BB
Kooperieren – Kollaborieren –
Kuratieren
Positionsbestimmungen ethnografischer Praxis
Friederike Faust, Janine Hauer (Hg.)
M
it wem und wann, wie und wozu arbeiten Wissenschaftler*innen ethnografisch zusammen? Dieser Band schlägt vor, diese Fragen nach forschender
Zusammenarbeit anhand des Spektrums »Kooperieren – Kollaborieren – Kuratieren« forschungspraktisch auszuloten. Die Autor*innen geben Einblicke
in unterschiedliche Forschungsfelder und -erfordernisse der kulturanthropologischen Geschlechterforschung, Medizinanthropologie, Museums- und
Wirtschaftsethnologie sowie der Anthropologie des Politischen und diskutieren, welche Formen von Intervention und Kritik sie ermöglichen.
# 83/2021
ERLINER
LÄTTER
Berliner Blätter im Open Access
Die Berliner Blätter verändern sich und gehen mit der Zeit: Fortan erscheinen sie im digitalen Gewand, mit neuem Layout und
als Open Access.
Die zweite digitale Ausgabe widmet sich unterschiedlichen Modi
der Zusammenarbeit in der ethnografischen Forschung und lotet
deren Möglichkeiten wie Grenzen für eine Anthropologie
der Gegenwart aus.
Wir bedanken uns herzlich sowohl bei den Autor*innen des Bandes als auch bei den zahlreichen Unterstützer*innen, die uns im
Prozess der Digitalisierung und Umstellung auf Open Access mit
Geduld, sowie Rat und Tat zur Seite stehen und standen. Durch
die gemeinsamen Anstrengungen sind die Berliner Blätter nun
für eine breite Öffentlichkeit zugänglich. Ganz im Sinne der hiesigen Ausgabe stärken wir damit die Position ethnografischer
Forschung in gesellschaftlichen Debatten.
Wir wünschen allen eine spannende Lektüre!
Berliner Blätter 83/2021, 1
Berliner Blätter 1/2020
Inhalt
Kooperieren – Kollaborieren – Kuratieren
Positionsbestimmungen ethnografischer Praxis
Kooperieren − Kollaborieren − Kuratieren.
Zu Formen des Zusammenarbeitens in der ethnografischen Forschung
Janine Hauer, Friederike Faust, Beate Binder
3
Geschlechtliche Zusammen_Arbeit − Kollaborativ Forschen
jenseits von Zweigeschlechtlichkeit
Francis Seeck
19
Ethnografisch-anthropologische Forschung in, zu und mit Unternehmen:
Skepsis-Spirale und mögliche Fluchtpfade
Ruzana Liburkina
29
Reibung als Potential. Kollaboratives Forschen mit HIV/Aids-Aktivist*innen
Friederike Faust, Todd Sekuler, Beate Binder
The Anthropologist as Sparring Partner: Instigative Public Fieldwork,
Curatorial Collaboration, and German Colonial Heritage
Jonas Tinius
Formate des Ko-laborierens: Geteilte epistemische Arbeit als katalytische Praxis
Patrick Bieler, Milena D. Bister, Christine Schmid
49
65
87
Reflexion als gefügte Praxis
Jörg Niewöhner
107
Die Autor*innen
117
DOI: 10.18452/22409 | Creative Commons CC 4.0: BY-NC-SA
Kooperieren − Kollaborieren − Kuratieren.
Zu Formen des Zusammenarbeitens
in der ethnografischen Forschung
Janine Hauer, Friederike Faust, Beate Binder
ABSTRACT: Mit den Begriffen »Kooperieren«, »Kollaborieren« und »Kuratieren« nähern wir uns den verschiedenen Modi der Zusammenarbeit in der ethnografischen
Forschung, wie sie in diversen Feldern, in der Interaktion zwischen verschiedenen Akteur*innen und mit unterschiedlichen Zielsetzungen praktiziert werden. In der Einleitung zu dem Themenheft verfolgen wir weniger den Anspruch einer klaren Definition
und Konturierung dieser Begriffe. Vielmehr bündeln wir fortlaufende methodologische,
ethische und epistemologische Diskussionen überblicksartig, um die unterschiedlichen
Möglichkeiten aufzufächern, mit denen ethnografische Forschung in gegenwärtige gesellschaftliche Debatten und Prozesse hineinwirken kann. Die Diskussion der unterschiedlichen Formen des ethnografischen Zusammenarbeitens steht sechs Aufsätzen
voran, die ausschnitthaft Einblicke in Formen der Zusammenarbeit gewähren, wie sie
am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin durchgeführt
werden. Der einleitende Überbick sowie der gesamte Band sind als Einladung zu verstehen, die Möglichkeiten und Grenzen produktiver Formen der Zusammenarbeit zu diskutieren und dabei die gegenwärtigen Herausforderungen ethnografischer Arbeit und
gesellschaftlichen Zusammenlebens anzunehmen und zur eigenen Aufgabe zu machen.
SCHLAGWORTE: Kooperation, Kollaboration, Kuratieren, Ethnografie, Reflexivität,
engagierte Forschung, epistemische Partnerschaft
ZITIERVORSCHLAG: Hauer, J., Faust, F., Binder, B. (2021): Kooperieren – Kollaborieren – Kuratieren. Zu Formen des Zusammenarbeitens in der ethnografischen Forschung.
In: Berliner Blätter 83, 3−17.
D
ass Forscher*in und Feld zusammenarbeiten (müssen), ist in den Ethnologien und
der empirisch arbeitenden Kulturwissenschaft unumstritten. Mit wem und wann diese Zusammenarbeit wie erfolgt und wozu sie jeweils (nicht) beiträgt und/oder führt, wird
gegenwärtig jedoch genauso kontrovers diskutiert wie unterschiedlich praktiziert. Die in
diesem Band versammelten Beiträge gewähren Einblicke, wie sich Zusammenarbeit in
ganz unterschiedlichen Feldern konkret gestaltet. Zugleich reflektieren die Autor*innen
die Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen ihrer Zusammenarbeit. Dabei konzentrieren wir uns weniger auf transdisziplinäre Kooperationen und die Frage, »wie Formen der
Zusammenarbeit ausgehandelt, organisiert und repräsentiert« (Groth/Ritter 2019a, 15)
werden können. Vielmehr stehen für uns die Interaktionen im Zentrum, die den ethno-
DOI: 10.18452/22401 | Creative Commons CC 4.0: BY-NC-SA
Berliner Blätter 83/2021, 3–17
Berliner Blätter 1/2020
Janine Hauer, Friederike Faust, Beate Binder
grafischen Forschungsprozess ausmachen. Der Titel des Bandes deutet dabei die Vielfalt
von Verständnissen wie praktischen Abläufen von Zusammenarbeit in der ethnografischen
Forschung an. Mit den Begriffen »Kooperieren«, »Kollaborieren« und »Kuratieren« benennen wir Modi der Zusammenarbeit in der europäisch-ethnologischen Forschung, realisiert in diversen Feldern, in der Interaktion höchst verschiedener Akteur*innen und mit
unterschiedlichen Zielsetzungen. Im Kontext ethnografischer Forschungspraxis verweisen
die Verben auf methodologische Debatten um Formen des ›Forschens mit‹ sowie auf ein
verstärktes Interesse an Positionen und Positionierungen mit ihren Auswirkungen auf Forschungsprozesse. Sie deuten − erstens − auf ein breites Spektrum an Möglichkeiten des
Zusammenarbeitens in unterschiedlichen Phasen des Forschens wie Schreibens hin, aus
denen − zweitens − jeweils andere Probleme und Konflikte sowie Chancen und Erfolge
resultieren und die damit − drittens − die Rolle ethnografischer Wissensproduktion in gesellschaftlichen Prozessen auf unterschiedliche Weise verstehen und füllen.
Wann und wie, mit wem und wofür arbeiten ethnografisch Forschende heute zusammen? Die Fragen sind weder neu noch in dieser Allgemeinheit zu beantworten. Vielmehr
stellen sie sich in jedem Forschungsprojekt neu und anders und müssen jeweils vor dem
Hintergrund sich wandelnder Forschungsbedingungen und wissenschaftlicher Paradigmen beantwortet werden. Ethnografische Forschung als längerfristige bzw. wiederkehrende Immersion in Felder, wie sie in der Europäischen Ethnologie, der Empirischen
Kulturwissenschaft und Kultur- und Sozialanthropologie sowie zunehmend auch in der
Soziologie, Erziehungswissenschaft und Humangeografie praktiziert wird, bedarf zunächst
der Bereitschaft von Forscher*innen und Informant*innen miteinander in Beziehung zu
treten, um unterschiedliche Formen der teilnehmenden Beobachtung (Cohn 2014), nichtteilnehmenden Beobachtung (Fassin 2013, 30) oder auch beobachtenden Teilnahme (Wacquant 2003, 12) zu ermöglichen. Angesichts der zunehmend komplexeren Kompositionen
unterschiedlicher Akteur*innen und Problemlagen, die die Konstruktion von Feldern in
aktuellen Forschungsprojekten prägen, reicht die Unterstützung der Feldforscher*in durch
eine*n Gatekeeper*in allein nicht mehr aus (Breidenstein u.a. 2013). Es ist zudem längst
klar, dass der Feldzugang nicht einfach einmalig erlangt wird, sondern über den gesamten
Forschungsprozess immer wieder ausgehandelt werden muss, zumal sich Forschungsfelder
in der Regel entlang von Beziehungsgeflechten und über verschiedene Räume erstrecken.
Eben weil Zusammenarbeit immer wieder etabliert, ausgehandelt und umgesetzt werden
muss, multiplizieren sich auch die Anforderungen an ihre Ausgestaltung.
Mit dem Anliegen, auch Zentren der Macht sowie politische und globale Prozesse ethnografisch zu erfassen, findet Forschung zudem zunehmend in stärker organisierten und
institutionalisierten Feldern statt (Cefkin 2009; Adam/Vonderau 2014), die einerseits eigene Ansprüche an die Arbeit der Forschenden formulieren (Mosse 2006) und andererseits
die methodologischen wie theoretischen Annahmen der Forscher*innen vor dem Hintergrund eigener Expertise im Feld der Sozialforschung infrage zu stellen vermögen (Warneken/Wittel 1997). Zudem sieht sich ethnografische Forschung mit einer gesellschaftlichen,
nicht selten mittels Förderprogrammen und -auflagen kommunizierten Erwartung konfrontiert, Forschungsergebnisse zu produzieren, die unmittelbaren Nutzen entfalten und
zur Lösung gegenwärtig drängender Probleme beitragen (siehe auch Faust u.a. in diesem
Band). Und schließlich findet ethnografische Forschung vermehrt im Rahmen interdisziplinärer Forschungsprojekte statt, in denen Probleme und Phänomene aus unterschiedlichen
Perspektiven beleuchtet und Lösungsansätze erarbeitet werden sollen (Heibges u.a. 2018;
Groth/Ritter 2019b).
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Kooperieren – Kollaborieren – Kuratieren
Fragen nach den Bedingungen und der Gestaltung von Zusammenarbeit betreffen ganz
unterschiedliche Akteurskonstellationen und Stationen eines Forschungsprozesses: von
der Formulierung des Forschungsinteresses und der Konstruktion des Feldes über den
gesamten Forschungsverlauf bis hin zur Präsentation der Ergebnisse in unterschiedlichen
Arenen. Alte Fragen also, die aber in immer neuen Zusammenhängen nach Antworten verlangen, eine Vielzahl von Lösungen erlauben, aber eben in jeder Forschung gestellt und
entschieden werden müssen. Daher kann es auch im vorliegenden Band nicht um eine abschließende Klärung gehen, sondern allein darum, Möglichkeitsräume mit ihren jeweiligen Implikationen zu vermessen. Die Reflexion konkreter Beispiele und Erfahrungen soll
letztlich zu weiterem Experimentieren anregen.
Die Idee für diesen Band entstand im Rahmen einer Lese- und Diskussionsgruppe am Berliner Institut für Europäische Ethnologie. Ausgehend von einer Auseinandersetzung mit
Konzept und Praxis von Kritik im Kontext ethnografischen Arbeitens begannen wir, unterschiedlichen Formen und Modi der Zusammenarbeit nachzuspüren. Verschiedene Arbeiten, die in den letzten Jahren − auch unter Beteiligung von Kolleg*innen des Instituts für
Europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität − erschienen sind, geben Einblicke
in Diskussionen um Formen des Zusammenarbeitens (Binder u.a. 2013; Niewöhner 2016;
Estalella/Criado 2018; Groth/Ritter 2019b; Bieler u.a. 2020; Tinius/Macdonald 2020). Dieser Band gibt nun einzelnen Forscher*innen und Kollektiven des Instituts für Europäische
Ethnologie einen Raum, ihre Erfahrungen und Sichtweisen auf das Ko(l)laborieren auszubuchstabieren. So erden wir die Debatte in konkreten Forschungskontexten und stellen
zugleich eine Auswahl aktueller Felder und Probleme vor. Wir danken an dieser Stelle allen
Autor*innen und Kolleg*innen, die auf unsere Bitte hin die Beziehungen innerhalb ihrer
Forschungsfelder charakterisiert und reflektiert haben. Bevor wir die einzelnen Beiträge
vorstellen, verorten wir die drei titelgebenden Modi des Zusammenarbeitens in der kulturanthropologischen Debatte und eruieren ihre methodologischen Implikationen, ihr epistemologisches und politisches Potential sowie ihre Grenzen.
Kooperieren
Kooperieren steht im methodologischen Zentrum der Kulturanthropologie und verweist
auf die situative Alltagspraxis der Ethnografie, die deutlich umfassender und kontingenter
ist, als eine »Raum, Zeit und Gegenstand betreffende explizite Abmachung« (Cuny u.a.
2019, 52). Die daran anknüpfenden method(olog)ischen Diskussionen fokussieren eine
Reihe von miteinander verwobenen Themen, von denen wir einige im Folgenden exemplarisch aufgreifen und ausführen wollen. Zusammengefasst werden die Ko-Präsenz von Forscher*innen und Beforschten, die Asymmetrien in der Interaktion zwischen ihnen sowie die
sich daraus ergebenden Möglichkeiten und Grenzen der Repräsentation über alle Phasen
der Forschung problematisiert.
Bereits der Begriff der teilnehmenden Beobachtung, der gelegentlich mit einem »methodischen wie wissenschaftskulturellen Königsweg« (Kaschuba 2006, 197) ethnografischer Feldforschung gleichgesetzt wird, verweist auf den körperlichen und interaktiven
Charakter, das Miteinander des Forschens (vgl. Sieferle 2019). Dieses Paradigma prägt die
Disziplin(en), seit sich Ethnolog*innen aus ihren sprichwörtlichen Lehnstühlen ins Feld begaben. So heißt es bereits bei Bronislaw Malinowski: »Es gehört zum Wesen seiner Forschungsarbeit, daß ein Ethnograph [sic!] weitaus stärker auf die Hilfe anderer angewiesen
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Janine Hauer, Friederike Faust, Beate Binder
ist, als dies bei anderen Wissenschaftlern der Fall sein mag.« (2001 [1979], 19) An diese, auf
den ersten Blick simple, Einsicht knüpft sich eine Reihe konkreter forschungspraktischer
Herausforderungen, deren Bewältigung die methodologischen Auseinandersetzungen des
Faches bis heute prägt.
Für gelingende Feldforschung ist die allseitige Bereitschaft zur Interaktion ausschlaggebend. Sie hängt weit mehr als andere methodische Herangehensweisen von der Aufgeschlossenheit der Akteur*innen im Feld ab. Zugleich müssen auch die Forschenden bereit
sein, sich auf den interaktiven Prozess einzulassen. Aus der Notwendigkeit des gegenseitigen Einverständnisses und Engagements ergeben sich zunächst zwei, hier grob zusammengefasste Themenkomplexe. Der erste betrifft die Frage, welchen Feldern sich die Disziplin
überhaupt widmet, beziehungsweise meint, sich widmen zu dürfen oder zu sollen. Nicht
zuletzt fachinterne Auseinandersetzungen mit der eigenen Rolle in den ideologisch-politischen Projekten des 19. und 20. Jahrhunderts, allen voran der Beteiligung an den Verbrechen des Kolonialismus und des Nationalsozialismus, haben zu einer links-intellektuellen politischen Positionierung der Fächer auf Seiten der Machtlosen und Marginalisierten
(Bachmann 2000; Lewis/Schuller 2017, 3) und einem analytischen »focus on the low rather
than on the high, on the ordinary rather than on the event« beigetragen (Rabinow u.a. 2008,
73). Für die Empirische Kulturwissenschaft/Europäische Ethnologie identifiziert Bernd
Jürgen Warneken (2006) das »Leitmotiv Widerständigkeit«, das zur Konzentration auf Protest, Gegenwehr und subkulturelle Phänomene geführt habe. In der feministischen Kulturanthropologie bildeten Identifikation und Solidarität mit dem Kollektivsubjekt »Frau« den
zentralen Ausgangspunkt für Forschungsentscheidungen (Mies 1984). Die thematischen
Dispositionen und Schwerpunkte sowie politische Positioniertheit des Fachs und seiner
Protagonist*innen, die die Kooperationsbereitschaft mit spezifischen Feldern begünstigen,
bilden die Grundlage für jene politisch-kollaborativen Vorhaben, wie wir sie weiter unten
ausführen. Die daraus resultierenden Spannungen werden allerdings erst dann sichtbar,
wenn sich Ethnolog*innen teilnehmend beobachtend in politisch unliebsame Felder begeben (Knecht 2006).
Der zweite Fragenkomplex umkreist daran anschließend die Position des Faches innerhalb gesellschaftlicher Konstellationen und die Möglichkeiten und Herausforderungen,
die sich daraus für den Zugang zu bestimmten Feldern ergeben. Bereits vor mehr als 50
Jahren forderte Laura Nader die Anthropologie auf, sich auch Eliten und Expert*innen zu
widmen (Nader 1969). Dieser Aufruf hat keineswegs zu einer Abkehr vom Leitmotiv Widerständigkeit geführt (Gusterson 1997; Wittel 1997), mündete jedoch verstärkt in der oben
skizzierten Auseinandersetzung der gesellschaftlichen Positionierung der eigenen Disziplin. Als Fokus ethnografischer Arbeiten lassen sich dabei einerseits die »harschen und
brutalen Dimensionen menschlicher Erfahrung sowie die strukturellen und historischen
Bedingungen, die diese hervorbringen,« ausmachen (Ortner 2016, 49, Übersetzung JH)
und andererseits − sozusagen als Gegenpol − das Gute sowie Entwürfe alternativer Lebensweisen (ebd., 58ff.). Die beiden genannten Aspekte sind eng miteinander verzahnt, sie
betreffen in erster Linie die Auswahl von und den Zugang zu Forschungsfeldern sowie die
implizite oder explizite Formulierung des Forschungsziels.
Ist nach der Feldauswahl auch die Hürde des Zugangs erstmal genommen, stellen sich
Fragen nach Abhängigkeiten und Verantwortlichkeiten, die sich aus Selbst- und Fremdwahrnehmung wie auch den sich daran anschließenden wechselseitigen Positionierungen
und Erwartungen ergeben. Mit der »Krise der ethnografischen Repräsentation« (Berg/
Fuchs 1993) rückten die Akte des Auf- und Festschreibens von Kultur(en) durch Forscher*innen und die daran beteiligten Beziehungen und Interaktionen in den Mittelpunkt
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Kooperieren – Kollaborieren – Kuratieren
epistemologischer Betrachtungen: Obwohl Gewährspersonen und Assistent*innen in den
frühen ethnografischen Forschungen eine zentrale Rolle spielten und meistens wichtige
Übersetzungsarbeit leisteten, wurde dies zunächst kaum thematisiert. Unter dem Schlagwort Writing Culture wurde vor allem im anglo-amerikanischen Raum über die zumeist monografische Textualisierung interaktiver ethnografischer Forschung debattiert (Clifford/
Marcus 1986). Feministische Kritik diskutierte das Problem asymmetrischer Forschungsbeziehungen stärker aus methodologischer Perspektive. Damit wurde Forschung selbst als
Herrschaftspraxis thematisiert (Behar/Gordon 1995) und es wurden Fragen der Positionalität und Forschungsethik ins Zentrum gerückt (Rippl 1993). Hieran schlossen − bis heute eindrückliche − Versuche an, sich gegenüber polyphonen Formen der Textualisierung
oder auch kooperierender Repräsentation zu öffnen, die mit der Kritik der autoritativen
Rolle der Forschenden Ethnografie als Ergebnis kooperierender Interaktion auch im ethnografischen Endprodukt sichtbar hielten. Das Experimentieren mit Formen der Repräsentation hält bis in die Gegenwart an und erlangt gerade im Kontext kollaborativen Forschens
mit sozialen Bewegungen (Faust/Kösters 2016) wie auch an der Grenze zu künstlerischem
Arbeiten (Estalella/Criado 2018) und Archivprojekten (Dziuban u.a. 2021) zentrale Bedeutung. Veränderte und literarisch inspirierte Darstellungsweisen wie beispielsweise dialogisch oder kollektiv verfasste Texte oder auch fiktionales Schreiben zielten darauf, den
gemeinsamen Forschungsprozess, dessen Situiertheit sowie die grundsätzliche Deutungsoffenheit ethnografischer Interpretation adäquater abzubilden, die Zugänglichkeit der Forschungsresultate auch für außerakademische Kreise zu erhöhen sowie schlicht das Lesevergnügen zu steigern (Behar 2007; Narayan 2012; Binder 2015; Pandian/MacLean 2017).
Nachdem die epistemologischen, methodologischen und forschungsethischen Problematisierungen sowie mögliche Lösungsstrategien zunächst auf den Akt des Aufschreibens beschränkt blieben, wurden alsbald vermehrt mahnende Stimmen laut, die darauf
hinwiesen, dass nicht nur der Akt des Forschens an sich, wie er in der feministischen Kulturanthropologie als asymmetrisch problematisiert wurde, oder das Aufschreiben von Beobachtungen, Gesprächen sowie deren Analyse und Interpretation als autoritäre Akte der
forschenden Autor*innen verstanden werden müssen, sondern dass bereits das Festlegen
von Forschungsfragen und -zielen maßgeblich das Verhältnis von Wissenschaftler*innen
und Forschungssubjekten prägt. Zunehmend widmeten sich daher fachliche Auseinandersetzungen der transformatorischen Rolle wissenschaftlicher Forschung. Aufgegriffen wurde − allerdings unter anderen Vorzeichen − der Vorschlag, dass Forschung einen Nutzen
für das jeweilige Feld haben sollte: Nicht mehr eine abstrakte »gesellschaftliche Relevanz«,
wie sie in den 1970er und 1980er Jahren unter marxistisch geprägten Vorzeichen als Anforderung an Forschung formuliert wurde, sondern ein gemeinsames Erkenntnisinteresse
rückte nun ins Zentrum der Vorschläge.
Kollaborieren
Unter dem Begriff des kollaborativen Forschens fassen wir engagierte, auch aktivistische
und häufig forschungsethisch motivierte Modi der gemeinsamen Wissensproduktion, die
auf unterschiedliche Weisen die ungleich verteilte Definitions- und Repräsentationsmacht
zwischen Forscher*in und Feld auszugleichen suchen und/oder die politischen Potentiale der Kulturanthropologie ausloten (vgl. Low/Merry 2010; Binder/Hess 2013). Dies kann
von einer transparenten Gestaltung des Forschungsprozesses über gemeinsames Schreiben bis hin zur alltagsweltlichen oder auch aktivistisch-politischen Unterstützung der For-
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Janine Hauer, Friederike Faust, Beate Binder
schungspartner*innen reichen. So erscheint das Miteinbeziehen strukturell marginalisierter
Gruppen mit deutlich weniger Ressourcen und Repräsentationsmöglichkeiten als ethische
Antwort auf die Kritik an einer hierarchischen und ausbeuterischen Forschungsbeziehung.
Optimalerweise finden Dialog und Partizipation auf allen Stufen der Wissensproduktion
statt (Lassiter 2004) und können so auch emanzipative Effekte entfalten (Enslin 1994). Im
Kern zielt kollaborative Forschung darauf ab, auf verschiedenen Wegen zumindest eine partielle oder temporäre Konvergenz zwischen den Interessen von Forschenden und Beforschten zu erzeugen (Strathern 1987; Hamm 2013). Kollaborative Ethnografie als Methode einer
engagierten Anthropologie speist sich nicht zuletzt aus dem Antrieb, die Lücke zwischen
akademischer und angewandter Forschung zu schließen und damit einen direkten und unmittelbaren Nutzen für Menschen und ihre Umwelten zu generieren (Lassiter 2005).
Aus ganz unterschiedlichen Feldern heraus haben sich verschiedene Formen engagierten Forschens etabliert, die durchaus gegensätzliche Auffassungen über den Grad der
Annäherung der Ziele von Forschenden und Forschungssubjekten sowie die politischen
und wissenschaftlichen Zwecke des Unternehmens vertreten. Advocacy, Militant oder Action Anthropology sind hier beispielsweise als Programmatiken zu nennen, die aus einem
ethnografisch-anthropologischen Fokus auf indigene und sozial marginalisierte Gruppen
und der Einsicht entwickelt wurden, sich in soziale Probleme einmischen zu müssen (Tax
1975; Scheper-Hughes 1995; Susser 2011; Kirsch 2018). Carolyn Fluehr-Lobban (2008) plädiert weiterreichend dafür, dass das Miteinbeziehen von Forschungssubjekten auf allen
Stufen der Wissensproduktion erfolgen solle, die Forschung in den Dienst der politischen
Kämpfe des Feldes zu stellen sei und dem gemeinsamen Ziel zu dienen habe, die Lebensverhältnisse zu verbessern. Wenn allerdings im Vorhinein eine Kongruenz zwischen wissenschaftlichen und politischen Zielen angenommen oder gar festgelegt wird, wirft dies
unweigerlich die Frage nach einer (Selbst-)Limitierung ethnografischer Forschung auf: Das
Postulat eines explorativen, auf Unerwartetes ausgerichteten Vorgehens gerät zumindest
in Reibung mit der unhinterfragten Übernahme von politischen Zielen des Feldes und engt
den Forschungsfokus a priori ein (Fassin 2008).
Zeitlich versetzt und Bezug nehmend auf diese aktivistischen Ansätze diskutieren Anthropolog*innen auch Möglichkeiten, Zwecke und Grenzen engagierten Forschens in und
mit politisch organisierten Gruppen, die häufig die Schnittstellen von sozialer Marginalisierung und (politischem) Expertentum besetzen. Marion Hamm (2013) weist darauf hin,
dass ein kollaborativer Forschungsmodus nur eingeschränkt auf die Forschungen mit sozialen Bewegungen zu übertragen sei. Nicht selten scheitert das Unterfangen an der Tatsache, dass die Aktivist*innen gar nicht der Unterstützung eine*r Anthropolog*in bedürfen und die Zusammenarbeit für sie nur wenig attraktiv erscheint. Die Möglichkeiten der
politischen Zusammenarbeit mit Bewegungen, NGOs, Aktivist*innen oder gegenkulturellen Projekten gelte es neu auszuloten (Hamm 2013), wie dies beispielhaft im Rahmen von
Charles Hales Activist Anthropology (2006), Lynn Stephens (2013) kollaborativer Forschung
und Cynthia Levine-Raskys community-based participatory research (2015) geschieht (siehe auch Appadurai 2013; Juris/Khasnabish 2013). Während die Formen, Ziele und Intensitäten des politischen Einmischens, Mitmachens und Unterstützens jeweils variieren, heben
Beate Binder und Sabine Hess den Nutzen hervor, den akademisches Wissen für das Bewegungswissen gerade aufgrund seiner anderen Beschaffenheit haben kann: Akademisches Wissen vermag es, Grautöne, Widersprüche und Komplexitäten herauszuarbeiten
und nebeneinander bestehen zu lassen; im Gegensatz zum Bewegungswissen muss es nicht
sofort zu Diagnosen, Lösungen und Forderungen verdünnt und zum Zwecke der Skandalisierung und Mobilisierung zugespitzt werden (2013, 9f.; vgl. auch Strathern 1987). Kritik in
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Kooperieren – Kollaborieren – Kuratieren
Gesellschaft hinein zu tragen ist damit nur eine Zielsetzung. Denn ethnografisches Arbeiten mit/in politisierten Feldern kann auch für Aktivist*innen jene kaum sichtbaren, da zu
Selbstverständlichkeiten geronnenen und in Alltagsroutinen des Denkens und Handelns
eingeschriebenen Bedingungen und vorstrukturierten Möglichkeiten ihres Tuns sichtbar
machen; und es eruiert die schwerer greifbaren und mittelbaren Effekte dieses Handelns.
Das Zusammenarbeiten mit politischen Akteur*innen kann Räume im oft hektischen und
von Routinen geprägten Alltag schaffen, die im besten Falle zur Imagination von und (gemeinsamen) Arbeit an Alternativen, anderen Möglichkeiten und neuen Zukünften führen
(Calhoun 2008, xxv; Hamm 2013; Werth/Ballestero 2017). Die Übergangslinien zu und
Ähnlichkeiten mit jenen Formen des Zusammenarbeitens, wie wir sie unten unter dem Begriff des Kuratierens bzw. Ko-Laborierens beleuchten, deuten sich hier bereits an. An dieser
Stelle bleibt festzuhalten, dass auch die Balance zwischen − forschungsethisch fundierten
− Wünschen nach dichten Austausch- und Kollaborationsbeziehungen und − aus institutionellen wie disziplinären Logiken resultierender − akademischen Forschungsinteressen
immer wieder neu austariert werden muss, gerade dort, wo sie von einer verschwimmenden
Grenze zwischen Akademie und Aktivismus ausgeht (vgl. Kollaborationen 2013).
Partizipation kann sich jedoch auch dann als hilfreiche forschungsethische Antwort erweisen, wenn es weniger um die Dezentrierung der ethnografischen Autorität als vielmehr
um die Kontrolle über das mögliche Eigenleben der ethnografischen Repräsentation geht.
Nicht selten teilen Anthropolog*innen und die von ihnen untersuchten politischen Akteur*innen eine gemeinsame Öffentlichkeit, so dass ethnografische Texte selbst zu »active
agents in the worlds they describe« (Mosse 2006, 952) werden können (vgl. auch Rottenburg 2002). Die Forschungspartner*innen haben in diesem Fall ein nachvollziehbares Interesse daran, bei den sie repräsentierenden Texten mitzureden (vgl. Thayer 2010, 172; Faust
2019, 37f.). So beschreibt David Mosse, wie seine Forschungspartner*innen, Mitarbeitende der britisch-indischen Entwicklungszusammenarbeit, den Schaden fürchteten, den die
Veröffentlichung seiner Ethnografie anrichten könnte. Er schlussfolgert:
»When desk collapses into field, something important has changed in the structure
of ethnographic practice. We are starkly confronted with the essentially relational
nature of anthropological knowledge, no longer an object in our possession.« (Mosse
2006, 937)
Die Entwicklung kollaborativer Modi aus spezifischen, meist aktivistischen Feldern und
forschungsethischen sowie politischen Anliegen heraus verweist auf die Situiertheit dieses Ansatzes und die oft impliziten politischen Positionierungen von Forschenden. David
Graeber macht diese mit einer skeptischen Frage nach der Übertragbarkeit kollaborativer Vorgehensweisen auf andere (politische) Felder explizit: »Does this apply to all social
movements, and if not, what are our criteria for selection?« (2016, 7). Kollaborationen erscheinen nämlich genau in jenen Feldern wenig attraktiv, die im Lichte der eigenen Politik
und Moral als repressiv, autoritär oder anti-emanzipativ gelten. Oder wer würde gerne die
Mitglieder einer rechtspopulistischen Bürgerbewegung an der Entstehung der ethnografischen Repräsentation mitwirken lassen, geschweige denn ihre Ziele mit der eigenen Forschung unterstützen?
Die kritische Befragung der Situiertheit und Positioniertheit dieser Ansätze lässt das
grundsätzliche Machtgefälle zwischen Forschenden und Beforschten noch deutlicher zutage treten, das jeglicher Partizipation und Dialogizität bereits vorgängig ist: »So at the very
least, all academic radicals feel they have a right to decide what is a social movement that
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Janine Hauer, Friederike Faust, Beate Binder
should have the right to decide on its own designation, and what is not.« (Graeber 2016, 7)
Die politische Positioniertheit des Faches kommt also nicht nur in jenem Moment zum Tragen, in dem Forschende bestimmte Forschungsfelder auswählen, sondern auch dann, wenn
sie entscheiden, mit wem sie nicht zusammenarbeiten wollen. Die Einsicht, dass die politisch-ethischen Haltungen durchaus kontingent und, historisch betrachtet, alles andere als
stabil oder gar gegen Missbrauch gewappnet sind, stellt uns auch vor die Frage, wie wir
(zukünftig) das Fach vor unliebsamen Kollaborateur*innen bewahren.
Kuratieren
Der Begriff des Kuratierens entstammt dem Bereich von Ausstellung und Museum. In Museen verantworten Kurator*innen die Entscheidung, was gesammelt wird, das Gesammelte
an sich sowie die Zusammenstellung einer Ausstellung aus der Gesamtheit von Objekten
und Perspektiven. In ähnlicher Weise sammeln auch Ethnograf*innen zunächst Daten und
Material, stellen in verschiedenen Analyseschritte Verbindungen und Zusammenhänge
her und präsentieren diese anschließend ihrer Leser*innenschaft. Zudem arbeiten Anthropolog*innen häufig selbst als Kurator*innen. An diese Parallelen und Überschneidungen
schließen die folgenden Überlegungen zum Begriff des Kuratierens und den daraus resultierenden Vorschlägen für ethnografisches Arbeiten und anthropologische Konzeptarbeit an.
Für das museale bzw. künstlerische Feld sei zunächst festgestellt, dass sich diese in den
letzten Dekaden einer massiven Transformation gegenüber sehen, die auch die kuratorische Praxis selbst nachhaltig verändert (hat):
»[A]n ›independent curator‹ [is] no longer based in museums, but instead an initiator
of project-based representations and thematic group shows, both gatekeeper of artistic visibility and translator of different epistemological realms no longer confined
to one discipline.« (Tinius/Macdonald 2020, 36)
Jonas Tinius und Sharon Macdonald weisen zugleich darauf hin, dass die Rolle der Kuratorin als »networking broker« lediglich einen kleinen Teil kuratorischer Praxis der Gegenwart ausmacht, nämlich jenen Tätigkeitsbereich, der aus einem projektbasierten, oftmals
partizipatorisch ausgerichteten, experimentellen Kunst- und Kulturbereich entsteht, in
dem Kurator*innen nicht länger als dominante Sachverständige agieren. Einer ähnlichen
Entwicklung sähen sich gegenwärtig auch ethnografische Forschungen gegenüber, die
sich in technokratischen, politischen sowie ökonomischen Expert*innenmilieus bewegen
und dort zunehmend auf Akteur*innen treffen, deren Wissenspraktiken ihren eigenen stark
ähneln. Ulf Hannerz (1998) fasst diesen Umstand als »studying sideways« und bezieht sich
damit weniger auf die An- bzw. Abwesenheit potentieller Machtgefälle (wie es Laura Nader
mit dem Begriff des »studying up« tut), sondern betont insbesondere die Ähnlichkeit des
Vorgehens:
»looking at others who are, like anthropologists, in a transnational contact zone, and
engaged there in managing meaning across distances, although perhaps with different interests, under other constraints« (ebd., 109).
Daran anschließend können auch Paul Rabinows Überlegungen zu einer Anthropologie der
Gegenwart (2008) gelesen werden, die ebenfalls nach der Rolle gegenwärtiger ethnografi-
10
Kooperieren – Kollaborieren – Kuratieren
scher Forschung fragt, die zunehmend in Feldern agiert, deren Wissenspraktiken denen
von Anthropolog*innen gleichen. Überspitzt formuliert, stellt sich also die Frage danach,
was Anthropolog*innen in derlei Feldern hinzuzufügen haben. Ähnlich formulieren es auch
Tinius und Macdonald mit Blick auf das Verhältnis von Anthropolog*innen und Kurator*innen, warnen aber zugleich davor, beide in der gleichen Weise als Mediator*innen zu verstehen und ihre Position ineinander aufgehen zu lassen. Stattdessen lenken sie den Blick
auf die Bedingungen der Wissensproduktion beider Professionen und fragen nach den sich
daraus ergebenden Spannungen:
»Thinking recursively about the protocols, formats and infrastructures of how anthropology relates zu curatorial practice in our ethnographic sites, we may illuminate
some usually overlooked and perhaps generative tensions between both, anthropology and curatorial practice.« (Tinius/Macdonald 2020, 37)
Über seine musealen Ursprung hinaus beschreibt der Begriff des Kuratierens also einen
analytisch-reflexiven Modus der temporären Zusammenarbeit. Die Akteur*innen im Feld
werden dabei als epistemische Partner*innen betrachtet, mit denen rekursiv anthropologisches Wissen generiert werden kann (vgl. Holmes/Marcus 2005; Bister/Niewöhner 2014;
Islam 2015). Rekursiv betont in diesem Zusammenhang, dass in diesem Modus der Zusammenarbeit weder Interessen noch Ziele notwendigerweise verschmelzen.
Ein ähnliches Verständnis des Kuratorischen entwickeln Rabinow u.a.: Hervorgegangen
aus dem Anthropology of the Contemporary Research Collaboratory (ARC), einer Plattform
für experimentelle Zusammenarbeit zwischen Anthropolog*innen und Wissenschafter*innen anderer Disziplinen, bezeichnet kuratieren hier den Arbeitsprozess, durch den ein Objekt zu einem Artefakt geformt wird (ebd.). Gemünzt auf die anthropologische Wissensproduktion bedeutet dieser transformatorische Prozess, dass jene Begriffe und Konzepte,
denen die ethnografische Aufmerksamkeit folgt, partiell aus dem Feldkontext herausgelöst werden. Christine Schmid (2020) zeigt dies exemplarisch anhand des Erfahrungsbegriffs, der gleichermaßen in der Anthropologie und im Feld der Genesungsbegleitung
einen Schlüsselbegriff darstellt. Im permanenten Dialog mit Genesungsbegleiter*innen
und medizinischen Fachkräften spürt sie dabei den Gemeinsamkeiten und Unterschieden
im Begriffsverständnis sowie den sich daraus ergebenden Praktiken nach. Am Ende der
Analyse steht dabei keineswegs eine Synthese oder Neudefinition des Begriffs, wenngleich
ein erweitertes konzeptuelles Verständnis sowohl bei der Ethnografin als auch den Feldakteur*innen entsteht, das fortdauernden Spannungen Rechnung trägt.
Dem lateinischen Ursprung des Begriffs folgend, schließt der Begriff des Kuratierens
(cura − Pflege, curare − pflegen, sorgen) auch eine ethische Dimension ethnografischer
Forschung ein und erweitert sie in den analytischen Prozess hinein und in die auf ihm basierende Konzeptarbeit: Die gemeinsame Konzeptarbeit soll sicherstellen, dass sich die anthropologische Wissensproduktion an den Relevanzen und Belangen des Feldes orientiert,
anstatt Konzepte des Feldes anhand von mehr oder weniger explizit normativen Metanarrativen zu dekonstruieren (Niewöhner 2016). Im Kern geht es dabei auch − und hier bestehen durchaus Anknüpfungspunkte an kritisch-politische Projekte (siehe bspw. Puig de
la Bellacasa 2017) − um ontologische Fragen, genauer um das Worlding, das mit und durch
Forschung immer auch betrieben wird. Kuratieren, so scheint es, verspricht durch geteilte
Verantwortung auch ein Moment der Reflexion, allerdings wird dies nicht immer in politische Zielsetzungen, sondern häufig in rein akademischer Weise gedeutet, als Fortschritt
in der Wissensproduktion, ohne dass deutlich würde, wohin und mit welchem Ziel fort-
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Janine Hauer, Friederike Faust, Beate Binder
geschritten werden soll. Ko-Laboration wird also oftmals als disziplinäres Projekt verstanden, bestrebt anthropologische Wissensproduktion voranzubringen (Niewöhner 2016).
Markiert wird damit der Unterschied zwischen einem vorrangig politischen bzw. ethischen
und einem primär epistemologischen Modus (ebd., 10). So verstanden, sei Ko-Laboration
vor allem ein Prozess, der darauf abziele, Konzepte zu kuratieren, mit denen sich gut denken lässt (ebd., 9). Im Gegensatz zu manchen Formen kollaborativer Forschung dient das
gemeinsame Arbeiten aus dieser Perspektive keinem festgelegten Zweck, vielmehr ist ein
gelungener ko-laborativer Prozess selbst Zweck der Zusammenarbeit (Niewöhner in diesem Band). Entscheidend scheint hier also nicht das Ergebnis im Sinne eines Konsenses zu
sein, beispielsweise ein gemeinsames Vokabular, wie es gelegentlich noch immer als Voraussetzung und Ziel erfolgreichen inter- bzw. transdisziplinären Arbeitens formuliert wird
(Defila/Di Giulio 1998, 118). Zugleich geht es nicht um das unmittelbare Bilden politischer
Bündnisse und Verfolgen von im Voraus festgelegten und geteilten politischen Zielen.
Stattdessen fungiert die Praxis des Kuratierens als »störendes Werkzeug« (Verran 2013)
und Alternative zu jenen Modi der Zusammenarbeit, die Unterschiede zwischen Wissenschaft und politischer Praxis zu überwinden suchen.
Kuratorische oder ko-laborative Zusammenarbeit muss dabei keineswegs der Feldforschung nach- oder zwischengelagert sein, sondern kann als Teil des Forschungsprozesses etabliert werden, wie Niewöhner (2019) beispielhaft anhand von Projekten zu situierter
Modellierung ausführt und wie es in einigen der laufenden Forschungsprojekte am Institut
für Europäische Ethnologie erprobt wird (Bieler u.a. 2020). Voraussetzung für ein solches
Unterfangen ist jedoch die Bereitschaft aller Beteiligten nicht statt, sondern vielmehr in
Differenz zusammen zu arbeiten (Rabinow u.a. 2008, 65). Dabei sollen unterschiedliche
Wissenspraktiken bewusst konfrontiert werden, »um so ein Widerstandsaviso gegen die
eigenen Gewissheiten und stilgemäßen Denkzwänge zu erreichen« (Niewöhner 2019, 38).
Die hier umrissenen verschiedenen Möglichkeiten, die Zusammenarbeit zwischen Forscher*in und Feld zu gestalten und zu nutzen, verstehen wir keineswegs als sich gegenseitig ausschließend. Vielmehr stellen sie unterschiedliche Facetten heraus, die in bestimmten
Feldern möglich bzw. unmöglich sind. Manchmal erscheinen sie gar als Voraussetzung,
um Zugang zu Feldern erhalten. Auch können unterschiedliche Formen des Zusammenarbeitens ergänzend Anwendung finden. So zeigen die Studien von Naisagri Dave (2012)
oder Friederike Faust (2019), wie mit politischen Akteur*innen zugleich gemeinsam und
durch Konfrontation an Konzepten gearbeitet kann und politische Ziele bewusst auf die
Agenda des Zusammenarbeitens gesetzt werden können. Durch den Wechsel zwischen kound kollaborativen Formaten werden sowohl gemeinsame Ziele verfolgt, als auch kritisch
in Aktivismus interveniert.
Nicht zuletzt gilt, dass Formen der Zusammenarbeit nur bedingt im Vorfeld eines Forschungsprozesses präzise geplant werden können. Forschungsprotagonist*innen bringen
ihren Eigenwillen und Felder ihre Sachzwänge mit, die sich nur selten an den kol(l)aborativen Plänen der Forscherin orientieren. Wie die Beiträge in diesem Band verdeutlichen, sind
die hier grob skizzierten unterschiedlichen Formen der Zusammenarbeit daher weniger als
fixe Leitfäden für die Feldforschung zu verstehen, sondern vielmehr als Vorschläge und
Leitplanken, an denen sich der Prozess der Feldforschung orientieren kann, die es aber
kontinuierlich durch die Forschungserfahrungen hindurch zu überdenken und weiterzuentwickeln gilt. In diesem Sinne möchten wir mit den hier versammelten Überlegungen
und Forschungsberichten dazu ermutigen, Formen ethnografischer Zusammenarbeit immer wieder auf ihr Potential für aktuelle Entwicklungen in der Kulturanthropologie zu be-
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Kooperieren – Kollaborieren – Kuratieren
fragen sowie die unterschiedlichen Möglichkeiten zu eruieren, die sich aus der Vielzahl an
Forschungsfeldern ergeben.
Die Beiträge des Bandes
Ruzana Liburkina plädiert in ihrem Beitrag für die ethnografisch forschende (Zusammen-)
Arbeit in, zu und mit Unternehmen. Diese erfordere, die gegenseitige Skepsis, die das Verhältnis zwischen nicht-anwendungsorientierter Anthropologie und (privat)wirtschaftlichen
Unternehmen prägt, zu überwinden. Basierend auf ihrer Forschung entlang von zwei Getreidelieferketten in insgesamt acht gemein- wie privatwirtschaftlichen Unternehmen erörtert Liburkina Probleme sowie Strategien für die anthropologische Forschung. Erstens
zeigt sie, wie eine spezifische Fragestellung nach übergreifenden Prozessen es ermöglicht,
die Praxis einzelner Unternehmen zu dezentrieren. Eben weil ihr Erkenntnisziel einerseits
außerhalb des Verantwortungsbereiches konkreter Betriebe lag, sich diese aber andererseits durchaus als Teil der von der Forschenden problematisierten Dynamik betrachteten,
wurden ihr diese in Gänze zugänglich gemacht. Zweitens integriert Liburkina im Sinne
einer reziproken Beziehung ›Nebenprojekte‹ in ihre Forschung, die einen direkten Nutzen
für die Beteiligten darstellen, aber nicht dem anthropologischen Interesse entgegenstehen.
Damit erreicht die Forscherin nicht nur den Zugang zu oftmals recht hermetisch abgeriegelten sozio-materiellen Gefügen, wie Unternehmen, sondern findet zugleich einen Motor,
um tiefergehende Reflexionsprozesse anzustoßen. Neben der Verfolgung ihrer übergreifenden Fragestellung vermag es diese Art der »short term anthropology« (Karsten, 2019)
ethnografisches Wissen gewinnbringend in Unternehmensalltage einfließen zu lassen.
So kann konstruktiv Kritik geübt werden, ohne dass die grundsätzliche Akzeptanz unterschiedlicher Logiken sowie Erkenntnisinteressen infrage gestellt werden muss.
Der Beitrag von Francis Seeck spürt der Frage nach, wie geschlechtliche Selbstbestimmung innerhalb des Forschungsprozesses ermöglicht werden kann. Dieses Anliegen erfährt seine Dringlichkeit aus dem spezifischen Forschungsfeld: Seeck forschte mit trans
Personen zu informellen Fürsorgepraktiken. Da Fremdbestimmung, Marginalisierung und
Entrechtung bestechende Alltagserfahrungen der Forschungspartner*innen waren, galt
es, die emanzipatorischen Aspirationen des Feldes in den Forschungsprozess einzubinden
und zu unterstützen. Seeck schlägt für dieses methodologische Vorgehen den Begriff der
geschlechtlichen Zusammen_Arbeit vor. Dieser unterstreicht erstens die gemeinsame Arbeit an der Herstellung von Geschlecht, wie sie sich in sämtlichen sozialen Interaktionen
vollzieht. Zweitens verweist er auf das Zusammen, also auf die forschungsethische Motivation, diese Arbeit im Sinne von Selbstbestimmung und im Rahmen des Forschungsprozesses gemeinsam zu vollziehen. In den Blick rückt dadurch, wie im Forschungsprozess selbst
Geschlechter hergestellt werden und wie die Ermöglichung selbstbestimmter Geschlechtsidentitäten zum Anliegen engagierter Forschung werden kann.
Beate Binder, Friederike Faust und Todd Sekuler stellen gemeinsam mit ihren Forschungspartner*innen, nämlich internationalen HIV/Aids-Aktivist*innen, die Frage, was
ihnen die Partizipation an einem qualitativen Forschungsprojekt bringe. In ihrem Beitrag stehen daher die unterschiedlichen Antworten der «Kollaborateur*innen« im Mittelpunkt. Nach drei Jahren der Zusammenarbeit zwischen HIV/Aids-Aktivist*innen und den
Forscher*innen der europäischen Forschungsprojekts Disentangling European HIV/AIDS
Policies: Activism, Citizenship and Health reflektieren diese gemeinsam über den Nutzen,
die Grenzen und das politische Potential ihrer Zusammenarbeit. Auf diese Weise zeigt der
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Janine Hauer, Friederike Faust, Beate Binder
Beitrag zum einen, wie Nutzen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit den Ressourcen, rechtlichen und politischen Rahmenbedingen und regionalen Disparitäten der Forschungspartner*innen variieren. Zum anderen unterstreicht er nicht nur, dass kollaborative
Forschung politisch wirken kann, sondern zeigt auch unterschiedliche Wege auf, wie sich
die politische Intervention konkret gestalten kann − etwa durch die Bereitstellung eines
Reflexionsraums oder durch die direkte Beteiligung an der kollektiven Erinnerungsarbeit
der Aktivist*innen.
Der Beitrag von Jonas Tinius nimmt Zusammenarbeit im kulturellen Feld in den
Blick, konkret zwischen Anthropolog*innen, Kurator*innen der Galerie des Instituts für
Auslandsbeziehungen (ifa) in Berlin sowie einer kritischen Öffentlichkeit, deren gemeinsames Interesse den kolonialen Hinterlassenschaften Deutschlands sowie wissenschaftlicher Feldarbeit in diesem Zusammenhang gilt. Die Forschung entstand als Teil eines größeren Forschungsverbunds, welcher sich der Rolle unterschiedlicher Akteur*innen in der
umstrittenen Vorbereitungsphase der Eröffnung des Humboldt-Forums im Stadtschloss
Ende 2020 widmete. In Zusammenarbeit mit den Kurator*innen der Galerie des Instituts für
Auslandsbeziehungen konzipierte Tinius vier öffentliche gallery reflections. In diesen Begegnungsräumen loteten die Akteur*innen gemeinsam ihre unterschiedlichen Rollen sowie die verschiedenen Rahmenbedingungen kuratorischer und ethnografischer Arbeit im
Zusammenhang mit schwierigem kolonialem Erbe aus und stellten sich dabei auch öffentlicher Kritik. Innerhalb des zugleich dialogischen wie experimentellen Raums wurde das
Forschungsfeld gleichzeitig vermessen sowie mitgestaltet. Die Rolle der*des Ethnograf*in
fasst Tinius als »Sparring Partner«, d. h. Impulsgeber*in für konkrete Zusammenkünfte innerhalb des Feldes, welche selbst Teil der Forschung und des Forschungsmaterials werden.
Solche Formate, so Tinius, eröffnen die Möglichkeit ethnografische Arbeit als integralen
Bestandteil des Feldes zu konzipieren.
Patrick Bieler, Milena Bister und Christine Schmid skizzieren in ihrem Beitrag drei verschiedene Formate der Ausgestaltung von Zusammenarbeit mit der Sozialpsychiatrie und
diskutieren deren Möglichkeiten und Grenzen. Während es die Ko-Laboration mit wissenschaftlich-forschenden Psychiater*innen erforderte, ein interdisziplinäres Verstehen der
fachspezifischen Begriffsbedeutungen zu ermöglichen und Reflexionen der eigenen Begrifflichkeiten anregte, waren die Forscher*innen in der Zusammenarbeit mit psychiatrischen Praktiker*innen dazu aufgefordert, die Relevanzen des Feldes ernstzunehmen, ihre
daran anknüpfenden Analysen verständlich im Feld zu vermitteln und dadurch einen Reflexionsprozess der alltäglichen Routinen anzustoßen. Schließlich ermöglichte die aktive Mitarbeit in einer politischen Interessenvertretung, die Selbstverständlichkeiten des Feldes
nicht − unbemerkt − zu übernehmen, sondern sie hingegen mit allen Beteiligten zu problematisieren. Das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Wissensbestände führte dabei gerade nicht zur Entwicklung gemeinsamer Fragestellungen, sondern ermöglichte die fachspezifische Wissensbildung durch epistemische Irritation und Konfrontation der eigenen
Normensetzungen. Um dieses generative Potential zu fassen, verstehen Bieler, Bister und
Schmid Zusammenarbeit als katalytischen Praxis. Sie zeigen so, dass ko-laborative Formate
jenseits von distanzierter Dekonstruktion einerseits sowie einer unreflektierten Übernahme epistemischer oder normativer Setzungen des Feldes andererseits es vermögen, generative Kritik im Sinne von Helen Verran (2001) zu produzieren.
Jörg Niewöhners Beitrag setzt abschließend an den Überlegungen von Bieler, Bister
und Schmid an und bietet eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Praxis des Reflektierens, wie sie zentral für die ko-laborative epistemische Arbeit mit Forschungspartner*innen ist. Ausgehend von der Beobachtung, dass Reflexivität zwar zum theoretisch-analyti-
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Kooperieren – Kollaborieren – Kuratieren
schen Paradigma des Fachs avanciert ist, in ihrem konkreten Vollzug aber bislang kaum
ausbuchstabiert wurde, schlägt Niewöhner vor, Reflektieren praxistheoretisch zu fassen.
Reflektieren als gefügte Praxis im Sinne einer stets im Werden begriffenen Assemblage
zu denken ermöglicht sodann, zwei Aspekte zentral zu setzen: Reflektieren erweist sich
erstens als ein gemeinschaftlicher und nicht individueller Prozess, der sich zweitens nicht
selten durch Technik materialisiert vollzieht. Dieses Verständnis von Reflexion verortet das
epistemische Moment des Forschens innerhalb des ko-laborativen Prozesses und in der
Auseinandersetzung mit den Forschungspartner*innen und löst sich damit von einem Reflexivitätsbegriff, der Wissensgenerierung in jenem Ort und Moment verortet, in dem sich
die Forscherin nach kritischer Distanz suchend vom Feld zurück an den Schreibtisch und in
die individuelle geistige Arbeit verzieht.
Die hier versammelten Beiträge beanspruchen weder Vollständigkeit in der Illustration der hier diskutierten Modi der Zusammenarbeit, noch eine repräsentative Auswahl an
Forschungsansätzen, wie sie am Institut für Europäische Ethnologie in Berlin praktiziert
werden. Vielmehr sind sie zu verstehen als eine Einladung an unsere Kolleg*innen sowie
eine breite Leser*innenschaft über die Möglichkeiten und Grenzen produktiver Formen
der Zusammenarbeit nachzudenken, Ideen aufzunehmen, zu kritisieren und zu verwerfen
und dabei die gegenwärtigen Herausforderungen ethnografischer Arbeit und gesellschaftlichen Zusammenlebens anzunehmen und zur eigenen Aufgabe zu machen.
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Geschlechtliche Zusammen_Arbeit − kollaborativ
Forschen jenseits von Zweigeschlechtlichkeit
Francis Seeck
ABSTRACT: Bezugnehmend auf Ansätze queerer und feministischer Ethnografie widmet
sich der Artikel der methodologischen Frage, wie Care als eine machtkritische Praxis im Forschungsprozess genutzt werden kann, um geschlechtlicher Vielfalt gerecht zu werden. Basierend auf meiner Dissertationsforschung, welche ethnografisch kollektive Care-Praktiken
jenseits von Cis- und Heteronormativität in den Blick nahm, schlage ich den Begriff der geschlechtlichen Zusammen_Arbeit vor. Dieser unterstreicht sowohl die während der Forschung
geleistete Arbeit, durch die Geschlecht hergestellt wird, als auch das gemeinsame Moment,
also die forschungsethische Motivation, diese Arbeit im Sinne von Selbstbestimmung im Rahmen des Forschungsprozesses zu ermöglichen und zusammen zu vollziehen.
SCHLAGWORTE: Queere Ethnografie, feministische Ethnografie, engagierte Forschung,
Care, Geschlechterforschung, Trans Studies, kollaborative Forschung
ZITIERVORSCHLAG: Seeck, F. (2021): Geschlechtliche Zusammen_Arbeit − Kollaborativ
Forschen jenseits von Zweigeschlechtlichkeit. In: Berliner Blätter 83, 19−27.
Forschen zu Rissen in der Zwei-Geschlechter-Ordnung
I
n öffentlichen Stellenanzeigen werden zunehmend nicht nur Männer und Frauen gesucht,
sondern auch Personen mit dem Geschlechtseintrag »divers« (w/m/d). Viele Formulare
stellen inzwischen mehr Optionen als »Herr« oder »Frau« zu Auswahl. Das Gendersternchen und der Unter_Strich finden ihren Weg in die Alltagskommunikation. Die Zwei-Geschlechter-Ordnung im deutschsprachigen Raum ist aktuell in Bewegung.
Im Dezember 2018 wurde eine dritte Geschlechtsoption ins deutsche Personenstandsgesetz eingeführt (PStG §45b). Diese Gesetzesreform ist Ergebnis langjähriger Kämpfe von
inter*, queeren und nicht-binären trans Bewegungen, die schließlich in einen Beschluss
des Bundesverfassungsgerichts mündeten (1 BvR 2019/16). Nun stehen für den Personenstandseintrag neben den Optionen »weiblich« und »männlich« auch der Verzicht auf einen
Geschlechtseintrag sowie die Möglichkeit »divers« zur Verfügung. Aktivist*innen betonen
jedoch, dass das Gesetz in der jetzigen Form weit entfernt ist vom Recht auf geschlechtliche
Selbstbestimmung. Denn für die nachträgliche Änderung des Geschlechtseintrags ist eine
ärztliche Bescheinigung notwendig, die bestätigt, dass eine »Variante der Geschlechtsentwicklung« vorliege. In der Kritik steht zudem das sogenannte Transsexuellengesetz
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DOI: 10.18452/22402 | Creative Commons CC 4.0: BY-NC-SA
Berliner Blätter 83/2021, 19–27
Berliner Blätter 1/2020
Francis Seeck
de, insbesondere aufgrund des zeitaufwendigen Begutachtungsprozesses. Aktivist*innen
kritisieren darüber hinaus, dass sowohl im Personenstandsgesetz als auch im TSG die Definitionsmacht durch Mediziner*innen sowie die Pathologisierung geschlechtlicher Vielfalt
erhalten blieben. Trotzdem verweisen die dritte Geschlechtsoption und das TSG auf Risse
in der Norm der Zweigeschlechtlichkeit und bietet erste Alternativen dazu.
Risse in der Zwei-Geschlechter-Ordnung stehen auch im Mittelpunkt meiner Dissertationsforschung.1 Ausgehend von Sorgepraktiken von Personen, die sich als trans oder nichtbinär identifizieren, widme ich mich in meinem Dissertationsprojekt der Frage, wie Care
jenseits von cis- und heteronormativen Modellen organisiert und trans_formiert wird. Ich
forschte über einen Zeitraum von zwei Jahren ethnografisch in Kollaboration mit trans und
nicht-binären Aktivist_innen in Deutschland und der deutschsprachigen Schweiz. Im Sinne einer multi-sited ethnography (Marcus 2008) folgte ich meinen Forschungspartner*innen
in genderqueere Friseur*innensalons, Vereinsräume, Kliniken, an Küchentische, auf trans
Tagungen und in Selbsthilfegruppen. Neben der beobachtenden Teilnahme (Wacquant,
2003) in diesen Räumen führte ich dialogische Interviews mit 19 Aktivist*innen zu Sorgearbeit und Sorgepraktiken (vgl. Seeck 2020). Einige von ihnen sind in trans Vereinen organisiert, die sich primär für die Abschaffung oder Überarbeitung des Transsexuellengesetzes
(TSG), für Veränderungen in der trans Gesundheitsversorgung oder für die Dritte Option
einsetzen, andere haben ihren Schwerpunkt in der Beratungs- und alltäglichen Unterstützungsarbeit. Solche kollektiven trans Care-Praktiken werden als Gegenentwürfe zu pathologisierenden und cis-normativen medizinischen Strukturen aufgebaut (Spade 2011). Ein
Großteil davon findet unter prekären und informellen Bedingungen statt, bietet aber Möglichkeiten, neue Formen der Fürsorge zu entwerfen.
Die Idee für den Themenkomplex und die Fragestellung ergaben sich aus meinem Engagement in queer-/transfeministischen Kontexten, meiner Tätigkeit als Antidiskriminierungstrainer*in sowie meiner vorherigen Beschäftigung mit Care, Klasse und queerer Ethnografie im Rahmen meiner Masterarbeit zu ordnungsbehördlichen Bestattungen (Seeck
2017; Seeck/Theißl 2020). 2016 besuchte ich die Tagung »Politics of Care. Politiken der
Für_Sorge − Für_Sorge als Politik« der Kommission Frauen- und Geschlechterforschung
in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde (dgv) in Hamburg, bei der geschlechtertheoretisch forschende Kulturanthropolog*innen aktuelle Forschungen zu Praktiken und
Politiken der Fürsorge zur Diskussion stellten. Dort fiel mir auf, wie unsichtbar Care-Praktiken jenseits von Zweigeschlechtlichkeit auch innerhalb der kulturanthropologischen
Geschlechterforschung sind, obwohl in trans/queeren Räumen eine Vielzahl von Sorgenetzwerken aufgebaut werden und obwohl die Zwei-Geschlechter-Ordnung auch gesamtgesellschaftlich brüchig wird (vgl. Seeck/Dehler 2019).
Dieser Beitrag bemüht sich darum, diese Lücke zu füllen. Ich werde skizzieren, wie sich
das kollaborative Forschen an den Rändern der Zweigeschlechtlichkeit konkret gestaltete.
Hierfür habe ich das Konzept der geschlechtlichen Zusammen_Arbeit entwickelt, angelehnt an den Begriff »gender labor« von Jane Ward (2010). Ward fasst unter Geschlechterarbeit die kollektive Arbeit von trans Personen und ihren Verbündeten, die notwendig ist,
um marginalisierte geschlechtliche Subjektivitäten anzuerkennen und damit herzustellen.
Daran anknüpfend verstehe ich unter geschlechtlicher Zusammen_Arbeit jene Arbeit, die
es in einem Forschungsprozess braucht, um geschlechtliche Selbstbestimmung zu ermöglichen. Im Folgenden zeige ich anhand konkreter Beispiele aus meiner empirischen Forschung auf, wie sich diese Arbeit gestaltete und welche Chancen und Probleme sie für eine
engagierte ethnografische Forschung bietet.
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Geschlechtliche Zusammen_Arbeit
Geschlechtliche Zusammen_Arbeit
»Ich sehe mit Freude, wie sich die Teilnehmer*innen bei Events vernetzen und dann
über eine längere Zeit als Kleingruppe die Transition durchmachen und sich gegenseitig unterstützen. Es entsteht eine kleine Mikrozelle, die einen gemeinsamen Nenner hat und gegenseitigen Support liefert. Der Support ist vielschichtig, es entstehen
Freund*innenschaften, es sind Abende, an denen Menschen vergessen können, was
sie gerade plagt. Und es wird oft nicht über die Schwierigkeiten des Lebens diskutiert, sondern über die Schönheiten, im Wissen darüber, dass das Gegenüber den
gleichen Background hat.« (Interview Michelle, Mai 2017)
Michelle organisiert trans Räume in der Schweiz. Im Interview berichtet sie über die Sorge-Netzwerke, die bei den monatlich stattfindenden trans Stammtischen entstehen. Diese
Netzwerke beschreibt sie als »Mikrozelle[n]« und im Sinne längerfristiger Beziehungen,
die trans Personen dabei unterstützten, die Hürden einer medizinisch-rechtlichen Transition zu überwinden.
Zu solcher Sorgearbeit, die in trans und nicht-binären Räumen geleistet wird, gibt es nur
wenige Forschungsarbeiten (Appenroth/Castro Varela 2019). Die Queertheoretikerin Jane
Ward entwickelte, ausgehend von ihrer Forschung zu Care in romantischen Beziehungen
zwischen trans Männlichkeiten und Femmes, das Konzept der Geschlechterarbeit (engl.
»gender labor«). Sie betont, dass Geschlechtsidentitäten − insbesondere jene, die als transgressiv oder nicht-normativ gelten − von kollektiver Arbeit abhängig sind (2010, 40). Praktiken der geschlechtlichen Anerkennung marginalisierter geschlechtlicher Subjektivitäten
versteht sie folgerichtig als Arbeit (»labor«) und fordert Transparenz und Wertschätzung
für den investierten Aufwand:
»Focusing on gender labor draws attention to the collective work that produces and
sustains gender. Though we already know that genders exist inside an interdependent
gender system, little attention has been given to the laborious quality of reproducing
other people’s genders in daily life, and we remain without a clear mapping of the
training, skills, duties, and specific efforts that various genders require.« (ebd., 251)
Der Begriff »gender labor« deessentialisiert Geschlecht als Kategorie, indem er darauf verweist, dass und wie Geschlecht hergestellt wird, und zwar auf der Ebene des Alltags, gemeinschaftlich und kontinuierlich. Ward kritisiert, dass in trans aktivistischen Diskursen
trans Personen oft als »gender warrior« (Ward 2010, 241) dargestellt werden würden, die
ihr vergeschlechtliches Selbst im trotzigen Einzelgängertum erfänden. Geschlechterarbeit
sei jedoch ein kollektiver Prozess, in dem Geschlechtsidentitäten relational und interaktiv
gemeinsam hergestellt würden (ebd.).
Auch in meinem Forschungsfeld spielte »gender labor« eine wichtige Rolle dabei, marginalisierte geschlechtliche Identitäten anzuerkennen und Räume des Austausches, der
geschlechtlichen Selbstbestimmung und Selbstermächtigung zu schaffen. Während Ward
die »affektive, soziale und politische Arbeit von nicht Trans-Vertrauten« (2010, 241; Übersetzung F. S.) herausstellt, die notwendig sei, um trans Subjektivitäten herauszubilden,
wird in meiner Studie auch deutlich, dass ein Großteil geschlechtlicher Care-Arbeit zwischen trans und_oder nicht-binären Personen geleistet wird. Diese Arbeit galt es auch in
den Forschungsinteraktionen beidseitig zu erbringen. Geschlechtliche Zusammen_Arbeit
bedeutet für mich, sorgsam auf den Forschungsprozess zu schauen und diese geleistete
21
Francis Seeck
Geschlechterarbeit sichtbar zu machen, um auch im Forschungsprozess geschlechtliche
Selbstbestimmung zu ermöglichen.
Um einerseits den interaktiven Charakter von Feldforschung zu betonen und andererseits den Unterschied zwischen dem empirischen Phänomen der Geschlechterarbeit und
meiner hier vorgestellten methodischen Anwendung zu verdeutlichen, spreche ich im Folgenden von geschlechtlicher Zusammen_Arbeit. Ich werde zeigen, wie die Zusammenarbeit im Forschungsprozess selbst einen wichtigen Beitrag zur Geschlechterarbeit leisten
kann. Ich verorte meine Forschung im Kontext einer engagierten feministischen ethnografischen Tradition und habe den Anspruch, durch meine Forschung geschlechtliche Selbstbestimmung zu unterstützen. Dána-Ain Davis und Christa Craven betonen: Feministische
Ethnografie »aims to produce scholarship − in both traditional and experimental forms −
that may contribute to movement building and/or be in the service of organizations, people, communities, and issues we study« (Davis/Craven 2016, 11). Für meine Forschung bedeutete dies: Wie kann meine Forschung Praxen von Care, die ich beforsche, unterstützen?
Geschlechtliche Vielfalt sollte mehr als eine Fußnote sein
»Francis: Was wünscht du dir von Forscher*innen, die zu trans Themen forschen?
Kalle: Also was ich mir als Support von einer wissenschaftlichen Community wünsche, ist, noch stärker wegzugehen von Biologie und einfach zu sagen, was eine Person bei sich wahrnimmt: ›Das Geschlecht bin ich!‹ − dass das wahr und richtig ist,
nicht weiter überprüft wird. Da sehe ich eine politische Dimension, weil wir ja rechtlich und medizinisch Gutachtenprozesse haben, wo irgendwelche Expert*innen über
die Geschlechtsidentität einer Person entscheiden. Da wäre mir wichtig, dass der Expert*innenstatus der trans Person gestärkt wird; dass es einen stärkeren Diskurs aus
der Wissenschaft gibt, zu sagen: ›Das weiß die Person für sich selbst! Und wenn die
Person die Auskunft gibt, ich habe dieses Geschlecht, dann ist das einfach so!‹ Das
wäre mir wichtig. Und immer wieder deutlich zu sagen: Es gibt einfach super viele
Geschlechter − dass es jenseits von binären trans Personen auch nicht-binäre trans
Personen gibt! Das wird immer stärker. Aber ich glaube, dass es wissenschaftliche
Literatur erst seit fünf, sechs Jahren dazu gibt. Wenn das mehr als eine Fußnote ist,
wenn das Raum bekommt, find ich das toll.« (Interview Kalle, Januar 2018)
Im Kontext meines Dissertationsprojektes arbeitete ich mit trans und_oder nicht-binären
Personen zusammen, die sich für geschlechtliche Vielfalt und Selbstbestimmung einsetzen.
Unsere Zusammenarbeit begann jedoch bereits früher. So traf ich bereits vor Beginn meiner
Forschung Aktivist*innen, um über meine Forschungsfragen und mein geplantes Vorgehen
zu sprechen, und fragte sie nach ihren Wünschen. Später entschied ich mich, systematisch
alle Interviewpartner*innen zu fragen, was sie sich von Forschung wünschen und welche
Forschungsfragen sie wichtig finden. Dies sehe ich als eine Möglichkeit, geschlechtliche
Zusammen_Arbeit praktisch umzusetzen: indem ich die Bedarfe, Bedürfnisse und Erfahrungen mit Forschung im Feld einhole, berücksichtige und dazu das Gespräch suche. Wie
in dem Zitat aus dem Interview mit Kalle deutlich wird, hat why2 eine genaue Vorstellung
davon, was why sich von zukünftiger Forschung erhofft: Kalle plädiert für eine Forschung,
die sich aktiv für geschlechtliche Selbstbestimmung einsetzt und die medizinische Hoheit
in diesem Feld infrage stellt.
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Geschlechtliche Zusammen_Arbeit
Marginalisierte Geschlechtsidentitäten und geschlechtliche Vielfalt anzuerkennen,
ist eine Form der Unterstützung, die Forscher*innen in einem Forschungsprozess leisten
können. In meinen Forschungsprozess flossen solche Überlegungen folgendermaßen ein:
Ich fragte meine Interviewpartner*innen, mit welchen Pronomen sie aktuell angesprochen
werden möchten, und teilte meine eigenen Pronomen mit. Ich gab zu verstehen, dass ich mir
im Klaren darüber bin, dass sich Pronomen jederzeit ändern können − und dass sie bis kurz
vor der Veröffentlichung auch im Text verändert werden können. Und ich hielt diese, wie
oben ersichtlich, in wissenschaftliche Text und entgegen gängiger Sprech- und Schreibnormen sichtbar. Denn Geschlechtsidentitäten sind eben nicht nur divers, sondern auch kontingent, das heißt veränderlich in der Zeit, und engagierte Forschung hat mit beidem umzugehen. Auch ob und wie meine Interviewpartner*innen anonymisiert werden möchten,
konnten sie selbst und jederzeit neu entscheiden. Diejenigen Personen, die anonymisiert
werden wollten, konnten den Vornamen für die Anonymisierung selbst wählen. Der Hintergrund für dieses Vorgehen war, dass Namen und Namensänderungen geschlechtlich
markiert sind und dass die meisten meiner Interviewpartner*innen bereits eine Namensänderung hinter sich hatten. Somit hatte die Praxis der Namenswahl auch einen queeren kulturellen Wert (Weston 1997, 9), wie die Reaktionen einiger Interviewpartner*innen zeigen:
»Ach, wie toll, diesen Namen wollte ich auch schon immer mal ausprobieren« oder »Dies
war damals meine zweite Wahl«. Andere Interviewpartner*innen hingegen wünschten sich,
dass ich mir einen Vornamen aussuche, der zu ihnen passe. Wieder andere wollten nicht
anonymisiert werden. Auch diesem Wunsch kam ich nach, denn dies kann eine Form der
Wertschätzung aktivistischer Arbeit ermöglichen, die oft unsichtbar und unterbezahlt ist.
Mit dem Verzicht auf eine Anonymisierung geht aber auch eine größere Verantwortung
für mich einher, denn meine Interpretationen bleiben für meine Forschungspartner*innen
in diesem Fall kontinuierlich nachvollziehbar; zudem trage ich eine Mitverantwortung für
etwaige Konsequenzen, die meine Veröffentlichung für die betreffenden Interviewpartner*innen haben kann. Meine Interviewpartner*innen konnten ihre Teilnahme an der Studie bis zu dem Moment der Veröffentlichung zurückziehen.3 Einwilligung verstehe ich als
Prozess und wollte diesen so weit ermöglichen, wie es die Bedingungen wissenschaftlichen
Arbeitens erlauben.
An diesen, keinesfalls vollständigen Aspekten zeigt sich der Aufwand, der notwendig
ist, um geschlechtliche Vielfalt im Forschungskontext zu ermöglichen.
Queering Interviews − sich gegenseitig befragen
Neben den Bemühungen, geschlechtliche Vielfalt sprachlich zu ermöglichen, versuchte ich, Interviewpraxen zu queeren. In Interviews wird üblicherweise eine asymmetrische
Position hergestellt zwischen Interviewer*in und Interviewten*m, zum Beispiel indem ausschließlich die*der Interviewer*in Fragen stellt. Im Sinne einer feministischen Interviewpraxis gab ich meinen Gesprächspartner*innen die Möglichkeit, mir ebenfalls Fragen zu stellen und aus der klassischen Interviewsituation auszubrechen (Davis/Craven 2016, 84). Dies
wurde reichlich genutzt, vor allem von Forschungspartner*innen, die darin geübt waren.
So nahmen bei einem Interview mit einer Aktivistin, die eine trans Radiosendung machte, Gesprächsabschnitte, in denen sie mich interviewte, viel Raum ein. Während der Interviews schlüpfte ich häufig aus meiner »professionellen Rolle« und trat als »ganze Person«
auf. So rutschten mir Sätze heraus wie »So ein Scheiß«, wenn mir Gesprächspartner*innen
von schmerzvollen Momenten berichteten. Ich fühlte mit und teilte Wut, Traurigkeit und
23
Francis Seeck
Freude. Gleichzeitig war es mir wichtig, einen selbstkritischen Blick auf die asymmetrische
Forschungssituation und die darin eingebetteten Care-Beziehungen zu lenken und beides
nicht zu romantisieren (vgl. Thajib u.a. 2020).
Ich bemühte mich zudem darum, die Interviews machtkritisch zu gestalten. So zielten
viele meiner Fragen auf Zukunftsentwürfe und Wünsche ab. Viele trans und_oder nicht-binäre Personen, die eine rechtliche oder medizinische Transition anstreben, müssen durch
ein langjähriges Begutachtungsverfahren, in denen ihre Identität immer wieder hinterfragt
und angezweifelt wird (vgl. Sekuler 2018). Trans Theoretiker*innen, so schreibt Sara Ahmed, haben erforscht,
»inwiefern Geschlechter- und Heteronormen zu einem Apparat der Wahrheit innerhalb medizinischer Institutionen geworden sind; die Studien haben aufgezeigt, dass
Trans*-Subjekte, wenn sie Zugang zu Operationen und Hormonen erhalten wollen,
eine Geschichte erzählen müssen, die lesbar ist für Autoritäten« (Ahmed 2017, 26).
Fragen, die an diesen Begutachtungsprozess erinnern könnten, versuchte ich zu vermeiden.
Deswegen stellte ich keine typischen biografischen Eingangsfragen, die es notwendig gemacht hätten, sich auf ein entsprechendes trans Narrativ zu beziehen. Ich wollte einen Raum
schaffen, der jederzeit die Möglichkeit bot, keine Antwort zu geben, sich Fragen zu entziehen oder die Frage stattdessen an mich zu richten − einen Raum, in dem wir uns gegenseitig
befragen konnten. Meine Interviewpartner*innen nutzen diese Möglichkeiten gerne.
Manchmal handelten wir die Interviewfragen zu Beginn zunächst gemeinsam aus. Dies
zeigt sich in der Eingangssequenz aus dem Interview mit zwei Aktivist*innen:
»Francis: Könnt ihr euch erst mal zu Beginn vorstellen − was ihr denkt, was wichtig ist?
L: Hmm, ich glaube, es ist für mich gerade − [...]. [sehr lange Pause]
Francis: Ihr müsst euch auch nicht vorstellen, wenn ihr da gerade keine Lust drauf
habt.
L: […] Ich glaube, das ist für mich gerade schwierig, weil ich denke, ich habe da ein
Narrativ, was ich runterrattern kann, aber ich weiß nicht, ob ich es passend finde für
den Kontext.
Francis: Ja, eigentlich kennen wir uns ja schon. Ich habe das gestern besprochen im
Kolloquium − ich habe das öfter, dass Leute die Fragen zurückweisen. […] Es ist ja
schwierig, sich vorzustellen, ohne auf Kategorien zurückzugreifen. Ist auch cool, das
zu verweigern, die Fragen zu beantworten. Mhm. Das heißt dann meistens eher, dass
meine Frage nicht so gut gestellt war. [lacht] Und es ist ja auch schwierig, sich vorzustellen, ohne auf Kategorien zurückzugreifen.
L: Ja, angefangen mit dem Namen, deswegen ist bei mir das Rattern im Gehirn losgegangen. [...] Aber beschließen wir, wir kennen uns. [lacht]« (Interview, anonym
Dezember 2017)
In dieser Sequenz fällt es der*dem Interviewpartner*in schwer, sich vorzustellen. Dies verdeutlicht, wie kompliziert es sein kann, sich jenseits normativer Erzählungen zu verorten
oder eine stabile Subjektposition einzunehmen. Zudem ist sich die*der Forschungspartner*in nicht sicher, welcher Name aktuell passt; wie ich später erfahren werde, plant sie_er
eine Namensänderung. L. spricht von einem »Narrativ«, was darauf hindeutet, dass es Konventionen gibt, sich geschlechtlich zu erzählen, und dass es schwierig ist, daraus auszubrechen. Dass L. »für den Kontext [des Interviews]« nicht auf das besagte Narrativ zurückgrei-
24
Geschlechtliche Zusammen_Arbeit
fen will, verweist auf das queere geschlechtliche Wissen, das ich bereits ins Feld eingebracht
habe. Meine Interviewpartner*innen wissen also bereits, dass ich nach Erfahrungen und Geschichten jenseits etablierter Narrative suche. Die Sequenz zeigt zudem, dass ich die Interviewpartner*innen in ihrem Impuls, die Frage zu verweigern, stärke. Indem ich betone, dass
es vielen anderen auch so geht, will ich etwaiger Scham entgegenwirken.
Im Anschluss an dieses Interview beschäftigten mich in Bezug auf meine Forschung
folgende Fragen: Wie können instabile geschlechtliche Subjektpositionen im finalen niedergeschriebenen Text ihren Raum finden (vgl. Brown/Nash 2010, 2)? Wie kann ich Kategorien wie trans oder cis in Bewegung bringen? Was bedeutet queeres Forschen und
Schreiben, wenn sich durch Forschungsprozesse und im Schreiben Kategorien eher verfestigen? Kath Browne und Catherine Nash fragen:
»If, as queer thinking argues, subjects and subjectivities are fluid, unstable and perpetually becoming, how can we ›gather‹ data from those tenuous and fleeting subjects using the standard methods of data collection such as interviews or questionnaires?« (ebd., 1)
Eine Strategie, um mit diesem Dilemma umzugehen, war es, meinen Interviewpartner*innen möglichst viel Entscheidungsmacht und Flexibilität zu ermöglichen, was Anonymisierung, Namenswahl, Pronomenwahl und die Einwilligung zur Teilnahme an der Studie
betrifft. Gleichzeitig hat diese geschlechtliche Zusammen_Arbeit im Forschungsprozess
auch Grenzen, so gibt es insbesondere die Momente des Festschreibens im finalen Text für
die Veröffentlichung.
Queering Geschlechterforschung − zusammen intervenieren
»Francis: Was wünscht ihr euch von Forscher*innen, die zu trans Themen forschen?
Sasha: Also ich fände es cool, wenn einfach eine viel umfassendere Geschlechterforschung gemacht würde: wo von Anfang an das Paradigma herrscht, dass es ganz viele Geschlechter gibt und sich Geschlecht auf vielen Ebenen manifestiert. Und dass
dann nicht gesucht wird: Wir suchen jetzt trans Personen und dann vergleichen wir
die mit cis Personen und finden da Unterschiede raus − sondern dass Geschlecht
auf vielen Ebenen angeschaut wird und nicht aufgeteilt wird in Männer, Frauen und
andere. Solche Forschung fände ich gut − wo einfach auch so ein anderes Paradigma
von Beginn an Teil der Forschung ist.
Francis: Und fallen euch noch ganz konkrete Wünsche ein, die ihr an Forscher_innen hättet?
Jovin: Why are cis people so boring? [lacht] Nein, es war nur ein Witz.
Francis: Kannst du den Witz noch erklären?
Jovin: Ah, ich habe nur gesagt: Forschungsfrage − ›Why are cis people so boring?‹
[lange Pause.]
Sasha: Mir fällt halt in der Geschlechterforschung auf − wo klar ist, inwiefern Geschlecht hergestellt wird −, dass es dann trotzdem immer so essentialistische Vibes
gibt und auch binäre. Das würde ich mir wünschen, dass das queerer gelebt wird.
Aber die NZZ [Neue Zürcher Zeitung] würde jetzt gerade aufschreien.
Francis: Die ist ja nicht hier.
25
Francis Seeck
Sasha: Vielleicht, um es in einer Metapher zu beschreiben: Es wäre, wie wenn jemand
mit einem Kleid, einer Kreuzkette und der Bibel unter dem Arm über Evolutionsbiologie sprechen würde. [gemeinsames Lachen] Das ist das, was ich meine mit Vibe.«
(Interview Jovin und Sascha, März 2018)
In dem Interviewauszug wird deutlich, dass sich einige meiner Forschungspartner*innen
auch im Feld der Geschlechterforschung und Sozialwissenschaften für mehr Geschlechtervielfalt einsetzen. Er zeigt auch, dass ich keine außenstehende Perspektive einnehme. Gerade binäre trans Personen und trans weibliche Aktivist*innen interessierten sich für meine
Erfahrungen und Perspektiven als queere*r Forscher*in. Ich verstehe diese Neugier in Bezug auf meine eigenen Erfahrungen und Theoretisierungen von Geschlecht auch als ein
Sorgen-Füreinander − ein Sich-Interessieren und ein Aufmerksamkeit-aufeinander-Richten; dieses Sich-aufeinander-Einlassen ist zugleich eine Form der geschlechtlichen Zusammen_Arbeit. Die sehr deutliche Kritik von Jovin und Sasha an Geschlechterforscher*innen,
die Zweigeschlechtlichkeit nicht hinterfragen, wurde festgehalten − hoffentlich findet sie
ihren Weg zurück in die wissenschaftlichen Communities.
Sich um geschlechtliche Selbstbestimmung sorgen
»Francis: Was wünscht du dir von Forscher*innen, die zu trans Themen arbeiten?
Rahel: Die Art und Weise, wie ihr mit euren Ergebnissen umgeht. Es gibt viele Forschungsergebnisse in den Trans und Gender Studies, die Dinge klarstellen, die von
der Politik ignoriert werden. […] Dass diese Ergebnisse nicht in der Forschungsbubble bleiben, sondern dass man sie der Politik aufzwingt. Außerdem fände ich es gut −
das machst du ja schon −, wenn man auf trans Leute eingeht, partizipative Forschung
macht und die Ergebnisse mit der Community teilt. Denn meistens verschwinden die
verschiedenen B.A.-, M.A.- und Doktorarbeiten, werden an der Uni abgegeben, und
man hört nie wieder was von seinem Interview.« (Interview Rahel, Juni 2017)
Rahel betont nicht nur, dass es für sie wichtig sei, dass die Forschung partizipativ gestaltet
wird, sondern auch, dass sie für politische Veränderungen für mehr geschlechtliche Selbstbestimmung genutzt wird: dass sie ihren Weg in die Welt findet und nicht in einer Schublade verstaubt. Ich hoffe, dass dies bei meiner Studie der Fall sein wird. Ich versuche dafür
den Dialog mit Aktivist*innen in der Praxis aufrechtzuerhalten und dort meine Forschungsergebnisse vorzustellen. Zudem ist es für mich zentral, dass der Forschungsprozess für die
Forschungspartner*innen sowohl auf der persönlichen und wissenschaftlichen Ebene einen
Mehrwert hat und dass die Geschlechtliche Zusammen_Arbeit innerhalb wissenschaftlicher Debatten um Methoden und Kollaboration sichtbar wird.
Die Frage, wie europäisch-ethnologische Forscher*innen mit Akteur*innen, die für geschlechtliche Vielfalt und Selbstbestimmung kämpfen, zusammen_arbeiten können, stellt
sich nach der Einführung der Dritten Option umso dringlicher. Wie können die Effekte, die
dies auf die Zwei-Geschlechter-Ordnung hat und haben wird, erfasst werden? Geschlechtliche Arbeit findet nicht nur in der Forschung in queeren oder trans Räumen statt. In jeder ethnografischen Forschung wird Geschlecht in der Interaktion zwischen Forscher*in und Forschunsgpartner*innen reproduziert oder transformiert. Geschlechtliche Zusammen_Arbeit
bedeutet und die Leistung queerer Ethnografie liegt darin, genau hinzuschauen, diese Arbeit
sichtbar und transparent zu machen, um geschlechtliche Selbstbestimmung zu ermöglichen.
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Geschlechtliche Zusammen_Arbeit
Endnoten
1
2
3
Grundlage für diesen Beitrag bildet meine im August 2020 eingereichte Dissertation, »Care trans_
formieren. Eine ethnografische Studie zu trans und nicht-binärer Sorgearbeit« (Institut für Europäische Ethnologie, Humboldt-Universität zu Berlin). In dem Kapitel »Sorgende Ethnografie und
geschlechtliche Zusammenarbeit« gehe ich ausführlicher auf die methodologischen Fragen ein, die
ich hier nur verkürzt darstellen kann.
Why ist das Pronomen von Kalle. Es werden eine Vielzahl von Pronomen von trans und nicht-binären Personen verwendet die Normen der Zweigeschlechtlichkeit in Frage stellen und gängige
Sprachpraxen irritieren.
Dies ist allerdings nicht passiert und hat mich sicherlich vor einigen Konflikten bewahrt.
Literatur
Appenroth, Max Nicolai/María do Mar Castro Varela (Hg.) (2019): Trans & Care. Trans Personen zwischen Selbstsorge, Fürsorge und Versorgung. Bielefeld.
Ahmed, Sara (2017): Feministisch leben! Manifest für Spaßverderberinnen. Münster.
Browne, Kath/Catherine J. Nash (Hg.) (2010): Queer Methods and Methodologies. Intersecting Queer
Theories and Social Science Research. Farnham, Surrey.
Davis, Dána-Ain/Christa Craven (2016): Feminist ethnography. Thinking through methodologies, challenges, and possibilities. Lanham u.a.
Marcus, George E. (2008): Collaborative Options and Pedagogical Experiment in Anthropological Research on Experts and Policy Processes. New York.
Seeck, Francis (2017): Recht auf Trauer. Bestattungen aus machtkritischer Perspektive. Münster.
Seeck, Francis (2020): Care trans_formieren. Eine ethnographische Studie zu trans und nicht-binärer
Sorgearbeit. Unveröffentlichte Dissertation, Institut für Europäische Ethnologie, Humboldt-Universität zu Berlin.
Seeck, Francis/Sannik Ben Dehler (2019): Trans Communities of Care − Eine kollaborative Reflektion
von kollektiven trans Care Praktiken. In: Max Appenroth/María do Mar Castro Varela (Hg.): Trans &
Care. Trans Personen zwischen Selbstsorge, Fürsorge und Versorgung. Bielefeld, 255−270.
Seeck, Francis/Brigitte Theißl (Hg.) (2020): Solidarisch gegen Klassismus. Organisieren, intervenieren,
umverteilen. Münster.
Sekuler, Todd (2018): Un/Certain Care: From a Diagnostic to a Somatechnic Regime of Care for Medical
Transition in Public Hospitals in France. Doctoral dissertation, Humboldt-Universität zu Berlin.
Spade, Dean (2011): Normal Life: Administrative Violence, Critical Trans Politics, and the Limits of Law.
Brooklyn.
Thajib, Ferdiansyah u.a. (im Erscheinen): Konflikte umsorgen. Queere Praktiken künstlerischer Kollaboration. In: Feministische Studien.
Ward, Jane (2010): Gender Labor: Transmen, Femmes, and the Collective Work of Transgression. In:
Sexualities 13/2: 236−254.
Weston, Kath (1997): Families we choose. Lesbians, gays, kinship. New York.
Wacquant, Loïc (2003): Leben für den Ring. Boxen im amerikanischen Ghetto. Konstanz.
27
Ethnografisch-anthropologische Forschung in, zu
und mit Unternehmen: Skepsis-Spirale
und mögliche Fluchtpfade
Ruzana Liburkina
ABSTRACT: Im Zuge methodologischer Diskussionen zur Zusammenarbeit zwischen Ethnograf*innen und Feld werden Unternehmen für gewöhnlich nicht als potentielle Partner und
Ko-Diskutanten in Betracht gezogen. Ausgehend von einer Beleuchtung der sozialtheoretisch
begründeten und forschungspraktisch verstärkten Gründe für diese Skepsis, fokussiert dieser
Beitrag die Bedingungen für solche Kollaborationsbeziehungen. Dazu werden im ersten Schritt
drei etablierte Formen ethnografischer Forschung erörtert, die sich inmitten privatwirtschaftlicher Kontexte entfalten: eingebettete Ethnografie im Auftrag der Unternehmen selbst, akademisch situierte Organisationsethnografie sowie ethnografisch-anthropologische Untersuchungen von Phänomenen, die das zeitgenössische Zusammenleben und Wirtschaften ordnen. Die
darin sichtbar werdenden methodologischen Besonderheiten und Herausforderungen werden
anschließend am konkreten Beispiel einer multi-stationären ethnografischen Studie in der Lebensmittelbranche diskutiert. Daraus abgeleitete Überlegungen und Vorschläge komplettieren
ein Plädoyer für dezidierte ethnografisch-anthropologische Aufmerksamkeit gegenüber privatwirtschaftlichen Akteuren als ethnografischen Gegenübern und möglichen Forschungspartnern.
SCHLAGWORTE: Unternehmensethnografie; Zusammenarbeit; Privatwirtschaft; ethnografische Methoden; ethnografische Mobilität
ZITIERVORSCHLAG: Liburkina, R. (2021): Ethnografisch-anthropologische Forschung in,
zu und mit Unternehmen: Skepsis-Spirale und mögliche Fluchtpfade. In: Berliner Blätter 83,
29−47.
Einführung
D
ie programmatischen Diskussionen zu Modalitäten, Herausforderungen, Potentialen
und Implikationen ko(l-)laborativen1 sozial- und kulturanthropologischen Forschens
sind derart vielfältig und breit vertreten, dass sie sich zum einen nur schwer vereinfachend
auf einen gemeinsamen Nenner reduzieren lassen und zum anderen immer neue Fragen
aufwerfen (vgl. Rees 2007, Sillitoe 2012, Barry/Born 2013, Terkessidis 2015, Niewöhner
2016 u.v.m.). Eine davon, und zwar diejenige danach, was eine*n Kollaborationspartner*in
als solche*n qualifiziert, ist basal; nichtsdestotrotz oder gerade deshalb wird deren Problematisierung häufig vorweggenommen oder tritt hinter andere, auf Konsequenzen oder
Prinzipien des Forschungsprozesses als solchen abzielende Überlegungen zurück.
DOI: 10.18452/22403 | Creative Commons CC 4.0: BY-NC-SA
Berliner Blätter 83/2021,29–47
Berliner Blätter 1/2020
Ruzana Liburkina
Zuweilen scheint es sogar so, als gebe es im Rahmen akademischer Debatten innerhalb der Sozial- und Kulturanthropologien2 einen Grundkonsens hinsichtlich dessen, wer
die Voraussetzungen für eine Teilnahme am kollaborativen Forschen erfüllt und welche
Zusammenschlüsse und Austauschverhältnisse sinnvoll sind. Kollaboration im Sinne des
Teilens und gemeinsamen Verfolgens politischer und sozialer Ziele, bei der die fundamentale Frage »knowledge for whom?« (Hale 2007, 105) erkenntnisleitend ist, impliziert meist
einen Schulterschluss mit dem Machtlosen (Scheper-Hughes 1995, 420) oder fokussiert das
Widerständige (Warneken 2006). Kollaboration als gemeinsame epistemische Arbeit richtet sich wiederum meist auf Kontexte, »such as public institutions, activist collectives, artistic spaces and laboratories« (Sánchez Criado/Estalella 2018, 1). Douglas R. Holmes und
George E. Marcus nehmen zwar Zentralbanken und Pharmaunternehmen ganz selbstverständlich in die Liste potentieller field sites auf, denen sie das für ethnografische Kollaboration notwendige Ausmaß an reflexivem Wissen und ethnografischer Neugierde zugestehen (2008, 83). Mit Ausnahme einiger Arbeiten aus dem Denkkollektiv (Fleck [1935] 1980)
dieser beiden US-amerikanischen Kulturanthropologen (Deeb/Marcus 2011, Holmes 2016
u.a.) findet die tatsächliche Umsetzung epistemischer Kollaborationen im Rahmen ethnografischer Projekte allerdings nach wie vor vor allem in Settings statt, in denen Design,
Wissensproduktion oder Aktivismus im Mittelpunkt stehen.
Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, einen Schritt jenseits dieses Common Sense zu
wagen und die Erörterung eines Typs von Kollaborationspartnerschaft einzuleiten, welcher
meist aus dem Kern der Debatten rund um das Wie der Zusammenarbeit ausgeklammert
bleibt: das Forschen in, zu und mit Unternehmen. Die Gründe für die Vernachlässigung
sind zahlreich und scheinen teils auf der Hand zu liegen. Das stellt jedoch bei weitem kein
Hindernis dafür dar, sie dezidiert aufzugreifen und konstruktiv zu diskutieren.
Der Kollaborationsbegriff, auf den ich mich als Hintergrund für die nachfolgende Betrachtung stütze, ist sehr weit gefasst und wesentlich unspezifischer als die einzelnen systematischen Auslegungen dieses Konzepts (vgl. u.a. Holmes/Marcus 2008, Niewöhner
2016, Sánchez Criado/Estalella 2018). Im Grunde schließt er zunächst keine der von Jörg
Niewöhner zusammenfassend aufgeführten Praktiken der Zusammenarbeit aus: »[o]rganising category and boundary work, representation, problematisation and intervention,
analysis and interpretation« (2016, 5), ohne sich primär auf einige davon zu konzentrieren.
Um genau zu sein, widmet sich dieser Beitrag der Frage danach, welche Formen die Begegnung und der Austausch mit einem offenbar unliebsamen Gegenüber annehmen können
und sollen. Statt einen von vornherein klar umrissenen Kollaborationsbegriff am Beispiel
privatwirtschaftlicher Organisationen zu diskutieren, nehme ich dafür bereits etablierte
Typen von Forschungszugängen in den Blick. Auf diese Weise lassen sich Schlüsse dazu
ziehen, welche Dynamiken die epistemische Interaktion zwischen Ethnograf*innen und
Unternehmen auszeichnen und welche Erkenntnisse sich aus solchen Interaktionen ergeben. Da jene Forschungszugänge an sich vergleichsweise selten und mit diversen Hürden
verbunden sind, ist eine solche Betrachtung die notwendige Voraussetzung für jegliche
weitergehenden Überlegungen und Anstrengungen, die der Gestaltung ethnografischer
Kollaborationen mit privatwirtschaftlichen Akteuren gelten.
Angetrieben ist dieses Anliegen unter anderem von den eigenen Feldforschungserfahrungen, die ich beim ethnografischen ›Rückwärtsverfolgen‹ zweier Getreidelieferketten
von Konsum, über Distribution und Verarbeitung hin zur landwirtschaftlichen Produktion
gesammelt habe. Dabei habe ich zwischen März 2016 und März 2018 jeweils anderthalb bis
zwei Monate an insgesamt acht sites verbracht, von denen sechs privatwirtschaftlich und
zwei gemeinnützig organisierte Unternehmen waren. Mit dem übergreifenden Erkenntnis-
30
Ethnografisch-anthropologische Forschung in, zu und mit Unternehmen
interesse, Wissen um Betriebs- und Managementalltage in ein analytisch produktives Verhältnis zu Forderungen nach und Bemühungen um nachhaltige Transformationen der Lebensmittelproduktion und -distribution zu setzen, trat ich eine Form der Zusammenarbeit
mit diesen Organisationen aus der Lebensmittelbranche an. Meine Rolle als Ethnografin
verstand und verstehe ich dabei in Anlehnung an David A. Westbrooks Charakterisierung:
»[...] she engages in conversations, some long, many short [...]. As she gains the confidence of her interlocutors, she learns their views of the world, of how they achieved
their positions, of what they claim, hope for, and fear; she analyzes and then synthesizes what she has learned, charts the situation determined by these points [...]«.
(2008, 76)
So war ich nicht nur essentiell auf ein grundsätzliches Interesse der Akteur*innen im Feld
an meinem Vorhaben angewiesen, sondern auch bestrebt, inhaltliche Austausch- und Reflexionsprozesse anzustoßen. Die Herausforderungen und Einsichten, die sich dabei formierten, haben mich dazu bewogen, die Voraussetzungen, Bedingungen und Implikationen dieser Art von Zusammenarbeit explizit unter die Lupe zu nehmen.
Gleich zu Beginn werde ich der Skepsis auf den Grund gehen, die darin resultiert, dass
das Agieren privatwirtschaftlicher Organisationen häufig eher pauschal thematisiert und
analytisch ge-blackboxed wird. Ursächlich dafür, so die hier vertretene These, sind einerseits fachhistorisch und sozialtheoretisch fest etablierte Interpretationsschemata. Andererseits spielen auch handfeste forschungspraktische Spezifika und Hürden eine wichtige Rolle. In Anerkennung des gravierenden Ausmaßes dieser Barrieren werde ich anschließend
nichtsdestotrotz hartnäckig auf die Potentiale des Forschens in, zu und mit Unternehmen
beharren. So argumentiere ich, dass viele Fragen und Probleme, die anthropologische Forschungsinteressen antreiben und definieren, in einem grundlegenden Maße von Akteuren und Netzwerken mit bedingt und gestaltet werden, die in der Privatwirtschaft verortet
sind. Um Möglichkeiten und Grenzen der Forschungszusammenarbeit mit Unternehmen
auszuloten, werde ich auf drei etablierte Formen ethnografischen Arbeitens in und zu Kontexten des Geschäftlichen eingehen: (1) eingebettete Corporate Ethnography beziehungsweise Business Anthropology im Auftrag der Unternehmen selbst, (2) akademisch situierte
Organisationsethnografie sowie (3) ethnografisch-anthropologische Untersuchungen von
Phänomenen, die das zeitgenössische Zusammenleben und Wirtschaften ordnen. Unter
Berücksichtigung der jeweiligen Vor- und Nachteile wird schließlich eine mögliche forschungspraktische und epistemische Strategie zur Diskussion gestellt, die über das Potential verfügt, die eingangs vorgestellte Skepsis-Spirale zu durchbrechen. Diese gründet auf
offenen Problematisierungen, Flexibilität und Intensität der Erhebungspraxis und einem
hohen Grad an Mobilität. Diese methodologischen Vorschläge komplettieren ein Plädoyer
für dezidierte ethnografisch-anthropologische Aufmerksamkeit gegenüber privatwirtschaftlichen Akteuren als ethnografischen Gegenübern und möglichen Forschungspartnern.
Anthropologie und Privatwirtschaft:
Ein genealogischer Blick auf die Skepsis-Spirale
Die Skepsis sozial- und kulturwissenschaftlicher Forschung gegenüber privatwirtschaftlichen Akteuren und Organisationen ist tief verankert. Schon in seiner Vorlesungsreihe
zur Soziologie der Moral, die Émile Durkheim Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts
31
Ruzana Liburkina
in Frankreich hielt, charakterisierte einer der Urväter der Sozialtheorien das Unternehmertum als »einen ganzen Bereich kollektiven Handelns, der außerhalb der Moral steht«
(Durkheim [1937] 1999, 21). Obgleich sein Schüler und Neffe, Marcel Mauss, die bis zum
heutigen Tag weitgehend unumstrittene Annahme etablierte, dass Praktiken des Wirtschaftens durchaus eng mit Moral und sozialen Beziehungen verknüpft sind (Mauss [1924]
1990), führten dessen Erkenntnisse vor allem zur Entfaltung des Potentials der Kritik an
der marktwirtschaftlichen Gesellschaftsordnung, welche sich unter anderem in der substantivistischen wirtschaftsanthropologischen Denktradition institutionalisierte. Letzterer
verdanken wir eine Kontingenzperspektive, die auch aktuell noch die Grundprämissen
vieler Forschungsvorhaben stellt. Der Kern ethnografisch-anthropologischer Forschung zu
Fragestellungen mit explizitem Bezug zum Ökonomischen ist dabei vor allem an der Peripherie beziehungsweise im Kontrastbereich der Felder, Akteurstypen und Organisationen
angesiedelt, die das Mainstream der Privatwirtschaft nach westlich-neoliberalem Modell
bilden (vgl. u.a. Tsing 2015, Guyer 2004, Gudeman/Hann 2015, Maurer 2005, Yanagisako
2002). Dieser Umstand ist alles in allem äußerst fruchtbar und steht im Einklang mit der
anti-universalistischen, differenz-affirmativen Agenda, die die Funktion einer der wichtigsten Quellen von Erkenntnispotentialen innerhalb der Disziplin erfüllt.
Zugespitzt lässt sich behaupten, dass die Hinwendung zum Establishment marktwirtschaftlicher Praktiken vor dem Hintergrund des Selbstverständnisses ethnografisch-anthropologischer Forschung aus zweierlei Gründen nur als bedingt produktiv und nicht unproblematisch anmuten kann. Zum einen scheinen die Prinzipien und Maximen, auf die
sich das Agieren entsprechender Akteure stützt, aus sozialtheoretischer Sicht bereits erschöpfend thematisiert worden zu sein: Allzu einfach lassen sie sich unter den Schlagworten Gewinnmaximierungsstreben, Rationalisierung, Wertschöpfung durch Produktion von
Ausschluss- und Ausbeutungsmechanismen sowie Inkorporierung von Kritik zusammenfassen (Marx [1867] 2013, Weber [1920] 2010, Boltanski/Chiapello 2005 u.v.m.). Das Bejahen einer solchen Einschätzung erschwert wiederum das Einnehmen einer ethnografischen
Perspektive auf das Geschäftliche, denn jene setzt nicht nur ein Naivitäts- und Befremdungsmoment, sondern auch ein hohes Maß an Involvierung, Empathie und Beziehungspflege vonseiten der Forschenden voraus.
Zum Selbstverständnis der Anthropologie als einer kritischen Disziplin (vgl. Fassin
2017), das den skeptischen Umgang mit der Privatwirtschaft als Feld prägt, kommt ein weiterer fundamentaler Anspruch hinzu: das im Fach vordergründige Streben nach Erkenntnissen hinsichtlich der Konstitution und Veränderung grundlegender Bedingungen, die
das Menschsein prägen (vgl. Rabinow 2008). ›Business as usual‹ verfügt meist über kein
transformatives oder kreatives Potential, das eine dezidierte empirische Aufmerksamkeit
der skizzierten kritischen Grundhaltung zum Trotz rechtfertigen beziehungsweise erforderlich machen würde. Es reproduziert vielmehr die bestehende Sozialordnung und
markiert nur in sehr spezifischen Feldern und Konstellationen3 Verschiebungen oder ist
signifikant für die Entstehung neuer Rahmenbedingungen und Wahrheitsansprüche. Die
elementaren Fragen nach dem Wie menschlichen Zusammenlebens lassen sich demnach
scheinbar meist deutlich produktiver in anderen empirischen Kontexten beantworten.
Neben erkenntnisspezifischen Nachteilen und Problemlagen, die gegen das ethnografisch-anthropologische Forschen zu und mit marktwirtschaftlichen Akteuren sprechen können, gibt es in der Tat auch recht pragmatische Gründe, die es an dieser Stelle aufzuführen
lohnt. So sind privatwirtschaftliche Kontexte bei weitem nicht leicht zugänglich. Unternehmen gewähren ungern Einblicke, Ansprechpersonen sind allzu oft kurz angebunden, die
Forschenden werden auf Distanz gehalten. Im Zuge der Erarbeitung von Feldzugängen im
32
Ethnografisch-anthropologische Forschung in, zu und mit Unternehmen
Rahmen meiner multi-stationären Forschung habe ich unzählige erfolglose Versuche der
Kontaktaufnahme geleistet, die mal hartnäckig ignoriert, mal unfreundlich abgewiesen,
mal absurd häufig weitergeleitet und mal in monatelangem Nachhaken mündeten. Wo Geheimhaltung so deutlich im Vordergrund steht, soll auch etwas Unangenehmes verborgen
gehalten werden − so die naheliegende Schlussfolgerung. Tatsächlich trifft hier allerdings
zunächst einfach nur Skepsis auf Skepsis. Praktiken des Geschäftlichen richten sich unter
anderem auf die Konstitution und Aufrechterhaltung von Systemgrenzen (Baecker 1999);
eine detaillierte Innenperspektive erscheint aus Unternehmenslogik daher überflüssig
oder sogar abwegig, wenn die Zielsetzung des entsprechenden Vorhabens sich auf Fragen beruft, die auf Problemlagen in der Umwelt des Unternehmens oder gar außerhalb des
Wirtschaftssystems verweisen.
Auch mein Zugang zum Feld war vor allem durch die Notwendigkeit bestimmt, die Verbindungslinien zwischen dem Interesse an Unternehmensalltagen und der eigentlichen
Problematisierung zu legitimieren: Inwiefern ist es sinnvoll, sich zeitintensiv und teilnehmend beobachtend Betriebs-, Planungs- und Verhandlungsroutinen zu widmen, wenn es
eigentlich darum gehen soll, wie Ernährungssysteme nachhaltiger gestaltet werden können? Diese Frage lässt sich generalisiert auch in anderen thematischen Untersuchungskontexten formulieren, und zwar nicht nur aus Sicht potentiell Beforschter: Welchen Mehrwert an Verständnis im Hinblick auf übergreifende Fragestellungen vermögen Einblicke in
»codes of ›business‹« (Arnould u.a. 2012, 253) zu bieten? Lohnt es sich, dafür die Überwindung der auf wechselseitiger Skepsis gründenden Hemmschwellen auf sich zu nehmen?
Ist es in solchen Fällen zielführend, einen Modus der Zusammenarbeit und des Dialogs mit
Unternehmen zu initiieren? Und schließlich: Was setzt eine solche Zusammenarbeit voraus
und was verspricht sie? Mögliche Antworten darauf zu finden, ist Gegenstand nachfolgender Erörterungen.
Ein Plädoyer
Die Probleme, mit denen zeitgenössische ethnografisch-anthropologische Forschung konfrontiert ist und zu deren Definition sie einen Beitrag leistet, sind zunehmend von einem hohen Grad an Komplexität gekennzeichnet. Spätestens seit der Veröffentlichung von George
Marcusʼ (1995) berühmtem Essay zum Ansatz der multi-sited ethnography gilt die räumliche
Verteilung anthropologischer Forschungsgegenstände als eine unbestrittene Herausforderung, die adäquater methodischer Werkzeuge bedarf, um analytisch greifbar zu werden.
Anknüpfend an die poststrukturalistische Denktradition in der Philosophie bieten darüber
hinaus Begriffe wie assemblage (De Landa 2006), Akteur-Netzwerk (Latour 2005) und agencement (Callon 2008) grundlegende konzeptuelle Rahmen, um das Zusammenspiel diverser Elemente und die Qualität sowie die Implikationen ihrer praktischen Verbindungen
anzuvisieren. Grenzziehungen rücken im Rahmen vieler sozialwissenschaftlicher Diskussionen der letzten 30 Jahre eher als Forschungsgegenstand in den Mittelpunkt des Interesses (vgl. Wilson/Donnan 2012, Hess/Kasparek 2010), statt, wie häufig im 20. Jahrhundert,
ein integraler Bestandteil der Erkenntnisstrategie selbst zu sein. Umso verwunderlicher ist
der forschungspraktische Umgang mit marktwirtschaftlichen Praktiken, den viele ethnografisch-anthropologische Arbeiten aufweisen. Auch wenn privatwirtschaftliches Agieren
oftmals eine entscheidende Rolle für die Konstitution der formulierten und untersuchten
Problemstellungen spielt, wird es − wohl nicht zuletzt aufgrund der bereits thematisierten wohlbegründeten skeptischen Haltung und eingeschränkten empirischen Zugäng-
33
Ruzana Liburkina
lichkeit − als ursächlicher Faktor oder als Rahmenbedingung vorausgesetzt und somit als
Blackbox außerhalb der Reichweite des tatsächlichen analytischen Erkenntnisinteresses
positioniert.4 Es gibt allerdings durchaus auch Gegenbeispiele, die die Potentiale solcher
Einblicke offenbaren (vgl. z.B. Moeran 1996, Lien 1997, Cross 2014, Welker 2014).5 Diese
zeigen, dass sich die dezidierte ethnografische Aufmerksamkeit gegenüber unternehmerischen Praktiken einerseits und die Zeichnung paradigmatischer Portraits von zeitgenössischen Bedingungen und Modalitäten des Mensch-Seins andererseits nicht wechselseitig
ausschließen. Im Gegenteil: Das analytische Ernstnehmen von Alltagen, Handlungsbedingungen, Perspektiven und Narrativen im Feld der Privatwirtschaft trägt dazu bei, größere
Zusammenhänge und fundamentale Fragen nach dem Wesen von Moral, Legitimität und
Macht mit größerer Tiefenschärfe zu erfassen. Ulf Hannerz formulierte es treffend, als er
diese Position auf eine präzise Stellungnahme zuspitzte: »I see anthropology as a study of
all human life, and business is in these times a central part of that.« (Arnould u.a. 2012, 254).
Setzen wir es uns zum Ziel, über Grenzen postulierter gesellschaftlicher Felder hinweg
Erkenntnisgewinne zu generieren und konsequent der Relevanz der Relationen im Feld
zu folgen, muss die Auseinandersetzung mit business Eingang in ethnografisch-anthropologische Forschungsdesigns finden. Diese muss sich dabei nicht auf die Durchführung
punktueller Expert*innen-Interviews beschränken, die auf Einstellungen und Faktenwissen einzelner Personen abzielen. Vielmehr sollten Zugänge gefunden werden, die im weitesten Sinne kollaborativ sind und die Konstitution des Möglichen und Unmöglichen für
unternehmerisches Agieren als Untersuchungsgegenstand ernst- und gemeinsam mit dem
Feld in den Blick nehmen:
»[...C]o-laborative anthropology addresses its former informants differently. They
are not experts in the sense of keepers of specialised knowledges and they are not
naïve experts of their own everyday lives. They are able to reflect about how their own
lives are cut by different worldings. In this way, they are experts and good to think
with about which worldings are significant worldings of the contemporary and how.
Importantly, this does not privilege their analysis and interpretation as was often the
case in the ethically motivated ›giving voice‹ type of collaboration. Rather their analysis and interpretation of the world is being juxtaposed or diffracted in co-laboration
with the researchers’ terms and positions.« (Niewöhner 2016, 15)
Um diese Ebene der Zusammenarbeit zu erreichen, muss in einem Feld, über dessen Eigenlogiken die Forschende vermeintlich alles Relevante schon im Vorfeld zu wissen vermutet,
umso nachdrücklicher der ethnografischen Offenheit und Aufmerksamkeit für das Selbstverständliche und das Unerwartete Rechnung getragen werden. Auch wenn sie bislang
eher nicht in Kollaborationsbeziehungen im Sinne Niewöhners mündeten, so lohnt es sich
doch, Beispiele für ethnografisch gesättigte Auseinandersetzungen mit privatwirtschaftlichem Agieren näher zu beleuchten, um differenzierte Überlegungen dazu anzustellen, unter welchen Umständen die Skepsis zwischen Ethnograf*in und Feld nicht als unüberwindbare Mauer, sondern als lösbares oder gar produktives Spannungsmoment gelten kann.
Status Quo
Sowohl allgemein im Zusammenhang mit ethnografischer Organisationsforschung (Neyland 2008) als auch in Bezug auf Unternehmen im Speziellen (Peluso 2017) werden Unter-
34
Ethnografisch-anthropologische Forschung in, zu und mit Unternehmen
scheidungen vor allem anhand der Beziehung zwischen Forschenden und der Organisation/den Organisationen vollzogen, auf die sich das analytische Augenmerk richtet. Sie
markieren jeweils unterschiedliche Erwartungshaltungen, Zugangsbedingungen, Positionierungen und methodologische Grundauffassungen. Tatsächlich lässt sich der ansonsten
äußerst heterogene Forschungsstand am sinnvollsten entlang dieser verschiedenen Formen von Beziehungen und Situierungen unterteilen, wenn es nicht etwa um Unterschiede
in theoretischen Vorannahmen und Erkenntnisinteressen, sondern in erster Linie um das
Wie des Forschens zu Praktiken des Geschäftlichen gehen soll. So werden nachfolgend zunächst drei etablierte Beziehungstypen einführend vorgestellt und diskutiert. Schließlich
wird auch ein möglicher Modus der Zusammenarbeit samt notwendigen Voraussetzungen
erörtert, welcher die bereits erwiesenen Potentiale zu mobilisieren und altbekannte Stolpersteine reflektiert zu umgehen versucht.
Forschen für Unternehmen: Corporate Ethnography/Business Anthropology
Forschung im Auftrag von Unternehmen ist heute nicht nur in Form von Fachverbänden
sowie Austauschplattformen, wie etwa der EPIC (Ethnographic Praxis in Industry Conference), institutionalisiert. Längst widmen sich ganze Sammelbände, Journals und Handbücher der Herausarbeitung von Anschlüssen an ›rein‹ akademische Debatten und Problematisierungen (Cefkin 2010 u.a.) und arbeiten die Prämissen und Besonderheiten dieser Art
angewandter Organisationsforschung für Lehrzwecke auf (Neyland 2008 u.a.). Die zentrale
Kritik, die sich an diese Art der Zusammenarbeit mit Unternehmen richtet, ist zwar längst
Teil des reflexiven Prozesses geworden, büßt jedoch nichtsdestotrotz nicht an Wirkmächtigkeit und Vehemenz ein. Der gemeinsame Nenner der Argumentationslinien, die sie konstituieren, lässt sich dabei kurz und bündig zusammenfassen: Die Verpflichtung gegenüber
und Bindung an kommerzielle Interessen gehe mit einer entsprechenden Verschiebung der
übergreifenden Zielsetzung einher. Eingebettete Forschung unterwerfe sich demnach dem
Diktat des entsprechenden Nützlichkeitsverständnisses (vgl. Morean 2014). Wer die Rolle
der Nutznießenden einnimmt, ist hier nicht im Zuge des Forschungsprozesses formbar und
könnte demnach nicht einmal Gegenstand der Konstruktionsleistung der Forschenden werden (vgl. Shove/Rip 2000).
Das wohl prominenteste Beispiel für die Verkörperung der Berührungs- und Reibungspunkte zwischen angewandter und universitärer ethnografisch-anthropologischer Forschung ist die Laufbahn der US-amerikanischen Kulturanthropologin Lucy Suchman. Bevor und während sie zu einer der Schlüsselfiguren anthropologischer Wissenschafts- und
Technikforschung wurde, arbeitete und forschte Suchman zwei Jahrzehnte lang am Xerox
Palo Alto Research Center im Bereich Technologieentwicklung.6 Die Reflexion ihrer Erfahrungen aus jener Zeit bildet das Fundament für ihre treffende Analyse von Besonderheiten,
Herausforderungen und Problematiken, die mit einer Mobilisierung anthropologischen
Wissens für privatwirtschaftliche Interessen einhergehen. Es gelingt Suchman, die oben
bereits erwähnten Bedenken zur Utilitarisierungslogik in weitergehende analytische Überlegungen hinsichtlich Kollaboration zu übersetzen. So sei nicht nur die Forderung nach
einem unmittelbaren praktischen Nutzen an sich, sondern vor allem auch die durch diese
Art von Beziehung zwischen Unternehmen und Forschenden bedingte Dynamik der Wissensproduktion problematisch. Demnach resultiere die Anerkennung und gleichzeitige
Abhängigkeit, mit der die Anthropologin im Rahmen einer solchen Forschungskonstellation konfrontiert ist, leicht in der Versöhnung potentiell unterschiedlicher Erkenntnisinteressen und Wahrheitsansprüche sowie in der Glättung von Differenzen jeglicher Art
35
Ruzana Liburkina
(Suchman 2013, 154f). Diese Eliminierung von Reibung steht Suchman zufolge nicht nur
dem übergeordneten Erkenntnisgewinn im Weg. Sie führe auch zu einer Einbuße an epistemologischen Stärken ethnografisch-anthropologischer Wissensproduktion: Für das Aufzeigen von Kontingenz, das Hinterfragen des im Feld Reifizierten und die Bezugnahme zur
Theoretisierung der Bedingungen menschlicher Existenz bleibe in einem solchen harmonisierten Kollaborationsprozess kaum Raum.
Was Lucy Suchmans avanciert und ausführlich begründete Bedenken neben der offensichtlichen Kritik implizit allerdings auch vermitteln, ist, dass es sich durchaus lohnt,
über eine Zusammenarbeit mit privatwirtschaftlichen Akteuren nachzudenken. Ihre eigene
Arbeit zu Mensch-Technik-Interaktionen etwa zeugt deutlich davon, welchen genuin anthropologischen Mehrwert Forschung in Unternehmenskontexten trotz Einbettung haben
kann (vgl. Suchman 1987). Unternehmen bewegen sich häufig hautnah an Innovationsprozessen beziehungsweise sind gar aktiv an deren Gestaltung oder Implementierung beteiligt. Darüber hinaus ist privatwirtschaftliches Agieren indikativ für eine Vielzahl von zeitgenössischen Phänomenen und Entwicklungen. Wie und mit welchen Mitteln Unternehmen
auf gesellschaftliche, politische, ökologische und regulative Herausforderungen reagieren
und diese mit konstituieren, verrät einiges über die aktuelle Organisation von wirtschaftlichen, politischen und Mensch-Umwelt-Beziehungen. Die Betrachtung von Praktiken und
Strategien in der Privatwirtschaft verspricht daher mitunter grundlegende Einsichten zu
gegenwärtigen Bedingungen menschlichen Zusammenlebens. Forschungspraktische Vorteile eingebetteter Ethnografie können dabei Wege zu wertvollen analytischen Einblicken
ebnen. So haben Forschende, die im Auftrag von Unternehmen arbeiten, einen vergleichsweise niedrigen Legitimationsdruck und verfügen damit über einen unkomplizierten sowie umfassenden Feldzugang. Ferner steht ihnen je nach Vorhaben und Beschäftigungsverhältnis potentiell die seltene Möglichkeit zur Verfügung, eine Langzeitperspektive zu
generieren. In einem aus Kollaborationsperspektive idealen Verhältnis, in dem das von
Suchman thematisierte epistemische Ungleichgewicht zugunsten einer wechselseitigen
Anerkennung von Differenzen begradigt wäre, könnten somit langfristige Entwicklungen
erfasst werden, die von übergeordneter Relevanz sind. Da sich das jedoch nur schwer im
Kanon unternehmerischer Planungs- und Kalkulationspraktiken unterbringen lässt, bleiben diese Potentiale im Zuge von Auftragsforschung zuweilen ungenutzt. Zudem können
formale und rechtliche Rahmenbedingungen je nach Auslegung entscheidende Hürden
für die Veröffentlichung der Ergebnisse und somit für deren Integration in anthropologische Diskussionen darstellen.
Forschen in Unternehmen: Organisationsorientierte Zugänge
Die nähere Auseinandersetzung mit den Potentialen und Herausforderungen eingebetteter Business Anthropology deutet klar auf die Relevanz der institutionellen Verortung der
Forschenden hin. Sowohl die Ausschöpfung fachhistorisch tradierter Erkenntnispotentiale als auch der Bezug zu größeren anthropologischen Fragen scheinen für akademisch situierte Anthropolog*innen deutlich einfacher realisierbar. Dabei ist akademisch situierte
ethnografisch-anthropologische Forschung, die Unternehmen in den Blick nimmt, divers.
Eine der inklusivsten und gleichzeitig gröbsten Möglichkeiten entsprechende Arbeiten zu
unterteilen, kann die Unterscheidung zwischen organisations- und phänomenorientierten
Forschungsvorhaben sein. Dabei sind Erstere primär auf Beziehungen und Strukturen innerhalb privatwirtschaftlicher Organisationen gerichtet und stellen sie ins Verhältnis zu
übergreifenden Fragen.
36
Ethnografisch-anthropologische Forschung in, zu und mit Unternehmen
Die auf das Organisationsgebilde konzentrierten ethnografischen Arbeiten mit akademisch-anthropologischem Anspruch sind im anglophonen Publikationsnexus institutionell
zu einem bedeutenden Teil in anderen Disziplinen beheimatet, wo auch ihre Ursprünge
liegen.7 Im deutschsprachigen Raum ist das anthropologische Ethnografieren in Unternehmen stärker disziplinär verankert und wird unter anderem maßgeblich von der Kommission »Arbeitskulturen« der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde (dgv) geprägt und
vorangetrieben. Dabei widmeten sich etwa Autor*innen, wie Götz Bachmann (2014), Irene
Götz (1997) und Andreas Wittel (1997), in ihren umfangreichen ethnografischen Arbeiten
Alltagsdynamiken innerhalb von Unternehmen. Sie betrachteten diese vor dem Hintergrund von Fragen nach Hierarchien, Identitätsbildung, Werteordnungen und dem Einfluss
bestimmter sozioökonomischer Paradigmen auf die Lebenswelten einzelner Personen und
Kollektive (Götz 2001).
Im Fall von Bachmanns (2014) Ethnografie zur Belegschaftskultur in zwei Filialen einer
Kaufhauskette nahm die Forschung durch sein Engagement im Rahmen der Organisation
einer Gewerkschaftsfortbildungsreihe eine kollaborative Dimension im Sinne einer geteilten politischen Intention (Niewöhner 2016, 10) an. Je nach Forschungsdesign weist das thematisierte Verhältnis zu den Akteur*innen im Feld in diesem Forschungsstrang daneben
aber vor allem auch Merkmale einer der beiden meistthematisierten Beziehungsformen
auf, die das Verhältnis zum Feld charakterisieren − studying up und studying down (Nader
1969, Schwartzman 1993, 27ff). Der Zugang zur Leitungsebene etwa gestalte sich durchaus
schwierig: Die Forschenden berichteten mitunter von Problemen bei der Etablierung einer
ausgewogenen Austauschebene und sahen sich mit einer als unangemessen empfundenen Widerspiegelung der Relevanz ihrer Erkenntnisinteressen konfrontiert (Warneken/
Wittel 1997).8 Dominieren diese Logiken im Umgang mit Entscheidungsträger*innen auf
Weisen, die inhaltliche Interessen in den Hintergrund treten lassen, bleibt wenig Raum für
gemeinsame Denk- und Reflexionsprozesse. Die forschende Person riskiert dann, sich in
einer Lage wiederzufinden, aus der heraus sie sich im Austausch gegebenenfalls eher mit
diversen Ausprägungen der »Angst vor dem Feld« (Lindner 1981, Warneken/Wittel 1997)
und deren Implikationen auseinandersetzen muss, als sich inhaltlichen und epistemischen
Fragen zu widmen.
Forschen zu Unternehmen: Phänomenorientierte Zugänge
Ethnografisch-anthropologische Forschung, die privatwirtschaftliches Agieren im Zuge
der Untersuchung übergreifender Phänomene und Entwicklungen fokussiert, ist aufgrund
deren Problematisierungs- und Erhebungslogik resistenter gegenüber hierarchischen Beziehungsdynamiken. Hier nehmen die Forschungsfragen und -schritte nicht organisationinterne Dynamiken, sondern zeitgenössische Formen und Ausprägungen menschlichen
Zusammenlebens und Wirtschaftens zum Ausgangpunkt. So gehen sie a priori über den
Rahmen einer einzelnen Organisation beziehungsweise Organisationsgruppe hinaus. Damit steht das Verhältnis zu den dabei empirisch beleuchteten Unternehmen nicht zwingenderweise im Mittelpunkt des Forschungsprozesses. Nichtsdestotrotz zieht die Orientierung an weiter gefassten Fragestellungen selbstverständlich auch eine spezifische Art der
Positionierung und Vorgehensweise der Forschenden nach sich. Diese lässt sich in meinen
Augen als ein Konglomerat aus epistemischer und persönlicher Distanzierung einerseits
und analytischer Sorgfalt andererseits beschreiben. So verpflichtet die unmittelbare Relevanz privatwirtschaftlicher Netzwerke und Strategien im Idealfall zur ethnografischen
Aufmerksamkeit. Gleichzeitig ermöglicht der breit aufgestellte Fokus der Forschenden
37
Ruzana Liburkina
Abgrenzungs- und Reflexionsschritte und bietet daher epistemische Rückzugsmöglichkeiten.
Wie sich eine solche Positionierung konkret äußert, wie produktiv entsprechende Arbeiten werden können und in welcher Weise sie empirische Einblicke in das Agieren von
Unternehmen einbeziehen, zeigte sich zuerst besonders prominent an Kim Fortuns Forschung zur Katastrophe von Bhopal. Fortun ging es dabei um nichts Geringeres als darum,
mittels der Analyse des Umgangs mit dem Desaster die Entstehung neuer Diskurse zu greifen, welche darauf aus sind, »to position people, nations, and corporations within the New
World Order« (2001, 15f). Dabei mobilisierte sie unter anderem Sekundärdaten aus Presseerklärungen, Sitzungsprotokollen und eigens durchgeführten Gesprächen mit Expert*innen, um die Verflechtung zwischen der Bhopal-Katastrophe − ihren Ursachen sowie ihren
Folgen − mit der Entwicklungsgeschichte eines Unternehmens und dessen Positionierung
innerhalb globaler Marktwirtschaft analytisch präzise aufzuschlüsseln. Obgleich die politische Intention in diesem Fall klar und eindeutig von derjenigen abwich, die die Union
Carbide Corporation (UCC) antrieb, und auch keine ethnografischen Forschungsaufenthalte innerhalb des Unternehmens stattgefunden haben, gelang es der US-amerikanischen
Kulturanthropologin dennoch, die Blackbox Unternehmen ein bedeutendes Stück weit für
anthropologisches Wissen zu öffnen. So klammerte sie das Agieren von UCC nicht aus der
Analyse aus, indem sie es ausschließlich auf Kalkül, Ausbeutung und Verlustminimierung
reduzierte. Vielmehr spürt Fortuns Arbeit auf sorgfältige Art und Weise den vielschichtigen Bezügen nach, die die Strategien und Reaktionen von UCC zu globalen sowie lokal
situierten Entwicklungen, Beziehungsgeflechten und Diskursen aufweisen.9
Ethnografisch näher an den Alltagen in privatwirtschaftlichen Organisationen und
gleichzeitig eine ähnliche epistemische Richtung wie Fortun einschlagend sind etwa die
Studien von Dinah Rajak (2011) und Marina Welker (2014). Beide nahmen Corporate Social Responsibility (CSR) und die praktischen Auswirkungen dieser zeitgenössischen Kopplungsform von Markt und Ethik jeweils am Bespiel eines Rohstoffkonzerns unter die Lupe.
Dabei bieten diese Werke nicht nur Einblicke darin, wie CSR als globale Form die Beziehung von Unternehmen zu ihren Umwelten ordnet. Diese Ethnografien zeichnen auch empirisch nach, wie CSR Einfluss auf Arbeitswelten und -bedingungen nimmt. Das Buch Down
and Out in the New Economy: How People Find (or Don’t Find) Work Today von Ilana Gershon (2017) nimmt seinerseits den gegenwärtigen Wandel von Arbeitsmärkten, Beschäftigungsstrategien und Taktiken der Arbeitssuche zum Anlass, um den Leser*innen analytisch
gehaltvolle Einblicke in privatwirtschaftliches Agieren zu gewähren. Hannah Appel (2019)
wiederum verwirklichte zuletzt den Anspruch, ähnlich dichte ethnografische Einblicke aus
der extraktivistischen Mitte der vorherrschenden Wirtschaftsordnung zu einer zeitdiagnostischen Analyse der Legitimierung und Aufrechterhaltung des Kapitalismus als solchen zusammenzufügen.
Diese sowie andere, vergleichbar konzipierte Arbeiten scheuen nicht die intensive und
unmittelbare ethnografische Auseinandersetzung mit den Praktiken, Ideen und Infrastrukturen, die privatwirtschaftliches Agieren konstituieren. Gleichzeitig stellen sie bei weitem
keine Sympathiebekundungen gegenüber den jeweils in den Forschungsfokus gerückten
Unternehmen dar. Vielmehr wird dadurch Wissen generiert, das die epistemischen Spielräume für Kritik im entscheidenden Maße aufrechterhalten und erweitert. Durch das akademisch begründete, weitreichende und fundamental kapitalismuskritische Erkenntnisinteresse kann dabei nicht von einem Risiko einer Adaption an die Logiken der Industrie
die Rede sein. Im Gegensatz zu organisationsorientierten akademisch situierten Arbeiten,
entgehen solche phänomenorientierten Studien zudem auch dem vollen Gewicht der Kon-
38
Ethnografisch-anthropologische Forschung in, zu und mit Unternehmen
sequenzen potentieller Überheblichkeit und inhaltlichen Desinteresses gegenüber der
Ethnografin.
Die hochinteressanten Schilderungen zum Feldzugang, der Positionierung und dem
Beziehungsgeflecht der Ethnograf*in, die eher verstreut Eingang in diese Ethnografien finden, regen zur systematischen methodologischen Reflexion an. Wie lässt sich Kritik mit
der Offenheit ethnografischer Wissensproduktion vereinbaren? In welchen Konstellationen können Informant*innen zu dialogischen Gesprächspartner*innen werden? Wie lassen sich ethnografische Begegnungen in und außerhalb von Organisationen navigieren?
Die Diskussion dieser Fragen ist zentral, um Möglichkeiten und Grenzen epistemischer
Zusammenarbeit mit Unternehmen auszuloten. Um dies an einem konkreten Beispiel umzusetzen, greife ich im Folgenden auf meine eigenen Forschungserfahrungen im Feld der
Lebensmittelproduktion und des Lebensmittelhandels zurück.
Forschen in, zu und mit Unternehmen?
Die vorangegangenen Ausführungen verdeutlichen, wie verzwickt Privatwirtschaft als Feld
sein kann, wenn es darum geht, über konstruktive Formen von Feldzugang, analytischer
Erkenntnis, Austausch und Kollaboration nachzudenken. Die Herausforderungen, denen
forschungspraktisch und epistemisch zu begegnen ist, sind divers. Alles in allem gilt es,
1| hinreichend tiefgehende und dichte empirische Zugänge umzusetzen sowie
2| Harmonisierungs- oder gar Abhängigkeitsverhältnisse zu vermeiden, indem
3| eine Zusammenarbeit mit anthropologisch gewinnbringenden inhaltlichen und analytischen Implikationen etabliert wird.
Obwohl ich diese eng miteinander verflochtenen Prinzipien im Zuge meiner Feldforschung
nie habe durchgehend und gleichzeitig einhalten können, hat mich die ethnografische Arbeit in sechs privatwirtschaftlichen und zwei gemeinnützigen Unternehmenskontexten in
der Lebensmittelbranche doch einiges darüber gelehrt, mit welchen konkreten Hindernissen und Problemen zu rechnen ist und wie mit ihnen umgegangen werden kann.
Eine einfache und doch basale Einsicht, die ich hatte, bestand darin, dass die An- oder
Abwesenheit einer ökonomischen Gewinnabsicht nicht maßgeblich für die Gestaltung des
Forschungs- und Austauschprozesses ist. So hatte ich in den beiden gemeinnützigen Organisationskontexten (»gGmbH« auf Landwirtschafts- und »e.V.« auf Gastronomieebene)
nicht mehr oder weniger Probleme dabei, Vertrauen aufzubauen und das Format der ethnografischen Erhebung mit den betrieblichen Logiken zu vereinbaren. In allen acht Settings
etwa waren Mitarbeiter*innen teilweise unsicher ob meiner Loyalitäten und Äußerungen
gegenüber ihren Vorgesetzten. Führungskräfte ihrerseits waren rechtsformunabhängig
vor allem um den potentiellen Verdruss der Beschäftigten über meine hartnäckige Präsenz
und/oder das unerwartete Auftreten betriebsinterner, vor Außenstehenden im Normalfall
zu verbergender Krisen besorgt. Relativieren konnte ich diese Bedenken neben dem Verweis auf meine institutionelle Zugehörigkeit vor allem, indem ich mein übergreifendes,
nicht unternehmensspezifisches Erkenntnisinteresse präsent hielt. So wurde ich es bei entsprechenden Anlässen nicht leid, an meine Forschungsfragen und den entsprechenden Bezugsrahmen der Nachhaltigkeits- und Transformationsforschung zu erinnern. Das Fehlen
einer Fragestellung, die sich auf eine einzelne Organisation bezog, schaffte Vertrauen und
bestärkte meinen Status als »Lieferkettenforscherin«, »Nachhaltigkeitsstudentin« oder die,
die am »Faktor Mensch im Lebensmittelhandel« interessiert war. Mein Status einer Person,
39
Ruzana Liburkina
die potentiell Unangenehmes enthüllen könnte, verlor damit an Aktualitätswert. Die Befürchtung, ich könnte ein Störfaktor sein, räumte ich wiederum in den meisten Fällen durch
einen respektvollen und flexiblen Umgang mit dem Grad der Arbeitsauslastung einzelner
Mitarbeiter*innen aus dem Weg. Damit wurde die Skepsis gegenüber der unternehmensexternen Ethnografin und ihrer Agenda über Wege und Mittel nivelliert, die wenig spezifisch und in jedem ethnografischen Forschungsfeld als selbstverständlich gelten würden.
Waren die aufwendige Überzeugungs- und Verhandlungsphase in Telefonaten und teilweise mehrstufigen Vorstellungsgesprächen abgeschlossen und der Zugang zu einem Unternehmen einmal ausgehandelt, standen einer umfangreichen ethnografischen Erhebung
prinzipiell keine außergewöhnlichen, neuartigen Schwierigkeiten mehr im Wege.
Trotz der erfolgten Aushandlungsarbeit sowie vergleichsweise tief in die Unternehmensalltage reichenden Herangehensweise, entging ich meiner Einschätzung nach einer epistemischen Harmonisierung. Das lag allerdings nicht allein in meiner akademischen Situierung begründet. Ebenfalls von großer Bedeutung war die Intensität des Zugangs zu jedem
einzelnen Unternehmenskontext in Relation zum Forschungsdesign im Ganzen: Der zeitliche Rahmen und die Zielsetzung, zwei Lieferstränge komplett zu ›durchlaufen‹, erlaubten
es mir nicht, mich länger als zwei Monate an einer ›Station‹ der Feldforschung aufzuhalten.
So war ich an drei von vier Etappen gezwungen, schon kurz nach Antritt eines Feldaufenthaltes potentiell nächste Projektpartner unter den jeweiligen Lieferanten ausfindig zu
machen, mich über sie zu informieren und die Beziehungs- und Überzeugungsarbeit von
neuem aufzunehmen. Dieser Umstand war zwar ohne Zweifel nicht unproblematisch und
durchaus kritikwürdig, denn er hielt mich teilweise davon ab, meine Aufmerksamkeit ganz
auf das Hier und Jetzt im jeweils aktuellen Organisationskontext zu richten, und brachte
somit die Gefahr eines »flat hanging out« (Beck/Wittel 2000, 223) mit sich. Er ließ allerdings
stets die Eingebundenheit jeder der einzelnen sites in ein Netz von Handelsbeziehungen
und Marktkonstellationen (vgl. ebd.) sichtbar bleiben. Darüber hinaus multiplizierte dieser oftmals nervenaufreibende und logistisch aufwendige site-Wechsel die Rechenschaftspflichten, die ich einging, und relativierte sie damit auch. Trotz der Verbundenheit und
Dankbarkeit, die ich gegenüber Menschen in jeder der acht Organisationen für ihr Vertrauen und ihre Unterstützung empfand und immer empfinden werde, entging ich damit
zwangsläufig jeglicher Art von einseitiger Abhängigkeit. Auch für die Vertreter*innen der
Unternehmen war dies meist offensichtlich, denn diese hatten mitunter in der Funktion
einer liaison10 aktiv dabei mitgewirkt, mein Anliegen an ihre Lieferanten zu vermitteln, die
meine künftigen Projektpartner werden sollten. So war es in diesem Fall letztlich Mobilität zwischen mehreren privatwirtschaftlichen sites, die den Einfluss partikularer Positionierungen, Zuschreibungen und Erwartungen auf den Forschungsprozess minimierte. Dies
impliziert keinesfalls, dass ethnografische Forschung in der Privatwirtschaft nach multiplen
Unternehmenskontexten verlangt, um dem Risiko zu entgehen, für bestimmte Sichtweisen
oder Zwecke vereinnahmt zu werden. Jegliche Art der »umfassende[n] Mobilität[... −] in
Forschungsfeldern, im Datenmaterial, zwischen Material, Literatur und Fragestellung, zwischen Informanten und Kollegen-Kreis« (Hirschauer 2008, 176) − fördert und hält die dafür
notwendige Reflexivität der Forschenden aufrecht (auch zit. nach Niewöhner 2016).
Stellen sich die hier erörterten Fragen nach der Tiefe und Intensität des Feldzugangs
sowie nach Möglichkeiten der Vermeidung einer epistemischen Harmonisierung, ist davon auszugehen, dass der entscheidende Grundstein für ein Kollaborationsverhältnis zwischen Ethnograf*in und Unternehmen bereits gelegt ist. Die erste und hohe Hürde des
Feldzugangs kann im dezidiert auf Verschlossenheit ausgelegten Kontext des Geschäftlichen nämlich nur dann überwunden werden, wenn grundsätzlich Interesse an der Fra-
40
Ethnografisch-anthropologische Forschung in, zu und mit Unternehmen
gestellung und/oder der Herangehensweise der Forschenden besteht. Dabei begegnete
ich in meinem Fall zum Teil der Artikulation einer vordergründigen Neugierde bezüglich
der Methodologie, die den Austausch über die Erkenntnisinteressen im Rahmen des Promotionsvorhabens zuweilen nebensächlich werden ließ.11 Dies äußerte sich in der deutlich
kommunizierten Erwartung von Einsichten hinsichtlich des Mehrwerts ethnografischer
Einblicke. Tatsächlich war es der so häufig thematisierte und berechtigterweise kritisierte
Zwang zum Aufzeigen eines direkt greifbaren Nutzens, der auch in solchen Konstellationen zum Tragen kam. Da Zeitressourcen in Unternehmen fest an finanzielle Ressourcen
gekoppelt sind und die Generierung ethnografischen Wissens unweigerlich Arbeitszeit
von Führungskräften wie auch Mitarbeitenden bindet, kommen auch akademisch situierte
Forschende kaum um die Konfrontation mit dieser Logik herum. Bei einem offenen und
wohl begründeten Forschungsinteresse ist es allerdings durchaus möglich, diese Tendenz
keine Überhand im Erkenntnisprozess nehmen zu lassen. Der Weg, den ich dazu einschlug,
war, die Antworten auf Fragen nach dem unmittelbaren Nutzen meiner Präsenz in klar abgrenzbare Erhebungseinheiten auszugliedern, die explizit darauf ausgelegt waren. So habe
ich etwa Interviews zu möglichen Ursachen für eine Verschlechterung des Betriebsklimas
sowie Beobachtungen und Gespräche zu Gestaltungsspielräumen von Verantwortlichen
auf mittlerer Leitungsebene durchgeführt. Dies stellte sowohl erhebungstechnisch als auch
analytisch einen überschaubaren Arbeitsaufwand dar und passte in die zeitlichen Strukturen der betrieblichen Ergebnisorientierung. Dass diese ›Nebenprojekte‹ der Herstellung
von Reziprozität dienten und wenig mit meinem eigenen Erkenntnisinteresse zu tun hatten, war dabei stets klar für alle Beteiligten. Diese pragmatische Ausgliederungslösung
räumte gewissermaßen den Weg für Austausch frei, der aus Sicht des ethnografisch-anthropologischen Vorhabens inhaltlich relevant war und auf diese Weise problemlos ohne einen
kurzfristig greifbaren Nutzen für meine Projektpartner auskommen konnte.
Im Hinblick auf Problematisierungen und Fragen, die im Zusammenhang mit meiner
Forschung standen, habe ich die Ausgangsprämisse für mein Erkenntnisinteresse als Gesprächsanlass genutzt. Indem ich immer wieder betonte, für wie relevant ich ein besseres
Verständnis der gegenwärtigen Handlungsbedingungen und Dynamiken innerhalb der
Lebensmittelbranche für die Frage nach möglichen Transformationen halte, vermittelte
ich meinen Gesprächspartner*innen ein klares Interesse an ihren beruflichen Lebenswirklichkeiten. Dies war meist ausreichend, um die Bereitschaft meines jeweiligen Gegenübers
dazu herbeizuführen, seine Deutung von bestimmten Tendenzen und Zusammenhängen,
seine Sorgen und Hoffnungen mit mir zu teilen sowie mir gegebenenfalls aktiv dabei zu
helfen, mit anderen Akteur*innen in Austausch zu treten (vgl. Chapman 2001, 25).
Dabei fanden interessante und ergiebige Gespräche dieser Art häufig durchaus auch außerhalb formal organisierter Kommunikationssequenzen und mit Mitarbeiter*innen statt,
die jenseits der höchsten Leitungsebene zu verorten waren, aufgrund ihrer Führungs- und
operativer Verantwortlichkeiten aber dennoch über umfassende Überblickskompetenzen
verfügten. So liegen mir etwa diverse Feldnotizen zu Autofahrten von Termin zu Termin
oder von Betriebsstandort zu Betriebsstandort vor, im Zuge derer ich mit Abteilungs- und
Teamleiter*innen aus unterschiedlichen Unternehmen ausführlich über ihre Deutungen
der Implikationen von Digitalisierungsprozessen, bürokratischen Zwängen und Dokumentationspflichten oder Marktverschiebungen diskutierte. Auch auf Weihnachts- und Betriebsfeiern, im Verlauf von Produktverkostungen, beim Mittagessen oder während eines
Grill- und Fußballabends erfuhr ich viel über die Stimmungstendenzen im Unternehmen,
Zukunftsängste und -visionen, strategische Streitpunkte, Frust über Handlungspartner und
Wettbewerber, Einschätzungen zu Möglichkeiten und Grenzen unterschiedlicher Regulie-
41
Ruzana Liburkina
rungsformen sowie die politischen Einstellungen der Akteur*innen im Feld. Diese Einblicke waren unverzichtbar für meine Arbeit und eine analytisch wertvolle Ergänzung zu den
Einsichten, die ich aus offiziell vereinbarten Auswertungs- und Feedbacktreffen mitnahm.
Die Vielfalt an Anlässen und Ebenen des Austauschs war letztlich auch entscheidend dafür,
dass der Forschungsprozess alles in allem nicht auf kritische Weise von studying up- oder
studying down-Beziehungsdynamiken dominiert wurde.
Möglich geworden war diese unternehmensinterne Mobilität allerdings erst dadurch,
dass ich den ersten der zu Beginn dieses Abschnitts eingeführten Prinzipien beherzigte,
und zwar die Notwendigkeit der Umsetzung hinreichend tiefgehender und dichter empirischer Zugänge. Nur indem ich über die Ebene der Geschäftsführung hinaus Einblicke in
Unternehmensalltage sowie Arbeits- und Interpretationswelten verschiedener Statusgruppen generierte, konnte eine Sammlung an ethnografischen Puzzlestücken aus verschiedenen Perspektivierungen, Positionierungen und Deutungsstrategien im Feld entstehen.
Diese analytisch so zusammenzusetzen, dass daraus eine sinnvolle Skizze einer present situation (Westbrook 2008) in der Lebensmittelbranche entsteht, ist aus ethnografisch-anthropologischer Sicht eine vielversprechende Aufgabe, die differenzierte Formen der Kritik
ermöglicht.
In, zu und mit Unternehmen zu forschen, heißt nicht sich mit den CEOs zusammenzuschließen und ihren Narrativen zu lauschen, um sie mehr oder weniger kritisch zu beleuchten und zu interpretieren. Die Kollaboration erfolgt vielmehr mittels eines ethnografisch umfassenden Zugangs hierarchieebenenübergreifend und zielt darauf ab, diverse
Akteur*innen in die Reflexion und Skizzierung einer bestimmten Gegenwartssituation einzubeziehen. Über diese site-interne Mobilität hinaus ist auch eine Mobilität außerhalb des
Unternehmenskontexts notwendig. So kann dem Risiko entgangen werden, lediglich ein
Unternehmensportrait zu zeichnen oder die ethnografisch-anthropologische Problematisierungs- und Interpretationsarbeit mit einer bestimmten Agenda zu harmonisieren. Um
diese zwei Modi der Mobilität analytisch produktiv umzusetzen, ist ein offener theoretischer Fluchtpunkt empfehlenswert, denn der damit einhergehende Erhebungs- und Auswertungsaufwand wäre für eine Suche nach Evidenz für klar definierte und bereits gefestigte Voreinschätzungen und Interpretationsstrategien schlicht nicht angemessen. Es
braucht Problematisierungen, die jenseits übergreifender Erklärungsmodelle mit Universalitätsanspruch den vielfältigen Logiken, Reibungen und Widersprüchen im Forschungsfeld nachspüren und diese mit geeigneten analytischen und theoretischen Werkzeugen zu
verstehen versuchen.12 Dies komplettiert eine solide Grundlage dafür, einen inhaltlichen
Austausch anstoßen zu können, der nicht von wechselseitiger Skepsis, sondern von Neugierde gekennzeichnet ist.
Resümee
Die nähere Betrachtung eines konkreten akademisch situierten ethnografischen Forschungsarrangements in Unternehmenskontexten legt die Annahme nahe, dass Privatwirtschaft als Feld und Kollaborationspartner nicht per se epistemische Probleme mit sich
bringen muss. Ob und wie sich Herausforderungen stellen, unterscheidet sich je nach Feld,
Forschungsdesign und Erkenntnisinteresse. In Fall meiner multi-stationären Studie zu
Transformationspotentialen im Lebensmittelsektor war vor allem die stark präsente Nutzenorientierung problematisch. Letzterer konnte ich allerdings forschungspragmatisch begegnen, indem ich sie auf ausgegliederte Erhebungen kanalisierte.
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Ethnografisch-anthropologische Forschung in, zu und mit Unternehmen
Das Beispiel meines Forschungsprojekts zeigt, dass eine offene Problematisierung, umfassende Mobilität und pragmatische Kompromissbereitschaft in der Herstellung einer
reziproken Beziehung in der Kombination das Potential haben, ethnografisch-anthropologisch Forschende auf produktive Art und Weise mit Unternehmen zusammenzubringen.
Im Zusammenspiel ergibt sich daraus eine sowohl forschungspraktische als auch epistemische Strategie, die dazu geeignet scheint, den Teufelskreis der Skepsis zu durchbrechen.
Sie strebt eine Symbiose aus den Vorteilen bestehender Forschungsherangehensweisen
an Unternehmen an und berücksichtigt die Kritik an den jeweiligen Nachteilen. Der hier
vorgeschlagene Weg führt dabei nicht zur Nivellierung fachhistorisch fest verankerter kritischer Diskussionen politischer Ökonomien und damit einhergehender sozialtheoretisch
fundierter Skepsis gegenüber marktwirtschaftlichen Ordnungsprinzipien und Dynamiken.
Durch die klare epistemische wie institutionelle Aufrechterhaltung der akademischen Situierung sowie die reflexive Mobilität der Forschenden kommt hier keine naive, unreflektierte Form der Kollaboration (vgl. Konrad 2012) zum Tragen. Vielmehr bleibt die Reibung
zwischen ethnografisch-anthropologischen Ansprüchen und Anliegen auf der einen und
etablierten Mustern privatwirtschaftlicher Praxis auf der anderen Seite als expliziter Gegenstand von Aushandlungs- und Austauschprozessen stets präsent. Nicht zuletzt deshalb
kam es im Rahmen meines Forschungsvorhabens weder zu einer epistemischen Integration
oder Verschmelzung von Ethnografin und Feld noch zu einer Aufhebung der »division of
labour« (Holmes/Marcus 2008, 86). Zwar wurde in einigen Gesprächen durchaus eine para-ethnografische Ebene erreicht, auf der das jeweilige Gegenüber im Feld selbst ethnografische Schilderungen in Form von ›Internarrativen‹ generierte −»the synthesis of social
and biographical narratives that determine his own position and through which he orients
himself« (Westbrook 2008, 43). Dennoch blieb die Zusammenarbeit der klaren Rollenverteilung in Informant*innen und Ethnografin verhaftet. Es kam weder zu einem geteilten
Analyse- und Schreibprozess noch zu gemeinsam gestalteten Interventionen, die Tomás
Sánchez Criado und Adolfo Estalella als wesentlich zeitgenössischere und symmetrischere
Modi ethnografischer Kollaboration identifizieren (Sánchez Criado/Estalella 2018, 6−11).
Alles in allem kann ein derartiges Arrangement somit als eine spezielle, an das Feld der
Privatwirtschaft angepasste Form der »negotiation of difference as an ongoing foundation
for getting on together« (Suchman 2013, 154) betrachtet werden: Beide Seiten erkennen die
bestehenden Unterschiede in Zielsetzungen und Wahrheitsansprüchen an, versuchen aber
dennoch, Wege zu finden, einander ernst zu nehmen, ohne dass es zu einer epistemisch
nachteiligen Konvergenz der Logiken von Industrie und Akademie kommt.13 Ein gemeinsames Definieren und Problematisieren von Forschungsgegenständen, wie es ein klassisches
Verständnis von Kollaboration voraussetzen würde (Lassiter 2005), findet trotzdem nicht statt
und ist in Anbetracht der Utilitarisierungslogik im Feld auch nicht wünschenswert. Vielmehr
handelt es sich um ein Zuhören und Mitreden, ein Kennenlernen von und Partizipieren an
den Belangen des jeweils Anderen. Um dies zu erreichen, gibt es sicherlich ein breites Spektrum an denkbaren Pfaden; die hier vorgestellte Form ist lediglich ein Beispiel. Ausgehend
von einem geteilten Interesse an einem übergreifenden Problem − in diesem Fall der Notwendigkeit eines besseren Verständnisses der gegenwärtigen Dynamiken in der Nahrungsmittelproduktion und -distribution für die Förderung ihres nachhaltigen Wandels − glich
meine Zusammenarbeit mit Unternehmen einem wechselseitigen (Kennen-)Lernprozess. Er
war von Neugierde, lösungsorientiertem und doch nie die Prioritäten der Beteiligten kompromittierendem Entgegenkommen sowie von Hilfs- und Austauschbereitschaft geprägt.
Was eine Umsetzung der hier umrissenen Strategie nach sich ziehen kann und soll, ist
vor allem die fundierte und analytisch gewinnbringende Berücksichtigung unternehmeri-
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Ruzana Liburkina
schen Agierens im Zuge ethnografisch-anthropologischer Betrachtungen von komplexen
Problemlagen sowie Transformations- und Innovationsprozessen. Die daraus resultierende Art der Begegnung muss nicht, kann aber im nächsten Schritt mitunter auch zu einer
Basis für gemeinsame epistemische Vorhaben im Sinne symmetrischer Zusammenarbeit
führen.14 Unabhängig davon, ob sich daraus intensivere Kollaborationsprozesse ergeben
oder nicht, bin ich trotz oder gerade wegen der Prävalenz der diskutierten Skepsis-Spirale
der Überzeugung, dass ein intensiver und expliziter ethnografischer Zugang zum privatwirtschaftlichen Agieren gewinnbringend ist. Wenn die eigentliche Problematisierung sich
mit Fragen und Phänomenen befasst, die von eben jenem Agieren mit gestaltet werden,
scheint er gar unablässig. Die Einbeziehung von Fragen »about what goes on at the center
(not just among identifiable ›elites‹) of the society« (Westbrook 2008, 12) und ein reflexiver
inhaltlicher Austausch mit Akteur*innen aus der Privatwirtschaft haben letztlich auch das
Potential, den Radius der Wahrnehmung und Wirkkraft ethnografisch-anthropologischen
Wissens und der daraus erwachsenden Interventionen zu erweitern (vgl. ebd.).
Danksagung
Mein Dank gilt der Deutschen Bundesstiftung Umwelt für die Förderung meines Promotionsvorhabens, dessen Umsetzung zur Formulierung der hier zur Diskussion gestellten
Überlegungen geführt hat. Ferner danke ich den Herausgeberinnen dieses Sammelbands
sehr für ihre wertvollen und konstruktiven Anmerkungen zur ersten Fassung dieses Beitrags.
Endnoten
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2
3
4
5
6
7
8
Zur Unterscheidung zwischen »kollaborativ« und »ko-laborativ« siehe Niewöhner 2016. Nachfolgend wird die erstgenannte Schreibweise verwendet, da sie weniger spezifische Anforderungen an
die Art der Zusammenarbeit konnotiert und damit weiter gefasst ist.
Angesichts der Namensvielfalt innerhalb der sogenannten Ethnowissenschaften und zwecks besserer Lesbarkeit wird nachfolgend immer dann, wenn keine spezifische Eingrenzung auf eine konkrete
Subdisziplin, Denktradition oder Fachgesellschaft vorgenommen werden soll, die Bezeichnung
»Anthropologie« verwendet.
Dazu gehören vor allem privatwirtschaftliche Forschung und Entwicklung, insbesondere im Zusammenhang mit Biotechnologien (vgl. Rabinow & Dan-Cohen 2005; Fortun 2008).
Ob im Zusammenhang mit prekären, durch Ausbeutung und Marginalisierung geprägten Arbeitswelten (Hagan u.a. 2015, Ordóñez 2015) oder den Dynamiken und Implikationen der Globalisierung
medizinischer Forschung und Versorgung (z.B. Biehl/Petryna 2013) − auch aktuelle und umfassende ethnografische Studien klammern den Blick ins ›Innere‹ privatwirtschaftlicher Unternehmensstrukturen und Entscheidungsprozesse oftmals weitgehend aus.
Zur Diskussion des Mehrwerts entsprechender Arbeiten siehe Textabschnitt »Forschen zu Unternehmen« weiter unten.
http://www.lancaster.ac.uk/sociology/about-us/people/lucy-suchman, aufgerufen am 20.07.2017
Zur historischen Einbettung siehe unter anderem Burawoy 1979 und Holzberg/Giovannini 1981. Besonders aktuelle und theoretisch-analytisch avancierte Überlegungen wiederum stammen etwa aus
der Feder von Barbara Czarniawska 2012 (Sozialpsychologin und Wirtschaftswissenschaftlerin) und
Daniel Neyland 2016 (Soziologe). Einen Eindruck von der nicht genuin anthropologischen disziplinären Bandbreite in diesem Feld vermittelt auch das Sammelband Organizational Ethnography:
Studying the Complexities of Everyday Life von Ybema u.a. 2009.
Zweifellos treten solche Dynamiken nicht universell auf, sondern können je nach spezifischer Forscher*in-Feld-Konstellation abweichen oder ausbleiben. So ist es denkbar, dass akademische Titel,
die Eingebundenheit der Forschenden in große Verbundprojekte und/oder persönliche Sympathien
der Beteiligten die hier geschilderten Beziehungsmodalitäten und deren Implikationen verschieben
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Ethnografisch-anthropologische Forschung in, zu und mit Unternehmen
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13
14
bzw. gar nivellieren. Nichtsdestotrotz neigen die Spezifika ethnografischer Datenerhebung und
Wissensproduktion gerade in stark hierarchisierten Unternehmenskontexten grundsätzlich dazu,
ein Autoritätsungleichgewicht zwischen Ethnograf*in und Führungskraft zu begünstigen (vgl. auch
Warneken/Wittel 1997).
Der Stellenwert dieser Arbeit im Zusammenhang mit ethnografisch-anthropologischer Forschung zu
Unternehmen zeigt sich unter anderem darin, dass sie mitunter fundamentale Kritik an der Tendenz
des Fachs auslöste, entsprechende Vorhaben nur in akuten Krisensituationen überhaupt in Angriff zu
nehmen: »I would think anthopologistis should ask whether, for example, Union Carbide is likely to
be seriously considered until after industrial disaster in Bhopal, India, if then.« (Westbrook 2008, 12)
»A liaison understands something of the subject’s world and something of the ethnographer’s project, and is in a position to convince the subject that this ethnographer is worthwhile.« (Westbrook
2008, 54)
Auf eine solche Positionierung von Entscheidungsträger*innen traf ich auf einer der sites ausschließlich und in drei weiteren Fällen partiell beziehungsweise zeitlich variabel.
Als ein Beispiel für ein solches konzeptuelles Repertoire kann der Literaturkorpus gelten, der sich
unter der Schirmbezeichnung anthropology of markets zusammenfassen lässt. Dieser geht auf die
Denktradition der Science & Technology Studies zurück und hat sich in Forschungskontexten, in
denen ökonomische Zusammenhänge von zentraler Bedeutung sind, als äußerst produktiv und
gewinnbringend erwiesen (vgl. z.B. Callon u.a. 2007). So wurde etwa die Relevanz von Informationstechnologien und spezifischen wirtschaftswissenschaftlich informierten Wissensformen für kalkulative Entscheidungsprozesse sowie für die strukturelle Gestaltung von Märkten anhand konkreter
empirischer Fallbeispiele herausgearbeitet (Knorr Cetina/Bruegger 2002, Zaloom 2003, Hardie/
MacKenzie 2007 u.a.). Auf diese Weise werden theoretische Überlegungen und analytische Tools
bereitgestellt, um aus der Perspektive qualitativer Sozialforschung auf wirtschaftliches Aushandeln,
Entscheiden und Bewerten zugreifen sowie die Bedingungen für ihre konkrete Ausgestaltung und
Reproduktion verstehen zu können.
Zur Legitimität der Aufrechterhaltung von Differenz − allerdings eher im Rahmen ausdrücklich
beidseitig auf Wissensgenerierung ausgerichteter »Ko-Laborationen« − siehe auch Niewöhner
2016.
Wie solche Kollaborationen mit Akteuren aus der Agrarindustrie im Sinne experimenteller Interventionen in deren Mitwirkung bei der Zuspitzung der Ökologiekrise gestaltet werden könnten,
diskutiere ich in einem voraussichtlich im Jahr 2021 im Sammelband Intervenieren mit, durch und
in der Ethnographie: Experimente und Kooperationen (Otto u.a., Frankfurt am Main) erscheinenden
Beitrag.
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Reibung als Potential. Kollaboratives Forschen
mit HIV/Aids-Aktivist*innen
Friederike Faust, Todd Sekuler, Beate Binder
ABSTRACT: Wie kann kulturanthropologische Forschung die politischen Kämpfe sozialer
Bewegungen unterstützen, ohne dabei andere wissenschaftliche Ziele aus den Augen zu verlieren? In diesem Beitrag gehen wir von unserer kollaborativen Forschung mit HIV/Aids-Aktivist*innen aus, um zu eruieren, wie Sozial- und Geschichtswissenschaften mit sozialen Bewegungen − politisch und wissensgenerierend − zusammenarbeiten können. Wir schlagen
vor, Kollaborationen methodologisch als »friction« (Tsing 2005) zu denken, als spannungsreiche Begegnungen über Differenzen hinweg, die, obwohl in ihrem Ausgang stets unvorsehbar, über epistemologische und politische Potentiale verfügen. Anhand von Beispielen zeigen
wir, wie eine engagierte Kulturanthropologie zu einer Politik der Koalitionsbildung beitragen
kann, indem sie die Grenzen zwischen Wissensfeldern sowie zwischen Aktivismus und Wissenschaft überbrückt und dabei zugleich anerkennt, dass alle Beteiligten immer auch eigene,
sich verändernde und nicht zwangsläufig deckungsgleiche Ziele verfolgen.
SCHLAGWORTE: Kollaboration, Aktivismus, Soziale Bewegungen, Wissensproduktion,
HIV/Aids
ZITIERVORSCHLAG: Faust, F., Sekuler, T., Binder, B. (2021): Reibung als Potential. Kollaboratives Forschen mit HIV/Aids-Aktivist*innen. In: Berliner Blätter 83, 49−64.
»When I was invited to participate in this project, I was very skeptical about it. I was
wondering: Why do ordinary people want to engage with something that is so academic? And we don’t need so much of an academic discussion!« (Audioaufzeichnung vom 14.9.2019)
M
it diesen Worten erinnerte sich ein Vertreter des polnischen HIV/Aids-Netzwerks
SIEĆ PLUS auf der Abschlusskonferenz unseres Forschungsprojekts zu HIV/AidsAktivismus in Europa an seine anfänglichen Bedenken, mit uns Wissenschaftler*innen
zusammenzuarbeiten. Er traf damit nicht nur die Zweifel engagierter Forscher*innen an
der gesellschaftlichen Relevanz und Wirksamkeit ihrer Arbeit. Er brachte auch die Unvorhersehbarkeit wissenschaftlich-aktivistischer Kollaborationen auf den Punkt: Wie sollte er
bereits im Vorfeld wissen, dass sich eine Kooperation mit uns ›lohnen‹ würde? Im Folgenden wollen wir uns diesen beiden Dimensionen kollaborativen Forschens genauer widmen,
denn Potentialität und Unvorhersehbarkeit sind, so meinen wir, zentrale Eigenschaften
dieser Form des ethnografischen (Zusammen-)Arbeitens. Um diese Eigenschaften genauer
DOI: 10.18452/22404 | Creative Commons CC 4.0: BY-NC-SA
Berliner Blätter 83/2021, 49–64
Berliner Blätter 1/2020
Friederike Faust, Todd Sekuler, Beate Binder
zu verstehen, schlagen wir im Folgenden vor, kollaborative Konstellationen, Prozesse und
Ereignisse mit Anna Lowenhaupt Tsing (2005) als friction (dt. »Reibung«) zu deuten: als
Momente der Reibung, in denen eine Vielzahl an Akteur*innen, Institutionen, Praktiken,
Interessen, Erfahrungen und Diskursen ebenso spannungsvoll wie produktiv aufeinandertreffen und in denen die Chance besteht, dass Neues entstehen kann, oftmals nicht intendiert, häufig mit unvorhersehbaren Effekten.
In unserem Beitrag wollen wir der Frage Why do ordinary people want to engage with
something that is so academic? in unterschiedliche Richtungen nachgehen. Inspiriert wurden wir durch die Debatte in der Kultur- und Sozialanthropologie um die »politics of participation« (Kirsch 2018, 2) innerhalb einer engagierten und kollaborativen Kulturanthropologie, genauer um »the roles anthropologists are increasingly called to play as expert
witnesses, authors of social impact studies, contributors to social movements, and so forth«
(ebd.; siehe auch Rappaport 1993; Lassiter 2005 ; Low/Merry 2010; Beck/Maida 2013). Um
Potentiale, Grenzen und (unerwartete) Effekte der Zusammenarbeit in und mit aktivistischen Feldern auszuloten, gehen wir in diesem Beitrag von den Rückmeldungen unserer
Kollaborationspartner*innen aus.
Im Rahmen des Projekts Disentangling HIV/AIDS Policies: Activism, Citizenship and
Health (EUROPACH)1 forschten Sozial- und Geschichtswissenschaftler*innen aus Deutschland, Polen, UK und der Schweiz in fünf Teilprojekten und in Kooperation mit HIV/AidsInitiativen und -Organisationen aus Polen, Deutschland, UK und der Türkei sowie mit europaweiten Netzwerken. Uns interessierte, wie HIV/Aids-Aktivist*innen in verschiedenen
europäischen Kontexten Vergangenheit mobilisieren, um gegenwärtige Ziele zu verfolgen,
und wie zugleich Narrationen und Imaginationen des Vergangenen die Vorstellungen sowie Aspirationen von Zukünften präfigurieren (Dave 2012; Appadurai 2013; Ringel 2016).
Die Abschlusskonferenz unseres Projekts gab uns schließlich die Gelegenheit, gemeinsam
mit Vertreter*innen unserer Partnerorganisationen zu diskutieren, in welcher Weise unser
Projekt ihre alltäglichen politischen Kämpfe unterstützen konnte, und damit zu erkunden,
wie qualitative Forschung politisch wirksam werden kann. Sichtbar wird daran, wie in Kollaborationen gleichzeitig wissenschaftlich relevantes Wissen produziert und aktivistische
Kämpfe vorangetrieben werden können. Bevor wir Ausschnitte aus der Diskussion präsentieren, skizzieren wir den Umfang und die Art der Zusammenarbeit innerhalb unseres Projekts und stellen dar, wie sich Kollaborationen als friction konzeptualisieren lassen.
Kollaborieren mit activist experts
Die Zusammenarbeit mit HIV/Aids-Aktivist*innen im Rahmen unseres Forschungsprojekts resultierte aus drei verschiedenen, wenn auch partiell verflochtenen Motivlagen, die
jeweils eigene Bedingungen, Erwartungen und Restriktionen in den Prozess einbrachten.
Erstens hatten HIV/Aids-Aktivist*innen schon früh die Partizipation am politischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Umgang mit der Epidemie mit dem Slogan »nothing
about us without us« entschieden eingefordert.2 Um diese Forderung wissend, aber auch
ethisch motiviert durch langjährige Auseinandersetzungen mit Formen des engagierten
Forschens verfolgten auch die Forscher*innen der fünf Teilprojekte (zur Türkei, Polen, UK,
Deutschland und der europäischen Ebene) selbst den Wunsch der engen Zusammenarbeit
und wollten von Anfang an Aktivist*innen in den Forschungsprozess einbeziehen. Drittens
machte der Drittelmittelgeber die Zusammenarbeit mit sogenannten Associated Partners
zur Bedingung für die Förderung, um einen gesellschaftspolitischen Nutzen der Forschung
50
Reibung als Potential
zu gewährleisten. Diese Ansammlung an unterschiedlichen Motiven brachte in konkreten
Situationen des Zusammenarbeitens immer wieder Spannungen, Widersprüche, aber auch
Synergien hervor, die wir im Verlauf dieses Textes herausarbeiten.
Bereits in der Phase der Projektentwicklung und Antragstellung bezogen wir aktivistische Gruppen ein. Zwar war der grobe thematische Rahmen von dem Förderprogramm sowie unseren wissenschaftlichen Interessen bereits abgesteckt, dennoch bot sich durchaus
Raum, aktivistische Interessen einfließen zu lassen. Wir hatten konkrete Organisationen
entsprechend der regionalen und thematischen Schwerpunkte ausgewählt und suchten mit
diesen nun das Gespräch. Dadurch wurden wir bereits zu Beginn des Projekts auf einen
Aspekt aufmerksam, der sich auch in dessen weiteren Verlauf als relevant herausstellen
sollte: Ein Aktivist resümierte leicht nostalgisch, dass ihre Aktivitäten längst nicht mehr auf
der Straße, sondern überwiegend bei Konferenzen und Meetings stattfinden würden. Diese
Bemerkung brachte uns dazu, die Frage nach dem Wandel von aktivistischen Formen sowie
dessen Bedeutung für die Gegenwart in den Projektentwurf aufzunehmen.
Bereits in diesem frühen Stadium zeichneten sich Spannungen zwischen der vorgegebenen und institutionell zu fixierenden Form der Zusammenarbeit, forschungspraktischen
Bedingungen und aktivistischen Agenden ab. Zum einen setzte der Finanzierungsrahmen
wie auch unser Zeitbudget enge Grenzen, so dass bereits die Benennung von unseren Associated Partners Ungleichheiten in jenem aktivistischen Feld schuf oder zumindest reproduzierte, in dem Politiken der öffentlichen Reformverwaltung oder repressive Gesetze zivilgesellschaftliche Organisationen zu Konkurrentinnen um knappe Ressourcen gemacht
hatten. Dies machte sich im weiteren Verlauf der Zusammenarbeit unter anderem darin
bemerkbar, dass einige Organisationen ihren Missmut darüber kundtaten, nicht zu den offiziellen Partnerinnen zu zählen, und, da sie damit bei uns einen sensiblen Punkt berührten,
auch erfolgreich danach fragten, noch nachträglich in die Liste der Kooperationspartnerinnen aufgenommen zu werden. Auf diese Weise wirkten sie in den Forschungsprozess hinein und konnten uns Wissenschaftler*innen zu neuen Wegen und Perspektiven bewegen.
Zum anderen konfligierte die Förderauflage mit der methodologischen Offenheit ethnografischer Forschung: Änderte sich der empirische Fokus eines Teilprojekts (etwa von Sexarbeit hin zu Haft), konnten die Kooperationsvereinbarungen, die bereits in der Projektplanungsphase abgeschlossen worden waren, nicht ohne weiteres diesen Entwicklungen
angepasst werden.
Schließlich willigten insgesamt 15 Organisationen in die Zusammenarbeit ein, nachdem
wir ihnen unsere Ziele erklärt hatten: Zum einen wollten wir akademisches Wissen über
aktuelle aktivistische Strategien wie auch über Formen der Auseinandersetzung mit der
Vergangenheit generieren und dieses auch in den politischen Prozessen der Aktivist*innen einspeisen. Zum anderen hatten wir vor, am Aufbau des European HIV/AIDS Archives
(EHAA) mitzuwirken, das mit Video- und Audio-Interviews die Vielfalt der Kämpfe gegen
HIV/Aids in Europa langfristig dokumentiert und damit anstrebt, das öffentliche Bild des
HIV/Aids-Aktivismus zu pluralisieren. Im EHAA verbanden sich von Beginn an wissenschaftliches und aktivistisches Interesse, schließlich ging es auf eine Initiative des aktivistischen Arbeitskreises Aids-Geschichte ins Museum (AKAIM) zurück und wurde dann
gemeinsam von EUROPACH und dem DFG-Forschungsprojekt »Keine Rechenschaft für
Leidenschaft« aufgebaut. Dieses Oral-History-Projekt weckte bei vielen Partnerorganisationen besonderes Interesse.
Mit den Partnerorganisationen hielten wir gegenseitige Erwartungen und Verpflichtungen in einem Letter of Commitment fest. Die Partnerorganisationen versprachen uns beispielsweise Hilfe bei der Suche nach Interviewpartner*innen und der Verbreitung unserer
51
Friederike Faust, Todd Sekuler, Beate Binder
Forschungsergebnisse sowie die Bereitschaft zur Diskussion unserer Ideen und Ergebnisse.
Sie waren also gleichzeitig Akteur*innen der untersuchten Praktiken, Expert*innen und Informationsquellen wie auch Beratende. Die hierin enthaltene Widersprüchlichkeit − denn
wurden ihre Praktiken und Aussagen in einem Moment auf den wissenschaftlich-kritischen
Prüfstand gestellt, wurden sie im anderen Moment als Expertise zu unseren Analysen gehandelt − löste zwar bei einigen Irritation bezüglich ihrer Rolle aus, schien jedoch nicht zu
größeren Spannungen zu führen. Von uns erforderte es, unsere Forschungspartner*innen
auf verschiedenen Ebenen mit einzubeziehen und wachsam zu sein, sie ihren multiplen
Rollen entsprechend anzusprechen. Als Gegenleistung für die vielfältige Unterstützung
übernahmen wir die Kosten für die Teilnahme an von uns organisierten Treffen,
ermöglichten durch diese Treffen die Vernetzung der Organisationen untereinander und
verhalfen ihnen durch Verlinkung und Namensnennung zu erhöhter Sichtbarkeit.3 Eine
direkte finanzielle Entlohnung der Kooperation war jedoch vom Mittelgeber explizit ausgeschlossen. Um uns regelmäßig auszutauschen, hatten wir in unserer Planung insgesamt
vier sogenannte Associated Partners Meetings (AP Meetings) pro Teilprojekt angesetzt, in
denen Forschende und Partnerorganisationen jeweils konkrete inhaltliche Fragen diskutieren sollten, die zunächst aus der Logik unseres Forschungsprozesses generiert waren.
Die Umsetzung dieser Treffen variierte in unserem Team von Teilprojekt zu Teilprojekt sehr
stark entsprechend der zeitlichen und personellen Kapazitäten der jeweiligen Partnerorganisationen, der soziopolitischen Situationen in den beteiligten Ländern sowie der unterschiedlichen Methodologien der Teilprojekte. Beispielsweise beschränkten wir das erste
AP Meeting mit europäischen HIV-Netzwerken nicht nur auf die offiziellen Partnerorganisationen. Da zwischen den Netzwerken ein reger Austausch besteht und wir uns zunächst
einen breiten Eindruck über Anliegen und Perspektiven des Feldes verschaffen wollten, luden wir Verter*innen von insgesamt zehn Organisationen für zwei Tage nach Berlin ein. In
den lebhaften Diskussionen erfuhren wir unter anderem viel darüber, wie (unterschiedlich)
die Entwicklung der Epidemie wahrgenommen und wie der Wandel in aktivistischen Strategien reflektiert wurde. Anders gestalteten sich die Treffen beispielsweise im polnischen
Teilprojekt. Da es in Polen deutlich weniger HIV/Aids-Organisationen gibt und diese meist
auf lokaler Ebene agieren, fanden die Treffen im kleinen Rahmen statt. Persönliche und
intime Gespräche wurden dabei möglich und die Geschichte von HIV/Aids in Polen mit
den individuellen Erfahrungen greifbar. Wir alle wollten die Treffen nutzen, um die Relevanzen, Anliegen und Problematisierungen unserer Partner*innen zu erfassen und diese
als Referenzpunkte für unser weiteres Vorgehen zu nehmen − die Treffen dienten insofern
auch der Reflexion unserer Forschungsagenda (vgl. Islam 2015; Niewöhner 2016; Bieler u.a.
2020).
Zum Gelingen unserer kollaborativen Formate und Prozesse trug mit Sicherheit auch
bei, dass viele HIV/Aids-Aktivist*innen mit den Wissensformaten Konferenz und Workshop sowie mit dem akademischen und wissenschaftlichen Idiom vertraut waren. Zugleich
waren einige von uns Forscher*innen selbst in politischen Organisationen aktiv und kannten die dort vorherrschenden Paradigmen der Partizipation und Repräsentation. Aufgrund
dieser habituellen Überschneidungen und geteilten Wissensräume musste nicht erst nach
einer gemeinsamen Sprache und nach einem für alle − körperlich wie intellektuell − geeigneten Format gesucht werden. Um diese produktiven Effekte der Zusammenarbeit
zwischen Personen und Institutionen mit ihren situierten Erfahrungen, unterschiedlichen
politischen Agenden, materiellen Ressourcen und Interessen auch konzeptuell zu fassen,
schlagen wir im Folgenden vor, kollaborative Prozesse als Reibungen zu denken.
52
Reibung als Potential
Kollaborationen als Reibung
Tsing (2005) bietet mit friction ein bildhaftes Konzept an, um die chaotischen, überraschenden und unvorhersehbaren Momente von Verbindungen, Versammlungen und Begegnungen über Differenzen, Zeiten und Orte hinweg zu fassen. Entwickelt aus einem globalisierungstheoretischen Interesse an dem sozialen Leben globaler Interaktionen, betont das
Konzept zum einen das Instabile, Unausgeglichene und Ungleiche, wenn sich heterogene
Gruppen, institutionelle Arrangements und Technologien mit ihren je eigenen Wertvorstellungen und Rationalitäten begegnen. Zum anderen hebt es das kreative und produktive
Potential hervor, das diesen Reibungen innewohnt:
»A wheel turns because of its encounter with the surface of the road; spinning in the
air it goes nowhere. Rubbing two sticks together produces heat and light; one stick
alone is just a stick. As a metaphorical image, friction reminds us that heterogeneous
and unequal encounters can lead to new arrangements of culture and power.« (Tsing
2005, 5)
Wissenschaftlich-zivilgesellschaftliche Kollaborationen als solche Reibungsmomente zu
denken, weicht in Umfang und Relevanz selbstverständlich von dem ambitionierten und inspirierenden Vorhaben Tsings ab, die Entstehung neuer »arrangements of culture and power« zu theoretisieren. Anders als Tsing geht es uns weniger darum zu analysieren, wie die
Verhandlungen vermeintlich universeller Politiken im Kontext von Liberalismus und Kapitalismus neue Dynamiken, Relationen und Möglichkeitsbedingungen schaffen. Indem wir
kollaborative Konstellationen als friction denken, blenden wir keinesfalls die signifikanten
Unterschiede zwischen dem ursprünglichen Entstehungskontext des Konzepts und seiner
Anwendung auf ein konkretes methodisches Vorgehen aus. Wir nutzen friction vielmehr
im Sinne Blumers (1969, 148) als ein sensibilisierendes Konzept: Durch eine methodologische Wendung des Konzepts erhalten wir entscheidende Impulse, um die irritierenden,
unerwarteten und produktiven Effekte kollaborativen Forschens zu fassen.
Das Konzept der friction bietet drei Denkrichtungen an, die wir für eine methodologische Bestimmung kollaborativen Arbeitens als wertvoll erachten: Erstens sind die Begegnungen über Differenzen hinweg durchzogen von Spannungen, Reibungen und möglichen
Konflikten, die nicht unweigerlich als hinderlich, sondern auch als produktiv zu fassen
sind. Es ist daher nicht zu erwarten oder gar anzustreben, dass Kollaborationen reibungslos
und harmonisch ablaufen. Vielmehr liegt ihre Potentialität gerade in ihrer Anfälligkeit für
Dissens und Konflikt. Mit Paolo Heywood (2018) denken wir, dass in gegenwärtigen politisch-aktivistischen Konstellationen zu sehr nach Gemeinsamkeiten geschaut und darüber
die Produktivität von Differenz vernachlässigt wird. Anschließend an Helen Verran (2013)
plädieren wir für das generative Potential, das in diesen oft auch epistemologischen Differenzen steckt: Anstatt danach zu streben, Differenzen zu überbrücken, abzuschwächen und
nach dem Gemeinsamen zu suchen, gilt es, so Verran, diese verwirrenden Momente des
Sich-Nicht-Verstehens (»epistemic disconcertment«) tiefer zu ergründen und gemeinsam
die disparaten Wissenspraktiken und Selbstverständlichkeiten ins Bewusstsein zu rücken.
Dies schließt jedoch keineswegs aus − wie es Tsing im obigen Zitat andeutet −, dass sich in
Kollaborationen differente Rationalitäten und Akteur*innen nicht auch überraschend konfliktlos zu neuen Konstellationen, Praktiken und Wissensbeständen fügen können.
Zweitens gilt dem Aspekt der Unvorhersehbarkeit besondere Aufmerksamkeit. Aus diesem leitet sich nicht nur die didaktische Aufforderung ab, einen Prozess der Kollaboration
53
Friederike Faust, Todd Sekuler, Beate Binder
möglichst offen zu gestalten, um auf Unerwartetes reagieren zu können. Er ist auch eine
Mahnung, nicht im Vorfeld von gemeinsamen politischen Interessen und Zielen auszugehen und sich diesen zu verschreiben. In diesem Sinne wenden wir uns gegen Formen des
engagierten Forschens, die auf einer angenommenen Kongruenz aktivistischer und wissenschaftlicher Ziele aufbauen und/oder Forschungen primär in den Dienst aktivistischer
Kämpfe zu stellen suchen.
Drittens hebt Tsing hervor, dass Unerwartbarkeit nicht mit Beliebigkeit zu verwechseln ist: »Friction inflects historical trajectories, enabling, excluding, and particularizing.«
(2005, 6) So war auch unser kollaboratives Arbeiten mit seinen Effekten von historischen
Sedimenten und gegenwärtigen Ungleichheitsverhältnissen vorstrukturiert. Wir denken
hier etwa an tradierte Deutungen von HIV/Aids, an institutionalisierte Formen der HIV/
Aids-Präventionsarbeit mit ihren Förderlogiken oder auch an geopolitische Konstellationen, die soziale Positionen wie auch Einflussmöglichkeiten innerhalb Europas strukturieren. Auch das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Aktivismus ist von Ungleichheiten geprägt. Dennoch gestaltet sich dieses nicht als ein binäres Gegenüber von ressourcenstarker
Academia und prekärem Aktivismus und zeigte sich auch im Verlauf unserer Kollaboration
deutlich differenzierter und instabiler. Nicht nur können erhebliche Unterschiede im Zugang zu finanziellen und zeitlichen Ressourcen innerhalb europäischer Forschungsteams
bestehen, sondern auch zwischen angestellten NGO-Mitarbeiter*innen und ehrenamtlich
Tätigen. Akademische Mittel können teilweise zwar für aktivistische Zwecke bereitgestellt
werden und dazu beitragen, Ungleichheiten temporär und partiell auszubalancieren. Doch
scheint es uns unrealistisch und vermessen, die Herstellung von hierarchie- und ungleichheitsfreien Räumen zum Anspruch kollaborativen Forschens zu erheben und als Kriterium
für größtmögliche Ergebnisoffenheit heranzuziehen. Vielmehr sollte es darum gehen, die
Reibungen, die auch durch Differenzen und Ungleichheiten entstehen, anzuerkennen, zu
thematisieren und selbst zum Gegenstand kollaborativer Aushandlungen zu machen.
Die Abschlusskonferenz unseres Projekts eignet sich in zweierlei Hinsicht, um die produktiven Reibungen der Kollaboration nachzuvollziehen. Zum einen stellte sie selbst einen
solchen Reibungsmoment dar, denn hier kamen zum ersten Mal Vertreter*innen der Partnerorganisationen aller Teilprojekte zusammen (insgesamt 25 Personen). Zum anderen
bot sie den Rahmen, die bisherige Zusammenarbeit zu resümieren. Das Programm war von
uns sorgfältig ausbalanciert zwischen wissenschaftlichen Vorträgen, in denen wir unsere
Forschungsergebnisse zur Diskussion stellten, und dem Einbeziehen aktivistischer Expertise, etwa durch Roundtable-Diskussionen und die Präsentation von Archivprojekten. Am
Abend des ersten Tages eröffneten wir zudem die Ausstellung HIVstories: Living Politics
im Schwulen Museum in Berlin.4 In dieser Ausstellung stellten wir anhand ausgewählter
Kunstwerke, Artefakte und Oral-History-Interviews ausschnitthaft die unterschiedlichen
Geschichten des Kampfes gegen HIV/Aids in der Türkei, Polen, UK, Deutschland sowie auf
der europäischen Ebene dar. Was bereits in den Ausstellungsobjekten angedeutet wurde,
trat in Konferenzbeiträgen schließlich deutlich zu Tage: Die wissenschaftliche Expertise einiger unserer Partner*innen belegte eindrücklich, wie die konstruierte Trennlinie zwischen
aktivistischer und wissenschaftlicher Wissensproduktion, zwischen Forscher*in und Feld
verschwimmt (vgl. Bister/Niewöhner 2014). Dies ist zwar mit Sicherheit kein Spezifikum
des Forschungsfeldes HIV/Aids-Aktivismus, jedoch verstärkt die für dieses Feld typische
Expertisierung, also die »large-scale conversion of disease ›victims‹ into activist-experts«
und »the emergence of the ›educated patient‹« (Epstein 1996, 8f.), dass sich die Grenzen
zwischen Praxis und Wissenschaft, zwischen Betroffenen und Professionellen − oftmals in
ein und derselben Person − verflüssigen (vgl. Schmid 2020).
54
Reibung als Potential
Die Konferenz stellte demnach sowohl einen konkreten Moment der Zusammenarbeit
dar und bot zugleich die Gelegenheit, den bisherigen Prozess abschließend Revue passieren zu lassen. Während an den ersten beiden Tagen noch weitere Interviewpartner*innen
und HIV/Aids-Expert*innen sowie eine interessierte akademische Öffentlichkeit anwesend waren, widmeten wir den dritten Tag allein dem Austausch zwischen Projektteam und
Partnerorganisationen.5 Bei dieser Diskussion erfuhren wir auch, dass der eingangs zitierte
polnische Aktivist seine anfängliche Skepsis über die Zusammenarbeit zwischen Aktivismus und Wissenschaft abgelegt hatte. Entgegen seinen Erwartungen, so betonte er, seien
die Diskussionen und Vorträge »interesting« und »important« für ihn gewesen − eine Einschätzung, in die auch andere der Anwesenden einstimmten. Doch was genau war so unerwartet interessant und wichtig? Im Folgenden eruieren wir anhand der Rückmeldungen
und Einschätzungen der eingeladenen Aktivist*innen die Spannungen, Irritationen und
Potentialitäten der Zusammenarbeit zwischen Personen aus unterschiedlichen geografischen Regionen und mit variierenden Zielen und Interessen. In der Diskussion zeigte sich
zum einen, wie unerwartet diese Ergebnisse letztlich waren, wurden sie doch häufig erst im
Verlauf der Zusammenarbeit ersichtlich. Zum anderen offenbart sich hierin die Heterogenität der Teilnehmenden. Während wir oben zunächst von einer gemeinsamen Motivlage
− der aktivistischen Forderung nach Partizipation − ausgegangen sind, so kristallisierten
sich nun Unterschiedlichkeiten heraus oder, in den Worten von Tsing, die »unexpected
and unstable aspects« (2005, 3) von Interaktionen, die auch innerhalb der Kategorie ›Aktivist*in‹ vorzufinden sind.
»Making memory alive« − Engagement wertschätzen,
Erfahrungen weitergeben, Geschichte diversifizieren
Das Ziel unseres Forschungsprojekts, die Geschicht/en des HIV/Aids-Aktivismus in Europa zu dokumentieren, sichtbarer zu machen und zu diversifizieren, traf sich mit dem Anliegen unserer Partner*innen. Insbesondere Aktivist*innen aus der Türkei und Polen wiesen
während unserer Diskussion auf den Wert der Erinnerung an frühere gesundheitspolitische
Kämpfe und Erfahrungen mit HIV/Aids für gegenwärtige und zukünftige Generationen
hin. In ihren Kommentaren schien auch durch, wie das Archivieren der aktivistischen Erzählungen die Individuen und Organisationen, ihre Mühen, Erfolge und Erfahrungen anerkennt und ihnen Wertschätzung zollt. So bemerkte ein Vertreter der türkischen Positiv
Living Association (Pozitif Yaşam Derneği)6:
»I believe that discussions about back and then, and about what was our journey, and
what happened then − a discussion about the past and the future is very important
and empowering. Especially regarding remembering through archives and making
your memory alive, is a really important thing, especially with a new diagnosis. We
have people who got diagnosed recently with HIV. [...] Even imagination, dreaming
about − that becomes a problematic issue in a way. So, in my presentation, I also
think about the destiny, struggle and hope triangle, but these kinds of archives can
fuel hope, create a hope and make dreams start to be possible again.«
Kulturwissenschaftler*innen beobachten gegenwärtig ein gesteigertes Bewusstsein für die
Geschichte von HIV/Aids und die Entstehung entsprechender Archivprojekte (vgl. Kerr
2019). Zum Ausdruck kommt in dieser »AIDS Crisis Revisitation« (ebd., 6) »a hope to he-
55
Friederike Faust, Todd Sekuler, Beate Binder
rald, remember, and learn from the powerful efforts of the past« (Cheng u.a. 2020, 12) −
und, so ergänzte der Aktivist, die Möglichkeit, Bestärkung und Anerkennung zu erfahren.
Besonderes Gewicht wurde in diesem Kommentar zudem darauf gelegt, dass das Erzählen
von Vergangenheit auch Möglichkeitsräume präfiguriert. Erinnerungspraktiken sind insofern untrennbar mit dem Imaginieren als sozialer Praxis verbunden (vgl. Ringel 2016). Auch
zeigt sich in der Hinwendung zur Geschichte von HIV der Wunsch, aus der Vergangenheit
zu lernen, um die Reaktionen auf gegenwärtige gesundheitspolitische Herausforderungen
zu kontextualisieren und über mögliche Zukünfte zu spekulieren.7 So sah auch ein Aktivist der European Patients’ Academy on Therapeutic Innovation (EUPATI) in dem Archiv die
Möglichkeit, das durch die Vorreiterrolle der Aids-Aktivist*innen akkumulierte Wissen für
andere Patient*innenorganisationen bereitzustellen. Das Archiv als Produkt der Kollaboration sollte also nicht nur einen wissenschaftlichen Nutzen haben, sondern würde auch für
die aktivistischen Kämpfe (um Anerkennung) wertvoll sein. Dass die dadurch vermittelten Erinnerungen immer partiell sind, machte ein Aktivist von SIEĆ PLUS, dem polnischen
Netzwerk von Menschen, die mit HIV/AIDS leben, deutlich:
»I believe that creating the archive is something of extreme importance, since it will
be useful for the next generations. Well that would preserve our memories and I,
myself, I think I will live until I’m one hundred and two years old [laughing in the audience], but what about others? I mean, I would like that they are able to share their
knowledge, to share their experience, to share what they know about HIV infections.
[…] I would like to ask you not to forget about our neighbors, about the neighboring
countries, about the Eastern and Southern countries, because there you can see real
problems, you can see problems of people who live with AIDS.«
Der polnische Aktivist machte auf die Gefahr einer Leerstelle in dieser Erinnerung aufmerksam, die unweigerlich mit der Ausschnitthaftigkeit ethnografischer und historischer
Perspektiven verbunden ist. Diese führt auch dazu, dass im EHAA einige Themen und Regionen im Gegensatz zu anderen nur marginal repräsentiert sind. Die in der kollaborativen
Begegnung bereits angelegten Spannungen − unter anderem durch die erforderliche Länderauswahl − bestehen also als Sedimente in den Produkten der Kollaboration fort.
Das European HIV/AIDS Archive ist jedoch als lebendiges Archiv konzipiert (Dziuban
u.a. 2021). Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen und andere Personen sind eingeladen,
selbst Interviews beizusteuern und damit den Bestand zu erweitern und weiter zu diversifizieren.8 Nachdem wir dies erläutert hatten, begannen einige Konferenzteilnehmer*innen direkt zu überlegen, wen sie interviewen oder wie sie weitere Personen zur Arbeit am
Archiv motivieren und dem Archiv zu Bekanntheit verhelfen könnten.
Ein Aktivist der türkischen Human Resource Development Foundation (İnsan Kaynağını
Geliştirme Vakfı) machte aber auch deutlich, dass der Nutzen lebendiger Erinnerungen
sehr stark mit der Art und Weise des Archivierens verbunden ist. Denn in manchen politisch-rechtlichen Kontexten hängt das soziale oder gar physische Überleben vom Vergessen und Nicht-Erinnern ab. Seine Perspektive aus der Arbeit mit marginalisierten und
kriminalisierten sozialen Gruppen machte deutlich, wie wichtig die praktische Erfahrung
ist, um die ethischen Dimensionen des Archivierens und damit verbundene Grenzen zu
reflektieren.
»I think what I will take with me is more the historical background of HIV and the
importance of archiving actually. Like me personally, I was working with sex workers
56
Reibung als Potential
for fifteen years, but I was also working with victims of human trafficking and there
we had a shelter for victims of human trafficking. I think that another important issue
when we are talking about HIV is that all kinds of exploitation processes make people also more vulnerable to HIV issues, or affects them in a very dramatic way. And
in these fifteen years I developed an attitude that I call »anti-archiving«. I was really
against archiving, because I had to protect the anonymity of the people I was working
with. So, we weren’t recording any data and we were actually destroying our archives
in a way, because we had the fear that this would mean providing the information to
the police and so the anonymity was very important for us. But nowadays when I look
back, I would say that I have a very long experience, but I will take it with me to the
other side in a way. So, with this conference and many other things I asked myself:
What can be the measurements, what can be the tools to just share that experience?
Because anti-archiving was a very important strategy to survive and to protect the
community in that sense. But with this conference I started to think more deeply
about what can be the methods or tools to just share this experience with the next
generations.«
In seinem Wortbeitrag wird sichtbar, dass kollaborative Situationen wie die Konferenz auch
als Versammlung sich widersprechender moralisch-ethischer Überzeugungen, politischrechtlicher Kontexte und unterschiedlicher Gefährdungslagen und Verletzbarkeiten gedacht und erlebt werden können. Diese führt nicht unweigerlich zu Konfrontation, sondern
ermöglicht auch, die eigene Praxis zu reflektieren. So wurde der Aktivist angeregt, die Haltung des »Anti-Archiving« zugunsten des Nutzens von Archiven für zukünftige Generationen zu überdenken. Uns hingegen regte es zur Reflexion über die soziale Situiertheit des
Archivierens als Praxis und des Umgangs mit Geschichte an. So scheint die Relevanz, die
Archivprojekten gegenwärtig beigemessen wird, zwar mit der entstandenen Vorstellung
von historischer Linearität sowie der Möglichkeit zu folgen, sich durch reflexive Selbstverortung in der Geschichte weiterzuentwickeln. Sie basiert aber zunächst vor allem auf
einem politisch-rechtlichen Rahmen, der ein Mindestmaß an Rechtssicherheit und Schutz
vor politischer Verfolgung bietet.
»Möglichkeitsräume freisetzen« − Politiken reflektieren, Zukünfte überdenken
Eine zweite zentrale und nicht minder spannungsgeladene Frage, die uns während der gesamten Forschung beschäftigte, war, wie wir unsere Ergebnisse und Diskussionen an die
Arbeit der Aktivist*innen anschlussfähig machen können. Auf der Konferenz stellte eine
von uns sodann die Frage in den Raum, wie qualitative Daten für sogenannten Data Activism zur politischen Einflussnahme genutzt werden könnten.9 Und auch der Drittmittelgeber hatte die Erwartung formuliert, dass das produzierte Wissen unmittelbar gesellschaftspolitisch nutzbringend eingesetzt werden sollte. Während wir Forschenden vor allem
durch Überlegungen zur politischen Positioniertheit der eigenen Forschung motiviert
waren, schien beim Drittmittelgeber jenes ökonomisierte Wissenschaftsverständnis durch,
dass Isabelle Stengers (2018) als »fast science« beschreibt: Dieses Wissen soll unter anderem einen unmittelbaren und messbaren Nutzen haben, Dilemmata auflösen, eindeutige
normative Stellungnahmen und prognostische Handlungsempfehlungen geben und steht
damit im Widerspruch zur »slow science« der Kulturanthropologie mit ihrer zeitintensiven
Methodik, ihrem analytischen Interesse an Komplexität und Uneindeutigkeiten und ihrem
57
Friederike Faust, Todd Sekuler, Beate Binder
Anspruch an Reflexivität (Werth/Ballestero 2017). Aber auch innerhalb der Möglichkeiten
der Kulturanthropologie werden die Potentiale, Grenzen und Notwendigkeiten einer kollaborativen Anthropologie umfassend und kritisch diskutiert. Während manche für eine
direkte politische Einmischung des*r Anthropolog*in in soziale Problemfelder plädieren
(bspw. Sol Tax und die Action Anthropology (1975), Nancy Scheper-Hughes und die Militant Anthropology (1995) und Stuart Kirschs Engaged und Advocacy Anthropology (2018)),
identifizieren andere den politischen Wert akademischer Kollaboration mit sozialen Bewegungen vor allem darin, dass diese Möglichkeiten der facettenreichen und tiefgehenden Reflexion aktivistischer Praxis abseits schnelllebiger Alltage bietet (bspw. Hamm 2013;
Werth/Ballestero 2017; Faust 2019). Das Zusammenkommen mit den von uns abweichenden Perspektiven unserer Forschungspartner*innen erlaubte uns zu sehen, dass diese zwei
Wege nicht als gegensätzlich, sondern auch als komplementär gedacht werden können. So
bemerkte ein Vertreter von International HIV Partnerships:
»In case you didn’t notice, I’m an organizer, I’m not an academic [laughs], but in the
last seven years I have forced myself into an academic-like process to stay awake, trying to understand what’s going on in a very dramatically changing period, and we’ve
found ourselves developing something called mutual mentoring, where I spend a lot
of time with other people talking in various formats, or setting up safer places whether it is film series, or ongoing discussions called »where’s the hope«, or travelling
here to talk with people. And it saved my sanity and it helps me to stay awake and
I think that this is really an essential work that you are doing and it would be interesting just to keep exploring. We think it is absolutely essential that people who are
trying to do good work in their communities, that they find the time to actually do
this reflection and it’s our job to try to create that space, but it is no longer acceptable
for people to keep doing the same shitty work that isn’t future oriented, that isn’t
hopeful and isn’t about winning: It’s time for us to win, you know? It really is. And if
we don’t win, if we are just little victims, we really play into our own stigmatization.
And I think that what you have done is really creative. You’ve shown that it can be
useful and that part, I found as an individual, is the hardest part. Because people, if I
say: »Let’s talk about this«, people say: »Fuck off«, you know? Or: »I’m really busy«.
Well, guess what, the whole world is really busy right now and it’s changing dramatically and we are behind. So, we have to figure out that space.«
Dieser Aktivist hebt den Wert akademischer Reflexion hervor, denn diese kann, wie Beate
Binder und Sabine Hess betonen, Grautöne, Widersprüche und Komplexitäten sichtbar machen und nebeneinander bestehen lassen. Im Kontrast zum hektischen Alltag auch in NGOs
muss dieses Wissen nicht unmittelbar zu Diagnosen, Lösungen und Forderungen verdünnt
und zu Skandalisierungen und Mobilisierungen zugespitzt werden (Binder/Hess 2013, 9f.).
Kollaborationen, wie sie im Rahmen unseres Forschungsprojekts umgesetzt wurden, können »reflexive Mikrosituationen schaffen, in denen ein nicht an unmittelbare Notwendigkeiten geknüpftes Nachdenken möglich ist» (Hamm 2013, 68). Wissenschaftliche Kritik kann
bisweilen ungesehene oder zumindest wenig beachtete Muster und Effekte herausarbeiten,
diese in größeren politischen und sozialen Kontexten verorten und dadurch im besten Falle
das aktivistische Repertoire erweitern (Calhoun 2008, xx). Wie Jörg Niewöhner formuliert,
können durch die Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen die Anliegen des Feldes im
Lichte anderer Felder, durch andere Denkweisen, Fragestellungen und verschiedene theoretische Brillen beleuchtet werden (Niewöhner 2016, 11). In diesem Sinne vermag das Kol-
58
Reibung als Potential
laborieren als ungleiche, instabile Interaktion »Möglichkeitsräume freizusetzen« (Rabinow
2004, 41), in denen (zukünftige) Strategien unter neuen Gesichtspunkten diskutiert werden
können. Ersichtlich wird dabei, dass Unterschiede nicht notwendigerweise stören, sondern
im Gegenteil oftmals die Bedingung für jene produktiven Reibungen darstellen, die zu neuen Überlegungen führen (können). So argumentieren wir gegen den, auch im Aktivismus
häufig anzutreffenden Wunsch nach Auflösung von Differenz und der Schaffung einer (politischen) Einheit (vgl. Heywood 2018). Nur durch ein differentes Gegenüber kann Diskussion
entstehen. In diesem Sinne basieren produktive Kollaborationen nicht nur auf Unterschiedlichkeiten, sie sind auch ein Mittel, diese immer wieder herzustellen. Daraus wird auch eine
weitere Facette von Tsings Konzept der friction ersichtlich: Reibungen sind nicht nur durch
Differenz gewissermaßen vorprogrammiert, sondern immer auch Momente und Orte, in denen Differenz immer wieder hergestellt wird bzw. werden kann.
Diese Potentialität sah auch ein österreichisches Mitglied der European AIDS Treatment
Group (EATG) und betonte zugleich die politische Relevanz unserer Theoretisierungen. Er
bezog sich konkret auf die Argumentation von Agata Dziuban und Todd Sekuler (vgl. Dziuban/Sekuler 2021), dass die politischen, rechtlichen und ökonomischen Ungleichheiten
sehr unterschiedliche Zeitlichkeiten der Epidemie hervorbringen, die das gängige Narrativ
von der Chronifizierung von HIV kontrastieren:
»Activist work and policy work, you hardly have time normally to think about such
things. And what I think would be very important, is to bring it to certain levels where
decisions are discussed and made and solved for a better, but different understanding. Because I think that just today, if we talk about chronicity, there are public health
experts that take decisions, there are ministry people that take decisions, about funding or no-funding, about this program, or that program and so on. But I think they
never get the chance to think about it actually. And I think that maybe we all should
think about how this idea could be brought into the world of policy making. I would
say that my experience somehow is that people appreciate it when we give them
some time to reflect. And I think that a lot of what we found here is input for reflection
and based on that reflection you go back to the daily basis and you know it’s about
epidemiological data, funding data, politics and so on, but you had time to reflect.«
In der durch die Präsentation der Forscher*innen gewonnenen Inspiration und dem Bemühen, diese Inspiration in seine Arbeit als HIV-Aktivist zu übersetzen, zeigen sich das
Potenzial wie auch die Irritationen jener spannungsgeladenen Interaktionen.
Wie dieses Wissen konkret an politische Entscheidungsträger*innen herangetragen
und in die Sprache der HIV/Aids policy worlds, die gekennzeichnet sind von quantifizierten Daten und Förderlogiken (»epidemiological data, funding data, politics and so on«)
übersetzt werden könnte, ließ der Aktivist allerdings offen. Eine Vertreterin vom britischen
National AIDS Trust griff genau diese Frage nach den Möglichkeiten direkter politischer
Einflussnahme auf und verteidigte eine klare, doch kooperative Arbeitsteilung zwischen
Wissenschaft und Aktivismus/Politik, die den unterschiedlichen Praxen und ihren Temporalitäten gerecht werde:
»You have questions as well about getting this in front of policy makers. To an extent,
policy change takes time and I don’t think that you can expect academics to become
policy influencers. Academics are academics and they have something to offer. But
it’s about forming these relationships and links between the activists, the policy ma-
59
Friederike Faust, Todd Sekuler, Beate Binder
kers, the groups that are good at influencing policy makers, organizations like my
own, and that’s something that I think this project is, there’s a lot to take from it in
terms of that model, the model that you’ve used in order to do that. But I also think
that it is important that you could say to your funders that it is not just important in
terms of involvement, but it is also important to make sure that the research you do
has an impact, because if organizations like ours are not able to come to this [conference], are not able to talk to you, or are not able to engage with the work that you are
doing, and then if activists aren’t either, then your work is going to sit on the shelf,
and it isn’t…, whereas now, I can go away, I can show my team this website and we can
be engaging with it. So, it will get in front and it will have an impact.«
In der hier beschriebenen Idee der Zusammenarbeit zwischen Forschenden und Aktivist*innen geht es weniger um die direkte politische Einflussnahme als vielmehr um ein stufenweises politisches Wirken. In der Kollaboration können Aktivist*innen und ihre Netzwerke
auch als Mittler*innen adressiert werden, die es vermögen, wissenschaftliches Wissen in
die entsprechenden Idiome, Zeitlichkeiten und Formate ihrer policy worlds zu übersetzen.
Auch die hier zitierte Sprecherin sah den Wert unserer Forschungen nicht allein in der
bereitgestellten Reflexionsmöglichkeit. Vielmehr drehte sie den Spieß um: Wissenschaftlich produziertes Wissen werde erst dann relevant sein, wenn es von (extra-akademischen)
Aktivist*innen rezipiert werde und ihre Arbeit bereichere.
»Shaking dominant paradigms« − Spannungen, Verwobenheiten
und Nuancen sichtbar machen
Es wäre vermessen, wissenschaftliche Kritik als alleinige Reflexionsquelle darzustellen und
dabei die unterschiedlichen Perspektiven und Wissensbestände, die die teilnehmenden activist experts beisteuerten, einerseits zu homogenisieren und andererseits zu trivialisieren.
Dass gerade auch der Austausch zwischen Aktivist*innen aus so unterschiedlichen Regionen und Feldern entscheidend zu Perspektiverweiterungen und zum kritischen Hinterfragen des Narrativs der gay male disease sowie des Kampfes gegen Aids als linearer Erfolgsgeschichte (vgl. Bänziger/Çetin 2017) beitrug, wird im folgenden Beitrag des Vertreters
von International HIV Partnerships deutlich:
»First of all, it was for me especially pleasurable to see people like [Turkish activist]
in the room, who has really impacted my work and to also see this project elevate
the experience in Turkey and in Poland and especially in Germany and Poland, pardon me, in Turkey and Poland, because it’s under-recognized. So, I think this is an
amazing contribution. I also think that it was great to bring out that tension between
sex workers, drug users, migrants, trans issues, to keep that tension going, because
I think it is a continued tension that needs to be addressed, that HIV as a dominant
paradigm, that needs to be shaken.«
Wie der Aktivist unterstrich, bestand für ihn die Bereicherung nicht lediglich im Zusammentreffen mit anderen HIV-Aktivist*innen, wie es auch auf zahlreichen internationalen
Aids-Konferenzen mehrmals jährlich stattfindet. Hingegen resultierte der spezifisch produktive Beitrag aus der vom Forschungsprojekt getroffenen Auswahl an beteiligten Ländern, Organisationen, Diskutant*innen und untersuchten Themen, wie Sexarbeit, Ge-
60
Reibung als Potential
fängnis oder Drogengebrauch in der Türkei, der Ukraine, in Polen und Russland. Da das
Projekt weniger durch die Logik, Zwänge und Routinen internationaler HIV-Politiken bestimmt wurde, sondern vorrangig entlang eines wissenschaftlichen Interesses an diesen
Handlungszusammenhängen entwickelt werden konnte, entstand eine sonst eher seltene
Ansammlung an Personen, Nationen und Expertisen. Die bestehenden Spannungen und
Ungleichheiten, die im Umgang mit HIV/Aids in Europa bestehen, wurden greif- und diskutierbar. Anders als auf den üblichen HIV/Aids-Kongressen herrschte hier jedoch nicht
der Druck der Einstimmigkeit, denn schließlich mussten am Ende keine Erklärung, Resolution oder Handlungsempfehlung verabschiedet werden. Das detaillierte Herausarbeiten
und Würdigen dieser Unterschiede im Rahmen der begleitenden Projekt-Ausstellung wurden auch von Aktivist*innen als inspirierend und hilfreich wahrgenommen, so zum Beispiel
von einem Vertreter von EATG:
»One of the things that actually attracted me in the exhibition was that each country
was showing slightly different ways of looking at things, because in this kind of big
study we are really tempted to apply a template across the whole lot − you know, to
find answers to questions that apply to all the countries. But I think what was really
attractive to me is that you’ve looked at each country slightly differently, because
there will be different issues in each country and that’s one of the benefits. It is also
interesting to see similarities and draw lines between the countries, but it’s also nice
to see the different issues coming from different cultural contexts. What I mean is
that this has been quite useful.«
Der Aktivist spielte damit auf unser ethnografische Hinwendung zu regionalen und soziokulturellen Nuancen und Details an, die sich den häufig unterrepräsentierten Perspektiven
im Bereich HIV/Aids widmete und sich von den quantitativ-vergleichend angelegten Studien der Gesundheitswissenschaften unterschied. Auch ein portugiesischer Aktivist vom
European Network of People Who Use Drugs wertschätzte unser Vorgehen als »a new way
of making studies, or making research that brings some more participatory processes and
that brings more truth. So good research, not this kind of numbers and questions [...] A
way of bringing some sense − real sense, from real realities«. Ein qualitativer Zugriff, der
für feine Nuancen, Ähnlichkeiten und Differenzen sensibilisiert, wurde von unseren Diskutant*innen als bereichernd empfunden, denn er ergänzt jenen Aktivismus-WissenschaftPolitik-Nexus im Bereich HIV/Aids, der vorwiegend von quantitativer Wissensproduktion
gekennzeichnet ist.
Manövrieren zwischen Aktivismus und Wissenschaft
Zum Schluss möchten wir ein letztes Beispiel anführen, das ganz praktisch die Potentialität und Unvorhersehbarkeit kollaborativer Wissensproduktion aufzeigt und zugleich die
Grenze zwischen Wissenschaft und Aktivismus verschwimmen lässt. Die Interviewpartner*innen von Justyna Struzik, die zum Aktivismus zu Polen gearbeitet hatte, hatten immer
wieder mit dem Begriff lawirowanie (pol.: lavieren, manövrieren) beschrieben, wie sie unter
erschwerten Umständen pragmatisch gehandelt, Rückschläge und Kompromisse hingenommen, sich immer wieder angepasst, aber dennoch nicht aufgegeben und kämpferisch
weitergemacht hatten. In ihrem Vortrag auf der Konferenz überführte und übersetzte Struzik den polnischen Terminus in ein analytisches Konzept, maneuverability, um den Modus
61
Friederike Faust, Todd Sekuler, Beate Binder
politischen Aktivismus im Polen der Transformationsphase zu beschreiben (vgl. Struzik
2020). Nicht nur bestätigten ihre Forschungspartner*innen, wie sehr sie sich in dieser theoretischen Abstraktion wiederfinden konnten. Der Begriff wurde sogar von anderen Anwesenden aufgegriffen und damit in neue Felder transferiert: Der Aktivist von International
HIV Partnerships nutzte ihn nicht nur, um auf die Gegenwart und auf andere regionale
und thematische Kontexte einzugehen, sondern flocht ihn zugleich auch in seine Vision für
einen zukünftigen Aktivismus ein:
»Actually I wanted to talk about how important I felt Justyna’s work about maneuverability was. I mean when I talked to her after, the term she was using in Polish
really had a place in time relative to a very oppressive society. And I feel, going back
to what you are saying right now, that it’s very, very important for us to adopt that
maneuverability. I felt very stymied in doing this kind of work and it’s really, really
difficult right now to get the attention. And [...] we have to figure out how to actually
speak to various groups to make it vital and it requires that kind of maneuverability
that, you know, it’s not just a historic term, it’s really what activists need to do [...].
And we need to support each other. So, thank you.«
Die Konferenzdiskussion führte uns so vor Augen, wie mit und durch Aktivismus wissenschaftlich relevantes Wissen produziert werden und wie zugleich Wissenschaft aktivistisch
wirken kann. Sie zeigte uns, dass eine engagierte Kulturanthropologie zu einer Politik der
Koalitionsbildung beitragen kann, indem sie die Grenzen zwischen Wissensfeldern und
zwischen Aktivismus und Wissenschaft überbrückt und dabei zugleich anerkennt, dass alle
Beteiligten immer auch eigene, nicht zwangsläufig deckungsgleiche Ziele verfolgen.
Dass kollaboratives Forschen im Sinne des Miteinbeziehens der Forschungspartner*innen politische Prozesse bereichern kann, indem es Reflexionsmöglichkeiten und -räume
schafft, ist in der kulturanthropologischen Diskussion unbestritten. Unser Beitrag hat sich
der Einschätzungen unserer Interviewpartner*innen und Partnerorganisationen bedient,
um das politische Potential ethnografischer Wissensproduktion weiter aufzufächern. Daran
geknüpft ist unmittelbar die Einsicht, dass das Wie der gemeinsamen Reflexion stark von
den Beschaffenheiten und Gewohnheiten, dem Wissen und den Praktiken der jeweiligen
Felder abhängt.
Die gemeinsame Diskussion ermöglichte schließlich unterschiedliche Dimensionen und
Formen des Reflektierens auszubuchstabieren und damit verschiedenen Verflochtenheiten
von Politik und Wissenschaft nachzuspüren. Dies beinhaltet die Aspekte der qualitativen
Forschung zu zentrieren, die Aktivist*innen für ihre Arbeit inspirierend finden, vor allem,
weil sie neue Denkweisen über die Felder bieten, in denen sie sich engagieren. Dabei geht
es insbesondere um die Vorteile, die sich ergeben, wenn man sich auf die Nuancen und
Kontexte des Handelns konzentriert, sich neuen Fragestellungen und Analysekategorien
öffnet, dominante Erzählungen relativiert und sich Raum und Zeit nimmt, um über die Vergangenheit nachzudenken − auch, um Zukünfte neu zu denken.
Endnoten
1
Das Projekt wurde gefördert durch HERA (Humanities in the European Research Area) im Rahmen
des Joint Research Programs »Uses of the past« (HERA.15.093). Hier finden sich auch die Partnerorganisationen.
62
Reibung als Potential
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9
1994 wurden im Zuge des Pariser AIDS summit die sogenannten GIPA-Prinzipien (Greater Involvement of People Living with HIV/AIDS) formuliert: http://vpwas.com/wp-content/uploads/2014/10/d96596c4b961f1929dc8687ace6c44e6.pdf
Die hoch professionalisierte internationale Landschaft des HIV/Aids-Aktivismus und die Knappheit
öffentlicher und privater Fördermittel lässt die vielen Organisationen auf dem »Social Movement
Market« (Thayer 2010) um Anerkennung, Glaub- und Förderwürdigkeit ringen. In einem solchen
Kontext sind Verlinkungen sowie offizielle Dokumente, die die Mitwirkung an einem internationalen (Forschungs)Projekt bescheinigen, wertvolle Ressourcen.
Informationen über die Ausstellung sowie der englische, deutsche, polnische und türkische Ausstellungskatalog sind auf der Projektwebseite zu finden: www.europach.eu/project-outcomes/exhibition/
Die Konferenzsprache war Englisch. Um den zahlreichen Sprachbarrieren zumindest etwas entgegenzusetzen, hatten wir Simultanübersetzung ins Deutsche, Polnische und Türkische organisiert.
Auch die nachfolgenden Zitate sind Zitationen der Simultanübersetzer_innen vorort und nicht
direkte Zitationen. Sprache bzw. Sprachbarrieren und ihre Überwindung sind häufig ein zentraler
Aspekt kollaborativen Zusammenarbeitens. Als besonders bedeutend wurde daher von türkischen
Aktivist*innen hervorgehoben, dass das von Zülfukar Cetin und Peter-Paul Bänziger im Rahmen
des Projekts herausgegebene Buch »AIDS und HIV in der Türkei« ins Türkische übersetzt wurde.
Konferenzprogramm und -bericht sind hier zu finden: http://europach.eu/project-outcomes/finalconference/
Aus Schutz der Privatsphäre nennen wir nicht die Namen der einzelnen Teilnehmer*innen, wohl
aber die der Organisationen, die sie vertraten und mit denen wir offizielle Kooperationen geschlossen hatten.
Gerade im Zuge der Covid-19-Pandemie hat das Anliegen, den Umgang mit Epidemien zu dokumentieren und aus diesem zu lernen, besondere Relevanz erfahren (z.B. das Projekt Witnessing Corona des Boasblogs). So werden gegenwärtig nicht nur Vergleiche zur Spanischen Grippe, sondern
auch zu HIV/Aids herangezogen (vgl. Tensley 2020; Wolfe 2020).
Die technische und organisatorische Infrastruktur des Archivs kann auch als potentieller Gewinn
der Zusammenarbeit zwischen Universität und Aktivismus verstanden werden: Das Archiv wird über
das Medienrepositorium der Humboldt-Universität zu Berlin erschlossen und profitiert damit von
den auf Langfristigkeit angelegten technischen Infrastrukturen sowie einer professionellen technischen Betreuung durch die Universität. Durch Einwilligungserklärungen der Interviewten und Verträge über die Nutzungsrechte mit den Interviewer*innen sind Rechte und Pflichten für beide Seiten
transparent und abgesichert.
Sie bezog sich damit auf jene Form des evidenzbasierten Aktivismus, der die Produktion und Verbreitung wissenschaftlicher, meist quantitativer Daten forciert, um Einfluss auf politische Prozesse
nehmen zu können.
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64
The Anthropologist as Sparring Partner:
Instigative Public Fieldwork, Curatorial
Collaboration, and German Colonial Heritage
Jonas Tinius
ABSTRACT: Anthropological fieldwork is a collaborative practice, based and reliant on interactions and relations of trust and exchange. Yet, it is limited and enabled by the openings
and closings, the stability and instability of relations between interlocutors, fieldworkers, and
the many things that matter in-between and around these relations. This article reflects on a
series of public conversations called gallery reflections, which were instigated as a collaborative ethnographic practice with and within the gallery of the institute of international cultural
relations (ifa) in Berlin-Mitte. The series addressed the legacies of German colonial heritage
and the public role of anthropology against the backdrop of the construction of the Humboldt Forum and museum transformations. Investigating the notion of the anthropologist as
sparring partner, this article probes into possible ways of conceiving curatorial-ethnographic
collaborations as ›instigative public fieldwork‹.
KEYWORDS: Anthropology; art; curating; collaboration; colonial heritage; ethnography;
Berlin
HOW TO CITE: Tinius, J. (2021): The Anthropologist as Sparring Partner: Instigative
Public Fieldwork, Curatorial Collaboration, and German Colonial Heritage. Berliner
Blätter 83, 65−85.
Fieldwork, collaboration, and relationality
A
nthropological fieldwork is a collaborative practice, based and reliant on interactions
and relations of trust and exchange.1 The work one is able to conduct in the field as
an ethnographer, and the insight one is able to gain, changes with each new conundrum
one (deliberately) confronts or seeks to understand. Yet, it is limited and enabled by the
openings and closings, the stability and instability of relations between interlocutors, fieldworkers, and the many things that matter in-between and around these relations. In fact,
the differential make-up of these very relations that constitute (and occasionally render
impossible) fieldwork is where, how, and why fieldwork varies: how these relations between
anthropologist, interlocutors, and other persons in the field are initiated, configured, and
articulated are meaningful beyond mere questions of ›access‹, ›method‹, or ›ethics‹ in the
field. They are what makes fieldwork (Strathern 2020). Indeed, a great deal of anthropological scholarship has exemplified the value added from treating configurations of relations
in and of themselves − for what they tell us about perspectives and ontologies (Viveiros de
DOI: 10.18452/22406 | Creative Commons CC 4.0: BY-NC-SA
Berliner Blätter 83/2021, 65–85
Berliner Blätter 1/2020
Jonas Tinius
Castro 2015), power and hierarchy (Strathern 1995), mistrust and scepticism (Carey 2017),
or the extent to which practices of detachment are (perhaps counterintuitively) constitutive
of relationalities (Candea et al. 2015; Tinius 2016).
Equally, the nature and make-up of the relations established and maintained during
fieldwork affect the possibilities and dilemmas when writing about these relationships. Arguably, this relation between the initiation and variable maintenance (or rupture) of such
relations and their description and analysis is even constitutive of the anthropological enterprise as such. »To practice participant observation«, as Tim Ingold puts it in an intervention on ethnographic theory, »is to join in correspondence with whom we learn or among
whom we study, in a movement that goes forward rather than back in time« (2014, 390). It is
in this sense that anthropological fieldwork − participant observation and its variations on
this practice − is variably collaborative in the etymological sense of collaboration, that is, as
research conducted and insight generated by working with other people or someone else.
Whether I consider the people to whom I relate to be interlocutors, colleagues in a shared
professional enterprise where their »epistemic jurisdiction« (Boyer 2008, 38) overlaps with
mine, or as informants kept at bay, impacts the conception and significance of collaboration. This vocabulary − informant, interlocutor, colleague −, and the distinctions between
them, impact research design and imply, potentially, vastly divergent ideas about the possibility of shared aims, or even the undesirability thereof.
During the design and unfolding of my own research collaborations with curators in
Berlin, I have borrowed from approaches in contemporary anthropological discussions
that set out to be experimental and reflexive, most notably »ethnographic conceptualism«
(Ssorin-Chaikov 2013) as well as joint research partnerships established under the banner
of »para-sitical ethnography« (Deeb/Marcus 2011; Marcus 2010).2 Anthropological studies
on the self-positioning and reflexivity of intellectuals and expertise (Boyer 2008; Baert/
Marcus 2015) and »co-laboration« (Niewöhner 2016), prototypes (Corsín Jiménez/Estalella
2017) and critique (Holbraad 2017) have all facilitated a terrain on which experimentation
with what it means to practise fieldwork is no longer merely a question of method. Instead,
the work emerging in this context addresses the very politics of anthropology and the future of its epistemic partnerships and relations to interlocutors, which constitute the very
core of anthropology. What anthropologists thus consider to be the outcome of fieldwork
and whom they consider to be their producers − in other words, how inclusive the idea of
authorship is constructed before, during, and after fieldwork − allows for a great deal of
variation on the meaning of collaboration. Therefore, neither the collaborative nature of
fieldwork nor the relational constitution of anthropology as a discipline are self-evident,
but vary drastically and with methodological, epistemological, and political implications.
In this article, I analyse my collaborations with curators in the context of a public art gallery
and outline what I describe as ›instigative public fieldwork‹. Thereby, I refer to a form of collaborative anthropological work that positions the anthropologist as a visible and marked
sparring partner in a mutually challenging and generative institutional collaboration with
curatorial and artistic practice, which itself becomes a trigger for public discussions − in
this case on organisational responsibility and the role of anthropology in the face of public
debates on critical heritage and colonial legacies in Germany.
The field of art-anthropology collaborations abounds with such questions of form, method, and epistemology in particular (see e.g. Bakke/Peterson 2017a; Schneider/Wright
2006). Not least since the so-called ›relational‹ and ›ethnographic‹ turns in contemporary
arts practice (Bishop 2004, 2012; Bourriaud 2002 [1998]) and scholarship (Rutten et al. 2013;
Siegenthaler 2013), anthropologists and artists alike have been fixated on what they can
66
The Anthropologist as Sparring Partner
learn from each other, how to ›unlearn‹ and redo certain canons. Predominantly, these
criss-crossing practices concern exchange and sociality (Flynn/Tinius 2015; Long/Moore
2012), relationality and fiction (Blanes et al. 2016), as well as means and methods of artistic
and ethnographic work (Bakke/Peterson 2017b). Okwui Enwezor’s notion of ›intense proximity‹ (2012) captured the sense in which anthropologists, curators, and artists, synthesised
through curatorial work on coloniality, drew on joint experiences and conceptualisations
of planetary and cognitive distance, offering a lens to think about the discrepancies and
irregularities, the jealousy and misunderstandings arising from an assumption of similarity
rather than difference (see also Sansi 2020). We can detect caution, when Enwezor asks
whether »the curator [is] a co-traveller with the ethnographer in the same procedures of
contact and exploration?« − or even more drastically put when he suggests that »[l]ike
the ethnographer, the contemporary curator is a creature of wanderlust« (2012, 21). These
more recent reflections on modern and contemporary art and curatorial practice thus draw
on experimentations of surrealist art (Sansi 2015), structuralist, and later interpretative anthropology (Clifford/Marcus 1986), which already prior to the relational artistic practices of
the 1990s, unmoored the scientific certainty of anthropology and pointed to its productive
affinities between the poetic, the fugitive, and associative of artistic subjectivity and the
ethnographic imaginary.
However, too little thought, in my view, has been devoted to considering the limits of
ethnographic research in and with the arts and curatorial practice, and the difficulties of
integrating artistic practices in anthropology, as, for instance, Sansi and Strathern (2016)
elaborate in a conversation on gift exchange and participation in the arts. Arnd Schneider
sums it up fittingly when he describes the need for a »mutual recognition of difference«
within a joint »hermeneutic field« shared by art and anthropology that is »tenuous and uneven« (2015, 26−27) rather than stable and clear. While many of the recent publications on
anthropology and art have treated a broad range of aspects (ranging from practical co-productions to philosophical exchanges and theoretical critiques), studies looking at the role
of the anthropologist or anthropology have frequently exhausted themselves in taking it as
a source for material or positing a quasi-equivalence in the name of experimentation and
critique (Foster 1995). Many of these attempts aim at methodological innovation (Criado/
Estalella 2018) or lobby for a more confident, contemporary, and firmly integrated anthropology of art as »another subdiscipline of anthropology«, as Fillitz and van der Grijp (2018,
22) argue in their introduction to one of the recent volumes on contemporary anthropologies of art that have multiplied over the last ten years.
This discussion is central to the developments of a collaborative anthropology of and
with curatorial practice. Yet, however exciting and productive this development of collaborative practices and writing since the 1990s has been for both anthropological and artistic
work, the call to ›establish‹ the study of art as a subdiscipline of anthropology is a deceptive
red herring. Recognising artistic practices as a specialised niche with its own discourses
and theoretical developments fails to acknowledge that art, not unlike anthropology, has
a productively fuzzy focus. Any form of art, be it amateur, modern, or contemporary, treats
a range of subjects; it has been the retrospective writing of art history − art historiography
− as a history of ›landscape‹, ›abstract‹, ›relational‹ art, et cetera, that has created the idea
of an art of something, rather than art as a form of thinking (see Bourdieu 1993; Heinich
2014). It is not an esoteric observation that art, like anthropology, deals potentially with
all dimensions of human (and even post- or non-human) existence and is therefore potentially of interest to the entire discipline of anthropology. Artistic practices range from the
practical intuitive to the conceptual and theoretical spectrum, dealing with anything, from
67
Jonas Tinius
indigeneity and nativism to food and kinship, politics and economics, technology and markets, to ethnographic methodologies and anthropological theories. Furthermore, artistic
practices, objects, and theories are also aligned across the entire political and ideological
spectrum, making art not just a priori a »Good Thing« (Gell 2006, 159), but potentially awkward and difficult albeit productive problematisations to think with in collaborative terms
(Tinius 2018). For this reason, rather than treating the analysis of artistic practices as a subdiscipline of anthropology, it is more productive to think of it and treat it as an aspect of
human existence and social practices that is inseparably linked to the study of human life.
The sociological notion of distinct art worlds, or art systems as particular bourgeois and
modern systems of cultural production, and therefore as forms of artifice unrelated to the
otherwise functioning of a society, has led to a curious and problematic detachment between the study of modern and contemporary art in Western art history as institutionalised
systems and the otherwise focused anthropological study of art as a social form in predominantly indigenous communities. As Sansi (2015) and Canclini (2014) trace, this separation
may have been the result of modernism in art and modernist anthropology itself, but it has
backfired in so far as it carved out the anthropological study of modern and contemporary
art as a niche rather than a way of understanding society and human life more broadly. Considered such, it is more useful to treat it as a field of ›problems‹, or ways of finding forms to
think through, rather than assuming it to be helpful in finding solutions for contemporary
problems and thus to mobilise it as therapeutics rather than analytics. It is, in Rabinow’s
sense of the emergent contemporary, a realm of social life that points to yet unformed ways
of describing present problems »that can only be partially explained or comprehended by
previous modes of analysis or existing practices« (2007, 4).
This article addresses a field replete with such problems, and offers a proposal born from
a discontent with an assumption that curatorial practice or artistic practice is like ethnographic fieldwork. Focusing on emerging curatorial work and contemporary art that works
to generate an intersectional critique of German national heritage narratives by recourse to
their colonial legacies, this article offers instead the emic notion of ›sparring partnerships‹.
This notion seeks to capture a mutually provoking and challenging, albeit generative way
to think about collaboration between curatorial and anthropological work in the context
of contemporary art. This arose from and was one of the main methods of my fieldwork
between June 2016 and March 2020 as part of the multi-researcher, multi-sited ethnographic project »Making Differences in Berlin: Transforming Museums and Heritage in the 21st
century« (2016−2020) of the Centre for Anthropological Research on Museums and Heritage (CARMAH) in the Department of European Ethnology at Humboldt-Universität zu
Berlin funded by Sharon Macdonald’s Alexander von Humboldt Professorship. To complement research done by other colleagues e.g. in the field of provenance research and
the transformation of ethnological museums in Europe, my research focused on the role of
contemporary art and independent curators. This took place against the charged backdrop
of the opening of the controversial Humboldt Forum in December 2020 in the reconstructed
City Palace (Stadtschloss) on Berlin’s museum island, south of Alexanderplatz and along
the pompous Unter den Linden boulevard.
This »palatial recurrence« (Tinius and Zinnenburg 2020) and the difficult phantoms of
Germany’s past that haunted it served as a backdrop to the unfolding of narratives on German colonialism. I chose to work with a selected number of gallery and exhibition spaces, most notably the communal gallery of the diverse northern district of Berlin-Wedding
and the nearby independent project space SAVVY Contemporary. I accompanied them in
order to understand forms of curatorial troubling of such grander narratives on national
68
The Anthropologist as Sparring Partner
Fig. 1: A section of the ifa-gallery as seen from Linienstraße. For the second chapter and exhibition
»Watch your step/Mind your head«, the curator Marina Reyes Franco had attached a blue line
signalling part of Christopher Columbus‹ journey through the Carribean. Copyright: Victoria
Tomaschko, 2017. Reproduced with permission.
cultural heritage, and to trace their thought and practice of curatorial work in a dense context of literature and theorisation on intersectionality, coloniality, and exhibition-making.
Throughout these research phases, I sought to construct and maintain dialogic forms of
fieldwork, most of the time quite literally based on long-term conversation projects, such
as the »relexification dialogues« with Bonaventure Soh Bejeng Ndikung for which we took
the twenty-six letters of the alphabet as starting points for a creolisation of the way to talk
between curating and anthropology.3 These forms of relating to curatorial work exceeded observation and participation, and instead prompted a certain kind of complicity, or
as Dwight Conquergood called it, a »co-performative witnessing« (Donkor 2007, 822) of
curatorial labour at a particular moment in Berlin’s museum and heritage landscape transformations (Macdonald 2016). This article focuses on one kind of collaborative fieldwork in
a public gallery in which this grappling, both my own on how to conduct fieldwork in such a
highly reflexive and critical context, and that of these curators who became my most significant interlocutors during and beyond this time of research, unfolded.
Gallery Reflections: Colonial Legacies and Contemporary Societies in Berlin
For this article, I draw on an experimental research agreement and public cooperation with
the Berlin gallery of the German Institute for International Cultural Relations, the Institut
für Auslandsbeziehungen (hereafter, ifa) in the city’s central gallery district of Mitte, led since April 2016 by the Berlin-based curator Alya Sebti (except during phases of maternal leave, when interim director Inka Gressel led the gallery). Sebti had been working on various
iterations of her relational curatorial practice in the Berlin and Stuttgart gallery branches of
69
Jonas Tinius
the ifa visual arts department, before assuming her role as director. Her curatorial practice
is relational and participatory, since she emphasises her work as the facilitation and finding
of forms for encounters between different forms of knowledge (scholarly, curatorial, artistic) and practices or fields of inquiry (art history, anthropology, sociology, philosophy). Her
exhibition Carrefour/Treffpunkt. The Marrakech Biennale and beyond (2015), which was
shown in both ifa venues in Stuttgart and Berlin, exemplified her relational and transnational approach to reconfiguring the role of foreign cultural relations through contemporary
art. Taking Marrakech as a real and metaphoric centre, she invited artists, curators, and
writers who had worked on previous instalments of the well-known Biennale, of which Sebti
was artistic director in 2014, to reflect on the porous crossroads of North and Sub-Saharan
Africa, East and West Africa, the Maghreb and Europe, creating a platform for rethinking
these relations.
I first learned about the one-year programme she had devised for the beginning of her
tenure as director at the Berlin ifa-gallery in late 2016 during an exhibition visit of the show
With Different Eyes (2016), which showed photographs by Johannes Haile (1927−2016).
Haile was commissioned by the German Embassy in Ethiopia to capture images of post-war
Germany during its industrial comeback. The show caught my attention due to its reversal
of the gaze on cultural heritage and German identity. Rather than focusing on representations of Africa, or Ethiopia, from a patronising ›contemporary arts‹ perspective, it exemplified the subjective encounters and moments of curiosity between subjects on street corners and crossings, ephemeral gazes that revealed the ways in which encounters between
the »West«, and the categories that have been misconstrued as its Other, can be thought
through in relation to art and photography. As Sebti wrote in her preface to the exhibition
catalogue, »The stories he [Haile] narrated through his journey became part of a globally
circulated set of imagery. Not as a representation of the ›Other‹, but as an enunciation
of diverse realities« (2016, 6). Relating her analysis to the theoretical writings of Édouard
Glissant (1990), she underlines how the exhibition − thus anticipating her own curatorial
perspective − is not simply recreating a process of Othering in reverse but seeks to create
reversed aesthetic perspectives on subjectivity and difference. The photographs arranged
in black and white on the gallery walls − at first glimpse a fairly common arrangement for
a photographic exhibition − appeared to gaze back at the visitors, whose own situatedness
in the streets on which Haile documented Germans echoed those in the frames on show.
I passed the show several times on my way home from the university office and kept
asking myself what it signalled for such a show to stage these forms of theory in relation
to German public cultural narratives. An assistant in the gallery told me of the larger programme and nudged me to get in touch with the director, Sebti. Her response came, as she
admitted later, after some initial scepticism about an anthropologist writing to her »out of
the blue« before she had even started her programme − a scepticism that became symptomatic of engagements with curatorial work and anthropology’s difficult colonial legacies in
other fieldwork encounters (see Oswald and Tinius 2020). We took this problematisation of
anthropology as a starting point of our first meeting, and unfolded this conversation subsequently on a regular basis, beginning in late 2016 over coffee in the ifa-offices on Linienstraße, situated in the courtyard of a former GDR publishing house just off Friedrichstraße
in Berlin’s former East, now home to several foundations and ifa-related departments and
their international journal Kulturaustausch. The initial focus of our conversations was to
think of possible ways of overcoming the impasse between the colonial stain on anthropology, not least in the context of Germany, and to find collaborative ways of integrating this
interrogation of anthropology’s colonial entanglements actively in the gallery programme.
70
The Anthropologist as Sparring Partner
Pointing to her sketches on a whiteboard in her office, and presentations she had prepared and discussed with the then head of the ifa visual arts department, Elke aus dem
Moore (at the time of writing director of Akademie Schloss Solitude), Sebti outlined her
initial programming project in greater detail to me. Grappling with the right ways to frame
the concepts she wanted to use, across translations back and forth from English and French
into German − she laid out her plans for what eventually came to be called Untie to tie:
On Colonial Legacies and Contemporary Societies.4 The initially one-year, eventually multi-year, research and exhibition programme, she told me during a meeting in early 2017,
would be divided into four autonomously curated and differently themed, albeit interrelated, »chapters« (Kapitel), each of which with a different invited curator or team of curators
and a set of one to ten artistic positions. These chapters were to run from April 2017 to April
2018, allowing between about two and a half to four months for each position to be shown,
exhibited, and discussed in the gallery space. These artistic positions, curated by invited
exhibition-makers, thematised entangled histories of exploitation, protest, and colonial
conquest, drawing on artistic research across the globe and from several continents. The
programme itself was part, at the time, of a growing and ever more recognised set of other
institutions, among them SAVVY Contemporary and Galerie Wedding, which stirred up
theoretically reflexive, non-commercial, and publicly discussed responses to an exhibition
landscape that thitherto had not addressed questions of coloniality, intersectionality, and
epistemologies beyond the West in a coherent and interconnected way. Curators in these
institutions drew on a connected set of shows and publications on these themes that became ever more relatable reference points for thinking about exhibition-making as a form
of counter-narrative to official heritage-making processes of public museums in the city,
most notably the Humboldt Forum.
Crucial to the programme − and provocative in its reform of the preceding exhibition
styles and approaches by former directors, which directed in epistemological and aesthetic
terms of culturally-bound national heritage narratives − Sebti attempted to come up with
ways to open the gallery for audiences from a broader set of demographics beyond the
statistically white German audience of the Mitte gallery district where it was situated. In
order to break with other assumptions of the white cube − frontal presentations, vitrines,
and a lack of interaction with the positions presented −, which characterised exhibitions
in the space prior to this project, the one-year programme was divided into three so-called
»pillars«: a reading and listening station for visitors to use as a library, a digital platform,
and a discursive, accompanying public and educational programme. »We want to render
the space discursive«, Sebti said to me during an interview around the same time in early
2017, »by which I mean bringing the artists, curators, and audiences into conversation«
(fieldnote, 27 January 2017). For this purpose, she had invited the ifa in-house sponsored
publication Contemporary& (led by founding editors Julia Grosse and Yvette Mutumba) to
host and curate a so-called ›reading and hearing station‹. Placed in a semi-detached room
visible through large glass windows from the street, this space, later renamed the Centre of
Unfinished Business, was to be accessible during the regular opening hours of the gallery,
providing a custom-built library and study space with selected books connected to colonialism and its legacies in the present in unexpected ways. Including loans from the grassroots
neighbourhood association Each One Teach One (EOTO) e.V., a library on the literature,
history and lives of people of African descent, this space juxtaposed, for instance, a work on
Emil Nolde and the German expressionist collective Die Brücke with Achille Mbembe, suggesting that »their romanticizing and (…) stereotyping perspective on the »beautiful savages« overseas (…) expresses colonial and biased mind-sets«.5 The reading room and the Cen-
71
Jonas Tinius
tre of Unfinished Business also organised public events, readings, and discussions as well as
artist talks and book launches that bridged the exhibition programme, the overall discursive
context, and the digital platform set up to capture and accompany the one-year programme.
The digital platform (www.untietotie.org) also contains artist-edited documentaries of all
events, events; podcasts contributed by the collaborative sound and music collective Saout
Radio6, and columns as well as essays by curators, artists, and academics that would continue
to cover and archive until 2020.
A third and crucial pillar for the exhibition programme was a section that Alya Sebti outlined as »art in conversation«, a title for the public programme responding to the positions
presented by artists and curators for each chapter, that is, each central exhibition and its
accompanying events. In collaboration with teachers, mediators, schools, and vocational
colleges, a pedagogic series of seminars was designed and public lectures, workshops, and
performances dotted the calendar for each exhibition chapter. It became evident in our initial brainstorming and exchanges on the theme of the programme, the situation in Berlin,
and our interests in collaborative forms of curatorial practice that one could enrich the programme with some kind of regular, long-term, reflection on the practice of the institution
offered by the positions introduced by Sebti.
In the following, I describe and unpack the kind of collaboration that ensued from a
shared concern over the colonial legacies of Germany and fieldwork in and with curatorial
practice. I will trace the initiation, articulation, and reflection of my collaboration with the
gallery in the context of the institution’s 2016−2019 programming on colonial legacies and
contemporary societies. Through a series of curated encounters called the ›gallery reflections‹, this collaboration functioned as a way to interrogate the practices of curating the
gallery programme within a public institution with a difficult heritage and to query and
rethink the role of anthropology within such a frame. Explicitly designed to facilitate experimentation, dialogue, and transparent critique of both curatorial and anthropological practice, the gallery reflections constituted a practical public intervention and a methodological
experiment for the gallery as well as myself at the same time. Due to the politicised and
critical nature of the subject of this programming, I acted as moderator, convenor, and ethnographer, but, crucially, also as subject of critique. Through this series emerged the idea
of the anthropologist as a »sparring partner«, that is, neither as observant participant nor
participant observer, but as instigator of events within a field site, whose ripples and reverberations would become themselves part of fieldwork and research. The gallery reflections
could thus be described as a public form of research and dialogue that served a complex
set of intertwined and open-ended purposes; and it proposed how we might conceptualise
ethnographic collaboration with the anthropologist written firmly into rather than out of
the picture.
Key to this conception was a shared concern with the public role of anthropology as a
discipline that emerged out of the European age of empire, and the debates at the time of
fieldwork in 2017 around the then nascent Humboldt Forum and the way it muddled the
reckoning with German colonial legacies with an ambivalent appraisal of Prussian cultural
heritage. While both the ifa gallery direction and programming, and I as an ethnographer,
shared this common starting observation about the transformations of museums and heritage in Berlin and the emerging ambivalence around the history and legacies of the Prussian
empire, it was as of yet unclear how and if there was a way of finding a public form for addressing this in a manner that could be both fieldwork and exhibition-making.
72
The Anthropologist as Sparring Partner
Public anthropology and colonial legacies
»In our team, we decided to translate colonial legacies as koloniale Hinterlassenschaften«,
Alya Sebti points out in the Q&A after our second gallery reflection on time and temporality
in September 2017.
»As the curatorial team at the ifa Galerie, we could have translated it as Erbe, denoting inheritance, but we wished to stress that we, too, are leaving something behind, right now as we are recording this session, but also in the sense that we have
an impact in one way or another on the way we think about colonial legacies in our
contemporary societies, so also on Berlin and Germany.« (ibid.)
Sebti here points to a crucial aspect of the gallery reflections. As part of a public engagement series with a relatively broad reach, at least in the city of Berlin, and a direct institutional footing in a central public organ of the German government, our involvement was
neither retrospective nor neutral. Not least because my own research project takes place
explicitly against the backdrop of Berlin’s, if not Germany’s most contested and anticipated
cultural heritage project, the Humboldt Forum. The impact of debates around this prism,
which at once refracts and concentrates debates around German colonial heritage, difficult
collections, and awkward pasts (AfricAvenir 2017; Tinius 2018) is such that institutions such
as the ifa gallery and anthropologists working in the city can hardly afford not to position
themselves in one way or another in relation to it; and needless to say, many and regular
discussions have taken place across these fields for quite some decades now (Binder 2009,
von Bose 2016). Each gallery reflection offered an additional public instance of reflection
on colonial legacies, anthropology, and contemporary art, and we thus decided for each
reflection to address contentious and current albeit neglected issues.
The series opened with a theme that we considered to be remarkably absent from discussions on the Humboldt Forum, namely the Asian diaspora in Berlin and its relation to urban space. On 4 May 2017 and against the background of Cameroonian artist Pascale Martine-Tayou’s exhibition on abandoned colonial spaces, we held our first gallery reflection
entitled ›Urban Decolonisation and Diasporic Formations‹. I was in conversation with Noa
Ha from the Center for Metropolitan Studies at the Technical University of Berlin, who had
been working on postcolonial urbanism and Indonesian-Asian diasporas in European cities
and is a board member of the »Migrationsrat Berlin-Brandenburg«, Trang Tran Thu, an
anthropologist working on Vietnamese diasporas in Berlin and also a member of the Migrationsrat as well as the Berlin Asian Film Network, and Hyunsin Kim, Korean choreographer
and performer. Our conversation touched on many issues related to decolonial perspectives
on urban space and the representation of place, but the discussion with the public led to an
important and broader problematisation of intergenerational forms of activism and the differential discrimination of minorities in Germany today. Especially noteworthy was a comment by an audience member from the initiative Afrotak about the lack of representation
of »African persons« on the panel, which to the audience member represented »only one
Asian perspective«. This sparked a heated debate about the plurality − rather than the accused singularity − of diasporic experiences within different Asian communities in Berlin,
whose heritage is either relegated into international ties between former East bloc states
(e.g. Vietnam and the GDR) or implicitly othered in relation to postcolonial critique with a
focus on decolonisation in Africa. For the participants, as they articulated in the Q&A, their
work with diverse Asian-German communities and their intergenerational reflections on
73
Jonas Tinius
Figures 2–3 Screenshot of the YouTube documentation of gallery reflection #1 showing Pascale
Martine-Tayou’s exhibition as part of chapter 1 »Global Relatedness« and gallery reflection #4 in
ACUD, Berlin. © Ifa-Galerie Berlin, 2017.
their families‹ routes and roots draws on the Afro-German life, poetry, literature, and activism that has reshuffled the otherwise white reading of German heritage and recent past.
The first event in the series immediately –before the conclusion of its public element, and
before we could begin analysing and talking about the conversations –offered an example
of the iterative public aspect of such fieldwork. The series provoked a conversation around
stigmatised identities, marginalised voices, and the responsibility of curating and anthropology, that would otherwise not have come together in the same way.
We continued the series on 7 September 2017 with gallery reflection #2, entitled ›Traces, Legacies, Futures: A Conversation on Art and Temporality‹. For this encounter, I had
74
The Anthropologist as Sparring Partner
invited Berlin-based artist Nora Al-Badri, anthropologist Silvy Chakkalakal, professor at
the Institute of European Ethnology at Humboldt-Universität zu Berlin, and London-based
interdisciplinary artist Khadija von Zinnenburg Carroll, Professor of Global Art History at
the University of Birmingham (UK). This second event in the series dealt with the vocabulary of time and temporality. We discussed, for instance, the aforementioned complexities
of using the term colonial ›legacies‹, and how this is different from talking about ›traces‹, or
›remnants‹. In what sense, we further debated, do concerns, for instance, over repatriation,
decolonisation, and institutional critique concern a future-oriented temporal thinking?
How do practices of copying and authenticating colonial objects challenge ideas of linear
temporalities, and what role does art play in negotiating these entanglements? This conversation drew in audience participants from various Berlin-based institutions, including the
Humboldt-Forum and the Hermann von Helmholtz Centre for Cultural Techniques, both of
whom were intended addressees of this conversation. In the sense of Sebti’s idea of rendering her programme discursive, this gallery reflection event sought to underline the way in
which artistic and aesthetic positions provide a different entry into thinking about German
heritage, restitution of objects from ethnological collections and museums in Berlin and
beyond. The conversation with these participants led to further collaborations; Nora AlBadri, for instance, taught a class on techno-heritage in a MA-course on art, anthropology,
and colonialism that I convened at the Humboldt-Universität zu Berlin and we organised a
follow-up conversation at the ifa-gallery on restitution and techno-heritage.7 Crucial here,
to unfold one aspect of the sparring collaboration, was that the link between art and anthropology was two-fold; as material of fieldwork, to be written up in articles such as this, and as
a public event, to be recorded and immediately made publicly available.
A third and fourth encounter followed suit on 16 November 2017 with gallery reflection
#3 ›Art and Intersectional Feminism(s)‹, for which I invited the author Alanna Lockward,
who tragically passed away between the time of the event and that of writing8, academic
Kathy-Ann Tan, and writer Federica Bueti to the gallery in the context of the similarly titled
third chapter on »On Intersectional Feminisms« curated by Eva Barois de Caevel and anthropologist and artist Wura-Natasha Ogunji. This event problematised the role of writing,
autobiography, and aesthetics in the crafting not just of decolonial narratives, but as ways to
bring into dialogue and recognise the intersectionality of matters of race, class, and gender.
The event was a deliberate poking at the emergence of an increasing number of events on
decolonial aesthetics, and it coincided with the run-up to the 10th Berlin Biennale, curated
by Gabi Ngcobo and a team of curators that addressed these questions in the framework of
one of the most recognised art biannuals; yet also in the context and vicinity of a network,
collaboration, and event emerging, among others, through Lockward’s efforts to counter institutionalised form of decolonial thinking, namely the BE.BOP 2018 (Black Europe
Body Politics. Coalitions Facing White Innocence).9 The context of discussions about the
proclaimed diversity (and yet apparent lack thereof) in the German arts scene offered this
event a stage to address the role of feminist intersectional critique. Gallery reflection #4 on
15 March 2018 underlined the ambivalence of the notion ›protesting identities‹, meaning
both the protest against and of identities, and took place with artist Candice Breitz, curator
of the fourth ifa-exhibition chapter »On Riots«, Natasha Ginwala, and theatre scholar Azadeh Sharifi in collaboration with a nearby art space, ACUD, in Prenzlauer Berg. The event
zoomed in on the relation between refusal, protest, strategic essentialism, and tokenism in
discussions about diversity and identity in the context of contemporary artistic practice.
It offered, furthermore, a chance to move outside of speaking on a specific exhibition and
speaking instead about the undergirding politics of who speaks up for whom.
75
Jonas Tinius
Epistemic jurisdiction
In-between these two last events of the gallery reflections series, on 5 December 2017,
Alya Sebti and I organised a »galery reflection« extra, for which we found ourselved on
the ground floor of a renovated club a few minutes south of the Gare du Nord in Paris’ 18th
Arrondissement. We had been invited to give a talk as part of a public programme entitled
»Concrete Mirror«, put together by Brazilian artist Noara Quintana and British anthropologist Alex Ungprateeb Flynn who greeted us with a cup of tea at the bar of the venue.10 In
addition to conceiving a research and exhibition project shown at the entrance foyer of the
Laboratoire d’anthropologie at the EHESS, their project »Concrete Mirror« also brought
together practitioners (artists) and academics (anthropologists) to reflect on indigenous alterity, the role of the museum, decoloniality, and forms of collaboration between art and
anthropology. They had attended a previous gallery reflection I organised at the ifa-gallery
in Berlin and were interested to offer us an opportunity to look back and reflect frankly on
the aspects of the programme, thus opening the curatorial programme to a reflection on the
means and infrastructures undergirding it.
As part of the »Concrete Mirror« project documentation, Alex and Noara video-recorded short introductions to the event from the first-floor mezzanine of the space. From above,
we could see the coffee tables and a few early visitors strolling towards the bar.11 We had
welcomed the invitation, since the institution − now sadly discontinued after Covid-19−related funding difficulties − was founded, among others, by Kader Attia, Berlin-based Algerian-born artist, whose pioneering work on issues of repair had made him one of the
most important references in thinking about colonial legacies − and a significant winner
of the 2016 Prix Marcel Duchamp. The name of the venue, La Colonie, whenever printed,
is written with crossed-out letters (La Colonie). Looked at it thus, it spells out as well as
denounces a reference to colonialism. Programmatic for Attia’s engagement and the space,
whose projects varied from music and entertainment to academic colloquia and exhibitions, was a complex rejection of debates on violence and colonial heritage. It proposed
to think specifically about the way in which intergenerational injuries inflicted upon the
psyche of individuals and the collective psyche of entire societies by colonial empire leave
scars and injuries that cannot simply be repaired or healed. In a provocative turn, then, La
Colonie reassembled this trace of the past − not unlike Sebti’s programmatic reflections on
the polyvalence of the word legacy (as Hinterlassenschaft) in her project’s title; or put more
drastically, »Here we colonise Paris«, in the words of the space’s project programmer Lucie
Tayou. It was also, besides this broader allusion to the legacies of diverse forms of colonial
appropriation, a space that brought to the fore once more the relation between Algeria and
France before the independence on 5 July 1962.12 It was opened on 17 October 2016, anniversary of a bloodbath committed by the French against Algerian demonstrators in Paris in
1961. As Touya explained, the space was
»dedicated to thinking, to contemporary societies, to France and its history − the
colonial one but not only. Enabling people with diverse backgrounds, coming from
outside Europe, to talk. A place where we could debate with intellectuals, scientists,
artists, writers, poets, militants, nurses … A space for dialogue which tries to improve
our ways of all living together.«13
Back to the mezzanine, we record the conversation: »Ok, camera is running − on commence?« Alex Flynn looks at us and invites Sebti to talk to the camera. She briefly looks at me,
76
The Anthropologist as Sparring Partner
nods, and listens to the first question. »I haven’t spoken about this much in French, but if I
am missing certain words, it’s a good exercise in thinking.« Asked to reflect on the context
of our collaboration, she elaborates: »First, thanks for the invitation, I am really happy to be
in this space, and to be here with an anthropologist with whom we conceived a curatorial
programme, called ›Gallery Reflections‹«. She describes how, for her, the opening of the
gallery through her programme »Untie to tie« has aimed and managed to bring together
different forms of knowledge; »savoirs, qui se rencontrent«. Of these knowledges, she expands, the academic knowledge is one, but it is partnered with others − »knowledges of
the body, of experience« (»des savoirs du corps, de l’experience«) that we try to bring into
conversation (»de les faire dialoguer«). In that sense, she continues, the gallery reflections
constitute an encounter of different forms of practice and not just knowledge: those of curating a critical public set of conversations and those of an anthropology that seeks to reflect
on its public role in the context of German colonial reckoning. She acknowledges that »there is a tension between these practices«, one being focused on the active selection and putting together of relations between artists, artworks, and exhibition spaces; the other being
concerned with the analysis and study of such relations. But it is for this very reason, Sebti
stresses, »that we sought to create a collaboration with someone who puts into question the
very approach of anthropology through an exercise of dialogue and listening« (»remet en
question l’approche de l’anthropologie soi-même par une exercise de dialogue et écoute«).
The curator here referred to some core aspects motivating our inauguration of the gallery reflections as a regular fixture in her »arts in conversation« programme of the oneyear programme. Inspired by the writings, among others, of Walter Mignolo and Rolando
Vázquez (2013) on decolonial aesthesis, we wished to find a way of integrating anthropological reflection without recreating a scholar-informant relation. Instead, we discussed early
on in the preparation for the series, that we wanted to reflect, too, on the implicit privileges
of speaking as a white male anthropologist with an institutional affiliation − but not to end
there; rather, to take this recognition as a starting point for developing a collaborative ethics of listening and empathic collaboration. This implied, for us, to think the anthropologist
as a moderator, as someone whose presence is not an unmarked absence. It was key for us to
recognise, as Sebti pointed out in her statement recorded in Paris, that we strongly wished
to recognise unevenness and frictions, but not reproduce forms of hierarchisation between
the practical knowledge of curators and artists, and the canonised academic knowledge
of the anthropologist. In other words, we tried to »bring anthropological knowledge into
disquieting, but also potentially productive, juxtaposition with a plurality of modes of ›para-ethnographic‹ knowledge that now exist outside the networks and institutions of academic anthropology«, as Boyer (2008, 40) put it. This form of recognition of overlapping
»epistemic jurisdictions« (ibid., 38) thus required of us both, but especially of the part of
the anthropologist, to reconsider the artistic and curatorial space of the gallery and its institutional and epistemic halo as »realms in which the traditional informants of ethnography
must be rethought as counterparts rather than ›others‹ − as both subjects and intellectual
partners in inquiry« (Holmes/Marcus 2005, 236).
When we came up with the idea of creating a discursive platform for critical perspectives
on colonial legacies from the arts and related fields of inquiry, we also had in mind rethinking perhaps in an experimental way the relation between curatorial and anthropological
practice. Inspired by an exchange with curator Bonaventure Soh Bejeng Ndikung and anthropologist Arjun Appadurai that I facilitated at SAVVY Contemporary in Berlin in early
2017 and exchanges with Ndikung about the curator as a sparring partner for artists (2020,
13),14 we picked up the idea of a »sparring partner«. This was really initially more of a met-
77
Jonas Tinius
aphor for uneasy bouts of scepticism, but turned into a more serious way of thinking about
ethnographic collaboration. The term suggests that each person, including the anthropologist, is involved in and deliberately made vulnerable in the exchange, but also keeps one
another on their feet − in an exchange where anthropology is no longer the unmarked
white backdrop, but where it is part of the picture, gets questioned, and ›takes punches‹,
metaphorically. It is a form of ›speaking nearby‹ (Trinh T. Minh-Ha 1992, 82), not speaking
about one another. The decentring of my own perspective, while maintaining the position
of anthropologist as a marked presence, rather than a backstage observer, also allowed us to
leave behind what Ingold described as the pretence »that our arguments are distillations of
the practical wisdom of those among whom we have worked. Our job is to correspond with
them, not to speak for them« (2017, 21).
The anthropologist conceived as a sparring partner, while borrowing a combat sport vocabulary, is not a loose and brutal phrase. Key to sparring is, first of all, that it is a form of
training. This means, it aims to develop skills and techniques of movement and awareness,
which have at heart the controlled confrontation with different levels and expression of
skill.15 A second key element is that sparring takes place within the frame of a certain number of agreements for conduct that prevent injury. It is characterised, as a practice, by »a
dialectic of challenge and response« (Wacquant 2007, 83) and governed by a »principle
of reciprocity« (ibid., 84). In the context of the gallery reflections and the collaboration at
the heart of this article, these agreements include a transparency and trust relation; being
open about one’s intentions − both as ethnographer and as curator − and respecting the
professional responsibilities and ethical vulnerabilities of one’s interlocutor. These are, in
the context of a highly politicised contemporary art context dealing with colonial heritage and identity politics, a heightened sense of awareness of privilege and vulnerability. It
also means being open about what is done for what purpose: opening the protocols of each
practice. It means asking, for instance: What is the benefit of each position in the other’s
context of professional practice, what are the risks? It also means opening each protocol,
the ethnographic and the curatorial, to mutual scrutiny: how an exhibition is framed, how
anthropology is framed − but equally, how curating is depicted, theorised, talked about.
While it is part of the educational aspect of sparring to learn from each other’s skill, techniques and even tricks, its aim in this case was a change of institutional and disciplinary
habitus − which, far from being merely cognitive, involves practical, emotional, communicative, and spatial learning just as well. These are all aspects of a trained conduct that any
collaborative anthropological practice affords, but their value added is the feedback into
the very perspective and stance of the discipline itself: confident to venture out of its own
comfort zone, but with the greatest respect and attention to the movements, thoughts, and
reflections it can learn from others.
Expanding the curatorial
By calling the series of conversations »gallery reflections«, these events deliberately did not
strictly relate to each of the four chapters and the respective exhibitions, as an illustration or
mediating programme, but sought to criss-cross the overall themes and decentre as well as
expand its focal points. These conversations were therefore not decontextualised from the
exhibitions either, but rather refracted the thematic foci of the exhibitions; to take them as
starting points for broader discussions. The idea of a reflection, then, was not meant in the
sense of »reflex«, like an instinctive physical reaction to something, but rather in the sense
78
The Anthropologist as Sparring Partner
of a ray of light that breaks, altering the usual way of thinking and seeing, prying open its
spectrum and making visible and transparent what is otherwise unseen. As Karen Barad
(2014, 168) puts it in her article ›Diffracting Diffractions‹, the concept of diffraction owes
as much from physics as it does from feminist theorising about difference. Borrowing from
Gloria Anzalduá, Barad writes that diffraction poses the apt question, »How can we understand this coming together of opposite qualities within, not as a flattening out or erasure of
difference, but as a relation of difference within?« (2014, 174) The event in Paris was precisely such an occasion for us to reflect on what the gallery reflections refracted and diffracted
in terms of differences and relations. We thought to propose that fieldwork, as in this case,
is not a form of intrusion from without, but rather conceptualised as part of an internal process, which gets reflected and analysed and thus transformed. Trinh T. Minh-Ha puts this in
a way that resembles the movement we sought to provoke with regard to the positionality of
both researcher and curator. And it also situated the perspective of each gallery reflection,
because each session took place (see Fig. 1) behind and with view to the street outside the
gallery, it’s threshold and variously porous membrane.
»The moment the insider steps out from the inside she’s no longer a mere insider.
She necessarily looks in from the outside while also looking out from the inside. Not
quite the same, not quite the other, she stands in that undetermined threshold place
where she constantly drifts in and out. [...] She is, in other words, this inappropriate
other or same who moves about with always at least two gestures: that of affirming ›I
am like you‹ while persisting in her difference and that of reminding ›I am different‹
while unsettling every definition of otherness arrived at.« (Trinh T. Minh-Ha 1988,
cited by Anzalduás 1987, 175).
As part of the conversation at La Colonie, we showed images of each of the gallery reflections
that we had held in Berlin to that date. The occasion was meant precisely to lay bare the protocols of the gallery reflections and to decentre them further in a different curated context,
here to a public audience of academics, artists, and curators, many of whom working in such
fields with connections to French, North African, or Brazilian discourses on contemporary
art and curatorial research projects due to Flynn and Quintana’s previous fieldwork and university networks in Paris. Alya Sebti and I devised the conversation as a frank reflection on
the difficulties of collaboration, but also as a kind of fieldwork reflection on our encounter.
The panel in Paris also afforded a chance to speak, more openly than if we had been in Berlin,
about issues with budgeting, invitation policies, and institutional constraints. Talking thus
about what Groth and Ritter (2019, 7) described as practices of coordinating and cooperating
in collaborative processes, we lay bare decisions and policies. We spoke about how budgets were adopted to reflect invitees’ differing financial positions (freelance artists for whom
fees form a substantial part of their income by contrast to tenured academics, for instance),
or how we wanted to put the focus of invitations on female and queer positions of colour
and those with a migration background to offer narratives that differ from the white, male
backdrop of decision-making personnel in German cultural institutions (Hunter et al. 2020).
We also addressed institutional restraints of collaborating within public cultural institutions
such as the ifa gallery, especially with regard to how habituated and regulated forms of public display, translation, and marketing inhibited critical content reflection.
The aim of taking the time and space to reflect publicly on this collaboration was also
to inquire the impacts of such an expanded fieldwork and curatorial setting. Sebti underlined that the everyday running of a gallery left her with practically no time to organise
79
Jonas Tinius
a public exchange on the broader context of her programming and the implications of a
several-year long project on colonial legacies in Germany, let alone a series that focuses on a dialogue between curatorial, artistic, and anthropological knowledge production.
For me, the series allowed fieldwork to become instigative and prefigurative, rather than
passive and descriptive. Instead of following events, it allowed me to ask questions and investigate the responses to them, and to conceive that as a form of fieldwork − akin to what
Nikolai Ssorin-Chaikov, drawing on ethnographic conceptualism, described as making visible the tension between »what such projects perform and [what they] describe« (2020, 1).
Additionally, it created an archive of conversations, organised and funded by the ifa. These
conversations would otherwise not have been documented in the same way; and certainly
not generated further connections to other members of the public who then became closer
acquaintances, interlocutors, and friends. The conversations allowed me to invite key interlocutors of mine, and experts whose practices and theoretical considerations were central
to my fieldwork, to get into conversation on themes pertinent to my field; it was thus at the
same time an intervention, fieldwork, and an analysis of it.
For me, furthermore, to consider the project as part of an ethnographic inquiry into how
contemporary art curators negotiate the current heritage debates in Berlin, I had to engage
in the double role as ethnographer and public moderator of a series of conversations with
a broad range of themes and competences that afforded careful preparation and familiarisation with the ethics, politics, and thoughts for each theme. This required balancing of a
number of tensions, some of which irresolvable, others productive. As one participant of
the framing programme involved in creating a critical library on German colonial heritage
commented during an internal meeting at ifa when we introduced the series, »How is it that
as soon as an exhibition concerns non-Western artists, anthropologists are involved, rather
than art historians?« This comment stemmed from a discontent with the exoticisation of art,
but it also fundamentally misunderstood the interest of the series. As I also responded at
the time, my presence as an anthropologist did not signal a marking of the artists and shows
as ›non-European‹, but rather aimed at looking back at the possible opening up of anthropological practice as one of listening and conversation. This tension ultimately proved a
central and continuous strand of our collaboration, culminating in the fourth gallery reflection »protesting identities«, which sought to underline the double meaning of the phrase:
protesting the reifications of identities and strategically mobilising markers of identities as
a form of protest.
Forms and Formats of Collaboration: Concluding thoughts
In this article, I have traced the conception and articulation of a collaboration between public curating and what I describe as ›instigative public fieldwork‹. The joint project, labelled
»gallery reflections« and hosted by the gallery of the Institute of International Cultural Relations (ifa) in Berlin, served the purpose of interrogating the practices, assumptions, and
concepts, but also the forms and formats of the two professional fields of anthropology and
curatorial work, seeking to construct a common ground from which to talk about colonial
legacies and contemporary societies. Yet, this common ground was uneven, and recognised
the differences between each field, positing thus not a symmetry between curatorial and
anthropological work (see Sansi 2020), but rather a productive sparring practice. I analyse
the collaborative format I discussed in this article as such, because it was not designed from
start to finish, not planned as a conclusive format, but rather as a public conversation, a kind
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The Anthropologist as Sparring Partner
of training and testing of how we can put the protocols of both ethnographic practice and
curatorial work on display and unfold them over time.
Besides the official programming − a series of four public conversations with artists, activists, scholars, and writers, and two more conversations that the gallery director and I put
on about the series − the collaboration was deliberately experimental in form, that is, based
on certain ideas and hopes for constructive discussions, but with a willingness to integrate
feedback and to change the format and form of our collaboration. Thus, for instance, we
received comments, emails, and discussed in public as well as in closed circuits of exchange
with persons who got in touch with us via the gallery a variety of aspects, ranging from the
constellations of speakers, the seating arrangements, the kind of documentation, the location of the conversations, my presence as moderator, as well as fees and funding for the
series. The fact that each conversation was documented, archived, and publicly disseminated, meant that feedback from the network of interlocutors, curators, anthropologists, and
artists who attended the seminars, reached us before the end of our project, and often was,
in fact, immediate − a temporality of response that is more direct and faster than is usually
the case with academic publications, for instance. This is witnessed, not least, by the time it
took to publish one edited and transcribed conversation, or for this reflection to appear in
peer-reviewed journals.
The consequences of the collaborative project were tangible for Sebti, as she noted during the Q&A at our joint event at La Colonie in Paris: »It is the only discursive and reflexive element that has accompanied every chapter of our one-year programme and it was a
constant point of negotiation of what we do.« In this sense, the series has provided a regular albeit marginal public forum, whose contents are stored and disseminated in the digital realm. It was thus a public testing ground of ideas, a discussion and brain-storming of
central ideas of exhibition-making as they unfold. Contrary to the presentation of finished
exhibitions or conclusive concepts on themes, the series opened up the exhibition plans
and curatorial proposals for discussion. This was tangible, and it was consequential, insofar
as each reflection became well-attended, provoked immediate audience reactions, and −
since I considered it fieldwork − was followed up on my part with unstructured interviews,
archival research, or discussions in the team.
The series more broadly tapped into and consolidated a discourse on colonial legacies
and contemporary memory culture and heritage in Berlin, which is no longer entirely peripheral or solitary at all, but interconnected in new convergences and central to the future
heritage politics of Germany. Likewise, the theorisation of postcolonial curatorial practice
provoked significant »concept work« (Ong 2015, 12) beyond exhibition-making, feeding
back into the unsettling of broader disciplinary certainties and authorship of theories. As
Margareta von Oswald and I discuss in the introduction to our volume Across Anthropology
(2020, 33), curators and interlocutors in our series and the fieldwork and organisations associated with it, like Alya Sebti, Natasha Ginwala, and Bonaventure Soh Bejeng Ndikung,
who worked together and across contexts of heritage, museums, and contemporary arts organisations, are involved in a tense process of conceptualising relations between art works
and the contexts in which they are positioned by exhibitions here in Berlin. They often
craft curatorial neologisms, such as Dis-Othering or Ultrasanity or refusing to translate their
work into existing institutional or conceptual frameworks by rejecting terminologies commonly used in the fields of ethnological exhibition-making. Additionally, the experimental
possibilities afforded to anthropology by the expanded curatorial field of contemporary art
shifts the role of ethnographic collaboration from an internal debate on methods to one of
significant public epistemic collaborations.
81
Jonas Tinius
Overall, as we noted towards the end of our reflection on the series at La Colonie, the
project was an experiment in collaboration with an outcome that was not clearly defined.
Despite, or perhaps because of, the openness of our approach, the series of reflections allowed us to address and explore the complexity of a number of aspects that may help to
think through collaborative work in anthropology and curatorial practice. In particular,
it revealed some of the consequences of what Irit Rogoff has described as the »dominant
transdisciplinarity of the expanded field of art and cultural production« (2013, 42). For Rogoff, curating has in recent decades moved from being about the management of material
culture whose protocols exhaust themselves in »collecting, conserving, displaying, visualising« to becoming »the staging ground of the development of an idea or an insight« (ibid.,
45) and thus part of a broader field of epistemic and curatorial practices. The curatorial, for
Rogoff, describes »[i]deas in the process of development, […] to speculate and to draw a
new set of relations« (ibid.). In this sense, the curatorial-anthropological collaboration of
the gallery reflections organised at ifa-gallery can be seen as part of a broader turn towards
expanding from artistic production via curatorial work to generating public dialogues on
history, legacies, and futures of contemporary societies. This, in turn, afforded a recalibrated anthropological practice, one kept on its feet by public exposure and the affordances
of the curatorial space. This article proposes that instigative public fieldwork thought as a
form of sparring can render productive the mutual tensions and generative differences between curating and fieldwork. By not relegating fieldwork to a mono-directional participant
observation and subsequent writing phase, but conducting fieldwork as a form of instigating public and curatorial practice, the gallery reflections provided both form and format to
this collaborative mode of ethnography.
Endnotes
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5
6
The research that has led to this publication was carried out during my postdoctoral research fellowship at CARMAH, funded as part of by Sharon Macdonald’s Alexander von Humboldt professorship.
I am grateful to comments from colleagues on earlier drafts of this version. I would also like to thank
the editors of this special issue for their thoughts on this article. It was written up during a postdoctoral research fellowship funded by the European Consolidator Grant project Minor Universality.
Narrative World Productions After Western Universalism (PI: Markus Messling, Saarland University).
For a previous issue of the Berliner Blätter edited by Kathrin Amelang and Silvy Chakkalakal, I have
analysed the ways in which ›ethnographic conceptualism‹ might help us understand research-based
installations and performances, such as those of the German group Rimini Protokoll, and where I see
the limits and pitfalls of participatory art (see Tinius 2015).
Sharon Macdonald and I (2020) discuss this fieldwork and dialogue project as a form of anthropological and curatorial recursivity, that is, as a form of mutual and yet not exact mirroring; more as a form
of refraction of differences and similarities in style and content, but also regarding the models and
formats of each field, practice, and form of theorizing.
The German title is Untie to tie: Über koloniale Vermächtnisse und zeitgenössische Gesellschaften. It
is an ifa policy to translate all titles, announcements, and publications into German, often creating
awkward issues of translation, e.g. of the term ›legacy‹ as Vermächtnis, rather than Erbe, for instance.
The first part of the programme ›Untie to tie‹ remained untranslated as it functions as a bracket for
several one-year programmes continuing in 2018−2019 with a series called Untie to tie: Movement.
Bewegung.
Quote retrieved from Untie to tie digital platform description of the Reading Room. <http://untietotie.org/center-of-unfinished-business/?chapter=2>, last accessed, 28 February 2018.
»Saout Radio explores the universe of sonic arts. ‚Sonic Panoramas› is made up of a hearing station
inside the gallery and diverse radio shows. Each radio show will also be broadcasted on different
radio stations such as Reboot.fm or Radio Corax, but also on stations all over the world such as Radio
Panik in Brussels, Radio Tsonami in Chile.» Source of description: <https://www.ifa.de/en/visualarts/untie-to-tie.html>, last accessed, 28 February 2018.
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The Anthropologist as Sparring Partner
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A full video of this conversation can be found here: https://www.youtube.com/
watch?v=uHiTk3fNXfM (last accessed, 4 December 2019) and the conversation was later published as ›Traces, Legacies, and Futures: A Conversation on Art and Temporality‹ (with Nora-Al-Badri, Khadija von Zinnenburg Carroll, Silvy Chakkalakal, Alya Sebti, and Jonas Tinius). Third Text
Forum 01/2020. Open-access via: http://www.thirdtext.org/tinius-et-al-conversation (last accessed,
7 December 2020).
The SAVVY Contemporary curator and writer Elena Quintarelli has created an archive and memory room about Lockward’s work which was on show at the Maxim Gorki Herbstsalon in November
2019. <https://www.berliner-herbstsalon.de/vierter-berliner-herbstsalon/artist/alanna-lockward>
(last accessed, 4 December 2019).
For more information, please see: <https://bebop2018coalitionsfacingwhiteinnocence.wordpress.
com/berlin/and https://www.sleek-mag.com/article/berlin-biennale-art-new-black/>(both last
accessed, 4 December 2019).
Laureates of the art and research programme L’invention des forms à l’ère de la mondialisation (Eng.
Invention of forms in the age of globalisation) based at the École des Hautes Études en Sciences
Sociales (EHESS), the two have been in residence at the Cité Internationale des Arts, an established and renowned institution hosting artists and scholars from around the world. As part of their
residency, they have been »working with the Brazilian community of Paris on the emergence of a
political imaginary at the frontier, exploring how subjectivity and immigration intersect and take
form.« Description retrieved from Flynn and Quintana’s project website (<https://concretemirror.
cargocollective.com>, last accessed 28 February 2018).
»Kader had in mind this type of atmosphere. Zico − his associate − and him bargain-hunted and
assembled everything with the idea of preserving the space. They got their inspiration in Berlin.»
(Interview with programmer Lucie Tayou, <https://www.thesocialitefamily.com/en/blog/la-colonie-paris-kader-attia/>, last accessed 28 February 2018).
Ibid.
Ibid.
The event took place on 7 January 2017, entitled »Design, Failure, and the Globalisation of Risk. A
talk by Arjun Appadurai, followed by a conversation with Jonas Tinius and Bonaventure Soh Bejeng
Ndikung«. Video documentation is available via the following link: <https://www.youtube.com/
watch?v=6QN1WhYSFd0>, last accessed 01 March 2018.
I am grateful to Friederike Faust for pointing out this particular point on difference in sparring.
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85
Formate des Ko-laborierens: Geteilte
epistemische Arbeit als katalytische Praxis
Patrick Bieler, Milena D. Bister, Christine Schmid
ABSTRACT: Die Zusammenarbeit mit Akteur*innen im Feld ist spätestens seit den 1980er
Jahren ein zentrales Thema ethnografischer Wissensproduktion. Allerdings ist in der Umsetzung von Kollaborationen meist folgender Zwiespalt zu beobachten: Varianten der Dekonstruktion und »Kritik von außen« stehen Formen der engagierten oder aktivistischen
Forschung gegenüber, die »von innen« an vorab definierten Problemlösungen arbeiten oder
epistemische Positionen des Forschungsfeldes übernehmen. Beide Pole können aus unserer Sicht die Frage nach gesellschaftlich wirkmächtiger Kritik aus den Sozialwissenschaften
heute nicht ausreichend beantworten.
SCHLAGWORTE: Kollaboration, Reflexivität, Intervention, Ethnografie, Wissensproduktion, verteilte Handlungsträgerschaft
ZITIERVORSCHLAG: Bieler, P., Bister, M., Schmid, C. (2021): Formate des Ko-laborierens:
Geteilte epistemische Arbeit als katalytische Praxis. In: Berliner Blätter 83, 87−105.
Einleitung
D
ie Zusammenarbeit (auch Kollaboration, im Englischen collaboration) mit Akteur*innen im Feld wurde spätestens in den 1980er im Zuge der Writing Culture Debatte und
feministischen Ansätzen zu einem expliziten Gegenstand von Reflexionen innerhalb der
Kultur- und Sozialanthropologie.1 Zentral problematisiert wurden die hierarchische Unterscheidung von Forscher*in und Forschungssubjekt insbesondere im Hinblick auf die Frage,
wer letzten Endes genuin Urheber*in ethnografisch produzierten Wissens sei. Mit experimentellen Repräsentationsformen gemeinsamer Autor*innenschaft sollte die aktive Rolle
der Forschungssubjekte adäquat dargestellt beziehungsweise die unterschiedlichen Perspektiven von Forscher*innen und Forschungssubjekten hervorgehoben und in Spannung
gebracht werden. Hierdurch sollten Machtasymmetrien im Forschungsprozess verringert
oder zumindest explizit offengelegt sowie anthropologische Wissensproduktion anschlussfähig(er) für gesellschaftliche Debatten gemacht werden (vgl. Lassiter 2005).
Im weiteren Verlauf der Fachentwicklung wurde die Kollaboration mit den Forschungssubjekten zu einem festen Bestandteil vieler ethnografischer Arbeiten. Der Begriff der
Kollaboration umfasst heute neben Formen partizipativer oder aktivistischer Forschung
mitunter auch interdisziplinäre Forschungsansätze, die sich der Beantwortung einer Forschungsfrage disziplinenübergreifend zuwenden. Die Zusammenarbeit mit Akteur*innen
DOI: 10.18452/22407 | Creative Commons CC 4.0: BY-NC-SA
Berliner Blätter 83/2021,87–105
Berliner Blätter 1/2020
Patrick Bieler, Milena D. Bister, Christine Schmid
im Feld wird hier zunehmend von einer Zusammenarbeit mit Kolleg*innen aus anderen
akademischen Disziplinen begleitet.
In all diesen kollaborativen Konstellationen stellen sich dem sozialwissenschaftlichen
Erkenntnisprozess als eine Quelle kritischer Verortung des Untersuchungsgegenstandes
mindestens zwei mögliche Dilemmata, die wir in diesem Beitrag zu vermeiden suchen:
Erstens kommt ein Rückzug in eine distanzierte, lediglich auf Dekonstruktion abzielende
Form sozialwissenschaftlicher Erkenntnis und ›Kritik von außen‹ nicht mehr den Anforderungen aktueller gesellschaftlicher Fragen im Forschungsfeld bei und verliert damit verstärkt an Wirkkraft (Latour 2004). Zweitens treffen insbesondere Formen »angewandter«
beziehungsweise »engagierter«/aktivistischer Sozialwissenschaften auf die Problematik,
entweder außerhalb der eigenen Disziplin gesetzte Problemdefinitionen zu übernehmen
und an vorab definierten Problemlösungen zu arbeiten oder epistemische Positionen des
Forschungsfeldes zu übernehmen (Zuiderent-Jerak 2015).
In unserem Beitrag fokussieren wir daher praktische Formen des Zusammenarbeitens
mit dem Forschungsfeld, vor der textuellen Repräsentation ansetzen, die Forschungssubjekte im Prozess der Wissensgenerierung als epistemische Partner*innen (Holmes/Marcus
2005) konzeptualisieren und damit auf eine Veränderung der ethnografischen Wissensproduktion im Forschungsprozess an sich abzielen (Konrad 2012). Im Folgenden verwenden
wir den Begriff der Ko-laboration, der sich durch die Anerkennung heterogener Wissensbestände ohne deren notwendige Synthese auszeichnet und nicht in erster Linie darauf abzielt, die Wissenschaft in den Dienst politischer oder moralischer Anliegen des Forschungsfeldes zu stellen. Ko-laboration zeichnet sich in unserem Verständnis über das Interesse an
gemeinsamer epistemischer Arbeit aus, wie Jörg Niewöhner programmatisch formuliert:
»With co-laborative, I mean temporary, non-teleological, joint epistemic work aimed
at producing disciplinary reflexivities, not interdisciplinary shared outcomes. The
neologism co-laborative conjures up associations with laboratory and experiment as
well as with labor.« (Niewöhner 2016, 3)
In einer ko-laborativen Forschung geht es demnach nicht primär darum, ein gemeinsames,
politisches und/oder moralisches Ziel zu verwirklichen, sondern in gemeinsamer epistemischer Arbeit mit Expert*innen anderer Wissensbereiche jeweils fachgebietsspezifische
Beiträge zu gewinnen. Solche Formen der Zusammenarbeit zielen auf die Herstellung von
Reflexivität und auf die Produktion neuen Wissens ab.
Aus drei Gründen setzen wir Ko-laboration von Interdisziplinarität (Barry/Born 2013)
ab. Erstens zeigen wir in unserem Beitrag, dass Ko-laboration auch eine Zusammenarbeit
mit nicht-wissenschaftlichen Fachkräften beinhalten kann und nicht auf Zusammenarbeit
zwischen Wissenschaftler*innen (verschiedener Disziplinen) beschränkt ist. In unserem Fall
beinhaltet Ko-laboration etwa auch Austauschformate mit Praktiker*innen der psychiatrischen Versorgung und Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung (siehe unten). Zudem können in einer Ko-laboration unterschiedliche Kooperationspartner*innen voneinander unabhängige Fragestellungen im selben Untersuchungsfeld verfolgen. Schließlich zielt eine
Ko-laboration, wie bereits erwähnt, nicht auf eine Zusammenführung aller Erkenntnisse zu
einem gemeinsamen Ergebnis ab. Im Zentrum steht ein experimenteller Austauschprozess,
in dem alle Beteiligten (mit oder ohne akademische Qualifizierung) in Auseinandersetzung
mit differenten Formen der Wissensproduktion ihre jeweilige Fachkenntnis erweitern. Wir
wollen uns – gerade in Bezug auf die Frage, wie gesellschaftlich wirkmächtige Kritik heute in den Sozialwissenschaften aussehen kann – von teleologischen Tendenzen im Diskurs
88
Formate des Ko-laborierens: Geteilte epistemische Arbeit als katalytische Praxis
um Interdisziplinarität abgrenzen, die diese sui generis mit Kritik an konservativen disziplinären Strukturen und deren Überwindung durch interdisziplinäre Innovationen und
Lösungen gleichsetzt (Schaffer 2013), absetzen. Ko-laboration bedeutet gerade nicht die
Überwindung disziplinärer Erkenntnisinteressen, sondern – ganz im Gegenteil – eine
disziplinäre Weiterentwicklung durch epistemische Irritation in der Auseinandersetzung
mit anderen (auch außeruniversitären) Wissensbeständen.
Um die Generativität der fachübergreifenden Zusammenarbeit für fachspezifische (unter anderem für disziplinäre) Fragestellungen zu versinnbildlichen, entlehnen wir aus den
Naturwissenschaften das Konzept des Katalysators. Laut der online-Ausgabe des Duden ist
ein Katalysator »ein Stoff, der chemische Reaktionen herbeiführt oder beeinflusst, selbst
aber unverändert bleibt«. Für fachspezifische Fragestellungen der beteiligten Partner*innen übernehmen ko-laborative Forschungsformate eine ähnliche Funktion. In unserer metaphorischen Verwendung des Begriffes liegt der Schwerpunkt darauf, dass ein Katalysator
Veränderungen anregt. Wir bieten daher an, Ko-laboration als eine katalytische Praxis zu
denken, die fachspezifische Prozesse befördert. Mit dem Begriff der Praxis betonen wir die
wechselseitige Veränderung, die Ko-laboration hervorruft. Der Katalysator bleibt in diesem
Sinne gerade nicht stabil, sondern erfährt im Zuge der Umsetzung Anpassungen und bringt
stetig neue Varianten und Veränderung hervor (vgl. Zuiderent-Jerak/Bruun Jensen 2007).
Ko-laboration zeichnet sich daher in erster Linie durch ein gemeinsames Erkenntnisinteresse an einem Forschungsgegenstand aus. Daraus folgt jedoch nicht notwendigerweise
auch die gemeinsame, epistemisch-integrierende Erforschung dieses Gegenstandes. Auch
diesbezüglich unterscheidet sich Ko-laboration von Formaten interdisziplinärer Zusammenarbeit, in denen beispielsweise eine Disziplin die Expertise anderer Disziplinen heranzieht, um ergänzend zu den eigenen Erkenntnissen Forschungslücken zu schließen, die
mit den eigenen Methoden nicht erforschbar sind (vgl. Schmidt 2003). In aktiver Auseinandersetzung mit den Rationalitäten und Epistemen des Feldes ist die Sozialwissenschaft
gefragt, eigene normative Positionen mit den Normsetzungen im Feld zu konfrontieren. Ins
Zentrum rückt die Analyse jener Normen, die im Feld in Verbindung mit dem Forschungsgegenstand wirksam gemacht werden. Die Ausarbeitung, welche Normen wo und wann
in Kraft gesetzt werden, ist zentral für den ko-laborativen Austausch und für die Möglichkeiten sozialwissenschaftlicher Intervention. Dies impliziert eine Form von Kritik, die an
den eigentlichen Praktiken im Feld orientiert ist und sich an ihnen messen lässt (vgl. Mol
2002; Mol 2012; Pols 2006). In Ko-laborationen müssen daher epistemische Positionen auf
sozialwissenschaftlicher Seite offen für Revidierungen sein. Auf diese Art werden politisch
relevante Analysen generiert, ohne dass Sozialwissenschaftler*innen selbst politische Aktivist*innen sein müssen (Fassin 2017; Herzfeld 2018).
Als methodologisches Konzept scheint Ko-laboration jedoch weitaus ausgereifter zu
sein als in ihrer tatsächlichen Umsetzung in Forschungsprojekten. Insbesondere sind Kolaborationen mit Akteur*innen außerhalb der Wissenschaft in der Durchführung schlichtweg unterentwickelt, obwohl sie rein konzeptuell möglich sein sollten (Rabinow u.a. 2008).
Wir werden diese Lücken nicht füllen können, möchten aber mit unserem Beitrag unterschiedliche praktische Formate des Ko-Laborierens mit der Sozialpsychiatrie darstellen
und im Hinblick auf ihr Potenzial und ihre Grenzen in der Durchführung analysieren.
Seit nunmehr zehn Jahren entwickeln wir am Institut für Europäische Ethnologie in Berlin innerhalb des »Labors: Sozialanthropologische Wissenschafts- und Technikforschung«2
eine ko-laborative Zusammenarbeit mit der Psychiatrie. Von DFG-Projekten über Masterarbeiten und Promotionen bis hin zu Studienprojekten experimentieren wir mit diversen
Formen der ko-laborativen Zusammenarbeit, die sich in Bezug auf die Zusammensetzung
89
Patrick Bieler, Milena D. Bister, Christine Schmid
der Akteur*innen, die Formate der Zusammenarbeit sowie die Wirkung der Ko-laboration
auf die psychiatrische Versorgungspraxis unterscheiden. Allen ko-laborativen Projekten
gemein ist dabei das Hervorbringen neuen Wissens durch epistemische Arbeit mit Akteur*innen im Feld sowie die Analyse von konkreten Praktiken, die in der psychiatrischen
Versorgung Normen setzen. So analysieren beispielsweise Bieler und Klausner (2019) entlang der Verwobenheit von gemeindepsychiatrischer Versorgung und Stadtentwicklungsprozessen neuartige Formen der Kooperation zwischen Akteur*innen der Versorgung und
des Wohnungsmarktes und sich daraus ergebende vielfältige Normenverschiebungen.
Wolfgang Kaschuba stellte kürzlich pointiert fest, dass sich das Fach Europäische Ethnologie durch zwei Arten des Intervenierens auszeichne – ein Intervenieren ›für‹ das Feld
(z.B. in politischen Debatten) und ein Intervenieren ›ins‹ Feld (z.B. durch deutende Eingriffe (Kaschuba 2012). Wir möchten mit den von uns verfolgten Formaten die Variante des
Intervenierens ›mit‹ dem Feld bzw. des Intervenierens ›durch Ko-laboration‹ als dritte Form
ethnografischer Intervention hinzufügen. Intervenieren durch Ko-laboration verstehen wir
dabei als experimentelle Form des Intervenierens. Dem Wissenschaftsphilosophen Ian Hacking (1983) folgend ist es gerade der experimentell intervenierende Charakter empirischer
Forschung, der zu neuer, interessanter Wissensproduktion auf theoretischer Ebene beitragen kann. Hackings Argumentation basiert hierbei auf einer Analyse naturwissenschaftlicher Theorieproduktion. Diese wird von dem niederländischen Sozialwissenschaftler Teun
Zuiderent-Jerak (2015) als methodisches Werkzeug in den Geltungsbereich der Sozialwissenschaften überführt. Charakteristisch für den von ihm »situierte Intervention« genannten
Forschungsmodus ist die empirisch zu analysierende Verstrickung des*der Ethnograf*in in
der normativen Komplexität sowie in den materiellen und symbolischen Rahmenbedingungen, mit denen Praktiker*innen umgehen (müssen). Ethnografie trägt in diesem Sinne
durch die Analyse von Feldpraktiken und ihren Normen zu Veränderungspraktiken bei und
zieht gleichsam einen Erkenntnisgewinn aus diesen Interventionen. Interventionen sind
also epistemisch interessante Praktiken für die sozialwissenschaftliche Wissensproduktion.
Ko-laborative Forschungsformate greifen die Möglichkeit von Interventionen auf, während
sie, wie jede Forschungsmethode, den Gegenstand mit hervorbringen, den sie erforschen
(Law 2009; Law/Urry 2004). Wir meinen daher, ethnografische Wissensproduktion kann
eine entscheidende Weiterentwicklung erfahren, wenn die Effekte ko-laborativen Arbeitens als Teil des Forschungsgegenstandes bewertet und analytisch weiterverfolgt werden.
Im Folgenden werden wir zunächst historisch die Verbindungslinien von psychiatrischer und sozialwissenschaftlicher Forschung umreißen und aufzeigen, inwiefern sich dieses Feld als exemplarisches Beispiel für ko-laborative Zusammenarbeit eignet. Hiernach
deklinieren wir drei verschiedene Formate des Ko-laborierens, wie sie in unterschiedlichen
Projekten des »Labors: Sozialanthropologische Wissenschafts- und Technikforschung«
praktisch durchgeführt wurden beziehungsweise werden: (1) die Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Forscher*innen in gemeinsamen, institutionalisierten Diskussionsrunden;
(2) die Zusammenarbeit mit psychiatrischen Praktiker*innen und Betroffenen mit Erfahrungsexpertise in gemeinsamen Reflexionsrunden; (3) die Zusammenarbeit mit Personen,
die an der gemeindepsychiatrischen Versorgung beteiligt sind, in Form unserer Mitarbeit
in einem Projekt zum politischen Lobbying. Abschließend werden wir für einen konsequenten Ausbau und eine qualitative Weiterentwicklung der Ko-laboration mit der Psychiatrie
argumentieren sowie mögliche Anschlussfähigkeiten ko-laborativen Zusammenarbeitens
in anderen Feldern eröffnen.
90
Formate des Ko-laborierens: Geteilte epistemische Arbeit als katalytische Praxis
Historische Verbindungslinien von sozialwissenschaftlicher
und psychiatrischer Forschung
Um die Berührungspunkte zwischen sozialwissenschaftlicher und psychiatrischer Forschungstätigkeit historisch zu skizzieren, wenden wir uns zunächst der Soziologie zu, deren
Formierung zur eigenständigen wissenschaftlichen Disziplin im Übergang vom 19. zum 20.
Jahrhundert nahezu parallel zu jener der Psychiatrie verlief. Obwohl in dieser Phase für
beide Disziplinen Fragen nach dem Verhältnis von Psyche und Gesellschaft sowie nach der
Ordnung des Sozialen relevant waren, professionalisierten sich die beiden Fächer inhaltlich überwiegend getrennt voneinander (von Kardorff 1985). Erst in der zweiten Hälfte des
20. Jahrhunderts entdeckten die Sozialwissenschaften die psychiatrische Behandlung (statt
psychischer Zustände) als Forschungsgegenstand für die Diskussion eigener disziplinärer
Fragen. Zweifelsfrei zählt das Buch »Asylums« des US-amerikanischen Soziologen Erving
Goffman zu den bekanntesten Werken (Goffman 1961). Innerhalb der Psychiatrie haben
sich in der Mitte des 20. Jahrhunderts – von den soziologischen Erkenntnissen nahezu
unabhängige – kritische Standpunkte zum medizinischen und medikalisierenden Umgang mit psychisch Kranken vor allem in den großen Irrenanstalten formiert. Diese Positionen wurden unter dem Schlagwort »Antipsychiatrie« bekannt. Ihre Schriften wurden
innerhalb der deutschen Sozialwissenschaften rezipiert und trugen neben den Verbrechen
des Nationalsozialismus und eigenen sozialwissenschaftlichen Befunden zu einer emanzipatorisch-kritischen Haltung gegenüber der Psychiatrie und psychiatrischer Behandlung bei. Während die Sozialpsychiatrie einige anti-psychiatrische Aspekte in ihre sozialwissenschaftlich-informierten Positionen integrierte und später maßgeblich die Prozesse
der Deinstitutionalisierung gestaltete (Forster 1997), richtete sich die Psychiatrie als Fach
verstärkt biologisch argumentierend aus und verlor zunehmend die sozialen Aspekte von
Erkrankung aus dem Blick. Heute dominiert im psychiatrischen Diskurs das bio-psychosoziale Modell psychischer Erkrankungen, also ein Modell, das die Bedeutung all dieser
Faktoren für psychische Erkrankung anerkennt. Bemerkenswert ist, dass ausgerechnet die
verstärkte medikamentöse Behandlung mit Psychopharmaka in der Praxis zu einer neuerlichen Wahrnehmung der Relevanz sozialer Prozesse beigetragen hat. Zum einen erhöht
sich innerhalb der Sozialpsychiatrie das Interesse an sozialwissenschaftlichen Befunden,
die über das dekonstruktivistische Schema hinausgehen, das sie selbst zum Abbau der Anstaltspsychiatrie herangezogen haben. Kritik nach Foucault wird hier zunehmend hinfällig
(z.B. Bister u.a. 2016; Klausner u.a. 2015). Zum anderen setzt sich die psychiatrische Forschung, nach einer Phase der Konzentration auf das biologische Paradigma, in den letzten
beiden Jahrzehnten zunehmend in epidemiologischen Studien mit den Zusammenhängen
von Umwelt und psychischer Erkrankung auseinander (Lederbogen u.a. 2011; van Os 2004;
Vassos u.a. 2012). Dieses Interesse an Biologie/Umwelt-Beziehungen innerhalb der Psychiatrie stößt aktuell neben politischen Neupositionierungen wie dem »Übereinkommen
über die Rechte von Menschen mit Behinderungen« der Vereinigten Nationen auch auf
theoretische Neuerungen aus dem Feld der (Post-)ANT in sozialwissenschaftlichen Debatten. Diese fordern anschließend an die Debatten der feministischen Wissenschaftstheorie
(Haraway 1988; Barad 1999) eine Hinwendung zu Materialität und suchen die Trennung
von biologischer Natur und sozialer Kultur zu überwinden (Dolphijn/van der Tuin 2012).
Es geht hier um die Analyse materiell-semiotischer Praxismuster, die die Relation von Natur und Kultur in den Blick nehmen (vgl. Beck 2008).
Zusammenfassend legen die aktuellen Debatten sowohl in den Sozialwissenschaften
wie auch in der Psychiatrie (und der Biomedizin im weiteren Sinne) nahe, neue Arten der
91
Patrick Bieler, Milena D. Bister, Christine Schmid
Zusammenarbeit und Kritik zu etablieren (Fitzgerald/Callard 2016; Fitzgerald u.a. 2016;
Meloni 2016; Rose 2013; Söderström u.a. 2016; Söderström 2019). Sie verfolgen das Ziel,
einseitige biologistische sowie sozialkonstruktivistische Argumentationsmuster rund um
Fragen der Erkrankung beziehungsweise Behinderung zu umgehen, indem sie Körperlichkeit als sozio-materielles Gefüge konzipieren (Bieler/Niewöhner 2018; Duff 2016; Schillmeier 2007; Winz 2018). Sozialwissenschaftliche Theoriebildung und deren Grundfragen
können über den Modus der Ko-laboration in der Auseinandersetzung mit den Wissenspraktiken der Psychiatrie in diesem Sinne erweitert und geschärft werden. Das gilt zum Beispiel für die Frage, was eigentlich (menschliche) Erfahrung sei, genauso wie für Mensch/
(urbane) Umwelt-Beziehungen oder relationale Konzepte von Erkrankung/Behinderung
– um nur wenige Fragen zu nennen, mit denen sich das »Labor: Sozialanthropologische
Wissenschafts- und Technikforschung« derzeit unter anderem auseinandersetzt.
Im Folgenden stellen wir drei unterschiedliche Formate des ko-laborativen Zusammenarbeitens vor dem Hintergrund ihrer praktischen Durchführung detailliert vor.
Institutionalisierte Diskussionsrunden mit wissenschaftlichen Forscher*innen
Das DFG-Projekt »Die Produktion von Chronizität im Alltag psychiatrischer Versorgung
und Forschung in Berlin«3 ging bereits in seiner Konzeptionsphase aus dem wissenschaftlichen Austausch zwischen der Psychiatrie/Psychologie und dem Labor: Sozialanthropologische Wissenschafts- und Technikforschung hervor. Der Kontakt zwischen den beiden
Disziplinen entstand durch den Sozialpsychiater Sebastian von Peter, der im Anschluss an
seinen MA-Abschluss in Medical Anthropology den damaligen Leiter des Labors, Stefan
Beck, kontaktierte. Beide entschlossen sich zu einer gemeinsamen Projektantragstellung.
Inhalt des Projekts war eine praxistheoretisch-informierte Untersuchung psychiatrischer
Alltage im Hinblick auf ihr Verhältnis zu der Klassifikation »chronisch psychisch krank«.
Neben teilnehmender Beobachtung auf psychiatrischen Stationen, in Tageskliniken und
in Wohn- und Freizeiteinrichtungen der Gemeindepsychiatrie begleiteten die Projektmitarbeiterinnen Milena Bister und Martina Klausner über die Projektdauer acht Betroffene
mit psychiatrischen Diagnosen in ihrem Alltag außerhalb psychiatrischer Institutionen. Um
den Austausch und eine epistemische Partnerschaft zwischen den Disziplinen zu verstetigen, gründeten sie nach Beginn des Projekts gemeinsam mit Sebastian von Peter und dem
Mitantragsteller Manfred Zaumseil (Psychologie) eine über das Projekt hinausgehende interdisziplinäre Arbeitsgruppe, die aus 19 Mitgliedern aus den Disziplinen der Psychologie,
Psychiatrie, Soziologie und Europäischen Ethnologie bestand. Die Treffen dieser Arbeitsgruppe fanden im Zeitraum von 2011 bis 2013 18 Mal am Institut für Europäische Ethnologie statt und wurden freiwillig und unentgeltlich frequentiert. Neben theoretischen
Konzepten aus der Psychologie und Europäischen Ethnologie wurden Publikationen und
Vorträge der Arbeitsgruppenmitglieder sowie empirische Zwischenergebnisse aus dem
DFG-Projekt einer interdisziplinären Diskussion und Kritik unterzogen.
In der Arbeitsgruppe ging es darum, einander gegenseitig disziplinär-verankerte Perspektiven zu verdeutlichen und sie wechselseitig zu befragen. Dies erforderte von allen
Teilnehmer*innen eine Minimierung des fachinternen Jargons zugunsten fachfremder
Interpretationen. Bei Begriffen, die sowohl in den Sozialwissenschaften als auch in der Psychiatrie eine hohe Bedeutung genießen und daher von vielfältigen Konzeptualisierungen
durchdrungen sind, stellte sich diese Anforderung als besonders herausfordernd dar. Viele
intradisziplinär selbstverständliche Grundlagen verlangten im interdisziplinären Austausch
92
Formate des Ko-laborierens: Geteilte epistemische Arbeit als katalytische Praxis
nach Explikation. Über die Zeit entwickelte sich die Arbeitsgruppe zu einer »community
of practice« (Wenger 1999), in der gemeinsames Lernen und eine vertrauensvolle Debatte
über disziplinäre Setzungen möglich wurden. Beispielhaft seien die beiden Sitzungen erwähnt, in denen die Gruppe anhand von anthropologischen und psychologischen Arbeiten Konzepte von »Authentizität« bzw. »Erfahrung« debattierte. Beide Konzepte werden
selbst in den vertretenen Fachkulturen sehr vielseitig diskutiert. Das Ziel der Treffen war,
verschiedene Ansätze darzustellen, zu hinterfragen und mögliche geteilte Forschungsinteressen im Zusammenhang mit den Konzepten zu identifizieren. Authentizität wurde beispielsweise sehr kontrovers als Ausdruck eines Natur- und Kulturphänomens diskutiert,
oder etwa als notwendiges Prinzip psychiatrischen Handelns und als (v)erlernbare Praxis.
Verschiedene therapeutische Schulen lassen unterschiedliche Verhältnisse zum Konzept
der Authentizität erkennen. Der Verlauf der Sitzung verdeutlichte, dass das angesprochene
Spannungsverhältnis zwischen Authentizität, Reziprozität, Hierarchie und Normalisierung
für viele von den Teilnehmer*innen hochaktuelle disziplinäre Fragen aufwarf. Für die Europäische Ethnologie vertiefte Klausner einige dieser Fragen in ihrer Monografie »Choreografien psychiatrischer Praxis« (Klausner 2015).
Die Bereitschaft zu einem kritischen Umgang (und zum Experimentieren) mit den eigenen sowie den disziplinfremden epistemischen Grundsätzen und Interpretationen war ein
Charakteristikum der Arbeitsgruppe. Kritik und Reflexion richteten sich hierbei symmetrisch auf die vertretenen Fachkulturen und waren auf die Suche nach geteilten »matters of
concern« (Latour 2004) ausgerichtet. Bei aller Wechselseitigkeit blieb jedoch eine Asymmetrie stets bestehen: Sozialpsychiatrie stellte neben der wissenschaftlichen Disziplin immer
auch als psychiatrische Praxis einen unmittelbaren oder potentiellen Ort (ein »Feld«) sozialwissenschaftlicher Forschung dar. Dies traf umgekehrt nicht zu: Sozialwissenschaftliche
Praxis war für die teilnehmenden Psychiater*innen und Psycholog*innen kein potentielles
Forschungsthema. Diese ließen sich demnach zweifach auf die Diskussionen des Ko-Laboratoriums ein: Als Wissenschaftler*innen und als psychiatrisch-psychologische Fachkräfte,
zu deren Kernaufgabe die Behandlung von Menschen mit psychischen Krisen zählt. Diese
Doppelrolle inspirierte, da der Blick durch sozialwissenschaftliche Interpretationsfolien auf
die (eigene) psychiatrische Praxis einzelne Arbeitsgruppenmitglieder aus Psychiatrie und
Psychologie zur Teilnahme am Austausch motivierte. Die Doppelrolle erschwerte jedoch
für manche Kolleg*innen die Zusammenarbeit zum Teil, da manche Diskussionen in disziplinär gehaltenen, sozialwissenschaftlichen Publikationen vertieft wurden, bevor interdisziplinäre Veröffentlichungen in psychiatrischen Fachzeitschriften beschlossen wurden.
Spätestens mit Ablauf des ersten Projektjahrs begleiteten Gespräche zu den Unterschieden
in den disziplinären Publikationstraditionen und Karrierestrategien zwischen Medizin und
Sozialwissenschaften stetig die Zusammenarbeit.
In diesem Sinne hatten die theoriegeleiteten Diskussionen in der Arbeitsgruppe stets
das Potential intervenierend auf die Praxis psychiatrischen Arbeitens ihrer Mitglieder zu
wirken. Ob dies tatsächlich geschah, lässt sich letzten Endes schwer feststellen. Dass eine
gewisse Reziprozität zwischen den Sozialwissenschaften und der Psychiatrie erreicht wurde, leitet Bister in erster Linie von der anhaltenden Teilnahme der psychologischen und
psychiatrischen Kolleg*innen ab. Darüber hinaus wurden die Diskussionen innerhalb der
Arbeitsgruppe insofern praxisrelevant, als einige der später gemeinsam entwickelten Projektanträge politikberatende Anteile enthielten. Die Arbeitsgruppe wurde aufgrund von
Projektbefristungen und Elternzeit seitens der europäische-ethnologischen Organisatorinnen pausiert. Eine Wiederaufnahme ist geplant.
93
Patrick Bieler, Milena D. Bister, Christine Schmid
Als Ergebnis der epistemischen Gruppenarbeit verzeichnen wir ein Netz an psychiatrischen Kooperationspartner*innen, das weit über die im Projekt beforschten Einrichtungen
hinausreicht. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit wurde über die Durchführung zahlreicher europäisch-ethnologischer Masterarbeiten im psychiatrischen Versorgungsbereich
sowie zwei Studienprojekte im Berliner Masterprogramm für Europäische Ethnologie vertieft, die auch innerhalb der psychiatrischen Versorgung auf Interesse gestoßen sind. Die
Kooperation mit der Psychiatrie blieb über das DFG-Projekt hinaus bestehen und findet in
der Einwerbung weiterer Mittel zu Forschungsthemen an der Schnittstelle von Psychiatrie,
Sozialanthropologie und Stadtforschung Ausdruck.
Gemeinsame Reflexionsrunden mit psychiatrischen Praktiker*innen
und Betroffenen mit Erfahrungsexpertise
Gemeinsame Reflexion in Feedbackgruppen
Als ein weiteres Format des Ko-Laborierens, welches sich aus dem universitären Rahmen
hinaus vor allem auf die Anwesenden in der Feldforschung richtet, entwickelten Bister und
Klausner im DFG-Projekt »Die Produktion von Chronizität« empirisch dichte Feedbackformate für die Mitarbeiter*innen im Krankenhaus sowie in den Einrichtungen der Gemeindepsychiatrie. Da eine freiwillige und unentgeltliche Teilnahme an der oben genannten
Arbeitsgruppe zunächst im Projekt nur für Forscher*innen vorgesehen war, zielte dieses
zusätzliche Format darauf ab, direkt am Arbeitsplatz und während der Arbeitszeit in Austausch mit den Mitarbeiter*innen zu treten.4
Dementsprechend gaben Bister und Klausner während ihrer Forschungszeit in der Klinik den Teams, deren Arbeit sie beforschten, mittels ethnografischer Sequenzen aus den
Beobachtungsprotokollen Einblick in laufende Analysen und Interpretationen. Dies verdeutlichte allen Beteiligten die ethnografische Arbeitsweise und ermöglichte eine direkte
Auseinandersetzung mit den entwickelten Interpretationen. Da Bister und Klausner diese Feedbacks während ihrer Forschungsaufenthalte gaben, standen sie noch in weiterer
Folge für Gespräche und Austausch zu Verfügung. In einem Setting wie dem beforschten
Krankenhaus, in dem laufend sozialpsychiatrische Behandlungskonzepte weiterentwickelt
werden und hausinterne wie -externe Evaluationen zum Alltag zählen, vermuteten manche Mitarbeiter*innen in dem sozialwissenschaftlichen Forschungsprojekt eine weitere
Bewertung ihrer Arbeit. Erst die Feedbackrunden und die daran anschließenden Gespräche verdeutlichten, dass die beiden Sozialwissenschaftlerinnen eine dichte Beschreibung
von Alltagssituationen und deren Interpretation im Hinblick auf ihre Forschungsfragen
anstrebten und nicht auf eine Prüfung der Tätigkeiten einzelner Mitarbeiter*innen oder
einzelner Behandlungsformate nach definierten Kriterien abzielten.5 Dies erforderte von
den Mitarbeiter*innen ein Einlassen auf die für sie unübliche Logik des ethnografischen
Forschens und Problematisierens und von Bister und Klausner eine Pointierung bisheriger
Analysen unter Minimierung fachinterner Diskurse und Begrifflichkeiten. Auf diese Art
bekamen sie selbst laufend Rückmeldung zur Relevanz oder Irrelevanz ihrer Forschungsarbeit für die unmittelbare psychiatrische Praxis. Die Feedbacktreffen wurden Teil ihres
empirischen Materials.
Den Mitarbeiter*innen boten die Feedbackrunden während der Arbeitszeit eine Plattform für eine kritische Annäherung an den Behandlungsalltag. Die niederländische Sozialwissenschaftlerin Jeannette Pols nennt eine solche innerklinische Auseinandersetzung
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Formate des Ko-laborierens: Geteilte epistemische Arbeit als katalytische Praxis
mit ethnografischen Beobachtungssequenzen, die konkrete Arbeitspraktiken skizzieren
und deuten, »kontextuelle Reflexivität«. Für Pols stellt diese Form von Reflexivität eine
konstruktive Alternative zu gängigen Evaluationsinstrumenten dar, die den klinischen Alltag nach Leitfadenkriterien bewerten (Pols 2006; kritisch dazu van Loon/Zuiderent-Jerak
2012). Statt unidirektional Kritik zu üben, nutzten Bister und Klausner die Feedbacktermine um einen Raum zu schaffen, in dem sie gemeinsam mit den Fachkräften über Effekte
und Implikationen einzelner Aspekte des Behandlungsalltags reflektieren konnten. Derart
trugen diese Treffen dazu bei, Bestehendes zu hinterfragen oder aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Unmittelbare Interventionen in den bestehenden Alltag resultierten
aus den Treffen allerdings nicht. Erst im anschließenden DFG-Projekt »Die Mobilisierung
klinischer Versorgung« griff ein Klinikteam Bisters Feedbackmethode auf, um gemeinsam
mit ihr anhand von Beobachtungsprotokollen gezielt Effekte der eigenen Behandlungspraxis zu befragen. Auf welche Weise sich dadurch weitere Möglichkeiten für situierte Interventionen ergeben werden, ist momentan noch offen.6
Gemeinsame Reflexion in Fokusgruppen
Neben den gezielten Feedbackrunden ist eine trialogische7 Fokusgruppe zum Thema Genesungsbegleitung ein weiteres Beispiel eines ko-laborativen Formats, welches sich aus
dem Kontext der oben beschriebenen Arbeitsgruppe heraus entwickelte. Genesungsbegleiter*innen sind Personen, die (ehemals) selbst Erfahrung mit psychischen Krisen und
Diagnosen haben und in psychiatrischen Versorgungseinrichtungen beruflich tätig werden
(Utschakowski u. a. 2009; Utschakowski 2015). Dort sollen sie ihre Erfahrungen und ihr
Wissen als Ressource nutzen, um andere Menschen bei der Genesung zu unterstützen.
Grundlage der Fokusgruppe waren zunächst die Ergebnisse der Masterarbeit von Christine Schmid, in der sie Veränderungen in der teilstationären Versorgungspraxis durch die
Mitarbeit von Genesungsbegleiter*innen unter anderem durch Teilnehmende Beobachtungen untersuchte. Über einen Zeitraum von einem Jahr traf sich die Gruppe insgesamt
dreimal, sowohl in Berlin als auch in Hamburg. Initiiert durch den bereits oben genannten
Psychiater Sebastian von Peter wurden die Ergebnisse dieser Arbeit in einer Fokusgruppe,
bestehend aus acht Teilnehmer*innen mit unterschiedlichen Perspektiven, im Januar 2016
diskutiert. Drei Teilnehmer*innen hatten Erfahrung mit eigenen psychischen Krisen, eine
Teilnehmerin war ›Angehörigenexpertin‹, hinzu kamen zwei Psycholog*innen, ein Psychiater (von Peter) und eine Europäische Ethnologin (Schmid). Im Anschluss wurde das transkribierte Diskussionsmaterial in drei Kleingruppen gemeinsam codiert und interpretiert.
Das heißt, jeweils eine Person mit Kenntnis empirisch-qualitativer Auswertungsmethoden
(neben Schmid und von Peter noch die beiden Psycholog*innen) und eine mit Psychiatrieerfahrung saßen gemeinsam vor der Diskussionstranskription und codierten diese (sowohl
händisch als auch mithilfe der Software MAXQDA). Entlang der Mayring´schen qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring 2015) wurden Codes zunächst in einem der Zweierteams entwickelt, dann beschrieben und diskutiert, um in einem zweiten Schritt von den anderen
beiden Zweierteams angewendet zu werden.
Die gemeinsame Generierung von Codes und Kategorien war ein langwieriger Aushandlungsprozess, der dazu führte, dass Differenzen zwischen den Perspektiven expliziert
werden mussten. Beispielsweise war innerhalb der Gruppe heiß umstritten, ob oder wie
eine Form des ›emphatischen Mitfühlens mit Nutzer*innen der Psychiatrie‹ eine spezifische Kompetenz von Genesungsbegleiter*innen wäre oder nicht. Die Idee eines solchen
gemeinsamen Arbeitsprozesses war es, sowohl möglichst viele beteiligte Personen in den
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Patrick Bieler, Milena D. Bister, Christine Schmid
Prozess einzubeziehen und dadurch verschiedene fachspezifische Perspektiven einzubringen, als auch die Fragestellungen der Genesungsbegleiter*innen sicherzustellen, die nur
teilweise einen wissenschaftlichen Ausbildungshintergrund hatten. Die Ergebnisse wurden
in zwei folgenden Sitzungen erneut gemeinsam diskutiert. Aus dieser ko-laborativen Diskussions- und Analysearbeit ist ein gemeinsam und in Ko-Autorschaft verfasster Artikel
über die professionelle Rolle von Genesungsbegleiter*innen und ihren spezifischen Fähigkeiten entstanden (Heumann u.a. 2018). Insbesondere die Verschriftlichung der Ergebnisse
machte unterschiedliche fachspezifische Konventionen und Prioritäten ebenso wie die unterschiedlichen Positionen und Möglichkeiten der Teilnehmer*innen sichtbar. Allein die,
aus ethnografischer Perspektive übliche »Ich«-Perspektive löste anhaltende Diskussionen
aus. Dieser, von Beginn der Fokusgruppe bis zur Fertigstellung des Artikels, circa eineinhalb Jahre andauernde Prozess ist ein Versuch von geteilter Produktion, geteilter Analyse
und geteilter Interpretation empirischen Materials bis hin zu geteilter Verschriftlichung.
Bei dieser wiederholten kollektiven Reflexion wurden kulturanthropologische Analyseideen verworfen, aber auch aufgegriffen. In diesem ko-laborativen Format kreuzten sich
aktivistische Ideen sicherlich mit der Idee von epistemischer Zusammenarbeit. Schlussendlich wurde insbesondere die Heterogenität der verschiedenen Perspektiven im Artikel
betont und keine Synthese der Perspektiven angestrebt – auch wenn eine einzelne klare
Interpretation des empirischen Materials ohne Verweis auf die Differenzen möglicherweise
eine größere politische Schlagkraft hätte.
Darüber hinaus ist die Fokusgruppe jedoch, ebenso wie der entstandene Artikel, Teil des
empirischen Materialkorpus von Schmids Dissertationsprojekt. In diesem analysiert sie das
in Deutschland relativ junge Berufsbild der psychiatrischen Genesungsbegleitung und fokussiert darauf, wie diese spezifische Krisenerfahrungen im psychiatrischen Alltag in Praktiken als (Gegen)Teil von formal anerkannter Expertise verhandelt werden (Schmid 2020).
Erfahrung wird sowohl im Fach Europäische Ethnologie (beispielsweise in Form von Feldforschungserfahrungen) als auch im Kontext von Genesungsbegleitung als fundamentale
Kategorie verhandelt und bleibt zugleich in beiden Fällen theoretisch unterbelichtet. Obwohl es einen nahezu unüberblickbaren Korpus an kulturanthropologischen Auseinandersetzungen zu Erfahrung als Feldforschungs-erfahrungen (Malinowski 2001; Clifford 1983),
als Forschungsgegenstand (Turner 1986; Kleinman/Kleinman 1991; Wikan 1991) und analytisches Konzept (Stephenson/Papadopoulos 2006; Mattingly 1998; Lehmann 2007) gibt,
werden die Implikationen eines spezifischen historisch und kulturell bedingten Erfahrungsverständnisses selten ausformuliert und die damit einhergehende Wirkmacht für bestimmte
Felder, Ko-laborationen, ethnografische Studien etc. wenig untersucht (dazu kritisch: Borneman/Hammoudi 2009; Desjarlais 1994; Desjarlais 1997; Willen/Seeman 2012).
Die Mehrheit der psychiatrischen Versorgungsstudien zu Genesungsbegleitung richten
sich umgekehrt vor allem auf quantitativ messbare Effekte eines Einsatzes von Erfahrungsexpert*innen in psychiatrischer Versorgung, wie beispielsweise verringerte Hospitalisierung. Die wenigen existierenden Auseinandersetzungen mit epistemologischen und ontologischen Aspekten rund um diese »Expertise aus Erfahrung« (Utschakowski) tendieren
bisher zu einem »emphatischen Erfahrungsbegriff« (Hampe 2000, 16), welcher eine besondere, unmittelbare Authentizität und unmittelbare wie unübertragbare Evidenz für sich beansprucht – und damit die Gefahr birgt, in einen »strategischen Essentialismus« (Spivak
1990) zu führen (Voronka 2017).
In diesem Spannungsfeld kann ein solches ko-laboratives Format wie die oben beschriebene Fokusgruppe, die danach fragt wie Genesungsbegleiter*innen ihre Erfahrung praktizieren und wie sie hervorgebracht wird, experimentell ansetzen.
96
Formate des Ko-laborierens: Geteilte epistemische Arbeit als katalytische Praxis
Das heißt, die Fokusgruppe und der Artikel wirken, neben der direkten Intervention in
einen medizinisch-psychiatrischen Diskurs, ebenso zurück in kulturanthropologische disziplinäre Auseinandersetzungen. Die Fokusgruppe dient also nicht nur dazu, die Arbeit der
Forschungssubjekte als epistemische Arbeit sichtbar zu machen, sondern auch durch die
Zusammenarbeit etwas über ihre Rationalitäten zu lernen: Der Gewinn für Kultur- und Sozialanthropologie besteht in diesem Fall darin, Erfahrungen in einem Feld zu untersuchen,
in dem gegenwärtig eine spezifische Form als Expertise institutionalisiert und formalisiert
wird, um die daraus entstehenden Ergebnisse in Bezug zu kulturanthropologischen Diskussionen um Erfahrung zu setzen.
Für die Umsetzung dieses Formats der Ko-laboration war die Bereitschaft aller Beteiligten zur zeitaufwendigen (sogar mit Reisen in verschiedene Städte verbundenen) Zusammenarbeit unabdingbar. Alle Beteiligten waren dabei entweder selbst als Genesungsbegleiterinnen tätig oder arbeiten mit dieser Berufsgruppe mehr oder weniger eng zusammen.
Die Motivation zu der Zusammenarbeit war sicherlich individuell verschieden, einig war
sich die Gruppe über eine fehlende Diskussion zu den Rollen und Kompetenzen von Genesungsbegleiter*innen, die unter Umständen zu Schwierigkeiten in der gemeinsamen
Arbeitspraxis führen. Darüber hinaus waren insbesondere verschiedene infrastrukturelle
Voraussetzungen und Ressourcen für diese Zusammenarbeit unabdingbar: Sowohl die Angliederung der Fokusgruppe an psychiatrische Institutionen, die Genesungsbegleiter*innen anstellen, als auch die Möglichkeit, dass drei Beteiligte sich trotz fehlender Zusatzfinanzierungen sehr intensiv mit der Textproduktion beschäftigen konnten, bildeten die
Grundlage für die Umsetzung dieser Ko-laboration.
Mitentwicklung von Handlungsempfehlungen für die Wohnraumversorgung
von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen
Ein weiteres Format, durch welches anthropologische Forschung einen Beitrag zum Feld
leisten und gleichzeitig Erkenntnisse aus diesem Prozess für die eigene Disziplin erzielen
kann, entwirft Patrick Bieler derzeit im Rahmen seines Dissertationsprojektes. Thematisch
untersucht er den Zusammenhang von psychischen Beeinträchtigungen und städtischen
Umwelten. Dafür ist er unter anderem in einem Inklusionsprojekt eines deutschlandweit
agierenden Wohlfahrtsverbandes tätig.8 Der Wohlfahrtsverband an sich ist kein direkter
Akteur der Sozialpsychiatrie, sondern ein politischer Interessenverband mit unterschiedlichen Themen und Zielgruppen. Das spezifische Projekt versammelt Vertreter*innen sozialer Träger sowie Betroffene mit eigener Erfahrungsexpertise, die in unterschiedlichen
Regionen Deutschlands (darunter Berlin) Strategien diskutieren und darauf aufbauend
Vorgehensweisen entwickeln, die den Zugang zu (bezahlbarem) Wohnraum für Menschen
mit psychischen Beeinträchtigungen erleichtern und ein inklusives Wohnumfeld für diese
gestalten sollen. Im Projektbeirat sitzen neben Interessenvertretungen der Sozialpsychiatrie und der Betroffenenverbände ebenso Politiker*innen aus der Bundes- und Landesebene, Vertreter*innen der Wohnungswirtschaft wie von Mieter*innenverbänden.
Das Projekt zielt maßgeblich auf eine Veränderung der aktuellen Zusammenarbeit von
Wohnungswirtschaft, politischen Akteuren auf kommunaler Ebene und sozialpsychiatrischen Trägern sowie die Einflussnahme auf Wohnungsmarktpolitik in Kommunen, Ländern und Bund. Bieler untersucht in seiner Forschung, wie durch Vernetzungsarbeit neue
Konstellationen und Zusammenarbeiten entstehen, wie für die Wichtigkeit des Themas
geworben und argumentiert wird, welche Lösungen zur Verbesserung des Wohnraumzu-
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Patrick Bieler, Milena D. Bister, Christine Schmid
gangs und der Wohnraumversorgung angeboten und gefunden werden und auf welche
infrastrukturellen Hindernisse diese Vorstöße treffen.
Im Verlauf der Forschung wurde Bieler eine bezahlte Mitarbeit an einem Forschungsbericht zu den Perspektiven von Nutzer*innen sozialpsychiatrischer Angebote zum Thema
Wohnen und Wohnraumversorgung angeboten, das derzeit eine der größten Herausforderungen für die sozialpsychiatrische Versorgung darstellt. Aus der Analyse von Fokusgruppeninterviews mit Nutzer*innen leitete er in Absprache mit der Projektleitung Handlungsempfehlungen ab, die sich an politische Akteur*innen auf Bundes-, Landes- und
kommunaler Ebene sowie Mitarbeiter*innen von Behörden und Akteur*innen der Wohnungswirtschaft richten, um die Wohnraumakquise und -versorgung für die Zielgruppe
zu erleichtern beziehungsweise zu verbessern. Die Handlungsempfehlungen stellen dabei
einen Spagat zwischen der Analyse der Perspektive der Betroffenen, den Erfahrungen und
Problematisierungen der sozialen Träger der Sozialpsychiatrie sowie Kenntnissen über die
Funktionsweise wohnungspolitischer Prozesse dar. Sie sind insofern Produkt aus der Kombination der Analyse der Interviews, der ethnografischen Analyse der Teilnehmenden Beobachtung des Projekts sowie den spezifischen Interessen des Wohlfahrtsverbandes.9
Im weiteren Verlauf des Projektes wurden die Empfehlungen den adressierten Zielgruppen auf Fachtagungen, im Projektbeirat (in dem Vertreter*innen aller adressierten Zielgruppen mitarbeiten) sowie in Einzelgesprächen mit Akteur*innen von sozialen Trägern
wie auch der Wohnungswirtschaft vorgestellt und diskutiert.10 Ziel solcher Diskussionen
war es, die jeweilige normative Position von Trägern und Wohnungswirtschaft zu verstehen, miteinander in Diskussion zu bringen und sich über diese Diskussionen der jeweils anderen Position zu nähern, um daraus mögliche Ableitungen für weitere Schritte zu ziehen.
Diese wiederum wurden in die Entwicklung einer Broschüre eingebracht, die die sozialen
Träger als Partner für die Wohnungswirtschaft attraktiv machen soll – zum Beispiel, indem
sie Unterstützung in Fällen negativ bewerteten Verhaltens durch Mieter*innen anbieten.
Obwohl die Empfehlungen einem klaren normativen Ziel folgen (der Verbesserung der
Wohnraumversorgung von Menschen mit psychischer Beeinträchtigung), stellen sie nicht
eine einzelne Perspektive zentral in den Vordergrund, sondern bieten das Potenzial, auf
ihrer Grundlage jeweils lokal spezifische Versorgungssituationen, normative Positionen
und Akteur*innenkonstellationen zu reflektieren und auf diese Art unterschiedliche Ansatzpunkte für Zusammenarbeiten und Veränderungen zu bieten. Die Empfehlungen fordern unter anderem die stärkere Eigenverpflichtung von Kommunen in der Versorgung
von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen sowie eine Zusammenarbeit von Kommunen, Wohnungswirtschaft und sozialen Trägern. Dadurch wirken sie darauf hin, Wohnraum neben einem Wirtschaftsgut auch als Sozialgut zu verstehen und zu praktizieren.11
Dies ist insofern ein Appell an die Wohnungswirtschaft, sich als Teil der kommunalen Daseinsvorsorge zu verstehen und davon nicht komplett losgelöst zu operieren. In diesem
Sinne werden die Akteur*innen der Wohnungswirtschaft an ihre soziale Aufgabe erinnert
und in die Pflicht genommen, sich aktiv an Überlegungen und Konzepten zur Frage, wie
städtisches Zusammenleben gut und gerecht organisiert werden kann, zu beteiligen oder
zumindest die Kriterien zur Belegung von Wohnraum zu verändern. Für die Kommunen
bedeutet dies, das Thema Wohnraumversorgung für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen (wieder) verstärkt auf die politische Agenda zu setzen. Und die Akteur*innen der sozialen Träger müssen sich vermehrt mit Fragen des Wohnungsmarktes auseinandersetzen, die Positionen von Vermieter*innen verstehen und anerkennen lernen, sich mit
den Anliegen nicht-beeinträchtigter Mieter*innen auseinandersetzen und gegebenenfalls
Leerstellen in der eigenen Versorgungslandschaft diskutieren – Wohnen muss schließlich
98
Formate des Ko-laborierens: Geteilte epistemische Arbeit als katalytische Praxis
auch finanziert werden und geht mit finanziellen Risiken für Vermieter*innen einher und
stellt generell die Frage, wie das Zusammenleben von Menschen mit und ohne psychische
Beeinträchtigung gut für alle funktionieren kann (vgl. Knowles 2000). Die Akteur*innen des
Wohnungsmarktes sind nicht in erster Linie verantwortlich für die Versorgung von Menschen und teilen nicht notwendigerweise in gleichem Maße die Fürsorgeprinzipien und
-vorstellungen der Sozialpsychiatrie. Durch diese Annäherungen entstehen Möglichkeiten
zu neuen Formen der Kooperation zwischen der Sozialpsychiatrie und der Wohnungswirtschaft, womit gleichzeitig veränderte Praktiken in der sozialpsychiatrischen Versorgung
einhergehen, die zum Teil die jeweiligen normativen Positionen herausfordern (Bieler/
Klausner 2019).
Die Mitarbeit im Projekt bot Bieler die Möglichkeit, gewisse Selbstverständnisse aller
beteiligten Akteur*innen zu problematisieren und seine ethnografische Perspektive in die
Entwicklung der Handlungsempfehlungen und anderer Produkte mit einfließen zu lassen.
Neben der Mitarbeit im strikten Sinne wurden weitere Feedbackformate ausprobiert, um
gezielt die ethnografische Außenperspektive als Kontrapunkt zur Feldperspektive hervorzuheben. So hielt Bieler wiederholt Vorträge im Projektbeirat und versuchte darüber,
pointiert in Diskussionen mit den anwesenden Akteur*innen zu kommen, um darüber Anschlussmöglichkeiten der Zusammenarbeit der adressierten Akteur*innen zu schärfen und
gleichsam weiteres empirisches Material zu den Rechtfertigungsordnungen sowie infrastrukturellen Schnittstellen und Problemen zu sammeln. Im Verlauf des Projektes arbeitete
Bieler immer enger mit der Projektleitung zusammen und entwickelte mit dieser gemeinsam die konzeptuelle Idee der abschließenden Fachtagung zum Abschluss des Projektes.
Bieler gelang es durch diese Form des Engagements, die normativen Implikationen des
Inklusionsbegriffs und dessen Vernachlässigung materieller Dimensionen von Zusammenleben zur Diskussion zu stellen, ›provozierte‹ die Akteur*innen, nicht-institutionelle Akteur*innen städtischen Zusammenlebens stärker in den eigenen Fokus von Versorgungsbemühungen zu rücken, regte dazu an, über alternative Versorgungsmodelle für Menschen
in akuten psychischen Krisen zu reflektieren und forderte dazu auf, mögliche gemeinsame
Projekte von Wohnungsbaugesellschaften, sozialen Trägern und der Verwaltung als unabgeschlossene Planungsprozesse zu verstehen, die transdisziplinär ausgestattet werden
sollten und situierter empirischer Forschung bedürfen. Aus dem Projekt heraus ergaben
sich weitergehende Diskussionszusammenhänge mit Vertreter*innen verschiedener Abteilungen in der Verwaltung.
Bielers Mitarbeit und sein Bezug normativer Positionen verfolgt in der hier vorgestellten
Art der Ausübung primär methodische Zwecke und unterscheidet sich in zweierlei Hinsicht
von Formen engagierter, öffentlicher Anthropologie: Erstens geht es insbesondere darum,
über die direkte Intervention mit dem Feld hinausgehend den Prozess der Herstellung von
Handlungsempfehlungen und weiterer Instrumente sowie ihr ›soziales Leben‹ (d.h. ihre
Verwendungen und produktiven Effekte) ethnografisch zu analysieren, um auf Grundlage
des spezifischen, die Ethnografie auszeichnenden Theorie-Empirie-Nexus Erkenntnisgewinn zu erlangen, wie unter anderem von Knecht (2012) beschrieben. Das umfasst zum Beispiel die Frage nach dem Verhältnis von Dekonstruktion und gleichzeitiger notwendiger
Rekonstruktion der sozialen Gruppe ›Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen‹, die
Konstitution von Ähnlichkeiten und Differenzen zu anderen vom Wohnungsmarkt stark
benachteiligten Gruppen, den Umgang mit Normalität und Devianz einer Versorgung, die
hochgradig in Gesellschaft eingebunden ist. Kurz geht es also um Fragen menschlichen
Zusammenlebens in einer Großstadt, die Bieler anhand der Verschränkung von neoliberaler Wohnungsmarktpolitik, Gentrifizierungsprozessen und einer historisch entwickelten
99
Patrick Bieler, Milena D. Bister, Christine Schmid
ambulanten psychiatrischen Versorgung mit dem Ziel, Menschen nicht in Anstalten zu versorgen, analysiert.
Zweitens stellte die in den Handlungsempfehlungen eingenommene normative Position
lediglich einen Zwischenschritt der ethnografischen Forschung dar, nicht ihren Endpunkt.
Daraus ergab sich notwendigerweise, die eigenen erzeugten Produkte (und die damit einhergehenden Ideen) Teil der ethnografischen Analyse und Reflexion werden zu lassen
(vgl. Estalella/Sánchez Criado 2018). Bieler reflektierte die eigens eingenommene Positionierung im weiteren Analyseverlauf seines Forschungsprojektes, entwickelte Vorschläge
weiter und formulierte diese anders. Er versuchte für die beteiligten Akteur*innen griffige
Themen und Konzepte im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Relevanz zu kontextualisieren
und mit ethnografischen Perspektiven zusammenzubringen und explizit zu kontrastieren.
Insofern bemühte er sich darum, analytische Ideen in für die Feldakteur*innen praktisch
relevante und handhabbare Zusammenhänge zu übersetzen und gleichsam aus den konkreten Diskussionszusammenhängen allgemeine anthropologische Fragen nach dem »Wie
konkreten lokalen menschlichen Zusammenlebens« (Niewöhner u.a. 2012, 32) zu stellen.
Für Ethnograf*innen bedeutet diese Form der Involviertheit also, nicht bei den eigenen
normativen Positionen12 stehen zu bleiben und diese an das Feld heranzutragen, sondern
vielmehr zu verstehen, wie in diskursiven Austauschprozessen normative Positionen miteinander verhandelt werden, sich verändern, neu hervorgebracht werden, gegebenenfalls soziomaterielle Wirksamkeiten entfalten und im Sinne situierten Wissens auf die eigene Positioniertheit dem Gegenstand und Feld gegenüber übertragen werden können (vgl. Fassin 2008).
Fazit/Ausblick zu Ko-laboration
Um die methodologische Diskussion rund um den Begriff der Ko-laboration in ihrer praktischen Durchführung greifbar zu machen, haben wir drei unterschiedliche Formate ko-laborativen Zusammenarbeitens mit der Psychiatrie beschrieben, die in Forschungen innerhalb
des Kontextes des »Labors: Sozialanthropologische Wissenschafts- und Technikforschung«
in den letzten zehn Jahren erprobt wurden: eine interdisziplinär aufgestellte Arbeitsgruppe aus Wissenschaftler*innen der Europäischen Ethnologie, Psychiatrie, Psychologie und
Soziologie; Reflexionsrunden mit Praktiker*innen psychiatrischer Versorgung sowie die
Mitarbeit im Feld der politischen Lobbyvertretung an der Schnittstelle von psychiatrischer
Versorgung und Wohnungswirtschaft. Zusammengefasst lagen die zentralen Herausforderungen in allen drei Formaten im Erlernen einer fachgebietsübergreifenden Sprache, im
gemeinsamen Reflektieren und Problematisieren der psychiatrischen Versorgungspraxis
und ihrer Normen basierend auf empirischen Analyseergebnissen.
Mit der Entwicklung dieser ko-laborativen Formate leistet das Labor umsetzbare Beiträge zur konkreten Gestaltbarkeit generativer Kritik (Verran 2001), die über eine distanzierte Dekonstruktion der Wissensproduktion oder die Übernahme epistemologischer und
normativer Positionen des Feldes hinausgeht. In weiterer Folge zeigen die hier dargelegten
Formate des Ko-Laborierens unterschiedliche Möglichkeiten auf, die ko-laborative Herstellung von Reflexivität mit Interventionen zu verbinden und damit ethnografische Wissensproduktion für Akteur*innen außerhalb der eigenen Disziplin anschlussfähig und nutzbar zu machen, wie jüngst als Aufgabe für die Anthropologie von Dominic Boyer formuliert
(Boyer 2014). Ein gemeinsames Interesse an Intervention ist dabei keineswegs gleichzusetzen mit bereits vor der Zusammenarbeit festgelegten Zielstellungen, die dann lediglich verfolgt werden. Interventionen sind vielmehr Teil des ko-laborativen Zusammenarbeitens als
100
Formate des Ko-laborierens: Geteilte epistemische Arbeit als katalytische Praxis
Effekt der gemeinsamen epistemischen Reflexionsarbeit. Diese zeichnet sich insbesondere
dadurch aus, heterogene Wissensbestände gerade nicht integrieren zu wollen, sondern aus
der epistemischen Unterschiedlichkeit neues Wissen zu ermöglichen (vgl. Barry und Born
2013). Wir verstehen Reflexion allerdings nicht per se als moralischen oder epistemischen
Wert (Lynch 2000), sondern stellen in den Ko-laborationen die Frage zentral, wer was auf
welche Weise (und aus welchen Gründen) reflektieren sollte (van Loon und Zuiderent-Jerak 2012; Niewöhner in diesem Band).
Die drei von uns beschriebenen Formate variieren dabei im Grad der Direktheit der Intervention und unterscheiden sich hinsichtlich der adressierten Akteur*innen und Diskurse. Ihnen gemein ist jedoch, dass sie sowohl mit dem Feld in dieses intervenieren als auch
die eigene ethnografische Wissensproduktion informieren und verändern – im Hinblick
auf Forschungsdesign und -methodik ebenso wie analytische Zugriffe und theoretische Erkenntnisgewinne. Wie eingangs dargelegt, verorten wir hier eine neue Form der Interventionsmöglichkeit in gesellschaftliche Felder für das Fach Europäische Ethnologie und benachbarte Sozialwissenschaften: das Intervenieren ›durch Ko-laboration‹. Interveniert wird
dabei nicht allein in das Feld oder für das Feld, sondern mit dem Feld – sowohl in selbiges
als auch in das Fach Europäische Ethnologie.
Die von uns dargestellten Formate des Ko-Laborierens stehen nicht für sich, sondern
sind wechselseitig aufeinander bezogen und verstärken einander gerade aufgrund ihrer
unterschiedlichen Operationsebenen. In unserem Fall der Ko-laboration mit der Psychiatrie bot die oben skizzierte interdisziplinäre Arbeitsgruppe beispielsweise als institutionell
angebundenes Ko-Labor einen inhaltlichen wie personellen Ausgangspunkt für verschiedene ko-laborative Projekte und Formate. Gleichzeitig bieten eher an der Praxis oder Politik ausgerichtete Forschungsprojekte die Möglichkeit, die mit diesen Projekten verbundenen Interventionen im Hinblick auf die beteiligten wissenschaftlichen Disziplinen und
fachspezifischen Diskurse zu reflektieren. Die Arbeit des »Labors: Sozialanthropologische
Wissenschafts- und Technikforschung« hat die Entwicklung der Ko-laboration mit der Psychiatrie also keineswegs abgeschlossen, sondern entwickelt diese kontinuierlich weiter. So
begann im Januar 2018 etwa eine weitere, vom Gemeinsamen Bundesausschuss13 in Auftrag gegebene Projektzusammenarbeit, in der die deutschlandweite Evaluation bisheriger
psychiatrischer Modellprojekte im Zentrum steht. In diesem Projekt werden – in Zusammenarbeit medizinischer, wirtschaftswissenschaftlicher, psychiatrischer und eben auch
ethnologischer Akteur*innen – politische Leitlinien und Handlungsempfehlungen für die
zukünftige psychiatrische Versorgung entwickelt. Die Suche nach generativer Kritik ist
gleichsam die entscheidende Herausforderung dieses Projektzusammenhangs.
Die von uns hier beschriebenen Formen der gemeinsamen epistemischen Partnerschaft
zwischen Vertreter*innen der Arbeitsfelder Europäische Ethnologie und Psychiatrie sind
aus unserer Sicht auf andere wissensgenerierende Felder übertragbar, die im Zentrum anthropologischer Erkenntnis stehen. Sowohl aus der historischen Entwicklung des Fachs
wie im Hinblick auf aktuelle Forschungsschwerpunkte und auf eine notwendige epistemologische ›Distanz‹ zur Erzeugung produktiver Reibung bieten sich hier neben anderen
medizinischen und lebenswissenschaftlichen Bereichen insbesondere Wirtschaft(swissenschaften), Recht(swissenschaften) und Umwelt(wissenschaften) an, um Fragen nach sozialer Ordnung produktiv und in einem neuen Licht stellen zu können. So wies beispielsweise
jüngst Beate Binder darauf hin, dass Forschung »mit, gegen und jenseits eigener Überzeugungen« (Binder 2018, 61) an der Schnittstelle von Europäischer Ethnologie/Kulturanthropologie und Rechtswissenschaften jenseits der eigenen normativen Komfortzone
notwendig sei, um politische Felder zu analysieren.
101
Patrick Bieler, Milena D. Bister, Christine Schmid
Mit dem Feld ko-laborativ zu intervenieren ist kein zweifelsfreies, einfaches oder schnelles Arbeitsprogramm für Ethnograf*innen, doch eröffnet dieser Modus Möglichkeiten, sich
aus altbekannten Kritiktrajektorien heraus zu bewegen. Ko-laboration birgt für Sozialwissenschaftler*innen die Chance, gemeinsam mit anderen Akteur*innen sozio-kulturelle Verhältnisse neu zu kritisieren und dabei die eigene Disziplin zentral weiter zu entwickeln. Mit
unserem Beitrag wollen wir unseren Leser*innen Impulse liefern, um Möglichkeiten des
Ko-Laborierens mit Akteur*innen in ihren eigenen Forschungsfeldern weiter auszuloten
sowie feld- und ko-laborationsspezifische Formate zu entwerfen und zu erproben. Wir hoffen, dass unsere Darstellung als Vergleichsfolie das Erschließen der eigenen Feldspezifik
befördern kann.
Endnoten
Unsere Argumentation in Bezug auf Formate des Ko-laborierens greifen wir in einem Artikel für
das Special Issue "Practices of Ethnographic Research" des Journal of Contemporary Ethnography erneut auf und entwickeln diese weiter (siehe Bieler P. u.a.(2020): Distributing Reflexivity
through Co-laborative Ethnography. In: Journal of Contemporary Ethnography. Online first.
doi:10.1177/0891241620968271.)Gemeinsam mit einem größeren Autor*innenkollektiv vertiefen wir
in diesem Beitrag insbesondere die Konzeption und Rolle von Reflexivität in ko-laborativer Zusammenarbeit (siehe auch den Beitrag von Jörg Niewöhner in diesem Band).
2 Das Labor wurde im Wintersemester 2017/18 umbenannt in Laboratory: Anthropology of Environment | Human Relations. Eine detaillierte Beschreibung der Genese sowie Ausrichtung des Labors
findet sich in Laboratory: Anthropology of Environment | Human Relations 2019a, 2019b.
3 Für weitere Informationen zum Projekt siehe: https://www.euroethno.hu-berlin.de/de/archiv/forschungsprojekte/chronizitaet
4 Aus heutiger Sicht würden wir die Mitarbeiter*innen der Einrichtungen zum Austausch innerhalb
der Arbeitsgruppe einladen und uns nicht auf wissenschaftlich tätige Fachkräfte beschränken.
Feedbackrunden am Arbeitsplatz , so unsere Vermutung, würden dennoch eine breitere Zielgruppe
erreichen.
5 Bestehende Hierarchien zwischen den sowie innerhalb der Berufsgruppen ließen in unsere Feedbackrunden einige Stimmen lauter und andere leiser oder gar stumm werden. Erst unsere weitergehende Präsenz im Anschluss ermöglichte uns in direkten Gesprächen Rückmeldungen von zurückhaltenden Teilnehmer*innen einzuholen.
6 Neben diesen Formen des Feedbacks an Fachkräfte erprobte Klausner auch, Patient*innen des
Krankenhauses ein Feedback zu ihrer Forschungsarbeit zu geben. Siehe Klausner 2015, 161-165.
7 Trialog bezieht sich– in Überschreitung der Bezeichnungen Monolog und Dialog – vor allem auf
eine Zusammenarbeit der drei unterschiedenen Kerngruppen im Kontext psychiatrischer Versorgung: Ärzt*innen/Psycholog*innen, Patient*innen und Angehörige. Konkret können verschiedene
Formate trialogisch gestaltet werden; zum Beispiel Fokusgruppen, Gremien etc. Die bekannteste
Form trialogischer Sozialpsychiatrie sind die sogenannten Psychoseseminare, die sich als trialogische Gesprächsrunden mit dem Ziel einer gleichberechtigen Verständigung über Psychosen
mittlerweile in vielen Städten etabliert haben. (Bombosch 2004, 16) Genau genommen ist die hier
beschriebene Zusammenarbeit gar ein Tetralog, da die Kulturanthropologin eine weitere Berufsgruppe einbrachte. Diese Bezeichnung existiert jedoch so im sozialpsychiatrischen Kontext nicht.
8 Zum Zeitpunkt der Verschriftlichung des Artikels lief das Projekt noch, das zum Zeitpunkt der Veröffentlichung allerdings abgeschlossen ist.
9 Die bezahlte Arbeit für den Wohlfahrtsverband brachte selbstverständlich spezifische (Un)Möglichkeiten in Bezug auf Vorschläge sowie Formulierungen mit sich, da es sich bei den Handlungsempfehlungen gerade nicht um eine ›unabhängige‹ Studie handelte, sondern eben einem politisch
motivierten Auftrag folgte.
10 Darüber hinaus fanden die Ergebnisse der Befragung und ihre Handlungsempfehlungen Eingang in
zahlreiche Publikationen.
11 In Deutschland war die Wohnraumversorgung seit Mitte des 19. Jahrhunderts klassischerweise
ein sozialpolitisches Thema und unterlag primär dem Staat. Dies verschob sich erst in den 1980er
Jahren aufgrund einer verstärkt marktwirtschaftlichen Ausrichtung in der Wohnraumversorgung
(Egner 2014).
1
102
Formate des Ko-laborierens: Geteilte epistemische Arbeit als katalytische Praxis
12 Oder eben jenen der Forschungspartner*innen im Sinne engagierter Anthropologie für spezifische
Gruppen.
13 »Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ist das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen
Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in
Deutschland.« (www. https://www.g-ba.de/, Zugriff am 11.12.2017)
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105
Reflexion als gefügte Praxis
Jörg Niewöhner
ABSTRACT: Ethnografische Forschung ist reflexiv, sowohl mit Blick auf die eigene Forschungspraxis als auch auf die eigene Person in einem gesellschaftlichen Kontext. Wie genau
sie dies ist, wird selten diskutiert. Implizit wird diese Reflexivität häufig als eine individuelle
geistige Haltung und Fähigkeit zur Kritik verstanden. Spätestens seit das ebenfalls umfänglich reflexive Forschungssubjekt in der Europäischen Ethnologie zum Regelfall geworden ist,
bedarf es einer Überprüfung dieses Reflexivitätsverständnisses. Ich schlage hier vor, Reflexivität als gefügte Praxis zu verstehen und sie damit für empirische Forschung verfügbar zu machen. Reflexivität als gefügte Praxis dezentriert, erstens, Reflexivität als geistigen Prozess und
etabliert stattdessen Reflektieren als konkrete materiell-semiotische Praktik. Zweitens dezentriert diese Perspektive das individuelle epistemische Subjekt zugunsten von Reflektieren als
einer ko-laborativen Praxis. Drittens plädiert dieser Ansatz für ergebnisoffenes Reflektieren
als Selbstzweck statt es gleichsam in den Dienst einer spezifischen Form der Kritik zu stellen.
SCHLAGWORTE: Kritik, Ethnografie, studying up, materiell-semiotische Praxis
ZITIERVORSCHLAG: Niewöhner, J. (2021): Reflexion als gefügte Praxis. In: Berliner Blätter
83, 107−116.
Reflexion in der ethnografischen Forschung als Haltung und geistige
Fähigkeit?
D
ieser kurze Einwurf setzt am Beitrag von Patrick Bieler, Milena Bister und Christine
Schmid an. Ko-laborative Forschung, so möchte ich zeigen, produziert Formen von Reflexion, die sich sinnvoll als gefügte Praxis verstehen lassen. Reflexion als gefügte Praxis
erweitert dabei produktiv das derzeit im Fach vorherrschende dialektisch geprägte Verständnis von Reflexion. Es untersetzt ein Verständnis von Theoriearbeit, das mehr auf Involviert-Sein basiert als auf kritischer Distanz. Ein Verständnis von Reflexion als gefügte
Praxis reagiert auf die zunehmende phänomenologische und epistemologische Präsenz
von Kontingenz in intellektuellen Kulturen (Boyer 2015). Sie setzt diese Kontingenz gewissermaßen als Grundzustand heutiger forschender Praxis, wie dies ebenfalls die philosophische Anthropologie für den Menschen an sich (Lindemann 1999) wie auch die Ethnomethodologie für soziale Situationen (Lynch 2000) getan haben. Die Teilnahme an kontingenten
sozialen Situationen erfordert notwendig Reflexivität. Als epistemische Praxis ist Reflexivität aber immer wieder überhöht worden: nicht zuletzt durch Bourdieu, der Reflexivität im
DOI: 10.18452/22408 | Creative Commons CC 4.0: BY-NC-SA
Berliner Blätter 83/2021,107–116
Berliner Blätter 1/2020
Jörg Niewöhner
Sinne eines Zurücktretens verstand und darin die Möglichkeit sah, die Analyse sozialer
Felder zu objektivieren (Lynch 2000, 30−31). Mir geht es darum, Reflexivität als gefügte
Praxis zu erden, als notwendig sozial interaktive, verkörperte und infrastrukturell vermittelte Forschungspraxis, die fester Bestandteil ethnografischer Forschung sein muss und als
solche auch überprüfbar sein sollte.
Bieler und seine Kolleginnen legen anhand ihrer eigenen ethnografischen Forschungen im Schnittfeld von Sozialanthropologie und Sozialpsychiatrie verschiedene Formen
der Ko-laboration dar. Dabei betonen sie vor allem die Produktivität des Spiels mit epistemischer Differenz, das in verschiedenen Facetten ko-laborativen Arbeitens möglich wird.
Es gelingt ihnen zu zeigen, wie Reflexion als ein gemeinsamer Prozess zwischen den an der
Forschung Beteiligten verstanden werden kann.
Die Reflexivität von Forscherin und Forschungsprozess stellt ein Schlüsselmerkmal ethnografischer Forschung dar. Begreift man Ethnografie im Dreischritt als Methode, TheorieEmpirie Nexus und schriftliche Repräsentationsform (Knecht 2012), so ist Reflexivität in
allen drei Dimensionen umfassend diskutiert worden: als Rolle der Forscherin im und Wirkung auf das Feld (Lindner 1981, Binder u.a. 2013), als Situiertheit von Konzepten und Wissensproduktion im weiteren Sinne (Haraway 1988) und als Schreiben von Texten, die die
Schlüssel zur eigenen kritischen Hinterfragung offen darlegen (Knecht 2012, Clifford/Marcus 1986). Zwar wird in allen drei Dimensionen die soziale Interaktivität von ethnografischer
Forschung deutlich. Reflexive agency wird aber wesentlich der Forscherin zugeschrieben
(Bourdieu 1993) bzw. dem wissenschaftlichen Feld in seiner Gesamtheit (Bourdieu/Wacquant 2006). Reflexivität dient der Forscherin dazu, aus der Verstörung der Felderfahrung
heraus in Prozessen der vorsichtigen Generalisierung innerhalb der empirischen Reichweite des Falls Konzeptarbeit zu betreiben. Reflexivität legitimiert den immer beweglichen
und konsequent undisziplinierten Ge- und Verbrauch von Konzepten und empirischem
Material in Bezug zueinander, denn sie aktualisiert im Forschungsprozess kontinuierlich
die Rechenschaftspflicht der Forscherin gegenüber Feld und Informantinnen wie gegenüber Theorie und Kolleginnen. Sie stellt eine epistemisch-ethische Klammer her, die die
Forscherin ihrem Denkkollektiv verpflichtet, und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur
Charakteristik ethnografischer Konzeptarbeit: nämlich zum fluiden Theoriegebrauch, dessen suchendes und spürendes Mäandrieren der Interpretation sich niemals gänzlich loslösen darf von den Rückständen der Feld- und Literaturarbeit.
Reflexivität ist also konstituierendes Merkmal ethnografischer Forschung. Die Forscherin muss sich ihrer bedienen, um ethnografisch zu arbeiten. Häufig bleibt dabei unklar, wie
man sich Reflexion in der Praxis vorzustellen hat. Das Fach im weiten Sinne bietet weder
methodische noch methodo- oder epistemologische Diskussionen zu der Frage, worum es
sich bei Reflexivität handelt. Zwar liegen Diskussionen der Bedingungen für Reflexivität
(Bourdieu/Wacquant 2006) wie auch diverse Inventare von Reflexivitäten vor (Lynch 2000).
Diese haben aber in der Sozialanthropologie nicht dazu geführt, dass ein implizites Verständnis von Reflexivität als theoretisch-analytischer Tugend und Alleinstellungsmerkmal
des Fachs ernsthaft in Frage gestellt worden wäre. Dies hat meines Erachtens mit der Genealogie des Konzepts zu tun. Es speist sich in der Sozialanthropologie hauptsächlich aus der
Dialektik kritischer Analyse. Daraus folgt, dass Reflexion ein Denkprozess ist, der in kritischer Distanz zur Welt beziehungsweise zum Feld stattfindet. Kritische Distanz ist geradezu
ein sine qua non für den reflektierten wie reflexiven Umgang mit ethnografischem Material.
Die Forscherin verlässt das Archiv oder das Dorf, klappt ihr Feldforschungstagebuch zu und
bringt erst eine kritische räumliche beziehungsweise zeitliche Distanz zwischen sich und
das Material, bevor sie sich der eigentlichen und vertieften Analyse widmet. Diese Strategie
108
Reflexion als gefügte Praxis
hat sich auch immer wieder in den verschriftlichten Repräsentationen ethnografischen Wissens niedergeschlagen und ist hinreichend kritisiert worden (Said 1979, Fabian 1983). Dieser Lesart widerspricht nicht die Tatsache, dass ethnografische Forschung ein Hin und Her
zwischen Theorie und Empirie und damit auch zwischen Feld und Literatur bedeutet. Gerade in der Europäischen Ethnologie haben die im Vergleich zur frühen Sozialanthropologie
kürzeren Wege zwischen Feld und Schreibtisch schon immer zu einer engeren Kopplung
von Feldkontakt und analytischen Schritten geführt. Trotzdem gilt auch hier immer noch
ein Distanzieren vom Feld als Grundlage für einen tiefen analytischen Reifungsprozess, der
nötig ist, um ethnografisch zu schreiben. Die Gründe hierfür sind auch keinesfalls lediglich
pragmatischer Natur. Sicherlich fehlen ›im Feld‹ Zeit und Ort für die sorgfältige Analyse.
Vielmehr jedoch wohnt der Distanzierung auch die epistemische Erwartung inne, dass nur
die kritische Distanz den klaren Blick ermöglicht, der ethnografische Repräsentation von
anderen Analysen − auch aus dem Feld selbst − unterscheidet.
Distanz verschafft also dem individuellen Geist der Forscherin den nötigen Raum, um
sich Klarheit über die Dynamiken und Logiken des Feldes bzw. des empirischen Materials
zu verschaffen. Dem möchte ich nicht per se widersprechen. Jede von uns wird die Bedeutung von ruhigem Denken am eigenen Leib erfahren haben. Ich möchte aber das vornehmlich mental-kontemplativ-kognitive und zunehmend auch offen affektive Verständnis
dieses Prozesses erweitern und eine praxistheoretische Lesart von Reflektieren entwickeln.
Es dürfte mittlerweile weitestgehend unstrittig sein, dass sich auch ein mentaler Prozess, wie der der Reflexion, als Praxis verstehen lässt (z.B. Schmidt 2012). Dabei möchte ich
betonen, dass ich mit Praxis hier nicht mehr hauptsächlich auf Bourdieu (Bourdieu 1976,
Bourdieu/Wacquant 2006) Bezug nehme, der Praxis noch recht abstrakt als Vollzug von
Feldlogiken begreift. Vielmehr geht es mir in einer Entwicklung dieser ersten Welle von
Praxistheorie um ein praxiografisch zu erfassendes konkretes Wie des ›Sozialen‹, das gekennzeichnet ist durch eine Betonung der Materialität des Sozialen wie auch seine informelle Logik (z.B. Reckwitz 2003): materiell-semiotische Praxis als Grundeinheit von ethnografischer Forschung (Law 2009). Denken kann von dieser Warte aus immer auch als
verkörperte, räumlich wie sozial und historisch situierte Praxis verstanden werden. Auch
der kontemplative Schreibtischmoment erfordert eine spezifische Konditionierung des
Körpers; erfordert geeignetes Schreib- und Denkmobiliar, das ruhigen Fokus ermöglicht;
erfordert ein ruhiges Umfeld und nicht zuletzt auch die Organisation eines Lebens und
Alltags, die es ermöglichen, für einen ausgedehnten Augenblick auf ein hochspezifisches
Problem konzentriert zu sein. Der Zusammenbruch dieser Praxis durch beispielsweise den
Bandscheibenvorfall, dem dann der Gesundheitsstuhl oder Sitzball folgt, zeigt deutlich die
Rolle von Körper und Infrastruktur in der Praxis des Denkens. Es wäre ein interessantes
wissenshistorisches wie ethnografisches Projekt, den Einfluss von Körperlichkeit auf das
Denken an der Entwicklung einzelner Biografien und Denkstile nachzuvollziehen (siehe
auch Boyer 2005).
Mir geht es aber um mehr als das Verständnis von Denken als Praxis. Es stellt sich doch
die Frage, wo und wie der Impuls für einen neuen Gedankengang genau entsteht. Ludwik
Fleck hat auf die Stilgebundenheit von Denken verwiesen und damit zunächst deutlich
gemacht, dass nicht der Mensch allein denkt, sondern das Denkkollektiv, dem er angehört
(Fleck 1980 [1935]). Einer praxistheoretischen Betrachtung von ethnografischer Erkenntnis mangelt es an empirischem Material, denn häufig stellen Ethnografien die analytischen
Prozesse einfach nicht dar. Es scheint, als käme die Erkenntnis auf eine Art und Weise über
die Ethnografin, die sich nicht in Worte fassen lässt. Dabei geht es mir nicht eigentlich um
die Darstellung von Analyse im engeren Sinne. Ob Software genutzt wurde bei der Bearbei-
109
Jörg Niewöhner
tung von Material, ob mit post-its gearbeitet wurde, ob induktiv kodiert oder thematisch
geordnet wurde, sind wichtige Fragen und sollten in jedem Fall nachvollziehbar dargestellt
werden. Aber vielmehr noch frage ich mich, wie und wo eigentlich das Nachdenken über
das Material neue Verbindungen zwischen bisher unvermittelt nebeneinanderstehenden
Phänomenen schafft; wo ›Kreativität‹ ihren Ursprung hat; wie sich wohl praxistheoretisch
ein epistemisches Moment fassen ließe?
Ich möchte hier der Vermutung nachgehen, dass es sich bei Reflektieren und Reflexion
bei genauerer Betrachtung letztlich um sehr wenig individuelle mentale Praktiken handelt.
Oder weniger konfrontativ formuliert: In vielen Feldern könnte sich herausstellen, dass die
kollektive und praktische Reflexivität eher zu Konzepten führt, die good to think with sind,
als die individuell mentale Form. Dies scheint mir in besonderem Maße für jene Felder
zuzutreffen, in denen bereits ohne ethnografische Präsenz ein hohes Maß an Reflexivität
vorhanden ist.
Der Soziologe Stefan Hirschauer hat bereits darauf hingewiesen, dass es im kreativen
Prozess der empirisch geladenen Konzeptarbeit der Mobilität bedarf (Hirschauer 2008).
Er setzt Mobilität gegen »behäbige ›Reflexionen‹ auf den eigenen (systemisch gedachten) Beobachtungsstandort« (ebd., 176), und fordert »Mobilität: in Forschungsfeldern, im
Datenmaterial, zwischen Material, Literatur und Fragestellung, zwischen lnformanten und
Kollegenkreis − eine soziale und verbale Gewandtheit, eine lokale und textuelle ›Bewandertheit‹« (ebd.). Er aktiviert damit das reflektierende Subjekt. Es muss sich in Bewegung
setzen. In bequemer Haltung droht ihm wohl die Selbstgefälligkeit. Einen Schritt weiter
gehen Joe Deville, Michael Guggenheim und Zuzana Hrdlicková (2016) in ihrer Diskussion der Praxis des Vergleichens in den Sozialwissenschaften. Durch eine Anwendung von
analytischen Techniken der Science and Technology Studies auf die eigenen Praktiken des
Vergleichens innerhalb von Forschungsprojekten arbeiten sie die zentrale Rolle des ›comparators‹ heraus. Der comparator ist nicht das tertium comparationis:
»[…] comparative research hinges on a multiplicity of factors ranging from a particular zeitgeist (or research fashion), to the project structure and proposals made to
funders, to the inner workings of the entity conducting the comparison. The latter is
an entity we call the ›comparator‹ […]« (Deville u.a. 2016, 26)
Es handelt sich also bei dem comparator mitnichten notwendig um einen Begriff oder ein
Konzept. Vielmehr muss ein comparator zusammengesetzt werden, um mit seiner Hilfe die
Herstellung von Vergleichbarkeit anzugehen. Ein comparator kann also eine Vielfalt von
Phänomen einbeziehen: materielle Artefakte, Technologien oder spezifische Verfahren,
Datensätze oder Fragen, Personen und Begriffe. Comparators sind jedenfalls niemals aus
sich selbst heraus bereits comparators. Sie müssen immer produziert werden im Prozess
der Entwicklung einer Vergleich-ermöglichenden Infrastruktur innerhalb von konkreter
Projektarbeit. Deville und seine Kolleg*innen verstehen den comparator als ›assembled‹,
das heißt als zusammengefügt, und untersuchen daher im Rückblick auf ihr eigenes Forschungsprojekt, wie das Forschungsteam diesen Fügungsprozess bewerkstelligt hat und
welche Konsequenzen für Vergleichbarkeit und Wissensproduktion sich daraus ergeben.
110
Reflexion als gefügte Praxis
Assemblage − Reflexion als gefügte Praxis
Wie also stellen sich Reflexivität und Reflexion dar, wenn man sie als assembled begreift?
Dieser Ansatz speist sich aus dem in der Sozialanthropologie und den Science and Technology Studies etablierten assemblage Begriff Deleuzescher Prägung. Assemblage als englische Übersetzung des französischen agencement bezeichnet sich ereignende Dispositive
bzw. Dispositive im Werden. (Rabinow u.a. 2008) Es ist ein Denkansatz, der an Foucaults
Dispositivbegriff ansetzt und ihn in die Gegenwart transponiert und damit auch von der
genealogischen Methode löst. Es gilt herauszufinden, welche Veränderungen der Gegenwart so signifikant sind, dass sie in einer in der Zukunft durchgeführten genealogischen
Forschung als Verschiebung dessen erscheinen werden, was als Sagbar und wahr gegolten
hat. Anders formuliert: Eine Deleuzesche Philosophie der Dispositive geht von der Grundfrage aus, wie in der Welt die Produktion von genuin Neuem möglich ist (Deleuze 1991,
158). Auch hier steht also die Frage nach Kreativität im Vordergrund. Diese Perspektive auf
Welt als das kontinuierliche Zusammenfügen von sich ereignenden Formen bringt zwei
zentrale Verschiebungen mit sich: Erstens verlieren alle Entitäten die Selbstverständlichkeit ihrer Stabilität. Becoming − vor allem in seiner vom Subjekt gelösten biosozialen Lesart
(Ingold/Palsson 2013) − bedeutet, dass nun sich immer wieder neu fügende Beziehungen
und Beziehungen von Beziehungen im analytischen Zentrum stehen. Stabilität, Dauer und
Wesenhaftigkeit werden damit erklärungsbedürftig. Von besonderer Wirkmacht ist diese
Umkehr im Denken daher vor allem dort, wo die Darstellung von Stabilität eine hohe Bedeutung hat, wie, zum Beispiel, im Fall von vergeschlechtlichten oder ethnischen Identitäten oder wissenschaftlichem Wissen. Zweitens betont das Forschen in und über Gefüge
die unauflösliche Verstrickung von Materialität und Bedeutung. Konkrete materiell-semiotische Praktiken bilden die Basis für die kontinuierliche Konfiguration von Gefügen. Dieser
Aspekt ist vor allem in der ethnografischen Stadtforschung durch Begriffe wie urban assemblage oder die Greifbarkeit der Stadt produktiv gemacht worden (Farias/Bender 2010,
Färber 2016).
Ich möchte hier dem Beispiel von Deville und Kolleg*innen folgen, und assemblage
Denken auf das Sich-Ereignen von Reflexivität anwenden: Reflektieren als assembled practice oder eben als gefügte Praxis. Damit rücken zwei Dinge in den Vordergrund: Erstens ist
Reflektieren häufig kein individueller, sondern ein gemeinschaftlicher Prozess, der mehrere Personen auch jenseits des Wissenschaftsfelds involviert, wie der Beitrag von Bieler,
Bister und Schmid sehr schön ausführt. Es wird also das reflektierende Subjekt dezentriert.
Zweitens spielen häufig technische Artefakte eine wichtige Rolle. So ergeben sich in meiner eigenen Forschung in den Lebens- wie den Umweltwissenschaften immer wieder Momente, in denen ich gemeinsam mit einer Ko-laborationspartnerin durch eine spezifische
Methode auf ein Phänomen blicke. Hier entspinnt sich ein Reflexionsprozess durch die
gemeinsame Nutzung eines technischen Artefaktes, beispielsweise eines EEG Messgerätes oder eines spezifischen Landnutzungsmodells, das eine neue Form der Problematisierung und damit auch des worlding (Tsing 2010) bzw. des In-der-Welt-Seins vermittelt − und
eben nicht nur eine andere Perspektive. (vgl. Niewöhner/Beck 2017) Reflektieren wird hier
in seiner materiellen Gebundenheit sichtbar. Dezentriert wird damit die geistige Dimension von Reflexivität.
Diese doppelte Dezentrierung ist meines Erachtens durch die Trennung von sozial interaktiver Feldforschung und individuell-geistiger Reflexion nur unzureichend beschrieben.
Vielmehr sind die gemeinsamen Praktiken notwendiger Bestandteil von Reflexion. Denn
im Gegensatz zu kollaborativer Forschung, in der ein gemeinsames Ziel verfolgt wird, d.h.
111
Jörg Niewöhner
häufig positiv auf ein gemeinsames Produkt hingearbeitet wird (Lassiter 2005), geht es bei
ko-laborativer Forschung nicht (nur) um ein gemeinsames Werk. Es steht vielmehr die gemeinsame Arbeit im Sinne von tat-sächlicher konkreter Forschungsarbeit im Vordergrund.
Der Grund dafür liegt eben im Potenzial dieser gemeinsamen Arbeit, Reflexivität zu ermöglichen und zu befördern, und damit einen anderen Umgang mit Kontingenz zu entwickeln.
Dies ist von besonderer Bedeutung in Konstellationen, in denen die Sorge der Feldforscherin groß ist, nach der Forschung Nichts zu sagen zu haben, was die natives nicht auch
schon wüssten (Boyer 2015). In der Psychiatrie beispielsweise kommt man rasch an diesen
Punkt, wenn einem während der Forschung deutlich wird, dass die Kritik von Goffman bis
Foucault an hegemonialen diagnostischen Kategorien und Behandlungspraktiken im Feld
en detail rezipiert worden ist. Diese Tatsache macht weder diese Kritik obsolet noch folgt
daraus notwendig, dass die individuelle Reflexion aus der kritischen Distanz keine neuen
Perspektiven und Erkenntnisse ermöglichen würde. Es besteht aber das sehr reale Risiko,
etablierte kritische Lesarten zu reproduzieren und damit schlimmstenfalls die Informandinnen im Feld zu verprellen.
In einer solchen Konstellation bietet die Ko-laboration einen möglichen Ausweg. Gemeinsame Arbeit, das systematische Ausprobieren und Wechseln von Methoden, Perspektiven und Konzepten, und das Gespräch über Erfahrungen wie auch die fachliche Diskussion schaffen ein neues Denkkollektiv, aus dem sich ein neuer Denkstil entwickeln kann
(Fleck 1980 [1935]). Stavrianakis, Rabinow und Korsby sprechen mit Bezug auf Tom Burke
und John Dewey von operational perspectivity als Versuch, eine Haltung zu entwickeln,
die zwischen Subjektivierungs- und Objektivierungsvorwürfen navigiert (Stavrianakis u.a.
2017). Mir geht es darum, operational perspectivity konsequent als materiell-semiotische
und ko-laborative Praxis zu verstehen und sie systematisch zu verändern. Es ist diese Arbeit, die ich als Reflektieren verstanden wissen möchte im Sinne einer gefügten Praxis. Sie
ist dort von besonderem Interesse, wo die im eigenen Fach durch kritische Analyse als Alternativen zum Feld entwickelten Unterscheidungen und Differenzen im Feld selbst bereits
bekannt sind (Niewöhner 2018). Vor allem in derart gelagerten Feldern wird rasch die Forderung an die Ethnografin herangetragen, sich einzubringen und mitzuarbeiten an neuen
Konzepten und Methoden, die helfen können, bekannte Probleme im Feld zu bearbeiten.
Poiesis und Praxis: Ergebnisoffene Reflexivität
Ein wichtiger Aspekt dieser Form von gefügter Reflexivität durch Ko-laboration liegt in
ihrer Ergebnisoffenheit. Ethnografische Forschung produziert häufig erwartbare Kritik:
Das Feld ist komplizierter als hegemoniale Diskurse es zulassen, marginale Positionen werden nicht gehört, neoliberale Strukturen befördern systematisch Partikularinteressen usw.
Diese Kritik ist selbstverständlich in den allermeisten Fällen so richtig wie berechtigt, aber
eben auch eingeschränkt in ihrer Wirkung (vgl. Lynch 2000). Dies liegt auch an der Tatsache, dass häufig über die grundlegende kritische Positionierung als Haltung Felder auf
eine Art und Weise erschlossen werden, die ihre Stärken darin hat, eben dieser Kritik Raum
und Form zu verleihen. Der Aufruf zur Kollaboration führt im Fach dazu, dass immer mehr
und immer enger mit Gleichgesinnten gearbeitet wird. Es entsteht also eine Verengung
der analytischen Möglichkeiten, weil der empirische Korpus letztlich nur einen kleinen
Teil von möglichen Problematisierungen in den Blick nimmt. Diese Ausrichtung des Fachs
ist umfassend diskutiert worden (D’Andrade u.a. 1995, Binder u.a. 2013). Sie bringt viele
Stärken mit sich. Eine Schwäche allerdings liegt in der oft geringen Ergebnisoffenheit der
112
Reflexion als gefügte Praxis
Forschung. Die omnipräsente Kontingenz von Perspektiven wird strukturell eingeschränkt.
Reflexivität, die dem Fach gegenüber Rechenschaft ablegen muss, wie eingangs beschrieben, entwickelt vor allen Dingen eine bestimmte Form und Richtung von Kritik. So sind
in unzähligen Ethnografien das Wirken von Märkten und von neoliberaler Regulierung
grundsätzlich kritisiert worden, häufig ohne sich dabei die Mühe zu machen, gierige Individuen und Korruption analytisch von den prinzipiellen Marktmechanismen und -strukturen zu trennen. Im Gegensatz dazu existiert so gut wie keine ethnografische Forschung, die
versuchen würde, anthropologisches Wissen in neoklassische Verständnisse von Märkten
und ihre Ordnungsansprüche einzubauen und die Widerstände zu diskutieren, die daraus
resultieren.1 Dito in der Psychiatrie: Wir produzieren weiter berechtige kritische Analysen
der Auswirkungen von dünnen Vereinfachungen biologischer oder ökonomischer Art auf
Behandlungsregime und Patient*innenschicksale. Wir engagieren uns aber deutlich seltener in kritisch-generativen Auseinandersetzungen (Verran 2001) mit der Psychiatrie,
beispielsweise um die materiellen und sozialen Stabilisierungsdynamiken in chronischen
Krankheitsverläufen zu verstehen und zu bekämpfen (Bister 2018).
Hierin liegt die zweite Bedeutung des Begriffes Praxis, die ich im Konzept von Reflexivität als gefügter Praxis sehe: Praxis als Gegenpart zu Poiesis in einer aristotelischen Lesart.
In einer für die Science and Technology Studies wichtigen Debatte um den Politikbegriff innerhalb des Forschungsfeldes hat der niederländische Wissenschaftsphilosoph Gerard de
Vries diese Unterscheidung zwischen Praxis und Poiesis produktiv gemacht (de Vries 2007).
Poiesis, so argumentiert er mit Aristoteles, bezeichne zweckgebundenes Handeln, Praxis
hingegen Handeln als Selbstzweck. Ähnliche Lesarten finden sich in Hannah Arendts vita
activa oder Habermas’ kommunikativem Handeln. Poietische Politikbegriffe gehen nach
de Vries von Menschen mit klaren Interessen aus, die versuchen, im politischen Prozess
möglichst viele dieser Interessen möglichst weitgehend durchzusetzen. Politischer Erfolg
bemisst sich dann in Mehrheiten für diese oder jene Richtung, das heißt am Ergebnis des
politischen Prozesses. Produktiver sei es, so de Vries, von einem praktischen Politikkonzept
auszugehen und damit die politische Auseinandersetzung als Wert an sich zu verstehen.
Ziel eines politischen Prozesses sei also nicht ein dem Prozess nachgelagertes Ergebnis,
sondern ein ›guter‹ politischer Prozess an sich. Die Aktivität wird nicht von ihrem Ziel getrennt. Vielmehr stellt eine untadelige Ausführung der Aktivität den eigentlichen Wert dar.
Eine ›gute‹ politische Diskussion misst sich so an spezifischen Tugenden, wie zum Beispiel
Zuhören oder Warten, aber auch an Elementen wie einer Moderation, einem physischen
Diskussionsraum, der groß und ruhig genug ist, um konzentrierte Teilnahme zu ermöglichen usw.
Für Reflexivität als gefügte Praxis bedeutet dies nun, dass sich ihre Ausgestaltung und
Qualität nicht nach einem zuvor definierten Ergebnis bemisst. In kritischer und kollaborativer Forschung ist dies aber häufig der Fall. Hier stehen entweder gemeinsame Ziele
im Vordergrund oder die kritische Dekonstruktion eines Forschungsobjekts. Dies ist auch
völlig legitim. Mir geht es aber um einen Prozess, dessen Zweck sein Gelingen sein sollte. ›Gute‹ Ko-laboration bemisst sich demnach nicht an ihrem Ergebnis, sondern bedarf
eigener Kriterien. Diese haben viel damit zu tun, wie Kontingenzen im Forschungsfeld und
der eigenen Perspektive sicht- und bearbeitbar gemacht werden. Meines Erachtens können
viele dieser Kriterien nicht von außen an den Prozess herangetragen werden. Sie müssen
vielmehr in der Praxis entwickelt werden, wie wir dies in analoger Weise für situierte Formen der Ethik kennen (Stengers 2005, Pols 2015). Wichtig scheint mir allerdings, dass es
sich um eine ergebnisoffene Praxis handeln muss, die durch konsequente Skepsis eigenen
wie fremden Begriffen, Methoden und Denkzwängen gegenüber gekennzeichnet ist. Dies
113
Jörg Niewöhner
bedarf spezifischer institutioneller Voraussetzungen, die vor allem in Drittmittelforschung
nicht immer gegeben sein können: langfristige Präsenz in Forschungsfeldern und vertrauensvolle Interaktion mit Ko-laborationspartner*innen, zum Beispiel. Es bedarf aber vor allem einer neugierigen und unvoreingenommenen Herangehensweise, die bereit ist, sich
auf eine in der Praxis gefügte Reflexivität einzulassen und ihr nachzugehen. Dies ersetzt
keineswegs bestehende Tugenden der individuellen Reflexion. Es setzt aber für begrenzte
Zeiträume disziplinäre Gewissheiten aus. Das epistemische Moment verschiebt sich daher
aus dem intellektuellen Zentrum des forschenden Subjekts in die ko-laborative Praxis. In
ähnlicher Weise hat dies Karin Knorr für epistemische Subjekte im Vergleich von molekularbiologischem Labor und CERN herausgearbeitet, wenn auch mit anderem Forschungsinteresse (Knorr-Cetina 1999). Während in der Molekularbiologie die individuelle Wissenschaftlerin den Gang der Forschung bestimmt, ordnet sich im CERN die Einzelperson dem
Experiment zu und unter. Das epistemische Moment verschiebt sich.
Diese Verschiebung muss man zulassen, wenn man in einem ko-laborativen Prozess partizipieren möchte. Dies kann sehr unangenehm sein, wenn sich in diesem Prozess herausstellt, dass liebgewonnene eigene Vorannahmen nicht zu halten sind oder hart erarbeitete
Konzepte sich als unproduktiv erweisen (s. auch Pillow 2003). Auch kann es passieren, dass
man an den Rand der eigenen fachlichen Kompetenzen gebracht wird und einem schlicht
das fachliche Wissen fehlt, um den ko-laborativen Prozess weiter mitzugestalten. All dies
kann schnell karrierehinderlich sein. Es ist aber in den Momenten des Gelingens ein sehr
generativer Prozess, der die Teilnehmenden in je verschiedener Weise aus den etablierten
Denkwegen herausführt und neue Verbindungen aufzeigt.
Fazit
Reflektieren als gefügte Praxis zu begreifen verfolgt drei Ziele: Erstens dezentriert dieser
Ansatz Reflexivität als geistigen Prozess und etabliert stattdessen Reflektieren als konkrete
materiell-semiotische Praktik. Zweitens dezentriert er das individuelle epistemische Subjekt zugunsten von Reflektieren als einer ko-laborativen Praxis. Drittens plädiert der Ansatz
für ergebnisoffenes Reflektieren als Selbstzweck. In vielen Feldern − vor allem solchen,
deren Erforschung in der Vergangenheit als studying up or sideways (Nader 1969, Hannerz
1998) beschrieben wurde − wird derzeit die Frage nach der Rolle von Ethnografie debattiert. Reflektieren als gefügte Praxis zu verstehen eröffnet hier drei neue Überlegungen:
Erstens stellt sich die Frage, in welchen Feldern sich produktive Prozesse ko-laborativen
Reflektierens einrichten lassen. Welche Felder sind in dieser Weise good to think with?
Zweitens ermöglicht der Fokus auf Reflektieren als Praxis, das heißt auf die Aktivität an
sich, eine generative Form der kritischen Auseinandersetzung, deren Ausgang ungewiss
ist. In diesem Modus kann sich Ethnografie beispielsweise den zentralen Feldern Recht
und Ökonomie anders nähern. Ein gemeinsames Arbeiten wird möglich und damit auch ein
konstruktiveres Verhältnis von Anthropologie und den Wissensbeständen und Steuerungspotenzialen, die bisher lediglich als Objekt ethnografischer Forschung verstanden wurden.
Drittens kann ein Verständnis von Reflektieren als gefügter Praxis einen wichtigen Beitrag
zur Transparenz ethnografischer Wissensproduktion leisten. Dies sollte positive Auswirkungen sowohl auf die Sicht- und Lesbarkeit des Fachs haben als auch empirische Methodenkurse positiv beleben. In einen vielschichtigen Prozess des gemeinsamen Reflektierens
einrücken zu können, nimmt vielleicht ein wenig von der Last, einsam am Schreibtisch so
lange eine Haltung einnehmen zu müssen, bis die geniale Eingebung endlich auf den zu-
114
Reflexion als gefügte Praxis
nehmend verzweifelten Geist herabzusteigen gewillt ist. Dies entbindet natürlich keinesfalls von den klassischen Tugenden ethnografischer Forschung und dialektischer Kritik. Es
eröffnet aber weitere Wege für kreatives ethnografisches Forschen.
Endnoten
1
Ein seltenes wie gelungenes Gegenbeispiel stellt die Dissertation von Ruzana Liburkina (2019) dar:
Anthropologising Workaday Worlds along Two Food Supply Chains: An Ethnographic Inquiry into Responsibility Relations and Growth. (Unveröffentlichte Doktorarbeit, Humboldt-Universität zu Berlin).
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Die Autor*innen
Patrick Bieler ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Europäische Ethnologie der
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Diskussionen in den Science & Technology Studies, der Medizin- und Stadtanthropologie.
Kontakt: patrick.bieler@hu-berlin.de
Beate Binder ist Professorin für Europäische Ethnologie und Geschlechterstudien am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Anthropologie des Politischen, Rechtsanthropologie, Geschlecht
und Sexualität. Kontakt: beate.binder@hu-berlin.de
Milena D. Bister ist Mitglied des Labors Anthropology of Environment | Human Relations
am Institut für Europäische Ethnologie, Humboldt-Universität zu Berlin, und Lektorin am
Institut für Europäische Ethnologie der Universität Wien. Ihre Forschungsarbeiten verbinden die sozialanthropologische Wissenschafts- und Technikforschung mit Medizinanthropologie und Stadtforschung. Kontakt: milena.bister@staff.hu-berlin.de
Friederike Faust ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt »CrimScapes: Navigating
Citizenship through European Landscapes of Criminalisation« am Institut für Europäische
Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin. Inspiriert von Fragen nach der Beziehung
zwischen Staat und Zivilgesellschaft und dem Wirken von Recht und Policies forscht sie zu
der Schnittstelle von Gefängnis, Gesundheit und Geschlecht. Kontakt: f.faust@hu-berlin.de
Janine Hauer ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Interdisziplinäre Regionalstudien der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Zuvor arbeitete sie am Institut für
Europäische Ethnologie sowie am Integrativen Forschungsinstitut für die Transformation
von Mensch-Umwelt-Beziehungen (IRI THESys) der Humboldt-Universität zu Berlin. Im
Mittelpunkt ihrer Forschungen stehen die sozialen und ökologischen Dimensionen gesellschaftlicher Wandlungsprozesse und Zukunftspotenziale sowie insbesondere der Rolle ethnografischer Forschung innerhalb dieser Prozesse. Kontakt: janine.hauer@zirs.uni-halle.de
Ruzana Liburkina ist seit 2019 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsschwerpunkt
»Biotechnologie, Natur und Gesellschaft« am Institut für Soziologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Zuvor arbeitete sie am Institut für Europäische Ethnologie und am
DOI: 10.18452/22409 | Creative Commons CC 4.0: BY-NC-SA
Berliner Blätter 83/2021, 117–118
Berliner Blätter 1/2020
Die Autor*innen
Integrativen Forschungsinstitut für die Transformation von Mensch-Umwelt-Beziehungen
(IRI THESys) an der Humboldt-Universität zu Berlin. Dort hat sie mit einer Dissertation zur
Realisierung, Aneignung und Ablehnung von Verantwortung und Wachstum entlang von
Lebensmittellieferketten promoviert. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Wissenschafts- und Technikforschung, Wirtschaftsanthropologie und ökologische Anthropologie.
Kontakt: Liburkina@soz.uni-frankfurt.de
Jörg Niewöhner forscht und lehrt am Institut für Europäische Ethnologie der HumboldtUniversität zu Berlin. Er beschäftigt sich in seiner ethnografischen Forschung mit den Veränderungen von Mensch-Umwelt Beziehungen vor allem in den Kontexten globaler Klimaund Umweltwandel und psychische Gesundheit in Städten. Seit 2018 leitet er außerdem das
Integrative Forschungsinstitut für die Transformation von Mensch-Umwelt-Beziehungen
(IRI THESys) an der Humboldt-Universität zu Berlin. Kontakt: joerg.niewoehner@hu-berlin.de
Todd Sekuler untersuchte von 2016-2019 HIV-Aktivismus in europäischen Gruppen, Netzwerken und Institutionen am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit November 2020 forscht er dort als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im
Forschungsprojekt »CrimScapes. Navigating Citizenship through European Landscapes of
Criminalisation« über die Regulierung von Hassrede im Internet. Kontakt: todd.sekuler@
hu-berlin.de
Christine Schmid ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Psychologie und Arbeitswissenschaft der Technischen Universität Berlin. Als Europäische Ethnologin forscht
sie an Schnittstellen zwischen Kulturanthropologie, Science & Technology Studies, Medizin und Versorgungsforschung. Kontakt: christine.schmid@tu-berlin.de
Francis Seeck ist Geschlechterforscher*in und Kulturanthropolog*in und arbeitet zu den
Themen Klassismus, soziale Ungleichheit, Care und geschlechtliche Vielfalt. In der Promotion setzte sich Francis Seeck mit Sorgearbeit und Prekarität in trans und nicht-binären
Räumen auseinander. Seit September 2020 ist Seeck Vertretungsprofessor*in für Soziologie
und Sozialarbeitswissenschaft an der Hochschule Neubrandenburg im Fachbereich Soziale
Arbeit, Bildung und Erziehung. Seit 2009 ist Seeck in der Politischen Bildung und Antidiskriminierungsarbeit tätig und gibt Fortbildungen und Vorträge zu den Themen Klassismus
und geschlechtliche Vielfalt. Kontakt: francis.seeck@gmx.de
Jonas Tinius is an anthropologist of art, theatre, and heritage. He is associate member of the
Centre for Anthropological Research on Museums and Heritage (CARMAH) at the Institute of European Ethnology of the Humboldt-Universität zu Berlin and scientific coordinator
of the ERC-funded interdisciplinary research project »Minor Universality. Narrative World
Productions After Western Universalism« (PI Markus Messling, ERC Consolidator Grant).
He studied and completed a PhD in social anthropology at the University of Cambridge
(UK) and focuses in his work on how artists, actors, curators, and cultural organisations
grapple with narrations of European and world heritage in Germany. Kontakt: jonas.tinius
@gmail.com
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Impressum
Berliner Blätter. Ethnographische und ethnologische Beiträge
Herausgegeben von der Gesellschaft für Ethnographie (GfE)
und dem Institut für Europäische Ethnologie der HumboldtUniversität zu Berlin
Heft 83/2021
ISSN (Online) 2702–2536
www.berliner-blaetter.de
DOI: 10.18452/22409
Alle Ausgaben dieser Zeitschrift werden ab Heft 82 unter den
Bedingungen der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-SA
veröffentlicht.
Redaktion: Beate Binder (V.i.S.d.P.), Franka Schneider, Klara
Nagel, Alik Mazukatow, Friederike Faust, Janine Hauer,
Carina Fretter
Heftredaktion: Friederike Faust, Janine Hauer
Titelfoto: Philipp Trubchenko
Satz & Layout: Harry Adler
Berliner Blätter 83/2021
ISSN (Online) 2702–2536
www.berliner-blaetter.de