einen Weg in eine nichtsprachliche Dimension des Denkens auf, gewissermaßen in ein Sprechen hinter der Sprache. Einen andern Zugang zur Sigetik konstatieren Emmanuel Alloa und Alice Lagaay. Indem sie von «Zäsuren des Sagens im 20. Jahrhundert» oder einer «Sprachkrise, die Literatur und Philosophie im 20. Jahrhundert erschüttert» sprechen, weisen sie auf Strategien von «Sprachabwendung» hin, die im Kontext von Sprachproduktion und Sprechsituationen nachgewiesen werden.198 Eine dieser Strategien ist die des Verstummens.199 Sie lässt sich im negativen Sprechakt der literarischen Figur Bartelby – «I would prefer not to» ist seine wiederholte Redensart200 – ebenso feststellen wie an den sprachskeptischen und sprachkritischen Diskursen der Philosophie. Das Verstummen bzw. das Schweigen als Topos der Moderne manifestiert sich auch in der Malerei, insofern der Verzicht auf die Darstellung erkennbarer Bildgegenstände in metaphorischer Weise auch als Sprachabwendung oder Sprachverweigerung bezeichnet werden kann. Das ‘Schweigen’ des Bildes als Absenz des Gegenständlichen, die Abstraktion als sigetische Leerstelle, die nichts ausdrücken, nichts erzählen, nichts ‘sagen’ will und nur sich selbst zeigt, bildet dabei in der monochromen Malerei eine Extremform an Selbstreferenzialität (siehe auch Abb. 28). Abb. 38: Lucio Fontana, Concetto spaziale, Attesa, 1965, Wasserfarbe auf Leinwand, 73,8 x 60,5 cm, Privatbesitz. 197 198 199 200 M. Heidegger: Beiträge zur Philosophie, 78. E. Alloa, A. Lagaay: Nicht(s) sagen, 9 bzw. 11. Vgl. J. Clam: Schwierigkeiten des Sagens, 36. Bartleby der Schreiber beantwortet alle Aufforderungen, etwas zu tun mit der formelhaften Antwort: «I would prefer not to». Diese Handlungsverweigerung dehnt er auf Nahrungsverweigerung aus, was einer Lebensverweigerung gleich kommt und zum Tod führt. Inhaltsangaben und eine Übersicht über Deutungsmodelle zum Roman von Herman Melville finden sich auf URL: http://de.wikipedia.org/wiki /Bartleby_der_Schreiber [18.11.2011]. 130 In den tagli von Lucio Fontana – als Beispiel dient Abb. 38, Concetto spaziale, Attesa – geschieht noch ein weiterer Schritt. In diesen Werken ist der Bildträger, die materielle Grundlage des Bildes, zerstört, dadurch jedoch ein neuer, sprachlich kaum einholbarer Bildraum gewonnen, der nicht nur ideell sondern sicht- und taktil erfahrbar präsent ist. Eine Malerei, die ihr Sujet in sich selbst aufhebt, deren ‘Sprache’ auf der Bildoberfläche schweigt und dafür den Raum vor und hinter dieser Oberfläche zeigt, kann insgesamt als sigetische Leerstelle verstanden werden. Das Bild, das aus sich selbst tritt – es kann als einer der Schritte auf dem Weg zur Installationskunst verstanden werden. Das ‘beredte Schweigen des Bildes’ lässt sich im Rahmen eines kulturtheoretischphilosophischen Kontextes verorten. Kunstentwicklungen lassen sich jedoch auch mittels verschiedener anderer Parameter nacherzählen. So wie sich der Bedeutungswandel der Farbe vom sekundären zum Bild bestimmenden Gestaltungsmittel beobachten lässt,201 so lässt sich auch eine Geschichte der bildwürdigen Sujets konstatieren. Als Jean-François Millet 1857 die Ährenleserinnen (Abb. 13) auf freiem Feld bei ihrer Tätigkeit malte, führte er Frauen aus der ärmsten Gesellschaftsschicht als Bildsujet ein und übertrat sowohl in der Wahl der als erniedrigend und unweiblich geltenden Tätigkeit als auch mit ihrer Darstellung auf freiem Feld die durch die Tradition gesetzten Grenzen. Ohne Millets Gemälde Mittagsruhe wiederum von 1866, das ein ausruhendes Bauernpaar zeigt, neben dem die Schuhe des Mannes liegen, hätte van Gogh, so darf spekuliert werden, nie eben diese Bauernschuhe gemalt, die durch Heidegger notorisch geworden sind.202 So fanden die ‘gewöhnlichen Leute’ und die Dinge des Alltags ihren Weg in die Bilder. Doch die gegenläufigen Tendenzen lassen sich auch nachweisen. Nur knapp eine Generation nach Millet und zur gleichen Zeit tätig wie van Gogh, löste Cézanne die Gegenständlichkeit auf, wurde die Oberfläche der Dinge brüchig, zersetzten die taches die Darstellung der Dinge. Nicht sehr viel später, in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, verschwanden die Dinge dann ganz aus den Bildern, sie verschwanden in der Abstraktion. So verwandelte sich die Präsenz von Menschen und Dingen in ihre Absenz. Heidegger setzte diese Entwicklung als eine gegenläufige in Beziehung zur Übermächtigkeit des technischen Zugriffs auf die Dinge, wie Elisabeth Körfer nachweist.203 Bei Heidegger finden Präsenz und Absenz als Entbergen und Verbergen ihren Niederschlag im Kunstwerk. Die Wahrheit des Seienden manifestiert sich, so Heidegger, zwischen Entbergen und Verbergen als Streit zwischen Welt und Erde.204 Der Kunst wird in diesem Dazwischen eine Position der Versöhnung und Vermittlung zugesprochen. Unter dem Aspekt des übermächtigen Zugriffs der Technik auf die Dinge, die bis hin zur Degradierung alles Seienden führt,205 verändert sich jedoch die Gewichtung dessen, was im Kunstwerk geschieht. Es wird nun zu einem Ort, in dem sich die Dinge zurücknehmen. Die Selbstwerdung des Dings, wie sie im Kunstwerkaufsatz an Hand von van Goghs Bauernschuhen angelegt worden ist,206 äußert sich nun in einer Umkehr der Bewegung: Nicht das Sich Zeigen, sondern das Zeigen des Sich-Verbergens «charakterisiert [...] den Auftritt der 201 202 203 204 205 206 Vgl. dazu ‘Disegno oder Colore’, oben, 98–103. Zur Beziehung von Millet und Van Gogh vgl. C. Julhiet-Charvet (Hg.): Millet - Van Gogh. Die Ähnlichkeit der von Van Gogh gemalten Bauernschuhe, auf die sich Heidegger im Vom Ursprung des Kunstwerks bezieht, mit den Schuhen, wie sie Millet 1866 in seinem Gemälde Mittagsruhe darstellt, ist frappant. Vgl. E. Körfer: Abwesen entbirgt Anwesen, 213–226. Vgl. M. Heidegger: Ursprung, 41. Siehe auch ‘Martin Heidegger’, unten, 155–160. Vgl. E. Körfer: Abwesen entbirgt Anwesen, 219. Wie Anmerkung 204, insbes. jedoch unten, 156–157. 131 Dingwelt in der Malerei,» so Körfer, «nicht die Vernutzung als Objekt», sondern die «Selbstzurücknahme, das Sich-selbst-verschließen und damit [...] die Selbstbewahrung.»207 Somit sind die Dinge in der Abstraktion nicht verschwunden, sondern in einem Hegelschen Sinne doppelt aufgehoben: aufgehoben und nicht mehr präsent und zugleich aufgehoben, jedoch bewahrt. So schweigen die Dinge in der Abstraktion von ihrer Verbergung. Die Abstraktion markiert somit eine paradoxe Leerstelle, eine, die doppelt schweigt. Sie schweigt, so wie alle Bildmittel nicht sprechen, sie schweigt jedoch auch als größtmöglicher Rückzugsort der Dinge. Der Anfang dieser Entwicklung ist bei Cézanne zu beobachten. «Das Zerschellen lassen der Außenhaut des Bildes, das wie die Sprengung jeder noch identifizierbaren Gegenständlichkeit aussieht, entspringt demzufolge der Selbstrettung der Dinge», formuliert Körfer.208 Denn so wie bei Cézanne erst Farbflecken und pikturale Leerstellen zusammen die Einheit eines Gegenstandes ausmachen, so loten erst Abstraktion und die Möglichkeit einer alles umfassenden Gegenständlichkeit zusammen die künstlerischen Darstellungsund Erscheinungsweisen aus. In den Erläuterungen zu Hegels Satz «ein zerrissener Strumpf besser als ein geflickter, nicht so das Selbstbewusstsein», auf den Körfer hinweist,209 betont Heidegger, dass eine Einheit erst durch das Auftreten eines Mangels als verlorene zwar, aber eben doch als Einheit, wahrgenommen wird. Für Heidegger ist es also gerade ein Defekt, der Ganzheit erinnert und vergegenwärtigt.210 In diesem Sinne ist der zerrissene Strumpf unbedingt dem geflickten vorzuziehen. Übertragen auf die Abstraktion als Verbergen des Gegenstandes bedeutet dies, dass die sigetische Leerstelle durch ihr Schweigen auf das verweist, was sie zeigen könnte. Aus ihr erwächst dem Bild die größtmögliche Potentialität. Sie evoziert das Füllen einer gezeigten Leere und regt die Betrachtenden zur Vergegenwärtigung eines aus ihnen selbst kommenden Bildes an. 4. Zusammenfassung Die Untersuchung performatorisch aktiver Elemente des Bildes deckt auf, dass sich die Dynamik des primären, das Bild begründenden Kontrastverhältnisses von Absenz und Präsenz (im Sinne der ikonischen Differenz) in alle Belange der Bildgestaltung hinein auswirkt.211 Es ist diese Dynamik, die das Bild zu einer zwischen Sein und Schein oszillierenden Schnittstelle macht, denn alles, was das Sein des Bildes bestimmt, dient gleichzeitig seiner Erscheinung, dem Schein dessen, was es präsentiert. Diese Doppelung – Grundlage einer ikonischen Logik – spiegelt sich auch bei den Rezipierenden. Denn so wenig sich ein Bild ohne Übersetzungsverluste in Sprache überführen lässt, so wenig lässt sich das 207 208 209 210 211 E. Körfer: Abwesen entbirgt Anwesen, 221–222. Ebd. Ebd., 303. Im Seminarprotokoll – Heidegger verwendete den Satz unter anderem auch im Le ThorSeminar – findet sich die anekdotische Information, dass die Seminarteilnehmer unschlüssig reagiert hätten, als sie Heideggers Version des Hegelschen Satzes hörten, den sie nur in der Umkehrung ‘ein geflickter Strumpf besser als ein zerrissener, nicht so das Selbstbewusstsein’ kannten. Daraufhin erläuterte Heidegger, dass der angeführte Satz vom Drucker fälschlicherweise ‘berichtigt’ worden sei. Vgl. M. Heidegger: Seminare, 287. Ebd., 289. Eine Studie zur Frage, inwieweit dieses Denken in Dualitäten kulturgeschichtlich vorbestimmt oder kunstwissenschaftlich auf die Paarigkeit kunstgeschichtlicher Grundbegriffe zurückgeht, wie sie Wölfflin formuliert hat, ist ein Desiderat. 132 Bild nur äußerlich betrachten, es fordert immer kreative Imagination heraus, ein Mit-sehen, das neben dem äußerlich sichtbaren Bild ein inneres, unsichtbares entstehen lässt. «Wahrnehmen lässt sich vom Imaginieren nicht trennen, beide mentalen Akte teilen die Intentionalität» konstatieren Bernd Hüppauf und Christoph Wulf in ihrer Studie zum Verhältnis von Bild und Einbildungskraft.212 Dieses Spannungsverhältnis von Wahrnehmung und Imaginieren ist der Unbestimmtheit geschuldet, die Boehm als positive Eigenschaft jedem Bild konzediert und sich auch in den untersuchten Bildmitteln nachweisen ließ. Besonders die die Unbestimmtheit überschreitenden Leerstellen – in ihrer Offenheit sind sie überdeterminiert – verlangen nach Ergänzungen und ein In-Beziehung-Setzen von Getrenntem und Disparatem. Sie fordern ein aktives Teilnehmen am Bild heraus, so dass schließlich die Leerstellen keine Stellen der Leere mehr sind, sondern erfüllt mit der Imagination der Betrachtenden. «Die Imagination versetzt ins Bild, was in der Datenvielfalt der Sinnesreize abwesend ist und ergänzt das stets nur partiell gegebene Bild zu einem Ganzen – ohne eine kreative Einbildungskraft kein sinnvolles und zusammenhängendes Bild» so noch einmal Hüppauf und Wulf, die darauf hinweisen, dass das Verhältnis von wahrnehmen und einbilden in der philosophischen Tradition weitgehend ungeklärt geblieben sei.213 Das Bild als Fenster in die Welt, dessen Binnengliederung durch die Außengliederung bestimmt wurde, wandelte sich vor allem im 20. Jahrhundert zu einer offenen Komposition, die allein durch bildimmanente Strukturen wirksam wird. Der damit einhergegangene Wandel von einer narrativen, figurativen Darstellung als Repräsentation zu einer einfarbigen Bildfläche, die nur sich selbst präsentiert, hat die Aufmerksamkeit auf den Stellenwert der performativen Mittel gelenkt und damit auch auf die Anteile des betrachtenden Subjekts, das zum Ort wurde, in dem sich das Kunstwerk ereignet. Doch, so Kemp, «bei der Realisierung des Kunstwerks durch den Betrachter steht mehr auf dem Spiel als die Betrachtung von Kunstwerken. Wenn wir sehr hoch greifen, dürfen wir sagen: Das Sujet der Werke ist das Subjekt, ist die Formung unserer Identität über Prozesse der Wahrnehmung und Identifikation.»214 Daran ist nicht nur eine vom Bild durch seine Elemente ikonischer Präsenz oder Absenz geforderte Imaginationsleistung beteiligt. Durch diesen dualen Charakter der Bildkomponenten werden ununterbrochen Entscheidungen verlangt: Entweder für das Sehen der Bildtransparenz oder seiner Opazität, für das Wahrnehmen der Farbformen oder der Konturierung, das Feststellen von Form oder von Inhalt, das Gewichten von Details oder des Ganzen, für Figur oder Grund – ein Entweder-Oder-Sehen, das als Selektionsleistung mit zur Bildkompetenz gehört. Das Bild als komplexe Inversionsfigur erhält seine konkrete Bedeutung erst im Kontext all dieser Entscheidungen, denen sich ein Subjekt nicht entziehen kann, wenn es sich dem Bild aussetzen, es betrachten will. Es muss die einzelnen Phänomene in die ihm bedeutsam erscheinenden Bezugssysteme eingliedern. Der Plural ist Absicht, denn es gibt eine Vielzahl an Systemen, in die ein einzelnes Bildelement eingeordnet werden kann. Werner Hofmann hat vor vierzig Jahren eine Übersicht davon veröffentlicht.215 Ob Systeme der «Formfindung und -anordnung» oder solche ideologischer Natur, «aus denen sich die Wirkungsgeschichte des Kunstwerks zu- 212 213 214 215 B. Hüppauf, Ch. Wulf: Einbildungskraft, 25. Ebd., 24 und 27. W. Kemp: Rezeptionsästhetik, 23. W. Hofmann: Fragen der Strukturanalyse, in: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, Heft 17/1972, 164–168. Die Absicht Hofmanns war es, damit «bloß die kunstwissenschaftliche Methodendiskussion über den Strukturalismus in Gang» zu setzen, ebd. 164. 133 sammensetzt» – so die beiden Hauptgliederungspunkte der mehrseitigen Übersicht – die getrennt voneinander untersuchten Ausdrucksformen des ‘beredten Schweigen’ des Bildes wirken im Bild auf vielfältige Weise zusammen und es ist der Betrachter, der ihre Sinnhaftigkeit anerkennt, ihnen Bedeutung gibt und sie mit inner- und außerbildlichen Momenten vernetzt. Womit jedoch ein neuer Aspekt ins Spiel kommt: Das Kunst-wollen der Betrachtenden. Ihm gilt der anschließende Exkurs. 5. Exkurs: «Kunstwollen» und Kunst-wollen Die Objekte der Kunstwissenschaft sind die Kunstwerke, diese sind Produkte von Künstlern in einer bestimmten Zeit, deshalb müssen sie unter der Voraussetzung, dass sich Künstler nicht nur als Subjekte äußern, sondern ihre Leistungen «Formungen von Stoffen, nicht Begebenheiten, sondern Ergebnisse» sind, mit Notwendigkeit in historischem Kontext gestellt, erklärt und gedeutet werden.216 Damit hat Panofsky die kunsthistorische Aufgabe klar als eine phänomenologische umrissen. Die Suche nach einem Prinzip, das die künstlerische Tätigkeit nicht nur als Phänomen erklärt, sondern es aus einer «Erkenntnisquelle höherer Ordnung» begreift, blieb deshalb primär der Philosophie vorbehalten. Mit ‘Kunstwollen’ wurde jedoch 1902 von Alois Riegl ein Begriff eingeführt, der den äußerlich determinierenden Faktoren, die beim Zustandekommen eines Kunstwerks mitwirken, eine Dimension entgegen setzt, welche von den schöpferischen Kräften als solchen spricht.217 Von der großen Diskussion, die der Begriff auslöste, zeugt der 1920 erschienene Aufsatz von Panofsky Der Begriff des Kunstwollens, in dem Panofsky nicht nur die Bedenken der kunsthistorischen Koryphäen seiner Zeit, sondern natürlich auch seine eigenen vorstellt.218 Wenn er den neuen Begriff trotz Einwänden akzeptiert, dann mit der Einschränkung, dass das Kunstwollen als ein über formale und inhaltliche Erklärungen hinaus gehender Begriff die Bedeutung haben kann, einen dem Kunstwerk immanenten Sinn aufzudecken.219 Damit kategorisiert er Kunstwollen als einen Begriff der Sinngeschichte, die als Ergänzung zur historischen Methode verstanden werden kann.220 Was im Rahmen des Diskurses zum Kunstwollen erstaunt, ist, dass Panofsky nicht auf Hegel referiert, findet sich in dessen System Kunst doch neben Religion und Philosophie als Ausdruck des Geistes.221 Das Kunstwollen hätte als Ausdruck des Geistes somit als Bewegung zwischen dem Transzendenten und dem Immanenten in einen dialektischen Prozess integriert werden können. Panofsky orientiert sich jedoch an einem Satz Kants («die Luft ist elastisch»), um mittels hermeneutischer Analyse zum Schluss zu kommen, dass «auch in den Objekten der Kunstwissenschaft, in den weiter oder enger, epochal, regional oder individuell begrenzten künstlerischen Erscheinungen, ein immanenter Sinn – 216 217 218 219 220 221 E. Panofsky: Der Begriff des Kunstwollens, 1019. Riegl legt den Begriff in seinem Aufsatz Das holländische Gruppenporträt dar, der 1902 im Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses in Wien veröffentlicht wurde. In Auszügen ist er nachzulesen in: W. Kemp: Rezeptionsästhetik, 29–50. Vgl. E. Panofsky: Der Begriff des Kunstwollens, 1019–1034. Vgl. ebd., 1029. Vgl. ebd., 1030–1031. Vgl. dazu ‘Georg Wilhelm Friedrich Hegel’, unten, 140–145. 134 und damit ein Kunstwollen in nicht mehr psychologischer, sondern gleichsam auch transzendental-philosophischer Bedeutung – erschlossen» werden könne.222 Wolfgang Kemp hingegen konstatiert, dass durch Hegel «für den Kunsthistoriker modellhaft vorgedacht worden» sei und hebt hervor, dass sich der Entwicklungsgedanken Hegels sowie des Fortschreitens der Kunst durch die verschiedenen Epochen in der Ausformung des immer stärker werdenden Außenbezugs des Kunstwerks abbildet.223 Gemäß Kemp tat Riegl «nicht viel mehr, als Hegels Verhältnisbestimmungen als wertfreie Äußerungen des Kunstwollens zu betrachten».224 Doch wie letztendlich das Kunstwollen philosophisch begründet wird, es bezeichnet primär das Faktum, dass Kunst überhaupt entsteht, sich zwar an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich artikuliert, aber immer vorhanden ist und sich kontinuierlich wandelt. Bereits Panofsky hat jedoch darauf hingewiesen, dass der Begriff auch noch ganz anders verstanden werden kann: Einmal im Hinblick auf das Wollen des Künstlers und einmal in apperzeptionspsychologischer Auffassung.225 Vor allem dieser letzte Aspekt ist hier von Belang. Kemp hat nicht von ungefähr Riegls Aufsatz in Auszügen in sein die Rezeptionsästhetik in der Kunstwissenschaft begründendes Werk aufgenommen, weist doch Riegls Studie zu Rembrandts De Staalmeesters alle Züge einer an der Betrachtung orientierten Analyse auf. Das Gruppenporträt wird nicht nur, «soweit die menschliche Figur in Frage kam» als Ausdruck des spezifischen Kunstwollens der Holländer deklariert,226 die Behandlung durch Riegl weist auch alle Züge auf, die bestätigen, was Panofsky als apperzeptionspsychologische Deutung des Kunstwollens formuliert, dass nämlich ein Eindruckserlebnis im Zentrum der Untersuchung stehe. In Anbetracht der Pluralität der Erscheinungen der Kunst, des unüberschaubaren Angebots an Stilen und Stilfusionen und der oft konstatierten Erklärungsbedürftigkeit erhält dieses apperzeptionspsychologische – heute rezeptionsästhetische – Verständnis des Kunstwollens eine zusätzliche Deutungsvariante, die den Willensaspekt des Begriffs unterstreicht, das aber heißt, Betrachtende müssen Kunst verstehen wollen. Sie mögen noch so sehr ‘im Bild’ und von Kunstwollen und Künstler mitbedacht sein, die vor dem Bild sich befindenden Betrachtenden haben die Möglichkeit, sich vom beredten Schweigen des Bildes nicht ansprechen lassen zu wollen und das Beziehungsangebot, das in einem Bild enthalten ist, gar nicht erst wahrzunehmen oder abzulehnen. Denn was Panofsky über das Wollen des Künstlers aussagt trifft ja auch auf die Betrachtenden zu, dass nämliche der Willensakt stets den Charakter einer Entscheidung habe und man nur von Wollen reden könne, wo «im Subjekte mindestens zwei Zielvorstellungen potential lebendig sind, zwischen denen es zu wählen hat.»227 Gerade in Bezug auf die Gegenwartskunst müssen die Betrachtenden gewissermaßen zu Komplizinnen oder Komplizen des Künstlers werden wollen, sie müssen das beredte Schweigen der Bilder, das an Stelle einer Narration oder Figuration getreten ist, verstehen wollen. Fällt dieses Kunstwollen weg, dann bleibt nicht nur die Kunst ungesehen, dann bleibt auch der Blick in seinen Konditionierungen gefangen. Die Untersuchungen einiger Zeigemittel des Bildes haben ergeben, dass die opaken Dimensionen des Bildes zu eigentlichen Bedeutungsträgern geworden sind. Zeitgenössische Kunst, die Marin als eine 222 223 224 225 226 227 Vgl. E. Panofsky: Der Begriff des Kunstwollens, 1029. W. Kemp: Rezeptionsästhetik, 19. Ebd. Vgl. E. Panofsky: Der Begriff des Kunstwollens, 1021–1026. W. Kemp: Rezeptionsästhetik, 42. Ebd., 1022. 135 Kunst bezeichnet, «die sich gewissermaßen von der transitiven Dimension der Repräsentation befreit hat und von den Opazitäten der Präsentation des Werkes her autonom geworden ist»,228 richtet sich an Betrachter, die diese Oberflächen der Bilder lesen wollen. In ihrem Kunstwollen müssen somit das Kunstwollen im Sinne einer Erkenntnisquelle höherer Ordnung und das Kunstwollen des Künstlers als deren Instrument aufgehoben werden, damit Sinnbestimmung sich vollzieht als eine «Integration der Gesamterfahrung durch eine Sprache und als die Entfaltung eines Signifikationsprozesses, der darauf abzielt, jenes ‘Etwas’ in die strukturierende Operation zu integrieren [...], das, obwohl es einer künstlerischen Aussage entspricht, gerade durch die Repräsentation nicht erfassbar ist.»229 Marin spricht hier von den Opazitäten, die das Charakteristikum aufweisen, «in der künstlerischen Praxis die transitive Operation der Repräsentation durch die Signifikationsprozesse, die sie auslösen, zu zersetzen.» 230 Ein Bildgegenstand, der nichts Wiedererkennbares repräsentiert ist dennoch Signifikant und als solcher Teil eines Signifikationssystems, zu dem die Betrachtenden konstitutiv gehören. Sie sind es, die einem Kunstwerk Bedeutung zusprechen und es in Sinnzusammenhänge einordnen, daran hat sich auch mit der Abkehr von der Gegenständlichkeit nichts geändert. Das Bild zeigt immer noch Blicke in Welten, doch nicht mehr nur als Fenster auf eine Außenwelt, sondern inzwischen als Spiegel auch in die Innenwelt – die Bezugssysteme – der Betrachtenden und in der Opazität seiner Präsentation in seine eigenen. Das Kunstwollen der Betrachtenden ist der Schlüssel zu allen dreien. 228 229 230 M. Heitz, B. Nessler (Hg.): Louis Marin, 65. Ebd., 66. Ebd. 3 D AS RÄTS EL ‘ K UNS T’ 1. Was ist Kunst? «Was ist Kunst?» diese Frage bildet ab, was sie notwendig macht: Den Verlust eines Selbstverständnisses der Kunst. So schreibt Martin Heidegger: «Die Kunst, das ist nur noch ein Wort, dem nichts Wirkliches mehr entspricht. Es mag als eine Sammelvorstellung gelten, in der wir das unterbringen, was allein von der Kunst wirklich ist: die Werke und die Künstler.»1 Und dennoch soll hier dieser Frage nachgegangen werden. Denn wenn das, was Kunst ist, sich im Kunstwerk vergegenwärtigt, dann wird anstelle der Eingangsfrage die Frage nach diesem Werk, hier insbesondere dem Bild, aktuell. Was aber ist ein Bild? Die Antworten auf diese Fragen prägen bewusst oder unbewusst den Umgang mit einem Gemälde. Wie sehr kulturelle und philosophische Übereinkünfte die unterschiedlichen Schwerpunkte bestimmen, an denen sich ein Kunstverständnis orientiert, machen Wolfgang Ullrichs Kurzbiographien zum Begriff ‘Kunst’ deutlich.2 Die wechselvolle Geschichte dieses Begriffs bildet sich denn auch in den Kunsttheorien des 20. Jahrhunderts ab und ist Ursache der schwerpunktmäßigen Divergenzen, die sich auch in den philosophischen Positionen spiegeln, die in diesem Kapitel untersucht werden. Dazu werden zuerst – im Ausgang von Hegel – bei Morris Weitz, Nelson Goodman, Martin Heidegger und Hans-Georg Gadamer Antworten auf die Frage nach dem Wesen der Kunst gesucht und nach deren Relevanz oder Konsequenz für kunstgeschichtliches Denken gefragt. Hegels immer wieder neue Aktualität für das Nachdenken über Kunst lässt sich auf unterschiedliche Art begründen. Dass er hier an den Anfang der Untersuchungen kunstphilosophischer Aussagen gestellt wird, liegt an drei Aspekten, die seine Philosophie der Kunst auszeichnen. Der erste besteht darin, dass er der Kunst eine bedeutende Stellung innerhalb seines philosophischen Systems zuweist, die sie der Religion und der Philosophie als lebendiger Ausdruck des Geistigen gleichsetzt. Die Frage nach dem Ort des Geistigen stellt sich aber immer wieder aufs Neue, ebenso wie die Frage nach dem Ort der Kunst, so dass Hegels Antworten immer wieder neu in Betracht gezogen werden müssen. Zum anderen liegt die Bedeutung von Hegels Kunsttheorie auch darin, dass in ihr maßgebliche Schwerpunkte zeitgenössischer Theorien zur Kunst philosophisch verankert sind. So wendet sich Hegel in scharfen Formulierungen gegen die Mimesis, wenn er schreibt, dass 1 2 M. Heidegger: Vom Ursprung, 1. W. Ullrich: Was war Kunst? 137 Kunstwerke nicht zu loben sind, weil sie Tauben und Affen täuschen können,3 sondern dass diejenigen zu tadeln sind, die ein Kunstwerk wegen einer «so niedrigen Wirkung» loben und er fährt fort: «Im ganzen ist aber überhaupt zu sagen, dass bei bloßer Nachahmung die Kunst im Wettstreit mit der Natur nicht wird bestehen können und das Ansehen eines Wurms erhält, der es unternimmt, einem Elefanten nachzukriechen.»4 ‘Kunst als Mimesis’ wird bei Hegel zu ‘Kunst als Abbildung’, damit wird nicht die Natur nachgeahmt, sondern das Ideal wird in seinen mannigfaltigen Formen abgebildet. Mit dieser in Bezug auf den Bildgegenstand inhaltlichen und formalen Abkehr vom mimetischen Prinzip bereitet Hegel den Weg in die abstrakte Kunst philosophisch vor. Drittens diagnostiziert Hegel in seiner philosophischen Kunsttheorie und dem Kunstgeschichtskonzept, dass Kunst als Ausdruck von Heiligem und Ewigem der Vergangenheit angehört, ja, dass sie überhaupt aufgehört hat, das höchste Bedürfnis des Geistes zu sein.5 Gerade im Licht dieser Aussage stellt sich die Frage immer wieder neu, wie und ob Bilder über ihre Figurationen hinaus – auch ohne Titel – Bedeutung haben, wie sie in geistigem Sinne zu verstehen sind und welche Mittel uns die Philosophie zu diesem Verstehen in die Hand gibt. Hegels bis heute wirkungsvolle Theorie der Kunst ist eingebettet in sein gesamtes System der Philosophie; wichtig für die diesbezügliche Auffassungen sind neben den Vorlesungen über die Ästhetik insbesondere die einschlägigen Abschnitte der Phänomenologie des Geistes und der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften.6 Was nun die verbindenden Momente zwischen den erwähnten vier Autoren und Hegel sind, zeigt ein Blick auf Hegels Kunsttheorie. Deren Voraussetzung liegt in der Theorie des absoluten Geistes, der das Resultat eines Durchgangs des Geistes durch verschiedene Realisierungsstufen auf dem Weg zur Selbsterkenntnis und zur Wahrheit ist. Dieser Weg des Geistes zeigt sich in verschiedenen Kulturformen, deren höchste Kunst, Religion und Philosophie sind. Die Stellung der Kunst ist hierbei diejenige der Anschauung, insbesondere der Selbstanschauung des Geistes und zwar als konkrete Anschauung und Vorstellung des an sich absoluten Geistes als des Ideals, – der aus dem subjektiven Geist geborenen konkreten Gestalt, in welcher die natürliche Unmittelbarkeit nur Zeichen der Idee, zu deren Ausdruck so durch den einbildenden Geist verklärt ist, dass die Gestalt sonst nichts anderes an ihr zeigt; – die Gestalt der Schönheit.7 In dieser Passage ist die Kunsttheorie Hegels in nuce zusammengefasst: Der absolute Geist manifestiert sich auf dem Weg der Erkenntnis seiner selbst in der Idee. Diese Idee kann, was in § 560 der Enzyklopädie ausgelegt ist, mittels des Künstlers, der als Genie einerseits Gefäß der Idee und andererseits handwerklich Produzierender ist, Gestalt annehmen. Das Kunstwerk hat bei Hegel somit seinen Ort zwischen Geist (Ideal) und Mate3 4 5 6 7 Vgl. G.W.F. Hegel: Ästhetik, 91–92. Hegel referiert auf Die Trauben des Zeuxis, vgl. oben, 117. Die Geschichte gilt als Paradigma für das mimetische Vermögen der Malerei. Dass Hegel nur die erste Hälfte der Geschichte zitiert, ist wohl damit zu begründen, dass mit der Fortsetzung der Geschichte das Argument von der «niedrigen Wirkung» der Nachahmung nicht mehr gegriffen hätte. Hegel berichtet dafür, dass der Naturforscher Linné einen Affen gehabt hätte, der gemalte Maikäfer zernagen wollte. Vgl. G.W.F. Hegel: Ästhetik, 92. Ebd., 91–92. Vgl. G.W.F. Hegel: Ästhetik, 170. Die erwähnten Werke liegen in unterschiedlichen Fassungen vor. Annemarie Gethmann-Siefert vergleicht verschiedene Fassungen zu Hegels Ästhetik, siehe A. Gethmann-Siefert: Hegels Ästhetik, 274– 292. Varianten der Philosophie des Geistes und der Ästhetik werden nachgezeichnet von Giuseppe Cantillo, vgl. G. Cantillo: Hegel. Im Folgenden wird rekurriert auf Hegel: Ästhetik, ders.: Phänomenologie sowie ders.: Enzyklopädie I und III. G.W.F. Hegel: Enzyklopädie III, § 556. 138 rie. Und indem es in konkreter Gestalt auf die Idee verweist, ist es Zeichen. Das Ideal vollzieht somit eine dreistufige Bewegung, die zuerst von sich wegführt, in ein Werk übergeht, um dann in Form des Verweises wieder zu sich zurückzukehren. Daraus erwachsen der Kunst Aufgaben des Versöhnens zwischen diesen Dimensionen. Und indem die Gestalt des Kunstwerks diejenige der Schönheit annimmt, wird die dialektische Bewegung zurückgebunden an das Absolute, das an sich Schöne, das nun als Referenz fortdauernd präsent ist. Mit Ausnahme von Weitz, der sich gegen die Problemstellung als solche wendet und die antiessentialistisch begründete Auffassung vertritt, dass wir «besser daran täten, die Frage ‘Was ist das Wesen der Kunst?’ durch andere Fragen zu ersetzen, auf die sich Antworten finden lassen»,8 stehen Heidegger, Gadamer und Goodman in unterschiedlich akzentuierten Bezügen zu Hegel. So findet sich bei Goodman eine erweiterte Ausarbeitung zur Zeichenhaftigkeit des Kunstwerks, insbesondere zur Verbindung von Gestalt und Bedeutung. Kunst ist für Goodman eine spezifische Art des Symbolgebrauchs, wie Wissenschaft oder Philosophie. Mittels dieser Symbolsysteme werden Weltversionen erzeugt, Weltweisen, die nur in symbolischer Vermittlung erkennbar sind, da das Eigentliche nicht unvermittelt zugänglich ist. Das heißt, dass auch bei Goodman Kunst immer etwas über etwas darstellt oder etwas über etwas aussagt, Intentionalität also notwendig ist, damit ein Objekt als Kunstwerk identifiziert werden kann. Bei Heidegger findet sich dagegen vor allem das Thema des Übergangs von Geist in Materie, in eine konkrete Gestalt, wieder. Dieses wird als Übergang von Verborgenem ins Offene und als Streit zwischen Verbergen und Entbergen, der Gegenüberstellung von Welt und Erde, formuliert. Hier vollzieht sich die dialektische Bewegung durch das Kunstwerk, wie die «Gründungstat ganzer geschichtlicher Welten»,9 in der sich Wahrheit zeigt. Und nach Heidegger ist es mittels dieser Bewegung zum Kunstwerk, dass Welt und Erde überhaupt konstituiert werden. Gadamer wiederum sucht die Gestalt der Kunst selbst zu verstehen. Indem er sie als das Verwandelte definiert, bestimmt er sie zum Ort, an dem die Unmittelbarkeit des Zeichens nicht nur auf die Idee verweist, sondern an dem die Idee selbst präsent ist. Als Vergleich führt Gadamer Spiel, Symbol und Fest an, kulturelle Ausdrucksformen, in denen das, worauf sie sich beziehen, selbst anwesend sein muss, damit sie vollzogen werden können. Die Gestalt des Kunstwerks zeigt demzufolge nichts anderes, als die fortdauernde Gegenwart der Idee. Im zweiten Abschnitt dieses Kapitels wird die Frage gestellt, was ein Bild (verstanden als Kunstwerk) sei. Darauf lassen sich nun – im Anschluss an die Frage nach dem Wesen der Kunst und im Unterschied zu ihr – Antworten finden. Es zeigt sich, dass sich die Wirklichkeit des Bildes vor allem durch Paradoxien oder Dichotomien charakterisieren lässt. Im Erklärungsmuster der ikonischen Differenz10 sind diese Kontrastverhältnisse – sowohl die Zeichenhaftigkeit des Kunstwerks, seine verschiedenen Weisen der Referenzialität, als auch die Bewegung zwischen Abwesendem und Anwesendem sowie das fortdauernde Präsentische, das dem Bild innewohnt – aufgehoben. Diese das Wesen des Bildes kennzeichnenden Dualismen heben sich jedoch nicht gegenseitig auf, sondern die Gleichzeitigkeit von räumlicher und zeitlicher Sinnstruktur sowie von Weltdeutung und Weltausdruck macht das Bild zu einem dynamischen Medium mit ereignishafter Wirkung. 8 9 10 M. Weitz: Die Rolle der Theorie, 40. H.-G. Gadamer: Wahrheit des Kunstwerks, 252. Vgl. ‘Ikonische Differenz’, oben, 87–92. 139 Das Bild kann daher über Aspekte seiner Performativität beschrieben oder erklärt werden. Im Folgenden werden dazu insbesondere die Reflexivität der Beziehung zwischen einem Werk und den es Rezipierenden sowie die verschiedenen Ausdrucks- und Erscheinungsformen von Temporalität hervorgehoben. Während das dialogische Moment des Verhältnisses von Kunstwerk und Publikum in paradigmatischer Weise als hermeneutischer Zirkel verstanden werden kann, der sich immer neu in jeder Gegewärtigkeit der Begegnung entwickelt, zeigt die Untersuchung der Zeitlichkeit, dass im Bild Gegenwart und Vergangenheit gleichzeitig als ideen- und kunstgeschichtliche Konzepte sowie in künstlerisch gestalteter Form präsent sind. Künstlerische Techniken und kompositorischen Mittel stellen ein großes Spektrum an Möglichkeiten zur Verfügung, Temporalität ins Bild zu integrieren. Einige davon werden hier vorgestellt, denn in der Gleichzeitigkeit von Gegenwärtigkeit (als unentwegte Präsenz des Bildes) und Vergegenwärtigung (als Manifestation eines temporalen Prozesses) sowie mit referenziellen Bezügen zur Vergangenheit manifestieren sich Bildstrukturen, die eine Interpretation erweitern oder – im Falle abstrakter Werke – überhaupt zugänglich und nachvollziehbar machen.11 Der multiple Charakter eines Kunstwerks äussert sich auch in der Antwort zur Frage, wie sich Wahrheit in der Kunst manifestiert. Sie wird angeregt durch Aussagen Heideggers, die besagen, dass sich im Kunstwerk Wahrheit ins Werk setze. Auch Maler wie Cézanne oder Matisse sprechen davon, dass Wahrheit in Kunstwerken zum Ausdruck komme, also sinnlich wahrnehmbar sei. Von welchen Wahrheiten sprechen sie? Die Untersuchung zeigt, dass es verschiedene Wahrheiten – ‘Bilder der Wahrheit’ – sind, die in einem Kunstwerk zum Ausdruck kommen. Einerseits kann Wahrheit als Übereinstimmung einer Vorstellung mit einer Darstellung verstanden werden, wozu sowohl der mimetische Realismus des künsterischen Resultats als auch die psychologisch-emotionalen Komponenten des Dargestellten gehören. Damit ist ein Kunstwerk an sich eine visualisierte Erscheinungsform von Wahrheit. Doch diese kann auch selbst als Allegorie dargestellt werden. In dieser personifizierten Form erscheint sie als halbnackte Frau und bildet ab, dass Wahrheit nur im Spannungsverhältnis von Enthüllen und Verbergen auftreten kann. Unter solchen objektiv und subjektiv bestimmbaren Aspekten kann Wahrheit als im Bild befindlich nachgewiesen werden. Eine weitere Antwort auf die Frage nach dem Bild wird mit Blick auf den von Eco formulierten Begriff des offenen Kunstwerks gegeben. Denn nur wenn sich die Kontingenz eines Bildes in der Offenheit der Interpretation spiegelt, kann von einer einem Werk angemessenen Deutung gesprochen werden. Das Dialogische bzw. die Bereitschaft zur Begegnung mit dem Kunstwerk wird auch auf diesem Hintergrund zur Voraussetzung für eine Interpretation. Die Befunde aus den Fragen zur Kunst und zum Bild führen zu den nächsten Kapitelabschnitten. Sie gelten den hermeneutischen Konsequenzen. Vor allem das dialogische Moment manifestiert sich darin, dass die Aufmerksamkeit nicht nur auf verschiedene Aspekte eines Kunstwerks sondern ebenso auf diejenigen der Rezipierenden gelenkt werden muss. Wie sehr die Rolle und die damit verbundene Perspektivität eines Rezipienten eine Interpretation gewichten, wird anhand eines viel besprochenen Bildes nachgewiesen. Die wichtigste Konsequenz aus der Analyse essentialistischer und antiessentialistischer Positionen als auch aus kunstwissenschaftlichen und bildanalytischen Untersuchungen liegt jedoch darin, dass Bedeutung nur als innerbildiches Geschehen bezeichnet und abgeleitet werden kann. Als Performativität des Bildes kann sie mittels aktiver Partizipation erschlossen werden. Voraussetzung zu diesem Kunst-wollen der Betrachtenden ist jedoch 11 Diese Aussage wird in Kapitel 4 im Zusammenhang mit der Interpretation dreier abstrakter Werke belegt. 140 eine ästhetische Einstellung, wie sie in Dickies Definition der Kunstwelt formuliert ist12 und mit der Ikonik als Methode der Interpretation, die davon ausgeht, dass die in den formalen Kompositionsstrukturen enthaltenen Bedeutungsebenen durch angemessene Methoden und Fragen aufdeckbar sind,13 praktisch zur Anwendung kommt. 1.1 Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Kunst ist historische Mittlerin zwischen dem Absoluten und dem Subjektiven ‘Geschichte’ ist im Rahmen des Hegel’schen Systems der Philosophie ein wirkungsmächtiger und zentraler Begriff, sowohl im Sinne von Vergangenheit als auch im Sinne von Entwicklung und nicht zuletzt im Sinne von Erzählung. In weit ausführenden Bögen legt Hegel in einer ‘großen Erzählung’14 die Vielfalt kulturrelevanter Erscheinungsformen dar und so auch diejenige der Kunst, die neben Religion und Philosophie als eine der Manifestationen des Geistes betrachtet, eine Funktion innerhalb der Entwicklungsgeschichte des Bewusstseins wahrnimmt. In ihrer Anschaulichkeit bedeutet Kunst eine Form des Wissens des Geistes über sich selbst und ein Ausdruck des Selbstbewusstseins des Menschen.15 In der idealistischen Kunstphilosophie Hegels tritt Kunst auf drei Ebenen oder im Hinblick auf drei zunehmend konkretere Bereiche in Erscheinung. Zum einen behandelt Hegel die grundsätzlichen Funktionen der Kunst im Rahmen seines philosophischen Systems, sodann postuliert er im Zusammenhang mit spezifischen Gestaltungsformen drei geschichtliche Kunstepochen und im Hinblick auf eine konkrete Praxis der Kunst formuliert er Kriterien und präzise Angaben zu Bildungsinhalten. Diese drei Bezugssysteme werden im Folgenden paraphrasiert. 1.1.1 Kunst im Rahmen des philosophischen Systems Voraussetzung der Hegel’schen Philosophie ist die Fähigkeit und Möglichkeit des Geistes, sich selbst zu betrachten und ein Bewusstsein zu besitzen, das nicht nur sich selbst, sondern auch die Erzeugnisse seiner Aktivität und Bewegung betrachtet und reflektiert.16 Somit öffnet sich zwischen dem Betrachter oder Denkenden als Subjekt und dem Betrachteten oder Gedachten als Objekt ein Abstand, den zu überwinden das Denken allein nicht vollziehen kann, da es ja das, was es überwinden will, fortlaufend produziert, somit in einen unendlichen Regress verfällt. In den Werken der Kunst nun, vor allem der bildenden bzw. der ‘schönen Kunst’,17 findet der Geist ein Mittel, «nicht etwa nur sich selbst in seiner eigentümlichen Form als Denken zu fassen», schreibt Hegel, «sondern ebenso sehr sich 12 13 14 15 16 17 Vgl. unten, 150–151 bzw. 194–195. Vgl. ‘Ikonik’, oben, 85–87. Der Ausdruck stammt von Jean-François Lyotard, der sich damit gegen philosophische und andere Systeme wendet, die absolute Erklärungsmuster beinhalten. An Stelle der einen ‘großen Erzählung’ treten in der Postmoderne viele verschiedene Erzählungen bzw. Erklärungsmodelle. Vgl. J.F. Lyotard: Das Postmoderne Wissen. Vgl. G.W.F. Hegel: Phänomenologie, 512–515. Vgl. G.W.F. Hegel: Ästhetik, 51–52. Hegel grenzt das Naturschöne explizit aus seinem System aus und anerkennt nur das Kunstschöne als «aus dem Geiste geborene Schönheit», vgl. G.W.F. Hegel: Ästhetik, 37–39. Der Begriff der ‘schönen Kunst’ für die bildende Kunst wird seit der Renaissance in Abgrenzung zur Handwerks- oder technischen Kunst verwendet. Vgl. Lexikon der Kunst, Bd. 6, 514–515. 141 in seiner Entäußerung zur Empfindung und Sinnlichkeit wiederzuerkennen.»18 Das bedeutet, dass der Geist, indem er sich im Kunstwerk als in seinem Andern begreift, zu sich selbst zurückgeführt wird. Kunst hat somit eine wichtige Mittlerfunktion im «Bereich des begreifenden Denkens,»19 die sich auch darin äußert, dass sie zwischen dem Diesseits und dem Jenseits vermittelt. Sie ist zu dieser Vermittlung befähigt, weil sie zwar wie Religion und Philosophie eine Gestalt des Geistes ist, sich doch von diesen dadurch unterscheidet, dass sie das Höchste in anschaulicher, sinnlicher Realität manifestiert. Hegel spricht ja gar von einem Bruch, zu dem der Geist, indem er sich entäußert und entfremdet, fortgeht: Es ist die Tiefe einer übersinnlichen Welt, in welche der Gedanke dringt und sie zunächst als ein Jenseits dem unmittelbaren Bewusstsein und der gegenwärtigen Empfindung gegenüber aufstellt; es ist die Freiheit denkender Erkenntnis, welche sich dem Diesseits, das sinnliche Wirklichkeit und Endlichkeit heißt, enthebt. Diesen Bruch aber, zu welchem der Geist fortgeht, weiß er ebenso zu heilen. Er erzeugt aus sich selbst die Werke der schönen Kunst als das erste versöhnende Mittelglied.20 Die Heilung wird also durch Kunst vollzogen, ja mehr noch, sie versöhnt die sinnlich erfahrbare Welt, zu der Hegel sowohl eine innerliche als auch eine äußerliche Welt der Erscheinungen zählt, mit der ‘echten Wirklichkeit’ jenseits der Empirie.21 Denn mittels der Kunst kann das Höchste sinnlich dargestellt und damit den Sinnen und der Empfindung näher gebracht werden.22 Der Geist erzeugt demzufolge aus sich selbst seine Entfremdung und ebenso die Werke der Kunst als das erste «versöhnende Mittelglied zwischen dem bloß Äußerlichen, Sinnlichen und Vergänglichen und zwischen dem reinen Gedanken, zwischen der Natur und endlichen Wirklichkeit und der unendlichen Freiheit des begreifenden Denkens».23 ‘Vermittlung’ und ‘Versöhnung’ – in diesen Funktionen findet sich die Kunst in den Vorlesungen über die Ästhetik. Ebenfalls als Mittlerin, jedoch als durch den Künstler als Genie in «natürlicher Unmittelbarkeit» vermittelte Mittlerin, wird Kunst in der Enzyklopädie dargestellt. Da entsteht das Kunstwerk einerseits als «Ausdruck des Gottes» und andererseits durch technische und mechanische Arbeit, so dass es «ebenso sehr ein Werk der freien Willkür und der Künstler der Meister des Gottes» ist.24 Das Kunstwerk an sich stellt nun in dieser Verbindung von ideellem Inhalt und realer Gestalt ebenfalls eine Versöhnung dar, wie Hegel in § 561 der Enzyklopädie schreibt, doch indem diese jetzt in der Durchdringung von abstraktem Inhalt und Gestalt, also im diskreten Kunstwerk, stattfindet, verschiebt sich die Perspektive der Versöhnungsfunktion. 1.1.2 Kunst als spezifische und geschichtliche Gestaltungsform Der Gedanke der Versöhnungsfunktion wird im Rahmen des realen Kunstwerks abgelöst von der Angemessenheit und der Übereinstimmung von Idee und Gestaltung. Mit der Idee ist jedoch, je nach Entwicklungsstufe des Geistes, «mit jeder inneren Bestimmtheit 18 19 20 21 22 23 24 G.W.F. Hegel: Ästhetik, 52. Ebd. Ebd., 45. Ebd., 45–47. Vgl. ebd., 45. Ebd. G.W.F. Hegel: Enzyklopädie III, § 560. 142 unmittelbar eine andere reale Gestaltung verknüpft.»25 Diese Entwicklungsstufen erstellt Hegel sowohl in der Enzyklopädie als auch in den Vorlesungen über die Ästhetik als ein dreistufiges, zyklisches Epochemodell, das aus der symbolischen Kunst, der klassischen Kunst und der romantischen Kunst besteht. Die Unterschiede zwischen diesen Kunstformen kommen im unterschiedlichen Grad von Angemessenheit und Übereinstimmung von Form und Inhalt zum Ausdruck. So definiert Hegel die symbolische Kunst als eine Vorstufe zur eigentlichen Kunst, als ein «Sichhervorarbeiten der künstlerischen Anschauung und Darstellung überhaupt,»26 das jedoch mehr ist als bloße Verehrung von Dingen der Natur oder Fetischen. In der symbolischen Kunst, der Kunst der Erhabenheit,27 wird Naturgegenständen eine anundfürsichseiende Existenz zugesprochen, die der Idee angemessene Gestaltung ist jedoch noch nicht erreicht, die Einheit von inneren Bedeutung und äußerer Gestalt noch gesucht.28 Hingegen ist in der klassischen, der griechisch-römischen Kunst, eine vollendete Einheit der Darstellung substantieller Individualität für die sinnliche Anschauung gefunden,29 so dass eine Versöhnung von Form und Inhalt, Subjektivität und Ausdruck des Ideals, Produktion und Gehalt stattfindet.30 In der klassischen Kunst findet die begriffsmäßige Darstellung des Ideals statt: «Schöneres kann nicht sein und werden.»31 Diese nach Hegel bzw. nach idealistischer Kunstauffassung vollendete Kunstform wird abgelöst durch die romantische Kunst. Sie wird zeitlich vom Beginn des Christentums bis zu Hegels Zeit gesetzt und zeichnet sich durch absolute Innerlichkeit aus. In dieser Kunst zerfällt das Verhältnis von Inhalt und Darstellung in zwei Welten, die sich nicht miteinander verbinden: Eine geistige, als absolute Innerlichkeit sowie eine äußerliche, die nun «zu einer ganz empirischen Wirklichkeit wird, um deren Gestalt die Seele unbekümmert ist.»32 Es zeigt sich, dass die drei Kunstepochen in ihrer Abfolge in Bezug auf die Angemessenheit und Übereinstimmung von Idee und Gestaltung einen Zyklus aus Anfang, Höhepunkt und Niedergang durchlaufen. Hegel selbst fasst sie folgendermaßen zusammen: «In dieser Weise sucht die symbolische Kunst jene vollendete Einheit der inneren Bedeutung und äußeren Gestalt, welche die klassische in der Darstellung der substantiellen Individualität für die sinnliche Anschauung findet und die romantische in ihrer hervorragenden Geistigkeit überschreitet.»33 Was sich also auf der Ebene des philosophischen Systems als das fundamentale Verhältnis von Geist und Materie darstellt, äußert sich auf der Ebene geschichtlicher Kunstformen als Verhältnis von Inhalt und Form bzw. von Bedeutung und Gestalt. Und auch die Einheit von Künstler und Werk war in der klassischen Kunst im Begriff des Genies aufgehoben. Doch mit der romantischen Kunstform, einer «Innerlichkeit des Denkens und des Gemüts»,34 lösten sich diese kongruenten Verhältnisse auf und so wie die Kunst auf der Stufe des Symbolischen ihr ‘Vor’ hatte, so entwickelt sich durch die Auflösung des Romantischen ein ‘Nach’, das durch den Rückzug des Geistes in sein Inneres gekennzeichnet ist. 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 G.W.F. Hegel: Ästhetik, 419. Ebd., 437. G.W.F. Hegel: Enzyklopädie III, § 561. G.W.F. Hegel: Ästhetik, 421. Ebd. G.W.F. Hegel: Enzyklopädie III, §§ 560–561. G.W.F. Hegel: Ästhetik, 565. Ebd., 577. Ebd., 421. Ebd., 169. 143 Auf diesem Hintergrund formuliert Hegel den Gedanken, der oft fälschlicherweise als Satz vom ‘Ende der Kunst’ angeführt wird: «Man kann wohl hoffen, daß die Kunst immer mehr steigen und sich vollenden werde, aber ihre Form hat aufgehört, das höchste Bedürfnis des Geistes zu sein. Mögen wir die griechischen Götterbilder noch so vortrefflich finden und Gottvater, Christus, Maria noch so würdig und vollendet dargestellt sehen: es hilft nichts, unser Knie beugen wir doch nicht mehr».35 Aus dieser Diagnose ergeben sich Konsequenzen für das Verhältnis von Gehalt und Darstellung insofern, so Hegel, als der Künstler nicht mehr an einen besonderen Gehalt und dessen passende Darstellung gebunden ist. Denn dieses Gebundensein ist für den heutigen Künstler etwas Vergangenes und die Kunst dadurch ein freies Instrument geworden, das er nach Maßgabe seiner subjektiven Geschicklichkeit in Bezug auf jeden Inhalt, welcher Art er auch sei, gleichmäßig handhaben kann. Der Künstler steht damit über den bestimmten konsekrierten Formen und Gestaltungen und bewegt sich frei für sich, unabhängig von dem Gehalt und der Anschauungsweise, in welcher sonst dem Bewusstsein das Heilige und Ewige vor Augen war.36 Mit der Auflösung der Verbindung von Gehalt und Darstellung löst sich auch der unmittelbare Zugang zum Kunstwerk, denn fast jeder Stoff ist nun kunstfähig. Hegel fügt an: «wenn er nur dem formellen Gesetz, überhaupt schön und einer künstlerischen Behandlung fähig zu sein, nicht widerspricht.»37 Doch es dauerte keine hundert Jahre nach der Formulierung dieses Satzes, bis auch dieses Kriterium der Kunstfähigkeit vollends obsolet und jeder Stoff, jedes Thema bildwürdig geworden ist. 1.1.3 Kunst – Kunstkennerschaft – Kunstgelehrsamkeit Die Tatsache, dass die Kongruenz von Form und Inhalt nicht mehr gegeben ist, führt zum Bewusstsein der Abhängigkeit des Kunstwerks von Produktion und Rezeption. In der Enzyklopädie spricht Hegel im Anschluss an die Prozesshaftigkeit des subjektiven Bewusstseins des absoluten Geistes davon, dass das Moment der Endlichkeit der Kunst unmittelbar «ein Zerfallen in ein Werk von äußerlichem Dasein, in das dasselbe produzierende und in das anschauende und verehrende Subjekt»38 und das Kunstwerk nur noch Zeichen der Idee ist. Wenn sich jedoch die Übereinstimmung von Form und Gehalt nicht mehr von selbst versteht, braucht es Übersetzer, welche die Zeichenhaftigkeit erklären oder die Zeichen interpretieren. Diese Aufgabe fällt nicht nur der Philosophie, sondern vor allem der zu Zeiten Hegels sich etablierenden Kunstkennerschaft zu. Denn nachdem nach der Auflösung der romantischen Kunst auch «die Art des Nachdenkens über die Kunst, jenes Theoretisieren, seinen Prinzipien wie deren Durchführung nach, antiquiert worden»,39 ist ein neuer Zugang zur Kunst vonnöten. In diesem Zusammenhang schreibt Hegel die folgenschweren Sätze, die, was zu vermuten ist, maßgeblich die Ablehnung spekulativer Philosophie durch die Kunsthistoriker begründet. Anfänglich wird deren Tätigkeit noch wertgeschätzt, wenn es heißt: Nur die Gelehrsamkeit der Kunstgeschichte hat ihren bleibenden Wert behalten und muß ihn um so 35 36 37 38 39 Ebd., 170. G.W.F. Hegel: Ästhetik, 674. Ebd. G.W.F. Hegel: Enzyklopädie III, § 556. G.W.F. Hegel: Ästhetik, 63. 144 mehr behalten, je mehr durch jene Fortschritte der geistigen Empfänglichkeit ihr Gesichtskreis nach allen Seiten hin sich erweitert hat. Ihr Geschäft und Beruf besteht in der ästhetischen Würdigung der individuellen Kunstwerke und Kenntnis der historischen, das Kunstwerk äußerlich bedingenden Umstände; eine Würdigung, die mit Sinn und Geist gemacht, durch die historischen Kenntnisse unterstützt, allein in die ganze Individualität eines Kunstwerks eindringen läßt.40 Doch direkt im Anschluss daran spiegelt sich in den formulierten beschränkten Aufgaben der Kunstgelehrten auch die Stellung, die Hegel in seinem System der Kunst zugewiesen hat: Kunst ist nicht weniger, aber auch nicht mehr als sinnliche Anschauung des Absoluten. Deshalb ist für die Kunstgelehrsamkeit, so Hegel, das eigentliche Theoretisieren nicht Zweck dieser Betrachtungsweise, obschon sich dieselbe wohl auch häufig mit abstrakten Prinzipien und Kategorien zu tun macht und bewußtlos darein verfallen kann, doch wenn man sich hiervon nicht aufhalten läßt, sondern nur jene konkreten Darstellungen vor Augen behält, auf allen Fall für eine Philosophie der Kunst die anschaulichen Belege und Bestätigungen liefert, in deren historisches besonderes Detail sich die Philosophie nicht einlassen kann.41 Die anschauliche Verbindung zum Absoluten, wie sie in der Kunst manifest wurde, ist von der Religion und diese wiederum von der Philosophie abgelöst worden.42 Eine Entwicklung, die insofern folgerichtig ist, als dass diese Wissenschaft [...] insofern die Einheit der Kunst und Religion (ist), als die der Form nach äußerliche Anschauungsweise der ersteren, deren subjektives Produzieren und Zersplittern des substantiellen Inhalts in viele selbständige Gestalten, in der Totalität der zweiten, deren in der Vorstellung sich entfaltendes Auseinandergehen und Vermitteln des Entfalteten, nicht nur zu einem Ganzen zusammengehalten, sondern auch in die einfach geistige Anschauung vereint und dann zum selbstbewussten Denken erhoben ist.43 In Bezug auf die Kunstgelehrsamkeit lässt es Hegel nicht bei allgemeinen Hinweisen bewenden. Seine Ausführungen führen zu Konsequenzen in Form von curricularen Schwerpunkten, deren Aneignung den Kunstkenner – nach Hegel der gebildete Dilettant – vom Kunstgelehrten trennen.44 Damit die Gelehrsamkeit anerkannt werden kann, soll sie «mannigfacher Art und von weitem Umfange sein.»45 Diesen Umfang steckt Hegel in Form einer Liste sehr präzise ab. Da damit ein eindrückliches Beispiel für das Umfassende der Hegel’schen Konzeption gegeben ist, wird sie hier in Gänze zitiert: Das erste Erfordernis ist die genaue Bekanntschaft mit dem unermesslichen Bereich der individuellen Kunstwerke alter und neuer Zeit, Kunstwerke, die zum Teil in der Wirklichkeit schon untergegangen sind, zum Teil entfernten Ländern oder Weltteilen angehören und welche die Ungunst des Schicksals dem eigenen Anblick entzogen hat. Sodann gehört jedes Kunstwerk seiner Zeit, seinem Volke, seiner Umgebung an und hängt von besonderen geschichtlichen und anderen Vorstellungen und Zwecken ab, weshalb die Kunstgelehrsamkeit ebenso einen weiten Reichtum von historischen, und zwar zugleich sehr speziellen Kenntnissen erfordert, indem eben die individuelle Natur des Kunstwerks sich aufs Einzelne bezieht und das Spezielle zu seinem Verständnis und Erläuterung nötig hat. – Diese Gelehrsamkeit endlich bedarf nicht nur wie jede andere des Gedächtnisses für Kenntnisse, sondern auch einer scharfen Einbildungskraft, um die Bilder der Kunstgestal40 41 42 43 44 45 Ebd. Ebd. Vgl. G.W.F. Hegel: Enzyklopädie III, § 553 G.W.F. Hegel: Enzyklopädie III, § 572. G.W.F. Hegel: Ästhetik, 54. Ebd., 54–55. 145 tungen nach allen ihren verschiedenen Zügen für sich festzuhalten und vornehmlich zur Vergleichung mit anderen Kunstwerken präsent zu haben.46 Globale Übersicht über Kunsterzeugnisse selbst vergangener Zeiten, historische und kulturelle Kenntnisse, Wissen über die Funktionen eines Kunstwerks – diese Forderungen mögen kaum je in ihrer Totalität erfüllt worden sein. Heute, in Anbetracht der Kunst- und Informationsflut, sind sie noch weniger erfüllbar, doch noch immer beherzenswert. Der Abstand zur idealistischen Kunsttheorie und der Funktionswandel, den die Kunst seit dem 19. Jahrhundert durchlaufen hat und noch immer durchläuft, sind zwar groß, doch Hegels «Konzept einer spekulativen Kunstgeschichte,» 47 die sich gegen eine positivistische Kunstgeschichte richtet, bietet eine grundlegende Orientierung zur Annäherung an die Bedeutung von Kunst. Das zeigt sich auch darin, dass Hegels Bestimmungen von Kunst noch immer Gegenstand von Forschungen und für die zeitgenössische Kultur relevant sind.48 1.2 Morris Weitz: Kunst ist ein Konzept Bei Morris Weitz findet sich eine antiessentialistische Gegenposition zur idealistischspekulativen Ästhetik Hegels. Weitz reagierte auf die Entgrenzung der Künste mit der Feststellung, dass die Verwendung des Kunstbegriffs zeige, dass dieser als konsequent offen und nicht als geschlossen aufzufassen sei, eine Theorie der Kunst deshalb nicht nur faktisch schwierig, sondern logisch unmöglich sei. Wörtlich heißt es: What I am arguing, then, is that the very expansive, adventurous character of art, its everpresent changes and novel creations, makes it logically impossible to ensure any set of defining properties. We can, of course, choose to close the concept. But to do this with ‘art’ or ‘tragedy’ or ‘portraiture’, etc., is ludicrous since it forecloses on the very conditions of creativity in the arts.49 Als Resultat dieser Diversität der Künste formuliert Weitz eine fundamentale Kritik an allen bestehenden ästhetischen Theorien. Schon die schiere Anzahl unterschiedlich akzentuierter ästhetischer Theorien und nicht zuletzt die Geschichte der Ästhetik selbst mache deutlich, dass die Theorien nur ihre jeweilige Zeit und die Zurückweisung bestehender Ansätze spiegle.50 Die Gründe für die Unzulänglichkeiten aller dieser Theorien sieht der Antiessentialist Weitz nicht in der Komplexität der Kunst und ihrer Erzeugnisse, sondern darin, dass sie auf einem grundlegenden Missverständnis aufgebaut sind. Dieses Missverständnis besteht darin, dass es eben keine auf alle Künste oder Kunstwerke zutreffenden notwendigen oder hinreichenden Eigenschaften gebe, die eine Definition von Kunst und damit eine Theorie in klassischem Sinne («in the requisite classical sense»)51 begründen könnten, dass deshalb grundsätzlich nicht nach der Natur oder dem Wesen von Kunst sondern vielmehr nach der Art ihres Konzepts zu fragen sei.52 Daraus resultiert der Vorschlag, die Frage ‘Was ist Kunst?’ durch die Frage ‘Welche Art von Begriff ist ‘Kunst’?’ zu 46 47 48 49 50 51 52 Ebd., 55. A. Gethmann-Siefert: Hegels Ästhetik, 280. Vgl. A. Gethmann-Siefert, B. Collenberg-Plotnikow: Zwischen Philosophie und Kunstgeschichte. M. Weitz: The Role of Theory, 32. Vgl. ebd., 27. Vgl. ebd., 30. Ebd. 146 ersetzen. Damit vollzieht Weitz eine Wendung weg vom realen Objekt und seiner Bedeutung und hin zu einem abstrakten Begriff und dessen Anwendungszusammenhängen und eine explizite Hinwendung zu Ludwig Wittgensteins Untersuchungen, insbesondere zu den Paragraphen, in denen nach der Bedeutung des Begriffs Spiel bzw. den Gemeinsamkeiten von ganz unterschiedlichen Spielen gefragt wird.53 Um dazu zu einer Antwort zu gelangen fordert Wittgenstein zu einer bestimmten Haltung auf: Sag nicht: »Es muß ihnen etwas gemeinsam sein, sonst hießen sie nicht ›Spiele‹ « - sondern schau, ob ihnen allen etwas gemeinsam ist. - Denn wenn du sie anschaust, wirst du zwar nicht etwas sehen, was allen gemeinsam wäre, aber du wirst Ähnlichkeiten, Verwandtschaften, sehen, und zwar eine ganze Reihe. Wie gesagt: denk nicht, sondern schau!54 Und so, wie Wittgenstein am Schluss der Betrachtungen zu ‘Spiel’ sagt: «Wir sehen ein kompliziertes Netz von Ähnlichkeiten, die einander übergreifen und kreuzen. Ähnlichkeiten im Großen und Kleinen»,55 so kommt auch Weitz zum Schluss, dass es Ähnlichkeiten sind, die sich bei den unterschiedlichen Manifestationen von Kunst feststellen lassen. Auch hinsichtlich dessen, was Kunst genannt wird, lassen sich keine Gemeinsamkeiten sondern nur Verwandtschaften bzw. Familienähnlichkeiten, die nur für jeweils einzelne Aspekte gültig sind, feststellen. Diese Schlussfolgerungen von Weitz lassen sich leicht überprüfen und affirmieren. So divergieren zwar etwa ein Musikstück und ein Gemälde in ihrer Erscheinung, darin jedoch, dass sie bei einer körperlich passiven eine geistig aktive Teilnahme voraussetzen, sind sie sich verwandt. Oder eine Tanzaufführung kann mit einem gemalten Porträt insofern verwandt sein, als in beiden das Emotive einer Situation oder eines Menschen zum Ausdruck gebracht und in den Rezipierenden auf eine Weise angesprochen sein können, die sich normativen Beurteilungen entzieht. So gleicht das Problem des Wesens der Kunst dem des Wesens von Spielen: Es lassen sich keine gemeinsamen Eigenschaften finden, sondern nur Stränge von Ähnlichkeiten. Zu wissen, was Kunst ist, heißt deshalb nicht, ihr manifestes oder latentes Wesen zu kennen, sondern in der Lage zu sein, vermittels dieser Ähnlichkeiten das, was wir Kunst nennen, zu identifizieren, zu beschreiben und zu erklären.56 Denn auch in Bezug auf die verschiedenen Künste und Kunstwerke gilt, wie bei Spielen, dass man sie erkennen kann, weil man fähig ist, Ähnlichkeiten in ihren Konzepten wahrzunehmen und nicht weil man über Definitionen oder Theorien verfügt. Im Falle von Kunst sind die Ähnlichkeiten der Konzepte, so Weitz, in ihrer Offenheit begründet. Da die Beschreibung dieser offenen Konzepte im Zentrum dieser antiessentialistischen Aussagen steht, wird sie in ihrer Ausführlichkeit zitiert: A concept is open if its conditions of application are emendable and corrigible; i.e., if a situation or case can be imagined or secured which would call for some sort of decision on our part to extend the use of the concept to cover this, or to close the concept and invent a new one to deal with the new case and its new property. If necessary and sufficient conditions for the application of a concept can be stated, the concept is a closed one. But his can happen only in logic or mathematics where concepts are constructed and completely defined. It cannot occur with empirically-descriptive and normative concepts unless we ar- 53 54 55 56 Ebd. L. Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen, § 66. Dass sich Wittgenstein mit der Aufforderung zu Schauen und nicht zu Denken in eine spannungsvolle Distanz zu Platon begibt, weist Rita Tüpper nach in: Dies.: «Denk nicht, sondern schau». Vgl. L. Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen, § 66. Vgl. M. Weitz: Die Rolle der Theorie, 45. 147 bitrarily close them by stipulating the ranges of their uses.57 Dadurch, dass geschlossene Konzepte nur als das Resultat konstruierter oder logischmathematischer Operationen definiert werden, wird Kunst, auch die Kunst vergangener Jahrhunderte, als offenes Konzept verstanden, insofern die Rezeption dieser Werke von empirisch-deskriptiven und normativen, also sich verändernden Analysen abhängig ist. Weitz selbst bringt als Beispiel für sich wechselnde Beurteilungen ein Beispiel der sich verändernden Gattungsgrenzen, wenn er schreibt, dass eine Situation eintreten kann, in der der Begriff Skulptur – Beispiel eines geschlossenen Konzepts – in den Begriff Mobile – Beispiel eines noch nicht gefestigten, deshalb offenen Konzepts – verwandelt wird.58 Indem Weitz aus einer ontologischen eine empirisch-sprachanalytische Frage macht, verlagert er das Definitionsproblem. An Stelle der Untersuchung des Bezeichneten tritt eine Untersuchung des Bezeichnenden und Kunst, die auf diesem Weg zu ‘Kunst’ wird, verschwindet in der Sprache. Doch für ihn haben ästhetische Theorien denn auch keineswegs die Aufgabe, Definitionen zu erbringen, sondern sie sind als Zusammenfassungen von Empfehlungen zu lesen, seine Aufmerksamkeit in bestimmter Weise auf bestimmte Merkmale der Kunst zu richten.59 Auf Konsequenzen, die sich aus diesem Ansatz ergeben, wird von verschiedenen Autoren hingewiesen.60 Die Kritik lässt allerdings außer Acht, dass gerade damit, dass der Theorie die Aufgabe zugewiesen wird, Merkmale als Grundlage relationaler Beziehungen von Kunst zu identifizieren, die Rezeption eine neue, bedeutsame Rolle erhält. Denn da sich Merkmale der Kunst nur als strukturelle oder formale d.h. wahrnehmbare Eigenschaften eines Kunstwerks bestimmen lassen, kommen werkimmanenten Gegebenheiten einerseits und der Fähigkeit der Rezipierenden zur Werkanalyse andererseits Schlüsselrollen im Verstehen von Kunst zu. Weitz stärkt also mit seinem Vorschlag, auf Definitionen von ‘Kunst’ zu verzichten und sich stattdessen ihren konzeptionellen Merkmalen zuzuwenden die Position der Wahrnehmung. Auf dem Weg einer abstrakt-semantischen Annäherung erfährt so die Empirie eine Aufwertung. Diese schlägt sich nicht zuletzt darin nieder, dass, um Merkmale der Kunst und des Künstlerischen feststellen zu können,61 eine aktive ästhetische Einstellung vorausgesetzt wird. Die Vieldeutigkeit des Begriffs Kunst, auf den Weitz referiert, ist mit seiner ideengeschichtlichen Entwicklung zu erklären, insofern in dieses deutsche Wort die Bedeutungen von Vorgänger-Begriffen aus dem Griechischen (technē) und Lateinischen (ars) einflossen, so dass damit außer den heutigen Künsten auch handwerkliche, mathematischnaturwissenschaftliche und wissenschaftlich-philosophische Tätigkeiten im Sinne der artes liberales bezeichnet werden. Das Gemeinsame aller Bedeutungen liegt jedoch darin, dass 57 58 59 60 61 M. Weitz: The Role of Theory, 31. Ebd. 32. Vgl. ebd., 35. So von W. Ullrich, der darauf aufmerksam macht, dass auch der Versuch, jede bewertende Verwendung von ‘Kunst’ zu vermeiden, um subjektive Beurteilungen auszuschließen, dazu führt, dass man sich gegenüber den realen Verwendungsweisen von ‘Kunst’ nicht mehr deskriptiv, sondern normativ verhalte. Vgl. Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 3, 568. Dass ein offener Kunstbegriff nicht Bedingung zur Entstehung radikaler Neuerungen ist, wird von Maurice Mandelbaum dargelegt, in: M. Mandelbaum: Familienähnlichkeit, 87–89 und Robert J. Matthews weist nach, dass die Ablehnung traditioneller ästhetischer Theorien auf Annahmen beruht, die tatsächlichen Gegebenheiten nicht Stand halten, vgl. R. Matthews: Eine Verteidigung, 107–109. Alexander Piecha moniert die Unbestimmtheit des Begriffs ‘Ähnlichkeit’ und die Ausblendung des Werteaspekts, der mit dem Begriff ‘Kunst’ verbunden ist, vgl. A. Piecha: Wahre Schönheit, 2–3. Siehe dazu ‘Nelson Goodman’, unten, 148–154. 148 Künste als lehrbar gelten und sich über inhärente Regeln bestimmen lassen.62 Im Zuge des posthistoire hat sich jedoch auch dieses Merkmal aufgelöst, denn der Werkbegriff, der gleichermaßen auf alle Formen künstlerischen Ausdrucks verwendet wird, potenziert das Problem, das hinter der Frage nach der Art und den Eigenschaften Gegenstandes, dem das Prädikat ‘Kunst’ zugeschrieben wird, steht. Weitz gibt mit seinem Vorschlag, Kunst als offenes Konzept zu betrachten, einen Anstoß, unabhängig von Bedeutungsinhalten nach ästhetischen Merkmalen zu suchen. Daraus kann nicht nur der Kunsttheorie, sondern auch der Kunstwissenschaft eine Aufgabe erwachsen. Denn da durch Weitz’ Ansatz – wie oben aufgezeigt wurde – eine empirisch-deskriptive Annäherung an Kunst aufgewertet wird, müsste auf Seiten der Kunstwissenschaft der Praxis der Bildbeschreibung mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Sie hätte in systematisierter Weise von dem zu berichten, was auf dem Bildträger angebracht ist und nach welchen formal-ästhetischen Gesichtspunkten aus materiellen Substanzen mittels Linien, Flächen und Farbanordnungen etwas zur Erscheinung gebracht wurde, das entweder auf sich selbst oder auf etwas außerhalb seiner selbst verweist. Denn in der Bildbeschreibung treffen das nichtsprachliche Symbolsystem des Bildes und das nichtbildliche Symbolsystem der Sprache aufeinander. Sie wird so zum Ort der Transformation, verwandelt kognitives und emotionales Verstehen in Deuten oder Erklären und leitet den Blick, die Seherfahrung. Bereits bestehende ästhetische Theorien können dazu als die Aufmerksamkeit lenkende Hinweise auf bestimmte Merkmale verwendet werden, denn «to understand the role of aesthetic theory is not to conceive it as defintion, logically doomed to failure, but to read as summaries of seriously made recommendations to attend in certain ways to certain features of art.»63 Somit kann Weitz’ antiessentialistische Theorie, die die sichtbaren Anteile eines Kunstwerks und deren Bedeutung als maßgeblich berücksichtigt, sowohl die unterschiedlichen Erscheinungsweisen von Kunst erklären als auch kunstwissenschaftliche Hermeneutik erweitern. 1.3 Nelson Goodman: Kunst ist eine Weise der Welterzeugung In gewisser Weise finden die Ausführungen von Weitz, insbesondere seine Aufforderung, Merkmale des offenen Konzepts Kunst zu bestimmen, ihre Fortsetzung in Goodmans ebenfalls antiessentialistischer, jedoch funktional akzentuierter ästhetischer Theorie. Für Goodman ist Kunst Ort und Form von Erfahrung und Erkenntnis und somit wie Wissenschaft oder Wahrnehmung ein Zweig der Erkenntnistheorie.64 Die Begründung dafür sieht er darin, dass es kein ‘unschuldiges Auge gibt’, sondern dass jede Beschreibung der Wirklichkeit – und Philosophie sowie Naturwissenschaft versteht er als Beschreibungen der Wirklichkeit – eine Konstruktion ist, die entsprechend ihren Akzentuierungen zu Weisen der Welterzeugung führen.65 Die erzeugten Welten manifestieren sich in Symbolen und Symbolsystemen, die, als erfolgreiche Projektionen wiederum die Wahrnehmung der Welt beeinflussen. Kunstwerke fungieren ebenfalls als Symbole, die sich in verschiedenen Modi auf die Welt beziehen und zugleich Welten erzeugen. Und da jeder Gebrauch von Symbolen einen Akt der Kognition darstellt, ist auch die Kunst an kognitive Leistungen 62 63 64 65 Vgl. W. Ullrich: Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 3, 571. Vgl. M. Weitz: The Role of Theory, 35. Vgl. N. Goodman: Weisen der Welterzeugung, 15. So der Titel seines Buches. 149 gebunden, sowohl bei deren Produktion als auch bei deren Interpretation. Ja, so wie zum Verständnis philosophischer oder naturwissenschaftlicher Symbolsysteme Interpretation unabdingbar ist, so kommt Kunst, kommt das einzelne Kunstwerk nicht ohne Interpretation aus.66 Der hermeneutische Vorgang selbst wiederum ist eingebunden in ein Bündel von Abhängigkeiten, denn um Kunst (und jedes andere Symbolsystem) zu verstehen, braucht es ein Wissen und ein Verständnis darüber, worauf und in welcher Weise die Symbole verweisen. Da nun die Beziehungen zwischen den Symbolen und dem, worauf sie sich beziehen, weder absolut noch universell und auch nicht unveränderlich, sondern abhängig von kulturellen und sozialen Bedingungen sind, spiegeln Interpretationen diese soziokulturellen Interdependenzen. Interpretationen sind deshalb – wie die Welterzeugungen – relativ. Der Relativismus Goodmans zeigt sich auf allen Ebenen seiner Theorie. Er lässt die Annahme einer ‘Welt an sich’ fallen und ersetzt sie durch die Annahme vieler verschiedener, jedoch gleichermaßen realer Welten.67 Goodman begründet dies in einer Analogie zu Gottlob Freges Morgenstern-Abendstern-Beispiel,68 das er jedoch erweitert und den Konflikt zwischen zwei wahren Sätzen dadurch löst, dass sie «keine Beschreibungen desselben Dinges sind. Die Erde, die wahrheitsgetreu als bewegt beschrieben wird, ist nicht die Erde, die wahrheitsgetreu als stillstehend beschrieben wird. Und die Welt der einen hat für einen Planeten wie den anderen keinen Platz. Wenn also beide Beschreibungen wahr sind, sind sie in verschiedenen Welten wahr».69 Diese Sichtweise hat Konsequenzen für die Interpretation. Denn wenn es keine ‘Welt an sich’ mehr, sondern nur noch gleichberechtigt nebeneinander existierende Weltversionen gibt, die nach eigenen Gesetzen und Konventionen funktionieren, dann sind auch keine übergreifenden Interpretationen oder Welterklärungsmuster mehr möglich, sondern nur noch Deutungen, die zu den Gesetzen oder Konventionen, die in der jeweiligen Welt gelten, passen müssen. Der Begriff des Passens verstanden im Sinne von ‘Passen, worauf in der einen oder anderen Weise Bezug genommen wird oder Passen auf andere Wiedergaben, auf Arten und Weisen der Organisation’ tritt bei Goodman an Stelle von ‘Wahrheit’ oder ‘Richtigkeit’.70 Damit ist nicht nur der Welt- bzw. Werkbegriff bei Goodman ein offener und relativer, auch der Interpretationsbegriff erfährt eine Relativierung, insofern er seine Inhalte und Maßgaben von Fall zu Fall verändert.71 Der Symbolbegriff, der Goodmans Theorie zugrunde liegt, ist ein ebenso offener. So sagt er selbst: ‘Symbol’ wird hier als ein sehr allgemeiner und etwas farbloser Ausdruck gebraucht. Er umfasst Buchstaben, Wörter, Texte, Bilder, Diagramme, Karten, Modelle und mehr, aber er hat nichts Gewundenes oder Geheimnisvolles an sich. Das buchstäblichste Porträt und die nüchternste Passage sind ebenso gut Symbole und ebenso ‘hoch symbolisch’ wie die 66 67 68 69 70 71 Vgl. N. Goodman: Weisen der Welterzeugung, 126–127. Vgl. A. Spree: Erkenntnistheorie Kunst, 127. Vgl. G. Frege: Über Sinn und Bedeutung 25. Die Beispielsätze ‘Der Abendstern ist der Morgenstern’ und ‘der Morgenstern ist die Venus’ sind von unterschiedlichem Erkenntniswert. a = a gilt a priori, «während Sätze von der Form a = b oft sehr wertvolle Erweiterungen unserer Erkenntnis enthalten und a priori nicht immer zu begründen sind. Die Entdeckung, dass nicht jeden Morgen eine neue Sonne aufgeht, sondern immer dieselbe, ist wohl eine der folgenreichsten in der Astronomie gewesen.» Ebd. N. Goodman, C. Z. Elgin: Revisionen, 73. Vgl. N. Goodman: Weisen der Welterzeugung, 167. Implizit beschreibt Goodmans Theorie damit den Zerfall aller Lebensbereiche in unabhängige und beziehungslose Fragmente. 150 phantastischsten und figurativsten.72 Die Funktion des Symbols ist sein Bezugnehmen, sind die verschiedenen Modi seiner Referenzialität, die in jedem Kunstwerk gegeben sind, auch im Falle von ungegenständlichen, nicht-figurativen Werken. Denn die Eigenschaften, die von einem solchen Werk wahrgenommen werden können, sind nicht einfach Teil oder Besitz von ihm, sondern werden von ihm exemplifiziert; es ist «immer noch ein Symbol, selbst wenn das, was es symbolisiert, keine Dinge, Menschen oder Gefühle sind, sondern bestimmte Muster der Gestalt, der Farbe und der Textur, die es vorzeigt.»73 Goodman postuliert damit, dass Kunst entweder etwas darstellt, ausdrückt oder exemplifiziert und legt damit Kriterien für die Bestimmung von Kunst fest: Kunst ist, wenn ein Objekt etwas darstellt, ausdrückt oder exemplifiziert oder eben symbolisiert. Da auch die Symbolfunktion nicht unveränderlich ist, sie zu- oder auch abgesprochen werden kann, treten die Zeitlichkeit und der Kontext, in dem diese Funktion aktualisiert ist, in den Vordergrund. In Konsequenz zu dieser Argumentation findet sich die Antwort auf die durch Andy Warhols Brillo-Box angeregte und vor allem von Arthur Danto aufgenommene Frage, weshalb etwas ein Kunstwerk sein kann, wenn etwas, das ihm in jeder Beziehung gleich ist, bloß ein gewöhnlicher Gegenstand ist.74 In Weisen der Welterzeugung sagt Goodman dazu: Meine Antwort lautet: ebenso wie ein Objekt zu gewissen Zeiten und unter gewissen Umständen ein Symbol sein kann, [...] so kann es sein, dass ein Objekt zu gewissen Zeiten ein Kunstwerk ist und zu anderen nicht. Tatsächlich wird ein Objekt gerade kraft dessen, dass es in gewisser Weise als Symbol fungiert, und solange es so fungiert, zum Kunstwerk. Der Stein ist normalerweise kein Kunstwerk, während er auf der Straße liegt, aber er kann eines sein, wenn er in einem Kunstmuseum ausgestellt wird. Auf der Straße erfüllt er gewöhnlich keine Symbolfunktion. Im Kunstmuseum exemplifiziert er einige seiner Eigenschaften – zum Beispiel Eigenschaften der Gestalt, der Farbe, der Oberflächenstruktur.75 Diese Aussage enthält keine Antwort auf die Frage ‘Was ist Kunst?’, sondern besagt, dass jeder Gegenstand zuweilen die Funktion eines Kunstwerks übernehmen kann. Goodman umgeht damit die Frage nach dem Wesen oder der Bestimmung eines Kunstwerks und ersetzt sie durch eine andere: «Im Zweifelsfall ist die wirkliche Frage nicht: ‘Welche Objekte sind (permanent) Kunstwerke?’, sondern: «Wann ist ein Objekt ein Kunstwerk?’ oder kürzer [...], ‘Wann ist Kunst?’».76 Die Formulierung, dass ein Objekt «zu gewissen Zeiten und unter gewissen Umständen» ein Symbol und demzufolge auch ein Kunstwerk sein kann, verlangt besondere Aufmerksamkeit. Was sind «gewisse Zeiten» und «gewisse Umstände»? Abgesehen von der unmittelbar einleuchtenden historischen Abhängigkeit des Kunststatus eines Objekts schwingt in diesen unbestimmten Ausdrücken die Institutionstheorie von George Dickie77 mit, die ebenfalls im Zusammenhang mit Werken von Marcel Duchamp oder Andy Warhol in den 1960er Jahren entstand. Mit dieser Theorie wird Kunst in Abhängigkeit von Künstler, Werk, Publikum, Ausstellungsorten, Kunstgattung, dem Kunstsystem – von der ‘Kunstwelt’ definiert. In Dickies Worten: «A work of art in the classificatory sense is (1) an artefact (2) a set of the aspects of which has had conferred it the status of candidate for 72 73 74 75 76 77 N. Goodman: Sprachen der Kunst, 9. N. Goodman: Weisen der Welterzeugung, 85. Danto widmet ein ganzes Buch dieser Frage. Vgl. A.C. Danto: Verklärung des Gewöhnlichen. N. Goodman: Weisen der Welterzeugung, 87. Ebd. Die Institutionstheorie Dickies wird unten, 194–195, erweitert zitiert und erläutert. 151 appreciation by some persons acting on behalf of a certain social institution (the artworld).»78 Auf diesem Hintergrund erhalten Goodmans unbestimmte zeitliche und kontextuelle Angaben zur Transfiguration eines beliebigen Gegenstandes in ein Kunstwerk ein theoretisches Bezugssystem, das, obwohl kontingent, doch einen äußeren Rahmen absteckt. Ein inneres Koordinatensystem für die Charakteristika der Symbol- und Kunstfunktion eines Objekts wird von Goodman mittels «Symptomen des Ästhetischen» bestimmt. Diese Symptome, mit denen sich «das Ästhetische nicht definieren und schon gar nicht vollständig beschreiben oder feiern lässt»79 sind Erkennungszeichen für das Ästhetische und werden mit Hilfe zeichentheoretischer Kategorien markiert: Syntaktische Dichte, semantische Dichte, syntaktische Fülle und Exemplifikation. Goodmans Ausführungen zu diesen Merkmalen sind etwas unklar, vor allem in Bezug auf das Erkennen des Ästhetischen.80 Deutlich wird jedoch, dass diese Zeichen die Relevanz betonen, die allen Details der Erscheinung eines Kunstwerk zukommt; jede Veränderung in der Gestaltung eines Symbols oder eines Aspekts davon, verändert die Aussage, die Bedeutung und die Wirkung des Ganzen.81 Die Merkmale können nämlich als Bestimmung der Voraussetzung zu einer ästhetischen Erfahrung, und das heißt, auch zur Bestimmung von Kunst benutzt werden. Wobei auffällt, dass Goodman bei dieser Thematik sehr vage formuliert: «Wenn die aufgeführten vier Symptome einzeln weder hinreichend noch notwendig für ästhetische Erfahrung sind, so können sie doch konjunktiv hinreichend und disjunktiv notwendig sein.»82 Axel Spree macht darauf aufmerksam, dass die Benennung ästhetischer Symptome im Widerspruch stehe zur Ablehnung der ontologischen Frage ‘Was ist Kunst?’, da sie ja auf die Merkmale ziele, die den Unterschied zwischen Kunstgegenständen und anderen bezeichnen.83 Dass Goodman diese Merkmale jedoch in einem funktionalen Zusammenhang und nicht als ontologische Bestimmung versteht, macht das folgende Zitat deutlich: Auch ganz abgesehen von einer Spezifikation der Charakteristika, die die ästhetische Symbolisierung von anderen unterscheidet, scheint es mir [...] klar zu sein, dass man eine Antwort auf die Frage ‘Wann ist Kunst?’ nur geben kann, wenn man symbolische Funktionen ins Auge fasst. [...] Zu sagen, was Kunst tut, heißt nicht zu sagen, was Kunst ist; doch gebe ich zu bedenken, ob uns nicht ersteres eigentlich wirklich interessiert. [...] Ob ein Objekt Kunst ist – oder ob es ein Stuhl ist – hängt von der Absicht ab oder davon, ob es manchmal oder gewöhnlich oder immer oder ausschließlich als solches fungiert.84 78 79 80 81 82 83 84 G. Dickie: Art and the Aesthetic, 464. Der Begriff ‘Kunstwelt’ wurde jedoch von Danto in den Theoriediskurs eingebracht. Die aufgeführten vier Symptome sind der Fassung von 1997 entnommen. Vgl. N. Goodman: Sprachen der Kunst, 232–235. Eine frühere Fassung, enthält ein fünftes Symptom, das der «multiplen und komplexen Bezugnahme, vgl. N. Goodman: Weisen der Welterzeugung, 88–89. Es wurde konsequenterweise fallen gelassen und damit die Redundanz zur ohnehin gegebenen Symbolfunktion aufgehoben. Vgl. A.C. Danto: Die Verklärung des Gewöhnlichen, 216, der die Ungenauigkeit der Begriffe moniert. George W. Bertram geht noch weiter, wenn er schreibt: «Goodmans Sprache ist so technisch, dass es mir nicht günstig erscheint, die Merkmale in seinen Begriffen einzuführen», ders.: Kunst, 189. Vgl. G.W. Bertram: Kunst, 188–193. Bertram benutzt hier, wohl in Anbetracht dessen, dass Goodman von semantischen und syntaktischen Eigenheiten spricht, den Ausdruck ‘Zeichen’, der bei Goodman jedoch nicht vorkommt. N. Goodman: Sprachen der Kunst, 234. Vgl. A. Spree: Erkenntnistheorie Kunst, 137. N. Goodman: Weisen der Welterzeugung, 90. Mit der Bemerkung, dass die Untersuchung dessen, was Kunst tut’ von größerem Interesse sein könnte als die Suche nach einer Definition, verweist Goodman darauf, dass Objekte kraft ihrer Symbolisierung einerseits und durch ihre Wirkung bzw. die daraus resultierende Rezeption durch die ‘Kunstwelt’ andererseits zu Kunstwerken werden. Das Untersuchen 152 ‘Was Kunst tut’ – diese Formulierung spricht der Kunst und dem singulären Kunstwerk eine Aktivität zu, die nur unter Aspekten der Dynamik verstanden werden kann. Im Gegensatz dazu scheint Goodman deskriptive und prädikative Bestimmungen zum Wesen der Kunst als weniger interessant einzuordnen.85 Dass Kunst ‘etwas tut’ – ihre Performativität im weitesten Sinne – mit anderen Worten, dass ein Objekt als Kunstobjekt überhaupt eine bestimmte Wirkung haben kann, während das gleiche Objekt außerhalb des Kunstkontextes unbeachtet bleibt und wie ein performatives Potential zustande kommt und den Betrachter erreicht, ist deshalb von großem Interesse, weil ein Objekt als Kunstobjekt das Resultat einer erfolgten Transformation darstellt, das sich nur multirelational und kontextualisiert verstehen lässt. Das Kunstwerk als Teil des Symbolsystems ‘Kunst’ ist selbst ein Symbol und trägt in sich sein eigenes Symbolsystem – diese verkürzt zusammenfassende Darstellung von Goodmans Theorie enthält nicht nur Aussagen zum Tun des Kunstwerks (es bedeutet) sondern ist zugleich eine funktionale Wesensbestimmung (es ist Teil eine übergeordneten Systems und Ganzes in Bezug auf sein eigenes System). Das, was Kunst tut, lässt sich somit gerade in Goodmans Systematik nicht von ihrem Wesen trennen bzw. ihre Wesensdefinition wird von ihrem Tun mitbestimmt. Goodmans Gebrauch des Symbolbegriffs macht dies deutlich. Entsprechend der allgemeinen Bedeutung von ‘Symbol’ spricht Goodman auch dem Verb ‘symbolisieren’ einen großen Bedeutungsumfang zu, dessen hauptsächlichste Synonyme ‘stehen für’ oder ‘Bezug nehmen’ sind. Die zwei wichtigsten Modi des Bezugnehmens bei Goodman sind Exemplifikation und Denotation. Unter Denotation fallen Abbildungen, Darstellungen, Musiknotationen, verbale Beschreibungen; sie äußern sich in Prädikationen, können fiktiv oder figurativ sein und sind das Gegenteil der Exemplifikation. Goodman bezeichnet diese als «eine der häufigsten und wichtigsten Funktionen von Kunstwerken.» 86 Objekte – Kunstwerke – exemplifizieren bestimmte Eigenschaften, so führt Goodman aus, aber nicht jeder Gegenstand jeder seiner Eigenschaften, denn der bloße Besitz einer Eigenschaft ist noch keine Exemplifikation. «Zur Exemplifikation gehört die Bezugnahme dessen, was besitzt, auf die besessene Eigenschaft.»87 Ein längeres Zitat illustriert den Unterschied zwischen beiden Modi: Eine Strichzeichnung von weich drapiertem Tuch kann rhythmische Linienmuster exemplifizieren: und ein Gedicht, in dem kein einziges Wort für Traurigkeit vorkommt und keine einzige traurige Person erwähnt wird, kann in seiner Sprachqualität traurig sein und in prägnanter Weise Trauer ausdrücken. Der Unterschied zwischen Sagen und Darstellen einerseits und Zeigen oder Exemplifizieren andererseits zeigt sich noch deutlicher im Fall der abstrakten Malerei, der Musik und des Tanzes, die zwar keinen Stoff haben, gleichwohl aber Formen und Gefühle manifestieren, das heißt exemplifizieren oder ausdrücken. Obwohl Exemplifikation und Ausdruck in eine Richtung verlaufen, die der Denotation genau entgegengesetzt ist – d.h. vom Symbol aus zu einem seiner buchstäblichen oder metaphorischen Merkmale (statt zu etwas, worauf das Symbol zutrifft) –, sind sie darum nicht weniger symbolische Bezugnahmefunktionen und Instrumente der Welterzeugung.88 85 86 87 88 dieser Wirkungsmechanismen könnte, so Goodman, von größerem Interesse sein als die Suche nach definitorischen Bestimmungen. Goodman führt den Gedanken der Gegenüberstellung von Tun und Sein (dem Wesen) der Kunst nicht weiter aus. Deshalb kann nur vermutet werden, was er damit ansprechen will. Ebd., 48. Ebd. Ebd., 25. 153 Unter den Modus der Exemplifikation fällt demzufolge auch ‘Ausdruck’, verstanden als die Bezugnahme auf ein Gefühl oder eine andere Eigenschaft, die metaphorisch und nicht auf ihr Vorkommen im Kunstwerk exemplifiziert wird.89 Mit der Integration von ‘Ausdruck’ als einer Referenzfunktion gelingt es Goodman, auch dem Gefühl oder einem ungegenständlichen, nicht-figurativen Bild eine kognitive Funktion zuzusprechen. Durch die explizite Gegenüberstellung von Sagen/Darstellen und Zeigen/Exemplifizieren integriert Goodman die Kunst des 20. Jahrhunderts ganz selbstverständlich in seine Theorie, präsentiert oder zeigt doch diese Kunst immer ‘etwas’, auch wenn sie nichts Erkennbares repräsentiert oder darstellt. Dieses Zeigen ist sogar in doppeltem Sinne zu verstehen, als ein Zeigen von ‘etwas’ und immer auch als ein Zeigen von sich selbst, ganz im Sinne der ikonischen Differenz.90 Dass bei Goodman diese Doppelung mitbedacht ist, kann dem folgenden Zitat entnommen werden, wo es heißt: «Ein nicht-darstellendes Bild, etwa ein Mondrian, sagt nichts, denotiert nichts, bildet nichts ab und ist weder wahr noch falsch, doch zeigt es sehr viel.»91 Trotz der ungenauen Formulierung insofern als ‘darstellen’ nicht an ‘abbilden’ gebunden, also nicht auf mimetische Konzepte beschränkt sein muss, wird hier deutlich, dass es das Zeigen des Bildes bzw. sein Ausdruck oder seine Exemplifikation ist, die ästhetisch wahrgenommen werden. Indem Goodman ästhetische Erfahrung als «eher dynamisch als statisch» und die nicht auf einen Zweck gerichtete ästhetische Haltung als «neugierig, in keiner Weise jedoch habgierig und auf Selbstsicherung zielend» bezeichnet92 – die Modifikation von Immanuel Kants ‘interesselosem Wohlgefallen’93 ist unüberhörbar – sind Emotionen als Bestandteile dieser Erfahrung an der Erkenntnis, die ein Kunstwerk vermittelt, beteiligt. Das heißt, dass auch das Gefühl im Hinblick auf die kognitive Funktion des Erkennens verwendet wird. Wobei der kognitive Gebrauch bereits darin besteht, die Sinneseindrücke und die Emotionen, die beide wahrgenommen werden müssen, zu unterscheiden und in Beziehung zu setzen, «um das Werk beurteilen und begreifen und es in unsere übrige Erfahrung und die Welt integrieren zu können.»94 Das Gefühl hat damit seinen Anteil an der Welterzeugung ebenso wie am Verstehen von Kunst. Nelson Goodmans Symboltheorie erklärt Kunst funktionalistisch als System in sich und als Teil von Systemen. Damit bietet sie einen für die kunstwissenschaftliche Praxis relevanten Ansatz, der sich in folgenden vier Aspekten zusammenfassen lässt: 1. Wenn davon ausgegangen wird, dass auch nicht-darstellende Bilder exemplifizieren bzw. zeigen, ein Gefühl oder eine Eigenschaft ausdrücken, dann ergibt sich daraus ein Interpretationsansatz, der alle Kunstwerke umfasst, unabhängig ihres Genres oder ihrer Entstehungszeit. 2. Wenn das Kunstwerk als physisches Objekt, das gleichzeitig als Ganzes Symbol und Teil eines Symbolsystems ist, selber ein Symbolsystem erzeugt, dann heißt das, dass der Sinn und die Bedeutung jedes Kunstwerks in ihm selbst enthalten sind, und zwar in der Art und Weise, wie es symbolisiert und worauf es verweist. 3. Kunst ist ein nicht-sprachliches Symbolsystem. Da ‘Wahrheit’ in nicht-verbalen Systemen kein Prädikat ist – keine Darstellung eines Gegenstandes kann ‘wahr’ oder ‘falsch’ 89 90 91 92 93 94 N. Goodman: Sprachen der Kunst, 53. Siehe ‘Ikonische Differenz’, oben, 87–92. N. Goodman: Weisen der Welterzeugung, 33 bzw. oben, 215, Abb. 49 und 50. N. Goodman: Sprachen der Kunst, 223. Vgl. I. Kant: Kritik der Urteilskraft, § 6, 58. N. Goodman: Sprachen der Kunst, 229. 154 sein – können Kunstwerke keinen Wahrheitswert besitzen.95 Sie bestehen aus Symbolen, die ihrerseits verschiedene Funktionen besitzen und unterschiedliche Beziehungen zur Welt, auf die sie referieren, haben. Deshalb bedürfen sie der Interpretation. Interpretieren heißt demzufolge: verstehen, worauf und in welcher Weise und innerhalb welcher Regeln oder Konventionen die Symbole Bezug nehmen.96 4. Kunst, Wissenschaft und Wahrnehmung erzeugen Welten. Die Prozesse der Welterzeugung sind Teile des Erkennens.97 Als Resultat oder Gewinn aus einem reflektierenden, kognitiven Umgang mit Kunst entsteht Erkenntnis, verstanden als ein Fortschritt des Verstehens, der nicht auf eine wahre oder überhaupt auf eine Überzeugung zielen kann. Der Relativität der verschiedenen Welten entspricht diejenige der Interpretationen. Goodmans funktionalistische Symboltheorie enthält auf die Frage ‘Was ist Kunst?’ die implizite Antwort, dass Kunst selbst Symbolcharakter hat bzw. Symbole generiert. Würde die Frage, die nach dem Wesen eines Begriffs fragt, nur mit einem anderen Begriff beantwortet, entstünde ein infiniter Regress. Goodman umgeht ihn dadurch, dass er den ersten Begriff (Kunst), der intransitiv und mehrdeutig ist, mit einem zweiten Begriff (Symbol) beantwortet, der transitiv ist, zu dessen Intension ebenfalls Mehrdeutigkeit gehört, der jedoch per se ausschließlich relational zu verstehen ist. Das Allgemeine (Symbol) wird so durch seine Bezugnahme zum System, zu dem es gehört, sowie zum System, das es erzeugt, definiert. Dem entspricht das Bezugnehmen des Einzelnen (des Kunstwerks), so dass die Antworten auf die Fragen nach diesen Relationen eine Interpretation bestimmen. Der kontextuelle Interpretationsansatz der Kunsthistoriker wird damit theoretisch begründet, erweitert und dynamisiert, denn das Kunstwerk ist jetzt nicht mehr nur Gegenstand, der «uns entgegensteht» (Heidegger), sondern Teil eines Systems, von dem der Betrachter auch Teil ist und zugleich ist es Schnittmenge zwischen dem System ‘Kunstwelt’ und dem System ‘Betrachterwelt’. Für die Interpretationspraxis ergeben sich daraus drei Fragen: Zu welchem Symbolsystem, zu welcher Welt gehört das Werk? Welches Symbolsystem, welche Welt erzeugt es? Welches ist das Symbolsystem, die Welt des Betrachters? Während in der bestehenden kunsthistorischen Praxis zur Beantwortung der ersten Frage ein differenziertes Spektrum methodischer Ansätze bereitsteht, wird ‘die Welt, die das Kunstwerk erzeugt’, in der Regel auf die Rezeptionsästhetik und die Rezeptionsgeschichte reduziert, die darüber hinaus gehende Frage nach der ‘Weltweise’ im Bild selbst aber kaum gestellt und der Zusammenhang, aus dem heraus die wissenschaftliche Bildanalyse geschieht, wird in der Regel nicht thematisiert.98 Goodmans antiessentialistische ästhetische Theorie leistet – gerade durch ihren Funktionalismus, der sich nicht an einem ‘Wesen der Kunst’ orientiert – einen Beitrag zur Differenzierung kunstwissenschaftlicher hermeneutischer Prozesse. 95 96 97 98 Vgl. N. Goodman: Weisen der Welterzeugung, 33. Vgl. ebd., 167–169. Ebd., 37. Dass dieser Mangel zu Verzerrungen der Interpretation führen kann, wurde bereits 1970 nachgewiesen und die Wichtigkeit der Berücksichtigung des Betrachtungsstandpunktes von Warnke deutlich angemahnt. Vgl. M. Warnke: Das Kunstwerk. In den Bildbefragungen des hier folgenden Kapitels 4 wird dieser Kontext explizit problematisiert. 155 1.4 Martin Heidegger: Kunst ist Sinnstiftung Kein Werk der bildenden Kunst ist ohne materiellen Bildträger möglich, selbst die virtuellen Bilder sind auf Bildschirme angewiesen. Ist deshalb der Ort der Kunst ein materiellkonkreter oder wie lässt sich der letztlich geistige Ort, der sich lediglich materiell manifestiert, bestimmen? Konsequenterweise muss deshalb die Frage ‘Was ist Kunst?’ durch die Fragen ‘Wo ist Kunst?’, ‘Wo findet Kunst statt?’ ergänzt werden. Martin Heidegger hat mit der Suche nach dem Ursprung des Kunstwerks nach diesem Ort gefragt, er hat untersucht, wo und woher Kunst sich ereigne und diese Fragen als diejenigen nach der Wesensherkunft des Kunstwerks bezeichnet.99 Das Wesen ist gemäß Heidegger also von der Herkunft abhängig, die Herkunft wiederum mit dem Sein verbunden. So schreibt er, dass seine ganze Abhandlung «sich wissentlich und doch unausgesprochen auf dem Weg der Frage nach dem Wesen des Seins» bewegt, «die Bestimmung darauf, was die Kunst sei, ist ganz und entschieden aus der Frage nach dem Sein bestimmt.»100 Sie bleibt, wie es am Schluss der Abhandlung heißt, unbeantwortet und alles, was den Schein von Antworten biete, seien Weisungen für das Fragen.101 Und doch werden Themen und Motive deutlich, um die herum sich Antworten ansammeln. Da ist zum einen die Dichtung, Dichtung in einem so weiten Sinne, «und zugleich in so inniger Wesenseinheit mit der Sprache und dem Wort gedacht, dass es offen bleiben muss, ob die Kunst und zwar in allen ihren Weisen, von der Baukunst bis zur Poesie, das Wesen der Dichtung erschöpft.»102 Mit der Dichtung tritt eine Sprache in den Blick, die zweifaches vermag: Sie dient der allgemeinen Verständigung, aber daneben – und das ist Heidegger hier wichtiger, «befördert [sie] das Offenbare und Verdeckte als so Gemeintes nicht nur erst in Wörtern und Sätzen weiter, sondern die Sprache bringt das Seiende als ein Seiendes allererst ins Offene.»103 Wenn nun das Wesen der Kunst Dichtung ist und Dichtung Sprache in zweifacher Bedeutung umfasst, so gilt auch für Kunst, dass sie Mittel zur allgemeinen Verständigung ist und darüber hinaus das Seiende ins Offene bringt und Wahrheit stiftet.104 Gadamer kommentiert diesen Dichtungsbegriff dahingehend, dass darin nicht die Umformung von Vorgeformtem, nicht die Abbildung von zuvor schon Seiendem, sondern der Entwurf, durch den etwas Neues als Wahres hervorkomme, das Wesen der Kunst ausmache.105 Von welcher oder wessen Wahrheit ist hier die Rede? Heidegger distanziert sich explizit von den Wahrheitsbegriffen, die Wahrheit als Gewissheit und als Richtigkeit bestimmen106 und fasst Wahrheit als Unverborgenheit des Seienden, die weder eine Eigenschaft der Sachen, noch eine solche von Sätzen sei.107 Diese Wahrheit ist auch nicht als Zustand zu verstehen, sondern 99 100 101 102 103 104 105 106 107 M. Heidegger: Der Ursprung, 1. Ebd., 71. Hier mag das vier Jahre vor dem Aufsatz zur Kunst publizierte Hauptwerk Sein und Zeit anklingen. Dass daraus Schwierigkeiten erwachsen könnten, sah Heidegger voraus. Im letzten Abschnitt des Zusatz-Textes schreibt er: «Es bleibt ein unvermeidlicher Notstand, dass der Leser, der natürlicherweise von außen an die Abhandlung gerät, zunächst und langehin nicht aus dem verschwiegenen Quellbereich des Zudenkenden die Sachverhalte vorstellt und deutet. Für den Autor selber aber bleibt der Notstand, auf den verschiedenen Stationen des Weges jeweils in der gerade günstigen Sprache zu sprechen.» Ebd., 72. Ebd., 71. Ebd., 60. Ebd., 59. M. Heidegger: Der Ursprung, 61. H.-G. Gadamer: Wahrheit des Kunstwerks, 113. M. Heidegger: Der Ursprung, 37. Ebd., 40. 156 als Prozess (Geschehnis), als etwas, das immerfort geschieht. Und eine der Weisen, wie Wahrheit geschieht, «ist das Werksein des Werks»,108 für das es kennzeichnend ist, dass es eine Welt aufstellt. Im Original: «Aufstellend eine Welt und herstellend die Erde ist das Werk die Bestreitung jenes Streites, in dem die Unverborgenheit des Seienden im Ganzen, die Wahrheit, erstritten wird.»109 Die Wahrheit zeigt sich (west) demzufolge als ein Streit zwischen dem Entbergen und dem Verbergen, der Lichtung und der Verbergung, zwischen Welt und Erde. Welt, von Heidegger nicht als bloße Ansammlung von Dingen oder «zur Summe des Vorhandenen hinzu vorgestellter Rahmen» verstanden, sondern «als das immer Ungegenständliche, dem wir unterstehen, Bahnen von Geburt und Tod, Segen und Fluch uns in das Sein entrückt halten.»110 Unter Welt ist folglich nicht eine geläufige Weltvorstellung gemeint, sondern ein Geschehen, in das alles Leben eingebettet ist. Diese ungegenständliche Welt wird aufgestellt durch das Kunstwerk, für das Heidegger das Beispiel eines griechischen Tempels gewählt hat. Dieser Tempel ruht auf dem Felsengrund und konstituiert durch sein Aufruhen die Physis, das, «worin der Mensch sein Wohnen gründet». Heidegger beschreibt dies in einer der expressiv-poetischsten Passagen der Abhandlung wie folgt: Dies Aufruhen des Werkes holt aus dem Fels das Dunkle seines ungefügen und doch zu nichts gedrängten Tragens heraus. Dastehend hält das Bauwerk dem über es wegrasenden Sturm stand und zeigt so erst den Sturm selbst in seiner Gewalt. Der Glanz und das Leuchten des Gesteins, anscheinend selbst nur von Gnaden der Sonne, bringt doch erst das Lichte des Tages, die Weite des Himmels, die Finsternis der Nacht zum Vorschein. Das sichere Ragen macht den unsichtbaren Raum der Luft sichtbar. Das Unerschütterte des Werkes steht ab gegen das Wogen der Meerflut und lässt aus seiner Ruhe deren Toben erscheinen. Der Baum und das Gras, der Adler und der Stier, die Schlange und die Grille gehen erst in ihre abgehobene Gestalt ein und kommen so als das zum Vorschein, was sie sind. Dieses Herauskommen und Aufgehen selbst und im Ganzen nannten die Griechen frühzeitig die [physis]. Sie lichtet zugleich jenes, worauf und worin der Mensch sein Wohnen gründet. Wir nennen es die Erde.111 So wird das Kunstwerk «als die Gründungstat ganzer geschichtlicher Welten verstanden.»112 Erst durch das Kunstwerk eröffnet sich die Welt, die jedoch aus der Erde und auf die Erde zurückkommt. Diese Welt und diese Erde stehen in einem Gegeneinander, einem Streit, der «kein Riss [ist] als das Aufreißen einer bloßen Kluft, sondern der Streit ist die Innigkeit des Sichzugehörens der Streitenden.»113 Er kann wohl als dialektische Bewegung begriffen werden, denn er soll auch nicht behoben, sondern in einem «eigens hervorzubringenden Seienden» (hier dem Kunstwerk) eröffnet werden.114 Deshalb muss dieses Seiende in sich Merkmale des Streites enthalten. Dieses Seiende nun tritt «in die Unverborgenheit seines Seins heraus.»115 Anlass zu dieser Aussage bot Heidegger ein Paar Bauernschuhe, zu deren Beschreibung, wie er meint, es nicht einmal der Vorlage wirklicher Stücke dieser Art bedürfe, da sie jedermann bekannt seien. «Aber da es doch auf eine unmittelbare Beschreibung ankommt, mag es gut sein, die Veranschaulichung zu 108 109 110 111 112 113 114 115 Ebd., 41. Ebd., 41. Ebd., 30. Ebd., 27–28. H.-G. Gadamer: Wahrheit des Kunstwerks, 98. M. Heidegger: Der Ursprung, 49. Ebd., 49. Ebd., 21. 157 erleichtern. Für diese Nachhilfe genügt eine bildliche Darstellung.»116 Dazu wählte er ein Bild von Vincent van Gogh, das nicht abgebildet wird und, entgegen allen (kunsthistorischen) Gepflogenheiten aus jedem Kontext heraus genommen, nur eine unangemessen untergeordnete, als Illustration gedachte Rolle erhält. Es bleibt auch unklar, ob Heidegger das Gemälde aus dem Gedächtnis oder vor einer Reproduktion beschreibt sowie um welches der zahlreichen Schuh-Bilder van Goghs es sich handelt, so dass die Beschreibung nicht am Bild nachvollzogen werden kann. Obwohl die Schlüsse zum «Zeugsein des Zeugs», das erst im Werk zum Vorschein komme,117 zu denen der Philosoph mittels seiner freien Assoziationen zum Gemälde findet, sehr eindrücklich und überzeugend sind, schien es ihm doch nötig gewesen zu sein, zwei Bemerkungen zu seinem Vorgehen zu machen. Zum einen sagt er, dass er nur dadurch, dass er sich vor das Gemälde van Goghs brachte, zu diesen Einsichten gekommen sei: «Dieses hat gesprochen. In der Nähe des Werkes sind wir jäh anderswo gewesen, als wir gewöhnlich zu sein pflegen.»118 Um dann fortzufahren, dass es die schlimmste Selbsttäuschung wäre, anzunehmen, die Beschreibung (und die damit einhergehende Zuordnung der Schuhe als Schuhe einer Bäuerin) sei das Resultat subjektiven Tuns.119 Dass solche methodischen Hinweise nicht unwidersprochen bleiben konnten, liegt auf der Hand; sie und Heideggers willkürlich anmutende Bildbeschreibung und Zuordnung der abgebildeten Schuhe haben einen Diskurs unter Kunsthistorikern und Philosophen in Gang gesetzt, der über Jahrzehnte weiter getragen und dessen Stand im Jahr 2009 in einer Ausstellung zusammengetragen wurde.120 Jedoch für die philosophische Suche nach dem Ursprung des Kunstwerks ist diese Kritik letztlich hinfällig, da angenommen werden darf, dass der Philosoph Heidegger auch ohne oder mit einem anderen Gemälde zu seinen grundlegenden Aussagen gekommen wäre. Der Ort des Kunstwerks, um auf die Frage, die hier in die Abhandlung Heideggers führte, zurückzukommen, dieser Ort ist weder im Bereich der Welt, die durch das Kunstwerk eröffnet wird, noch ist er im Brauchen der Erde als handwerkliche Verwendung von Stoff zu finden, sondern er bleibt immer «ein Brauchen der Erde im Feststellen der Wahrheit in die Gestalt».121 Der Begriff ‘Gestalt’ wird von Heidegger dadurch bestimmt, dass sie das Geschaffensein des Werkes und damit das Festgestelltsein der Wahrheit bedeutet.122 Und in einem Zusatz zur Abhandlung wird das ‘Feststellen’ als Geschehenlassen der Wahrheit mit einer aktiven Bewegung im Sinne von «Her- ins Unverborgene, vor- in das Anwesende bringen» erläutert.123 Heidegger betont in allen seinen Annäherungen an Kunst und das Kunstwerk immer wieder das sich Bewegende oder Ereignende, also die dynamischen 116 117 118 119 120 121 122 123 Ebd., 17. Ebd., 20. Ebd. Die Frage nach den Standorten von Werk und Interpret wird durch diese Bemerkung verstärkt. Vgl. M. Heidegger: Der Ursprung, 20. Der Kunsthistoriker Meyer Schapiro hat 1968 Einwände gegen Heideggers Bildbeschreibung vorgebracht, die er 1994 ergänzte. Vgl. M. Schapiro: The Still Life, 135–142 und 143–151. Jacques Derrida wiederum benutzte die Ungewissheit über van Goghs Gemälde um zu erklären, dass sowohl Schapiro als auch Heidegger das Schuhgemälde zu Selbstporträts ihrer selbst ummünzten. Geoffrey Batchen hat die Debatten nachgezeichnet und erwähnt, dass die zahlreichen Schuhgemälde van Goghs sehr wohl auch Reminiszenzen an sein Vorbild, den Maler Jean-François Millet sein könnten, vgl. G. Batchen: Van Goghs Schuhe. Diese Publikation erschien anlässlich der Ausstellung Van Goghs Schuhe. Ein Streitgespräch im Wallraf-Richartz-Museum in Köln, (17.9.2009–10.1.10). An Symposien wurde das Thema ebenfalls behandelt, so in Szeged/Ungarn, vgl. J. Rauscher: Objet trouvé und in Bonn-Bad Godesberg, vgl. D. Sobrevilla: Offene Probleme. M. Heidegger: Der Ursprung, 50. Vgl. ebd., 50. Ebd., 68. 158 Momente und bezeichnet die Abhandlung selbst als Kreisgang. Geschehen, Bringen, Stiften, Hervorbringen, Entbergen sind nur einige der Verben, mit denen das Wesen und die Herkunft der Kunst als etwas sich Ereignendes und damit je Gegenwärtiges beschrieben werden. Auch Wahrheit ist etwas sich Ereignendes und damit Aktives. Sie geschieht im Kunstwerk. Das bedeutet, dass sie sich immer wieder, in der Begegnung, ereignen kann. Damit erklärt sich nun der Rätselcharakter der Kunst, denn das Ereignishafte einer Begegnung mit einem Kunstwerk ist weder vorhersehbar noch in seinen Dimensionen gänzlich auslotbar. «Niemand kann sich dem verschließen», so Gadamer «dass im Kunstwerk, in dem eine Welt aufgeht, nicht nur Sinnvolles erfahrbar wird, das vorher nicht erkannt war, sondern dass mit dem Kunstwerk selber etwas Neues ins Dasein tritt. Es ist nicht die Offenlegung einer Wahrheit allein, sonder es ist selbst ein Ereignis.»124 Kunst wird damit zu mehr als zur bloßen Ursache eines ästhetischen Erlebnisses, sie wird Sinn stiftend, denn sie eröffnet Welt und setzt Wahrheit ins Werk. Im ersten Abschnitt des Nachwortes zum Kunstwerkaufsatz schreibt Heidegger, dass zur Aufgabe stehe, das Rätsel der Kunst als das Rätsel, das die Kunst selbst ist, zu sehen.125 Diese Haltung widerspricht der Auffassung kunstwissenschaftlicher Fachleute diametral, denen es primär darum geht, ein Kunstwerk zu entschlüsseln, es einzuordnen, zu beschreiben, seine Funktionen zu untersuchen, zu datieren und so weiter. Kunstgeschichte will Zugriff haben (nicht zugreifen), einen Zugriff, der sich an einem positivistischen Wissenschaftsverständnis des 19. Jahrhunderts orientiert. So schrieb Riegl 1902: «Die Kunstgeschichte will uns in den Stand setzen, jedes Kunstwerk, das uns unter die Augen kommt, sofort unter ein Allgemeineres, den Stilbegriff, zu subsumieren, so dass das Kunstwerk den störenden Charakter des Fremdartigen verliert.»126 Und auch für Wölfflin hatte das isolierte Kunstwerk immer etwas Beunruhigendes.127 Daran hat sich bis heute nichts Grundlegendes geändert, auch wenn die Aufmerksamkeit mehr der Kunst in der Gesellschaft, dem Kunstbetrieb und den Strategien bildnerischer Kommunikation gilt.128 Damit bestätigt sich doch noch immer die Richtigkeit von Hegels viel zitierter Aussage vom Vergangenheitscharakter der Kunst, ja, die Kunstwissenschaft ist, gemäß Hegel, geradezu daraus entstanden, da die Kunst Wahrheit und Lebendigkeit verloren habe.129 Auf diesem Hintergrund ist Kunst, ist ein Kunstwerk, nur ein Gegenstand unter vielen und als solcher wird sie, so Heidegger, auch von der Ästhetik behandelt.130 Heideggers Abhandlung zum Ursprung des Kunstwerks zeigt dagegen die Dimensionen auf, die sich dem zergliedernden und objektivierenden Zugriff entziehen. Die Kunst ist, entsprechend Heideggers Beispiel vom Tempel als Werk, die Ursache für die Entstehung von Welt und für die gleichzeitige Konstituierung von Erde. Damit ist sie nicht Sinn vermittelnd, sondern über jedes ikonographische oder ikonologische Verstehen hinausgehende Sinnstiftung. «Erst die Kunst als Kunstwerk bringt die Welt in die Welt.»131 Diese Kunstbestimmung geht über die von Hegel formulierte Funktion der Kunst hinaus, welche darin bestand, den Gegensatz und Widerspruch zwischen Natur und Geist, Idee und Materie 124 125 126 127 128 129 130 131 H.-G. Gadamer: Wahrheit des Kunstwerks, 108. M. Heidegger: Der Ursprung, 65. Zitiert nach H. Locher: Kunstgeschichte als historische Theorie, 420, Anmerkung 3. Vgl. H. Wölfflin: Das Erklären, 11–13. Vgl. H. Locher: Kunstgeschichte als historische Theorie, 464. G.W.F. Hegel: Ästhetik, 50. M. Heidegger: Der Ursprung, 65. W. Perpeet: Heideggers Kunstlehre, 222. 159 aufzuheben und zur Einheit zurückzuführen.132 Während bei Hegel Kunst ein sinnliches Scheinen des Absoluten war, erweist sie sich nun bei Heidegger als ein unerschöpfliches Geschehen. Perpeet stellt die Positionen von Hegel und Heidegger sehr pointiert zueinander in Beziehung, wenn er schreibt: Wir beugen vor einem noch so gut gemalten Madonnenbild unser Knie nicht mehr. Das ist das Modellwort für die Sinnbildthese [Hegels, AT]. Es ist richtig und konsequent, aber nur unter der Voraussetzung, welche das Werksein der Kunst von vornherein als Gegenstandsein begreift. [..] Heidegger fragt sich nur, ob die für die Sinnbildthese entscheidende Prämisse vom Gegenstandsein der Kunst zutrifft. Ist die Kunst als Gegenstand Kunst, dann zwingt sie auch nie in die Knie. Ein Gegenstand eröffnet nie die Wahrheit. [...] Ist die Kunst aber als Werk Kunst, dann – um im Bild zu bleiben – zwingt sie in die Knie, weil sie das Wahrsein von Seiendem im ganzen eröffnet.133 Die abstrakte und absolute ‘Wahrheit’ oder die ungegenständliche ‘Welt’ sind in ein «Wahrsein von Seiendem» übersetzt, was verdeutlicht, wie Welt und Kunst von Heidegger aufeinander bezogen gedacht und das Kunsthafte der Kunst bestimmt werden.134 Die traditionelle Kennzeichnung eines Kunstwerks als Allegorie und Symbol stellt deshalb für Heidegger nur die «Rahmenvorstellungen» eines Kunstwerks dar, das insgesamt aus einem dinghaften Unterbau und einem Anderen, dem Eigentlichen besteht.135 Dieses Dinghafte untersucht er und findet alle drei Auffassungen – ein Ding als Träger von Merkmalen, als Einheit von Empfindungsmannigfaltigkeit und als geformter Stoff – ungenügend, um ein Kunstwerk verstehen zu können. Diese sind für Heidegger, wie Ullrich schreibt, «zu verbraucht und ihren ursprünglichen Kontexten zu sehr entfremdet, um noch aussagekräftig sein zu können».136 Insbesondere die in einer traditionellen Dingauffassung zu Tage tretenden Dualismen von Trägersubstanz und Merkmalen oder von Stoff und Form sowie die Zuschreibung von Sinneseindrücken und Empfindungen als Teil des Dinghaften und damit die Abhängigkeit der Objektbestimmung durch das betrachtende Subjekt stehen der prozesshaften Sichtweise Heideggers entgegen.137 Die Dinghaftigkeit eines Kunstwerks gehört, so Heidegger gar nicht zum Werk, sie ist nur «dinglicher Unterbau».138 Würde man ein Kunstwerk über diesen Unterbau definieren wollen, müsste auch ein allfälliger Oberbau mit ins Auge gefasst werden, der dann das Künstlerische enthält. Auch diesen Dualismus verwirft Heidegger, denn damit würde das Kunstwerk zu einem ‘Zeug’, das mit ästhetischem Wert ausgestattet wäre.139 Heidegger charakterisiert das, was zum Zeugsein eines Gegenstandes gehört als Verlässlichkeit und Dienlichkeit und sieht diese in den von van Gogh gemalten Bauernschuhen veranschaulicht. Das Zeugsein, so die Folgerung, ist das ursprüngliche Wesen von (Gebrauchs-)Gegenständen.140 Aber auch darin ist das Werkhafte des Kunstwerks nicht enthalten. Im Gegenteil: Das, was das Zeug in Wahrheit ist, zeigt sich nur im Werk. Denn nur in ihm tritt das «Seiende in die Unverborgenheit seines 132 133 134 135 136 137 138 139 140 G.W.F. Hegel: Ästhetik, 109. W. Perpeet: Heideggers Kunstlehre, 221. Vgl. W. Perpeet: Heideggers Kunstlehre, 219–223. Vgl. M. Heidegger: Der Ursprung , 4. W. Ullrich 1998, in: J. Nida-Rümelin, M. Betzler (Hg.): Ästhetik und Kunstphilosophie, 379. Vgl. E. Körfer: Abwesen entbirgt Anwesen, 77–79. M. Heidegger: Der Ursprung, 23. Vgl. ebd. Vgl. ebd., 19. 160 Seins heraus».141 Nur im Werk geschieht Wahrheitsvollzug, darin liegt der Sinn stiftende Aspekt des Kunstwerks. 1.5 Hans-Georg Gadamer: Kunst ist Verwandlung ins Gebilde Kunst, auch die Kunst der Vergangenheit, kann immer als Ausdruckswert und Erfahrung von Gegenwart verstanden werden. So ist ein Kunstwerk Ausdruck einer Gegenwart des Künstlers, die in die Gegenwart der Betrachtenden hineinragt. Die Erfahrung dieser doppelten Gegenwart lässt Erkenntnisse zu, die auf anderen Wegen nicht zugänglich ist. Gadamer hat dies in aller Deutlichkeit nachgewiesen. In der Einleitung zu Wahrheit und Methode schreibt er, dass im Verstehen von Texten Wahrheit erkannt werde, auch wenn dies dem Maßstabe von Forschung und Fortschritt, mit dem die Wissenschaft sich selber messe, widerspräche. Und er fährt fort: Ähnliches gilt von der Erfahrung der Kunst. Hier ist die wissenschaftliche Erforschung, die die sogenannte Kunstwissenschaft betreibt, sich dessen von vornherein bewusst, dass sie die Erfahrung der Kunst weder ersetzen noch überbieten kann. Dass an einem Kunstwerk Wahrheit erfahren wird, die uns auf keinem anderen Wege erreichbar ist, macht die philosophische Bedeutung der Kunst aus, die sich gegen jedes Räsonnement behauptet.142 Um nun der Art der Wahrheit und den Erkenntnissen näher zu kommen, die sich in der Kunst in anderer Weise zeigt als in Begriffen oder den Naturwissenschaften, plädiert Gadamer dafür, die Erfahrung der Kunst als Erfahrung ernst zu nehmen und sie nicht in ein Besitzstück ästhetischer Bildung umzufälschen und damit ihrer Unmittelbarkeit zu berauben.143 Denn nur eine präsentische Erfahrung und nicht die vorrangig historische Orientierung lässt an der durch das Kunstwerk zum Ausdruck gebrachten Erkenntnis teilnehmen. Daraus ergibt sich die Konsequenz, die Erfahrung mit Kunst, die Begegnung mit der «Sprache der Kunst» als eine Erfahrung eines unabgeschlossenen Geschehens zu verstehen, eines Geschehens, von dem die Begegnung notwendiger Teil ist.144 Das heißt nun nichts anderes, als dass das bloße Betrachten eines Kunstwerks nicht genügt. In Aktualität des Schönen sagt Gadamer dazu: Die naive Selbstverständlichkeit, dass das Bild ein Anblick ist – so wie der Anblick, den uns unsere tägliche Lebenserfahrung von der Natur oder der von Menschen gestalteten Natur verschafft – ist offenkundig gründlich zerstört. Man kann ein [...] Bild der Gegenstandslosen nicht mehr uno intuitu, mit einem lediglich aufnehmenden Blick sehen. Man hat dazu eine besondere Leistung des Tätigseins zu vollbringen.145 Die Art und Weise dieses erforderlichen Tätigseins kreist Gadamer ein, indem er Kunst in Beziehung setzt zu den Begriffen Spiel, Symbol und Fest und folgert, dass die Ästhetik in der Hermeneutik aufgehen und die Hermeneutik so bestimmt werden müsse, «dass sie der Erfahrung der Kunst gerecht wird. Das Verstehen muss als Teil des Sinngeschehens gedacht werden, in dem der Sinn aller Aussagen – derjenigen der Kunst und derjenigen aller sonstigen Überlieferungen – sich bildet und vollendet.»146 Diese Forderung hat für die 141 142 143 144 145 146 Ebd., 21. H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode Bd. I, 2. Ebd., 102–104. Ebd., 105. H.-G. Gadamer: Die Aktualität des Schönen, 10. H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode Bd. I, 170. 161 kunstwissenschaftlichen Methoden der Interpretation weitreichende Konsequenzen, insofern sie beinhaltet, dass die ästhetisch-historische Betrachtung ergänzt werden soll durch die Reflexion der Erfahrung.147 Im Vergleich von Spiel und Kunst deckt Gadamer verschiedenen Parallelen auf. Da ist zum einen die Seinsweise des Spiels, ob Kinderspiel, Kampfspiel, Schauspiel, Musikspiel oder kultisches Spiel, die nicht zulässt, dass sich der Spieler zum Spiel wie zu einem Gegenstand verhält. «Der Spieler weiß wohl, was das Spiel ist, und dass, was er tut ‘nur ein Spiel ist’, aber er weiß nicht, was er da ‘weiß’,148 denn nur der Ernst beim Spielen macht das Spiel zum Spiel. Und da alles Spielen ein Gespieltwerden ist, ist das Subjekt des Spiels nicht der Spieler, sondern dieser bringt das Spiel lediglich zur Darstellung.149 Diese Seinsweise des Spiels gleicht nun insofern derjenigen des Kunstwerks, das auch kein Gegenstand ist, der lediglich einem Subjekt gegenübersteht, sondern sein Sein darin hat, dass es zu einer Erfahrung wird.150 Eine weitere Verwandtschaft zwischen Spiel und Kunst findet sich in der inneren Teilnahme, die das Spiel – sei es vom Spieler oder vom Zuschauer – verlangt und die auch für die Kunst konstitutiv ist, als sie nur zu einer wirklichen Erfahrung führt, wenn ‘mitgespielt’ bzw. an den zur Anwendung kommenden Regeln teilgenommen wird.151 Die wohl bedeutsamste Gleichsetzung von Kunst und Spiel nimmt Gadamer vor, wenn er den Spielbegriff auf Spielformen wie das Schauspiel oder das Musikspiel einschränkt. So richten sich Theater und Musik immer an jemanden, selbst wenn niemand außer den Spielenden selbst anwesend wäre.152 Dies gilt auch für die bildende Kunst: Sie richtet sich an jemanden, auch wenn niemand da ist, der sie sieht. Für beide Arten von Spielen trifft außerdem zu, dass sie in verschiedenen Formen der Vollendung ausgeführt werden können. Gadamer nennt «diese Wendung in der das menschliche Spiel seine eigentliche Vollendung, Kunst zu sein, ausbildet, Verwandlung ins Gebilde».153 ‘Gebilde’ ist nun der Begriff, den er an Stelle von ‘Werk’ setzt, ein erweiterter Werkbegriff also, um, wie es an anderer Stelle heißt, «jede falsche Konnotation zu vermeiden».154 ‘Gebilde’ hat zwar den Charakter von ‘Werk’, ist jedoch sowohl transitorisch als auch statisch und gleichermaßen Produkt einer Planung wie improvisatorischer Moment.155 Damit umfasst ‘Gebilde’ alle Äußerungsformen von Kunst, von Gemälden und Skulpturen ebenso wie von Performances, Musik, Theater oder Film. Und mit dem Begriff Verwandlung zielt Gadamer auf das Wesentliche der Kunst. Er meint damit, «dass etwas auf einmal und als Ganzes ein anderes ist, so dass dies andere, das es als Verwandeltes ist, sein wahres Sein ist, dem gegenüber sein früheres Sein nichtig ist».156 So bedeutet «Verwandlung ins Gebilde» nicht nur, dass das Frühere nicht mehr ist, sondern auch, dass das «was nun ist, was sich im Spiel der Kunst darstellt, das bleibende Wahre ist». Das heißt, Kunst als das Verwandelte hebt die unverwandelte Wirklichkeit (bei Gadamer ist es die ‘sogenannte’ Wirklichkeit) auf in die Wahrheit.157 Besonders bedeutsam ist diese Verwandlung von Spiel und 147 148 149 150 151 152 153 154 155 156 157 Zum Stellenwert der Reflexion im Interpretationsprozess siehe unten, 210–211. H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode Bd. I, 108. Vgl. ebd., 112. Vgl. ebd., 108. Vgl. ebd., 31, 32 und 34. Vgl. ebd., 116. Ebd., 116. Vgl. H.-G. Gadamer: Die Aktualität des Schönen, 44. Vgl. ebd. H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode Bd. I, 116. Vgl. ebd., 118. Der Anklang an Heidegger ist unüberhörbar. Wenn Kunst, so Gadamer, die Wirklichkeit in die Wahrheit aufhebt, so wird mehr als Sinn im Kunstwerk offen gelegt. Dazu schreibt er in Aktualität 162 Kunst deshalb, weil dadurch nicht nur Spiel zu Kunst gewandelt, sondern in der Umkehrung Kunst an Spiel zurückgebunden wird. Johan Huizinga, auf dessen Homo Ludens Gadamer einige Male verweist, spricht allerdings der bildenden Kunst jeden Spielcharakter ab. Er tut dies mit dem Verweis auf den Herstellungsprozess und die Aufnahme durch die Betrachter: Wie sehr der Künstler auch von seinem Schöpfertrieb besessen sein mag, er arbeitet wie ein Handwerker, ernstlich und angespannt, stets sich selber prüfend und korrigierend. Seine Begeisterung, frei und ungestüm in der Konzeption, muss in der Ausführung immer der Fertigkeit der formenden Hand unterworfen bleiben. Ist somit bei der Verfertigung des Kunstwerks das spielende Element scheinbar nicht vorhanden, beim Anschauen und Genießen tritt es überhaupt nicht in Erscheinung. Es ist keine sichtbare Handlung dabei.158 Ohne hier auf das Kunst- und Künstlerbild Huizingas einzutreten, ist doch der Einwand, dass in der bildenden Kunst Werke hergestellt werden und sich deshalb außerhalb der Sphäre des Spiels befinden, ernst zu nehmen. Dieses Problem wird durch die Einführung des ‘Gebildes’ umgangen, so dass auch Bilder als ‘Verwandlung des Wirklichen ins Gebilde’ bezeichnet werden können und der Herstellungsprozess, das Verwandlungsgeschehen selbst, nicht Untersuchungsgegenstand ist.159 Dass Kunstwerke Verwandlungen des Wirklichen sind, hat sich ja im Laufe des 20. Jahrhunderts in wörtlichstem Sinne bestätigt, man denke an die vorgefertigten Gegenstände, die Duchamp in die Kunst als Kunst einführten und damit nachhaltige Theoriedebatten auslösten.160 Ebenso können naturalistische Darstellungen als Verwandlungen des Wirklichen bezeichnet werden, das Abbilden einer Wirklichkeit bedeutet ja immer deren Verwandlung in ein Bild, sei es nun mit malerischen, fotografischen oder mit elektronischen Mitteln; genau so, wie gegenstandslose Bilder als verwandelte subjektive Wirklichkeiten verstanden werden können, da hinter jeder Form und jeder Farbe die Wirklichkeit eines Künstlers steht. Mit dem Ausdruck ‘Verwandlung ins Gebilde’ hat Gadamer eine Antwort auf die Frage nach dem Wesen der Kunst gegeben, die gleichermaßen philosophisch, kunsttheoretisch und künstlerisch fruchtbar ist. In der Beziehung zwischen Kunst und Symbol spielt die Verwandlung ebenfalls eine zentrale Rolle. Die verschiedenen Arten des Symbolbegriffs – vom ‘Symbol’ als Verweis auf etwas, das nicht unmittelbar sichtbar und verständlich ist oder ‘Symbol’ als Begriff, der einer Allegorie gleich kommt bis hin zum Symbol als dem sinnlichen Scheinen der Idee’161 – erweitert Gadamer, indem für ihn das Symbolische nicht nur auf Bedeutung verweist, sondern sie repräsentiert. Dadurch vollzieht er eine Angleichung an einen religiösen Symbolbegriff, der im Symbol die Anwesenheit (Inkarnation) eines Inhalts postuliert. Mit dem direkten Hinweis auf die Transsubstantiationslehre sowie einer Stellungnahme für deren lutherische bzw. römisch-katholische Auslegung bestätigt Gadamer diesen Begriffskontext, schlägt dann aber sofort den Bogen zur Kunst: «So etwas können wir denken und müssen wir sogar denken, wenn wir die Erfahrung der Kunst denken wollen; dass im Kunstwerk 158 159 160 161 des Schönen: «Eher schon wäre zu sagen, dass es die Bergung von Sinn ins Feste ist, so dass er nicht verfließt oder versickert, sondern in der Gefügtheit des Gebildes festgemacht und geborgen ist, um sich anschließend auf Heideggers ‘Doppelwendung von Aufdecken, Entbergen, Offenlegen und von Verborgenheit und Geborgensein’ zu beziehen. Vgl. ders.: Die Aktualität des Schönen, 45. J. Huizinga: Vom Ursprung der Kultur, 161. Hans Georg Gadamer, Wahrheit und Methode I, 116. Verklärung des Gewöhnlichen lautet denn auch ein Buchtitel, der sich mit dem Phänomen auseinandersetzt, dass ein Gegenstand ein Alltagsobjekt, also Wirklichkeit sowie ein Kunstwerk, demzufolge verwandelte Wirklichkeit, sein kann, vgl. A.C. Danto: Verklärung des Gewöhnlichen. Vgl. H.-G. Gadamer, Aktualität des Schönen, 42–43. 163 nicht nur auf etwas verwiesen ist, sondern dass in ihm eigentlicher da ist, worauf verwiesen ist. Mit anderen Worten: Das Kunstwerk bedeutet einen Zuwachs an Sein.»162 Wenn nun Kunst Bedeutung repräsentiert, so hat dies wiederum für die hermeneutischen Verfahren der Kunstwissenschaft direkte Konsequenzen. Denn, wenn es gilt, dass das Kunstwerk nicht etwas darstellt, das es nicht ist, sondern dass das, was es zu ‘sagen’ hat, durch sich selbst ausdrückt, dann heißt dies, dass sich der Verstehensprozess in erster Linie an der Sichtbarkeit dessen, was im Bild gegeben ist, zu orientieren hat, was eine Umkrempelung gängiger Interpretationsmethoden bedeutet.163 Im Hinblick auf ‘Fest’, den dritten der Begriffe nach ‘Spiel’ und ‘Symbol’, zu denen Gadamer Kunst in Beziehung setzt, ist Zeitlichkeit das entscheidende Moment. Neben der pragmatischen Erfahrung von Zeit konstatiert Gadamer eine ganz andere Erfahrungsqualität, die er ‘die erfüllte Zeit’ oder auch ‘die Eigenzeit’ nennt.164 Ein periodisches Fest ist dadurch gekennzeichnet ist, dass es unter historischen Aspekten das immer gleiche Fest bleibt, sich in der Wiederholung jedoch von Mal zu Mal verändert. Die Betrachtung des Festes unter ausschließlich historischen Aspekten trifft deshalb den Zeitcharakter des Festes ganz und gar nicht, da dieser darin liegt, dass es begangen wird.165 Im Fest wird Vergangenheit in Gegenwart integriert, seine Identität liegt darin, nicht identisch sein zu können. Denn, so Gadamer, es ist «seinem eigenen originalen Wesen nach so, dass es stets ein anderes ist (auch wenn es ‘genau so’ gefeiert wird). Seiendes, das nur ist, indem es stets ein anderes ist, ist in einem radikaleren Sinne zeitlich, als alles, was der Geschichte angehört. Es hat nur im Werden und im Wiederkehren sein Sein.»166 Die Zeitstruktur eines Festes kann also nicht durch eine übliche sukzessive Erfahrung von Zeit erfasst werden. Das Fest besitzt eine Eigenzeit, die nicht derjenigen des Alltags entspricht und obwohl der Übergang von solchen «Zeiterfahrungen des gelebten Lebens» zum Kunstwerk von Gadamer als «einfach» bezeichnet wird, kann er doch nicht ohne Modifikationen auf alle Kunstformen übertragen werden. Die Eigenzeit des Kunstwerks gilt zweifellos für Musik und Tanz und bestimmte Textsorten, doch in Bezug auf die statuarischen Künste (wie Gadamer Bilder oder Architektur nennt) wirkt es irritierend, wenn er von den ‘Zeit-Gängen’ spricht, die sie beanspruchen. Auch wenn die Aussage zutrifft, dass ein Bild nicht genauso schnell oder langsam zugänglich werde, wie ein anderes, so stellt sich doch die Frage, ob dafür nicht vielmehr das betrachtende Subjekt und nicht die Eigenzeit des Kunstwerks ursächlich ist. 167 Worauf aber die Passage über die Zeitlichkeit des Kunstwerks insgesamt hinweisen will, ist im folgenden Zitat zusammengefasst: Es geht in der Erfahrung der Kunst darum, dass wir am Kunstwerk eine spezifische Art des Verweilens lernen. Es ist ein Verweilen, das sich offenbar dadurch auszeichnet, dass es nicht langweilig wird. Je mehr wir verweilend uns darauf einlassen, desto sprechender, desto vielfältiger, desto reicher erscheint es. Das Wesen der Zeiterfahrung der Kunst ist, dass wir zu weilen lernen. Das ist vielleicht die uns zugemessene endliche Entsprechung 162 163 164 165 166 167 H.-G. Gadamer: Kunst als Aussage, 126. Womit insbesondere das Modell von Panofsky kontrastiert wird. Vgl. H.-G. Gadamer: Die Aktualität des Schönen, 55. Vgl. H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode Bd. I, 128. Ebd. Ebd., 59. In den Betrachtungen über die Eigenzeit des Kunstwerks, die in knapp zwei Seiten (59 und 60) nur wenig ausgeführt scheinen, vermittelt sich der Eindruck, dass die Textgestalt den Vorlesungen von 1974 entspricht. Zur Textgestalt insgesamt siehe H.-G. Gadamer: Die Aktualität des Schönen, 70, Schlussanmerkung. 164 zu dem, was man Ewigkeit nennt.168 Diese Empfindungsqualität von Zeitlichkeit – im Alltag wird sie als Zeitverlorenheit oder Zeitvergessenheit bezeichnet – kann nicht herbeizitiert werden; sie stellt sich ein oder eben nicht und sie ist weder die Eigenzeit des Kunstwerks noch die Eigenzeit des Betrachtenden, sondern eine Folge der Beziehung zwischen Kunstwerk und Publikum.169 In allen untersuchten Ausführungen zur Kunst betont Gadamer die Bedeutung der Prozesshaftigkeit von Erfahrung sowie die Beziehung zwischen dem Kunstwerk und den es Rezipierenden. Doch es ist der Künstler, der Wirkliches ins Gebilde verwandelt, Aspekte seiner äußeren oder inneren Wirklichkeit in ein Werk transformiert, sodass die Entstehung von Kunst nicht als Ausfluss eines Genies, sondern als Prozess verstanden wird, welcher einer geschichtlichen Wirklichkeit entspricht.170 Deshalb ist der Sinn des Kunstwerks nicht in außerkünstlerischem Kontext sondern im Bild selbst enthalten und wird nur mittels teilnehmender Rezeption zugänglich. Eben darin liegt die Aktualität von Gadamers Analysen: Sowohl Spiel als auch Symbol und Fest werden immer auf den teilnehmenden und nicht den passiv aufnehmenden Menschen hin dargestellt. Für die Deutungspraxis der Kunstwissenschaft bedeutet dies, dass eine Interpretation neben dem Bildsinn, der das gewandelte Wirkliche enthält, auch die Beziehung zwischen Kunstwerk und teilnehmendem Betrachter enthalten muss, eine Beziehung, in der die Subjekt- und Objektpositionen variabel sind.171 Auf dieser Basis erhält Gadamers Forderung, dass die Ästhetik in der Hermeneutik aufzugehen habe, auch eine Handlungsanweisung an die Kunstwissenschaft. 2. Was ist ein Bild? Auf der Grundlage der Antworten auf die Frage nach dem Wesen der Kunst kann nun die Frage ‘Was ist ein Bild?’ gestellt und mit dem Hinweis auf das, was sich in einem Bild zuträgt, fürs Erste beantwortet werden: Ein Bild als Artefakt ist der Ort der Gleichzeitigkeit von taktil wahrnehmbarer Erscheinung (dem Bildkörper) mit visuell wahrnehmbarer Darstellung (dem Sujet) und ideeller Bedeutung (der Referenz).172 Es ist zudem ein Ort, in dem sich verschiedene Zeitlichkeiten kreuzen, indem nämlich in der unaufhörlichen Gegenwart, die ihm eigen ist, sowohl Vergangenes als auch Abwesendes vergegenwärtigt ist. Es ist ein Ort des Dazwischen, aufgehoben in einem zeitlichen und räumlichen Zwischenraum. Seine Wirklichkeit, die aus Farben, Formen, Linien und Flächen besteht, trifft auf die von historischem und subjektivem Kontext bestimmte Realität der Betrachtenden. Dieses Aufeinandertreffen und nie Ineinanderaufgehen macht das Dazwischen-Sein des Bildes aus. Es ist das Verdienst des Ausdrucks ‘ikonische Differenz’, diese Gleichzeitigkeit von Sein und Bedeuten, Sein und Scheinen sowie die zeitliche und räumliche Divergenz zwischen der Welt des Bildes und derjenigen des Betrachters deutlich zu machen. Insofern 168 169 170 171 172 Ebd., 60. Siehe ‘Manifestationen von Zeit und Zeitlichkeit im Bild’, unten, 171–177. «Es ist eine Art Geniedämmerung eingetreten. Die Vorstellung von der nachtwandlerischen Unbewusstheit, mit der das Genie schafft [...] erscheint uns heute als eine falsche Romantik», sagt Gadamer und weist darauf hin, dass der Begriff des Genies vom Betrachter konzipiert ist, das Selbstverständnis der Künstler weit nüchterner auch dort «Möglichkeiten des Machens und Könnens und Fragen der ‘Technik’ [sieht], wo der Betrachter Eingebung, Geheimnis und tiefere Bedeutung sucht». H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode Bd. I, 98–99. Siehe dazu auch ‘Das Bild vor dem Betrachter: reflexiv’, unten, 168–171. Vgl. L. Wiesing: Phänomene 10. 165 gilt Boehms Postulat, dass sich die ikonische Differenz nicht als zweigliedrige, visuell gewendete Oppositionsfigur erweise, sondern das Bild als Ereignis konzipiere. 173 In ihm schlägt das Sichtbare in das Unsichtbare um, ohne dass die beiden Dimensionen je in eins fallen. So verweist das im Bild Anwesende immer auf Abwesendes, das jedoch im Anwesenden aufscheint. Gleichzeitig ist das Bild immer ein mehrfacher Bezug zur Welt: als materieller Gegenstand ist es Teil einer Alltagswelt und bezieht sich auf sie genau so wie das Dargestellte, das Darstellung einer Weltdeutung oder Ausdruck einer Weltanschauung ist. Dieses Verhältnis von Bild und Welt kann unterschiedlich gefasst werden, wobei sich die Unterschiede auf die Bewegungsrichtung der Durchlässigkeit zwischen beiden beziehen, darauf, ob sich das Bild in die Welt und das Unsichtbare hinein erstreckt oder ob nicht viel mehr Welt ins Bild hinein scheint.174 Wie immer auch diese Beziehung akzentuiert wird, sie macht deutlich, wie das Bild als Ort der Transparenz einer Dimension auf die andere verstanden werden kann. In dieser Beziehung von Bild und Welt kommt, so Heidegger im Aufsatz Die Zeit des Weltbildes, die Korrelation der Subjektwerdung des Menschen mit der Bild-, d.h. Objektwerdung der Welt zum Ausdruck.175 Das Bild greift somit per se tief in anthropologische Gegebenheiten ein. Seine darin begründete Rolle als Reflexionsanlass zeigt sich über die Grenzen einzelner Disziplinen und über historische Zeiträume hinaus.176 Als Gattung hat das Bild verschiedene Entwicklungen durchlaufen. So wie es sich heute präsentiert, hat es sich nicht nur gegenüber seinen Darstellungsmedien verselbständigt, sondern auch vom Original gelöst. Es will keine Realität mehr vermitteln, kann selbst ohne realen Erscheinungsort sein und hat doch in jedem Fall seine eigene Wirklichkeit. Diese Tatsache führt dazu, dass zwischen Realität und Wirklichkeit differenziert werden muss, um ein bildinternes und ein bildexternes Sein auseinander zu halten.177 Mithilfe dieser Differenzierung wird deutlich, dass das Bild – wie die Kunst an sich – nicht nur ein Ort des Dazwischen, sondern ebenso ein Ort des Sowohl-als-auch darstellt. Das heißt, als materieller Gegenstand (ein Stück Holz, Papier oder Stoff) ist es Teil der Realität, doch mittels künstlerischer Bearbeitung ist es ein Ganzes mit einer eigenen Wirklichkeit. In diese Wirklichkeit kann Realität eintreten, insofern erkennbare Gegenstände dargestellt oder integriert werden. Diese Dingrealität wird dann allerdings in die Wirklichkeit des Bildes transformiert, so dass die Bildgegenstände auf eine Art wahrgenommen werden können, wie es außerhalb des Bildes nicht möglich ist. Alle die bis jetzt erwähnten Wesenscharakteristika beschreiben das Bild als einen Gegenstand, dessen Sinnhaftigkeit räumlich und zeitlich strukturiert ist. So findet mit der Bestimmung des Bildes als ‘Ort der Verwandlung’, ‘Ort des Dazwischen und des Sowohl-alsauch’ eine Verräumlichung und Verzeitlichung statt und mit der Rede von der Welt, die in das Bild oder dem Bild, das in die Welt eintritt, wird Bewegung evoziert. Wobei im Falle der Relation von Bild und Welt das Eintreten auch ein Austreten ist. Dann nämlich, wenn das Bild in die Welt eintritt, tritt es in nicht nur metaphorischer Weise aus sich heraus, es wirkt tatsächlich in den Bildaußenraum hinein. Außerdem meint die Bezeichnung ‘Ereignis’ für 173 174 175 176 177 G. Boehm: Ikonische Differenz, 171. Vgl. auch oben, 87–92. Vgl. H.R. Sepp: Welt-Bilder. M. Heidegger: Zeit des Weltbildes, 89. Vgl. z.B.: W. Oelmüller: Kolloquium Kunst und Philosophie sowie G. Boehm, S. Egenhofer, Ch. Spies (Hg.): Zeigen. Vgl. G. Böhme: Theorie des Bildes, insbes. 128–131. 166 das, was im statischen Bild geschieht, den dynamischen Vorgang einer Transformation, die wiederum das Resultat eines Bewegungsgeschehens darstellt. Implizit wird dabei von zwei Arten von Bildräumen, einem Bildinnen- und einem Bildaußenraum, ausgegangen, die in den philosophischen Überlegungen zur Kunst als verschiedene Arten von Welt auftreten. So beschreibt beispielsweise Goodman’s ‘Welterzeugung’ eine Welt im Bild, also den Bildinnenraum, während Heideggers ‘Entstehung von Welt‘ sich auf Welt als Lebenswelt, den «Inbegriff aller möglichen (praktischen wie daraus ableitbaren theoretischen) Vollzüge»,178 bezieht, an welcher der Bildaußenraum Teil hat. Die Interaktion dieser beiden Bildräume, von Gadamer als Relation zwischen dem Kunstwerk und dem Betrachter ausgelegt, von kunstwissenschaftlicher Seite dagegen mittels der Rezeptionsästhetik untersucht, kann mit ‘Performanz’ oder ‘Ereignis’ und der Ort, an dem diese Interaktion stattfindet, mit ‘Medium’ begrifflich gefasst werden. Darin ist die Dualität, die im Begriff der Differenz enthalten ist, aufgehoben. Die ikonische Differenz wird damit zur Erklärungsfigur für das grundsätzlich Dialektische, das sich im Bild manifestiert. Sie bietet somit inhaltlich und terminologisch einen Hintergrund, auf dem sich das Performative als das sich Ereignende erklären lässt. Boehm lehnt allerdings kategorisch ab, im Zusammenhang mit der ikonischen Differenz «von einer Dialektik oder Synthese zu sprechen oder das Modell der sprachlichen Proposition (S-p) bzw. semiotische Relationen zugrunde zu legen. [...] Es liegt sehr viel daran, nur solche Begrifflichkeiten und Begründungsfiguren aufzunehmen, die dem Ikonischen angemessen sind, es nicht sofort der Sprache oder einem allgemeinen Symbolisierungsgeschehen einzugemeinden».179 Doch er kommt zum Schluss, dass sich «im Bau der ikonischen Differenz [...] unterschiedliche Sinnkonfigurationen – was man den Logos des Bildes nennen kann – manifestieren» und dass wir es damit zu tun haben, «dass sich Gründendes und Begründetes als Ereignis auseinander entfalten. Der Grundriss, den die ikonische Differenz eröffnet, zeichnet die Aufgabe der Bildkritik vor.»180 Ob das, was die ikonische Differenz darstellt, nun Grundriss oder Hintergrund genannt wird – im Hinblick auf die Frage nach dem, was das Bild ist, ergibt sich eine weitere Antwort, denn über die ikonische Differenz als Erklärungsfigur legt sich der Begriff ‘Medium’ in seinen wörtlichen Aspekten.181 Das Bild ist Medium: Es ist Vermittler zwischen Räumen und Zeiten – davon sprechen die oben erwähnten Philosophen auf ihre je spezifische Art und Weise sowie die Kunstwissenschaft mit primär historischer oder kompositorischstruktureller Akzentuierung. Und indem sich das Kunstwerk zwischen Betrachter und Künstler befindet, ist es in kommunikativem Sinne Mittler, wirkt es intermedial. Es übermittelt sowohl durch Bildgegenstände als auch durch die Art der Darstellung (codierte) Inhalte.182 In dieser restringierten Form bringt der Medienbegriff die Aktivität des Bildes deutlich zum Ausdruck. Die Statik des Objektes ‘Bild’ wird mit ihm in die Dynamik seiner Funktion und Wirkung überführt, eine Dynamik, die sich als Ereignis und als Performanz spezifisch 178 179 180 181 182 A. Gethmann-Siefert, in: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. 4, 650. G. Boehm: Ikonische Differenz, 172. Ebd., 176. Hier wird auf den lateinischen Begriff Medium referiert, der in örtlichen, zeitlichen, figurativen und dichterischen Zusammenhängen Anwendung findet. Der Begriff ‘Medium’ ist unscharf. Die Begriffsgeschichte ist nachzulesen in: S. Hoffmann: Geschichte des Medienbegriffs. Eine philosophisch-systematische Darstellung des Begriffs trägt Wiesing vor in: ders., Artifizielle Präsenz, 149–162. Siehe dazu ‘Interpretieren bedeutet Übersetzen’, unten, 198–203 bzw. ‘Ein offenes Kunstwerk’, unten, 183–185. 167 fassen lässt. Mit der Charakterisierung des Bildes als ‘Ereignis’, verstanden als eine «unpersönliche, jedenfalls nicht mehr auf ein grammatisches Subjekt bezogene und daher als ein selbständiger Gegenstand auftretende Handlung»,183 tritt es aus seinem reinen Objektstatus und stellt sich dem Betrachter als wirkungsmächtig gegenüber. Der Betrachter kann am Bild als Ereignis – oder am Ereignis als Bild – teilnehmen und verliert, wenn er das tut, seinen ausschließlichen Subjektstatus. Der Begriff des Performativen wiederum lässt sich, wie Mersch ausführt, nicht mit einer Handlung im Sinne von Praxis, noch zweckgerichtet im Sinne von Poiesis erklären.184 Indem das Performative vielmehr die Momente des Ereignens als Fakt betont, bezeichnet es einen «Augenblick der Vollbringung und dessen Verhältnis zu Wahrnehmung und Aisthesis», 185 zum Ästhetischen also und seiner besonderen Wirksamkeit. Dies Ereignishaftigkeit kann in zweifacher Hinsicht in Anspruch genommen werden. Die Faktizität des Bildes besitzt ja zwei Wirkungskreise: Einen innerbildlichen und einen außerbildlichen und in beiden vollzieht sich das Ereignis als Setzung.186 Innerbildlich werden Relationen zwischen Farben, Formen, Größen und Richtungen gesetzt, die in ihrem Zusammenwirken ein Ereignis darstellen, das, ganz im Sinne einer Aktualisierung, zu einem selbständigen Gegenstand wird.187 Außerbildlich findet durch die innerbildliche Setzung ein Ereignis statt, das als Geschehen zwischen dem Bild und seinen Betrachtern manifest wird. Damit gibt das Bild ein Beispiel dafür, was Mersch «Setzung qua ‘Aus-Setzung’» nennt und den performativen Akt als «Duplizität von Freigabe und Preisgabe» beschreibt.188 Innerbildlich freigegebener Sinn wird außerbildlich preisgegeben. Preisgegeben deshalb, weil keine Instanz mehr zu kontrollieren vermag, was durch das Ereignis beim Betrachter ausgelöst, in Gang gesetzt wird. Die Beschreibung des Bildes und seiner Wirkung in Konzepten von Ereignis und Performativität vermag zu erhellen, dass sich die Hierarchie des Subjekt-Objekt-Verhältnisses zwischen Bild und Betrachter umkehrt. So verliert der Betrachter durch die Transformationspotenz, die das Bild in seiner Performativität entwickelt, seinen Subjektstatus und wird zum Objekt des Bildes, das Bild wirkt auf den Betrachter ein, er ist nun derjenige, der auf das Bild reagiert. Als dritte Antwort auf die Frage, was das Bild sei, ergibt sich deshalb die Antwort: Das Bild ist agens – verursachend oder movens – bewegend,189 denn es enthält in sich die Potentialität, die Erfahrung der Betrachtenden zu verändern. Dieses Reflexionspotential wird im Folgenden näher untersucht. 183 184 185 186 187 188 189 K. Lorenz: Ereignis, in: J. Mittelstraß, Enzyklopädie, 568. D. Mersch: Ereignis und Respons, 70. Siehe auch oben, 82, Anmerkung 7, wo auf verschiedene Kontextualisierungen und Nutzungszusammenhänge des Performativitätsbegriffs hingewiesen wird. Ebd., 71. Vgl. D. Mersch: Das Ereignis als Setzung. Vgl. K. Lorenz, Ereignis, in: J. Mittelstraß, Enzyklopädie, 568. D. Mersch: Ereignis und Respons, 72. ‘Agens’ verstanden als ‘das Verursachende’ evoziert das Aktivische, das indirekt auf Subjekt-ObjektRelationen verweist. ‘Movens Bild’ lautet der Titel eines 2008 erschienen, von G. Boehm, B. Mersmann, Ch. Spies herausgegebenen Sammelbandes. Für die weiterführenden Gedanken im Hinblick auf die Bildbeschreibung und Interpretation in Kapitel 4 wird ‘Agens’ vorgezogen, weil darin die Reaktion des Betrachters mit bedacht, jedoch in keiner Weise vorstrukturiert ist. 168 2.1 Das Bild vor dem Betrachter: reflexiv In Kapitel 2 war im Rahmen der Darstellung sigetischer Leerstellen vom ‘beredten Schweigen’ des Bildes die Rede. Dieser paradoxe und metaphorisch zu verstehende Ausdruck spricht dem Bild eine Aktivität zu, die ihre reale Entsprechung in Kunstwerken, die in wortwörtlichem Sinne von sich selbst ‘sprechen’, findet. Gemeint sind beispielsweise Werke, die mit sprechenden Signaturen versehen sind. Horst Bredekamp führt sie als eine Kategorie von Werken vor, die die handlungsstiftende Kraft von Bildern exemplifizieren.190 Ein weiterer Ausdruck für ein präsentisches Agieren des Bildes ist in Werken enthalten, deren Sujets aus dem Rahmen fallen oder ihn übertreten, wie dies in Abb. 45, Knabe aus dem Bild tretend (Flucht vor der Kritik), von Pere Borrell del Caso der Fall ist. Das Bild des Knaben, der aus dem Rahmen steigt, kann in verschiedene Bedeutungszusammenhänge gestellt werden, denn der zweifache Titel191 lässt offen, weswegen der Knabe aus dem Bild tritt oder welcher Art die Kritik ist, vor der er flüchtet. Deshalb mögen einige assoziative Deutungen erlaubt sein: In historischem Kontext könnte das Bild als Beispiel dafür gelten, dass die naturalistische Porträtmalerei auf dem Weg ist, von der Bildfläche zu verschwinden – vor der Erstarrung in akademischem Korsett zu flüchten – oder dafür, dass die Künste den sozialen Raum zu erobern beginnen, was sie einige Jahrzehnte nach der Entstehung dieses Gemäldes ja auch taten. Abb. 39: Pere de Borrell del Caso, Knabe, aus dem Bild tretend (Flucht vor der Kritik), 1874, Öl auf Leinwand, 76 x 62 cm, Madrid, Privatbesitz. Bredekamp versteht das Bild nicht nur als Element des Paragone zwischen Malerei und Skulptur, sondern als «eine Überwindung jener Fläche, auf der sich die geometrische Bildkonstruktion ereignet und gleichsam einfriert,» sowie als «Verkörperung der Malerei», die im Begriff ist, «als inkorporierte Lebendigkeit des Bildes der dreidimensionalen Welt des 190 191 H. Bredekamp: Theorie des Bildaktes, 70–88. Im vom Künstler geführten Inventar seiner verkauften Werke wird mit Datum vom 19. November 1874 nur der Titel «Muchacho saliendo del cuadro» genannt. F. Fontbona: Pere Borrell del Caso, 33. 169 Betrachters entgegenzutreten.»192 In diesen Deutungszusammenhang wird das Werk hier gestellt. Dabei stellt sich die Frage, was den Titel des Abschnitts (Das Bild vor dem Betrachter: reflexiv) und dieses Bild miteinander verbindet. Die Antwort liegt einerseits im schon erwähnten Fakt, dass der Knabe scheinbar in den Betrachterraum zu steigen scheint, das Bild also als aktiv dem Betrachter entgegentretend, aktiv vor ihm seiend, allegorisiert wird. Andererseits liegt die übertragene Bedeutung des Bildes darin, dass der Knabe seinen Blick gerade nicht auf den Betrachter richtet, dass er als Subjekt seine eigenen Ziele und Absichten hat und sich in seinem Blick seine sich dem Publikum nicht erschließenden Emotionen und Wahrnehmungen spiegeln. Als Bild einer Allegorie des Bildes kann der Knabe somit als (selbst)reflexiver Ausdruck der Malerei verstanden werden. Er tritt dem Betrachter entgegen, doch es sind nicht die mimetisch nachgebildeten Augen, mit denen er uns anschaut und den Betrachterblick auf sich zieht, sondern es ist der Körper, der im Zentrum – in der Bildmitte und den Rahmen auf allen vier Seiten sprengend – steht und als Bildkörper Aufmerksamkeit auf sich zieht. Das Werk von 1874 kann somit auch als sich auf einer Schwelle befindend verstanden werden: hinter ihm die Mimesistheorie, vor ihm eine Begegnung mit dem Betrachter und es selbst als agierender Körper, inkorporiert, als Reflexion kunsttheoretischer Positionen. Als Betrachtende stehen nicht nur wir vor den Werken, die Werke befinden sich auch vor uns, so dass die Situation einer Begegnung gegeben ist. Vom Begegnen zwischen Bild und Betrachter sprechen denn auch die Buchtitel von Didi-Huberman Was wir sehen blickt uns an sowie in Vor einem Bild,193 unter denen er seine Studien zu einem anderen Umgang mit Werken der bildenden Kunst vorstellt. ‘Anders’ wird die Behandlung von Bildern hier deshalb genannt, weil Didi-Huberman aufzeigt, dass und wie es auch einem Kunsthistoriker möglich sein kann, mit einem unverstellten, nicht von Wissen überdeckten Blick vor ein Bild zu treten, so dass das, was im Untertitel des einen Buches «Metapsychologie des Bildes»194 genannt wird, ebenso als eine Metapsychologie der Betrachterhaltung genannt werden könnte. Die Ausführungen Didi-Hubermans sind durchsetzt mit Kritik an der hierarchisch orientierten Subjekt-Objekt-Struktur, die Panofskys Modell zugrunde liegt. Als Beispiel mag folgende Stelle dienen: Wenn Panofsky seine Synthese zweiten Grades konstruiert – deren Anspruch das «objektive Zusammenfassen der sogenannten objektiven Analyse und der sogenannten subjektiven Synthese ist – wenn er diese Bewegung mit seinen ‘Sinn ergebenden System‘ abschließt wie mit einem Numen, das allen Phänomenen Sinn verleihen könnte, was tut er dann letztendlich? Er gibt dem Bewusstsein das letzte Wort.»195 Didi-Huberman führt seine Argumentation zum Schluss, dass auf diesem Weg die Kunstwerke zu «Gegenständen aus dem Bewusstsein und Gegenstände des Bewusstseins» werden und alles Unbewusste von ihnen ausgeschlossen werde.196 Mit dieser Aussage wird nicht für phantasierende oder nicht-nachvollziehbare Beschreibungen oder Interpretationen plädiert, sondern es wird für ein Begegnen gesprochen, das anstelle eines vorweggenommenen Wissens, Urteilens und Deutens steht. Der Unterschied zwischen der Offenheit des Begegnens und einem einseitigen Wissen-über zeigt sich in Panofskys Bei- 192 193 194 195 196 Ebd. 277. G. Didi-Huberman: Was wir sehen sowie ders.: Vor einem Bild. Ders.: Was wir sehen. Vgl. ders.: Vor einem Bild, 122. Ebd. 170 spiel vom Hut-ziehenden Bekannten.197 In dieser für die Methode der Kunstgeschichte paradigmatischen Episode findet keine Begegnung als Treffen zweier Subjekte statt, sondern der eine (Panofsky) instrumentalisiert den andern (den Bekannten) ganz einseitig für seine Zwecke. Damit wird nicht nur inhaltlich sondern ebenso formal vermittelt, was sich zwischen Kunsthistoriker und Bild abspielen soll und auf einer Metaebene damit ein hierarchisches, von einer unverrückbaren Subjekt-Objekt-Struktur durchzogenes Verhältnis vorgegeben, das kein Begegnen zulässt. Ganz anders nehmen sich Gadamers Zugangsbedingungen zum Kunstwerk aus, die einen Mitvollzug des Werks verlangen. «Was wir ein Gebilde nannten, ist es, sofern es sich als ein Sinnganzes darstellt. Es ist nicht an sich und begegnet dazu in einer ihm akzidentellen Vermittlung, sondern es gewinnt in der Vermittlung sein eigentliches Sein»,198 heißt es da. Gadamer spricht sogar von einem «Zugangs- und Begegnungscharakter [...], in dem Bauten und Bildwerke sich darstellen».199 Ein wichtiger Aspekt dieser Aussage liegt in der Betonung des auf Vermittlung Angewiesenseins des Kunstwerks. Darin kann eine Verstärkung des oben zitierten Satzes von Benjamin gelesen werden, der die Funktion einer Übersetzung im Fort- und Überleben des Kunstwerks sieht, indem die Vermittlung – und jede Übersetzung eines Bildes ist ebenso wie eine Beschreibung eine Vermittlung – das Kunstwerk überhaupt zu einem Leben außer sich selbst erweckt. Mitvollzug – Begegnung – Vermittlung – in allen diesen Begriffen ist ein Dialogisches enthalten. Da steht kein auf seinem Status beharrendes Subjekt einem Objekt gegenüber, sondern die Vermittlung wird als ein Prozess verstanden, in den auch Unvorhersehbares eingebunden ist. Diese Konzeption der Kunstbetrachtung findet ihre Entsprechung nicht nur bei Didi-Huberman, der explizit moniert, dass für Panofsky das Unbewusste nicht existiere,200 sie bildet auch den Hintergrund zu Wolfram Bergandes Studie Die Logik des Unbewussten in der Kunst.201 Darin wird in einem Rückgriff auf Hegels dialektisches Herrschaft-Knechtschaft-Motiv202 die psychoanalytische Position Lacans in den Kunstdiskurs eingebracht und an Velazquez Las Meninas (oben 172, Abb. 34) exemplifiziert.203 In Ergänzung zu Foucaults Interpretation weist Bergande in diesem Werk drei verschiedene Blick- und Fluchtpunkte und psychoanalytisch konnotierte Übertragungsbeziehungen nach, die verschiedene Reflexionsformen betonen und schließlich zur Frage führen: Wer bin ich?204 So entwickeln sich auf dem Hintergrund philosophischer und psychoanalytischer Deutungswege neue Bedeutungsschichten, die sich erst und ausschließlich in der Begegnung mit dem Werk erschließen. Bergande formuliert fast am Schluss seiner verzweigten Interpretationswege: «Wodurch sich das Kunstwerk Las meninas vor anderen auszeichnet, ist sein proto-aufklärerischer Appell an die Vernunft des Betrachters, das barocke Verwirrspiel von Realität und Schein nicht nur zu gewahren, sondern durch das eigene Tun zu entscheiden: Durch das Umsetzen der Realität des Unbewussten in die Tat.»205 197 198 199 200 201 202 203 204 205 Vgl. ‘Das Beispiel vom Bekannten, der den Hut zieht und grüßt’, oben 46–50. H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode Bd. I, 123. Ebd. 125. G. Didi-Huberman: Vor einem Bild, 122. W. Bergande: Die Logik des Unbewussten. Vgl. G.W.F. Hegel: Phänomenologie, 145–154, insbes. 150–154. W. Bergande: Die Logik des Unbewussten, 61–82. Ebd. 79. Ebd. 80. 171 Das Beispiel von Bergandes Interpretation zeigt, wie fruchtbar Bilderschließungen sein können, wenn dem Bild als einem Medium der Reflexion und der Projektion begegnet wird. Im Sinne eines Spiegels reflektiert das Bild nämlich mehrfach. Außer in oben stehendem psychoanalytischem Verständnis von Reflexion kann das Bild als Resultat einer Reflexion des Künstlers verstanden werden, indem es dessen Weltsicht wiedergibt und zudem die historische Zeit seiner Entstehung einschließlich kunsttheoretischer Vorgaben der Zeit spiegelt. Zudem bietet es sich dem Publikum als eine Projektionsfläche an, so dass Beschreibung und Interpretation immer auch Emotionen und Affekte der Betrachtenden spiegeln. Da es, wie Klaus R. Scherer einsichtig darlegt, kaum «prototypische Ausdruckssignaturen für Emotionen» gibt,206 provoziert eine Darstellung eine emotionale Interpretation eines Betrachters, die keinesfalls mit der Darstellung übereinstimmen muss bzw. deren Kontingenz zu sehr unterschiedlichen Deutungen führen kann. So wird das Bild zum Schauplatz von sich überlagernden reflexiven und zu reflektierenden Positionen, die sich jedoch nicht auf ein unveränderbares Subjekt-Objekt-Verhältnis reduzieren lassen. Von «Performanz der Bildbegegnung» spricht Philipp Stoellger, der sich allerdings damit auf das Wirkungspotential des Blicks, der aus dem Bild auf die Betrachtenden trifft, bezieht.207 Doch in Anbetracht des multiplen Reflexionspotentials, das im und durch das Bild aktiviert wird, kann der Ausdruck generell für das übernommen werden, was sich abspielt, wenn Bild und Betrachtende einander begegnen. In diesem Sinne ist auch eine Bildbeschreibung, die in sprachlicher Form dieses Sehen und Gesehenwerden nachvollzieht, der Performanz der Begegnung zugehörig. Bei den bisherigen Akzentuierungen der performativen Eigenschaften des Bildes - Austausch von Materialität und Immaterialität, Medialität, Intermdialität, Agens - stehen die räumlichen Komponenten im Sinne innerbildlicher Konstellationen oder Interaktionen zwischen Bildinnen- und Bildaußenraum im Vordergrund. Darin spiegelt sich die Tendenz, das Bild als primär räumlich bestimmbares Objekt zu erfassen, seine zeitlichen Komponenten auf Historizität zu beschränken. Dass und in welcher Art und Weise sich Zeit und Zeitlichkeit jedoch bildhaft manifestieren und sich sowohl in einer ästhetischen Erfahrung als auch im hermeneutischen Prozess niederschlagen, wird im folgenden Abschnitt anhand von Beispielen untersucht. 2.2 Manifestationen von Zeit und Zeitlichkeit Obwohl zwischen ‘Zeit’ und ‘Bild’ verschiedene Ebenen und Aspekte des Zusammenhangs bestehen, scheint sich jedoch noch kein spezifisch an ikonischen Gegebenheiten orientierter Kriterienkanon zur Feststellung temporaler Strukturen gebildet zu haben.208 So unterscheidet Sabrina Cercelovic in ihrer Dissertation zum Zeitaspekt bei Cézanne motivische Charakteristika für einen historischen Zeitabschnitt von einer erzählten Zeit im Sinne dargestellter Handlungsabläufe sowie von Darstellungsarten als interpretationsrelevante 206 207 208 K.R. Scherer: Gefrorene Gefühle, 249–274. Ph. Stoellger: Das Bild als unbewegter Beweger, 201. Einen Überblick über die unterschiedlichen Thematisierungen zum Begriff der Zeit in Texten und Bildern aus Kunst, Werbung und Wissenschaft geben: G. Ch. Tholen, M. Scholl, M. Heller (Hg.): Zeitreise sowie H. Paflik (Hg.): Das Phänomen Zeit in Kunst und Wissenschaft. Bereits 1955 stellte D. Frey Untersuchungen zur Problematik der Kongruenz räumlicher und zeitlicher Bildstrukturen vor in: ders., Das Zeitproblem in der Bildkunst. Eine systematisierte Darstellung von temporalen und ikonischen Parametern bietet H. Theissing, in: ders., Die Zeit im Bild. 172 Momente und von der Suche nach der Anwesenheit mehrerer Zeitebenen.209 Das Image Lab, ein Zusammenschluss verschiedener Bildforschungsprogramme der Nordwestschweiz, spricht dagegen davon, dass sich komponierte Zeit, dargestellte Zeit, historische Zeit und erzählte Zeit im Bild manifestieren.210 Götz Pochat wiederum inkludiert in einer Aufzählung der Möglichkeiten, wie Kunst dem Aspekt Zeit Rechnung tragen kann, auch den erzählerischen Bezug zwischen den Figuren in einem Bild sowie die ikonographische Darstellung der Zeit und die sich daraus ergebenden Symbole und schließt auch die Gliederung der historischen Zeit, zu der dann Epochen, Schöpfungsmythen und «die Frage nach dem göttlichen Heilsplan» subsumiert werden, nicht davon aus.211 Und Gottfried Boehm stellt fest, dass Zeitanalysen und Sinnbestimmungen von Zeit nicht zum methodischen Kanon des Fachs Kunstgeschichte gehören und stellt die Frage, wie Zeit in Bildern erfahren werden kann.212 Mit einem Rückgriff auf Wassiliy Kandinskys Punkt und Linie zur Fläche zeigt er – damit die Untersuchungen Imdahls zur ikonischen Zeitstruktur weiterführend213 – dass der Blick Rhythmen, Linien und Richtungen im Bildraum nachvollzieht und die damit verbundenen Bewegungsempfindungen eine Erfahrung von Zeitlichkeit generieren. Aufgrund dieser uneinheitlichen Sachlage wird hier von einer Einteilung ausgegangen, die sich an verschiedenen Dimensionen der Zeit orientiert. Werden nämlich Künstler, Bild und Publikum im Hinblick auf die Zeitlichkeit ihres bildbezogenen Wirkens betrachtet, so ergibt sich, dass sie zwischen den Polen ‘Zeitlosigkeit’ bzw. ‘Überzeitlichkeit’ und ‘Zeitgebundenheit’ anzusiedeln sind. So ist der Künstler als Mensch und in seinem Tun zeitgebunden, schafft jedoch ein Werk, das zeitlos sein kann. Wobei diese Aussage nicht uneingeschränkt gültig ist, bezieht sich doch die Zeitlosigkeit des Bildes nur auf seine Zeit überdauernde Wirkung, nicht auf seine materiellen Aspekte. Zeitlosigkeit und Zeitgebundenheit verbinden sich somit im bzw. am Bild ganz handfest, indem der materielle Gegenstand ‘Bild’ altert und die Farbe reißt oder verblasst, während das ideelle Objekt ‘Bild’ zeitlos ist. Die Betrachtenden wiederum sind als Personen und in allen ihren Bildbezügen zeitgebunden, indem die Bedeutung, die sie Bildthema oder Darstellungsart im Laufe der (historischen) Zeit geben, variieren, sich beispielsweise von künstlerischen auf finanzielle oder von religiösen auf säkulare Aspekte verlagern oder die Interpretationen eines Werks abhängig vom jeweiligen Zeitgeist unterschiedlich akzentuiert werden. Diese elementare Dualität von Zeitgebundenheit und Zeitlosigkeit und diejenige von Dauer und Verlauf bilden den Hintergrund für eine weitere Unterteilung temporaler Aspekte. Als Erstes kann grob zwischen einer Zeit der Herstellung, einer der Betrachtung und einer Zeit, die sich im Bild selbst äußert unterschieden werden – doch es zeigt sich sofort, dass auch damit von sehr verschiedenen Zeitbegriffen die Rede ist. So kann unter ‘Zeit der Herstellung’ die effektiv aufgewendete Zeit, die der Künstler zur Herstellung des Gemäldes als auch die historische Zeit, das Zeitgeschehen zur Zeit der Herstellung verstanden werden. Unter ‘Zeit der Betrachtung’ kann dagegen sowohl die messbare Dauer, die für die direkte Begegnung mit einem Bild als auch die weitergehende und nicht mehr messbare 209 210 211 212 213 Vgl. S. Cercelovic: Der Zeitaspekt, 6. Vgl. Image Lab: Bild und Zeitlichkeit. G. Pochat, A. Rohlsmann: Zeit/Los. Zur Kunstgeschichte der Zeit. (Köln 1999). Das Buch erschien anlässlich einer Ausstellung, die im gleichen Jahr stattfand. G. Boehm: Bild und Zeit, 1–23. Dazu oben ‘Ikonik’ 85–87. 173 Zeit der Kontemplation des Werks subsumiert werden, während sich ‘Zeit im Bild’ dann als die Darstellung von Aktionen und Bewegungsabläufen verstehen lässt. Im Gemälde von Mark Tansey Action Painting II (Abb. 40) zeigen sich viele der erwähnten Aspekte, darin treten die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Aktions- und Handlungsverläufe in Erscheinung, indem sich das Zeitgeschehen während der Entstehung eines Bildes, die Zeit der außenstehenden Betrachtung (wir beim Betrachten von Betrachtenden) sowie die thematische und faktische Historizität des Bildes überlagern. Der Titel action painting II und die Gesamtdarstellung verweisen auf einen weiteren diskursiven Zeitbezug, indem der Begriff action hier in einem ganz anderem als dem ursprünglich in den 1950er Jahren von action painting intendierten Sinne verwendet wird. Die Verbindung all dieser Manifestationen von Zeit kann als Ausdruck eines Ansinnens, das Hegel an die Kunst nach dem Ende der «romantischen Kunstform»214 formulierte, aufgefasst werden. Mit Blick auf die Öffnung der Kunst für thematische und stilistische Erfindungen und Freiheiten sagt Hegel: «Bei dieser Breite und Mannigfaltigkeit des Stoffs ist nun vor allem die Forderung zu stellen, dass sich in Rücksicht auf die Behandlungsweise überall zugleich die heutige Gegenwärtigkeit des Geistes kundgebe.»215 Damit ist ein Stichwort gefallen, das in der Malerei der Gegenwart von großer Bedeutung ist: Gegenwärtigkeit. Abb. 40: Mark Tansey, Action Painting II, 1984, Öl auf Leinwand, 193 x 279,4 cm, Montreal, Collection of the Museum of Fine Arts. In Bildern, die als Objekte statisch und unentwegt präsent sind, können verschiedene Markierung von Gegenwärtigkeit und Vergegenwärtigung visualisiert werden, die nichts mit realistischer Darstellung eines Gegenstandes, umso mehr jedoch mit der Darstellung eines Prozesses zu tun haben. Dieser kann sich sowohl in der künstlerischen Technik, dem Motiv oder deren Assoziationspotential äußern. So verweisen zum Beispiel Drippings, 214 215 Vgl. G.W.F. Hegel: Ästhetik, 670–682. Ebd., 677. 174 Tropfen von Farbe, die über die Bildfläche geflossen sind und immer noch zu fließen scheinen, auf den Augenblick des Fließprozesses. In Note 1 von Cy Twombly (41), einem Werk, das Bild und Sprache zu einem Bildtext und gleichzeitig zu einem Textbild verbindet, sind die Drippings ästhetischer Bestandteil des Gemäldes und veranschaulichen als angehaltenes Fließen beispielhaft eine angehaltene Zeit, Zeit, die in metaphorischer Weise selbst als fließend oder vergehend bezeichnet wird.216 Abb. 41: Cy Twombly, Note 1 (From Three Notes from Salalah), 2005–2007, Acryl auf Holz, 243,8 x 365,8 cm, San Francisco, Doris und Donald Fisher Collection. Hier wird über den Titel und die Bildgestaltung mittels Schrift wird zudem eine Verbindung zu islamischer Kunst hergestellt und damit ein zusätzlicher Aspekt von Zeitlichkeit angesprochen: Salalah, eine Stadt in Oman, ist berühmt für ihre Räucherwaren und als Karawanenstation auf der arabischen Halbinsel mit jahrhundertealten merkantilen und muslimischen Traditionen verbunden. Twomblys Bild referiert auf diese kulturellen Zusammenhänge, indem es mit der in vielen Nuancen auftretenden Farbe Grün auf die Farbe des Islam217 und mit der Schrift als Bild auf die islamische Kalligraphie anspielt sowie über Zeiten und Kulturen hinweg kulturelle Attribute adaptiert. Der Titel Note 1 unterstreicht außerdem, dass ein Bild eine Kommunikation darstellt, die Zeit und Raum überwindet. Einen ganz anderen Aspekt temporaler Strukturen weisen figurative Werke auf. Dazu gehören nicht nur Stillleben oder Vanitas-Darstellungen mit ihrer Symbolik der Vergänglichkeit, auch sakrale, biblische Szenen darstellende Kunst (Abb. 42) oder Genrebilder (Abb. 43) können im Hinblick auf zeitliche Aspekte untersucht werden. Giottos Fresko (Abb. 42) ist in eine himmlische und eine irdische Sphäre aufgeteilt, die unterschiedlichen zeitlichen Dimensionen – der Vergänglichkeit und der Ewigkeit – zugehören. Während in der irdischen Zeit Maria und die Jünger am Grabhügel knien, verweisen zwei Engel in ihrer Mitte auf das Geschehen in der Ewigkeit des Himmels. Jesus in einer goldenen Mandorla bildet das optische Bildzentrum. 216 217 Vgl. W. Stegmaier: Fließen, in: R. Konersmann (Hg.): Wörterbuch, 102–121. Vgl. A. Görlach: Die Farbe des Islam. 175 Abb. 42: Giotto, Himmelfahrt, um 1304, Fresko, Padua, Arenakapelle. Er wird beidseitig, doch in einem Abstand, der seine Heiligkeit zusätzlich markiert, von Engelsscharen flankiert. Die Darstellungsweise unterstützt in allen ihren Bestandteilen den zeitlichen Wandlungscharakter der Himmelfahrt – irdische Zeit vergeht und tritt in Ewigkeit über – indem alle Kompositionslinien eine Bewegung von unten nach oben vollziehen. Diese Bewegung beginnt in der unteren Bildmitte mit dem Grabhügel, wird von den Kleiderfaltungen, den Körperhaltungen und den Gesichtern, die den Engeln zugewandt sind, parallelisiert, von den Zeigegebärden der Engel aufgenommen und über die Wolke, die die Trennung der Sphären markiert, hinaus weitergelenkt, wo sie in der aufgerichteten Figur Jesu und vor allem in den erhobenen Armen und den aus dem Bild hinausweisenden Händen über den begrenzten Bildraum hinaus in das uns nicht mehr Sichtbare geführt wird. Dass diese Bewegung – als solche ein zeitlicher Vorgang – die irdische Zeit transzendiert, wird nicht nur durch die beiden Engel der Mitte, die außerhalb der Zeit stehen, manifest, sondern ist auch im großen blauen Himmel evident, der den Hintergrund zur Aufstiegsbewegung bildet. Blaue Pigmente waren zu Zeiten Giottos sehr teuer und wurden deshalb nur für Heiligstes in so großer Menge verwendet. Das Heilige jedoch entzieht sich der menschlich zugänglichen Zeit. Auf ganz andere Art und Weise werden verschiedene zeitliche Dimensionen im Gemälde von Weilhelm Leibl Drei Frauen in der Kirche (Abb. 43) zum Ausdruck gebracht. In diesem Werk wird Vergänglichkeit nicht nur mittels der Darstellung dreier Altersphasen augenfällig, die farbliche und lineare Kompositionsgestaltung evoziert mit ihrer Dynamik eine Bewegung, die die Suggestion eines zeitlichen Verlaufs unterstützt. Auf die hautpsächlichsten dieser Bildmittel wird hier hingewiesen. Das Bild, im Stil des Realismus gemalt, zeigt drei Frauen unterschiedlichen Alters in einer nach links ausgerichteten Kirchenbank nebeneinander sitzend. Die Bildkomposition, 176 deutlich auf den Bildachsen aufgebaut, vermittelt nun eine auffallende und unübersehbare Bewegung, die von der Gestalt der jungen Frau vorne rechts ausgeht, denn das Weiß des Göllers und der Trachtenschürze betonen die Gegendiagonale, die von den Streifen des Kleides der Frau in der Mitte verstärkt wird während die Hauptdiagonale über die Körper der Frauen, primär über deren Hände konstituiert wird: Die beiden ein Buch haltenden Hände der Jungen, die linke Hand der gebeugt Lesenden und die zum Gebet geschlossenen Hände der zuhinterst Knienden vermitteln in einem Verlauf von offenen zu geschlossenen Händen eine Bewegung des Schließens. Abb. 43: Wilhelm Leibl, Drei Frauen in der Kirche, 1881, Öl auf Leinwand, 113 x 77 cm, Hamburg, Kunsthalle. Unterstützt wird diese sichtbar gemachte Bewegung durch die Verteilung weißer Flächen: Ist bei der jungen Frau die weiße Farbe ein Attribut ihrer Kleidung, erscheint es in der Mitte nur in einer Buchseite, nimmt dann jedoch den Hintergrund hinter der Knienden ein. So tritt das Weiß des Kleidungsstücks mittels des Buches in einen als offenen Raum deutbaren Hintergrund über und kann so als Markierung eines Weges von irdischer Zeit zu nichtirdischer Zeit verstanden werden, zumal sich hinter den drei Frauen die sich kreuzenden Linien einer Senkrechten und einer Waagerechten als Verweis auf das christliche Kreuz gedeutet werden können. Damit stimmen Form und Inhalt des Bildes insofern überein, als im Kirchenbesuch Kontakt mit einer nichtirdischen Zeit aufgenommen werden kann. Mit dieser Betonung der zeitlichen Aspekte der Darstellung wird das Bild zu einem memento mori, einem Hinweis auf die Vergänglichkeit des Lebens und damit der Zeit. Bei allen Kunstwerken, seien sie nun figurativ oder nicht, spielt neben all den erwähnten Kategorien und Bezügen zu Vergangenheit oder Gegenwärtigkeit eine weitere Dimension von Zeitlichkeit eine wichtige Rolle: Die Vorläufigkeit. Sie erstreckt sich zukunftsgerichtet 177 auf alle Teile und Aspekte eines Bildes, auf seine materielle Beständigkeit ebenso wie auf die Gültigkeit von Interpretationen. Dass selbst ein als fertig präsentiertes Bild aus der Sicht des Künstlers im Zustand von Vorläufigkeit bleibt, geht aus folgenden Zitat von Picasso hervor: «Hast du schon jemals ein fertiges Bild gesehen? [...] Weh dir, wenn du sagst, du wärest damit fertig! Ein Werk beenden! Ein Bild vollenden! Wie albern! Einen Gegenstand beenden heißt ihn fertigmachen, ihn umbringen, ihm seine Seele rauben! [...] Ein Werk vollenden – l’achever – [...] bedeutet für Maler und Bildhauer etwas sehr Ärgerliches: es heißt ihm den Gnadenstoß geben!».218 Vorläufigkeit wird damit zum zukunftsgerichteten Garant für Lebendigkeit. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Präsenz eines Bildes ein Mehrfaches an Gleichzeitigkeit enthält. Diese Gleichzeitigkeiten von Historisierendem in Motiven oder Verfahren und der Gegenwart der Betrachtenden mit der Simultaneität des Dargestellten und der Darstellung lassen sich nur mittels formaler oder struktureller Bildanalysen aufdecken. Die Fragen, die dazu anleiten, lauten: Wie manifestieren sich Zeit und Zeitlichkeit in einem Gemälde? Welche temporalen Strukturen weist das Bild auf? Mit ihrer Hilfe lässt sich die Komplexität temporaler ikonischer Strukturen reduzieren und in Verbindung mit einer Analyse von Technik, Motivik, Symbolik, Assoziationspotential und Kompositionsstruktur die Darstellung von Zeit und Zeitlichkeit offen legen. Sie führen mitten in bildtheoretische und rezeptionsästhetische Diskurse und machen Zeit als Bilddimension in unterschiedlichen Ausprägungen kenntlich. In dieser Funktion werden sie Teil der Fragensammlung sein, die im nächsten Kapitel die Bildbefragung strukturiert.219 Von den untersuchten philosophischen Texten finden sich bei Gadamer die ausgeprägtesten Hinweise auf die Zusammenhänge von Kunst und Zeit. Insbesondere problematisiert er die Unterschiede zwischen einer normalen, pragmatischen Zeiterfahrung und derjenigen, die sich mittels eines Kunstwerks machen lässt, das er – analog zum Ereignis ‘Fest’ – als eine in sich strukturierte Einheit versteht und ihm deshalb auch eine Eigenzeit zugesteht.220 Im Hinblick auf «statuarische Künste» (Bilder und Skulpturen) spricht er von «Zeitgängen» und meint damit die Zeit, die es braucht, bis ein Werk in verweilender Weise zugänglich wurde. Gadamer sieht darin sogar das Wesen der Zeiterfahrung der Kunst, «dass wir zu weilen lernen».221 Im Unterschied dazu führen die Fragen, die sich aus der Lektüre von Heideggers Erläuterungen zur Kunst ableiten lassen, in eine andere Richtung. Bei Heidegger zeichnet sich ein Kunstwerk aus durch Präsenz, ein An-wesen, das prozessual, da aus dem Streit zwischen Erde und Welt, zu verstehen ist und gleichzeitig einen Akt der Sinnstiftung darstellt. Heidegger betont, dass sich im Übergang der dialektischen Bewegung von Verbergen und Entbergen eine Wahrheit zeigt, die sich im Kunstwerk eröffne. Nun können weder Heideggers Formulierungen noch kann der Inhalt von Heideggers Aufsätzen zur Kunst in sinnvoller Weise zu Fragen umgemünzt werden, die der Interpretation eines beliebigen Kunstwerks dienlich sind. Was jedoch angeregt wird, ist das Fragen nach der Wahrheit in der Kunst, speziell in der Malerei. 218 219 220 221 D. Keel: Picasso, 111. Siehe unten, ‘Philosophische Fragen als Grundlage einer Bildbefragung’, 205–211. Vgl. H.-G. Gadamer: Die Aktualität des Schönen, 52–60. Ebd., 57. 178 2.3 Wahrheit in der Malerei? «Je vous dois la vérité en peinture. Et je vous la dirai.»222 Diese Sätze Cézannes sind berühmt. Doch obwohl sie Debatten ausgelöst und philosophische sowie kunstwissenschaftliche Schriften veranlasst haben,223 kennen wir diese Wahrheit, von der Cézanne spricht, nicht. Wir kennen jedoch seine Bilder und wir wissen durch die Überlieferung seiner Briefe und die Aufzeichnung seiner Gespräche, dass er eine Wahrheit außerhalb realistischer Abbildung und unabhängig von Analogien suchte.224 Eine Bemerkung von Henri Matisse mag, obwohl sie einige Jahrzehnte nach Cézannes Brief erfolgte, ergänzend wirken: «Es gibt eine innere, eingeborene Wahrheit, die in der äußeren Erscheinung eines Objekts enthalten ist und die in seiner Darstellung aus ihr heraussprechen muss.»225 Diese Darstellung, die ein Objekt mittels Farben und Flecken repräsentiert, ist jedoch nichts anderes die künstlerische Wiedergabe der Wahrnehmungen und Empfindungen des betrachtenden Malers. Doch scheint es nun so, dass sich mittels dieser Repräsentation eine Präsenz einstellt, die als ‘Wahrheit der Präsenz’ bezeichnet werden kann, da sie die Äußerlichkeit der Erscheinung transzendiert. In diesem Spannungsfeld von Repräsentation und Präsenz wäre dann die Wahrheit als Malerei zu finden. In Bezug auf Kunst und Künstler kann sie als eine Entsprechung von Anspruch und Resultat gedeutet werden, suchen Künstler doch unabhängig von Stil oder Zeit mit ihren Werken nach einer Darstellung, die ihren wie auch immer generierten Themen oder Motiven adäquat ist. Allerdings können nur sie selbst entscheiden, ob in ihren Werken diese Entsprechung stattfindet. Zwei Hinweise mögen belegen, wie unsicher solche Beurteilungen sind. Der erste stammt von Picasso, der der Überzeugung war, dass Stil, Technik und Können nur Mittel seien, das auszudrücken, was der Künstler mit den Sinnen und dem Geist wahrnehme.226 Wer aber kann wissen, ob das, was ein Werk zeigt, auch das ist, was der Künstler ‘mit dem Auge und dem Geist’ wahrnahm? Der zweite stammt aus einem Brief von Cézanne. Dieser schreibt wenige Wochen vor seinem Tod und zu einem Zeitpunkt, zu dem seine Werke bereits seit über zwanzig Jahren auch von einem breiteren Publikum positiv aufgenommen worden waren, dass er sich frage, ob er sein Ziel je erreiche, denn er wolle mit seinem Werk die Theorien beweisen, die als solche leicht zu entwickeln, aber schwer zu realisieren seien.227 Beide Hinweise belegen Maßstäbe von Künstlern gegenüber ihrem Werk. Diese Subjektivität, die nur konstatiert oder akzeptiert, aber nicht in Frage gestellt werden kann, ist Bedingung von Kunst, sie eignet sich jedoch nicht, um den Wahrheitsgehalt eines Kunstwerks zu überprüfen. Diese ‘Wahrheit als Malerei’ scheint, so legt es auch die Wortwahl von Matisse nahe, der von einer ‘inneren, eingeborenen Wahrheit’ spricht, einer Glaubenswahrheit zu entsprechen. Deshalb liegt es nahe, auch die Wahrheit in der Malerei nach andern als wissenschaftlich-rationalen Gesichtspunkten zu bestimmen. Das Fragen muss also noch einmal aufgenommen und nach dem Bezugsrahmen und Inhalten gefragt werden: Von welchen Wahrheiten, welchem geistigen Gehalt sprechen Cézanne und Matisse? Aus den Zitaten geht deutlich hervor, dass sich die Künstler auf 222 223 224 225 226 227 Paul Cézanne am 23. Oktober 1905 an Emile Bernard, zitiert nach: J. Rewald: Paul Cézanne, 295. J. Derrida: Die Wahrheit in der Malerei; G. Boehm: Ich schulde Ihnen die Wahrheit. Vgl. ebd., 43. Zitiert nach: J.D. Flam (Hg.): Matisse, 209. Vgl. D. Keel: Picasso, 66. Vgl. M. Doran: Gespräche mit Cézanne, 66–67. 179 eine Wahrheit in den Werken beziehen, die sich als Ausdruck der Übereinstimmung von Wahrnehmen, Denken und Darstellen ergeben muss. Erst das Zusammenspiel von künstlerischen Gestaltungsfähigkeiten mit der Erkenntnis, dass Sehen nicht mit Wissen gleichzusetzen ist228 und mit dem Sinn für die Eigentlichkeit einer Person, eines Objektes oder einer Landschaft ermöglicht Porträts, Stillleben oder Landschaftsbilder, deren Wahrheitsgehalt nichts mit mimetischen Qualitäten zu tun hat. Solche Werke sind weder wahr noch falsch, drücken jedoch eine Wahrheit aus, die vom Künstler und vom Rezipienten gleichermaßen erfahren werden kann. Eine solchermaßen ästhetisch erfahrbare Wahrheit der Kunst lässt sich auch als die Erfahrung des ‘sinnlichen Scheinens der Idee’229 bezeichnen. Wenn bis jetzt nach der Wahrheit des Kunstwerks gefragt wurde, so dreht sich nun mit der ästhetischen Erfahrbarkeit von Wahrheit in der Kunst die Formulierung um und das Wesen der Wahrheit tritt in den Vordergrund. Was ist es und wie verbindet sich dieses nun mit der Kunst oder gar dem Bild? Bei Plotin findet sich ein Zusammenhang präfiguriert, der rund 1500 Jahre später von Hegel aufgenommen und in geschichtliche Deutungszusammenhänge gestellt wird. 230 Plotin stellt die Relation zwischen Wahrheit und Kunst über den Begriff der Schönheit her, denn Schönheit gehört, wie Wahrheit, zu den Wesensmomenten der ‘einen Wesenheit’, wobei Schönheit und Wahrheit einander durchdringen und doch ihr je eigenes Wesen haben.231 Von ihrem Ursprung her – als Eigenschaft des Guten, das wiederum eine Emanation des Einen und primären Schönen ist – ist Schönheit jedoch nicht ästhetisch sondern metaphysisch zu verstehen. Sie ist nicht Struktur oder Form, sondern gestalt- und formloser Glanz,232 manifestiert sich jedoch in drei verschiedenen Erscheinungsweisen: In der Kunst ist sie als intelligible Form vorhanden (i). Der Künstler hat durch die rationale Struktur seines Geistes Teil an der Schönheit (ii) und bringt sie aus der Materie und gegen deren Widerstand zum Ausdruck. Deswegen ist im so entstandenen Kunstwerk (iii) Schönheit als Gehalt anwesend.233 In diesen Stufen von Anschaulichkeit und dem sich daraus ergebenden «intuitiven Charakter des Bildkunstwerks, das seinen Gehalt als Ganzes auf einmal zur Anschauung bringt», so Jens Halfwassen, liegt begründet, dass Plotin «dessen Durchsichtigkeit auf den Geist und das Scheinen der Idee im Kunstwerk erkennt.»234 Diese Formulierung Halfwassens enthält Hegels Gedanke, dass im Kunstwerk die Idee aufscheint. Auf dem Hintergrund von Plotins Ausführungen ergibt sich allerdings ein wesentlicher inhaltlicher Zusatz. Es wird nun deutlich, dass es sich bei ‘Idee’ nicht um ein Bestimmtes, im Kunstwerk als Motiv oder Thema Dargestelltes handelt, sondern um die Idee des Einen, Guten und Schönen und, da Schönheit und Wahrheit einander durchdringen, auch um Wahrheit. Die Wahrheit des Kunstwerks ist die Wahrheit des Geistes. Der oben 228 229 230 231 232 233 234 Siehe dazu auch die Aussagen Fiedlers in: ‘Sichtbarkeit’, oben, 84–85. G.W.F. Hegel: Ästhetik, 179. Karel Hendrik Eduard de Jong hat 1916 die Ausführungen Hegels zu Plotin in den Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie einer philologischen Kritik unterzogen und wirft ihm Vergröberungen und Willkür vor. Vgl. K.H.E. de Jong: Hegel und Plotin. Die Lektüre der Schmähungen vermittelt den Eindruck erbitterter Feindschaft gegenüber dem gesamten philosophischen System Hegels. In positiver Weise und neuester Zeit hat Jens Halfwassen auf inhaltliche und begriffliche Verbindungen sowie verwandtschaftliche Topoi zwischen Hegel und Plotin hingewiesen. Vgl.: J. Halfwassen: Schönheit und Bild bei Plotin, insbes. 71, da wird in den Anmerkungen auf weiterführende Literatur zu Hegel und dem Neuplatonismus verwiesen. Vgl. L. Fladerer: Der Wahrheitsbegriff, 40. Vgl. J. Halfwassen: Schönheit und Bild bei Plotin, 75. Vgl. Plotin: Ausgewählte Schriften, Enn. V 8 [31]. J. Halfwassen: Schönheit und Bild bei Plotin, 77. 180 zitierte Satz von Halfwassen evoziert zudem die gleichzeitige Anwesenheit von Opazität und Transparenz in einem Bild, einem zentralen Charakteristikum ikonischer Logik bzw. der ikonischen Differenz.235 Im Zusammenhang mit Plotin erhält die Transparenz nun ein Ziel: Sie ist auf die Idee oder die Wahrheit in obigem Sinne gerichtet. Halfwassen postuliert, dass für Plotin die Schönheit des Bildes in eben dieser Transparenz auf das es übersteigende Unsichtbare hin liege.236 «In dem der Schönheit eigenen Transparenzbezug gründet für Plotin die Wahrheit des Bildes und darum liegt die Wahrheitsfähigkeit der Kunst auch gerade in dem Bildcharakter ihrer Werke.»237 Hier kann nun angefügt werden, dass auch heute die Wahrheit des Bildes nur in diesem Kontext zu verstehen ist, auch wenn Schönheit nicht mehr zu den Eigenschaften der Kunst zählt. Nun, nachdem eine Antwort auf die Frage nach dem Wesen der Wahrheit, die sich in der Malerei ausdrücken kann, gefunden wurde, kann die Frage nach ihrer Erscheinung im Bild wieder aufgenommen werden. Sie führt zu einer Allegorisierung des Begriffs. Wenn Nietzsche fragt: «Vielleicht ist die Wahrheit ein Weib, das Gründe hat, ihre Gründe nicht sehen zu lassen?», dann allegorisiert er die Wahrheit, jedoch nicht nur die Wahrheit als solche, sondern mit dem Nachsatz «Vielleicht ist ihr Name, griechisch zu reden, Baubo?»238 ganz speziell die nackte – die absolute – Wahrheit, ist Baubo doch eine Figur der griechischen Mythologie, die ihre Vulva entblößt. Rother, der die beiden Nietzsche Sätze als Bezugsrahmen für eine philosophische Betrachtung von «Nu au rideau jaune» von Edgar Degas einsetzt,239 legt dar, wie dieses Gemälde als eine allegorische Darstellung der nackten Wahrheit verstanden werden kann. Der Vergleich der Darstellung und Attribuierung durch den Maler und diejenige durch den Philosophen bringt eine so große Verwandtschaft zu Tage,240 dass es angebracht und zulässig ist, gerade dieses Bild als Allegorie der Wahrheit zu bezeichnen, vereinigt doch der Akt die metaphorischen Zuschreibungen der ‘Wahrheit’ in großem Maße. Als Beleg dient Cesare Ripas Iconologia241 in der die Wahrheit als Emblem (Abb. 44) dargestellt ist. Es zeigt die für die Erscheinung der Wahrheit unabdingbaren Eigenschaften und Attribute. Hier steht eine halbnackte Frau mit entblößter Brust außerhalb einer Stadt in einem nicht näher zu definierenden Gebiet, auf einem einer Insel gleichenden, erhöhten Areal, das von Wasser (?) umgeben ist. Mit der rechten Hand und einer leichten Neigung des Kopfes zeigt sie mit geöffneter Hand auf eine mit einem menschlichen Gesicht und einem dichten Strahlenkranz ausgestattete Sonne, deren Blick sich geradewegs aus dem Bild heraus auf den Betrachter richtet. Die Sonne ist so über der Handfläche positioniert, dass der Eindruck entsteht, sie würde auf den Fingerspitzen balanciert, also Attribut der Person sein. In der Linken hält sie ein pflanzliches Gebilde, einen dreifiedrigen Stängel. Zwischen der linken Hand mit dem Stängel und ihrem Leib befindet sich ein offenes Buch. Die Hüften der Frau sind vom Faltenwurf eines Tuchs knapp umspielt, so dass die Beine gut sichtbar sind. 235 236 237 238 239 240 241 Zu Opazität und Transparenz siehe oben, 90. Vgl.: J. Halfwassen: Schönheit und Bild bei Plotin, 77. Ebd., 77–78. F. Nietzsche: Die fröhliche Wissenschaft, 352. W. Rother: Der nackte Körper. Das Gemälde von Degas und Nietzsches Sätze in Die fröhliche Wissenschaft erschienen beide in den 1880er Jahren, «in der gleichen geistigen Atmosphäre», so Rother. Eine andere als diese Verbindung zwischen dem Maler und dem Philosophen habe es nicht gegeben. Vgl.: W. Rother: Der nackte Körper, 184. Siehe dazu oben, 42, Anmerkung 132. 181 Abb. 44: Verità, aus: Cesare Ripa, Iconologia, vol. 5, p. 360. Der rechte Fuß ist auf eine Kugel gestellt, was, technisch betrachtet, den Kontrapost motiviert, inhaltlich aber als über der (Welt)-Kugel stehend gedeutet werden kann. Der Eindruck dieses Über-den-Dingen-Seins wird durch die verschiedenen Flügelmotive unterstützt: Auf der Höhe ihrer Hüften sind Schraffuren so angeordnet, dass sie sowohl als Wolkenformationen als auch als Flügel erscheinen, der Stängel ist dreiflügelig, die Seiten des geöffneten Buches wirken ebenfalls geflügelt und der Faltenwurf des Tuches ist in Bewegung und unterstreicht die Wirkung von Volatilität. Die Personifizierung der Wahrheit – die Wahrheit als Bild im Bild – enthält somit alle die Charakteristiken, mit denen der Begriff ‘Wahrheit’ umschrieben und seit der Antike in Beziehung gesetzt wird. So verweist das Bild der Sonne als Quelle des Lichts, ohne das keine Einsicht und keine Erkenntnis möglich ist,242 auf Platons Sonnengleichnis.243 Als Äquivalent mit dem Guten und dem Absoluten ist sie Bedingung und Garant für Erkenntnis von Wahrheit. Zur Sonne und zum Licht gehört jedoch auch Schatten, analog der Beziehung von Wahrheit und Unwahrheit. In Abb. 43 ist er an der Figur und auch am Gemäuer der Stadt im Hintergrund physikalisch annähernd richtig angebracht. Am Rand des Hügels jedoch, auf dem die verità steht, hat die dunkle Schraffur deutlich andere Funktionen: Da erhöht sie die Plastizität der Figur und unterstreicht deren Helligkeitsaspekte. Kann sie nicht gerade deswegen als die Zone, die hinter der Wahrheit noch der Erleuchtung bedarf, verstanden werden? Das Buch, das die verità mit sich trägt, ist ebenfalls in mehrfacher Hinsicht interpretierbar, repräsentiert es doch sowohl göttliche als auch irdische Weisheit und Wahrheit. Das Bild des Buches als Form der Versicherung und Vergegenwärtigung des Heiligen wird 242 243 Ein Sinnzusammenhang, der sich im Begriff der Aufklärung ebenso wiederfindet wie in der sprichwörtlichen Redensart von der Sonne, die etwas an den Tag bringt, d.h., eine Wahrheit aufdeckt. Platon: Politeia VI 508a–509d. 182 zudem von der Metapher vom Buch der Natur oder des Lebens überlagert und gilt außerdem als Verweis auf kulturelle Leistungen und die Philosophie als solche, die über Texte tradiert werden.244 Auch damit wird bestätigt, dass die Wahrheit gleichzeitig über der Welt und in der Welt steht und die beiden Sphären zu verbinden weiß. Selbst das Tuch, das den Körper der allegorischen Figur partiell verhüllt, ist als eine Anschauungsform für Wahrheit zu verstehen, denn als Gewebe ist es dem Schleier verwandt und einem ähnlichen Bedeutungsfeld zuzuordnen wie dieser. Beide, Tuch und Schleier, bieten die Möglichkeit zur Verhüllung wie zur Offenlegung eines Gegenstandes.245 Gerade in seiner flüchtigen, halb schwebenden Erscheinung verweist das Tuch, das die verità um die Hüften trägt, auf diese antonymische Beziehung: Durch sein Vorhanden-Sein bewahrt es ein Geheimnis, durch seine Spärlichkeit gibt es viel von der ‘nackten Wahrheit’ preis. Wenn nun also Rother Nietzsche zitiert, der sagt, dass er ‘nicht mehr daran glaube, dass Wahrheit noch Wahrheit bleibt, wenn man ihr die Schleier abzieht’, und daraus schließt, dass zur Wahrheit die Verschleierung gehört,246 dann reihen sich Nietzsche und Rother mit ihren Aussagen nahtlos in die ikonologische Tradition zum Begriff ‘Wahrheit’ ein, der das Bild von Degas ebenfalls eingeschrieben ist. Verbergen und Enthüllen, dieses Spannungsverhältnis wird auch von Heidegger als Ursprung und Ausdruck von Wahrheit betrachtet. Sie zeigt sich als Streit zwischen Entbergen und Verbergen, einem Streit, der zwischen Erde und Welt stattfindet. 247 Aus dieser dialektischen Bewegung geht das Kunstwerk hervor, in dem Wahrheit geschieht.248 Die Frage nach dem mit Kunst in Zusammenhang verwendeten Wahrheitsbegriff hat also drei Antworten gebracht: 1. Wahrheit kann als Resultat der Malerei erscheinen, wenn sie (primär von den ausführenden Künstlern) als Übereinstimmung von Gesehenem, Gedachtem oder Vorgestelltem mit dem Dargestellten verstanden wird. 2. Wahrheit kann in metaphysischem Sinn auf außerhalb des Kunstwerks liegende geistige Sinnebenen verweisen. 3. Wahrheit kann in der Malerei als Allegorie auftreten. Es ist vorstellbar, dass diese Erscheinungsweisen von Wahrheit in ein und demselben Bild auftreten. Auf diesem Hintergrund lassen sich nun die in kunstphilosophischem oder kunstwissenschaftlichen Kontext auftretenden Wahrheitsbegriffe einordnen und es wird deutlich, weshalb das Moment der aktiven Kunstrezeption von allen hier einbezogenen Philosophen als unabdingbar bezeichnet wird. Wahrheit tritt auch in der Kunst nie nackt auf, sie kann nur kaschiert erscheinen, sei es in Formen und Farben, Relationen von ikonischen Elementen oder in Figurationen. Dies kann jedoch nur, so die Philosophen in unterschiedlicher Ausdrucksweise aber übereinstimmendem Sinngehalt, in der Reflexion der Erfahrung des Kunstwerks erkannt werden.249 Darin liegt die ‘besondere Leistung des Tätigseins’, die Gadamer als Voraussetzung für einen möglichen Erkenntnisgewinn durch Kunst fordert250 und die bis heute nichts von ihrer Aktualität eingebüsst hat. Das Erbe der langen ikonologischen und philosophischen Tradition des Wahrheitsbegriffs lässt sich im Kunstzusammenhang bis heute nachweisen. Zum Beispiel in der Rede von der ikonischen Differenz, die als aktives Prinzip zu verstehen ist und vor allem mit ih244 245 246 247 248 249 250 Vgl. Olaf Breidbach, in: R. Konersmann (Hg.): Wörterbuch, 204–205. Vgl. Patricia Oster, in: ebd., 331. Vgl. W. Rother: Der nackte Körper, 186. Vgl. M. Heidegger: Ursprung des Kunstwerks, 30. Ebd., 41. Rothers philosophische Bildbetrachtung ist dafür beispielhaft. Vgl. H.-G. Gadamer: Aktualität des Schönen, 10. 183 ren die enthüllenden und verhüllenden Aspekte des Bildes betonenden Charakterisierungen direkt an die Wahrheitsallegorik anschließt. Es findet sich ebenso, wenn davon gesprochen wird, dass ein Kunstwerk eine Gegebenheit ‘erhellt’ oder bisher ungesehene Aspekte in einem noch nie gesehen Licht aufzeigt. Darin wirkt die Lichtmetapher, die hinter dem Ver- und Enthüllen der Wahrheit steht und im verità-Emblem als Sonne so deutlich an die Wahrheit gebunden gezeigt wird, ebenfalls bis heute nach. Selbst ohne gegenständliches Bildsujet wirkt die allegorische Kraft des Bildes, da jedes Bild an sich als Verkörperung des Abstraktums ‘Wahrheit’ und als Möglichkeit des Sehens in eine andere als die Alltagswelt verstanden werden kann. Mit dieser Formulierung bleibt das Bild in metaphorischer Weise ein Fenster, das sich allerdings nicht mehr auf eine perspektivisch vermessbare Welt öffnet, sondern auf eine, die immer wieder neu erschlossen werden muss.251 Zu den philosophischen Fragen, die im nächsten Kapitel als Grundlage einer Interpretation nichtgegenständlicher Werke dienen sollen,252 gesellen sich deshalb noch die folgenden: Wie lässt sich Wahrheit als eine Kategorie des Kunstwerks feststellen? Welcher Art Wahrheit ist eine Wahrheit, die sich im Kunstwerk nachweisen lässt? 2.4 Ein offenes Kunstwerk «Was ist ein Bild?» Die bisherigen Antworten verdeutlichen, dass das Bild als Kunstwerk nur unter den Bedingungen der Akzeptanz der Kontingenz als bestimmendem Merkmal und der Multiperspektive als Rezeptionshaltung erfasst werden kann. Das Zusammenwirken verschiedener inner- und außerbildlichen Komponenten hat Umberto Eco unter dem Ausdruck ‘das offene Kunstwerk’ beschrieben.253 Eco selbst machte früh deutlich, dass er den Begriff der Offenheit nicht als Bedeutung eines Kunstwerks, sondern als ein Modell dafür versteht, wie Bedeutung erzeugt wird. Wörtlich schreibt er: «Das Modell eines offenen Kunstwerks gibt nicht eine angeblich objektive Struktur der Werke wieder, sondern die Struktur einer Rezeptionsbeziehung; eine Form ist beschreibbar nur, insofern sie die Ordnung ihrer Interpretation erzeugt.»254 Das heißt, ein Kunstwerk wird im Rahmen dieses hypothetischen Modells als Form und als Struktur aufgefasst, als ein System von Relationen und von Relationen verschiedener Ebenen, die in einer bestimmten Rezeptionsbeziehung zu denen Rezipierenden stehen.255 Hinter diesem Konzept steht das Verständnis der Werke, ihrer Strukturen und ihrer Rezeption – der Performativität insgesamt – als kommunikativ. Einerseits stehen die Bildelemente untereinander und zum Bildganzen in Beziehung, andererseits wirken sie in diesen Relationen über das Werk hinaus und affizieren die Rezipierenden. Diese besondere Art des wechselseitigen sich Aufeinanderbeziehens von Werk internen und Werk externen Momenten, Eco spricht von einer «Verschmelzung der Elemente», charakterisiert er als «das ästhetische Faktum», das die westliche Kultur als Merkmal von Kunst betrachtet.256 251 252 253 254 255 256 A. Friedberg zeigt auf, wie der Topos ‘Fenster’ die westliche Kultur durchzieht, von Albertis Kunsttheorie, die das Bild als Fenster versteht bis zum Computerbetriebssystem Window und dem screen als ‘Fenstermanager’. Vgl. A. Friedberg: The Virtual Window. Siehe unten, 205–211. Vgl. U. Eco: Das offene Kunstwerk. (Das italienische Original erschien 1967 unter dem Titel Opera aperta). Ebd. 15. Ebd. 14–15. Ebd. 183. 184 Der Ausdruck vom offenen Kunstwerk schließt jedoch nicht nur die Beziehungen aller an der Präsentation und Rezeption beteiligten Elemente ein. Eco betont und verweist dabei explizit auf Riegl und Panofsky, dass ‘das offene Kunstwerk’ auch das ‘Kunstwollen’257 meint oder einen «letzten und endgültigen Sinn [...], den man in verschiedenen künstlerischen Phänomenen antreffen kann, unabhängig von den bewußten Entscheidungen und psychologischen Einstellungen des Urhebers.»258 Mit dem Hinweis auf das Antreffen von Sinn verlagert sich die Stellung der Rezipierenden von passiv Empfangenden zu aktiv Partizipierenden. Denn Sinn kann nur angetroffen werden, wenn man in einer untersuchenden oder fragenden Haltung auf das Werk zugeht. Diese aktive Rolle der Rezipierenden versteht das Werk und seine Interpretation als Prozess, der aufgrund der Offenheit des Werks ständig erneuert werden kann. Damit ist ein Bogen geschlagen zur Auffassung, die in den philosophischen Texten in Kapitel 3 zum Ausdruck kam: Dass eine Begegnung, zwischen Rezipient und Bild, die sich als Erfahrung im Beschreibungs- und Interpretationstext niederschlägt, am Ursprung jeder Interpretation steht. Für Eco umfasst der Begriff der Offenheit somit auch die ästhetische Kommunikation zwischen Werk und Rezipierenden. In der Möglichkeit einer wechselseitigen Spiegelung zwischen dem «Wollen des Formenden und der Antwort des Rezipierenden»259 sieht Eco die Rahmenbedingungen dafür, dass das Kunstwerk als «epistemologische Metapher» erscheinen kann.260 Aus der semiologischen Sicht Ecos befindet sich die Bedeutung eins Werks in seinen Strukturen. Diese Auffassung deckt sich mit Imdahls Ikonik-Modell, das davon ausgeht, dass Bildfelder, Feldlinien und die planimetrische Komposition insgesamt die Sinnstruktur eines Bildes tragen.261 Die Bildstruktur als Bedeutungsträgerin ist auch als Grundlage einer ikonischen Logik auszumachen, deren Komponenten zu großen Teilen aus nichtdarstellenden Elementen bestehen und nach einer – in gestaltpsychologischem Sinne – Vervollständigung durch die Rezipierenden verlangen. Das gleiche Verständnis von Formen und Strukturen als Ausdruck von Sinn steht hinter den Schritten der hier zur Anwendung kommenden philosophischen Bildbefragung. Denn mit der Untersuchung von Herstellungskontexten, von Bildraum/Bildfläche und von temporalen Aspekten treten ausschließlich strukturelle Bildelemente und ihre wechselseitigen Relationen in den Vordergrund, um dann in eine Interpretation übersetzt werden zu können. Gerade ein abstraktes Gemälde, das «ehe es ein Feld von zu treffenden Wahlen wird, schon ein Feld getroffener Wahlen ist»262 bietet den Rezipierenden zwar ein Höchstmass an Freiheit, doch diese Freiheit ist, bei Bradfords Things fall apart ebenso wie bei Joan Mitchells Untitled an das Registrieren von Konstellationen und Konfigurationen zurückgebunden. Welchen Qualitäten oder Dimensionen diese innerbildlichen Relationen zugeordnet werden, liegt in der Wahl der Rezipierenden und es ist in dieser Freiheit der Wahl von Vorgaben, die die Rezeption lenken, in der die Chance zu einer erfolgreichen, das heißt nachvollziehbaren und einleuchtenden Interpretation oder zu deren Scheitern liegt. Eco formuliert mit dem Modell des offenen Kunstwerks die theoretischen Grundlagen zur Annäherung an Kunst im Allgemeinen. Es ist aber insbesondere in Beziehung zu abstrakter Kunst von großer Bedeutung. Denn gerade durch die Gestaltungs- und Ausdrucks257 258 259 260 261 262 Vgl. ‘Exkurs Kunstwollen’, oben, 133–135. U. Eco: Das offene Kunstwerk, 12. Vgl. U. Eco: Das offene Kunstwerk, 159. Vgl. ebd. 160. Vgl. dazu die ikonische Interpretation oben, 86–87 der Gemälde von Newman, Jericho, Abb. 22 und oben, 93–94 von van Ruisdeal, Die Mühle von Wijk, Abb. 24. U. Eco: Das offene Kunstwerk, 180. 185 vielfalt, die seit der klassischen Moderne die Kunst prägt, wird die Offenheit des Kunstwerks und die damit verbundene Aufforderung an die Rezipierenden zur aktiven Teilnahme betont und insbesondere die kommunikativen Aspekte, die eine Beziehung zwischen Bild und Betrachtenden gestalten, hervorgehoben. Über die «hemmungslosen Ausbrüche» des Informel, bzw. des action painting schreibt Eco, dass es die Registrierung einer Gebärde ist, die «einmal ausgeführt irreversibel ist» aber als Zeichen in allen Richtungen durchlaufen werden kann und damit ein Feld umschreibt, das uns «auf die Suche nach der verlorenen Gebärde leitet, auf eine Suche, die im Wiederfinden der Gebärde und mit ihr der kommunikativen Intention endet.»263 Damit ist ein Modus der Interpretation programmatisch skizziert, ohne den nichtgegenständliche, gestisch gemalte Werke unverständlich bleiben müssen. Er lässt sich mit zwei Stichworten umreißen: Suche und Nachvollzug. Die abstrakte Malerei mit ihren Zeichen, die auf nichts referieren als darauf, Spur der Gebärde und gleichzeitig Gebärde selbst zu sein, fordert dazu auf, Beziehungen herzustellen, Konfigurationen zu bilden, die Bildfläche als Bildraum formal zu organisieren. Doch, so Eco, «die im Zeichen fixierte ursprüngliche Gebärde [orientiert] uns in bestimmte Richtungen, führt uns zur Intention des Urhebers zurück,»264 die allerdings in ihrer Erscheinung an die Grenzen des in Sprache Übersetzbaren, des sprachlich Artikulierbaren, führen. Die Offenheit der ästhetischen Information, verursacht durch das gleichzeitige Auftreten verschiedener Typen von Leerstellen,265 steht damit einer relativen Offenheit der Interpretation gegenüber. In dieser Dialektik von «Kunstwerk und Offenheit ist so das Fortbestehen des Kunstwerks die Garantie für die kommunikativen Möglichkeiten und zugleich für die Möglichkeiten zu ästhetischem Genuss»,266 schreibt Eco und unterstreicht damit eine besondere Form ästhetischen Genießens: Diejenige, die dazu führt, «die Welt gemäß der Kategorie Möglichkeit zu begreifen, zu fühlen und damit zu sehen.»267 Sehen wird damit zu einem Abenteuer, das auf unbekanntes Terrain führt. Die im nächsten Kapitel vorgeschlagenen Befragungsschritte bieten dazu ein Koordinatensystem, die helfen, den eigenen Standort zu bestimmen. 3. Hermeneutische Konsequenzen Das Wesentliche der Kunst, dies zeigen die verschiedenen philosophischen Positionen deutlich, manifestiert sich darin, dass sich in ihr verschiedene Dimensionen verbinden – diese Aussage kommt einer Antwort auf die ‘Rätselfrage’ wohl am nächsten. Ob diese Dimensionen von Hegel als Diesseits und Jenseits oder von Heidegger als Seiendes und Sein bezeichnet werden, ob die Akzente wie von Weitz auf konzeptionelle Merkmale, auf die Beziehung zwischen dem sinnlich Erfahrbaren und dessen Bedeutung (wie bei Goodman) oder auf diejenige zwischen Objekt und Subjekt (Gadamer) gelegt werden – das Außerordentliche der Kunst findet sich darin, dass in ihr diese Dualismen und Dichotomien zusammenfallen. Kunst kann deshalb als Ort des Übergangs betrachtet werden, ihr haftet etwas Metamorphotisches, nicht eindeutig Fassbares an, was sich in der Begriffsgeschichte von ‘Kunst’ ebenso spiegelt wie im großen Begriffsumfang, der eine eindeutige Be- 263 264 265 266 267 Ebd. 181–182. Ebd. 183. Vgl. ‘Elemente ikonischer Absenz’, oben, 109–131. U. Eco: Das offene Kunstwerk, 185. Ebd. Hervorhebung durch den Autor. 186 stimmbarkeit verunmöglicht. Erst mittels Analogieschlüssen kommt es zu sinnvollen Aussagen über Inhalte, Eigenschaften und das Wesen der Kunst. Das Rätsel ‘Kunst’ kann also auch von den vorgestellten philosophischen Konzepten nicht gelöst werden Doch diese behandeln unterschiedliche Aspekte dessen, was als anthropologische Konstante bezeichnet werden kann, nämlich, dass der Mensch Objekte schafft oder bestimmt, die über ihre sinnlich-materielle Verwendung hinaus mit Bedeutung aufgeladen sind. Durch wen und in welchem Kontext diese Objekte als Kunst bezeichnet werden, ist von sich ändernden kulturellen Bedingungen abhängig, ändert aber nichts daran, dass sie grundsätzlich zwei Sphären, einer weltlichen und einer geistigen, angehören. Kunstwerke sind zwar physikalisch beschreibbar und stellen als formale Gebilde etwas dar (und sei es das Gebildesein als solches), doch das, was sie darstellen unterscheidet sich von dem, was sie bedeuten und was über sie gedacht werden kann. Eigenschaften und Erscheinungsweisen des Bildes als Kunstwerk lassen sich mittels des Konzepts der ikonischen Differenz weitgehend theoretisch fassen oder gar beschreiben. Sein Wesen jedoch ist ohne die von philosophischer Seite im Zentrum stehenden Bezogenheit von Welt, (historischer) Zeit und Mensch nicht vollständig charakterisiert. Denn erst die Einbeziehung des Ereignishaften der Transformation von Materialität in Immaterialität oder von bildinternen Relationen in rational und emotional wirksame Bedeutung – die Performativität insgesamt – erschließt das Wesen des Bildes. «Bildlichkeit [...] konstituiert eine Sinnräumlichkeit, eine Medialität, die welthaftes Gepräge besitzt», 268 schreibt Hans Rainer Sepp in seiner Untersuchung zur Beziehung von Bild und Welt und stellt «das Verhältnis von Medialität (als Welterschlossenheit) und Welt als dasjenige einer paradoxen Einheit»269 dar. Eben dies trifft auch auf das Spannungsverhältnis von innerbildlicher Wirklichkeit und außerbildlicher Realität zu, auch sie fallen weder in eins zusammen, noch fallen sie gänzlich auseinander.270 In dieser Paradoxie liegt die Ursache dafür, dass das Bild als Ort der Verwandlung sowie als Medium und Agens bezeichnet werden kann, denn sie verweist darauf, dass im Bild ein stets gegenwärtig wirksamer Wandel stattfindet. Daraus ergeben sich hermeneutische Konsequenzen: Die Untersuchung der philosophischen Texte hat gezeigt, dass nicht nur bei Hegel, Heidegger und Gadamer die Geschichtlichkeit von Objekt und Subjekt des Erkennens zentrale Momente der Analyse von Kunst und ihrer kulturellen Stellenwertes ist, sondern dass die Veränderbarkeit und Vorläufigkeit von Aussagen zur Kunst auch zentrale Bestandteile der antiessentialistisch-funktionalistischen Theorien von Weitz und Goodman sind. Die Revidierbarkeit von Urteilen über den Status von Objekten bildet bei letzteren geradezu die Grundlage ihrer Ausführungen. Die Transmutation – von Goodman wohl nicht ohne Absicht als Transfiguration bezeichnet,271 da die Verwandlung eines Alltagsgegenstandes in ein Kunstobjekt eine Erhebung, also Verklärung, bedeutet – diese Wandelbarkeit bleibt nicht ohne Affekt auf die Rezeptierenden. Genauso, wie deren sich ändernde Einstellungen oder Rollen die Interpretation eines Werks affizieren und in ihr reflektiert werden. Die Akzeptanz dieser Relationalität von Wissen bzw. Erkenntnis findet sich sowohl in philosophischer Hermeneutik als auch in der Kunstwissenschaft.272 268 269 270 271 272 H.R. Sepp: Welt-Bilder, 140. Ebd., 144. Ebd. N. Goodman: Transfiguration of the commonplace. Vgl. dazu oben 12. 187 Darüber hinaus hat jedoch die Lektüre der philosophischen Texte deutlich gemacht, dass es zu den Aufgaben des Verstehens gehört, die Bedingungen eines relationalen Wissens bewusst zu machen. Daraus, dass es nicht nur durch die Kunst und die Kunstwerke, sondern ebenso durch die Rezipierenden und darüber hinaus durch die sich verändernden Beziehungen zwischen ihnen konstituiert wird, ergibt sich die Aufgabe, den Interpretationsprozess aus verschiedenen Perspektiven zu untersuchen. Damit ist eine allgemeine hermeneutische Konsequenz formuliert, die sich aus der Analyse der philosophischen Ausführungen zur Ästhetik ergibt. Die Kunstgeschichte hat viel Wissen um die Historizität von Kunstwerken, ihren ikonographischen Motiven, den Darstellungstechniken und Motivationen gesammelt. Für die Rolle der Sammelnden selbst ist dabei vergleichsweise wenig Bewusstsein entwickelt worden. Aus dieser Situation lässt sich eine Spezifizierung der hermeneutischen Konsequenz ableiten, die sich in der Fokussierung auf eben diese Rolle abbildet, vermag doch die Beschreibung des Bildes und seiner Wirkung in Konzepten von Ereignis und Performativität zu erhellen, dass sich die Hierarchie des Subjekt-Objekt-Verhältnisses zwischen Bild und Betrachter umkehrt. So verlieren die Betrachtenden durch die Transformationspotenz, die das Bild in seiner Performativität entwickelt, ihren Subjektstatus und werden zu Objekten des Bildes, das Bild wirkt auf sie ein, sie sind nun diejenige, die auf das Bild reagieren. Als eine weitere Antwort auf die Frage, was das Bild sei, ergibt sich deshalb auch die Antwort: Das Bild ist agens, weil es in sich die Potentialität enthält, die Erfahrung der Betrachtenden zu verändern. Die Akzeptanz dieses Sachverhaltes führt im Rahmen eines Interpretationsprozesses dazu, die Beziehung zwischen dem Bild und den es Betrachtenden bzw. Interpretierenden nicht zu verdecken, sondern zu problematisieren und wo möglich offen zu legen. Das kann beispielsweise dadurch geschehen, dass Rezeptionsbedingungen explizit gemacht werden und der Interpretationsvorgang als solcher reflektiert wird.273 Außerdem kann das Bewusstsein dafür geschärft werden, dass und wie sich das Selbstverständnis der Rezipierenden in der Interpretation niederschlägt. Dieser Vorgang wird im nächsten Abschnitt unter dem Titel ‘Rolle und Perspektivität’ exemplifiziert. Anhand kurzer Bildbeschreibungen wird gezeigt, dass die Sprache der Deskription unter Umständen mehr über die Rolle des Beschreibenden als über das Beschriebene auszusagen vermag. Damit gerät der ein Kunstwerk beschreibende Text in den Fokus. Dieser ist direkter Ausdruck der Begegnung der Interpretierenden mit einem Werk, in ihm manifestiert sich das relationalreflexive Verhältnis zwischen einem Subjekt und einem Objekt. Es ist der erste Ort einer manifesten Verwandlung von Eindruck in Ausdruck, von Synthese Zugleich bildet er die Grundlage jeder kunstwissenschaftlichen Interpretation. Unter der Überschrift ‘Ut pictura poesis? Ut pictura descriptio’ werden diese Funktionen einer Bildbeschreibung in Erinnerung gerufen. 3.1 Rolle und Perspektivität Rollenspiele werden in Pädagogik, Psycho- und Verhaltenstherapie als Methoden gruppendynamischer Lernprozesse eingesetzt. Ihr Ziel ist das Veranschaulichen unterschiedlicher Verhaltensweisen in einer gegebenen Situation. Zum Begriff der Rolle meint Otto F. Bollnow, dass er sich 273 Beides wird im nächsten Kapitel Teil der Bildbefragungen sein, vgl. unten, 205–211 bzw. 212–241. 188 in den modernen Sozial- und Verhaltenswissenschaften als überaus fruchtbar erwiesen [hat]. Weite Bereiche des menschlichen Daseins sind mit seiner Hilfe durchsichtig geworden. Wie der Mensch in seinem Leben jeweils eine bestimmte Rolle spielt, als Vater oder Sohn, als Arzt oder Patient, als Lehrer, Beamter, Kaufmann, Kellner usw., ergeben sich dabei bestimmte typische Verhaltensweisen, die diesen Rollen spezifisch zugeordnet sind.274 Er fährt mit dem Hinweis fort, dass die Rolle nicht nur das äußere Gehabe, sondern auch die innere Einstellung bestimme.275 Diese Auswirkungen einer Rolle sind der Grund dafür, dass der Begriff hier, im Zusammenhang mit dem Thema ‘Bildbeschreibung’, verwendet wird. Mit ihm öffnet und konkretisiert sich der Zugang darauf, dass die Betrachtung eines Bildes durch den Beschreibenden eine bedingte ist, ganz im Sinne von Mieke Bal und Norman Bryson, die überzeugend ausführen, dass der Blick, mit dem auf ein Bild geschaut wird, sich verändert und zu anderen Resultaten führt, je nach dem, wie die Beziehung zwischen Bild und Betrachter definiert wird.276 So wird ein Betrachter, der in der Rolle des Kritikers vor einem Bild steht, nicht nur andere Aspekte des Dargestellten beachten, sondern anders schauen und das Ganze des Bildes anders einordnen als jemand, der in der Rolle eines Regisseurs auf das Bild wie auf eine Bühne schaut oder als jemand, der gewissermaßen in der Rolle eines Detektivs den Rätselcharakter eines Bildes auflösen will277 oder gar wie jemand, dem das Bild ein Feind ist, denn es zu besiegen gilt. Jede Rolle entspricht einer Haltung, die die Perspektive auf das Kunstwerk bestimmt. Das heißt nichts anderes, als dass sie das Interesse steuert, welches das Sehen leitet. In der Umkehrung wiederum bedeutet dies, dass eine Rolle bzw. eine Perspektive nötig ist, um zu einer kohärenten Beschreibung zu gelangen. Mit einem schweifenden Blick lässt sich keine Beschreibung erstellen, eine strukturbildende Perspektive ist unabdingbar. Perspektive – der Begriff stammt aus dem Bereich der visuellen Wahrnehmung: Lateinisch ‘perspicere’ bedeutet durchschauen, genau schauen, erkennen – ist heute ein «Basisbegriff aller Geisteswissenschaften [...] bzw. aller Redeweisen, die sich mit der Struktur von Sinnbildung beschäftigen»278 und die Konsequenz einer Rolle. Zudem sind beide, Rolle und Perspektive, prinzipiell veränderbar sowie von der Person trennbar. Doch obwohl beide sich auf die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt beziehen, bestehen Unterschiede in ihren Wirkungen. Eine Erklärung für die Wichtigkeit der Rolle findet sich unter dem Blickwinkel eines anthropologischen Rollenbegriffs, 279 demzufolge das Ich des Menschen sowohl in ein Verhältnis zu seinem Körper als auch zu seiner Außenwelt tritt. «In der Distanz zu ihm selber (dem Körper, AT) ist sich das Lebewesen als Innenwelt gegeben. Das Innen versteht sich im Gegensatz zum Außen,»280 formuliert Helmuth Plessner und legt dar, dass diese Distanz zwischen Innen und Außen nur überbrückt werden kann, indem sich das Innen zum Außen verhält. Dieses Verhalten äußert sich in einer Rolle, einem kulturellen Verhaltensmuster. Eine Rolle ist demzufolge zwingend für die Überbrückung zwischen Innenwelt und Außenwelt bzw. deren Verschränkung. Sie wird festgelegt, so Plessner in 274 275 276 277 278 279 280 O. F. Bollnow: Freiheit von der Rolle, 374. Ebd. M. Bal, N. Bryson: Semiotics, 174–208, insbesondere 196–197. Dagmar Schmauks regt dazu an, ein Bild wie eine ‘Tatortskizze’ zu betrachten, in: dies.: Semiotische Streifzüge, 206–207. W. Köller: Perspektivität und Sprache, 6. Zu verschiedenen Rollentheorien vgl. H. Kassel: Rollentheorien oder H. Petzold: Rollentheorien, Rollenkonflikte. Helmuth Plessner zitiert in Hildegard Kassel, ebd., 94. 189 seiner Studie Zur Anthropologie des Schauspielers, «durch das jeweilige System der gesellschaftlichen Arbeit nicht weniger [...] als durch die Auffassung ihres Wertes und ihrer Würde.»281 Dabei wirkt sie sich auf das Verhalten ebenso aus wie im Blick auf die Welt, in der Art der Betrachtungsweise. Doch so wie Schauspieler verschiedene Rollen übernehmen können, so können auch im Zusammenhang mit der Bildbetrachtung wechselnde Rollen übernommen werden. Jeder Rollenwechsel jedoch, den man einem Bild gegenüber einnimmt, geht mit einer Veränderung der Sichtweise einhergeht und wirkt sich in der Akzentuierung der Beschreibung aus. Wie in Ergänzung dazu liest sich Wilhelm Köller, der in der ‘Perspektive’ bzw. der ‘Perspektivität’ die Überblendung von Objekt- und Subjektsphäre sieht und sie als Erkenntniskategorie und damit als Bezeichnung für eine Weise der Weltwahrnehmung versteht.282 Daraus ergibt sich, dass sich «Perspektiven [...] als die Weisen bestimmen [lassen], in denen Subjekte in die Welt hineingleiten und Kontakt zu ihren Wahrnehmungsgegenständen bekommen».283 Während also die Rolle eine unumgängliche Form der Distanzbewältigung zwischen Innen und Außen darstellt, ist eine Perspektive die Folge bzw. die Art und Weise, wie diese Distanz bewältigt wird. In der Beschreibungskonfiguration konstituieren die Verknüpfung von Rolle und Perspektive die Haltung, die sich im Beschreibungstext abbildet und also aus diesem extrapoliert werden kann. Anhand von vier Beispielen soll dies veranschaulicht werden. Sie beziehen sich alle auf Guernica von Pablo Picasso (Abb. 45), das Gemälde, das in der Zeit des Spanischen Bürgerkrieges als Reaktion auf die Zerstörung der Stadt Guernica durch einen deutschen Luftangriff entstand. Abb. 45: : Pablo Picasso, Guernica, 1937, Öl auf Leinwand, 349 cm × 777 cm, Madrid, Museo Reina Sofía. Im Werk Picassos bildet es insofern eine Ausnahme, als es Schmerz und Schrecken der Zerstörung symbolisiert, während Picasso sonst keine symbolischen Bilder malte. Er sagt dazu selbst: «Meine Arbeit ist nicht symbolisch. Nur Guernica war es. Aber ein Wandgemälde ist nun einmal eine Allegorie. Und das ist der Grund, weshalb ich das Pferd, 281 282 283 H. Plessner: Mit anderen Augen, 155. Vgl. W. Köller: Perspektivität und Sprache. Ebd. 10. 190 den Stier usw. benutzt habe.»284 Gerade auf dem Hintergrund dieser Zusammenhänge ist es interessant, die unterschiedlichen Blickwinkel aus denen das Gemälde in kunstwissenschaftlichem, philosophischem oder politischem Kontext erwähnt wird, nebeneinander zu stellen. Sie bringen die Perspektiven der Autoren, die sich in ihren jeweiligen Rollen äußern, zum Ausdruck. Siegfried Giedion, als Kunsthistoriker und Verfechter der Moderne, würdigt ausdrücklich Aussagekraft, Gestaltung und Stil des Gemäldes. Für ihn scheint es, so schreibt er «das erste wirklich historische Gemälde seit der Renaissance [...] zu sein».285 Sein Blick gilt jedoch primär einem kunsttheoretisch-programmatischen Zusammenhang, wenn er postuliert, dass in ihm «die Prinzipien der Simultaneität, der Durchdringung von Außen- und Innenraum, die Behandlung der gekurvten Flächen und verschiedener Strukturen verkörpert», dass Picasso mit diesem Gemälde die Bewegungsdarstellungen des Futurismus mit den Raumprinzipien des Kubismus vereint286 – eine Perspektive, die allerdings nicht erstaunt, denn Giedions Artikel erschien in Raum, Zeit, Architektur. Die Entstehung einer neuen Tradition, einem Werk, dessen Titel die Schwerpunkte der Sichtweise verdeutlicht und Picassos Gemälde wurde unter dem Abschnittstitel Malerei heute als einziges Beispiel aufgeführt. Andere Schwerpunkte und Einordnungen vollzieht Georg W. Bertram. Der sprachanalytisch und semantisch orientierte Philosoph bezieht das Bild von Picasso im Rahmen einer philosophischen Einführung in die Kunst in seine Überlegungen mit ein.287 Er verwendet das Bild gleich zwei Mal. Das erste Mal beschreibt er es nach einem Hinweis auf die Entstehungsgeschichte folgendermaßen: «Auf dem Bild ist eine Konstellation von Menschen, Tieren und Gegenständen hergestellt. Man hat als Betrachter Schwierigkeiten, die recht abstrakte Anordnung irgendwie mit dem Kriegsgeschehen zusammenzubringen. [...] Man muss die Konstellation der dargestellten Menschen, Tiere und Gegenstände verstehen, um den Zusammenhang des Bildes insgesamt zu begreifen.»288 Die Zitierung des Gemäldes gipfelt darin, dass das Bild «kein Künstlerwerk im engeren Sinn [ist] – es ist ein Werk einer bestimmten historisch-kulturellen Situation.»289 Diese Betrachtungsweise wird dem Bild unabhängig davon, ob man mit ihr inhaltlich einverstanden ist oder nicht, in keiner Weise gerecht, doch sie veranschaulicht die Perspektive des Autors, dem es darum geht, eine Position Hegels zu illustrieren, erscheint das Bildzitat doch unter dem Titel ‘Hegel: Kunst als Geistiges in der Form der Anschauung’.290 Das zweite Mal erwähnt Bertram Picassos Gemälde im Zusammenhang mit ‘Verstehen innerhalb und außerhalb der Kunst’. 291 Guernica wird hier beigezogen, weil es als ein Zeichen verstanden werden kann, allerdings nur unter bestimmten Gesichtspunkten, denn «der Inhalt dieses Zeichens kann man aber gerade nicht [...] dadurch gewinnen, dass man von dem konkreten Zeichenmaterial absieht und zum Inhalt übergeht.»292 Sondern, so Bertram weiter, «der Inhalt von Guernica lässt sich nur erfassen, wenn man präzise hinsieht. Dafür, wie das Zeichen verstanden wird, ist es relevant, wie genau die Farben beschaffen sind, aus denen das 284 285 286 287 288 289 290 291 292 P. Picasso: Über Kunst, 16. S. Giedion: Raum, Zeit, Architektur, 287. Ebd. Vgl. G.W. Bertram: Kunst, 309. Ebd. 125. Ebd. Ebd. 124. Ebd. 129. Ebd. 191 Bild komponiert ist, wie die Farben wechselseitig korrespondieren, ob sie dick aufgetragen sind oder dünn usw.»293 Die Perspektive, die durch die Rolle des Autors und den Textzusammenhang gegeben ist, kulminiert in einer Aussage, die mit dem Gemälde nicht nur kaum etwas zu tun hat, sondern geradezu falsch ist. Denn das Bildzeichen Guernica lässt sich sehr wohl unabhängig von Farbigkeit und Farbauftrag verstehen. Eine Rolle und eine dazugehörende Perspektive können, so zeigt dieses Beispiel, einen Blick auch so verstellen, dass das Objekt als solches gar nicht mehr gesehen wird. Bei einem dritten Autor, Paul Ziff, der 1953 als amerikanischer Philosoph und Semantiker darüber schreibt, ‘was es heißt zu definieren, was ein Kunstwerk ist’ (so der Titel seines Artikels), wird Guernica einzig und allein als Beispiel für ein nicht schönes Bild aufgeführt. Da heißt es nach der Erwähnung der traditionellen Funktion eines Kunstwerks, ein schöner Gegenstand zu sein, «und dadurch den Betrachter geistig anzuregen, ihm nützlich zu sein und ihn zu erfreuen»294 ganz unvermittelt: «‘Schönheit’ ist aber ein Begriff, den man auf moderne Werke, zum Beispiel auf Picassos Guernica, wahrscheinlich nur selten anwenden wird. Guernica ist zweifellos ein großartiges, eindrucksvolles, hervorragend konzipiertes und meisterhaft ausgeführtes Werk, aber es ist nicht ‘schön’.»295 Die Rolle des Autors erlaubt Ziff einen beliebigen Zugriff auf Bilder, die Perspektive, die er zur Betrachtung verwendet scheint aber doch etwas eng, das Gemälde dient nur der Illustration einer einzigen, ihm nicht zuschreibbaren Eigenschaft. Mit dem folgenden vierten und letzten Beispiel wird das Gemälde in einen politischen Kontext gestellt. Denn auch die Rollen von Politikern haben ja spezifische Blickperspektiven auf die Welt zur Folge. Im Zusammenhang mit Guernica äußerte sie sich darin, dass das Bild, von dem eine Kopie im Hauptgebäude der UNO hängt, anlässlich der Präsentation von Bildmaterial über die Lagerung von Massenvernichtungswaffen im Irak und dem Ersuchen um Zustimmung zum Kriegsangriff verdeckt werden musste. «Im Vorkrieg der Medien fürchten Politiker noch immer die Macht von Bildern, die sich ihrer Kontrolle entziehen. Es sei, so ein Diplomat, kein ‚angemessener Hintergrund‘, wenn Powell oder der Botschafter der Vereinigten Staaten bei den Vereinten Nationen [...] über Krieg redeten und dabei von schreienden Frauen, Kindern und Tieren umgeben seien, die das durch Bombardements verursachte Leid zeigten», kommentierte die FAZ.296 Die Politiker scheinen Guernica ohne Farbanalysen verstanden zu haben. Rollen und Perspektiven, die durch das beschreibende Subjekt gegeben oder gewählt sind, beeinflussen jede Aussage zu einem Bild und bestimmen seine Beschreibung inhaltlich. Die Beispiele zu Picassos Guernica zeigen, wie leicht und wie vollumfänglich ein Bild instrumentalisiert werden kann, sie zeigen aber auch, wie schwierig oder unmöglich es ist, ihm gerecht zu werden. Auch dafür ist die Rezeption von Picassos Gemälde paradigmatisch, gehört das Werk doch zu den berühmtesten und am häufigsten besprochenen des 20. Jahrhunderts.297 In vergleichbarer Weise wirken sich Rolle und Perspektive auch auf die Beschäftigung mit anderen Bildern aus, sie führen dazu, dass die Wahrnehmung entsprechend strukturiert wird und im Rahmen der jeweiligen Konzeption kohärente Sinn293 294 295 296 297 Ebd. P. Ziff: Was es heißt zu definieren, 35. Ebd. Thomas Wagner in der FAZ (Frankfurter Allgemeine Zeitung) vom 10.2.2003, Nr. 34/31, URL: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/symbolisch-picassos-guernica-in-der-un-zentrale-verhuellt189608.html [11.9.2010]. Vgl. K. Artinger, Rezension. Der Rezensent gibt einen detailreichen Überblick über die Rezeptionsgeschichte von Guernica. 192 Zusammenhänge entstehen. Somit trifft die Metapher vom Rätsel ‘Kunst’298 nicht nur auf die kunsttheoretisch und philosophische Beschäftigung mit Kunst zu, sie gilt auch für das einzelne Kunstwerk, das immer dahingehend rätselhaft bleibt, als es verschiedene Lösungsmöglichkeiten enthält. Lösungsmöglichkeiten, Beschreibungsschwerpunkte, Interpretationsansätze – sie alle sind ein Resultat rollenspezifischer Perspektiven, die den Sinnzusammenhang definieren, in den das Bild gestellt wird. 3.2 Ut pictura poesis? Ut pictura descriptio! ‘Ut pictura poesis’299 – so wie das Bild ist [sei] die Dichtung. Der Zusammenhang, in dem dieser Satz steht, lautet: «Wie Gemälde sind die Dichtungen: Das wird Dich mehr begeistern, wenn Du näher dran stehst, und dieses da von weiter weg; Dieses verlangt nach Dunkelheit, jenes will im Licht gesehen werden, welches nicht den Scharfsinn des Richters fürchtet. Dieses hat einmal gefallen, dieses wird auch noch zehnmal gefallen».300 Der Satz ‘ut pictura poesis’, der ursprünglich nicht auf einen Wettstreit zwischen den Künsten rekurriert, sondern die Rezeption eines literarischen Textes mit derjenigen eines Gemäldes vergleicht, tut dies auf der Grundlage der Energeia, der Zeigekraft der Sprache bzw. die Fähigkeit der Sprache, Bilder zu evozieren. Die dabei sich einstellende Enargeia als Eigenschaft der Rede, äußerlich Abwesendes innerlich präsent zu machen, affiziert die Gefühle und die Seele. Sie, die Enargeia, ist es also, die es möglich macht, dass mittels des Gehörs die reale Präsenz eines Gegenstandes verzichtbar wird und sich Ansichten von Abwesendem sowie Phantasiebilder von irrealen Wesen und Gegenständen einstellen können. Sie ist es auch, die sich insofern im Sinne von poiesis als herstellend erweist, als sie aus sich selbst heraus Bilder erschafft.301 Darin liegt die Grundlage der Engführung von Dichtung und Malerei. Diese auf größtmögliche Anschaulichkeit der Sprache zielende Analogie von Bild und Sprache hat ihre Wurzeln in der Rhetorik der Antike und bezieht sich dort auf jede Art von Beschreibung.302 Energeia ist demzufolge eine Eigenschaft der Rede, auch nicht Gegenwärtiges präsent und aus Zuhörenden Zuschauende zu machen. Der Vergleichbarkeit der Darstellungsfähigkeit von Dichtung und Malerei liegt damit ein Konzept zugrunde, das auf dieser Energeia einerseits und auf dem angenommenen mimetischen Vermögen der Malerei andererseits beruht. Erst in der Renaissance wurde aus 298 299 300 301 302 So der Titel von Kapitel 3. Horaz: Ars poetica, 361. «Ut pictura poesis; erit quae, si propius stes, te capiat magis, et quaedam, si longius abstes; haec amat obscurum, uolet haec sub luce uideri, iudicis argutum quae non formidat acumen; haec placuit semel, haec deciens repetita placebit». Ebd. Der Vergleichssatz ‘ut pictura descriptio’ entspricht der titelgebenden These Monika Mayrs, die in einer literaturwissenschaftlichen Untersuchung den Texttypus ‘Bildbeschreibung’ als Gemälde versteht. Mayr macht Gattungs- und Epochenbezeichnungen der Kunstgeschichte sowie Parameter kunsthistorischer Bilduntersuchungen für die Analyse ausgewählter literarischer Beschreibungen fruchtbar. Vgl. Dies.: Ut pictura descriptio. Im Unterschied dazu wird der Satz hier in umgekehrter Richtung als Aufforderung verstanden, alle Elemente eines Bildes als beschreibungswürdig zu betrachten und in die Bildbeschreibung einfließen zu lassen. Die in die griechische Antike zurückreichende Geschichte der Analogie von Dichtung und Bildkunst wird nachgezeichnet von F. Graf: Ekphrasis, 147–149. Zum Begriff der Poiesis, eine von Aristoteles eingeführte Bezeichnung für das Wissen vom Herstellen und Gestalten bzw. für die sprachliche Kunstgestaltung, die weder den theoretischen noch den praktischen Wissenschaften zuzuordnen ist, vgl. G. Schischkoff: Philosphisches Wörterbuch, 573. Zum sprachlichen Ausdruck als Selbstausdruck der Welt und dem damit verbundenen poiesis-Begriff vgl. auch K. Nishida: Das künstlerische Schaffen, 122. Vgl. M. Graf: Ekphrasis, 145. 193 dem Diktum von Horaz ein Grundsatz des Paragone, der davon handelt, wer denn nun besser geeignet sei, lebensechte Bilder zu schaffen, die Malerei oder die Dichtung.303 Hier wird dieser berühmte Satz deshalb herangezogen, weil er aufzeigt, dass der Sprache eine Vergleichsgröße, eine Art Maß, vorgegeben sein kann, das die Parameter einer Beschreibung bestimmt. Nun wird ein Bild jedoch längst nicht mehr als Abbild von Realität betrachtet. Auch wenn es konkrete Gegenstände in naturalistischer Manier zeigt, so ist es nicht zwangsläufig mimetisch, man denke etwa an surrealistische Werke. Wenn sich nun aber ein Bild nicht an einem Vorbild oder Modell orientiert, so stellt sich die Frage, wie mit sprachlichen Mitteln die Eigenständigkeit des Bildes parallelisiert oder gar im (neuzeitlichen) Sinne des Ut-pictura-poesis-Satzes wiedergegeben werden kann. Was wäre in diesem Fall die Vergleichsgröße? Da durch den Wegfall von Mimesis, Illustration oder Narration auf Seiten der Malerei keine nacherzählende Beschreibung mehr möglich ist, sind es andere Bildelemente, von denen berichtet werden muss. 1947 schrieb Baumeister: «Der Gehalt des Kunstwerks ist nichts anderes als die Gestaltgebung selbst. Das Kunstwerk hat keine Idee, sondern es ist selbst Idee. Damit ist ein sehr Wesentliches ausgedrückt, das die neuere Kunst bis heute kennzeichnet.»304 Da diese Charakterisierung unvermindert auch über sechzig Jahre später noch zutrifft, ist es demzufolge die ‘Gestaltgebung’, die untersucht werden muss, um gegebenenfalls bis zur Idee, die das Werk ist, vorzudringen. Es sind die in Kapitel 2 vorgestellten Bildelemente, die selbst nichts darstellen, jedoch die Darstellung tragen,305 die zu untersuchen sind. Denn «ihnen legt kder heutige Maler überragenden Wert bei. Sie stellen nicht nur seine Klaviatur dar, sondern sind gleichsam selbständige Ausdrucks- und Funktionsträger.»306 Wird nun akzeptiert, dass «nicht-deskriptive, nicht-darstellende Werke dennoch als Symbole für Eigenschaften fungieren, die sie entweder wörtlich oder metaphorisch besitzen»,307 werden also primär Strukturen, Formen, Farben und Texturen als bedeutungstragend anerkannt, bieten sich zwei Schlüssel zu einer Beschreibung an: Einerseits die Ikonik als Instrument, um die strukturelle Gliederung – die Gestaltgebung – der Bildfläche als Darstellung zeitlicher und inhaltlicher Aussagen und Relationen zu begreifen308 und andererseits eine semiotische Interpretation, die, im Sinne Goodmans, die «Symptome des Ästhetischen» in Sprache übersetzt.309 Eine auf diese Weise in der Sichtbarkeit des Bildes gegründete Beschreibung – ut pictura descriptio – kann denn auch, analog zum Bild, verstanden werden als «Herstellung von Wirklichkeit, Aufbau einer Welt, auf welche sich der Mensch bezieht und innerhalb derer er sich orientiert, wie er sich innerhalb der natürlichen Welt bewegt.»310 Es ist die im Bild entstandene Welt, die, in Sprache transformiert, auch eine eigene Wirklichkeit herstellt. Oder wie Kitarô Nishida es mit einem Rückbezug auf Fiedler formuliert: «Sprache ist nicht nur ein Ausdruck der Realität, in der Sprache liegt die Gestalt der Realität.»311 Damit bietet auch die 303 304 305 306 307 308 309 310 311 Dass auch der Paragone schon in der Antike thematisiert wurde, belegt Graf mit einem Zitat von Dion Chrysostomos: «Die Augen sind viel schwerer zu überzeugen, verlangen viel mehr Anschaulichkeit als die Ohren, denn die Augen müssen mit Gesehenem direkt zusammenkommen, die Ohren aber können auffliegen und die Grenzen der Vernunft sprengen, indem sie Nachbildungen einlassen, die durch Metrik und Lautgestalt verzaubern.» Ebd. 147. W. Baumeister: Das Unbekannte, 52. Siehe ‘Elemente ikonischer Präsenz’, oben, 92–109. W. Baumeister: Das Unbekannte, 52. Vgl. N. Goodman: Weisen der Welterzeugung, 130. Vgl. ‘Ikonik’, oben, 85–87. Vgl. ‘Nelson Goodman’, oben, 148–154, insbes. 151. E. Angehrn: Beschreibung, 72. K. Nishida: Das künstlerische Schaffen, 126. 194 mit ut pictura descriptio paraphrasierte Beschreibungsart eine Orientierungshilfe in Bezug auf das Verstehen von Kunst an, indem die innerbildliche Welt in sprachlicher Gestalt wiedergegeben wird. Seit Hegel, der es zum ‘Geschäft der Kunstgeschichte’ zählte, individuelle Kunstwerke ästhetisch und in ihren historischen und äußerlich bedingenden Umständen zu würdigen,312 haben sich die Erscheinungs- und Ausdrucksweisen der Kunst allerdings sehr verändert, doch noch immer gehört es zu den Tätigkeiten der Kunstwissenschaft, Bilder zu würdigen, sie zu beschreiben und zu deuten. Indem in einer Beschreibungen die Sichtbarkeit des Bildes313 ganz im Sinne von Weitz und Goodman ins Zentrum der Untersuchung gestellt wird314 – die Sprache dafür muss von Bild zu Bild erarbeitet werden – kann sich die Forderung, die im ut pictura poesis von Horaz enthalten sein kann, unter neuen Vorzeichen als ut pictura descriptio erfüllen. 4. Bedeutung als innerbildliches Geschehen Hinter der Frage nach der Bedeutung eines bestimmten Kunstwerks steht die Frage, ob das für eine Kunstbetrachtung ausgewählte Werk überhaupt ein Kunstwerk ist. In der Regel ist diese Frage ja bereits geklärt, wenn wir vor ‘einem Bild’ stehen und uns damit als vor einem Bild Stehende verstehen. Das heißt, ein Objekt wird dadurch, dass Kunsthandel, Kunstkritik, Kunstwissenschaft und Kunstschaffende, kurz: Die Kunstwelt, sich seiner annehmen, affirmativ zum Kunstwerk nobilitiert. In Anbetracht eines veränderten Werkund Kunstbegriffs315 und den daraus entstehenden Schwierigkeiten des Zuordnens führte dies zu einer soziologischen bzw. sozio-ökonomischen Antwort auf die Frage ‘Wann ist Kunst?’. Georg Dickie, der 1974 als erster eine Institutionstheorie formulierte,316 modifizierte sie in den 1990er Jahren. Sie lautet nun: A work of art is an artifact of a kind created to be presented to an artworld [sic!] public. An artist is a person who participates with understanding in the making of a work of art. A public is a set of persons the members of which are prepared in some degree to understand an object which is presented to them. The artworld is the totality of all artworld systems. An artworld system is a framework for the presentation of a work of art by an artist to an artworld public.317 Die ‘Kunstwelt’ als Insgesamt der ‘Kunstwelt-Systeme’ und als Rahmen für die Präsentation eines Kunstwerks, das ein Künstler einem Kunstwelt-Publikum vorstellt – in diesem Zirkel bleiben nur zwei (scheinbare) Öffnungen. Sie bestehen einerseits in der Bestimmung des Publikums als ‘eine Gruppe von Personen, deren Mitglieder in bestimmtem Maße vorbereitet sind, einen Gegenstand, der ihnen präsentiert wird, zu verstehen’ – und dieses Objekt, so müsste hier noch angefügt werden, als Kunstwerk aufzufassen. Andererseits ist auch die Bestimmung des Künstlers als jemand, der mit Verständnis (with understandig) an der Herstellung eines Kunstwerks teilnimmt – abgesehen von der Sperrigkeit der englischen Formulierung – so offen bzw. unpräzise, das sie schließlich auf sich selbst verweist. Was jedoch nichts daran ändert, dass diese Kunstbestimmung von Dickie 312 313 314 315 316 317 Vgl. G.W.F. Hegel: Ästhetik, 63. Zum Begriff der Sichtbarkeit siehe oben, 84–85. Zu Weitz siehe oben, 145–148, zu Goodman ebd., 148–154. Vgl. A. Danto: Verklärung des Gewöhnlichen; N. Goodman: Weisen der Welterzeugung. Siehe oben, 150–151. G. Dickie: Art Circle, 464. 195 Grundsätzliches zutage bringt. Denn sie formuliert dass es eine Kunstwelt gibt, die zwar ähnlich schwierig zu definieren ist, wie die Kunst selbst, außerhalb derer jedoch Kunst nicht als Kunst in Erscheinung tritt, nicht in Erscheinung treten kann, da jede Art von Beschäftigung mit Kunst unweigerlich ein Eintreten in die Kunstwelt bedeutet.318 Das im Deutschen mögliche Verständnis von ‘Kunstwelt’ als Welt der Kunst und zugleich als künstliche Welt bildet die Begriffsintension auf aussagekräftige Weise ab. Merkantile und soziokulturelle Mechanismen der Kunstwelt führen ja nachgewiesenermaßen dazu, dass Kategorienverschiebungen oder -erweiterungen vom Kunstbetrieb nicht nur integriert, sondern initiiert werden.319 Dickies Formulierung betont außerdem, dass Kunst von Seiten des Publikums nicht voraussetzungslos zu verstehen ist, sondern ein bestimmtes Verständnis nötig ist, um am Kunstweltsystem teilnehmen zu können. Die Grundlage dieses Verständnisses, dessen elementarster und zugleich wichtigster Bestandteil, besteht in einer ästhetischen Einstellung. Sie ist für die Erfahrung von Kunst und deren Bedeutung konstitutiv. Nur eine ästhetische Einstellung, verstanden als mentale Haltung, führt zur Bereitschaft, um der Erfahrung willen an einen Gegenstand heran zu treten.320 Gadamer kommt mittels des Vergleichs von Spiel und Kunst zum Schluss, dass es die innere Teilnahme, das Mitspielen aufgrund von Regelkenntnissen und Regelakzeptanz ist, die zu erkenntniserweiternder Kunsterfahrung führen.321 In dieser Bereitschaft, Zeit und Aufmerksamkeit aus keinem anderen Grund als denjenigen eines möglichen Erfahrungsgewinns auf einen Gegenstand zu richten, liegt die Verschränkung des Subjekt-Objekt-Verhältnisses begründet. Sie lässt den Betrachter in den performatorischen Wirkungskreis eines Werks eintreten, in seine Aura322 und macht ihn, seine Empfindungen, zum Objekt des Kunstwerks, insofern diese durch es ausgelöst werden. Immanuel Kants Formulierung, wonach «das Wohlgefallen, welches das Geschmacksurteil bestimmt, [...] ohne alles Interesse [ist]»323 kann als grundlegende Charakterisierung einer solchen ästhetischen Einstellung betrachtet werden. Denkt man sie zusammen mit der Bestimmung des reinen Geschmacksurteils, «welches also bloß die Zweckmäßigkeit der Form zum Bestimmungsgrund hat»324 und übernimmt, dass die Zweckmäßigkeit ohne Zweck sein kann, dann, so folgert Kant «können wir eine Zweckmäßigkeit der Form nach [...] wiewohl nicht anders als durch Reflexion bemerken».325 Kant definiert den Formbegriff in der Kritik der ästhetischen Urteilskraft zwar nicht, verwendet ihn jedoch in unterschiedlichen Ausprägungen.326 In Bezug auf das Bild wird er hier deshalb in der Variante als räumliche Form, Gestalt und Kontur verstanden.327 Was ist nun die Zweckmäßigkeit von räumlicher Gestalt und von Kontur in Bezug auf ein innerbildliches Geschehen? Da sie durch die subjektiven Bedingungen des Künstlers entsteht und nur reflexiv, d.h. mittels die 318 319 320 321 322 323 324 325 326 327 Vgl. S. Thornton: Sieben Tage in der Kunstwelt. Vgl. O. Bätschmann: Ausstellungskünstler. Vgl. N. Roughley: Kann Kunst anästhetisch werden?, 230. Vgl. H. - G. Gadamer: Aktualität des Schönen, 31–34. ‘Aura’ im Sinne Walter Benjamins, der die Aura eines Kunstwerks beschreibt als das Hier-und-Jetzt des Kunstwerks, seine Echtheit (als materielle Dauer sowie als geschichtliche Zeugenschaft), sowie als die Autorität der Sache, ihre Einzigkeit und in der berühmten Aussage zusammenfasst: Aura «definieren wir als einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag.» W. Benjamin: Das Kunstwerk, 12–16. I. Kant: Kritik der Urteilskraft, § 2, 1–4. Ebd., § 13, 10–14. Ebd., § 10, 1, §, 14–24. Vgl. R. Brandt: Von der ästhetischen und logischen Vorstellung, 53–58. Ebd., 53. 196 subjektiven Bedingungen des Betrachters entdeckt werden kann, wird diese Zweckmäßigkeit als eine Funktion in Bezug auf den kompositorischen Gehalt verstanden. Dies wiederum hat zur Folge, dass auf der Grundlage ästhetischer Einstellung (des interesselosen Wohlgefallens) die Aufdeckung innerbildlicher Gestalt und Gestaltrelationen zur Bedeutung (im Sinne der Zweckmäßigkeit) innerbildlicher Form führen kann. Hierin liegt eine philosophische Begründung der Ikonik, dieses in Kapitel 2 vorgestellten Interpretationsmodells.328 Alle Gemälde, auch diejenigen, die durch ihren Titel, durch einen ihnen zugrunde liegenden Text oder ein gegenständliches Sujet kontextualisiert werden, enthalten zusätzlich eine in der formalen Kompositionsstruktur gegebene Bedeutungsebene. In Bezug auf Bilder ohne die erwähnten Maßgaben ist die Ikonik die einzige methodisch ausgearbeitete Möglichkeit, über bloße Anmutungen hinausführende Bedeutungen zu bestimmen. Sie kann dazu beitragen, gewissermaßen ‘verdeckte’ Bildaussagen unabhängig von der Gestaltungsweise offen zu legen und ist, da nun doppelt – aus kunstwissenschaftlicher und aus philosophischer Sicht – verankert, das Mittel der Wahl, um nach innerbildlichen Hinweisen auf die Bedeutung zu suchen. 328 Siehe dazu oben, 85–87. 4 PHIL O S O PHIS CHE F RA G EN A L S G RUND L A G E D E R INT E RPRE T A T IO N A BS T RA K T E R K UNS T W E RK E Die These dieser Arbeit lautet, dass aus ausgewählten philosophischen Positionen zur Kunst eine Systematik des Fragens entwickelt werden kann, die zu einem Interpretationsansatz für abstrakte Bilder führt. Dazu wurden im vorhergehenden Kapitel kunstphilosophische Aussagen von fünf Philosophen untersucht und daraus Fragen abgeleitet, mit dem Ziel, damit zu Erkenntnissen über die Bedeutung und die Art und Weise des Bedeutungsausdrucks einzelner Werke der abstrakten Malerei zu gelangen.1 In der praktischen Anwendung dieser Fragensammlung kulminiert die hier vorgestellte interdisziplinäre Untersuchung. Sie bildet denn auch den Schluss des Kapitels. Die Besonderheiten, denen sich eine Interpretation abstrakter Werke gegenüber sieht, werden im Folgenden als erstes problematisiert. Die Aufhebung oder gar Zerstörung des realistischen Bildraums bzw. der Darstellung von Volumen und Tiefe sowie der Verzicht auf jeden Illusionismus führen zu einer Betonung der Fläche, die ohne Referenz auf Literarisches gestaltet wird. Das Sensorische, das sich mit der abstrakten Malerei vor das kognitive Erkennen eines Bildes schiebt, stellt nicht erst die Interpretation, sondern bereits die ihr zugrunde liegende Bildbeschreibung vor Probleme und es entstehen Schwierigkeiten, das Bildhafte in eine ihm angemessene Sprache zu bringen. Deshalb wird unter dem Aspekt der Medientransformation das Verhältnis von Bild und Sprache noch einmal beleuchtet. ‘Interpretieren bedeutet Übersetzen’ lautet die Überschrift des folgenden Abschnittes, in dem belegt wird, dass eine Interpretation immer das Resultat komplexen intermedialen Übersetzens vorstellt. Im Rahmen eines Medienwechsels, wie er im Falle einer Bildbeschreibung und -interpretation vollzogen wird, ist dieser Übersetzungsprozess spezifischen Schwierigkeiten ausgesetzt, da die Kompatibilität der Medien Bild und Sprache in Bezug auf den Nuancenreichtum optischer Erscheinungen nicht gegeben ist. Insbesondere mit dem Bezug zu Ausführungen von Heidegger und Benjamin wird auf die hermeneutischen Aspekte des Übersetzens hingewiesen, die sich im Besonderen dem Beschreiben und Deuten nichtgegenständlicher Kunst stellen. Damit wird gleichzeitig die erkenntnistheoretische Bedeutung der medialen Transformation betont. Auf einige der Problemstellungen, die sich im Verlauf dieser Prozesse ergeben, wurde bereits hingewiesen. Einmal mit einem Rückbezug auf das Diktum von Horaz – ut pictura poesis – das besagt, dass die Dichtung wie ein Bild sein solle und das paraphrasiert als ‘ut pictura descriptio’ wörtlich genommen und damit hier zum Imperativ für die Beschreibung ungegenständlicher Kunst wird.2 Das zweite Spannungsfeld, in dem sich die Übersetzung 1 2 Zur Begründung der Grenzen traditioneller Interpretationsmodelle, die u.a. abstrakte Kunst ausschließen, siehe oben, 38. Siehe dazu ‘Ut pictura poesis? Ut pictura descriptio!’, oben, 192–194. 198 von Bild in Sprache bewegt, betrifft die physische Weise der Performativität, mit der das abstrakte Werk von den Betrachtenden eine direkte Resonanz einfordert. Das ungegenständliche Bild lenkt nicht mit narrativen Inhalten von sich ab, es ist, was es zeigt. Damit löst es eine unvermittelte Reaktion aus, Duchamp spricht von einer «retinalen Annäherung» und führt dazu aus, dass der ästhetische Genuss des ‘Abstrakten Expressionismus’ fast ausschließlich vom Eindruck auf die Netzhaut abhängig sei, «ohne eine andere Hilfsinterpretation zu beanspruchen».3 Darin liegt ein Moment des Ungewohnten, zuweilen Bedrohlichen und gleichzeitig des Dialogischen, das die vermeintlich klar unterscheidbare Trennung von Subjekt und Objekt ins Wanken bringt. Ihm galt der Abschnitt mit der Überschrift ‘Das Bild vor dem Betrachter: reflexiv’, der die Konzeption eines mitvollziehenden Beschreibens und Interpretierens begründet. 4 Ein weiteres hermeneutisches Problem ergibt sich aus der gegenüber gegenständlicher Kunst potenzierten Mehrdeutigkeit abstrakter Werke. Während in gegenständlichen Gemälden Hinter-, Mittel- und Vordergrund getrennt wahrgenommen werden können, fallen diese Erkennungsmerkmale in abstrakten Bildern weg. Damit sind die Betrachtenden gezwungen, eigene Wahrnehmungsschwerpunkte zu setzen und ausschließlich auf dem Weg über ihre sinnlichen Empfindungen zu einem Bildsinn zu finden. Die Kontingenz der Kunst, der auf Seiten der Betrachtenden die Offenheit der Interpretation entspricht, wird von Umberto Eco mit dem Ausdruck ‘das offene Kunstwerk’ eingefangen.5 Durch diese Offenheiten entsteht, so Eco, eine besondere Ausformung ästhetischen Genusses, die darin bestehe, die Welt als Möglichkeit zu begreifen.6 Dass dieses Konzept gerade im Hinblick auf nichtgegenständliche Kunst besonders fruchtbar ist, wird im Folgenden dargelegt, denn in der Akzeptanz einer dynamischen Korrelation der Potentialität des Bildes mit derjenigen der Interpretation liegt die Voraussetzung zur Übersetzung eines Bildes in Sprache und damit der Interpretation. 1. Interpretieren bedeutet Übersetzen Bätschmann stellte 1984 eine kunstgeschichtliche Hermeneutik vor, die er als «Anleitung zur Interpretation» versteht7 und sich, wie Panofskys Methode, ebenfalls aus drei Phasen zusammensetzt. Bei Bätschmann sind dies: Die Analyse, die kreative Abduktion und die Interpretation. Wobei auch hier die Analyse ohne Studium wissenschaftlicher Literatur über Künstler und Werk nicht durchzuführen ist8 – außerbildliche Momente also von Anfang an in die Bilddeutung einfließen. Die kreative Abduktion, der zweite Schritt auf dem Weg zur Interpretation, beschreibt Bätschmann wie folgt: Durch sie, «d.h. durch die Erfindung von Zusammenhängen unter den Elementen und Sachverhalten im Bild, werden Konjekturen (gegründete Vermutungen) über die mögliche Bedeutung des Bildes geschaffen.»9 Mit anderen Worten: Es sollen Hypothesen zur Deutung gebildet und diese miteinander verknüpft werden. Zur Hypothesenbildung werden, da die Methode primär mit Beispielen aus dem 16. und 17. Jahrhundert exemplifiziert wird, vor allem ikonographische 3 4 5 6 7 8 9 M. Duchamp: Der kreative Akt, 5. Siehe oben, 168–171. Vgl. ‘Ein offenes Kunstwerk’, oben, 183–185. U. Eco: Das offene Kunstwerk, 185. O. Bätschmann: Anleitung zur Interpretation, in: H. Belting, H. Dilly u.a. (Hg.): Kunstgeschichte, 199– 228. Vgl. ebd. 206. Ebd. 217. 199 Zusammenhänge herangezogen, was die Methode zur Interpretation abstrakter Werke des 20. Jahrhunderts ebenfalls ungeeignet macht. Die Abduktion führt dann allerdings direkt in die Interpretation, die, und dies ist bemerkenswert, durch argumentative Sicherung validiert wird.10 Wörtlich heißt es: «Eine Interpretation ist vollständig und richtig, wenn sie methodisch korrekt erarbeitet und argumentativ gesichert ist.»11 Dazu wird ausgeführt, dass die Begründung des Verfahrens und die argumentative Sicherung der vorgeschlagenen Bedeutung die Voraussetzungen dafür schaffen, dass einer Interpretation beigestimmt oder sie begründet widerlegt werden kann.12 Das Bemerkenswerte an der Inkludierung der Validierung liegt darin, dass sie a) überhaupt als Teil des interpretativen Vorganges explizit gemacht wird; b) dass argumentative Begründungszusammenhänge als Kriterium der Richtigkeit einer Interpretation erachtet werden und c), dass die Vorläufigkeit jeder Interpretation von Anfang an mitbedacht, jede Bilddeutung als lediglich ein Schritt zur Lösung des letztlich unauflösbaren Rätsels ‘Kunst’ betrachtet wird. In diesen drei Aspekten der Interpretationsvalidierung liegt die Chance von Bätschmanns Vorschlag für die interpretierende Auseinandersetzung mit abstrakter Kunst. Die Ausführungen Bätschmanns verdeutlichen die Subjektivität einer Interpretation, die unabhängig von der Methode und den durch sie implizierten Schritten immer eine vorläufige ist. Denn es ist ein Subjekt, das aufgrund seiner persönlichen «synthetischen Intuition» und geprägt durch seine persönliche «Psychologie und ‘Weltanschauung’»13 Bilddeutungen vorschlägt. Die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten werden aus verschiedener Perspektive immer wieder formuliert. 14 Sie lassen sich unter dem Stichwort ‘Übersetzungsprobleme’ subsumieren, denn der Weg von der Entstehung eines Werks bis zur Interpretation ist durch verschiedene Wandlungsprozesse gekennzeichnet, die alle als Übersetzungen zu betrachten sind. So kann das Bild – Resultat eines Schaffensprozesses – als Übersetzung eines zuvor Nichtsichtbaren in Sichtbarkeit verstanden werden, als Ergebnis einer Umwandlung einer immateriellen Idee, Vorstellung oder Anmutung in eine aus Farben und Formen bestehende, wahrnehmbare Gestalt auf einem materiellen Bildträger. Nach diesem ersten Transformationsprozess wird das Bild sodann von den Betrachtenden in deren eigenen Verstehenshorizont übersetzt, was bedeutet, dass es aus dem visuellen Medium in das Medium Sprache übertragen wird. Dazu müssen einzelne Elemente identifiziert, mit Begriffen versehen, in Relation zueinander gesetzt werden und es findet – zumindest partiell – eine Bildbeschreibung statt. Einzelne Momente dieser Bildbeschreibung werden daraufhin in eine Interpretation überführt, was ebenfalls einem Übersetzen gleichkommt, wird doch sinnlichen Eindrücken auf dem Weg über die Sprache Bedeutung zugesprochen. Eine Interpretation wiederum muss in das persönliche Verstehen von Lesenden integriert (übersetzt) und schließlich im Vergleich mit dem Bild, von dem alles ausging, wieder in das andere Medium zurück übersetzt werden. Eine Grafik (Abb. 46) stellt diese verschiedenen Übersetzungswege dar. 10 11 12 13 14 Ebd. 222. Ebd. Ebd. 226. E. Panofsky: Zum Problem der Beschreibung, 223. So von E. Panofsky: Problem der Beschreibung, 193; G. Boehm, H. Pfotenhauer: Beschreibungskunst, 27; P. Klotz, Ch. Lubkoll: Beschreibend wahrnehmen, 10; M. Baxandall: Ursachen der Bilder, 37 bzw. 25. 200 Abb. 46: Grafik: Übersetzungswege. Im Falle der Medientransformation vom Bild in die Sprache findet ein Übersetzen statt, das vielleicht mehr noch als jeder rein sprachliche Akt der Übersetzung von einer Sprache in eine andere ein Über-setzen bedeutet, und zwar ganz in dem Sinne, wie das Heidegger in seinem Aufsatz zum Spruch des Anaximander ausführt.15 Dort heißt es, dass das griechisch Gesagte zuerst in die deutsche Sprache herübergesetzt werden müsse und dazu das Denken «vor dem Übersetzen erst zu dem übersetzt, was griechisch gesagt ist. Das denkende Übersetzen zu dem, was in dem Spruch zu seiner Sprache kommt, ist der Sprung über einen Graben.»16 Wird dieser Gedankengang auf das Beschreiben eines Bildes übertragen, bedeutet ‘der Sprung über einen Graben’, dass zuerst das Gezeigte in seinem künstlerischen und ikonischen Kontext zu verstehen ist. Denn der Graben besteht, so Heidegger weiter, «keineswegs nur als der chronologisch-historische Abstand von [...] Jahrtausenden. Der Graben ist weiter und tiefer.»17 Dies kann auch im Hinblick auf die Distanz gesagt werden, die zwischen Bild und Sprache zu konstatieren ist, ja, dieser metaphorische Graben kann je nach Bildtypus so weit sein, dass der Sprung kaum gelingt. Immer da, wo im Bild die Gegenständlichkeit weg fällt – und das ist bereits bei Bildoberflächen, -hintergründen und Texturen der Fall – gerät die Begrifflichkeit der Sprache auf schwankenden Boden, fehlt ihr das adäquate Vokabular. Heidegger, um die Zitatpassage zu Ende zu führen, erklärt die Schwierigkeiten des Sprungs über den Graben damit, dass «wir für den Absprung und die Weite des Sprunges keinen genügenden Anlauf nehmen können und darum leicht zu kurz springen, falls der Mangel an einer hinreichend festen Basis überhaupt einen Absprung erlaubt.»18 Diese Erklärung lässt sich nicht nur direkt auf die Bildbeschreibung übertragen, sie öffnet zudem die Aufmerksamkeit dafür, dass in der Bildbeschreibung zwei ‘Sprünge’ vollzogen werden müssen. Einmal aus dem sprachlichen Denken hinüber ‘ins’ Bild, zur Sichtbarkeit des Bildes und zu dessen Eigenlogik, dann aber auch wieder zurück in sprachliche Strukturen und Begriffe. Dabei bleibt die Frage offen, was nun aber eine jeweils ‘hinreichend feste Basis’ sein mag, um den doppelten Sprung einer Medientransformation gelingen zu lassen – dazu sagt Heidegger nichts aus. Die Bildhaftigkeit seiner Sprache lässt jedoch eine hypothetische Antwort zu. Vollzieht man einen assoziativen Bedeutungswechsel von ‘feste Basis‘ zu ‘Grund‘, so gerät ‘gegründet 15 16 17 18 M. Heidegger: Der Spruch des Anaximander, 325. Ebd. Ebd. Ebd. 201 sein’ in den Blick, was in einer aktiven Form zu ‘begründen’ führt. Um aus der Sprache ins Bild und zurück zur Sprache springen zu können, so eine mögliche Folgerung, sind also gute Gründe und Begründungen notwendig – eben damit argumentiert Bätschmann im Hinblick auf die Beurteilung einer Interpretation: als Ergebnis einer Übersetzung muss sie gut gegründet sein, um nachvollzogen und beurteilt werden zu können. Eine andere Gewichtung der Übersetzungsmomente nimmt Walter Benjamin vor. Seinen Aufsatz Die Aufgabe des Übersetzers beginnt er mit der Behauptung, dass kein Kunstwerk die Aufmerksamkeit von Aufnehmenden voraussetze, «denn kein Gedicht gilt dem Leser, kein Bild dem Beschauer, keine Symphonie der Hörerschaft.»19 Diese Aussagen finden ihre Bestätigung im folgenden Satz von Picasso: «Ich male ein Gemälde um seiner selbst willen, ich male die Dinge um ihrer selbst willen»,20 als auch in Ausführungen Gadamers zum Spiel: «Im allgemeinen werden Spiele, so sehr sie ihrem Wesen nach Darstellungen sind und so sehr sich in ihnen die Spielenden darstellen, nicht für jemanden dargestellt, d.h. die Zuschauer sind nicht gemeint.»21 Damit sind alle rezeptionsästhetischen Ansätze außer Kraft gesetzt, besagen diese Aussagen doch, dass Kunstwerke gewissermaßen in eine Einsamkeit hinein erschaffen sind, weil sie erschaffen werden wollten. Nun gilt Benjamins Aufsatz dem Übersetzen von Sprache in Sprache, was eine grundsätzlich andere Ausgangssituation als das Beschreiben und Deuten eines Bildes darstellt. Doch der Grund, auf dem Benjamin trotz aller Skepsis eine Lizenz zum Übersetzen entwickelt, ist auch für Bildbeschreibungen bedenkenswert. Denn gerade unter Benjamins Prämisse, dass das Kunstwerk nicht für eine Rezeption bestimmt sei, ergibt sich, dass auch die Übersetzung ein anderes Ziel als die Lesenden bzw. Betrachtenden hat. Benjamin sieht es im Überleben des Kunstwerks. Er schreibt: «In völlig unmetaphorischer Sachlichkeit ist der Gedanke vom Leben und Fortleben der Kunstwerke zu erfassen.»22 Denn eine Übersetzung habe niemals, «so gut sie auch sei, etwas für das Original zu bedeuten», doch sie stehe mit ihm in einem natürlichen Zusammenhang, «genauer einem Zusammenhang des Lebens.» 23 Die Übersetzung gewährleistet so das Überleben des Kunstwerks, in ihr «erreicht das Leben des Originals seine stet erneute späteste und umfassendste Entfaltung.»24 Übersetzen ist somit ein Vollzug des Werks, einer Musikaufführung nicht unähnlich. Damit steht die Übersetzung in direktem Dienst des Kunstwerks und nicht in demjenigen der Rezeption. Die Übersetzung als Dienst an einem Werk – dieser Schluss Benjamins kann als Leitgedanke im Hinblick auf eine Bildinterpretation übernommen werden, umso mehr, als er sich mit einem Diktum von Markus Lüpertz trifft, das besagt, dass ein Kunstwerk nur lebt, wenn es fremdinterpretiert wird.25 Eine Fremdinterpretation kann auch als Aktivierung der Bildperformanz betrachtet werden, werden damit doch Bildinhalte in andere als dem Schöpfer des Werks bereits vertraute Zusammenhänge gestellt und das Kunstwerk der Kunstwelt – im Sinne Dickies26 – eingereiht, was wiederum sein Überleben verlängert. Diese Funktion ist jedoch nicht die einzige, die einer Interpretation zufällt. Gerade weil Kunst seit Beginn des 20. Jahrhunderts auf Vereinbarungen beruht, ist es notwendig, die19 20 21 22 23 24 25 26 W. Benjamin: Die Aufgabe des Übersetzers, 9. P. Picasso: Über Kunst, 16. H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode Bd. I, 114. W. Benjamin: Die Aufgabe des Übersetzers, 11. Ebd. 10. Vgl. ebd. 11. Vgl. F. Rusmann: Über den notwendigen Zwang zur Interpretation, 1. Vgl. oben, 150–151 sowie 194–195. 202 se nicht nur theoretisch zu begründen, sondern sie am einzelnen Werk offenzulegen. Eine auf begründeten Argumenten basierende Interpretation kann dies leisten, deckt sie doch einzelne Aspekte der Prämissen auf, auf denen die Übereinstimmungen der Kunstwelt beruhen. Dadurch nimmt sie Teil am allgemeinen Kunstdiskurs und macht ein Werk einem größeren Publikum zugänglich. Diese Wirkung einer Interpretation wird oft vernachlässigt, was auch einem Artikel mit der Überschrift «Über den notwendigen Zwang zur Interpretation»27 entnommen werden kann. Darin konstatiert Frieder Rusmann ‘Aussageverweigerung’ auf Seiten von Ausstellungsmachern, der er eine ‘Aussageunfähigkeit’ auf Seiten der Rezipierenden gegenüberstellt.28 Die Begründung für diese allseitige Sprachlosigkeit sieht er im Verlust verbindlicher ästhetischer Maßstäbe, die zu unreflektierter Kunstbetrachtung führe.29 Dieses Argument ist nicht von der Hand zu weisen, denn für traditionell-figurative Werken, die in einem kulturellen und kunsthistorischen Kontext verankert sind und sich zumindest partiell auf existierende Modelle, Vorbilder oder einen ikonographischen Kanon beziehen, stehen verschiedene Interpretationsansätze zur Verfügung, die vermittelbare Beurteilungskriterien ausbilden. Für Bilder, die auf die malerische Widergabe von Seheindrücken (Impressionismus), eines Lebensgefühls (Expressionismus) oder auf avantgardistische Experimente des Darstellens (Fauvismus, Kubismus) zurückgehen sowie für die Bilderfindungen der Moderne, die aus semantisch nicht auflösbaren, ungegenständlichen Formen aufgebaut sind, hat sich in der Praxis der Auslegung kein Ansatz entwickelt, wenn man von der Ikonik als struktureller Kompositionsanalyse absieht. In literarisch-philosophischem Kontext steht Hermeneutik in einer langen und ungebrochenen Tradition, nicht so in der Kunstwissenschaft.30 Die traditionellen Interpretationsverfahren des Fachs Kunstgeschichte erklären Kunstwerke vielmehr als dass sie sie auslegen. Darin mag sich immer noch das Erbe Wölfflins spiegeln, der ausdrücklich vom Erklären von Kunstwerken und nicht von deren Interpretation sprach.31 Beschreiben, Erklären, Interpretieren, diese drei bildbezogenen sprachlichen Äußerungen unterscheiden sich inhaltlich insofern, als dass die Beschreibung sich an Tatsachen hält, während eine Erklärung die Ursachen anzugeben32 und die Interpretation die Bedeutung eines Gegenstandes in seiner multirelationalen Bezogenheit zu verstehen sucht. Wobei sich Beschreiben und Interpretieren nicht scharf voneinander trennen lassen, denn eine Gesamtinterpretation kann von der Reihenfolge der zu beschreibenden Elemente, die durch individuelle, vom beschreibenden Subjekt bestimmte Schwerpunkte festgelegt werden bis zur Benennung von Bildphänomenen, die gerade in Bezug auf nicht figurative Bilder von eminenter Bedeutung ist, prädisponiert werden. So wie beispielsweise durch die Reihenfolge Priorisierungen vorgenommen werden, so schlägt sich auch die Benennung der einzelnen Bildphänomene in der Bilddeutung nieder – eine ‘klar konturierte Farbfläche’ lenkt die Interpretation in eine andere Richtung als ‘eine geschlossene Linie um einen Farbfleck’. Beschreiben ist also immer bereits schon Interpretieren, da ihm ein Auswählen bzw. eine getroffene Auswahl zugrunde liegt. Inzwischen nimmt ‘Gegenstandsdeutung’ zwar einen umfangreichen Teil im kunsthistorischen Schrifttum ein und zahlreiche theoretische Ansätze strukturieren den Zugang zu 27 28 29 30 31 32 Vgl F. Rusmann: Über den notwendigen Zwang zur Interpretation. Ebd. 1. Vgl. ebd. Bätschmanns Modell scheint sich nicht durchgesetzt zu haben, es wird in keiner Neupublikation der letzten Jahre erwähnt. Vgl. H. Wölfflin: Erklären. Vgl. G. Schischkoff (Hg.): Philosophisches Wörterbuch, 74. 203 einem Bildverständnis,33 doch die Kunst nach der Klassischen Moderne wird darin kaum thematisiert. Eine Ausnahme bildet Max Imdahl, der bereits in den 1980er Jahren mit seiner Methode (der Ikonik)34 auf die Werke der Moderne zielte. Er beschreibt die Herausforderung, die er angesichts der sogenannten gegenstandslosen Malerei empfand, in einem mit ‘Autobiographie’ bezeichneten Artikel. Darin stellt er die für die Interpretation dieser Kunst zentralen Fragen, nämlich: ob eine Theorie der Gestaltung oder der Kunst einer Interpretation vorgelagert ist oder sich aus ihr zu ergeben hat, mit welchen sprachlichen Mitteln innerbildliches Geschehen wiedergegeben werden kann und wie sich Evidenzerlebnisse in Sprache übersetzen lassen.35 Diese Problemlage hat ihre Aktualität bis heute nicht eingebüsst. Im nachfolgenden Versuch, die Prozesshaftigkeit innerbildlichen Geschehens in Werken zu entdecken und nachvollziehbar zu machen, wird sie unterschiedlich aufgenommen. So kann (und soll) das Wissen um theoretische Kunstbegründungen nicht ausgeblendet werden. Da es sich auf das Äußerliche und Generelle einer Richtung oder eines Stils bezieht, kann es hilfreich sein, um ein Bild ganz allgemein mit Kunstentwicklungen in Verbindung zu bringen und um Verwandtschaftsverhältnisse aufzudecken. Die individuelle Deutung eines Kunstwerks kann aber allein mit äußerlichen Zuweisungen nicht geleistet werden. Anders stellt sich die Situation nach erfolgter Bilddeutung dar. Denn Kunsttheorien, als Sub- oder Hypertext den einzelnen Bildern beigesellt, können zur Verifizierung der Interpretation beigezogen werden. Außerdem ergibt sich auf der Grundlage des Wissens um theoretische Ansätze auch eine Einsicht in die Variablen der Umsetzung von Theorien in die individuelle Praxis der Malerei. 2. Abstrakte Kunst interpretieren? Eine Bilddeutung als das Resultat einer Übersetzung wird durch Ziele und Zwecke, die mit ihr verfolgt werden, geleitet. Das heißt, dass sie in gewissem Sinn vorsprachlich durch die Rollen der Interpretierenden präfiguriert wird, da diese den Blick auf das Bild und damit dessen Deutung und Beurteilung beeinflussen oder gar leiten.36 Ungegenständliche Werke sind im besonderen Maße prädestiniert, von solchen Vorurteilen betroffen zu sein, da sie ohne Umwege über erkennbare Abbildungen direkt an einen Mitvollzug der Rezipierenden, an ihre ästhetischen und emotionalen Reflexionspotenz appellieren. «Die einzigen Werte, die einem Kunstwerk Größe verleihen, sind emotionaler und sinnlicher Art. Lebensinhalt. Ausgedrückte Erfahrung. Das Rohmaterial der Sinnesdaten, durch verständigen Gebrauch des Mediums zu geistigen Einheit verschmolzen, ist Kunst.»37 Hans Hofmann (1880-1966), dessen Unterricht mehrere Mitglieder der Nachkriegsavantgarde, so auch des abstrakten Expressionismus in Amerika, beeinflusste, schrieb diesen Satz 1932. Der Künstler hat somit seine Erfahrungen zu verdichten, seine Vorstellungen zu schärfen und schafft «auf diese Weise zu den Bedingungen seines Mediums eine neue Wirklichkeit. Folglich ist das Kunstwerk eine Welt für sich und die Widerspiegelung der 33 34 35 36 37 Zwei Beispiel dafür sind: H. Belting, H. Dilly (Hg.): Kunstgeschichte sowie Fachschaft Kunstgeschichte München (Hg.): Kunstgeschichte. Vgl. oben, 85–87. M. Imdahl: ‘Autobiographie’, 41. Dieser Aspekt des Interpretationsvorganges wird unter den Stichworten ‘Rolle und Perspektivität’ behandelt und mit konkreten Textbeispielen nachgewiesen, siehe oben, 187–192. H. Hofmann: Über die Ziele der Kunst, in: Ch. Harrison, P. Wood (Hg.): Kunsttheorie, Bd. 1, 444. 204 sinnlichen und emotionalen Welt für den Künstler.»38 Im Hinblick auf das Interpretieren abstrakter Kunst ist von Belang, dass ein abstraktes Kunstwerk sinnlicher Ausdruck von Erfahrung ist und das Medium, in dem der Künstler eine Welt schafft, seine eigenen Bedingungen hat. Diese beiden Aussagen erschweren und erleichtern das Interpretieren. Sie erschweren es, weil Erfahrungen an sich formlos sind und sich deshalb nicht aufgrund formaler Merkmale aus einem Bild deduzieren lassen – es gibt keine Ikonographie der Erfahrung. Eine weitere Erschwernis liegt darin, dass das Medium der Malerei Bedingungen stellt, die auch für die Interpretation gelten, wenn sie denn angemessen vorgehen will. Die Gründe, weshalb die Sätze Hofmanns jedoch einen Interpretationsprozess erleichtern, liegen darin, dass sie bestätigen, dass abstrakte Kunst nicht gehaltfrei ist, dass demzufolge die Voraussetzung von Gehalt, wie sie für traditionelle bzw. gegenständliche Kunst grundsätzlich angenommen wird, für alle Kunst gilt. Die Eigenschaften des Mediums, die gerade im Zusammenhang mit abstrakter Kunst neu festgelegt wurden, lassen sich nun in ihrer Intentionalität als befreit von durch Perspektivgesetze gegebenen Form- und Farberestriktionen sowie als Aufhebung illusionärer Darstellung dreidimensionaler Bildräume skizzieren.39 Eine weitere, ausschließlich von den abstrakten Expressionisten aufgenommene Veränderung gilt dem Stellenwert der Linie. Greenberg formuliert es so: «Die Linie, eines der abstraktesten Elemente der Malerei, da sie als die Definition eines Umrisses in der Natur nie vorkommt, kehrt in die Ölmalerei zurück als die dritte Farbe zwischen zwei andersartigen Flächen.»40 Befreiung der Farbe, des Colorito, Aufhebung der Vormachtsstellung der Linie und damit des Disegno verbunden mit deren Umwertung zu einer ‘dritten Farbe’ – radikaler konnten die Veränderung gegenüber den traditionellen Werten der Malerei kaum sein.41 Diese neuen Bedingungen des Mediums, das sich nun vor allem als Fläche versteht, die nicht mehr nach Ebenen gestaffelt wird, sondern auf der neben- und ineinander greifende Schichten übereinander liegen, verändern auch die Ansprüche an die Bildbetrachtung und an das Sehen. Eine fast narrative Ergänzung von Farbformen und die wiedererkennende Zuordnung von Flächen zu aus dem Lebensalltag bekannten Gegenständen vermögen nun nicht mehr zum Gehalt eines Bildes zu führen. Statt dessen ist es die möglichst vorurteilslose Wahrnehmung dessen, was das Bild in seinen malerischen Elementen zeigt, seine Farben, Formen, Linien und innerbildlichen Relationen, die einen Zugang zu seiner Bedeutung ermöglichen. Clifford Still formulierte es so: «Der Betrachter entnimmt im Allgemeinen einem Kunstwerk das, was er vorher hineingelegt hat [...]. Wenn er sich diesen Zwängen entziehen kann, die ihm ja nur ein Spiegelbild seiner selbst zurückwerfen, dann kann er vielleicht etwas von dem inneren geistigen Gehalt des Werkes spüren.»42 Diese Beurteilung des Deutungsvorganges hat zwar für alle Bildtypen und Darstellungsstile Gültigkeit, in Bezug auf abstrakte Malerei gilt sie jedoch in besonderem Maße. 38 39 40 41 42 Ebd., 443–444. Vgl.: C. Greenberg: Zu einem neuen Laokoon, in: Ch. Harrison, P. Wood (Hg.): Kunsttheorie, Bd. 2, 684. Ebd. Vgl. dazu ‘Disegno oder Colore’, oben, 98–103. C. Still: Geleitwort zu einer Ausstellung 1952 in New York, zitiert nach: Ch. Harrison, P. Wood (Hg.): Kunsttheorie, Bd. 2, 708. 205 3. Philosophische Fragen als Grundlage einer Bildbefragung Eine Bildinterpretation, verstanden als Instrument der Erkenntnis, hat das Ziel, Seherfahrungen und darauf gründenden Erkenntnisgewinn zu generieren, der nur durch ein Kunstwerk vermittelt werden kann. Sie ist demzufolge eine Anleitung zu einer sowohl sinnlichen als auch kognitiven Tätigkeit, die in der Aufdeckung von Sinn und Sinngenese liegt. Damit sie beides leisten kann, ist es nötig, dass sie den Blick auf bildinterne Prozesse lenkt und nachvollziehbare Schlüsse präsentiert, die dem Werk angemessen sind. Als Folge davon entsteht eine Neuordnung des Bildes, die dadurch zustande kommt, dass einzelne Beobachtungen aus einem Feld, das überall gleichzeitig zugänglich ist, in sukzessiver Weise zur Sprache gebracht werden müssen.43 Welches sind nun die Fragen, die sich aus den im vorhergehenden Kapitel vorgestellten philosophischen Positionen ergeben haben und die den Blick auf abstrakte Kunstwerke so lenken können, dass aus den Antworten eine Bilddeutung abgeleitet werden kann? Von den dreifachen Bezügen, in denen Kunst von Hegel in sein philosophisches System eingebunden wird, sind es zwei, die aufzunehmen sich geradezu aufdrängt. Gemäß Hegel ist in Zeiten der ‘Romantik’ der unmittelbare Zugang zu einem Kunstwerk verschüttet, da sich darin kein allgemeingültiges Interpersonales mehr ausdrücke.44 Bei aller prophetischen Kraft, die in dieser Aussage akzeptiert werden kann, kann jedoch trotzdem davon ausgegangen werden, dass es auch in unserer in diesem Sinne ‘nachromantischen Zeit’ noch immer (auch) etwas Geistiges ist, das in einem Kunstwerk zum Ausdruck gebracht wird. Wenn nun einerseits die Angemessenheit von Idee und Gestaltung bzw. die Übereinstimmung von Form und Inhalt als Entwicklungsstufe des Geistes verstanden wird, wenn andererseits von einem Kunstwerk nur dessen Gestaltung, nicht jedoch die in ihm veranschaulichte Idee bekannt ist, dann müsste sie sich auf dem Hintergrund einer ästhetischen Einstellung in Verbindung mit der Analyse der Gestaltung etwas über die Idee aussagen lassen. Die erste Frage lautet also: Auf welche Idee oder Themen verweist die Gestaltungs- oder Strukturanalyse? Diese Frage verbindet sich auch mit einer Aussage von Gadamer, die besagt, dass man nur im Kunstwerk selbst finden könne, was es zu sagen habe,45 was einer Aufforderung zur Untersuchung der Bildkomposition gleichkommt. Hegels geschichtsphilosophische Einbettung der Kunst stellt einen dreiphasigen Zyklus vor, der mit dem Niedergang der angemessenen Übereinstimmung von Gestaltung und Gehalt endet. Dabei bleibt offen, ob und wenn ja, in welcher Form sich eventuell ein neuer Zyklus anbahnen würde. Bemerkenswerterweise lässt sich zumindest auf der Ebene der Begrifflichkeit eine Parallele zwischen Hegels Epoche der symbolischen Kunst, die er als allen anderen Epochen vorausgehende ‘Kunst der Erhabenheit’ bezeichnet und der ‘Entdeckung’ des Erhabenen für die Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts feststellen.46 Vielleicht findet ja eine Erneuerung des «Sichhervorarbeiten[s] der künstlerischen Anschauung und Darstellung überhaupt» statt,47 das Hegel der symbolischen Kunst attestiert. Es kann deshalb als zweites gefragt werden: Ob und inwiefern kann abstrakter Kunst doch auch symbolische Bedeutung zugesprochen werden?48 Ein weiterer Aspekt, der sich 43 44 45 46 47 48 Vgl. M. Baxandall: Ursachen der Bilder, 28. Vgl. G.W.F. Hegel: Ästhetik, 674, bzw. oben, 140–145. Vgl. oben, 162–163, Anmerkung 162. Vgl. oben, 76–77. G.W.F. Hegel: Ästhetik, 437. Obwohl Goodmans Theorie von der Affirmation dieser Frage ausgeht, wird sie hier aufgenommen, da die Symbolik nichtgegenständlicher Kunst nicht geklärt ist. 206 zur Untersuchung anbietet, ist die Manifestation von Zeitlichkeit im Bild. Während Hegel die Auffassung vertritt, dass sich eine geschichtlich-historische Zeit in der Kunst spiegelt, knüpft ein Aspekt von Gadamers Kunsttheorie an den unterschiedlichen Eigenzeiten von Bild und Betrachter an. Im Besonderen im Zusammenhang mit der Parallelisierung von Fest und Kunst wird die Eigenzeit des Kunstwerks der Zeiterfahrung des Betrachters gegenübergestellt. Fasst man beide Ansätze zusammen lautet deshalb eine weitere Frage: Wie manifestieren sich Zeit und Zeitlichkeit im Gemälde und in welcher Art und Weise wird eine Zeiterfahrung vermittelt? Welche temporalen Strukturen weist das Bild auf? Aus Gadamers Bestimmung von Kunst als ‘Verwandlung ins Gebilde’ lassen sich noch weiter Fragen ableiten. Insbesondere im Zusammenhang mit ‘Gebilde’, das Gadamer als umfassende Bestimmung von Prozess und Produkt versteht, lässt sich fragen: Welche Regeln, Verfahren oder Tendenzen bestimmten die Herstellung des Kunstwerks? Da er mit ‘Gebilde’ außerdem die Ereignishaftigkeit der Kunst bezeichnet, die nur durch aktive Teilnahme erschlossen werden kann und zu dieser Art von Teilnahme die Rezeptionsbedingungen elementar sind, stellt sich auch die Frage: Unter welchen Bedingungen wird das Kunstwerk rezipiert? Goodman Symboltheorie hingegen bietet mit den ‘Symptomen des Ästhetischen’ (d.i.: Dichte, Fülle und Exemplifikation) ein Thematik, die sich am ästhetisch Wahrnehmbaren orientiert und sich deshalb zu einer Überprüfung an einem Kunstwerk anbietet. Welche ästhetischen Merkmale sind in einem Bild festzustellen? In welchen innerbildlichen Relationen stehen sie zueinander? Wie sind sie in Bezug auf das Ikonische zu benennen? – dies sind die Fragen, die sich aus Goodmans Ansatz für eine Bildbefragung ergeben. Sie zielen mit ihrer Ausrichtung auf die Erscheinung eines Bildes mitten in ein Spannungsverhältnis, in dem Gadamer Kunst als ein an verschiedene Ausdrucksformen von Zeitlichkeit gebundenes Ereignis und Heidegger das Kunstwerk als Wahrheit eröffnend verorten. Da sich, wie sich gezeigt hat, in der Malerei verschiedene Ausprägungen von Wahrheit – mimetische, gestalterische oder metaphysische Wahrheit – auffinden lassen,49 können die Fragen nach der Art und Weise ihrer Manifestation sinnvollerweise erst im Zusammenhang mit einer Interpetationsbegründung gestellt werden. Mit diesen Fragen: Wie lässt sich Wahrheit als eine Kategorie des Kunstwerks feststellen? Welcher Art Wahrheit ist eine Wahrheit, die sich im Kunstwerk nachweisen lässt? wird deshalb die Fragensammlung abgeschlossen. Die Fragen werden nun zu Untersuchungskriterien zusammengefasst, die entlang eines Beschreibungs- und Interpretationsvorgangs eingesetzt werden können. Im Hinblick auf die Transparenz des Analyseprozesses und unter Berücksichtigung der intermedialen Übersetzungsproblematik sowie in Anbetracht des Interpretationsobjekts ‘abstrakte Kunst’ werden diese Kriterien durch Aspekte ergänzt, die den Vorgang insgesamt situieren, ihn reflektieren und Ausdruck bzw. Resultat der Begegnung mit einem Kunstwerk sind. So werden den bildbezogenen Themen die Beschreibung der Rezeptionsbedingungen und eines Gesamteindrucks vor- und die Validierung der Interpretation und die Reflexion des ganzen Ablaufs nachgestellt. Die darzustellenden Aspekte und zu untersuchenden Bildelemente sind deshalb nun die folgenden: 1. 2. 49 Rezeptionsbedingungen Beschreibung des Gesamteindrucks Siehe oben, 182. 207 3. 4. 5. 6. 7. 8. Herstellung: Regeln, Verfahren, Techniken Bildfläche: ästhetische Merkmale, innerbildliche Relationen, Bildraumkonstituierung Temporale Strukturen: ikonische Ausdrucksformen von Zeit und Bezüge zu Zeitlichkeit Interpretation und Begründung Validierung Reflexion 3.1 Spezifika dieser Bildbefragung Der hier vorgestellte Interpretationsprozess besteht aus mehreren Schritten, die durch einen inneren Ablauf aufeinander bezogen sind und in dessen Zentrum die Sichtbarkeit des Bildes steht.50 Der Weg zur Bilddeutung setzt ein mit der Darlegung der Rezeptionsbedingungen. Darunter sind die besonderen Umständen zu verstehen, unter denen die Bildrezeption zustande kommt. Wichtiger Bestandteil dieser Umstände sind die subjektiven Perspektiven, die eine Position erst lokalisierbar machen. Warnke machte darauf aufmerksam, dass auch die Kunstwissenschaft Weltanschauung produziere und Weltanschauung sei51 und Philipp Ursprung kritisiert den geisteswissenschaftlichen Anspruch auf Neutralität und Objektivität mit der Begründung, dass es dabei in erster Linie um die Etablierung oder Aufrechterhaltung von Unangreifbarkeit gehe.52 Auch Bätschmann weist nach, wie sehr das Verstehen oder Nicht-Verstehen eines Bildes von subjektiven Voraussetzungen abhängig ist.53 Mit dem Hinweis auf die technischen Umstände der Bildbetrachtung sowie den Überlegungen zur Auswahl soll diesen kritischen Stimmen Rechnung getragen und die Nachvollziehbarkeit der Bildbefragung insgesamt gestützt werden. Es ist zwar das Bild, das im Fokus der Untersuchung steht, doch rezeptionsbestimmende Faktoren wirken sich auf die Beschreibung und die Interpretation aus. So ermöglicht die digitale Verfügbarkeit von Gemälden eine ästhetische Exploration kleinster (virtueller) Bildteile und willkürliche Fokuswechsel zwischen Detail und Bildganzem, was an einem realen Objekt nicht entsprechend auszuführen ist. Die Bildbetrachtung erhält dadurch ganz deutlich zeitlich-räumlich strukturierte Momente, die vor einem realen Objekt nicht in gleichem Maße instrumentell einsetzbar sind. Die Betrachtung eines Gemäldes auf einem Bildschirm kann aber auch Irritationen bewirken, insofern die Größe eines Werks allzu leicht übersehen wird, der Pinselduktus häufig nur erahnt werden und von einer Gegenwart des Bildes nicht gesprochen werden kann, was jedoch seine ästhetische Präsenz nicht aufhebt, die umso eingehender untersucht werden kann.54 50 51 52 53 54 Sichtbarkeit wird im Sinne Fiedlers verstanden, der Kunst als ‘Sichtbarkeitsgestaltung’ – das Resultat künstlerischer Tätigkeit – versteht, die eigengesetzlich sowie eigenbedeutsam ist. Siehe dazu ‘Sichtbarkeit’, oben, 84–85. Vgl. M. Warnke: Das Kunstwerk, 8. Warnke spricht von Kunstwerken als von ‘Opfern weltanschaulichen Zugriffs’ und weist auch subtile Vereinnahmung von Kunstwerken nach. Ph. Ursprung: Kunst als Duschvorhang, 11. Vgl. O. Bätschmann: Einführung in die kunstgeschichtliche Hermeneutik, 13–16. Es gibt noch keine Studien, die sich mit den Auswirkungen veränderter Seh- und Untersuchungsgewohnheiten auf die Untersuchung traditioneller Kunstwerke aufgrund Internet-basierter Bilddatenbanken beschäftigen. Hans Dieter Huber hat im Rahmen des Forschungsprojektes ‘Netzkunst - online und im Museum’ der Fachhochschule Nordwestschweiz eine Skizze veröffentlicht, die das Beschreiben und In- 208 Als zweites wird ein Gesamteindrucks formuliert, jene kurze, ganzheitliche Begegnung, bevor der analytische Blick bei Details zu verweilen und Relationen herzustellen beginnt. Bei nicht gegenständlichen Bildern gehören dazu die sprachliche Wiedergabe ikonischer Spannungsverhältnissen von Präsenz und Absenz, wie sie im zweiten Kapitel beschrieben und dargelegt wurden sowie von Farbeindrücken, Aussagen zur Palette oder begründeten Assoziationen zur ‘Gestaltgebung’, die mit dem Bildgehalt oder der Idee korreliert. Mit dem dritten Befragungskriterium erhält die Bildbefragung bildinhaltlich-formale Akzente. Es bezieht sich auf die künstlerisch-gestalterischen Techniken, mit denen ein Werk hergestellt wurde – das Wie der Bildproduktion. Gerade in einem ungegenständlichen Bild lassen sich Verfahrensweisen als formale Bildelemente nicht von inhaltlichen trennen, denn sie ordnen es einer bestimmten Kunsttradition oder einem bestimmten Stil zu und setzen es damit unter Umständen zu programmatischen kunsttheoretischen Aussagen in Beziehung oder schreiben es ihnen gar ein. Im Unterschied zu einem gegenständlichen Werk, das aus darstellenden Elementen und sie tragenden, nichtdarstellenden Elementen oder Leerstellen besteht – im zweiten Kapitel wurden einige davon benannt und veranschaulicht55 – setzt sich das ungegenständliche Bild aus Stellen, die semiotisch nicht eindeutig bestimmbar sind, zusammen. Sie sind deshalb mehrfach zu kontextualisieren: Bildextern in ihren technisch-historischen Bezügen sowie bildintern, in ihren Relationen zum Bildganzen. Diese Prozesse auf der Bildfläche sind Gegenstand des nächsten, vierten Schrittes auf dem Weg zu einer Interpretation. Nun wird die Kompositionsstruktur des Bildes nach Maßgaben der Ikonik, die im zweiten Kapitel nachgezeichnet wurde,56 untersucht. Im speziellen Fall abstrakter Bilder macht dieses Verfahren deutlich, wie die konstituierenden Elemente der Bildgestaltung verstanden als Repräsentationen von etwas, das außerhalb des Bildes nicht existiert, in Begriffe räumlicher Relationen übersetzt dem Bewusstsein zugänglich werden und damit Bedeutungszusammenhänge zutage fördern, die ohne diesen Übersetzungsvorgang unerkannt geblieben wären. Ohne diese Übersetzung der Bildelemente in eine metaphorisch-sprachliche Struktur könnten sie in ihrer Bedeutung gar nicht erfasst werden, denn was Danto in Bezug auf ein Historiengemälde aussagt, gilt auch für nichtgegenständliche Darstellungen in dem Augenblick, in dem sie beschrieben werden: «Tatsächlich hat die Beschreibung oder Abbildung von a als b immer [...] metaphorische Struktur [...] als ob das Gemälde sich in eine Art Imperativ auslöste, a gemäß den Attributen von b zu sehen».57 Auch Majetschak, der auf die ‘Repräsentation-als’-Untersuchung von Danto hinweist, begrenzt seine Beispiele zur Metaphorizität in Bildern58 zwar auf gegenständliche Werke, doch der Schluss, den er zieht, lässt sich auf nichtgegenständliche Bilder übertragen. Wie Majetschak schreibt, sind es stets «die konsonanten, kontrapunktischen oder kontrastiven Beziehungen der [...] Bildelemente zueinander, die unterschiedliche Modi solcher ‘Repräsentation-als’ konstituieren und so auf metaphorische Weise Sinn erzeugen».59 Eben dies trifft auf die Betrachtung abstrakter Werke zu, wenn ihre Performativität in Sprache gefasst wird, denn durch die Verwandlung der Simultaneität des Bildes in die Sukzessivität sprachlichen Ausdrucks erfolgt eine unentwegte Festsetzung von 55 56 57 58 59 terpretieren von Netz-Kunst problematisiert, der Ausbau dieses Ansatzes auf die Betrachtung bestehender Gemälde im Netz ist ein Desiderat. Vgl. H.D. Huber: Über das Beschreiben. Vgl. ‘Elemente ikonischer Absenz’, oben, 109–131. Vgl. ‘Ikonik’, oben, 85–87. A.C. Danto: Die Verklärung des Gewöhnlichen, 255. Vgl. S. Majetschak: Sichtbare Metaphern, 245–251. Ebd. 247. 209 Figur und Grund, von visueller Inversion, wie sie auch im zweiten Kapitel im Zusammenhang mit der Opazität und Transparenz im Allgemeinen,60 der Textur im Besonderen61 und vor allem der Darstellung pikturaler Leerstellen exemplifiziert worden sind.62 «Vor dem Auge des Betrachters eröffnet sich damit» folgert Majetschak, «ein wieder und wieder unausschreitbarer Denk- und Deutungsraum, der [...] beständig der Erstarrung widersteht.»63 Dieser (metaphorische) Raum ist in Bildern jeder Art enthalten, ihn in nichtgegenständlichen Bildern zu entdecken ist interpretatorische Aufgabe, da in diesem Fall das ganze Bild aus Leerstellen besteht, die von den Betrachtenden in einen Sinnzusammenhang gebracht werden müssen, wenn sie das Bild verstehen wollen. So kann die Abstraktion an sich als mimetische Leerstelle64 betrachtet werden, falls sie auf einem Gegenstand aufgebaut ist, der unter Umständen noch im Titel angegeben ist, was die Betrachtenden veranlasst, diesen Gegenstand im Bild sehen zu wollen. Pikturale Leerstellen, die durch ihre rezeptionsästhetische Konzeption in den außerbildlichen Raum hinaus wirken, finden sich dort, wo die Aufforderung zur Gestaltbildung – wie bei Wolkenformationen, die als Figuren gesehen werden können – besonders starke Wirkung entfaltenden. Rhetorische Leerstellen65 können dort identifiziert werden, wo Bildelemente wie Farbflächen, -flecken oder Linien als affektgeladen verstanden werden können, wie dies bei der gestischen Malerei der Fall ist66 und sigetische Leerstellen67 entsprechen den Gegenspielern der rhetorischen, sie grundieren alle anderen und bilden gewissermaßen den Hintergrund oder das Insgesamt eines abstrakten Werks. Der fünfte Analyseschritt gilt temporalen Bildstrukturen. Möglichkeiten ikonischer Ausdrucksformen von Zeit und Zeitlichkeit wurden in einem Exkurs68 erläutert und mit Bildern veranschaulicht. Gemäß diesen Exemplifikationen werden die Erscheinungsweisen von Zeit in der Sichtbarkeit des Bildes als eigenständige Bedeutungsschicht betrachtet. Sei es als gestische Verlaufsspuren von Bewegungen, als ins Bild gesetzte, metaphorische Darstellung einer Dauer oder als figurale Rhythmen – die Untersuchung der Interdependenz räumlicher mit zeitlichen Gliederungen und ihre Erscheinungsweise im Bild führt zu einer Erfahrung von Zeit, die wir, wie Boehm sagt, «sonst sinnlich nie erfahren können. Anfang und Ende der Zeit sind aneinander geknüpft. Dies so zu zeigen, vermag nur die Malerei.»69 Indem nämlich die Bildflächengestaltung zum Bildraum wird und dieser über den betrachtenden Nachvollzug der ihn strukturierenden Elemente als bewegt wahrgenommen werden kann, verschränkt er sich mit der Bildzeit. Anschließend an diese Aspekte der Befragung erfolgt die eigentliche Interpretation. Da in Bezug auf moderne Artefakte die Notwendigkeit besteht, «einen Sinn anzuerkennen, der den Dingen nicht ähnelt, für den keine literarische Vorformulierung existiert, der sich in kein präexistentes System von Konventionen der Erfahrung einbettet», so Boehm,70 so bewegt sie sich auf einem Feld, das bisher vor allem in der Theorie, nicht jedoch in der 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 Vgl. oben, 90. Ebd. ‘Textur’, 104. Ebd. ‘Pikturale Leerstellen’, 185–197. S. Majetschak: Sichtbare Metaphern, 249. Vgl. ‘Mimetische Leerstellen’, oben, 111–113. Siehe ‘Rhetorische Leerstellen’, oben, 113–122. Das Bild von Joan Mitchell, das nachfolgend als zweites befragt wird, gehört in diese Gruppe. Vgl ‘Sigetische Leerstellen’, oben, 128–131. Vgl. ‘Manifestationen von Zeit und Zeitlichkeit’, oben, 171–177. G. Boehm: Bild und Zeit, 23. G. Boehm, Zu einer Hermeneutik des Bildes, 446. 210 kunstwissenschaftlichen Praxis bearbeitet wurde. So sind ungegenständliche Bilder noch weitgehend ‘unübersetzt’, so dass die Sprachlosigkeit dieser Werke in jeder Interpretation aufs Neue überwunden werden muss. Hier wird mit Interpretationen aufgrund philosophischer Bildbefragungen nach einem Weg gesucht, den Sinn, den abstrakte Gemälde sichtbar machen, sprachlich aufscheinen zu lassen, obwohl er die äußere Wirklichkeit überbietet.71 Die Interpretationen werden gespeist aus den Resultaten der vorausgegangenen Analysen bzw. der Engführung einzelner Motivdeutungen, die anschließend argumentativ gesichert werden. Zu dieser Sicherung gehört in der Regel auch der Vergleich mit den Auslegungen anderer und deren Argumentation.72 Dies lässt sich jedoch im Falle ungegenständlicher Kunst kaum einlösen, da sich zu ihnen nur in sehr seltenen Fällen Interpretationen finden lassen, die mehr als biographische oder historische Hintergründe enthalten und auf die bildimmanente Bedeutung eines spezifischen Werks eingehen.73 Auch zu den hier untersuchten Werken sind keine bestehenden Deutungen zugänglich. 74 Die durch diese Situation gegebene Schwäche der Interpretationsbegründung wird allerdings dadurch etwas relativiert, als die Vorläufigkeit einer Deutung von Anfang an als bewusster Bestandteil des ganzen Interpretationsprozesses betrachtet wird und nur Plausibilität, nicht jedoch ausschließliche Richtigkeit beansprucht wird. Im Zusammenhang mit der Überprüfung der Interpretation werden auch die Fragen nach der Wahrheit des Kunstwerks, die durch die Umwandlung der ausformulierten Fragen zu Überschriften von Untersuchungskriterien überdeckt wurden, wieder aufgenommen. Es müssen nun Antworten gesucht werden auf die Frage, welcher Art die Wahrheit ist, die sich in einem bestimmten Werk überhaupt feststellen lässt. Das Deutungsverfahren schließt nicht mit der Begründung einzelner Interpretamente ab, sondern das Verfahren selbst wird in einem nächsten Schritt validiert. Bätschmann, der das Validieren in die kunstgeschichtliche Hermeneutik einführte,75 schließt das historische Erklären von Inhalten und künstlerischen Verfahren sowie die Erschließung innerbildlicher Darstellungsprozesse in den Validierungsprozess mit ein.76 Hier ist jedoch nur das Interpretieren nicht das Interpretierte und auch nicht das Interpretament Objekt der Kritik, indem der hermeneutische Vorgang als solcher rückblickend betrachtet und bewertet wird. Ein Kunstwerk ist auf verschiedene Weise mit Reflexion in Beziehung zu setzen. Während bildinterne Elemente formal und in ihrer spezifischen künstlerischen Gestaltung kunsttheoretische Positionen sowie seinen Bezug zur Kunstgeschichte reflektieren, ist sein Inhalte als Reflexion über eine Erfahrung von Realität oder eine Sicht auf die Welt zu verstehen. In einer Bildinterpretation wiederum wird das Kunstwerk insgesamt reflektiert, das heißt, in diese Reflexion über das Werk haben die bildimmanenten Reflexionsebenen zwangsläufig einzufließen. Wenn also zum Schluss der Bildbefragung eine Reflexion aller 71 72 73 74 75 76 Ebd. Ebd. 160. Als pars pro toto sei hier B. Hess, Abstrakter Expressionismus, erwähnt. Eine Publikation, die informativ über die ‘New Yorker Schule’ und ihre einzelnen Protagonisten berichtet, jedoch die Frage der Interpretation dieser Werke nicht anschneidet. Eine Ausnahme stellt eine von Oskar Bätschmann verfasste Monographie zu Jackson Pollock dar, mit der er bereits 1971 das Werk und einzelne Bilder dieses Künstlers kontextualisierte. Vgl. O. Bätschmann: Jackson Pollock. Um die Resultate der folgenden Bildbefragungen nicht zu verfälschen gehörte dieser Fakt zu den Voraussetzungen der Werkauswahl. Vgl. O. Bätschmann, Einführung, 159–160. Vgl. ebd., 160. 211 Schritte durchgeführt wird, dann entspricht dies einer weiteren, dritten Reflexionsebene, die die aus der Herleitung der Bilddeutung und der Bilddeutung selbst gewonnenen Erkenntnisse zu ihren Inhalten hat. Auf jeder dieser Reflexionsstufen vollzieht sich, was Hegel zum Stichwort ‘Wahrnehmen’ wie folgt beschreibt: Das Bewußtsein, das über die Sinnlichkeit hinausgegangen, will den Gegenstand seiner Wahrheit nehmen, nicht als bloß unmittelbaren, sondern als vermittelten, in sich reflektierten und allgemeinen.77 Wenn ein Künstler seine subjektive Weltwahrnehmung in einem sinnlich erfahrbaren Kunstwerk vermittelt, so wird Subjektivität objektiviert. Der einzelne, subjektive Eindruck wird als reflektierter zu einem Allgemeinen, einem Allgemeinen allerdings, das für die Rezeption wieder ein Einzelnes ist, in der Interpretation jedoch in ein neuerliches, anderes Allgemeinen erhoben oder doch zu ihm in Beziehung gesetzt wird.78 Reflexion stellt somit eine Bewegung, ein Übergang im dialektischen Verhältnis von Einzelnem und Allgemeinem dar. Gleichzeitig wird in der Reflexion auch zwischen dem reflektierenden Subjekt und dem reflektierten Objekt unterschieden. Diese Dialektik der Prozesshaftigkeit des Reflektierens wirkt sich auf deren Verhältnis aus, das sich verändert: Das Bewusstsein des Subjekts wird durch das Wissen über das Objekt erweitert, dieses wiederum durchläuft eine Veränderung, insofern es seinen Status als Einzelnes aufgibt und eine Mannigfaltigkeit von Beziehungen gewinnt. Bei Hegel heißt es dazu dass die Fortbildung des Bewußseins als eine Veränderung der Bestimmungen seines Objekts erscheint. Mit Bezug auf diesen Punkt kann hier noch erwähnt werden, daß, indem das wahrnehmende Bewußtsein die Einzelheit der Dinge aufhebt, ideell setzt und somit die Äußerlichkeit der Beziehung des Gegenstandes auf das Ich negiert, dieses in sich selbst geht, selber an Innerlichkeit gewinnt, daß aber das Bewusstsein dies Insichgehen als in das Objekt fallend betrachtet.79 Darin ist eine Grenzverschiebung im Verhältnis von Subjekt und Objekt philosophisch begründet, die aus kunstwissenschaftlicher und kunsttheoretischer Sicht als zentrales Moment der Performativität eines Kunstwerks vorgestellt wurde.80 Die Infragestellung der scharfen Grenzen zwischen Subjekt und Objekt vollzieht sich in der Dynamik der Interpretation. Sie hat eine Neuordnung des Bildes in der Wahrnehmung der Betrachtenden zur Folge, da sie sowohl neue Figur-Grund-Konstellationen81 herstellt, als auch neue kontextuelle Bezüge eröffnet. Das heißt, durch die Interpretationsprozesse werden nicht nur Einzelheiten sehend nachvollzogen, sondern die Gesamtkomposition wird sehend mitvollzogen und reflektiert. Die Deutung des Bildes, die auf Analogiebildungen beruht, wird so zum Ergebnis einer aktiven Teilnahme. Mit der Reflexion dieser begegnenden Teilnahme und deren Resultat, das sich in der Interpretation abbildet, wird die Bildbefragung abgeschlossen. 77 78 79 80 81 G.W.F. Hegel: Enzyklopädie III, §420, 208. Vgl. dazu auch: Ebd. Zusatz, 209. Vgl. ebd., §419, 208. Ebd., 209–210. Vgl. ‘Das Bild vor dem Betrachter: reflexiv’, oben, 168–171. Zur Gestaltlehre und dem Figur-Grund-Problem siehe oben, 123–124. 212 4. Bildbefragung Nr. 1: Mark Bradford, Things fall apart, 2010 Abb. 47: Mark Bradford, Things fall apart, 2010, Mixed Media auf Leinwand, 121,9 x 152,4 cm, Privatbesitz. 4.1 Rezeptionsbedingungen Es gehört zu den Voraussetzungen dieses Interpretationsprozesses, dass alle für eine Deutung relevanten Informationen ausschließlich aus dem Bild selbst zu beziehen sind. Deshalb sollen hier nur Werke untersucht werden, zu denen keine bestehenden Auslegungen zugänglich sind. Für die erste Bildbefragung weckte ein Satz aus dem Klappentext eines Bildbandes82 die Neugier auf die Werke von Mark Bradford, der in Europa kaum bekannt ist. Der Satz lautet: [This] book [...] features essays by authors [...] who investigate how Bradford straddles the line between social critique and formal innovation, playing the two against one another to produce works of seduction and analysis.»83 Die Aspekte, die darin zusammengeführt werden – Sozialkritik, formale Erfindung, Verführung und Analyse – lösten weder konkrete Bildvorstellungen noch bildhaften Assoziationen aus, die im erwähnten Band abgebildeten Werke bestachen jedoch durch ihre Ästhetik. Da sie für eine Bilduntersuchung und Interpretation nicht in Frage kamen – es war zu vermuten, dass sie in den Essays besprochen sein würden – setzte eine Internetrecherche nach Werken dieses Künstlers ein, die im erwähnten Band keine Aufnahme gefunden hatten. Die Suche führte zur Homepage der Online-Zeitschrift der Royal Academy of the Arts, die auf die ers82 83 Ch. Bedford (Hg.): Mark Bradford. Ebd. innere Umschlagseite. 213 te Ausstellung des Künstlers in London (im White Cube Hoxton) aufmerksam machte.84 Das hier zur ersten Befragung bestimmte Werk, das ausschließlich aufgrund seiner ästhetischen Qualitäten ausgewählt wurde, konnte von der Bilddatenbank dieser Zeitschrift heruntergeladen werden. Das Werk selbst ist auf dieser Homepage nicht besprochen, ein Blog einer Magazine-Editorin, der eventuell zu einer Besprechung hätte führen können, war nicht mehr zugänglich. Auf der Homepage der Londoner Saatchi-Gallery ist das Werk Things fall apart nicht aufgeschaltet, doch der Künstler wird dort mit dem Geburtsjahr (1961) und -ort (Los Angeles) und einer Liste seiner Einzelausstellungen vorgestellt.85 Außerdem wird auf seine Arbeitsweise hingewiesen: «Mark Bradford’s abstractions unite high art and popular culture as unorthodox tableaux of unequivocal beauty. Working in both paint and collage, Bradford incorporates elements from his daily life into his canvases: remnants of found posters and billboards, graffitied stencils and logos, and hairdresser’s permanent endpapers he’s collected from his other profession as a stylist».86 So steht das Werk mit den Maßen 121,9 x 152,4 cm also nur virtuell, dafür jederzeit und in unterschiedlichen Auflösungen und als Ausdruck in verschiedenen Größen zur Verfügung. Die Bildbefragung ist somit auch ein Experiment zu einer ‘digitalen Interpretation’. 4.2 Beschreibung des Gesamteindrucks Als erstes stellt sich ein Eindruck von geordnetem Durcheinander ein. Ein undurchdringlich erscheinendes Gitter in verschiedenen Grauabstufungen überzieht die Bildfläche von Rand zu Rand. In seiner triangularen Ausgestaltung erinnert es an ein geodätisches Netz. An den Rändern der Bildfläche weisen schwarze, gelbe, rote und blaue Flecken darauf hin, dass die Fläche fast zur Gänze weiß lasierend übermalt wurde. So präsentiert sich das Bild, dessen Titel nicht mit seiner ästhetischen Erscheinung in Verbindung gebracht werden kann, auf den ersten Blick. Als Grund für diese Dichotomie von Titel und Sichtbarkeit ist dieses Netz, das – gerade durch die Assoziation zu einem geodätischen Raster – als alles zusammenhaltend und alles mit allem verbindend gesehen wird. Eine durch zwei schwarze Dreiecke markierte Diagonale von unten links nach oben vermittelt ein Spannungsverhältnis zwischen linker und rechter, unterer und oberer Bildhälfte, die sich durch die Konturierung der Gitterlinien bzw. der Farbfleckenverteilung unterscheiden. Alles in allem vermittelt sich so der Eindruck eines labilen Gleichgewichts zwischen Statik und Dynamik, zwischen bunten und unbunten Zonen, zwischen Bilduntergrund und Bildoberfläche sowie zwischen den Bildrändern und der Bildmitte. Der Blick, der durch die Diagonale nach oben rechts zu den Restbeständen von Farben geführt wird, springt zu den gelben und roten Stellen an beiden Bildrändern um auf beliebigen Wegen wieder in der Bildmitte anzukommen – er wird nirgends angehalten, nirgends hingeführt, er bleibt im Bild gefangen und durchläuft immer wieder die gleichen Stationen. Von der Mitte aus, von dem Ort, wo die Diagonale von der linken in die rechte Bildhälfte übergeht, scheint ein Sog auszugehen, der den Blick immer wieder anzieht, gegen ihn kommen die farbige Flecken der Peripherie nicht an. 84 85 86 Vgl.URL:http://www.royalacademy.org.uk/ra-magazine/blog/white-cube-hoxton-mark-bradford,34,BAR. html [3.2.2012]. Vgl. URL: http://www.saatchi-gallery.co.uk/artists/mark_bradford.htm [3.2.2012]. URL: http://www.saatchi-gallery.co.uk/artists/mark_bradford.htm [4.2.2012]. 214 4.3 Herstellung: Regeln, Verfahren, Techniken Bei Things fall apart handelt es sich um ein allover, eine flächendeckenden Malerei, die sich bis an alle Bildränder (und imaginär auch darüber hinaus) fortsetzt. Diese Bildflächenbehandlung ist ein Merkmal von action painting sowie der Farbfeldmalerei (colourfield) und anderen, im Zusammenhang mit dem amerikanischen Abstraktionismus seit den 1940er Jahren entwickelten Bildgestaltungen. Die Materialangabe mixed media kann nur in Annäherung spezifiziert werden. Da bekannt ist, dass der Künstler Plakate, Collagen von Werbezetteln und anderen Druckerzeugnissen übermalt,87 darf davon ausgegangen werden, dass diese Technik auch im vorliegenden Werk zur Anwendung kam: Collagierte bunte Werbeprospekte und Papierschnipsel bilden vermutlich den Bilduntergrund der zu großen Teilen weiß lasierend übermalt oder überklebt wird und in diese Überdeckung wird ein Gitternetz geritzt, so dass je nach Dichte des Farbauftrags die Farbe aufgerissen und der Untergrund ganz, teilweise oder nur an den aufgestoßenen Linienrändern sichtbar wird. Abb. 48: Mark Bradford, White Painting, Detail, 2009, Mixed Media, Collage auf Leinwand, 259 x 366 cm, Privatbesitz. Eine Detailaufnahme (Abb. 48) eines sehr ähnlichen Werks, dessen Weißerscheinung allerdings nicht von Farbe, sondern von weißen aufgeklebten Papieren stammt, gibt Einblick in diese Technik. Die den Ritzzeichnung als Unterlage dienende Übermalung gehört zu den Bildtechniken, die in traditionellem Kontext als pentimenti der Korrektur und Umgestaltung von Gemälden durch den Künstler dienten, seit dem 20. Jahrhundert aber als eigenständiges ästhetisches Mittel eingesetzt werden. Das Ritzen selbst in Verbindung mit Farb- oder Materialunterlagen geht als Grattage auf den Surrealisten Max Ernst zurück, der verschiedene künstlerische Verfahren entwickelte, die sich alle nicht vollständig kontrollieren lassen, so dass immer unvorhersehbare ästhetische Wirkungen die Folge sind. Die Collage, die in Bradfords Bild eine untere Schicht bildet, ist ein Gestaltungmittel, das vor allem von den Kubisten und den Surrealisten eingesetzt wurde. Unter der collagierten oder mit Farbflächen bedeckten Schicht ist eine weitere auszumachen. Eventuell handelt es sich dabei um die Leinwand – sie ist dort zu erkennen, wo das Gitternetz über Farbflächen geführt ist. Bradfords Werk scheint also aus vier Schichten zu bestehen – von oben nach unten beschreiben aus einer geritzten, einer bemalten, einer collagierten, sowie einer weiteren 87 Vgl URL: http://www.saatchi-gallery.co.uk/artists/mark_bradford.htm [4.2.2012]. 215 weißen, die sich unter den Farbflächen befindet, von der jedoch nicht auszumachen ist, wie sie entstand. Jede der drei identifizierbaren Techniken stammt aus dem 20. Jahrhundert und ist über die ganze Bildfläche aufgebracht worden. In Things fall apart sind alle gleichzeitig sichtbar und bestimmen in ihrem Ineinandergreifen die ästhetische Wirkung. 4.4 Bildfläche: Ästhetische Merkmale, innerbildliche Relationen, Bildraumkonstituierung Abb. 49: Piet Mondrian, Composition with Red, Yellow and Blue, 1935, 80,3 x 63,3 cm, London, Tate Gallery. Abb. 50: Piet Mondrian, Composition with Red, Yellow and Blue, 1937–1942, 72,7 x 692 cm, London, Coll. Tate Gallery. Die Verbindung von Collage, Malerei und Grattage resultiert in einer aufgerauten Bildoberfläche, von der selbst auf dem Bildschirm eine starke, taktil ansprechende Wirkung ausgeht. Die an wenigen Stellen vorhandenen Farben Rot, Gelb kontrastieren mit dem Schwarz und dem Weiß, die aus verschiedenen Bildschichten stammen und mit dem Grau der Gitterlinien. Die Verteilung und die Intensität der bunten Stellen wie auch die GitterKomposition erinnern an Piet Mondrians Kompositionsserie der 1920er Jahre (Abb. 49 und 50). Diese Werke, ebenfalls allover-Kompositionen ohne zentrales Hauptmotiv, wurden in der Abwendung vom real Sichtbaren, als Ausdruck geometrischer Harmonie und auf der konzeptionellen Suche nach einer reinen Kunst konzipiert, deren Elementen den gekrümmten Linien der natürlichen Welt gegenüberstehen sollten.88 Fast neunzig Jahre darnach lässt sich im Gemälde von Bradford – wie ein spätes Echo auf Mondrian – eine grau changierende Gitterstruktur die sich über lasierendem Weiß ausbreitet sowie sparsame, vorwiegend an den Bildrandzonen gesetzte Farbakzente auffinden. Die Unterschiede der Ausführung sind allerdings unübersehbar: Bei Mondrian ist alles geometrisch klar zugewiesen, da gibt es weder Unklarheiten der Formen noch der Farben, was schwarz ist, ist schwarz, was weiß ist, ist weiß, Linie ist Linie, Bildfeld ist Bildfeld. Wie anders bei Bradford: nichts ist präzise definiert, alles im Zustand von Veränderbarkeit, welchem Ende der Farbskala die Grautöne zugehören, ist Sache der Interpretation, Linien sind ausfransend, die Vierecke sind nun Dreiecke in unterschiedlichen Größen88 Vgl. K. Ruhrberg: Abstraktion und Wirklichkeit, 168–174. 216 und Richtungsverhältnissen, das geometrische Netz Mondrians, das die Felder trennt wurde zum geodätischen Netz, das alles mit allem verbindet. Auch die traditionelle Bildraumzuweisung, von Mondrian insofern aufgehoben, als seine Kompositionen sich nur auf einer Bildebene, der Fläche, abspielen, erhielt bei Bradford eine zusätzliche Umdeutung. Denn durch das Wegfallen jeglicher perspektivischer Veränderungen der alles überdeckenden Netzstruktur wird das, was traditionellerweise in einem Schichtensystem als Bildhintergrund identifiziert wird – hier die schwarzen Felder und Farbflecken am oberen Bildrand – zu einem Bilduntergrund. Damit wird den Betrachtenden ein Blick aus der Vogelperspektive zugewiesen, der durch das Gitter und das Weiße hindurch auf den Untergrund aus Schwarz und Buntheit gerichtet ist. Diese Blickführung hat zur Folge, dass der Blick erst auf den Fragmenten, die aus dieser untersten Schicht sichtbar sind, zur Ruhe kommt. Die Sogwirkung bzw. Zentrierung des Blicks von der oben im Zusammenhang mit dem Gesamteindruck die Rede war, kann durch diese Vogelperspektive verursacht sein. 4.5. Temporale Strukturen: ikonische Ausdrucksformen von Zeit und Bezüge zu Zeitlichkeit In zweierlei Hinsicht lassen sich ikonische Bezüge zur Vergangenheit feststellen: Die von Bradford in Things fall apart eingesetzten Techniken (Grattage, Collage, Übermalung) stammen alle aus der erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das gilt ebenso für die in der kompositorischen Gestaltung zum Ausdruck kommende entfernte Verwandtschaft zu Mondrian, die denselben historischen Abstand überbrückt. Somit bezeugen Techniken und Komposition Vergangenheitsbezüge zur klassischen Moderne und zum Surrealismus. Dieser gekonnte Umgang mit kunsthistorisch erprobten Mitteln und der Umdeutung vorhandener Motive kann als Polystilistik (das Verwenden verschiedener Stilmittel in einem Werk) und als Sampling (die Übernahme einzelner Motive in einen neuen Kontext) der Gegenwart zugeordnet werden. In der Musik sind dies seit langem anerkannte Gestaltungsmethoden, in der bildenden Kunst bzw. der Malerei werden sie in der Theorie kaum thematisiert, obwohl sie in der künstlerischen Praxis anzutreffen sind. Bradfords Gemälde Things fall apart ist ein Beispiel für das Auftreten dieser zeitgenössischen Ausdruckstechniken und Kompositionsmethoden in einem Werk. In einem Rückbezug auf jüngere Vergangenheit wird somit Gegenwart hergestellt und in der Präsenz der Sichtbarkeit zugänglich. Im Bild selbst vermittelt die Netzstruktur eine große unruhige Gegenwärtigkeit. Solange der Blick auf der Ebene dieses Netzes bleibt, wandert er ziellos von Verbindungsknoten zu Verbindungsknoten - gefangen in einer durch viele Richtungswechsel gekennzeichneten, hektisch erscheinenden, doch letztlich ziellosen Bewegung auf der Oberfläche, bis er wieder in der Bildmitte zur Ruhe kommt. Verstärkt wird der Bewegungseindruck durch Farbschattierungen und -verdichtungen, die sich um die Netzlinien bilden und mit ihrer unregelmäßigen Verteilung pulsierend wirken. Die optischen Pulse vermitteln allerdings eine Tiefenbewegung, sie treten auf und tauchen ab, je nach dem, ob sie im Fokus oder der Peripherie des Blicks sind und verbinden die unterste Bildschicht mit der obersten. Mit den zwei unterschiedlichen Bewegungsimpulsen – der Blick der auf der Bildfläche wandert, die Farbpulse, die Tiefe suggerieren – vermittelt die gesamte Bildoberfläche eine unruhige Gegenwärtigkeit, die von den zeitlichen Aspekten der weißen Farbschicht oder des schwarz-bunten Untergrundes kontrastiert wird, die beide keine aktiven Bewegungen evozieren. Auf der Bildoberfläche entsteht so der Eindruck von Veränderung: Das Netz verändert seine Farbe, je nach Blickrichtung wird es immer weißer oder immer grauer. Dieses 217 ‘Werden’ als Zuschreibung zu einem in einem Bild unbeweglichen, statischen Zeichengebilde ergibt sich aus einer relationalen Betrachtungsweise, die nicht das einzelne Feld, die einzelne Linie, sondern ihre vielfältigen Beziehungen berücksichtigt. Damit tritt ein Moment von Zeitlichkeit – ein Nacheinander – in die Statik der gleichzeitigen Anwesenheit, aus dem ‘Ist’ oder ‘Sind’ wird ein ‘Werden’. Während die Oberfläche als den Betrachtenden am nächsten stehende und somit als der Gegenwart zugehörig betrachtet werden kann, kann die fragmentierte weiße Fläche mit einer begrenzten Zeitspanne in Verbindung gebracht werden, die sich in einer von der Gegenwart getrennten Vergangenheit ausdehnt. Setzt man nun die unterste Bildschicht als tragende, so entspricht ihr eine temporale Struktur, die als noch weiter von der Gegenwart entfernt als die weiße betrachtet werden kann. Der Mehrschichtigkeit bildhafter Eindrücke entspricht somit eine Mehrstimmigkeit zeitlicher Dimensionen. Eine Gegenwart als Oberfläche ist mit einer Vergangenheit, den übermalten unteren Bildschichten, verbunden. 4.6 Interpretation Mit den im Bildtitel Things fall apart von Mark Bradford angesprochenen ‘Things’ sind sozial-gesellschaftliche Dinge bzw. Übereinkünfte gemeint. Das Bild zeigt in allegorischer Darstellung Veränderungen, Umbrüche, das Auseinanderfallen und die Aufhebung gewohnter Bezugssystem und damit einhergehende Ambivalenzen. Ein Blick aus großer Höhe auf den Ausschnitt einer sphärischen Oberfläche macht deutlich, dass alles in Bewegung ist und nichts bleibt, wie es war. Unterstes tauscht sich mit der Oberfläche aus, Oberfläche scheint abzusinken, scharfe Trennlinien sind nicht mehr auszumachen. Die Ambivalenz der Wirkung der Netzstruktur lässt offen, ob sie das Gefüge zusammenhält oder selbst in Auflösung begriffen ist, das heißt, das Bild selbst beurteilt die Vorgänge nicht, es stellt sie lediglich dar, der Titel hingegen bezieht Stellung, indem er besagt, dass die Dinge auseinander fallen. Die Reflexion der Erfahrung sozialer Prozesse wird mittels Polystilistik und Sampling dargestellt, die auf Techniken, kompositorischen Motiven und Formatgestaltungen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (ebenfalls einer Zeit großer sozialer Verwerfungen) referieren. Das allover-painting bildet in seiner unzentrierten Flächengestaltung eine unentschiedene Gewichtung zwischen Peripherie und Mitte ab und ordnet sich damit der Bildthematik ein. Das Kunstwerk veranschaulicht Wahres, insofern es historisch nachweisbare Umwälzungen zum Ausdruck bringt, Wahrheit tritt hier also bezogen auf ein beschränktes Themenfeld in symbolischer Form auf. 4.6.1 Begründung Aus der Untersuchung des Bildraumes und der ästhetischen Merkmale ergibt sich, dass das Verhältnis der Farben Schwarz und Weiß sowie die Spannung zwischen Bilduntergrund und Bildoberfläche bildbestimmend sind. Parallel dazu ergibt sich aus der Untersuchung der durch die Bildschichten angesprochenen Zeitlichkeiten, dass die unterste, schwarz-bunte Schicht zwar am weitesten von der Gegenwart der bewegten Bildoberflä- 218 che entfernt ist, jedoch mit ihr in der pulsierenden Bewegung der Gitterfärbungen in einem direktem Austausch steht. Der Schlüssel zu einer Interpretation liegt somit in diesen zwei Aspekten: Einerseits im Verhältnis der Farben Schwarz und Weiß und ihren Mischungsrelationen sowie ihrem Austausch im und über das alles verbindende Netz, womit auch historische Abstände überbrückt werden und andererseits in der Einsicht in die Gleichzeitigkeit der Bildschichten, die mit ihrem Ineinandergreifen die ästhetische Wirkung von Things fall apart bestimmen. Das Bild, so kann in einem erste Schritt und von der mittleren Schicht aus zusammenfassend formuliert werden, zeigt, wie eine weiße Farbschicht die Gegenwart eines alles verbindenden partiell weder schwarz noch weiß sondern grau eingefärbten Netzsystems von einer untersten schwarzen mit bunten Farbflecken durchsetzten Bildschicht trennt. Aus der Vogelperspektive ergibt sich eine andere Deutung des Bildes. Nun zeigt das Bild ein Gittergefüge, das in verschiedenen Grautönen eine lasierend weiße Fläche über schwarzen und bunten Farbflecken zusammenhält. Oder, dies ist eine Deutungsvariante, das Bild zeigt, wie sich die Netzstruktur verfärbt, immer grauer und bunter oder immer weißer wird, auf jeden Fall verändert. Dass hinter diesen trivialen und nur an den Farben orientierten Formulierungen ein Mehr an Bedeutung steckt, wird deutlich, wenn der Titel des Werks, der sich anfänglich so sperrig einem Gesamteindruck entgegenstellte, näher betrachtet und kontextualisiert wird. Things fall apart beschreibt einen zeitlichen Prozess: Gegenstände sind der Vergänglichkeit ausgeliefert, vergehen und zerfallen. Der Titel bezieht sich jedoch nicht auf die Vergänglichkeit eines Kunstwerks, auch wenn er in diesen Zusammenhang gestellt werden könnte – das Gitter würde dann als zusammenhaltend oder als im Zustand der Auflösung betrachtet – sondern bei diesem kurzen Satz Things fall apart handelt es sich, was eine einfache Eingabe in einer Internetsuchmaschine zu Tage brachte, um ein Zitat aus dem Gedicht The Second Coming von William Butler Yeats. Das integrale Gedicht aus dem der Bildtitel stammt, lautet: Turning and turning in the widening gyre The falcon cannot hear the falconer; Things fall apart; the center cannot hold; Mere anarchy is loosed upon the world, The blood-dimmed tide is loosed, and everywhere The ceremony of innocence is drowned; The best lack all conviction, while the worst Are full of passionate intensity. Surely some revelation is at hand; Surely the Second Coming is at hand. The Second Coming! Hardly are those words out When a vast image out of Spiritus Mundi Troubles my sight: somewhere in the sands of the desert A shape with lion body and the head of a man, A gaze blank and pitiless as the sun Is moving its slow thighs, while all about is Reel shadows oft he indignant desert birds. The darkness drops again; but now I know That twenty centuries of stony sleep 219 Were vexed to nightmare by a rocking cradle, And what rough beast, its hour come round at last, Sloches towards Bethlehem to be born? Das Gedicht entstand 1919, unter dem Eindruck der Zerstörungen durch den ersten Weltkrieg.89 Die Eröffnungsverse sprechen in einem eindrücklichen Bild von einer Entfremdung und einem damit verbundenen Zerfallen der Dinge sowie einer Mitte, die dem nicht mehr standhalten kann. Sie sprechen auch vom großen Abstand zwischen Falkner und Falken. Weitere Recherchen führten zum nigerianischen Schriftsteller Chinua Achebe.90 Dieser machte den Satz: Things fall apart zum Titel seines ersten 1958 erschienen Buches, das eine breite, kontroverse und bis heute anhaltende Rezeption erfuhr. Das Buch, auf Deutsch: Okonkwo oder das Alte stürzt, artikuliert die Kolonialerfahrungen und die Konflikte zwischen traditionellen einheimischen und fremden Kulturen.91 Auf diesem Hintergrund, der Verbindung zwischen dem Gedicht von Yeats und dem Romantitel von Achebe, lässt sich eine Brücke zu Bradford bauen. Der Schöpfer des Bildes mit dem Titel Things fall apart ist Afroamerikaner, wie eine Porträtaufnahme auf der Homepage der Saatchi-Gallery zeigt. Nun fallen die Sätze aus dem oben zitierten Klappentext wieder ein, wo es heißt, dass Bradford die Grenze zwischen Sozialkritik und formaler Innovation überbrücke – indem er nun einem Werk den Titel Things fall apart gibt, so darf gefolgert werden, setzt er es in Beziehung mit dem Buch von Achebe und mit dem Gedicht von Yeats, die beide vom Zerfall von Systemen und von gewaltsamen Umwälzungen handeln. Das sozialkritische Moment ist somit gegeben. Eine formale Innovation lässt sich in der Adaptierung und Überlagerung bekannter Bildtechniken und ihrer Verbindung mit der Aufhebung des Bildraumes sowie der Verwendung zeitgenössischer Materialien bestimmen. Der ästhetische Ausdruck, der damit erzeugt wird, ist in seiner Intensität unverwechselbar. Wie lassen sich nun die Kenntnisse über Herkunft und Rezeption des Bildtitels seine mit den Analyseresultaten in Beziehung setzen? Weitere Recherchen führten zu einer Ausstellungsbesprechung, der entnommen werden kann, dass sich Bradford in mehreren seiner Werke mit den kritischen Aspekten der amerikanischen Rassenpolitik beschäftige.92 Diese Information lässt die farblichen Grundlagen des Bildes und ihre Bedeutung in einem neuen Licht erscheinen. Denn die Bezeichnungen ‘Schwarz’ und ‘Weiß’ werden nicht nur für Farben als Malmittel verwendet, sondern sie können sich auch auf Hautfarben beziehen. Im Kontext des Titels – der wie die Gestaltungsmittel ebenfalls einen Bogen zurück in die Vergangenheit schlägt um einen Gegenstand in der Gegenwart zu benennen – erscheint es deshalb zulässig, nun das, was über das Verhältnis der weißen und schwarzen Farben ausgesagt wurde, auf weiß und schwarz als Hautfarbe zu übertragen und demzufolge als Aussage über das Verhältnis von schwarz- und weißhäutigen Menschen zu verstehen. Dann bedeutet Bradfords Gemälde eine mittels Polystilistik und Sampling erstellte Wiedergabe gesellschaftlicher Verhältnisse: Alles ist in Bewegung, nichts bleibt, wie es war, unterstes 89 90 91 92 Vgl.: URL: http://www.enotes.com/second-coming-william-butler-yeats-criticism/secondcoming-yeatswilliam-butler [6.2.2012]. Chinua Achebe erhielt 2002 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Vgl. A. Imfeld: Vision und Waffe, 143–145. Vgl: URL: http://www.swisseduc.ch/english/readinglist/achebe_chinua/things/ index.html [6.2.2012]. Vgl.: URL: http://thishungryowl.blogspot.com/2011/09/review-of-mark-bradford-exhibit-at-mca.html [11. 2.12]. 220 tauscht sich mit der Oberfläche aus, scharfe Trennlinien sind nicht mehr auszumachen. Ob das Netz nun zusammenhält oder sich auflöst, ist unbestimmt, das Bild zeigt lediglich, dass es sich in Veränderung befindet. Dass gesellschaftliche Veränderungsprozesse mit vielen kleinen Wandeln einhergehen und aus der Ferne – aus der Perspektive des Falken – von ästhetischem Reiz sein können – auch diese Bedeutung ist in Things fall apart enthalten. Der Verweis auf Verführung und Analyse, der neben dem Verweis auf Sozialkritik und formale Innovation im Satz enthalten ist, der die Beschäftigung mit Bradford initiierte und bis anhin keinen vorstellbaren Sinn ergab, wird hier eingelöst. Die Ästhetik des Bildes verführte durch Dichte und Lebhaftigkeit zur eingehenden Betrachtung, die Untersuchung bildimmanenter Strukturen entdeckte, dass es sich dabei um die Darstellung einer Analyse gesellschaftlicher Zustände handelt. Auf der Suche nach einer Bestätigung dieser Interpretation außerhalb des Titelkontexts und des ‘Initialsatzes’ werden nun die oben erwähnten Essays herangezogen.93 Sie begleiten die Abbildungen von Gemälden, Objekte einer zweijährigen Wanderausstellung durch fünf amerikanische Museen. Außerdem werden weitere Internetrecherchen unternommen. Dabei findet sich eine indirekte Stützung der Deutung von Things fall apart durch den Zusammenhang, in den Bradford selbst zwei seiner früheren Werke stellt, die er auf die schweren Rassenunruhen in Tulsa von 1948 bezieht, was jedoch kaum ohne spezielle Hinweise erkennbar ist.94 Das heißt, Bradford schafft abstrakte Werke, die für ihn von symbolischer Bedeutung sind und weist auf diese Bedeutung mittels der Titel hin. Es ist also naheliegend, diese Arbeitsweise – Bildanlässe – auch für Things fall apart geltend zu machen. Christopher Bedford bezeichnet solche nicht evidenten, jedoch ideellen Verbindungen von Werkkonzept und Darstellung als damaged abstraction und führt dazu aus, dass das Bild gleichzeitig «an index and acknowledgment of historical erasure and an attempt to visualize an event that lacks form»95 darstellt. Eben dies kann auch von Things fall apart auch gesagt werden: Es kann als Ganzes verstanden werden als ein Zeichen, das auf historische Veränderungen verweist, sie bildhaft festhält und auf diesem Weg gesellschaftliche Prozesse, die keine distinkte Form haben, auf abstrakte Weise zur Darstellung bringt. Somit wäre auch Things fall apart eine damaged abstraction, keine echte Abstraktion, insofern der Gegenstandsbezug des Bildes nie aufgegeben wurde. Das Bild ist abstrakt, so muss gefolgert werden, weil der Gegenstand, den es abbildet, ein abstrakter ist, denn das Werk ist die Visualisierung sozialer Prozesse mit den Mitteln der Malerei. Auf die Frage nach der Wahrheit des Kunstwerks kann nun versuchsweise eine Antwort gegeben werden.96 Ob das Bild dem entspricht, was der Künstler ausdrücken wollte, kann (zurzeit) nicht überprüft werden. Die vorgestellte Interpretation postuliert, dass das Bild auf Erfahrungen des Künstlers und also auf außerhalb des Werks liegende Sinnebenen ver- 93 94 95 96 Vgl. Ch. Bredford: Max Bradford. M. Bradford zu den Bildern Scorched Earth und Black Wall Street, beide von 2006, in einem Interview mit Thelma Golden: ‘Mark Bradford: The Other Side of Perfect’. URL: http://www.worldclassboxing.org/ exhibit_mbradford.php [8.2.2012]. Ch. Bedford: Mark Bradford, 16. In Kapitel 3 wurden drei mögliche Erscheinungsweisen von Wahrheit konstatiert: 1. Wahrheit kann als Resultat der Malerei erscheinen, wenn sie (primär von den ausführenden Künstlern) als Übereinstimmung von Gesehenem, Gedachtem oder Vorgestelltem mit dem Dargestellten verstanden wird. 2. Wahrheit kann in metaphysischem Sinn auf außerhalb des Kunstwerks liegende geistige Sinnebenen verweisen. 3. Wahrheit kann in der Malerei als Allegorie auftreten. Vgl. ‘Wahrheiten in der Malerei’, oben, 178–183. 221 weist. Sozialer Wandel und soziale Prozesse sind insofern geistige Sinnebenen, als sie das Bewusstsein eines Menschen prägen und als historischer Ausdruck geistiger Prinzipien (in Sinne Hegels97) verstanden werden können. Das Bild ist auf dem Hintergrund der gegebenen Deutung in diesem Sinne wahr. Dadurch dass Bradford in Things fall apart einen überprüfbaren historischen Sachverhalt visualisiert, zeigt sich im Bild eine Wahrheit in allegorischer Form. Die Erfahrung gesellschaftlichen Umbruchs wird übersetzt in die Darstellung übereinander liegenden Schichten und – in diesem Zusammenhang ist eine Umdeutung von Netz- oder Gitterlinien angebracht – von Rissen. Eigenschaften, die der personifizierten Darstellung der Wahrheit (Abb. 43) mittels Attributen zugesprochen werden, werden hier durch an sich zwar unspezifische gestalterische Mittel wie Flächenbehandlung, Schichten und Risse vermittelt, die hier jedoch in ihrem ästhetischen Zusammenwirken Bedeutung erhalten. So zeigt das allover, dass keine Mitte vorhanden ist, die das Bild zentriert bzw. auf die sich einzelne Teile beziehen könnten. Somit steht es stellvertretend dafür, dass keine gemeinsamen Werte oder Ziele vorhanden sind. Die Risse, die auf der Waagerechten alles durchziehen und alles mit allem verbinden, in der Senkrechten ein pulsierenden Austausch suggerieren, stehen für die in allen Richtungen erfolgte Durchlässigkeit sozialer Strata. Die Beziehung zwischen den Farben der Ränder und den schwarzen Schwerpunkten auf der Diagonalen können als Darstellung einer prekären Beziehungen zwischen Peripherie und einzelnen gliedernden Momenten verstanden werden. 4.7 Validierung Das Verfahren der Bildbefragung hat zu unerwarteten Resultaten geführt. Die Abfolge der einzelnen Untersuchungsschritte bot eine Struktur, die sich als folgerichtige Hinführung zur Interpretation erwies und eine Begegnung mit dem Bild ermöglichte, die nicht auf Vorwissen abhob, sondern schrittweise neue Zusammenhänge aufdeckte. So korrespondierte beispielsweise der erste Eindruck eines geodätischen Netzes mit einer historischen, jedoch erst mittels der eingehenden Betrachtung ästhetischer Merkmale zuweisbaren Motivik (den abstrakten Bildgestaltungen Mondrians). Dadurch wurde die Aufmerksamkeit auf die Gegenüberstellung von Natur und Geometrie gelenkt, die sich zwar nicht in dieser Direktheit in die Interpretation überführen ließ, doch zusammen mit der Blickführung aus der Vogelperspektive anschließend die Deutung ‘Blick auf einen Ausschnitt der Welt’ (als kugelförmige Gestalt) überhaupt anregte. Diese Deutung wurde im Nachhinein durch die offen gelegten Zusammenhänge des Bildtitels zur Gedichtzeile ‘the falcon cannot hear the falconer’ gestützt, kreist doch ein Falke sehr weit über der Natur, wenn er den Falkner nicht mehr zu hören vermag – aus dieser metaphorisch zu verstehenden Distanz wird die bildliche Darstellung einer Welt im Umbruch gezeigt. Goodman versteht Kunst als eine Weise der Welterzeugung und ein Kunstwerk als ein Symbolsystem.98 Auf der Grundlage, dass alle «ästhetischen Symptome»99 für die Bedeutung bzw. die Deutung eines Kunstwerks relevant sind und mittels der gegebenen Untersuchungskriterien konnte der Bildsinn von Bradfords Werk freigelegt und nachgewiesen werden, wie dieses abstrakte Kunstwerk verstanden werden kann. In Bradfords Gemälde 97 98 99 Vgl. G.W.F. Hegel: Enzyklopädie III, §536, 330. Vgl. ‘Nelson Goodman’, oben, 148–154. Ebd., 228–229. 222 ist Realität abgebildet und eine Welt erzeugt außerdem eine und geschichtliche Wahrheit dargestellt worden. Geschichtlich ist diese Wahrheit nicht nur, insofern das Werk vergangene oder auch gegenwärtige gesellschaftliche Umbrüche visualisiert, sondern auch in Bezug darauf, dass es selbst Teil und Ausdruck eines geschichtlichen Moments ist. Diese Verschränkungen von Bezugsebenen, die in der Sichtbarkeit des Bildes anschaulich gemacht sind, verlangen von Seiten der Rezeption ein Sehen, das Ausdruck einer ästhetischen Einstellung100 ist, ohne die Kunsterfahrung nicht stattfinden kann. In dieser spezifischen Haltung einem Objekt gegenüber vollzieht sich das ‘Kunst-wollen’, das damit die von Gadamer als konstitutiv für ein erkenntniserweiterndes Erfahren von Kunst bezeichneten Regelkenntnisse und Regelakzeptanz enthält 101 und als schöpferisch-rezipierendes Pendant zum schöpferisch-gestaltenden ‘Kunstwollen’ wird.102 Die Kriterien der hier vorgestellten Bildbefragung leiten dazu an. 4.8 Reflexion Im Rückblick auf den gesamten hermeneutischen Prozess stellt sich heraus, dass zwei Irritationen von besonderem Einfluss auf die Interpretation waren. Die eine trat gleich zu Beginn der Bildbetrachtung auf und äußerte sich in der Diskrepanz zwischen Bildtitel und erstem Eindruck – es schien keine Verbindung herstellbar zwischen der optischästhetischen Kompaktheit des Bildes und der im Titel (vermeintlich) angesprochenen Vergänglichkeit der Dinge. Die zweite entstand durch die auffallende Häufung von Homonymen die aus dem Versuch resultierten, mit der Sprache den Gegebenheiten Bildes möglichst nahe zu kommen. Sie bestanden aus einfachen Begriffen – ‘Schichten’, ‘weiß’, ‘schwarz‘, ‘Netzsystem’, ‘Gitter’ – und lenkten die Aufmerksamkeit auf elementare Gegenüberstellungen. Die Verbindung dieser beiden irritierenden Momente erwies sich insofern als fruchtbar, als die erste Anlass zur vertieften Titelrecherche gab, was schließlich zum Schlüssel der Interpretation führte, deren Türe – metaphorisch gesprochen – bereits durch die zweite, die Mehrdeutigkeit der durch das Bild ausgelösten Begriffe, geöffnet war. Diese Engführung von Sprache und Bild, also der Versuch einer möglichst genauen Benennung der Bildelemente, hat sich in Bezug auf die Deutung von Things fall apart wiederholt als gewinnbringend erwiesen. Da ästhetische Erfahrung erst in begrifflicher Form bewusst und mitteilbar wird, stellt die Verwandlung der bildhaften Anschauung in Sprache die Weichen für den Weg, den eine Interpretation nehmen kann. Daraus lässt sich die Bedeutung ableiten, die einer in der Sichtbarkeit des Bildes gegründeten Beschreibung zukommt, wie sie oben unter der Überschrift ut pictura poesis – ut pictura descriptio103 gefordert wurde. Sie fundiert die Bilddeutung, ist Instrument des Interpretierens und erstes Interpretament. Ein weiteres Moment, das den vorgestellten hermeneutischen Prozess maßgeblich beförderte, war die Erfahrung, dass sich temporale Strukturen unschwer feststellen lassen und sie sich als aussagekräftige Komponenten erweisen. In der Übersetzung von Bildschichten in Zeitlichkeit über die Gleichsetzung ‘je tiefer die Schicht, desto weiter liegt sie zeitlich entfernt’ – ähnlich einer relativen archäologischen Zeitbestimmung – sowie im Nachvollzug 100 101 102 103 Zur ästhetischen Einstellung als Voraussetzung einer Kunsterfahrung siehe ‘Bedeutung als innerbildliches Geschehen’, oben, 194–196. Vgl. oben, 160–164. Vgl. oben, 133–135, wo in einem Exkurs die theoretischen Zusammenhänge von Kunstwollen – einer grundsätzlich schöpferischen Dimension – und Kunst-wollen als Rezeptionshaltung thematisiert sind. Vgl. oben, 192–194. 223 von Bewegungsimpulsen, die sowohl durch die Spannungsverteilung auf der Fläche als auch die Farbverdichtungen in die Bildtiefe gegeben sind, eröffnete sich eine unübersehbare Gegenüberstellung von Dauer und Prozess. Diese Einsicht machte die Bedeutung des Werks, die hinter dem Titel und unmittelbar im Bild selbst aufzufinden ist, sinnlich erfahrbar. Ein Einwand schmälert allerdings den positiven Ausgang des Interpretationsprozesses. Es ist die Tatsache, dass das Werk einen konkreten Titel trägt. Die Kontextualisierung dieses Titels konnte zur Überprüfung und Erhellung der in der Darstellungsstruktur aufgefundenen Bedeutungszusammenhänge beigezogen werden, so dass es zu einer inhaltlich konziseren Erfassung der Bildaussage kommen konnte. Nun sind aber viele, gerade abstrakte Bilder in paradoxer Weise mit dem Titel ‘Ohne Titel’ versehen. Historischer Hintergrund dieser Titelgebung ist die Suche nach einer Malerei, die sich von der europäischen Kunstgeschichte distanzieren, weder mimetisch noch narrativ sein, sondern absolute Emotionen darstellen und sollte.104 Es stellt sich nun die Frage, zu welchem Resultat eine Bildbefragung auf philosophischer Grundlage führt, wenn kein Vergleichsmoment durch einen Titel gegeben ist. Dies soll im folgenden Befragungsverlauf untersucht werden. 5. Bildbefragung Nr. 2: Joan Mitchell, Untitled, 1958 Abb. 51: Joan Mitchell, Untitled, 1958, Öl auf Leinwand, 126 x 148,6 cm, Estate of Joan Mitchell. 104 Zum programmatischen Rahmen dieser Entwicklung vgl. ‘Der Bildtitel’, oben, 71–77, insbes. 74–76. 224 5.1 Rezeptionsbedingungen Joan Mitchell (1925-1992) gehört zu den wenigen Frauen in der Gruppe der abstrakten Expressionisten und des Action Painting.105 Ihre Werke wurden und werden zwar auch in Europa rezipiert, doch wie gering ihr Bekanntheitsgrad noch immer ist, macht der Titel der letzten Einzelausstellung in Deutschland (6.12.08-8.3.09) deutlich: «Joan Mitchell: Eine Entdeckung der New York School».106 Das Whitney Museum of American Art in New York richtete 2003 eine umfangreiche Einzelausstellung aus, die aber das hier vorgestellte Werk nicht enthielt, es ist somit nicht im Buch, das zur Ausstellung erschien, vertreten.107 Die drei Essays dieses Bandes beschäftigen sich primär mit biographischen Aspekten und der Entwicklung ihres gesamten Œuvres,108 mit der Motivation der Künstlerin109 oder mit einer einzelnen Werkgruppe.110 Die Literatur zu Joan Mitchell ist, inklusive der Ausstellungsbesprechungen, umfangreich,111 sie wurde, mit Ausnahme des erwähnten Ausstellungsbegleitbandes, nicht konsultiert. Das Bild Untitled von 1958 fand sich auf der Homepage des Auktionshauses Christies.112 Für die Bildbefragung hier wurde es aus ausschließlich ästhetischen Gründen ausgewählt. Mit der unspezifischen Titelbezeichnung und der gestischen Malerei erfüllt es einen Grad an Unbestimmtheit und Offenheit, der sich für die zweite Bildbefragung eignet. Das Bild mit den Maßen 127 x 147,3 cm steht nur digital zur Verfügung. Das bedeutet, analog zur Bildbefragung Nr. 1, dass es jederzeit in verschiedenen Auflösungsgraden und Druckausgaben betrachtet, die direkte physische Bildwirkung jedoch nicht erfahren werden kann. 5.2 Beschreibung des Gesamteindrucks Wie eine écriture automatique in Farben und Linien – so erscheint das Bild auf den ersten Blick. Große Spannungsverhältnissen zwischen Farbbeziehungen, zwischen Linienund Flächenverhältnissen sowie zwischen einzelnen Akzenten und Rhythmen vermitteln den Eindruck heftiger Vitalität, die allerdings hermetisch verschlossen wirkend kaum eine Öffnung anbietet, die ins Bild einlädt. Auf den zweiten Blick erscheint die Bildorganisation als sehr durchdacht: Ein kugel- oder würfelartig Strudel scheint um ein imaginäres und verdecktes Zentrum herum zu kreisen. Die Illusion eines Volumens und unentwegter Bewegung stellen sich ein und mit ihr die Frage, wodurch sie verursacht wird. Die Antwort wird in den aufgelösten aber doch als 105 106 107 108 109 110 111 112 Unter dieser Bezeichnung findet sich ein weites Spektrum programmatischer Bildgestaltungen. Ihnen gemeinsam ist, dass sie ohne herkömmliche Bildelemente, abstrakt, auf in der Regel sehr großen Formaten das Erhabene auszudrücken suchten. Vgl. U.M . Schneede: Die Geschichte der Kunst, 181–188. Im Action Painting ist die Körperaktion des Malens dem Resultat gleichgesetzt. Die Leinwand liegt in der Regel auf dem Boden und wird zum Protokoll innerer und äußerer Bewegung. Vgl. URL: http://kunsthalle-emden.de/2006-2010/ [20.2.2012]. J. Livingston (Ed.): Joan Mitchell. J. Livingston: The Paintings of Joan Mitchell, in: ebd., 9–47. L. Nochlin: Joan Mitchell, A Rage to Paint, in: ebd., 49–59. Y.Y. Lee: Beyond Life and Death, in: ebd., 61–77. Vgl. J. Livingston: Joan Mitchell, 217–229. Vgl. URL: http://www.christies.com/lotFinder/lot_details.aspx?intObjectID=537 1747 [20. 2.2012]. Auf der Homepage von Christies findet sich auch die Provenienz. Das Werk wurde am 10 November 2010 für $ 4'226'500.00 verkauft. 225 Kontur identifizierbare Abgrenzungen zwischen dem Farbgefüge und den Bildrändern sowie den Pinselschwüngen vermutet. Diese erste Analyse ist Ursache und Resultat der Blickführung. Heißt das, dass das Bild zwar sehr emotional wirkt aber analytisch-rational betrachtet werden will? Die Verdichtung von Farbspuren, von dünnen und breiten, fast flächig wirkenden Pinselstrichen, von senkrechten und waagerecht ausgeführten Bewegungsspuren mit heftigen Farbakzenten und leichten Farbtönen wirkt sehr musikalisch, wie ein verklingender Cluster, das Zusammenwirken enger Intervalle eines ganzen Orchesters. Die Palette umfasst keine reinen Farben, sondern variiert nuancenreiche Mischungen aus gedämpften Rot-, Blau- und Gelbtönen, die sich im Klang ergänzen. 5.3 Herstellung: Regeln, Verfahren, Techniken Im Unterschied zu der in der Regel üblichen allover-Malweise des Action Painting sind die Randzonen deutlich unbemalt, wenn nicht gar ganz frei belassen. Die Gestik und die Differenziertheit der Kraft, mit der die Farbe einerseits aus der spontanen Bewegung und anderseits in geplantem Duktus gesetzt worden zu sein scheint – ein Beispiel für Letzteres sind die vorwiegend kurzen waagerechten Striche mit breitem Pinsel – zeigen, dass die Bildfläche umsichtig gestaltet wurde. Die Drippings, die nur auf der linken Bildhälfte festzustellen sind, belegen, dass das Werk an der Wand und nicht etwa am Boden liegend hergestellt worden sein muss. Über Mitchells Malweise schreibt Jane Livingston: «She was notoriously farsigthed and would constantly back away form whatever she was working on, all the way to the wall. She would pause and look, long and hard. She never lost this habit, always organizing her studios so that she could work against one wall and observe her progress from against another wall.»113 Daraus erklären sich die Verbindung von gestischer Explosivität und Gestaltungskontrolle. Abb. 52: Joan Mitchell, Untitled, 1958, Detail a. Ein Bildausschnitt (Abb. 52) gibt einen Eindruck der unterschiedlichen gestischen Einsätze sowie des nuancenreichen Farbauftrags, der Farbklänge und des Pinselduktus und macht die verschiedenen Techniken sichtbar: Ein Neben- und Übereinander pastoser Farbaufträge und durchscheinender Leinwandstruktur, die Verwendung von feinsten Haarund breiten Flachpinseln, die Fusion trockener und nasser Malweise – all dies zusammen 113 J. Livingston: The Paintings of Joan Mitchell, 21. 226 bewirkt einen aus Schichten sich konstituierenden Bildraum, aus dem sich eine Annäherung an den Bildaufbau entwickeln liesse. Diese Techniken sind typisch für die Malerei des Action Painting, in der die Farbe spontan auf dem Bildträger gebracht wird, der Prozess des Malens im Vordergrund steht und das Ergebnis somit immer eine Art Protokoll des Malvorgangs und des dabei vollzogenen Bewegungsgeschehens darstellt. Irritierend bleibt jedoch – untypisch für die Malweise – die zentrierte Bildflächengestaltung. Tritt darin die bereits erwähnte Gegenüberstellung von Emotionalität und Rationalität, von Kontrollverlust und Kontrolle, auf? 5.4 Bildfläche: Ästhetische Merkmale, innerbildliche Relationen, Bildraumkonstituierung Während die Schichtenbildung den Eindruck eines überlegten Malvorgangs hinterlässt, weisen gewisse gestische Elemente, die als Motive erkannt werden können, auf die Spontaneität und Intensität der Bewegung. Zu dieser zeichenhaften Motivik gehören gezackte Linien, Winkel und Schwünge (Abb. 53). Sie sind es, die den Blick leiten und physisch nachvollziehbare Empfindungen der Bewegungsabläufe auslösen. Wie durch ein Labyrinth wird der Blick durch dieses Gefüge aus Farben und Linien geführt, das ordnungslos geordnet organisiert ist. Der Eindruck der Ordnungslosigkeit verliert sich allerdings, je länger man das Bild betrachtet. Abb. 53: Joan Mitchell, Untitled, 1958, Detail b. Farbige Akzente, die den Linienverhältnissen übergeordnet sind, verursachen Spannungsverhältnisse, die die Bildfläche gliedern und allen Malschichten eine rhythmische Struktur legen. Durch sie wird die Hauptdiagonale von oben links nach unten rechts hervorgehoben, die – auch hierin zeigt sich wieder ein Kontrastverhältnis – durch waagerechte Farbbalken markiert wird. Im Gegensatz dazu ist die Gegendiagonal nur mit ihren zwei Enden markiert, sie erhält jedoch mittels der Parallelisierung durch andere Schrägen zusätzliche Betonung. Die Überlagerung verschiedener Rhythmen bewirkt, dass der Blick, indem er einmal durch die Farbakzente, einmal durch die Linien gelenkt wird, immer wieder zu gleichen Orten im Bild zurückkommt. Durch das wiederholte ‘sehende Durchwandern’ der Bildfläche 227 stellt sich eine Vertrautheit mit einzelnen Konstellationen aus Farben und Linien ein und die Korrelationen zwischen einzelnen Elementen treten deutlich hervor. Diese innerbildlichen Beziehungen bestehen primär aus Kontrastverhältnissen. Außer den bereits genannten wie ‘geordnet-ungeordnet’, ‘kontrolliert-spontan’ oder ‘emotional-rational’ erweisen sich weitere wie ‘zentriert-peripher’, ‘Bewegung-Ruhe’, ‘gestisch-formal’ oder ‘Ballung-Leere’ als bildbestimmend. Wechselt der Blick von der Betrachtung des Details zum Überblickssehen, so wird der durch die formalen Verhältnisse und gestischen Beziehungen sich formierende Bildraum sichtbar. Die Spannung zwischen der strukturellen Ballung in der Bildmitte und der verhältnismäßigen Leere der Peripherie, die Überlagerungen von Schwüngen und Geraden sowie die Verteilung der dunkleren Farbakzente und breiten waagerechten Striche auf der linken Bildhälfte unter der Hauptdiagonalen resultieren in der Visualisierung eines Bildraumes. In diesem Raum werden nun die Umrisse geometrischer Figuren sichtbar: Ein Kreis, ein Rechteck sowie die Umrisse eines Dreiecks erscheinen. Der Kreis ist in der Konturierung des Farbgefüges gegeben, der Umriss eines Rechtecks wird durch waagerechte und senkrechte Linien skizziert und von einem Dreieck sind die Winkel an Spitze und Basis sichtbar. Diese drei Figuren treten aufgrund der Inversion des Blicks in Erscheinung. Zu den Dualismen, die das Bild insgesamt prägen tritt dadurch noch die Gegenüberstellung von (geometrischer) Figuration und (gestischer) Abstraktion. 5.5 Temporale Strukturen: Ikonische Ausdrucksformen von Zeit und Bezüge zu Zeitlichkeit Die Eindringlichkeit der Farben und die Heftigkeit der Gestik, die kinästhetische Energie sowie die Dynamik dieses Gemäldes vermitteln eine Gegenwärtigkeit, die, die Assoziation sei erlaubt, wie aus der Mitte eines Sturmes, aus dem Bild heraus wirkt. Diese energetische Gegenwärtigkeit führt den Blick aus der Mitte an die Umrisse des geformten Gebildes, lässt ihn kreisen, bis er wieder in die Mitte zurückgeht, um sich von neuem auf den kreisenden Weg durch das Bild zu begeben. In dieser Bewegung drückt sich die Eigenzeit des Bildes als immerwährende Gegenwärtigkeit aus. Dieser Wirkung steht allerdings die Beobachtung der kontrollierten Gestaltung entgegen. Sie unterbricht die Bewegungsprozesse, evoziert Festigkeit und damit Dauer und Ruhe. Auch die drei geometrischen Figuren treten aus der Gegenwart aus. Sie verweisen auf eine kunsthistorisch und kunsttheoretisch bedeutsame Vergangenheit. 5.6 Interpretation Das abstrakte Werk ‘Untitled’ (1958) von Joan Mitchell zeigt die spannungsgeladene Verbindung dualistischer Bildparameter. Die Simultaneität von Emotionalität und künstlerischer Analyse, Kontrollverlust und Kontrolle, Abstraktion und Figuration, Gegenwart und Vergangenheit bestimmen das Bild. Darin liegt seine Bedeutung. Spontane Gestik und formal bestimmte Gestaltung, Bildfläche und Bildraum, zentrierte Ballung und Leere der Peripherie stehen sich ordnungslos geordnet gegenüber und sind ohne mimetische oder narrative Bildelemente zu einem ausgewogenen Bildganzen zusammengefügt, das, als Protokoll eines Malprozesses, auf sich selbst verweist. 228 Der gestischen Abstraktion sind sichtbar kubistische Gestaltungselemente inhärent, das Bild befindet sich somit auf einer Schwelle zwischen Figuration und Abstraktion bzw. zwischen geometrischer und gestischer Abstraktion und verbindet eine lebhafte Gegenwärtigkeit mit der Vergangenheit der Geschichte der Kunst. 5.6.1 Begründung Gegenständliche Werke sind geprägt vom Zusammenwirken von Elementen ikonischer Präsenz und ikonischer Absenz.114 Referenzielle, darstellende Motive werden dabei getragen von nichtdarstellenden, Vorder- und Hintergrund konstituierenden Partien. Im abstrakten Gemälde Mitchells ist dies – wie in allen abstrakten Werken – nicht der Fall. Hier hebt sich die Unterscheidung in Vorder- und Hintergrund ebenso auf wie die Einteilung in oben und unten. Die Aufhebung dieser traditionell bildbestimmenden Elemente ist der Suche nach bildhaftem malerischem Ausdruck jenseits von Mimetik und Narration, die paradoxe Titelgebung ‘Untitled’ den emanzipatorischen Bestrebungen von Künstlerinnen und Künstlern gegenüber den Vereinnahmungen von Ikonologie und Kunsttheorie geschuldet. Da alle Bildelemente nicht referenziell sind, findet auch keine Differenzierung in bedeutungstragende und bedeutungslose Bildelemente statt. Die Feststellung geometrischer Figuren im vorgestellten Werk von Mitchell könnte deshalb auf rezeptive Gestaltbildung bzw. gestaltpsychologische Gesetze zurückzuführen sein.115 Dass diese gerade bei der Betrachtung eines abstrakten Gemäldes mitspielen, ist nicht von der Hand zu weisen, da dadurch in einem unbestimmten Farb-Linien-Gefüge Sinnzusammenhänge gesucht werden. Dreieck, Kreis und Viereck können in Mitchells Gemälde jedoch nachgewiesen werden. In Abb. 54 sind sie entlang vorhandener Konturen eingezeichnet. Abb. 54: Geometrische Figurationen in Joan Mitchells Untitled, 1958. 114 115 Siehe dazu ‘Elemente ikonischer Präsenz’, oben, 92–109 und ‘Elemente ikonischer Absenz’, oben, 109–133. Vgl. oben, 123-124. 229 Das Dreieck (weiß eingezeichnet) wird im Bild durch seine Winkel markiert, seine Basis führt von einem Eckpunkt links unten nach rechts zu einem auffallenden roten Fleck und von dort in die obere Bildmitte führt, wo sich die beiden Dreiecksschenkel gut sichtbar schneiden. Das Viereck (schwarze Linien) lässt sich in den Grenzen der durch weiße Farbflecken sich ergebenden Innenform sowie durch senkrechte und waagerechte Linienpartikel festlegen. Der Kreis (orange) ergibt sich aus den dünnen, stellenweise parallelisierten Umrisslinien, die das ganze Gefüge auf der linken Bildseite in Blau und Grün, auf der rechten Seite in Ocker, umgeben. Die drei geometrischen Figuren Dreieck, Rechteck und Kreis entsprechen den Umrissen von Körpern. Als Kegel, Zylindermantel und Kugel erhalten sie kunsthistorische Relevanz. Paul Cézanne bezeichnete diese drei Körper als die Grundformen, auf die sich alle Formen der Natur zurückführen lassen.116 Die Kubisten, die diese Formensprache aufgriffen, entwickelten damit die wohl einflussreichsten Bilderfindungen der Moderne. In dieser Sichtweise kann das vorgestellte Werk Joan Mitchells in einen Zusammenhang zur kunsthistorischen Epoche des Kubismus gestellt werden, die zur Zeit der Entstehung von ‘Untitled 1958’ in Frankreich noch lebendig war. Ein erster Hinweis für die Richtigkeit dieser Interpretation findet sich in einem Katalog der Galerie Thomas Modern aus Berlin, die 2010 Joan Mitchell eine Ausstellung unter dem Titel The Roaring Fifties widmete. Im Vorwort wird darauf hingewiesen, dass Mitchell in den 50er-Jahren ihren Malstil «ausgehend vom abstrahierend kubistischen Formgefühl» hin zu einer autonom gestischen Malerei entwickelte.117 In eine ähnliche Richtung geht eine Bemerkung Jane Livingstons, die besagt, das man Mitchell in den frühen 1950erJahren eher dem «edge-filling Cubist-Surrealist-derived style of Pollock» zugeordnet habe, als den Abstrakten Expressionisten wie De Kooning oder Kline, um dann einen Ausstellungskritiker zu zitieren, der Mitchells riesige Leinwände als «post-Cubist in their precise articulation of spatial intervals»118 bezeichnete. Bereits diese drei Charakterisierungen von Mitchells Stil, die einen Zusammenhang zum Kubismus herstellen, rechtfertigen die Interpretation zu ‘Untitled’ (1958), die besagt, dass das Werk auf der Schwelle zwischen geometrischer und gestischer Abstraktion steht.119 Geometrische Figuren waren zudem als Formen, die das Vernunftprinzip veranschaulichten, die Grundlage abstrakter Werke einer Avantgarde, die bis in die 1920er-Jahre Kunst als Teil einer gesellschaftlichen Utopie betrachtete, mit dem Zweck, selbst die Alltagskultur nach geistigen Prinzipien zu gestalten.120 Damit gehörten sie mit zu den künstlerischen Gegebenheiten, von denen sich Maler und Malerinnen des abstrakten Expressionismus emanzipieren wollten. Zeigt sich im vorgestellten Werk von Joan Mitchell Wahrheit? Goodman, der ein Bild als ‘Welterzeugung’ und deshalb für die Rezipierenden als ein Angebot, auf eine neue Weise 116 117 118 119 120 Cézanne in einem Brief an Emile Bernard vom 15. April 1904: «Behandeln Sie die Natur gemäß Zylinder, Kugel, Kegel, das Ganze dabei in Perspektive gebracht, dass nämlich jede Seite eines Gegenstandes, einer Fläche zu einem zentralen Punkt hinführt.» Zitiert nach H. Honour, J. Fleming: Weltgeschichte der Kunst, 665. Galerie Thomas Modern (Hg.): Joan Mitchell, 5. J. Livingston: The Paintings of Joan Mitchell, 20 Um diesen Aspekt der Interpretation weiter zu stützen, müsste das Gemälde mit dem gesamten Œuvre sowie mit anderen Werken aus des 1950er-Jahren abgeglichen werden. Vgl. U.M. Schneede: Die Geschichte der Kunst, 144–147. 230 zu sehen, bezeichnet, folgert, dass sich Wahrheit im Sinne von Richtigkeit nachprüfen lasse.121 Seine weitere Argumentation lautet: Die Richtigkeit der Komposition unterscheidet sich von der Richtigkeit der Darstellung oder der Beschreibung nicht so sehr ihrem Wesen nach oder in den Maßstäben als vielmehr im Typus der Symbolisierung und im Modus der Bezugnahme, die daran beteiligt sind. 122 Die Wahrheit von Aussagen – und als solche wird auch ein Bild betrachtet – bzw. die Richtigkeit von Komposition, Zeichnung oder Rhythmen, wird somit zu einer «Sache des Passens», des Passens auf (u.a.) Arten und Weisen der Organisation.123 Es gilt Goodman zufolge, herauszufinden, was mit der Repräsentativität eines Werks exemplifiziert wird.124 Die Merkmale, die dieses Werk kennzeichnen, sind einzeln betrachtet, alle unbestimmt, indem sie jedoch in Kontrastverhältnissen aufeinander bezogen sind, erhalten sie in ihrem Zusammenwirken Bestimmtheit. Die Ganzheit des Bildes kann nur in diesem Zusammenwirken erfasst werden. Im Sinne Goodmans ist das Bild demzufolge wahr, da Symbolisierung – Darstellung mittels elementarer künstlerischer Elemente – und Symbolisiertes – die Integration aller Kontrastverhältnisse ohne mimetische oder narrative Elemente in ein Ganzes – aufeinander passen.125 Die Bedeutung der Subjektivität, die dieser Bestimmung der Wahrheit im Kunstwerk zugrunde liegt, korrespondiert mit den Ausführungen Ecos, wo sie als Folge der Offenheit des Kunstwerks postuliert wird.126 5.7 Validierung Das in dieser Arbeit entwickelte Interpretationsverfahren führte mit seinen klar voneinander abgegrenzten Untersuchungskriterien auch bei der gestischen, emotional aufgeladenen Malweise von Mitchells Untitled (1958) zu Resultaten, die nicht voraussagbar waren. So konnte mittels der Analyse des Herstellungsverfahrens auf eine Diskrepanz zwischen der Technik des Action Painting und der zentrierten Formatbehandlung anstelle eines allover hingewiesen werden, die ihre Spiegelung in der Entdeckung geometrischer Figuren fand, die der stark bewegten Gestik des Bildes unterliegen. Beide sind als Hinweise auf eine Synthese verschiedener Abstraktionsgestaltungen in die Interpretation eingeflossen. Sodann deckte die Untersuchung ästhetischer Merkmale sowohl die Dominanz von Kontrastverhältnissen auf, die in allen das Bild konstituierenden Elementen nachgewiesen werden konnten, als auch deren relationale, den Bildraum konturieren und formenden Beziehungen. Insbesondere die Abschattierungen unter der Hauptdiagonalen führte zur Entdeckung geometrischer Figurationen, die, wie oben gezeigt wurde, mit der Ge121 122 123 124 125 126 Zu Goodmans Theorie insgesamt siehe ‘Nelson Goodman’, oben, 148–154 bzw. N. Goodman: Weisen der Welterzeugung, 167. Ebd. Ebd. Ebd. 166. Der Argumentation Goodmans kann entgegengehalten werden, dass das Kriterium des ‘Passens’ von der Interpretation bzw. davon abhängig ist, ob das Angebot oder die durch das Werk gegebene Aufforderung, das gewohnte erkennende Sehen aufzugeben, angenommen werden kann. Die Antwort auf die Wahrheitsfrage könnte also von dieser Seite her aufgerollt werden. Auf dem Hintergrund, dass es gelang, trotz der eingangs erwähnten hermetischen Wirkung des Bildes, das Sehen den Gegebenheiten des Bildes anzupassen, die Bildstrukturen aufzudecken und in bestimmter Hinsicht zu interpretieren, erweist sich das Bild als wahr, insofern diese Interpretamente einander entsprechen bzw. zueinander passen. Vgl. ‘Ein offenes Kunstwerk’, oben, 183–185. 231 schichte der Kunst auf mannigfaltige Weise verbunden sind. Das Bild von Mitchell reflektiert diese kunsthistorischen Aspekte.127 Die Analyse temporaler Strukturen brachte zutage, dass diese abstrakte Malerei geradezu paradigmatisch die Bildtheorie der Ikonik128 verdeutlicht, die besagt, dass die Kompositionsstruktur bedeutungstragend ist. D.h., dass beim Wegfall von Repräsentation Bedeutung ausschließlich aus der Art und Weise der Präsentation abgeleitet werden muss, so dass aus dem betrachtenden Nachvollzug der Rhythmen und Bewegungen129 eine Gegenwärtigkeit erfahren werden kann, der gegenüber die referenziellen Bezüge zur Vergangenheit sekundär ausfallen, was die Selbstbezüglichkeit gegenstandsloser Malerei bestätigt. Die abweisende oder hermetische Wirkung des Bildganzen 130 konnte mit Hilfe der durch das Interpretationsverfahren angeregten Sichtweisen abgebaut werden, so dass sich ein Verständnis für die Bildprozesse entwickelt sowie eine Gesamtinterpretation überhaupt ermöglicht werden konnte. Auf allen Stufen dieser Bildbefragung wurden Titel und Inhalte von Kapitel 2 dieser Arbeit bestätigt: ‘Ikonisch Logik oder Scheinen ist das Sein des Bildes’, 131 insbesondere die manifeste Wirkmächtigkeit einer Synthese von ikonischer Präsenz und ebensolcher Absenz konnte in diesem abstraktem Bild mittels der durch die Philosophie angeregten Untersuchungsschritte nachgewiesen werden. In Kapitel 1 wurde dargelegt, dass Bilder nicht wie Texte gelesen werden können und bestehende Interpretationsmethoden, die ein Bild als einen zu lesenden Text verstehen, nur sehr begrenzte Anwendungsmöglichkeiten haben. Anhand von Pollocks ‘Autumn Rhythm: Number 30’ wurde zudem verdeutlicht, dass gegenüber Werken des abstrakten Expressionismus keine ‘Lesemethode’ angemessen ist. Werken dieser Kunstrichtung kann nur mit verschiedenen Sichtweisen bzw. unterschiedlichen Fokussierungen des Blicks angemessen begegnet werden. Die hier angewandten Kriterien der Bildbefragung leiteten dazu an. An Mitchells Bild führten sie zu einer Interpretation, die die Selbstreferenzialität der Malweise analytisch bestätigt und in der formalen Gestaltung historische Zusammenhänge aufdeckt. 5.8 Reflexion Was im Zusammenhang mit der ersten Bildbefragung zu den verschiedenen Reflexionsebenen gesagt wurde, ist weitgehend auch hier gültig. So reflektiert auch Mitchells Bild kunsttheoretische Positionen, stellt einen Bezug zur Geschichte der Kunst her und die Bildbefragung als solche ist in ihrer Prozesshaftigkeit Reflexionsanlass, der zu neuen Figur-Grund-Konstellationen führt und das Bild für die Betrachtenden neu ordnet. Die hermeneutische Bewegung, die vom einzelnen Bildelement zum Ganzen führt, hat – auch dies war bereits bei der Befragung von Things fall apart der Fall – sowohl die Teile als auch das 127 128 129 130 131 Verschiedene Formen des Widerstands gegen fremde Deutungshoheit, insbesondere auch der Verzicht auf gegenständliche Bildtitel, werden oben, 56–57 und 74–76 nachgewiesen. Vgl. oben, 85–87 sowie 93–94, wo die Ikonik als Interpretationsmethode exemplifiziert wird. Siehe dazu ‘Manifestationen von Zeit und Zeitlichkeit’, 171–177. Diese Wirkung ist dem Herstellungsprozess geschuldet, denn der Künstler bzw. die Künstlerin ist während des Schaffensprozesses im wahrsten Sinne des Wortes ‘im Bild’. Rezeptionsästhetische Überlegungen, die die Betrachtenden bereits während der Bildgestaltung mitdenken, fallen damit weg. Vgl. U.M. Schneede: Die Geschichte der Kunst, 181–183. Vgl. oben, 80–135. 232 Bild als solches immer wieder neu kontextualisiert.132 Im Unterschied zu Bradfords Bild stellt jedoch Mitchells Gemälde keine Reflexion von Realitätserfahrung und auch keine Weltsicht dar, sondern es dokumentiert den Malprozess selbst. Dies bedeutet, dass die Interpretation nicht auf Analogiebildung basieren kann, denn das Bild referiert nicht auf etwas außerhalb seiner, es bezieht sich ausschließlich auf sich selbst. Die Interpretation bleibt deshalb beschränkt auf das «Wiederfinden der verlorenen Gebärde»133 und den Mitbzw. Nachvollzug der Bewegungsspuren. In dieser absoluten Subjektivität liegt, so ist zu vermuten, der Grund für die Wirkung hermetischer Verschlossenheit, die sich beim ersten Eindruck einstellte, denn die Emotionalität, die in den gestischen Spuren zwar sichtbar, doch lediglich als Bewegungsenergie nachvollzogen werden kann, muss der Interpretation unzugänglich bleiben, da ihre Ursache nicht aufgedeckt werden kann. Das Sujet des Bildes richtet sich nicht an ein betrachtendes Subjekt, sondern ist selbstbezüglich. Rezeptionsästhetische Prozesse, in der Regel Bestandteil der Performativität eines Werks, fallen dadurch aus. Die Offenheit dieses Kunstwerks ist damit eine absolute. Andere als sich auf formale Aspekte beziehende Interpretationen wären ebenfalls nur in der äußersten Subjektivität der Interpretierenden begründ- und somit nicht nachvollziehbar. Der Verzicht auf sie schmälert jedoch den ästhetischen Genuss, den das Bild bietet, in keiner Weise.134 Die Blickinversion, die die formalen Konfigurationen hinter bzw. unter dem Bildgefüge entdeckte, wurde durch drei Momente veranlasst. Zum einen in Ergänzung zum Nachvollzug der ikonisch referenzlosen Malgesten, zum anderen durch die an der Methode der Ikonik orientierten Rolle der Beschreibenden und der daraus resultierenden Perspektivität. Am nachhaltigsten wirkten sich jedoch auch hier die Irritationen aus, die von Anfang an von den auffälligen Dualismen ausgingen, die schließlich in die Deutung Eingang fanden, da sie als formal erfassbare Elemente Bedeutung tragen, ja die Bedeutung des Bildes sind. 132 133 134 Vgl. H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode, Bd. II, 61. U. Eco: Das offene Kunstwerk, 180. Eco sieht in der symmetrischen Beziehung der Offenheit des Kunstwerks zur Offenheit der Interpretation die Garantie für ästhetischen Genuss. Vgl. ebd. 233 6. Bildbefragung Nr. 3: Kurt Thaler, Abstract Painting Nr. 3, 2012 Abb. 55: Kurt Thaler, Abstract Painting Nr. 3, 2012, Acryl, Kunstharz und Ölkreide auf beschichteter Spanplatte, 100 x 100 cm, Privatbesitz. 6.1 Rezeptionsbedingungen Im Unterschied zu den bisherigen zwei Werken, die für die interpretative Untersuchung nur digital zur Verfügung standen, ist das Bild, das als drittes anhand der vorgestellten Fragensammlung analysiert wird, physisch – im Atelier des Künstlers – und digital zugänglich.135 In Übereinstimmung jedoch zu den allgemeinen Vorgaben für die Bildbefragungen gibt es noch keine von Dritten erstellte Interpretation, so dass auch hier die deutungsrelevanten Informationen ausschließlich aus der Sichtbarkeit des Bildes entwickelt werden. Das Bild ist Teil einer Reihe abstrakter Gemälde gleichen Formats. Es wurde hier zur Untersuchung ausgewählt, da es ohne Titel weder eine sprachliche Deutungsannäherung eröffnet wie dies bei Things fall apart von Mark Bradford (Abb. 47) der Fall war noch einen Hinweis auf eine ‘damaged abstraction’136 vermittelt. Ebenso wenig ist das Werk wie Joan Mitchells Untitled (Abb. 51) der gestischen Malerei des abstrakten Expressionismus zuzu135 136 URL: http://www.saatchiart.com/art/Painting-Abstract-Painting-Nr-3/422063/1589751/view Vgl. oben, 220. 234 rechnen. Es enthält zwar gestische Momente, doch diese verbinden sich mit formalen Elementen, von denen nicht primär motorisch-kinästhetische Impulse ausgehen. 6.2. Beschreibung des Gesamteindrucks Es sind dynamische Gegensätze, die den ersten Eindruck bestimmen. Sie manifestieren sich in der Gleichzeitigkeit von Dichte und Leere in der Fläche, von pastosem und lasierendem Farbauftrag, zeigen sich in den Farben und den Farbintensitäten von Rot, hellem Blau und Weiß sowie in der Gegenüberstellung einer heftig bewegten und einer ruhigen Zeichenhaftigkeit der einzelnen Bildelemente und kommen selbst in einem Spannungsverhältnis von Nähe und Distanz zum Ausdruck, wirkt doch das mit roter Farbe Gemalte nah und direkt auf den Betrachter bezogen, während sich die übrigen Bildteile in ihrer Tonigkeit als weiter entfernt präsentieren. Kontraste der Intensität finden sich auch in der Behandlung des Gesamtformats. So steigt vom unteren linken Bildrand eine pastose zinnoberrote, an ihren Rändern in Kritzeleien ausfransende Fläche in der Diagonalen auf und geht in einen von spiraligen Linien umspielte, in der Bildmitte platzierten Kreis (in Aufsicht) über. Dem lebhaften Farbkörper ist ein hellblauer, durch unregelmäßige Übermalungen gefleckter Grund unterlegt, der allerdings in der rechten Bildhälfte durch ein Viereck suspendiert wird. Dieses helle Viereck wirkt wie der Schein einer unsichtbaren Lichtquelle, die von außerhalb auf die Bildfläche trifft. Es bietet dem Blick einen Angelpunkt und stellt, indem er sich neben der roten malerischen Kritzelei fast polarisierend behauptet, die übliche Seherfahrung, die einen Bildhintergrund von einem Vordergrund unterscheidet, in Frage. Denn die Bewegungsrichtung des Blicks, durch die intensive rote Farbe ins Bild hinein geführt, wird durch dieses weiße Quadrat irritiert. Da sich der Blick nur entweder auf die schriftähnliche elliptische Form oder aber auf das weiße Viereck konzentrieren kann – beide Formelemente lassen sich nur bei nicht fokussierendem Sehen und unbewegtem Blickgleichzeitig wahrnehmen – wird durch deren Gegenüberstellung eine Sehentscheidung herausgefordert, die den jeweiligen Vordergrund zum Hintergrund, die Figur zum Grund für das jeweils Andere werden lässt. Das Bild provoziert Sprache – diese Erfahrung ist ebenfalls an den ersten Gesamteindruck gebunden. Nicht nur, dass die reduktionistische Formensprache den Bildraum gewissermaßen dialogisch strukturiert, sie öffnet einen mentalen Raum, der das Erinnern an etwas Unbestimmtes, Vergessenes aktiviert. 6.3 Herstellung: Regeln, Verfahren, Techniken Das abstrakte Bild präsentiert sich wie ein figuratives Werk, mit einem ‘Bildgegenstand’ – der allerdings sprachlich nicht bestimmbar ist. Diese Wirkung ist einerseits der oben beschriebenen Bildgestaltung geschuldet, die oberflächlich betrachtet in Vorder- und Hintergrund aufgeteilt werden kann, andererseits ist sie jedoch auf den Zeichnungscharakter des Bildes und seiner Elemente zurückzuführen. Denn es sind nicht nur die an Schrift und Kritzelei – generell an Grafitti – erinnernden Konstruktionen, sondern es ist die Gesamtgestaltung mit und aus Linien, die dem Werk den Charakter einer Zeichnung geben. Dazu sind die Spuren der Übermalungen, die in ihrer skizzenhaften Wirkung zwischen Flächigkeit 235 und Tiefe oszillieren ebenso zu zählen wie die unscharfen und ausufernden Flächenbegrenzungen. Die Verbindung oder Überlagerung von Malerei und Zeichnung bzw. die Zeichnung als Malerei ist ein Gestaltungsmittel, das seit den 1990er Jahren eine starke Autonomisierung erfuhr, insofern dass die Zeichnung nicht mehr nur einen Teilbereich eines künstlerischen Werks ausmacht oder in primär konzeptionellem Kontext zu verstehen ist, sondern gerade in gemalter Form eigenständig zwischen den traditionellen Gattungen anzusiedeln ist.137 Das vorliegende Bild changiert mit seinem Zeichnungscharakter aber nicht nur zwischen den Gattungen Malerei und Zeichnung, sondern evoziert mit seiner Formensprache auch die grafische Ausdrucksweise von Comics, insbesondere deren Sprechblasen. Dieser vorsprachlichen und doch dialogischen Erscheinungsweise des Bildes ist es zuzurechnen, dass sich bei der Betrachtung ein Schwebezustand zwischen Fühlen und Denken einstellt. Der folgende Bildausschnitt (Abb. 56) verdeutlicht diesen Aspekt: Abb. 56: Kurt Thaler, Abstract Painting Nr. 3, Detail. Während sich die heftige Malgeste und der dichte, pastose Auftrag der roten Farbe unmittelbar an das dynamische Empfinden und den fühlenden Nachvollzug der gestaltenden Bewegung richten, vermitteln der helle Grund und das geweißte Rechteck eine gegensätzliche Gestimmtheit, die einem ruhigen, poetisch anmutenden Zustand zuzurechnen ist. Der Ausschnitt hebt aber auch hervor, dass und wie sich Farbverdichtung und Farbintensität aufeinander beziehen und gleichzeitig Nähe und Distanz zu den Betrachtenden regulieren. So wirkt die rote Farbe nicht nur per se vordergründig, sie ist auch über den hellen, fleckig strukturierten Hintergrund gemalt, während die Helligkeit des Vierecks als Aussparung in eben diesem Hintergrund zustande kam. Das Bild besteht also aus drei deutlich unterscheidbaren Schichten. Die Beschreibung des in diesem Bild angewandten Mischverfahrens von Malerei und Zeichnung lässt sich kaum von der Beschreibung der ästhetischen Merkmale und ihrer Wirkungen trennen, denn die Unmittelbarkeit des Zeichenhaften der Pinselschrift und der malerischen Textur konstituieren eine Sichtbarkeit, die zu spontaner intuitiver Interpretation anregt. 137 Vgl. R. Ermen, St. Gronert, W. Hanck, A. Roob: Die umfassendste oder offenste Gattung. 236 6.4 Bildfläche: ästhetische Merkmale, innerbildliche Relationen, Bildraumkonstituierung In der Beschreibung des Gesamteindrucks sind die hauptsächlichsten ästhetischen Merkmale und Gestaltungselemente des Bildes – die Kontrastierung in Farbigkeit, Farbauftrag sowie von Linie und Fläche – bereits erwähnt. Aus ihrem Zusammenwirken ergibt sich die Illusion eines Bildraumes, der sich sowohl in die Tiefe als auch in die Höhe und Breite erstreckt. Diese räumliche Täuschung wird durch innerbildliche Relationen hergestellt: Der rote Fleck mit seiner Emphase suggeriert Vordergrund, Nähe zu den Betrachtenden, vor allem da er unvermittelt aus dem Bildrand bzw. dem Bildaußenraum ins Bild eintritt. Das über dem Fleck schwebende, aber mit ihm verbundene rote, schriftartig gestaltete Zeichen vermittelt Volumen während die Linienführung die Bewegungsspur einer Drehbewegung vermittelt und so die Vorstellung eines Kreises, Ballons oder Kreisels entstehen lässt. Die Dringlichkeit, die mit der satten Farbe assoziiert werden kann, wird durch die hellen Töne und insbesondere den weißen quadratisch anmutenden Fleck kontrastiert. Aus dieser Gegenüberstellung entwickelt sich eine Spannung, die sich sowohl in räumlicher als auch in relationaler Hinsicht auswirkt. Räumlich kann die helle Fläche, die das quadratische Format des Bildes in verkleinerter Form wiedergibt, einfach als Teil eines gesamten hellen Hintergrundes betrachtet werden. Wird sie jedoch als ein Fenster in eine Zone hinter dem Bild gesehen, so verstärkt sich damit die Illusion von räumlicher Tiefe. Da die Sichtbarkeit des Bildes die Inversion des Blicks durch den großen Grad an Unbestimmtheit fördert, kann der helle Fleck, wie in einer Kippfigur, als aus dem Hintergrund hervortretend betrachtet werden. Auch aus dieser Sichtweise resultiert eine illusionäre Bildraumtiefe, die sich ausschließlich in der Wahrnehmung der Rezipierenden einstellt. Wie sehr die innerbildlichen Relationen, die oben als dialogisch bezeichnet wurden, durch malerische und gestalterische Kontraste gebildet werden, zeigt Abb. 56. Der Ausschnitt verdeutlicht die vielfache Bezogenheit aller Elemente aufeinander: Da drängt nicht nur das Rote in Fläche und Linien zum Weißen, sondern dieses wirft etwas, das als sein Schatten bezeichnet werden kann, hinunter zum Roten – es wirft ihn gewissermaßen voraus. 6.5 Temporale Strukturen: Ikonische Ausdrucksformen von Zeit und Bezüge zu Zeitlichkeit Mit Formulierungen wie ‘drängen’, ‘hinunterwerfen’ oder ‘vorauswerfen’ werden nicht nur motorische, sondern auch zeitliche Aspekt der vorliegenden bildhaften Beziehungen bezeichnet. In der Gleichzeitigkeit der Sichtbarkeit wird ein Nacheinander manifest, das nicht nur durch die physischen Voraussetzungen des Sehens – der Augenbewegung – gegeben ist, sondern durch die von den formalen Elementen ausgelösten bedeutungsmäßigen Assoziationen befördert wird. Diese Bedeutungszuordnungen lassen sich als die Wiedergabe unterschiedlicher Zeiterfahrung formulieren. So enthalten die oben bereits erwähnten Gegensätzen von Bewegungsnachvollzug (ausgelöst durch die roten Elemente Fleck und Ellipse) und Ruhe (dem weißen Viereck) zusätzlich temporale Qualitäten von Verlauf und Dauer. Diese schließen sich im Bild jedoch nicht gegenseitig aus, sondern sie parallelisieren sich und sind immer gleichzeitig präsent. Dem Medium der Zeichnung, das sich durch eine handschriftliche Qualität und die Möglichkeit, Konzepte zu umreißen auszeichnet,138 ist die Verlaufsqualität von Zeit nahe.139 138 139 Vgl. M. Bleyl, Zeichnung – was ist das eigentlich?, 73–74. Als Beispiel dient dazu auch oben, 174, Abb. 41. 237 Die Malerei dagegen besitzt mit den künstlerischen Mittel der Farbe und der Fläche die Möglichkeit, Zeit als Dauer darstellbar zu machen. Dass sich außer in monochromen Werken140 die beiden temporalen Darstellungsweisen überlagern, wurde oben bereits dargelegt.141 Auch in der vorliegenden gemalten Zeichnung von Kurt Thaler lässt sich diese Gleichzeitigkeit der beiden temporalen Erscheinungsweisen feststellen. Die Frage nach zeitlichen Bezügen fördert noch einen weiteren interpretationsrelevanten Aspekt zu Tage. Der rote Fleck lässt sich nämlich nicht nur über seine vor allem an seinen Rändern sichtbaren Bewegungsimpulse verstehen, er ist in der Dichtheit des Farbauftrags im Verhältnis zum Gesamtbild auch als erweiterter Punkt zu betrachten. Kandinsky stellt in seiner kunsttheoretischen Schrift Punkt und Linie zur Fläche verschiedene malerische Punktformen vor (Abb. 57). Abb. 57: Kandinsky: Beispiele von Punktformen. Dazu schreibt er, dass der Punkt, obwohl er in seiner abstrakt gedachten Form ideellklein und ideellrund sei, in realer Form und Größe unendliche viele Gestalten annehmen könne. Die Variabilität des Punktes sei unbegrenzt.142 Im gleichen Text bestimmt Kandinsky auch das Verhältnis des Punktes zur Zeit und stellt lapidar fest: "Der Punkt ist die zeitlich knappste Form".143 Was aber ist die zeitlich knappste Form im Zusammenhang mit einer Bildbetrachtung? Es ist das Jetzt, das Jetzt der Betrachtungszeit, das kaum gesetzt bereits der Vergangenheit angehört und sich kontinuierlich erneuert. Damit gesellt sich in Thalers Abstract Painting Nr. 3 zur motivischen Gegenüberstellung von Verlauf und Dauer mittels des verdichteten roten Flecks auch ein Jetzt als Bezugspunkt, das Bild und Betrachtende verbindet. 6.6 Interpretation Das Bild Abstract Painting Nr. 3 von Kurt Thaler – eine gemalte Zeichnung – zeigt die Entfaltung oder Verwandlung eines Jetzt bzw. des Augenblicks in ein aktiv bewegtes und ein kontemplativ ruhendes Prinzip – der intensive rote Fleck geht über in die rote, von einer Spiralbewegung umspielten Kreis und nähert sich dem überhellen Viereck an. Werden mit dem bewegten Kreis und dem Viereck außerdem Begriffe wie Zyklus/Wiederholung bzw. Stetigkeit/Unveränderbarkeit assoziiert, so ergibt sich daraus eine Erweiterung des 140 141 142 143 Siehe dazu oben, 103, Abb. 28. Siehe oben, Manifestationen von Zeit und Zeitlichkeit, 171–177. Vgl. W. Kandinsky: Punkt und Linie zur Fläche, 28–29. Ebd. 34. 238 Deutungsumfangs, der auf eine Gegenüberstellung grundlegender zeitlicher Dimensionen abhebt. In äußerster Knappheit der Darstellung enthält das Werk eine äußerste Verdichtung der Aussage, die besagt, dass in jedem Augenblick strukturierte und nichtstrukturierte oder zyklische Zeit und Ewigkeit gleichzeitig bestehen und beide jederzeit ins Bewusstsein treten können und die Unvereinbarkeit von Gegenwart, Zyklik und Dauer zumindest ästhetisch überwunden werden kann. Das Bild manifestiert eine künstlerische Auseinandersetzung mit Zeit und Zeiterfahrungen, wobei die zeitgenössische Darstellungstechnik – Malerei als Zeichnung – eine Unmittelbarkeit gewährleistet, die die Aktualisierung des Themas unterstützt. Indem die drei einzelnen zeichenhaften Bildelemente Fleck, Kreis und Quadrat zu einem Superzeichen zusammenfallen, wird das Abstraktum Zeit zum ästhetischen Bildhelden, der das Gemälde beherrscht und gleichzeitig losgelöst von jeder Thematik als eigenständiges abstraktes Bildmotiv ein hohes Maß ästhetischer Wirksamkeit entwickelt. 6.6.1 Begründung Die Interpretation stützt sich schwerpunktmäßig auf drei Bereiche: Auf die grundsätzlich mögliche künstlerische Darstellung temporaler Strukturen, die sich in Linien, Flächen oder Farben manifestieren, dann auf die gattungsspezifische Eigenschaften des Mediums Zeichnung und außerdem auf die metaphorische Kraft der im Gemälde verwendeten motivischen Elemente. Anhand von Beispielen aus verschiedenen Epochen und Kunsttraditionen wurde bereits ausgeführt, wie in Bildern Zeit so dargestellt werden kann, dass sie als Verlauf nachempfunden oder als Dimension, die im Menschen angelegt ist oder ihn transzendiert, metaphorisch zum Ausdruck gebracht werden kann.144 In Thalers Bild nun wird die Bildaussage primär von linear-rhythmischen Qualitäten transportiert. Es sind farblich und bildräumlich gestaltete Rhythmen, in denen sich ein analog-bildhaftes Denken niederschlägt und den Zugang zur Bildthematik eröffnet. Damit ist Abstract Painting Nr. 3 eindeutig der Gattung Zeichnung zuzuordnen. Außerdem wird das Bild vom Gegensatz von Hell und Dunkel – einer weiteren wesensmäßigen Eigenschaft der Zeichnung – geprägt, sind es ja ausschließlich die Tonwerte von Rot, Blau und Weiß, auf denen der Bildaufbau gründet und deren Kontrastvaleurs die Aussage bzw. deren Interpretation bestimmen. Kreis, Spirale, Viereck und Fleck – das sind die formalen Elemente, die rhythmischlinear aufeinander bezogen sind. Mit diesen Motiven sind, fast könnte man sagen, Urmetaphern zitiert, die sich in symbolischen Systemen ebenso wiederfinden wie in der Formensprache der Zeichnung. Goodman hat die Bedeutung ästhetischer Symptome als Bedeutungsträger eines Kunstwerks ausgewiesen,145 die Legitimierung einer semantischen Interpretation der vorliegenden Motive ist damit kunsttheoretisch gegeben. Symboltheoretische Erklärungen von Zeichen und Motiven, wie sie von Carl Gustav Jung und seiner tiefenpsychologischen Schule ausgearbeitet werden146 und die Bedeutungsvielfalt der als 144 145 146 Vgl. ‘Manifestationen von Zeit und Zeitlichkeit’, oben, 171–177. Vgl. ‘Nelson Goodman’, oben, 148–154. Vgl. C.G. Jung, Der Mensch und seine Symbole, insbes. 240 und 250–255, wo die Moderne Malerei u.a. als Ausdruck der Spannung zwischen Bewusstsein und Unbewusstem beschrieben wird. 239 sprachliche Begriffe gefassten elementaren Motive,147 die in Abstract Painting Nr. 3 auftreten, stützen denn auch deren Deutung als Darstellungen für aktive oder kontemplative Prinzipien. Dem roten Fleck – einem erweiterten Punkt – kommt allerdings eine mehrfache Scharnierfunktion zu. Nicht nur, dass er formalästhetisch die Verbindung zu Kreis/Spirale und Viereck herstellt, aus rezeptionsästhetischer Sicht übernimmt er die Rolle eines repoussoir und führt die Betrachtenden ins Bild ein wodurch ein Tiefeneindruck des Bildraumes entstehen kann. Diese gestalterische Mittlerfunktion spiegelt sich in der Interpretation dahingehend, dass diesem Fleck als Darstellung des kontinuierlich sich erneuernden und verwandelnden Jetzt ebenfalls eine zentrale verbindende Rolle zugesprochen wird. Er ist es, der Bildaußenraum und Zeit der Betrachtenden mit dem Bildinnenraum und der Zeit des Bildes verbindet. Die Bildbeispiele, die oben unter dem Titel ‘Der Fleck als Signatur der Moderne’ aufgeführt sind,148 werden hier insofern ergänzt, als hier ein einzelner Fleck bedeutungstragender Bildgegenstand ist. Die Antwort auf die Frage nach der Art der Wahrheit bzw. dem Wahrheitsgehalt des Bildes ergibt sich grundsätzlich aus der Akzeptanz der Interpretation. Unter dieser Voraussetzung stellt das Bild an sich eine Allegorie dar, die in abstrakter Weise auf abstrakte Inhalte verweist. Zudem nimmt es Bezug auf außerhalb seiner selbst liegende Sinnebenen, der die Erfahrungen von und das Nachdenken über Zeit und ihre Wirkungs- und Erscheinungsweisen angehören. Ob das Bild auch Wahrheit als Resultat von Übereinstimmung von Vorstellungen und Ausführungen des Künstlers ausdrückt, wird sich im Rahmen der Validierung herausstellen. 6.7 Validierung Die Bildbefragung entlang der hier vorgestellten Bereiche führte im Beispiel von Thalers Abstract Painting Nr. 3 zu einer Interpretation, die die Kernaussagen des Bildes freilegten. Im Unterschied zu den vorhergehenden Untersuchungsergebnissen konnte sie dem Künstler vorgelegt und von ihm kommentiert werden. Die Frage nach der Art von Wahrheit wird unter diesen Voraussetzungen zuerst aufgegriffen. Dabei stellt sich eine Bestätigung und Ergänzung der bereits aufgeführten Wahrheitswerte des Bildes, wie sie oben ausgeführt wurden, heraus.149 So kann die Übereinstimmung einer Bildvorstellung und dem Resultat im Bild in einem ästhetischkünstlerischen Sinn als Wahrheit bezeichnet werden, doch unter dem Begriff Vorstellung sei nicht nur eine konkret vorhandene Voraussicht eines Bildgegenstandes zu verstehen. Zu einer künstlerischen Vorstellung gehöre auch, so K. Thaler im Gespräch, das grundsätzliche Vorhandensein eines Themas oder einer thematischen Anmutung ohne jede formal-ästhetische vorweggenommene Konkretisierung. Eine Art von (privater) Wahrheit entstünde dann, wenn sich diese gewissermaßen vorsprachliche Vorstellung mit künstlerischen Mitteln ästhetisch befriedigend realisiere. Im Fall von Abstract Painting Nr. 3 hat sich gezeigt, dass die Untersuchung von Herstellung, Regeln und Techniken die Charakteristika der Gattung Zeichnung offenlegten und 147 148 149 Vgl. die unterschiedlich kontextualisierten Einträge in R. Konersmann: Wörterbuch; in J.C. Cooper: Illustriertes Lexikon der traditionellen Symbole oder in: A. Friedberg: The Virtual Window. Vgl. oben, 105–109. Vgl. ‘Wahrheit in der Malerei?’, oben, 178–183, insbes. 182. 240 die Frage nach den innerbildlichen Relationen verwies auf die Bedeutung des Dialogischen, das sich in formaler, rhythmischer und linearer Hinsicht zwischen den einzelnen Bildmotiven einerseits sowie zwischen ihnen und dem Bildganzem andererseits manifestiert und so wirkungsmächtig ist, dass fast von einer narrationslosen Narration gesprochen werden kann. Stärker als die zwei vorhergehend untersuchten Kunstwerken bestätigt damit Abstract Painting Nr. 3 die performative Kraft sigetischer Leerstellen.150 Doch erst die Fokussierung auf Bezüge zu Zeitlichkeit und temporalen Strukturen öffnete den Blick für das eigentliche Bildthema, die Darstellung zeitlicher Dimensionen. "Unterschiedliche Anmutungen von Zeiterfahrungen", so der Künstler, waren die thematischen Impulse, die er in das Bild übersetzen wollte. Das hier angewandte Interpretationsverfahren hat zu einer Deutung geführt, die diesen Vorannahmen sehr nahe kommt. 6.8 Reflexion Die rückblickende Betrachtung des hermeneutischen Prozesses zeigt auch in der dritten Bildbefragung, dass die Kombination des auf Fragebereichen beruhenden Interpretationsverfahrens mit dem durch die Ikonik angeregten sehenden Sehen151 zu einer den Eigengesetzlichkeiten des Bildes angemessen Deutung führt. Diese Eigengesetzlichkeit weisen im Falle von Abstract Painting Nr. 3 einige Besonderheiten auf. Einerseits weisen sie das Bild als Zeichnung aus, andererseits fordert die reduzierte Motivik das relationale Sehen in besonderem Maße. Im Rahmen der Bildbeschreibung war dadurch eine gewisse Redundanz an Formulierungen kaum zu vermeiden. Erschwerend kam hinzu, dass für die Thematik ‘Zeit und Zeiterfahrungen’, die sich durch die Untersuchungskriterien erschloss, kein dem Bildnerischen adäquates sprachliches Vokabular existiert.152 Das Augenscheinliche, das in einem Bild zutage tritt, lässt sich grundsätzlich nur mit Abstrichen in Sprache übersetzen und die Transformation von simultaner Erscheinung in sukzessive Sprache wird in keinem Fall der Forderung ‘ut pictura descriptio’ gerecht, darauf wurde bereits hingewiesen.153 Doch im Zusammenhang mit dem dritten hier untersuchten Bild fielen diese Unzulänglichkeiten besonders stark ins Gewicht, da sich die insgesamt abstrakte Darstellung ja durchaus referentieller, begrifflich fassbarer, zeichenhafter Motive bedient, deren Beschreibung jedoch die Ästhetik der Erscheinung nicht wiedergeben kann und der großen formalen Reduziertheit des Bildes nur mit einer unverhältnismäßig großen Anzahl an Wörtern begegnet werden konnte. In dieser Arbeit wurde schon mehrfach darauf hingewiesen, dass die Kompositionsstruktur eines Kunstwerks generell bedeutungstragend ist. Eine spezielle Variante dieser Erkenntnis findet sich im roten Fleck. So erfüllt er rezeptionsästhetische Aufgabe und führt den Blick der Betrachtenden in das Bild hinein. Gleichzeitig trägt er inhaltlich-thematische Bedeutung, steht er doch in direktem Bezug zu den übrigen Bildmotiven und verbindet sie. In der Interpretation als Jetzt verweist er auf die Darstellungen bzw. Zeichen für Verlauf und Dauer. Betrachtet man aber das Bild nicht als Summe von Einzelmotiven, sondern als 150 151 152 153 Vgl. ‘Sigetische Leerstellen: Ein zerrissener Strumpf besser als ein geflickter’, 128–131. Vgl. ‘Ikonik’, oben, 85–87. Vgl. dazu H. Paflik-Huber: Nur dieses Jetzt ist, 82. Diese Forderung ergab sich als hermeneutische Konsequenz aus der Untersuchung der Texte zur philosophischen Ästhetik. Vgl. ‘ut pictura poesis?’, oben, 192–194. Zu den Wegen, die eine Interpretation als Übersetzung eines Bildes in Sprache durchläuft siehe ‘Interpretieren bedeutet Übersetzen’, oben, 198–203. 241 Ganzes so erhält der Fleck noch eine zusätzliche Funktion. Nun ist er Träger und Basis des im letzten Satz der Interpretation erwähnten Bildhelden, des Superzeichens, das sich aus der Zusammenschau der Motive ergibt. Die verschiedenen Schritte der hier vorgeschlagenen Bildbefragung erleichtern auch das Erkennen und Zuordnen solcher multifunktionalen Position einzelner Bildelemente. 7. Zusammenfassung Die Interpretation eines Bildes ist zugleich Teil eines Prozesses und Resultat. Sie ist prozesshaft, insofern sie als ein vorläufiges Geschehen offen ist und damit der Offenheit des Kunstwerks entspricht. Ihre hermeneutische Funktion als Vermittlerin zwischen Bild und Betrachtenden unterstreicht diesen Aspekt ebenfalls. Resultat ist sie, indem sie eine intermediale Übersetzung darstellt, in der Schlussfolgerungen aus Werkanalysen zusammengefasst und in Deutungen überführt sind. Der Beginn des Kapitels verweist auf die Konsequenzen, die sich aus den multirelationalen Verschränkungen ergeben. Deren Folgen bestehen in Chancen und Problemen für den Interpretationsprozess. Die Probleme entstehen primär dadurch, dass ein visuelles Medium in das Medium der Sprache übersetzt und damit eine überall gleichzeitig zugängliche Bildfläche in einen zeitlichen Verlauf umgewandelt werden muss. Die eminente Bedeutung des Übersetzungsmoments wurde denn auch in allen drei Bildbefragungen sehr deutlich, potenziert doch die Ungegenständlichkeit eines Sujets, das sich primär duch einen farblichen, formalen oder rhythmischen Nuancenreichtum auszeichnet, die Unzulänglichkeiten der Sprache. Die Forderung ut pictura descriptio, wie sie im Sinne der bildschaffenden Zeigekraft der Sprache (energeia) gestellt wurde,154 wird somit wohl auch zukünftig ein nicht zur Gänze erfüllbares Ziel bleiben. Die Chancen, die sich aus der relationalen Vielfalt des Interpretationsprozesses ergeben, finden sich im Zugeständnis der Offenheit eines Kunstwerks, die sich dahingehend äußert, dass es als Objekt auch subjekthaft auf die Betrachtenden zukommen und sich in der dialogischen Begegnung, die einen teilnehmenden Nachvollzug beinhaltet, erschließen kann. Dabei ist die Akzeptanz der jedem Interpretationsprozess inhärenten Subjektivität der Interpretierenden Voraussetzung und Folge sowohl der erwähnten Probleme als auch der Chancen. Mit Bildbefragungen entlang der durch die Philosophie angeregten Schritte hat sich herausgestellt, dass der untersuchende Blick durch die deutliche abgegrenzten Schwerpunkte, das heißt, die sukzessive Fokussierung auf Herstellungsverfahren, die Behandlung der Bildfläche und die im Bild vorhandenen temporalen Strukturen neue Sinnzusammenhänge entdecken kann. Die angewandten Kriterien sind differenziert und fokussiert genug, um das Sehen anzuleiten, so dass die gewohnten Modi des ikonographischen Zuordnens aufgegeben und an seine Stelle ein Sehen treten kann, dass die Sichtbarkeit des Bildes als ikonische Struktur zu verstehen sucht. Auch wenn die Bildbefragungen hier an nur drei Beispielen erprobt wurden, so lässt sich doch feststellen, dass dieses Konzept sich als fruchtbar erweist, insofern es zu begründbaren Interpretamenten führt. 154 Vgl. ‘Ut pictura poesis? Ut pictura desriptio!’, oben, 192–194. S CHL US S Würde dieser Arbeit ein zweiter Untertitel beigefügt, so könnte er – in barocker Manier – lauten: ‘Komplizierte Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Bild und Sprache oder über die Bedeutung von Irritationen’. Beide Topoi bestimmten, allerdings in unterschiedlichem Maß und mit unterschiedlichen Schwerpunkten, die hier vorgelegte interdisziplinäre Untersuchung. So bot eine Irritation über den Mangel an Interpretationsmodellen für abstrakte Kunst Anlass zu diesen Recherchen, deren Ziel es war, zu prüfen, ob und wie sich philosophische Aussagen zur Kunst als Grundlage für die Interpretation von Kunstwerken, insbesonders von nicht figurativen Werken, einsetzen lassen. Mit den im letzten Kapitel aufgrund zentraler philosophisch-ästhetischer Aussagen durchgeführten Bildbefragungen zu drei ungegenständlichen Werken und den daraus resultierenden Interpretationen konnte nachgewiesen werden, dass dies möglich ist und dass damit ein Interpretationsansatz gewonnen wird, der den Blick für die Sinnschichten abstrakter Bilder öffnet. Auch am Ausgang dieser Analysen – an den Interpretationen selbst – waren Irritationen beteiligt. Sie resultierten aus der Inkongruenz von Bild und Begriff, wenn beispielsweise die Sichtbarkeit des Bildes und der Bildtitel in keiner Weise korrelierten (wie in der Bildbefragung Nr. 1) oder wenn sich die Vielschichtigkeit einer Bildstruktur erst in der Übersetzung ihrer einzelnen Elemente in Sprache zu erkennen gab (wie in den Bildbefragung Nr. 2 und 3). In allen Fällen, auch in hier nicht erwähnten, hielten die irritierenden Momente eine Spannung offen zwischen dem Bild und seiner möglichen Bedeutung, d.h., zwischen Bild und Sprache. Sie wirkten somit als Stimuli, die es auszuhalten und ernst zu nehmen galt, denn sie verwiesen immer sowohl auf die Dichotomie von Bild und Sprache als auch auf eine Verwandtschaft der Medien, der die Funktionen von Zeigen und Sagen zugrunde liegen. Stellen diese also die Grundlage der Interdependenz von Bild und Sprache dar, so kommen ihre Unterschiede in Malerei und Philosophie am ausgeprägtesten zum Ausdruck. Zwischen diesen Polen ist die vorgelegte Untersuchung aufgespannt. Sie setzt mit einem kunsthistorisch akzentuierten Kapitel ein, das einen groben Überblick gibt über die im Laufe der Jahrhunderte wechselnden Akzentuierungen im Verhältnis von Bild (verstanden als Artefakt) und Sprache (als Text). Dieser ergibt, dass die Ambivalenz, die mit der Kapitelüberschrift Zeigen und Sagen – Bild oder Sprache? angesprochen wird, nicht aufgehoben werden kann, da das Bild auf sprachliche Verfasstheit ebenso angewiesen ist, wie die Sprache auf Metaphern. Zudem wird in diesem Kapitel deutlich, dass die Entmündigung der Kunst durch die Philosophie, die Arthur C. Danto konstatiert,1 nur als Übergangsphänomen in einem zyklischen Geschehen zu verstehen ist, das sich zwischen der Dominanz der Sprache über das Bild und der Vorherrschaft des Bildes über die Sprache abspielt. Obwohl die Sprache, u. a. bedingt durch das im Dekalog verankerte Bildnisverbot,2 kulturelles Leitmedium war, kam dem Bild als Medium der Vermittlung des biblischen Wortes auch eine spirituelle Funktion zu, da das Betrachten von Bildern durch Papst Gregor den Grossen ausdrücklich dem Lesen bzw. Hören des Wortes gleichgestellt wurde.3 Zu Beginn der Neuzeit, mit der eintretenden Säkularisierung, verlagerte sich die relative Gewichtung zwischen Bild und Text wieder mehr zugunsten der Sprache. Die Malerei, die nun außerhalb der Kirchenräume Verbreitung fand, musste sich auf neue The1 2 3 Vgl. A.C. Danto: Philosophical Disenfrachisement bzw. ‘Exkurs’, oben 59–60. Bibel, Exodus 20, 2. Vgl. oben, 27, Anmerkung 73. 243 men besinnen, doch diese nicht auf biblische Texte zurückgehenden Bildvorlagen wie Legenden, Mythen oder Allegorien, setzten zu ihrem Verständnis nicht Gläubigkeit, sondern historisches Wissen und weltliche Bildung voraus, d.h., die Bilder wurden erklärungsbedürftig. Im 20. Jahrhundert entwickelte Erwin Panofsky für diese Werke eine ‘Lesemethode’, die sie allerdings ausschließlich nach Maßgabe sprachlicher Strukturen deutet, was durch eine ausführliche Kritik des Ikonologie-Ikonographie-Modells nachgewiesen werden konnte.4 Eine Vereinnahmung der Kunst durch die Sprache zeichnete sich nicht nur in kunsthistorischem, sondern ebenso in philosophischem Zusammenhang ab, wofür selbst Dantos Angriff auf die philosophische Ästhetik gewertet werden kann. Dagegen entwickelten Künstlerinnen und Künstler, wie nachgewiesen werden konnte, seit der Mitte des 20. Jahrhunderts verschiedene Strategien, mit denen sie die Deutungshoheit über Kunst wieder zurück gewannen und das Zeigen gegenüber dem Sagen wieder in sein Recht setzten.5 Die Spuren dieser heftig geführten Auseinandersetzung, die als Folge eines veränderten Werk- und Kunstbegriffs entstand, sind in Kunstwerken selbst sowie in den intensiv geführten Titeldiskursen aufzufinden, u.a. auch in der Paradoxie Ohne Titel.6 Diese Entwicklung lässt sich aus heutiger Sicht als Präfiguration des Iconic Turn verstehen, der das Bild seit den 1990er Jahren in einen allgemeinen kulturellen Diskurs einschreibt, der zwar auch wieder ein Reden-über darstellt, allerdings mit dem Unterschied, dass es nun das Ikonische selbst und seine Eigengesetzlichkeiten sind, die zur Sprache gebracht werden. Inzwischen hat die Wirkungsmacht des Bildes – nicht nur des Kunstwerks – durch die globale Verbreitung auch mittels elektronischer Medien dazu geführt, dass es in vielen Bereichen eine sprachliche Argumentation nicht nur ergänzt, sondern an ihre Stelle getreten ist.7 Gemälde sind Flächengestaltungen. Auf der Bildfläche können zwar illusionäre Räume erzeugt und nicht existierende Dinge zur Anschauung gebracht werden, doch das Insgesamt des Bildes besteht aus phänomenologischer Sicht als relationales Gefüge aus Farben, Formen und Linien, die nach gestalterisch-rhythmischen Prinzipien auf einem Bildträger angebracht, komponiert sind. Die Bedeutung des Kunstwerks kann nur mittels dieser Elemente zum Ausdruck kommen, unabhängig davon, in welcher Manier, welchem Stil und zu welcher Zeit ein Bild entstand – es sind immer formale Strukturen, die Kunst konstituieren. So sind im Kunstwerk Sein und Erscheinung als essentieller Dualismus untrennbar miteinander verknüpft und bieten in geradezu paradigmatischer Weise eine Manifestation dafür, dass Wesen, Existenz und Erscheinung unauflösbar aufeinander bezogen und voneinander abhängig sind. Im zweiten, kunstwissenschaftlich akzentuierten Kapitel, mit dem Titel Ikonische Logik oder: Scheinen ist das Sein des Bildes werden formal-ästhetische Bedingungen untersucht, unter denen diese für das Bild charakteristische Performativität zustande kommt. Die Ergebnisse zeigen, dass sich in allen ikonischen Elementen eine dichotomische Charakteristik feststellen lässt, da sich in ihnen das Wie und das Was der Darstellung überblenden. In gegenständlichen Werken sind diese Komponenten als Sujet und Stil gut zu unterscheiden, stellt doch die Art der Darstellung ein Mittel zum Zweck dar. 4 5 6 7 Vgl. ebd., 57–77. Vgl. Ch. Harrison, P. Wood (Hg.): Kunsttheorie. Als Beispiele dienen Abb. 15–17 und 19 mit Werken von René Magritte, Joseph Kosuth, Rosemarie Trockel und James Abbott MacNeill Whistler. Vgl. auch ‘Der Bildtitel’, oben, 71–76. Vgl. W. Sauerländer: Iconic Turn. 244 In nichtgegenständlichen Gemälden dagegen, insbesondere in Werken gestischer Malerei, fallen jedoch Was und Wie in eins, entspricht die Art der Ausführung dem Zweck selbst. Für die Darstellung und die darstellenden Elemente eines Bildes steht seit langem ein kunstwissenschaftliches Vokabular zur Verfügung. Die Untersuchung von Stil, Textur, Gehalt, Linie oder Farbe konnte deshalb historisch kontextualisiert werden, was insbesondere in Bezug auf den ‘Sprachenstreit’,8 zu einer unerwarteten Einsicht führte. Es zeigte sich nämlich deutlich, dass die Konkurrenz zwischen normativen Theorien, die ein Kunstwerk aus der Zeichnung (Disegno) oder solchen, die es aus der Farbe (Colore) gestaltet und beurteilt wissen wollten, als Parallele zum Paragone von Sprache und Bild verstanden werden kann. Denn so, wie seit einigen Jahrzehnten das Bild in allen seinen Erscheinungsformen die Medien, Mediendiskurse und selbst die Argumente beherrscht, so beherrscht seit der Mitte des 20. Jahrhunderts nun auch die Farbe die Malerei,9 wofür die Techniken des gestischen Farbauftrags ebenso Zeugnis ablegen wie monochrome Werke. Die Sichtbarkeit des Bildes besteht jedoch nicht nur aus darstellenden, sondern ebenso aus nichtdarstellenden Elementen. Obwohl sie die Erscheinungsweise und Wirkung maßgeblich bestimmen sind sie doch weitgehend terminologisch unerfasst. Da diese namenlosen Bildkomponenten und innerbildlichen Konstellationen jedoch auch im Hinblick auf die Interpretation abstrakter Werke – das Ziel dieser Arbeit – von zentraler Bedeutung sind, wurde für einzelne Typen von ihnen nach Benennungen gesucht. Die sich an ihren bildimmanenten Funktionen orientierenden Bezeichnungen ‘mimetische’, ‘rhetorische‘, ‘pikturale’ und ‘sigetische Leerstellen’ wurden dafür vorgeschlagen, in Bildern identifiziert und exemplifiziert.10 Sie belegen, dass sich das Verstummen und Verschwinden als Topoi der Moderne11 in der Malerei früh und unübersehbar manifestierte. Die Identifizierung dieser Leerstellen ermöglicht es, die Dynamik, die im Wechselspiel von Sein und Scheinen des Bildes entsteht, offen zu legen und zeigt, dass sie es sind, die performatorisch aktiv von den Betrachtenden sehende Teilnahme einfordern, da sie kontinuierlich nach einem gestaltbildenden Sehen verlangen, das sich zu entscheiden hat zwischen der Beachtung von Fläche oder Kontur, Opazität oder Transparenz, Detail oder Bildganzem. Erst im Zusammenspiel dieser Dualismen kann das ‘beredte Schweigen’ des Bildes schließlich in sinngebende Zusammenhänge gestellt werden. Mit der abstrakten Malerei wurde die mimetisch orientierte Repräsentation durch die Autonomie der Präsentation abgelöst. Daher konfrontieren ungegenständliche Werke die Betrachtenden damit, ein narrationsloses Bild vergegenwärtigen und dessen Binnengliederung selbst akzentuieren zu müssen, wenn sie es denn verstehen wollen. Auf diesen Hintergrund tritt zur Bedeutung des Begriffs ‘Kunstwollen’12 als Ausdruck für eine in allen Zeiten sich realisierende Dimension des Schöpferischen eine neue hinzu, die die aktive Rolle betont, die den Rezipierenden aufgrund der Erscheinungsweise abstrakter Werke zugewiesen wird. Das ‘Kunstwollen’ wird durch ein Kunst-wollen, als eine sich affirmativ den Erscheinungen im Bild zuwendenden Rezeption aktualisiert. Dass sich hinter dieser Bedeutungsverlagerung mehr als nur eine triviale Akzentverschiebung verbirgt, wird in einem 8 9 10 11 12 Vgl. ‘Disegno oder Colore’, oben, 98–103. Die Zeichnung ist sowohl als Gattung als auch als Gestaltungselement in den Hintergrund geraten. Vgl. ‘Elemente ikonischer Absenz’, oben, 109–131. Vgl. ebd., insbes. 128–131, wo das ‘beredte Schweigen’ unter der Bezeichnung ‘Sigetische Leerstelle’ als kulturtheoretische und literarische Figur auch in den Kontext von Heideggers Entbergen/VerbergenMetapher bzw. den Anwesenheit/Abwesenheits-Dualismus gestellt wird. Vgl. E. Panofsky: Der Begriff des Kunstwollens, 1019–1034 bzw. W. Kemp: Rezeptionsästhetik, 29–50. 245 das zweite Kapitel beschließenden Exkurs nachgewiesen.13 Dieses Kunst-Wollen ist parallel zur einer ästhetischen Einstellung zu verstehen und gleichermaßen konstitutiv wie diese für das Verstehen und das Genießen von Kunst. Das Bild, dessen Performativität sich im Spannungsfeld zwischen Absenz und Präsenz entwickelt – was mit der Legende von der Entstehung der Malerei auf das Deutlichste veranschaulicht wird14 – wird von kunstwissenschaftlicher Seite in vielen Aspekten mittels Dualismen beschrieben. In der philosophischen Ästhetik wird es in anderer Weise konnotiert. So postuliert Georg Wilhelm Friedrich Hegel, dass sich in Religion, Philosophie und Kunst der Geist manifestiert, der Bewusstsein entwickeln, sich selbst betrachten und reflektieren kann und sich somit Subjekt und Objekt ist. Diese immer weiterführende Entwicklung des Geistes hat – in der dialektische Bewegung zwischen dem An-sich und dem Für-sich zum An-und-Für-Sich-Sein des Geistes – einen Bruch zwischen den Dimensionen der Existenz verursacht. Der Geist, der als absoluter dem Jenseits und als subjektiver dem Diesseits zugehörig ist, weiß diesen Bruch jedoch auch zu heilen.15 Das Mittel dazu ist die Kunst. In ihr verbindet sich die sinnlich erfahrbare Wirklichkeit mit einer Wirklichkeit jenseits der Empirie. Mit dieser Darstellungsweise sind alle Dualismen des Bildes, die immer in die antagonistischen Richtungen von materieller Existenz und immaterieller Bedeutung weisen, philosophisch begründet: Sie zeugen von der Mittlerfunktion der Kunst. Diese und andere Betrachtungsweisen der philosophischen Ästhetik wurden in Kapitel 3 unter dem Titel Rätsel ‘Kunst’ mit dem Ziel analysiert, daraus die wichtigsten Aspekte aufgreifen und für die Interpretation abstrakter Kunst fruchtbar machen zu können. Ausgehend von Georg Wilhelm Friedrich Hegel wurden die von Morris Weitz, Nelson Goodman, Martin Heidegger und Hans-Georg Gadamer unterschiedlich akzentuierten Antworten auf die Frage ‘Was ist Kunst?’ analysiert. Dabei hat sich gezeigt, dass sich, abhängig vom jeweiligen Kontext der ästhetischen Betrachtung, substantielle Unterschiede ergeben, die für den anschließend in Kapitel 4 entwickelten Interpretationsprozess von Belang sind. Von Hegel wird Kunst dreifach eingeordnet: Die bereits erwähnte Mittlerfunktion beschreibt ihre Stellung im Insgesamt menschlicher Ausdrucksformen, ihre Erscheinungsform wird als historisch wandelbar und abhängig von kulturell-gesellschaftlichen Entwicklungen und ihre zunehmende Interpretationsbedürftigkeit als Folge der Inkongruenz von Form und Gehalt dargestellt.16 An diesen Verortungen von Kunst – als metaphysisch, historisch und im singulären Kunstwerk – konnten die anderen vier ästhetischen Positionen angeschlossen werden. Morris Weitz fokussiert mit seiner antiessentialistisch fundierten Ablehnung der Frage nach dem Wesen der Kunst und der generellen Konzepthaftigkeit von Kunst auf den situativen Kontext, in dem ein Objekt zur Kunst erklärt wird. In der alternativ gestellten Frage ‘Wann ist Kunst?’ und der Antwort, dass es die ‘Kunstwelt’ sei, die ein Objekt zur Kunst erkläre, spiegelt sich die Öffnung, die sich in den Darstellungsweisen und Präsentationsformen der Kunst als auch in ihren Themen und Interpretationszusammenhängen vollzogen hat. Sie lenkt die Aufmerksamkeit zudem darauf, dass, gerade weil sich Kunst nicht mehr von selbst versteht, der ästhetischen Einstellung große Relevanz für den Kunstgenuss sowie für einen potentiellen Erkenntnisgewinn, der aus der Kunsterfahrung resultieren kann, zukommt. Anschließend wird durch Nelson Goodmans Sichtweise 13 14 15 16 Siehe ‘Exkurs: «Kunstwollen» und Kunst-wollen’, oben, 133–135. Siehe oben, 88–89 bzw. Abb. 23. Vgl. G.W.F. Hegel: Ästhetik, 45. Vgl. ‘Kunst als spezifische und geschichtliche Gestaltungsform’, oben, 141–143 bzw. G.W.F. Hegel: Enzyklopädie III, § 556. 246 die Kontingenz der Kunst wieder eingegrenzt, insofern er das Innerbildliche als eine Weise der Welterzeugung systemisch und semiotisch zu fassen vorschlägt.17 Kunst ist für Goodman eine Beschreibung der Wirklichkeit, die sich in Symbolen manifestiert, die keineswegs von selbst, sondern nur mittels Kenntnissen ihrer Referenzsysteme verstanden werden kann. Von besonderem Interesse in Bezug auf abstrakte Werke ist dabei die Referenzialität, die er allen Teilen eines Bildes und allen Arten von Bildern zuspricht.18 (Die Übereinstimmung mit Aspekten der ikonischen Differenz ist dabei unübersehbar). Nach dieser Analyse der Welt erzeugenden Bildinterna wurde mit Heidegger das Verhältnis von Bild und Welt in den Vordergrund gerückt.19 In dieser Relation geschieht Kunst als ein Ereignis, ein Prozess, der «Her- ins Unverborgene, vor- in das Anwesende»20 führt und dabei nicht lediglich einen Gegenstand abbildet oder zeigt, sondern mittels eines weltlichen Sujets in diesem Geschehen selbst Wahrheit zum Ausdruck bringt. Erst im Kunstwerk ist das Zeugsein eines Gegenstandes überhöht, zeigt sich dessen Wahrheit. Der sinnstiftende Aspekt der Kunst liegt für Heidegger in eben diesem Wahrheitsvollzug, der im einzelnen Werk stattfindet und sich als das Kunsthafte der Kunst erweist.21 Gadamers Position schließt sich an diejenige Heideggers an, verschiebt den Fokus jedoch auf die Performativität von Kunst und ihre Rezeptionsverhältnisse. Im Vergleich von Kunst mit Spiel, Symbol und Fest verdeutlicht Gadamer, dass Kunstgenuss und Kunstverstehen voneinander abhängen und beide an ein unmittelbares, aktives Teilnehmen am Kunstwerk geknüpft sind. Mit der Betonung der Unmittelbarkeit jeder Kunsterfahrung erhält das Präsentische der Bildbetrachtung einen weitreichenden Stellenwert, der sich dahingehend auf die Hermeneutik des Bildes auswirkt, als eine historische Kontextualisierung durch die Reflexion der Erfahrung zu ergänzen ist. Aus den fünf vorgestellten Antworten auf die Frage nach dem, was Kunst sei, konnten nun auch das Bild charakterisierende Aspekte abgeleitet werden. Die von den vorgestellten Philosophen gegebenen Bestimmungen, die die Kunst als Mittlerin zwischen Welten und Dimensionen (Hegel), Weise der Welterzeugung (Goodman), Sinnstiftung (Heidegger) oder Verwandlung ins Gebilde (Gadamer) betrachten, betonen die aktivischen Eigenschaften eines Kunstwerks. Aus diesen Postulaten des Ereignischarakters und der Performativität des Bildes ließen sich Folgerungen für die Kunsterfahrung und das Verstehen ikonischer Bedeutung ableiten, denn sie werten Bedeutung als innerbildliches Geschehen und konstituieren das Bild als Movens und Agens, also als handelnd und auf ein Objekt – die Betrachtenden – einwirkend.22 Das heißt, Erkenntnisse über die Bedeutung von Kunstwerken werden als Ergebnis eines dialogischen Geschehens zwischen Bild und betrachtendem Subjekt gewertet. Da sich in einem Dialog jedoch zwei Subjekte in einem Austausch gegenüberstehen, erhält das Bild in seiner Performanz einen Subjektstatus, auf den das Betrachtersubjekt reagiert. Das Bild wird somit zum Ort, an dem sich Reflexion und zu Reflektierendes verschränken.23 Damit ergänzt oder ersetzt die Erfahrung des betrachtenden Subjekts eine ausschließlich historisch orientierte Kontextualisierung eines 17 18 19 20 21 22 23 Vgl. ‘Nelson Goodman’, oben, 148–154. Vgl. ebd. sowie: N. Goodman, C.Z. Elgin: Revisionen, 72–74. Vgl. ‘Martin Heidegger’, oben, 155–160 bzw. M. Heidegger: Der Ursprung, 68. Ebd., 70. Vgl. W. Perpeet: Heideggers Kunstlehre, 219–223. Die Veränderungen im Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt werden oben, 167 sowie 169–171 auch unter Berücksichtigung psychoanalytisch geprägter Deutungswege diskutiert. Ebd. 247 Kunstwerks und wird so als bestimmendes Moment in den hermeneutischen Prozess inkludiert. Angeregt durch die Aussagen Heideggers und Gadamers wurden die ikonischen Erscheinungsmöglichkeiten von Zeitlichkeit und von Wahrheit untersucht.24 Wie an Bildbeispielen konkretisiert werden konnte, gibt es sowohl für verschiedene zeitliche Strukturen (Zeit als Dauer, als Verlauf oder als Metapher) als auch für Wahrheit (als Übereinstimmung von Plan und Ausführung, in metaphysischem Sinne als ‘Scheinen der Idee’ oder als Allegorie) eine Vielfalt an Darstellungsformen, die sich identifizieren lassen und Einfluss auf die Interpretation nehmen können. Also wurden auch diese Aspekte in die Sammlung der Fragen, die zum Zweck der Bildbefragung und Interpretation abstrakter Werke aus den philosophischen Aussagen zur Kunst deduziert wurden, aufgenommen.25 Von den hermeneutischen Konsequenzen, die sich aus diesen Sichtweisen ergaben, wurden einige besonders hervorgehoben. Die Charakterisierung des Bildes als Bezogenheit von Welt, Zeit und Mensch erklärt die Transformation bildinterner Relationen als eine Emotionalität und Rationalität umfassende Performativität sowie als stetig in der Gegenwart stattfindenden Austausch zwischen außerbildlicher Realität und innerbildlicher Wirklichkeit. Das hat zur Folge, dass das traditionell gegebene Subjekt-Objekt-Verhältnis zwischen Betrachtenden und Bild dynamisiert wird, wird das Bild darin doch zu einem Agens, was den Interpretationsprozess zu einem dialogischen Geschehen macht. Dies wiederum bedeutet, dass die wesentliche Bedeutung in innerbildlichem Geschehen zu verorten und mittels der Begegnung zwischen Betrachtenden und Werk aufzufinden ist. Eine weitere, für die hier vorgenommenen Bildbefragungen besonders relevante Konsequenz ergab sich aus der Frage, inwiefern ungegenständliche Gemälde überhaupt in Sprache übersetzt und einer Deutung zugänglich gemacht werden können. Die Antwort findet sich in der Akzeptanz dieser Werke als sinnlich erfahrbar gemachten, jedoch subjektiven Ausdruck des Künstlers, dessen Bedeutung sich ausschließlich in den dem Bild inhärenten Strukturen niederschlägt. Deshalb kann eine Annäherung daran nur über die Untersuchung der Sichtbarkeit des Bildes und seiner Elemente zu einem plausiblen Resultat führen. Das bedeutet, dass die Bildstrukturen in Sprache übersetzt werden müssen. Dieser mediale Transformationsprozess ist besonderen Schwierigkeiten ausgesetzt, da eine Interpretation immer sowohl Ergebnis eines mehrfachen Übersetzungsvorganges als auch Teil eines multiplen Beziehungsgeflechts darstellt. Die Frage, wie ein bildhafter Ausdruck sprachlich adäquat wiedergegeben werden kann, führte deshalb zur Forderung ut pictura poesis - ut pictura descriptio – d.h., die Sprache solle sich an der Sichtbarkeit orientieren, das Bild deskriptiv erfassen und sich primär deutenden Attributen enthalten bzw. sie kennzeichnen. Die Schwierigkeiten, diesen Anspruch einzulösen, wurden verstärkt durch die Kontingenz eines Kunstwerks, so dass schließlich die Offenheit der Kunst durch eine Offenheit der Interpretation zu parallelisiert ist. Auf Seiten des interpretierenden Subjekts werden dadurch Irritationen ausgelöst, insofern als dass die Entscheidungen, die während des offenen Deutungsprozesses unentwegt gefällt werden müssen – für ein bestimmtes Sehen, eine bestimmte Reihenfolge des Beschreibens, eine bestimmte Kontextualisierung – nicht objektiv sein können, denn dieses Subjekt interpretiert das Werk in einer ihm angemessenen bzw. entsprechenden Weise. Das bedeutet, dass Ziel und Zweck der Interpretation bzw. die Rolle der deutenden Person, sich auf die 24 25 Siehe oben, 171–177, resp. 178–183. Die Fragen finden sich oben, 205–207. 248 Perspektive, in der das Werk betrachtet wird, auswirken und also in der Deutung enthalten sind, was mit Beispielen exemplifiziert wurde.26 Auf dem Hintergrund dieser vielfältigen Beziehungsverschränkungen wurde zu Beginn des Kapitels 4 – Philosophische Fragen als Grundlagen der Interpretation abstrakter Kunstwerke – die Funktion und Bedeutung eines medienübergreifenden Übersetzens noch einmal zusammenfassen problematisiert und mit Bezug auf Walter Benjamin und Martin Heidegger in einen philosophischen Kontext gestellt. Allgemeine Überlegungen zur Deutbarkeit abstrakter Kunst führen dann über zu den Bildbefragungen, die von den untersuchten philosophischen Texten angeregt wurden. Ob sich die Anleitung zu einem Deutungsweg auf der Grundlage philosophischer Fragen in der praktischen Anwendung bewährt, wurde anhand dreier abstrakter Werke überprüft.27 Die Resultate dieser drei Bildbefragungen brachten insgesamt Inhalte und Aspekte zutage, die ohne die Anleitungen durch die philosophisch akzentuierte Fragestruktur nicht erkannt worden wären. So führte in Bezug auf Bradfords Things fall apart vor allem die Untersuchung temporaler Strukturen und die Verknüpfung der dadurch gewonnenen Erkenntnisse mit der Herkunft des Bildtitels zu einer begründ- und nachvollziehbaren Deutung des Werks, während in Mitchells Untitled die Analyse und der Vergleich künstlerischer Technik und Flächengestaltung die Selbstbezogenheit des Action Painting sowie die hybride Form des Werks entdeckten und kontextualisierten und in Thalers Abstract Painting Nr. 3 durch die Untersuchung ikonischer Ausdrucksformen von Zeit und Zeitlichkeit das abstrakte Thema Zeit als Bildthema und Bildgegenstand identifiziert werden konnte. Die Spezifika dieser Bildbefragung, die ausführlich dargelegt wurden,28 schließen aufgrund der Diskussion der Charakteristiken eines Deutungsvorganges einige Punkte mit ein, die in der Regel in Interpretationsprozessen unbeachtet bleiben. Zu ihnen gehört das Offenlegen der Rezeptionsbedingungen ebenso wie die Schilderung eines Gesamteindrucks und die Beschließung des Vorgangs mit einer Validierung der Verfahrensschritte sowie einer Reflexion der damit gemachten Erfahrungen und gewonnen Einsichten. Insgesamt darf das Ergebnis des Versuchs, Aussagen philosophischer Ästhetik zur Grundlage kunstwissenschaftlicher Hermeneutik zu machen, positiv bewertet werden, denn er eröffnete einen bisher unbeachteten Zugang zu abstrakten Bildern und ließe sich – so eine noch unbewiesene Behauptung – wohl mit Gewinn auch auf gegenständliche Werke übertragen. Am Schluss der Einleitung war in metaphorischem Sinne davon die Rede, dass sich das Bild von verschiedenen Konzepten umgeben auf einem weiten Feld befinde. Diesen Konzepten wurde nun nach der Beschäftigung mit unterschiedlichen Aspekten und Verwandtschaftsverhältnissen von Bild und Sprache ein weiteres hinzugefügt. Es besteht in der philosophischen Grundlage eines Fragerasters, der eine Annäherung an die Bedeutung ungegenständlicher Bilder möglich macht. Dieser Ansatz steht, wie jedes Reden oder Schreiben über ein Bild, zwischen zwei Positionen, deren Extreme durch zwei Zitate markiert werden können. Das eine – von Picasso – lautet: «Menschen, die Bilder erklären wollen, bellen für gewöhnlich den falschen Baum an.»29 Die gegenteilige Haltung drückt sich in einem Satz Albert Einsteins aus: «Erst die Theorie entscheidet darüber. was man be- 26 27 28 29 Siehe ‘Rolle und Perspektivität’, oben, 187–192. Vgl. oben, 212–241. Vgl. oben, 207–211. Pablo Picasso, zitiert nach: D. Keel, Picasso, 72. 249 obachten kann.»30 Auch wenn sich Einsteins Aussage auf Physik bezieht, in der bewegte oder sich bewegende Phänomene beobachtet werden, so gilt sie doch ebenso für die Bildbetrachtung, denn erst die Theorie entscheidet darüber, was und wie man Bilder erklärend deuten kann. Die Hoffnung zur Überbrückung der Distanz zwischen beiden Haltungen lässt sich an Picassos Zuschreibung ‘für gewöhnlich’ festmachen. In den vier hier vorgestellten Kapiteln wurde versucht, hinter dieses ‘für gewöhnlich’ zu gelangen und mit unterschiedlichen Akzentuierungen das Sehen auf abstrakte Kunst durch Einsichten der Philosophie neu anzuregen. Die Schwierigkeiten, denen dieser zuweilen historische, zuweilen diskursanalytische Gang durch einzelne Topoi der Geschichte der Kunst und des Fachs Kunstgeschichte sowie der Philosophie ausgesetzt war, wurde oben mit dem Stichwort ‘Irritationen’ bereits angesprochen. ‘Dualität’ und ‘Schreiben- bzw. Reden-über’ sind nähere Bezeichnungen für deren Ursachen. Denn damit die Dualismen, die in allen Belangen des Bildes zum Ausdruck kommen, in einem Werk selbst erkannt werden und nicht nur theoretisch festgestellt werden können, braucht es ein Sehen, das sich diesen Gegebenheiten anpasst. Das heißt, es braucht ein Sehen, das nicht nur auf das Ostentative fokussieren, sondern sich auch Bildelementen zuwenden kann, die nichts darstellen. Es wird also eine Wahrnehmung verlangt, die sich bewusst verschiedener Einstellungen bedienen kann und sich nicht allein von den wiedererkennbaren Elementen leiten oder gar gefangen nehmen lässt. Diese Anforderung ist insofern immer wieder irritierend, als sie ein Sehen beansprucht, für das es keine eigentliche Bezeichnung gibt. Es könnte mit dem Ausdruck ‘analytischstrukturiertes Sehen’ annähernd umschrieben werden, da die hier erprobten Analyseschritte die Sicht stark auf einzelne strukturelle Elemente des Bildes lenken und diese separat akzentuierten Seherfahrungen erst in der Interpretation zu einer Synthese zusammengeführt werden. In Bezug auf solche verschiedenen Formen des Wahrnehmens schreibt Heidegger: «Für mich handelt es sich darum, eine Einübung in eine Phänomenologie des Unscheinbaren wirklich zu vollziehen; durch Lesen von Büchern gelangt niemand zum phänomenologischen ‘Sehen’».31 ‘Phänomenologisches Sehen’ gilt Heidegger als Voraussetzung für die Erfahrung und Begegnung mit dem, was im Bild in Erscheinung tritt.32 Es kann als das philosophische Pendant zum ‘erkennenden’ oder ‘sehenden’ Sehen von dem der Kunstwissenschaftler Imdahl spricht, verstanden werden33 und bezeichnet eine bestimmte Art des auf-ein-Bild-Blickens, ohne die weder ein Wahrnehmen noch ein Verstehen eines Werks angemessen möglich ist. So wirken sich die ontologischen Dualismen des Bildes bis in die Wahrnehmungsmodi der Betrachtenden aus, um dann Eingang in die Bildbeschreibung finden zu müssen – womit die zweite Schwierigkeit, das ‘Schreiben-über’, angesprochen ist, die sich in jedem Kapitel neu einstellte. Nicht nur, dass für die zur Eigenart des Bildes gehörenden verschiedenartigen dualen Strukturen kaum verbindliche Terminologien bestehen, auch die Bildbeschreibung an sich ist von Seiten der Kunstwissenschaft ohne bindende Vorgaben.34 Das lässt sich historisch erklären, ist doch die Geschichte der 30 31 32 33 34 Albert Einstein, zitiert nach: URL:http://www.physik.tu-berlin.de/~dschm/lect/heislek/html/unbestimmt. html [22.1.2012]. M. Heidegger, Seminare, 417. Vgl. E. Körfer, Abwesen entbirgt Anwesen, 302. M. Imdahl spricht in einer Analyse zu einem kubistischen Werk George Braques außerdem von der Ergänzung von Gegenstandssehen und autonomem Sehen, vgl. M. Imdahl, Bildautonomie, 19–38. Festgelegt ist lediglich die der Identifizierung eines Werks geltende Reihenfolge der Legende, die die materiellen Aspekte eines Artefakts bezeichnet: Künstler, Titel, Entstehungsjahr, Maße, Technik, Aufenthaltsort. 250 Kunstbetrachtung und der Kunstbeschreibung gekennzeichnet, so Michael Baxandall, durch eine «immer raschere Verschiebung von einem Diskurs, der für die Beschäftigung mit einem nicht verfügbaren Objekt ausgelegt ist, hin zu einem Diskurs, der annimmt, dass das Objekt zumindest in reproduzierter Gestalt vorhanden ist.»35 Diese Voraussetzungen einer Bildbeschreibung haben sich indessen so zugespitzt, dass für die heutige Situation Dorothee Haffners apodiktische Aussage zutrifft, dass Kunstgeschichte ohne Reproduktionen, ohne Fotografien, nicht denkbar sei.36 Haffner weist darauf hin, dass das Fach durch seine performative Seite und den dafür zur Verfügung stehenden technischen Mitteln – von der Radierung über die Projektion von Diapositiven bis zur Powerpoint-Präsentation – bestimmt wurde und bestimmt wird. Diese Abhängigkeit von der technischen Reproduktion findet in der hier vorliegenden Arbeit ihre ganz spezielle Ausprägung, insofern zwei der drei Objekte der Bildbefragung ausschließlich digital zugänglich waren. Im Verlauf aller Kapitel wurde deutlich, wie eminent wichtig die sinnbildende Funktion der Bildbeschreibung – unabhängig von der Präsentationstechnik – ist und wie notwendig (und schwierig) es ist, für jedes zu interpretierende Werk nach einem ihm angemessenen sprachlichen Ausdruck zu suchen. Die in Kapitel 4 vorgestellten Bildbefragungskriterien, die als Beschreibungsparameter dienten, minderten zwar einige methodische Schwierigkeiten, doch die grundsätzliche Übersetzungsproblematik wurde dadurch noch akzentuiert. In der Problematisierung dieses Sachverhalts in Bezug auf abstrakte Werke läge denn eine Weiterentwicklung dieser Arbeit. Die direkteste jedoch läge jedoch in der Ausarbeitung philosophischer Bildbefragungen. Im dritten Kapitel hat sich gezeigt, dass der Schritt von der philosophischen Theorie in die kunstwissenschaftliche Praxis vollzogen werden kann, indem zentrale Aussagen der Theorie in eine Frage umgewandelt werden, die sich ans Kunstwerk stellen lassen. Diese könnten anhand weiterer, ganz unterschiedlicher zeitgenössischer Werke evaluiert und gegebenenfalls modifiziert werden. Hier wurde grundsätzlich nach der Möglichkeit einer Verbindung von philosophischer Theorie und kunstwissenschaftlicher Praxis gesucht. Es scheint, dass sich diese Fragengenerierung vor allem deshalb als fruchtbar erweist, da sie das Bild den Kategorien Raum (Fläche) und Zeit unterwirft und vor allem mit letzterer dem untersuchenden Blick ganz neue Dimensionen eröffnet. Es könnte sich als aussichtsreich erweisen, die Untersuchung räumlicher und vor allem zeitlicher Gegebenheiten des Bildes philosophisch noch viel stärker zu verankern und dabei die Grenzen des statischen Bildträgers in Richtung skulpturaler Objekte zu überschreiten. Zeitgenössische Skulpturen mit ihrer Integration von Alltagsgegenständen und verbrauchten Materialien tragen, so ist anzunehmen, vielfältige Manifestationen von Zeit in sich. Sie daraufhin zu befragen, könnte weitere philosophische Komponenten zeitgenössischer Kunst offen legen. 35 36 M. Baxandall: Ursachen der Bilder, 34. D. Haffner: Kunstgeschichte ein technisches Fach, 119. D ANK Mein besonderer und herzlichster Dank gilt Herrn Prof. Dr. Wolfgang Rother, der diese Arbeit betreute. Die Mischung von Flexibilität und Konstanz mit der er die Betreuung gestaltete, boten mir den bestmöglichen Rahmen zum Arbeiten. Herr Professor Rother hat mir von Anfang an auf förderlich-kritische Weise Mut gemacht und mit seinen sorgfältigen Fragen immer wieder Anstöße zu Vertiefungen und neuen Sichtweisen gegeben, die ihre Wirkung über diese Arbeit hinaus beibehalten. Frau Prof. Dr. Katia Saporiti danke ich für die Freundlichkeit und Spontaneität, mit der sie sich bereit erklärt hat, die Begutachtung dieser Arbeit zu übernehmen. Frau Prof. Dr. Cornelia Imesch hat meine ersten Skizzen mit viel Enthusiasmus unterstützt und mich auf Georges Didi-Huberman und Max Imdahl hingewiesen. Dafür bin ich ihr sehr dankbar. Sie hat mir damit eine Türe gezeigt, die, wie sich im Laufe der Jahre herausstellte, in ein großes Haus hinein führt. Mein herzlicher Dank gilt auch Fabian Schwitter und Sarah Farag-Ehrler. Beide haben sich kenntnisreich, geduldig und freundschaftlich mit meinen Themen und Texten auseinander gesetzt. Fabian Schwitters philosophische Einwände und Kommentare, geleitet von einem sicheren Blick für Angemessenheit, lenkten immer wieder auf das Wesentliche. Unsere sphèrischen Kolloquien klärten mehr als eine schwierige Stelle. Sarah FaragEhrler hat mit präzisen Fragen und farbigen Anmerkungen immer wieder zur punktuellen Erhellung von Inhalten und Strukturen beigetragen. Kurt Thaler, dessen Bibliothek unerwartete Schätze enthält, dessen KunstgipfelAnlässe mit anregenden und weitreichenden Gesprächen mich und meine Arbeit immer wieder beflügelten und dessen Werke mir die liebsten sind – ihm gehört mehr als meine Dankbarkeit. L ITERATURVERZEICHNIS Alloa, Emmanuel; Lagaay, Alice: Nicht(s) sagen. Strategien der Sprachabwendung im 20. Jahrhundert (Bielefeld 2008). Althöfer, Heinz (Hg.): Informel. Material und Technik (Dortmund 2004). Andersen, Hans Christian: Des Kaisers neue Kleider, in: ders.: Märchen (München 1938) 89–99. 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A BBIL D UNG S V E RZE ICHNIS Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7: Abb. 8: Abb. 9: Abb. 10: Abb. 11: Abb. 12: Abb. 13: Abb. 14: Abb. 15: Abb. 16: Abb. 17: Abb. 18: Abb. 19: Abb. 20: Abb. 21: Abb. 22: Abb. 23: Abb. 24: Abb. 25: Abb. 26: Abb. 27: Abb. 28: Abb. 29: Abb. 30: Abb. 31: Sofonisba Anguissola, Selbstporträt, 1556, 66 x 57 cm, Öl auf Leinwand, Łancut, Muzeum Zamek w Łancucie. Initiale, um 1240, aus: Richard de Fournival, Bestiaire d'amour, hg. von C. Hippeau, Paris, 1890. Verkündigung an Maria, um 1200, Katharinenkloster, Berg Sinai. Thronende Gottesgebärerin und Heilige, Detail, 11. Jahrhundert, Katharinenkloster, Berg Sinai. Auge und Ohr als Türen zum Gedächtnis, Illumination aus den Cyrillusfabeln, Ulrich von Pottenstein, um 1430. Raffael (Raffaello Santi), Schule von Athen, 1509, Fresko, Vatikan, Stanza della Segnatura. Unbekannter Künstler, Gregorsmesse, um 1500 bis 1510, Malerei auf Holz, 85,6 x 72,9 cm, Brüssel, Musées Royaux des Beaux-Arts. V Filosofia, aus: Boethius, cod. lat. 15825, fol. I , Bayrische Staatsbibliothek, München. Filosofia, aus: Cesare Ripa, Iconologia, 1603. Filosofia, aus: Cesare Ripa, Iconologia, 1613. Filosofia, aus: Cesare Ripa, Iconologia, 1618. Jackson Pollock, Autumn Rhythm, Number 30, 1950, Emaille auf Leinwand, 266.7 x 525.8 cm, New York, Metropolitan Museum of Art. Jean-François Millet, Die Ährenleserinnen, 1857, Öl auf Leinwand, 83,5 x 111cm, Musée d’Orsay, Paris. Marcel Duchamp, Akt, eine Treppe herabsteigend, 1912, Öl auf Leinwand, 147 x 89,2 cm, Philadelphia Museum of Art. René Magritte, Ceci n'est pas une pipe, (Les Deux Mystéres), 1966, Radierung auf Velin 18,0 x 13,0 cm (Blatt 28,0 x 27,6 cm), 1/77. Joseph Kosuth, One and Three Frames, 1965, Installation mit Objekt, Fotografie und Druck, variable Maße. Rosemarie Trockel, Cogito ergo sum, 1988, gestrickte Wolle auf Leinen, 210 x 160 cm, (ed. 3/3), Tilburg, De Pont Museum. 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Kandinsky: Beispiele von Punktformen. 109 112 115 117 125 127 129 168 173 174 175 176 181 189 200 212 214 215 215 223 225 226 228 233 235 237 A BBIL D UNG S NA CHW E IS Es war leider nicht in allen Fällen möglich, Rechtsinhaber oder Rechtsinhaberinnen der Abbildungen ausfindig zu machen. 1: © Muzeum Zamek w Łańcucie, Łańcut, Polen, mit freundlicher Genehmigung durch Grzegorz Mlynarksi. 2: Google Books, Digitalisat. 3, 4: Reproduktion mit freundlicher Genehmigung durch The Michigan-Princeton-Alexandria Expedition to Mount Sinai, Ann Arbor University, Michigan. 5: © Bayrische Staatsbibliothek München. 6: Vatikanische Museen, Stanza della segnatura, http://mv.vatican .va/6_DE/pages/x-Schede/SDRs/SDRs_03_02_020.html. 7: Brüssel, Musées Rov yaux des Beaux Arts, Inv. 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Inv.Nr. 000.GRO0132.1. 24: Reproduktion mit freundlicher Genehmigung durch Rijksmuseum Amsterdam (A. van Lingen). 25: © Stiftung Kröller-Müller Museum, Otterlo. 26: © Estate of Roy Lichtenstein. 27: © Musée d'Orsay, Paris. 28: © 2013, ProLitteris, Zürich. 32: Mit freundlicher Genehmigung durch R. Bosshard, Quelle: D.Wild, E. Grossmann, R. Witzig: Helen Dahm, Monographie, Zürich 1984, 102. 34: http://www.museodelprado.es/en/the-collection/onlinegallery/on-line-gallery/obra/the-family-of-felipe-iv-or-las-meninas/. 35: © Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gal. Nr. 1336. 37: http://www.staedelmuseum.de/sm/index.php?StoryID =1044&ObjectID=287. 39: Mit freundlicher Genehmigung Banco de España, Madrid. 40: http://www.mbam.qc.ca/en/col-lections/-/art/details /MIMSY_ID_3539. 41: Reproduktion mit freundlicher Genehmigung der Doris and Donald Fisher Collection, San Francisco. 42: http://www.zeno.org/Kunstwerke/B/Giotto+di+Bondone%3A+Arena+kapelle+in+Padua%3A+Himmel fahrt+ Christi. 43: © Hamburger Kunsthalle/pbk, Foto: Elke Walford. 44: Biblioteca emblematica, Universität Bergamo, http://www.dinamico2.unibg.it/ripa-iconologia. 45: © 2013, ProLitteris, Zürich. 46: Privatarchiv.47,48:http://whitecube.com/exhibitions/mark_bradford_the_pistol_that_whistles_hoxton_square_2010/. 49, 50: © Tate, London (2014); http:/www.tate.org.uk/about/who-we-are /policies-and-procedures/website-terms-use/copyright-and-permissions. 51, 52, 53: © Estate of Joan Mitchell. 55, 56: Privatarchiv, © Foto: Franz Jaggy. 57: Quelle: Kandinsky: Punkt und Linie zur Fläche (Bern-Bümpliz 1973) 29.