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Projektmethode Michael Knoll In: Handbuch Unterricht. Hrsg. K.-H. Arnold, J. Wiechmann, U. Sandfuchs. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2006. S. 270-275; 2. Auflage 2009, S. 204-207. 1 Das Projekt als Methode des praktischen Problemlösens Die Projektmethode, auch als Projektunterricht, Projektarbeit, Projektlernen bekannt und oft in besonderen Projektwochen und Projekttagen verwirklicht, zählt zu den meistdiskutierten Methoden des Unterrichts (Frey 2002). Sie ist eine Unterform des handlungsorientierten Lernens und gilt als ein hervorragendes Mittel, um intrinsische Motivation zu fördern, selbständiges Denken zu entwickeln, erworbenes Wissen anzuwenden, Selbstbewußtsein zu erzeugen und soziale Verantwortung einzuüben. Diese Ziele sollen dadurch erreicht werden, dass die Schüler ihre eigenen Interessen und Vorstellungen einbringen und Themen und Probleme der natürlichen und gesellschaftlichen Umwelt möglichst frei und selbstbestimmt bearbeiten. Projekte sind produkt- und öffentlichkeitsorientiert und – anders als etwa Lehrgang und Übung – nicht an enge Disziplin- und Fächergrenzen gebunden. Auf eine knappe Formel gebracht, kann man die Projektmethode als eine Methode des praktischen Problemlösens definieren, die den Schülern im größeren Umfang eigenständiges und konstruktives Arbeiten abverlangt. 2 Ursprung und Entwicklung der Projektmethode Nach traditioneller Auffassung ist die Projektmethode ein genuines Produkt der amerikanischen progressiven Erziehungsbewegung (Apel & Knoll 2001). Um 1900 als Methode des Werkunterrichts erfunden, erhielt sie eine neue, eigentümliche Gestalt, als William H. Kilpatrick sie seit 1915 – wegen ihrer besonderen Förderung von Freiheit und Selbstbestimmung – als die einzig adäquate Unterrichtsmethode in einer demokratischen Gesellschaft bezeichnete und – wegen ihrer besonderen Förderung von Motivation und Lernbereitschaft – als „herzhaftes absichtsvolles Tun“ definierte. Diese umfassende Bestimmung wurde u.a. von John Dewey kritisiert, weil sie Projektarbeit nicht mit den dauerhaften, sondern mit den momentanen Interessen der Schüler verband. Neuere Forschungen (Knoll 1993) führen den Ursprung der Projektmethode auf die Ausbildung von Architektur- und Ingenieurstudenten zurück, die dreihundert Jahre zuvor in Rom und Paris am Ende ihres Studiums größere Bauvorhaben (Brunnen, Kirchen, Brücken) zu entwerfen hatten. Vereinfacht gesagt, läßt sich die Geschichte der Projektmethode in fünf Phasen gliedern: 1590-1765 erste Anfänge der Projektarbeit an den neuen Schulen für Architektur in Italien und Frankreich 1765-1880 das Projekt als reguläre Unterrichtsmethode an den kontinentaleuropäischen und nordamerikanischen Bauakademien und Technischen Hochschulen 1880-1915 Verlagerung des technischen Werkens vom College auf die High und Elementary School, parallel dazu Einführung der Projektarbeit; Übertragung auf den landwirtschaftlichen und naturwissenschaftlichen Unterricht 1915-1935 Neudefinition der Projektmethode durch Kilpatrick und ihre weltweite Verbreitung; in Amerika bald allgemeine Ablehnung des Kilpatrickschen Projektbegriffs 1965-heute Wiederentdeckung der Projektmethode in Westeuropa, dritte Welle ihrer internationalen Wirksamkeit Historisch und systematisch gesehen gehört die Projektmethode in dieselbe Kategorie wie das Experiment der Naturwissenschaftler, die Fallmethode der Juristen und das Planspiel der Offiziere; denn wie diese hat das Projekt seinen Ursprung in der Akademisierung und Professionalisierung eines spezifischen Berufs, und wie diese wurde es an Hochschulen und Schulen eingeführt, damit die Schüler und Studenten schon beizeiten lernten, die Kluft zwischen Theorie und Praxis zu überwinden und selbständig umfangreichere Aufgaben ihrer Lebens- und Berufswirklichkeit zu lösen. 3 Die drei Merkmale de Projektunterrichts Das Projekt ist eine Form entschulten schulischen Lernens, die sich von Anbeginn durch die Merkmale Schülerorientierung, Wirklichkeitsorientierung und Produktorientierung auszeichnet: − Schülerorientierung. Im Projekt haben die Schüler erhebliche Entscheidungsund Handlungsspielräume, um ihre Interessen, Vorstellungen und Erfahrungen einzubringen. Sie werden so zu Subjekten ihres Lernprozesses und können sich mit ihrer Arbeit leichter identifizieren und eher einen nachhaltigen Lernerfolg erzielen. − Wirklichkeitsorientierung. Die Schüler setzen sich handelnd mit Problemen des Lebens auseinander und wirken mit ihrer Arbeit in aufklärend, verändernd – auf das Leben zurück. Im Projekt tritt also fachgebundene Unterricht zugunsten des situativen, praktischen, Hintergrund. komplexen Gegenständen und irgendeiner Form – vorstellend, der systematische, theoretische, ganzheitlichen Lernens in den − Produktorientierung. Ziel- und Angelpunkt der Projektarbeit ist ein konkretes Produkt, dessen Herstellung längere Zeit in Anspruch nimmt. Als größeres Unternehmen, das mit einem vorweisbaren, dauerhaften, öffentlich zu präsentierenden Ergebnis abschließt, unterscheidet sich die Projektmethode wesentlich von anderen Formen handlungsorientierten Lernens wie etwa Experiment, Praktikum, Rollenspiel. Einige Autoren (etwa Suin de Boutemard 1975, Duncker & Götz 1988, Gudjons 2001) betrachten die Projektmethode als Alternative zum herkömmlichen lehrerzentrierten Unterricht und als zentrales Instrument der inneren Schulreform. Für sie ist nicht die Produktorientierung, sondern die Schülerorientierung das entscheidende Kriterium des Lernens am Projekt. Dabei tauchen zwei Probleme auf: (1) Der Projektbegriff wird über Gebühr erweitert und zum Oberbegriff aller möglichen Methoden offenen Unterrichts erhoben. (2) Die subjektiven Interessen der Schüler gewinnen die Oberhand; sie erhöhen die Gefahr des bloßen Aktionismus und verringern die Wahrscheinlichkeit des kontinuierliches Lernens. 4 Das lineare und das integrative Modell Idealtypisch lassen sich beim Projektunterricht zwei Grundformen unterscheiden: das lineare und das integrative Modell (Apel & Knoll 2001). Beide Modelle sind historisch legitimiert und unterrichtspraktisch relevant. − Das lineare Modell, um 1880 in der amerikanischen High School eingeführt, gehorcht dem alten didaktischen Prinzip, dass Unterricht, um erfolgreich zu sein, schrittweise vom Einfachen zum Komplexen fortschreiten muß. Es hat zwei Phasen. In der ersten Phase, der „Instruktion“, erwerben die Schüler grundlegende Kenntnisse und Fertigkeiten, wie etwa – im Werkunterricht – das „Alphabet“ der Werkzeuge und Techniken. In der zweiten, wesentlich kürzeren Phase, der „Konstruktion“, wenden sie das im vorhergehenden Lehrgang systematisch erworbene Wissen und Können selbst an, indem sie ein größeres Arbeitsvorhaben (z. B. Tisch, Stuhl, Kommode) eigenständig auswählen, planen und durchführen. − Das integrative Modell, um 1900 an der amerikanischen Elementary School entwickelt, ist mehr dem natürlichen, ganzheitlichen Lernen verpflichtet. Es besteht im wesentlichen aus drei Phasen: (1) Projektinitiative: Schüler und Lehrer entscheiden sich für ein bestimmtes Thema oder Problem – z. B. das Leben der Indianer – und überlegen gemeinsam, welches Wissen und Können sie brauchen, um dieses Projekt durchführen zu können. (2) Vorbereitung: Die Schüler erlernen durch Kurse, Recherchen, Erkundungen etc. speziell die Kenntnisse und Fähigkeiten, die sie zur Verwirklichung des Projekts benötigen. (3) Detailplanung und Durchführung: Die Schüler präzisieren die ursprüngliche Projektidee (Bau eines Indianerdorfes im Modell) und setzen sie selbständig in die Wirklichkeit um. Während das integrative Modell mit seiner grundständigen Situations- und Kontextbezogenheit lebensnäher und deshalb motivierender und verständlicher erscheint, hat das – in Deutschland bisher kaum beachtete – lineare Modell durch seine klarere Struktur, geringere Komplexität und kürzere Dauer den Vorteil, dass es leichter organisierbar ist und der Lehrer sich in der zweiten, eigentlichen Projektphase tatsächlich eher – wie immer wieder gefordert – auf seine Beraterrolle beschränken und seine Schüler weitgehend allein arbeiten lassen kann. 5 Das Projekt in der empirischen Unterrichtsforschung Empirische Untersuchungen zur Projektmethode gibt es nur wenige; und die paar Untersuchungen, die wissenschaftlich ernst zu nehmen sind, widersprechen in vieler Hinsicht den euphorischen Praxisberichten und theoretischen Abhandlungen der Pädagogen, die sich der Projektidee verschrieben haben (Apel & Knoll 2001). Drei Ergebnisse aus verschiedenen Lehrer- und Schülerbefragungen seien genannt: - Projektlernen findet im Schulalltag äußerst selten statt. Schümer (1996, S. 144) berichtet, dass nur gut zehn Prozent der befragten Lehrer gelegentlich Projektunterricht durchführen; und Petri (1991, S. 78) schätzt, dass der Anteil der Projektarbeit an der gesamten Unterrichtszeit vielleicht bei 0,5 Prozent liegt. - Die Lehrer, die Projektunterricht durchführen, unterscheiden sich von den Lehrern, die dies nicht tun, vor allem dadurch, dass sie eine größere Vielfalt von Methoden und Medien einsetzen, dass sie enger mit ihren Kollegen zusammenarbeiten und dass sie mit ihrem Beruf zufriedener sind (Schümer 1996, S. 148f.). - Bei den Schülern ist die Projektmethode einerseits beliebt, weil sie Abwechslung bietet, freie Kommunikation ermöglicht und die Dominanz des Lehrers vermindert; andererseits wünscht sich nur ein Sechstel der projekterfahrenen Schüler eine Wiederholung dieser Unterrichtsform (Riedel 1994, S. 141ff.). Die Ergebnisse dieser Befragungen bedürfen zweifellos einer sachlichen Prüfung und einer thematischen Erweiterung. Sie sagen insbesondere nichts darüber aus, inwieweit die Ziele der Projektmethode erreicht werden und welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit Projektarbeit sinnvoll eingesetzt und erfolgreich durchgeführt werden kann. Trotzdem sind die bisherigen Untersuchungen interessant, denn sie geben – aus Lehrer- bzw. Schülerperspektive – ansatzweise Antwort auf die Frage, warum das Projekt, obwohl heftig propagiert und als wichtigste Methode zur Förderung von Demokratie und Fortschritt angesehen (etwa Bastian & Gudjons 1997, Hänsel 1999, Wöll 2004), so selten in der Unterrichtswirklichkeit vorkommt: - Die Lehrer sehen sich weniger durch Schulstruktur und Schulbehörden behindert, vielmehr befürchten sie, dass die größeren Freiräume, die die Projektmethode bietet, die Unruhe in der Klasse erhöht und die Kontrolle der Schüler erschwert; zum anderen vermuten sie, dass die geringere Durchschaubarkeit und der höhere Zeitaufwand die Motivation und das kognitive Wachstum vor allem der leistungsschwächeren Schüler eher verringert als erhöht (Schümer 1996, S. 153, vgl. auch Zimmer 1987, Bohl 2000). - Die Schüler betrachten diese Form des offenen Unterrichts weniger als Chance, vielmehr beklagen sie die mangelnde Systematik und Struktur des Projektlernens und die mangelnde Orientierung und Hilfestellung durch den Lehrer. Zugleich nutzen sie vermehrt die Strategien des Ausweichens, Sichdrückens und Trittbrettfahrens, um dem durch die Projektmethode verlangten zusätzlichen Einsatz an Energie, Zeit und Phantasie zu entgehen (Zimmer 1987, S. 343ff.; zum Ausweichverhalten der Lehrer Warnken & Klein-Nordhues 1991). Literaturverzeichnis Apel, H. J. & Knoll, M. (2001): Aus Projekten lernen. Grundlegung und Anregungen. München: Oldenbourg. Bastian, J. & Gudjons, H. (Hrsg.) (1997): Theorie des Projektunterrichts. Hamburg: Bergmann & Helbig. Bohl, T. (2000): Unterrichtsmethoden in der Realschule. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Duncker, L. & Götz, B. (1988): Projektunterricht als Beitrag zur inneren Schulreform. Begründungen, Erfahrungen, Vorschläge für die Durchführung von Projektwochen. 2. Aufl. Langenau: Vaas. Frey, K. (2002): Die Projektmethode. 9., überarb. Aufl. Weinheim: Beltz. Hänsel, D. (Hrsg.) (1999): Handbuch Projektunterricht. . 2. Aufl. Weinheim: Beltz. Gudjons, H. (2001): Handlungsorientiert Lehren und Lernen. Projektunterricht und Schüleraktivität. 6., überarb. Aufl. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Knoll, M. (1993): 300 Jahre Lernen am Projekt. Zur Revision unseres Geschichtsbildes. In: Pädagogik 45 (7-8), S. 58-63. Petri, G. (1991): Idee, Realität und Entwicklungsmöglichkeiten des Projektlernens. Graz: Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Sport. Riedel, K. u. a. (1994): Schule im Vereinigungsprozeß. Probleme und Erfahrungen aus Lehrer- und Schülerperspektive. Frankfurt: Lang. Schümer, G. (1996): Projektunterricht in der Regelschule. Anmerkungen zur pädagogischen Freiheit des Lehrers. In: Zeitschrift für Pädagogik 34 (Beiheft), S. 141-158. Suin de Boutemard, B. (1975): Schule, Projektunterricht und soziale Handlungsperformanz. Eine wissenssoziologische und handlungstheoretische Untersuchung. München: Fink. Warnken, G. & Klein-Nordhues, P. (1991): Unbehagen an Projektwochen – von Gesamtschulen lernen. In: Die Deutsche Schule 83, S. 181-198. Wöll, G. (2004): Handeln: Lernen durch Erfahrung. Handlungsorientierung und Projektunterricht. 2., überarb. Aufl. Baltmannsweiler: Schneider. Zimmer, G. (1987): Selbstorganisation des Lernens. Kritik der modernen Arbeitserziehung. Frankfurt: Lang.